Das Rechtsmißbrauchsverbot im heutigen Völkerrecht: Eine Untersuchung zur Entwicklung und Anwendbarkeit eines Begriffes [1 ed.] 9783428457502, 9783428057504


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German Pages 219 Year 1984

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Das Rechtsmißbrauchsverbot im heutigen Völkerrecht: Eine Untersuchung zur Entwicklung und Anwendbarkeit eines Begriffes [1 ed.]
 9783428457502, 9783428057504

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RUPERT KLAUS NEUBAUS

Das Rechtsmißbrauchsverbot im heutigen Völkerrecht

Schriften zum Völkerrecht Band 80

Das Rechtsmifibrauchsverbot im heutigen Völkerrecht Eine Untersuchung zur Entwicklung und Anwendbarkeit eines Begriffes

Von

Dr. Rupert Klau8 N euhaU8

DUNCKER & HUMBLOT I BERLIN

CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek

Neubaus, Rupert Klaus: Das Rechtsmissbrauchsverbot im heutigen Völkerrecht: e. Unters. zur Entwicklung u. Anwendbarkeit e. Begriffes / von Rupert Klaus Neuhaus. - Berlin: Duncker und Humblot, 1984. (Schriften zum Völkerrecht; Bd. 80) ISBN 3-428-05750-3 NE:GT

Alle Rechte vorbehalten & Humblot, Berlln 41 Gedruckt 1984 bei Buchdruckerei A. Sayttaerth - E. L. Krohn, Berlln 6} Prlnted in Germany

® 1984 Duncker

ISBN 8-428-06750-3

Inhaltsverzeichnis Einleitung

11

Erstes Kapitel

Historischer Rückblick und derzeitiger Diskussionsstand 1. Vorbemerkung

............... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

15

2. Zum Rechtsmißbrauch im sogenannten klassischen Völkerrecht ......

17

3. Zum Rechtsmißbrauchsverbot im Völkerrecht zwischen den Weltkriegen ............................................................... 24 3.1. Die Wende im Völkerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 24 3.2. Der Beginn der Diskussion über den Rechtsmißbrauch ..........

25

3.3. Zusammenfassung ............................................. 32 4. Zum Rechtsmißbrauchsverbot im Völkerrecht seit dem Zweiten Weltkrieg .............................................................. 32 4.1. Neue Entwicklungen im Völkerrecht ...........................

32

4.2. Der derzeitige Stand der Diskussion ............................ 35 4.3. Zusammenfassung ............................................. 40 5. Ergebnisse aus der bisherigen Diskussion. . . . . .. . . . . . . . . . . . . ... . . . .. 41

Zweites Kapitel

Die Abgrenzung des Rechtsml8brauchsbegriffes als Arbeitshypothese 1. Zur Methode der Begriffsgewinnung ............................... 44 1.1. Vorbemerkung: Zur Notwendigkeit der Begriffsklärung ........ 44 1.2. Terminologische Verwirrungen. . . . .. ... .. . . . . . . . . . . . . .. .. . . . . .. 46 1.2.1.

Darstellung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 46

Inhal tsverzeichnis

6

1.2.2.

Gründe

............................................... 50

1.2.3.

Schlußfolgerungen ..................................... 59

1.3. Zur deduktiven Methode ....................................... 61 1.3.1.

Vorbemerkung

1.3.2.

Das Rechtsmißbrauchsverbot als Prinzip der Gerechtigkeit oder naturrechtlicher Grundsatz ........................ 61

.... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 61

1.3.3.

Das Rechtsmißbrauchsverbot als Ausdruck des Rechtsgefühls oder Rechtsbewußtseins ........................

1.3.4.

Zur tatsächlichen Herkunft des Rechtsmißbrauchsbegriffes in der deduktiven Methode ....................... " 67

1.3.5.

Zusammenfassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 70

66

1.4. Zur induktiven Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 71 1.4.1.

Vorbemerkung

1.4.2.

Bisherige Bemühungen ................................ 72

. . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

71

1.4.3.

Zusammenfassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 76

1.5. Schlußfolgerung: Der pragmatische Mittelweg .................. 76 2. Tatbestandsmerkmale des Rechtsmißbrauchsverbotes ............... 2.1. Grundgedanken

78

............................................... 78

2.2. Die Ausübung eines Rechts .................................... 80 2.2.1.

Das subjektive Recht als Tatbestandsmerkmal .......... 80

2.2.2. 2.2.2.1. 2.2.2.2. 2.2.2.3. 2.2.2.4.

Abgrenzungen ......................................... Rechtsmißbrauch und Courtoisie bzw. Billigkeit ........ Abus de droit und abus des droits ...................... Rechtsmißbrauch und Ermessensmißbrauch . . . . . . . . . . . .. Abus de droit und abus de competence ..................

81 81 82 83 91

2.3. Die Ausübung eines Rechts .................................... 92 2.4. Der Schaden ................................................... 94 2.5. Das Merkmal der Mißbilligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 95 2.5.1.

Vorbemerkung

2.5.2.

Die Vielzahl der bisher genannten Kriterien ............ 96

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 95

2.5.3.

Die Notwendigkeit der Konkretisierung des Mißbilligungstatbestandes ..................................... 97

2.5.4.

Ausschluß eines Vertrauenstatbestandes als Merkmal der Mißbilligung (Rechtsmißbrauch und Estoppel bzw. Verwirkung) .............................................. 100

3. Vorläufiger Rechtsmißbrauchsbegriff als Arbeitshypothese .......... 103 4. Zu den Rechtsfolgen eines Rechtsmißbrauches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 104

Inhaltsverzeichnis

7

Drittes Kapitel Grundsätzliche Einwendungen gegen die Möglichkeit eines RechtsmlBbrauchsverbotes 1. Vorbemerkung

106

2. Einwendungen gegen die Möglichkeit eines Rechtsmißbrauchsverbotes überhaupt ......................................................... 107 3. Einwendungen gegen ein Rechtsmißbrauchsverbot im Völkerrecht .. 112 4. Zusammenfassung ..................... : ........................... 116 Viertes Kapitel

Das Rechtsmißbrauchsverbot im heutigen Völkerrecht 1. Vorbemerkung: Die Rechtsquellen .................................. 117 2. Zum Rechtsmißbrauchsverbot im Völkervertragsrecht ............... 119 3. Zum Rechtsmißbrauchsverbot im Völkergewohnheitsrecht . . . . . . . . . .. 122 4. Zum Rechtsmißbrauchsverbot als allgemeinem Rechtsgrundsatz . . . .. 134 4.1. Zur Rechtsnatur der allgemeinen Rechtsgrundsätze . . . . . . . . . . . .. 134 4.2. Die Rechtsvergleichung zur Bestimmung des Rechtsmißbrauchsverbotes .................... " . '" ............................ 4.2.1. Probleme der Rechtsvergleichung ...................... 4.2.2. Das Rechtsmißbrauchsverbot im Rechtsvergleich ........ 4.2.2.1. Frühere Rechtsordnungen .............................. 4.2.2.2. Der französische Rechtskreis ........................... 4.2.2.3. Deutschland ........................................... 4.2.2.4. Schweiz ............................................... 4.2.2.5. Österreich ............................................. 4.2.2.6. Italien ................................................ 4.2.2.7. Angelsächsisches Recht ......................... , ....... 4.2.2.8. Sozialistisches Recht ................................... 4.2.2.9. Islamisches Recht ...................................... 4.2.2.10. Weitere Rechtsordnungen .............................. 4.3. Ergebnis .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 4.3.1. Das Fehlen eines Rechtsmißbrauchsverbotes in einigen wichtigen Rechtsordnungen ............................ 4.3.2. Das Fehlen einheitlicher Kriterien ...................... 4.3.3. Zur Bildung eines gemeinsamen Minimums .............

143 143 149 149 151 155 158 161 162 164 167 173 176 177 177 180 181

5. Ergebnis: Die Nichtexistenz eines Rechtsmißbrauchsverbotes als allgemeine Völkerrechtsnorm ........................................... 183

Inhaltsverzeichnis

8

Fünftes Kapitel

Zu den Bedingungen für ein Rechtsml8braucbsverbot Im zukünftigen Völkerrecht 1. Vorbemerkung

185

2. Der Rechtsmißbrauch als Problem der Generalklauseln im Völkerrecht .............................................................. 186 2.1. Der Konsens als Grundlage der Generalklauseln . . . . . . . . . . . . . .. 186 2.2. Die Heterogenität der Staatengemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 188 2.3. Die Schwäche der internationalen Gerichtsbarkeit .............. 191 3. Die heutige Bedeutungslosigkeit der allgemeinen Rechtsgrundsätze .. 194 4. Zusammenfassung ................................................. 196 Schluß

198

Llteraturverzeicbnls

200

Abkürzungsverzeichnis

Aufl. Ausg. AVR

Association des Auditeurs et Ancien Auditeurs de l'Academie de Droit International de la Haye Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch Archiv für die civilistische Praxis Annuaire Francais de Droit International Annuaire de 1'Institut de Droit International American Journal of Comparative Law American Journal of International Law Anlage Archiv des öffentlichen Rechts Archiv für Rechts- und Sozial philosophie Artikel Premier Congres International de l'Association Henri Capitant pour la culture juridique francaise Auflage Ausgabe Archiv des Völkerrechts

Bd.(e). Bearb. BGB Buchst. BYIL bzw.

Band (Bände) Bearbeiter Bürgerliches Gesetzbuch Buchstabe British Yearbook of International Law beziehungsweise

AAA ABGB AcP AFDI AIDI AJCL AJIL An!. AöR ARSP Art. Ass. Capitant

CC CLJ CLP

= Code Civil

Cambridge Law Journal, The Current Legal Problems

d.h. Diss. Doc. DöV

Deutsche Demokratische Republik der das heißt Dissertation Document Die öffentliche Verwaltung

erg. erl.

ergänzt erläutert

f., ff. französ. FS

folgend, folgende französisch Festschrift

Harv.LR HILJ Hrsg.

Harvard Law Review Harvard International Law Journal Herausgeber

ICLQ

International and Comparative Law Quarterly Internationaler Gerichtshof International Law Commission italienisch Organisation für Zivile Luftfahrt

DDR

d.

IGH

ILC ita!. IZLO

Abkürzungsverzeichnis

10 JbRSozRTh JIR JOR JuS

Jahrbuch für Rechtssoziologie und Rechtstheorie Jahrbuch für Internationales Recht Jahrbuch für Ostrecht Juristische Schulung

NOP

Neue Okonomische Politik

OZöR

Osterreichische Zeitschrift für öffentliches Recht und Völkerrecht

RabelsZ

Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht Revue BeIge de Droit International Reeueil des Cours le l'Aeademie de Droit International Reeueil de la Cour Internationale de Justiee Revista Espaiiola deI Derecho Internaeional Reichsgesetzblatt Revue Generale de Droit International Publie Revue Internationale de Droit Compare

RBDI RC RCIJ REDI RGBI RGDIP RIDC

s.

SALJ Schweiz. JIR SDN StIGH

siehe Seite South Afriean Law Journal, The SChweizerisches Jahrbuch für Internationales Recht Soeiete des Nations Ständiger Internationaler Gerichtshof

T

Teil

übers. UDSSR UN UNO usw. u.v.a.m.

übersetzung Union der sozialistischen Sowjetrepubliken Uni ted Nations (Vereinte Nationen) United Nations Organization und so weiter und viele andere mehr

v.

von Verfassung vergleiche Völkerrecht

WVR

Wörterbuch des Völkerrechts Bd.I-III (hrsg. v. K. Strupp u. H. J. Schlochauer)

YBWA

Yearbook of World Affairs, The

ZaöRV

Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht zum Beispiel Zeitschrift für Rechtsvergleichung Zivilgesetzbuch Zeitschrift für vergleichende Rechtswissenschaft Zeitschrift für Völkerrecht

S.

Verf. vgl. VR

z.B. Zffivgl ZGB ZvglRW ZVR

Einleitung Eine völkerrechtliche Untersuchung über das Rechtsmißbrauchsverbot scheint durchaus geeignet, bei einem Leser zwei Reaktionen auszulösen: Zunächst einmal mag das Thema vertraut wirken, denn sowohl bei dem Begriff des Rechtsmißbrauches als auch bei dem des Völkerrechts handelt es sich um geläufige, einem Juristen, d. h. einem deutschen Juristen, bekannte Begriffe. Auch die Kombination dieser beiden Begriffe wirkt keineswegs originell, und tatsächlich ist die vorliegende Untersuchung nur die Fortsetzung der Diskussion eines schon häufiger behandelten Problems. Stellt man sich jedoch sogleich die weitere Frage, was denn unter Rechtsmißbrauch genau zu verstehen sei, so mag man bald in ähnliche Schwierigkeiten geraten wie bei der Suche nach der Antwort auf die Frage nach dem Begriff des Völkerrechts. Schnell wird sich herausstellen, daß sowohl die eine als auch die andere Frage so ohne weiteres nicht zu beantworten ist. Über das Wesen, den Begriff und den Inhalt des Rechtsmißbrauches mag es in Deutschland, Frankreich, der Schweiz oder einigen anderen Ländern zusammen wohl schon fast so viele Abhandlungen geben wie z. B. über das Wesen oder den Geltungsgrund des Völkerrechtes. Ganz offensichtlich handelt es sich bei der Frage nach dem Völkerrecht nicht mehr nur um eine streng juristische, sondern bereits um eine philosophische, weltanschauliche oder ideologische Fragestellung, deren Antwort unterschiedlich ausfallen muß, je nachdem, welcher der vielen Philosophien oder Ideologien der jeweilige Autor anhängt. Aber auch die Frage nach dem Gehalt und Inhalt oder, wie manche bevorzugen zu sagen, dem Wesen des Rechtsmißbrauchsverbotes übersteigt den rein juristisch-argumentativen Rahmen und entpuppt sich bei näherer Betrachtung ebenfalls als ein Problem, das zu den Grundvorstellungen über den Begriff des subjektiven Rechtes oder zu der Frage nach dem Verhältnis von Recht und Moral vorstößt. Und genausowenig wie ein Völkerrechtler eine völkerrechtliche Untersuchung nicht ohne eigene Parteinahme für diese oder jene Grundvorstellung vom Völkerrecht durchführen kann, genausowenig läßt sich eine Antwort auf die Frage nach dem Rechtsmißbrauch finden, ohne eine eigene Vorstellung von z. B. der Beziehung zwischen Recht und Moral oder dem Begriff des subjektiven Rechtes zu haben.

12

Einleitung

Um den Leser über die eigene Position nicht im ungewissen zu lassen, bietet sich die Möglichkeit an, von vornherein klar Position zu beziehen, d. h. die eigene Auffassung vom Charakter des Völkerrechts bzw. des Rechtsrnißbrauches darzulegen. Gleichwohl wurde für die vorliegende Untersuchung bezüglich bei der Begriffe dieser Weg nicht gewählt, und zwar aus folgendem Grund: Wie sich zeigen wird, handelt es sich bei dem Rechtsmißbrauchsverbot keineswegs um ein rein theoretisches Problem, sondern tatsächlich um ein historisches, gewachsenes Rechtsinstitut, dessen Bedeutung und Inhalt nicht nur von Zeit zu Zeit, sondern auch von Region zu Region unterschiedlich sein kann. Die Möglichkeiten einer abstrakt-theoretischen Fundierung des Rechtsrnißbrauches sind daher beschränkt, da sie zu sehr Gefahr läuft, die Wirklichkeit mit ihren vielfältigen Gestaltungsmöglichkeiten zu verfehlen. Um nicht von vornherein die Diskussion mit anderen Auffassungen abzuschneiden, die von dem hier vertretenen Standpunkt grundlegend abweichen, erschien es ratsam, auf eine "abstrakte" Darlegung des Rechtsrnißbrauches bereits eingangs der Arbeit zu verzichten. Dieses fiel um so leichter, als nach der hier vertretenen Auffassung der Nachweis einer positiven Rechtsnorm sich ohnehin nur nach dem positiven Recht zu richten hat, soll ein Auseinanderfallen von Rechtsbegriff und Rechtswirklichkeit vermieden werden. Ziel der Arbeit ist daher, den - tatsächlichen oder auch vielleicht nur möglichen - völkerrechtlichen Rechtsmißbrauchsbegriff konkret in der Auseinandersetzung mit den einzelnen, vertretenen Auffassungen anhand des geltenden Rechts zu gewinnen. Dies erfordert aber, daß der eigene Begriff vom Rechtsrnißbrauch, mit dem die Untersuchung angegangen wird, sozusagen offen bleibt, ohne bereits bestimmte Voraussetzungen apriori zu implizieren. Sicherlich wird an den entscheidenden "Wendepunkten" Stellung bezogen werden müssen für die eine oder andere Auffassung. Aber dies kann dann im jeweiligen Kontext - so jedenfalls die Hoffnung und der Wunsch der Verfassers - überzeugender ausfallen als eine abstrakte Darlegung, die den Gang der weiteren Untersuchung notwendig festlegen würde. Eine solche abstrakte Darlegung würde im übrigen auch Gefahr laufen, letztlich in der Diskussion um den Rechtsmißbrauchsbegriff stecken zu bleiben und die im eigentlichen Sinne - hier gesuchte - völkerrechtliche Diskussion des Rechtsmißbrauchsverbotes zu ersticken. Wie sich zeigen wird, kann zudem eine Untersuchung des Rechtsmißbrauchsverbotes im Völkerrecht gar nicht losgelöst vom Völkerrecht beginnen, soll nicht von vornherein die Wahrnehmung für die wahren Chancen und Möglichkeiten des Rechtsmißbrauchsverbotes im Völkerrecht verbaut werden, da angesichts der verschiedenartigen Struktur des Völkerrechtes im Vergleich zu den innerstaatlichen Rechstordnungen eine Untersuchung über Geltung und

Einleitung

13

Inhalt des Rechtsmißbrauches keineswegs zu überall identischen Ergebnissen führen muß. Auch wenn eine jede Untersuchung von dem mit ihr gefundenen Ergebnis überzeugen will, so sollte dennoch nicht das Bewußtsein fehlen, daß das Ergebnis einer jeden Untersuchung letztlich abhängig ist von dem jeweils gewählten Ausgangspunkt. Damit ist eine jede Untersuchung nicht nur eine Werbung für das gefundene Ergebnis, sondern über dieses hinaus auch für den gewählten Ausgangspunkt, und es ist deshalb nicht nur ehrlich, sondern geradezu erforderlich, diesen offenzulegen. Diese Offenlegung der Begriffsgewinnung kann aber hinsichtlich des Rechtsmißbrauches im Völkerrecht nicht an dieser Stelle mit wenigen Sätzen erfolgen, sondern ist ein wesentliches Kernstück der folgenden Arbeit. Auf die nähere Darlegung der hier vertretenen Auffassung vom Völkerrecht ist dagegen an dieser Stelle aus einem anderen Grund verzichtet worden. Eine Auseinandersetzung mit dem noch immer umstrittenen Problem des Begriffs oder des Wesens des Völkerrechts würde nicht nur den Rahmen der Einleitung, sondern der gesamten vorliegenden Abhandlung sprengen müssen. Es soll daher genügen, wenn betont wird, daß nach der hier vertretenen Auffassung Völkerrecht eine RE'chtsordnung darstellt, deren Normen wie die einer jeden anderen Rechtsordnung dazu bestimmt sind, das Verhalten ihrer Adressaten zu steuern, indem - wie auch im innerstaatlichen Recht - an bestimmte rechtliche Tatbestände bestimmte Rechtsfolgen geknüpft werdeni. Unabhängig davon, daß bei einem Verstoß gegen völkerrechtliche Normen nicht notwendig die grundsätzlich daran geknüpfte Rechtsfolge wirksam wird - dieses Schicksal teilen die völkerrechtlichen Normen mit vielen innerstaatlichen Rechtsvorschriften, ohne daß deren rechtlicher Charakter deshalb bereits in Frage gestellt wird -, handelt es sich bei diesen Normen um Rechtssätze und nicht um Sätze der Völker- oder Staatenmoral. Entscheidendes Kriterium ist hierbei die rechtliche Bindung, die durch völkerrechtliche Normerzeugung entsteht. Auch wenn die Formulierung der sogenannten Grundnorm des völkerrechtlichen Normerzeugungsverfahrens2 theoretisch unbefriedigend bleibt und vielleicht auch aus erkenntnis-theoretischen Gründen immer bleiben muß, ändert dies nichts daran, daß die Staaten als die weitaus wichtigsten Völkerrechtssubjekte sehr wohl zwischen rechtlichem und nichtrechtlichem Verhalten bzw. Handeln unterscheiden. Im übrigen würde es zu recht unsinnigen, weil der Realität nicht entsprechenden Ergebnissen führen, wenn der Charakter des Völkerrechts als einer eigenen Rechts1 Diese knappe Begriffsskizzierung folgt im wesentlichen Hoffmann, Verantwortung, S.9 f. 2 Vgl. hierzu Hoffmann, Verantwortung, S. 10.

Einleitung ordnung bestritten werden sollte, weil jedenfalls die Normadressaten den rechtlichen Charakter des Völkerrechts nicht bestreiten, sondern bei ihren Handlungen tatsächlich zugrunde legen, wie die praktische Politik tagtäglich beweist. Diese wenigen Bemerkungen mögen genügen, um den hier vertretenen Ansatz zu verdeutlichen. Auf eine nähere Darlegung bereits eingangs der Untersuchung kann hier nicht zuletzt auch deshalb verzichtet werden, weil der Untersuchungsgegenstand selbst - das RechtsmiBbrauchsverbot - ohnehin zwingt, im Verlauf der Untersuchung auf einige Grundprobleme des Völkerrechts zurückzukommen. Die hier mehr als knapp skizzierte - vertretene Grundauffassung dürfte daher im Zuge der Abhandlung deutlicher zutage treten. Um aber auf die eingangs gemachte Bemerkung zurückzukommen, wonach das Thema der Arbeit sicherlich geeignet ist, bei dem Leser zunächst vertraute Assoziationen zu wecken, so ist es durchaus auch Ziel der Arbeit, dieses Vertrautsein zu erschüttern - soweit es vorhanden ist. Immerhin ist im deutschen Sprachraum eine dem Rechtsmißbrauchsverbot im Völkerrecht gewidmete Monographie - soweit ersichtlich seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges nicht mehr erschienen. Die vermutete Vertrautheit des Themas dieser Abhandlung dürfte daher eher darin ihren Grund haben, daß es sich bei dem Rechtsmißbrauchsverbot um einen, jedenfalls im deutschen Recht, durchaus geläufigen Rechtsbegriff handelt, dessen Anwendung und Fruchtbarmachung auch für das Völkerrecht als selbstverständlich erscheinen mag. Wie sollte denn auch "mißbrauchtes Recht" noch Recht sein können? Dieses aus dem innerstaatlichen Recht geborene Uuristische) "Alltagsverständnis" auf ein völkerrechtliches zurückzuführen, ist Aufgabe der vorliegenden Untersuchung, und so ist diese primär keine Untersuchung zum Rechtsmißbrauchsverbot im allgemeinen - auch wenn zum Teil auf die innerstaatlichen Diskussionen um den Rechtsmißbrauch zurückgegriffen werden muß -, sondern eine völkerrechtliche Untersuchung, die anhand des Untersuchungsgegenstandes "Rechtsmißbrauch" auch ein Licht werfen soll auf die derzeitige Situation des Völkerrechts.

Erstes Kapitel

Historischer Rückblick und derzeitiger Diskussionsstand 1. Vorbemerkung

Eine völkerrechtliche Untersuchung, die sich den Nachweis der Geltung bzw. des Inhalts und des Umfangs einer bestimmten Rechtsnorm zum Ziel gesetzt hat, braucht nicht mehr gewissermaßen am Nullpunkt zu beginnen, sondern kann in der Regel auf eine mehr oder minder große Zahl von früheren Beiträgen zu dem Untersuchungsgegenstand zurückgreifen. Soweit nicht schon arbeitsökonomische Gründe dafür sprechen, ist es jedenfalls ratsam, die bisherige Diskussion hierüber in ihrer Entwicklung zu verfolgen, um den günstigsten Anknüpfungspunkt für die eigene Untersuchung zu finden. Darüber hinaus läßt die Nachzeichnung der bisherigen Geschichtet eines nun schon fast ehrwürdigen, über 55 Jahre alten Rechtsinstituts wie das vom Verbot des Rechtsrnißbrauches im Völkerrecht, wenn man die Veröffentlichung von Politis2 aus dem Jahre 1925 in übereinstimmung mit vielen Autoren als die eigentliche Geburtsstunde der Diskussion um das Rechtsmißbrauchsverbot im Völkerrecht gelten läßt3, hoffen, daß die Lösung verschiedener Probleme, wenn nicht schon endgültig gefunden, so doch wenigstens im Ansatz bereits entwickelt ist. Zumindest läßt eine solch lange Diskussion eine schärfere Abgrenzung der Rechtsnatur und des Inhalts des Rechtsmißbrauchsverbotes erwarten, so daß die weitere Untersuchung hierauf möglicherweise aufbauen kann. Um jedoch der Gefahr zu entgehen, bereits in der Nachzeichnung der bisherigen Behandlung des Rechtsmißbrauchsverbotes im Völkerrecht zu sehr eigene Wertungen einfließen zu lassen, erscheint es geboten, diesen überblick bewußt referierend zu halten. Es soll daher nur auf t Einen kurzen, aber unkritischen überblick über die Entwicklung des Rechtsmißbraucl1sverbotes bringt Whiteman, Digest, Bd. 5, S. 224 ff. 2 Politis, Probleme, S. 5, 77 ff. 3 So Spiropoulos, Rechtsgrundsätze, S.35; ders., Abus du Droit, S.6; Schindler, Rechtsmißbrauch, S.39; Kiss, Abus de Droit, S.9; Schwarzenberger, Uses, S.147; Roulet, Caractere, S.l1; Casanuevas, Abuso de DereCho, S.469; Voss, Rechtsmißbrauch, S.91 (der allerdings von einer Wiederentdeckung spricht).

16

1. Kap.: Rückblick und derzeitiger Diskussionsstand

die Erörterungen hingewiesen werden, in denen ausdrücklich von der Existenz bzw. Geltung eines Rechtsmißbrauchsverbotes expressis verbis die Rede ist, weil ein eigener Begriff vom Rechtsmißbrauch noch nicht vorgegeben werden kann und soll, an dem sich ermessen ließe, welche ähnlichen Rechtsbegriffe auch ohne ausdrückliche Nennung des Rechtsmißbrauchsverbotes als Anwendung bzw. Ausdruck dieses Rechtssatzes verstanden werden können. Aus diesem Grunde soll hier auf die Nennung solcher Beispiele - vor allem auch in der Praxis der internationalen Rechtsprechung - verzichtet werden, die sich zwar nicht ausdrücklich auf das Rechtsmißbrauchsverbot stützten, die jedoch in der völkerrechtlichen Diskussion häufig als entweder der Idee nach oder einem anderen gemeinsamen Grundgedanken folgend ebenfalls als Anwendung eines im allgemeinen Völkerrecht geltenden Rechtssatzes vom Verbot des Rechtsmißbrauches verstanden worden sind4• Zu denken ist hier vor allem an die vielerorts vorgenommene Gleichsetzung des Rechtsmißbrauchsverbotes mit dem Grundsatz von Treu und Glaubens, der unzulässigen Rechtsausübung6, dem Ermessensmißbrauch und Willkürverbot7 oder ähnlichen Begriffen8 • Inwieweit diese Gleichsetzungen im strengen Sinne als Synonyme berechtigt sind, oder ob es sich in diesem oder jenem Fall um einen über-, gleich- oder untergeordneten Rechtssatz handelt, kann ohne eine vorherige begriffliche, d. h. inhaltliche Abgrenzung des Rechtsmißbrauchsverbotes nicht entschieden werden. Einer Vorabklärung zur begrifflichen Abgrenzung soll der historische Abriß über die Behandlung des Rechtsmißbrauchsverbotes im Völkerrecht aber gerade erst dienen. Im folgenden soll daher untersucht werden, in welchen Zusammenhängen der Begriff des Rechtsmißbrauchsverbotes expressis verbis in der bisherigen Literatur und Praxis diskutiert worden ist und inwieweit und gegebenenfalls mit welchem Inhalt dessen Normcharakter bisher anerkannt worden ist.

4 Zur entgegengesetzten Vorgehensweise vgl. die Äußerungen bei Polltis, Probleme, S.93; Trifu, Abus de Droit, S. 96 f.; Kiss, Abus de Droit, S. 189; Voss, Rechtsmißbrauch, S.93; Lauterpacht, Function, S. 289 f. S Siehe z. B. Schmid, Rechtsprechung, S. 152; v. d. Heydte, Völkerrecht I, S. 29; Verdross, Völkerrecht, S. 132. 6 Vgl. Dahm, Völkerrecht I, S. 197. 7 Vgl. Leibholz, Verbot der Willkür, S.4; Dahm, Völkerrecht I, S.195. 8 Es seien hier nur einige Beispiele in deutscher Sprache aufgezeigt; näher und ausführlicher zu dieser Begriffsvielfalt s. unten 2. Kap. 1.2.

2. Zum Rechtsmißbrauch im klassischen Völkerrecht

17

2. Zum Rechtsmißbrauch im sogenannten klassischen Völkerrecht Verschiedentlich wird in den späteren Abhandlungen über den Rechtsmißbrauch im Völkerrecht auf dessen angebliche Behandlung oder gar Geltung im sogenannten klassischen Völkerrecht9 hingewiesen10 • Die Untersuchung soll sich hier allerdings auf die Zeit des ausgehenden 19. Jahrhunderts bis zum Ersten Weltkrieg beschränken. Gelegentliche Bemühungen, die Geschichte des Rechtsmißbrauchsverbotes bereits bei Chr. Wolff und E. de Vattel beginnen zu lassen l1 , können hier übergangen werden, da der zeitgeschichtliche und vor allem der geistes geschichtliche Abstand zu den damals weitgehend naturrechtlich-spekulativen Völkerrechts systemen heute zu groß ist. Soweit diese Bemerkung auch auf die Epoche bis zum Ersten Weltkrieg zutrifft, ist diese Epoche immerhin insoweit von Interesse, als die Völkerrechtslehre nach dem Ersten Weltkrieg einerseits sich zwar bewußt als Contrepart verstand, ohne andererseits von den alten Traditionen des europäischen Völkerrechts sich wirklich lösen zu wollen oder zu können l2 • Ein Blick in die Völkerrechtsliteratur vor dem Ersten Weltkrieg zeigt jedoch, daß von einer Anerkennung eines allgemeinen Grundsatzes vom Verbot des Rechtsmißbrauches in der damaligen völkerrechtlichen Diskussion nicht die Rede sein kann, ja noch nicht einmal von einer diesbezüglichen Diskussion gesprochen werden kann, wenn auf die Behandlung des Rechtsmißbrauchsverbotes expressis verbis abgestellt wird. Allein die Suche nach dem Stichwort Rechtsmißbrauch, Verbot des Rechtsmißbrauches, Abus de Droit, Abuse of Rights oder ähnlichen Formulierungen13 verläuft in den seinerzeit gängigen völkerrechtlichen Darstellungen ergebnislosl4 • 9 In übereinstimmung mit der überwiegenden Auffassung soll das Ende des Ersten Weltkrieges gleichzeitig als Ende des sogenannten klassischen Völkerrechtes angesehen werden; vgl. hierzu für viele v. d. Heydte, Völkerrecht I, S.60; Scupin, Völkerrechtsgeschichte, S.739; Kimminich, Einführung, S.62; Menzel / Ipsen, Völkerrecht, S. 34. 10 Politis, Probleme, S. 109; Voss, Rechtsmißbrauch, S. 89 ff.; Kiss, Abus de Droit, S. 10; Lauterpacht, Function, S. 287. 11 Voss, Rechtsmißbrauch, S. 70 ff. 12 Vgl. Politis, Nouvelles Tendences, S.92; Kimminich, Einführung, S.65, 67 f. 13 Nur die wörtlichen übersetzungen sollen hier herangezogen werden; über das Problem der adäquaten übersetzung von Rechtsbegriffen verschiedener nationaler Rechtsordnungen bzw. des Begriffes Rechtsmißbrauch wird noch einzugehen sein; s. hierzu unten 2. Kap. 1.2.2. 14 Vgl. hierzu die mehr oder minder ausführlichen Register in der - allerdings recht zufällig ausgewählten - Völkerrechtsliteratur vor dem Ersten Weltkrieg, z. B. bei Resch, Völkerrecht; v. Liszt, Völkerrecht; Klüber, Völkerrecht; Heffter, Völkerrecht; Ullmann, Völkerrecht; Bluntschli, Völker-

2 Neuhaus

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1. Kap.: Rückblick und derzeitiger Diskussionsstand

Dieses völlige Fehlen von Hinweisen auf das hier gesuchte Stichwort ist immerhin ein starkes Indiz dafür, daß der damaligen Völkerrechtslehre ein Verbot des Rechtsrnißbrauches in dieser Allgemeinheit wohl kaum bekannt war. Dieses Indiz wird dadurch bekräftigt, daß gleichwohl fast alle Autoren in bestimmten völkerrechtlichen Einzelfragen eine Begrenzung einzelner subjektiver Rechte der Staaten unter dem Gesichtspunkt des Mißbrauches dieser Rechte kannten oder diskutierten. So findet sich der Begriff abuse in den Registern der Völkerrechtswerke von Oppenheim und F. Smith jeweils nur im Zusammenhang mit dem Problem des Flaggenmißbrauches l5 • Dieses spezielle Problem des unerlaubten - Flaggengebrauches unter dem Gesichtspunkt des Mißbrauches ist auch von anderen Autoren diskutiert l6 und auf den Haager Konferenzen auch in die Texte des Abkommens über den Landkrieg aufgenommen worden 17 • Keiner der genannten Autoren stützt sich jedoch zur Begründung des Verbotes des Flaggenmißbrauches auf das Bestehen eines generellen Verbots des Rechtsrnißbrauches, wie auch die Behandlung des Flaggenmißbrauches in dem Haager Abkommen selbst eher ein Indiz gegen die Anerkennung eines allgemeinen Rechtsmißbrauchsverbotes für die damalige Zeit ist. So wird zwar im deutschen Text in Artikel 23 f Annex HLKO ausdrücklich von einem Verbot des Mißbrauchs der Parlamentärflagge gesprochen, dagegen benutzt der französische Text den Ausdruck user indument - und das, obwohl der Begriff abus de droit dem französischen Recht damals bereits geläufig war -, während im englischen Text der Begriff improper use verwandt wird l8 • Dieses Schwanken im Ausdruck offenbart, daß selbst bei der Behandlung des Flaggenmißbrauches noch keineswegs eine einheitliche Terminologie herrschte, was zumindest darauf schließen läßt, daß jedenfalls das Verbot des Flaggenmißbrauches nicht als spezieller Ausdruck eines bestehenden allgemeingültigen Grundsatzes vom Verbot des Rechtsrnißbrauches angesehen wurde. Auch bei der im Anschluß an die Haager Abkommen häufigeren Behandlung des Flaggenmißbrauches in der seinerzeitigen Völkerrechtsliteratur wurde nicht behauptet, daß dieses Verbot Ausdruck eines generellen Rechtsmißbrauchsverbotes gewesen sei 19. recht; Zorn, Völkerrecht; Gareis, Völkerrecht; aus der ausländischen Literatur, die leider häufig keine Register führte, Bonfils, Droit International; Calvo, Droit International; Wheaton, International Law; Hall, International Law. 15 Oppenheim, International Law I, II; Smith, International Law. 16 Bluntschli, Völkerrecht, §§ 328, 329; Heffter, Völkerrecht, S. 150; Ullmann, Völkerrecht, S. 323. 17 Vgl. IV. Haager Abkommen, RGBl. 1910, S.107; Internationale Quelle: Martens, Völkerrecht, 3. Serie, T.3, S. 461 ff.; abgedruckt auch in Berber, VR Dokumentensammlung III, S. 1892 ff. 18 Vgl. Hull, Hague Conferences, S. 232.

2. Zum Rechtsmißbrauch im klassischen Völkerrecht

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Die Möglichkeit VOn Mißbräuchen fand in der völkerrechtlichen Literatur vor dem Ersten Weltkrieg auch bei vielen anderen Rechten durchaus Erwähnung: so vorzugsweise im Interventionsrecht20 und im Asylrecht, wo die Betonung üblicherweise darauf liegt, daß das Asylrecht nicht mißbraucht werden düde2 l . Als weitere Beispiele für die Einschränkung der den Staaten zustehenden Rechte unter dem Gesichtspunkt des Mißbrauches können das Repressalienrecht22 , das Angarienrecht23, das Kombattantenrecht24, das Recht auf Teilnahme am völkerrechtlichen Verkehr25 und - recht allgemein - sogar die Staatssouveränität;26 genannt werden. Zusammenfassend kann daher festgestellt werden, daß zwar der älteren Völkerrechtsliteratur der Begriff Mißbrauch bekannt war, jedoch immer nur im Zusammenhang mit ganz speziellen subjektiven Rechten. Allen diesen Äußerungen ist dabei gemeinsam, daß diese einzelnen Erwähnungen keineswegs als Ausdruck eines allgemeinen im Völkerrecht geltenden Rechtssatzes oder Prinzips des Verbotes des Rechtsmißbrauches verstanden worden sind. Das yöllige Fehlen von näheren einheitlichen Kriterien für diese einzelnen Mißbrauchstatbestände wie auch das Fehlen von Hinweisen auf die Rechtsfolgen etwaiger Mißbräuche sind weitere Indizien für diesen Befund, der seine Bestätigung auch darin findet, daß Hinweise auf die Behandlung des Rechtsmißbrauchsverbotes in der damaligen Völkerrechtspraxis oder in damaligen Schiedsgerichtsurteilen nicht vorhanden sind; eine Tatsache, die schon VOn Politis konstatiert werden mußte27. Die gelegentliche Benutzung des Begriffes Mißbrauch muß daher als Bemühung mancher Autoren gesehen werden, eine Einschränkung von gewissen, den Staaten zustehenden Rechten zu fordern und zu verbalisieren, weil diese Rechte offensichtlich besonders häufig zu Auswüchsen 19 Vgl. Hatschek, Völkerrecht, der dem Flaggenmißbrauch immerhin zwei volle Seiten (S. 317 f.) widmet; Oppenheim, International Law I, S.336; Zorn, Völkerrecht, S. 265. 20 Vgl. Bluntschli, Völkerrecht, § 429; Despagnet, Droit International, S.245; Ullmann, Völkerrecht, S. 308 - der das Interventionsverbot aber gerade deshalb für erforderlich hält, um den Staat vor mißbräuchlichen Aktionen anderer Staaten bei der freien und unabhängigen Entfaltung zu schützen. Gleichwohl sieht Schindler, Rechtsmißbrauch, S.39 bei Ullmann schon einen Hinweis auf das Verbot des Rechtsmißbrauches. 21 Bluntschli, Völkerrecht, §§ 396, 398; Ullmann, Völkerrecht, S. 251; Oppenheim, International Law II, S. 419 f. 22 Despagnet, Droit International, S. 594. 23 Ullmann, Völkerrecht, S. 304. 24 Despagnet, Droit International, S. 737. 2S Heffter, Völkerrecht, S.64. 26 Despagnet, Droit International, S. 591. Tl Politis, Probleme, S. 93.

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1. Kap.: Rückblick und derzeitiger Diskussionsstand

und reinen Machtdemonstrationen verführten. So hing es vor allem vom Unbehagen des jeweiligen Autors ab, ob er bei der Anerkennung von sogenannten absoluten Rechten mit dem Hinweis auf die Mißbrauchsmöglichkeit in der Ausübung dieser Rechte eine vage Grenze zu setzen versuchte oder auch ohne Rückgriff auf den Mißbrauchs.., gedanken eine Einschränkung dieser Rechte hervorhob, wobei zuweilen auf den Gesichtspunkt des mangelnden Motivs28 , des Willkürverbots29 , oder auch - besonders beliebt, wohl weil am unverbindlichsten und auch ohne Widerspruchsmöglichkeit - auf die Feststellung zurückgegriffen wird, daß die Rechte des einzelnen Staates ihre Grenzen an den Rechten des anderen Staates finden müßten30 oder gar "nur im Völkerrecht selbst"3!. Ergänzend sei noch hinzugefügt, daß auch die damals recht häufigen Kodifikationsentwürfe im Völkerrecht noch kein allgemeines Verbot des Rechtsrnißbrauches erwähnten32 , obwohl gerade derartige Kodifikationsbemühungen fast immer - bewußt oder unbewußt - um ein jeweils besonders "fortschrittliches" Völkerrecht bemüht waren und hierzu regelmäßig die Forderung nach mehr und präziseren, die Handlungsfreiheit der Staaten einschränkenden, Regeln erhoben33 . Bei dieser sicher - damals wie heute - berechtigten Forderung wurde zwar häufig genug positives Völkerrecht mit einem von den Verfassern gewünschten Recht vermengt14, um so auffälliger muß dann das Übergehen eines Rechtsinstitutes wie dem des Rechtsmißbrauchsverbotes in 28 Banfils, Droit International, S. 237 bezüglich der Regelungsfreiheit des Einwanderungsrechts. 29 Holtzendorff, Staat, S. 10; Resch, Völkerrecht, S.44, 64. 30 Bluntschli, Völkerrecht, § 66; Ullmann, Völkerrecht, S. 81 f.; Bonfils, Drait International, S.304. 3! Resch, Völkerrecht, S.44. 32 Vgl. die Kodifikationsentwürfe von Fiore, Droit International CodifiE~; Dudley-Field, Projet; Domin-Petruhevecz, Precis. 33 Zur Bedeutung dieser Entwürfe vgl. Nys, Codification, S. 885 f.; Oppenheim, International Law I, S. 35 f.; de Visscher, Codification, S. 409 ff.; aus neuerer Sicht Nußbaum, Geschichte, S. 261 f.; Dhokalia, Codification, S. 46 f.; Yakemtchouk, Origines, S. 376 f.; Ago, Codification, S. 93 f.; aus sozialistischer Sicht Mowtschan, Kodifizierung, S. 31 f. - der jedoch gerade den Gedanken der Weiterentwicklung des Völkerrechts durch ein~ Kodifizierung betont (S. 175 f.) und den früheren Kodifikationsversuchen den Vorwurf der bloß systematischen Zusammenfassung der bestehenden Völkerrechtsregeln macht (S. 32). 34 So auch de Visscher, Codification, S.409; Anzilotti, Lehrbuch, S. 59 f.; dieser Vorwurf trifft über weite Strecken sicher auch auf einige systematische Darstellungen zu, wie schon Kunz, Völkerrechtswissenschaft, S.70 bemerkt. Nußbaum, Geschichte, S. 261 f. schreibt z. B. zur Bedeutung des Werkes von Bluntschli, daß Bluntschli den damals mangelnden völkerrechtlichen Normenbestand "nach Gutdünken" ausgefüllt habe; ebenso Dhokalia, Codification, S.50.

2. Zum Rechtsmißbrauch im klassischen Völkerrecht

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den Kodifikationsentwürfen sein, zum al das Rechtsmißbrauchsverbot in den späteren Jahren von einigen Autoren nicht nur als für ein fortgeschrittenes Völkerrecht unentbehrlich, sondern geradezu als Gradmesser der Fortschrittlichkeit des Völkerrechtes angesehen wurde3s • Wenn dennoch im nachhinein einige Autoren durch Äußerungen bei Ullmann und Heilborn36 oder Erwähnugen in der Völkerrechtspraxis die Anwendung des Rechtsmißbrauchsverbotes als im Völkerrecht anerkannt erachteten37 , so muß dies als eine Überinterpretation verstanden werden, die sich aus dem seinerzeitigen Schrifttum der Völkerrechtsliteratur sowie der Rechtspraxis und der Rechtsprechung jedenfalls nicht begründen läßt18. Das Rechtsmißbrauchsverbot ist von manchen Anhängern dieser Theorie somit nicht aus dem Völkerrecht jener Zeit herausinterpretiert, sondern von ihnen selbst mit Hilfe eines anderweitig gefundenen Begriffs vom Rechtsrnißbrauch in das Völkerrecht hineininterpretiert worden. Die Anerkennung eines allgemeinen Rechtssatzes vom Verbot des Rechtsrnißbrauches findet in der Periode des sogenannten klassischen Völkerrechts jedenfalls keine Stütze. Ob die Nennung von einigen wenigen Beispielen des Mißbrauches von Rechten eine Interpretation auf einen dahinterstehenden allgemeingültigen Rechtssatz des Verbots des Rechtsrnißbrauches erlaubt, kann hier noch nicht entschieden werden, da hierzu erst ein völkerrechtlicher Begriff des Rechtsrnißbrauches erkannt worden sein müßte. Immerhin bestehen erhebliche Zweifel daran, ob es sinnvoll ist, einen irgendwie gearteten Rechtssatz vom Rechtsmißbrauchsverbot in das sogenannte klassische Völkerrecht nachträglich einzuführen bzw. dessen Geltung für die damalige Zeit zu behaupten. Auch ohne Zugrundelegung eines bestimmten Begriffs vom Rechtsmißbrauchsverbot zeigt nämlich ein kurzer Blick auf die damalige Struktur des Völkerrechts, daß eine etwaige spätere Einführung bzw. Anerkennung des Rechtsmißbrauchs3S Politis, Probleme, S. 108 f.; Lauterpacht, Function, S.300; de Boeck, Expulsion, S.635; Schlochauer, Theorie, S. 376 f., 380; Schindler, Rechtsmißbrauch, S.110; Kiss, Abus de Droit, S. 197. - Inwieweit es sinnvoll ist, überhaupt von einer Fortschrittlichkeit im Recht und speziell im Völkerrecht zu sprechen, soll hier nicht weiter erörtert werden. 36 Heilborn, System, S.358-361 widmet sich wohl am ausführlichsten dem Mißbrauchsgedanken, doch lag es ihm fern, eine völkerrechtliche Theorie des Mißbrauchsverbotes konstruieren zu wollen, da er selbst betonte, daß dieselbe im Völkerrecht keine Grundlage fände (S.360); eine Einstellung, die wohl auch Lauterpacht, Function, S.287 zu der Bemerkung veranlaßte, daß Heilborn mit der eonomine-Einführung dieses Begriffs "gezögert" habe. 37 Politis, Probleme, S. 93; Voss, Rechtsmißbrauch, S. 89 f.; Lauterpacht, Function, S. 287; Kiss, Abus de Droit, S. 10, 189. 38 Für die Anwendung des Rechtsmißbrauchsverbotes expressis verbis geben dies auch Politis, Probleme, S.92 und Lauterpacht, Development, S.162 zu.

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1. Kap.:

Rückblick und derzeitiger Diskussionsstand

verbotes in dem allgemeinen Völkerrecht nicht einfach "zurückdatierbar" sein kann, da zwischen dem sogenannten klassischen Völkerrecht und dem Völkerrecht nach dem Ersten Weltkrieg bzw. dem heutigen Völkerrecht doch ein erheblicher Wandel feststellbar ist. Ein genereller Satz vom Verbot des Rechtsmißbrauches der - ungeachtet seiner einzelnen Tatbestandsmerkmale - jedenfalls eine irgendwie geartete, generelle Einschränkung von den einzelnen Rechtssubjekten zustehenden Rechten zum Ziele hat, hätte nur schwerlich in ein Völkerrecht gepaßt, in dem an der Spitze aller völkerrechtlichen Erörterungen die ständig wiederholten Beteuerungen von der Absolutheit und Unbeschränktheit der Souveränität39 oder aber die Überbetonung des Staates40 und der daraus fließenden Rechte und Kräfte stand. Angesichts dieser damals unbestrittenen Grundlagen des Völkerrechts reduzieren sich die vereinzelt auftauchenden Mahnungen, mit diesem oder jenem Recht dürfe nicht Mißbrauch getrieben werden, schnell zu rein moralischen Forderungen oder Beschwichtigungen, die nur zu häufig den Verdacht von bloßen Lippenbekenntnissen nahelegen. Tatsächlich ist ein generelles Verbot des Rechtsmißbrauches - das eine immer irgend wie geartete generelle Beschränkung der den einzelnen Staaten zustehenden Rechte beinhalten muß - in einer Rechtsordnung nur schwer vorstellbar, wenn zugleich betont wird, daß "letzter und höchster Ausdruck aller Souveränität... die rechtlich bestehende Machtvollkommenheit selbständiger Kriegsführung gegenüber anderen Nationen" sein S01l41. Oder wenn bezüglich des schwerwiegenden und einschneidenden Repressalienrechts, das nach heutiger Anschauung scharf umrissene Grenzen haf'2, schlicht konstatiert wird, daß Mißbräuche und Exzesse kaum zu vermeiden seien43 , und es kaum Grenzen für Repressalien gebe, da es kaum Grenzen für menschliche Leidenschaften und für Mißbräuche der Gewalt gebe44 • Und selbst Autoren, die vergleichsweise häufig auf die - von ihnen offensichtlich mißbilligten - Mißbrauchsmöglichkeiten von Rechten verweisen, betonen das aus der externen Souveränität fließende Kriegsführungsrecht4s • Dieses sei39 Politis, Nouvelles Tendences, S.18; zum damaligen Verständnis der Souveränität vgl. für viele Alvarez, Droit International, S. 473 f.; Kimminich, Einführung, S. 58 f.; Menzel / Ipsen, Völkerrecht, S.33, 444 f. mit weiteren Hinweisen. 40 Seidl-Hohenveldern, Völkerrecht, S. 30. 41 Holtzendorff, Staat, S. 10; Resch, Völkerrecht, S. 43, 254. 42 Vgl. Berber, Völkerrecht III, S. 95 f.; Verdross / Simma, Völkerrecht, S. 652 f.; Seidl-Hohenveldern, Völkerrecht, S.343 f. - jeweils mit weiteren Hinweisen. 43 Funck-Brentano / Sorel, Precis, S.294. 44 Funck-Brentano / Sorel, Precis, S.294. 4S Despagnet, Droit International, S.82; Bonfils, Droit International, S.148 f.

2. Zum Rechtsmißbrauch im klassischen Völkerrecht

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nerzeit allgemein anerkannte freie Kriegsführungsrechf46 war Ausdruck eines extremen Individualismus, und es war eigentlich recht konsequent, daß, wenn man unter einer Rechtsordnung eine soziale Ordnung zur friedlichen Konfliktlösung verstehen will, manche Autoren schließlich, ausgehend vom damaligen Souveränitätsbegriff, die Existenz von Völkerrecht überhaupt leugneten47 - ein Standpunkt, der sich heute jedenfalls sinnvoll nicht mehr vertreten läßt. Bekannten Ausdruck fand dieser extreme Individualismus, abgesehen von der Möglichkeit, das Völkerrecht überhaupt zu leugnen, wohl in den Worten E. Kaufmanns, daß der siegreiche Krieg das soziale Ideal sei, der Staat im Krieg sein wahres Wesen offenbare48 und dessen (des Staates, d. Verf.) einziges "telos" im Völkerrecht "die von der staatlichen Selbsterhaltung diktierten staatlichen Interessen" sein sollten49 • So lange also im Völkerrecht als einer Art von sozialdarwinistischem "Gerechtigkeitsprinzip" letztlich der Satz Geltung beanspruchte: "Nur wer kann, darf!"50, solange konnte der Gedanke, daß eine Rechtsausübung aus übergeordneten rechtlichen Grundsätzen heraus generell unzulässig sein könnte, im Völkerrecht kaum einen Platz finden. Daher waren Doktrin und Praxis unter dem Einfluß des seinerzeit herrschenden sogenannten Rechtspositivismus51 generellen Normen gegenüber, die um der Erhaltung des Friedens willen die staatliche Souveränität zu beschränken suchten, abgeneigts2• Aus diesem Grunde kann wohl auch der Versuch nicht gelingen, eine solche, die Handlungsfreiheit einschränkende generelle Norm wie das Rechtsmißbrauchsverbot im nachhinein in das Völkerrecht der sogenannten klassischen Periode hineinzuinterpretieren. Solange der individualistische, staatsegoistische 46 Für viele Zorn, Völkerrecht, S. 255; Gareis, Völkerrecht, S. 223; Kimminich, Einführung, S.58; ders., Atomzeitalter, S. 296 f.; Dahm, Völkerrecht 11, S. 330; Menzel /Ipsen, Völkerrecht, S.445 (etwas einschränkend); aus sozialistischer Sicht Meister, Weltstaat, S.51. 47 Vgl. Lasson, Prinzip, S. 52 f., der einer der bekanntesten sogenannten Völkerrechtsleugner war; zur Auseinandersetzung mit Lasson vgl. Kelsen, Souveränität, S. 196 f. Zur Auseinandersetzung generell mit den sogenannten Völkerrechtsleugnern Walz, Wesen des Völkerrechts, passim; Königsgarten, Problem, S. 3 f. 48 Kaufmann, Wesen des Völkerrechts, S. 146. 49 Kaufmann, Wesen des Völkerrechts, S.192. Schon Kelsen, Souveränität, S.265 hat darauf hingewiesen, daß Kaufmann damit keinen Rechtsgedanken, sondern ein Machtprinzip proklamierte. 50 Kaufmann, Wesen des Völkerrechts, S.231 - mit diesem Satz schloß der Autor seine berühmte Abhandlung ab. 51 Nußbaum, Geschichte, S.257; Seidl-Hohenveldern, Völkerrecht, S.30. Inwieweit die Bezeichnung Rechtspositivismus, die sich für die Rechtsauffassung des seinerzeitigen Völkerrechts allgemein durchgesetzt hat, berechtigt ist, soll hier nicht entschieden werden. 52 Kimminich, Einführung, S.62, betont zu Recht, daß das klassische Völkerrecht keine Friedenskraft war bzw. gar nicht sein wollte.

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1. Kap.: Rückblick und derzeitiger Diskussionsstand

Standpunkt Triumphe feierte, waren Rechte tatsächlich nur insoweit eingeschränkt, wie hierzu wiederum eine spezielle, positive Norm nachweisbar war. Für eine allgemeine Regel zur Begrenzung der individuellen Rechte wie der des Verbots des Rechtsmißbrauches war unter diesen Bedingungen kein Platz. 3. Zum Bechtsmißbrauchsverbot im Völkerrecht zwischen den Weltkriegen 3.1. Die Wende im Völkerrecht Mit dem Ende des Ersten Weltkrieges ging nicht nur die sogenannte klassische Periode des Völkerrechts zu Ende, sondern der unter dem Eindruck der katastrophalen Folgen des Ersten Weltkrieges einsetzende Bewußtseinswandel führte zu einer neuen Auffassung des Völkerrechts, die auch als die kopernikanische Wende des Völkerrechts vom jus ad bellum zum Gewaltverbot bezeichnet worden ist53 • Wenn es auch zunächst noch ein weiter Weg bis zum völkerrechtlichen Gewaltverbot warS", waren die Bestrebungen der Politiker und Völkerrechtswissenschaftler nunmehr doch zunehmend darauf ausgerichtet, den Krieg aus seiner juristisch wertneutralen Beurteilung zu entlassen bzw. zu einer Einschränkung des anerkannten freien Kriegsführungsrechts zu kommen, ohne daß allerdings an die in der vernunftnaturrechtlichen Periode vertretene Lehre vom gerechten und ungerechten Krieg angeknüpft werden konnte und sollte5S • Ausgangspunkt aller Bemühungen, den Krieg als eine bloße Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln zu ächten, war die Erkenntnis, daß die Souveränität der Staaten und die als Ausdruck dieser Souveränität verstandene absolute und uneingeschränkte Handlungsfreiheit nicht mehr das uneingeschränkte subjektive Recht zum Kriege umfassen durfte. Dem zu sehr im Souveränitätsdenken verhafteten früheren Völkerrecht wurde verstärkt ein neues "soziales" Völkerrecht entgegengesetzt56, in dem sich die Staaten als ein verantwortlicher Teil eines Ganzen, nämlich der Völkerrechtsgemeinschaft, betrachten solltenS7 • 53 Kimminich, Einführung, S.84; ders., Atomzeitalter, S.307; ähnlich Scheuner, Völkerrechtsgeschichte, S.744. 54 Zur Geschichte des Gewaltverbotes s. Dahm, Völkerrecht 11, S. 327 ff.; Kimminich, Atomzeitalter, S. 294 f.; Menzel / Ipsen, Völkerrecht, S. 444 f.; Klimmeck, Zulässigkeit, S.14, 48 f. - jeweils mit weiteren Hinweisen. 55 Die Literatur zu diesem Thema ist nahezu unübersehbar, vgl. WengIer, Völkerrecht I, S. 131 f.; Menzel, Völkerrecht, S.38; Dahm, Völkerrecht 11, S. 332 f.; Kimminich, Atomzeitalter, S. 29 f.; ders., Gerechter Krieg, S. 214 f.; Berber, Völkerrecht 11, S. 32 f.

3. Zum Rechtsmißbrauchsverbot zwischen den Weltkriegen

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Wenn auch die rückschauende Betrachtung die seinerzeitigen Äußerungen von einem "neuen Völkerrecht", den "neuen Tendenzen im Völkerrecht"58 oder anderen ähnlichen Kennzeichnungen als zu euphorisch und zu sehr vom Wunschdenken diktiert beurteilen mag, kann nicht übersehen werden, daß tatsächlich nicht zuletzt mit der Schaffung des Völkerbundes, der kriegerische Streitbeilegungen verhindern sollte, das Völkerrecht in ein neues Stadium eingetreten war. Dies zeigt sich nicht zuletzt daran, daß - obwohl der Normwandel im Völkerrecht üblicherweise langsamer verläuft als im nationalen Recht - in der Folgezeit in rasch abnehmendem Maße auf Darstellungen des Völkerrechts aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg zurückgegriffen wurde. Vor allem die Gründung des Ständigen Internationalen Gerichtshofes wurde zu der Hoffnung der Völkerrechtslehre, aufgrund der Autorität der von ihm zu erwartenden Entscheidungen die Entwicklung des Völkerrechts voranzutreiben, wobei unter Entwicklung des Völkerrechts hauptsächlich dessen zunehmende Änderung zu einem den internen Rechtsordnungen ähnlicher werdenden sozialen Charakter verstanden wurde59 • 3.2. Der Beginn der Diskussion über den Rechtsmißbrauch

In diese Phase der Neuorientierung im Völkerrecht fiel die Veröffentlichung der im Rahmen der Academie de Droit International in Den Haag gehaltenen Vorlesung von Politis über "Le Probleme des limitations de la souverainete et la theorie de l'abus de droit dans les rapports internationaux"60. Nicht zu Unrecht kann diese Veröffentlichung als der eigentliche Beginn der Diskussion über das Verbot des Rechtsrnißbrauches im Völkerrecht angesehen werden61 • Zwar war schon von den Teilnehmern der Juristenkommission in der Diskussion um die in Artikel 38 Abs. 1 c) Statut StIGH eingeführten Rechtsgrundsätze als subsidiäre Völkerrechtsquelle das Rechtsmißbrauchsverbot als Beispiel für einen derartigen allgemeinen Rechtsgrundsatz genannt worden und damit erstmals losgelöst von einem konkreten Tatbestand als allgemeiner, auch im Völ56 Politis, Probleme, S. 87 f.; Garner, Developpement, S. 698 ff.; vgl. auch Scheuner, Völkerrechts geschichte, S.748. 57 Kimminich, Atomzeitalter, S.33. 58 Politis, Tendences, S. 11 f.; ähnlich Garner, Developpement, S. 641, 694 ff. 59 Politis, Probleme, S. 87; Härle, Entscheidungsgrundlagen, S. 147 ff. 60 Politis, Probleme, S. 6 ff. 61 So schon z. B. de Boeck, Expulsion, S. 627; Scelle, Precis 11, S. 39; Schlochauer, Theorie, S.393; Voss, Rechtsmißbrauch, S.91; Schindler, Rechtsrnißbrauch, S.39; Dahm, Völkerrecht I, S. 194 Anm. 1; Verzijl, International Law I, S.316; Schüle, Rechtsrnißbrauch, S.69; Menzel/ Ipsen, Völkerrecht, S.353.

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1.

Kap.: Rückblick und derzeitiger Diskussionsstand

kerrecht anwendbarer, Rechtsgrundsatz erwähnt worden62 , doch fehlte dort sowohl eine nähere Begründung für die Einführung dieses Rechtsgrundsatzes als auch eine nähere tatbestandliche Ausformung und Konkretisierung des möglichen Anwendungsbereiches63 • Mit großem Verve versuchte dagegen Politis, die theoretische Begründung für die Anwendung des Rechtsmißbrauchsverbotes im Völkerrecht darzulegen64 • Nach ihm ist das Rechtsmißbrauchsverbot Ausdruck des evolutiven Charakters des Rechts6S , wobei er es als ein allgemeines rechtsgeschichtliches Phänomen ansieht, daß das Recht im primitiven Zustand eher zur Anwendung der Regel "neminem laedit qui jure suo utitur" neige, während sich in einem entwickelten Recht die Regel "Summum jus, summa injuria" durchsetze66 , da die Rechtsordnung zunehmend sich ihres ursprünglichen Individualismus entledige. Die Ausübung der staatlichen Freiheiten müsse ihrem sozialen Zweck entsprechen67 , und ein Mißbrauch liege vor, wenn "l'interet general est lese par le sacrifice d'un interet particulier tres fort a un autre interet particulier plus faible"68. Politis kommt nach Prüfung der theoretischen und praktischen Anwendungsmöglichkeiten des Rechtsmißbrauchsverbotes im Völkerrecht, das er in den entwickelten nationalen Rechtsordnungen von Frankreich, Belgien, Deutschland, der Schweiz und der Sowjetunion verwirklicht siehf'9, zu dem Ergebnis, daß dieses Rechtsmißbrauchsverbot zwar nicht expressis verbis, jedoch der Idee nach bereits früher praktiziert wurde70• Dabei komme der Theorie vom Rechtsmißbrauchsverbot eine besondere Bedeutung für den Fortschritt des Völkerrechts zu und führe zu einer fortschreitenden Begrenzung des Souveränitätsdogmas71 • Es bleibt bemerkenswert, welches große Echo Politis mit dieser ersten Abhandlung über den Rechtsrnißbrauch im Völkerrecht auslöste72• 62 Proces-verbaux, S. 314 f., 335; vgl. die Zitate u. a. bei Politis, Probleme, S.91; de Boeck, Expulsion, S.632. 63 Vgl. aber Paul, Abuse of Rights, S. 108, der hier den Hauptanstoß für den Eingang des Rechtsmißbrauchs "into the international life" sieht. 64 Josserand, Esprit des Droits, S.276 nannte ihn auch schon bald den "Champion de cette theorie". 6S PoUtis, Probleme, S. 86. 66 PoUtis, Probleme, S.77. 67 Politis, Probleme, S. 86. 68 Politis, Probleme, S.89. 69 Politis, Probleme, S. 79 f. 70 Politis, Probleme, S.93. 71 Politis, Probleme, S. 108 f. 72 De Boeck, Expulsion, S. 627 f. und Trifu, Abus de droit, S. 83 f. folgten ihm teilweise wortwörtlich; ähnlich auch Josserand, Esprit des Droits, S.274. Besonders auffällig wird der Einfluß der Abhandlung von Politis bei Lauter-

3. Zum Rechtsmißbrauchsverbot zwischen den Weltkriegen

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In der Folgezeit erschienen nicht nur mehrere Einzelabhandlungen über das Verbot des Rechtsmißbrauches73 , sondern auch in den Völkerrechtslehrbüchern und Spezialmonographien zu verschiedenen Themen fand diese neue Lehre nunmehr vermehrte Beachtung74, wobei sich jedoch bald zeigte, daß nicht nur die dem Rechtsmißbrauch von Politis zugeschriebene Bedeutung für das Völkerrecht, sondern auch die Berechtigung dieses Begriffes im Völkerrecht überhaupt lebhaft umstritten war. Noch knapp zwanzig Jahre später mußte Schindler feststellen75 , daß selbst eine einheitliche Erfassung des Begriffes des Rechtsmißbrauches nicht erreicht werden konnte. Während auf der einen Seite nämlich vertreten wurde, daß das Rechtsmißbrauchsverbot als ein grundlegendes, jeder Rechtsordnung immanentes Prinzip gesehen werden müssedem auch das Völkerrecht unterworfen sein müsse - und das unbewußt bereits seit langem Eingang in das Völkerrecht gefunden habe76 , wurde von anderen Autoren nicht nur die Existenz des Rechtsmißbrauchsverbotes im Völkerrecht als mit dessen Charakter als einem individualistischen Recht unvereinbar bestrittenn , sondern dieser Grundsatz als für das Völkerrecht gar schädlich und überflüssig angesehen78 • pacht, der in seiner 1927 erschienenen Abhandlung "Private Law Sources" noch nicht auf den Rechtsmißbrauch eingeht, obwohl er kurze Zeit später ein vehementer Verfechter dieser neuen Theorie wurde und die Wirkung des Rechtsmißbrauchsverbotes sogar bereits in dem klassischen Völkerrecht festgestellt haben wollte; vgl. Lauterpacht, Function, S.289. Ein weiteres schönes Beispiel für das Tempo, mit dem sich die Diskussion des Rechtsmißbrauchsverbotes im Völkerrecht verfestigte, bringt Schwarzenberger, Order, S. 84, Amn.2. 73 Z. B. Leibholz, Verbot der Willkür, S. 1 ff.; Scerni, Abuso di Diritto; Gutteridge, Abuse of Rights; Schlochauer, Theorie, S. 373 ff.; Trifu, Abus de Droit; Buza, Bona Fides; Voss, Rechtsmißbrauch; Schindler, Rechtsmißbrauch. 74 Für die Lehrbücher vgl. Scelle, Precis 11, S.38, 466, 470; Strupp, Grundzüge, S. 120; Spiropoulos, Traite, S. 160; Cavaglieri, Corso, S. 508 ff. - Zu den Spezialmonographien vgl. Verdross, Jurisprudence, S. 242 ff.; Bruns, Völkerrecht, S.39; Spiropoulos, Rechtsgrundsätze, S. 35 f.; Borel / PoUtis, Extension, S. 750 f. und die hierzu erfolgten Stellungnahmen von Huber, Reponse, S.770, Le Fur, Observations, S.784; Erich, Observations, S. 807, Dupuis, Observations, S.811 und Wehberg, Observations, S.816; Cavaglieri, Nuovi Studi, S. 43 f.; Härle, Entscheidungsgrundlagen, S. 182 f.; Rundstein, Rechtsgrundsätze, S. 40 f.; Sibert, Affaire, S. 689; Lauterpacht, Function, S. 286 f.; Ripert, Regles, S. 618 f.; Salvioli, Regles Generales, S. 66f.; Kaufmann, Regles Generales, S.522; Ago, DeUt, S. 441 f.; Scheuner, Influence, S.149, 153; Yntema, Droit International, S.141; Cavaglieri, Regles Generales, S. 544 ff.; de Visscher, Codification, S.361. - Diese Ausführung soll nur beispielhaft sein, im übrigen vgl. die ausführliche übersicht bei Voss, Rechtsmißbrauch, S. 90 f. 75 Schindler, Rechtsmißbrauch, S.40. 76 Leibholz, Verbot der Willkür, S.4; Spiropoulos, Rechtsgrundsätze, S.37; de Boeck, Expulsion, S. 632 f., 636; Trifu, Abus de Droit, S. 96 f.; Voss, Rechtsmißbrauch, S. 136; Politis, Probleme, S. 108 f. n Blühdorn, Einführung, S.157 (unter Hinweis auf Pallieri); Bruns, Völkerrecht, S. 39 f.; Cavaglieri, Corso, S.508; ders., Nuovi Studi, S.45; ders.,

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1. Kap.: Rückblick und derzeitiger Diskussionsstand

Es würde zu weit führen, wollte man hier alle verschiedenen Standpunkte, die in der Folgezeit nach der Abhandlung von Politis vertreten wurden, aufzeigen; sie werden im weiteren Verlauf der Untersuchung noch angesprochen werden müssen. Doch seien aus der Fülle der Stellungnahmen zum Rechtsrnißbrauch noch einige Ansichten erwähnt, die verdeutlichen mögen, wie uneinheitlich nicht nur die Auffassungen von der Existenz des Rechtsmißbrauchsverbotes überhaupt, sondern wie unterschiedlich auch die Begründungen für die Auffassungen sowohl der jeweiligen Befürworter eines Rechtsmißbrauchsverbotes als auch der Gegner dieser neuen Doktrin waren. Selbst bei den Befürwortern des Rechtsmißbrauchsverbotes herrschte keine Einigkeit darüber, ob es sich bei dem Rechtsmißbrauchsverbot um einen allgemeinen Rechtsgrundsatz im Sinne eines allgemeinen immanenten Rechtsprinzipes79 oder einen durch Vergleich der verschiedenen Rechtsordnungen gewonnenen allgemeinen Rechtsgrundsatz handeln sollteBO • Soweit für die Gültigkeit des Rechtsmißbrauchsverbotes auf einen durch Rechtsvergleich gewonnenen allgemeinen Rechtsgrundsatz Bezug genommen wurde, waren im übrigen die Ergebnisse recht uneinheitlich und führten von der AnerkennungS! über ein vorsichtiges Für-möglich-halten82 bis zur entschiedenen AblehnungS3• Auch bezüglich der zukünftigen Entwicklungschancen eines Rechtsmißbrauchsverbotes im Völkerrecht wurden unterschiedliche Auffassungen vertreten. Einige Autoren nannten das Rechtsmißbrauchsverbot vorsichtig immerhin ein wünschenswertes Postulat&", während andere den Entwicklungsstand des Völkerrechts für eine Anwendung der Lehre vom Rechtsmißbrauchsverbot noch nicht für reif genug hielten8S• WähRegles Generales, S. 554 f.; Scerni, Abuso di Diritto, S. 71, 80 (allerdings einschränkend). 78 Le Fur, Observations, S. 786 f.; Dupuis, Observations, S. 811; ders., Regles Generales, S. 94. 79 Verdross, Jurisprudence, S.242; Leibholz, Verbot der Willkür, S.4; Scheuner, Influence, S. 149, 153, Trifu, Abus de Droit, S. 164. 80 So wohl Härle, Entscheidungsgrundlagen, S.182; Schlochauer, Theorie, S.388, 392; nicht ganz klar Spiropoulos, Rechtsgrundsätze, S. 35 f.; Sibert, Affaire, S.689; Lauterpacht, Function, S.297, 298. 8! Härle, Entscheidungsgrundlagen, S. 182; Ripert, Regles, S. 619; wohl auch Lauterpacht, Function, S.297. 82 Schlochauer, Theorie, S.388, 392. 83 Gutteridge, Abuse of Rights, S.43 f.; ders., Comparative Law, S. 7 f.; Le Fur, Observations, S.788; Scerni, Abuso di Diritto, S.58; Ago, Delit, S.443. 84 Schlochauer, Theorie, S.380; Strupp, Grundzüge, S.183; Rundstein, Rechtsgrundsätze, S.45; vgl. auch Wehbergs Vorschlag, den Rechtsrnißbrauch zu kodifizieren, in: Observations, S. 816. 8S Cavaglieri, Corso, S. 508; ders., Nuovi Studi, S.45; Scerni, Abuso di Diritto, S.71, 80, Bustamente y Sirven, Droit International I, S.191; ebenso wohl auch Bruns, Völkerrecht, S. 39 f.

3. Zum Rechtsmißbrauchsverbot zwischen den Weltkriegen

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rend diese Autoren das Haupthindernis für eine Anerkennung des Rechtsmißbrauchsverbotes im Völkerrecht in dessen noch nicht genügend entwickelter Struktur sehen wollten, wurde von anderer Seite das Rechtsmißbrauchsverbot selbst generell, und nicht nur für das Völkerrecht, als eine widerspruchsvolle und gefährliche Theorie angesehen86 • In Anbetracht dieser unterschiedlichen Standpunkte erscheint es nicht unsymptomatisch, daß das Rechtsmißbrauchsverbot zwar mitunter Erwähnung fand, ohne daß sich immer erkennen ließ, ob hierbei bereits von einer geltenden Völkerrechtsregel ausgegangen werden sollte87 • Soweit eine kurze Zusammenfassung dieses hier nur angedeuteten Diskussionsstandes überhaupt möglich ist, läßt sich sich als eindeutiger Befund nur feststellen, daß der GeItungsgrund des Rechtsmißbrauchsverbotes bis dato von kaum einem der Autoren im Völkergewohnheitsrecht gesehen wurde 88 , was zwar in gewissem Widerspruch zu den mancherorts vertretenen Thesen stand, wonach das Rechtsmißbrauchsverbot im Grunde schon früher überall Anwendung gefunden haben soll, jedoch andererseits dadurch erklärbar ist, daß die Diskussion eines generellen Rechtsmißbrauchsverbotes expressis verbis doch sehr jungen Datums war und in Anbetracht der üblicherweise langsamen Herausbildung von neuem Völkergewohnheitsrecht die Anerkennung eines neuen Rechtssatzes als gewohnheitsrechtliche Regel durchaus Zeit beanspruchen durfte. Auch die gelegentlichen Erwähnungen des Rechtsmißbrauchs in den Entscheidungen des Ständigen Internationalen Gerichtshofes 89 können nicht als Ausdruck für eine beginnende oder gar bereits bestehende übung gedeutet werden. Einmal waren diese Äußerungen des Ständigen Internationalen Gerichtshofes nicht nur sehr unbestimmt und ohne klare Begrifflichkeit, zum anderen ist das Rechtsmißbrauchsverbot niemals Entscheidungsgrundlage gewesen und nur mehr oder weniger peripher erwähnt worden90• Zwar wurden diese wenigen am Rande liegenden Äußerungen von den Befürwortern des Rechtsmißbrauchsverbotes als eine Bestätigung ihrer These hervorgehoben91 , die Dupuis, Regles Generales, S. 92 ff.; Le Fur, Observations, S. 785 f. Vgl. de Visscher, Codification, S. 361; Blühdorn, Einführung, S. 157. 88 Eine Ausnahme bildet wohl Stowell, International Law, S. 124, 171, worauf auch Roulet, Caractere, S. 102 hinweist. 89 Vgl. die überblicke bei Lauterpacht, Function, S. 288 ff.; ders., Development, S. 162 ff.; Bing Cheng, General Principles, S. 123 ff.; Roulet, Caractere, S.89 Anm.11; Paul, Abuse of Rights, S. 115 f. 90 So schon Schlochauer, Theorie, S.387; die Gegenargumentation von Trifu, Abus de Droit, S. 99 ff. ist nicht sehr überzeugend. Zur damaligen Diskussion Seerni, Abuso di Diritto, S. 101 ff. 91 Lauterpacht, Function, S.288; Ripert, Regles, S. 618 ff.; Verdross, Jurisprudence, S.243; Guggenheim, Validite, S.251; Trifu, Abus de Droit, S. 99 f.; Schindler, Rechtsrnißbrauch, S. 76 f.; einschränkend Rundstein, Rechtsgrundsätze, S. 41. 86

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1. Kap.:

Rückblick und derzeitiger Diskussionsstand

geringe Aussagekraft dieser beiläufigen Erwähnungen bezüglich der Rechtsnatur und des Inhalts des Rechtsmißbrauchsverbotes ist jedoch bei unvoreingenommener Lektüre der betreffenden Passagen offensichtlich - zumal wenn man sich der heftigen Diskussion darüber zu jener Zeit bewußt ist - und häufig genug betont worden92 • In anderen Entscheidungen internationaler Gerichte taucht der Begriff Rechtsmißbrauch explizit nicht auf, und es bedurfte auch hier bereits eines vorgefaßten Begriffes, um in den unterschiedlichsten Fällen eine "implizite" Anwendung dieses Rechtssatzes erkennen zu können93 • Schließlich mag noch erwähnt werden, daß auch die internationale Vertragspraxis die Anwendung eines Rechtsmißbrauchsverbotes als völkerrechtliche Norm nicht anerkannt hatte94 • Es bleibt als weiteres Ergebnis der Diskussion des Rechtsmißbrauchsverbotes zwischen den beiden Weltkriegen die Feststellung, daß für die Anwendbarkeit des Rechtsmißbrauchsverbotes im Völkerrecht ganz überwiegend auf die allgemeinen Rechtsgrundsätze, wie sie in Artikel 38 Abs. 1 c) des Statuts des Ständigen Internationalen Gerichtshofes niedergelegt worden sind, verwiesen wurde9s • Da die Fragen nach der Rechtsnatur und dem Inhalt dieser allgemeinen Rechtsgrundsätze jedoch zu den umstrittensten Gebieten des Völkerrechts gehörten und gehö92 Cavaglieri, Corso, S.510; ders., Regles Generales, S.544; Ago, DeUt, S.443. Nicht untypisch scheint, daß Voss, Rechtsmißbrauch, in seiner Monographie zur Begründung des von ihm bejahten Rechtsmißbrauchsverbots im Völkerrecht auf die Rechtsprechung des Ständigen Internationalen Gerichtshofes überhaupt nicht zurückgreift. 93 Wie hier Bondil, Detournement, S.4; ähnlich ROulet, Caractere, S. 103 f.; anders Politis, Probleme, S. 108 f.; Josserand, Esprit des Droits, S.277 (der sich ausdrücklich auf Politis bezieht); Lauterpacht, Function, S. 289 f. (der sich im wesentlichen auf die gleichen Fälle wie Politis, mit auch im wesentlichen den gleichen Begründungen, bezieht). 94 So auch Roulet, Caractere, S. 100 zu den sogenannten Liquor treaties mit weiteren Hinweisen, der richtig ausführt, daß aus dem bloßen Gebrauch des Wortes Mißbrauch nicht bereits auf eine dahinterstehende Theorie vom Rechtsmißbrauchsverbot geschlossen werden könne. Soweit Trifu, Abus de Droit, S. 94 die Entwürfe der Juristenkommission als für das Rechtsmißbrauchsverbot beweiskräftig anführt, muß hierzu angemerkt werden, daß die Aufnahme eines Rechtsmißbrauchsverbotes als allgemeiner Rechtsgrundsatz dort nur diskutiert worden ist, aber nicht Bestandteil des Statuts des Internationalen Gerichtshofes wurde. Auch die Diskussion des Institut de Droit International, s. hierzu in Borel / Politis, Extension, S. 750 ff., kann hier nicht als beweiskräftig herangezogen werden, weil es sich bei dieser Institution um ein privates Gremium handelte. Zudem wurde die Diskussion über den Rechtsmißbrauch dort maßgeblich von Politis selbst entfacht, ohne jedoch in der Praxis weitere Folgen zu zeitigen. 9S Härle, Entscheidungsgrundlagen, S. 182 ff., Le Fur, Coutume, S.370; Cavaglieri, Regles Generales, S.544; Lauterpacht, Function, S.298; Schlochauer, Theorie, S. 392.

3. Zum Rechtsmißbrauchsverbot zwischen den Weltkriegen

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ren96 , mußte sich die Uneinigkeit zwangsläufig auch auf die Behandlung des Rechtsmißbrauchsverbotes auswirken97 • So wie die allgemeinen Rechtsgrundsätze des Artikel 38 Abs. 1 c) des Statuts des Ständigen Internationalen Gerichtshofes - was immer auch darunter verstanden worden sein mag - seinerzeit als Einfallstor für ein neues Völkerrecht begrüßt worden sind, so sollte auch das Verbot des Rechtsrnißbrauches im einzelnen, wenn nicht gar entscheidend, zur Umformung des bisherigen Völkerrechtes zu einem neuen weiterentwickelten, d. h. weniger individualistischen Völkerrecht führen98 • Wie sehr die Völkerrechtslehre für diese Gedanken aufnahmefähig war, bewies nicht zuletzt die sich sehr schnell entwickelnde Diskussion um das Rechtsmißbrauchsverbot. Daß es sich hierbei gleichwohl gewissermaßen um einen Vorgriff in der völkerrechtlichen Entwicklung handelte, zeigt die Tatsache, daß nach selbst zwanzigjähriger Diskussion angesichts der bestehenden Meinungsvielfalt eine Einteilung in eine "herrschende" Lehre oder "Mindermeinung" kaum möglich ist. Selbst starke Anhänger des Rechtsmißbrauchsverbotes haben bei dessen Anwendung auf konkrete Einzelprobleme große Vorsicht walten lassen99 , wie denn auch manche Beteuerungen von der Gültigkeit des Rechtsmißbrauchsverbotes im Völkerrecht eher Beschwörendes an sich haben loo • Demgegenüber läßt auch ein guter Teil der ablehnenden Stellungnahmen erkennen, daß die grundsätzliche Möglichkeit des Rechtsmißbrauchsverbotes für das Völkerrecht nicht geleugnet werden sollte, die Annahme der Existenz des Rechtsmißbrauchsverbotes im damaligen Völkerrecht jedoch abgelehnt wurde, weil entweder die Theorie vom Rechtsmißbrauchsverbot noch nicht genügend entwickelt sei lol oder das Völkerrecht noch nicht den entsprechenden Entwicklungsstand für die Anerkennung einer derartigen Norm erreicht habe lO2 •

96 Vgl. zum heutigen Stand die übersicht bei Berber, Völkerrecht I, S. 67 f. und unten 4. Kap. 4.1. 97 Vgl. z. B. die Äußerung bei Cavaglieri, Regles Generales, S.544, der den abus de droit zwar zu den allgemeinen Rechtsgrundsätzen zählen würde, diese aber nicht als Teil des Völkerrechts anerkennt. 98 Politis, Probleme, S. 109; de Boeck, Expulsion, S.635. 99 Vgl. schon Borel/ Politis, Extension, S. 770. 100 Vgl. Politis, Probleme, S.112; Ripert, Regles, S.618; de Visscher, Codification, S.361; Härle, Entscheidungsgrundlagen, S. 185 ff.; Josserand, Esprit des Droits, S. 274 ff. 101 Gutteridge, Abuse of Rights, S.43; Yntema, Droit International, S. 141 f. 102 Bustamente y Sirven, Droit International I, S. 191 ff.

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1. Kap.:

Rückblick und derzeitiger Diskussionsstand 3.3. Zusammenfassung

Es läßt sich der Überblick über die Behandlung des Rechtsmißbrauchsverbotes zwischen den beiden Weltkriegen am treffendsten zusammenfassen mit der Feststellung, daß das Rechtsmißbrauchsverbot wohl noch nicht Bestandteil des allgemeinen Völkerrechts geworden war, aber als ein wichtiges Postulat betrachtet wurde lO3 • Dieser Diskussionsstand nach knapp zwei Jahrzehnten dauernder Auseinandersetzung ist für völkerrechtliche Verhältnisse nun nicht zu negativ zu bewerten. Normen, die nicht gerade einem momentanen, akuten oft erst auf grund neuer technischer Möglichkeiten relevanten - Bedürfnis entspringen, wie z. B. die Herausbildung der Vorschriften über die Lufthoheit im Ersten Weltkrieg oder über die Ausbeutung der Bodenschätze im Kontinentalsockel nach dem Zweiten Weltkrieg, benötigen in der Regel einen gewissen längeren Zeitraum, bis ihre Geltung im allgemeinen Völkerrecht anerkannt ist. Berücksichtigt man zusätzlich, daß es sich bei dieser neuen Doktrin des Rechtsmißbrauchsverbotes nicht nur um eine völlige Neuheit für das Völkerrecht handelte, sondern daß in ihrem Gefolge das bisher übliche völkerrechtliche Verhalten und Denken einer allgemeinen "Umwertung" unterworfen werden sollte bzw. ein solches Umdenken Voraussetzung für die Durchsetzung des Rechtsmißbrauchsverbotes sein sollte, so darf die Tatsache, daß sich das Rechtsmißbrauchsverbot entgegen den Erwartungen seiner Anhänger nicht alsbald allgemein hat durchsetzen können, nicht bereits als Beweis dafür gedeutet werden, daß eine solche Theorie im Völkerrecht von vornherein ohne jede Chance war bzw. bleiben mußte. 4. Zum Rechtsmißbrauchsverbot im Völkerrecht seit dem Zweiten Weltkrieg 4.1. Neue Entwicklungen im Völkerrecht

Trotz der erneuten Katastrophe eines Weltkrieges wird der Versuch der Neuordnung der internationalen Beziehungen mit Hilfe der Gründung der Vereinten Nationen nicht in gleichem Maße als ein so fundamentaler Einschnitt bzw. Neuanfang in der Geschichte des Völkerrechts gesehen, als welcher noch die Gründung des Völkerbundes und das Bemühen um die Illegalisierung des Krieges erachtet worden waren lO4 • 103 Rundstein, Rechtsgrundsätze, S.45; Strupp, Grundzüge, S. 183; Schlochauer, Theorie, S. 380. 104 Vgl. die historischen überblicke bei Kimminich, Einführung, S. 72 f. Seidl-Hohenveldern, Völkerrecht, S. 34 f.; Scheuner, Völkerrechtsgeschichte, S.745.

4. Zum Rechtsmißbrauchsverbot seit dem Zweiten Weltkrieg

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Zwar war der erste Versuch, das internationale Gleichgewicht und den Frieden mit Hilfe des Völkerbundes zu wahren, gescheitert lO5 , doch die nunmehr neu gegründeten Vereinten Nationen sollten aus den früheren Fehlern lernen. Und in der Tat haben die Vereinten Nationen im allgemeinen internationalen Bewußtsein einen solchen Platz eingenommen, daß sie heute kaum aus dem internationalen Staatensystem hinwegzudenken sind. So gehört es heute in der Regel zu den ersten diplomatischen Schritten selbst von Kleinststaaten, kaum daß sie in die Unabhängigkeit entlassen worden sind, die Aufnahme in die Vereinten Nationen zu beantragenlO6 . Obwohl sich die Hoffnung vieler, die Vereinten Nationen in absehbarer Zeit in einen "Weltstaat" aufgehen zu lassen 1OO , nicht erfüllt hat lO8, wird die Existenzberechtigung bzw. die Notwendigkeit dieser Organisation mit all ihren Hilfsorganisationen bei aller Kritik allgemein nicht ernstlich in Frage gestellt. So wie die Vereinten Nationen in gewissem Maße als die bloße, wenn auch nunmehr konsolidierte Fortsetzung des früheren Völkerbundes gesehen werden könnenlO!l, waren die Fundamente für die Lösung verschiedener grundlegender Probleme des Völkerrechts der Nachkriegszeit bereits vor dem Zweiten Weltkrieg gelegt und wurden lediglich mehr oder weniger einer Klärung zugeführt, wie z. B. die erstmalige Verankerung des allgemeinen Gewaltverbots in Artikel 2 N r.4 der UN -Charta und seine allgemeine Anerkennung als unabdingbarer Grundsatz des heutigen Völkerrechts 11o• Dagegen müssen als wirklich einschneidende Veränderungen in der Entwicklung des Völkerrechts nach dem Zweiten Weltkrieg hauptsächlich die Entkolonialisierung und die damit verbundene drastische Erweiterung des Kreises der Völkerrechtssubjekte durch die Staaten der sogenannten Dritten Welt sowie der Verfall der 105 Zur Diskussion über die Gründe des Scheiterns des Völkerbundes Vandenbosch / Hogan, Vereinte Nationen, S. 109 f.; zur Geschichte des Völkerbundes Pfeil, Völkerbund, S. 32 f. mit weiteren Hinweisen. 106 Zum derzeitigen Mitgliedsstand s. Fischer-Weltalmanach 1982, S.626. 107 Clark, Einführung, S.56 und 67; Jessup, Völkerrecht, S.9 f. 108 Ob dies angesichts der vorhandenen Möglichkeiten zur Machtausübung noch ein schöner Traum ist (so v. d. Heydte, Völkerrecht I, S.21), ist mehr als fraglich. Kritisch zum Weltstaatgedanken z. B. Senghaas-Knoblauch, Beitrag, S. 102 f.; zur Kritik aus sozialistischer Sicht Tunkin, Völkerrecht, S. 153; Meister, Weltstaat, S.78. IO!I Zur Frage der Stellung der Vereinten Nationen als Rechtsnachfolger des Völkerbundes s. Dahm, Völkerrecht 11, S. 142 f.; vgl. auch Walters, History, S. 811 f.; zu den (auch psychologischen) Gründen für die Neugründung der Vereinten Nationen s. Vandenbosch / Hogan, Vereinte Nationen, S. 115 f. 110 Für viele Menzel/ Ipsen, Völkerrecht, S.449 mit weiteren Hinweisen; Mössner, Einführung, S. 155 f.; aus sozialistischer Sicht DDR-Lehrbuch I, S. 110 f. und 11, S. 185 f.; zur Geschichte des Gewaltverbots seit dem Ersten Weltkrieg vgl. Dahm, Völkerrecht 11, S. 331 f.

3 Neuhaus

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1. Kap.: Rückblick und derzeitiger Diskussionsstand

internationalen Staatengesellschaft in verschiedene ideologische Systeme angesehen werdenlll . Während die Phase der eigentlichen Entkolonialisierung bis auf wenige überreste nahezu abgeschlossen ist und in absehbarer Zeit wohl beendet sein wird, bleibt die Frage nach der Einheit des Völkerrechts weiterhin als Problem bestehen1l2• So sieht die sozialistische Völkerrechtslehre ganz pointiert in der Herausbildung des sozialistischen Staatensystems das bedeutendste geschichtliche Ereignis seit der Oktoberrevolution ll3 , als deren Resultat eine grundlegende Veränderung in der Struktur der internationalen Beziehungen gesehen wird l14 • Wenn auch als Aufgabe des Völkerrechts zum Teil verbal und nach außen hin die gleichen Probleme wie in der westlichen Völkerrechtslehre behandelt werden, wie z. B. die Ausformung des Gewaltverbotes 115 , die Entwicklung und Kodifizierung des Völkerrechts l16 oder das Selbstbestimmungsrecht117 , so darf dies nicht darüber hinwegtäuschen, daß die sozialistischen Staaten aufgrund der von ihnen selbst beigemessenen - geschichtlichen Mission ihre Rolle im Völkerrecht unserer Zeit gänzlich anders beurteilen, als dies die traditionelle westliche Völkerrechtslehre zu sehen geneigt war1l8• In welchem Umfange diese Beobachtung auch für die völkerrechtlichen Auffassungen der im Wege der Entkolonialisierung entstandenen neuen Staaten zutrifft, läßt sich ungleich schwieriger beantworten, da die Auswirkungen des Eintritts dieser Länder in die Völkerrechtsgemeinschaft letztlich noch nicht abzusehen sind l19 • In bezug auf den Untersuchungsgegenstand wird es somit von Interesse sein, inwieweit die einerseits vorhandene Kontinuität und die andererseits eingetretenen einschneidenden Veränderungen in der Staatenwelt und im Völkerrecht auf die Behandlung des Rechtsmißbrauchsverbotes von Einfluß waren, oder ob vielleicht sogar das Rechtsmißbrauchsverbot zum Motor neuer völkerrechtlicher Entwicklungen hat 111 Für viele Kimminich, Einführung, S. 77 f.; Seidl-Hohenveldern, Völkerrecht, S. 34 f., 36 f.; aus sozialistischer Sicht Tunkin, Theorie, S. 47 f. IU VgI. Mahnke, Einheit, S. 32 f., 99. 113 Lewin / Kaljushnaja, Völkerrecht, S. 31, 49; DDR-Lehrbuch I, S. 86 f., 94; Steiniger, Oktoberrevolution, S. 10, 146 f. 114 Tunkin, Theorie, S. 69 f.; DDR-Lehrbuch Völkerrecht I, S.92. I1S Siehe z. B. DDR-Lehrbuch Völkerrecht, S. 110 f. 116 Siehe z. B. Mowtschan, Kodifizierung, S. 75,82 ff. 117 Siehe z. B. Arzinger, Selbstbestimmungsrecht, S. 161 f.; Steiniger, Oktoberrevolution, S. 43 f. 118 Vgl. DDR-Lehrbuch Völkerrecht I, S.42 f.; Steiniger, Oktoberrevolution, S. 222 f.; aus westlicher Sicht Bracht, Grundlagen, S. 208 f.; Seidl-Hohenveldern, Völkerrecht, S. 34. 119 VgI. Schröder, Verhältnis, S. 25 f.; Rudolf, Neue Staaten, S. 26 f.

4. Zum Rechtsmißbrauchsverbot seit dem Zweiten Weltkrieg

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werden können, wie dies von manchen seiner Befürworter erhofft worden war. 4.2. Der derzeitige Stand der Diskussion

Die Diskussion um das Rechtsmißbrauchsverbot im Völkerrecht ist nach dem Zweiten Weltkrieg in einer Reihe von Veröffentlichungen zu diesem Thema, sei es in Spezialmonographien, in Einzelabhandlungen oder in längeren Ausführungen in anderem, benachbartem Zusammenhang fortgeführt worden12O• Diese durchaus gewichtige Anzahl von Veröffentlichungen läßt zunächst erwarten, daß die im Gefolge der Abhandlung VOn Politis entstandene verworrene Situation über die Rechtsnatur und den Inhalt des Rechtsmißbrauchsverbotes nunmehr aufgehellt und womöglich näher geklärt worden ist. Dieser Anschein wird noch verstärkt durch die zunehmende Aufnahme der Diskussion des Rechtsmißbrauchsverbotes in die allgemeinen völkerrechtlichen Darstellungen, in denen überwiegend ein Rechtsmißbrauchsverbot diskutiert oder aber - mehr oder weniger explizit - VOn der Existenz eines Rechtsmißbrauchsverbotes im allmeinen Völkerrecht ausgegangen wird l21 • Auch ansonsten fällt beim Blick in die Völkerrechtsliteratur auf, daß in zahlreichen Darstellungen zu Einzelproblemen des Völkerrechts das Rechtsmißbrauchsverbot zur Lösung unterschiedlicher völkerrecht120 Als Spezialmonographien erschienen van Bogaert, Rechtsmisbruik; van der Molen, Misbruik; Kiss, Abus de Droit; Roulet, Caractere. An Abhandlungen speziell den Rechtsmißbrauch betreffend seien - ohne erschöpfend sein zu wollen - erwähnt Spiropoulos, Abus de Droit; Jankovic, Interdiction; Casanuevas y la Rosa, Abuso de Derecho; Taylor, Abuse of Rights; Iluyomade, Abuse of Right; Paul, Abuse of Rights. -Zu den längeren Ausführungen in benachbartem Zusammenhang seien - ebenfalls ohne Anspruch auf Vollständigkeit - genannt Cheng, General Principles, S. 120 ff.; Schwarzenberger, Fundamental Principles, S. 195 f; ders., Uses, S. 147 f. (diese Abhandlung folgt im übrigen fast wörtlich den Ausführungen in Fundamental Principles, S. 195 f.); Berber, Rechtsquellen, S. 138 f. (englische übersetzung Berber, Rivers, S. 195 f.); Siorat, Lacunes, S. 290 f., 394 f., 405 f., 415 f.; v. Münch, Delikt, S. 18 f., 164 f., 269; Garcia Amador, State Responsibility, S. 376 f.; Guggenheim, Validite, S. 250 f.; M. Günther, Sondervoten, S. 186 f.; Müller, Vertrauensschutz, S. 234 f. 121 Vgl. hierzu wiederum ohne Anspruch auf Vollständigkeit - Guggenheim, Lehrbuch I, S. 145; ders., Traite I, S. 186 f., 301; Alvarez, Droit International, S. 448 f.; SceIle, Manual, S. 113 f.; Verzijl, International Law I, S.316; Oppenheim / Lauterpacht, International Law, S. 313 f.; Brownlie, Principles, S. 365 f.; Sauer, System, S. 407 f.; ders., Weltfrieden, S. 155; Dahm, Völkerrecht I, S. 194 f.; v. Münch, Völkerrecht, S.208; Sibert, Traite II. S. 205 f.; Menzel, Völkerrecht, S.98; Mepzel / Ipsen, Völkerrecht, S. 353 f.; Seidl-Hohenveldern, Völkerrecht, S. 113, 317; Weber / v. Wedel, Völkerrecht, S.74; Mössner, Einführung, S.190; Schwarzenberger, Manual, S.106; ders., Order, S. 84 f. (diese Ausführungen sind bis auf leichte sprachliche Änderungen und leichte Kürzungen praktisch identisch mit den Ausführungen von Schwarzenberger, Uses, S. 147 ff.); Verdross, Völkerrecht, S.132, 148; Verdross / Simma, Völkerrecht, S. 62, 235.

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1. Kap.: Rückblick und derzeitiger Diskussionsstand

licher Probleme herangezogen worden oder aber zumindest diskutiert worden ist l22 • Bei näherem Zusehen kann von einer Klärung der Diskussion über den Rechtsmißbrauch jedoch kaum die Rede sein123 • Den Befürwortern der Theorie des Rechtsmißbrauchsverbotes ist es auch nach dem Zweiten Weltkrieg nicht gelungen, eine einheitliche Begründung für die behauptete Existenz bzw. Rechtsnatur zu geben oder aber zumindest einen gemeinsamen Begriff des Rechtsmißbrauches herauszukristallisieren. So stehen weiterhin die Versuche nebeneinander, das Rechtsmißbrauchsverbot z. B. als naturrechtlichen Satz oder allgemeines Rechtsprinzip l24, einen den innerstaatlichen Rechtsordnungen gemeinsamen Rechtsgrundsatz l25 oder als bloßen Interpretationsgrundsatz126 zu erklären127 • Darüber hinaus fällt es häufig genug schwer, den eigentlichen Rechtsgrund für die behauptete Geltung des Rechtsmißbrauchsverbotes festzustellen, da die Angaben hierzu manchmal eher vage sind l28 oder auch verschiedene Rechtsgründe nebeneinander gestellt werden l29 • Auch die vermehrten Erwähnungen des Rechtsmißbrauchsverbotes in den allgemeinen völkerrechtlichen Darstellungen erschöpfen sich zudem nicht selten in der bloßen Nennung des Begriffes in der Reihe der Aufzählung der allgemeinen Rechtsgrundsätze lJO, oder aber das Rechtsmißbrauchsverbot wird mehr oder weniger und ohne weitere Begründung als Korrektiv für bestimmte den Staaten zustehende Rechte herangezogen l3l , wobei 122 Als Beispiele seien genannt Fischer, Droit International, S.316; Bernhardt, Auslegung, S.25; ders., Bindungen, S.653; Hoffmann, Teilung, S.51; Bauer, Entführung, S.113; Joeden, Funksendefreiheit, S. 75 f.; Lester, Pollution, S.834; Engelhardt, Vetorecht, S. 403 f.; Sandrock, Entwicklungen, S.7, 10; Wortley, Expropriation, S. 102; Mann, Legal Aspect, S. 497 f.; ders., Money, S.262; Schiedermair, Verbot, S. 160 f. 123 So auch Paul, Abuse of Rights, S. 112. 124 So wohl Stuyt, General Principles, S. 265 f.; v. d. Heydte, Völkerrecht I, S. 29; O'Connell, International Law I, S. 13. 125 Menzel, Völkerrecht, S. 98 (anderer Ansicht Menzel / Ipsen, Völkerrecht, S.354); Herczegh, General Principles, S.79; Iluyomade, Abuse of Right, S. 61; Seidl-Hohenveldern, Völkerrecht, S. 113. 126 Friedmann, Uses, S.288; ders., Structure, S. 198 f.; Siorat, Lacunes, S. 310; Bernhardt, Auslegung, S. 25; Sibert, Traite, S. 419 f. 127 Auf die unterschiedlichen Begründungen des Rechtsmißbrauchsverbotes weist schon Roulet, Caractere, S. 112 hin. 128 Vgl. Garcia Amador, State Responsibility, S. 376 f.; Sauer, Weltfrieden, S.155; Guggenheim, Validite, S. 250 f.; Joeden, Funksendefreiheit, S.76; v. Münch, Völkerrecht, S.208; Weber / v. Wedel, Völkerrecht, S.31. 129 Vgl. Dahm, Völkerrecht I, S. 194 f. 1.10 Vallindas, General Principles, S.427; Herczegh, General Principles, S.79; Menzel, Völkerrecht, S.98; Rousseau, Droit International (1976), S.89; Seidl-Hohenveldern, Völkerrecht, S. 113; Sandrock, Entwicklungen, S.10. 131 Vgl. Hoffmann, Teilung, S.71; Fischer, Droit International, S. 316 f.; Seidl-Hohenveldern, Völkerrecht, S.289; Joeden, Funksendefreiheit, S.76.

4. Zum Rechtsmißbrauchsverbot seit dem Zweiten Weltkrieg

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ungeachtet der Frage nach dem Geltungsgrund dieses Rechtssatzes nur zu oft auf eine genaue Nennung der Kriterien, die auf die mißbräuchliche Ausübung schließen lassen sollen, gänzlich verzichtet wird 132 • Andererseits werden als Merkmale für das Vorliegen eines Rechtsmißbrauches die unterschiedlichsten Kriterien genannt133 • Während einige Autoren nur auf die Absicht der Schadenszufügung abstellenl34 , setzen andere den Rechtsmißbrauch mit einem unreasonable (unvernünftigen bzw. sinnlosen) Verhalten gleich135 - ein Kriterium, das von Dritten wiederum als zu subjektiv und daher gefährlich verworfen wird Ll6 • Vor allem aus dem Bereich der französischen Völkerrechtslehre oder hiervon beeinflußt, wird der anti soziale Gebrauch eines Rechtes als maßgebliches - objektives - Kriterium angeführt137• Von anderen wiederum wird der Akzent eher auf die dem Sinn und Zweck des zugrundeliegenden Rechtes widersprechende Rechtsausübung gelegt l38 • Es soll hier nicht das gesamte Spektrum der von den verschiedenen Autoren genannten Tatbestandsmerkmale aufgezeigt werden. Die angeführten Beispiele mögen vorerst genügen, um jedenfalls aufzuzeigen, daß von einer einheitlichen Behandlung oder gar Theorie bzw. Norm des Rechtsmißbrauchsverbotes auch unter den Befürwortern dieses Rechtsinstitutes keine Rede sein kann. Eine solche Einheitlichkeit und genauere Bestimmung des Rechtsmißbrauchsverbotes wäre jedoch um so mehr vonnöten, als es sich bei den angeführten Anwendungsmöglichkeiten dieses behaupteten Rechtssatzes um so verschiedene Gebiete handelt wie das Ausweisungsrecht, das Diplomaten- und Gesandschaftsrecht, das Hafenschließungsrecht, das Staatsangehörigkeitsrecht, das Stimmrecht in den Vereinten Na132 Besonders deutlich bei Berber, Völkerrecht I, S. 182, 234 (obwohl er auf S. 72 offenläßt, ob das Rechtsmißbrauchsverbot als allgemeiner Rechtsgrundsatz im Sinne von Artikel 38 I c) des Status IGH anzusehen ist, während er in Rechtsquellen, S. 150 das Rechtsmißbrauchsverbot als allgemeinen Rechtsgrundsatz ausdrücklich verneint). Vgl. auch M. Günther, Sondervoten, S.186; Monconduit, Abus du Droit, S.350; Kiss / Lambrechts, Lutte, S. 719 f.; Alvarez, Droit International, S. 448 f. 133 So schon Houlet, Caractere, S. 67. 134 Siehe z. B. Schlochauer, Theorie, S.375; Scerni, Abuso di Diritto, S. 81 ff.; Ripert, Regles, S.618; Härle, Entscheidungsgrundlagen, S. 182 ff.; Furet, Application, S.898; Engelhardt, Vetorecht, S.403; Schüle, Rechtsmißbrauch, S. 70; v. Münch, Völkerrecht, S.208. 13S Dickstein, Environment, S.251; Hoffmann, Teilung, S.51; Garcia Amador, State Responsibility, S. 381 f. 136 Lester, Pollution, S.835. 137 Siehe z. B. Politis, Probleme, S. 89; Tribu, Abus de Droit, S. 91,178; Spiropoulos, Rechtsgrundsätze, S.37; Lauterpacht, Function, S.298; Cheng, General Principles, S.131; Mann, Money, S.262; Friedmann, Uses, S.288. 138 Siehe z. B. Seidl-Hohenveldern, Völkerrecht, S.317; Taylor, Abuse of Rights, S.352; Iluyomade, Abuse of Right, S. 61.

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1. Kap.: Rückblick und derzeitiger Diskussionsstand

tionen, das Internationale Währungs- und Rundfunkrecht, das Recht der Internationalen Flüsse und Gewässer u. v. a. m. rn Die Notwendigkeit einer Konkretisierung des Rechtsmißbrauchsbegriffes erhellt sich um so mehr, wenn das Rechtsmißbrauchsverbot darüber hinaus auch zur Einschränkung solch allgemeiner und weltpolitisch hochbrisanter Völkerrechtsgrundsätze wie des Rechts auf äußere Selbstgestaltung, des Enteignungsrechts, des Umweltschutzrechts sowie zur Regelung der Gebiets-, Luft- oder Gesetzgebungshoheit oder des internationalen Vertragsrechts dienen SOllI4O. Der insgesamt sicherlich zunehmenden Zahl der ausdrücklichen oder stillschweigenden Befürworter des Rechtsmißbrauchsverbotes gleich welcher Spielart steht aber weiterhin eine Reihe prominenter Gegner dieser Theorie entgegen, wenn auch ebenfalls mit verschiedenen, insgesamt aber kaum neuen, Argumenten l41 • 139 Zum Ausweisungsrecht vgl. de Boeck, Expulsion, S. 627 f., 635; Siorat, Lacunes, S. 118 f.; Dahm, Völkerrecht I, S. 195; dagegen Schwarzenberger, Uses, S. 154; zum Diplomaten- und Gesandtschaftsrecht de Visscher, Validite, S.251; v. Münch, Völkerrecht, S.304 (obwohl er in Delikt, S. 18, 20 dem Rechtsmißbrauchsverbot kaum Bedeutung zumißt); zum Hafenschließungsrecht Politis, Probleme, S. 94 f.; Trifu, Abus de Droit, S. 109 f.; Lauterpacht, Function, S.289; dagegen Schwarzenberger, Uses, S. 170 f.; zum Staatsangehörigkeitsrecht Rundstein, Rechtsgrundsätze, S. 40 f.; Lauterpacht, Function, S.300; Hoffmann, Teilung, S.71; Dahm, Völkerrecht I, S.195; zum Stimmrecht in den Vereinten Nationen Spiropoulos, Abus de Droit, S. 1 f.; van Bogaert, Rechtsmisbruik, S. 105 f.; Engelhardt, Vetorecht, S.403; Verzijl, International Law I, S.320; Müller, Vertrauensschutz, S.240; Verdross, Völkerrecht, S. 132; zum Internationalen Währungsrecht Mann, Money, S.262; ders., Legal Aspect, S. 497 f.; Dahm, Völkerrecht I, S. 196; O'Connell, International Law 11, S.1023; zum Rundfunkrecht Joeden, Funksendefreiheit, S.76; zum Recht der Internationalen Flüsse und Gewässer Kiss, Abus de Droit, S.36; Oppenheim / Lauterpacht, International Law I, S. 313; dagegen: Berber, Rechtsquellen, S. 150; Verzijl, International Law I, S. 319. 140 Zum Recht auf äußere Selbstgestaltung Berber, Völkerrecht I, S. 182; zum Enteignungsrecht Wortley, Expropriation, S. 102 f.; zum Umweltschutzrecht Dickstein, International Law, S. 251; zur Gebietshoheit Dahm, Völkerrecht I, S. 541; zur Lufthoheit van Bogaert, Rechtsmisbruik, S.68; Lauterpacht, Function, S.301; . zur Gesetzgebungshoheit Sandrock, Entwicklungen, S. 7 f.; zum Vertragsrecht Sauer, Weltfrieden, S. 155; Bernhardt, Auslegung, S.25. 141 Vgl. Balladore-Pallieri, Diritto Internazionale, S.233; Berber, Rechtsquellen, S. 149 f.; Brownlie, Principles, S. 365 f.; ders., Causes of Action, S. 27 f.; Cansacchi, Istituzioni, S.248; Sereni, Diritto Internazionale, S. 118; Quadri, Diritto Internazionale, S. 181 f.; Verzijl, International Law I, S.316; Roulet, Caractere, S. 150; Bauer, Entführung, S. 113; WengIer, Völkerrecht I,

4. Zum Rechtsmißbrauchsverbot seit dem Zweiten Weltkrieg

39

Schließlich darf bei einem zusammenfassenden überblick auch nicht übersehen werden, daß in einem Teil der neueren allgemeinen völkerrechtlichen Literatur die ganze Diskussion bis heute sichtlich keinen Niederschlag gefunden hat l42 • Auch die vereinzelt auftauchenden Erwähnungen des Rechtsmißbrauchsverbotes in den Entscheidungen des Internationalen Gerichtshofes bzw. in den hierzu ergangenen Sondervoten143 scheinen für die Geltung des Rechtsmißbrauchsverbotes im allgemeinen Völkerrecht kaum beweiskräftig zu seinl44 , da die diesbezüglichen Erörterungen entweder eher beiläufig oder aber überwiegend nur in Sondervoten erfolgten, und das Verbot des Rechtsmißbrauches hierbei gerade von denjenigen Richtern in die Entscheidungserwägungen einbezogen worden ist, die bereits aus ihrem anderweitigen Schrifttum als Anhänger einer Theorie des Rechtsmißbrauchsverbotes bekannt sind l45 • Mit Recht ist in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen worden, daß die Stellungnahmen einzelner Richter des Internationalen Gerichtshofes in den jeweiligen Sondervoten eher als Widerspiegelung des· in der Lehre bestehenden Meinungsstreites betrachtet werden können l46 • Ob die Erwähnungen eines abus de droit im Sinne eines detournement de pouvoir in den Entscheidungen der Verwaltungsgerichte der Vereinten Nationen bzw. der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) sowie die Einführung des Ermessensmißbrauchsbegriffes (detournement de pouvoir) in den europäischen Verträgen wirklich eine weitere Bestätigung für die Anerkennung des Rechtsmißbrauchsverbotes im Völkerrecht darstellen, wie zum Teil erörtert l47 , kann ohne nähere Abgrenzung der Begriffe S.394; v. Münch, Delikt, s. 18 f. (allerdings nicht so klar in Völkerrecht, S.208); Menzel /Ipsen, Völkerrecht, S.354; Casanuevas y la Rosa, Abuso de Derecho, S.467. 142 Vgl. die völkerrechtlichen Darstellungen bei Jessup, Völkerrecht; Jenks, Common Law; ders., New World; Greig, International Law; Cavare, Droit International; Delbez. Principes Generaux; Bastid, Droit des Gens; Barros Jarpa, Derecho Internacional; Kimminich, Einführung. 143 Zur Übersicht vgl. Fitzmaurice, Law and Procedure, 1950, S. 12; 1953, S.53, 1959, S. 207 f.; v. Münch, Delikt, S. 19; Whiteman, Digest 5, S. 224 f.; Iluyomade, Abuse of Right, S.63.; und vor allem auch bei Hambro / Rovine, Case Law, Bd. 1 ff. (s. die jeweiligen Stichwortregister). 144 v. Münch, Delikt, S. 19; Lauterpacht, Development, S. 164; Schüle, Rechtsmißbrauch, S. 69. 145 So bereits Berber, Rechtsquellen,S. 140. Der Überblick über die bisherige Rechtsprechung (s. Anm. 143) zeigt, daß die eingehendsten Erörterungen von Lauterpacht und Alvarez stammen, die von der Geltung des Rechtsmißbrauchsverbotes ausgehen (vgl. Alvarez, Droit International, S. 448 f.) oder dieses aber besonders propagieren (vgl. Lauterpacht, Function, S. 286 f.; ders., Development, S. 162 f.). 146 Menzel / Ipsen, Völkerrecht, S. 354. 147 Vgl. Roulet, Caractere, S. 102; Alvarez, Droit International, S.397; Schwarzenberger, Uses, S. 179 (Anm.84).

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1. Kap.: Rückblick und derzeitiger Diskussionsstand

Rechtsrnißbrauch und Ermessensmißbrauch nicht geklärt werden, so daß auf die Erwähnungen des Ermessensmißbrauches in der völkerrechtlichen Literatur an dieser Stelle nicht weiter eingegangen werden soll. Jedenfalls sind die Erwähnungen des Rechtsmißbrauchsbegriffes in den einzelnen Entscheidungen internationaler Gerichte wie auch schon vor dem Zweiten Weltkrieg sowohl von den Befürwortern als auch von den Gegnern dieser Theorie als Bestätigung ihrer Ansicht gesehen worden l48 • 4.3. Zusammenfassung

Angesichts dieses Standes nach jahrzehntelanger Diskussion überrascht es daher nicht, daß von manchen Autoren immer noch die Streitigkeit des Normcharakters des Rechtsmißbrauchsverbotes betont wird und weithin lediglich von einer Tendenz zu dessen Anerkennung im Völkerrecht gesprochen wird l49 • Es bleibt somit der Eindruck, daß die nach dem Kriege fortgeführte Diskussion über das Rechtsmißbrauchsverbot lediglich die alten Standpunkte verfestigt hat, ohne zu weiteren greifbaren Ergebnissen geführt zu haben, wobei - um einmal die Extrempositionen zu kennzeichnen - zwischen der Anerkennung des Rechtsmißbrauchsverbotes als einem allen Rechtsordnungen immanenten RechtsprinzipISO und der Behauptung, ein solcher Satz sei nur künstlichlSI oder ein "abus de mot" 152, tatsächlich kaum eine gemeinsame Argumentationsbasis vorhanden ist. Zu dieser hier konstatierten Stagnation in der Diskussion über das Rechtsmißbrauchsverbot hat möglicherweise auch beigetragen, daß diese Lehre aus dem Bereich der sozialistischen Völkerrechtsliteratur keine Bereicherung erfahren hat. Bereits ein oberflächlicher Blick in die Völkerrechtsliteratur des sozialistischen Rechtskreises offenbart, daß die Behandlung des Rechtsmißbrauchsverbotes als einem eigenständigen Rechtssatz oder Rechtsgrundsatz bis jetzt - soweit ersichtlich - nicht stattgefunden hat 1S3 • Soweit der Mißbrauchsgedanke in der völkerrecht148 Für die Befürworter vgl. Cheng, General Principles, 5. 120 ff.; Guggenheim, Validite, S. 250 f.; Lauterpacht, Development, S. 164; Dahm, Völkerrecht I, S. 196; Verdross / Simma, Völkerrecht, S.235. - Für die Gegner vgl. Quadri, Diritto Internazionale, S.182; Berber, Rechtsquellen. S.140; Menzel / Ipsen, Völkerrecht, S. 354. 149 Schüle, Rechtsmißbrauch, S. 70 f.; ähnlich zurückhaltend Furet, Application, S.898; Jankovic, Interdictioil, S.12; Schiedermair, Verbot, S.160; Iluyomade, Abuse of Right, S. 92. 150 50 Z. B. Verdross, Jurisprudence, 5.242; Voss, Rechtsmißbrauch, 5. 12 ff.; Schindler, Rechtsmißbrauch, S. 67 ff.; Trifu, Abus de Droit, S. 164, 177; O'Connell, International Law I, 5. 13. 151 Roulet, Caractere, S. 150. 152 Dupuis, Regles generales, S. 92.

5. Ergebnisse aus der bisherigen Diskussion

41

lichen Literatur der sozialistischen Staaten überhaupt Erwähnung findet, entsteht jedenfalls nicht der Eindruck, als ob dieses mit dem Bewußtsein von dem Vorhandensein eines diesbezüglichen allgemeingültigen Rechtssatzes geschehen wäre. Es ergibt sich hier in etwa die gleiche Situation wie in der Völkerrechtsliteratur der sogenannten klassischen Völkerrechtslehre. Als Beispiel möge die Erwähnung des möglichen Mißbrauches des Selbstbestimmungsrechts in Arzingers Monographie über das Selbstbestimmungsrecht gleich in seinem Vorwort dienen: Zwar wird davon gesprochen, daß das Selbstbestimmungsrecht von den Vertretern des westdeutschen Imperialismus aufs gröbste mißbraucht wird, eine weitere Konkretisierung, wann ein solcher Mißbrauch vorliegt, fehlt jedochi54 . In späteren Ausführungen wird der Mißbrauchsvorwurf dann auch pauschal auf die "imperialistische Politik der Regierung der Bundesrepublik Deutschland" angewandtiSS. Hier wie in anderen Fällen läßt der Mißbrauchsverbot zunächst einmal nur auf unterschiedliche Rechtsauffassungen zwischen der sozialistischen und der westlichen Völkerrechtslehre schließen, wobei der westlichen Doktrin mit dem Vorwurf des Mißbrauches die Berechtigung auf die Berufung bestimmter Rechte abgesprochen werden soll. Ein so benutzter Mißbrauchsvorwurf kann aber nur als politische, nicht als rechtliche Argumentation eingestuft werden i56 . Welches die Gründe für die Nichtbehandlung des Rechtsmißbrauchsverbotes im Sinne eines eigenen Rechtssatzes sein mögen, ist hier noch nicht zu erörtern, für die Diskussion eines spezifischen Rechtsmißbrauchsverbotes im Völkerrecht ist mit diesen Stellungnahmen zunächst jedenfalls nichts hinzugewonnen. 5. Ergebnisse aus der bisherigen Diskussion

Bei einer zusammenfassenden Betrachtung der Behandlung des Rechtsmißbrauchsverbotes in den letzten Jahrzehnten fällt auf, daß die Zahl der diesem Problem gewidmeten Spezialabhandlungen nach einer gewissen Blütezeit etwa zwischen den Jahren 1940 bis 1958 stark abgenommen hat und das Rechtsmißbrauchsverbot in den letzten Jahren nur noch vereinzelt eine eingehendere Behandlung erfahren hat, während die Nennung des Rechtsmißbrauchsverbotes in den allgemeinen völkerrechtlichen Darstellungen verbreitet vor allem als Beispiel 153 Siehe z. B. DDR-Lehrbuch Völkerrecht I, 11; Lewin / Kaljushnaja, Völkerrecht; Tunkin, Völkerrecht; ders., Theorie; vgl. auch Paul, Abuse of Right, S. 111. 154 Arzinger, Selbstbestimmungsrecht, S. 5. 155 Arzinger, Selbstbestimmungsrecht, S. 311 Anm. 518, 449, 460. 156 So auch M. Günther, Sondervoten, S.187 zu den von Richter Krylow in seinen Sondervoten benutzten Mißbrauchsargumenten.

42

1. Kap.:

Rückblick und derzeitiger Diskussionsstand

für einen allgemeinen Rechtsgrundsatz mehr oder weniger explizit Eingang gefunden hat. Dieses rein äußerliche Ergebnis - läßt man die Vernachlässigung dieses Problems in vielen völkerrechtlichen Darstellungen einmal außer Betracht - könnte sicherlich den Schluß nahelegen, daß die sogenannte Lehre vom Rechtsmißbrauchsverbot im Völkerrecht nunmehr weithin Anerkennung gefunden habe und die Streitpunkte im wesentlichen geklärt seien. Der kursorische Gang durch die bisherige Entwicklung des Rechtsmißbrauchsverbotes im Völkerrecht belehrte jedoch - wie aufgezeigt - eines anderen. Praktisch keine der in diesem Zusammenhang aufgetauchten Streitfragen erscheint gelöst; weder ist man sich über den Geltungsgrund bzw. Rechtscharakter l5T noch über den InhaJtl58 und die Rechtsfolgenl59 einig. Die Diskussion über diese Fragen kann daher nicht anders als stagnierend, wenn nicht gar abgebrochen bezeichnet werden. Für Gegner und Befürworter aller Schattierungen gibt es inzwischen ausreichend Stellungnahmen, auf die je nach eigenem Gustus verwiesen werden kann, was für die Klärung des Problems des Rechtsmißbrauchsverbotes allerdings wenig hilfreich ist und allenfalls zu einer Tradierung der bisherigen Uneinigkeit führt l60 . Dabei kann gerade diese überaus häufige Nennung des Rechtsmißbrauchsverbotes in den unterschiedlichsten Kontexten durchaus Beweis dafür sein, daß verbreitet ein Bedürfnis zur Heranziehung dieses Grundsatzes vorhanden zu sein scheint, so daß auch nicht ohne weiteres angenommen werden kann, es handele sich bei dem Rechtsmißbrauchsverbot um ein - aus welchen Gründen auch immer - obsolet gewordenes Problem im Völkerrecht, dessen weitere Behandlung nicht mehr geboten erscheint. Angesichts dieser Situation drängt sich die Frage auf, was wohl die Gründe für diese Stagnation in der Auseinandersetzung um das Rechtsmißbrauchsverbot im Völkerrecht sein mögen. Liegen die Schwierigkeiten in der Theorie vom Rechtsmißbrauchsverbot als einer "künstlichen" Begriffsbildung selbstl61 oder steht möglicherweise die Struktur 157 Vgl. hierzu auch die übersicht bei Jankovic, Interdiction, S. 11 f. 158 So auch Sandrock, Entwicklungen, S.10, 12; Bauer, Entführung, S.113; vgl. hierzu auch die verschiedenen Definitionsbeispiele bei van Bogaert, Rechtsmisbruik, S. 11 ff. und Roulet, Caractere, S. 67 ff. 159 Vgl. hierzu Guggenheim, Validite, S. 253 f.; ders., Traite, S. 186 f; Fitzmaurice, Law and Procedure, 1959, S.216; Roulet, Caractere, S. 83 ff.; Dahm, Völkerrecht I, S. 197. 160 So verweist beispielsweise Engelhardt, Vetorecht, S.404 noch dreißig Jahre später zur Begründung seiner ablehnenden Stellungnahme auf Schlochauer (Theorie) und konnte Schwarzenberger in seinem 1971 erschienenen Werk "International Law and Order" nahezu wortwörtlich und nur unwesentlich gekürzt den bereits im Jahre 1955 erschienenen Abschnitt über den abuse of rights übernehmen (vgl. Schwarzenberger, International Law and Order, S. 84 ff. und ders., Fundamental Principles, S. 195 ff.).

5. Ergebnisse aus der bisherigen Diskussion

4-3

des Völkerrechts einer Herausbildung und Anwendung des Rechtsmißbrauchsverbotes entgegen, wie schon von Cavaglieri behauptet worden Ist l62 ? Gleich wie das Ergebnis der folgenden Untersuchung, inwieweit und gegebenenfalls mit welchem Inhalt das Rechtsmißbrauchsverbot im heutigen Völkerrecht Geltung beanspruchen kann, ausfallen wird, wird dieses Ergebnis nicht losgelöst von der allgemeinen Struktur des heutigen Völkerrechts beantwortet werden können; zumindest wird auch Stellung zu nehmen sein zu den vielfältigen Bemühungen, die die Ausformung des Rechtsmißbrauchsverbotes an einem bestimmten Entwicklungsstand des Völkerrechts zu koppeln versuchtenl63 • Bevor jedoch weitergehende Schlüsse gezogen werden können, ist zunächst zu klären, ob nicht bei einer erneuten Untersuchung des Rechtsmißbrauchsverbotes sich manche Probleme und Streitpunkte unter Berücksichtigung der bisherigen Diskussion auflösen können als ein bloßer Streit um Worte oder als Mißverständnisse, denen gleichwohl ein gemeinsamer, für das Völkerrecht fruchtbarer, Grundkonsens zugrunde liegen kann. Erst bei einer Abklärung eventuell vorhandenen, gemeinsamen Grundverständnisses kann festgestellt werden, worin die Ursachen für die Uneinigkeit in der bisherigen Diskussion zu suchen sind und inwieweit Chancen bestehen, diese Uneinigkeit zu überwinden, sei es durch die Gewinnung eines für das Völkerrecht fruchtbaren Begriffs des Rechtsmißbrauchsverbotes oder aber auch durch die Feststellung, daß letztlich kein - irgendwie gearteter - Satz vom Rechtsmißbrauchsverbot im derzeitigen Völkerrecht Geltung beanspruchen kann.

Vgl. Roulet, Caractere, S.150; Dupuis, Regles generales, S.92. Cavaglieri, Corso, S. 508. 163 Politis,Probleme, S. 108 f.; Schindler, Rechtsmißbrauch, S.95; Schlochauer, Theorie, S.380; Rundstein, Rechtsgrundsätze, S.42, 45; Lauterpacht, Development, S. 164; kritisch hierzu Roulet, Caractere, S. 145 f. 161

162

Zweites Kapitel

Die Abgrenzung des Rechtsmißbrauchsbegriffes als Arbeitshypothese 1. Zur Methode der Begriffsgewinnung 1.1. Vorbemerkung: Zur Notwendigkeit der Begriffsklärung

Eine Untersuchung darüber, ob das heutige Völkerrecht ein Verbot des Rechtsrnißbrauches kennt und wenn ja, mit welchem Inhalt, litt von jeher unter der Schwierigkeit, daß der Inhalt der gesuchten Norm zunächst noch nicht so weit konkretisiert ist, als daß ohne weiteres anhand der herkömmlichen völkerrechtlichen Quellenlehre eine Aussage über die Geltung der gesuchten Norm im Völkerrecht hätte getroffen werden können. Andererseits ist auch der Normcharakter, d. h. die Geltung des Rechtsmißbrauchsverbotes im Völkerrecht selbst noch ungeklärt. Die Untersuchung steht daher vor der doppelten Schwierigkeit, einerseits noch gar nicht zu wissen, ob und in welchem Bereich des Völkerrechts ein Rechtsmißbrauchsverbot überhaupt Geltung beanspruchen kann, andererseits für die Frage nach der Geltung eines irgend wie gearteten Rechtsmißbrauchsverbotes noch gar keine feste Vorstellung vom Inhalt, d. h. dem konkreten Tatbestand der gesuchten Norm zu haben. Wie bereits der geschichtliche überblick ergeben hat, kann für beides vorerst noch nicht auf ein allgemein anerkanntes Ergebnis zurückgegriffen werden. Soll die Untersuchung gleichwohl sich nicht gewissermaßen im luftleeren Raum bewegen, muß aufgezeigt werd'7n, von welchem Begriff des Rechtsrnißbrauches für die weitere Untersuchung ausgegangen wird!, bzw. wie sich ein solcher überhaupt gewinnen läßt. Nur wenn nicht bereits von einem vorgefaßten Begriff des Rechtsrnißbrauches ausgegangen wird, kann überhaupt erkennbar werden, ob der Grund für die unterschiedlichen Stellungnahmen in der Schwäche der Konzeption des Rechtsmißbrauchsverbotes selbst oder aber in der Schwäche der gegenwärtigen Struktur des Völkerrechts zu suchen ist. Dabei gilt es, zwei Schwierigkeiten zu überwinden: Einmal muß der 1

So auch van Bogaert, Rechtsmisbruik, S. 17; Roulet, Caractere, S. 53.

1.

Zur Methode der Begriffsgewinnung

45

Begriff des Rechtsmißbrauches soweit abgegrenzt werden können, daß überhaupt sinnvolle Aussagen über die Rechtsnatur und den Inhalt eines dahingehenden Rechtssatzes im Völkerrecht möglich sind, zum anderen darf der Begriff nicht - ohne Rückgriff auf das Völkerrecht so eng vorgefaßt werden, daß für eine anschließende Anwendung, d. h. überprüfung dieses Begriffes auf seine Geltung im Völkerrecht, kein Spielraum bleibt, weil für die Andersartigkeit des Rechtsmißbrauchsbegriffes im Völkerrecht möglicherweise durch einen zu engen vorformulierten Begriff der Blick hierfür versperrt wird. Dabei kann zunächst durchaus offen bleiben, ob mit Hilfe der begrifflichen Abgrenzung bereits ein so enger Rechtsmißbrauchsbegriff gewonnen werden kann, daß er inhaltlich genügend bestimmt ist, um überhaupt normativen Charakter zu haben, oder ob die materiale Auffüllung des völkerrechtlichen Rechtsmißbrauchsbegriffes dem Völkerrecht vorbehalten bleiben muß, so daß auch insoweit - also nicht nur bezüglich der Geltung dieses Rechtssatzes - auf die völkerrechtliche Praxis bzw. auf das im Völkerrecht anerkannte Normfeststellungsverfahren zurückzugreifen wäre. Die Darlegung der begrifflichen Abgrenzung des Rechtsmißbrauchsverbotes soll aber noch ein weiteres bewirken: Immer wenn die Gültigkeit einer Norm untersucht werden soll, muß bereits eine Vorstellung vom Inhalt dieser Norm vorhanden sein2• Da das Völkerrecht aber nach einer ersten übersicht über die bisherige Behandlung des Rechtsmißbrauchsproblems auch bezüglich des Inhalts keine eindeutige Antwort gibt, sind zunächst noch gar keine Beurteilungskriterien dafür vorhanden, welcher oder welche der bisher in die Debatte geworfenen Begriffe eigentlich die völkerrechtlich "richtigen" sind und wie das Rechtsmißbrauchsverbot zu anderen, bereits bekannten oder anerkannten Völkerrechtssätzen abgegrenzt werden kann. Die Notwendigkeit dieses Verfahrens ergibt sich aus einer detaillierten Betrachtung der bisherigen Diskussion des Rechtsmißbrauches im Völkerrecht, die deutlich macht, daß einer der Hauptgründe für die bisher recht unklare Situation nicht zuletzt in rein terminologischen Unsicherheiten und Unklarheiten liegen dürfte, die sich durch die unterschiedliche Verwendung von Ausdrücken für das Rechtsmißbrauchsverbot in der Vergangenheit ergeben haben. Um das ganze Ausmaß dieser Begriffsverwirrung anzudeuten, soll zunächst eine kurze Darstellung dieser terminologischen Unklarheiten mit dem Versuch einer anschließenden kurzen Begründung für diese Begriffsverwirrung folgen. Im Anschluß daran soll an zwei methodischen Beispielen dargelegt werden, daß eine Untersuchung des Rechtsmißbrauchsverbotes im Völkerrecht ohne Berücksichtigung der besonderen 2

Gutteridge, Abuse of Rights, S. 25.

46

2. Kap.: Abgrenzung des Rechtsmißbrauchsbegriffes

Eigenarten des völkerrechtlichen Normfeststellungsverfahrens nicht sinnvoll sein kann, woraus sich dann der eigentliche methodische Ansatz näher herauskristallisieren wird. 1.2. Terminologische Verwirrungen

1.2.1. Darstellung

Es soll und braucht hier nicht der Versuch unternommen werden, einen vollständigen Überblick über die Ersetzung, Vertauschung oder Gleichsetzung des Rechtsmißbrauchs mit anderen, sei es völkerrechtlich anerkannten oder ebenfalls umstrittenen, Rechtsbegriffen zu geben3• Eine beschränkte und fast willkürliche Auswahl aus der völkerrechtlichen Literatur offenbart zur Genüge die Hilflosigkeit nicht nur der Doktrin, sondern auch der internationalen Rechtsprechung, dem Rechtsmißbrauchsverbot auch nur terminologisch einen festen Platz zuzuweisen - was selbstverständlich einer allgemeinen Anerkennung des Rechtsmißbrauchsverbotes im Völkerrecht nicht gerade förderlich war. Wenn es auch das Verdienst von Politis war, die völkerrechtliche Diskussion um das Rechtsmißbrauchsverbot zu entfachen, so hat doch bereits dieser Autor den ersten Grundstein gelegt für die spätere Begriffsverwirrung, die in der Folgezeit es zunehmend schwieriger machte, aus all diesen "Begriffsgewändern" , in die das Rechtsmißbrauchsverbot gekleidet worden ist, noch einen gemeinsamen Kern für die gesamte Diskussion zu finden. Politis hat dem abus de droit bereits Ausdrücke wie exces de pouvoir, acte arbitraire, faute, motifs insuffisants als ähnlich bzw. identisch gleichgestellt und schließlich auch den abus de droit mit der angelsächsischen ultra-vires-Lehre "im Sinne des exces de pouvoir" in Verbindung gebrachts. Diese Gleichsetzungen sind von Trifu, der im wesentlichen in Aufbau und Ergebnis der Abhandlung von Politis folgt6, noch durch weitere Begriffe wie abus de pouvoir, detournement de pouvoir und fraude a la loi bereichert worden7• Als besonders einflußreich sollte sich in der Folgezeit jedoch die von Leibholz wieder aufgegriffene Gleichsetzung des abus de droit mit der ultra-vires3 Vgl. auch die Übersicht bei Roulet, Caractere, S. 52 ff., der wohl bisher am klarsten die Notwendigkeit einer terminologischen Präzisierung gesehen hat. Diese übersicht spiegelt jedoch in keiner Weise das Ausmaß der Begriffsverwirrung wider, noch geht Roulet im folgenden eingehender auf die möglichen Grunde für diese terminologischen Schwierigkeiten ein. 4 Politis, Probleme, S.83, 106, 107; de Boeck, Expulsion, S. 627 ff. ist ihm in vielem ebenso (fast wörtlich) gefolgt, wie Josserand, Esprit des Droits, S.278. 5 Politis, Probleme, S.91. 6 Roulet, Caractere, S. 78, nennt ihn einen "fidele disciple de Politis". 7 Trifu, Abus de Droit, S.84, 91.

1. Zur Methode der Begriffsgewinnung

47

Lehre auswirken, wonach "ein Staat... sein freies Ermessen (mißbraucht) und ... willkürlich (handelt) im Sinne eines typischen ,abus de droit' und der VOn Dicey entwickelten ,ultra-vi res-Lehre' u 8• Diese Gleichsetzung des Rechtsmißbrauchsverbotes mit dem Willkürverbot und dem Ermessensmißbrauch hat vor allem in der deutschen Völkerrechtslehre in der Folgezeit Spuren hinterlassen9• Andererseits ist das Rechtsmißbrauchsverbot auch wieder eng auf das sogenannte Schikaneverbot eingegrenzt worden10, was wiederum von dritter Seite angegriffen worden istll . Nur der Kuriosität halber sei in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, daß Schindler nicht nur den Mißbrauch der Formen, sondern auch die Rechtsheuchelei als besondere Mißbrauchsform im Unterschied zum Rechtsmißbrauch abgegrenzt hat l2 • Dabei hat es in der Folgezeit an weiteren, fast immer auch bestrittenen Versuchen, den Rechtsmißbrauch mit anderen dem Völkerrecht bekannten Instituten gleichzusetzen, nicht gefehlt13• Um den Reigen dieser, immer wieder bestrittenen, Gleichsetzungen langsam zu beschließen, sei noch darauf hingewiesen, daß von manchen Autoren das Rechtsmißbrauchsverbot auch als Synonym für die unzulässige Rechtsausübung oder den Grundsatz von Treu und Glauben (Good Faith) behandelt worden ist l4 • Leibholz, Verbot der Willkür, S. 18. Vgl. Kimminich, Atomzeitalter, S.277, wo das Willkürverbot dem Mißbrauchstatbestand gleichgesetzt wird; ebenso Mann, Legal Aspect, S.498; gegen die Gleichsetzung des Willkürverbotes mit dem Rechtsmißbrauchsverbot andererseits Schindler, Rechtsmißbrauch, S.42; Schlochauer, Theorie, S.373; Voss, Rechtsmißbrauch, S. 16 Anm. 16; zur Gleichsetzung mit dem Ermessensmißbrauch vgl. Schüle, Rechtsmißbrauch, S.69. Von Schlochauer, Theorie, S.374 wurde das Ermessensmißbrauchsverbot als Unterfall des Rechtsmißbrauchsverbotes gesehen, wie von ihm auch (S.381) sowohl die ultra-vires-Lehre als auch der detournement de pouvoir nicht als Fall des Rechtsmißbrauches angesehen worden ist, während von Schindler, Rechtsmißbrauch, S.35 die ultra-vires-Lehre als besondere Ausgestaltung des allgemeinen Rechtsmißbrauchsgedankens angesehen worden ist. 10 Schlochauer, Theorie, S. 375; Strupp, Grundzüge, S. 120. 11 Sauer, System, S.407. 12 Schindler, Rechtsmißbrauch, S. 44 f., 51, 52; zum Formenmißbrauch s. auch Voss, Rechtsmißbrauch, S.47. 13 Degan, 1!:quite, S. 157 und Siorat, Lacunes, S. 395 wollen das Rechtsmißbrauchsverbot im wesentlichen mit der "equite" gleichsetzen, wogegen sich wiederum beispielsweise Kiss, Abus de Droit, S. 192 und Roulet, Caractere, S. 192 f. wenden. Gegen die mit dem venire contra practum proprium verbundene Gleichsetzung des Rechtsmißbrauchsverbotes bei z. B. Lehfeldt, Anwendung, S.31 wendet sich indirekt Bauer, Entführung, S.112, der hierin nur einen Unterfall des Rechtsmißbrauches sieht. Gegen die von Schwarzenberger, Equity, S.346 vorgenommene Gleichsetzung des Rechtsmißbrauches mit dem jus aequum wendet sich Jankovic, Interdiction, S. 12. 14 Zur Gleichsetzung mit der unzulässigen Rechtsausübung s. Bauer, Entführung, S.112; zur Gleichsetzung mit Good Faith, s. Cheng, General Principles, S.129; Cot, Bonne foi, S.59; Herczegh, Principles, S.30; von anderen Autoren wird das Rechtsmißbrauchsverbot als Unterfall der bona fides 8

9

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2. Kap.: Abgrenzung des Rechtsmißbrauchsbegriffes

Als eine der folgenschwersten Gleichsetzungen hat sich gleichwohl in der weiteren Diskussion die bereits von Politis vorgenommene Identifizierung des Rechtsmißbrauches (abus de droit) mit dem Ermessensmißbrauch (detournement de pouvoir) erwiesen l5 • Während diese Gleichsetzung in der Folgezeit zum Teil übernommen worden ist l6 , haben andere Autoren den detournement de pouvoir nur als Unterfall des Rechtsmißbrauchsverbotes gesehen l7 , wogegen in letzter Zeit zunehmend die Möglichkeit der Gleichsetzung von Rechtsmißbrauch (abus de droit) und Ermessenmißbrauch (detournement de pouvoir) angezweifelt wird l8 • Als weitere Unterfälle des Rechtsmißbrauchsverbotes wurden in der Vergangenheit stellenweise auch der exces de pouvoir l9 , die Verwirkung20 und der Estoppel-Grundsatz21 zitiert, obwohl es sich hierbei ausnahmslos um im Völkerrecht seit langem bekannte Rechtssätze handelt, deren Verbindung mit dem Rechtsmißbrauchsverbot nicht ohne weiteres einsichtig ist. Recht unterschiedlich - wenn auch nicht immer ganz klar - werden dagegen Fälle wie die Rechtsüberschreitung oder der depassement de droit einmal als mit dem Rechtsmißbrauchsverbot identisch oder als etwas hiervon Verschiedenes, sei es als unter- oder übergeordnetes Prinzip, behandelt22. (Good Faith) behandelt; Schmid, Rechtsprechung, S. 152; Bernhardt, Auslegung, S.25; Verdross / Simma, Völkerrecht, S.235; Weber / v. Wedel, Völkerrecht, S.31; Fitzmaurice, Law and Procedure 1959, S. 207 ff., 214. Gegen diese Gleichsetzung wendet sich wohl Kiss, Abus de Droit, S.193, während Roulet, Caractere, S. 125 gerade zwischen bonne foi als der subjektiven Seite des HandeIns und abus als der objektiven Seite unterscheidet. 15 Politis, Probleme, S. 84 f. 16 Vgl. Scelle, Precis 11, S. 38 f.; Spiropoulos, Abus de Droit, S.6. 17 Schlochauer, Theorie, S.374, 393; van der Molen, Rechtsmisbruik, S.270; Kiss, Abus de Droit, S.188; M. Günther, Sondervoten, S.187 Anm.3; Verzijl, International Law I, S.316; Siorat, Lacunes, S.520, 524; ebenso wohl Engelhardt, Vetorecht, S.403, der allerdings den Rechtsmißbrauch als Obersatz versteht und dann zwischen abus de droit (Rechtsmißbrauch im engeren Sinne) und Ermessensmißbrauch (detournement de pouvoir) unterscheidet. Nebenbei sei hier angemerkt, daß einige Autoren auch den Begriff des detournement du droit kennen, vgl. Josserand, Esprit des Droits, S.366; v. Münch, Delikt, S. 18. 18 Casanuevas y la Rosa, Abuso de Derecho, S.467 ff.; Iluyomade, Abuse of Right, S.52; Roulet, Caractere, S.56; Bondil, Detournement, S. 45 f., 77 ff.; zur Uneinheitlichkeit der Benutzung von abus de droit und detournement de pouvoir vgl. auch Jeantet, Rapport General, S.262. 19 Schlochauer, Theorie, S.374. 20 Schindler, Rechtsmißbrauch, S. 83 f. 21 Schindler, Rechtsmißbrauch, S. 84 ff. 22 Vgl. Schlochauer, Theorie, S.374; ebenso wie dieser unterscheidet Schindler, Rechtsmißbrauch, S.44 zwischen Rechtsmißbrauch und depassement de droit, meint aber dann wohl dasselbe wie Schlochauer, wenn er auf S.24 sagt: "Es wird klar, daß Rechtsmißbrauch in Wahrheit Rechtsüberschreitung ist ... Zur Unterscheidung s. weiter Voss, Rechtsmißbrauch, S.130; außerdem Borel/ Politis, Extension, S.751; Dahm, Völkerrecht I, CI •

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l. Zur Methode der Begriffsgewinnung

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Nicht unerheblich vergrößert wird diese geradezu heillose Begriffsverwirrung noch durch die hinzutretende englische Terminologie, die ebenfalls alles andere als einheitlich ist. Außer der Gleichsetzung des abus de droit mit der im englischen Recht bekannten ultra-vires-Lehre, wurde der abus de droit oder der Rechtsmißbrauch auch mit anderen dem englischen Rechtsdenken vertrauten Begriffen wie improper motives oder misuse of power verstanden23 • Aber auch andere Begriffe wurden als Ausdruck oder Äquivalent des Rechtsmißbrauchsverbotes benutzt, wie z. B. abuse of rights, misuse of right, abuse of law, abuse of discretion oder nuisance, und aus der englischen Terminologie übernommen oder, soweit dem englischen Rechtsdenken bisher fremd, neu eingeführt24• Soweit es sich bei der Benutzung dieser Begriffe nicht nur um bloße übersetzungen von dem kontinental-europäischen Rechtsdenken geläufigen Begriffen in die englische Sprache handelt, zeigt sich die Schwierigkeit einer jeweils adäquaten übersetzung auch an dem Beispiel von Bedjaoui, wonach er die von dem Verwaltungsgericht der UNO benutzten Begriffe misuse of power und ultra vires gleichermaßen mit exces de pouvoir übersetzt2S • Diese Beispielsammlung soll hier abgebrochen werden, obwohl sie sich leicht fortsetzen ließe. Anhand der oben angeführten Beispiele sollte lediglich verdeutlicht werden, daß aus dieser Vielfalt der Begriffe, was Rechtsmißbrauchsverbot sein soll oder auch nicht sein soll, sich

s. 197. v. Münch, Delikt, S.18 versteht dagegen den depassement de droit als Unterfall des Rechtsmißbrauchs, der hierbei jedoch von den anderen Unterfällen des Rechtsmißbrauches, nämlich dem abus de droit (l) und dem detournement de pouvoir zu trennen sei. 23 Vgl. Jenks, Proper Law, S. 94 f. mit weiteren Hinweisen auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts der UNO. 24 Am gebräuchlichsten dürfte wohl der Ausdruck abuse of right oder abuse of rights sein: vgl. Cheng, General Principles, der auf S. 120 die Plural-, auf S.123 und 132 die Singularform benutzt; ähnlich schwankend bereits Gutteridge, Abuse of Rights, S.31, 32, aber auch S.25; zur Pluralform s. weiter Taylor, Abuse of Rights, S. 323 f. (allerdings nicht durchgängig); Lauterpacht, Function, S. 286 f.; zur Singularform dagegen Iluyomade, Abuse of Right, S. 47 f. - Der Begriff misuse of right taucht z. B. auf bei Cheng, General Principles, S. 127 und Jenks, Prospects, S. 298; Alvarez in RCIJ 1949, 47. Zum abuse of discretion vgl. Taylor, Abuse of Rights, S.324, 342, 346. - Gegen die Gleichsetzung von misuse of law mit abuse of rights Verzijl, International Law I, S.316. - Zur Gleichsetzung von nuisance mit abus de droit s. Mignault, Abus du Droit, S.647. - Als Indiz dafür, daß es sich bei der Mehrzahl dieser Begriffe nicht um genuin englische Rechtsbegriffe handelt, vgl. Weissenstein, Rechtswörterbuch, der weder das Stichwort abuse of right(s) noch misuse of right anführt, obwohl das Wörterbuch den Anspruch erhebt, eine Realenzyklopädie der grundlegenden Begriffe und Einrichtungen des anglo-amerikanischen Rechtssystems zu sein (vgl. S. 111). 2S Bedjaoui, Jurisprudence, S.488, Anm.18; bei Jenks, Proper Law, S. 94 f. werden wiederum improper motives mit dem misuse of power als sich überlappend dargestellt; vgl. auch die Gleichsetzung bei Wortley, Expropriation, S.102. 4 Neuhaus

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2. Kap.: Abgrenzung des Rechtsmißbrauchsbegriffes

nicht einfach ein bestimmter, abgrenzbarer Begriff des Rechtsmißbrauchsverbotes herausnehmen läßt26 • Diese heillose Begriffsverwirrung ist denn auch zu groß, als daß sie sich mit bloß uneinheitlichen übersetzungsgebräuchen oder gewissen Schwankungen in der Terminologie erklären ließe. Derartige Schwankungen nicht nur im internationalen, sondern auch im nationalen Sprachgebrauch deuten auf tiefer liegende Uneinigkeiten und Unsicherheiten hin, so daß es überrascht, daß bislang nur selten versucht wurde, den Ursachen der für die gesamte Diskussion so wenig förderlichen Tatsache nachzuspüren, obwohl die schon früh ausgesprochene Klage über die völlig durcheinanderlaufende Terminologie bereits des öfteren wiederholt worden ist27 • Im folgenden sollen deshalb einige Gründe für diese Begriffsverwirrung wenigstens kurz angedeutet werden.

1.2.2. Gründe Wohl jedem, der sich des näheren mit völkerrechtlichen Fragen befaßt hat, sind die Probleme bekannt, die mitunter durch übersetzungsschwierigkeiten und uneinheitlichen internationalen Sprachgebrauch entstehen können. Dabei können die Ursachen für diese Sprachprobleme unterschiedlichster Natur sein, so wenn z. B. keine Einigkeit über die korrekte übersetzung eines bestimmten Rechtsbegriffes erzielt werden kann oder aber die unterschiedliche Auslegung eines bestimmten, korrekt übersetzten Rechtsbegriffes unter Berufung auf das jeweils unterschiedliche Verständnis dieses Begriffes in den nationalen Rechtsordnungen in Streit stehfS. Wenngleich herkömmlicherweise das Sprachbzw. übersetzungsproblem überwiegend im Zusammenhang mit der Sonderproblematik der Auslegung mehrsprachiger Verträge behandelt wird29, so ist doch einsichtig, daß diese Problematik bei der Verwendung allgemeiner Rechtsbegriffe, deren inhaltliche Bedeutung und Umfang sich im Völkerrecht noch nicht allgemein verfestigt haben, um vieles drängender wird. So beruht ein mehrsprachiger Vertrag grundsätzlich auf einer vorausgegangenen Einigung über Ziel und Zweck des Vertrages, die als Auslegungsmaßstab herangezogen werden kann, während für den Gebrauch allgemeiner Rechtsbegriffe erst in einem komplizierten Interaktionsprozeß ein Konsens hergestellt werden muß. Die Schwierigkeiten, die Aussagen eines fremdsprachigen Autors über einen 26 So schon Cavaglieri, Regles generales, S.545 zu dem von Politis benutzten Verfahren. Xl Schlochauer, Theorie, S. 373,381; Roulet, Caractere, S. 53; Schüle, Rechtsmißbrauch, S. 69. 28 Rest, Interpretation, S. 162 f., 175. 29 Seidl-Hohenveldern, Völkerrecht, S. 88 f.; Menzel/ Ipsen, Völkerrecht, S.317; Berber, Völkerrecht I, S. 478 f.; Mössner, Einführung, S. 124.

1. Zur Methode der Begriffsgewinnung

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dem fremden Recht entstammenden Rechtsbegriff in dem vollen von diesem Autor gemeinten Gehalt würdigen zu können, müssen daher um so größer sein, je weniger sicher nicht nur die Sprache beherrscht wird, sondern je weniger detaillierte Kenntnisse über das gesamte nationale Rechtssystem, dem dieser Autor entstammt, bestehen. Die zunehmende und jetzt nahezu abgeschlossene Globalisierung des Völkerrechts dürfte für die Zukunft diese Schwierigkeit eher erhöhen, da nun auch die Rechtserfahrungen weiterer Rechtskreise Eingang in das Völkerrecht finden werden. Das anderwärts schon häufig angesprochene Problem des Eingangs der nationalen Vorstellungen in die völkerrechtliche Terminologie30 wird schon aus dem Grunde bestehen bleiben, weil jeder Völkerrechtler zunächst eine Ausbildung in seinem nationalen Recht erfährt31• Wie schon der überblick über die Geltung des Rechtsmißbrauchsverbotes in dem sogenannten klassischen Völkerrecht ergeben hatte, handelt es sich bei diesem Rechtsinstitut nicht um eine eigenständige Entwicklung aus dem Völkerrecht selbst heraus, sondern um den Versuch, ein dem nationalen Recht entlehntes Rechtsinstitut für das Völkerrecht fruchtbar zu machen. Eine nähere Betrachtung verdeutlicht hierbei, wie stark die völkerrechtliche Diskussion vom Stand der innerstaatlichen Diskussion abhängig war. So ist es denn kaum ein Zufall, daß unter den ersten überhaupt nennenswerten Erwähnungen des Rechtsmißbrauches in der Völkerrechtsliteratur der deutsche Völkerrechtler Heilborn zu finden istll, hatte doch gerade in Deutschland die Diskussion über das Rechtsmißbrauchsverbot früh eingesetzt und eine gewisse -"und keineswegs letzte - Klärung durch die Einführung des neuen § 226 in das BGB, dem sogenannten Schikaneverbot, gefunden33 • Die Diskussion um das zivilrechtliche Rechtsmißbrauchsverbot ging in Deutschland im späteren Verlauf vor allem unter dem Einfluß der Arbeitep. von Siebert34 bald um die Frage, ob das Rechtsmißbrauchsverbot tatsächlich nur auf ein sogenanntes Schikaneverbot zu beschränken sei oder ob das Rechts30 Schlesinger, Research, S.734; Schwarzenberger, Inductive Approach, (1946/47), S.560. 31 Vgl. bereits die Warnung bezüglich der übertragung fremder Rechtsbegriffe in die eigene Gedankenwelt bei Schnitzer, Rechtslehre (1945), S.39; zum Problem der sogenannten Mikrovergleiche vgl. auch Rheinstein, Einführung, S. 32 f.; zur Bedeutung der Einheitiichkeit des - nationalen Sprachverständnnisses als Ziel der juristischen Ausbildung s. Esser, Vorverständnis, S.31 - dasselbe muß sinngemäß auch für das Völkerrecht gelten. 32 Heilborn, System, S. 358 f. 33 Zur Geschichte des Rechtsmißbrauchsverbotes in Deutschland vgl. Siebert, Verwirkung, S. 93 f.; ders., Wesen, S. 189 f.; v. Staudinger / Coing, S. 1183 f.; v. Staudinger / Weber, S. 740 f.; v. Staudinger / Dilcher, S. 889 f.; Steudle, Rechtsmißbrauch, S.5 f. 34 Vgl. vorige Anm.

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2. Kap.: Abgrenzung des Rechtsmißbrauchsbegriffes

mißbrauchsverbot nicht in einem umfassenderen Sinn als ein die Ausübung aller subjektiven Rechte einschränkender Rechtssatz im Sinne der unzuläsigen Rechtsausübung verstanden werden müsse. Andererseits sind bis heute die Stimmen nicht verstummt, die in dem Satz der unzulässigen Rechtsausübung letztlich nichts anderes als eine widersprüchliche oder überflüssige Fehlkonstruktion sehen3S • Getreu dieser Diskussion im innerdeutschen Recht spiegeln sich die unterschiedlichen Auffassungen in den Stellungnahmen deutscher Völkerrechtler zum Rechtsmißbrauchsverbot im Völkerrecht wider, indem einmal das Rechtsmißbrauchsverbot auf das sogenannte Schikaneverbot beschränkt wird.16, zum anderen mit dem Grundsatz von Treu und Glauben bzw. der unzulässigen Rechtsausübung identifiziert oder gleichgestellt wird37 oder aber als dogmatisch letztlich überflüssige Konstruktion hingestellt wird38 • Was hier am Beispiel der deutschen Völkerrechtslehre stichwortartig aufgezeigt worden ist, erhellt sich noch um vieles deutlicher in der Betrachtung des Einflusses des französischen Zivilrechts auf die Diskussion des Rechtsmißbrauchsverbotes im Völkerrecht. Bei der Priorität, die dem französischen Zivilrecht für die Entwicklung der Lehre vom Rechtsmißbrauchsverbot zuerkannt werden muß39, erscheint es als geradezu folgerichtig, daß vor allem die französischsprachige Völkerrechtslehre die Diskussion um das Rechtsmißbrauchsverbot nicht nur schließlich in Gang gesetzt, sondern auch in der Folgezeit wohl am stärksten aufrechterhalten hat. Bereits im letzten Jahrhundert zeigten sich in Frankreich Ansätze zu einer geschlossenen Doktrin, deren Einfluß bereits über die Grenzen Frankreichs hinaus auch nach Deutschland hinausreichte. So schöpfte schließlich auch Politis bei seinem Versuch, das Rechtsmißbrauchsverbot für das Völkerrecht fruchtbar zu machen, im wesentlichen aus dem französischen Recht und konnte sich hierzu bereits auf umfangreiche und detaillierte Arbeiten im französischen Recht stützen. Wolf, Allgemeiner Teil, S.82; v. Staudinger / Schmidt, S. 212 f . Strupp, Grundzüge, S.120; Schlochauer, Theorie, S.375; Blühdorn, Einführung, S.47; Engelhardt, Vetorecht, S.403; v. Münch, Delikt, S. 18; ders., Völkerrecht, S. 208. 37 Bernhardt, Auslegung, S.25; Müller, Vertrauensschutz, S.229 Anm.8; Weber / v. Wedel, Völkerrecht, S. 31; vgl. auch Dahm, Völkerrecht I, S. 197. 38 WengIer, Völkerrecht I, S. 393 f.; Bauer, Entführung, S. ll4 f. 39 Anderer Ansicht Berber, Rechtsquellen, S.141, wenn auch ohne nähere Begründung. über die hervorragende Stellung des französischen Zivilrechts für die Entwicklung der Lehre vom Rechtsmißbrauchsverbot besteht demgegenüber nahezu Einmütigkeit, vgl. hierzu - und auch zur geschichtlichen Entwicklung - bereits Politis, Probleme, S. 79 f.; Campion, Exercice, S. 29 f.; Werner, Rechtsrnißbrauch, S. 13 f.; Gutteridge,Abuse of Rights, S. 31 f.; Schindler, Rechtsrnißbrauch, S.13; Siebert, Wesen, S.189; Roulet, Caractere, S. 14 f.; v. Staudinger / Coing, S. ll83; v. Staudinger / Weber, S. 742. 35

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Es verwundert daher nicht, daß Politis bei seiner rechtsvergleichenden Betrachtung für die Darstellung des abus de droit im fanzösischen Recht mehr Raum benötigte als für die anderen Rechtsordnungen insgesamt40 • Andererseits entstammen gerade dem französischen Rechtskreis einige erklärte Gegner eines Rechtsmißbrauchsverbotes im Völkerrecht41 , was sicher nicht zuletzt auf die im französischen Zivilrecht vor allem von Planiol42 vorgetragenen Einwände gegen die Möglichkeit eines Rechtsmißbrauchsverbotes zurückgeführt werden kann, deren Diskussion bis in die jüngste Zeit auch in der Völkerrechtsliteratur ihren Niederschlag gefunden hat43• Der zum Teil bewußte Rückgriff auf die im internen Recht vorgefundene Ausprägung eines bestimmten Rechtsmißbrauchsbegriffes bei der Einführung dieses Begriffes44 mußte nun aber vor allem in den Rechtskreisen auf Verständnisschwierigkeiten oder Widerstand stoßen, in denen ein eigener, genuiner Rechtsmißbrauchsbegriff bzw. eine derartige Doktrin zumindest "prima vista" dem Worte nach nicht existierte, wie z. B. in Italien und England4s • Bei dem Bemühen, sich in die Erörterungen um das Rechtsmißbrauchsverbot im Völkerrecht in dieser oder jener Richtung einzuschalten, blieben für die Völkerrechtler beispielsweise aus dem einflußreichen angelsächsischen Rechtskreis und dem italienischen Rechtskreis hauptsächlich zwei Möglichkeiten: Entweder die wörtliche Übersetzung des Begriffes in abuse of right oder abuso di diritto mit der Gefahr, bei den heimischen Rechtslehrern auf schlichtes 40 Vgl. Politis, Probleme, S. 79 f., 83. Im übrigen folgte Politis bei der Begriffsdarlegung (S. 81) genau der einflußreichen Darstellung Campions, Exercice, S.452 (wenn auch Voss, Rechtsmißbrauch, S.94 das Verhältnis - wohl zu Unrecht - umgekehrt sieht). 41 Vgl. Dupuis, Oberservations, S.811; ders., Regles Generales, S. 92 ff.; Le Fur, Observatios, S. 785 ff.; Roulet, Caractere, S. 149 f. 42 Planiol / Ripert, Traite I, S. 158, H, S.336. 43 Siehe hierzu schon Politis, Probleme, S.49 und 82 f.; Roulet, Caractere, S. 39 f.; Iluyomade, Abuse of Right, S.48. Zu den aus der französischen Zivilrechtslehre vorgebrachten Einwänden im einzelnen s. schon Josserand, Esprit des Droits, S. 328 ff. 44 Bemerkenswert deutlich bekennt sich zu dieser Methode Schindler, Rechtsmißbrauch, S. 57 ff.: "Die richtige Auffassung (von der Erkenntnis der Relativität der Rechte, der Verf.) '" kann nur der ,Innentheorie' zugebilligt werden ... Gerade diese typisch deutsch-rechtliche Auffassung vermag das Wesen des Rechtsmißbrauches zu klären und muß auch für den Bereich der Völkerrechtsordnung gelten." 4S ZU Italien vgl. Scerni, Abuso di Diritto, S. 37 ff.; Berber, Rechtsquellen, S. 142; Roulet, Caractere, S. 29 ff.; BondU, Detournement, S.43; v. Staudinger / Coing, S. 1188; v. Staudinger / DUcher, S.893. Zum Common Law vgl. Gutteridge, Abuse of Rights, S. 30 ff.; Berber, Rechtsquellen, S. 143; Schwarzenberger, Uses, S. 150; ders., International Law and Order, S.86; Roulet, Caractere, S. 31 ff.; Walton, Responsabilite, S.63; Schwartz, Administrative Law, S.219; v. Staudinger / Coing, S,1166; v. Sta~~ dinger / DUcher, S. 893; Iluyomade, Abuse of Right, S. ~Q. .

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Unverständnis zu stoßen, oder die Suche nach einem entsprechenden, dem eigenen nationalen Recht entnommenen bekannten Begriff, was allerdings eine Entsprechung und deren Erkenntnis voraussetzte. Die bloß wörtliche übersetzung oder der Versuch, den neuen aus anderen Rechtsordnungen entlehnten Rechtsmißbrauchsbegriff auch z. B. in dem englischen Recht dem Gedanken nach als existent nachzuweisen und als gleichwohl identisch mit dem französischen Begriff des abus de droit gleichzustellen46 , konnte allenfalls dazu beitragen, den wahren Sachverhalt, nämlich die Nichtexistenz eines Rechtsmißbrauchsbegriffes im englischen Recht zu vernebeln47 • Ähnliche Schwierigkeiten ergeben sich aber auch bereits beim Vergleich der deutsch-französischen übersetzungen. Sicher ist der abus de droit sprachlich eine korrekte übersetzung von Rechtsmißbrauch, wenngleich auch in der französischen Sprache mitunter der Ausdruck abus des droits benutzt wird43 - ohne daß erkennbar wäre, daß mit der Wahl der Pluralform auch ein Bedeutungswandel verbunden sein soll. Da im deutschen Zivilrecht der Rechtsmißbrauchsbegriff zunächst noch nicht wie später unter Zuhilfenahme der §§ 242, 826 BGB ausgeweitet worden war, sondern überwiegend mit dem Schikaneverbot des § 226 BGB identifiziert wurde, schien tatsächlich eine wörtliche übersetzung mit dem von Anfang an überwiegend weiter verstandenen abus de droit des französischen Rechtskreises49 nicht ohne weiteres möglichso. Diese Schwierigkeiten im internationalen Sprachgebrauch wurden zusätzlich noch dadurch erhöht, daß auch in den Rechtsordnungen, denen ein Rechtsmißbrauchsverbot geläufig war, keine Einigkeit über den Umfang und die Bedeutung dieses Rechtsinstituts herrschte. Gerade in Deutschland hat der Rechtsmißbrauchsbegriff im Laufe der Jahrzehnte eine starke Umwandlung erfahren, wobei eine einheitliche Benutzung des deutschen Begriffes vom Rechtsmißbrauch für den internationalen Sprachgebrauch noch zusätzlich erschwert wird durch die unterschiedlichen Entwicklungen, die das Rechtsmißbrauchsverbot in dem schweizerischen und österreichischen Recht genommen haP1. So ist es denn 46 Vgl. hierzu die Vorgehensweise von Lauterpacht, Function, S. 294 f. und von Schindler, Rechtsmißbrauch, S. 32 f.; neuestens hierzu s. bei Iluyomade, Abuse of Right, S. 58. 47 Kritisch zu der von Lauterpacht verwandten Methode: Berber, Rechtsquellen, S.147; Roulet, Caractere, S. 32 f.; vgl. auch schon Gl1tteridge, Abuse of Rights, S. 44 f. 43 Vgl. z. B. den Untertitel bei Josserand, Esprit des Droits. 49 Vgl. hierzu Campion, Exercice, S.299, 329. so So gesehen ist es durchaus konsequent, wenn Schlochauer, Theorie, S. 381 zwischen Rechtsmißbrauch und abus de droit unterscheidet. 51 Auf die Uneinheitlichkeit des Mißbrauchsbegriffes im französischen Recht weisen bereits hin Morin, Observations, S.470; Berber, Rechtsquellen,

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alles andere als eindeutig, mit welchem Inhalt ein italienischer oder englischer Völkerrechtsautor den Rechtsrnißbrauch versteht, wenn er generell feststellt, daß das Völkerrecht einen abuso di diritto oder einen abuse of right kenne oder nicht kenne. Weiter erscheint es angesichts der Vielzahl der verschiedenen Vorstellungen vom Rechtsmißbrauchsbegriff häufig eher eine Sache des Geschmacks bzw. des rechtlichen Weltbildes zu sein, mit welchem Inhalt der im eigenen Recht unbekannte Begriff abu so di diritto oder abuse of right ausgefüllt wird, solange nicht aus dem Völkerrecht selbst heraus präzisere Konkretisierungen vorgenommen werden können. Scheinen die Schwierigkeiten, einen gemeinsamen Begriff des Rechtsmißbrauchsverbotes zu finden, bereits in bezug auf die reinen übersetzungsprobleme schier unüberwindlich, so muß den Betrachter der bisherigen Diskussion über das Rechtsmißbrauchsverbot nahezu ein Gefühl des Schwindels und der Hilflosigkeit überfallen, wenn darüber hinaus auch der gemeinsame Nenner oder auch nur die gemeinsame Wurzel für die vielfältigen Begriffsgleichsetzungen, Unter- und überordnungen gesucht werden soll. Ausgangspunkt war neben den nationalen terminologischen Schwierigkeiten sicherlicP- der Versuch, die Lehre vom Rechtsrnißbrauch oder abus de droit auch für diejenigen Rechtsordnungen zu belegen oder verständlich zu machen, die entweder einen nicht mit dem heimischen Recht übereinstimmenden oder aber überhaupt keinen eigenständigen Rechtsmißbrauchsbegriff entwickelt hatten. Dem heutigen Betrachter mag das Verständnis darüber schwerfallen, wie leich! Begriffe wie ultra vires, abuse of power, reasonableness, Ermessensmißbrauch, Willkürverbot, detournement de pouvoir, exces de pouvoir und viele andere mehr als Ausdruck des abus de droit bzw. Rechtsrnißbrauches verstanden worden sind. Der Grund für diese zusätzlichen Gleichsetzungen dürfte darin zu suchen sein, daß von Anbeginn der Diskussion um den Rechtsrnißbrauch im Völkerrecht, dessen Ähnlichkeit, wenn nicht gar Identität, mit dem im französischen Recht bekannten exces de pouvoir oder detournement de pouvoir bzw. mit dem deutschen Ermessensmißbrauch betont worden ist52 • Diese Betonung der Ähnlichkeit des detournement de pouvoir mit dem abus de droit im Völkerrecht ist allerdings um so verständlicher, S. 141 ff.; Roulet, Caractere, S. 19. Zur Uneinheitlichkeit im deutschen Sprachgebrauch vgl. v. Staudinger / Weber, S. 745 f.; v. Staudinger / Schmidt, S.212, 217 f. - Zu den unterschiedlichen Entwicklungen des Rechtsmißbrauches im schweizerischen und österreichischen Recht vgl. Gutteridge, Abuse of Rights, S.39; Roulet, Caractere, S.28; v. Staudinger /Coing, S. 1187 ff. 52 Vgl. Politis, Probleme, S. 83 f.; Leibholz, Verbot der Willkür, S.4; Schindler, Rechtsmißbrauch, S.42; Kaufmann, Regles generales, S. 522; Spiropoulos, Abus de Droit, S.3 ff.; Taylor, Abuse of Rights, S.324; Dendias, Contribution, S. 96.

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2. Kap.: Abgrenzung des Rechtsmißbrauchsbegriffes

als auch z. B. in der internen französisch-sprachigen Diskussion selbst diese Begriffe nicht immer deutlich unterschieden wurden und die Terminologie noch durchaus schwankend war bzw. auch hier die Ähnlichkeit des detounement de pouvoir mit dem abus de droit hervorgehoben wurdeS3• Der tiefere Grund für diese terminologischen Unsicherheiten dürfte hier aber vor allem darin liegen, daß es sich bei dem exces de pouvoir und dem detournement de pouvoir bzw. dem Ermessensmißbrauch um verwaltungsrechtliche Begriffe handelt, die Verwaltungsrechtswissenschaft selbst aber sowohl in Frankreich als auch in Deutschland ein relativ junger Rechtszweig isP', welcher erst in jüngster Zeit zu einem dem Zivilrecht gleichrangigen rechtswissenschaftIichen Zweig aus geformt worden ist. Die Gleichsetzung des abus de droit bzw. des Rechtsrnißbrauches mit den dem öffentlichen Recht entstammenden Begriffen wie exces de pouvoir und detournement de pouvoir bzw. Ermessensmißbrauch mußte - abgesehen von deren keineswegs identischem InhaltsS - selbstverständlich überall dort auf Miß- oder Unverständnis stoßen, wo eine solche dem kontinental-rechtlichen Denken nunmehr geläufige Trennung zwischen privatem und öffentlichem Recht fremd war bzw. noch weitgehend ist und eine, dem kontinentaleuropäischen Recht vergleichbare, Herausbildung der Verwaltungsrechtswissenschaft erst noch in den Anfängen steckt, wie z. B. in dem anglo-amerikanischen und in dem sozialistischen Rechtskreis56 • Während heute sowohl der detournement de pouvoir als einer der Unterfälle des exces de pouvoir im französischen Verwaltungsrecht57 als 53 Vgl. Campion, Exercice, S. 197 ff.; Josserand, Esprit des Droits, S. 257 ff.; Bondil, Detournement, S. 14 f. mit weiteren Hinweisen. 54 Zur Geschichte des französischen Verwaltungsrechts Becker, Einführung, S. 7 ff.; Constantinesco / Hübner, Einführung, S. 51 f., 82 f.; zur GesChichte der VerwaItungsrechtswissenschaft aus deutscher Sicht Wolff / Bachof, Verwaltungsrecht I, S. 59 f. 55 Laun, Bemerkungen, S. 150 ff. 56 Zum englischen Verwaltungsrecht Wolff / Bachof, Verwaltungsrecht, S. 37 f.; Loewenstein, Staatsrecht 11, S. 72 f., 96 f.; Riedei, Kontrolle, S. 22,278; David, Droit Anglais, S. 37 f.; zum amerikanischen Verwaltungs recht Loewenstein, Verfassungs recht, S. 464 f.; Fraenkel, Regierungssystem, S. 198, 200 f.; zum Unterschied zwischen den angelsächsischen und kontinental-europäischen Verwaltungsrecht aus englischer Sicht Phillips, Constitutional Law, S. 13 f.; aus amerikanischer Sicht Davis, Administrative Law, S.2; zum sozialistischen Verwaltungsrecht Meder, Sowjetrecht, S. 213 f., 360 f., 522 f.; Brunner, Einführung, S.37, 92 f.; Langrod, Verwaltungsrecht, S. 293 f.; Geilke, Sowjetrecht, S. 158 f.; David, Grands Systemes, S.294; aus sozialistischer Sicht Studenikin u. a., Verwaltungs recht, S. 21 f.; Bönninger u. a., VerwaItungsrecht, S. 15 f., 39; Autorenkollektiv, Verwaltungsrecht, S.42 f. 57 Vgl. Waline, Droit administratif, S. 443 f.; de Laubadere, Traite, S.474.

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auch der Begriff des Ermessensmißbrauchs im deutschen Verwaltungsrecht eine gewisse Klärung gefunden haben58 , erscheint es offensichtlich, daß die übertragung dieser Begriffe in ein Rechtssystem, dem die Trennung zwischen privatem und öffentlichem Recht fremd ist, nicht so ohne weiteres möglich ist. Wenn gleichwohl die übertragung der verwaltungsrechtlichen Begriffe, insbesondere des französischen Verwaltungsrechts in den angelsächsischen Rechtskreis, versucht wurde, darf es nicht überraschen, wenn hierbei die unterschiedlichsten übersetzungen gewählt wurden, was die ohnehin schon bestehende Begriffsverwirrung bezüglich des Rechtsmißbrauchsverbotes nur vergrößern konnte59• Es wäre allerdings unfair, diese Schwäche allein den Völkerrechtlern anzulasten. So steckte bis in die jüngste Zeit auch die Rechtsvergleichung selbst noch in ihren Anfängen6O , und die vergleichsweise geringe Kenntnis fremder Rechtssysteme hat zu der herrschenden Begriffsverwirrung sicherlich nicht unerheblich beigetragen61 • Die bloße Feststellung, daß verschiedene Rechtsordnungen in ähnlich gelagerten Fällen zu ähnlichen Ergebnissen kommen, verführt vielfach vorschnell zu dem Schluß, es müßten hierbei auch die gleichen Rechtsinstitute vorhanden sein. Damit wird jedoch etwas vorausgesetzt, was erst noch zu beweisen wäre. So können die Hinweise auf die im englischen Recht bekannten Rechtsbegriffe wie improper motives, unreasonableness, abuse of power usw. nicht bereits die Antwort auf die Frage nach der Existenz eines Rechtsmißbrauchsverbotes oder eines detournement de pouvoir im englischen Recht geben, sondern eröffnen erst die Frage, ob es sich hierbei tatsächlich um einheitliche Prinzipien oder nicht aber um eine andere Rechtstechnik zur Gewinnung ähnlicher rechtlicher Problemlösungen handelt2 • Diese Einsicht in die Möglichkeit verschiedener Rechtstechniken in unterschiedlichen Rechtssystemen63 ist in der Vergangenheit sicherlich vielfach zusätzlich dadurch versperrt gewesen, daß RechtsWolff / Bachof, Verwaltungs recht I, S.200. Vgl. Z. B. bei Jeantet, Rapport general, S. 148 ff., wo auf S.149 exces de pouvoir mit abuse of power, auf S.151 der detournement de pouvoir mit abuse of power, dagegen auf S. 153 der detournement de pouvoir mit excess of power übersetzt wird; vgl. andererseits Bedjaoui, Jurisprudence, S.488 Anm. 18, der die von dem Verwaltungsgericht der UNO im Englischen benutzten Ausdrücke misuse of power und ultra vires einheitlich mit exces de pouvoir übersetzen will. Vgl. auch die verwirrende Terminologie bei Taylor, Abuse of Rights, S. 340 und 350 und die Abgrenzungsversuche von Iluyomade, Abuse of Right, S. 49 f. 60 Rheinstein, Einführung, S. 47 f. 61 Auf die häufig mangelnde Rechtsvergleichung bei der Untersuchung des Rechtsmißbrauches hat schon Berber, Rechtsquellen, S. 137 aufmerksam gemacht; generell hierzu Schlesinger, Research, S. 735. 62 Roulet, Caractere, S.33, 82. 63 Vgl. z. B. Henrich, Einführung, S. 83 zur nuisance im englischen Recht: "Die Andersartigkeit des englischen Rechts liegt im System". 58

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institute wie das Rechtsmißbrauchsverbot als Naturrechtssätze, Prinzipien jeder Rechtsordnung oder ähnliches postuliert worden sind, was einen eingehenderen Rechtsvergleich im Grunde obsolet werden ließ. Zum Abschluß dieser Betrachtung sei noch auf einen weiteren Gesichtspunkt hingewiesen, der zu der Begriffsverwirrung nicht unerheblich beigetragen haben dürfte. Es ist dies der Einfluß der französischen sogenannten soziologischen Rechtsschule, die im Völkerrecht anstelle der subjektiven Rechte und Pflichten den Staaten nur aus dem Völkerrecht selbst abgeleitete Kompetenzen zum Handeln einräumt" und den Geltungsgrund der völkerrechtlichen Normen in der Erfüllung des Gemeinschaftszweckes der vorausgesetzten Staatengemeinschaft sieht6S • Zwangsläufig ändert sich damit der Begriff abus de droit in abus de competence oder detounement de pouvoir66. Die entsprechenden übersetzungen in die englische und deutsche Rechtssprache lauten hierfür abuse of power, Kompetenz- oder Machtmißbrauch, wobei zumindest im deutschen Recht eher ein Bezug zum öffentlichen Recht hergestellt wird67 , wo Machtmißbrauch üblicherweise als Oberbegriff zum Ermessensmißbrauch oder zur Ermessensüberschreitung verstanden wird. Werden diese Begriffe oder auch die englischen Begriffe abuse bzw. misuse of power, ultra vires etc. von anderen Autoren wieder ins Französische zurückübersetzt, so kann man keineswegs sicher sein, daß hierbei wieder auf den abus de competence in dem von der soziologischen Rechtsschule verstandenen Sinne zurückgegriffen wird, wenn nicht das Bewußtsein um die ursprünglich vorgenommene Distinktion von Recht und Kompetenz beibehalten bleibtM. Vgl. Brierly, Regles generales, S. 145; Scelle, Precis I, S. 8 f., 11, S. 38 f. Vgl. Menzel/ Ipsen, Völkerrecht, S.47 mit weiteren Hinweisen; Nußbaum, Geschichte, S. 309 f. 66 Siehe hierzu Kiss, Abus de Droit, S. 182 f.; aber auch schon Trifu, Abus de Droit, S. 100 f.; ebenso Bondil, Detournement, welcher, nachdem er das Völkerrecht als Subordinationsrecht bezeichnet (5.9), dem detournement de pouvoir ähnliche Bedeutung zuschreibt wie andere Autoren zuvor dem abus de droit (5. 186). - Zu den Auswirkungen dieser verschiedenen Auffassungen auf das Rechtsmißbrauchsverbot s. Jankovic, Interdiction, S. 8 f.; Roulet, Caractere, S. 52 f. 67 Dieser Bezug wird allerdings auch von Kiss, Abus de Droit, S. 182 hergestellt; vgl. ebenso Bondil, Anm. 66. 68 Vgl. die Gleichsetzung bei van der Molen, Misbruik, 5.295, der der Unterscheidung zwischen abus de droits und abus des competences wenig Bedeutung beilegt, und aus diesem Grunde den abus de droit, den detournement de pouvoir und den exces de pouvoir als einander deckende Begriffe ansieht. - Weiteren Begriffsvertauschungen und -unklarheiten ist damit jedenfalls Tür und Tor geöffnet. - Bereits der Titel der Abhandlung von Kiss, Abus de Droit, läuft auf eine Irreführung hinaus, wenn der Autor letztendlich aufgrund seines rechtstheoretischen Ansatzes nur zur Anerkennung eines abus de competence kommt. Zu den Auswirkungen vgl. auch Taylor, Abuse of Rights, S. 341 f. 64

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1.2.3. Schlußfolgerungen Die soeben angestellten Betrachtungen über einige Gründe für die vorherrschende Begriffsverwirrung im Zusammenhang mit der Lehre vom Rechtsrnißbrauch sollen hier nicht weiter vertieft werden, da bereits deutlich geworden sein dürfte, daß für die Untersuchung des völkerrechtlichen Rechtsmißbrauchsverbotes die vorschnelle Annahme eines bestimmten Begriffes vom Rechtsrnißbrauch nur hinderlich sein kann. Durch eine vorzeitige Festlegung auf einen bestimmten, wo auch immer vorgefundenen Begriff des Rechtsrnißbrauchs muß das Ergebnis notwendigerweise subjektiv gefärbt sein und entzieht sich letztlich einer Nachprüfung, wenn nicht dargelegt wird, auf welchem Wege der für die Untersuchung der Völkerrechtspraxis zugrunde gelegte Rechtsmißbrauchsbegriff gewonnen worden ist. Eine solche Nachprüfung ist indes nur möglich, wenn offengelegt wird, wie die Abgrenzung des Untersuchungsgegenstandes vorgenommen worden ist. Diesem Erfordernis ist in der Vergangenheit nur zu oft nicht genügend Rechnung getragen worden69 • Die Forderung nach der Möglichkeit des Nachvollzugs der Begriffsentwicklung darf allerdings nicht mit der Forderung verwechselt werden, der gewonnene - wenn auch nur vorläufig gewonnene - Begriff habe auch objektiv im Sinne von wahr oder richtig zu sein; dies wäre zuviel verlangt, da objektive - im Sinne von wahren - Erkenntnisse im Recht, was den Inhalt von Rechtsnormen anbelangt, nicht möglich sind. Eine solche Forderung setzte voraus, daß nur eine richtige Vorstellung von bestimmten Rechtsbegriffen, es also nur einen richtigen Begriff des Rechtsrnißbrauchs gäbe. Daß dies nicht so ist, zeigt bereits der Dauerstreit über die Richtigkeit (Inhalt) von Rechtsbegriffen nicht nur im Völkerrecht und nicht nur - wie soeben demonstriert - beim Rechtsrnißbrauch. Die Richtigkeit eines Begriffes kann demnach nicht heißen, das "Wesen" eines Begriffes aufzudecken, weil nur ein bestimmter Inhalt wahr und richtig sein kann70 - und mag auch die gesamte Rechtspraxis und Rechtswissenschaft mit anderen Begriffen arbeiten - , ~9 Vgl. z. B. Schlochauer, Theorie, S. 375, der das Rechtsmißbrauchsverbot auf das dem deutschen Recht bekannte Schikaneverbot beschränkt, ohne dies näher zu begründen. Andererseits beginnt Schwarzenberger, International Law and Order, S. 84 ff. (wie auch bereits in Fundamental Principles, S. 304 ff. und Uses, S. 147 f.) seine Untersuchungen über den abuse of rights im Völkerrecht, ohne den Leser zuvor darüber aufzuklären, welchen Gehalt und Inhalt er diesem beilegt. Siehe hierzu auch die Bemerkungn von Schüle, Rechtsmißbrauch, S.70, daß der Begriff des abus de droit ungeachtet der terminologischen Vielfalt irgendwie gesichert werden müsse. Es erscheint mehr als zweifelhaft, ob die von Schüle anschließend ohne weitere BegründunB gelieferte Definition zu einer solchen Begriffssicherung beitragen kann. 70 Anderer Ansicht z. B. v. d. Heydte, Bona fides, S.372; zum Wesensargument als Kryptoargument Scheuerle, Wesen des Wesens, S. 431 f., 469 f.

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sondern "Richtigkeit" kann allenfalls heißen, daß eine Norm mit einem bestimmten Inhalt als Rechtssatz anerkannt, d. h. gültig ist71 • Ob es nun für bedauerlich oder gar schädlich gehalten wird, wenn die Rechtspraxis entgegen den eigenen Wünschen und Vorstellungen nur diesen oder jenen Begriff als Rechtsbegriff akzeptiert, ist keine eigentlich rechtliche Diskussion mehr, da sie für die Erkenntnis des derzeitigen Rechtszustandes unerheblich ist12 • Selbstverständlich sollen diese Fragen nicht gänzlich aus dem juristischen Horizont verbannt werden, doch muß das Bewußtsein darüber erhalten bleiben, ob um die Erkenntnis eines derzeitigen rechtlichen "Ist-Zustandes" oder um das Postulat eines wünschenswerten rechtlichen "Soll-Zustandes" gerungen wird73 • Letzteres bleibt im eigentlichen Sinne eine Wertfrage, die für die Geltung von Rechtsnormen nicht erheblicher ist als die Verurteilung eines bestimmten Rechtszustandes als unmoralisch74 • Andererseits brauchen bestimmte Postulate nicht gänzlich wertlos zu sein, da in ihnen der Keim zur Änderung eines bestehenden Rechtszustandes liegen kann, wenn das aufgestellte Postulat sich tatsächlich mit der gesellschaftlilichen Entwicklung deckt. Die Postulierung einer neuen Rechtsnorm kann daher nur dann sinnvoll sein, wenn die Richtung der gesellschaftlichen Entwicklung richtig gesehen wird. Dies ist jedoch eine soziologische oder ethische und nicht eine juristsche Fragestellung7s • Im Bewußtsein dieser grundsätzlichen überlegungen und der oben dargelegten Unmöglichkeit, auf einen bestimmten Rechtsmißbrauchsbegriff für die Untersuchung der Völkerrechtspraxis zurückgreifen zu können, genügt es allerdings nicht, allein die Forderung nach Darlegung und Nachvollziehbarkeit der Methode, mit der ein Rechtsmißbrauchsbegriff als weiterer Arbeitshypothese eingegrenzt werden kann, 71 Kraft, Wertbegriffe, S.57: "... Normen haben eine andere Legitimation als Wahrheit; sie sind nicht wahr, sondern gültig". Kelsen, Rechtslehre, S. 10. Zur Sinnlosigkeit von Begriffsdefinitionen allgemein Popper, Offene Gesellschaft 11, S. 15 f. Zur juristischen Begriffsbildung Strömholm, Rechtslehre, S. 70 f. Die Erörterungen über diese Problematik können hier nicht weiter vertieft werden, vgl. zu einer Gegenposition Wolf, Allgemeiner Teil. S. 13 f., 540. 72 Gihl, Legal Character, S.66; Hart, Begriff, S. 285 f.; mit etwas anderem Akzent Kelsen, Rechtslehre, S. 68. 73 Siehe hierzu die Bemerkung von Berber, Rechtsquellen, S. 147: "Aber ein Professor der Rechte darf nicht versuchen, ein Prophet zu sein, ohne seinen Charakter als Darsteller des geltenden Rechts zu verlieren". 74 Wenn v. d. Heydte, Bona fides, S.373 den Positivisten die Verwechslung von Wahrheit und Wirklichkeit vorwirft, so irrt er gerade darin, daß für den Positivisten die Wahrheit des Rechts in seiner Wirklichkeit bestehe (S. 372 f.); es geht vielmehr darum, den Begriff Wahrheit als absoluten Begriff aus der Erkenntnis des wirklichen Rechts zu eliminieren, der "Wahrheit" des Rechts mag sich dann die Philosophie annehmen. 75 Vgl. Hart, Begriff, S. 286 f.

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zu erheben, sondern es stellt sich jetzt erst die Frage, welche Methode für eine solche vorläufige Abgrenzung geeignet ist. Um hier nicht eine Methode einfach gegen eine andere zu setzen, soll beispielhaft aufgezeigt werden, wie anhand von zwei der bekanntesten und am häufigsten verwandten Methoden - die hier schlagwortartig als die deduktive und die induktive Methode bezeichnet werden sollen - versucht wurde, einen Rechtssatz vom Rechtsmißbrauchsverbot im Völkerrecht zu konkretisieren und dessen Gültigkeit im heutigen Völkerrecht nachzuweisen. 1.3. Zur deduktiven Methode

1.3.1. Vorbemerkung Ohne die Probleme der deduktiven Methode als Erkenntnismethode für die Rechtswissenschaft und damit auch für die Völkerrechtswissenschaft im einzelnen hier diskutieren zu wollen76 , ist es schon aus arbeitsökonomischen Gründen angebracht, auf die verschiedenen Bemühungen näher einzugehen, die das Rechtsmißbrauchsverbot aus allgemeinen Rechtsprinzipien oder aus der Struktur des Rechts herzuleiten versuchten. Gelingt eine derartige Ableitung des Rechtsmißbrauchsverbotes, verbliebe nur noch die Aufgabe, die Existenz bzw. den Geltungsumfang dieses so gewonnenen Rechtsmißbrauchsbegriffes auch im Völkerrecht nachzuweisen. Bei einem Mißlingen dieses Versuchs braucht nicht ein Verdammungsurteil über die Methode in toto gefällt zu werden, sie mag in anderen Bereichen durchaus Nützliches leisten77 • Andererseits könnte bei einem Mißlingen deutlich werden, weshalb die bisherigen deduktiven Bemühungen gleichwohl zu Ergebnissen führten und warum diese Ergebnisse zum Teil wiederum recht unterschiedlich ausgefallen sind.

1.3.2. Das Rechtsmißbrauchsverbot als Prinzip der Gerechtigkeit oder naturrechtlicher Grundsatz Eine weit verbreitete Auffassung sieht das Rechtsmißbrauchsverbot als einen Ausdruck der Gerechtigkeit oder der Idee der Gerechtigkeit an78• Unter die gleiche Rubrik können sicherlich auch Äußerungen wie, das Rechtsmißbrauchsverbot sei ein Prinzip des Rechts oder ein jeder Rechtsordnung immanenter Rechtsgrundsatz, zusammengefaßt werden'19. 76 Zu dieser Methode als Völkerrechtsmethode s. Menzel, Grundprobleme, S.46; Schüle, Methoden, S.777; ders., Völkerrechtswissenschaft, S. 18 f.; kritisch Schwarzenberger, Inductive Approach (1965), S.4 f. 77 Menzel, Grundprobleme, S.46. 78 Für viele Leibholz, Verbot der Willkür, S.2, 4; Josserand, Esprit des Droits, S. 414 f.; Le Fur, Coutume, S.369; M. Günther, Sondervoten, S. 186 f.

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Ihnen allen gemeinsam ist die Vorstellung, es gebe ein übergeordnetes, allgemein anerkanntes Rechtsprinzip, aus dem sich ein untergeordneter Rechtssatz wie das Rechtsmißbrauchsverbot ableiten lasse, bzw. aus denen das Rechtsmißbrauchsverbot notwendig folge. Dieses Verfahren begegnet jedoch bereits in seinem Ansatz stärksten Bedenken: Zunächst einmal müßte der Inhalt dieser Idee des Rechts oder der Gerechtigkeit bekannt oder erkennbar sein, damit eine inhaltliche Ableitung aus diesen Grundsätzen überhaupt nachvollziehbar und nachprüfbar wäre. Trotz aller Versuche der Vergangenheit ist es nicht gelungen, allgemeingültige Kriterien für die materiale Gerechtigkeit zu findenBO • Die Versuche, oberste Gerechtigkeitskriterien zu formulieren81, sind entweder leerformelhaft und eigentlich beliebig umkehrbar, oder aber sie münden in willkürliche Behauptungen, die sich jeder Nachprüfung entziehen, da inhaltliche objektive Maßstäbe nicht gegeben sind82 • Derartige Formeln setzen letztlich immer den Glauben an ein Naturrechtssystem voraus, dessen als verbindlich gesetzter oder auch nur geforderter Inhalt wiederum nicht aus dem Rechtssystem selbst stammt, sondern von außen in es hineingetragen worden ist&3. So ist denn auch keine Antwort möglich auf die Frage, warum die Gerechtigkeit oder die Idee des Rechts das Verbot des Rechtsrnißbrauches fordere, da zuvor der Inhalt der Gerechtigkeit geklärt sein müßte, was aber wiederum keine Rechtsfrage ist und daher auch nicht aus dem Recht beantwortet werden kann84• Des weiteren ist mit derartigen Behauptungen auch nichts über den Inhalt des Rechtsmißbrauchsverbotes ausgesagt und 79 Für viele Verdross, Jurisprudence, S.242; Politis, Probleme, S. 108 f.; Voss, Rechtsmißbrauch, S. 12 f.; Schindler, Rechtsmißbrauch, S. 67 f.; Spiropoulus, Rechtsgrundsätze, S.37; O'Connell, International Law I, S. 13. 80 Siehe hierzu die eingehende Analyse der verschiedenen Gerechtigkeitsformeln bei Kelsen, Gerechtigkeit, S. 366 f. 81 Vgl. Cathrein, Recht, S.47 (Gerechtigkeit als suum cuique); ähnlich TroIler, Begegnung, S.199 f. In diesem Zusammenhang sei auf den Versuch von Coing, Grundzüge, S. 189 f. hingewiesen, wonach der Satz, "neminem laedere" als eine Formel der Gerechtigkeit gelten soll, ein Satz, der z. B. von Voss, Rechtsmißbrauch, S.90 und Lauterpacht, Function, S.287 bereits als Ausdruck des Rechtsmißbrauchsverbotes angesehen worden ist. 82 Podlech, Werte, S. 205 ff.; Topitsch, S.261; ders., Sozialphilosophie, S. 37f. Anderer Ansicht z. B. Verdross, Naturrecht, S.71, der der Formel dadurch ihre Leere nehmen will, daß er sie durch den Sinngehalt des leitenden Grundsatzes begrenzt sieht. - Dies bedeutet aber letztlich nur eine Umformulierung des Problems: Von wem und wie wird der Sinngehalt eines Prinzips erkannt? 83 Topitsch, Metaphysik, S. 261 f. 84 Podlech, Werte, S.208: "Werte können ... prinzipiell keine Begründung bieten. Die Berufung auf sie ist vielmehr der Begründung bedürftig ..."; anderer Ansicht Laun, Naturrecht, S. 23 ff.

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sind weitere Konkretisierungen eines Rechtsmißbrauchsverbotes mit der Berufung auf die Gerechtigkeit oder die Idee des Rechts nicht möglich. Verlangte dagegen ein dermaßen deduziertes Rechtsmißbrauchsverbot nur die gerechte Ausübung eines Rechts und verböte es dessen ungerechte Ausübung, so wäre der Erkenntniswert gleich null, da tautologisch. Auch Feststellungen wie, die Gerechtigkeit verbiete die schrankenlose Ausübung von Rechten, führen letztlich nur zu dem Ergebnis, daß die Rechte des einzelnen begrenzt sind durch die Rechte des anderen. Eine Entscheidungshilfe dafür, wann im konkreten Fall welches Recht zurücktreten muß, wird hiermit jedoch nicht geboten85• Die Inhaltslosigkeit oder auch, wenn man will, Beliebigkeit derartiger Begriffe wie Gerechtigkeit oder Rechtsidee hat noch eine weitere Ungereimtheit zUr Folge: Wenn an eine Norm die Forderung zu stellen ist, daß diese ein Minimum an erkennbarem Inhalt besitzen muß, wenn ihr überhaupt Regelungscharakter zukommen soll, dann muß bereits der normative Charakter solcher allgemeinen obersten Prinzipien wie Gerechtigkeit und Rechtsidee in Frage gestellt werden. Da keinerlei Kriterien vorhanden sind, wann diese Regeln eingreifen sollen, können sie rein logisch gesehen, nie zur Anwendung kommen, weil Ausdrücke wie gut und gerecht nicht subsumtionsfähig sind86 • In der Praxis beruft man sich dagegen nur zu gern auf die Anwendung solcher Sätze, da ihr Inhalt letztlich beliebig ist;87 und je nach eigener Weltanschauung und Philosophie ausgefüllt werden kann. Im übrigen führen derartige Behauptungen, daß ein bestimmter Begriff des Rechtsmißbrauchsverbotes sich aus einem obersten Prinzip wie der Gerechtigkeit oder der Rechtsidee selbst ergebe, zu einem unauflöslichen weiteren Widerspruch. Wäre tatsächlich ein derartiges Prinzip überall gültig und wäre aus diesem die Deduktion eines untergeordneten Rechtsbegriffes wie des Rechtsmißbrauchs ableitbar, dann ergäbe sich bereits hieraus die Notwendigkeit der Geltung dieses Rechtssatzes nicht nur in allen internen Rechtsordnungen, sondern auch in der Völkerrechtsordnung. Wie schon die bisherige Behandlung des Rechtsmißbrauchsverbotes im Völkerrecht zeigt, ist die Geltung dieser Norm jedoch nicht nur derzeit äußerst umstritten, sondern kann bezüglich des Völkerrechts vor dem Ersten Weltkrieg VOn einer Anerkennung des Rechtsmißbrauchsverbotes nicht die Rede sein. Inwieweit das Rechtsmißbrauchsverbot in den internen Rechtsordnungen bekannt ist, wird Kelsen, Gerechtigkeit, S.367 (zu der sogenannten goldenen Regel). Ellscheid, Naturrechtsproblem, S.41; ähnlich auch Topitsch, Sozialphilosophie, S.83, der von dem pseudo-normativen Charakter derartiger Sätze spricht. Kl Topitsch, Metaphysik, S.369. 85

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weiter unten noch zu klären sein, zur Widerlegung der Allgemeingültigkeit dieses Prinzips reicht es jedoch aus, wenn auch nur eine Rechtsordnung bekannt ist, die ein Rechtsmißbrauchsverbot nicht kennt. Diese Tatsachen sind selbstverständlich auch den Konstrukteuren eines solchermaßen abgeleiteten Rechtsmißbrauchsverbotes nicht verborgen geblieben88 • Die Versuche, diesen mehr oder minder bewußt bemerkten Widerspruch aufzulösen, führen jedoch zu keinem günstigeren Ergebnis, sondern münden - und müssen münden - entweder in erneute Widersprüche oder aber wiederum in Leerformeln. Am naheliegendsten wäre die Erklärung, daß ein Normensystem, das ein allgemeingültiges jeder Rechtsordnung immanentes Prinzip nicht kennt, eben keine Rechtsordnung sein könne. Diese Erklärung setzt aber voraus, daß die Eigenschaft eines Normensystems, also auch einer Rechtsordnung, an deren materialen Gehalt, d. h. also an der übereinstimmung ihres Wertgehaltes mit von außen gesetzten Wertmaßstäben gemessen werden könnte. Dies setzt wiederum die Erkennbarkeit objektiver Werte voraus, mündet also in einen Zirkel, da eine objektive Erkenntnis der Gerechtigkeit oder der Rechtsidee als Wertmaßstab eben nicht möglich ist. Aber auch ein anderer Lösungsversuch, diesem Zirkel zu entkommen, bleibt versperrt, nämlich die Behauptung, das Rechtsmißbrauchsverbot existiere in allen Rechtsordnungen, auch wenn es sich insoweit nur um eine zwar vorhandene, aber noch nicht erkannte Norm handele89 • Damit kann zwar der Charakter aller dieser Normensysteme als einer Rechtsordnung und das Rechtsmißbrauchsverbot als notwendiger Bestandt'eil dieser Rechtsordnung theoretisch aufrecht erhalten werden, jedoch gerät diese Ansicht in einen unauflöslichen Widerspruch zum Normbegriff, da für die Existenz einer Norm in einem konkreten Normzusammenhang es eine wesentliche Eigenschaft ist, daß sie gilt90 • Eine nicht gültige, aber gleichwohl existente Norm ist nicht denkbar91• Wenn eine Norm gilt, muß sie auch erkennbar sein, bzw. wenn sie nicht erkannt werden kann, kann auch nicht von ihrer Geltung gesprochen werden. Auch die spätere Geltung eines bestimmten Rechtssatzes darf nicht dazu verführen, diesen Rechtssatzals bereits früher geltend anzusehen92 • Eine Norm, die in einem bestimmten Rechtssystem (noch) nicht bekannt ist, ist eben keine Norm dieses Rechtssystems, und ob sie es Vgl. Sauer, System, S. 6 f. Vgl. Politis, Probleme, S. 108 f.: "... une regle des droits dejit nee, mais pas encore apercue ..."; ebenso de Boeck, Expulsion, S.636; Trifu, Abus de Droit, S.164; Spiropoulos, Rechtsgrundsätze, S.37, Anm. 16. 90 Gihl, Legal Character, S.66; Kelsen, Rechtslehre, S. 10 f., 218 f. 91 Deshalb ist es ein Widerspruch, wenn Sauer, System, S.354 sagt, daß die Völkerrechtsordnung auch das zu verwirklichende Recht enthalten solle. 92 Gihl, Legal Character, S. 81. 88

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jemals werden wird, ist keine Frage ihrer Ableitung aus einem materialen Gerechtigkeitsprinpip oder der Idee des Rechts, sondern beantwortet sich allein danach, ob die normerzeugenden gesellschaftlichen Kräfte zu ihrer Anerkennung tendieren werden oder nicht93 • Die vorangegangenen überlegungen zeigen, daß eine deduktive Ableitung aus Prinzipien, wie der Gerechtigkeit oder der Idee des Rechts letztlich nichts anderes bedeuten als die Anerkennung eines Naturrechts94 • Auf die wohl kaum jemals endende Diskussion um das Naturrecht soll hier nicht weiter eingegangen werden. Der oben getroffenen Feststellung, daß aus naturrechtlichen Grundsätzen, so moralisch wertvoll sie als Postulat oder Mahnung zu ihrer Beibehaltung im einzelnen je nach weltanschaulichem Standort sein mögen, keine konkreten Rechtsnormen entnommen werden können9s, unterliegen auch diejenigen obersten Rechtssätze oder Prinzipien, die sich nicht auf das Naturrecht berufen oder als geradezu gegen das Naturrecht gerichtet angesehen werden96• Als Beispiel sei hier der Versuch von Voss angeführt, der den Begriff des Rechtsmißbrauches aus dem sogenannten konkreten Ordnungsdenken zu entwickeln behauptet. Dieser Hinweis sei insbesondere deshalb gestattet, weil das konkrete Ordnungsdenken als juristische Methode heute - aus naheliegenden Gründen - von keinem Juristen mehr gefordert wird97 , obwohl das Ergebnis dieser "Ableitung" sich bei unbefangener Betrachtung letztlich nicht sehr von den Ergebnissen von beispielsweise Leibholz, Politis oder Trifu unterscheidet. Bereits im Ausgangspunkt seiner Studie nimmt Voss schon einen Teil seines Ergebnisses vorweg, wenn er lediglich die Alternative anbietet, es gelte festzustellen, ob das Völkerrecht jeden beliebigen Gebrauch der Rechte oder des Rechts gestatte oder ob es das Rechtsmißbrauchsverbot beinhalte98. Da das Völkerrecht offensichtlich nicht jeden beliebigen Gebrauch von Rechten zuläßt, bleibt nur eine Alternative übrig, und es könnte bereits die Feststellung getroffen werden, daß das Rechtsmißbrauchsverbot im Völkerrecht gilt. Diese Feststellung wäre dann aber nicht mehr wert als die Aussage, das Völkerrecht gestatte nicht den 93 Auf die Gefahr des Wirklichkeitsverlustes der deduktiven Methode weist auch Menzel, Grundprobleme, S. 46 hin. 94 Schon Cavaglieri, Nuovi Studi, S.46 hat Politis Naturrechtsdenken vorgeworfen. 9S Schwarzenberger, Inductive approach (1965), S.5. Daß sich dieses Verfahren gleichwohl gerade im Völkerrecht besonderer Beliebtheit erfreute, stellte schon Kunz, Völkerrechtswissenschaft, S. 71 fest. 96 So z. B. für die Sozialmoral van Bogaert, Rechtsmisbruik, S. 16. 97 Zum Begriff des konkreten Ordnungsdenkens allgemein s. Rüthers, Auslegung, S. 277 f. mit weiteren Hinweisen. 98 Voss, Rechtsmißbrauch, S.14.

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beliebigen Gebrauch vOn Rechten. Den weiteren Inhalt des bereits im Ansatz vorausgesetzten Rechtsmißbrauchsverbotes im Völkerrecht will Voss nun über den Umweg des konkreten Ordnungsdenkens gewinnen, das sich als ein Problem des konkreten Inhalts des Rechts darstelle99• Die juristische Natur des Rechtsmißbrauchsverbotes ergebe sich dabei aus der "formalen Gebundenheit der Rechtsnorm an die normale Lage" 100. Das den Mißbrauch der Rechtsnorm vOn ihrem Gebrauch unterscheidende materielle Kriterium ergebe sich aus der materiell-inneren Bedingtheit des Rechtsnormurteils vOn der in seiner Norm gegenständlichen Lage, die ... in der inhaltlichen Gebundenheit der Rechtsnormaussage an die immanente konkrete eigene Ordnung der ihrem Urteil gegenständlichen Lage bestehe 101 • Die Rechtsausübung sei dann mißbräuchlich, wenn durch den Gebrauch (des Rechts, d. Verf.) das materielle Prinzip der Gebundenheit des Inhalts der Rechtsnormaussage an das innere Recht der in der Norm selbst durch konkrete Merkmale vergegenständlichten Lage verletzt werde l02 • Dieser Wortwust läßt sich reduzieren auf die Feststellung, daß eine Rechtsausübung im konkreten Fall nicht unbedingt erlaubt ist, sondern nur je nach dem Rechtsinhalt zulässig ist. Oder noch kürzer: Das Rechtsmißbrauchsverbot ist die Umkehrung der Sozialgebundenheit des Rechts - ein Ergebnis, das auch ohne konkretes Ordnungsdenken von anderen Autoren gefunden wurde lO3 und hier wie da gleich leerformelhaft und inhaltsleer ist. Dieses Ergebnis kann allerdings dann nicht überraschen, wenn man sich die inhaltliche Leere des sogenannten konkreten Ordnungsdenkens vor Augen hält, die die gleiche ist, wie auch die anderer überpositiver Rechtsinstitute oder RechtsbegriffelO4 • Die eigentliche Aufgabe, einen bestimmten Inhalt des Rechtsmißbrauchsbegriffes zu gewinnen, steht auch bei Voss nun erst eigentlich bevor und kann mit der eingeschlagenen Methode jedenfalls nicht gelöst werden.

1.3.3. Das Rechtsmißbrauchsverbot als Ausdruck des Rechtsgejühls oder Rechtsbewußtseins Auch die Versuche, anstelle vOn bewußt naturrechtlichen Begriffen wie der Rechtsidee oder der Gerechtigkeit Begriffe wie das Rechtsgefühl oder das Rechtsbewußtsein als Quelle materialer Rechtssätze zu set99 Voss, Rechtsmißbrauch, 5.61, 64. 100 Voss, Rechtsmißbrauch, 5.64.

Voss, Rechtsmißbrauch, 5.52. Voss, Rechtsmißbrauch, 5.96. 103 VgI. Dahm, Völkerrecht I, S. 194 ("Kein Recht ist unbeschränkt"); Cheng, General Principles, S. 131. 104 Rüthers, Auslegung, S. 300, der dieser Lehre zu Recht quasi-naturrechtliches Denken bescheinigt (5.312). 101

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zenl(lS, können nicht zum Erfolg führen, da auch hier als Voraussetzung die Erkennbarkeit und der normative Charakter eines - objektivenRechtsgefühls oder Rechtsbewußtseins gefordert werden muß I06. Die Tatsache, daß Normen im nachhinein als Ansdruck eines bestimmten Rechtsgefühls oder Rechtsbewußtseins nachempfunden werden können - so ist beispielsweise das Kriegsverbot sicherlich Ausdruck einer veränderten Bewußtseinslage -, ist noch keine Rechtfertigung für eine Antizipation einer Rechtsnorm durch das Bewußtsein. Das Rechtsgefühl oder auch das Rechtsbewußtsein mag von Bedeutung sein für die Wertvorstellung oder auch Herausbildung von dieser oder jener Norm, kann aber nicht selbst eine Norm sein oder als Geltungsgrund für andere Normen dienen lO7 • Aus den gleichen Gründen können auch solche Prinzipien wie Treu und Glauben, equity, bona fides oder ähnliche zur Ableitung weiterer Normen, wie z. B. dem Rechtsmißbrauchsverbot lO8 , nicht dienen, weil derartige Prinzipien letztlich nur ein anderer Ausdruck für Gerechtigkeit oder Rechtsidee sind lO9 und möglicherweise im nachhinein als Sammelbegriff für verschiedene ähnliche Rechtsinstitute verstanden werden können, nicht aber apriorisch mit einem bestimmten Inhalt, aus dem sich weiteres ableiten ließe, gesetzt werden können"o• 1.3.4. Zur tatsächlichen Herkunft des Rechtsmißbrauchsbegriffes in der deduktiven Methode Obwohl alle Versuche, das Rechtsmißbrauchsverbot deduktiv aus übergeordneten Prinzipien herzuleiten, scheiterten und scheitern mußten, bleibt die erstaunliche Tatsache, daß doch zum Teil sehr präzise und häufig sogar übereinstimmende Tatbestandsmerkmale des Rechtsmißbrauchsverbotes trotz unterschiedlicher Ausgangspunkte gewonnen worden sind. Wie sich bei näherem Hinsehen zeigt, sind diese KoinziLeibholz, Verbot der Willkür, S.2 f. Vgl. Kunz, Völkerrechtswissenschaft, S.49; Jankovic, Interdiction, S.l1. Kritisch zum Rechtsgefühl als Ausdruck naturrechtlichen DenkensKelsen, Gerechtigkeit, S. 425 f. 107 Vgl. auch Hoffmann, Verantwortung, S.107, der dem Rechtsbewußtsein die Bedeutung einer Rechtsinhaltsquelle, nicht aber einer Rechtseigenschaftsquelle beimißt; generell zum Rechtsbewußtsein Geiger, Rechtssoziologie, S. 109 f. und 382 ff. 108 Vgl. aber z. B. die Aussagen bei v. d. Heydte, Völkerrecht I, S. 29; Cheng, General Principles, S. 120, 125, 127; Ruck, Grundsätze, S.42; Bernhardt, Auslegung, S. 25; Paul, Abuse of Rights, S. 127,128. 109 So besonders deutlich bei v. d. Heydte, Bona Fides, S. 365 ff.; s. auch Verdross, Bona Fides, S. 29 ff. ("Recht ist wurzelhaft mit der Ethik verknüpft", S. 30). 110 Wie hier: Jankovic, Interdiction, S.11; zur Abstraktheit der bonne foi Cot, Bonne foi, S. 140 f. Siehe auch Müller, Vertrauensschutz, S. 255 f. 105

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denzen weder ein Beweis für die Richtigkeit der Methode noch reine Zufälle. Das Rechtsmißbrauchsverbot hat seinen Ursprung, wie bereits oben angedeutet, in einigen internen Rechtsordnungen. Soweit hierzu nicht teilweise gar auf das römische Recht rekurriert wird lll , müssen als Ausgangspunkt für die moderne Lehre vom Rechtsrnißbrauch das französische Recht und das deutsche Recht angesehen werden. Vornehmlich der Beginn der Auseinandersetzung um das Rechtsmißbrauchsverbot im Völkerrecht legt nun die Annahme nahe, daß es maßgeblich die im internen Recht entwickelten Begriffe waren, die über den Umweg eines Gerechtigkeitsprinzips, der Idee des Rechts oder des Rechtsbewußtseins als auch im Völkerrecht geltend behauptet wurden. Dabei lehnte sich auch die theoretische Fundierung des Rechtsmißbrauchsverbotes vor jeglicher Untersuchung der Völkerrechtspraxis häufig genug an die nationale Entwicklung des Rechtsmißbrauchsbegriffes an1l2• Ohne den Einfluß der nationalen Rechtsordnungen auf das Völkerrecht leugnen zu wollen113 , darf dies aber nicht dazu führen, auf dem Umweg über naturrechtliche oder quasi-naturrechtliche Sätze und Prinzipien einzelne Rechtsinstitute unter Umgehung der völkerrechtlichen Rechtsquellenlehre in das Völkerrecht einzuführen. Ob das Rechtsmißbrauchsverbot beispielsweise mit dem Inhalt, den es im französischen Recht erhalten hat, oder aber nur im Sinne eines Schikaneverbotes ähnlich dem § 226 BGB - wenn überhaupt - im Völkerrecht Geltung erlangt hat, bleibt noch nachzuweisen. Dieser Nachweis kann nicht durch den Hinweis ersetzt werden, es sei beispielsweise von dem französischen Begriff des Rechtsrnißbrauches auszugehen, weil dieser am weitesten entwickelt sei 1l4• Für die Übernahme des innerstaatlichen Begriffs vom abus de droit in das Völkerrecht wird bereits von Politis noch ein zusätzliches Argu, ment eingeführt, das einer näheren Nachprüfung jedoch ebenfalls nicht standhalten kann. Es handelt sich hier um die These, eine Rechtsordnung entwickele sich von dem urspünglich individualistischen Charakter der primitiven Rechte zunehmend zu den Sozialgedanken betonenden Rechtsordnungen und führe damit notwendigerweise zur Anerkennung des Rechtsmißbrauchsverbotes ll5 • Ungeachtet des Problems, inwie1Il Siehe dazu Campion, Exercice, S. 5 f.; Giorgianni, Abuso di Diritto, S. 59 ff.; Scholtens, Abuse of Rights, S. 40 f.; Gutteridge, Abuse of Rights, S. 31. 112 Vgl. Politis, Probleme, S. 79 f.; Josserand, Esprit des Droits, S. 366 f.; Trifu, Abus de Droit, S. 29 f.; Schlochauer, Theorie, S.375; Schindler, Rechtsmißbrauch, S. 56 f.; Voss, Rechtsmißbrauch, S. 16 f. 113 Zur Bedeutung innerstaatlicher Rechtssätze auf das Völkerrecht s. Lauterpacht, Law Sourees, S. 297 ff.; Scheuner, Influence, S. 169 ff.; Berber, Völkerrecht I, S. 50 f. 114 So aber Trifu, Abus de Droit, S. 79.

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weit das Völkerrecht heute noch als primitive Rechtsordnung oder als im Sinne von Politis bereits ausreichend entwickeltes Recht betrachtet werden kann - andere Autoren haben zum gleichen Zeitpunkt ihre negative Haltung zum Rechtsmißbrauchsverbot im Völkerrecht mit dem Hinweis auf die noch ungenügende Entwicklung des Völkerrechts begründet ll6 -, läßt sich weder aus der angeblichen Unterentwicklung noch aus der fortgeschrittenen Entwicklung einer Rechtsordnung allein eine materielle Rechtsnorm als notwendig existent herleiten, ohne in unauflösbare Widersprüche zu geraten. So kann wohl kaum behauptet werden, daß das französische Recht des 19. Jahrhunderts weniger entwickelt war als z. B. das italienische Recht, wie auch wohl der Entwicklungsstand des Rechts - bezogen auf die Komplexität der Funktionslösungsaufgaben oder auch auf seine Befriedigungsfunktion - in den angelsächsischen Ländern nicht geringer erachtet werden kann, als z. B. in Frankreich oder Deutschland, da die genannten Länder in ihrem gesellschaftlichen Charakter als hochindustrialisierte und differenzierte Staaten einander doch recht ähnlich sind. Dennoch hat die Lehre vom Rechtsrnißbrauch in diesen Ländern eine sehr unterschiedliche Entwicklung erfahren l17 • Schon aus diesem Grunde liegt es näher, das Rechtsmißbrauchsverbot als eine bestimmte Rechtstechnik zu sehen, deren sich manche Rechtsordnungen bedienen, während andere gleiche Lösungsmöglichkeiten auch auf andere Weise zu erreichen suchenll8 . Eine genauere Betrachtung dieses Arguments vom Zusammenhang zwischen evolutivem Charakter einer Rechtsordnung und der Herausbildung des Rechtsmißbrauchsverbotes offenbart daher auch, daß Politis im Grunde das Rechtsmißbrauchsverbot gar nicht dem evolutiven Charakter des Rechts entnimmt, sondern eigentlich einem Spiel mit Worten. Denn als entscheidenden Schritt für die Entwicklung einer Rechtsordnung vom primitiven, individualistischen zu einem entwickelten, sozialen Recht sieht Politis die Aufgabe des in den primitiven Rechten gültigen Rechtssatzes "neminem laedit qui jure suo utitur" zum Prinzip "summum jus, summa iniuria"1I9. Letzterem Prinzip entspreche das Rechtsmißbrauchsverbot12O• Die Richtigkeit der Behauptung, das primitive Recht stehe tatsächlich unter diesem ersteren Prinzip - sollS Politis, Probleme, S.78, 87; ähnlich Lauterpacht, Function, S. 298 f.; Schlochauer, Theorie, S. 350. 116 Bustamente y Sirven, Droit International I, S. 191 f.; Scerni, Abuso di Diritto, S. 80; Cavaglieri, Corso, S. 508. 117 Siehe hierzu näher unten 4. Kap. 4.2. 118 So auch Houlet, Caractere, S. 79, 82. 119 Politis, Probleme, S.78; ähnlich auch Lauterpacht, Function, S.299. Kritisch hierzu Berber, Hechtsquellen, S. 147. 120 Zur Gleichsetzung dieses Prinzips mit dem Hechtsmißbrauchsverbot vgl. auch Eisser, Summum Jus, S.7, 11 f.; s. auch Blühdorn, Einführung, S.46.

2. Kap.: Abgrenzung des Rechtsmißbrauchsbegriffes

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weit die Vorstellung einer willkürlichen Rechtsausübung damit verbunden ist, kann dies sicher nicht richtig sein; es handelt sich allenfalls um eine Andersartigkeit des Rechtsdenkens - unterstellt, liegt die Schwäche dieser Ableitung in der Inhaltslosigkeit des Prinzips summum jus, summa iniuria. Die Begründung für die Aussage, das Rechtsmißbrauchsverbot, soweit darunter eine bestimmte inhaltliche Norm gemeint ist, sei mit diesem Satz identisch, ist wiederum nur metajuristisch nachvollziehbar. Denn daß dieses Prinzip mit dem im französschen Recht entwickelten Rechtsmißbrauchsbegriff identisch sein soll, setzt bereits di, Verabsolutierung dieses Begriffs als den einzig richtigen voraus. Es islt dies das gleiche Verfahren, das aus einem naturrechtlichen Satz oder einer anderen Leerformel genau den Begriff herauszieht, der vorher implizit hineingelegt wurde l21 • Und nicht immer läßt sich die wahre Herkunft des Begriffs so einfach feststellen wie bei Politis, der seinen Rechtsmißbrauchsbegriff letztlich dem französischen Recht entnimmt. Die Frage, warum gerade dieser Begriff und nicht etwa das dem deutschen Recht bekannte, engere Schikaneverbot in das Völkerrecht übertragen werden soll bzw. ob das Völkerrecht ein derartiges Rechtsmißbrauchsverbot kennt, ist damit jedenfalls nicht beantwortetl22 • 1.3.5. Zusammenfassung

Mit diesem Befund soll eine positive Bedeutung von allgemeinen materialen Prinzipien oder Grundsätzen nicht grundsätzlich verneint werden. Doch können derartige PrinZipien allenfalls als zusammenfassender Ausdruck gewisser speziellerer Rechtssätze zu einem Oberbegriff erkannt werden, d. h. die Kenntnis und Geltung der speziellen Rechtssätze ist bereits Voraussetzung dafür, daß ein solch allgemeiner Rechtsbegriff als auch den jeweiligen speziellen Rechtssatz umfassend verstanden werden kann. Die Benutzung solcher Prinzipien als Oberbegriffe wirkt dann wie ein "Kürzel". Umgekehrt können aber nicht aus einem derartigen Allgemeinbegriff neuartige, konkrete Tatbestände normativ abgeleitet werdenl23 • Auf rein deduktive Weise läßt sich somit ein bestimmter Begriff des Rechtsmißbrauches, dessen Geltung im Völkerrecht es dann zu untersuchen gilt, nicht gewinnenl24 • Kunz, Völkerrechtswissenschaft, S. 71. So führt z. B. Dahm, Völkerrecht I, S. 194 f. aus der Feststellung, das Rechtsmißbrauchsverbot ergebe sich aus der Beschränktheit der subjektiven Rechte, fast die ganze Bandbreite der in der Diskussion geläufigen Kriterien ein, ohne dies näher zu begründen, während Garcia Amador, State Responsibility, S. 380 f. aus dem gleichen Ansatz heraus nur den reasonableness exercise als Kriterium sieht (5.382). 123 Gihl, Legal Character, S.91; Müller, Vertrauensschutz, S. 255 f. 124 Anderer Ansicht Sauer, System, S. 408. 121

122

1. Zur Methode der Begriffsgewinnung

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1.4. Zur induktiven Methode

1.4.1. Vorbemerkung

Nachdem die Gewinnung eines inhaltlich näher bestimmten Rechtsmißbrauchsverbotes, dessen Geltung oder Nichtgeltung für das Völkerrecht anschließend hätte untersucht werden können, auf rein deduktive Weise aus übergeordneten Prinzipien nicht möglich ist, stellt sich die Frage, ob nicht in dem üblicherweise als entgegengesetzt verstandenen Verfahren der Induktion l2S das gesuchte Rechtsmißbrauchsverbot gefunden und abgegrenzt werden kann116 • Diese Methode bedingt eine empirische Untersuchung der bisherigen völkerrechtlichen Praxis und beansprucht gegenüber der deduktiven Methode den Vorteil, auf diese Weise eigene Wertungen und Vorurteile weitgehend auszuschaltenl27 • Eine nähere Betrachtung der Möglichkeiten des induktiven Verfahrens zeigt, daß auch diese Methode der Eigenart des hier vorliegenden Untersuchungsgegenstandes letztlich nicht angemessen ist, wobei die Grenzen dieses Verfahrens möglicherweise weniger in den Schwächen des Verfahrens selbst liegen l28 , als vielmehr in dessen Voraussetzung, nämlich dem Wissen um den Begriff des Rechtsmißbrauchs. Ginge es nur darum, einen bereits bekannten und inhaltlich bestimmten Rechtssatz als auch im Völkerrecht geltend nachzuweisen, wäre die induktive Vorgehensweise sicherlich die geeignete Methode. Als Untersuchungsmaterial für den Nachweis des bestimmten Rechtssatzes auch im Völkerrecht läge sozusagen das gesamte völkerrechtliche Material offen und die notwendige Eingrenzung des Untersuchungsmaterials ergäbe sich von selbst aus dem vorgegebenen Begriff, da nur solche Fälle interessant wären, in denen dieser Begriff in irgendeinem Zusammenhang auftaucht. \2S Zu dieser Methode Menzel, Grundprobleme, S. 46 f.; Schüle, Methoden, S.780; ders., Völkerrechtswissenschaft, S. 19 f.; Schwarzenberger, Inductive Approach (1946/47), S. 566 f.; kritisch zu dem von Schwarzenberger propagierten "Inductive Approach" Jenks, Prospects, S. 618 f., wozu Schwarzenberger wiederum ausführlich Stellung nimmt in Inductive Approach (1965), S. 115 f. 126 So betont Ago, Begriff des positiven Rechts, S. 291 f. die Notwendigkeit der induktiven Methode zum Nachweis von Normen, die deduktiv nicht erschlossen werden können. 127 Schwarzenberger, Inductive Approach (1946/47), S. 568. 128 Problematisch bleibt natürlich immer der Schluß von den gesammelten Facts auf einen allgemeingültigen Rechtssatz (vgl. Menzel, Methoden, S.46; Schüle, Methoden, S.780), da rein logisch sich aus speziellen Regeln keine darüberstehenden allgemeinen Regeln gewinnen lassen (Gihl, Legal Character, S.92). Zum Induktionsproblem als allgemeinem wissenschafts-theoretischen Problem, insbesondere zum Problem der Rechtfertigung des induktiven Schlusses s. Popper, Objektive Erkenntnis, S. 13 f., 42 f.; eine Übersicht zum Induktionsproblem aus logischer Sicht bringt Jenks, Prospects, S. 627 f.

2. Kap.: Abgrenzung des Rechtsmißbrauchsbegriffes

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Für das hier zu untersuchende Rechtsmißbrauchsverbot im Völkerrecht gestaltet sich das Verfahren indes um einiges schwieriger. Nicht nur die Frage nach der Geltung und Rechtsnatur des Rechtsmißbrauchsverbotes gilt es zu klären, sondern zunächst bedarf es einer Feststellung darüber, mit welchem Inhalt das Rechtsmißbrauchsverbot zu verstehen ist, d. h. welche Tatbestandsmerkmale diesem Rechtsmißbrauchsverbot eigen sind. Denn nur wenn eine nähere inhaltliche Bestimmung vorliegt, kann die Frage beantwortet werden, ob sich aus dem Untersuchungsmaterial überhaupt Aussagen über Geltung oder Nichtgeltung eines solchen bestimmten Rechtsmißbrauchsverbotes treffen lassen. Erst dann ist es möglich, auch Fälle heranzuziehen, in denen vom Rechtsmißbrauchsverbot nicht wörtlich, sondern sinngemäß nur der Sache oder der Idee nach die Rede ist. Solange der Inhalt der gesuchten Norm aber nicht näher bekannt ist, ist eine empirische Untersuchung über ihre Geltung und Rechtsnatur im Völkerrecht nicht möglich, und auch die bisherigen Versuche, auf empirischem Wege den Inhalt des Rechtsmißbrauchsverbotes zu bestimmen, müssen als mißglückt angesehen werden.

1.4.2. Bisherige Bemühungen Soweit ersichtlich, hat sich nur Kiss ausführlich bemüht, Inhalt und Umfang des Rechtsmißbrauchsverbotes im Völkerrecht auf empirische Weise zu bestimmen. Trotz einer Fülle von ausgewertetem Material kann dieser Versuch nicht als geglückt angesehen werden, da der methodische Ansatz von Kiss zu schwach ist; nicht zuletzt wohl deshalb, weil die soeben geäußerten Bedenken gegen ein rein empirisches Vorgehen bei der Untersuchung des Rechtsmißbrauchsverbotes im Völkerrecht von Kiss nicht beachtet wurden. Kiss betont zu Beginn seiner Untersuchung, empirisch vorgehen, d. h. nur die Fälle im Völkerrecht untersuchen zu wollen, in denen es sich um einen Rechtsmißbrauch handeln könnte l29 • Wie er jedoch selbst sogleich feststellt, taucht dieser Begriff expressis verbis kaum in der internationalen Praxis auf, so daß sich Kiss genötigt sieht, eine möglichst große Zahl von bloß "verdächtigen" Fällen zu untersuchen l3O• So wird zur entscheidenden Frage für die Tauglichkeit dieses Verfahrens, aufgrund welcher Kriterien ein Fall aus der Völkerrechtspraxis in diesem Sinne für Kiss mißbrauchsverdächtig ist. Als Auswahlrnaßstab dient ihm hierbei nun folgende Bestimmung des abus de droit: "La notion (de l'abus de droit, d. Verf.) comporte deux elements: l'existence de certain droits et l'exercice de ces droits qui est contraire a certaines regles fon129 130

Kiss, Abus de Droit, S. 12. Kiss, Abus de Droit, S. 13.

l.

Zur Methode der Begriffsgewmnung

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damentales. En d'autres mots: un sujet de droit exerce les competences dont il est habilite de fa~on a causer des dommages a un autre sujet de droit l3l ." Mit dieser Begriffsbestimmung ist jedoch so gut wie nichts gewonnen, und es erscheint schleierhaft, wie damit bestimmte Fälle als "mißbrauchsverdächtig" aus der Vielfalt der Völkerrechtspraxis herausgezogen werden können. Zwar wird das Rechtsmißbrauchsverbot insofern weiter inhaltlich bestimmt, als die Existenz eines Rechts und dessen Ausübung vorausgesetzt wird, im übrigen aber ist sie schwammig und äußerst vage. Erscheint es darüber hinaus schon fraglich, ob es sich wirklich bei der zweiten, von Kiss zur Präzisierung angegebenen, Begriffsbestimmung bloß um andere Worte handelt, so ist diese Begriffswahl jedenfalls so vage, daß sie - und diese Gleichsetzung nimmt der Autor schließlich sogar selbst vor - letztlich auf die Feststellung hinausläuft, ein Rechtsmißbrauch liege immer vor, wenn "l'exercice d'une competence confere par le droit international aux gouvernements etatiques peut etre internationalement illicite"132. Wie mit diesem Begriff eine Abgrenzung der "mißbrauchsverdächtigen" Fälle zu den "unverdächtigen" Fällen vorgenommen werden kann, bleibt im wesentlichen verborgen, da offensichtlich nicht jede unerlaubte Ausübung einer durch Völkerrecht übertragenen Kompetenz - um den von Kiss benutzten Ausdruck zu verwenden - ein Rechtsmißbrauch sein kann. Genausowenig kann das Kriterium der Schadensverursachung zur Abgrenzung eines Rechtsmißbrauches dienen, da es sich auch hier offensichtlich um kein spezifisches Charakteristikum eines Rechtsmißbrauches handelt. Die entscheidende Frage jedoch, wann eine Rechtsausübung mißbräuchlich und daher unzulässig ist bzw. wann ein Dritter den Eintritt eines Schadens hinzunehmen hat, bleibt unbeantwortet. Diese Fragen müßten vor einer empirischen Untersuchung geklärt werden, da ansonsten dem Leser die wahren Gründe für die Auswahl dieses oder jenes Falles als mißbrauchsverdächtig im Verlaufe der Untersuchung verborgen bleiben müssen. So ermöglicht dieses Verfahren letztlich - nicht viel anders als die deduktive Methode - in allen möglichen Entscheidungen, in denen aus den unterschiedlichsten Gründen einer Partei die Ausübung eines Rechts untersagt wurde, eine Wirkung des Rechtsmißbrauches zu sehen. Begünstigt wird dieses Verfahren durch die Wahl eines so weiten Ausgangsbegriffes, daß der späteren Zuordnung dieses Begriffes zu einzelnen Fällen kaum widersprochen werden kann, oder aber die Geltung eines bestimmten Rechtsmißbrauchsbegriffes im Völkerrecht wird bereits unterstellt, auch wenn die Herkunft dieses Begriffes nicht näher 131 132

Kiss, Abus de Droit, S. 11. Kiss, Abus de Droit, S. 179.

2. Kap.: Abgrenzung des Rechtsmißbrauchsbegriffes

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geoffenbart wird. Und in der Tat verrät Kiss in seiner Zusammenfassung, daß er von einer Geltung des Rechts (Kompetenz-) Mißbrauches von vornherein ausging und, um zu seinem Ergebnis zu kommen, ausgehen mußte, da dieser Grundsatz auch für ihn ein Prinzip jeden Rechts überhaupt ist133 , das aus der Struktur des Völkerrechtssystems stammtl34 • Dieses von Kiss gefundene "Ergebnis" wird sicherlich noch dadurch begünstigt, daß er wie die französische rechtssoziologische Völkerrechtsschule die Rechte der Staaten nur als vom Völkerrecht übertragene Kompetenzen ansieht l35 • Diesem Denken mag es näher liegen, die den Staaten übertragenen Kompetenzen von vornherein als beschränkt zu betrachtenl36 • Die Schwäche der Konzeption von Kiss kann jedoch nicht allein in diesem Kompetenzdenken gesucht werden l37 • Es drängt sich vielmehr die Vermutung auf, daß Kiss diesen von ihm später "empirisch" gewonnenen Begriff bereits von vornherein seiner Untersuchung unterlegt hatte und es ihm letztlich nur darauf ankam, diesen Begriff als mit der Völkerrechtspraxis vereinbar bzw. dort geltend zu erklären l38 • Nur wenn Kiss den eigenen "gewonnenen" Begriff des Rechtsmißbrauches als systemnotwendig und unumstößlich ansieht, wird verständlich, wenn er zwar bemerkt, daß Alvarez, Rundstein und van der Molen durchaus zu anderen Ergebnissen bezüglich der Kriterien des Rechtsmißbrauchsverbotes im Völkerrecht gekommen sind l39 , aber nicht weiter der Frage nachgeht, worin diese unterschiedlichen Ansichten wohl begründet sein mögen. Kaum weniger nachvollziehbar ist die Feststellung von Kiss, das Rechtsmißbrauchsverbot sei Ausdruck des BegrifKiss, Abus de Droit, S. 190. Kiss, Abus de Droit, S. 191 - wie wenig Kiss gleichwohl schon kurze Zeit später auf die Wirkung des Rechtsmißbrauchsverbotes in einer konkreten Fragestellung zu vertrauen scheint, offenbart sich in Kiss / Lambrechts, Lutte, S.719, wo das Rechtsmißbrauchsverbot lediglich als Möglichkeit zur Regelung des Nachbarrechts diskutiert, aber letztlich nicht herangezogen wird. 135 Zu diesem Zusammenhang s. schon Roulet, Caractere, S. 53 f.; Jankovic, Interdiction, S. 7. 136 Die Schwäche dieser Auffassung insgesamt liegt bereits in dem Problem, wie eine Völkerrechtsordnung vor dem Übertragungsakt vorstellbar sein soll. Vgl. die Bemerkung von Menzel/ Ipsen, Völkerrecht, S.48, wonach die traditionelle Richtung dieser Lehre genötigt ist, letztlich auf vorgegebene Werte zurückzugreifen, während die moderne Richtung nur mit Schwierigkeiten zwischen Politik und Recht zu unterscheiden vermag. 137 Roulet, Caractere, S. 54, ist wohl zu Recht der Ansicht: "parler de competence ou de droit, importe peu, la nature du phenomene ne change pas". 138 Auf die Gefahr eines solchen "Zirkels" macht Ago, Begriff des positiven Rechts, S.292 Anm.87, aufmerksam. Auch Simma, Bemerkungen, S. 344' stellt fest, daß unter dem Modeetikett des "Inductive Approach" nur allzuoft mehr de- als induktiv gewonnene theoretische Konzeptionen an den Mann gebracht worden sind. 139 Kiss, Abus de Droit, S. 188. 133

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1. Zur Methode der Begriffsgewinnung

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fes und der Technik des Rechtes selbstl40 • Die von Kiss vorgelegte Untersuchung berechtigt jedenfalls nicht zu einer so weitreichenden Schlußfolgerung, und wenn der Autor darauf verweist, daß eine tiefere rechtsvergleichende Untersuchung der einzelnen Rechtssysteme dieses Ergebnist bestätigen könne l41 , so fehlt nicht nur diese eingehendere Untersuchung, sondern die von ihm angeführten Beispiele werfen mehr Fragen auf, als sie beantworten. Wieso können beispielsweise das "Tort Law" und der Begriff "Nuisance" als auf dem Konzept des Rechtsmißbrauches beruhend angesehen werden l42? Da die Begriffe nicht genügend geklärt sind, können solche Schlüsse kaum nachvollzogen werden. So verdienstvoll schon wegen der Fülle des Materials die Untersuchung von Kiss ist, ihr Ergebnis ist gleichwohl enttäuschend, da abgesehen von dem gewählten Ausgangspunkt des Kompetenzdenkens die Methodik nur unzureichend genannt werden kann, weil Kiss nicht erkannt hat, daß unter den gegebenen Bedingungen ein rein induktives, empirisches Vorgehen damals wie heute so ohne weiteres nicht möglich ist l43 • Noch weniger überzeugend als der Versuch von Kiss erscheinen die Bemühungen von Schwarzenberger, dem Rechtsmißbrauch im Völkerrecht einen bestimmten Platz zuzuweisen. Obwohl Schwarzenberger einer der stärksten Verfechter der induktiven Methode im Völkerrecht ist und diese auch ausdrücklich zugrunde legt l44 , krankt seine Untersuchung vor allem daran, daß er den Leser völlig im unklaren darüber läßt, von welchem Begriff des Rechtsmißbrauches er für seine Untersuchung ausgeht. Ohne auf die immerhin schon lange andauernde Diskussion um das Rechtsmißbrauchsverbot in der Völkerrechtsliteratur einzugehen, setzt er den Rechtsmißbrauch letztlich mit der willkürlichen oder unvernünftigen Ausübung von (absoluten) Rechten gleich l4s • Ganz abgesehen davon, daß diese Kriterien ähnlich vage sind wie die von Kiss genannten, erscheint es angesichts der bisherigen Diskussion um das Rechtmißbrauchsverbot mehr als fraglich, ob eine solche Reduzierung des Rechtsmißbrauchsbegriffes auf willkürliche oder unvernünfKiss, Abus de Droit, S. 189. Kiss, Abusde Droit, S. 189 Anm. 16. 142 Kritisch hierzu Roulet, Caractere, S. 32 f. 143 Wie wenig aussagekräftig dieses Verfahren ist, zeigt z. B. die gegenteilige Ansicht von Bondil, Detournement, S. 79, der nur selten in der Völkerrechtspraxis eine Anwendung des Rechtsmißbrauchsverbotes gesehen hat; auch von Schwarzenberger, International Law and Order, S. 101 f. ist die bisherige Völkerrechtspraxis als nicht sehr beweiskräftig angesehen worden. 144 Schwarzenberger, International Law and Order, S.85 (Kapitel 6 dieses Buches folgt im wesentlichen Wortlaut der früher erschienenen Abhandlung "Uses and Abuses of the Abuse of Rights"). 145 Schwarzenberger, International Law and Order, S. 100 f. 140

141

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2. Kap.: Abgrenzung des Rechtsmißbrauchsbegriffes

tige Rechtsausübung möglich und angemessen ist. Im übrigen läßt sich der von Schwarzenberger konstatierte geringe Anwendungsbereich des Rechtsrnißbrauches im Völkerrecht nur dann nachvollziehen, wenn man seinen Ausgangspunkt, daß das Rechtsmißbrauchsverbot in weiten Teilen bereits von dem jus aequum-Begriff überlagert werde, folgt l46 • 1.4.3. Zusammenfassung

Wie wenig aussagekräftig für die Geltung des Rechtsmißbrauchsverbotes die von Kiss und auch von Schwarzenberger angeblich empirisch gefundenen Ergebnisse sind, offenbart ein Vergleich der von den beiden Autoren daraus gezogenen Schlußfolgerungen: Während Kiss das Rechts(Kompetenz-)mißbrauchsverbot als allgegenwärtigen, alle Rechte (Kompetenzen) begrenzenden Grundsatz des Völkerrechtes, ja sogar des Rechtes überhaupt ansieht, sieht Schwarzenberger nur eine sehr beschränkte Möglichkeit für eine Funktion des Rechtsmißbrauchsverbotes im Völkerrecht zur Begrenzung der Rechte. Welchem dieser beiden Ergebnisse man zu folgen geneigt ist, dürfte letztlich weniger eine Frage der überzeugungskraft des aufbereiteten Materials sein, sondern ist wesentlich davon abhängig, welche Ansicht vom Rechtsmißbrauchsbegriff geteilt wird. Damit leistet diese Methode jedoch gerade das nicht, was sie zu leisten vorgibt. Hält man sich die oben geschilderte Situation der Begriffsverwirrung und -vertauschung vor Augen, wird deutlich, daß die Feststellung eines völkerrechtlichen Rechtsmißbrauchsbegriffes nach Inhalt und Umfang nicht ohne weiteres auf empirische Weise zu treffen ist. Die Einwände gegen diese Methode sind zwar nicht so grundsätzlicher Natur, doch ohne vorherige Begriffsklärung, d. h. ohne Angaben darüber, mit welchem Inhalt diese Norm nur verstanden werden kann, muß eine rein induktive Vorgehensweise scheitern. 1.5. Schlußfolgerung: Der pragmatische Mittelweg

Die Untersuchung des Rechtsmißbrauchsverbotes im heutigen Völkerrecht kann daher weder von der rein deduktiven noch von der rein induktiven Methode ausgehend zu der eigentlichen Problematik dieses behaupteteten Rechtssatzes bzw. zu der Feststellung dieses Rechtssatzes als Norm des allgemeinen Völkerrechts vorstoßen. Jeglicher Beginn der Untersuchung des Rechtsmißbrauchsverbotes im Völkerrecht mit einem irgendwie einengend verstandenen Rechtsmißbrauchsbegriff muß auf die eine oder auf dIe andere Weise willkürlich wirken und kann sich zur Begründung allenfalls auf - wie gesehen bestrittene - Autoritäten 146 Schwarzenberger, International Law and Order, S. 85 f., 99 f.; kritisch dazu Brownlie, Principles, S. 367.

1. Zur

Methode der Begriffsgewinnung

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berufen. Der am weitest gefaßte Rechtsmißbrauchsbegriff, der darin nur einen anderen Ausdruck für die "relativite des droits", die Sozialgebundenheit des Rechts oder den Satz von Treu und Glauben sieht, muß deshalb versagen, weil er praktisch auf jeden Rechtskonflikt anwendbar ist und damit keine Abgrenzung zu anderen, bereits bekannten völkerrechtlichen Normen ermöglicht. Zum anderen ist ein solch weiter Begriff inhaltsleer und deshalb nicht geeignet, den Rechtssatz vom Rechtsmißbrauch näher zu bestimmen. Es bleibt die Frage, wie die Untersuchung über den Inhalt und die Geltung des Rechtsmißbrauchsverbotes im Völkerrecht nunmehr überhaupt sinnvoll in Gang gesetzt werden kann. Solange im Völkerrecht wie in der Rechtswissenschaft überhaupt eine einheitliche Methode fehItl47 - und aufgrund der spezifischen Eigenart des Rechts vielleicht immer fehlen wird - , muß das Bewußtsein bleiben, daß mit dem methodischen Ansatz auch gewisse Ergebnisse verknüpft sind l48 . Der hier gewählte methodische Ansatz läßt sich - ohne Anspruch auf eine der herkömmlichen Klassifizierungen - kurz so skizzieren: Der Nachweis eines positiven Rechtssatzes hat sich streng an das positive Recht zu halten, wenn nicht Spekulation und Metaphysik Eingang finden sollen l49 . Im übrigen hat sich die Methode, wenn zusammenfassende Ergebnisse erzielt werden sollen, nach dem Untersuchungsgegenstand zu richten. Die Art des weiteren Vorgehens aufgrund dieser Prämissen ergibt sich aus den folgenden Überlegungen: Hauptproblem der Untersuchung bleibt nach wie vor die Frage nach dem Inhalt des Rechtsmißbrauchsverbotes, da erst bei einem konkretisierten, mit bestimmten Tatbestandsmerkmalen ausgestatteten Rechtssatz sinnvollerweise nach dessen Geltung in einer Rechtsordnung gefragt werden kann l50 . Nach147 Schüle, Methoden, S.776; ders., Völkerrechtswissenschaft, S. 1; E. Sauer, Methode, S.166; Ginther, Verantwortlichkeit, S.6; Simma, Bemerkungen, S.340. 148 Menzel, Grundprobleme, S.50; Schüle, Methoden, S.777, 780. 149 Anderer Ansicht Laun, Naturrecht, S. 30 f. 150 Auch die Erhebung eines Rechtssatzes zu einem allgemeinen Rechtsgrundsatz des Völkerrechts kann nach der hier vertretenen Ansicht nicht auf die Weise erfolgen, daß erst danach die Festlegung der Modalitäten im einzelnen erfolgt (so aber Schüle, Rechtsrnißbrauch, S. 71), weil die Erhebung eines Rechtssatzes zu einem Völkerrechtssatz ohne Kenntnis dieser Modalitäten nur schwer vorstellbar ist. Als Beispiel für die letztlich wirkungslose Erhebung des Rechtsmißbrauchsverbotes zu einem allgemeinen Rechtssatz, wenn nicht die Modalitäten im einzelnen festliegen, mag die Bemerkung von Kiss / Lambrechts in einer Studie zur Wasserverschmutzung dienen (Kiss / Lambrechts, Lutte, S. 719 f., 735), wonach das Rechtsmißbrauchsverbot nicht als eine Regel zur Bekämpfung der Verschrnutzung angesehen werden könne, da man präzisere Regeln finden müsse. Entgegen dem von Kiss in seiner Studie über den abus de droit gezogenen Schluß, bei dem Rechtsmißbrauchsverbot handele es sich um ein allgemeingültiges VÖlkerrechtsprinzip, liegt es näher, den Normcharakter dieses Rechtssatzes zu bestreiten, wenn mangels

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2. Kap.: Abgrenzung des Rechtsmißbrauchsbegriffes

dem aber bei der herrschenden, oben dargestellten Begriffsverwirrung ein einheitlicher Begriff des Rechtsmißbrauches weder prima facie noch aufgrund rein theoretischer überlegungen gewonnen werden kann, bleibt als Lösungsmöglichkeit nur der Versuch, die gemeinsame Wurzel aller bisherigen Bemühungen zu suchen. Die Erörterungen über den Rechtsmißbrauch im Völkerrecht sind immerhin - mehr oder minder intensiv - bereits über ein halbes Jahrhundert alt. Es liegt demnach näher, auf diese Stellungnahmen zurückzugreifen, anstatt durch "Wesensschau"l5l, deduktive Ableitungen oder ähnliche Methoden eine Vorstellung von einem "richtigen" Begriff des Rechtsmißbrauches zu entwickeln. Außerdem liegen aus verschiedenen nationalen Rechtsordnungen hinreichend Beiträge zum Rechtsmißbrauch vor, auf die, da es sich um keinen genuin völkerrechtlichen Begriff handelt, zurückgegriffen werden kann. Bei der gesuchten vorläufigen Abgrenzung des Rechtsmißbrauchsverbotes als einer Arbeitshypothese für die spätere empirische Untersuchung soll somit das gemeinsame Maximum aus der bisherigen Diskussion gefunden werden. Unabhängig von Ausgangspunkt oder Standort der bisherigen Theorien oder auch nur Erwähnungen in der völkerrechtlichen Literatur und Praxis soll zunächst untersucht werden, wo der grundsätzlich allgemein akzeptierte Ausgangspunkt der Erörterungen über das Rechtsmißbrauchsverbot überhaupt liegt, um aufzuzeigen, wo und mit welchem möglichen Inhalt diese Norm im Völkerrecht überhaupt nur gesucht werden kann. Dazu bedarf es selbstverständlich einer gewissen Abgrenzung zumindest zu gewissen ähnlichen Rechtsinstituten, wenn nicht tatsächlich deren Identität mit dem Rechtsmißbrauchsverbot das Ergebnis ist - womit dann das Problem des Rechtsmißbrauches als eigenständige Problematik aufhörte zu existieren und nur zu einem Synonym oder Beispielsfall für andere bereits im Völkerrecht geltende Rechtssätze wie z. B. dem Estoppel-Grundsatz oder der Verwirkung würde. 2. Tatbestandsmerkmale des Rechtsmißbrauchsverbotes 2.1. Grundgedanken

Unstreitig hat der Mißbrauchsgedanke und dessen Ausformung zu dem Rechtsinstitut des Rechtsmißbrauchsverbotes seinen Ursprung nicht im Völkerrecht, sondern in den nationalen Rechtsordnungen und hier präziser Regelungen konkrete Anwendungsmöglichkeiten nicht benannt werden können. 151 Siehe z. B. SchindIer, Rechtsrnißbrauch, S. 54 f. oder auch den Titel von Siebert, Vom Wesen des Rechtsrnißbrauches.

2. Tatbestandsmerkmale des Rechtsmißbrauchsverbotes

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insbesondere in der französischen, deutschen und schweizerischen Zivilrechtslehre. Ausgangspunkt aller dieser Bemühungen um die Formulierung eines Rechtsmißbrauchsverbotes war der Grundgedanke, daß die privaten Rechte des einzelnen nicht uneingeschränkt ausgeübt werden können, sondern ihrer Ausübung generell Grenzen gesetzt sein müsen. Insbesondere zielten diese überlegungen gegen die liberalistische These von der Unbeschränktheit der subjektiven, insbesondere der sogenannten absoluten Rechte, wie sie z. B. in der Formulierung des § 903 BGB ihren Ausdruck gefunden hat, und womit sich die Vorstellung einer generellen Beschränkung dieser Rechte nur schwerlich vertrug. Mit der zunehmenden Verengung der Freiräume, vor allem der wirtschaftlich Tätigen, durch Bevölkerungsexplosion und Expansion der wirtschaftlichen Beziehungen sowie auch mit dem Vordringen von sozialeren Rechtsgedanken mußte die Unhaltbarkeit der Theorie der sogenannten absoluten Rechte, deren Ausübung keiner Beschränkung unterliegen sollte, offenbar werden lS2 , und es ist bezeichnend, daß die Theorie vom Rechtsmißbrauchsverbot sich in der Praxis vor allen anderen Individualrechten zuerst bei dem "absolutesten" Herrschaftsrecht des Wirtschaftsliberalismus, nämlich dem Eigentum, herausgebildet hat153 • Ungeachtet der verschiedenen Ausprägungen des Rechtsmißbrauchsverbotes in der Folgezeit bleibt als gemeinsame Basis aller Theorien vom Rechtsmißbrauchsverbot das Bemühen, die Ausübung der grundsätzlich als unbeschränkt erachteten subjektiven Rechte generell zu begrenzeni54 • Dabei soll an dieser Stelle nicht unterstellt werden, daß es sich bei dem Rechtsmißbrauchsverbot um die einzige Möglichkeit handelt, die Ausübung von subjektiven Rechten zu beschränken, noch daß gar der soziale Charakter einer Rechtsordnung an einer mehr oder weniger starken Ausprägung des Rechtsmißbrauchsverbotes gemessen werden könnte, da schließlich jede Rechtsordnung zwar Auswüchse zu verhindern suchen wird, sich hierbei aber möglicherweise verschiedener rechtlicher Möglichkeiten bedientISS. Nachdem auch in weiten Bereichen des Völkerrechts die Auffassung von der Absolutheit der Rechte - im Sinne ihrer Unbeschränktheit nach Beendigung des Ersten Weltkrieges mehr und mehr aufgegeben worden ist, war es verständlich, daß auch im Völkerrecht - bzw. von den Völkerrechtslehrern - nach Rechtstechniken Ausschau gehalten wurde, die geeignet waren, einer Beschränkung der Rechte der einFür viele Weill / Terre, Les Obligations, Introduction, S. 86 f. Campion, Exercise, S. 30 (s. auch die von Campion angeführten Entscheidungen der französischen Gerichte, S. 31 f.); Siebert, Wesen, S.195; Page, Droit Civil, S. 148. 154 Vgl. für viele v. Staudinger / Weber, S.749; Siebert, Wesen, S. 200 f. 155 Roulet, Caractere, S.82. 152 153

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2. Kap.: Abgrenzung des Rechtsmißbrauchsbegriffes

zeInen Völkerrechtssubjekte generell Ausdruck zu verleihen. Da zumindest in einigen nationalen Rechtsordnungen der unbeschränkten Ausübung der früher als absolut gesehenen subjektiven Rechte mit Hilfe der Generalklausel vom Rechtsmißbrauchsverbot begegnet wurde, lag der Versuch nahe, dieses Rechtsinstitut auch für das Völkerrecht fruchtbar zu machen. Auf diesen gemeinsamen Grundgedanken aufbauend, daß es sich sowohl in den internen Rechtsordnungen als auch im Völkerrecht bei der Rechtsmißbrauchsdiskussion um Fragen der Grenzen der Ausübung subjektiver Rechte handelt, lassen sich für eine begriffliche vorläufige Abgrenzung eines möglichen Rechtsrnißbrauches im Völkerrecht bereits einige Folgerungen ziehen. 2.2. Die Ausübung eines Rechts

2.2.1. Das subjektive Recht als Tatbestandsmerkmal

Aus all diesen Bemühungen kann als erstes gesichertes Kriterium des Rechtsrnißbrauches das Vorhandensein eines subjektiven Rechts herausgestellt werden, dessen Ausübung durch dieses Verbot untersagt sein SOIlI56. Damit ist die Anerkennung eines Rechtsrnißbrauches überhaupt notwendig verbunden mit der Anerkennung von subjektiven Rechten im Recht und auch im Völkerrecht. Nur dann, wenn ein Völkerrechtssubjekt sich bei seinen Handlungen auf das Bestehen eines subjektiven Rechts beruft, kann der Vorwurf greifen, die Ausübung dieses Rechts sei wegen eines angeblichen Mißbrauches eben dieses Rechtes unzulässig. Grundsätzlich erscheint dabei der Mißbrauch einer jeden völkerrechtlichen subjektiven Rechtsposition denkbar, gleich auf welchem Geltungsgrund sie beruht1S7 • Andererseits ist bei Ansprüchen ohne Rechtsgrundlage ein Rechtsrnißbrauch ebenso ausgeschlossenl 58 wie bei Handlungen, die aus einer Pflicht zur Rechtsausübung resultieren l59. Ebensowenig kann es ein Fall des Rechtsrnißbrauches sein, wenn nur der Schein der Existenz eines Rechtes erweckt wird, da hierdurch allein die Existenz des Rechtes nicht bewirkt wird und ein Handeln unter Berufung auf einen so geweckten Rechtsschein keine Rechtsausübung darstellt l60 . 156 Für viele Houlet, Caractere, S.57; Iluyomade, Abuse of Hight, S.73 f.; Soergel/ Siebert / Mormann, S.983; v. Staudinger / Weber, S.748; Schüle, Hechtsmißbrauch, S. 70. 157 Anderer Ansicht Schwarzenberger, International Law and Order, S. 85 f., 99 f., der den Hechtsmißbrauch aus wichtigen völkerrechtlichen Bereichen eliminieren will. 158 v. Staudinger.j Weber, S.753. 159 Soergel / Siebert / Mormann, S. 984.

2. Tatbestandsmerkmale des Rechtsmißbrauchsverbotes

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2.2.2. Abgrenzungen 2.2.2.1. Rechtsmißbrauch und Courtoisie bzw. Billigkeit Aus dem Erfordernis des Vorliegens eines subjektiven Rechtes ergibt sich, daß die Regeln der internationalen Courtoisie (oder der sogenannten Völkermoral) außer Betracht bleiben müssen, da die Regeln der internationalen Courtoisie keinen Rechtscharakter haben l61 , und dementsprechend eine irgend wie geartete Ausübung der Regeln der Courtoisie kein Rechtsmißbrauch bedeuten kann l62 • Schließlich kann es sich beim Rechtsmißbrauchsverbot auch nicht um einen Billigkeitsgrundsatz handeln l63 • Die Berufung eines Staates auf die Billigkeit verleiht diesem keine Rechtsposition und die Beurteilung der Frage, ob eine Handlung die Grenzen des gebotenen Billigkeitsstandards überschreitet, ist allenfalls ein moralisches, das Recht übersteigendes Problem. Die Ansicht, das Rechtsmißbrauchsverbot sei - zumindest auch - ein Gebot der Billigkeit und könne dementsprechend gemäß Artikel 38 Abs.2 des Statuts IGH Eingang in das Völkerrecht finden, ist zwar verschiedentlich vertreten wordenl64 , ist hier aber schon deshalb nicht weiterer Gegenstand der Untersuchung, weil gerade die rechtliche Geltung des Rechtsmißbrauchsverbotes im allgemeinen Völkerrecht geprüft werden soll, die Berufung auf Billigkeitsstandards den normativen Bereich des Völkerrechts aber verläßt l6S • 160 So im Ergebnis auch Schindler, S. 52 f., wobei es allerdings eines Rückgriffs auf die von ihm so genannte Rechtsheuchelei nicht bedurft hätte, da die Fälle der bewußten Täuschung ohnehin im Völkerrecht unzulässig sind (Dahm, Völkerrecht 111, S.34) und bei unbewußter Berufung auf den Rechtsschein die Irrtumsregeln eingreifen (Dahm, Völkerrecht 111, S. 35 f.; Menzel / Ipsen, Völkerrecht, S. 326). - Ähnlich liegt der Fall bei der Behauptung, der Mißbrauch der Rechtsform sei ein Unterfall des Rechtsmißbrauches (Voss, Rechtsmißbrauch, S.48, 68). Das Problem des Rechtsmißbrauches kommt hier nicht zum Tragen, weil die Existenz eines wirksamen Rechts überhaupt bestritten wird, da nur die Form des Rechts bestehe (Soergel/ Siebert / Mormann, S. 983). 161 Berber, Völkerrecht I, S. 73 f.; Kimminich, Einführung, S. 162; Verdross, Quellen, S. 108, 116. 162 Kiss, Abus de Droit, S. 51, 191; Roulet, Caractere, S. 132. 163 So auch Kiss, Abus de Droit, S. 192. 164 Schlochauer, Theorie, S. 394; Degan, Equite, S. 57. 165 So auch Kiss, Abus de Droit, S. 192; Jankovic, Interdiction, S. 12; Roulet, Caractere, S. 129 ff. (mit der Einschränkung, daß der Rechtsmißbrauch als eine Folge der Idee der equite betrachtet werden müsse, solange der Rechtsmißbrauch nicht - wovon Roulet ausgeht - als obligatorische Rechtsnorm anerkannt sei, S. 130). Die, von moralischer Warte aus gesehen, durchaus vorhandene Ähnlichkeit der dem Rechtsmißbrauchsverbot zugeschriebenen Funktion als materialer Gerechtigkeitsklausel mit der der Billigkeit ebenfalls zugeschriebenen glei-

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2.2.2.2. Abus de droit und abus des droits Zur KlarsteIlung sei an dieser Stelle noch kurz auf die im Französischen unterschiedliche Terminologie von abus de droit, abus des droits und abus du droit hingewiesen. Die Bedeutung des Wortes droit ist in der französischen Sprache ebenso doppelsinnig wie in der deutschen Sprache der Begriff Recht: Es kann einmal das Recht im objektiven Sinne gemeint sein, wobei noch unterschieden werden kann zwischen der Anerkennung der Gesamtheit der Regeln des positiven Rechts oder dem Recht im Sinne von Gerechtigkeit bzw. dem richtigen Recht, also einer metaphysischen Kategorie. Zum andern kann Recht auch das individuelle subjektive Recht des Einzelnen im Sinne von Anspruch meinenl66 • Welche Bedeutung dem Sprachgebrauch jeweils zugrunde zu legen ist, läßt sich nur aus dem Zusammenhang erschließen. Wenn der Rechtsmißbrauch oder abus de droit im Zusammenhang mit der Ausübung von Rechten entstanden und auch verstanden worden ist, dann kann hier das Recht im objektiven Sinne nicht gemeint sein. Es gäbe auch keinen Sinn, vom Mißbrauch des Rechts im objektiven Sinne, sei es im Sinne der Gerechtigkeit oder der positiven Rechtsordnung, zu reden. Denn ungeachtet der dabei auftretenden Erkenntnisschwierigkeiten kann ein Verstoß gegen die Rechtsordnung oder auch die Gerechtigkeit nur anhand der Pflichtverletzung einzelner Vorschriften geprüft werden. Recht im objektiven Sinne ist nur die Gesamtheit aller Einzelregelungen, und nur diese letzteren können mißbraucht werden. Ob ein solcher Mißbrauch vorliegt, kann aber nur festgestellt werden anhand einer anderen Rechtsregel innerhalb des gleichen Rechtssystems und nicht anhand einer Regel, die die Rechtmäßigkeit von Handlungen nach der "Gerechtigkeit" zu überprüfen beansprucht. Eine Regel, die Maßstab für den etwaigen Mißbrauch des objektiven Rechts zu sein behauptet, kann daher gar nicht mehr Teil dieser das objektive Recht bildenden Rechtsordnung sein. Soweit das Wort Recht im Begriff Rechtsmißbrauch im objektiven Sinne verstanden worden ist oder verstanden werden könnte, findet eine solche Auffassung ihre Berechtigung weder in der Entwicklungsgeschichte des Rechtsmißbrauches, noch ließe sich damit eine chen Funktion (vgl. hierzu Page, Droit CiviI, S. 150; Dabin, Droit Subjectif, S. 293 f.; Ripert, Regles, S.179; Siorat, Lacunes, S. 304 ff., 395 ff.; Roulet, Caractere, S. 128 ff.) hat wohl überhaupt erst solche Vorstellungen wecken können. Die Ähnlichkeit der Funktion soll hier nicht geleugnet werden, sie kann aber nicht über den unterschiedlichen Normgehalt hinwegtäuschen. Zum Unterschied von Billigkeitsstandards der Herkunft und dem Normgehalt nach im Privatrecht und der Funktion der Billigkeit zur Auflösung des Strengrechts vgl. Esser, Wandlungen, S.28 bzw. 35 f. - Die geringe Bedeutung der Billigkeit in der Rechtsprechung des Internationalen Gerichtshofes mag durchaus symptomatisch sein für ein Völkerrecht, das es sich noch nicht leisten kann, etwas anderes als ein "Strengrecht" im Esserschen Sinne zu sein. 166 Josserand, Esprit des Droits, S.333; Roulet, Caractere, S.40.

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Rechtsregel überhaupt konstituieren. Um der Klarheit willen wäre es wohl besser gewesen, man hätte sich im Französischen immer des Ausdrucks abus de droits bedientl67 , um klarzustellen, daß nur der Mißbrauch einzelner subjektiver Rechte gemeint sein kann. Unglücklicherweise hat sich im Französischen der Ausdruck abus de droit allgemein eingebürgertl68 • Soweit von einer Theorie oder Doktrin die Rede ist, wäre es sicher besser, von der Theorie des abus des droits zu sprechenl69 • Da es wenig Sinn hat,. eine eingebürgerte Terminologie ändern zu wollen, soll in der Folge für die französische Terminologie der Begriff abus de droit gebraucht werden. Gleichermaßen sollte für den englischen Sprachgebrauch der Begriff abuse oder misuse of law endgültig vermieden werden, da law jedenfalls nie das subjektive Recht bedeutet. Dieses wird im englischen Sprachgebrauch mit right bezeichnetl70• Inzwischen scheint der englische Sprachgebrauch nur noch zwischen der Benutzung der Singularform abuse of right und der Pluralform abuse of rights zu schwankenl71 • Analog dem Sprachgebrauch im französischen Recht sollte auch in der englischen Sprache der Singularform der Vorzug gegeben werden, was hier um so leichter fällt, als right ohnehin nur eine subjektive Rechtsposition meinen kann und damit das im deutschen und französischen Sprachgebrauch mögliche Mißverständnis ohnehin ausgeschlossen ist172• 2.2.2.3. Rechtsmißbrauch und Ermessensmißbrauch Wenn das Rechtsmißbrauchsverbot seinem Ursprung nach ein Problem der Ausübung subjektiver Rechte ist, so erhebt sich hier bereits die Frage, inwieweit die Gleich-, Unter- oder überordnung des Rechtsmißbrauchsbegriffes mit Begriffen wie Ermessensmißbrauch, Machtmißbrauch, exces de pouvoir, detournement de pouvoir, abuse of power usw.173 möglich oder sinnvoll ist, da jedenfalls im deutschen und fran167 Vgl. z. B. die Titel der Abhandlungen von Josserand (Esprit des Droits) und Politis (Probleme). 168 Vgl. die Titel bei Roulet (Caractere), Kiss (Abus de Droit), Trifu (Abus de Droit); weiter auch bei Siorat, Lacunes. S. 295 f., 394 f., 416 f.; Bondil. Detournement. S.77 f.; Berber, Rechtsquellen. S.138; z. T. werden aber beide Formen wohl auch synonym benutzt: z. B. Jankovic, Interdiction, S. 5. 169 So auch Amiaud, Abus de Droit. S.777; Ripert, Regles, S. 160. 170 Vgl. Weißenstein, Rechtswörterbuch, S.100; Roulet, Caractere. S.40. 171 Für die Singularform z. B. Iluyomade. Abuse of Right, S. 47 f.; weit überwiegend wird jedoch die Pluralform benutzt: s. z. B. Schwarzenberger, International Law and Order, S.84ff.; Fitzmaurice, Law and Procedure, 1950, S. 12 f. und 1959, S. 207 f.; Friedmann, Uses. S. 288; Lauterpacht. Development. S. 162; O'Sullivan, Abuse of Rights. S. 61 ff.; mit schwankendem Sprachgebrauch: s. z. B. Taylor, Abuse of Rights, S. 323 f.; Cheng. General Principles. S. 121; Verzijl. International Law I. S. 316. 172 Roulet. Caractere. S.40. 173 Siehe die übersicht oben 2. Kap. 1.2.1.

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zösischen Recht herkömmlicherweise zwischen dem zivilrechtlichen Rechtsmißbrauchsverbot und dem öffentlich-rechtlichen Ermessensmißbrauchsverbot unterschieden wird. Zur Beantwortung dieser Frage erscheint ebenfalls ein, wenn auch kursorischer, Rückblick auf die Herkunft und ursprüngliche systematische Einordnung solcher Begriffe wie Ermessensmißbrauch, exces de pouvoir oder detournement de pouvoir angebracht. Während das Rechtsmißbrauchsverbot traditionsgemäß als eine Rechtsfigur im - koordinationsrechtlichen - Bereich des Zivilrechts angesehen wurde und wird, hat der Begriff Ermessensmißbrauch erst mit der im Laufe des letzten Jahrhunderts zunehmend herausgebildeten Verwaltungsrechtswissenschaft Eingang in die verschiedenen Rechtsordnungen gefunden. Wie schon beim Rechtsmißbrauchsverbot war es wieder die französische Rechtsprechung und Rechtswissenschaft, der hier ein führender Anteil an der Herausbildung einer modernen Verwaltungsrechtswissenschaft zukommt l74 • Hintergrund dieser Entwicklung ist die Erkenntnis, daß die zivil rechtlichen subjektiven Rechte einzelner und die sich daraus ergebenden Rechtsverhältnisse der einzelnen Rechtssubjekte untereinander einen anderen Charakter haben als das Verhältnis zwischen Staat und Bürger. Voraussetzung dieser Entwicklung war wiederum, daß der Staat nicht mehr als ein Herrschaftsinstrument einzelner oder einer bestimmten Machtgruppe betrachtet wurde, sondern als der Sachwalter der Interessen aller, und der Staat nur durch die Bestellung einzelner Organe als Träger der öffentlichen Gewalt tätig werden konnte. Danach bestehen im sogenannten öffentlichen Recht die Rechtskonflikte vorwiegend nicht mehr in den Unvereinbarkeiten der gleichen Rechte privater Rechtssubjekte, sondern in einem Konflikt zwischen öffentlichen und privaten Interessen17S• Im Rahmen des vergleichsweise neuen rechtswissenschaftlichen Zweiges des Verwaltungsrechtes wurde in Frankreich die Lehre vom exces de pouvoir entwickelt, wobei pouvoir eine irgendwie geartete (hoheitliche) Handlungsrnacht bezeichnet. Als einer der Anfechtungsgründe des exces de pouvoir eröffnete die Beschwerde des detournement de pouvoir den Zugang zu einem Gericht wegen fehlerhaften Verwaltungshandelns176 • Wenn auch heute von exces de pouvoir und detournement de 174 De Laubadere, Traite, S.28; zur Geschichte der französischen Verwaltungsgerichtsbarkeit vgl. Becker, Einfluß, S. 7 f.; eine kurze Einführung bringt auch Constantinesco / Hübner, Einführung, S. 51 f., 82 f. 175 Auf die Einzelheiten zum Begriff der öffentlichen Verwaltung kann und braucht hier nicht eingegangen zu werden. Zum heutigen Begriff vgl. v. Münch, Verwaltung und Verwaltungsrecht, S. 1 ff. mit weiteren Hinweisen; Wolft / Bachof, Verwaltungsrecht I, S. 97 f. 176 Zur Geschichte und heutigen Bedeutung des detournement de pouvoir vgl. Laun, Bemerkungen, S. 129 ff. mit weiteren Hinweisen; de Laubadere,

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pouvoir nur noch im Zusammenhang mit Verwaltungshandeln (von Hoheitsträgern) die Rede ist, so ist diese Trennung zwischen dem zivilrechtlichen abus de droit und den Fällen des exces de pouvoir nicht immer so deutlich gesehen worden, und von der französischen Lehre wurden immer wieder Verbindungslinien zwischen diesen beiden Rechtsinstituten gezogen177• So wurde vor allem VOn den Autoren, die als Kriterium sowohl des abus de droit als auch des detournement de pouvoir die formale Ausnützung einer Rechtsstellung umfaßt sahen, die Identität oder Ähnlichkeit der beiden Rechtsinstitute behauptet178 • Leider hat die oft überstarke Betonung der Ähnlichkeit des abus de droit mit dem detournement de pouvoir l79 dazu geführt, daß häufig genug der unterschiedliche Standort der beiden Rechtsinstitute im französischen Rechtssystem, nämlich des abus de droit als einer Erscheinung des (koordinationsrechtlichen) Zivilrechtes und des exces de pouvoir bzw. dessen Unterfall, der detournement de pouvoir, als einer typischen Figur des Verwaltungs rechts , übersehen wurdeIBO. Die Entwicklung im deutschen Recht verlief in dieser Hinsicht durchaus ähnlich. Innerhalb des sich - in zeitlichem Abstand zur französischen Verwaltungsrechtswissenschaft und auch durchaus durch diese beeinflußt l81 - ausformenden Verwaltungsrechtszweiges bedurfte es einer Lehre vom fehlerhaften Verwaltungshandeln. Im Zuge dieser hauptsächlich von Rechtsprechung und Lehre getragenen Entwicklung konnte nicht ausbleiben, daß die Terminologie zunächst noch schwankend war und zur näheren Kennzeichnung VOn möglichen Fehlern im Verwaltungshandeln Begriffe wie Ermessensmißbrauch, Machtmißbrauch, Ermessensüberschreitung, Kompetenzüberschreitung und andere eingeführt, diskutiert und zum Teil wieder verworfen wurden, bis sich eine einigermaßen einheitliche Terminologe herausgebildet hat. Es erübrigt sich, auf diese Diskussionen um die Abgrenzungen der einzelnen Begriffe einzugehen l82 ; es kommt hier nur darauf an festzuhalten, Traite, S.475; Bondil, Detournement, S. 14 f.; Clever, Ermessensmißbrauch, S. 18 f.; Dendias, Contribution, S. 95 f. Zum heutigen Begriff des detournement de pouvoir vgl. Becker, Einfluß, S. 32 ff.; Börner, Entscheidungen, S. 163 ff.; Constantinesco / Hübner, Einführung, S.88; Clever, Ermessensmißbrauch, S. 97 f. 177 Vgl. Chapus, Responsabilite, S. 381 mit weiteren Hinweisen. 178 Josserand, Esprit des Droits, S. 259 f., 394 f.; Bondil, Detournement, S.9; vgl. auch schon Politis, Probleme, S. 85. 179 Vgl. Campion, Exercise, S. 197 f.; Dendias, Contribution, S.96; Planiol/ Ripert, Traite 11, S. 340 Anm. 1. 180 Dieser Unterschied wurde allerdings bereits von Josserand, Esprit de Droits, S.262 gesehen; ebenso Roulet, Caractere, S.43; Roubier, Droits Subjectifs, S. 330 f. 181 Becker, Einfluß, S. 10 f. 182 Vgl. hierzu Börner, Entscheidungen, S. 166 f.

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daß auch in Deutschland zwischen dem zivilrechtlichen Rechtsmißbrauch und den verwaltungsrechtlichen Begriffen des fehlerhaften VerwaltungshandeIns, insbesondere dem Erm€ssensmißbrauch, unterschieden wird. Der maßgebliche Unterschied zwischen diesen beiden Mißbrauchstatbeständen liegt demnach nicht erst in den einzelnen Tatbestandsmerkmalenl83 , sondern bereits in der Verschiedenheit des jeweiligen Anwendungsbereiches. Schlagwortartig läßt sich dies wie folgt zusammenfassen: Das Rechtsmißbrauchsverbot hat seinen Platz im Koordinationsrecht, der Ermessensmißbrauch im Subordinationsrechtl84 • Dabei soll nicht verkannt werden, daß nach neuerer Auffassung diese Kennz€ichnung des Verwaltungsrechts als ein Subordinationsrecht nur unzulänglich ist l85 • Für den hier verfolgten Zweck mag diese Kennzeichnung aber ausreichen, um den unterschi€dlichen Charakter der hoheitlichen bzw. Verwaltungstätigkeit im Vergleich zu der Ausübung der subjektiven Rechte im Privatrecht zu verdeutlichen. Das sogenannte öffentliche Interesse kann nicht wie ein privates Rechtssubjekt von sich aus rechtlich tätig werden, sondern bedarf hierzu der verschiedensten Organe. Aus der Notwendigkeit, Organe zu bestellen, ergibt sich das Erfordernis, den Tätigkeitsumfang der Organe nach dem jeweiligen Zweck zu umgrenzen und auf die Einhaltung dieser Grenzen zu achten. Die b€stellten Organe haben somit nur die Befugnis, im Rahmen der ihnen übertragenen Aufgaben tätig zu werden und können ihre Tätigkeit nicht völlig frei oder im eigenen Interesse ausüben, sondern müssen sich auf die Verfolgung der öffentlichen Zwecke beschränkenl86 • Da sich für ein mißbräuchliches rechtliches Handeln im Privatrecht der Begriff Rechtsmißbrauch durchgesetzt hat und für Mißbräuche im Verwaltungsrechtsbereich die Begriffsgruppen Ermessensmißbrauch, Machtmißbrauch bzw. detournement de pouvoir und exces de pouvoir geläufig sind, sollte von dieser Unterscheidung nicht ohne Not abgegangen werden, damit deutlich zum Ausdruck gebracht wird, daß das Handeln eines Verwaltungsträgers oder hoheitlichen Organs nicht mit der Rechtsausübung eines Privatrechtssubjektes vergleichbar ist. Fraglich bleibt, ob diese Unterscheidung auch für das Völkerrecht zum Zwecke einer weiteren Begriffserklärung und -abgrenzung möglich und sinnvoll ist, so daß aus der weiteren Untersuchung alle diejenigen Fälle ausgeschieden werden können, in denen es sich in obigem Sinne um ein Handeln von Organen, vergleichbar den innerstaatlichen 183

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80 aber Bondil, Detournement, 8.77 f. Roulet, Caractere, 8.43, 54. Vgl. Wolff / Bachof, Verwaltungs recht I, 8.99. Wolff / Bachof, Verwaltungsrecht I, 8.167, 172 f.

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Trägern der Verwaltung, handeJt187. Die Antwort hierauf ist letztlich davon abhängig, ob auch im Völkerrecht sinnvoller Weise ein koordinationsrechtlicher und ein subordinationsrechtlicher Bereich, analog dem innerstaatlichen Recht, unterschieden werden kann. Sollte dies nicht möglich sein, müßte auf die Einführung der Mißbrauchstatbestände des innerstaatlichen Subordinationsrechts für das Völkerrecht entweder ganz verzichtet werden oder aber die Terminologiewahl wäre tatsächlich nur eine Geschmackssache, soweit die Tatbestandsmerkmale der einzelnen Mißbrauchstatbestände sich als identisch erweisen würden. Die Antwort auf die hier gestellte Frage liegt keineswegs so offen zutage, wie es dem kontinentaleuropäischen Völkerrechtler, insbesondere aus dem französischen und deutschen Rechtskreis, scheinen mag. Denn wie schon oben bemerkt, ist das Bewußtsein, daß Privat- und öffentliches Recht zu unterscheiden seien und die Tätigkeit öffentlicher Organe zum Teil nach anderen Regeln zu beurteilen sei als die Tätigkeit der privaten Rechtssubjekte, relativ neuen Datums und keineswegs bereits in dieser Deutlichkeit in allen Ländern und in voller Konsequenz vorhanden. Die Entwicklung und Stellung des Verwaltungsrechtes in den einzelnen Ländern läßt diese Unterscheidung auch keineswegs notwendig erscheinenl88 . So steht in England und in den USA beispielsweise die Ausformung der Verwaltungsrechtswissenschaft zu einem eigenen rechtswissenschaftlichen Zweig erst am Anfang l89 , während die Verwaltungsrechtslehre in den sozialistischen Staaten aufgrund der grundsätzlich anderen Auffassung von Staat und Gesellschaft mit der kontinentaleuropäischen Verwaltungsrechtslehre ohnehin nur bedingt vergleichbar erscheintl90. 187 Jankovic, Interdiction, 8.10 stellt schon diese Frage, beantwortet sie aber letztlich nicht. 188 Wenn Radbruch, Rechtsphilosophie, 8.224 hierbei von apriorischen Rechtsbegriffen spricht, hilft dies nicht weiter, da er selbst sogleich betont, daß dieser Unterschied nicht immer erkannt worden sei. 189 Zur Bedeutung des Verwaltungsrechts in England vgl. RiedeI, Kontrolle, S.22, 278; Loewenstein, Staatsrecht II, S. 72 f., 96 f.; David, Droit Anglais, S. 37 f.; Phillips, Administrative Law, S. 13 f. Zum Verwaltungsrecht in den USA vgl. Loewenstein, Verfassungsrecht, S.464 f.; Fraenkel, Regierungssystem, 8.198, 200 f.; Davis, Administrative Law, 8.2. 190 Zur Stellung der Verwaltungsrechtslehre in den sozialistischen Rechtssystemen s. Brunner, Einführung, 8.37, 92 f.; Langrod, Verwaltungsrecht, S. 293 f.; David, Grands Systemes, 8.294; - zur Geschichte des Verwaltungsrechts in der UdSSR s. insbesondere Meder, Sowjetrecht, 8.213 f., 360 f., 522 f.; zur unterschiedlichen Konzeption aus sozialistischer Sicht vgl. 8tudenikin u. a., Verwaltungsrecht, S. 21 ff.; Bönninger u. a., Verwaltungsrecht, 8. 15 f., 39; zur neuesten Entwicklung, die wieder eine Annäherung an die traditionelle westliche Lehre zu bringen scheint, Autorenkollektiv, Verwaltungsrecht, 8.42 f.

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Es liegt auf der Hand, daß Völkerrechtlern, die aus diesen Rechtskreisen stammen, die oben getroffene Unterscheidung zwischen Koordinationsrecht und Subordinationsrecht nicht ohne weiteres geläufig ist, da ihnen hierzu eine eigene Anschauung fehlt. Gleichwohl kann das Völkerrecht als die Rechtsordnung der Staaten durchaus mit dem (koordinationsrechtlichen) Zivilrecht im deutschen oder französischen Sinne verglichen werden. Die Staaten operieren in ihren internationalen Beziehungen auf der Basis der Gleichberechtigung und sind berechtigt, die ihnen nach dem Völkerrecht zustehenden Rechte eigennützig und je nach Wahl ihrer eigenen Interessen zu verfolgen. Das Völkerrecht wird daher zumeist - insoweit zu Recht - als ein Koordinationsrecht verstanden l91 • Für eine mögliche Abgrenzung der Begriffe Rechtsmißbrauch und Ermessenmißbrauch kommt es somit darauf an, ob nach heutigem Verständnis auch im Völkerrecht subordinationsrechtliche Bereiche im obigen Sinne vorhanden sind oder sich abzeichnen. Wenn es auch mangels einer dem staatlichen Hoheitsträger vergleichbaren Zentralinstanz naheliegt, das Völkerrecht ausschließlich - soweit die Differenzierung überhaupt vorgenommen wird - als Koordinationsrecht zu bezeichnen, so ist doch vereinzelt angesichts der Entwicklung des internationalen Organisationsrechts bereits von einem Völkerverwaltungsrecht oder einem völkerrechtlichen Verwaltungsrecht gesprochen worden l92 • Sicherlich fehlt dem Völkerrecht eine übertragung hoheitlicher Befugnis zur Wahrung der öffentlichen Interessen auf eine Zentralgewalt, dennoch erscheint es nach dem heutigen Stand in einigen 191 Vgl. für viele Leibholz, Verbot der Willkür, S. 10; Cheng, General Principles, S.251; Roulet, Caractere, S.54; Berber, Völkerrecht I, S. 16 f. (der von dem genossenschaftlichen Charakter des Völkerrechts spricht, was dasselbe meint); Weber / v. Wedel, Völkerrecht, S.22; Mössner, Einführung, S.4 f.; anderer Ansicht Bondil, Detournement, S.9 f.; einschränkend v. d. Heydte, Völkerrecht I, S.21. Auf die unterschiedlichen Theorien hierzu kann im einzelnen nicht eingegangen werden, da diese letztlich in den unterschiedlichen Anschauungen über den Geltungsgrund des Völkerrechts beruhen. 192 E. Sauer, Grundlehre, S. 148 f. Um Verwechslungen mit dem Internationalen Verwaltungsrecht zu verhindern, sollte der Ausdruck völkerrechtliches Verwaltungsrecht gewählt und beibehalten werden; einmal um klarzustellen, daß es sich bei den Regeln des internen Rechtes der Internationalen Organisationen um Völkerrecht handelt, und um zum anderen den unschönen Ausdruck vom Völkerverwaltungsrecht zu vermeiden. Zur Frage der Rechtsnatur des internen Organisationsrechtes als Völkerrecht s. Hoffmann, Verantwortung, S. 13; ders., Verhältnis, S. 434 ff. mit weiteren Hinweisen. Zur Abgrenzung der Begriffe Internationales Verwaltungs recht und völkerrechtliches Verwaltungs recht s. schon Sauer, Grundlehre, S.149; Hoffmann, Internationales Verwaltungsrecht, S. 747 f. mit weiteren Hinweisen; Mössner, Einführung, S.3. Zur möglichen Mehrdeutigkeit des Begriffes vom Internationalen Verwaltungsrecht, wenn diese Unterscheidung nicht hervorgehoben wird, s. Menzel/ Ipsen, S. 7 f.

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Teilbereichen des Völkerrechts durchaus sinnvoll, an gewisse völkerrechtliche Probleme mit den im innerstaatlichen Verwaltungsrecht gefundenen Maßstäben heranzugehen l93 • So ist die Rechtsstellung eines jeden Organes einer internationalen Organisation, durch welche zu handeln die internationale Organisation erst in der Lage ist l94 , durchaus vergleichbar mit den Trägern der öffentlichen Gewalt im innerstaatlichen Recht, weil auch diese Organe ihre Befugnisse nicht aus eigenem Recht ableiten und diese Befugnisse nur im Interesse der Organbesteller, die hier gewissermaßen das "öffentliche Interesse" bestimmen, ausüben können. Handlungen von Organen internationaler Organisationen sind für die Vertragspartner des Gründungsvertrages zwar verbindlichl95, aber nur so lange, wie sich diese Organe innerhalb der durch den Vertrag begründeten Kompetenzen halten, da sich die Kompetenzen der Organe der internationalen Organisationen aus dem jeweiligen Status ergeben l96 • So wie z. B. der zur Streitschlichtung angerufene Schiedsrichter schon immer an die mit seiner Bestellung verknüpften Bedingungen gebunden und gehalten war, Entscheidungen nur innerhalb der von den Vertragspartnern gewährten Kompetenzen zu fällen l97 , so sind auch die Organe internationaler Organisationen an die Statuten der Organisation gebunden und verpflichtet, nur innerhalb der ihnen übertragenen Kompetenzen zu handeln l98 • Da die Rechte der Organe der internationalen Organisationen vom Organ aus gesehen fremdnützig und zweckbestimmt sind, ist es sinnvoll, für diesen Bereich von einem "subordinationsrechtlichen" Völkerrecht zu sprechen. Eine Mißachtung dieser Gebundenheit der verliehenen Befugnisse der Organwalter wird dementsprechend besser nicht mit dem dem Koordinationsrecht entstammenden Begriff des Rechtsmißbrauches bezeichnet, sondern mit einem 193 Friedmann, Structure, S. 190 hat bereits auf die Möglichkeit der Fruchtbarmachung von Grundsätzen des öffentlichen Rechts für das Völkerrecht hingewiesen. Die verstärkte übernahme gerade von internen Verwaltungsgrundsätzen hat wohl auch zu der überlegung geführt, ob es sich beim internen Recht der internationalen Organisationen nicht um ein eigenständiges Rechtsgebiet handele, vgl. Bornemann, Bedienstete, S.8 f. 14; Ballaloud, Tribunal, S. 65 f., 69 f. Aber nicht die übernahme von Regeln der internen Rechte bestimmt deren Rechtsnatur, sondern die Gründung der internationalen Organisationen durch völkerrechtlichen Vertrag. Der gegenteiligen Auffassung dürfte eine Verwechsung von Rechtsgeltungsquelle und Rechtsinhaltsquelle vorliegen (zu diesen Begriffen vgl. Hoffmann, Verantwortung, S. 10, 107). 194 Zur Notwendigkeit der Organbestellung zur Willensbildung der internationalen Organisationen und deren eigenen Handlungsfähigkeit SeidlHohenveldern, Organisationen, S.93. 195 Jaenicke, Völkerrechts quellen, S.772. 196 Schermers, Institutional Law, S. 151 f., 241. 197 Vgl. Dahm, Völkerrecht III, S. 557 f.; Menzel/ Ipsen, Völkerrecht, S.487 mit weiteren Hinweisen. 198 Akehurst, Employment, S. 150 f.

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diese Organbefugnisse kennzeichnenden Ausdruck wie Machtmißbrauch, Kompetenzmißbrauch oder Ermessensmißbrauch, soweit im letzteren Falle ein Ermessen eingeräumt ist. Es zeigt sich also, daß die im innerstaatlichen Recht getroffene Unterscheidung von Mißbrauchstatbeständen für den koordinationsrechtlichen bzw. für den subordinationsrechtlichen Bereich auch für das Völkerrecht möglich ist l99 • Dabei muß die Anerkennung des einen Rechtsinstitutes nicht notwendig die Anerkennung des anderen Mißbrauchstatbestandes beinhalten. Es ist durchaus denkbar, daß die Interessenlage aller Staaten, bei der Verleihung von eigentlich ihnen zustehenden Befugnissen auf internationale Organe vor Mißbräuchen und damit Eingriffen in ihre Rechtsstellung geschützt zu sein, eher zu einer Herausbildung eines entsprechenden Verbotes aufgrund eines allgemein anerkannten Rechtsgrundsatzes führen kann2OO • Wegen der auch im Völkerrecht spezifischen Eigenart des Organhandelns sollen aus der folgenden Untersuchung daher alle Begriffe ausgeschieden werden, die als Mißbrauchstatbestände im subordinationsrechtlichen (verwaltungsrechtlichen) Bereich gesehen werden müssen. Ungeachtet der auch hier noch uneinheitlichen TerminologielOl sind demnach von dem Rechtsmißbrauch im koordinationsrechtlichen Bereich solche Begriffe zu trennen, die auf eine übertragene, zweckbestimmte und fremdnützige Handlungskompetenz verweisen, wie z. B. Machtmißbrauch, Ermessensmißbrauch bzw. die entsprechenden Begriffe in der französischen Sprache wie exces de pouvoir und detournement de pouvoi~. 199 So auch Roulet, Caractere, S. 56; Miaja de la Muela, Principes Directeurs, S.40; Casanuevas y la Rosa, Abuso de Derecho, S. 483 f. Es ist daher nicht richtig, daß ein detournement de pouvoir nur anerkannt werden kann beim Vorhandensein eines Gesetzgebers (Richter Badawi, in RCIJ 1956, S. 140), da der Umfang und die Art des HandeIns der Organe von den die internationale Organisation gründenden Mitglieder quasi als Gesetzgeber bestimmt werden. 200 Akehurst, Employment, S.150; skeptisch zur Anwendung allgemeiner Rechtsgrundsätze bei weltweiten internationalen Organisationen Seidl-Hohenveldern, Internationale Organisationen, S.218. 201 Vgl. Jenks, Proper Law, S. 94 f., 98; Bedjaoui, Jurisprudence, S.489; Jeantet, Rapport General, S.262; Laun, Bemerkungen, S.144 Anm.3, 148 f. 202 So auch z. B. Roulet, Caractere, S.43, 56; Brownlie, Principles, S.367. Damit scheidet z. B. der vielzitierte Fall des abus de droit de vote bei den Streitigkeiten über die Aufnahme von neuen Mitgliedern in die Vereinten Nationen aus der folgenden Untersuchung aus, weil es sich hierbei um eine typische Ermessenfrage handelt (im Ergebnis ebenso Engelhardt, Vetorecht, S.404; anderer Ansicht Verzijl, International Law I, S.320). Die synonyme Benutzung des abus de droit und detournement de pouvoir bei Spiropoulos, Abus de Droit, S. 1 f. ist möglicherweise bereits Ausdruck des Gespürs, daß für Entscheidungen von Organen internationaler Organisationen der für das allgemeine Völkerrecht gedachte Begriff des Rechtsmißbrauches nicht geeignet ist. Spiropoulos spricht zwar von abus de droit de vote und setzt den

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2.2.2.4. Abus de droit und abus de competence Die oben getroffene Feststellung, daß das Rechtsmißbrauchsverbot seinen Platz nur da haben kann, wo es um die Ausübung subjektiver Rechte im koordinationsrechtlichen Bereich geht, nötigt noch zu einer weiteren KlarsteIlung, um Mißverständnissen vorzubeugen. Es ist bereits oben darauf hingewiesen worden, daß als Synonym für den abus de droit auch - vornehmlich von französischen Autoren - der Ausdruck abus de competence benutzt worden ist203 • Diese Gleichsetzung hat ihre Ursache weniger in der Verkennung der Bedeutung dieser beiden Begriffe in der eben dargelegten Weise als einem einmal dem koordinationsrechtlichen und ein andermal dem subordinationsrechtlichen Bereich des Rechts zuzuordnenden Begriffspaar als vielmehr in einer, von der hier vertretenen abweichenden besonderen Grundanschauung des Völkerrechts überhaupt, nämlich in der im Anschluß an die Lehren von Duguit und Scelle vertretenen sogenannten rechtssoziologischen französischen Rechtsschule204 • Eines der Hauptanliegen dieser Schule war es, den Begriff des subjektiven Rechtes im Völkerrecht ganz zu eliminieren zugunsten des Begriffes der competence. Das Völkerrecht soll nach dieser Auffassung nicht der Beschränkung der subjektiven Rechte der Staaten dienen, sondern den Staaten selbst erst die Kompetenz zum völkerrechtlichen Handeln verleihen20S • Diese Kompetenz soll, da vom Völkerrecht verliehen, kein individuell zustehendes, zunächst unbeschränkt bestehendes subjektives Recht sein, sondern eine Art von der Gemeinschaft gewährter und daher auch dieser verpflichteter Handlungsvollmacht206. In abus.de droit mit dem detournement de pouvoir (des innerstaatlichen Rechts) gleich, sein Untersuchungsgang zeigt jedoch, daß er im Grunde das Vorliegen eines detournement de pouvoir prüft (S. 6 ff.). Da diese Gleichsetzung der Begriffe auch von einigen Richtern des Internationalen Gerichtshofes vorgenommen wurde (s. bei Spiropoulos, Abus de Droit, S.6 Anm.5), war dies elner Begriffserklärung nicht gerade förderlich. Zur Gleichsetzung des abus de droit de vote mit dem Rechtsmißbrauch s. auch van Bogaert, Rechtsmisbruik, S. 105 f.; Schüle, Rechtsmißbrauch, S. 70. Insbesondere ist aus der Rechtsmißbrauchsdiskussion auch die Erörterung des Ermessensmißbrauches in den europäischen Gemeinschaften herauszunehmen, da hier sowohl der koordinationsrecbtliche wie auch der völkerrechtliche Bereich verlassen ist (zur Rechtsnatur der sogenannten supra-nationalen Gemeinschaften s. Hoffmann, Verantwortung, S.13; ders., Verhältnis, S.435 mit weiteren Hinweisen; Ipsen, Gemeinschaftsrecht, S.6 ff., 70 f.; Beutler / Bieber, Europäische Gemeinschaft, S. 54 f. 203 Siehe oben 2. Kap. 1.4.2. 204 Vgl. hierzu Scelle, Precis I, S. 7 f.; Cavare, Droit International I, S. 184 f.; Gihl, Legal Character, S. 64; Roulet, Caractere, S. 53. 20S Kiss, Abus de Droit, S. 182 f.; Trifu, Abus de Droit, S.85; ähnlich auch Lauterpacht, Function, S. 298. 206 Vgl. die Äußerung von Politis, Probleme, S.87: "Les Libertes des etats peuvent etre comparees aux pouvoirs conferes aux fonctionnaires public

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2. Kap.: Abgrenzung des Rechtsmißbrauchsbegriffes

ihrem Ziel richtet sich diese Lehre gegen den Individualismus und das Dogma von der der Souveränität entstammenden Handlungsfreiheit der Staaten, in welchen die Hauptgründe gegen die Herausbildung eines sozialen, der Gemeinschaft verpflichteten Völkerrechts gesehen wird207 • Die im Sinne dieser Lehre konsequente Ersetzung des Begriffes abus de droit durch den Begriff abus de competence, welche folgerichtig dann den detournement de pouvoir als Unterfall des abus de competence erachtet, war selbstverständlich bestens geeignet, die oben hervorgehobene Unterscheidung des Rechtsmißbrauches im koordinationsrechtlichen Bereich zu dem detournement de pouvoir im subordinationsrechtlichen Bereich zu verwischen208 • Um für die Zukunft Verwechslungen mit den dem Verwaltungs recht entstammenden Begriffen des exces de pouvoir, detournement de pouvoir etc. zu vermeiden, sollte, soweit Mißbrauchstatbestände im koordinationsrechtlichen, allgemeinen Völkerrecht untersucht werden sollen, nur der Begriff Rechtsmißbrauch bzw. abus de droit (oder abuse of right) benutzt werden, um klarzustellen, daß nur der Mißbrauch subjektiver Rechte in Rede steht. Auf den Begriff des abus de competence oder ähnliche Ausdrücke in anderen Sprachen sollte verzichtet werden, wenn auch die von den Befürwortern des abus de competence angeführten Fälle grundsätzlich insoweit in die vorliegende Untersuchung miteinbezogen werden können, als es sich nach dem hier Vorgetragenen tatsächlich um Mißbrauchstatbestände im koordinationsrechtlichen Bereich handelt209. 2.3. Die Ausübung eines Rechts

Soweit das Rechtsmißbrauchsverbot als eine die subjektiven Rechte einschränkende Norm, sei es im Völkerrecht oder in den unterschiedlichen zivilrechtlichen Regelungen, erörtert worden ist, besteht darüber pour remplir le devoir qui leur incombe d'assurer le fonctionnement des services." Auch hierin folgt ihm de Boeck, Expulsion, S. 629. 207 Es soll hier nicht im Detail auf diese Lehre eingegangen werden, da die unterschiedlichen Ansätze letztlich zum Problem des Geltungsgrundes des Völkerrechtes überhaupt zurückführen (s. dazu Menzel / Ipsen, Völkerrecht, S. 47 f. mit weiteren Hinweisen). So verständlich die Versuche sind, das Souveränitätsdogma aufzuweichen, so sehr widerspricht diese Lehre nicht nur der herrschenden Rechtsanschauung, sondern auch der Staatenpraxis (Jankovic, Interdiction, S.8). Vor allem aber muß diese Lehre daran scheitern, daß es hier ebensowenig wie in anderen Systemen, die ein übergeordnetes Prinzip als Maßstab allen Rechtes anzulegen versuchen, gelingen kann, in einer heterogenen Staatenwelt von gleichberechtigten Mitgliedern den Gemeinschaftszweck als obersten Maßstab zu ermitteln. 208 Vgl. Roulet, Caractere, S. 53 f.; Jankovic, Interdiction, S. 7 f. 1m Schon Roulet, Caractere, S. 53 f. wies darauf hin, daß mit dem Begriff der competence die Probleme im übrigen die gleichen bleiben wie bei dem Begriff des abus de droit.

2. Tatbestandsmerkmale des Rechtsmißbrauchsverbotes

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Einigkeit, daß das Rechtsmißbrauchsverbot nur eingreifen kann, wenn ein Recht auch tatsächlich ausgeübt wird210 • Eine solche Ausübung kann in einem Tun oder Unterlassen bestehen211 , wobei bei letzterem der Nachweis eines Mißbrauchstatbestandes allerdings wesentlich schwieriger sein dürfte. Wo aber bereits eine Rechtspflicht zum Handeln besteht, kann aus eben dieser Handlung kein unzulässiger Rechtsmißbrauch entstehen212 • Unterläßt es daher ein Völkerrechtssubjekt, einer solchen bestehenden Pflicht nachzukommen, liegt möglicherweise, ein anderer völkerrechtlicher Deliktstatbestand, nicht aber ein Rechtsmißbrauch vor. Wie die bisherige Diskussion zeigt, ist man sich auch grundsätzlich darüber einig, daß eine im Einzelfall mißbräuchliche Ausübung eines Rechtes die Existenz dieses Rechtes im ganzen unberührt lassen so11 213 • Für andere oder weitere Handlungen, die sich als Ausübung des gleichen Rechtes erweisen, braucht dementsprechend kein Verdikt zu bestehen. Das Rechtsmißbrauchsverbot ist, was den Bestand des ausgeübten Rechts angeht, kein Rechtsbeendigungstatbestand214 • Wo allerdings das ausgeübte Recht bereits normativ durch spezielle Vorschriften beschränkt ist und die Ausübung schon aus diesem Grunde unzulässig ist, ist für die Annahme eines Rechtsmißbrauchsverbotes kein Platz, denn hier gilt die Regel: lex specialis derogat lex generalis. Das Rechtsmißbrauchsverbot kann also nur als eine Generalklausel verstanden werden, die die Rechtsausübung im Einzelfall dann begrenzen kann bzw. soll, wo diese Grenzen nicht bereits durch Tatbestandsmerkmale des ausgeübten Rechtes selbst oder durch andere speziellere Normen gesetzt sind. Die eigentliche Problematik des Rechtsmißbrauches beginnt erst dort, wo offensichtlich nur eine bestimmte Art der Rechtsausübung nicht mehr gestattet sein soll, obwohl das ausgeübte Recht grundsätzlich in seinem Bestand anerkannt ist.

210 Für viele Josserand, Esprit des Droits, S. 341 f.; Kiss, Abus de Droit, S.l1; Roulet, Caractere, S.56; Schüle, Rechtsmißbrauch, S.70; Soergel/ Siebert / Mormann, S.983; v. Staudinger / Dilcher, S. 889; vgl. auch den Wortlaut von § 226 BGB. Anderer Ansicht Fragistas, Rechtsmißbrauch, S.65 ("Rechtsmißbrauch ist Handeln ohne Recht ... gegen das Recht ... keine Rechtsausübung" , vgl. aber abgeschwächt auf S.66); unklar Mantzoufas, Privatrecht, S.6. 211 Vgl. insoweit Art.5 Abs.3 des ungarischen ZGB von 1959 (deutsche übersetzung von Pal Lamberg, Budapest, 1960), der ausdrücklich auch das Unterlassen einbezieht; s. hierzu auch den Hinweis bei Eörsi, Verantwortlichkeiten, S.31O Anm.20. 212 Soergel/ Siebert / Mormann, S. 984. 213 Für viele Roulet, Caractere, S.82; Soergel / Siebert / Mormann, S.987; Soergel/ Siebert / Knopp, S.59; v. Staudinger / Weber, S.750. 214 Soergel / Siebert / Mormann, S. 985.

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2. Kap.: Abgrenzung des Rechtsmißbrauchsbegriffes 2.4. Der Schaden

Auch bezüglich der Grenzen der Rechtsausübung, die für die Annahme eines Rechtsmißbrauches überschritten sein müssen, lassen sich unter Berücksichtigung des bisherigen Ergebnisses der Rechtsmißbrauchsdiskussion einige grundsätzliche Übereinstimmungen erkennen. So besteht Einigkeit darüber, daß ein Rechtsmißbrauch nur dann angenommen werden kann, wenn die - mißbräuchliche - Rechtsausübung auf Kosten oder zum Nachteil eines anderen Völkerrechtssubjektes geht215 • Es muß ein Rechtskonflikt bestehen216, in dem ein Rechtssubjekt sein ihm prinzipiell zustehendes Recht zum Nachteil eines anderen ausübt, denn erst durch das Entstehen eines Nachteiles kann bei dem Geschädigten ein Interesse an der Nichtausübung des Rechts durch den Schädiger begründet sein. Eine Rechtsausübung, aus welcher Intention oder mit welchen Mitteln auch immer, die niemanden beeinträchtigt, wird wohl in keiner Rechtsordnung verboten sein, da es dann schon immer an einem schutzwürdigen Interesse auch nur eines Mitgliedes der RechtsOldnung zur Untersagung dieser Rechtsausübung mangelf l7 • Welcher Art der zugefügte Nachteil sein muß, kann nach dem allgemeinen Schadensbegriff im Völkerrecht beurteilt werden, dessen Definition allerdings nicht einheitlich ist218 • Dies ist jedoch kein spezifisches Problem des Rechtsmißbrauchsverbotes, sondern das allgemeine Problem, inwieweit der Eintritt eines Schadens Voraussetzung für die völkerrechtliche Verantwortlichkeit ist bzw. welcher Schadensbegriff bei der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit zugrunde zu legen ist219• Andererseits dürfte unstreitig sein, daß die bloße Entstehung eines Schadens nicht ausreicht270, sondern der Schadenseintritt widerrechtlich, also unter Verletzung eines dem Rechtsträger zustehenden subjektiven Rechtes, erfolgt sein muß, da ja auch rechtmäßiges Handeln zu Schäden führen 215 Dahm, Völkerrecht I, S.192, 197; Roulet, Caractere, S. 62; Kiss, Abus de Droit, S. 11; Bauer, Entführung, S.113; Iluyomade, Abuse of Right, S. 75 f. 216 Josserand, Esprit des Droits, S. 362. 217 Roulet, Caractere, S. 63. 218 Schon Roulet, Caractere, S. 63 hat festgestellt, daß es hierbei letztlich auf die Definition des Schadensbegriffes im Völkerrecht ankommt. 219 Siehe hierzu Menzel / Ipsen, Völkerrecht, S. 353. - Akzeptiert man allerdings die von der International Law Commission getroffene Feststellung, die Verletzung eines Rechtes beinhalte notwendigerweise einen Schaden des Rechtsträgers (ILC-Yearbook 1971, 11, S.223), dann ist es wohl nur eine Frage des Geschmacks, ob man daraus folgert, daß der Eintritt des Schadens kein zusätzliches Element für die völkerrechtliche Verantwortung bedeutet (Menzel/ Ipsen, Völkerrecht, S.353) oder ob man am Eintritt eines Schadens zur Begründung der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit weiter festhält (vgl. Roulet, Caractere, S. 64). 220 Berber, Völkerrecht 111, S.4; Dabin, Droit Subjectif, S.279.

2. Tatbestandsmerkmale des Rechtsmißbrauchsverbotes

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kann (sogenanntes damnum sine iniuria)221. Der durch die Rechtsausübung des einen Benachteiligte muß daher ein rechtlich geschütztes Interesse an der Nichtausübung geltend machen können, um sich also seinerseits auf seine Rechtsposition berufen zu können. Das Rechtsmißbrauchsverbot erweist sich damit als Problem des völkerrechtlichen Konfliktsrechts, das darüber zu entscheiden hat, welchem von zwei sich einander gegenüberstehenden und im konkreten Einzelfall ausschließenden Rechten der Vorzug gegeben werden soll222. Oder, um es auf die geläufige Kurzformel zu bringen: Das Recht des einen muß gegen das Recht eines anderen stehen223 • 2.5. Das Merkmal der Mißbilligung

2.5.1. Vorbemerkung

Soweit über dieses bisherige Ergebnis Einigkeit besteht, kann dies allein zu einer inhaltlichen Bestimmung des Rechtsmißbrauchsverbotes nicht ausreichen. Die entscheidende Frage nämlich bleibt noch offen, warum das Interesse des Rechtsinhabers, sein Recht auch ausüben zu können, im konkreten Einzelfall hinter dem Interesse des anderen, daraus keinen Nachteil zu erfahren, zurückstehen soll. Der bloße Hinweis auf solche Wahrheiten, daß kein Recht unbeschränkt sei, daß ein "abuse of rights is essentially an exeess of right", daß Willkür verboten sei oder auch im Völkerrecht der Satz sie utere tuo ut alienum non laedere gelte224, ist allerdings nicht geeignet, einer Antwort auf diese Frage näherzukommen, sondern bedeutet lediglich eine andere Formulierung des bestehenden Problems. Ähnliches gilt auch für Kiss, wenn er die Schadenszufügung als das maßgebliche Kriterium des Rechtsmißbrauches ansieht22S , da nahezu jede Rechtsausübung in irgend einem Punkte die Rechte anderer Rechtssubjekte schmälern kann, und gar manche Rechtsausübung anderen Völkerrechtssubjekten größte Nachteile und Schäden zufügen kann, ohne daß die Rechtmäßigkeit der Rechtsausübung bestritten wird226 • Um von einem Rechtsmißbrauch sprechen zu können, bedarf es also noch eines weiteren Kriteriums, das nun gerade im Einzelfall die Rechtsausübung völkerrechtlich mißbilligt, so daß der 221 Vgl. hierzu Berber, Rechtsquellen, S. 148. 222 So auch Doehring, Besprechung, S. 766. m So auch im Ergebnis Roulet, Caractere, S. 64; Cheng, General Principles, S. 129, 132. 224 Siehe hierzu für viele Dahm, Völkerrecht I, S. 194 (kein Recht ist unbeschränkt); Scholtens, Abuse of Rights, S.49 ("abuse of right is essentially an excess of right Leibholz, Verbot der Willkür, S.4; PoUtis, Probleme, S.78. 22S Kiss, Abus de Droit, S. 11. 226 Roulet, Caractere, S. 64; vgl. hierzu auch Bauer, Entführung, S. 113. U

);

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2. Kap.: Abgrenzung des Rechtsmißbrauchsbegriffes

Inhaber des Rechtes auf die Ausübung dieses Rechtes verzichten muß. So lange nicht dieses oder auch mehrere weitere Kriterien hinzutreten, kann sich der Rechtsausübende immer darauf berufen, daß sein Handeln rechtlich gedeckt ist, der Geschädigte den Nachteil zu dulden kraft Völkerrechts verpflichtet ist.

2.5.2. Die Vielzahl der bisher genannten Kriterien Nachdem die mehr formalen Voraussetzungen für das Vorliegen eines Rechtsmißbrauches genannt worden sind, erweist sich als zentrale Aufgabe für die Herausarbeitung eines Rechtsmißbrauchsbegriffes die Darlegung des Kriteriums oder der Kriterien, die im Einzelfall die Ausübung eines Rechtes mißbilligt und als mißbräuchlich unzulässig macht (der eigentliche Mißbilligungstatbestand). Hier scheint jedoch die Grenze für eine nähere Begriffsbestimmung des Rechtsmißbrauches aus der gemeinsamen Basis der bisherigen Diskussion erreicht zu sein, da bereits ein kurzer, bei weitem nicht erschöpfender Überblick über die Vielzahl und Uneinheitlichkeit der bisher angeführten Kriterien, die als eigentlicher Unrechtstatbestand des Rechtsmißbrauches betrachtet werden können, zeigt, wie wenig hierbei von einem gesicherten Ergebnis ausgegangen werden kann. So werden von der bloßen Absicht der Schadenszufügung - als dem wohl engsten Tatbestandsmerkmal - bis zur Verletzung des sozialen Interesses - als dem wohl weitesten Merkmal - eine Vielzahl von Kriterien angegeben, die sich keineswegs alle auf einen gemeinsamen Nenner reduzieren lassen227 • 227 Zur Absicht der Schadenszufügung als Kriterium s. Schlochauer, Theorie, S.375; Scerni, Abuso di Diritto, S. 81 f.; Härle, Rechtsgrundsätze, S. 183; Miaja de la Muela, Principes Directeurs, S.40; v. Münch,Völkerrecht, S.208; zum Verstoß gegen den Rechtszweck als Kriterium (antisozialer Gebrauch) Dictionnaire, S. 7; Siorat, Lacunes, S. 403; Lauterpacht, Function, S. 298; SeidlHohenveldern, Völkerrecht, S.317; Campion, Exercice, S.329; Kiss, Abus de Droit, S. 187; zur Interessenabwägung als Kriterium Lauterpacht, Function, S.295, 305; Voss, Rechtsmißbrauch, S. 94 f.; Kiss, Abus de Droit, S.185; Garcia Amador, Responsibility, S. 381 f.; zur Sinnlosigkeit bzw. Unvernunft als Kriterium Schwarzenberger, International Law and Order, S.100 f.; Hoffmann, Teilung, S.51; Cheng, General Principles, S. 131; zur Willkür als Kriterium Leibholz, Verbot der Willkür, S.4; Kiss, Abus de Droit, S. 188; Schwarzenberger, International Law and Order, S. 100 f.; der frivole Gebrauch als Kriterium Monconduit, Abus de Droit, S.351; zum Mangel des Motivs als Kriterium Trifu, Abus de Droit, S. 72 f., 77, 178. zur Schuld als Kriterium Schüle, Rechtsmißbrauch, S. 70. Eine fast klassische Zusammenfassung eines Großteils der bisher in der Diskussion genannten Kriterien des Rechtsmißbrauches bringt Dahm, Völkerrecht I, S. 196 f.: "Im wissenschaftlichen Schrifttum wird das Prinzip bald subjektiv, bald objektiv interpretiert. Im Sinne der subjektiven Auffassung ist ein Rechtsmißbrauch dann anzunehmen, wenn ein Staat ein ihm zustehen-

2. Tatbestandsmerkmale des Rechtsmißbrauchsverbotes

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Bei der Vielzahl der genannten Kriterien läßt sich ein gemeinsamer Nenner, von dem als anerkannter Grundbestandteil des Rechtsrnißbrauches für die weitere Untersuchung ausgegangen werden könnte, nicht entnehmen, zumal von einem Großteil der Autoren keine weiteren Hinweise darauf gegeben werden, weshalb gerade das von ihnen genannte Kriterium (bzw. die Kriterien) als Tatbestandsmerkmal des Rechtsmißbrauchsverbotes fungieren sol1 228 - soweit bei der Nennung des Rechtsmißbrauchsverbotes als einer anerkannten Regel des Völkerrechtes überhaupt Tatbestandsmerkmale genannt worden sind229 •

2.5.3. Die Notwendigkeit der Konkretisierung des Mißbilligungstatbestandes Mangels eines feststellbaren gemeinsamen Grundkonsensses über den eigentlichen Mißbilligungstatbestand des Rechtsmißbrauchsverbotes im Völkerrecht wird nur eine empirische Untersuchung der Völkerrechtspraxis im Wege des üblichen völkerrechtlichen Normfeststellungsverfahrens eine nähere Konkretisierung bringen können. So gerecht und plausibel dem Betrachter des Völkerrechtes jedes einzelne der Kriterien zur Qualifizierung eines Rechtsrnißbrauches erscheinen mag, wie die erwähnte Absicht der Schadenszufügung, die Sinnlosigkeit der Rechtsausdes Recht willkürlich, vorsätzlich oder doch jedenfalls schuldhaft pflichtwidrig zu sozialfeindlichen oder -schädlichen Zwecken oder sonst zu Zwecken benutzt, zu denen es ihm nicht gewährt worden ist. Aber wenn es auch richtig sein mag, Wort und Begriff des Mißbrauches auf die willkürliche oder sonst schuldhafte Ausübung des Rechts zu beschränken, völkerrechtswidrig ist schon die Rechtsüberschreitung an sich. Ihre Feststellung läßt sich im Zweifel einer Abgrenzung der Interessen entnehmen. Eine unzulässige Rechtsausübung ist dann anzunehmen, wenn das Interesse des Staates an der Wahrnehmung seiner Rechte gering wiegt, im Gegensatz zu den Interessen anderer Staaten oder der internationalen Gemeinschaft in ihrer Gesamtheit, denen durch die Ausübung des Rechts schwerer Schaden zugefügt wird. Je unwichtiger das Interesse an der Ausübung des Rechts, je lebenswichtiger das dadurch geschädigte Interesse anderer Staaten, desto eher wird man einen Rechtsmißbrauch annehmen dürfen. Doch bleibt die Anwendung dieses Prinzips auf Grenz- und Ausnahmefälle beschränkt." - Abgesehen davon, daß diese Häufung der Kriterien ohne jeden weiteren Hinweis darauf erfolgt, warum es sich hierbei um vom Völkerrecht anerkannte Kriterien des Rechtsmißbrauches handelt bzw. woher dieser Katalog von Tatbestandsmerkmalen entnommen worden ist, muß man sich fragen, wie unter diesem eindrucksvollen "Damoklesschwert" ein Völkerrechtssubjekt sich überhaupt noch legitimerweise auf die Ausübung eines ihm zustehenden Rechtes berufen kann. Als wenn dies auch von Dahm gespürt worden wäre, folgt wie zum Trost der Satz: "In der Regel also dürfen Rechte ausgeübt werden." Auf die Mannigfaltigkeit der bisher angegebenen Kriterien weisen auch hin Morin, Observations, S. 469; Roulet, Caractere, S. 67 f. 228 Vgl. z. B. Schwarzenberger, International Law and Order, S. 100; Schüle, Rechtsmißbrauch, S. 70; Schlachauer, Theorie, S. 375; Hoffmann, Teilung, S. 51; Seidl-Hohenveldern, Völkerrecht, S. 317; Garcia Amador, State Responsibility, S. 381 f. 229 Siehe oben 2. Kap. 4.2. (Anm. 132). 7 Neuhaus

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2. Kap.: Abgrenzung des Rechtsmißbrauchsbegriffes

übung, die Interessenabwägung, die Verletzung des Gemeinschaftsinteresses ete., über ihre Geltung auch im Völkerrecht lassen sich nur durch eine Untersuchung der Staatenpraxis Aussagen treffen. Hier ist also der eigentliche Gegenstand der zu fordernden empirischen Untersuchung, denn nur in der Betrachtung des positiven Völkerrechtes kann festgestellt werden, wann im Einzelfall eine Rechtsausübung mißbilligt wird bzw. unzulässig ist2JO • All den zur Konkretisierung des eigentlichen Mißbilligungstatbestandes des Rechtsmißbrauches genannten Kriterien ist dagegen gemeinsam, daß es sich um sogenannte materiale Kriterien handelt. Hieraus läßt sich der Schluß ziehen, daß neben dem mehr formalen Verhalten eines Rechtssubjektes, nämlich der Ausübung eines subjektiven Rechtes zum Schaden eines oder mehrerer anderer, noch ein materiales Kriterium hinzutreten muß, wenn der Tatbestand eines Rechtsmißbrauches voll erfüllt sein soll. Dieses materiale Kriterium entscheidet letztlich über die Frage, wann dem Rechtsinhaber im Einzelfall die Berufung auf sein Recht versagt sein soll, weil ein entgegenstehendes Recht eines oder mehrerer anderer stärker ist. Damit erweist sich der Rechtsmißbrauch als eine Norm des Konfliktsrechts, d. h. als Korrektiv zu einer im positiven Recht grundsätzlich getroffenen Wertentscheidung. Grundsätzlich handelt es sich bei allen von einer Rechtsordnung eingeräumten Rechtspositionen um diesbezügliche Wertentscheidungen des oder der rechtsetzenden Organe. Gleichwohl kann diese getroffene Wertentscheidung, d. h. das jeweilige subjektive Recht, im Einzelfall die Frage offenlassen, wann sie gegenüber einer anderen Wertentscheidung, d. h. einem anderen subjektiven Recht, zurücktreten muß, da angesichts der Vielfalt und Unvorhersehbarkeit der sozialen Kontakte der jeweilige Bereich des subjektiven Rechtes nicht von vornherein für alle Fälle abgrenzbar ist. Aus der ganzen Diskussion um das Rechtsmißbrauchsverbot ergibt sich, daß es sich hierbei um eine Norm handeln muß, die zur Entscheidung eines solchen Wertkonfliktes beitragen soll. Diese Entscheidung kann aber mit Hilfe des Rechtsmißbrauchsverbotes nur ge2JO Dies schien auch Roulet zu spüren, als er feststellte, daß die verschiedenen früher behaupteten Kriterien des "caractere abusif" beim Rechtsmißbrauch sich nicht ohne weiteres unter einen Begriff bringen ließen und er hieraus forgerte: ..... la soeiete eonstitue le veritable juge ..." (Roulet, Caraetere, S.75). Es wirkt aber widersprüchlich, wenn er meint "Le critere preferable sera indubitablement, par la ineme occasion le plus vage est plus elastique", und folgende Definition vorschlägt: "L'abus de droit resulte de l'exerciee manifestement choquant d'un droit soit par l'acte lui-meme, soit par les resultats auxquels il conduit", um alle Einzelkriterien zusammenzufassen (Roulet, Caractere, S.76). Letztlich führt diese Arbeitsweise nur dazu, ein neues Kriterium einzuführen, dessen Rechtswirklichkeit im Völkerrecht - die besondere Unbestimmtheit dieses Kriteriums einmal beiseite gelassen - genausowenig gesichert ist wie die aller anderen Kriterien (kritisch zu dieser Definition auch Münch, Besprechung, S.589).

2. Tatbestandsmerkmale des Rechtsmißbrauchsverbotes

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troffen werden, wenn auch materiale Kriterien angegeben werden, welche Rechtsposition im Einzelfall wegen mißbräuchlicher Ausübung zurückzutreten hat. Das Rechtsmißbrauchsverbot erweist sich somit als materiales Korrektiv zu einer im positiven Recht grundsätzlich getroffenen Wertentscheidung. Weil aber beim Rechtsrnißbrauch die ursprünglich getroffene Wertentscheidung generell nicht angetastet werden soll, sondern nur im Einzelfall zugunsten einer weiteren, als höherrangig beurteilten Wertentscheidung zurücktreten soll231, bedarf es auch der Angabe eines oder mehrerer materialer Kriterien als Tatbestandsmerkmale232. Als ein nur formales positives Recht läßt sich das Rechtsmißbrauchsverbot jedenfalls nicht bestimmen233 • Die Anerkennung eines Rechtsmißbrauchsverbotes in einer Rechtsordnung steht und fällt also mit der Entscheidung der Rechtsetzungsorgane - im innerstaatlichen Bereich des Gesetzgebers oder auch der Richterschaft, im Völkerrecht der Staatengemeinschaft - darüber, welche Kriterien vorliegen müssen, damit die Rechtsausübung im Einzelfall als mißbräuchlich, d. h. mit der ursprünglichen Wertentscheidung als nicht mehr vereinbar zu qualifizieren ist234 • Dabei können - wie die bisherige Rechtsmißbrauchsdiskussion zeigt - die unterschiedlichsten 231 M. Günther, Sondervoten, S.186. 232 Auf die Notwendigkeit einer Konkretisierung des· Rechtsmißbrauchs-

verbotes, und das bedeutet fast immer die Konkretisierung des hier sogenannten eigentlichen Mißbilligungstatbestandes, weisen z. B. hin Bauer, Entführung, S. 114; Schüle, Rechtsrnißbrauch, S.70. 233 Amiaud, Abus du Droit, S. 786 f. 234 Eine Aussage wie die von Meyers, Abus de Droit, S. 734, wonach die Anerkennung des Rechtsmißbrauchsverbotes kein Problem sei, sondern nur die Frage nach dessen Kriterien, täuscht über dieses Problem hinweg, da die Existenz des Rechtsmißbrauchsverbotes mit der Anerkennung dieser materialen Kriterien steht und fällt (ähnlich wie Meyers: Mann, Legal Aspect, S. 497 f.). Die Behauptung, das Rechtsmißbrauchsverbot existiere - auch wenn nähere materiale Kriterien nicht angegeben werden können -, mag zwar psychologisch verständlich sein, führt aber nur zu einer Leerformel, weil mit einem Rechtsmißbrauchsbegriff ohne Konkretisierung des eigentlichen Mißbilligungstatbestandes eine Entscheidungshilfe für den Rechtskonflikt im Einzelfall nicht vorliegt. Aus diesem Grunde bedeutet es auch entgegen der Ansicht von Schüle keine Sicherung des Begriffes des abus de droit, wenn als drittes Element, neben dem Bestehen eines subjektiven Rechtes und dem Gebrauch dieses Rechtes unter Schadenszufügung, die Schuld bei der Verursachung des Schadens genannt wird (Schüle, Rechtsrnißbrauch, S. 70). Damit sind im wesentlichen nur die mehr formalen Voraussetzungen für das Vorliegen eines Rechtsrnißbrauches genannt; das eigentliche materiale Kriterium ist bei diesen drei von Schüle genannten Merkmalen noch nicht enthalten. Die Notwendigkeit dieses entscheidenden Kriteriums wird in dem anschließenden Satz gewissermaßen hineingeschmuggelt, wenn .. klargestellt wird", der Rechtsrnißbrauch sei eine vorsätzliche oder fahrlässige unzulässige Rechtsausübung mit schuldhaft verursachter Schadensfolge. Die entscheidende Frage, wann eine - an sich zulässige - Rechtsausübung nun aber unzulässig wird, bleibt damit ungeklärt. 7·

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2. Kap.: Abgrenzung des Rechtsmißbrauchsbegriffes

Tatbestandsmerkmale diesen eigentlichen Mißbilligungstatbestand ausmachen. Allen diesen materialen, eine Wertentscheidung implizierenden Kriterien ist jedoch gemein, daß ihre Geltung und damit die Anerkennung des Rechtsmißbrauchsverbotes in dieser oder jener Form nicht logisch abstrakt oder auch nur durch die bloße "Draufsicht" über die bisherige Entwicklung des Rechtsmißbrauchsverbotes in einzelnen nationalen Rechtsordnungen festgestellt werden kann. Nur im Wege der Untersuchung der Rechtspraxis der jeweiligen Rechtsordnung, hier des Völkerrechtes, kann eine Aussage darüber erfolgen, welcher Mißbilligungstatbestand als allgemeines Korrektiv der in den subjektiven Rechten verankerten Wertentscheidung anerkannt ist.

2.5.4. Ausschluß eines Vertrauenstatbestandes als Merkmal der Mißbilligung (Rechtsmißbrauch und Estoppel bzw. Verwirkung) Bei der hier gesuchten Norm des Rechtsmißbrauchsverbotes würde es sich nicht um den ersten Tatbestand im Völkerrecht handeln, in dem eine Schadenszufügung mißbilligt wird, obwohl sich der Schädiger auf die Ausübung eines bestehenden Rechts berufen kann. Das Völkerrecht kennt bereits z. B. in dem Rechtsinstitut des Estoppel und der Verwirkung Tatbestände, die ebenfalls eine bestimmte Rechtsausübung mißbilligen. Um für die weitere Untersuchung Klarheit zu haben, ist es geboten, der Frage nachzugehen, ob es sich hierbei um einen Unterfall, ein Synonym oder einen gegensätzlichen Begriff zum Rechtsmißbrauch handelt. Die Klärung dieser Frage erscheint schon deshalb nötig, weil in der Vergangenheit das Verhältnis dieser Begriffe zueinander keineswegs immer klar gesehen worden ist. Auch wenn hier nicht im Detail auf den Inhalt und Umfang des im Völkerrecht allgemein anerkannten Grundsatzes vom Estoppel eingegangen werden kann, soll kurz der Grundgedanke des Estoppel-Grundsatzes skizziert werden, um sowohl die Gemeinsamkeiten als auch die Verschiedenheiten von Estoppel und Rechtsmißbrauch herausarbeiten zu können. Der Estoppel-Grundsatz entstammt seinem Ursprung nach dem angelsächsischen ProzeßrechflS, hat heute aber über diese enge prozeßrechtliche Bedeutung hinaus im allgemeinen Völkerrecht Anerkennung gefunden236 , wozu sicherlich beigetragen hat, daß der wesentliche Grund23S Menzel, Estoppel-Prinzip, S. 441 f.; Menzel / Ipsen, Völkerrecht, S.89; Müller, Vertrauensschutz, S.4 mit weiteren Hinweisen. Zur Bedeutung des Estoppel im englischen Recht vgl. Staehlin, Estoppel, S. 382 ff.

2. Tatbestandsmerkmale des Rechtsmißbrauchsverbotes

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gedanke des Estoppel-Grundsatzes mit dem im kontinentaleuropäischen bekannten Grundsatz des Verbotes des venire contra factum proprium im wesentlichen übereinstimmt und mit diesem häufig gleichgesetzt wird237 • Nach dem tragenden Grundgedanken dieses völkerrechtlichen Estoppel-Prinzips soll sich kein Rechtsinhaber auf sein ihm zustehendes Recht berufen dürfen, wenn er bereits schon selbst zuvor dem Rechtsgegner zu erkennen gegeben hat, daß er von seinem vorhandenen Recht keinen Gebrauch in dieser Richtung machen werde. Zu der formalen, dem Rechtsrnißbrauch vergleichbaren, Rechtsausübung kommt hier als spezifischer völkerrechtlicher Mißbilligungstatbestand das durch ein Vorverhalten des Rechtsausübenden bei dem anderen erweckte Vertrauen, von der an sich gegebenen Rechtsstellung keinen Gebrauch zum Nachteil des anderen zu machen238• Das selbsterweckte Vertrauen genießt damit einen höheren Wert als die noch bestehende formale Rechtsposition, und es ist das Merkmal des Vertrauensbruchs, das im Rahmen des EstoppelGrundsatzes das unzulässige widersprüchliche Verhalten von einer erlaubten Änderung einer früheren Stellungnahme abgrenzf39. Handelt es sich bei Estoppel darum, daß der sich auf sein bestehendes Recht berufende Rechtsinhaber durch ein vorhergehendes Tun bei einem anderen eine Erwartung hervorgerufen hat, die vom Völkerrecht als schutzwürdig anerkannt wird240 , so liegt bei der Verwirkung das Vertrauen begründende VorverhaIten in einer Unterlassung2"l. Das Vertrauen begründende Vorverhalten beruht letztlich darin, daß in einem anderen aufgrund des gezeigten Verhaltens des Rechtsinhabers das Vertrauen in das Nichtbestehen oder die Nichtgeltendmachung eines bestehenden Rechtes erweckt wird242 • Als maßgebliches Kriterium für die Unzulässigkeit der Rechtsausübung erweist sich damit auch hier ein bestimmtes Vorverhalten als der spezifische Vertrauenstatbestand. Erst wenn der Anspruchsgegner mit einer Rechtsausübung aufgrund des bisher gezeigten Verhaltens des Rechtsinhabers nicht mehr zu rechnen braucht, darf sich der Anspruchsgegner darauf verlassen, daß der Z36 Vgl. zum Estoppel im Völkerrecht Dominice, Principe de l'Estoppel, S. 327 f.; zur allerdings letztlich wohl noch nicht geklärten Rechtsnatur dieses Prinzips s. Müller, Vertrauensschutz, S.9 mit weiteren Hinweisen. 237 Menzel, Estoppel-Prinzip, S.441; Menzel/ Ipsen, Völkerrecht, S. 86; Müller, Vertrauensschutz, S. 9 f.; Weber / v. Wedel, Völkerrecht, S.31. 238 Müller, Vertrauensschutz, S. 9; Menzel, Estoppel-Prinzip, S. 441; Mössner, Einführung, S. 19. 239 Müller, Vertrauensschutz, S. 11. 240 Dominice, Principe de l'Estoppel, S. 328 f. 241 Zur Verwirkung vgl. Dahm, Völkerrecht 111, S. 171 f.; Müller, Vertrauensschutz, S. 74 f. 242 Müller, Vertrauensschutz, S. 74 f.; ähnlich Dahm, Völkerrecht 111, S. 171 f.

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2. Kap.: Abgrenzung des Rechtsmißbrauchsbegriffes

Rechtsinhaber auch in Zukunft von seiner Rechtsposition keinen Gebrauch mehr machen werde. Das an sich bestehende Recht ist damit verwirkt, seine Ausübung nunmehr unzulässig243. Ebensowenig wie beim Rechtsmißbrauchsverbot handelt es sich bei Estoppel und bei Verwirkung um echte Rechtsbeendigungsgründe, wenn auch im Einzelfall die Ausübung eines Rechtes für immer estoppt oder verwirkt sein kann244 • Der sich auf Estoppel Berufende kann nämlich seinen Einwand zurückziehen und damit dem Rechtsinhaber die volle Ausübung seines Rechtes wieder ermöglichen. Im übrigen kann sich auch nur derjenige auf Estoppel oder Verwirkung berufen, dem gegenüber der Vertrauenstatbestand gesetzt wurde; für alle übrigen Fälle bleibt die Rechtsausübung unberührt. Wenn das Rechtsmißbrauchsverbot eine eigenständige Norm des Völkerrechts mit einem ihm spezifisch zugewiesenen Anwendungsbereich sein soll, dann kann der gesuchte Mißbilligungstatbestand nicht mit dem durch den Rechtsausübenden vorher gesetzten Vertrauenstatbestand identisch sein, da ansonsten für das Rechtsmißbrauchsverbot neben Estoppel oder Verwirkung kein Raum mehr wäre. Für das Vorliegen eines Rechtsmißbrauches kommt es also nicht darauf an, wie der Rechtsinhaber sich vor der Rechtsausübung verhalten hat. Das Rechtsmißbrauchsverbot ist deshalb im strengen Sinne auch keine Norm des Vertrauensschutzes245 - es sei denn, man betrachtet jede völkerrechtswidrige Handlung als Vertrauensbruch. Eine Untersuchung, die als Kriterium des Rechtsmißbrauches ein Vertrauen setzendes Vorverhalten einbezieht bzw. als eigentliches Merkmal des Mißbilligungstatbestandes einen Verstoß gegen selbsterwecktes Vertrauen ansieht, muß zu Begriffsunsicherheiten führen, weil nach der hier erfolgten Abgrenzung es sich in diesen Fällen nur um Estoppel, Verwirkung o. ä. handeln kann246 • Aus diesem Grunde kann auch das Rechtsmißbrauchsv. Staudinger / Weber, S. 751. v. Staudinger / Weber, S. 751. 245 So aber wohl Kiss, Abus de Droit, S. 192 f., weshalb die von ihm versuchte Abgrenzung des Rechtsrnißbrauches zu dem Prinzip von Treu und Glauben wohl nicht überzeugend gelingt. 246 Soweit in den Rechtsinstituten der Verjährung (s. hierzu Dahm, Völkerrecht 111, S. 169 f.; Seidl-Hohenveldern, Völkerrecht, S.325) und des acquiescence neben Estoppel und Verwirkung eigene Rechtsinstitute gesehen werden (vgl. Müller, Vertrauensschutz, S.5 ff., 35 f., 67 f.), betrifft die soeben vorgenommene Abgrenzung zwischen Estoppel und Verwirkung einerseits und dem Rechtsrnißbrauch andererseits (zum Problem der Abgrenzung: Müller, Vertrauensschutz, S. 263 f.) auch diese Tatbestände, da diesen ebenfalls ein gesonderter Vertrauenstatbestand gemeinsam ist. Auf eine weitere Auseinandersetzung mit diesen Rechtsinstituten im einzelnen kann daher verzichtet werden, wenn nur das Bewußtsein bleibt, daß alle diese Sätze von einem Rechtsmißbrauchsverbot jedenfalls zu trennen sind. Allen diesen Tat243

244

3. Vorläufiger Rechtsmißbrauchsbegriff

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verbot nicht als Oberbegriff von Estoppel und Verwirkung gesehen werden247 , da das Rechtsmißbrauchsverbot ansonsten als Allgemeinbegriff den speziellen Vertrauenstatbestand als Tatbestandsmerkmal mitenthalten müßte. Andererseits sind Estoppel und Verwirkung auf der einen Seite und dem Rechtsmißbrauchsverbot auf der anderen Seite gemeinsam, daß es sich jeweils um Tatbestände handelt, die zur Unzulässigkeit einer Rechtsausübung führen - wenn auch mit unterschiedlichen Kriterien -, so daß sich diese Fälle unter dem Oberbegriff der unzulässigen Rechtsausübung zusammenfassen lassen. Es ist aber nicht richtig oder zumindest mißverständlich, den Rechtsmißbrauch mit der unzulässigen Rechtsausübung gleichzusetzen, sondern es ist vielmehr angebracht, Estoppel und Verwirkung einerseits und den Rechtsmißbrauch andererseits als Unterfälle der unzulässigen Rechtsausübung zu unterscheiden248 • Nach der hier vertretenen Auffassung kann aus der Bildung des Oberbegriffes unzulässige Rechtsausübung allerdings weder die Geltung noch ein bestimmter Inhalt des gesuchten Mißbilligungstatbestandes des Rechtsmißbrauchsverbotes geschlossen werden249 • 3. Vorläufiger Rechtsmißbrauchsbegriff als Arbeitshypothese Aufgrund der bisherigen Ergebnisse kann nunmehr eine als weitere Arbeitshypothese dienende vorläufige Begriffsbestimmung des Rechtsmißbrauchs gegeben werden, die genügend festen Grund gibt für eine empirische Untersuchung der Völkerrechtspraxis. Danach ist der Rechtsmißbrauch die formale Ausübung eines subjektiven Rechts im allgemeibeständen ist das durch die unwidersprochene Hinnahme eines tatsächlichen Verhaltens begründete Vertrauen dahingehend gemeinsam, daß auch in Zukunft dieses Verhalten als rechtlich akzeptiert werde. Soweit bei dem Rechtsinstitut der Verjährung streitig ist, ob der Zeit ablauf allein zur Rechtseinbuße genügt, ohne daß eine Verhaltenserwartung hervorgerufen worden ist (s. Dahm, Völkerrecht IH, S. 171), so ist diese Streitfrage für die hier vorgenommene Abgrenzung unerheblich, da weder das Merkmal des Vertrauensbruches noch das Merkmal des Zeitablaufes in der Diskussion um das Rechtsmißbrauchsverbot als eigentlicher Mißbilligungstatbestand angesehen werden kann. 247 So aber wohl Staehlin, Estoppel, S. 399. 248 Insbesondere der Unterschied zwischen dem Rechtsmißbrauch und dem sogenannten venire contra factum proprium wird häufig übersehen, vgl. hierzu Lehfeldt, Anwendung, S. 31; Merz, Schikaneverbot, S. 17l. Auf die Unterscheidung des Begriffes Rechtsmißbrauch im weiteren Sinne (d. i. im Sinne der unzulässigen Rechtsausübung) und des Rechtsmißbrauches im engeren Sinne als Unterfall des Rechtsmißbrauches im weiteren Sinne (vgl. v. Staudinger / Weber, S. 756) sollte um der Klarheit willen verzichtet werden. 249 Gegen die Benutzung von Obers ätzen des Vertrauensschutzes als axiomatische Grundsätze mit Deduktionsmöglichkeiten wendet sich auch Müller, Vertrauensschutz, S. 255 f.

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2. Kap.: A.bgrenzung des Rechtsmißbrauchsbegriffes

nen Völkerrecht zum Schaden eines anderen, welche nur im konkreten Einzelfall, d. h. ohne Rechtsbeendigung, von der Rechtsordnung mißbilligt wird, ohne daß der Rechtsausübende durch sein Vorverhalten im Zusammenhang mit dieser Rechtsausübung bereits ein rechtlich geschütztes Vertrauen gesetzt hat. Diese Abgrenzung mag zunächst nicht allzu verschieden sein von Sätzen wie, das Rechtsmißbrauchsverbot sei eine Konkretisierung von Treu und Glauben oder ein Sieg der materialen Gerechtigkeit über das formale Recht oder eine Korrektur des objektiven Rechts an den subjektiven Rechten. So wenig wie sich aus diesen Leerformeln eine Handlungsanweisung oder Entscheidungsanleitung herauslesen läßt, so wenig kann auch die hier gegebenene vorläufige Begriffsbestimmung diesen Anforderungen genügen. Dafür ist dieser Rechtsmißbrauchsbegriff noch zu abstrakt und unbestimmt und bedarf unbedingt noch weiterer Kriterien, um überhaupt ein rechtspraktischer Begriff sein zu können. Dies deutlich gemacht zu haben, muß als erster Gewinn dieser vorläufigen Begriffsbestimmung betrachtet werden. Solange diese Begriffsbestimmung nicht weiter konkretisiert werden kann, wird der Nachweis des Rechtsmißbrauchsverbotes als einer Völkerrechtsnorm nicht möglich sein. Hier aber liegt nun ein weiterer Vorteil diese vorläufigen Begriffsbestimmung: Sie zeigt offen, wo die nähere Konkretisierung ansetzen muß; nämlich in dem hier sogenannten eigentlichen Mißbilligungstatbestand. Die übrigen Tatbestandsmerkmale, die allgemein als konstituierend für das Rechtsmißbrauchsverbot anerkannt sind, bieten demgegenüber keine spezifischen Schwierigkeiten. Die Frage, ob das behauptete Recht besteht und ob es sich auch um eine Ausübung dieses Rechts handelt, ergibt sich bei allen völkerrechtlichen Problemen und ist mit den üblichen völkerrechtlichen Untersuchungsmethoden zu klären. Ebenso stellt auch der Schadensbegriff keine Besonderheit dar, sondern ist an dem allgemeinen völkerrechtlichen Schadensbegriff im Deliktsrecht zu messen. Schließlich sind durch die vorgenommene Abgrenzung des Rechtsmißbrauches als weitere Arbeitshypothese alle Fälle, in denen es sich um reine Fragen des spezifischen Vertrauensschutzes sowie um die sogenannten subordinationsrechtlichen Mißbrauchstatbestände wie Ermessensmißbrauch, Kompetenzmißbrauch u. ä. handelt, bereits ausgeschieden. 4. Zu den Rechtsfolgen eines Rechtsmißbrauches An dieser Stelle sei noch auf einen Punkt verwiesen, dessen Erörterung zwar erst nach der Analyse des Rechtsmißbrauchsverbotes als einer Norm des heutigen allgemeinen Völkerrechtes möglich ist, der aber ebenfalls keine spezifischen Schwierigkeiten bereiten dürfte: Die Frage

4. Zu den Rechtsfolgen eines Rechtsmißbrauches

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nach den Rechtsfolgen eines Rechtsmißbrauches. Auch wenn es müßig ist, sich über die möglichen Konsequenzen eines Rechtsmißbrauches auseinanderzusetzen - es geht vor allem um die Frage der Anfechtbarkeit oder der absoluten Nichtigkeit einer mißbräuchlichen Rechtsausübung250 -, solange das Rechtsinstitut als ein Teil des völkerrechtlichen Normenbestandes nicht bereits festgestellt ist25I , läßt eines sich mit Sicherheit bereits im voraus bestimmen: Wenn das Völkerrecht einen Mißbrauch des Rechtes verbietet, ist ein Verstoß gegen dieses Verbot ein Tatbestand des völkerrechtlichen Deliktsrechts2S2• Die Rechtsfolgen eines etwaigen Rechtsmißbrauches sind also nach den dort entwickelten Grundsätzen zu bestimmen und stellen kein Sonderproblem des Rechtsmißbrauchsverbotes dar.

2SO Siehe Dahm, Völkerrecht I, S. 197; Guggenheim, Validite, S. 253 f.; Roulet, Caractere, S. 83 f.; Fitzmaurice, Law and Procedure 1950, S. 14 und 1959, S.216. 251 Vgl. dagegen die recht umfangreichen Ausführungen von Roulet, Caractere, S. 83 f. zu den rechtlichen Konsequenzen eines Rechtsmißbrauches, obwohl Roulet abschließend zu der Feststellung gelangt, daß bei dem derzeitigen primitiven Stand des Völkerrechts ein Rechtsmißbrauch von wenig Nutzen sei (S. 149 f.). 252 So auch Schüle, Rechtsmißbrauch, S. 70; v. Münch, Delikt, S.19.

Drittes Kapitel

Grundsätzliche Einwendungen gegen die Möglichkeit eines Rechtsmißbrauchsverbotes 1. Vorbemerkung Bevor anhand dieses als weitere Arbeitshypothese dienenden vorläufigen Rechtsmißbrauchsbegriffes mit der Untersuchung der Völkerrechtspraxis zur näheren Konkretisierung dieses Begriffes begonnen wird, erscheint es sinnvoll, kurz auf die Argumente einzugehen, die gegen die Möglichkeit eines Rechtsmißbrauchsverbotes überhaupt, generell im Recht und speziell im Völkerrecht, vorgebracht worden sind. Für den Fall, daß es sich hierbei um zwingende, nicht zu widerlegende Argumente handelt, könnte die weitere Untersuchung bereits hier abgeschlossen werden, da ein von vornherein nicht möglicher Rechtssatz auch keinen Eingang in das Völkerrecht gefunden haben kann, eine nähere Konkretisierung des Rechtsmißbrauches also nicht möglich wäre und alle bisherigen Erörterungen um das Rechtsmißbrauchsverbot im Völkerrecht sich letztlich als eine Diskussion über ein Scheinproblem erweisen würden. Die Argumente gegen ein Rechtsmißbrauchsverbot im Völkerrecht lassen sich grob in zwei Gruppen einteilen: Zur ersten Gruppe sind alle die Argumente zu zählen, die sich gegen die Möglichkeit eines Rechtsmißbrauches als einem Rechtsinstitut überhaupt wenden. Vor allem hier ist auch die Diskussion im innerstaatlichen Recht zu beachten, da es sich bei diesem Problemkreis nicht nur um eine Frage des Völkerrechts handelt. In der zweiten Gruppe der Argumente gegen ein Rechtsmißbrauchsverbot sollen dann alle die Gründe zur Sprache kommen, die ein zwar im innerstaatlichen Bereich mögliches Rechtsmißbrauchsverbot jedenfalls im Völkerrecht für unanwendbar halten, weil einem solchen Rechtssatz die Struktur des Völkerrechts oder der Entwicklungsstand des Völkerrechtes grundsätzlich entgegenstünden.

2. Einwendungen gegen ein Rechtsmißbrauchsverbot überhaupt

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2. Einwendungen gegen die Möglichkeit eines Rechtsmißbrauchsverbotes überhaupt Zu der Behauptung, das Rechtsmißbrauchsverbot sei für eine jede Rechtsordnung als wahrer Friedensordnung unerläßlich bzw. der Grad der Entwicklung des Völkerrechts sei am Grad der Anerkennung dieses notwendigen Rechtsinstitutes zu messen, wurde schon früh eine kaum krasser vorstellbare Gegenposition bezogen. Diese gipfelte in dem Vorwurf, das Rechtsmißbrauchsverbot sei eine Logomachie l oder ein "abus de mot"2. Berühmtheit erlangt hat in diesem Zusammenhang Planiol mit der Bemerkung: "Le droit cesse oill'abus commence3." Mit diesem Satz hat die Ansicht ihren klassischen Ausdruck gefunden, die sich vor allem gegen die Möglichkeit der Unterscheidung zwischen dem Bestehen eines subjektiven Rechtes und dem gleichwohl möglichen Verbot von dessen Ausübung wendet4• Rein formal läßt sich diesem Satz eine gewisse Logik nicht absprechen; sicherlich hört das individuelle subjektive Recht dort auf, wo der abus beginnt, wenn - das ist hier bereits vorausgesetzt - der abus tatsächlich verboten ist. Aber genau diese Frage, nämlich die nach den Grenzen des subjektiven Rechtes sollen ja gegebenenfalls mit Hilfe des Begriffes vom Rechtsrnißbrauch geklärt werdens. Für die Beantwortung dieser Frage kann der berühmte Satz von Planiol zunächst nicht weiterhelfen. Gleichzeitig unterliegt die Ansicht von der logischen Unmöglichkeit eines Rechtsmißbrauches einem anderen Fehlschluß: Es ist auch im übrigen Bereich des Rechtes keineswegs so, daß ein Recht nur entweder ganz oder gar nicht besteht; es ist vielmehr üblich und notwendig, ein jedes Recht durch andere, speziellere oder generellere Normen einzuschränken. Wenn der abus de droit eine solche generelle Norm ist, dann hört zwar das Recht - und hier muß genauer gesagt werden die Zulässigkeit der Ausübung des Rechts; auch dies wurde häufig verkannt - gen au an diesem Punkte auf, die Legitimitätsgrundlage für die Rechtsausübung zu sein; von einer logischen Unmöglichkeit kann hierbei keine Rede sein6 • Duguit, Traite I (1928), S. 176; vgl. Planiol/ Ripert, Traite 11, S. 336. Dupuis, Regles Generales, S. 92. 3 Planiol, Traite Elementaire 11 (1932), S. 298. 4 Zu dieser Diskussion vgl. bereits Josserand, Esprit des Droits, S. 328 f.; Riezler, Rechtsmißbrauch, S.5 f.; v. Staudinger / Weber, S. 750 f. (im Zusammenhang mit der in Deutschland bekannten sogenannten Innentheorie); Roulet, Caractere, S. 39 f.; Mazeaud, Droit Civil li/I, S. 451 f., vor allem aber Planiol / Ripert, Traite 11, S. 336 f. und Ripert, Regles, S. 161 ff. 5 So wohl auch Guggenheim, Validite, S. 254 Anm.2; ähnlich Roulet, Caractere, S. 40 f. 6 Vgl. Planiol / Ripert, Traite 11, S.337; v. Staudinger / Weber, S. 752. I

2

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3. Kap.: Einwendungen gegen ein Rechtsmißbrauchsverbot

Es muß vermutet werden, daß das ganze Mißverständnis letztlich auf der Doppeldeutigkeit des Begriffes droit bei dem Ausdruck abus de droit beruht, welche in diesem berühmten Satz unterschwellig zum Ausdruck kommt7, da sowohl in der französischen Sprache als auch in der deutschen Sprache droit bzw. Recht sowohl das subjektive Recht als auch das objektive Recht bedeuten kann8• Gerade auf dieser Zweideutigkeit des Wortes Recht scheint aber die beim ersten Anschein verblüffende "Richtigkeit" dieses Satzes zu liegen, obwohl bereits eine kurze Überlegung offenbart, daß es sich wohl eher um ein Mißverständnis handelt. Will man droit in diesem Zusammenhang im Sinne der objektiven Rechtsordnung verstehen, dann würde dies tatsächlich erst zu einem logischen Widerspruch führen, denn konsequent weitergedacht würde es letztlich bedeuten, daß die Frage des abus jenseits des Rechtes liegt - das Rechtsmißbrauchsverbot würde in diesem Fall aber aufhören, ein Problem des positiven Rechts zu sein. Es kann also nur das Recht im subjektiven Sinne gemeint sein. Dann widerspricht dieser Satz aber nicht einer logischen Interpretation des Rechtsmißbrauchsverbotes als einer Norm, die im Einzelfall dem ausgeübten Recht die Legitimation für eine bestimmte Handlung entzieht. Daß das subjektive Recht im Einzelfall bei einem Mißbrauch seine Grenze haben soll, soll ja gerade eine Forderung der objektiven Rechtsordnung sein; diese kann also nicht gleichzeitig aufhören9 • In diesem Zusammenhang muß noch auf den Einwand hingewiesen werden, eine mißbräuchliche Rechtsausübung sei schon deshalb nicht denkbar, weil in dem Moment des Mißbrauches ein subjektives Recht zur Handlung gar nicht mehr vorliege. Solange ein subjektives Recht gegeben sei, könne dies auch ausgeübt werden, bei einem Mißbrauch dieses Rechtes liege jedoch ein Handeln ohne Recht va rIO. Richtig ist, daß ein Recht nicht gleichzeitig gültig und ungültig sein kann, was mit diesem Vorwurf impliziert werden soll. Dieser Vorwurf zielt gleichwohl an dem eigentlichen Kern des Rechtsmißbrauches vorbei, da mit diesem Rechtssatz die Ausübung von bestehenden Rechten im Einzelfall gere7 Schon Campion, Exercice, S.281 nennt diesen Satz ein "jeu de mots"; ebenso Josserand, Esprit des Droits, S. 333. 8 Zu dieser Doppeldeutigkeit s. auch Roulet, Caractere, S. 41 f.; Mazeaud, Droit Civil 11/1, S.452; so auch oben 2. Kap. 2.2.2.2. 9 Verschiedentlich wurde darauf hingewiesen, daß es besser sei, den Ausdruck abus d'un droit zu benutzen, s. Ripert, Regle Morale, S. 158; Mazeaud, Droit Civil 11/1, S.452 - eine überlegung, die viel für sich hat, da die Doppeldeutigkeit des Begriffes droit eliminiert wäre. 10 Vgl. hierzu v. Staudinger / Weber, S. 750; E. Wolf, Allgemeiner Teil, S.82; Dupuis, Regles Generales, S. 93 f.; Roulet, Caractere, S.39; Voss, Rechtsmißbrauch, S. 130 f.

2. Einwendungen gegen ein Rechtsmißbrauchsverbot überhaupt

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gelt werden soll, ohne daß die Existenz des zugrundeliegenden Rechtes im ganzen bestritten wird. Es soll gerade zum Rechtsmißbrauchsverbot gehören, daß der Bestand des subjektiven Rechtes insgesamt nicht berührt wird, das zugrundeliegende Eigentumsrecht z. B. durch eine mißbräuchliche Eigentumsausübung nicht aufhört, sondern nur eine spezielle Handlung untersagt sein soll. Wie auch von der gegenteiligen Ansicht zutreffend erkannt wird, handelt es sich letztlich um eine Bestimmung des Inhaltes des subjektiven Rechtes, die jedoch nach dieser Ansicht in jedem Recht selbst bereits festgelegt sei, so daß es eines Maßstabes der Ausübung im Sinne eines Rechtsmißbrauchverbotes nicht bedürfe. Die Zulässigkeit der Rechtsausübung im Einzelfall ergebe sich bereits aus dem jeweils gewährten subjektiven Rechtll . Es ist zwar richtig, daß eine Rechtsausübung nur dann rechtlich zulässig ist, wenn sie sich im Rahmen des gewährten subjektiven Rechtes hält, mit dem bloßen Abstellen auf den Inhalt des subjektiven Rechts allein ist jedoch das Problem nicht gelöst, wo die Grenzen der Rechtsausübung letztlich zu suchen sind 12• Wäre es wirklich so, daß die inhaltliche Weite eines jeden Rechtes sich bereits immer aus diesem selbst ergäbe, dann bedürfte es in keinem Falle noch weiterer einschränkender, spezieller oder genereller Normen. Die Grenzen eines subjektiven Rechtes ergeben sich aber nicht nur aus dem jeweiligen Recht selbst, sondern auch aus der Gesamtbetrachtung aller in Betracht kommenden Normen, die in ihrer gegenseitigen Verflechtung und Verschränkung von jeweils speziellen und generellen Regeln erst die Handlungsrnacht im Einzelfall bestimmen. Es besteht hierbei überhaupt kein Anlaß, von vornherein die Möglichkeit auszuschließen, daß einzelne Rechte auch durch ein generelles Rechtsmißbrauchsverbot in ihrer Ausübung beschränkt sein können. Auf diesem Gedanken aufbauend, kommt der führende Vertreter von der sogenannten relative des droits, J osserand, schließlich sogar zur ausdrücklichen Bejahung des Rechtsmißbrauchsverbotes 1J • Als Parallele hierzu und im Prinzip auf dem gleichen Gedanken aufbauend kam auch in Deutschland die maßgeblich von Siebert beeinfluß te Lehre von der sogenannten Innentheorie des Rechtsrnißbrauches zu dem gleichen Ergebnis l4 • Die Lehre von der sogenannten Innentheo11 So wohl auch Bruns, Rechtsordnung I, S. 39 ff.; Wolff, Allgemeiner Teil, S. 82 f. mit weiteren Hinweisen zur Diskussion; ebenso wohl v. Staudinger / Schmidt, S. 212 f. 12 Roulet, Caractere, S. 40 f. 13 Josserand, Esprit des Droits, S. 313 f.; ebenso van Bogaert, Rechtsmisbruik, S. 114. 14 Siebert, Wesen, S. 203 ff.; ders., Verwirkung, S. 85 f.; Werner, Rechtsmißbrauch, S. 53 f. - Durchaus folgerichtig ist in Anlehnung an die Innentheorie festgestellt worden, daß der Satz "Le droit cesse ou l'abus commence" letztlich eine Wahrheit sei, die nichts über den Rechtsmißbrauch aussage, da sie

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3. Kap.: Einwendungen gegen ein Rechtsmißbrauchsverbot

rie unterscheidet sich von den Gegnern des Rechtsmißbrauches - wegen dessen angeblicher logischer Widersprüchlichkeit zu dem Begriff des subjektiven Rechts - vor allem darin, daß sie es für möglich hält, den Inhalt der einzelnen Rechte selbst durch Gesetze zu beschränken l5 • Doch scheint hier die Lehre VOn der sogenannten Außentheorie, die einem jeden zunächst als unbegrenzt verstandenen subjektiven Recht nur von außen durch andere, dieses subjektive Recht beschränkende Normen, Grenzen setzen Will 16, den Vorzug der größeren Klarheit zu haben, da hierdurch zum Ausdruck kommt, daß die Beschränkung der subjektiven Rechte nicht nur in diesen selbst liegen kann, sondern die subjektiven Rechte auch VOn außen durch auf diese einwirkende andere Tatbestände begrenzt werden und der Umfang der Ausübung eines Rechtes immer bestimmt ist von dem jeweiligen Bestand solcher einschränkenden Normen l7 • Auf die - im übrigen spezifisch deutsche - Diskussion um die sogenannte Innen- und Außentheorie des Rechtsmißbrauches soll hier nicht weiter eingegangen werden. Diese Diskussion ist letztlich rein theoretischer Natur und beide Betrachtungsweisen lassen sich sehr wohl miteinander vereinbaren l8 • Beide Theorien sind verpflichtet, Kriterien anzugeben, wann eigentlich eine Rechtsausübung zu mißbilligen ist, was vor allem auch für die sogenannte Innentheorie gilt, die ohne nähere Angaben VOn Kriterien ebenfalls nicht in der Lage ist, eine Inhaltsbebestimmung der subjektiven Rechte vorzunehmenl9 • Welcher Theorie man im einzelnen zu folgen geneigt ist, scheint mehr eine Frage des Blickwinkels als der Weltanschauung darüber zu sein, wie man sich die Beschränkung der subjektiven Rechte durch andere - insbesondere generelle - Rechtssätze vorstellen will. Die sogenannte Außentheorie kann wohl eher als Ausdruck eines prinzipiell zur Betoriung des indiviallgemein gelte (Voss, Rechtsmißbrauch, S.63). Siebert sah diesen Satz gar direkt als Ausdruck der sogenannten Innentheorie an (Siebert, Verwirkung, S.99). 15 Siebert, Verwirkung, S.89; v. Staudinger / Weber, S.750. 16 Vgl. Schindler, Rechtsmißbrauch, S.57; v. Staudinger / Weber, S.759. 17 Diese einschränkenden insbesondere generellen - Normen dürfen allerdings nicht als eine Art höhere Kategorie von Recht verstanden werden. Eine solche Betrachtung ist unhaltbar, wenn man nicht auf überpositives, d. h. Naturrecht verweisen will. Dieser Gefahr unterliegen vor allem die Autoren, die in dem Rechtsmißbrauch letztlich nur einen moralischen oder Billigkeitsgrundsatz sehen (Dabin, Droit Subjectif, S. 293). 18 v. Staudinger / Weber, S.749. 19 Die führenden Vertreter der Innentheorie haben auch folgerichtig versucht, das Rechtsmißbrauchsverbot durch weitere Kriterien näher zu bestimmen und abzugrenzen (s. Siebert, Wesen, S. 205; Josserand, Esprit des Droits, S. 364 f.), da es offensichtlich ist, daß mit Ausdrücken wie "materielle Gebundenheit der Rechtsnorm" (so Voss, Rechtsmißbrauch, S. 64 f.) noch nicht viel gewonnen ist.

2. Einwendungen gegen ein Rechtsmißbrauchsverbot überhaupt

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dualistisch neigenden Standpunktes gewertet werden, welcher den Akzent zunächst vor allem auf das Bestehen des subjektiven Rechts legen will, während die sogenannte Innentheorie gerade dieser - von ihr so verstandenen - überbetonung des subjektiven Rechts die Schärfe nehmen will, indem sie die Einschränkungstatbestände quasi in den Begriff des subjektiven Rechts einbezieht. Soweit beide Theorien jedoch zu den gleichen Kriterien für das Vorliegen eines Rechtsmißbrauchsverbotes kommen, ist die Unterscheidung für die Praxis tatsächlich irrelevanfO. Die These jedenfalls, ein Rechtsmißbrauchsverbot sei überhaupt unmöglich, da unlogisch und in Widerspruch zu dem Begriff des subjektiven Rechts stehend, läßt sich abstrakt genausowenig vertreten wie die Gegenposition, die das Rechtsmißbrauchsverbot als notwendigen Bestandteil einer jeden Rechtsordnung zu begründen versuchte. Es hängt vielmehr von der konkreten Ausgestaltung einer jeden Rechtsordnung selbst ab, ob sie die Beschränkung der subjektiven Rechte möglichst in deren Tatbestand selbst legt, um Mißbräuche auszuschließen, oder ob der Weg über Generalklauseln gewählt wird, die bei der Ausübung eines jeden subjektiven Rechts zum Tragen kommen können21 • Abgesehen von den obigen Bemerkungen muß sich die Behauptung, ein Rechtsmißbrauchsverbot sei theoretisch überhaupt nicht begründbar, einfach an der Realität stoßen: Verschiedene Rechtsordnungen wie z. B. die deutsche und französische arbeiten sehr wohl in der Rechtspraxis mit dem Rechtsmißbrauchsverbot. Und so bleibt die Frage, welchen Sinn es haben soll, eine Theorie als unmöglich zu bezeichnen, die immerhin in einigen Rechtsordnungen zu praktischen Ergebnissen führt. Zusammenfassend muß daher konstatiert werden, daß es sich bei dem Rechtsmißbrauchsverbot um eine bestimmte Rechtstechnik handelt, die generell geeignet ist, die Ausübung von Rechten zu beschränken. Ob sich eine Rechtsordnung dieser Rechtstechnik bedient, ist allerdings weder deduktiv aus dem Begriff des Rechtes herleitbar noch bestreitbar, sondern eine Frage der konkreten Ausgestaltung einer jeden Rechtsordnung22.

20 v. Staudinger / Coing, S. 1182; vgl. hier auch die Praxis der deutschen Rechtsprechung, die sich nicht eindeutig für die eine oder andere Theorie entschieden hat (v. Staudinger / Weber, S. 753). 21 Nach Salvioli, Regles Generales, S.68 reduziert sich das Problem auf die Interpretation der Rechtssätze. 22 So auch Roulet, Caractere, S. 36 f., 82.

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3. Kap.: Einwendungen gegen ein Rechtsmißbrauchsverbot

3. Einwendungen gegen ein Rechtsmißbrauchsverbot im Völkerrecht In der zweiten Gruppe der Einwände gegen die Möglichkeit des Rechtsmißbrauchsverbotes im Völkerrecht sollen diejenigen zusammengefaßt werden, die zwar - zumindest implizit - die Möglichkeit eines Rechtsmißbrauchsverbotes für das innerstaatliche Recht nicht leugnen wollen, in der Struktur des Völkerrechts jedoch solche entscheidenden Unterschiede im Vergleich zu den innerstaatlichen Rechtsordnungen sehen, daß für ein Rechtsmißbrauchsverbot im Völkerrecht von vornherein kein Platz sein soll. Gegen den von Politis und anderen behaupteten Zusammenhang zwischen dem sozialen Charakter des sogenannten neuen Völkerrechtes und dem Rechtsmißbrauchsverbot lag der Einwand durchaus nahe, immer wieder auf das keineswegs vollständig aufgegebene Souveränitätsdenken zu verweisen und vor allem unter Hinweis auf die dem Völkerrecht fehlende zentrale Zwangsgewalt den individualistischen Charakter des Völkerrechts zu betonen, um dann im Gegenschluß die Unmöglichkeit eines Rechtsmißbrauchsverbotes im Völkerrecht hervorzuheben23 • Zu diesem Umkehrschluß ist - praktisch nur unter anderem Vorzeichen - das gleiche zu sagen, was gegen die Deduktionsmöglichkeiten des Rechtsmißbrauchsverbotes aus dem angeblich soZialen Charakter des Völkerrechtes vorgebracht worden ist: Den behaupteten krassen Individualismus des Völkerrechts einmal unterstellt, kann diese Anschauung nicht an der Tatsache vorbeigehen, daß auch im Völkerrecht Rechtskonflikte zur Entscheidung anstehen und auch das Völkerrecht nicht so individualistisch ist, als daß nicht auch die Handlungsfreiheit des einzelnen Staates durch die des anderen tangiert würde. Das Völkerrecht benötigt daher wie jede Rechtsordnung irgendwie geartete Rechtsregeln, um die einzelnen Rechtskonflikte rechtsverbindlich lösen zu können. Diese Rechtskonflikte entstehen aus dem gewollten oder auch ungewollten sozialen Kontakt, der ja gleichzeitig auch Voraussetzung für das Entstehen einer Rechtsordnung ist. Wenn also solchermaßen zugegeben werden muß, daß eine jede Rechtsordnung Normen enthalten muß, die zur Entscheidungshilfe in Rechtskonflikten dienen, kann nicht einfach behauptet werden, daß eine derartige Konfliktsnorm, die in bestimmten Rechtsordnungen bekannt ist und angewandt wird, aufgrund der Struktur einer bestimmten Rechtsordnung dort nicht möglich sei. Die Frage, welcher - vor allem generellen - Konfliktsnorm sich eine Rechtsordnung im einzelnen tatsächlich bedient, bzw. mit welchem Umfang und Inhalt bestimmte bekannte Rechtssätze zur Konfliktslösung herangezogen werden, läßt sich nur anhand einer konkreten Untersuchung, nicht 23 Ago, Delit, S.443; Cavaglieri, Corso, S. 508; Seerni, Abuso di Diritto, S. 80; vgl. auch Bondil, Detournement, S. 60.

3. Gegen ein Rechtsmißbrauchsverbot im Völkerrecht

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aber abstrakt aus dem Wesen, der Rechtsnatur oder ähnlichem einer Rechtsordnung feststellen24• In engem Zusammenhang mit dem vorigen Argument steht ein weiteres, das vor allem auf den evolutiven Charakter des Rechtes abstellt und hier eine strenge Unterscheidung vornimmt zwischen den hochentwickelten innerstaatlichen Rechtsordnungen und dem primitiven Völkerrecht. Nur in den erstgenannten Rechtsordnungen könne ein Rechtsmißbrauch möglich sein, während im Völkerrecht der Normbestand noch zu rudimentär seilS. Zunächst spricht für die Richtigkeit dieser These, daß das Rechtsmißbrauchsverbot tatsächlich eine relativ neue Entwicklung in einigen hochentwickelten internen Rechtsordnungen - wenn man von den Ansätzen im römischen Recht absieht - ist. So mag historisch gesehen diese These zutreffend sein, doch läßt sich keineswegs hieraus ableiten, ein - wenn auch in höher entwickelten Rechtsordnungen zuerst herausgearbeitetes - Rechtsinstitut wie das Rechtsmißbrauchsverbot könne nicht auch in weniger entwickelten Rechtsordnungen möglich sein. Denn eine auch noch so primitive Rechtsordnung bedarf eines gewissen Vorrats an Konfliktsnormen, und es ist jedenfalls kein Grund zu sehen, warum das Rechtsmißbrauchsverbot nicht auch in weniger entwickelten Rechten seinen Platz haben könnte, nachdem es nun einmal das Licht der Welt erblickt hatJh. Abschließend sei noch auf eine letzte Gruppe von Einwänden eingegangen, die zwar die Möglichkeit eines Rechtsmißbrauchsverbotes nicht grundsätzlich zu leugnen scheinen, dieses aber im Völkerrecht für weitgehend überflüssig oder gar gefährlich und schädlich halten27 • Streng genommen handelt es sich bei diesen Argumenten nicht tim einen grundsätzlichen, sondern einen praktischen Einwand: Es wird ein (völSo auch Bauer, Entführung, S. 114. Schlochauer, Theorie, S.383; ähnlich auch Schwarzenberger, Uses, S.179. 26 Es braucht auch an dieser Stelle nicht geklärt zu werden, inwieweit die Charakterisierung des Völkerrechts als ein primitives Recht heute noch zutreffend ist angesichts seiner Funktion zur Regelung der internationalen Beziehungen von geradezu universellem Charakter. So ist von anderer Seite demgegenüber gerade der primitive Zustand des Völkerrechts als dem Rechtsmißbrauch günstig angesehen worden (siehe Guggenheim, Validite, S.250). Bei der Vielzahl der Möglichkeiten, einen Zusammenhang zwischen der Möglichkeit oder Nützlichkeit des Rechtsmißbrauchs und dem Entwicklungsstand des Völkerrechtes herzustellen, verwundert es nicht, daß das Rechtsmißbrauchsverbot u. a. auch deshalb im Völkerrecht abgelehnt worden ist, weil es sich hierbei zwar um ein nützliches früheres Rechtsinstitut handele, das aber nur in den Zeiten eines "formalistischen" Rechtes habe eine Rolle spielen können (vgl. Fur, Observations, S.788). 27 Vgl. Schwarzenberger, Uses, S.167; Lester, Polution, S. 834 f.; Dupuis, Observations, S.811; Le Fur, Observations, S. 785 f.; Verzijl, International Law I, S.316; Menzel/ Ipsen, Völkerrecht, S.354; im Ergebnis ebenso v. Münch, Delikt, S.19, 165; nicht ganz klar Jiminez de Arechaga, Responsibility, S. 540. 24 lS

8 Neuhaus

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3. Kap.: Einwendungen gegen ein Rechtsmißbrauchsverbot

kerrechtlicher) Begriff des Rechtsmißbrauches vorausgesetzt, der in der Völkerrechtspraxis bzw. in dem völkerrechtlichen Normsystem jedoch keinen Platz habe. Daß auf diese Argumente gleichwohl hier kurz eingegangen wird, hat seinen Grund darin, daß es sich letztlich um zumindest verdeckte theoretische Einwendungen gegen ein Rechtsmißbrauchsverbot im Völkerrecht handelt. Soweit die überflüssigkeit des Rechtsmißbrauchsverbotes behauptet worden ist, weil das Völkerrecht genügend andere Regeln kenne28 , liegt dieser Argumentation letztlich die Vorstellung von den immanenten Grenzen der subjektiven Rechte zugrunde, oder aber das Rechtsmißbrauchsverbot wird eben deshalb für überflüssig gehalten, weil die ihm zugewiesenen Funktionen im Völkerrecht bereits von anderen Normen ausgefüllt würden, die in den weitaus überwiegenden Fällen eine Antwort auf die Frage der Grenzen der Rechtsausübung geben könnten. Für die erstere Vorstellung kann auf das oben zur Problematik der Inhaltsbestimmung durch das subjektive Recht selbst Gesagte verwiesen werden. Für das letztere ist festzuhalten, daß eine solche Feststellung allenfalls am Ende der Untersuchung erfolgen könnte, nicht aber bereits apriori geklärt werden kann, ob nicht auch im Völkerrecht das Rechtsmißbrauchsverbot zu dem Bestand der Konfliktsnormen zu zählen ist. Weder die Existenz anderer Konfliktsnormen noch die Feststellung, die völkerrechtlichen Normen seien weich und elastisch, sprechen für eine überflüssigkeit eines Rechtsmißbrauchsverbotes im Völkerrecht von vornherein29 , da dieses Argument auch umgekehrt richtig sein kann, daß nämlich gerade bei recht unbestimmten Rechten die Konfliktsmöglichkeiten besonders groß sind, eine derartige Situation dem Rechtsmißbrauchsverbot also günstig sein müßte30 • In ähnlicher Weise führt auch die Behauptung, bei dem Rechtsmißbrauchsverbot handele es sich notwendigerweise um ein völkerrechtliches Delikt, das aber ohnehin im Völkerrecht verboten sei, so daß mit der Anerkennung des Rechtsmißbrauchsverbots mit dem Völkerrecht nichts Neues hinzugefügt werde3l, letztlich nicht zu der völligen überflüssigkeit des Rechtsmißbrauches im Völkerrecht. Zur Bestimmung eines völkerrechtlichen Deliktes bedarf es genauer Tatbestände, denn der Begriff des völkerrechtlichen Deliktes kann lediglich als Oberbegriff für die verschiedenen Deliktstatbestände fungieren und setzt sich erst 28 Vgl. Schwarzenberger, International Law and Order, S. 85 f., 99 f. für einen weiten Bereich des Völkerrechts; Verzijl, International Law I, S. 316 f. (in Anlehnung an Schwarzenberger). 29 Anderer Ansicht Roulet, Caractere, S. 139, 150. 30 In diesem Sinne Rundstein, Rechtsgrundsätze, S. 42. 31 Dupuis, Regles Generales, S. 811; in diesem Sinne wohl auch v. Münch, Delikt, S. 19.

3. Gegen ein Rechtsmißbrauchsverbot im Völkerrecht

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aus der Summe der einzelnen Deliktstatbestände zusammen. Die Feststellung, daß sowohl das völkerrechtliche Delikt als auch der Rechtsrnißbrauch völkerrechtliches Unrecht darstellen, ist ohne nähere Konkretisierung eine Leerformel, und nichts spricht dagegen, in dem Rechtsmißbrauchsverbot einen möglichen speziellen völkerrechtlichen Deliktstatbestand zu sehen32 • Es mag zwar sein, daß die Funktionen, die das Rechtsmißbrauchsverbot in den verschiedensten innerstaatlichen Rechtsordnungen ausfüllt, im Völkerrecht auf andere Weise mittels anderer Rechtstechniken erreicht werden, dies darf aber nicht dazu führen, die überflüssigkeit des Rechtsmißbrauchsverbotes im Völkerrecht schlechthin zu postulieren. Eine andere Frage ist, ob de lege ferenda Einwände gemacht werden können bezüglich der Nützlichkeit eines Rechtsmißbrauchsverbotes im Völkerrecht, falls dieses noch nicht als Norm des allgemeinen Völkerrechts gesichert werden kann. An diese Stelle gehören genau genommen diejenigen ablehnenden Äußerungen, die das Rechtsmißbrauchsverbot für gefährlich oder schädlich halten. Soweit hierbei vor allem gefürchtet wird, das Rechtsmißbrauchsverbot könne zur Auflösung des Begriffes vom subjektiven Recht und zur Rechtsunsicberheit führen33 , weil letztlich jede Rechtsausübung unter dem "Damoklesschwert" des Rechtsmißbrauchsverbotes stehe, so greift auch dieser Hinweis zu kurz, um von vornherein die Möglichkeit eines Rechtsmißbrauchsverbotes im Völkerrecht auszuschließen. Immerhin ist in einigen Rechtsordnungen ein Rechtsmißbrauchsverbot als allgemeiner Rechtssatz im Sinne einer Generalklausel anerkannt, ohne daß diesen Rechtsordnungen eine größere Rechtsunsicherheit bescheinigt werden könnte, wobei noch zusätzlich der Umstand hinzutritt, daß der Entwicklungsstand dieser Länder - z. B. Deutschland, Frankreich und die Schweiz - vergleichbar ist mit den Ländern, die nicht auf ein Rechtsmißbrauchsverbot zur Lösung allgemeiner Rechtskonflikte zurückgreifen, wie z. B. England und Italien. So handelt es sich bei dem Rechtsmißbrauchsverbot um eine GeneralklauseI, die trotz aller gelegentlichen Warnungen vor den Generalklauseln in manchen Rechtsordnungen gute Dienste geleistet hat oder noch leistet. Es mag sein, daß das Völkerrecht aufgrund seiner heutigen Struktur der Anerkennung und vor allem der Neubildung von Generalklauseln weniger gewogen isP', gleichwohl kann eine solche Möglichkeit nicht gänzlich geleugnet werden. So auch Schüle, Rechtsmißbrauch, S. 70. Vgl. Morin, Observations, S.471; Dupuis, Regles Generales, S.94; VerzijI, International Law I, S. 319 f.; Fischer, Droit International, S. 317. 34 Zu den beschränkten Möglichkeiten von generellen Normen im Völkerrecht vgl. Hoffmann, Verantwortung, S.105 f. 32 33



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3. Kap.: Einwendungen gegen ein Rechtsmißbrauchsverbot

Schließlich bliebe als letzter Einwand gegen eine grundsätzliche Möglichkeit eines Rechtsmißbrauchsverbotes im Völkerrecht auch denkbar, daß im Völkerrecht ein ausgesprochenes Verbot der Anwendung von Generalklauseln nachweisbar wäre. Ein solches Verbot kennt das Völkerrecht jedoch nicht und wäre im übrigen, schon wegen der Schwierigkeiten, eine generelle Norm von einer speziellen Norm abzugrenzen, kaum denkbar. 4. Zusammenfassung

Die Unmöglichkeit eines Rechtsmißbrauchsverbotes im Völkerrecht läßt sich somit rein theoretisch deduktiv genausowenig begründen, wie auch der Versuch einer rein theoretischen Begründung eines konkreten Rechtsmißbrauchsverbotes im Völkerrecht nicht gelingen konnte. Manche der im voraus oder ohne nähere Untersuchung oder Begründung gebrachten Einwände gegen ein Rechtsmißbrauchsverbot im Völkerrecht können allenfalls dann berechtigt sein, wenn eine nähere Konkretisierung des Rechtsmißbrauchsverbotes in der Völkerrechtspraxis nicht nachweisbar ist. Dies betrifft vor allem die Verweise auf den Generalklauselcharakter des Rechtsmißbrauchsverbotes und die damit verbundene Gefährlichkeit oder Schädlichkeit für die Völkerrechtsordnung. Die grundsätzliche Ablehnung eines Rechtsmißbrauchsverbotes aus diesen Gründen von vornherein unterbindet jedoch, was erst geleistet werden soll - den Nachweis der Geltung bzw. Nichtgeltungdes Rechtsmißbrauchsverbotes im Völkerrecht.

Viertes Kapitel

Das Rechtsmißbrauchsverbot im heutigen Völkerrecht 1. Vorbemerkung: Die Rechtsquellen Um den Inhalt und die Geltung eines Rechtsmißbrauchsverbotes im allgemeinen Völkerrecht nachzuweisen, muß auf die allgemeinen im Völkerrecht anerkannten Rechtsquellen zurückgegriffen werden. Auf die recht unterschiedlichen Theorien zur Völkerrechtsquellenlehre bzw. auf den unterschiedlichen Gebrauch des Begriffs der Rechtsquellen im Völkerrecht soll hier nicht näher eingegangen werden!, obwohl hierdurch möglicherweise das Ergebnis beeinflußt wird. Es erscheint jedenfalls nicht sinnvoll, bei einer Untersuchung "de lege lata" von recht umstrittenen Rechtsquellentheorien auszugehen, soll dem Ergebnis nicht von vornherein die Möglichkeit einer breiten Basis der Zustimmung genommen werden. Dies ist um so mehr berechtigt, als die eigentlichen Theoriestreitigkeiten auch hier um so mehr ihre Relevanz verlieren, als an die Untersuchung konkreter völkerrechtlicher Probleme gegangen wird. In übereinstimmung mit dem weit überwiegenden Teil der Völkerrechtslehre wird davon ausgegangen, daß Artikel 38 Abs. 1 Buchst. a)-c) des Statuts IGH über seine Bedeutung als Rechtsprechungsgrundlage für den Internationalen Gerichtshof hinaus gültiger Ausdruck für die allgemein vorherrschende völkerrechtliche Rechtsquellenlehre ist2• Streitig ist allerdings, ob es sich bei der Nennung der Völkerrechtsquellen in Art. 38 Abs. 1 des Statuts IGH um eine erschöpfende Aufzählung handelt3, oder ob darüber hinaus noch weitere Völkerrechtsquellen möglich bzw. anerkannt sind4• Grundsätzlich kann sicherlich die Möglichkeit weiterer Rechtsquellen nicht ausgeschlossen werden, wenn sich eine dahingehende Staatengewohnheit herausbildets. Bei dem gegenwärtigen ! Vgl. hierzu Berber, Völkerrecht I, S. 34 f.; Menzel / Ipsen, Völkerrecht, S. 74 f.; Mössner, Einführung, S. 17. 2 Verdross, Quellen, S. 24 f., 98; v. Münch, Völkerrecht, S.52; v. d. Heydte, Völkerrecht I, S.67; anderer Ansicht Jaenicke, Völkerrechtsquellen, S.767; DDR-Lehrbuch Völkerrecht I, S. 208 f. 3 So z. B. Seidl-Hohenveldern, Völkerrecht, S. 41. 4 So z. B. Menzel / Ipsen, Völkerrecht, S. 75.

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4. Kap.: Rechtsmißbrauchsverbot im heutigen Völkerrecht

Stand des Völkerrechts scheint jedoch von weiteren anerkannten Völkerrechtsquellen nicht ausgegangen werden zu können, so daß die weitere Untersuchung auf die in Art. 38 Abs. 1 Buchst. a)-c) des Statuts IGH genannten Völkerrechts quellen beschränkt bleiben so1l6. Obwohl vieles dafür spricht, das Völkergewohnheitsrecht als erstes der Betrachtung zu unterziehen, da dieses letztlich den anderen Völkerrechtsquellen erst ihre Bindung verleiht7 , soll hier an der Reihenfolge des Art. 38 Abs. 1 des Statuts IGH festgehalten werden, wobei dies nicht als eine Festlegung bezüglich des ebenfalls vieldiskutierten Problems der Rangfolge der Völkerrechtsquellen untereinander zu verstehen ist8 • Aus rein praktischen Gründen soll zunächst untersucht werden, ob ein allgemeines Rechtsmißbrauchsverbot im Völkerrecht bereits seine Grundlage im völkerrechtlichen Vertragsrecht hat. Läßt sich das Rechtsmißbrauchsverbot nämlich bereits als eine vertraglich verankerte allgemeine Völkerrechtsnorm ausmachen, so spräche dies nicht nur für eine darin zum Ausdruck gekommene Rechtsüberzeugung der Staaten, sondern machte eine weitere Untersuchung des Völkergewohnheitsrechtes letztlich überflüssig9 • Angesichts der Tatsache, daß in der Vergangenheit in der völkerrechtlichen Literatur das Rechtsmißbrauchsverbot in weit überwiegendem Maße als allgemeiner Rechtsgrundsatz im Sinne des Art.38 Abs.l Buchst. c) des Statuts IGH behandelt worden ist10 , wird auch diesem Problemkreis entsprechend Platz eingeräumt werden müssen. Inwieweit den allgemeinen Rechtsgrundsätzen des Statuts IGH ein Wert als eigene Rechtsquelle zukommt, und mit welchem Inhalt die allgemeinen Rechtsgrundsätze im Normgefüge des Völkerrechts verstan5 Auf die Bedeutung der Staatengewohnheit als Einsetzungsnorm für das völkerrechtliche Vertragsrecht und die anerkannten allgemeinen Rechtsgrundsätze weist Hoffmann, Verantwortung, S. 9 f. hin; auch die Anerkennung weiterer Völkerrechtsquellen muß ihre Grundlage in einer dahin gehenden Staatengewohnheit haben. 6 Umstritten ist insbesondere, inwieweit den Entschließungen der UN-Vollversammlung rechtsetzender Charakter zuzumessen ist. Auf dieses vieldiskutierte Problem einzugehen (vgl. Mössner, Einführung, S.52; Weber / v. Wedel, Völkerrecht, S.78; Menzel / Ipsen, Völkerrecht, S.90; Verdross, Quellen, S. 137 f.; DDR-Lehrbuch Völkerrecht I, S. 206 f. - jeweils mit weiteren Hinweisen), erübrigt sich im Zusammenhang mit dem Rechtsmißbrauchsverbot nicht zuletzt deshalb, weil bislang jedenfalls noch keine Entschließung bekannt ist, die sich mit dem Problem des Rechtsmißbrauchsverbotes als einer generellen Norm des Völkerrechts befaßt. 7 Vallindas, General Principles, S.426; Gihl, Legal Character, S. 75. 8 Zu der Frage, inwieweit die Reihenfolge der Völkerrechtsquellen in Art. 38 Abs. 1 des Statuts IGH auch als Rangfolge zu verstehen ist, vgl. Brunner, Quellen, S. 66 f.; Jaenicke, Völkerrechtsquellen, S.768, 773; Menzel /Ipsen, Völkerrecht, S. 93 f.; Weber / v. Wedel, Völkerrecht, S.63. 9 So im Ergebnis auch Roulet, Caractere, S. 99 f. 10 Vgl. Härle, Entscheidungsgrundlagen, S. 182; Roulet, Caractere, S. 105; .hierzu auch oben 1. Kap. 4.2. (Amn. 95).

2. Rechtsmißbrauchsverbot im Völkervertragsrecht

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den werden müssen, soll erst weiter unten erörtert werden, da die unterschiedlichen Interpretationen des Rechtsmißbrauches als einem allgemeinen Rechtsgrundsatz offensichtlich auch aus der unterschiedlichen Auffassung über die allgemeinen Rechtsgrundsätze herrühren. Dieser enge Zusammenhang rechtfertigt es, die Frage nach der Rechtsnatur und dem Inhalt der allgemeinen Rechtsgrundsätze mit der Untersuchung, ob das Rechtsmißbrauchsverbot einen allgemeinen Rechtsgrundsatz in diesem Sinne darstellt, zu verbinden. 2. Zum Rechtsmißbrauchsverbot im Völkervertragsrecht Nur selten ist bislang behauptet worden, die Geltung bzw. der Inhalt des Rechtsmißbrauchsverbotes ergebe sich aus der völkerrechtlichen Vertragspraxis l1 • So haben sogar die größeren Monographien von Politis, Trifu, Kiss und Voss gänzlich auf eine Untersuchung der Vertragspraxis verzichtet, während Roulet zwar in seiner Untersuchung dem Vertragsrecht ein eigenes Kapitel widmet, sich hierbei - notgedrungen - jedoch auf wenige Beispiele beschränkt, die im übrigen alle negativ ausfallen\2. Diesem bislang negativen Befund kommt angesichts der besonderen Bedeutung der Vertragspraxis und der ständig zunehmenden Zahl der völkerrechtlichen Verträge von nahezu universellem Charakter besondere Bedeutung zu. Daß dem Vertragsrecht bei der Beachtung des Rechtsmißbrauchsverbotes bislang so wenig Aufmerksamkeit geschenkt wurde, kann seinen Grund also nicht in der völkerrechtlichen Bedeutung der internationalen Verträge, sondern nur in deren geringen Ergiebigkeit für den Untersuchungsgegenstand haben. Hierbei ist vor allem zu beachten, daß von einer Anerkennung des Rechtsmißbrauchsverbotes im völkerrechtlichen Vertragsrecht nur dann gesprochen werden könnte, wenn dieses in einer der inzwischen recht zahlreichen großen sogenannten Konventionen oder sogenannten Kodifikationen, d. h. Verträgen von fast universellem Charakter niedergelegt worden wäre, während die Nennung eines Rechtsmißbrauchsverbotes in anderen multi- oder bilateralen Verträgen allenfalls als ein Indiz für eine dahingehende Staatenpraxis und die Herausbildung eines dahingehenden Völkergewohnheitsrechtes sein kann, weshalb der eventuelle Wert solcher Nennungen des Rechtsmißbrauches erst im Zusammenhang mit dem Völkergewohnheitsrecht behandelt werden soll. Auch auf die Problematik, ob es völkerrechtliche Verträge gibt, die über den Kreis der vertragschließenden Parteien hinaus rechtsetzende Kraft haben (sogenannte traites-Iois, law-making-treaties) braucht hier nicht wei11 12

Vgl. aber Dahm, Völkerrecht I, S. 196. Roulet, Caractere, S. 99 f.

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4. Kap.: Rechtsmißbrauchsverbot im heutigen Völkerrecht

ter eingegangen zu werdenl3 , da tatsächlich in den großen Konventionen universeller oder fast universeller Geltung nirgends ein Hinweis auf ein irgendwie geartetes Verbot des Rechtsmißbrauches zu finden ist. Zwar ist bei einigen vorbereitenden Beratungen oder Stellungnahmen, insbesondere auch bei Erörterungen über den Umfang der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit der Staaten ein Rechtsmißbrauchsverbot von verschiedener Seite in die Erörterung einbezogen worden l4, ohne daß dies jedoch seinen Niederschlag in den endgültigen Vertragsformulierungen gefunden hätte. Diese gelegentlichen Erörterungen als Beweis für die Existenz eines Rechtsmißbrauchsverbots heranziehen zu wollenlS, erscheint aus mehreren Gründen nicht zulässig. Ein Großteil dieser Erörterungen ist ohnehin nur als Vorschlag lide lege ferende" bei den Bemühungen um eine weitere Kodifizierung des Völkerrechtes zu verstehen l6 . Auch wenn diese Vertragsentwürfe Kodifikationen genannt werden, handelt es sich gleichwohl nicht immer und nicht nur um Niederlegungen lide lege lata", sondern auch um Versuche, neue Völkerrechtsregeln aufzustellen, und gerade der Umstand, daß diese Anregungen nicht in die Vertragstexte aufgenommen worden sind, spricht eher gegen eine vertragliche Anerkennung des Rechtsmißbrauchsverbotes im allgemeinen Völkerrecht. Außerdem besitzen diese Vorschläge teilweise eher "privaten" Charakterl7 . Folgerichtig verraten diese Vorschläge wie auch die Stellungnahmen in der International-Law-Commission sehr stark die Handschrift ihrer Autoren. Wenn bisher - soweit ersichtlich - in keinem völkerrechtlichen Vertrag von universellem oder fast universellem Charakter des Rechtsmißbrauchsverbot expressiv verbis Eingang gefunden hat, so finden sich doch in vielen Verträgen Formulierungen, die den Mißbrauch bestimmter Rechte verbieten. Aus diesen Formulierungen lassen sich jedoch Schlüsse auf eine allgemeine Vertragspraxis bezüglich des Inhalts und des Umfangs eines allgemeinen Rechtsmißbrauchsverbotes nicht ziehen, da eine nähere Konkretisierung des Mißbilligungstatbestandes des 13 Vgl. hierzu Weber / v. Wedel, Völkerrecht, S. 65. 14 Vgl. die Bemerkungen von Ricci-Busatti, in: Proces-verbaux, S. 315 f.; Borel/ Politis u. a., Extension, S. 750 f.; Documents de la SDN, 1924, C. I, S. 45 f. (zur Diskussion über den Rechtsmißbrauch bei der ersten Kommission der Völkerbundvollversammlung zwischen Fernandez, Politis und Rolin); ILC-Yearbook 1953 11, S.218; ILC-Yearbook 1960 11, S. 58 f.; ILC-Yearbook 1961 11, S. 50 f.; ILC-Yearbook 1971 lI/I, S. 221 f.; ILC-Yearbook 1959, S. 148; s. hierzu auch Paul, Abuse of Rights, S. 118 f. 15 Vgl. z. B. bei Lauterpacht, Development, S. 165. 16 Vgl. die Stellungnahme von Garcia Amador in ILC-Yearbook 1960 11, S. 58 f. 17 So z. B. der Bericht von Borel / Politis (für das Institut de Droit International), Extension, S. 669, da es sich bei dem Institut de Droit International um eine private Vereinigung von Völkerrechtslehrern handelt.

2. Rechtsmißbrauchsverbot im Völkervertragsrecht

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Rechtsmißbrauches, wie sie hier gesucht wird, sich mit diesen Hinweisen nicht gewinnen läßt. In diesen Fällen handelt es sich praktisch ausschließlich um Formulierungen der Art, wonach der Mißbrauch von in dem jeweiligen Vertrag zugestandenen Rechten nicht als mit dem Vertrag vereinbar und daher unzulässig ist l8 • Dabei erscheint der Gebrauch des Wortes Mißbrauch eher zufällig, um näher zu bestimmen, daß die von dem Vertrag zugestandenen Rechte nicht gegen den Vertragszweck ausgeübt werden dürfen. Insbesondere lassen diese Erwähnungen nicht erkennen, daß sie konkrete Formulierungen eines allgemein anerkannten Rechtsmißbrauchsverbotes sein sollen, noch lassen sie eine dahingehende Deutung zu, da konkrete Tatbestandsmerkmale für die Frage, wann ein solcher Mißbrauch im Einzelfall nur vorliegen soll, nicht angegeben werden. Vielmehr scheint in all diesen Fällen auch ein anderer Ausdruck wie z. B., die Ausübung der vertraglichen Rechte habe nach Treu und Glauben zu erfolgen, vorstellbar, der jegliche Assoziationen mit einem Rechtsmißbrauchsverbot vermeiden würde, ohne daß der Sinn der Aussage des betreffenden Vertragsartikels eine Änderung erfahren würde. Die Worte Mißbrauch oder mißbräuchlich bekommen letztlich nur dann einen Sinn, wenn sie jeweils konkret im Zusammenhang mit dem Vertragstext gelesen werden. Als Hinweis auf eine anerkannte Generalnorm vom Rechtsrnißbrauch lassen sich diese Formulierungen nicht erklärenl9 • Angesichts dieser schwachen Beweislage sind manche Autoren auch einen anderen Weg gegangen und haben versucht, eine Verankerung des Rechtsmißbrauchsverbotes im völkerrechtlichen Vertragsrecht aus anderen generellen Bestimmungen herauszulesen. Formulierungen, die die vertragsschließenden Parteien zu einem Verhalten nach Treu und Glauben verpflichten, willkürliches Verhalten nicht schützen oder aber ein Verhalten entgegen dem Sinn und Zweck eines völkerrechtlichen Vertrages nicht dulden wollen20 , können nur dann als Ausdruck des 18 Vgl. z. B. Art. 3 des Fakultativ-Protokolls zum Weltpakt für bürgerliche und politische Rechte vom 16.12.1966 (Resolution der UN-Generalversammlung, UN-Doc. 2200/A (XXI) zum Mißbrauch des Beschwerderechts; Art. 33 Abs.3 der Anl. zum IV. Haager Abkommen vom 18. 10. 1907 (Ordnung der Gesetze und Gebräuche des Landkrieges) in Berber, Internationale Verträge, S. 315 (zum Mißbrauch des Parlamentärs). 19 Vgl. Wengier, Völkerrecht I, S. 392, Anm. 2, S. 393. 20 Vgl. hierzu aber Dahm, Völkerrecht I, S. 196 (Artikel 4 und Artikel 9 der VERF. IZLO [Verbot der Benutzung der Zivilluftfahrt für Zwecke, die sich mit dem Abkommen nicht vereinbaren lassen bzw. zur Zulässigkeit verbotener Zonen nur in vernünftigen Grenzen]); Guggenheim, Validite, S. 251 (Willkürverbot in Minderheitenschutzverträgen); Garcia Amador, State Responsibility, S.381 und auch in ILC-Yearbook 1960 II, S. 59 (zu Art. 2 der Genfer Konvention über die hohe See). Zu erwähnen ist hier insbesondere die vielfach gebräuchliche Verpflichtung, Verträge nach Treu und Glauben zu erfüllen, z. B. in Artikel 2 Nr.2

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4. Kap.: Rechtsmißbrauchsverbot im heutigen Völkerrecht

Rechtsmißbrauchsverbotes oder mit diesem identisch gesehen werden, wenn vorher bereits das Rechtsmißbrauchsverbot als mit diesen Generalklauseln identisch gleichgesetzt worden ist. Daß das Rechtsmißbrauchsverbot aber weder mit diesen allgemeinen Prinzipien gleichgesetzt noch aus diesen abgeleitet werden kann, ist bereits oben nachgewiesen worden. Außerdem trägt eine derartige Gleichsetzung auch nicht im geringsten zu einer näheren Konkretisierung des Mißbilligungstatbestandes des Rechtsmißbrauchsverbotes bei. Bei derartigen Formulierungen handelt es sich letztlich um Appelle an die Vertragspartner, sich fair zu verhalten, ohne daß hiermit - über den im Vertrag selbst niedergelegten Vertragszweck hinaus - angegeben wäre, wo die Grenzen dieses fairen Verhaltens liegen21 • Soweit von einigen Autoren auch andere völkerrechtliche Verträge von allerdings nicht universellem Charakter als für das Rechtsmißbrauchsverbot beweiskräftig herangezogen worden sind, können diese Verträge allenfalls für den Nachweis einer bestehenden Staatenpraxis bzw. einer dahingehenden überzeugung für das Rechtsmißbrauchsverbot als Norm des allgemeinen Völkergewohnheitsrechtes herangezogen werden. Die Berufung auf ein Rechtsmißbrauchsverbot als einer allgemeinen Norm im Recht der völkerrechtlichen Verträge ist dagegen nach dem derzeitigen Stand des Völkerrechtes nicht möglich. 3. Zum Rechtsmißbrauchsverbot im Völkergewohnheitsrecht Mit der weitaus überwiegenden Völkerrechtslehre sollen als die notwendigen Kriterien für das Vorhandensein von völkerrechtlichem Gewohnheitsrecht die andauernde übung (consuetudo) als objektive Voraussetzung und die Rechtsüberzeugung (opinio juris) als subjektive Voraussetzung betrachtet werden22 • Auf die Erörterung des problematischen der UN-Charta, in der Präambel der Wiener Konvention über das Recht der Verträge, ebenda in Artikel 26, Artikel 31, Artikel 46. Zur Verpflichtung, die vertraglichen Rechte nur im Einklang mit dem Vertrag auszuüben, vgl. Artikel 25 der UN -Charta, Artikel 30 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte vom 10.12.1948, Artikel 5 des Weltpaktes für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte vom 16. 12. 1966 (Resolution der UN-Generalversammlung, UN-Doc.2200/A [XXI]); ebenda Artikel 25, Artikel 5 des Weltpaktes für bürgerliche und politische Rechte vom 16.12.1966 (Resolution der UN-Generalversammlung, UN-Doc. 2200/A [XXI]). Zur Verpflichtung, sich nicht willkürlich bzw. angemessen und normal zu verhalten, s. z. B. Artikel 11 der Wiener Konvention über diplomatische Beziehungen vom 18.4.1961. 21 Aus diesem Grunde haben manche Autoren das Verbot eines Rechtsrnißbrauches im völkerrechtlichen Vertragsrecht für völlig überflüssig gehalten: vgl. Schwarzenberger, International Law and Order, S. 85 f., 99 f.; Schiedermair, Verbot, S. 161 f.; WengIer, Völkerrecht I, S. 392 f.

3. Rechtsmißbrauchsverbot im Völkergewohnheitsrecht

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Verhältnisses dieser beiden Voraussetzungen zueinander kann hier verzichtet werdenl l, da auch dieser Streit eher theoretischer Natur und überwiegend von wissenschaftlichem Interesse ist. Selbst bei der Bejahung einer, ganz auf die subjektive Seite abstellenden, Völkergewohnheitsrechtsbindung im Sinne der von Ago vertretenen Lehre des "diritto spontaneo"24 kann man zum Nachweis einer völkergewohnheitsrechtlichEm Norm nicht völlig auf die Staatenpraxis verzichten, während andererseits auch bei längerdauernder Staatenpraxis ohne das Bewußtsein, einer völkerrechtlichen Norm zu folgen, noch kein Völkergewohnheitsrecht entstehen kann. Die Anforderungen dürfen wohl an beide Kriterien nicht allzu hoch gesetzt werden, da ansonsten, vor allem in Anbetracht der relativ schnellen Entwicklung der internationalen Beziehungen im gegenwärtigen Zeitpunkt, der Nachweis einer völkergewohnheitsrechtlichen Norm überhaupt kaum noch gelingen kann. Diese letzte Forderung ergibt sich für die Untersuchung des Rechtsmißbrauchsverbotes als einem völkergewohnheitsrechtlichen Satz noch aus einem anderen Grund: Es liegt gewissermaßen in der Natur der Sache, daß die Staatenpraxis sich vor allem in einem positiven Tun äußert, während Unterlassungsgebote nur schwer feststellbar sind25 • Erst der Verstoß gegen ein als Völkergewohnheitsrecht empfundenes Unterlassungsgebot kann ---..,. muß aber nicht - zu Reaktionen von seiten des Geschädigten oder Dritter führen. Der Nachweis einer derartigen Norm kann also solange gar nicht erbracht werden, wie ein derartiger Verstoß nicht gerügt und diese Rüge nicht als berechtigt allgemein anerkannt wird. Die Behauptung, eine solche Norm existiere gleichwohl im kollektiven Bewußtsein oder gar im kollektiven Unterbewußtsein, wäre sinnlos, da weder nachweisbar noch nachprüfbar26. Diese Schwierigkeit wird jedoch dadurch gemildert, daß bei tatsächlichem Vorhandensein eines Unterlassungsgebotes als einem völkergewohnheitsrechtlich aner22 Vgl. Berber, Völkerrecht I, S.43; Menzel / Ipsen, Völkerrecht, S. 79; Jaenicke, Völkerrechtsquellen, S.769; Verdross, Quellen, S. 95. Auf die vielfältigen, unterschiedlichen Stellungnahmen und Definitionen des Völkergewohnheitsrechtes kann und braucht hier, wie das Ergebnis zeigen wird, nicht eingegangen zu werden (vgl. hierzu Berber, Völkerrecht I, S. 41 f.). Dies gilt in noch stärkerem Maße für die wohl noch immer ungelösten - und vielleicht auch unlösbaren - Fragen nach dem Geltungsgrund des Völkergewohnheitsrechtes (vgl. hierzu die übersicht bei H. Günther, VölkergewohnheitsreCht, S. 15 f.). II Vgl. hierzu H. Günther, Völkergewohnheitsrecht, S.149; Verdross, Quellen, S. 105 f. 24 Siehe hierzu Ago, Begriff, S. 302 ff.; vgl. bei H. Günther, Völkergewohnheitsrecht, S. 53 ff. mit weiteren Hinweisen. 2S Zur Problematik der Gewohnheitsrechtsentstehung durch unterlassene Proteste vgl. H. Günther, Völkergewohnheitsrecht, S. 132 f. 26 Ghil, Legal Character, S.81; anderer Ansicht zum Rechtsmißbrauchsverbot Bernhardt, Bindungen, S. 653.

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4. Kap.: Rechtsmißbrauchsverbot im heutigen Völkerrecht

kannten Satz wohl nicht lange auf diesbezügliche Behauptungen möglicher oder vermeintlicher Geschädigter gewartet werden muß. Im Gegenteil dürfte eher die Neigung in der Staatenpraxis bestehen, im Zweifelsfall selbst vage oder noch umstrittene Rechtsnormen zur Unterstützung und zum Schutz des eigenen Rechtsstandpunktes heranzuziehen. Die nachfolgenden Ausführungen sollen zeigen, ob dies auch in bezug auf das Verbot des Rechtsmißbrauches der Fall ist und ob dies gegebenenfalls auch als Ausdruck einer dahingehenden Rechtsüberzeugung verstanden werden kann. Wenngleich oben bereits festgestellt worden ist, daß das Rechtsmißbrauchsverbot bislang noch nicht seinen Niederschlag in einem universellen oder fast universellen Vertrag gefunden hat, so ist doch nicht gänzlich auszuschließen, daß durch eine ständige dahingehende internationale Vertragspraxis sich eine Gewohnheitsregel bilden kann, wenngleich die bloße Häufigkeit von Verträgen allein noch keinen Hinweis darauf gibt, ob die in den Verträgen übereinstimmend genannten Prinzipien als Gewohnheitsrecht anzuerkennen sindZ7 • Diese letztere Einschränkung ist im vorliegenden Zusammenhang von besonderer Bedeutung, weil von einer ins Gewicht fallenden Nennung des Rechtsmißbrauchsverbotes in den völkerrechtlichen Verträgen nicht die Rede sein kann, und die wenigen, zum Teil in der völkerrechtlichen Literatur immer wieder zitierten Verträge für den Nachweis eines Rechtsmißbrauchsverbotes als Ausdruck einer dahingehenden Staatengewohnheit alles andere als beweiskräftig sind. Im wesentlichen werden immer wieder einige wenige Verträge als Begründung für die allgemeine Anerkennung eines Rechtsmißbrauchsverbotes zitiert. Aus diesen wenigen Beispielen müssen jedoch bereits von vornherein zwei Anwendungsfälle ausgeschieden werden: einmal das Problem des angeblichen Vetomißbrauches im UN-Sicherheitsrat aufgrund des Art. 2 bzw. Art. 24 Abs.2 der UN-Charta und zum anderen die Mißbrauchsbestimmung in den europäischen Verträgen. Beide Fälle können schon deshalb nicht für eine Anerkennung des Rechtsmißbrauchsverbotes im Völkerrecht angeführt werden, weil es sich nach der oben getroffenen Abgrenzung jeweils um einen Anwendungsfall des Ermessensmißbrauches handelt2B. Zum anderen ist auch verschiedentlich auf den Vertragsentwurf zu einer gemeinsamen Kodifizierung des Obligationenrechts zwischen Frankreich und Italien aus dem Jahre 1927 hingewiesen worden, der in Artikel 74 eine generelle Vorschrift Berber, Völkerrecht I, S. 56. Siehe hierzu oben 2. Kap. 2.2.2.2. (Anm.202). - Zudem bleibt auch das Argument von Roulet, Caractere, S. 102 richtig, daß es sich bei dem Ermessensmißbrauch in den europäischen Gemeinschaften, den er jedoch als Rechtsmißbrauch betrachtet, allenfalls um partikuläres Völkerrecht handeln kann. Z7

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3. Rechtsmißbrauchsverbot im Völkergewohnheitsrecht

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über den Rechtsmißbrauch vorsah29 • Dieser Vertrag ist für ein völkerrechtliches Rechtsmißbrauchsverbot jedoch schon deshalb ohne Aussagekraft, weil er weder Geltung erlangt hat noch die Regelung einer völkerrechtlichen Materie beabsichtigte, sondern sich nur auf die Verpflichtung beider Staaten bezog, eine gemeinsame innerstaatliche Regelung des Obligationenrechts zu treffen. Mit etwas größerer Berechtigung sind dagegen die sogenannten "liquor treaties" als Beispiel für eine vertragliche Regelung des Rechtsmißbrauchsverbotes gesehen worden.JO. Aber auch für diesen Fall ist eher der Ansicht von Roulet zuzustimmen, der aus der bloßen Verwendung des Wortes Mißbrauch noch keinen Hinweis auf eine Anwendung des Konzeptes vom Rechtsmißbrauch sehen kann3!. Für die Richtigkeit dieser Ansicht spricht auch der von Kiss zitierte schwankende Sprachgebrauch in Artikel 4 dieser Verträge in den verschiedensprachigen Vertragstexten32 • So ist der französisch-sprachige Ausdruck "exercice abusif des droits" im englischen Text durch den Ausdruck "improper or unreasonable exercise of the rights" und im italienischen Text mit "indebito od ingiustificato esercizo dei diritti" ersetzt worden. Bereits diese verschiedensprachigen Ausdrücke, die keineswegs als äquivalent bezeichnet werden können, sprechen gegen die Annahme einer dahinterstehenden einheitlichen Auffassung über ein allgemeines Rechtsmißbrauchsverbot. Aber auch wenn man mit der Wahl dieser Ausdrücke immerhin eine gewisse Annäherung an die aus dem innerstaatlichen Recht bekannte Lehre vom Rechtsmißbrauchsverbot zugestehen wollte, kann nicht darüber hinweggesehen werden, daß es sich bei dieser Regelung praktisch um einen Ausnahmefall in der völkerrechtlichen Vertragspraxis handelt. Soweit in anderen Verträgen Hinweise auf ein Rechtsmißbrauchsverbot gesehen worden sind33 , kann auf die Ausführungen zum Rechtsmißbrauchsverbot im völkerrechtlichen Vertragsrecht verwiesen werden, wonach derartige Formulierungen nur im Wege einer voreiligen Gleichsetzung mit dem Rechtsmißbrauchsverbot als Indizien für diese Generalklausel betrachtet werden können und zudem zu einer weiteren Konkretisierung des Rechtsmißbrauchstatbestandes ohnehin nicht beitragen. Nach Artikel 38 Abs.l Buchst. d) des Statuts IGH können als Hilfsmittel für die Entscheidungen des Gerichtes nach Völkerrecht auch rich29 Vgl. hierzu Gutteridge, Abuse of Rights, S.35; zum Wortlaut dieses Entwurfsartikels s. Riezler, Rechtsmißbrauch, S. 6; Scemi, Abuso di Diritto, S.41. .JO Kiss, Abus de Droit, S. 58, 183; vgl. auch Roulet, Caractere, S. 100 f. 3! Roulet, Caractere, S. 101. 32 Vgl. Kiss, Abus de Droit, S. 183 Anm. 7. 33 Vgl. Dahm, Völkerrecht I, S.196; Garcia Amador, State Responsibility, S. 381; ders., in: ILC-Yearbook 1960 II. S. 59 f.

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terliche Entscheidungen herangezogen werden. Unabhängig von der Bezeichnung dieser Hilfsmittel als Rechtserkenntnisquellen, sekundäre Quellen oder aber als Hilfsmittel zur Rechtserkenntnis34 besteht Einigkeit darüber, daß die Entscheidungen internationaler Gerichte für die Feststellung von Völkergewohnheitsrecht von großer Bedeutung sein können. Ungeachtet der ausdrücklich im Statut des Internationalen Gerichtshofes erwähnten Möglichkeit, richterliche Entscheidungen als Hilfsmittel zur Erkenntnis von Völkerrecht heranzuziehen, betont allerdings Artikel 59 des Statuts des IGH ausdrücklich, daß die Entscheidungen des Internationalen Gerichtshofes nur "inter partes" Bindungswirkung haben. Seit Inkrafttreten des Status ist das Verhältnis dieser beiden Vorschriften zueinander Gegenstand völkerrechtlicher Diskussionen, deren Ergebnis wohl dahingehend zusammengefaßt werden kann, Artikel 59 des Statuts solle bei der grundsätzlich vorhandenen Möglichkeit, die Entscheidungen internationaler Gerichte für die Feststellung von Völkerrecht heranzuziehen, vor allem eine dem angelsächsischen Präjudizienrecht ähnliche Ausgestaltung der Rechtsprechung des Internationalen Gerichtshofes verhindernJS • Zeigt sich hier das Mißtrauen vor allem der kontinental-europäischen Rechtslehre gegenüber dem ihr ungewohnten und häufig auch mißverstandenen angelsächsischen Präjudizienrecht, so muß Artikel 38 des Statuts als ein Entgegenkommen gewertet werden, das dieses ausdrückliche Verbot des Präjudizienrechtes relativiert, was seine Berechtigung wiederum darin findet, daß die Zugrundelegung von Rechtssätzen bei den Entscheidungen des Internationalen Gerichtshofes immerhin eine gewisse Evidenz für die Existenz einer dementsprechenden Völkerrechtsregel bezeugen kann36 • Danach ergibt sich aus der Zusammenschau von Artikel 38 und Artikel 59 des Statuts IGH eines eindeutig: Eine einmalige Anwendung von Rechtssätzen durch den Internationalen Gerichtshof kann allein noch nicht Völkergewohnheitsrecht zur Entstehung bringen, und allenfalls eine gewisse Konsistenz in der Rechtsprechung, die ihr Korrelat in einem entsprechenden Staatenverhalten und einem diesbezüglichen Rechtsbewußtsein hat, ist geeignet, als Rechtserkenntnisquelle für den Nachweis von allgemeinem Völkerrecht zu dienen. Besonderer Wert kann dabei den Entscheidungen zugeschrieben werden, in denen der Gerichtshof einen Rechtssatz unbestritten als Völkergewohnheitsrecht charakterisiert hat. 34 Rechtserkenntnisquelle: Menzel, Völkerrecht, S.99; sekundäre Quellen: Jaenicke, Völkerrechtsquellen, S.767; Hilfsmittel zur Rechtserkenntnis: Menzel /Ipsen, Völkerrecht, S.87; Berber, Völkerrecht I, S.77; Weber / v. Wedel, Völkerrecht, S. 78. 35 Jaenicke, Völkerrechts quellen, S.772; Wengier, Völkerrecht I, S.750; zur Diskussion: Jenks, Common Law, S. 180. 36 Greig, International Law, S.41.

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Gerade bezüglich des Rechtsmißbrauchsverbotes verdient die letztere Hervorhebung besondere Beachtung, kann doch der Verweis auf dieses Rechtsinstitut in der internationalen Rechtsprechung bislang allenfalls als sporadisch bezeichnet werden37 • Nur eine Verkennung der Bedeutung der Artikel 38 Abs. 1 Buchst. d) und 59 des Statuts IGH kann aus diesen wenigen Äußerungen bereits die allgemeine Anerkennung des Rechtsmißbrauchsverbotes durch den Internationalen Gerichtshof behaupten38 • Schon früher ist hierbei außerdem darauf aufmerksam gemacht worden, daß in keinem einzigen Fall der Haager Gerichtshof einen Anspruch auf das Rechtsmißbrauchsverbot gestützt hat und die Bemerkungen hierzu allenfalls beiläufig gemacht worden sind39 • Bei diesen recht peripheren Bemerkungen ist auch auffallend eine Tendenz zu beobachten, wonach immer dann am ehesten mit einer Erwähung des Rechtsmißbrauchsverbotes zu rechnen war, wenn auch in der Völkerrechtsliteratur diesem Thema stärkere Beachtung geschenkt worden ist4O • Außerdem erfolgte der Großteil der Äußerungen zum Rechtsmißbrauchsverbot in Einzelvoten einiger Richter des Internationalen Gerichtshofes41, so daß schwerlich auch von einer Kontinuität der Rechtsprechung des Haager Gerichtshofes bezüglich des Rechtsmißbrauchsverbotes gesprochen werden kann, zumal in den letzten Jahren mit der Stagnation dieser Diskussion auch von seiten des Haager Gerichtshofes praktisch überhaupt keine Stellungnahmen mehr erfolgten. Bei der Betrachtung der Sondervoten fällt weiter auf, wie stark die Betonung des Rechtsmißbrauchsverbotes gerade durch die Richter erfolgt, die auch in der Völkerrechtslehre als Anhänger eines Rechtsmißbrauchsverbotes bezeichnet werden müssen42 • Nicht zu Unrecht ist deshalb darauf hinge37 Diese Zurückhaltung des Internationalen Gerichtshofes bei der Anwendung des Rechtsmißbrauchsverbotes ist bereits von vielen Autoren bemerkt worden, so daß auf die einzelnen Nennungen hier verzichtet werden kann. Vgl. hierzu (teilweise mit weiteren Hinweisen) v. Münch, Delikt, S. 19; Menzel/ Ipsen, Völkerrecht, S.354; Roulet, Caractere, S. 105 f.; Schüle, Rechtsmißbrauch, S. 70 f.; Fitzmaurice, Law and Procedure, 1950, S. 12; 1953, S. 53 f.; 1959, S.207; vgl. auch Iluyomade, Abuse of Right, S. 61 f.; s. auch weiter die Nachweise bei Hambro / Rovine, Case Law, Bd. 1 ff.; Whiteman, Digest, Bd.5, S. 224 ff. 38 So aber z. B. Guggenheim, Traite, S.301; für die Rechtsprechung des StIGH vgl. bereits Schmid, Rechtsprechung, S. 152 f. 39 Cavare, Droit International 11, S.398 (1962); dies bemerkt auch Guggenheim, Traite, S. 302. 40 So etwa in der zweiten Hälfte der 20er Jahre, als die Abhandlungen von Politis, Leibholz u. a. erfolgten, und dann wieder zu Ende der 40er und zu Beginn der 50er Jahre, als die Beiträge von van Bogaert, van der Molen, Lauterpacht, Schwarzenberger und Kiss erschienen. 41 Vgl. Anm.37; so ist es auch bezeichnend, daß in dem Stichwortregister des 3. Bd. von Hambro / Rovine, Case Law, der sich den individual and dissenting opinions widmet, weitaus mehr Fundorte verzeichnet sind als in den übrigen vier Bänden zusammen.

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wiesen worden, daß sich in den Sondervoten der einzelnen Richter lediglich der in der Lehre zu verzeichnende Meinungsstreit über das Rechtsmißbrauchsverbot widerspiegele43 • Schon aus diesen Gründen muß die Möglichkeit, das Rechtsmißbrauchsverbot mit Hilfe der internationalen Rechtsprechung des Haager Gerichtshofes als ein Satz des Völkergewohnheitsrechtes nachzuweisen, verneint werden. Eine nähere Betrachtung der recht seltenen Äußerungen des Haager Gerichtshofes zum Rechtsmißbrauchsverbot zeigt darüber hinaus die Voreiligkeit, mit der aus diesen wenigen Stellungnahmen auf die Anerkennung eines Rechtsmißbrauchsverbotes im allgemeinen Völkerrecht geschlossen worden ist. Auch in anderem Zusammenhang ist dem Haager Gerichtshof schon zum Vorwurf gemacht worden, er sehe bei seinen Entscheidungen häufig davon ab, die Rechtsnatur der von ihm zugrunde gelegten Rechtssätze zu erörtern, und ziehe es vor, nur von allgemeinen Grundsätzen des Völkerrechts zu sprechen44 • Damit wird, vor allem angesichts des bis heute andauernden Streites über die Rechtsnatur der allgemeinen Rechtsgrundsätze des Art. 38 Abs. 1 Buchst. c) des Statutes IGH, eine Entscheidung darüber, ob der Haager Gerichtshof nun Völkergewohnheitsrecht oder einen wie auch immer von ihm verstandenen allgemeinen Rechtsgrundsatz zur Anwendung bringen wollte, außerordentlich erschwert45 • Ein Blick auf die Rechtsprechung zum Rechtsmißbrauchsverbot kann diesen Befund nur bestätigen. Der Haager Gerichtshof läßt in keiner Entscheidung erkennen, ob er die Äußerungen zum Rechtsmißbrauchsverbot als Ausdruck eines bestehenden Satzes des Völkergewohnheitsrechtes verstanden haben will. Diese Stellungnahmen können damit auch nicht als ein Indiz für einen bestehenden völkergewohnheitsrechtlichen Satz des Rechtsrnißbrauches herangezogen werden. Viel wahrscheinlicher ist daher, daß der Haager Gerichtshof - wenn denn schon einmal das Stichwort vom Rechtsmißbrauchsverbot fiel - diesen wohl als einen allgemeinen Rechtsgrundsatz im Sinne von Artikel 38 Abs.l Buchst. c) des Statuts IGH betrachtete. Und in diesem Sinne sind die gelegentlichen Äußerungen von der Völkerrechtslehre auch weit überwiegend verstanden worden46 • Zwar kann die kontinuierliche und 42 Vgl. die übersicht bei Iluyomade, Abuse of Right, S. 63 f., der sich im wesentlichen auf die Äußerungen von Alvarez und Lauterpacht bezieht und gleichzeitig hervorhebt, daß Alvarez der größte Verfechter für die Anwendung des Rechtsmißbrauchsverbotes gewesen sei. Dieses Prädikat könnte mit gleicher Berechtigung auch Lauterpacht zugedacht werden. 43 Menzel / Ipsen, Völkerrecht, S. 354. 44 Greig, International Law, S. 32 f.; Mosler, Rechtsvergleichung, S.401. 45 Schon Cavaglieri, Corso, S. 510 beklagt diese Unsicherheit in der Einordnung. 46 Vgl. Lauterpacht, Development, S.162 f.; vgl. auch die Eingruppierung des Rechtsmißbrauches unter die allgemeinen Rechtsgrundsätze bei Härle, Entscheidungsgrundlagen, S. 182 f.; Marek u. a., Repertoire, S. 961 ff.

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gleichbleibende Anwendung von allgemeinen Rechtsgrundsätzen durch den Internationalen Gerichtshof zur Entstehung von Völkergewohnheitsrecht beitragen, dem steht hier jedoch die oben bemerkte geringe und zudem unklare Behandlung des Rechtsmißbrauchsverbotes insgesamt entgegen. Darüber vermag auch nicht hinwegzutäuschen, daß die wenigen Fälle in der Literatur wieder und wieder zitiert werden47 • Angesichts dieser schwierigen Beweislage ist in einer Art Umkehrschluß die Ansicht vertreten worden, gerade die geringe Erörterung des Rechtsmißbrauchsverbotes in der internationalen Rechtsprechung sei Ausdruck regelmäßiger Beachtung dieses Gebotes in der Staatenpraxis, und man müsse deshalb von einer Anerkennung dieses Verbotes im allgemeinen Völkerrecht sprechen48 • Dieser Schluß verkennt jedoch, abgesehen von seiner bereits außerordentlich problematischen Anwendung auf ein Unterlassungsgebot, daß es für die Feststellung des Rechtsmißbrauchsverbotes entscheidend darauf ankommt, anerkannte Kriterien für den eigentlichen Mißbilligungstatbestand herauszukristallisieren. Dies ist ohne Anhaltspunkte aus der völkerrechtlichen Praxis aber nicht möglich. So lange anhand der Völkerrechtspraxis nicht festgestellt werden kann, was Rechtsmißbrauch eigentlich ist, könnte mit gleichem Recht auch der Gegenschluß gezogen werden, die Staatenpraxis nehme Mißbräuche als selbstverständlich hin und mache daher kein Aufhebens davon. Im übrigen ist auch schon darauf hingewiesen worden, daß der Haager Gerichtshof selbst bei den seltenen Tributen, die er dem Rechtsmißbrauch zollt, offensichtlich nicht immer denselben Begriff zugrunde legt49 • Diese Feststellung soll hier nicht weiter vertieft werden, da ohnehin nur eine völlige Überschätzung und Überinterpretation der wenigen Ansätze zu einem Rechtsmißbrauchsverbot in den Entscheidungen des Haager Gerichtshofes dazu führen konnte, hierin eine Anwendung des Rechtsmißbrauchsverbotes zu sehen50• Schließlich ist es durchaus bezeichnend, wenn für den Nachweis des Rechtsmißbrauchsverbotes in der Völkerrechtspraxis dann auch gar nicht so sehr auf die Entscheidungsgründe, sondern auf die abweichenden oder Sondervoten zurückgegriffen wird51 , obwohl diese Voten schließlich gerade Ausdruck dafür sind, 47 Vgl. Dahm, Völkerrecht I, S. 196; Guggenheim, Validite, S. 251 f.; Lauterpacht, Development, S. 162 ff.; Cheng, General Principles, S. 126, 131 f.; Iluyomade, Abuse of Right, S. 61 ff. 48 Bemhardt, Bindungen, S.653. 49 Vgl. Guggenheim, Validite, S. 252. 50 Für die Unbeachtlichkeit dieser gelegentlichen Erwähnungen spricht nicht zuletzt auch, daß sowohl Beckett, Questions, 1932, S. 135 f., 1934, S. 193 f. wie auch Hemdl, Rechtsprechung, S. 312 f. in ihren Überblicken über die Rechtsprechung des StIGH bzw. IGH auf das Rechtsmißbrauchsverbot in keiner Weise eingehen.

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daß sich die Meinung der abweichenden oder dissentierenden Richter jedenfalls im Einzelfall nicht hat durchsetzen können. Nachdem die Rechtsprechung des Haager Gerichtshofes aus all diesen Gründen nicht als Bestätigung eines Rechtsmißbrauchsverbotes als einer Norm des allgemeinen Völkergewohnheitsrechtes angesehen werden kann, sei noch kurz darauf eingegangen, inwieweit nicht möglicherweise andere richterliche Entscheidungen hierzu herangezogen werden können. Schon Politis hat sich zur Begründung der VOn ihm vertretenen Lehre vom Rechtsmißbrauchsverbot im Völkerrecht auf die Rechtsprechung internationaler Schiedsgerichte gestützt52. Noch mehr als die Rechtsprechung des Haager. Gerichtshofes darf die einzelne Bedeutung schiedsrichterlicher Entscheidungen für die Herausbildung neuer Völkerrechtssätze aber nicht überschätzt werdens3 • Schon das Feststellen einer kontinuierlichen Schiedsrechtsprechung kann angesichts der Vielzahl der Schiedsgerichte und der zum Teil nur schwer zugänglichen Entscheidungen, die zudem großenteils nur VOn regionaler Bedeutung sind, schwierig sein. Hinzuttitt, daß die Schiedsgerichte im Interesse einer friedlichen Streitbeilegung häufig auf tiefergehende rechtliche Erörterungen verzichten und eher geneigt sind, den fraglichen Rechtsstreit unter Berufung auf solche Grundsätze wie Treu und Glauben oder Billigkeit oder ähnliche Prinzipien zu entscheiden. Da auch die Streitparteien meistens VOn diesen Voraussetzungen ausgehen und die friedliche Streitentscheidung im Vordergrund steht, ist ein solches Vorgehen durchaus zweckdienlich. Dies zeigt sich auch an der häufig praktizierten Möglichkeit, den oder die Schiedsrichter erst ad hoc zu benennen und dabei solche Persönlichkeiten zu bevorzugen, die dem eigenen Rechtsund Kulturkreis nahestehen. Auch aus diesen Gründen können einzelne Schiedsurteile nicht ohne weiteres als Rechtserkenntnisquelle für das allgemeine Völkerrecht dienen, eine Feststellung, die sich durchaus sehr gut mit der Beobachtung vereinbart, daß die Schiedsinstanzen in der Staatenpraxis sich größerer Beliebtheit erfreuen als die internationale Gerichtsbarkeit. Angesichts der Fülle der Schiedsurteile muß es erstaunen, wenn in der völkerrechtlichen Literatur immer wieder nur auf dieselben wenigen Fälle zum Nachweis für die Existenz eines RechtsmißbrauchsverboSI So z. B. Dahm, Völkerrecht I, S.196; Fitzmaurice, Law and Procedure, 1959, S. 207 f.; Dictionnaire, S.4 f. 52 Politis, Probleme, S. 95 f.; ebenso de Boeck, Expulsion, S.633; Lauterpacht, Function, S.289 (die beiden letzteren zum Teil unter Hinweis auf die gleichen Fälle wie die bereits von Politis angeführten). 53 Greig, International Law, S.43; zur Abgrenzung der internationalen Gerichtsbarkeit zur Schiedsgerichtsbarkeit s. Hoffmann, Grenzen, S. 4 f. mit weiteren Hinweisen.

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tes verwiesen wird. Kaum ein Vertreter des Rechtsmißbrauchsverbotes verzichtet hierbei auf den auch schon von Politis angeführten Fall der Hafenschließung von Portendic54, obwohl in dem Schiedsurteil außer der Erwähnung des abus selbst keine weiteren Kriterien genannt werden. Den Gegnern des Rechtsmißbrauchsverbotes fiel es daher nie schwer, als Gegenargument auf den ähnlichen Fall der Hafenschließung von Buenos Aires zu verweisenss , wo eine Begrenzung des Hafenschließungsrechtes ausdrücklich abgelehnt worden war. Ein ähnliches Schicksal erleiden nahezu alle anderen zitierten Schiedsurteile: Entweder ihr tatsächlicher Gehalt ist für eine Begründung eines Rechtsinstitutes vom Rechtsmißbrauchsverbot so gering, daß nähere Kriterien zur Bestimmung des Mißbilligungstatbestandes nicht herausgefunden werden können, oder aber es lassen sich in ähnlich gelagerten Fällen durchaus auch gegenteilige Entscheidungen finden56• Ähnlich wie die Bemühungen von Politis, de Boeck und Trifu leidet auch die ausführliche Untersuchung von Kiss darunter, daß er Fälle, in denen vom Rechtsmißbrauch nicht die Rede ist, unter diesen Begriff subsumiert, ohne vorher die Kriterien für diese Vorgehensweise angegeben zu haben57 • Der Zwang zu dieser recht unzulänglichen Methode liegt allerdings bereits in der Sache selbst. Eine ausdrückliche oder gar ausführliche Erwähnung des Rechtsmißbrauchsverbotes als ein eigenes Rechtsinstitut ist so gut wie nie vorhanden58 , und nur die Gleichsetzung des Rechtsmißbrauches mit Begriffen wie Willkür, mala fide etc. kann dieses allenfallls vortäuschen. So wirkt es - nicht nur bei Kiss - geradezu ermüdend, laut dem jeweiligen Kommentar des Verfassers nahezu überall eine Wirkung des Rechtsmißbrauchsverbotes konstatieren zu sollen, dieses aber gleich einem Phantom in den zitierten Entscheidungen nur selten "leibhaftig" aufblitzen zu sehen. Daß diese Art des Vorgehens nicht einen Einzelfall darstellt, ändert nichts an dem Eindruck der Willkürlichkeit, mit der den zum Teil weit zurückliegenden Schiedsurteilen Ansichten unterstellt werden, die diese eigentlich kaum haben konnten, da, wie bereits eingangs festgestellt, für die Zeit des soge54 Vgl. Lauterpacht, Function, S.290 mit weiteren Hinweisen; Politis, Probleme, S. 96 f.; Trifu, Abus de Droit, S. 111 f.; de Boeck, Expulsion, S. 634. ss Schwarzenberger, Uses, S. 171 f.; ebenso Schlochauer, Theorie, S.385. 56 Schon Cavaglieri, Corso, S. 509 hielt die Beispiele von Politis für wenig schlüssig. Für die Richtigkeit dieser Auffassung spricht die von Politis, Probleme, S.92 selbst getroffene Feststellung, daß der Begriff des abus de droit in den Schiedssprüchen praktisch nicht benutzt wird (ebenso, fast wörtlich Politis folgend: Trifu, Abus de Droit, S. 96). Auch hier sind die Hinweise auf immer die gleichen Schiedsurteile nicht geeignet, zur Erhöhung der Beweiskraft der einzelnen Schiedsurteile beizutragen. 57 Siehe zu dieser Vorgehensweise bereits oben 2. Kap. 1.4.2. 58 Furet, Application, S. 898.

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4. Kap.: Rechtsmißbrauchsverbot im heutigen Völkerrecht

nannten klassischen Völkerrechts von einer Anerkennung eines Rechtsmißbrauchsverbotes im Völkerrecht jedenfalls nicht die Rede sein konnte. Zur kurzen Erläuterung soll auf die Entscheidung im Trail-SmelterFall als einem besonders beliebten Musterbeispiel eingegangen werden, wo auf den Grundsatz zurückgegriffen worden sei, kein Staat solle das Recht haben, sein Territorium in der Art zu nutzen, daß einem anderen Staat Schaden zugefügt werdes9 • Wie Kiss selbst betont, konnte das Schiedsgericht sich für diese Entscheidung noch auf kein Präjudiz im Völkerrecht stützen und hat daher auch die föderale Rechtsprechung herangezogen. Schon insoweit ist der Indiz-Charakter für einen Rechtsmißbrauch im allgemeinen Völkerrecht höchst beschränkt. Eine unbefangene Betrachtung dieser Entscheidung muß jedoch zu dem Ergebnis kommen, daß das Schiedsgericht überhaupt nur Aussagen über die Grenzen des Nachbarschaftsrechtes machen wollte, dessen Inhalt hier im Streit stand. Wenn das Schiedsgericht zur Bestimmung der nachbarschaftlichen Rechte im Wege der Analogie auf die Rechtsprechung zur Wasserverschmutzung zurückgegriffen haf'O, kann dies das Problem einer Generalisierung der der Entscheidung zugrundeliegenden Gedanken im Sinne einer Generalklausel vom Verbot des Rechtsmißbrauches nur verdeutlichen, denn nach Kiss selbsfi1 sind in den Fällen der Wasserverschmutzung im Völkerrecht Beispiele für ein - selbst in dem weiten von Kiss verstandenen Sinne - Rechtsmißbrauchsverbot selten. Hätten die diesbezüglichen Schiedsentscheidungen tatsächlich die von Kiss zugeschriebene Bedeutung, wäre im übrigen zu erwarten, daß das Problem der mißbräuchlichen Ausübung auch in der gegenwärtig so aktuellen Diskussion um die Verschmutzung der Luft, der Meere und der internationalen Gewässer eine gewisse Rolle spielte, was jedoch nicht der Fall isfi2. Zieht man eine Bilanz aus den von der Völkerrechtsliteratur im Zusammenhang mit dem Rechtsmißbrauchsverbot genannten Schiedsurteilen, so ist ihr Wert für einen Nachweis des Rechtsmißbrauchsverbotes S9 Vgl. Kiss, Abus de Droit, S.62; Oppenheim / Lauterpacht, International Law I, S. 314 jeweils mit weiteren Hinweisen. 60 Vgl. Kiss, Abus de Droit, S. 62. 61 Kiss, Abus de Droit, S. 58. 62 Zur Problematik, inwieweit der Trail-Smelter-Schiedsspruch überhaupt als Präjudiz genommen werden kann, s. Dickstein, Environment, S. 251 f.; Lester, Pollution, S. 837 f.; als Anwendungsfall des Rechtsmißbrauchsverbotes wird diese Entscheidung ausdrücklich verneint von Jiminez de Arechaga, Responsibility, S.540; ebenso Roulet, Caractere, S. 121. Nicht untypisch ist auch, daß andere Betrachtungen zum Trail-Smelter-Fall auf das dort angeblich herangezogene Rechtsmißbrauchsverbot überhaupt nicht eingehen, wie z. B. Wildhaber, Luftverschmutzung, S. 115 f.

3. Rechtsmißbrauchsverbot im Völkergewohnheitsrecht

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im allgemeinen Völkerrecht insgesamt noch geringer einzuschätzen als die 'ebenfalls unergiebige Rechtsprechung des Haager Gerichtshofes. Neben den Entscheidungen internationaler Schiedsgerichte sind insbesondere von Kiss schließlich auch Entscheidungen nationaler Gerichtshöfe in föderalen Streitigkeiten herangezogen worden, was Kiss damit begründet, daß sowohl der amerikanische Supreme Court als auch das Schweizer Bundesgericht und das deutsche Reichsgericht bei Streitigkeiten zwischen einzelnen Bundesstaatsmitgliedern auch internationales Recht als Entscheidungsgrundlage in Betracht gezogen hätten63 • Auf diese Bemühungen von Kiss trifft jedoch in noch stärkerem Maße die bereits oben getroffene Schlußfolgerung zu, wonach für den Nachweis des Rechtsmißbrauchsverbotes als einer Regel des Völkergewohnheitsrechts bzw. einer näheren Konkretisierung des Rechtsmißbrauchsverbotes mit der von Kiss angewandten Methode letztlich nicht viel hinzugewonnen wurde, weil nur selten der Begriff des Rechtsmißbrauchsverbotes als Entscheidungsgrundlage benutzt wurde. Auf diese Bemühungen von Kiss soll hier jedoch nicht weiter eingegangen werden, da der Wert der Entscheidungen föderaler Gerichte für die Erkenntnis von allgemeinem Völkerrecht ohnehin recht gering istM, wenn er auch nicht gänzlich geleugnet werden soll65. Zusammenfassend läßt sich zur Bedeutung der internationalen Rechtsprechung für das Rechtsmißbrauchsverbot feststellen, daß der Erkenntniswert der internationalen Rechtsprechung gering ist, da nicht nur die Behandlung des Rechtsmißbrauches außerordentlich selten und peripher ist, sondern darüber hinaus diese wenigen Ansätze auch keine näheren Hinweise für eine Konkretisierung des eigentlichen Mißbilligungstatbestandes bieten, d. h. keine Antwort auf die Frage geben, worin der spezifische Unrechtsgehalt einer mißbräuchlichen Rechtsausübung zum Ausdruck kommen soll. Als weiteres Hilfsmittel zur Erkenntnis von allgemeinem Völkerrecht nennt Artikel 38 Abs. 1 Buchst. d) des Statuts IGH "die Lehre von den anerkannten Autoren verschiedener Völker". Die Problematik dieser Hilfsquelle sei hier nicht weiter erörtert, da der geringe Erkenntniswert der Völkerrechtslehre im heutigen Völkerrecht oft genug betont worden isf't'. Die Völkerrechtslehre vermag in einer Zeit der Pluralität und 63 Kiss, Abus de Droit, S. 16 f.; ebenso, aber kürzer und ohne Angabe von Gründen, Lauterpacht, Function, S. 290 f. 64 Vgl. Berber, Völkerrecht I, S. 48 f. 65 So wohl Greig, International Law, S.45 f.; Weber / v. Wedel, Völkerrecht, S.46 mit weiteren Hinweisen. 66 Berber, VÖlkerrecht I, S.79; Menzel / Ipsen, Völkerrecht, S.88; Mössner, . Einführung, S.48 f.

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4. Kap.: Rechtsmißbrauchsverbot im heutigen Völkerrecht

Heterogenität der Staatenwelt allenfalls in den wirklich unbestrittenen Grund- und Rechtssätzen zu einer einmütigen Meinung kommen, ist für diesen Bereich als zusätzliche Erkenntnisquelle dann aber eigentlich überflüssig. Gerade für umstrittene Bereiche wird eine Berufung auf die anerkannten Völkerrechtslehrer jedoch kaum auf allgemeine Zustimmung und Anerkennung stoßen können. Dieser Befund erhärtet sich am Beispiel des Rechtsmißbrauchsverbotes. Wie bereits oben dargestellt, ist die Völkerrechtslehre weit davon entfernt, zu einer, auch nur in den Grundzügen einheitlichen, Beurteilung über Rechtsnatur und Inhalt des Rechtsmißbrauchsverbots zu kommen. Soweit die Frage nach dem Rechtsmißbrauchsverbot als Völkergewohnheitsrecht gestellt ist, kann diese Aussage sogar dahingehend präzisiert werden, daß von kaum einem Autor das Rechtsmißbrauchsverbot wirklich als bereits geltender Satz des Völkergewohnheitsrechts angesehen wird67 , sondern in ganz überwiegendem Maße als allgemeiner Rechtsgrundsatz im Sinne von Artikel 38 Abs. 1 Buchst. c) des Statuts IGH verstanden wird. Auch die erneute Untersuchung des Rechtsmißbrauchsverbotes in der Völkerrechtspraxis führt selbst unter großzügiger Einbeziehung aller denkbaren Rechtserkenntnismittel zu dem Ergebnis, daß das Rechtsmißbrauchsverbot nicht als ein Satz des allgemeinen Völkergewohnheitsrechtes angesehen werden kann68 • 4. Zum Rechtsmißbrauchsverbot als allgemeinem Rechtsgrundsatz 4.1. Zur Rechtsnatur der allgemeinen Rechtsgrundsätze Seit der Einführung der allgemeinen Rechtsgrundsätze in Artikel 38 des Statuts IGH bzw. in das Statut von dessen Vorgänger, dem Ständigen Internationalen Gerichtshof, hat sich eine nicht mehr übersehbare und bis heute nicht beendete Diskussion um den Inhalt und die Rechtsnatur der allgemeinen Rechtsgrundsätze entfacht, die immer noch weit davon entfernt ist, in dieser wichtigen Frage Einmütigkeit zu erzielen69 • In einem Punkt dürfte heute dagegen weit überwiegend Einigkeit erzielt worden sein, über den in der Vergangenheit ebenfalls heftig gestritten worden ist; nämlich die Frage, ob die in Artikel 38 Abs. 1 Buchst. c) des Statuts IGH formulierten allgemeinen Rechtsgrundsätze Vgl. hierzu bereits Roulet, Caractere, S. 102 f. So auch Roulet, Caractere, S. 104; Paul, Abuse of Rights, S. 128. 69 Vgl. für viele den überblick über die unterschiedlichen Auffassungen bei Berber, Völkerrecht I, S. 67 f. 67

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4. Rechtsmißbrauchsverbot als allgemeiner Rechtsgrundsatz

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nur für die Rechtsprechung des Haager Gerichtshofes von Bedeutung sind70, oder ob es sich hierbei um eine Kodifizierung von - bereits damals - anerkanntem Völkerrecht handelt, wonach diese allgemeinen Rechtsgrundsätze auch ohne ihre Niederlegung in das Statut im allgemeinen Völkerrecht zu beachten sind71 • Dieser Streit ist zumindest obsolet geworden, da allgemein die Auffassung vertreten wird, daß in allen völkerrechtlichen Streitigkeiten unabhängig von Artikel 38 Abs. 1 Buchst. c) des Statuts IGH die allgemeinen Rechtsgrundsätze zu berücksichtigen und gegebenenfalls anzuwenden sind72 • Angesichts der nahezu universalen Anerkennung des Statutes des IGH und der Tatsache, daß auf die allgemeinen Rechtsgrundsätze in einer Vielzahl von Verträgen im Völkerrecht verwiesen wird73 , dürfte dieser Auffassung auch kaum widersprochen werden können. Soweit gleichwohl auch heute Bedenken gegen die Anwendung der allgemeinen Rechtsgrundsätze im Sinne von Artikel 38 Abs. 1 Buchst. c) des Statuts IGH geltend gemacht werden, so richten sich diese letztlich gegen deren - wegen der immer noch streitigen Fragen zum Inhalt und zu der Rechtsnatur der allgemeinen Rechtsgrundsätze - praktische Schwierigkeiten in der Rechtsanwendung. Es würde den Rahmen der vorliegenden Untersuchung überschreiten, wenn hier auf eine nähere Darlegung des Inhalts und der Rechtsnatur der allgemeinen Rechtsgrundsätze bzw. in eine Auseinandersetzung mit den unterschiedlichsten Auffassungen eingegangen werden sollte74. Andererseits ist es offensichtlich, daß die Divergenzen über die Rechtsnatur der allgemeinen Rechtsgrundsätze Auswirkungen haben müssen auf die Untersuchung des Rechtsmißbrauchsverbotes als allgemeinen Rechtsgrundsatz, da je nach dem den allgemeinen Rechtsgrundsätzen beigelegten Inhalt und der Rechtsnatur die Untersuchung des Rechtsmißbrauchsverbotes auf die gewählte Konzeption beschränkt werden muß75. Das 70 So Anzilotti, Lehrbuch, S.86; Cavaglieri, Regles Generales, S.544; Gihl, Legal Character, S.90; wohl auch Kelsen / Tucker, Principles, S.440. 71 Verdross, Principes Gemkaux, S. 195 f., 207; ders., Quellen, S. 126; Härle, Entscheidungsgrundlagen, S. 10; Vallindas, General Principles, S.427; Berber, Völkerrecht I, S.66; Verdross / Simma, Völkerrecht, S.308; allgemein zu diesem Meinungsstreit Guggenheim, Traite, S. 298 f. 72 Vgl. Berber, Völkerrecht I, S. 66. 73 Vgl. Schlesinger / Bonassies, Fonds Commun, S. 503 f. 74 Zur Diskussion vgl. Berber, Völkerrecht I, S.66; WengIer, Völkerrecht I, S. 361 f.; Gihl, Legal Character, S. 85 f.; Rousseau, Droit International I (1970), S. 372 f.; aus sozialistischer Sicht Tunkin, International Law, S. 98 f.; DDRLehrbuch Völkerrecht I, S. 208 f. 75 Es handelt sich hierbei nicht nur um eine Frage der unterschiedlichen Methode, wie dies Jenks, New World, S.149 zu meinen scheint, sondern um grundlegend verschiedene Ausgangspunkte. Zutreffend stellt daher Constantionesco, Rechtsvergleichung 11, S. 398 Anm. 280 fest, daß erst die Klärung der Rechtsnatur der allgemeinen Rechtsgrundsätze erfolgen muß, ehe man

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4. Kap.: Rechtsmißbrauchsverbot im heutigen Völkerrecht

Ergebnis ist somit notwendigerweise verknüpft mit dem gewählten Ausgangspunkt, der aus diesem Grunde zunächst - wenn auch in groben Zügen - festgelegt werden muß. Hierzu sei zunächst kurz an die Geschichte des Art. 38 Abs. 1 Buchst. c) des Statuts IGH erinnert, bzw. daran, welche Funktion diesen Rechtsgrundsätzen ursprünglich zugedacht war. Ausgangspunkt der Diskussion um die allgemeinen Rechtsgrundsätze76 war vor allem das Problem, ob bei Schaffung des Ständigen Internationalen Gerichtshofes dieser in seiner Rechtsprechung möglicherweise in bestimmten Fällen zur Feststellung eines "non liquet" kommen müsse, weil der in Streit stehende Sachverhalt durch Vertragsrecht und Völkergewohnheitsrecht nicht erschöpfend geregelt sei77, also eine Rechtslücke bestehe. Damit der Internationale Gerichtshof bzw. sein Vorgänger in diesen Fällen nicht entweder zu keiner Entscheidung komme oder aber letztlich auf das Freiheit-der-Staaten-Prinzip rekurrieren müsse78 , bedürfe das Völkerrecht einer Norm bzw. eines Normbereiches, der dieses verhindere. Zwar ist die Diskussion um die Völkerrechtslücken im Schrifttum - abgesehen von dem rechtstheoretischen Schrifttum79 - immer wieder im Zusammenhang mit dem Verbot des non liquet für die Entscheidung des Internationalen Gerichtshofes diskutiert worden80, doch muß der Streit letztlich als unergiebig angesehen werden, da bereits die Ausgangsthese, das Völkerrecht kenne Lücken in seiner Rechtsordnung, nicht akzeptiert werden kann81 • Soweit bei einer Entscheidung eines Streitfalles keine spezielle oder allgemeine Völkerrechtsnorm dem Kläger zur Begründung seines Anspruches zur Seite steht, muß seine Klage mangels einer völkerrechtlichen Anspruchsgrundlage eben abgewiesen werdenS2• Eine Rechtslücke sich der Frage zuwenden kann, mit welcher Methode man diese gewinnen kann. 76 Zur Entstehungsgeschichte Guggenheim, Traite, S. 293 f. mit weiteren Hinweisen; Verdross, Quellen, S. 124 f.; Verdross / Simma, Völkerrecht, S. 308. 77 Vgl. hierzu Verdross, Quellen, S. 125; Scheuner, Influence, S. 128 f.; Gihl, Legal Character, S. 85 f.; Menzel, Grundprobleme, S.45; Drost, Grundlagen, S.67. 78 Vgl. Garcia Amador, State Responsibility, S.377; Siorat, Lacunes, S.311. 79 Vgl. hierzu Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 251 f.; Esser, Vorverständnis, S. 178; Larenz, Methodenlehre, S. 354 f. 80 Scheuner, Influence, S. 129 f.; Stone, Non Liquet, S. 124 f.; Hoffmann, Grenzen, S. 28 f. mit weiteren Hinweisen. 81 Ebenso Hoffmann, Grenzen, S.28 (der die Entscheidung in dieser Frage als eine Art wissenschaftliches Glaubensbekenntnis ansieht); s. auch Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 251 f. 82 So auch Guggenheim, Traite, S.292; Gihl, Legal Character, S. 86 f.; Kelsen / Tucker, Principles, S.440; Verdross / Simma, Völkerrecht, S.313; SeidlHohenveldern, Völkerrecht, S.121; anderer Ansicht Scelle, Precis I, S.78; Siorat, Lacunes, S. 239 f., 409 f.; Dahm, Völkerrecht I, S. 160; ders., Völkerrecht III, S. 54.

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mit der Folge der Unentscheidbarkeit eines Streitfalles bzw. der Notwendigkeit eines non liquet kann sich deshalb gar nicht ergeben83 • Falls gleichwohl von Lücken im Recht gesprochen wird bzw. gesprochen werden kann, kann es sich allenfalls um sogenannte Wertungslükken handeln, d. h. um ein je nach Standpunkt des Betrachters auftauchendes Wertprobiem84• Dagegen muß die Bejahung von sogenannten Rechtslücken verbunden mit einem Verbot des non liquet konsequenterweise zur Einführung neuer "Normen" führen, die jedoch dann anderweitig, sei es aus einem metajuristischen Wertsystem, sei es aus einer anderen positiven Rechtsordnung gewonnen werden müssen85 • Wenn die allgemeinen Rechtsgrundsätze als notwendiges Korrektiv für die Ausfüllung von sogenannten Lücken im Recht angesehen worden sind, so ist die Aufrechterhaltung dieses Zusammenhangs letztlich unhaltbar, das Lückenproblem für die Anwendbarkeit und nähere Bestimmung der allgemeinen Rechtsgrundsätze eigentlich bedeutungslos86 • Da andererseits die allgemeinen Rechtsgrundsätze heute positiver Bestandteil des Völkerrechtes sind87 , muß ihre Bedeutung in Wahrheit eine andere sein: Nicht Rechtslücken im eigentlichen Sinne, sondern sogenannte Wertungslücken sollen durch den Rückgriff auf die allgemeinen Rechtsgrundsätze geschlossen werden. Allerdings ist der Ausdruck Wertungslücken in diesem Zusammenhang ungenau, da es sich letztlich um keine offengelassene Wertung im Sinne von Nicht-Wertung handelt, sondern vielmehr um eine als Unrecht empfundene Wertung einer Entscheidung, die sich zwar auf positive Völkerrechtssätze stützen kann, aber als unbefriedigend angesehen wird88• Die Korrektur solcher als unbillig empfundener Entscheidungen soll also mit Hilfe der allgemeinen Rechtsgrundsätze erfolgen können. 83 Ebenfalls gegen die Annahme von Lücken Scheuner, Influence, S. 128 f.; Drost, Grundlagen, S.67; Guggenheim, Lehrbuch I, S.131; ders., Traite, S. 264 f.; Gihl, Legal Character, S. 85 f.; Wengier, Völkerrecht I, S. 870 f.; Verdross / Simma, Völkerrecht, S.313; anderer Ansicht (für die Annahme von Lücken) Bruns, Völkerrecht I, S.29 und 11, S.449; Sauer, Methode, S. 168. 84 Insoweit ist die Bemerkung von Hoffmann, Grenzen, S.28 zutreffend, daß es sich letztlich um ein wissenschaftliches Glaubensbekenntnis handelt. 85 Diesen Zusammenhang sieht auch Garcia Amador, State Responsibility, S.377; vgl. auch Esser, Vorverständnis, S. 176; Larenz, Methodenlehre, S.366. 86 Scheuner, Influence, S.145; vgl. auch zur heutigen Bedeutungslosigkeit des Problems für die Anerkennung der allgemeinen Rechtsgrundsätze Friedmann, Changing Structure, S. 189 Anm. 2 mit weiteren Hinweisen. 87 Guggenheim, Traite, S.297. 88 Vgl. hierzu auch die Bemerkung von Guggenheim, Traite, S.296, wonach es die Funktion der allgemeinen Rechtsgrundsätze ist, die Anwendung des Freiheit-der-Staaten-Prinzips zu verhindern; ähnlich Kimminich, Einführung, S.167.

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Aus diesem - eigentlich nur einzig möglichen - Sinn und Zweck der allgemeinen Rechtsgrundsätze ergeben sich einige Schlußfolgerungen, die zur Klärung der Rechtsnatur und des Inhalts der allgemeinen Rechtsgrundsätze wesentlich beitragen können: Die allgemeinen Rechtsgrundsätze können nicht identisch sein mit dem völkerrechtlichen Vertragsrecht und Völkergewohnheitsrecht89, wenngleich insbesondere zu letzterem die Abgrenzung mitunter recht schwierig sein kann90 • Weiter ergibt sich hieraus, daß die allgemeinen Rechtsgrundsätze nicht bereits Sätze des Völkerrechts selbst sind, da sie sonst notwendigerweise zum völkerrechtlichen Vertragsrecht oder Völkergewohnheitsrecht zu zählen wären, und die Möglichkeit einer Korrektur des Völkerrechtes durch die allgemeinen Rechtsgrundsätze, die ja über das Völkerrecht hinausweisen sollen, nicht möglich wäre. Schließlich muß es sich aber um Rechtsgrundsätze handeln, die positivaußerhalb von Völkerrecht anerkannt sind und Geltung haben, da überpositives Recht wie Naturrecht, die Rechtsidee oder ähnliches keine Rechtserkenntnisquellen sein können91 • Da die Formulierung in Artikel 38 Abs. 1 Buchst. c) des Statuts IGH recht ungenau und vage ist, haben die obigen überlegungen leider in der Folgezeit nicht verhindert, den allgemeinen Rechtsgrundsätzen die unterschiedlichsten Inhalte und verschiedenerlei Rechtscharakter beizulegen. Im wesentlichen lassen sich wohl drei große Gruppierungen unterscheiden: Danach handelt es sich bei den allgemeinen Rechtsgrundsätzen entweder um allgemeine Grundsätze oder Prinzipien des Völkerrechts, um Grundsätze des überpositiven Rechts - seien es Naturrechts-, Billigkeitsrechts- oder immanente Rechtssätze einer jeden Rechtsordnung - oder aber schließlich um Rechtsgrundsätze, die aus dem Vergleich der wichtigsten innerstaatlichen Rechtsordnungen gewonnen werden und als innerstaatliche Grundsätze Anwendung auf völkerrechtliche Streitigkeiten finden können92 • Nach dem hier vertretenen Standpunkt folgt jedoch, daß die allgemeinen Rechtsgrundsätze jedenfalls nicht die allgemeinen Grundprinzipien oder Grundsätze des Völkerrechts meinen können, wie dies vor allem von der sozialistischen Völkerrechtslehre vertreten wird93 • Diese sind 89 So Berber, Rechtsquellen, S. 136; anderer Ansicht Scelle, Precis, S. 314 f.; Sauer, Grundlehre, S. 12. 90 Brunner, Quellen, S. 58. 91 Vgl. hierzu die Ausführungen oben 2. Kap. 1.3.2. 92 Vgl. zur Diskussion Mössner, Einführung, S.43; WengIer, Völkerrecht I, S. 361 f.; Gihl, Legal Character, S. 85 f.; Rousseau, Droit International I (1970), S. 372 f.; Jaenicke, Völkerrechts quellen, S. 770 f.; aus sozialistischer Sicht Tunkin, International Law, S. 98 f.; ders., Theorie, S. 223 f.; DDR-Lehrbuch Völkerrecht I, S. 208 f.; Herczegh, General Principles, S. 23 f. 93 Vgl. zur keineswegs einheitlichen - Rechtsauffassung der sozialistischen Völkerrechtslehre Brunner, Quellen, S. 58 f.; DDR-Lehrbuch Völker-

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soweit es sich nicht ohnehin um inhaltsleere Formeln handelt - bereits bei Entscheidungen nach Völkerrecht zu beachten und können als Korrekturmittel für als unangemessen betrachtete Entscheidungen, d. h. also als Wertkorrektiv, nicht dienen94 • Eine Interpretation der allgemeinen Rechtsgrundsätze in diesem Sinne wäre überflüssig9S , weil dem vorhandenen völkerrechtlichen Normenbestand nichts Neues hinzugefügt werden könnte96 • Weiter ergibt sich aus der hier vertretenen Auffassung, daß auch der Verweis auf Naturrecht97 oder andere sogenannte immanente Rechtsprinzipien wie Gerechtigkeit, Idee des Rechts oder ähnliches nicht gemeint sein kann, da derartige Grundsätze generell nicht geeignet sind, als Entscheidungsgrundlagen zu dienen98 • Wie bereits oben ausgeführt, handelt es sich bei derartigen metajuristischen Gerechtigkeitsprinzipien nicht um positive Rechtssätze, aus denen Entscheidungsanleitungen intersubjektiv überprüfbar entnommen werden könnten. Im übrigen wäre es auch nur schwer vorstellbar, wie bei der Annahme von bindend vorhandenem Naturrecht eine positive Rechtsordnung überhaupt zu mit Naturrecht unvereinbaren Ergebnissen gelangen könnte, so daß noch eine weitere Wertkorrektur mit Hilfe eines über der Rechtsordnung stehenden Wertsystems vonnöten wäre99• Auch der Rückgriff auf das sogenannte Rechtsbewußtsein der Völker zur Konkretisierung der allgemeinen Rechtsgrundsätze ist nur eine Verschleierung für den Griff nach einer überpositiven Norm. Zwar mag in einem gewissen Sinne von einem bei allen Völkern vorhandenen Rechtsbewußtsein gesprochen werden können, doch darf dies nicht dazu führen, einem solchen Rechtsbewußtsein ungeachtet der verschiedenen konkreten Rechtsvorstellungen einen überall gleichen Inhalt unterschieben zu wollen1oo• recht I, S. 209 f.; auch von einigen Vertretern der westlichen Völkerrechtslehre werden die allgemeinen Rechtsgrundsätze zumindest auch in diesem Sinne verstanden, vgl. Rousseau, Droit International I (1970), S. 389 f.; Jaenicke, Völkerrechtsquellen, S.77l. 94 Kelsen / Tucker, Principles, S.540; Gihl, Legal Character, S.91; Herczegh, General Principles, S. 125. 9S Schlesinger / Bonassies, Fonds Commun, S.513. 96 Seidl-Hohenveldern, Rechtsvergleichung, S.255; Verdross / Simma, Völkerrecht, S. 311. 97 So v. d. Heydte, Bona fides, S.369; Wolff, Principes generaux, S. 483 f.; Spiropoulos, Rechtsgrundsätze, S. 26 f., 63; Le Fur, Coutume, S.368; Verdross, Principes generaux, S. 195 f., 204. 98 Abgesehen davon verstößt eine solche Interpretation auch gegen die Intentionen der Schöpfer des Art. 38 Abs. 1 Buchst. c) des Statuts IGH. Vgl. hierzu Guggenheim, Traite, S.296; Rousseau, Droit International I (1970), S.373; Vallindas, General Principles, S.430; Constantinesco, Rechtsvergleichung 11, S. 398. 99 Zu diesem Problem vgl. schon Ripert, Regles, S. 578, der auch betont, daß die Anwendung von überpositivem Recht letztlich zur Aufhebung des positiven Rechtes führen müsse.

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Nur der Ergänzung halber sei noch darauf hingewiesen, daß die allgemeinen Rechtsgrundsätze bei dem hier vertretenen Ausgangspunkt auch nicht identisch sein können mit den sogenannten Billigkeitsgrundsätzen lOI • Abgesehen von der Schwierigkeit, in einer pluralistischen und heterogenen Völkerrechtsgemeinschaft überhaupt allgemein anerkannte Billigkeitsstandards erkennen und aufstellen zu können, widerspräche die Gleichsetzung der allgemeinen Rechtsgrundsätze mit den Billigkeitsgrundsätzen bereits Artikel 38 Abs. 2 des Statutes IGH, wonach nur bei gegenseitigem Einverständnis der streitenden Parteien Billigkeitsgrundsätze einer Entscheidung des Internationalen Gerichtshofes zugrunde gelegt werden können. Handelte es sch bei Artikel 38 Abs. 1 Buchst. c) des Statuts IGH um einen Verweis auf Billigkeitsgrundsätze, wäre Artikel 38 Abs. 2 des Statutes überflüssig lO2 • Im übrigen wären offensichtlich alle diese - hier verworfenen Konzeptionen der allgemeinen Rechtsgrundsätze für den Nachweis des Rechtsmißbrauchsverbotes als einen solchen allgemeinen Rechtsgrundsatz ohnehin untauglich; eine Feststellung, die allerdings nicht nur für das Rechtsmißbrauchsverbot gelten muß. Wäre das Rechtsmißbrauchsverbot ein allgemeiner Rechtsgrundsatz im Sinne eines Völkerrechtsprinzips, dann hätte dies bei der Untersuchung des Vertragsrechtes und des Völkergewohnheitsrechtes bereits erkannt werden müssen. Es ist nicht vorstellbar, wie nach der erfolglosen Untersuchung des Vertragsrechtes und des Völkergewohnheitsrechtes mit einer derartigen Konzeption der allgemeinen Rechtsgrundsätze darüber hinaus nunmehr noch ein Nachweis des Rechtsmißbrauchsverbotes möglich sein sollte. Hierzu wäre erforderlich, eine besondere, geeignete Methode zur Gewinnung eines derartigen Rechtssatzes anzugeben, die jedoch nicht ersichtlich ist. Soweit die allgemeinen Rechtsgrundsätze als Verweis auf ein überpositives Recht verstanden werden, muß ein Nachweis eines Rechtsmißbrauchsverbotes als ein Rechtsgrundsatz in diesem Sinne schon deshalb scheitern, weil - wie bereits oben ausführlich dargelegt - der Nachweis eines bestimmten individuellen oder generellen Rechtssatzes aus solchen überpositiven Prinzipien grundsätzlich nicht gelingen kann. Die Vorstellung, die allgemeinen Rechtsgrundsätze seien ein irgendwie gearteter Hinweis auf überpositives Recht, kann also auch für die vorliegende Untersuchung des Rechtsmißbrauchsverbotes nichts Neues hinzufügen und weiterführen. 100 Näher hierzu Hoffmann, Verantwortung, S. 107 f.; aus rechtssoziologischer Sicht Geiger, Rechtssoziologie, S. 109 f. und ausführlich S. 382 ff. laI Rousseau, Droit International I (1970), S.375; BlondeI, Principes Generaux, S.235. 102 So auch Ripert, Regles, S. 576 f.; Rousseau, Droit International (1976), S.88.

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Schließlich würde die Konzeption der allgemeinen Rechtsgrundsätze als Verweis auf Billigkeitsgrundsätze für eine Untersuchung des Rechtsmißbrauchsverbotes schon deshalb ausscheiden müssen, weil hier - wie ebenfalls schon oben klargestellt - nicht die Untersuchung eines Billigkdtsgrundsatzes, sondern eines Rechtssatzes zur Debatte steht. Wenn die allgemeinen Rechtsgrundsätze im Sinne von Artikel 38 Abs.l Buchst. c) des Statutes IGH weder bereits Normen des positiven Völkerrechtes noch überpositive Normen sein sollen, dennoch über das Völkerrecht hinausweisen und positiv nachweisbar sein sollen, dann können mit den in Artikel 38 Abs. 1 Buchst. c) des Statutes IGH genannten Grundsätzen nur Grundsätze der innerstaatlichen Rechtsordnungen gemeint seinlO3 • Nur hier besteht die Möglichkeit, anhand positiver Rechtsstäze inhaltliche Lösungsmöglichkeiten zu gewinnen, zu denen das Völkerrecht aufgrund von Vertragsrecht und Völkergewohnheitsrecht noch nicht in der Lage ist, obwohl im konkreten Streitfall eine derartige Lösung erwünscht ist. Diese Konzeption der allgemeinen Rechtsgrundsätze hat gegenüber den anderen Ansichten vor allem den Vorzug, daß der Nachweis bestimmter Grundsätze in den innerstaatlichen Rechtsordnungen mit den üblichen Normfeststellungsverfahren möglich ist, ohne daß Deduktionen aus inhaltslosen allgemeinen Begriffen oder Spekulationen vorgenommen werden müssen. Nur bei Zugrundelegung dieser Konzeption der allgemeinen Rechtsgrundsätze bestehen überhaupt noch Aussichten, das Rechtsmißbrauchsverbot doch noch als eine im allgemeinen Völkerrecht anwendbare bzw. anzuwendende Norm feststellen zu können. Selbst dies kann aber nur unter der weiteren Voraussetzung gelingen, daß man mit der heute wohl überwiegenden Meinung in der (westlichen) Völkerrechtslehre davon ausgeht, es handele sich bei den allgemeinen Rechtsgrundsätzen des Artikels 38 Abs. 1 Buchst. c) des Statuts IGH um echte Völkerrechtssätze lO4 , obwohl diese Rechtsgrundsätze ihrer Herkunft nach aus den innerstaatlichen Rechtsordnungen stammen. Die allgemeinen Rechtsgrundsätze werden nach dieser Auffassung somit als eigenständige dritte Rechtsquelle neben dem Vertragsrecht und dem Gewohnheitsrecht angesehen und sollen nicht nur als Entscheidungsgrundlage für den Internationalen Gerichtshof - kraft der Ermächtigung durch Artikel 38 Abs. 1 Buchst. c) des Statuts IGH - dienen kön103 So auch Ripert, Regles, S. 580 f.; Bastid, Droit de Gens III, S. 382 f.; Vallindas, General Principles, S. 427 f.; Brunner, Quellen, S. 57 f.; Berber, Rechtsquellen, S. 136 f.; ders., Völkerrecht I, S. 69 f.; Menzel / Ipsen, Völkerrecht, S.86; Kimminich, Einführung, S. 166 f.; Seidl-Hohenveldern, Völkerrecht, S. 113; Akehurst, Modern Introduction, S. 52. 104 Für viele Dahm, Völkerrecht I, S.17; Rousseau, Droit International I (1970), S. 374 ff.; Seidl-Hohenveldern, Völkerrecht, S.129; Verdross / Simma, Völkerrecht, S. 309; Mössner, Einführung, S. 43.

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nen lOS• Als echte - oder auch primäre - Völkerrechtsquelle bedürfen sie demnach keiner zusätzlichen, speziellen Rezeption, um in das Völkerrecht zu gelangen lO6 • Die allgemeinen Rechtsgrundsätze sollen also nicht nur zur Ergänzung und Fortentwicklung beitragen, sondern bereits Bestandteil des Völkerrechts sein, auch wenn diese Grundsätze bislang niemals angewandt worden sind bzw. sich in der internationalen Staatenpraxis nicht nachweisen lassen lO7 • Gegen diese heute herrschende Konzeption der allgemeinen Rechtsgrundsätze lassen sich gewichtige Gründe vorbringen und sind in der Vergangenheit auch immer wieder vorgebracht worden lO8 • Auch wenn für die Mindermeinung schon deshalb gute Gründe sprechen, weil die herrschende Meinung letztlich nicht überzeugend zu begründen vermag, weshalb gemeinsame Grundsätze innerstaatlicher Rechtsordnungen als allgemeines Völkerrecht Geltung beanspruchen können lO9 , braucht dieser Meinungsstreit hier nicht entschieden zu werden, sondern soll für die weitere Untersuchung von der Auffassung der herrschenden Meinung ausgegangen werden. Für diese Vorgehensweise sprechen im wesentlichen zwei Gründe: Zum ersten erscheint es schon deshalb opportun, für die Untersuchung eines Rechtssatzes, der nach dem bisherigen Ergebnis allenfalls als allgemeiner Rechtsgrundsatz im Sinne von Artikel 38 Abs. 1 Buchst. c) Statut IGH in das Völkerrecht Eingang gefunden haben kann, der hierzu herrschenden Meinung zu folgen, da dann das Ergebnis dieser Untersuchung von der herrschenden Meinung iücht schon allein aus dem Grund verworfen werden kann, weil dieses Ergebnis in einem entscheidenden Punkt aus der Position einer Mindermeinung begründet wäre. Zum anderen hätte die Zugrundelegung der Mindermeinung direkt praktische Folgen für die weitere Untersuchung: Rechnet man die den innerstaatlichen Rechtsordnungen gemeinsamen Rechtsgrundsätze nicht zum Bestand des allgemeinen Völkerrechts, kann die Untersuchung an diesem Punkt beendet werden mit dem Ergebnis, daß das Rechtsmißbrauchsverbot nicht als Norm des allgemeinen Völkerrechts festgeJaenicke, Völkerrechtsquellen, S. 770. So aber Scheuner, Influence, S. 162; Verdross, Principes Generaux, S. 199. Kimminich, Einführung, S. 167. Vgl. zur Diskussion Jaenicke, Völkerrechtsquellen, S.771; Dahm, Völkerrecht I, S.36; WengIer, Völkerrecht I, S.362; Verdross / Simma, Völkerrecht, S. 308. 109 Jaenicke, Völkerrechtsquellen, S.770, 771; vgl. auch die letztlich unentschieden wirkenden Ausführungen bei Ripert, Regles, S. 586 ff. - Soweit sich die herrschende Meinung zur Begründung auf die Notwendigkeit der allgemeinen Rechtsgrundsätze zur Ausfüllung von Rechtslücken im allgemeinen Völkerrecht stützt, erscheint diese Argumentation nicht überzeugend, weil die Ausgangsthese, das Völkerrecht kenne Lücken in seiner Rechtsordnung, nicht akzeptiert werden kann. lOS 106 107 108

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stellt werden kann. Ein solches Ergebnis wäre aber nicht zuletzt deshalb unbefriedigend, weil die häufig erörterte Frage, ob das Rechtsmißbrauchsverbot überhaupt als ein allgemeiner Rechtsgrundsatz den innerstaatlichen Rechtsordnungen entnommen werden kann, nicht mehr beantwortet werden müßte. Sollte sich bei der Untersuchung der innerstaatlichen Rechtsordnungen das Rechtsmißbrauchsverbot als ein solcher allgemeiner Rechtsgrundsatz erweisen, bliebe es für die Frage, ob dieser Grundsatz damit auch Bestandteil des allgemeinen Völkerrechts ist, von allerdings entscheidender Bedeutung, welcher Auffassung über die Rechtsnatur der allgemeinen Rechtsgrundsätze man folgt l1o • Führt die weitere Untersuchung dagegen zu einem negativen Befund, dann ist für die Existenz des Rechtsmißbrauchsverbotes im allgemeinen Völkerrecht dieser Meinungsstreit letztlich bedeutungslos, weil ein solcher Rechtssatz weder nach der einen noch nach der anderen Auffassung nachweisbar wäre. 4.2. Die Rechtsvergleichung zur Bestimmung des Rechtsmißbrauchsverbotes 4.2.1. Probleme der Rechtsvergleichung

Die Methode, mit der derartige Rechtsgrundsätze gefunden werden können, ist die Rechtsvergleichung111 • Daß diese Feststellung noch nicht alle Probleme löst, zeigen die bisherigen unterschiedlichen Stellungnahmen, die aufgrund einer mehr oder minder intensiven vergleichenden Betrachtung einmal das Rechtsmißbrauchsverbot als einen in fast allen internen Rechtsordnungen vorhandenen Grundsatz bejahtenl12 , während andererseits gerade aufgrund einer rechtsvergleichenden Be110 Dieser Gegensatz würde in der Praxis jedoch dadurch gemildert, daß auch nach der Mindermeinung der IGH jedenfalls berechtigt wäre, das Rechtsmißbrauchsverbot subsidiär und ergänzend heranzuziehen, wenn ein solcher Rechtssatz als allgemeiner Grundsatz der innerstaatlichen Rechtsordnungen nachgewiesen werden kann. In einem konkreten Streitfall vor dem IGH würde sich dann für die streitenden Parteien ungeachtet des oben skizzierten Meinungsstreites die Notwendigkeit ergeben, sich auf die Heranziehung des Rechtsmißbrauchsverbotes als Entscheidungsgrundlage einstellen zu müssen. Eine Entscheidung des IGH auf dieser Grundlage hätte zwar zunächst nur eine Wirkung inter partes (Art. 59 Statut IGH) Und würde noch nicht die Schöpfung einer - neuen - allgemeinen Völkerrechtsregel mit Wirkung inter omnes bedeuten, gleichwohl hätte eine solche Entscheidung eine gewisse Präjudizwirkung und könnte auf diese Weise zur Bildung einer neuen allgemeinen Völkerrechtsregel beitragen. 111 Vallindas, General Principles, S.428; Mosler, Rechtsvergleichung, S.401; Constantinesco, Rechtsvergleichung H, S. 398 f. mit weiteren Hinweisen, Akehurst, Equity, S. 818. 112 So z. B. Härle, Entscheidungsgrundlagen, S.182; Lauterpacht, Function, S. 294 f.; Schindler, Rechtsrnißbrauch, S. 38; van Bogaert, Rechtsmisbruik, S. 27; im Ergebnis ebenso schon Politis, Probleme, S. 79 f.

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trachtung diese Ansicht abgelehnt worden ist113 • Die Voraussetzungen für eine aussagekräftige Rechtsvergleichung müssen daher näher präzisiert werden. Ein ernstes Problem wirft die Frage auf, wie weit ein solcher Rechtsvergleich zu führen ist. Wenn auch die, vor allem in jüngster Zeit, erhobenen Forderungen114 nachdrücklich zu begrußen sind, daß gerade für die Feststellung der allgemeinen Rechtsgrundsätze weit intensiver als bisher üblich, sowohl in der Breite wie in der Tiefe, zur rechtsvergleichenden Methode gegriffen werden muß, soll das Ergebnis nicht kurzschlüssig oder gar zufällig werden aufgrund der vorgenommenen Auswahl llS , so ist doch offensichtlich, daß auch nicht annähernd alle innerstaatlichen Rechtsordnungen herangezogen werden können 116 • Hier wäre - nicht nur - der Völkerrechtler hoffnungslos überfordert 117 , zumal auf eine einheitliche rechtsvergleichende Methode bislang noch gar nicht zurückgegriffen werden kann, weil die Rechtsvergleichung selbst noch vor grundsätzlichen methodischen Problemen stehtl18• Zwar wird für die Zukunft auch von dem Völkerrechtler immer mehr ein tiefergehendes Verständnis für die bestimmten Rechtskreisen eigene Systematik verlangt werden müssen, für spezielle Fragen wird er sich jedoch sicherlich weiterhin Anleihen bei der Rechtsvergleichung holen müssen, soweit diese hierzu in der Lage ist. Nur wenn keine speziellen Untersuchungen von seiten der Rechtsvergleichung vorliegen, muß der Völkerrechtler selbst zum Rechtsvergleicher werden; bei der heutigen universellen Völkerrechtsgemeinschaft ist dies aber eine den Völkerrechtler schnell überfordernde Aufgabe119 • So wird üblicherweise auch 113 Vgl. Berber, Rechtsquellen, S. 149 f.; Roulet, Caractere, S. 13 f., 106; im Ergebnis ebenso bereits Gutteridge, Abuse of Rights, S. 31 f. 114 Berber, Rechtsquellen, S.137. 115 Vgl. z. B. dagegen die Methode von Politis, Probleme, S. 82 f., der sich eigentlich nur mit dem abus de droit in Frankreich befaßt und sich bezüglich der anderen Rechtsordnungen mehr oder weniger auf das Zitieren von Gesetzestexten beschränkt. Auch andere Autoren haben sich teils recht kursorisch mit nur wenigen Rechtsordnungen befaßt, wie z. B. Giorgianni, Abuso di Diritto, S.43 f.; Härle, Entscheidungsgrundlagen, S. 182; Schindler, Rechtsmißbrauch, S. 13 f.; Roulet, Caractere, S. 13 f.; Gutteridge, Abuse of Rights, S. 31 f. Auf recht viele Rechtsordnungen ausgedehnt wurde der Rechtsvergleich dagegen von Campion, Exercise, S. 211 f.; Berber, Rechtsquellen, S. 114 f.; van Bogaert, Rechtsmisbruik, S. 19 f. 116 Mosler, Rechtsvergleichung, S.405; Schlesinger / Bonassies, Fonds Commun, S. 514; Akehurst, Equity, S. 818. 117 Die Unmöglichkeit eines solchen Unternehmens aus rechtsvergleichender Sicht betont Drobnig, Methodenfragen, S. 222 f. mit weiteren Hinweisen. 118 Vgl. hierzu Constantinesco, Rechtsvergleichung 11, S. 24 f. 119 Zur Schwierigkeit einer Rechtsvergleichung generell vgl. Constantinesco, Rechtsvergleichung I und 11, passim; Schlesinger / Bonassies, Fonds Commun, S.510.

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die Einschränkung gemacht, es habe nur eine Untersuchung der wichtigsten Rechtsordnungen oder gar Rechtskreise zu erfolgenl2O • Auch soweit damit nicht nur rein praktisch und arbeitsökonomisch gedacht ist, ist dies zwar richtig, wenn gleich die häufig gegebene Begründung für sich allein nicht zu überzeugen vermag, es könne auch bei einer derartigen Beschränkung des Rechtsvergleiches bereits auf eine allgemeine bestehende Rechtsüberzeugung geschlossen werden l21 • Bei einer solchen von vornherein vorgenommenen Beschränkung besteht die Gefahr, daß bereits in der Auswahl der für wichtig gehaltenen Rechtsordnungen bewußt oder unbewußt eine Art Auslese getroffen wird, die sich nur gar zu leicht auf die verwandten oder bekannten Rechtskreise beschränkt, da gerade diese wiederum für besonders wichtig gehalten werden l22 • Wenn auch verzeihlich, weil die Rechtsvergleichung bis vor kurzem noch selbst in ihren Anfängen steckte und auch noch heute voll ungeklärter eigener Probleme steckt l23 , so leiden manche Ergebnisse bezüglich der allgemeinen Rechtsgrundsätze doch sehr an der geringen Zahl Den an eine moderne Rechtsvergleichung zu stellenden Anforderungen kann im Rahmen dieser Arbeit allerdings bei weitem nicht genügt werden. Dies würde nicht nur den Rahmen der vorliegenden Untersuchung sprengen müssen, sondern auch die Kräfte des Verfassers übersteigen. Soweit die Ansprüche an eine methodisch einwandfreie Rechtsvergleichung von den Völkerrechtlern weder in der Vergangenheit erfüllt worden sind noch hier erfüllt werden können, ist dies durchaus als Aufforderung an die Rechtsvergleichung zu verstehen. Sicherlich bedürfte auch die Methode, die die Rechtsvergleichung mit dem Völkerrecht verknüpft, noch weiterer Klärungen (vgl. hierzu Mosler, Rechtsvergleichung, S.411). Abgesehen davon kann es nicht Aufgabe dieser Untersuchung sein, generell rechtsvergleichend festzustellen, in welcher Form und in welchem Umfang in einzelnen Rechtsordnungen ein Rechtsmißbrauchsverbot als eigenes Rechtsinstitut bekannt und ob dies jeweils nach Gehalt und Funktion mit möglicherweise identischen oder sich überschneidenden Rechtsinstituten anderer Rechtsordnungen in Beziehung zu setzen ist. Hier interessiert vorrangig die Frage, inwieweit ein Blick in die innerstaatlichen Rechtsordnungen es erlaubt, von einem im Völkerrecht allgemein anerkannten bzw. anzuerkennenden Rechtsgrundsatz vom Rechtsmißbrauchsverbot sprechen zu können. 120 Cansacchi, Instituzioni, S.29; Akehurst, Equity, S. 818 f. 121 Vgl. Berber, Rechtsquellen, S. 137; ähnlich Schlesinger / Bonassies, Fonds Commun, S.515. 122 Zur Schwierigkeit der Auswahl der Rechtssysteme Schlesinger, Introduction, S. 20 f.; Schlesinger / Bonassies, Fonds Commun, S.510; zur Problematik der Einteilung in Rechtskreise überhaupt je nach Wahl der Abgrenzungskriterien s. Schnitzer, Rechtslehre (1961) I, S. 133 (insbesondere die Feststellung auf S.138: "Letzten Endes ist jede Einteilung relativ willkürlich; sie hängt auch vom beabsichtigten Zweck ab."); s. weiter ders., Aufgabe, S. 188 f.; Constantinesco, Rechtsvergleichung 11, S. 106 f., 122 f. Zur Diskussion hierüber s. auch Constantinesco, Stil, S. 156 f. einerseits, Zweigert / Kötz, Rechtsvergleichung I, S. 67 f. andererseits. Im übrigen können auch innerhalb einzelner Rechtsfamilien durchaus unterschiedliche Lösungen vorhanden sein; das übersieht Akehurst, Modern Introduction, S. 53. . 123 Constantinesco, Rechtsvergleichung I, S. 203 f. 10 Neubaus

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der einbezogenen Länder, da sich ein solcher Rechtsvergleich gar manches Mal nur auf die benachbarten Rechtsordnungen beschränkte 124 , welche unter Umständen gerade in der jeweils anstehenden Frage besonders unter gegenseitiger Beeinflussung standenl25 • Daß einige Rechtsordnungen einen gemeinsamen Grundsatz kennen, macht diesen noch nicht zu einem allgemeinen Rechtsgrundsatz im Sinne von Artikel 38 Abs. 1 Buchst. c) des Statuts IGH I26 • .Grundsätzlich besteht zwar darüber Einigkeit, daß zur Feststellung der allgemeinen Rechtsgrundsätze der Rechtsvergleich nicht auf die internen Rechtsordnungen aller Staaten der Völkerrechtsgemeinschaft ausgedehnt werden muß127, wieweit im einzelnen ein Rechtsvergleich jedoch zu führen ist, um einen wirklich allgemein anerkannten Rechtsgrundsatz herauskristallisieren zu können, wird abstrakt kaum zu entscheiden sein, sondern sich letztlich nach der jeweiligen Fragestellung richten müssen l28 • Dagegen fällt eine negative Feststellung unter Umständen sehr viel leichter: Sollte der zu untersuchende Rechtsgrundsatz bereits in einigen wichtigen Rechtsordnungen oder gar Rechtskreisen nicht feststellbar sein, so wird an dieser Stelle der Rechtsvergleich bereits abgebrochen werden können l29 , da es sich in diesem Falle allenfalls um partikuläre Rechtsgrundsätze handeln kann. Schließlich soll, so lange eine allgemeine rechtsvergleichende Untersuchung über das Rechtsmißbrauchsverbot nicht vorliegt lJO , im folgenden - schon aus rein praktischen Gründen ohne Rücksicht auf die DisAkehurst, Equity, S.819. Vgl. z. B. den kursorischen rechtsvergleichenden überblick bei Härle, Entscheidungsgrundlagen, S.182 Anm. I, der sich im wesentlichen auf einige mitteleuropäische Rechtsordnungen beschränkt, die gerade bezüglich des Rechtsmißbraucbsverbotes vom französischen Recht maßgeblich beeinflußt worden waren. 126 Berber, Völkerrecht I, S. 70; Akehurst, Equity, S. 819. Die andere Ansicht führt notwendigerweise zu der Frage, inwieweit Rechtsgrundsätze nur regionale oder partikuläre Geltung besitzen können (vgl. Mössner, Einführung, S.45) - ob und wann dies der Fall sein kann, ist ein Problem des - hier grundsätzlich ausgeklammerten - positiven partikulären Völkerrechts. 127 Berber, Völkerrecht I, S.70; Seidl-Hohenveldern, Völkerrecht, S. 114; Mössner, Einführung, S. 45; Akehurst, Equity, S. 816. 128 Mössner, Einführung, S.45; zur Diskussion hierüber s. auch Akehurst, Equity, S. 820 mit weiteren Hinweisen. 129 Anderer Ansicht Bernhardt, Auslegung, S. 157. 130 Gemeint ist eine spezielle rechtsvergleichende Untersuchung des Rechtsmißbrauches, die über die bloßen Verweise auf ausländische Regelungen anläßlich der Kommentierung des innerstaatlichen Rechtsmißbrauchskomplexes hinausgehen müßte. Die aus rechtsvergleichender Sicht vorliegenden Betrachtungen von Gutteridge, Abuse of Rights, S. 30 ff. und Schnitzer, Rechtslehre (1961) 11, S. 419 ff. gehen über die in völkerrechtlichen Darstellungen des Rechtsmißbrauchsverbotes vorgenommenen rechtsvergleichenden Untersuchungen nicht hinaus oder bleiben sogar diesen gegenüber zurück. 124 125

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kussion um die exakte Einteilung der verschiedenen Rechtsordnungen in Rechtskreise - das Schwergewicht vor allem auf diejenigen Rechtsordnungen gelegt werden, die schon bisher für die Untersuchung des Rechtsmißbrauchsverbotes herangezogen worden sind, weil hierbei auf Vorergebnisse zurückgegriffen werden kann. Nicht zuletzt wird hierbei darauf einzugehen sein, inwieweit die bisherigen Ergebnisse einer rechtsvergleichenden Betrachtung, die zu der Behauptung des Rechtsmißbrauchsverbotes als einem allgemeinen Rechtsgrundsatz führten, tatsächlich als beweiskräftig angesehen werden können. Daß zur Anwendung des Art. 38 Abs. 1 Buchst. c) des Statuts IGH der zu gewinnende Rechtsgrundsatz auch auf das Völkerrecht übertragbar sein muß, braucht hier nicht weiter hervorgehoben zu werdenl3l • Entgegen den bei der Einführung dieser Vorschrift gehegten hohen Erwartungen ist aber bereits früh und häufig davor gewarnt worden, die Übernahme zivilistischer Grundsätze als zu problemlos anzusehen l32 • Hier muß auf zwei Hauptschwierigkeiten des ganzen Verfahrens aufmerksam gemacht werden: Zunächst einmal ist die Feststellung einer innerstaatlichen Rechtsregel als einem Rechtsgrundsatz alles andere als einfach133 • Ohne auf dieses Problem weiter einzugehen, kann bei der weiteren Untersuchung jedoch davon ausgegangen werden, daß es sich bei dem Rechtsmißbrauch, soweit er innerstaatlich anerkannt ist, um einen solchen Rechtsgrundsatz handelt. Nun wird aber in den seltensten Fällen ein Rechtsgrundsatz in allen oder nahezu allen Rechtssystemen völlig identisch in Erscheinung tretenlJ4• Damit stellt sich die Frage, inwieweit ähnliche Lösungsansätze in verschiedenen Rechtsordnungen noch vergleichbar sind, wobei sicherlich nicht nur von dem bloßen Wortlaut, sondern auch von der ähnlichen Bedeutung im jeweiligen Rechtssinn auszugehen ist135, zumal identische Begriffe nur bei sich nahestehenden Rechtsordnungen zu erwarten sind. Doch auch ein gleicher Wortlaut mag bei grundsätzlich verschiedenen Wertvorstellungen gera"' de dann nicht unbedingt zu einem vergleichbaren Rechtsgrundsatz führen136 , wenn es sich wie beim Rechtsmißbrauchsverbot um einen Rechtsgrundsatz von nicht nur formaler Natur handeJt137. Andererseits darf 131 Für viele Bastid, Droit des Gens 111, S. 82 f.; Berber, Rechtsquellen, S. 137; Rousseau, Droit International I (1970), S.378; Vallindas, General Principles, S. 428. 132 So schon Schlochauer, Theorie, S. 383; vgI. auch Schüle, Methoden, S. 777. 133 Siehe LecheIer, Rechtsgrundsätze, S.8 f. 134 Roulet, Caractere, S. 107; Akehurst, Equity, S. 817 f. 135 Akehurst, Modern Introduction, S. 52; Rheinstein, Einführung, S. 32 f.; vgl. auch Verdross / Simma, Völkerrecht, S. 311. 136 Berber, Völkerrecht I, S.71; Drobnig, Methodenfragen, S.232. 137 So auch für Verwaltungsgrundsätze Becker, Einfluß, S.4. Vgl. auch die Bemerkung von Constantinesco, Rechtsvergleichung 11, S.50: "Gleiche Be-

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bei einer rein funktionalen Betrachtungsweise nicht ohne weiteres darüber hinweggegangen werden, daß in den einzelnen Rechtsordnungen trotz ähnlicher Ergebnisse in der Lösung VOn Rechtskonflikten erhebliche rechtstechnische Unterschiede zur Erreichung der im Ergebnis identischen Konfliktslösungen bestehen können138• Letztlich handelt es sich um ein Problem der Analogie 139, der man mit logischen Mitteln nicht gerecht werden kann, da ein Analogieschluß nicht ohne subjektive Wertung vorgenommen werden kann. Diese Schwierigkeit wird zwar auch von anderen Autoren gesehen, doch begnügt man sich zumeist mit der Feststellung, man dürfe nicht nur am Wortlaut des gesuchten Begriffes kleben oder habe VOn besonderen Ausgestaltungen abzusehenl40 • Mit derartigen Erläuterungen ist nichts hinzugewonnen, da erst noch zu klären wäre, wie weit von dem Wortlaut des Begriffes bzw. der jeweiligen besonderen Ausgestaltung bei einem konkreten Vergleich abgewichen werden darf. Die Grenzen eines notwendigen Analogieschlusses können allenfalls dahingehend negativ bestimmt werden, daß die behauptete Ähnlichkeit nicht so weit getrieben werden darf, daß schließlich nur noch ein inhaltsleerer Begriff übrig bleibt. Diese Forderung auf das Rechtsmißbrauchsverbot angewandt, muß zumindest eine Konkretisierung des Mißbilligungstatbestandes möglich sein, die über die allgemeine Aussage, der Ausübung eines jeden Rechtes seien Grenzen gesetzt, hinausgehen muß141. Für die Feststellung eines Rechtsmißbrauchsbegriffes reicht es eben nicht aus, bloß auf eine irgendwie geartete Beschränkung der subjektiven Rechte bzw. der Ausübung der subjektiven Rechte hinzuweisen l42. Diese Erkenntnis ergibt sich bereits zwingend aus der Anerkennung VOn verschiedenen nebeneinander bestehenden Rechten VOn rechtlich gleichgeordneten Rechtssubjekten. Ziel der rechtsvergleichenden Untersuchung ist vielmehr die Antwort auf die Frage, ob sich die wichtigsten innerstaatlichen Rechtsordnungen rechtstechnisch u. a. des Rechtsmißbrauchsverbotes bedienen, um den jeweiligen Spielraum bzw. Inhalt der subjektiven stimmung und gleiche Gesetze können von Gerichten unterschiedlicher Rechtsordnungen unterschiedlich ausgelegt werden." 138 Vgl. Ripert, Regles, S. 585; Roulet, Caractere, S. 82. 139 So auch Akehurst, Equity, S. 816 f. 140 Vgl. Schindler, Rechtsmißbrauch, S. 11. 141 Vgl. aber das Ergebnis bei Schindler, Rechtsmißbrauch, S.38; ebenso bei Josserand, Esprit des Droits, S. 309 f.; van Bogaert, Rechtsmisbruik, S. 27 f. 142 Vgl. die Bemerkung von Schlesinger, Introduction, S.8: "Such generalities, even though expressed in latin phrases such as suum cuique or neminem laedit qui suo utitur are as useless in internationallaw as they are in domestic context."

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Rechte zu bestimmen. Hierbei kann eine Analogie ihre innere Rechtfertigung nur darin finden, daß sie auf breite Zustimmung stößt und von einem gemeinsamen Konsens getragen wird. So muß die Grenze der Analogie spätestens da gesehen werden, wo die Interpretation bestimmter Rechtsinstitute als mit dem Rechtsmißbrauchsverbot identisch gegen den erklärten Widerspruch der jeweiligen nationalen Rechtslehre erfolgt und die gleichwohl vorgenommene Identifizierung derartiger anderer Konfliktslösungsstrategien nur als eine Art von "Vergewaltigung" der innerstaatlichen Rechtsordnung mit Hilfe fremder Begriffe gewertet werden kann. Auch allzu eklatante Widersprüche in den Aussagen über die Existenz eines derartigen Grundsatzes in einem innerstaatlichen Recht müssen im Zweifel zu Ungunsten eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes ausgelegt werden. Andernfalls ist die Gefahr zu groß, daß ein Grundsatz zwar als allgemein behauptet wird, diese Ansicht aber von Theorie und Praxis nur teilweise getragen wird, was die behauptete Allgemeinheit sogleich wieder in Frage stellt und den gewünschten und erforderlichen Konsens in der Praxis eher hindert als fördert. Dazwischen liegt ein breiter Spielraum, der nach dem Prinzip des gemeinsamen Minimums eventuell nur dadurch geschlossen werden kann, daß die die Handlungsfreiheit der Staaten am wenigsten beschneidende Alternative als vom gemeinsamen Konsens getragen festgestellt werden kann. Obwohl zur Feststellung der allgemeinen Rechtsgrundsätze keineswegs· nur Zivilrechtsordnungen herangezogen werden können, sind für die Untersuchung des Rechtsmißbrauchsverbotes die Bereiche des öffentlichen Rechts wegen ihres prinzipiell sogenannten subordination" rechtlichen Charakters auszuscheiden - soweit den einzelnen Rechtsordnungen diese Trennung überhaupt bekannt ist l43 •

4.2.2. Das Rechtsmißbrauchsverbot im Rechtsvergleich 4.2.2.1. Frühere Rechtsordnungen Wiederholt sind für das Rechtsmißbrauchsverbot in der rechtsvergleichenden Betrachtung auch frühere Rechtsordnungen berücksichtigt worden l44 • 143 Zur näheren Begründung siehe oben 2. Kap. 2.2.2.3. - Soweit zur Feststellung der allgemeinen Rechtsgrundsätze nur auf die Zivilrechtsordnungen verwiesen worden ist (vgl. Ripert, Regles, S. 584) entspringt dies sicherlich einem Denken, das sich Völkerrecht nur koordinationsrechtlich vorstellen konnte. 144 Vgl. Campion, Exercice, S. 5 f.; van Bogaert, Rechtsmisbruik, S. 17 f.; Berber, Rechtsquellen, S. 143 f.; Scholtens, Abuse of Rights, S. 39 f.

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Vor allem das römische Recht, das direkt oder indirekt so viele Rechtsordnungen beeinflußt hat, wird zu Rate gezogen, um sich auf dessen Autorität für den Nachweis des Rechtsmißbrauchsverbotes zu berufenl45. Die Bedeutung, die dem römischen Recht beigemessen wurde und teilweise noch beigemessen wird zur Lösung aktueller Rechtsfragen auch im Völkerrecht, entspringt allerdings einem (noch nicht einmal gesamt-) europäischen Bewußtsein, das im römischen Recht lange Zeit das vollkommenste Rechtssystem sah. Dieses dürfte bewußt oder unbewußt noch eine Nachwirkung von der hohen, geradezu mystischen Achtung sein, die das römische Recht - vor allem auch in Deutschland - lange Zeit genoß. Doch ungeachtet der vorgeblichen Autorität des römischen Rechts wurde bei der Erörterung häufig vernachlässigt, daß der viel zitierte und als Ausdruck des Rechtsmißbrauchsverbotes verstandene Satz "Sie utere tuo, ut alienum non laedas"l46 nicht nur keinerlei konkretes Kriterium dafür abgibt, wo nun die Grenze für das eigene Recht liegen S01l147, sondern daß auch das exakte Pendant zu diesem Satz bekannt ist: "Qui jure suo utitur, neminem laedit l48 ." Es ist also durchaus strittig, ob dem römischen Recht eine generelle Beschränkung der Rechtausübung in der Art eines Rechtsmißbrauchsverbotes bekannt war, und es sprechen viele Argumente gegen diese Annahme l49 . Damit soll nicht bestritten werden, daß es für dogmengeschichtliche Untersuchungen der innerstaatlichen Rechtsordnungen, die einem weitgehend römisch-rechtlichen Einfluß unterlagen, von Interesse und Bedeutung sein kann, zurückzuverfolgen, welcher dieser beiden Maximen letztlich gefolgt wurde bzw. mit welchem Inhalt sie angereichert wurdenl50. Für das Völkerrecht ist ein solch weites Zurückst eigen in die Geschichte eines Rechtsgrundsatzes dagegen wenig sinnvollI51 • Wie die 145 Vgl. schon Schlochauer, S.375; Härle, Entscheidungsgrundlagen, S. 182 Anm. 1. Auch die Gegner eines Rechtsmißbrauchsverbotes im Völkerrecht haben sich hierzu auf das römische Recht berufen: Berber, Rechtsquellen, S. 153; Schwarzenberger, International Law and Order, S. 86. 146 Vgl. Lauterpacht, Function, S.287; Voss, Rechtsrnißbrauch, S. 90; Oppenheim / Lauterpacht, International Law I, S.313; v. d. Heydte, Völkerrecht I, S.241; Schiedermair, Verbot, S. 161. 147 Vgl. kritisch zu diesem Satz bereits Berber, Rechtsquellen, S. 147. 148 Vgl. auch Roulet, Caractere, S. 108; Schwarzenberger, International Law and Order, S. 87; O'Sullivan, Abuse of Rights, S. 64. 149 Siehe hierzu Eisser, Summum Jus, S. 12 f.; Giorgianni, Abuso di Diritto, S. 59 f.; Campion, Exercice, S. 5 f.; van Bogaert, Rechtsmisbruik, S. 17 f.; Scholtens,Abuse of Rights, S.40; Meyers, Abus du Droit, S.732; v. Staudinger / Coing, S. 1183. 150 Mit Blick auf die heutige Rechtssituation kann dies allerdings strenggenommen nur die Vorgehensweise von Scholtens, Abuse of Rights, S. 40 f. rechtfertigen, da das südafrikanische Recht stark vom römischen Recht beeinflußt ist und heute noch einen römisch-holländischen Common-Law-Mischcharakter hat (Zweigert/ Kötz, Rechtsvergleichung I, S. 291.

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weitere Untersuchung zeigen wird, haben verschiedene nationale Rechtsordnungen, die in ähnlichem Maße aus dem römischen Recht gelernt haben, durchaus verschiedene Anschauungen bezüglich des Rechtsmißbrauchsverbotes. Dies ist nicht weiter verwunderlich, da sich das römische Recht zwar durch die verschiedensten Wechselwirkungen in fast aller Welt verbreitet hat, aber hierbei auch vielfache Abwandlungen erfahren hat l52 • Eine rein historische Betrachtung ist aber ohne Interesse für die heutige Geltung eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes, wenn nicht von der unveränderten Fortgeltung eines bestimmten Rechtsgrundsatzs ausgegangen werden kann. Für den Nachweis eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes ist es weder erforderlich noch nützlich, daß ein Rechtsgrundsatz historisch einmal in Geltung war. Rechtsgrundsätze können auch wieder aufgegeben werden, wenn die geistesgeschichtlichen und materiellen Bedingungen, unter denen sie sich herausformen konnten, wieder entfallen sind. Entscheidend ist also, daß das Rechtsmißbrauchsverbot in heute in Geltung stehenden Rechtssystemen nachgewiesen werden kann. Mit Ausnahme des teilweise in Südafrika direkt angewandten sogenannten Roman-Dutch-Law ist römisches Recht heute aber nirgends direkt in Geltung. Aus dem gleichen Grunde ist es auch von nur geringer Beweiskraft für einen allgemeinen Rechtsgrundsatz, wenn in den Rechtsvergleichen andere längst überwundene Rechtssysteme oder gar die Rechtsordnungen nicht mehr existenter Staaten einbezogen werden. 4.2.2.2. Der französische Rechtskreis Wie schon oben153 hervorgehoben worden ist, muß der Beginn der modernen Diskussion des Rechtsmißbrauchsverbotes sicherlich im französischen Recht gesehen werden. Die Entwicklung der Lehre vom abus de droit, deren erster Anstoß aus der Rechtsprechung bereits im 19. Jahrhundert erfolgte, soll hier nicht näher nachgezeichnet werden, da hierzu bereits genügend kompetente Vorarbeiten vorliegen i54 • Erwähnt sei jedoch, daß der abus de droit als genereller Rechtssatz im Gesetz keine Verankerung gefunden hatte und die französische Rechtsprechung als Ausgangspunkt für diese Lehre den Artikel 1382 des französischen Vgl. aber Scheuner, Infiuence, S. 151. Simon, Römischer Rechtskreis, S. 395. 153 Siehe oben 2. Kap. 1.2.2. (Anm. 39) u. 1.3.4.. 154 Vgl. Campion, Exercice, S. 29 f.; Josserand, Esprit des Droits, S. 13 f.; Roulet, Caractere, S. 14 f.; Gutteridge, Abuse of Rights, S. 32 f. (aus englischer Sicht); Giorgianni, Abuso di Diritto, S. 75 f. (aus italienischer Sicht); van Bogaert, Rechtsmisbruik, S. 28 f.; Schindler, Rechtsmißbrauch, S. 13 f.; Werner, Rechtsmißbrauch, S. 13 f.; Berber, Rechtsquellen, S. 141 f.; v. Staudinger I Coing, S. 1183; v. Staudinger / Weber, S. 742; Merz, Schikaneverbot, S. 163 f. 151

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Code Civil als Anknüpfungspunkt genommen hatISS. Maßgeblichen Anteil an der in Frankreich besonders lebhaften Weiterentwicklung der sogenannten Theorie vom abus de droit zu einem generellen Rechtssatz hatte in der Folgezeit vor allem die Rechtslehre, an der auch belgische Juristen ihren Anteil hatten156• Vor allem wohl unter dem Einfluß der Lehre von Josserand ist die französische Rechtsprechung von zunächst nur subjektiven Erwägungen - der sogenannten intention de nuire - zu mehr und mehr objektiven Kriterien für das Vorliegen eines Rechtsmißbrauches übergegangenl57, ohne allerdings letztlich der weitgehenden Ansicht von J osserand, der vor allem auf die soziale Funktion der Rechte abstellte, zu folgen lS8 • Wenn auch diese Tendenz übereinstimmend festgestellt worden ist, so ist es dennoch recht schwierig, exakt anzugeben, welche Kriterien im einzelnen nun als den abus de droit konkretisierend und konstituierend anerkannt werdenI59 . Hier hat sich die Uneinheitlichkeit der französi·· schen Rechtslehre, von der zum Teil recht verschiedene Kriterienkataloge vorgelegt worden sind l6O, sehr verhängnisvoll ausgewirkt. So werde beispielsweise von Roulet drei verschiedene Kriterien l61 , von Josserand vier Kriterien l62 , von Markovitsch gar sechs verschiedene Kriterien genannt l63, während Campion glaubte, alle Kriterien auf ein einziges reduzieren zu können, nämlich die "rupture de l'equilibre"I64, obwohl auch heute noch vertreten wird, daß nur die intention de nuire als Kriterium des' abus de droit anzuerkennen sejl65. Diese Uneinheitlichkeit in der Beurteilung des Rechtsmißbrauchsverbotes selbst bei seinen Befürwortern hat wohl auch dazu geführt, daß in der französischen Rechtsprechung das Rechtsmißbrauchsverbot nur uneinheitlichl66 und ISS Für viele Ferid, Französisches Zivilrecht, S.193; Carbonnier, Droit Civil IV, S.367. 156 Vgl. Campion, Exercice. 157 Josserand, Esprit des Droits, S.8; Campion, Exercice, S.329. lS8 Berner Kommentar / Merz, S.257. 159 So schon Gutteridge, Abuse of Rights, S.32; Riezler, Rechtsmißbrauch, S. 5 f.

160 Dies wurde schon von Ripert, Regle Morale, S. 158 beklagt. Zur Uneinheitlichkeit der einzelnen Auffassungen vgl. auch van Bogaert, Rechtsmisbruik, S. 28 f., 41; Morin, Observations, S.470; Berber, Rechtsquellen, S.142; zur bis heute andauernden Diskussion vgl. Roubier, Droits Subjectifs, S. 326 f.; WeiH / Terre, Obligations, S.694; Ghestin / Goubeaux, Traite, S. 591 f. mit weiteren Hinweisen. 161 Roulet, Caractere, S. 16 f. 162 Josserand, Esprit des Droits, S. 366. 163 Markovitsch, La Theorie de l'abus des droits en droit compare, 1936, S. 125, zitiert bei Schindler, Rechtsmißbrauch, S. 17. 164 Campion, Exercice, S. 299, 310. 165 Vgl. Carbonnier, Droit Civil I, S. 207.

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keineswegs extensiv als Entscheidungsgrundlage bemüht wird l67 • Zu diesem "Niedergang" des Rechtsmißbrauchsverbotes dürfte allerdings auch die beharrliche, gerade in Frankreich nie ganz verstummte, Kritik an einer weiten Ausdehnung des Rechtsmißbrauches beigetragen habenl68 • Diese starke Uneinigkeit hat bei ausländischen Juristen wohl mitunter dazu geführt, selbst in Frankreich dem Rechtsmißbrauchsverbot nur mit Bedenken oder überhaupt nicht einen Platz als einer generellen Norm zuzuweisen l69 • Damit dürfte den skeptischen Stimmen jedoch ein zu großes Gewicht beigelegt worden sein, und es ist wohl eher mit Roulet im Ergebnis davon auszugehen, daß im französischen Recht als allgemeiner Rechtssatz ein Verbot des Rechtsmißbrauches bekannt ist und der Rechtsmißbrauch in drei materiellen Kriterien seine Konkretisierung erfährt: 1. L'intention de nuire autrui, 2. L'absence d'interet personneI, 3. Le dommage (qui) excede manifestement et injustement l'avantage retire l7o. Damit ist die weitgehende Lehre von Josserand, die zusätzlich auf den "detournement du droit de sa fonction sociale" abstelltl7l , abgelehnt worden, und zwar nicht zuletzt wohl deshalb, weil mit diesem Kriterium letztlich die Aufweichung des Begriffs vom subjektiven Recht überhaupt befürchtet worden ist l72 • Schließlich sei noch darauf hingewiesen, daß im französischen Zivilrecht bis heute die - nicht sehr zahlreichen - sogenannten droits discretionnaires vom abus de droit anders als z. B. in Deutschland ausgenommen sind l73 • 166 Siehe hierzu Ferid, Französisches Zivilrecht, S. 191; Ghestin / Goubeaux, Traite, S. 616; Weill / Terre, Obligations, S. 695 f. 167 Mazeaud, Droit civil 11, I, S. 452. 168 Vgl. hierzu Morin, Observations, S.474. 169 Vgl. Gutteridge, Abuse of Rights, S.85; Berber, Rechtsquellen, S. 141 f. 170 Roulet, Caractere, S. 16 f. mit weiteren Hinweisen. Vgl. auch den Kriterienkatalog von Ferid, Französisches Zivilrecht, S. 190 f., wonach ein abus de droit bei folgenden Kriterien vorliegt: 1. überschreitung der vom Gesetz selbst gezogenen Schranken, 2. Absicht der Schadenszufügung (Critere Intentionnel), 3. Schadenszufügung bei Rechtsausübung mit Caractere anormal (critere technique), 4. Eine nicht durch Rechtsschutzbedürfnis gedeckte Rechtsausübung (critere economique). Die Kriterien 2 bis 4 sind praktisch deckungsgleich mit den von Roulet genannten, während bei dem ersten von Ferid genannten Kriterium in Wirklichkeit kein Mißbrauch des Rechtes mehr vorliegt (wie Ferid, a. a. 0., S. 191 selbst bemerkt), weshalb dieses Kriterium von Roulet zu Recht weggelassen worden ist. 171 Josserand, Esprit des Droits,' S. 394 f. 172 Zur Kritik an Josserand s. Dabin, Droit Subjectif, S. 289 f., 292; Ripert, Regle Morale, S. 182 f.; Ghestin / Goubeaux, Traite, S. 599 f.; Carbonnier, Droit Civil I, S.207.

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Die enge Verbindung der französischen Rechtslehre mit vor allem der belgischen Rechtslehre ist bereits erwähnt worden l74 • Im belgischen Recht fehlt wie auch im französischen Recht eine gesetzliche Bestimmung über den abus de droit, gleichwohl scheint die belgische Rechtsprechung in der Anwendung der von der französischen Rechtsprechung und vor allem auch der französischen Rechtslehre herausgearbeiteten verschiedenen Kriterien zurückhaltender geblieben zu seinl7S • Selbst Josserand 176 sah nur annäherungsweise in Belgien eine gleiche Entwicklung, die insgesamt aber nicht das gleiche Stadium wie in Frankreich erreicht habe. Zwar ist das Rechtsmißbrauchsverbot auch von der belgischen Rechtsprechung durchaus anerkannt und angewandt worden, wenn auch nicht in dem von Campion vertretenen Umfang. Die belgische Rechtsprechung bekannte sich hauptsächlich nur zu dem sogenannten critere intentionnel, während den anderen aus dem französischen Recht bekannten Kriterien nur in geringem Maße Rechnung getragen worden ist177• Zeigte schon das belgische Recht, obgleich mit dem französischen Recht gerade in dieser Frage ursprünglich sehr verbunden, bereits eine erstaunliche Abweichung, so mußten doch die Stellungnahmen überraschen, die von den Referenten aus Quebec (Kanada) anläßlich der Tagung der Association Henri Capitant bezogen wurden l78 • Beide stimmten darüber überein, daß, trotz der nahen Verwandtschaft der beiden Rechtsordnungen, das Recht von Quebec - das anders als das übrige kanadische Recht, welches dem angelsächsischen Rechtskreis zuzuzählen ist, dem französischen Rechtskreis zugerechnet werden mußI79 - zu dem abus de droit eine vom französischen Recht völlig abweichende Stellungnahme beziehel80 • Das Recht von Quebec folge einer, verstärkt durch den Common-Law-Einfluß, mehr individualistischen Auffassung und habe die Lehre vom abus de droit nicht akzeptiert l81 • Wie Mignault herSiehe Ripert, Regle Morale, s. 174 f.; Ferid, Französisches Zivilrecht, Weill / Terre, Introduction, S.87; dieselben, Obligations, S. 693 f.; Carbonnier, Droit Civil I, S.207; anderer Ansicht Dabin, Droit Subjectif, S. 307 f. 174 Allgemein hierzu Zweigert / Kötz, Rechtsvergleichung I, S.109 f. 175 Laloux, Abus du Droit, S. 618 f., 630; Josserand, Esprit des Droits, S.296; de Page, Droit Civil, S. 149; Gutteridge, Abuse of Rights, S. 31 Anm.35; anderer Ansicht Schindler, Rechtsmißbrauch, S.20; Berber, Rechtsquellen, S.142. 176 Josserand, Esprit des Droits, S. 295 f. 177 Vgl. Laloux, Abus du Droit, S.360 mit weiteren Hinweisen; Josserand, Esprit des Droits, S. 296 f.; ziemlich vage zu den einzelnen· Kriterien äußert sich de Page, Droit Civil, S. 151. 178 Maurin, Abus du Droit, S.634; Mignault, Abus du Droit, S. 643 f. 179 Siehe hierzu Zweigert / Kötz, Rechtsvergleichung I, S. 130 f. 180 Maurin, Abus du Droit, S.639; Mignault, Abus du Droit, S.655. 181 Maurin, Abus de Droit, S. 641; Amiaud, Rapport, General, S.778. 173

s. 193;

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vorhebt, bedeutet die Ähnlichkeit bzw. der gleiche Ursprung von Rechtsordnungen noch keineswegs, daß in beiden Rechtsordnungen dasselbe gelten mußI82. Die auf der gleichen Tagung von dem haitischen Vertreter gemachten Ausführungen sind insgesamt zu ungenau, um einen exakten Vergleich anstellen zu können; seine Bemerkungen, der abus de droit sei gefährlich, da er zu richterlicher Willkür führen könne, wie auch seine Bemerkung, es sei ideal zu wissen, wann eine Rechtsausübung zu einem Rechtsmißbrauch werde l83 , sprechen jedoch nicht dafür, daß dem haitischen Recht eine dem französischen Recht vergleichbare Konkretisierung eines allgemeinen Rechtsmißbrauchsverbotes bereits gelungen war. 4.2.2.3. Deutschland

Eine noch ausgeprägtere Entwicklung als in Frankreich hat die Lehre vom Rechtsmißbrauchsverbot in Deutschland durchgemacht. Zwar haben viele Völkerrechtler geradezu dankbar konstatiert, daß in dem deutschen Bürgerlichen Gesetzbuch als einem der wenigen Gesetzestexte einem allgemeinen Rechtsmißbrauchsverbot sogar ein eigener Paragraph (§ 226 BGB) gewidmet ist l84 , doch wie die Geschichte des § 226 BGB im deutschen Zivilrecht zeigt, ist mit der bloßen Zitierung dieser Vorschrift allein noch wenig Klarheit über den Begriff des Rechtsmißbrauchsverbotes in Deutschland geschaffen. Zunächst ist zu berücksichtigen, daß zu einer Zeit, in der in Frankreich das Rechtsmißbrauchsverbot von den Gerichten zumindest in seiner subjektiven Form bereits festen Eingang in das Zivilrecht gefunden hatte, es in Deutschland noch eine heftig umstrittene Frage war, ob ein Rechtsmißbrauchsverbot auch nur in der Form des Schikaneverbots des § 226 BGB überhaupt in den Gesetzestext aufgenommen werden sollte l85 • Insbesondere wurde mit der Einführung dieser Vorschrift eine Gefahr zur Aushöhlung des subjektiven Rechtes überhaupt sowie eine bedenkliche Vermischung der Grenze zwischen Recht und Moral gesehen l86 • Indem § 226 BGB nur auf die bloße Absicht der Schadenszufügung als das wesentliche Merkmal zur Trennung vom erlaubten und unerlaubten Rechtsgebrauch abstellte, hatte man sich im deutschen Recht schließlich auf die geringstmögliche Beschränkung der Ausübung subjektiver Rechte geeinigt l87 • Für die Folgezeit bedeutete dies, daß § 226 BGB völlig zur Bedeutungslosigkeit herabMignault, Abus du Droit, S. 643. Delabarre, Abus du Droit, S. 675. 184 Vgl. Politis, Probleme, S.82; Lauterpacht, Function, S.294; Härle, Entscheidungsgrundlagen, S. 182. 185 Siehe hierzu Merz, Schikaneverbot, S. 167; Riezler, Rechtsmißbrauch, S. 2. 186 Vgl. noch zur Entstehungsgeschichte v. Staudinger / Coing, S. 1183 f. 187 Siehe hierzu auch Riezler, Rechtsmißbrauch, S. 2 f. 182 183

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sank, da diese Form des Rechtsmißbrauchsverbotes als ein reines Schikaneverbot nur selten nachzuweisen war. Nicht zuletzt unter dem Einfluß des französischen Vorbildes vom abus de droit, der bereits im ersten Viertel dieses Jahrhunderts auch objektive Kriterien für das Vorliegen eines Rechtsmißbrauches genügen ließ, wurde auch in Deutschland diese Situation als unbefriedigend empfunden l88, wenn auch der enge Wortlaut des § 226 BGB zunächst keine andere Lösung anzubieten schienl89. Es mutet heute seltsam an, daß die Ausweitung des Rechtsmißbrauchsverbotes auch auf andere Kriterien einem Autor, nämlich Siebert, zu verdanken ist l90, der diese Ausweitung nicht zuletzt in der Absicht suchte, damit das deutsche Zivilrecht der nationalsozialistischen Weltanschauung zu öffnen und dem Satz: "Gemeinnutz geht vor Eigennutz"191 - dieser Satz faßt die damalige überbetonung des (völkischen) Gemeinschaftsinteresses gegenüber den individuellen Rechten durchaus treffend zusammen - auch für das Zivilrecht zur Geltung zu verhelfen l92. Erst aufgrund der Arbeiten Sieberts ging auch das Reichsgericht dazu über, zunehmend zunächst mit Hilfe des § 826 BGB, später auch mit Hilfe des § 242 BGB das Rechtsmißbrauchsverbot von seiner engen Beschränkung auf die bloß subjektive Absicht der Schadenszufügung zu befreienl93 . Erkauft wurde diese Ausweitung allerdings mit dem Verlust an Konkretheit der einzelnen Kriterien. Gleichwohl hat die westdeutsche Rechtsprechung auch nach dem Krieg keine Rückwendung auf den Stand ~ der 20er Jahre vollzogen und an dem von Siebert und dem Reichsgericht beschrittenen Weg festgehalten, nun aber in stärkerem Maße die Verbindung des Rechtsmißbrauches mit dem allgemeinen Kriterium der Sittenwidrigkeit und dem Verstoß gegen Treu und Glauben betontl94. Damit hatte sich die von den Gegnern des Rechtsmißbrauchsverbotes bei dessen Einführung in das Bürgerliche Gesetzbuch befürchtete Verbindung von Recht und Moral nun doch eingestellt. 188 Auf den Einfluß des französischen Rechtes auf die Arbeiten von Siebert, dem maßgeblichen Vertreter eines weiter gefaßten Rechtsmißbrauchsverbotes in Deutschland, weist auch Ferid, Französisches Zivilrecht I, S.190 hin; vgl. auch Siebert selbst, in: Wesen, S. 189, 205 f. 189 Werner, Rechtsmißbrauch, S.9 f. 190 Auf die maßgebliche Bedeutung von Siebert für die überwindung des engen Rechtsmißbrauchsbegriffes weist schon Schindler, Rechtsmißbrauch, S. 21 f. hin. 191 Siebert, Verwirkung, S. 132. 192 Vgl. Siebert, Wesen, S. 199 f.; kritisch hierzu Rüthers, Auslegung, S. 345 f. 193 Werner, Rechtsmißbrauch, S. 71 f.; v. Staudinger / Weber, S. 743 f. 194 Soergel / Siebert / Mormann, S. 986; Soergel / Siebert / Knopp, S. 58.

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Während das französische Zivilrecht schließlich an einigen wenigen Kriterien festgehalten hat, hat die Ausdehnung des Rechtsmißbrauchsverbotes als einem Unterfall des § 242 BGB zu einer so starken Unsicherheit bezüglich der Terminologie geführt l95 , daß man eigentlich von einer völligen Auflösung dieses Begriffes sprechen muß. Praktisch existieren heute zwei verschiedene Rechtsmißbrauchsbegriffe: Einmal der - ursprüngliche - enge Rechtsmißbrauchstatbestand des § 226 BGB (Schikaneverbot) und zum anderen der durch die Lehre und Rechtsprechung entwickelte weitere Rechtsmißbrauchsbegriff, der heute aufgrund des Einflusses der Arbeiten von Siebert häufig mit der unzulässigen Rechtausübung generell gleichgestellt wird und eine Vielzahl von Untergruppen umfaßt1!16. Die Ausarbeitung eines festen Kriterienkataloges wie im französischen Recht ist bis heute noch nicht gelungen und die heutige Beurteilung des Rechtsmißbrauchsverbotes in Deutschland schwankt zwischen dem Abstellen auf ein generelles Kriterium wie dem Verbot des sittenwidrigen Verhaltensl97 und dem Rückfall in eine verästelte Kasuistikl98 • Wenn auch die Bestimmung des Rechtsmißbrauchsverbotes als Verbot des sittenwidrigen Verhaltens bei der Rechtsausübung im Grunde nicht als eine nähere Konkretisierung gewertet werden kann, da damit noch keinerlei nähere Aussage darüber gemacht ist, wann ein solches rechtlich relevantes sittenwidriges Verhalten vorliegt, scheinen die deutsche Rechtsprechung und Lehre sich im Gegensatz zum französischen Recht dennoch kaum um eine weitere Konkretisierung zu bemühen und eher auf eine im allgemeinen vom Konsens getragene Rechtsprechung für den Einzelfall zu vertrauen. Für den rechtsvergleichenden Betrachter ist damit die derzeitige Bestimmung des Rechtsmißbrauchsverbotes im deutschen Recht nur wenig befriedigend. Nach der Überwindung des engen § 226 BGB, der quasi als Kern des Rechtsmißbrauchsverbotes auch heute noch Bestand hat im Sinne eines engeren Rechtsmißbrauchsbegriffes, fehlen weitgehend weitere konkrete und allgemein anerkannte Mißbilligungstatbestandsmerkmale, die zu einer inhaltlichen Bestimmung des Rechtsmißbrauchsverbotes führen könnten. An das französische Recht scheint zwar insoweit eine Annäherung stattgefunden zu haben, als bei der Rechtsausübung auch die Berücksichtigung anderer Kriterien als die bloße AbVgI. v. Staudinger / Weber, S. 745 f.; Merz, Schikaneverbot, S.I68. VgI. die Fallgruppen bei v. Staudinger / Schmidt, S. 217 f.; Münchner Kommentar / Roth, S. 138 f.; Steudle, Rechtsmißbrauch, S. 15 f.; v. Staudinger / Weber, S. 756 f. 197 VgI. Soergel/ Siebert / Mormann, S.986; Roulet, Caractere, S.29. 198 VgI. die fast nur noch aus Rechtsprechungshinweisen bestehende Kommentierung bei Münchner Kommentar / Roth, S. 138 f. und v. Staudinger / Weber, S. 746 f. Allerdings ist eine solche Kasuistik notwendige Folge des Abstellens auf ein so generelles Kriterium wie das sittenwidrige Verhalten. 195 1!16

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sicht der Schadenszufügung anerkannt wird, andererseits bleibt der Eindruck, daß in Deutschland der Rechtsmißbrauchsbegriff in seiner Aufspaltung in einen engen und einen - fast inhaltslosen - weiten Begriff doppeldeutig ist, während im französischen Recht die verschiedenen Kriterien des abus de droit eher zu einem einheitlichen Begriff verschmolzen sind. Aus diesem Grunde erscheint es tatsächlich kaum gerechtfertigt, weder den engen Hechtsmißbrauchsbegriff im Sinne des Schikaneverbotes noch den weiten Rechtsmißbrauchsbegriff im Sinne der unzulässigen Rechtsausübung mit dem französischen Begriff des abus de droit gleichzusetzen. Im übrigen läßt sich an der durchaus linearen Entwicklung des deutschen Rechtsmißbrauchsverbotes durch unterschiedliche Rechts- und Weltanschauungen hinweg bereits erahnen, daß die formale Ausgestaltung des Rechtsmißbrauchsverbotes allein noch nicht bereits zur Gleichförmigkeit der Anwendung führen kann bzw. Ausdruck eines dahinterstehenden Konsenses sein muß, sondern darüber hinaus sich das Problem der inhaltlichen Ausfüllung dieser materialen Generalklausel stellt. 4.2.2.4. Schweiz Von Anfang an von ganz anderer Bedeutung als im deutschen und französischen Recht war die Behandlung des Rechtsmißbrauches in dem schweizerischen Recht. Artikel 2 Satz 2 des Schweizerischen Zivilgesetzbuches bestimmt, daß der offenbare Mißbrauch eines Rechts keinen Rechtsschutz finde. Es ist verständlich, daß gerade diese Bestimmung, die zudem noch im Zusammenhang mit Artikel 1 des Schweizer ZGB gelesen werden muß 199, worin dem Richter von Gesetzes wegen das Recht zur Rechtsschöpfung zuerkannt wird, von den Befürwortern des Rechtsmißbrauchsverbotes als einem Ausdruck eines jeden Rechtssystems innewohnenden Rechtsgedankens und als eine Verankerung der sozialen Bestimmung des Rechtes begrüßt wurde2OO • Durch die in Artikel 2 Satz 1 Schweizer ZGB erfolgte positive Bestimmung des Gedankens, die Rechtsausübung habe sich an Treu und Glauben zu orientieren, schien eine positiv-rechtliche Bestätigung für diese weitestgehende Ausformung des Rechtsmißbrauches gefunden zu sein, indem das schweizerische Recht weit über das eigentliche Schikaneverbot hinausging und die subjektiven Elemente zurücktreten ließ20I. 199 Zur Entstehungsgeschichte des Art.2 Schweizer ZGB Simonius, Abus du Droit, S. 753; Deschenaux, Einleitungstitel, S. 144 f. 200 So nimmt bereits Politis, Probleme, S.82 auf diese Vorschrift Bezug. Vgl. weiter Lauterpacht, Function, S.294; Josserand, Esprit des Droits, S. 289 f.; van Bogaert, Rechtsmisbruik, S.23; Iluyomade, Abuse of Right, S. 56. 201 So Josserand, Esprit des Droits, S.289; Deschenaux, Einleitungstitel, S.153; nicht ganz verständlich Härle, Entscheidungsgrundlagen, S. 18 Anm. I,

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Damit scheint das schweizerische Zivilrecht schon zu Beginn dieses Jahrhunderts eine Position erreicht zu haben, die das deutsche Recht - sicherlich auch unter dem Einfluß dieses VorbildeslO2 - erst ein halbes Jahrhundert später erlangte, indem in Deutschland die Verbindung des Rechtsmißbrauchsverbotes mit dem Treu-und-Glauben-Gebot des § 242 BGB als dessen Negativformulierung erst im Laufe der späteren Entwicklung hergestellt worden ist. Diese heutige Ähnlichkeit findet die Bestätigung in der Bemerkung von Simonius, Artikel 2 enthalte einen Hinweis auf die Moralregel 203 , was praktisch nur ein anderer Ausdruck für den in Deutschland gebräuchlichen Begriff des sittenwidrigen Verhaltens ist. Noch weniger als die bloße Zitierung des § 226 BGB kann aber der bloße Verweis auf diese Vorschrift des Schweizer ZGB für eine Konkretisierung eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes vom Rechtsmißbrauchsverbot hinreichen. Hat sich die Vorschrift des § 226 BGB in Deutschland in der Folgezeit als zu eng erwiesen, so wurde andererseits der Mut bewundert, mit dem die Schweizer eine derart offene Generalklausel einführten. Dies als Fortschritt in der Rechtsmißbrauchsdiskussion zu bezeichnen204 , ist allerdings nicht recht einsichtig, denn offensichtlich bietet Artikel 2 des Schweizer ZGB nicht den geringsten Anhalt für eine Konkretisierung des Rechtsmißbrauche~, sondern hat diese Konkretisierung vermittels Artikel 1 Schweizer ZGB völlig in die Hand der Rechtsprechung gelegt206. Dies spricht für das Vertrauen des schweizerischen Gesetzgebers in die Rechtsprechung207, die ihrerseits anerkanntermaßen sich dieser Vorschrift nur sehr zurückhaltend bedi1ent hatlOS. Es unterstr,eicht weiter die Autorität der Gerichte und ihre der dem Artikel 2 Satz 2 des Schweizer ZGB den gleichen Sinn wie dem deutschen § 226 BGB zumißt. Gegen ein Zusammenlesen der beiden Sätze des Art. 2 wendet sich allerdings Merz in Berner Kommentar, Art. 2, S.231, weil dann der Rechtsmißbrauch in Treu und Glauben aufgehe wie in Deutschland. Nur Satz 2 habe eine normberichtigende Funktion (ebenda, S.232); ebenso Merz, Schikaneverbot, S. 168 f.; Deschenaux, Einleitungstitel, S.147, der aber ausführt, daß von der früheren Doktrin und auch von der Judikatur - zum Teil bis heute - diese Verbindung hergestellt werde. 202 Vgl. Siebert, Wesen, S. 197. 203 Simonius, Abus du Droit, S. 754. 204 So Schindler, Rechtsmißbrauch, S.29. 205 Berner Kommentar / Merz, Artikel 2, S.231; Deschenaux, Einleitungstitel, S. 150; Simonius, Abus du Droit, S.754; Schindler, Rechtsmißbrauch, S. 29 f. Nach Roulet, Caractere, S. 20 f. bedeutet die Formulierung, nur der offenbare Rechtsmißbrauch finde keinen Rechtsschutz, die Einführung eines objektiven Elementes - hierin eine Präzisierung des Rechtsmißbrauchsverbotes zu sehen, ist allerdings nicht einsichtig, solange nicht angegeben wird, welche Kriterien für das Vorliegen eines Rechtsmißbrauchs sprechen. 206 Berner Kommentar / Merz, Artikel 2, S. 234, der aus diesem Grunde von einer Ermächtigungsnorm spricht; ähnlich Gutteridge, Abuse of Rights, S.39. 1!.T1 Seerni, Abuso di Diritto, S. 60.

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Kraft zur Konsensfähigkeit ihrer Rechtsprechung, wenn diese Vorschrift bis heute nicht ernsthaft in ihrem rechtlichen Gehalt in Frage gestellt wurde, wobei jedoch zu berücksichtigen ist, daß das schweizerische Recht eine weit weniger dramatische Entwicklung mit einer "Umwertung aller Werte" erlebt hat als z. B. das Recht in Deutschland. Inhaltlich spricht Artikel 2 Satz 1 des Schweizer ZGB letztlich nur die allgemeine Tatsache aus, daß subjektive Rechte nicht unbeschränkt ausgeübt werden können, wenngleich diese positive Formulierung zumindest zum damaligen Zeitpunkt zur Schärfung dieses Bewußtseins beitragen konnte. Einen bestimmten Mißbilligungstatbestand aus Artikel 2 Satz 1 und Satz 2 des Schweizer ZGB herauslesen zu wollen, ist ohne Berücksichtigung der Rechtsprechung und Lehre nicht möglich2ll9 , soll nicht rein spekulativ-deduktiv ein bestimmtes Kriterium hineininterpretiert werden. Die Rechtsprechung und die Lehre zeigen jedoch, daß Artikel 2 des Schweizer ZGB keinswegs die Funktion beigelegt wurde, alle subjektiven Rechte in einem neuen Lichte zu interpretieren oder gar - wie dies von der objektiven Rechtsschule Duguits, aber auch von Siebert gefordert wurde - letztlich zur Aufhebung des Begriffs des subjektiven Rechts zu führen. Im Gegenteil, entgegen der Ansichten derjenigen, die im Rechtsmißbrauchsverbot nicht nur ein rechtstechnisches Mittel, sondern ein ganzes Programm zur Rechtserneuerung sahen, hat sich die schweizerische Jurisprudenz nur in echten Ausnahmefällen auf Artikel 2 ZGB gestützt, wozu die Mahnung des Gesetzgebers, nur den offenbaren Mißbrauch nicht zu dulden, sicherlich beigetragen haben dürfte210• Das Rechtsmißbrauchsverbot hat dementsprechend im schweizerischen Recht nicht die Bedeutung erlangt, die von dessen Gegnern und Befürwortern befürchtet bzw. erwünscht worden war. Der rechtsvergleichende Betrachter ist damit, ähnlich wie im deutschen Recht, auf eine Kasuistik verwiesen, die es schwermacht, einheitliche Kriterien zu finden, die die schweizerische Rechtsprechung bei der Anwendung des Rechtsmißbrauchsverbotes leiteten211 • Insbesondere Roulet hat sich bemüht, eine Klassifizierung vorzunehmen212 , und festge208 Simonius, Abus du Droit, S.755; Gutteridge, Abuse of Rights, S.41; Roulet, Caractere, S.21, 23; Bondil, Detournement, S.42. - Artikel 2 und Artikel 1 des Schweizer ZGB sind daher wohl eher als ein Fortschritt in der Anerkennung der Richterfunktion als einer rechtsschöpfenden Tätigkeit als eine Fortentwicklung des Rechtsmißbrauchsverbotes zu betrachten. 2119 Roulet, Caractere, S. 21. 210 Deschenaux, Einleitungstitel, S.148, der betont, daß mit dieser Vorschrift nicht alle Postulate der Gerechtigkeit verwirklicht werden könnten. 211 Roulet, Caractere, S.21; vgl. auch die Klassifizierung von Berner Kommentar / Merz, Artikel 2, S. 243 und 303 ff., welcher auch Deschenaux, Einleitungstitel, S. 178 folgt. 212 Roulet, Caractere, S. 21 f.

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stellt, daß unter dem Einfluß der französischen Lehre213 , insbesondere von Josserand, die schweizerischen Gerichte über das rein subjektive Kriterium der Absicht der Schadenszufügung - dem deutschen Schikaneverbot - hinaus einen Mißbrauch vor allem auch in der Ausübung des Rechts entgegen seiner sozialen Bestimmung sehen214 • Ein weiteres Kriterium für die Anwendung des Art. 2 Satz 2 des Schweizer ZGB ist das offenbare Mißverhältnis zwischen dem Interesse des sein subjektives Recht Ausübenden im Vergleich zu dem bei einem Dritten Merdurch entstehenden Schaden2!5. Wenngleich es sich, wie Roulet bereits betont, bei dieser Klassifikation nur um eine Annäherung handelt, scheint im Ergebnis die schweiZierische Rechtsprechung zum Rechtsmißbrauch nicht allzu verschieden von der französischen Rechtsprechung zu sein216 • Es fehlt j1edoch die, besonders im französischen Recht heftige Diskussion über die Anerkennung des Hechtsmißbrauchsverbotes als einer generellen Norm überhaupt, da die schweizerische Lehre ihre Rechtsprechung zum Rechtsmißbrauchsverbot lediglich als Gesetzesauslegung betrachten konnte, während es in Frankreich einer außergesetzlichen Dogmatik bedurfte, die nur mühsam an Art. 1382 französischer Code Civil aufgehängt worden war. 4.2.2.5. Österreich

Nur kurz soll auf die Lehre vom Rechtsmißbrauchsverbot im österreichischen Zivilrecht eingegangen werden, die jedoch von Interesse ist, weil sie einen dem deutschen Recht ähnlichen Ausgangspunkt hat, gleichwohl aber in der Folgezeit eine gänzlich andere Entwicklung genommen hat bzw., genauer gesagt, bei diesem Ausgangspunkt praktisch bis heute stehengeblieben ist. Nach § 1295 Abs. 2 des ABGB ist ein Schädiger für eine sittenwidrige Schädigung, die in Ausübung eines Rechtes geschehen ist, nur dann verantwortlich, wenn die Ausübung des Rechtes offenbar den Zw:eck hatte, einen anderen zu schädigen. Entgegen der Entwicklung im deutschen Recht ist weder von der österreichischen Lehre noch von der österreichischen Rechtsprechung diese enge Vorschrift weiter zu einem allgemeinen Rechtsmißbrauch im Sinne des deutschen oder französischen Rechtes ausgedehnt worden, so daß über diese Vorschrift hinaus keine allgemeine Lehre vom RechtsmißbrauchsDieser Einfluß wird auch betont von Simonius, Abus du Droit, S. 759. Roulet, Caractere, S.22; s. auch Josserand, Esprit des· Droits, S.288; v. Staudinger / Coing, S. 1188. 215 Roulet, Caractere, S.21; ähnlich v. Staudinger / Coing, S.1188 (soweit dort auch der Verstoß gegen erwecktes Vertrauen als ein Fall des Rechtsmißbrauches betont wird, handelt es sich nach der hier vorgenommenen Abgrenzung nicht um einen Rechtsmißbrauch im eigentlichen Sinne). 216 Roulet, Caractere, S.23; ähnlich v. Staudinger / Dilcher, S.893; ebenso schon Werner, Rechtsmißbrauch, S. 19. 213

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verbot in Österreich anerkannt isf l7 • Bei einem Vergleich des österreichischen Rechts mit dem deutschen Recht zeigt sich besonders deutlich, daß die bloße Zitierung des Gesetzesvorschrift für eine rechtsvergleichende Betrachtung allein völlig unzulänglich bleiben muß, wenn die jeweils hierzu ergangene Judikatur und kommentierende Lehre, d. h. also die Rechtspraxis selbst, unberücksichtigt bleibt218 • 4.2.2.6. Italien Josserand hat auch im itaUenischen Recht bereits eine teilweise übernahme des Rechtsmißbrauchsgedankens sehen wollen, obwohl er selbst zugibt, daß der Rechtsmißbrauchsbegriff hier noch nicht die Stufe einer Generalnorm erreicht haW l9 • Er leitet diese teilweise AkzepUerung aus den im italienischen Recht bekannten Artikeln ab, die die Einschränkung bestimmter Rechte enthalten, was ein Hinweis dafür sei, daß auch das italienische Recht die Relativität der Rechte anerkenne. Letzteres ist zwar mit Sicherheit richtig, doch zeigt sich an diesem Beispiel, wie bedeutungslos und inhaltsleer die Gleichsetzung des Rechtsmißbrauches mit der Relativität der Rechte bleibt. Damit wird die Möglichkeit, die einem jeden Rechtssystem spezifischen Eigenarten und Rechtstechniken zu erkennen, letztlich verbaut. Die allgemeine Ablehnung eines generellen Verbotes des Rechtsmißbrauches im italienischen Recht, über die nahezu Einmütigkeit bestehflO, kann durch die Zitierung von Gesetzestexten, die ganz spezielle Rechte in bestimmter Weise begrenzen, nicht ;einfach ersetzt werden. Hier :ist vielmehr Roulet beizupflichten, der darin eine grundsätzlich andere Rechtstechnik sieht, deren sich das italieniscbJe Hecht im Gegensatz zum beispielsweise französischen Hecht bedienf21• D~e Behauptung eines generellen Rechtsmißbrauchsverbotes im italienischen Recht kann auch nicht bereits daraus abgel,eitet werden, daß das italienische Recht zu den wichtigsten Rechtsproblemen wie dem Nach217 Vgl. Klang / Wolff, S.43 f.; Kapfer, Bürgerliches Gesetzbuch, S. 1391 f. und 1444 f.; Berner Kommentar / Merz, Artikel 2, S.257; Merz, Schikaneverbot, S. 165; v. Staudinger / Dilcher, S. 892; v. Staudinger / Coing, S. 1187. 218 Vgl. dagegen das Vorgehen von Berber, Rechtsquellen, S.I44, der sich im wesentlichen mit der bloßen Zitierung der gesetzlichen Vorschriften - auch bezüglich der anderen von ihm untersuchten Rechtsordnungen (vgl. ebenda, S. 143) - begnügt. 219 Josserand, Esprit des Droits, S.295, 297 f.; ebenso Campion, Exercice, S. 227 f. 2211 Merz, Schikaneverbot, S. 165 f.; Berner Kommentar / Merz, Artikel 2, S.257; Candian, Diritto Privato, S. 42 f.; Barassi, Diritto Civile, S. 167 f.; Bondil, Detournement, S.43; Schwarzenberger, International Law and Order, S.86. 221 Roulet, Caractere, S. 29 f.; ebenso Merz, Schikaneverbot, S. 165; Bondil, Detournement, S.43.

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barschaftsrecht und andel.'len zu ähnlichen Lösungen kommt, wie das Recht Frankr:eichs, Deutschlands oder der Schweiz222. Das italienische Recht zeigt dagegen, wie auch innerhalb eines grundsätzlich gar nicht so uneinheitlichen Rechtskreises wie dem westeuropäisch-kontinentalrechtlichen Hecht verschiedene Lösungsmöglichkeiten für rechtlich gleichartige Konfliktsituationen denkbar sind, indem z. B. die Begrenzung der Rechtsausübung bereits mit der Anerkiennung des subjektiven Rechtes ausgesprochen wird223 • Wo eine solche Begrenzung nicht vorliegt, gilt dann allerdings der Satz "neminem laedit qui jure suo utitur"224. Zwar hätte - aus rechtsvergleichender Sicht - Artikel 2043 des ItaHenischen Codke Civile ähnlich wie Artikel 1382 des Französischen Code Civil Grundlage für eine dem französischen Recht ähnliche Entwicklung des Rechtsmißbrauchsverbotes sein können, doch das positive italienische Recht hat trotz des großen Einflusses des französischen Rechtes225 diese Wendung nicht vollzogen. Zwar war in dem französischitalienischen Vertragsentwurf des Obligationenrechtes in Artikel 74 eine generelle Mißbrauchsvorschrift vorgesehen226, doch wurde im Zivilgesetzbuch von 1942 davon wieder Abstand genommen. Damit kann diese Episode eher als Beweis dafür angesehen werden, daß das italienische Recht auch in der Folgezeit das RechtsmißbrauchsV1erbot bewußt abgelehnt hat. Eine Beurteilung des italtenischen Rechtes, welches dieses gegenüber dem Rechtsmißbrauchsverbot als lediglich zurückhaltend bezeichnet227 , ist daher falsch und eher geeignet, den wahr·en Sachverhalt zu überdecken. Andererseits scheint aber auch der Schluß von Roulet, das italienische Recht beweise die Überflüssiglreit des Rechtsmißbrauchsverbotes228 in dieser Allgemeinheit' zu weitgehend. Zusammenfassend läßt sich jedenfalls nur feststellen, daß weder die italienische Rechtspraxis noch Rechtslehre sich eines generellen Rechtsmißbrauchsverbo1les bedienen229 , so daß aus dem italienischen Recht auch keine Kriterien für ein Rechtsmißbrauchsverbot gewonnen werden können. Soweit die italienische Rechtspraxis auf eine mißbräuchliche Ausübung bei der Anwendung der einzelnen Vorschriften zurückgreift, hält sie im übrigen ausdrückSo aber Campion, Exercice, S. 227. Barassi, Diritto Civile, S. 167. 224 Roulet, Caractere, S.31. 225 Vgl. hierzu Zweigert / Kötz, Rechtsvergleichung I, S. 113 f. 226 Siehe hierzu Riezler, Rechtsmißbrauch, S.6; v. Staudinger / Coing, S. 1188. 227 Schindler, Rechtsmißbrauch, S.36; so auch bei Riezler, Rechtsmißbrauch, S.6, der eine Ähnlichkeit der italienischen Lehre zum französischen abus de droit sieht. 228 Roulet, Caractere, S.31. 229 Vgl. hierzu auch v. Staudinger / Coing, S.188; v. Staudinger / Dilcher, S.889. 222 223

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lich daran fest, daß eine mißbräuchliche Rechtsausübung vorliegt, wenn ausschließlich die Absicht zugrunde liegt, anderen zu schaden oder diese zu belästigen23O • Im übrigen erscheint es angesichts dieses Befundes als durchaus bezeichnend, wenn von einigen AutoI'en bei ihren flüchtigen Rechtsvergleichen das italienische Recht schlichtweg übergangen worden ist231 • 4.2.2.7. Angelsächsisches Recht Durch die nahe Verwandtschaft bis in die heutigen Tage können die Rechte des Common-Law-Rechtskreises, die vor allem das englische und das US-amerikanische Recht umfassen, zusammen betrachtet werden232 • Im VIergleich zum soeben behandelten italienischen Recht stößt die Rechtsvergleichung aus kontinentaleuropäischer Sicht bei der Untersuchung des Common Law jedoch auf besondere Schwierigkeiten. Zunächst einmal ist hier, da das römische Recht kaum bis fast gar keinen Einfluß auf das Common Law hatte, der mit der Rezeption des römischen Rechts auf dem Kontinent zu v,ergleichen wäre 233 , im Gegensatz zu dem kontinental-europäischen Recht ein völlig anderes juristisches Begrifffssystem entwickelt worden234• Während beim italienischen Recht noch davon ausgegangen werden konnte, daß der italienischen Rechtslehre aufgrund der nahen Verwandtschaft insbesondere zum französischen Hecht der Begriff des Rechtsmißbrauchs durchaus geläufig und bekannt war, und eine bewußte Ablehnung konstatiert werden konnte, fehlt in der englischen Rechtstradition überhaupt Jede Diskussion des Rechtsmißbrauchsverbot;es23s. . 230 Merz, Schikaneverbot, S. 167; v. Staudinger / Coing, S. 1188; v. Staudinger / Dilcher, S.893. 231 Vgl. Lauterpacht, Function, S.294; Politis, Probleme, S. 81 f.; Härle, Entscheidungsgrundlagen, S. 182 Anm. 1. 232 Zur Bedeutung des Common Law als einem besonderen Rechtskreis vgl. die Einteilung bei Zweigert / Kötz, Rechtsvergleichung I, S.80, 227; zur Ähnlichkeit des englischen und des US-amerikanischen Rechtes vgl. David, Grands Systemes, S. 418 f. 233 Zweigert / Kötz, Rechtsvergleichung I, S. 243 f. 234 Zu den maßgeblichen Unterschieden zwischen dem Common Law und dem Continental Law Friedmann, Legal Theory, S. 517 f.; Radbruch, Geist, S.8. 23S Siehe z. B. das Rechtslexikon von Saunders, Words and Phrases I, S. 10, wo weder das dort genannte Stichwort abuse noch abuse of process einen Zusammenhang mit einem generellen Rechtsgrundsatz im deutschen oder französischen Sinne herzustellen erlaubt. Ähnlich auch Black, Law Dictionary, S.25, wenngleich die dortige Definition des abuse mehr Assoziationen beim kontinental-europäischen Leser wecken kann; aber auch dort fehlt die Bezugnahme auf den abuse als Ausdruck eines allgemeinen Rechtssatzes. Der Indexband der Encyclopedia of Forms and Precedents bringt überhaupt keinen Hinweis auf das Stichwort abuse (of rights).

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So besteht dann auch im wesentlichen einmütige übereinstimmung darüber, daß das Common Law ein Rechtsmißbrauchsverbot im kontine!Otal-europäischen Sinne nicht kennf36. Erst durch die kontinentaleuropäische Diskussion und vor allen Dingen durch das Bemühen verschiedener Autoren, das Rechtsmißbrauchsverbot als allgemeinen, allen Rechtsordnungen inhärenten Rechtsgrundsatz nachzuweisen237 , war für die Common-Law-Juristen Anlaß gegeben, sich mit dieser Theorie zu befassen238 • Es ist somit fruchtlos, den Rechtsvergleich vom Begriff des Rechtsmißbrauches ausgehen zu lassen. Das völlige Fehlen eines Rechtsmißbrauchsbegriffes hat zu der Behauptung geführt, das englische Recht sei extrem individualistisch, und es erkenne keine Grenzen in der Ausübung von Rechten an239 • Dieser Schluß erscheint voreilig. Vergleicht man die angelsächsische Rechtspraxis mit der auf dem Kontinent, so sind zwar Unterschiede in Teilbereichen sicherlich zu erkennen, doch für den Bereich des Zivoilrechts scheinen die Lösungen des Common Law im Ergebnis nicht so grundsätzlich verschieden, und die Regel, daß das Recht des einen durch das Recht des anderen begrenzt ist, ist auch hier anerkannf40. Aber auch wenn die Abgrenzung der einzelnen Rechte zueinander zwar inhaltlich zu ähnlichen Lösungen wie im kontinental-europäischen Recht führen mag, die Verschiedenheit der rechtstechnischen Mittel ist jedoch nicht zuübersehen241 • Bei der Betrachtung des Common-Law-Rechtskreises 236 Vgl. Riezler, Rechtsmißbrauch, s. 7; Gutteridge, Abuse of Rights, S. 31 f.; Roulet, Caractere, S. 34; Schwarzenberger, International Law and Order, S. 86 mit weiteren Hinweisen; Iluyomade, Abuse of Right, S.90 (vgl. aber dort auch S. 57 f.); v. Staudinger / Coing, S. 1188; v. Staudinger / Dilcher, S.893. 237 Siehe die rechtsvergleichenden Betrachtungen bei Jasserand, Esprit des Droits, S. 301 f.; Campion, Exercice, S. 235 f.; sowie auch die Äußerungen von Politis, Probleme, S.82, wonach eine Tendenz zur Anerkennung in England festzustellen war; ähnlich wie dieser, wenn auch ausführlicher, Lauterpacht, Function, S. 292 f. 238 Vgl. Gutteridge, Abuse of Rights, S. 23 f., auf den dann wiederum Goodhart, English Law, S. 144 Bezug nimmt als Ausgangspunkt für seine Betrachtung. . 239 Riezler, Rechtsmißbrauch, S.7; ähnlich auch Politis, Probleme, S.82; vgl. aber durchaus in diesem Sinne auch aus englischer Sicht Goodhart, English Law, S. 145. 2.ao Bondil, Detournement, S.44; Lauterpacht, Function, S. 294 f.; Roulet, Caractere, S. 33. Jasserand, Esprit des Droits, S. 301 f. stößt demzufolge offene Türen auf, wenn er auch für das angelsächsische Recht endlich die Anerkennung der Relativität der Rechte im Entstehen sieht. Hier unterliegt er noch nachträglich - wie mancher Völkerrechtler beim Souveränitätsbegriff - der Ideologie des 19. Jahrhunderts und sieht das frühere englische Recht einseitig nur an Darwin und Spencer orientiert (ebenda, S. 304). 241 Vgl. hierzu ausführlich Roulet, Caractere, S. 31 f., auch wenn Roulet für das englische Recht wohl etwas einseitig nur auf den Begriff der Nuisance abstellt, obwohl das englische Recht im Bereich der zivil rechtlichen Verantwortlichkeit eine ganze Reihe von verschiedenen Begriffen innerhalb des

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darf nicht außer acht gelassen werden, daß gerade weite 'reile des Zivilrechts traditionellerweise ihren Sitz im typisch angelsächsischen CaseLaw haben. Daher kann auch nicht, wie im italienischen Recht, einfach festgestellt werden, welcher Methode sich das englische Recht systematisch zur Begrenzung der Ausübung einzelner Rechte bedient. Die Rechte sowie deren Grenzen haben sich ständig aus dem Fallrecht entwickelt, wobei im Common Law weit weniger die Tendenz besteht, die Rechtsprechung sogl'eich wieder zu systematisieren und auf diese Weise zu quasi außergesetzlichen Kodifikationen zu kommen, aus denen sich einfach subsumieren ließe. Diese dem kontinental-europäischen Juristen ungewohnte Behandlung des Rechts macht es daher äußerst schwierig, wenn nicht gar unmöglich, einzelne Rechtsinstitute zu vergleichen242 . So hat die Rechtsprechung des Common Law zwar ebenfalls einen Schatz von Grundsätzen entwickelt, deren Identifizierung mit bekannten Rechtsinstituten des kontinentalen Rechts bei ungenügender Berücksichtigung der jeweiligen rechtstechnischen Besonderheiten jedoch häufig voreilig, ungenau oder direkt falsch werden muß243. Auch wenn in England wohl eher die Tendenz besteht, dem subjektiven Recht zu weitgehender Entfaltung zu verhelfen244, gestehen die Gerichte, um zu einem Ausgleich der divergierenden Interessen zu kommen, bestimmte Rechte häufig von vornherein nur in bestimmten, sozial wünschenswerten Grenzen zu, so daß das englische Recht insofern eine gewisse Ähnlichkeit mit der Rechtstechnik des italienischen Rechts aufweist 245. Wo dies nicht ausreicht, kann die Common-Law-Rechtsprechung auf die Begriffe des Law of Torts zurückgreifen. Die Anwendungsbereiche dieser einzelnen Begriffe lassen sich nun aber nicht ohne weiteres mit einem Rechtsmißbrauchsverbot vergleichen und gehen weit über dieses hinaus. So läßt sich z. B. die Bedeutung der nuisance246 nur im Gesamtzusammenhang des Common-Law-Systems V1erstehen. Für das Rechtsmißbrauchsverbot lassen sich hieraus }edenfalls keine Kriterien finden247. Und eine Gleichsetzung des Rechtsmißbrauches gar mit der im Law of Torts kennt, vgl. hierzu einführend Henrich, Einführung, S. 78 f.; David, Droit Anglais, S. 117 f. 242 Zur Methodik des Case-Law vgl. Radbruch, Geist, S. 33 f.; Blumenwitz, Einführung, S. 21 f. 243 Vgl. z. B. das Vorgehen von Schindler, Rechtsmißbrauch, S. 33 f., der u. a. die ultra-vires-Lehre als eine besondere Ausgestaltung des allgemeinen Rechtsmißbrauchsgedankens sieht, was jedoch voraussetzte, daß ein solcher allgemeiner Rechtsmißbrauchsgedanke im angelsächsischen Recht überhaupt als genereller Grundsatz bekannt wäre. 244 Goodhart, English Law, S. 145 f. 245 Roulet, Caractere, S.32. 246 Vgl. zu diesem Begriff Henrich, Einführung, S. 82 f, 247 So auch schon Gutteridge, Abuse of Rights, S.30, 44; anderer Ansicht van Bogaert, Rechtsmisbruik, S. 26.



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englischen Law of Torts vorgenommenen Beschränkung der Rechte kann nur um den Preis der Inhaltslosigkeit des Rechtsmißbrauches im Sinne der allgemeinen Relativität der subjektiven Rechte gelingen248 • Da das Common Law mittels eigener spezifischer Rechtstechniken die Bestimmung der Grenzen der subjektiven Rechte zufriedenstellend erreicht hat bzw. mit dem Instrumentarium des Law of Torts erforderlichenfalls Korrekturen vornehmen kann, hat sich das Rechtsmißbrauchsverbot im englischen Recht nicht durchsetzen können249 und dürfte aufgrund der Eigenart des Common Law wohl auch in Zukunft dort kaum Eingang findenBI. Auch hier dürfte aber der Schluß von Roulet, das englische Recht zeige die absolute überflüssigkeit eines Rechtsmißbrauchsverbotes zur Bestimmung der Grenzen der subjektiven Rechte251, zu weitgehend sein. Das Common Law hat vielmehr die seinem Rechtsdenken und seiner spezifischen Rechtstradition gemäßen Rechtstechniken entwickelt, so wie es sicherlich auch den Erfordernissen der beispielsweise französichen und deutschen Rechtsentwicklung entsprach, das Rechtsmißbrauchsverbot in seiner heutigen jeweiligen Form anzuerkennen. 4.2.2.8. Sozialistisches Recht Berühmtheit erlangte im Zusammenhang mit der Diskussion um das Rechtsmißbrauchsverbot - und auch darüber hinaus - der Artikel 1 248 Vgl. Lauterpacht, Function, S.295: "The major part of the law of torts is nothing else than the affirmation of the prohibition of abuse of rights." 249 So schon Campion, Exercice, S. 235 f.; Gutteridge, Abuse of Rights, S.22, 30 f., 44; Schwartz, Administrative Law, S.219; O'Sullivan, Abuse of Rights, S.65, 72; nicht ganz eindeutig Friedmann, Legal Theory, S. 554. 250 Auf die Möglichkeit unterschiedlicher Rechtstechniken zur Lösung ähnlicher Problemlagen in den verschiedenen Rechtsordnungen weist bereits Esser, Grundsatz, S.358 hin, vgl. die dortige Aussage: "Gleicher Bedarf (d. i. die Begrenzung der subjektiven Rechte) zwingt verschieden strukturierte Rechte nicht zur Entwicklung gleicher Figuren, sondern nur gleicher Ordnungsgrundsätze, die mit disparaten Figuren bewältigt werden." Allerdings scheint Esser das Rechtsmißbrauchsverbot trotzdem für ein universales Rechtsprinzip zu halten (vgl. ebenda, S. 115 Anm. 98, S. 369), versteht es aber - vor allem auf Josserand gestützt - als "rechtsethische Wahrheit und Postulat" (und nicht wie hier als ein rechtstechnisches Mittel zur Begrenzung subjektiver Rechte) und bindet das Rechtsmißbrauchsverbot wohl auch zu sehr an die Evolution des Rechts, die den Altruismus betonen will (ebenda, S.320). Auf die Verschiedenartigkeit der rechtstechnischen Mittel zwischen dem Common-Law-Denken und dem kontinental-europäischen Denken weisen auch Zweigert / Kötz, Rechtsvergleichung II, S.345 hin; vgl. auch die Äußerung von Großfeld, Probleme, S. 9, wonach annähernd gleiches zivilisatorisches Niveau nicht ohne weiteres für eine kulturelle oder soziale Ähnlichkeit genommen werden darf, und die Ähnlichkeit dort am größten ist, wo es sich um klar abgegrenzte Vorgänge handelt und die rechtstechnische Ausgangslage gleich ist. Nicht ganz so deutlich hierzu Friedmann, Legal Theory, S. 549 f. 251 Roulet, Caractere, S.34.

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des früheren sowjetrussischen Zivilgesetzbuches, das nach den chaotischen Zuständen während des sogenannten Kriegskommunismus in der Phase der NÖP-Periode im Jahre 1922 in Kraft trat2S2 • Kaum ein Befürworter des Rechtsmißbrauchsverbotes, der sich nicht auf diesen berühmten Artikel stützte, um die Anerkennung des Rechtsmißbrauches auch im sowjetrussischen Recht aufzuzeigen2S3 • Vor allem die Vertreter der sogenannten objektiven Richtung des Rechtsmißbrauches haben in Artikel 1 des sowjetrussischen ZGB von 1922 die praktische Bestätigung der Lehre von Duguit gesehen, die damit neben dem Schweizer Zivilrecht hier eine ähnlich weite positive Niederlegung erfahren habe25". Aber der herausgeforderte Vergleich mit dem Schweizer Zivilrecht zeigt, daß es mit dem Hinweis auf den ähnlichen Wortlaut allein noch nicht getan sein kann255 • Hierbei soll zunächst einmal davon abgesehen werden, daß die Identifizierung des früheren Art. 1 des sowjetrussischen ZGB nrit dem Rechtsmißbrauch nur dann möglich ist, wenn als entscheidendes Kriterium für den Rechtsmißbrauch die sogenannte fonction sociale angenommen wird - für einen deutschen ZivilrechtIer der 20er Jahre und in dieser Allgemeinheit wohl auch heute keineswegs eine Selbstverständlichkeit -, da im Artikel 1 des sowjetrussischen ZGB vom Rechtsmißbrauch expressis verbis nicht die Rede ist. Zuzugeben ist allerdings, daß Artikel 1 des sowjetrussischen ZGB unter dem Einfluß der Lehre von Duguit entstanden isfS6. Doch gerade eine solche Generalklausel, die in ihrer Weite allenfalls noch von ähnlichen Sätzen wie "Gemeinnutz geht vor Eigennutz" oder "eine sittenwidrige Rechtsausübung ist verboten" erreicht wird, muß danach beurteilt werden, mit welchem Inhalt sie gefüllt worden isf51. Daß diese Vorschrift geeignet sei, den Konservativismus der privaten Rechte aufzulösen258 , ist noch eine viel zu milde Formel, die auch von der Schule Duguits hätte aufgestellt sein können. Der wirkliche Inhalt des Art. 1 des sowjetrussi252 Zur Geschichte des Zivilrechts in der Sowjetunion s. Reich, Zivilrecht, passim; zum Wortlaut des Art. 1 ZGB s. dort S.93. 253 Vgl. für viele Politis, Probleme, S.82; Josserand, Esprit des Droits, S. 290 f.; Schlochauer, Theorie, S.376; Campion, Exercice, S. 254 f.; van Bogaert, Rechtsmisbruik, S.25; Schindler, Rechtsmißbrauch, S. 30 f. (einschränkend); Iluyomade, Abuse of Right, S. 56. 2S4 Darauf weist schon Scerni, Abuso di Diritto, S. 21 f. hin; vgl. Josserand, Esprit des Droits, S.293 Anm.l; Campion, Exercice, S.254. 255 So schon Roulet, Caractere, S.24; auch Schindler, Rechtsmißbrauch, S. 31 f. deutet dies bereits an, ohne jedoch näher darauf einzugehen. 256 Vgl. Reich, Einleitung zu Stucka, Recht und Staat, S. 26 f., 46 f.; Roggemann, Entwicklung, S. 163 f. mit weiteren Hinweisen. 2S/ Friedmann, Uses, S.288 macht bereits auf den unterschiedlichen Inhalt aufmerksam, während sowohl Campion, Exercice, S. 254 f. wie auch Josserand, Esprit des Droits, S. 290 f. erstaunlicherweise nicht hierauf eingehen; vgl. sogar aus neuester Sicht Iluyomade, Abuse of Right, S. 56. 258 Berber, Rechtsquellen, S.145.

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schen ZGB offenbart sich erst, wenn man ihn im Zusammenhang sieht mit der grundlegenden Umwälzung, die die sozialistische Revolution in Rußland für das Recht überhaupt mit sich brachte. So wurde beispielsweise Duguit schon von Stucka vorgeworfen, daß die Lehre von der Sozialfunktion nur der metaphysischen Rechtfertigung der bürgerlichen Gesellschaft diene25"; ein Vorwurf, der insoweit berechtigt ist, als Duguit tatsächlich zwar ein sozialeres, aber keineswegs ein marxistisch-sozialistisches Recht vor Augen hatte. Dies war jedoch das Ziel des russischen ZGB. Die ökonomische und soziale Bestimmung der Rechte, der in ArtikeIl des sowjetrussischen ZGB Ausdruck verliehen wurde, ist gleichzusetzen mit den Zielen der kommunistischen Ideologie281 und ist gemäß der kommunistischen Ideologie als Ausdruck des Oberbaues Rechtzu sehen, das wie alles Recht ein Mittel zur Durchsetzung und zum Sieg des Sozialismus/Kommunismus ist. Dabei darf nicht verkannt werden, daß die sowjetische Rechtsentwicklung in der Folgezeit recht wechselhaft verlaufen ist26l, was gedeutet werden kann als ein immer noch unentschiedenes Schwanken zwischen der radikalen These, vor allem vertreten durch Paschukanis, daß das Recht ebenso wie der Staat ohnehin nur eine vorübergehende Erscheinungsform sei, die mit dem Sieg des Sozialismus absterbe, und der These, daß es zunächst gelte, den sozialistischen Staat und das sozialistische Recht aufzubauen, wenn auch qualitativ mit neuen Inhalten. Der ersteren entspricht die zunächst feststellbare wilde Wucherung von nahezu unkontroUierter Rechtsprechung, so lange sie nur unter Berufung auf die revolutionäre Gesinnung erfolgte, was indes zu einer starken Rechtsunsicherheit und Verschiedenheit der Rechtssprüche führte, so daß sogar die Anwendung des Art. 1 des früheren sowjetrussischen ZGB untersagt wurde262 • Was von Artikel 2 Satz 2 des Schweizer ZGB zum Teil befürchtet worden war, war hier also eingetreten und führte praktisch zum Außerkrafttreten dieses Artikels263 • Mit der Konsolidierung des Sowjetsystems, die zunächst vor allem zu einer Stärkung des Staates führte, ist zunehmend auch der Wunsch nach mehr Rechtssicherheit zu beobachten. Seinen Ausdruck findet dieses Bemühen in der Ausarbeitung der sogenannten sozialistischen Ge259 Stucka, Recht und Staat, S. 156 f., 158. Zu der unterschiedlichen Auffassung von Duguit und Stucka s. Reich, Einleitung zu Stucka, Recht und Staat, S. 45 f.; zur Interpretation des Art. 1 des früheren sowjetrussischen ZGB s. die Zitierung von Goichbarg in Pfaff, Entwicklung, S. 93 f. 28l So bereits Schindler, Rechtsmißbrauch, S. 31. 261 Vgl. Pfaff, Entwicklung, S. 31 f. und passim; David, Grands Systemes, S. 182 f.; zur Geschichte des Zivilrechts im besonderen Roggemann, Entwicklung, S. 152 f. 262 Bondil, Detournement, S.42; Roulet, Caractere, S. 25. 263 Roulet, Caractere, S.25.

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setzlichkeit, womit der Anspruch auf revolutionäre Vernichtung des nur als Klassenrecht verstandenen Rechtes auf unabsehbare Zeit verschoben worden isf64. Mit der Ausarbeitung der Prinzipien der sozialistischen Gesetzlichkeit scheint die bereits früher gestellte Frage nach der Anerkennung von subjektven Rechten in einer sozialistischen Rechtsordnungl65 noch nicht beantwortet und der grundsätzlich verschiedene Charakter des sozialistischen Rechtes macht es in der Tat problematisch, für diese Rechtsordnung an dem Begriff des subjektiven Rechtes im Sinne der bürgerlichen Rechtsordnung festzuhalten266 • Damit würde ein Rechtsmißbrauchsverbot im herkömmlichen Sinne ohnehin überflüssig, da die Lehre vom Rechtsrnißbrauch im traditionellen Sinne untrennbar verbunden ist mit der Anerkennung von subjektiven Rechten. Doch ungeachtet dessen erhellt sich die Fragwürdigkeit, den Artikel 1 des früheren sowjetrussischen ZGB mit dem Rechtsmißbrauchsverbot gleichsetzen zu wollen, noch aus einem anderen Blickwinkel: Selbst das neue sowjetrussische ZGB von 1964, dessen Neufassung bereits Ausdruck der neuen Lehre von der sozialistischen Gesetzlichkeit ist, hat in Artikel 5 den alten Artikel 1 im Grunde übernommen267 , doch nun bereits im Gegensatz zu dem früher eher neutral klingenden Artikel 1 ZGB mit dem Zusatz, daß die Ausübung der Rechte nicht im WiderspruCh stehen dürfe mit einer sozialistischen Gesellschaft in der Periode des Aufbaues des Kommunismus. Damit ist dem alten Rechtszustand eigentlich nichts Neues hinzugefügt worden, weil auch dieser dem Sinn und Zweck nach die soziale Bestimmung der individuellen Rechte einseitig auf die Interessen der sozialistischen Gesellschaft zugeschnitten 264 Zum Begriff der sozialistischen Gesetzlichkeit s. Pfaff, Entwicklung, S.I77, 218 f.; David, Grands Systemes, S. 210 f.; Reich / Reichei, Einführung, S. 63 ff.; aus sozialistischer Sicht Autorenkollektiv, Staats- und Rechtstheo,.. rie IV, S. 79 f. Mit der Ausarbeitung der sozialistischen Gesetzlichkeit und Rechtlichkeit wird der Tendenz nach der Anerkennung des Formalcharakters des Rechtes Rechnung getragen (Fincke, Marxismus, S. 11 f.). Damit steht das sozialistische Recht unverändert vor dem Dilemma, die Weiterexistenz von Recht überhaupt zugestehen zu müssen, was im Widerspruch steht zu der ursprünglichen Forderung, das Recht müsse nicht nur material - wie dies die Sozialreformer wie Duguit forderten -, sortdem auch formal absterben (vgl. Paschukanis, Rechtslehre, S. 33 f.). 26S Siehe Gutteridge, Abuse of Rights, S.42. 266 Planiol/ Ripert, Traite 11, S.339 stellt zu Artikel 1 des ZGB nur fest: "C'est pourtant la negation du droit subjectif." Vgl. hierzu die Gleichsetzung der persönlichen Interessen mit den gesellschaftlichen Interessen bei Tarchow, Vorlesungen, S. 13, wogegen Genkin u. a., Sowjetisches Zivilrecht, S. 138 f., 147 f. die subjektiven Rechte mehr hervorheben. Wie schwer sich die heutige Diskussion in der sozialistischen Rechtslehre zum Begriff des subjektiven Rechtes tut, wird deutlich in Autorenkollektiv, Staats- und Rechtstheorie, Bd. IV, S. 360 f. 267 Nachweise hierzu und zur Entstehungsgeschichte des ZGB von 1964 mit weiteren Hinweisen s. bei Roggemann, Entwicklung, S. 149 f., 177 f.

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sah. Abgesehen von der Inhaltslosigkeit dieser weitgefaßten Formel, die über die konkrete Reichweite und die praktische Anwendungsmöglichkeit dieser Generalklausel selbst nichts aussagt268 und somit zu einer Konkretisierung des Rechtsmißbrauches nicht beitragen kann, bedeutet dieses Bestimmung letztlich nur ein Rückgriff auf die - sozialistische - Moral, die in der Ausübung von Rechten zu beachten isf69. Immerhin I wird durch den neuen Wortlaut des Art. 5 des sowjetrussischen ZGB deutlich, daß diese Vorschrift z. B. mit dem Artikel 2 Satz 2 des Schweizer ZGB inhaltlich nichts mehr gemein hat270 • Während die schweizerische Rechtsprechung bei der Auslegung dieser Vorschrift sich im Ergebnis nicht weit entfernt hat von der französischen Lehre des Rechtsmißbrauches, ist ein Vergleich des abus de droit mit dieser Generalklausel des Art.5 des neuen sowjetrussischen ZGB auch aus dem weiteren Grunde gar nicht mehr möglich271 , weil die Lehre vom Rechtsmißbrauchsverbot, wie sie bisher üblicherweise und auch hier verstanden wird, der Abgrenzung verschiedener subjektiver Rechte zueinander dient, während Artikel 1 und Artikel 4 des sowjetrussischen ZGB vordringlich das Verhältnis privater Rechte zum Staat regeln sollen272 • Die sozialistische Rechtslehre selbst wird auch nicht müde, den grundverschiedenen Charakter ihres Rechtes von dem des bürgerlichen Rechtes zu betonen273 • Da die Erkennbarkeit der sozialistischen Gerechtigkeit und Moral durch die dazu Berufenen in diesem System vorausgesetzt wird, bedarf es spezifischer rechtstechnischer Kriterien zur Abgrenzung der Rechte der einzelnen untereinander und zur Gesellschaft im Grunde nicht mehr. Das Ergebnis der Abgrenzung verläuft Roggemann, Entwicklung, S. 188. Daß es sich hier tatsächlich nur um eine allgemeine moralische Handlungsanweisung handelt, zeigt der Vergleich mit dem Entwurf des rumänischen ZGB, wonach bei der Ausübung von Rechten der Grundsatz der bona fides gilt (Popescu, ZGB-Entwurf, S. 149). 270 Auch wenn mit dem neuen Gesetzbuch eine gewisse Annäherung an die klassische Zivilistik erfolgte und auch die Anerkennung der subjektiven Rechte letztlich unbestritten ist, obwohl diese nur partiell mit der westlichen Lehre vergleichbar sind (vgl. Roggemann, Entwicklung, S. 183). 271 So auch Casanuevas, Abuso de Derecho, S.472. Die Verschiedenheit des früheren Art. 1 des sowjetrussischen ZGB zum abus de droit wurde bereits betont von Roulet, Caractere, S.24 und Ancel, Abus du Droit, S.789. 272 Reich, Sozialismus und Zivilrecht, S. 154; Roggemann, Entwicklung, 268

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S. 166 f.

273 Vgl. für viele Autorenkollektiv, Staats- und Rechtstheorie IV, S.9 f. Es ist daher fraglich, ob es unter Mißachtung dieser inhaltlichen Bestimmungen der Rechte sinnvoll ist, die besondere Nähe der sowjetischen Lehre von den subjektiven Rechten mit der deutschen Lehre zu betonen (so aber Roggemann, Entwicklung, S. 183 Anm. 179). Die Problematik, inwieweit bei einem Vergleich des sozialistischen Privatrechtes mit den westlichen Privatrechten mehr auf den formalen oder aber mehr auf den inhaltlichen Charakter abgestellt werden soll, wird deutlich bei Westen, Privatrecht, S. 201 f.

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jedenfalls nach ganz anderen Gesichtspunkten als im westlichen RechtZ14• Es ist daher kaum verwunderlich, daß in der sowjetischen und auch in der ideologisch und heute nach Einführung des neuen Zivilgesetzbuches auch rechtstechnisch nahestehenden DDR275 - Zivilrechtslehre heute mit dem Begriff des Rechtsmißbrauches nicht mehr gearbeitet wird. Wenngleich der Einfluß des sowjetrussischen Zivilrechtes auf die übrigen sozialistischen Staaten deutlich und spürbar ist, so dürfen diese gerade auch bezüglich der Diskussion des Rechtsmißbrauches - nicht als monolithischer Block gesehen werden. So enthält § 5 des ungarischen Zivilgesetzbuches von 1959276 in Absatz 1 den ausdrücklichen Hinweis, daß der Mißbrauch eines Rechtes verboten ist. In Absatz 2 dieser Vorschrift wird näher ausgeführt, daß der Mißbrauch eines Rechtes vorliegt, wenn dessen Ausübung auf ein Ziel gerichtet ist, das mit der gesellschaftlich~n Bestimmung des Rechtes unvereinbar ist, insbesondere, wenn sie zur Schädigung der Volkswirtschaft, zur Belästigung der Bürger, zur Beeinträchtigung ihrer Rechte und berechtigten Interessen oder zur Erwerbung unzulässiger Vorteile führen würde. Auch wenn hiermit ein ganzer Katalog von Kriterien für das Vorliegen eines Rechtsmißbrauches angegeben wird, müssen diese Kriterien doch in ihrer inhaltlichen Verbundenheit mit dem sozialistischen Recht gesehen werden. Dies verdeutlicht auch die Stellungnahme von Eörsi, der die Ansicht vertritt, daß sich das Verbot des Rechtsmißbrauches bereits aus § 2 des ungarischen ZGB ergebe, der die Ausübung der Rechte im Einklang mit ihren gesellschaftlichen Bestimmungen vorschreibt, was in § 5 lediglich nochmals ausdrücklich festgelegt werdern. Mit diesem Hinweis wird § 5 des ungarischen ZGB in seiner Bedeutung letztlich aber auf Artikel 5 des neuen sowjetrussischen ZGB relativiertZ18•

274 Daß die Berufung auf die Priorität des "richtigen" Inhaltes des Rechtes letztlich auch dem Entzug der Kontrolle der Machtelite dient, deutet Finke, Marxismus, S.36 an. 27S Zum Vorbildcharakter des neuen sowjetischen Zivilrechtes für die DDR s. Roggemann, Grundlagen, S. 151 f. 276 Vgl. ZGB der Ungarischen Volksrepublik, übersetzt von Pal Lamberg, Budapest 1960. rn Eörsi, Verantwortlichkeit, S.276 (der im übrigen bemerkt, daß das tschechoslowakische Recht das Rechtsmißbrauchsproblem in etwas anderem - engeren - Rahmen behandele, ebenda, S.277). 278 Das gleiche muß auch gelten für den Entwurf des rumänischen ZGB, auch wenn dessen Regelung des Rechtsmißbrauches im einzelnen detaillierter erscheint, s. hierzu Popescu, ZGB-Entwurf, S. 149. Zur keineswegs einheitlichen Diskussion in Polen, wo ein ähnlich weiter Wortlaut vorgesehen . ist wie in dem sowjetrussischen ZGB vgl. Szpunar, Responsabilite, S. 19 f.

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Für eine nähere Konkretisierung des Rechtsmißbrauchsverbotes als einem allgemeinen Rechtsgrundsatz kann die sozialistische Rechtslehre im Ergebnis nicht als ergiebig angesehen werden. 4.2.2.9. Islamisches Recht

Von den nicht zu den europäischen Rechtskreisen zählenden Rechtsordnungen liegen zum Rechtsmißbrauchsverbot im wesentlichen nur einige Stellungnahmen aus dem islamischen Recht vor279. Einer der wesentlichen Gründe für diese Erörterung des Rechtsmißbrauches im islamischen Recht kann wohl darin gesehen werden, daß vor allem im nordafrikanisch-vorderasiatischen Raum die ehemals unter französischer Hoheit stehenden Gebiete unter einem gewissen Einfluß des französischen Rechtes standen28O, der die Diskussion um das Rechtsmißbrauchsverbot sicherlich förderte. Die eigentümliche Vermischung von gemeinsamen aus dem Koran und anderen religiösen Schriften getragenen Rechtstraditionen mit nationalen oder regionalen Rechtsentwicklungen281 macht es allerdings schwer, nach einem generellen Rechtssatz wie dem Rechtsmißbrauchsverbot im islamischen Recht zu fahnden. Anstoß zur Diskussion war sicherlich die Schrift von Fathy, der, r:echt überspitzt, das Rechtsmißbrauchsverbot nicht nur im islamischen Recht anerkannt sah, sondern darüber hinaus meinte, es genieße, da direkt auf den Grundanschauungen des Korans und der Tradition des Propheten fußend, Priorität gegenüber der abendländischen Lehre vom Rechtsmißbrauch282 • In dieser Unterordnung der Rechtsausübung unter einen "religiös bestimmten Zweckgedanken" ist auch von anderer Seite bereits der Nachweis des Rechtsmißbrauchsverbotes - sogar in angeblich besonders typischer Art - gesehen worden283 • Dies spräche für die Anerkennung des Rechtsmißbrauchsverbotes unter dem Kriterium der "fonction sociale", die hier allerdings wohl besser als "fonction religi eu se" zu nennen wäl"e28". Demgegenüber spricht sogar ein so starker Verfechter eines generellen Rechtsmißbrauchsverbotes wie Josserand in diesem Zusammenhang von einer "peche juridique" und \bestimmt das TI9 Josserand, Esprit des Droits, S. 298 f.; Campion, Exercice, S. 225 f.; Berber, Rechtsquellen, S.145; Chehata, Abus des Droits, S. 1 ff.; ders., Droit Musulman, S. 158; Charles, Droit Musulman, S. 69. 280 Vgl. hierzu Zweigert / Kötz, Rechtsvergleichung I, S. 123, 445. 281 Vgl. hierzu David, Grands Systemes, S. 486. 282 Fathy, Abus des Droits, S. 256 f. 283 Schindler, Rechtsmißbrauch, S.37. 284 So wie man wohl auch als Kriterium eines Rechtsmißbrauches im sozialistischen Recht besser von der "fonction politique" oder "fonction ideologique" sprechen sollte.

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Rechtsmißbrauchsverbot im islamischen Recht mit dem rein subjektiven ElemenVSS. Angesichts der Vielfalt der Rechtsordnungen, die zu dem islamischen Rechtskreis zu zählen sind2B6, muß die Möglichkeit bez~ifelt werden, für das islamische Recht insgesamt einen einheitlichen Rechtsmißbrauchsbegriff zu gewinnen. Die einzelnen Rechtsordnungen unterscheiden sich zum Teil erheblich je nach dem, welchen Richtungen innerhalb des islamischen Rechtes sie folgen, und nicht zuletzt auch nach dem jeweiligen Einfluß des europäischen Rechtes, dem diese Rechtsordnungen vor allem während der Kolonialzeit unterlagen287 • Aber auch innerhalb der einzelnen Länder herrscht ein zum Teil erstaunlicher Rechtspluralismus288 • So kam beispielsweise eine Untersuchung des Rechtsmißbrauches für Syrien bei Betrachtung eines bestimmten regionalen Teilgebietes der Rechtsordnung zu einem negativen bzw. zu einem positiven Ergebnis289, während die vom gleichen Verfasser erfolgte Untersuchung für den - gesamten - Libanon29O, die sich hauptsächlich auf Artikel 124 des Code d'Obligations stützte29\ viel an Wert verliert, wenn man sich dessen bewußt wird, daß es neben den staatlichen Gerichten im Libanon nicht weniger als 19 versch~edene personale Rechtsordnungen und religiöse Gerichtssysteme gibt292• Der bloße Verweis zum Beispiel auf den vom Libanon übernommenen Artikel 74 Abs.2 des italienisch-französischen Projektes in den Code d'Obligations (Artikel 124) erscheint daher allein wenig beweiskräftig293, zumal es sich bei diesem Gesetz wohl auch nur um ein Projekt der damaligen christlichen Mehrheit handelte und der Code d'Obligations maßgeblich von Josserand beeinflußt wa~. Die These, das islamische Recht kenne ein Rechtsmißbrauchsverbot, ist daher zunehmend als V'ergebliches Bemühen bezeichnet worden, wie auch die übernahme der "extravaganten" Konklusionen von Fathy ohne 285 Josserand, Esprit des Droits, S. 298 f.; so auch Berber, Rechtsquellen, S. 145, auch die Äußerungen von Milliot, Droit Musulman, S.768 sprechen ebenfalls eher gegen eine zu weite Auffassung des Rechtsmißbrauches, wenngleich hier das Wort abus de droit nicht fällt. 2B6 Vgl. die keineswegs einheitlichen überblicke bei Bergsträsser, Grundzüge, S.5; Charles, Droit Musulman, S. 5 f.; Chehata, Droit Musulman, S.3 f.; ders., Abus des Droits, S. 217 f.; David, Grands Systemes, S. 486 f., 492 f. 287 Zu letzterem vgl. David, Grands Systemes, S.492 f.; Chehata, Droit Musulman, S. 3 f. 288 Rheinstein, Einführung, S.135. 289 Siehe Mazas, Abus du Droit, S. 717. 290 Mazas, Abus du Droit, S. 719 f. 291 Hierzu auch Josserand, Esprit des Droits, S. 293. 292 Rheinstein, Einfiiprung, S. 135. 293 Siehe Amiaud, Abus du Droit, S.782; Arminjon u. a., Traite II, S.59; Chehata, Droit Musulman, S. 176. ' 294 Vgl. Chehata, Droit Musulman, S. 172.

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tiefere Prüfung erfolgt sei29s . Die Behauptung von der Existenz eines Rechtsmißbrauchsverbotes im islamischen Recht scheint allenfalls um den Preis der Gleichsetzung des Rechtsmißbrauchsverbotes mit dem - an sich selbstverständlichen - Grundsatz, der eine der Rechtstradition und den religiösen Bestimmungen zuwiderlaufende Rechtsausübung verbietet, möglich zu sein. Vom Standpunkt des Rechtsvergleiches ist damit aber kein Kriterium gewonnen, wann dies im einzelnen der Fall sein soll. Das Bewußtsein von der Eigenartigkeit des islamischen Rechts296 , seiner Vermischung von Theologie, Jurisprudenz und Moral297 , legt tatsächlich den Schluß nahe, daß - ungeachtet der verschiedenen nationalen Ausformungen - der kontinental-europäische Begriff des Hechtsmißbrauchsverbotes für diesen Rechtskreis nicht einfach übertragbar ist, oder aber eine leere Hülse bleiben muß298. Sicherlich hat zu diesem Bewußtsein der Eigenartigkeit des islamischen Rechtes erst eine intensivere, in den letzten Jahren erfolgte Rechtsvergleichung beigetragen, 29S Charles, Droit Musulman, S.10, 69; Chehata, Droit Musulman, S.158; ausführlich zu den von Fathy untersuchten Fällen Chehata, Abus des Droits, S. 218 ff.; vgl. auch Milliot, Droit Musulman, S.267, der u. a. zu der "Doctrine de l'Abus des Droits" von Fathy sagt: "Mais il s'agit de constructions, a elever, non d'edifices deja construits"; ebenfalls kritisch zur Diskussion Schacht, Islamic Law, S. 142 f. mit weiteren Hinweisen. Unklar: Sanhoury, Droit, S. 630. Nunmehr wohl anders aber der neue ägyptische Code Civil, der die Ausübung eines Rechtes verbietet bei Schadenszufügungsabsicht, wenn der entstandene Schaden bei dem anderen überwiegt oder wenn der erlangte Vorteil rechtswidrig ist (Ziadeh, Law of Property, S. 246 f., der aber gleichzeitig zum Ausdruck bringt, daß hierbei neben dem Einfluß des deutschen BGB es sich auch um ein aus der Schariah stammendes Prinzip handele). Vgl. hierzu auch Chehata, Droit Musulman, S.53, der den französischen Einfluß betont und Artikel 5 des neuen ägyptischen Code Civil ausdrücklich als Anerkennung des abus de droit ansieht, ebenda, S. 176. 296 Vgl. hierzu David, Grands Systemes, S. 465 f.; Schacht, Islamic Law, S. 133 f. 297 Bergsträsser, Grundzüge, S. 123 f.; Charles, Droit Musulman, S. 7; s. auch schon Josserand, Esprit des Droits, S. 298 f.; zum Unterschied zwischen dem westlichen und dem islamischen Recht vgl. Zweigert / Kötz, Rechtsvergleichung I, S. 435 f. 298 Schindler, Rechtsmißbrauch, S.37 sieht dieses Problem gar nicht bzw. übergeht es einfach; ebenso Berber, Rechtsquellen, S.145, der sich mit zwei, für die Erkenntnis des Rechtsmißbrauches recht fragwürdigen, Zitaten begnügt; vgl. dagegen Schacht, Islamic Law, S. 142 f. - Wie problematisch die Behauptung eines generellen Rechtsmißbrauchsverbotes im kontinentaleuropäischen Sinne für das islamische Recht sein muß, dürfte auch daran deutlich werden, daß das islamische Recht keine generelle Theorie des Obligationenrechtes kennt (Charles, Droit Musulman, S. 85; Chehata, Droit Musulman, S. 152; Milliot, Droit Musulman, S. 205); vgl. auch die Ausführungen von Milliot zur völlig unterschiedlichen Konstruktion der Verantwortlichkeit im islamischen Recht (ebenda, S. 764 f.), wo doch gerade im französischen Recht der abus de droit ein typischer Tatbestand des Obligationenrechts ist.

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die dem europäischen Betrachter geoffenbart hat, wie fremd das Denken in festen Rechtsinstituten und reinen Rechtsbegriffen im Sinne einer westlichen Systematik dem islamischen Rechtsdenken (noch) weitgehend isf99. Es erinnert in seiner KasuistiJt300 am ehesten noch an das frühe römische Recht301 oder das Common-Law-System.102. In seinem Bezug auf die autoritativen religiösen Schriften, die ja als Erkenntnisquelle -einer als absolut verstandenen Wahrheit dienen, ähnelt es dagegen eher wieder - überspitzt formuliert - dem gleichfalls auf absolute Wahrheitserkenntnis setzenden sozialistischen Recht. So läßt sich jedenfalls das islamische Recht generell ebensowenig ohne ein tieferes Verständnis der islamischen Kultur verstehen.103, wie auch die Benutzung der Rechtsbegriffe des sozialistischen Rechtskreises ohne Kenntnis der sie ausfüllenden marxistischen Rechtstheorie nicht möglich ist. 4.2.2.10. Weitere Rechtsordnungen Die eingehendere rechtsvergleichende Untersuchung mag hier abgebrochen werden, da schon die bisher untersuchten Rechtssysteme eine starke Verschi:edenheit in der Behandlung des Rechtsmißbrauchsverbotes aufweisen, die, je weiter die Entfernung zu dem kontinental-europäischen - genauer: mitteleuropäischen - Rechtskreis ist, sich immer deutlicher als hauptsächlich eine Erscheinung von einigen - wenn auch wichtigen - Rechtsordnungen zeigt. Ein kurzer überblick über weitere Stellungnahmen kann diesen Eindruck nur unterstreichen, wobei zusätzlich hervorzuheben ist, daß diese Erörterungen sich fast überwiegend auf solche Rechtsordnungen beziehen, die starken Einflüssen oder Rezeptionsvorgängen durch einige kontinental-europäische Rechtssysteme unterlagen. So betonen beispielsweise die Rechtsordnungen Mexikos, des republikanischen Chinas und Brasiliens304 das subjektive Element der Schadenszufügungsabsicht ohne eigenes Interesse nach dem Vorbild des deutschen § 226 BGB bzw. des österreichischen § 1295 Abs.2 ABGB, während Rechtsordnungen unter dem Einfluß des schweizerischen Rechtes eine ganz generelle Klausel des Verbotes der sittenwidrigen Schädigung kennen305 • Zur letzteren Kategorie ist wohl auch das griechische Bergsträsser, Grundzüge, S. 127 f.; Milliot, Droit Musulman, S. VIII. Siehe hierzu Charles, Droit Musulman, S. 8 f. 301 Bergsträsser, Grundzüge, S. 127 f. 302 Vgl. aber David, Grands Systemes, S. 174, der selbst diesen Vergleich nicht ziehen möchte; auch Charles, Droit Musulman, S. 11 betont die Abwesenheit eines kohärenten Systemes . .lO3 David, Grands Systemes, S.466. 304 Zu Mexiko vgl. Brownlie, Principles, S.365; Iluyomade, Abuse of Right, S.56. Zum republikanischen China Gutteridge, S. 31 Anm.35; Berber, Rechtsquellen, S. 144. Zu Brasilien Peritch, Abus du Droit, S. 769. 305 So für die Türkei Berber, Rechtsquellen, S.145; für Japan Campion, 299

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4. Rechtsmißbrauchsverbot als allgemeiner Rechtsgrundsatz

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Recht zu zählen, wenngleich dessen weite Fassung vom Rechtsmißbrauchsverbot nicht nur das schweizerische ZGB, sondern auch den berühmten Artikel 1 des früheren sowjetrussischen ZGB zum Vorbild hatJ06. Kennzeichnend für einen Großteil der Stellungnahmen ist aber häufig eine Vagheit und Unbestimmtheit, die sich beispielsweise in solchen Formulierungen äußert, es existiere zwar keine generelle Norm des Rechtsmißbrauchsverbotes, aber das Mißbrauchsverbot komme in einzelnen Rechtsbeschränkungen zum Ausdru~. Auch die Äußerungen von Scholtens zum süd afrikanischen Rech~, das ja selbst ein Schmelztiegel verschiedener rechtlicher Einflüsse ist, lassen eher offen, ob das Rechtsmißbrauchsverbot dort als generelle Norm anerkannt ist. 4.3. Ergebnis

4.3.1. Das Fehlen eines Rechtsmißbrauchsverbotes in einigen wichtigen Rechtsordnungen Auch wenn der rechtsvergleichende Überblick hier abgebrochen werden soll und notwendigerweise wohl kaum allen Anforderungen an eine methodisch exakte Rechtsvergleichung genügen konnte, so ergibt doch bereits eine Gesamtschau über die aus dem bisherigen Vergleich gewonnenen Ergebnisse einen guten Eindruck von der stark unterschiedlichen Haltung einzelner Rechtsordnungen gegenüber dem RechtsmißbrauchsverbotJ09. Zwar konnten bei weitem nicht alle und noch nicht einmal alle bedeutenden Rechtssysteme einbezogen werden310, doch erscheint kaum zweifelhaft, daß weiteres Material aus noch unberücksichtigten Rechtsordnungen eher zu Ungunsten der Anerkennung des Rechtsmißbrauchsverbotes als einem überall bestehenden Rechtsgrundsatz ausfallen würde3 11 • Schon bei dem vorliegenden Material erscheinen Exercice, S.259; Gutteridge, Abuse of Rights, S.31 Anm. 35; Sugiyima, Abus du Droit, S.703, 709; anderer Ansicht für Japan Riezler, Rechtsmißbrauch, S.5; Berber, Rechtsquellen, S. 144. 306 Zum Rechtsmißbrauch in Griechenland Fragistas, Rechtsmißbrauch, S. 49 f.; Mantzoufas, Privatrecht, S. 1 f., 9 f.; zur Entstehungsgeschichte und den unterschiedlichen Einflüssen für die Ausbildung des griechischen Rechtsmißbrauchsverbotes s. Plagianakos, Entstehung, S. 118 f. :m Vgl. die Anmerkungen zum Rechtsmißbrauchsverbot in den skandinavischen Staaten bei Campion, Exercice, S. 253 f.; Josserand, Esprit des Droits, S.298; Gutteridge, Abuse of Rights, S.31 Anm.35 und für Spanien bei Campion, Exercice, S. 233 f. 308 Scholtens, Abuse of Rights, S.49. 309 Vgl. hierzu Amiaud, Abus du Droit, S. 779; Merz, Schikaneverbot, S. 172; ebenso Berber, Rechtsquellen, S. 146 f. 310 Für einen zum Teil weitergehenden, aber jeweils sehr kursorischen überblick vgl. Riezler, Rechtsmißbrauch, S.2 f.; Campion, Exercice, S. 248 f.; van Bogaert, Rechtsmisbruik, S. 19 f.; Berber, Rechtsquellen, S. 143. 12 Neuhaus

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4. Kap.: Rechtsmißbrauchsverbot im heutigen Völkerrecht

Versuche, das Rechtsmißbrauchsverbot als allgemeinen Rechtsgrundsatz nachzuweisen, als recht gewaltsam und nicht überzeugend; jedenfalls wird das Ergebnis immer weniger überzeugend, je mehr es die typisch spezifischen Eigenarten von unserem Rechtsdenken fremden Rechtsordnungen unberücksichtigt läßt312 . Die Versuche, jedwede Rechtsbeschränkung als Ausdruck eines generellen Rechtsmißbrauchsverbotes zu deuten, wie das teilweise für das italienische, skandinavische oder angelsächsische Recht gemacht worden ist, enden allenfalls in einem völlig inhaltsleeren Begriff313 , der dann identisch ist mit Gemeinplätzen und Leerformeln wie "die Rechtsausübung hat ihre Grenzen an den Rechten anderer" oder gar "eine Rechtsausübung, die rechtswidrig ist, ist verboten"314. Jedenfalls können derartige Formeln zu einer Konkretisierung des hier gesuchten Mißbilligungstatbestandes des Rechtsmißbrauchsverbotes nichts beitragen. Geradezu falsch müssen aber solche Untersuchungen enden, die gegen den erklärten Widerspruch der nationalen Rechtslehre gleichwohl das Bestehen eines Rechtsmißbrauchsbegriffes behaupten. Vorsichtig geurteilt, kann aufgrund des hier vorgenommenen Rechtsvergleiches zumindest für das angelsächsische Recht, das italienische Recht und das islamische Recht als drei für das Völkerrecht überaus wichtigen Rechtsordnungen festgestellt werden, daß diese ein Rechtsmißbrauchsverbot im Sinne eines allgemeinen Rechtssatzes nicht kennen. Wird als Mindestanforderung für die Existenz eines Rechtsmißbrauchsverbotes eine entweder gesetzliche oder richterrechtlich entwikkelte Generalklausel angenommen, so erhöht sich dieser Kreis wohl noch um die skandinavischen Rechte, Holland und Quebec. Zusätzlich erscheint in manchen Rechtsordnungen die Existenz einer derartigen Generalklausel noch nicht ganz geklärt, und noch nicht einmal innerhalb des kontinental-europäischen Rechtskreises besteht eine einheitliche Anerkennung eines Rechtsmißbrauchsverbotes; ja selbst direkte 311 Hilckman, Gespaltene Welt, S. 135 hebt z. B. hervor, daß die ostasiatische Welt uns in ihrem ganzen Rechtsdenken noch sehr viel ferner steht als die islamische Welt. 312 Vgl. die Bemerkung von Constantinesco, Rechtsvergleichung H, S. 760: "... genauere Kenntnis der Rechtsordnungen hat ... die Rechtsvergleichung gezwungen, die Illusion vom Bestehen rechtlicher Strukturen auf der Grundlage einer universalen Archetypologie aufzugeben. Die institutionelle Parallelität besteht nur in einem sehr allgemeinen und abstrakten Sinne." Ähnlich - wenn auch insgesamt optimistischer - Mosler, Rechtsvergleichung, S.404. 313 Vgl. bei Josserand, Esprit des Droits, S. 315 f.; van Bogaert, Rechtsmisbruik, S. 112. 314 Siehe den Schluß der Abhandlung von Scholtens, Abuse of Rights, S.49: "Abuse of right is essentially an excess of right." Es hilft wenig weiter, wenn er abschließend meint: "What constitutes excess will depend on the nature of the right and the circumstances of the case."

4. Rechtsmißbrauchsverbot als allgemeiner Rechtsgrundsatz

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"Abkömmlinge" einer Rechtsordnung müssen hierin ihrem Mutterrecht nicht unbedingt folgen, wie das Beispiel von Quebec zeigt. Dieses Ergebnis verschlechtert sich noch mit einer weiteren überlegung. Wie z. B. das islamische Recht zeigt, ist die rechtsvergleichende Betrachtung eines derart spezifisch dem europäischen Rechtsdenken entwachsenen Rechtsinstituts aufgrund der völlig verschiedenen Rechtstraditionen des islamischen und des europäischen Rechtes praktisch nicht möglich. Auch wenn manche Ergebnisse bei der Lösung von Rechtskonflikten letztendlich, da ja jede Rechtsordnung der Streitschlichtungund Erhaltung einer gesellschaftlichen Ordnung dient, dem Europäer ähnlich erscheinen, darf die grundverschiedene Technik der Rechtsfindung und Rechtsmethode nicht übersehen werden315. Wenn trotz dieser Argumente und Gedankengänge behauptet worden ist, das Rechtsmißbrauchsverbot sei allen Rechtsordnungen bekannt, so läßt dies entweder auf einen mangelhaft durchgeführten Rechtsvergleich316 oder auf einen - im übertragenen Sinne - Ethnozentrismus schließen, dem ein Blick in einige wichtige europäische Rechtsordnungen genügt und der sich der Eigenart wirklich fremder Rechtsordnungen verschließtJl7. So lange das Völkerrecht im Grunde ein europäisches internationales Recht war, mocht,e eine derartige Haltung verständlich und für den Konsens im Völkerrecht auch unschädlich sein. Vor einigen Jahrzehnten hätte es vielleicht noch genügt, daß ein allgemeiner Rechtssatz lediglich in den wichtigsten europäischen Rechtsordnungen anerkannt war, damit dieser Eingang in das Völkerrecht finden konnte. Heute müssen aber auch die uns fremden Rechtsordnungen der übrigen Staatenwelt in gebührendem Maße berücksichtigt werden. Dann läßt aber ein solcher Rechtsvergleich nur den Schluß zu, daß das Rechtsmißbrauchsverbot keineswegs ein überall anerkannter Rechtsgrundsatz ist und schon aus diesem Grunde nicht über Artikel 38 Abs. 1 Buchst. c) des 315 So schon Roulet, Caractere, S.I11; Merz, Schikaneverbot, S.173, 179. Ganz generell zum Problem der Rechtsvergleichung einzelner Rechtsinstitute bezweifelt Constantinesco, Rechtsvergleichung 11, S. 344, ob es überhaupt universale Zivilrechtsgrundsätze gibt bzw. dies nur um den Preis einer derartigen Abstraktion, daß sie weder in rechtlicher noch in sozialer oder wirtschaftlicher Hinsicht eine Aussage darstellen. 316 Schon Berber, Rechtsquellen, S. 146 beklagt die Sorglosigkeit derjenigen Völkerrechtsschriftsteller, die, ohne viel Quellenforschung zu treiben, die Existenz eines universellen Institutes des Rechtsmißbrauches annahmen. 317 Vgl. Arminjon u. a., Traite, S.60. Zum abus de droit wird dort u. a. ausgeführt: "En etudiant les systemes juridiques d'autres familles, nous verrons que la conception (de l'abus de droit, d. Verf.) que nous venons d'analyser y est souvent adoptee tantöt dans une forme generale, tantöt un moyen de la construction de divers types particuliers de delits civils." - Die erstere Bestimmung führt zu einer Leerformel und die zweite verkennt die unterschiedliche Rechtstechnik der einzelnen Rechtsordnungen. 12·

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4. Kap.: Rechtsmißbrauchsverbot im heutigen Völkerrecht

Statuts IGH für die Entscheidung internationaler Rechtsstreitigkeiten zugrunde gelegt werden kann318•

4.3.2. Das Fehlen einheitlicher Kriterien Noch ein weiterer Einwand muß aber gegen jede voreilige Behauptung des Rechtsmißbrauchsverbotes als einem allgemeinen Rechtsgrundsatz vorg,ebracht werden. Ziel des Rechtsvergleiches war es, aus den nationalen Rechtsordnungen ein oder mehrere Kriterien zu finden, die näher bestimmen, wann nun eine mißbräuchliche Rechtsausübung vorliegt. Solange der eigentliche Mißbilligungstatbestand nicht konkretisiert ist, muß die Behauptung, die mißbräuchliche Rechtsausübung sei vielen Rechtsordnungen untersagt, in dieser Allgemeinheit eine Leerformel bleiben, die keinerlei Anknüpfungspunkte für eine konkrete Streitentscheidung in die Hand gibt. Der Versuch, die in den einzelnen Ländern angewandten Rechtsmißbrauchskriterien auf einen Nenner zu bringen, steht jedoch vor unüberwindlichen Schwierigkeiten. Einmal ist das entscheidende Kriterium die rein subjektive Absicht der Schadenszufügung, mit oder ohne eigenen Vorteil, ein andermal sind es objektive Maßstäbe, die selbst aber wieder außerordentlich differieren können, wie z. B. das Sozialinteresse, das überwiegende Interesse des Geschädigten, der Rechtszweck etc.319 • Diese Verschiedenartigkeit der Kriterien erlaubt nur den Schluß, daß selbst für die nationalen Rechtsordnungen, die ein Rechtsmißbrauchsverbot als generellen Rechtssatz kennen, kein einheitlicher Begriff besteh~. Wenn gleichwohl zuweilen dieser Eindruck erweckt worden ist, dann entweder durch ein einfaches Zugrungelegen der jeweils aus den eigenen nationalen Rechtsordnungen bekannten Rechtsmißbrauchskriterien oder aber durch letztlichen Verzicht auf jede Konkretisierung, die das Rechtsmißbrauchsverbot eben einfach 318 Ago, Delit, S.443; Quadri, Diritto Internazionale, S. 182; Berber, Rechtsquellen, S. 150; Roulet, Caractere, S. 106 f.; Schwarzenberger, International Law and Order, S. 86 f. 319 Diese ganze, sich erst aus einer rechtsvergleichenden Betrachtung voll ergebende Bandbreite der Kriterien, die zum Teil in den verschiedensten Kombinationen in einigen Ländern als Maßstab für die Mißbilligung einer Rechtsausübung und damit zu einem Rechtsmißbrauch führen, ist bereits von anderen Autoren festgestellt worden. Siehe z. B. Amiaud, Rapport General, S. 785; Morin, Observations, S.469; Berber, Rechtsquellen, S. 146 (unter Hinweis auf die dem Verfasser nicht zugängliche Abhandlung von Markovitsch); Schwarzenberger, International Law and Order, S. 86 f. 320 Van Bogaert, Rechtsmisbruik, S.41; schon Riezler, Rechtsmißbrauch, S.2 betont: "Nur eine Untersuchung der Einzelfälle, nicht eine allgemeine Formel kann hier zu richtigen Ergebnissen führen." - Die Verschiedenheit der Kriterien für den abus de droit bei den von ihm untersuchten Rechtsordnungen erkannte auch bereits Josserand, Esprit des Droits, S. 316, hält sie aber nicht für so bedeutend, was nur im Hinblick auf den von ihm gewählten weiten allgemeinen Begriff verständlich ist. Ähnlich Lauterpacht, Function, S. 298.

4. Rechtsmißbrauchsverbot als allgemeiner Rechtsgrundsatz

181

mit der generellen Beschränkung aller subjektiven Rechte - oder um den Ausdruck von Josserand zu benutzen - mit der sogenannten Relativität der Rechte gleichsetzte321•

4.3.3. Zur Bildung eines gemeinsamen Minimums Immerhin bleibt zumindest für die Rechtsordnungen, die ein Rechtsmißbrauchsverbot als generellen Rechtssatz kennen, noch die Frage, ob nicht all diesen Regelungen wenigstens ein gemeinsamer Kern gemeinsam ist, der als konkretes Mißbilligungstatbestandsmerkmal angesehen werden könnte. Läßt sich ein Rechtsgrundsatz durch den Rechtsvergleich der nationalen Rechtsordnungen zwar generell - oder aber wie hier partiell -, aber nicht immer deckungsgleich in demselben Umfange nachweisen, so besteht immerhin eventuell noch die Möglichkeit, einen möglichen gemeinsamen Nenner zu suchen: das sogenannte gemeinsame Minimum des Rechtsgrundsatzes. Wie der Ausdruck Minimum besagt, darf dieses Verfahren aber nicht dazu führen, daß der Rechtsgrundsatz als für alle Länder verbindlich in einem Umfange festgestellt wird, den dieser nicht in allen Rechtsordnungen erreicht. Schon insoweit ist die Bildung eines gemeinsamen Minimums als für das Völkerrecht verbindlich kaum möglich, da - wie oben festgestellt - keineswegs in allen Rechtsordnungen ein allgemeiner Grundsatz des Rechtsmißbrauchsverbotes anerkannt ist. Aber auch für die Rechtsordnungen, die ein Rechtsmißbrauchsverbot kennen, bleibt dieses Verfahren problematisch. Leitlinie für die Bildung eines gemeinsamen Minimums muß nach wie vor die Handlungsfreiheit der Staaten bleiben, da die Staaten der Anwendung von allgemeinen Rechtsgrundsätzen nur insoweit zugestimmt haben, wie ein Rechtsgrundsatz tatsächlich in der zumindest überwiegenden Zahl der wichtigsten Rechtsordnungen nachweisbar ist. Diese Zustimmung bezieht sich aber nicht nur auf den Nachweis überhaupt, sondern auch auf den Umfang des Rechtsgrundsatzes, soweit dieser - was regelmäßig der Fall ist - die Handlungsfreiheit der Staaten zu beschränken geeignet ist. Die Bestimmung eines gemeinsamen Minimums in diesem Sinne für die verschiedenen Rechtsmißbrauchskriterien in den einzelnen Ländern erscheint jedoch kaum möglich. Voraussetzung dazu wäre die Möglichkeit, die einzelnen Kriterien in eine graduelle Abstufung bezüglich ihrer Einwirkung auf die Beschränkung der Handlungsfreiheit zu bringen, wie dies beispielsweise für die verschiedenen Schuldformen - leichte Fahrlässigkeit, grobe Fahrlässigkeit, Vorsatz, Absicht - denkbar ist. Dagegen lassen sich Maßstäbe wie. der Interessenausgleich zwischen 321 Vgl. Josserand, Esprit des Droits, S. 414 f.; Schindler, Rechtsmißbrauch, S. 38; van Bogaert, Rechtsmisbruik, S. 112.

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4. Kap.: Rechtsmißbrauchsverbot im heutigen Völkerrecht

dem Schädiger und dem Geschädigten, der antisoziale Gebrauch allgemein, die Absicht der Schadenszufügung ohne eigenes Interesse, die Verwerflichkeit der Zweck-Mittel-Relation usw. schwerlich im Sinne einer Abstufung miteinander vergleichen. Erfolgt die Orientierung streng am Maßstab der Handlungsfreiheit, so könnte wohl allenfalls, die eigentliche Unvergleichbarkeit der Kriterien einmal hintangestellt, die reine Schadenszufügungsabsicht ohne eigenes Interesse als Minimum betrachtet werden322 • Mit dieser Lösung stünde der Völkerrechtler jedoch wohl bald vor demselben Dilemma wie die deutsche Zivilrechtslehre nach Einführung des § 226 BGB. Zwar hätte man einen gemeinsamen Begriff des Rechtsmißbrauchsverbotes, seine Anwendungsmöglichkeiten wären jedoch nur allzu beschränktJ23. Wann könnte schon die reine Absicht der Schadenszufügung nachgewiesen werden? Und könnte nicht jeder Staat trotz alledem ein irgendwie geartetes Interesse an der Rechtsausübung bekunden? Das Schicksal des § 226 BGB zeigt, daß eine solche Bestimmung tatsächlich wohl, da praktisch nie zum Zuge kommend, überflüssig wäre. Und selbst bei diesem Kriterium wäre eine weitere Gefahr nicht ausgeschaltet, die bei allen diesen materialen Kriterien des Rechtsmißbrauches hinsichtlich ihrer Anwendbarkeit besteht und es selbst bei einer verbalen übereinstimmung in den Kriterien für ein Rechtsmißbrauchsverbot fraglich erscheinen läßt, ob damit bereits tatsächlich ein anwendbarer allgemeiner Rechtsgrundsatz gewonnen wäre. Bei der rechtsvergleichenden Untersuchung ist bei der Behandlung des sozialistischen und des islamischen Rechtes schon auf ein Problem aufmerksam gemacht worden, dem bisher wohl noch zu wenig Beachtung geschenkt worden ist. So lange nämlich verschiedene Rechtskreise völlig verschiedenen ethischen Postulaten und Werten folgen, muß die Frage gestellt werden, ob angesichts dieses Sachverhaltens ein materiales Gerechtigkeitsprinzip wie das Rechtsmißbrauchsverbot, das seine Funktion immer nur jeweils nach den Maßstäben der zugrundeliegenden Rechtsordnung haben kann, als allgemeiner Rechtsgrundsatz überhaupt im derzeitigen Völkerrecht möglich isp24. Die allgemeinen Rechtsgrundsätze verweisen ja tatsächlich über die Rechtsordnung des Völkerrechts hinaus auf eine andere Wertordnung - nämlich die gemeinsamen Rechtswerte aller Nationen. Eine verbale übereinstimmung darüber, die Rechtsausübung dürfe nur in übereinstimmung mit bestimmten materialen Gerechtigkeitskriterien erfolgen, könnte aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß über die verbale Gemeinsamkeit hinaus noch keineswegs 322 323 324

Amiaud, Abus du Droit, S. 780 f.; Berber, Rechtsquellen, S. 150. Amiaud, Abus du Droit, S.781. Dies deutet auch Friedmann, Uses, S.287 Anm.22 an.

5. Ergebnis: Nichtexistenz eines Rechtsmißbrauchsverbotes

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eine gemeinsame Wertordnung vorhanden sein muß325. Die Beurteilung des Zweckes einer Rechtsausübung, auch und gerade im internationalen Bereich, kann außerordentlich divergieren326, und was in einem sozialistischen Land als eine dem Recht gemäße oder gar vom Recht gebotene Handlung erachtet wird, kann in einem westlichen oder islamischen Recht durchaus als verwerflich angesehen werden. Innerhalb der einzelnen Rechtsordnung sind bis zu einem gewissen Maße derart vage Generalklauseln funktional und sinnvoll, die Übertragung solch "wertgeladener" materialer Prinzipien auf ein völlig anderes Rechtsverständnis kann dagegen zu völlig anderen, geradezu konträren Ergebnissen führen3Z7 • Die Möglichkeit einer solchen "Umwertung" ist praktisch bei allen der in den einzelnen Rechtsordnungen anerkannten Kriterien des Rechtsmißbrauches möglich. Hieraus resultiert zu Recht die Skepsis einiger Autoren bezüglich der Anerkennung der allgemeinen Rechtsgrundsätze überhaupt im Völkerrecht328 • Dies berührt aber ein Problem, das über den speziellen Rechtsmißbrauchsnachweis hinausführt und die allgemeine Struktur des heutigen Völkerrechts berücksichtigen muß. Als Ergebnis der Untersuchung, inwieweit das Rechtsmißbrauchsverbot als allgemeiner Rechtsgrundsatz im Sinne von Artikel 38 Abs. 1 Buchst. c) des Statuts IGH gesehen werden kann, ist daher festzuhalten, daß ein solch genereller Rechtssatz keineswegs Bestandteil auch nur der meisten wichtigsten Rechtsordnungen ist, und selbst für die Rechtsordnungen, die das Rechtsmißbrauchsverbot in irgendeiner Form anerkennen, nicht einheitlich festgestellt werden kann. 5. Ergebnis: Die Nichtexistenz eines Rechtsmißbrauchsverbotes als allgemeine Völkerrechtsnorm Damit zeigt sich, daß im heutigen positiven Völkerrecht eine Generalnorm, die ein Rechtsmißbrauchsverbot ausspricht, weder Bestandteil des völkerrechtlichen Vertragsrechts noch des Völkergewohnheitsrechts ist und auch nicht über die Konstruktion der allgemeinen Rechtsgrundsätze Eingang in das Völkerrecht gefunden hat. Eine Norm mit dem 325 Friedmann, Structure, S. 199.

326 Schiedermair, Verbot, S. 161 weist daher zu Recht auf die Gefahr hin, "daß Versuche, den Grundsatz des Mißbrauchsverbotes in der völkerrechtlichen Praxis zu konkretisieren, nur allzuleicht dem bedrohlichen Diktat der mächtigen Staaten ausgesetzt sind ...". 3T1 So schon Gutteridge, Abuse of Rights, S. 44; Friedmann, Structure, S. 199; Herczegh, General Principles, S.94; vgl. auch Constantinesco, Rechtsvergleichung 11, S. 344, der betont, daß die Grundsätze nicht losgelöst von den einzelnen Rechtsordnungen gesehen werden können; ähnlich auch Großfeld, Probleme, S.I1. 328 Vgl. Francois, Regles Generales, S. 177.

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4. Kap.: Rechtsmißbrauchsverbot im heutigen Völkerrecht

Inhalt, daß der Mißbrauch eines Rechtes verboten und deshalb völkerrechtswidrig ist, ist nicht Bestandteil des heutigen positiven Völkerrechtg329. Dieses Ergebnis kann nur für den schockierend sein, der das Rechtsmißbrauchsverbot mit jeder irgendwie gearteten Beschränkung subjektiver Rechte und sein Fehlen mit einer geduldeten, schrankenlosen Ausübung dieser subjektiven Rechte gleichsetzt. Eine derartige Situation hat nie bestanden und wäre mit dem Begriff einer Rechtsordnung auch schwerlich zu vereinbaren. So kann aus der Negativ-Feststellung vom Rechtsmißbrauchsverbot im Völkerrecht auch nicht gefolgert werden, das Völkerrecht erkenne alle subjektiven Rechte als absolut an. Dies ist ganz offensichtlich nicht der Fall. Das Völkerrecht bedient sich zur Beschränkung der subjektiven Rechte lediglich nicht wie ein Gutteil der nationalen Rechtsordnungen auch - der generellen Norm des Rechtsmißbrauchsverbotes330, sondern bestimmt vorzugsweise für die jeweilige spezielle Rechtsmaterie den Umfang der bestehenden Rechte im Einzelfall oder aber arbeitet zur Bestimmung der Grenzen eines subjektiven Rechtes mit anderen Rechtstechniken. Dieser Schluß dürfte im übrigen weit wirklichkeitsnäher sein als das bisher in der Völkerrechtspraxis noch nicht beobachtete Hantieren mit einem solch vagen Begriff wie dem Rechtsmißbrauchsverbot. Ist in einem konkreten Streitfall die Grenze der Rechtsausübung streitig, da tatsächlich noch kein einheitlicher Brauch bzw. kein anerkannter Rechtsgrundsatz zur Bestimmung der Grenzen des subjektiven Rechtes zur Anwendung gekommen ist, erscheint es weit wahrscheinlicher, daß die Bestimmung der Grenze des streitigen Rechtes, wie z. B. des Nachbarrechtes, des Flußrechtes oder ähnliches, aus dem in Frage stehenden Recht selbst versucht wird. Hierüber kann mit Sicherheit weit eher Einigkeit erzielt werden als über den Umfang und Inhalt eines so generellen, wertbeladenen Prinzips wie des Rechtsmißbrauchsverbots.

329 330

So auch Roulet, Caractere, S. 97, 149 f.; Bauer, Entführung, S. 114. So auch Roulet, Caractere, S. 112.

Fünftes Kapitel

Zu den Bedingungen für ein Rechtsmißbrauchsverbot im zukünftigen Völkerrecht 1. Vorbemerkung

Wohl wenige Rechtssätze sind so häufig zitiert worden, so sehr auch als Möglichkeit für die Herausgestaltung eines neuen, sozialen Völkerrechts herausgestellt worden und in der Völkerrechtspraxis so wenig fruchtbar gewesen, wie gerade das Rechtsmißbrauchsverbot. Die bisherige Untersuchung hat deutlich gemacht, daß das Rechtsmißbrauchsverbot weder bereits apriori als für das Völkerrecht gültig proklamiert noch bereits als positive Norm des heutigen Völkerrechts empirisch nachgewiesen werden kann. Bei dieser Feststellung stehen zu bleiben, ist jedoch unbefriedigend, und es soll zumindest angedeutet werden, warum diese Entwicklung des Rechtsmißbrauchsverbotes im Völkerrecht nicht stattgefunden hat und bis heute wohl auch nicht stattfinden konnte, bzw. welche Voraussetzungen gegeben sein müßten, um in Zukunft die Herausbildung des Rechtsmißbrauchsverbotes im Völkerrecht zu ermöglichen. Denn die Nichtanerkennung bzw. Nichtexistenz des Rechtsmißbrauchsverbotes als einen generellen Rechssatz des allgemeinen Völkerrechtes kann nicht dahingehend interpretiert werden, es bestünde in dem heutigen Völkerrecht gar kein prinzipieller Bedarf nach solchen Grundsätzen. Es erscheint durchaus unbefriedigend, daß das Völkerrecht für die Fälle, in denen ein Rechtsmißbrauchsverbot in einigen nationalen Rechtsordnungen streitentscheidend eingreifen kann, gegebenenfalls keine entsprechende Lösungsmöglichkeit kennt und dabei auch nicht unbedingt auf andere Rechtstechniken, wie dies z. B. im italienischen und angelsächsischen Recht möglich ist, zurückgreifen kann. Die wiederholten Bemühungen der Völkerrechtslehre dürfen durchaus als Ausdruck dafür gewertet werden, wie wünschenswert es wäre, zu einer Begrenzung der Rechtsausübung mit Hilfe eines irgendwie gearteten Rechtsmißbrauchsverbotes zu kommen, schon um im Zweifelsfall auf den Rekurs auf das Prinzip der Handlungsfreiheit der Staaten verzichten zu können. Wenn es also bis heute noch nicht zu einer Herausbildung eines Rechtsmißbrauchsverbotes im Völkerrecht

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5. Kap.: Bedingungen für ein Rechtsmißbrauchsverbot

gekommen ist, kann dies nicht von vornherein mit einem fehlenden Bedarf des Völkerrechtes nach einer solchen Möglichkeit begründet wer. den. Ebensowenig kann der Grund hierfür in einer mangelhaften Durchdringung und Begründungsmöglichkeit des Rechtsmißbrauchsverbotes als einer rechtlichen Theorie gesehen werden, da das Völkerrecht bei entsprechendem Bedürfnis sich der einen oder anderen Lösung hätte anschließen können. Das Ergebnis, daß das Völkerrecht ein Rechtsmißbrauchsverbot als materiales Gerechtigkeitsprinzip zur Begrenzung der Rechtsausübung nicht kennt, obwohl dies bei dem derzeitigen Normenbestand durchaus als Mangel empfunden wird, wirft damit die Frage nach der Möglichkeit und Anwendbarkeit von materialen Generalklauseln im Völkerrecht überhaupt auf. Die Antwort hierauf wird zeigen, wie eng damit verbunden das Problem ist, inwieweit die Unmöglichkeit des Rechtsmißbrauchsverbotes als einem allgemeinen Rechtsgrundsatz im Sinne des Art. 38 Abs. 1 Buchst. c) des Statuts IGH nachzuweisen, nicht bereits durch das Konzept der allgemeinen Rechtsgrundsätze bei der derzeitigen Struktur des Völkerrechts bedingt ist. Eine Beantwortung dieser beiden Fragen kann erst die Vorbedingungen aufzeigen, unter denen ein Rechtsmißbrauchsverbot auch im Völkerrecht denkbar - wenn auch nicht notwendig! - sein kann. 2. Der Rechtsmißbrauch als Problem der Generalklauseln im Völkerrecht 2.1. Der Konsens als Grundlage der Generalklauseln Ohne hier eine nähere Begründung liefern zu können, müssen die sogenannten Generalklauseln als tatsächlich jeglicher Rechtsordnung, gleich welchen Entwicklungsstandes, mehr oder weniger inhärent angesehen werden; und diese Generalklauseln sind positiv - und nicht nur Ideen -, soweit sie Kommunikation und Kontrolle ermöglichen!. Wie bei allen Generalklauseln setzt die Anwendung einer materialen Generalklausel wie des Rechtsmißbrauchsverbotes den Konsens oder zumindest die Konsensfähigkeit bei der Interpretation voraus. Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich um einen tatsächlich vorhandenen, aufgrund einer gewissen Homogenität der Rechtsgenossen gebildeten, oder nur um einen institutionell durchgesetzten Konsens handelt, so lange im Ergebnis eine gewisse Homogenität der Rechtsanschauung gewährt bleibt. So kann sich der Gesetzgeber der hochentwickelten Rechtssysteme, soweit - wie in pluralistischen Systemen weitgehend sogar prak! Hasserner, Begriff, S. 112 f.

2. Der Rechtsmißbrauch als Problem der Generalklauseln

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tisch vorausgesetzt - ein tatsächlicher Konsens nicht vorhanden oder feststell bar ist, eines Rechtsanwendungsmechanismus bedienen, für dessen Entscheidungen Konsensfähigkeit institutionalisiert ist. Dabei stellt sich das Problem der Konsensfähigkeit einer generellen Rechtsnorm um so stärker, je materialer, also wertgebundener eine Generalklausel ist. Daher können Generalklauseln, die losgelöst vom Inhalt des zu regelnden Sachverhaltes auf eher formale Kriterien zurückgreifen, eher Zustimmung erwarten, wie z. B. die Verjährungs- und Verwirkungsvorschriften, die maßgeblich an einen bestimmten Zeitablauf anknüpfen. Je mehr die Generalklausel aber gerade dazu dienen soll, zwischen Wertkonflikten Entscheidungshilfe zu sein, um so mehr muß ein das Rechtssystem tragender weltanschaulicher Grundkonsens vorhanden sein. Nur durch ein einheitliches Sinnverständnis aufgrund gemeinsamer Rechtstradition, die im innerstaatlichen Recht auch durch eine einheitliche Juristenausbildung gefördert wird2, und durch ein Minimum an gemeinsamem Wertbewußtsein werden die Voraussetzungen geschaffen für eine vom Konsens getragene Interpretation der materialen Generalklauseln, die dadurch auch eine gewisse Beständigkeit bewahren. Entscheidend für die Anwendung von Generalklauseln mit materialem Gehalt ist daher in dem Moment, wo die Homogenität und Statik einer einfach strukturierten Gesellschaft verlorengegangen ist und eine Rechtsordnung pluralistisch das Nebeneinander verschiedener Weltanschauungen umfassen will, eine allgemein anerkannte, autoritative und autorisierte Rechtsprechung. Die Anerkennung einer solchen Rechtsprechung ist damit gewissermaßen der rein formale Ausdruck oder auch nur Ersatz eines über allen Wertvorstellungen vorhandenen gesellschaftlichen Grundkonsenses. Durch eine Vielzahl von Fällen kann eine Generalklausel aufgrund der Gerichtspraxis häufig schnell zu Typisierungen und Standardisierungen führen, so daß dem Erfordernis der Rechtssicherheit insoweit wieder Rechnung getragen wird. Andererseits ist durch die Interpretationsweite der Generalklauseln die Möglichkeit gegeben, den jeweiligen Wertvorstellungen entsprechend, individuelle Gerechtigkeit zu gewähren. Angesichts dieser Bedeutung der Rechtsprechung bei der Anwendung von Generalklauseln überrascht es nicht, daß die Herausformung eines Rechtsinstitutes wie des Rechtsmißbrauchsverbotes fast ausschließlich das Verdienst der Rechtsprechung ist - wie z. B. in Frankreich oder aber bezüglich des weiteren Rechtsmißbrauchsbegriffes auch für Deutschland - oder ihr ausdrücklich übertragen wurde, wie z. B. in der Schweiz oder auch in Sowjetrußland. In einer Rechtsordnung wie dem CommonLaw-System stellt sich das Problem der Gewährung und Wahrung von In2

Esser, Vorverständnis, S.29.

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5. Kap.: Bedingungen für ein Rechtsmißbrauchsverbot

dividualgerechtigkeit nicht in dieser Schärfe, da hier ohnehin schon immer der Rechtsprechung bei der Gestaltung des Rechtes der Vorrang eingeräumt war. Soweit in einer Gesellschaft oder Rechtsgemeinschaft völlig einheitliche Wertvorstellungen herrschen - unabhängig von wem diese ausgehen; sie mögen auf einer breiten Basis beruhen oder aber auch von "oben" oktroyiert sein -, ist die Anwendung von Generalklauseln überhaupt kein Problem. Eine an diesen Wertvorstellungen orientierte Auslegung wird schon deshalb Zustimmung finden, weil fast jedes andere Mitglied der Gesellschaft zu dem gleichen Ergebnis hätte kommen müssen. Mit anderen Worten: Je größer die Homogenität in den allgemeinen Wertvorstellungen, desto unbedenklicher ist die Anwendung von Generalklauseln auch ohne allzu feste Institutionalisierung. Wo diese Homogenität nicht mehr in diesem Ausmaß vorhanden ist, muß sie sich Jedoch zumindest in der Anerk~mnung eines Rechtsprechungsmonopols und der Verbindlichkeit der von der Rechtsprechung gefällten Entscheidungen treffen. Wo beides nicht vorhanden ist, scheint für die Anwendung von Generalklauseln nur wenig und ein zudem schwankender Boden vorhanden zu sein3• 2.2. Die Heterogenität der Staatengemeinschaft

Diese Überlegungen auf das Völkerrecht übertragen, stellt sich sofort die Frage, ob in dem heutigen Völkerrecht von einem gemeinsamen Grundkonsens ausgegangen werden kann. Spätestens mit der Ausweitung des Kreises der Völkerrechtssubjekte über die europäischen Staaten hinaus existiert für das Völkerrecht das Problem, inwieweit Staaten mit gemeinsamen oder verwandten Rechtstraditionen oder aufgrund ihrer geographischen Verwandtschaft oder aufgrund gemeinsamer Weltanschauung jeweils einen eigenen Rechtskreis oder Rechtsschulen bilden4• Die Feststellung, es gebe doch die Staatengemeinschaft, die alle Staaten umfaßt, darf nicht dazu führen, dieser Gemeinschaft über das bloß formale Kriterium der Zugehörigkeit aller Staaten hinaus sofort auch ein einheitliches Wertbewußtsein zu unterschieben5• Vor allem mit der Herausbildung der sozialistischen Staatenwelt und der Entstehung der sogenannten Dritten Welt im Zuge der Entkolonialisierung sind 3 Vgl. zu der Problematik der (innerstaatlichen) Gesetzestechnik mit Generalklauseln in Zeiten eines uneinheitlichen Wertbewußtseins der Rechtsgemeinschaft: Rüthers, Auslegung, S. 422, 436. 4 Vgl. Alvarez, Droit International, S.464. 5 Dies scheint Andrassy, Einheit, S. 1 ff. zuwenig zu berücksichtigen. Auf den Gefühlswert solcher Begriffe wie Staatenfamilie und Völkergemeinschaft verweist Baum, Soziologische Begründung, S.266; ähnlich Jenks, New World, S.17; s. auch Hoffmann, Brauchbarkeit, S. 364.

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diese Probleme und vor allem die Frage nach der Einheit der Völkerrechtsordnung mit aller Schärfe deutlich geworden6 • Während die, die alte Tradition bewahrende, sogenannte westliche Völkerrechtslehre weiterhin an der Idee eines gemeinsamen Völkerrechts aller Staaten festhalten will, was sich auch darin äußert, daß in den gängigen Völkerrechtsdarstellungen des westlichen Völkerrechtskreises auf die Herausbildung des sozialistischen Völkerrechts oder anderer Völkerrechtskreise oft erstaunlich wenig eingegangen wird, vertreten die sozialistischen Staaten nach mehreren Schwankungen7 offen die These, "daß sich auf einem Gebiet wie dem der VölIrerrechtswissenschaft, ... die antagonistischen ideologischen Klassenpositionen der marxistisch-leninistischen Völkerrechtswissenschaft einerseits und der bürgerlichen (imperialistischen) Völkerrechtslehre andererseits mit aller Schärfe gegenübertreten"8. Zu dieser seit längerem bestehenden Zweiteilung sind nunmehr die sogenannten Staaten der Dritten Welt getreten, die sich nur schwer in ein Schema einpressen lassen und eher wenn auch selbst noch sehr uneinheitlich und kaum genügend artikuliert - einem eigenen Rechtskreis zuzuordnen sind9 • Wird hierzu noch die immer tiefer gehende Spaltung zwischen den sozialistischen Blöcken Moskaus einerseits und Chinas andererseits einbezogen, so wird bereits eine Heterogenität des Völkerrechtes sichtbar10, deren Grenzlinien zwar nicht immer eindeutig zu erfassen sind, von der das politische Tagesgeschäft aber genügend Beweise liefert. Angesichts dieser tiefgreifenden Spaltung und den bisweilen offen feindselig sich gegenüber stehenden Blöcken von grundlegend verschiedener Ideologie und! oder ÖkonomieIl 6 Für viele McWhinney, Conflit Ideologique, S.43; Hilckman, Gespaltene Welt, S. 137; vgl. auch die Unterteilung bei Arzinger, Selbstbestimmungsrecht, S. 112 f. für ein so materiales Prinzip wie das Selbstbestimmungsrecht. 7 Zur Entwicklung der sowjetischen Völkerrechtslehre vgl. Bracht, Entwicklung, S. 1 ff.; ders., Grundlagen, S. 19 ff.; Schweisfurth, Sozialistisches Völkerrecht, S.46 f. 8 So DDR-Lehrbuch Völkerrecht I (1. Aufl.), S. 144. Gegen die überbetonung des sozialistischen Völkerrechts als einem "neuen Völkerrecht" s. auch Schweisfurth, Sozialistisches Völkerrecht, S. 539 f.; zum instrumentalen Charakter des Völkerrechts aus sozialistischer Sicht vgl. Hoffmann, Brauchbarkeit, S. 366 ff. 9 Vgl. die Einteilung bei Rudolf, Neue Staaten, S. 6 f., 21; aus sozialistischer Sicht DDR-Lehrbuch Völkerrecht I (1. Aufl.), S. 153 f. Zur Problematik der Dritten Welt als eigenem Völkerrechtskreis Schröder, Dritte Welt, S. 68 f. 10 Zur Heterogenität der Völkerrechtsgemeinschaft s. Rudolf, Neue Staaten, S.21. 11 Sicherlich darf das Völkerrecht nicht schablonenhaft in zwei oder drei Teile geteilt werden, wie dies bisweilen der Fall war, da nicht zu übersehen ist, daß in weiten Bereichen durchaus Gemeinsamkeiten bestehen. So auch Hoffmann, Bedeutung, S. 30 f.; ebenso Kimminich, Einführung, S. 76 f.; vgl. aber Kordt, Weltherrschaftsstreben, S. 178 f.

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5. Kap.: Bedingungen für ein Rechtsmißbrauchsverbot

erscheint die früher übliche Einteilung in verschiedene Völkerrechtskreise, die sich hauptsächlich auf die verschiedenen Traditionen des europäischen Rechts stützte und im wesentlichen den angelsächsischen, den kontinental-europäischen und den lateinamerikanischen sowie allenfalls noch den islamischen Rechtskreis unterschied, heute fast irrelevant l2 • Auch der Hinweis auf die großen Kodifikationsbemühungen 13 oder auf die teilweise große Übereinstimmung bei der Verabschiedung von UN-Vollversammlungs-ResolutionenI4 hilft über die tiefgreifenden Divergenzen in den völkerrechtlichen Anschauungen nicht hinweg und kann auch nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Einigung auf den bloßen Wortlaut noch nicht immer eine Einigung in der Sache bedeutet l5 • So können z. B. derartige Kodifikationskonferenzen durchaus als Ausdruck des Bewußtseins von der Heterogenität des Völkerrechts gedeutet werden: Durch das Fehlen gemeinsamer Rechtsanschauungen wird die Bedeutung des Völkergewohnheitsrechtes und der allgemeinen Rechtsgrundsätze mehr und mehr zurückgedrängt, und es bleibt als einzige Grundlage der Verständigung der Verweis auf den geschriebenen Buchstaben - der dabei oft genug die Divergenzen nicht auflöst, sondern nur verdeckt. So ist selbst der Verweis auf die Existenz so vieler völkerrechtlicher multilateraler Verträge noch kein zuverlässiger Beweis für eine zunehmende Einheit des Völkerrechtes. Sie scheinen vielmehr Zeichen dafür zu sein, daß für die notwendigen Beziehungen der Staaten untereinander Einzelregelungen möglich und nötig sind, und dies um so eher, als es sich um mehr technische Fragen wie das Zustandekommen von Verträgen, Diplomatenschutz usw. handeIti6. Die Einheit über die großen materialen Grundprinzipien wie die Koexistenz, Souveränität, Nichteinmischung, Aggression o. ä., deren hoher Abstraktionsgrad erst ausfüllungsbedürftig ist und zur Lösung konkreter Rechtsprobleme nicht geeignet ist, endet dagegen spätestens mit ihrer Auslegung, zumal wenn offen betont wird, daß gleichnamige Grundsätze verschiedenen Inhalt haben können l7 • Wo eine solche Heterogenität der Grundvorstellungen vorhanden ist, ist für eine materiale Generalklausel 18 - wie das Rechtsmißbrauchsverbot - kein Platz, da die Anwendungsmöglichkeiten eines Rechtsmißbrauchsverbotes immer gerade in der Konfliktsituation verschiedener Wertvorstellungen liegt. Bei der bestehenden Heterogenität des Völkerrechts darf es jedoch bei 12

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Vgl. hierzu auch Mahnke, Einheit, S. 47. Andrassy, Einheit, S.3 f. Vgl. Rabl, Völkerrechtsgrundlagen, S. 141. Innsoweit ist Rabl, Völkerrechtsgrundlagen, S. 141 f. wohl zu optimistisch. Hoffmann, Bedeutung, S.31; s. auch Mahnke, Einheit, S.63. Vgl. hierzu Schweisfurth, Sozialistisches Völkerrecht, S. 292 f. Vgl. Hoffmann, Verantwortung, S. 106.

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den Ordnungsnormen des universellen Völkerrechtes nicht auf das Bewußtsein einer gemeinsamen Wertvorstellung ankommen l9 • 2.3. Die Schwäche der internationalen Gerichtsbarkeit

Eine materiale Generalklausel wie das Rechtsmißbrauchsverbot könnte angesichts der Heterogenität des Völkerrechts und der daraus resultierenden Unmöglichkeit, über den Inhalt und die Tragweite einer solchen Norm allgemeinen Konsens zu finden, nur dann einen Platz in einer Völkerrechtsordnung haben, wenn seine wertorientierte offene Auslegung durch eine autoritative Rechtsprechung gesichert werden könnte, wie dies z. B. am deutlichsten im schweizerischen Recht der Fall warn. Wenn demnach im Völkerrecht für die Auslegung von materialen Generalklauseln nicht von einem tatsächlich vorhandenen Grundkonsens der Rechtsgenossen ausgegangen werden kann, dann müßte, soll eine solche Generalklausel nicht ein toter oder beliebig interpretierbarer Buchstabe bleiben, im Völkerrecht zumindest eine den Konsens erzwingbare und konstituierende Instanz wie z. B. ein Gesetzgeber oder aber Gerichte vorhanden sein. Da eine internationale Gesetzgebungsinstanz offensichtlich nicht besteht, bleibt die Frage, ob die Entwicklung der internationalen Gerichtsbarkeit bereits ein Stadium erreicht hat, das eine Herausformung des Rechtsmißbrauchsverbotes als einen generellen Maßstab für die Grenzen der Rechtsausübung überhaupt möglich erscheinen läßt. Über die wenig befriedigende Entwicklung und heutige Bedeutung der internationalen Gerichtsbarkeit im Völkerrecht ist bereits ausreichend diskutiert worden und an Vorschlägen zur Stärkung und zum Ausbau der internationalen Gerichtsbarkeit hat es bislang nicht gefehlt21 , ohne daß jedoch - selbst soweit diese Vorschläge Berücksichtigung fanden - diese zu entscheidenden Verbesserungen geführt hätten. Wenn als Gründe für diesen unbefriedigenden Zustand immer wieder das mangelnde Obligatorium, der Streit um die Grenzen der Justiziabilität, des non liquet oder ähnliche Streitpunkte ins Feld geführt werden22 , so sind diese Gründe offensichtlich nur vorgeschoben Ähnlich Mahnke, Einheit, S.62. Dies ist die Frage nach der Funktion des Rechtsmißbrauches als einer Ermächtigungsnorm im Sinne von Merz, Schikaneverbot, S. 170; ders. in Berner-Kommentar, Artikel 2, S.234. Auf die Bedeutung des Vertrauens in die Justiz bei der Anwendung des Rechtsmißbrauchsverbotes verweist auch Fragistas, Rechtsmißbrauch, S.56: "Gefährlich ist aber das ganze Institut des Rechtsmißbrauches. Wenn man einmal zu dem Richter Vertrauen hat, dann darf man auch nicht vor dem Gebiet der Betätigungen im Bereich der allgemeinen Freiheit Halt machen" (zum Rechtsmißbrauch im griechischen Recht). 21 Vgl. hierzu Hoffmann, Grenzen, S. 6 f., 20 f. 22 Vgl. hierzu die übersichten bei Hoffmann, Grenzen, S. 25 f., 28 f., jeweils mit weiteren Hinweisen. 19

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für den dahinterstehenden Unwillen der Staaten, sich ihrer Souveränität, verstanden als möglichst weitgehende Handlungsfreiheit, zu begeben. Die Hoffnungen nach dem Ersten Weltkrieg, daß die Staaten zum Wohle aller bereit wären, sich wirklichen völkerrechtlichen Gemeinschaftsorganen zu unterstellen, hat getrogen. Der verstärkte, von vielen als anachronistisch empfundene, jedoch ideologisch bedingte Rückgriff auf ein besonders betontes Souveränitätsdenken bei den sozialistischen Staaten23 und den neu entstandenen Staaten der sogenannten Dritten Welt24 kann einer Rechtsprechung nur mit Mißtrauen gegenübertreten2S , wenn diese Rechtsprechung den Anspruch erhebt, nach allgemeinem anerkannten Völkerrecht zu entscheiden. Der Grund für dieses Mißtrauen dürfte hierbei weniger in dem angeblich konservativen Normenbestand des allgemeinen Völkerrechtes an sich liegen26 als vielmehr in der skeptischen Haltung sowohl des sozialistischen Völkerrechtskreises wie auch der Neustaaten gegenüber diesem tradierten Normenbestand27 • Im Bewußtsein dieser skeptischen bis ablehnenden Haltung gegenüber einer Rechtsprechung, deren Ergebnisse oft kaum vorhersehbar, zumindest aber immer heftig umstritten sind, ist es natürlich auch für ein internationales Gericht schwer, Recht zu sprechen. Wer fürchten muß, daß seine Entscheidungen sowohl bei den Streitparteien als auch zugleich bei einem großen Teil der übrigen Rechtsgenossen nicht nur auf Kritik, sondern auf direkte Ablehnung stoßen, wird nur vorsichtig, wenn überhaupt versuchen, diese Entscheidung auf ohnehin umstrittene, ausgesprochen "wertbeladene" Grundsätze zu stützen. Schon Politis hatte somit mit seiner Bemerkung recht, daß die wahre Basis der Gerichtsbarkeit das Vertrauen sei28 • Dieses Vertrauen läßt Hoffmann, Brauchbarkeit, S.370. Hoffmann, Grenzen, S. 13, 19; zur skeptischen Haltung der Staaten der Dritten Welt vgI. auch Schröder, Dritte Welt, S.43; Rudolf, Neue Staaten, S. 20. - Im übrigen ist sowohl dem sozialistischen Völkerrecht wie auch den völkerrechtlichen Anschauungen vieler Staaten der Dritten Welt das verstärkte Betonen des Souveränitätsdogmas gemeinsam, das sich - ähnlich wie im klassischen Völkerrecht - mit der Anerkennung eines Rechtsmißbrauchsverbotes nur schwer vereinbaren läßt; Mahnke, Einheit, S. 38 nennt die Haltung dieser Staaten zum Souveränitätsdogma geradezu konservativ klassisch. 2S McWhinney, World Court, S. 166. 2.6 Zum Zusammenhang zwischen dem konservativen Normenbestand und der Nichtinanspruchnahme der Gerichte Hoffmann, Grenzen, S. 11 f.; Gessner, Richter, S. 100. 27 VgI. hierzu auch Menzel/ Ipsen, S. 500 f.; zu diesem Zusammenhang auch Hoffmann, Grenzen, S. 11 f. (für die Staaten der sogenannten Dritten Welt); zum Drängen der Staaten der Dritten Welt auf Neuinterpretation und Fortentwicklung des Völkerrechtes vgI. Schröder, Dritte Welt, S.43; ders., Verhältnis, S. 72 f.; zur Haltung der Sowjetunion zum Internationalen Gerichtshof vgI. Uschakow, Beilegung, S. 235 f. 28 Politis, Nouvelles Tendences, S. 195; s. auch Cheng, General Principles, S. 251 f. 23

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sich aber nicht proklamieren, sondern nur im Interaktionsprozeß gewinnen. Hier wird deutlich, daß auch die Rechtsprechung als autoritative Rechtsanwendung abhängig ist von einem Minimum an Konsens der Rechtsgenossen. Soweit ein solcher Konsens noch nicht hergestellt ist, zeugt die Ablehnung einer obligatorischen Gerichtsbarkeit auch von dem Gespür dafür, daß Rechtsentscheidungen eben keineswegs objektiv richtige und wahre Entscheidungen sind, sondern Wertentscheidungen, die letztlich zugunsten dessen ausgehen, der am stärksten die herrschende Wert auffassung beeinflussen kann - und sei es nur durch die entsprechende Besetzung der Richterbank29 • Wo aber die Gerichtsbarkeit sogar als Mittel einer Gruppe zur Durchsetzung ihrer Ziele verstanden wird30 - inwieweit dieser Vorwurf berechtigt ist, ist wiederum eine Frage der Weltanschauung -, wird notwendig die Zahl der dem Gerichtshof unterbreiteten Fälle gering sein. Der Internationale Gerichtshof hat daher bisher nicht die Bedeutung gewonnen, die von ihm erwartet worden war, und dies vor allem wohl deshalb, weil er zu sehr ein Vorgriff in eine - wohl noch weit entfernte - Zukunft war!. Durch das Fehlen einer großen Zahl von ähnlichen streitig entschiedenen Fällen ist damit auch die Chance zu Typisierungen und Standardisierungen von Generalklauseln oder Allgemeinbegriffen besonders gering gewesen. Der Verweis auf die große Verbreitung der zwischenstaatlichen Schiedsgerichtsbarkeit ist dabei kein Gegenbeweis, sondern unterstreicht das Mißtrauen in eine allgemein obligatorische Gerichtsbarkeit. Denn in der Schiedsgerichtsbarkeit sind häufig Möglichkeiten gegeben, Entscheidungen zu erlangen, die nicht auf allgemeinem Völkerrecht fußen müssen, weil durch die Formulierung des Kompromisses auf die Auswahl der Richter und auf die Bestimmung der anwendbaren RechtsregeIn Einfluß genommen werden kann. Die Herausbildung regionaler, partikulärer oder bilateraler Schiedsgerichte ist damit eher Ausdruck der Zersplitterung und Heterogenität des Völkerrechts32• Die Schwäche der internationalen Gerichtsbarkeit ist somit nur eine Konsequenz der Heterogenität des Völkerrechts und des fehlenden politischen Konsenses33 • 29 Vgl. zum Problem der Besetzung der Richterbank des Internationalen Gerichtshofes Hoffmann, Grenzen, S. 13. 30 Vgl. das Beispiel von M. Günther, Sondervoten, S. 187. Die "Entdeckung" des Gerichtshofes als evtl. Mittel zur Durchsetzung politischer Interessen durch die Staaten der Dritten Welt (vgl. McWhinney, World Court, S.6, 13) mag zwar vielleicht das Interesse der Staaten der Dritten Welt an dem Gerichtshof heben, die Konsensfähigkeit des Gerichtshofes wird jedoch darunter eher weiter leiden müssen. 3! Ginther, Verfassung, S. 108. 32 Zur Tendenz der Dritten Welt, regionale Gerichtshöfe einzusetzen; Schröder, Dritte Welt, S. 43.

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5. Kap.: Bedingungen für ein Rechtsmißbrauchsverbot

Damit fehlt dem Völkerrecht das Instrument, das eine nähere Bestimmung und Konkretisierung einer materialen Generalklausel wie dem Rechtsmißbrauchsverbot ermöglichen könnte34 • Es nimmt deshalb auch nicht wunder, daß die internationale Rechtsprechung, wenn auch sehr unbestimmt, zwar zu Zeiten lebhafter Diskussion des Rechtsmißbrauchsverbotes in der Völkerrechtslehre die Möglichkeit eines Rechtsmißbrauches in Erwägung gezogen, niemals aber zur Entscheidungsgrundlage auszubauen versucht hat. Der Verdacht der dem Gerichtshof ohnehin skeptisch gegenüberstehenden Staten, daß es nur von der zufälligen Besetzung der Richterbank abhängig sein könnte, was als Inhalt des Rechtsmißbrauchsverbotes bestimmt würde, hätte durch Anwendung eines solchen vagen Grundsatzes nur verstärkt werden können. 3. Die heutige Bedeutungslosigkeit

der allgemeinen Rechtsgrundsätze

Abschließend sei noch auf eine weitere Schwierigkeit hingewiesen, die der Ausformung eines Rechtsmißbrauchsverbotes im Völkerrecht auch für absehbare Zeit generell entgegenstehen dürfte. Der fehlgeschlagene Versuch, das Rechtsmißbrauchsverbot als einen allgemeinen Rechtsgrundsatz im Sinne des Art. 38 Abs. 1 Buchst. c) des Statuts IGH zu gewinnen, obwohl das Rechtsmißbrauchsverbot immer wieder als ein solcher Rechtsgrundsatz behauptet worden ist, wirft in diesem Zusammenhang die Frage der Bedeutung und Möglichkeiten der allgemeinen Rechtsgrundsätze im heutigen Völkerrecht überhaupt auf, vor allem, inwieweit die Heterogenität und der fehlende Konsens im Völkerrecht auch auf das Konzept der allgemeinen Rechtsgrundsätze Einfluß haben muß. Abgesehen von der Schwierigkeit, auch für andere Rechtssätze deren allgemeine Gültigkeit in den wichtigsten Rechtsordnungen nachzuweisen3S, solange diese Rechtsordnungen sowohl in ihren Grundlagen als auch in ihren Rechtstechniken außerordentlich differieren, liegt dem Artikel 38 Abs. 1 Buchst. c) des Statuts IGH eine grundsätzlich fehlgehende überlegung zugrunde: Der Ausgangspunkt für die allgemeinen Rechtsgrundsätze war die Vermeidung des non liquet bzw. der 33 McWhinney, World Court, S. 164 f.; Hoffmann, Grenzen, S.40; s. auch Anand, Rolle, S.804: "... the division on the Court merely reflects the division in the international society." 34 So auch Jankovic, Interdiction, S. 13; diesen Zusammenhang betont auch WengIer, Völkerrecht I, S.394. 3S Constantinesco, Rechtsvergleichung 11, S.344, 399. Dies gilt sogar für einen so "ehernen" Grundsatz des deutschen Rechtes wie den Satz vom "nullum crimen sine lege" (vgl. Hoffmann, Verantwortung, S. 146; Constantinesco, Rechtsvergleichung 11, S.344).

3. Bedeutungslosigkeit der allgemeinen Rechtsgrundsätze

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Gedanke, mit Hilfe entwickelter Rechtstechniken aus den innerstaatlichen Rechtsordnungen zu einer Fortbildung des Völkerrechts zu kommen36 • Zum Problem des non liquet ist bereits das Nötige oben gesagt worden37 • Bezüglich des Gedankens der Fortentwicklung unterlagen die Verfasser und Verfechter dieser Konzeption des Art. 38 Abs. 1 Buchst. c) des Statuts IGH einem schwerwiegenden Irrtum, der sich allerdings fast durch die gesamte Völkerrechtslehre verfolgen läßt. Sie glaubten, das Völkerrecht habe nur nicht genügend Rechtstechniken entwickelt, deren es aber nunmehr bedürfe, um die anstehenden Streitfragen im Sinne einer friedlichen Streitschlichtung lösen zu können. Hierbei wurde verkannt, daß eine jede Rechtsordnung abhängig ist von den ihr zugrundeliegenden realen gesellschaftlichen Gegebenheiten. Wo im Völkerrecht die Interessen der Mehrheit der Staaten konform gehen, macht die Herausbildung neuer Rechtsnormen überhaupt keine Schwierigkeiten, wie z. B. die Herausbildung des Rechts am Kontinentalschelf deutlich zeigt. Der Glaube jedoch, die fehlende zentrale Gesetzgebung durch die Hintertür mit Hilfe der allgemeinen Rechtsgrundsätze in das Völkerrecht einführen zu können, vergaß völlig die Ursache des beklagten und noch zu beklagenden völkerrechtlichen Normenbestandes im Vergleich zu den internen Rechtsordnungen; nämlich die Heterogenität der nationalen Rechtsvorstellungen und daraus folgend auch der völkerrechtlichen Auffassungen sowie den mangelnden Konsens bezüglich des gemeinsamen Interesses der Völkerrechtsgemeinschaftl8• Insoweit zeigt sich das Völkerrecht noch als "primitive" Rechtsordnung, als es sich zwar bereits eine - vielseitig interpretierbare - "Verfassung" zugelegt hat, aber auf einen diese Verfassung interpretierenden, autoritativen Verfassungsschützer bis heute verzichtet hat bzw. verzichten mußte. Bezeichnenderweise zeigten denn sowohl der Internationale Gerichtshof als auch sein Vorgänger nur wenig Neigung, sich auf die allgemeinen Rechtsgrundsätze bei ihren Entscheidungen zu stützen39, und sie haben sich über die Rechtsnatur der allgemeinen Rechtsgrundsätze im wesentlichen ausgeschwiegen40 • Die in der Völkerrechtspraxis fast völlig zur Bedeutungslosigkeit verurteilten allgemeinen Rechtsgrundsätze41 sind im Grunde nichts anderes Vgl. Härle, Entscheidungsgrundlagen, S. 147. Vgl. oben 4. Kap. 4.1. 38 Auf diesen Zusammenhang macht auch Friedmann, Structure, S. 183 aufmerksam; ders., Legal Theory, S.555. 39 Friedmann, Structure, S. 190; Jenks, Prospects, S. 268 f. 40 Constantinesco, Rechtsvergleichung 11, S.344, 399; Schlesinger, Research, S. 374; Roulet, Caractere, S. 105; Gutteridge, Meaning, S. 125. 41 Die sozialistische Völkerrechtslehre lehnt die allgemeinen Rechtsgrundsätze unter Hinweis auf den unterschiedlichen Klassengehalt ohnehin ab, 36

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5. Kap.: Bedingungen für ein Rechtsmißbrauchsverbot

als eine Fehlkonstruktion, weil sie voraussetzen, was sie nach der Vorstellung ihrer Verfechter erst schaffen sollten: Eine Homogenität der staatlichen Rechtsordnungen und eine ausgebildete - vom Konsens getragene - Gerichtsbarkeit. Solange beides im Völkerrecht nicht genügend entwickelt ist, ist eine Übernahme von innerstaatlichen Rechtsgrundsätzen recht unwahrscheinlich42 , auch wenn die Existenz derartiger allgemeiner Rechtsgrundsätze nicht gänzlich geleugnet werden so1l43. Sollte jedoch in - sicherlich ferner - Zukunft eine vom Konsens getragene Gerichtsbarkeit als Ausdruck einer homogenen Völkerrechtsgemeinschaft entstanden sein, dann wird größtenteils wohl auch auf die Anwendung der allgemeinen Rechtsgrundsätze verzichtet werden können. Denn bei einer vom allgemeinen Konsens getragenen Autorität der Rechtsprechung würde ein Bedürfnis, über die eigene Rechtsordnung hinaus bei anderen Rechtsordnungen nach Lösungsmöglichkeiten rechtlicher Konflikte suchen zu müssen, wohl gar nicht mehr bestehen.

4. Zusammenfassung Ein irgendwie geartetes Rechtsmißbrauchsverbot wird deshalb erst dann seinen Platz im Völkerrecht haben können, wenn die Vorbedingungen hierfür erfüllt sind: Entweder ein relativ breiter Konsens aller Völkerrechtssubjekte über eine in der Völkerrechtsordnung zum Ausdruck kommende gemeinsame Wertordnung oder aber die Installierung einer obligatorischen, durchsetzungsfähigen und den notwendigen Konsens erzwingbaren internationalen Gerichtsbarkeit. Beides ist auf absehbare Zeit nicht zu erwarten. Damit erweist sich das Rechtsmißvgl. Brunner, Quellen,S. 59 f.; DDR-Lehrbuch Völkerrecht I, S. 209; zur Skepsis der Staaten der Dritten Welt gegenüber den allgemeinen Rechtsgrundsätzen Schröder, Verhältnis, S.75. So dürfte Akehurst, Equity, S.815 recht haben, wenn er sagt: "... invoking general principles of law in a dispute with the Soviet Union is likely to be a fruitless move ...", wobei hinzuzufügen bleibt, daß diese Feststellung nicht nur auf die Sowjetunion, sondernpraktisch auf alle Staaten bezogen werden kann. Die von Verdross / Simma, Völkerrecht, S.310 gemachte Äußerung in diesem Zusammenhang,· daß sich der Bestand der allgemein anerkannten Rechtsgrundsätze durch die ideologische Differenzierung der Staatengemeinschaft wesentlich verringert habe, dürfte noch zu euphemistisch sein. Gutteridge, Meaning, S. 127 trifft den Sachverhalt besser, wenn er die allgemeinen Rechtsgrundsätze für "extremely rare" hält; anderer Ansicht Seidl-Hohenveldern, Rechtsvergleichung, S.257. 42 Auf den Zusammenhang zwischen den allgemeinen Rechtsgrundsätzen und das Vertrauen in eine internationale Rechtsprechung weist auch Jenks, Prospects, S. 767 hin; ebenso WengIer, Völkerrecht I, S. 371. Insoweit erscheint es auch konsequent, wenn für die Anwendung der allgemeinen Rechtsgrundsätze auf eine dahingehende opinio juris hingewiesen wird, s. hierzu LecheIer, Rechtsgrundsätze, S. 154 f. 43 So aber Kelsen / Tucker, Principles, S. 539 f.

4. Zusammenfassung

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brauchsverbot als ein im Grunde nicht akutelIes Problem, und wenn dann abschließend eine Prognose gewagt werden soll, so diese: Mit Sicherheit wird, wenn jemals ein Rechtsmißbrauchsverbot Eingang in das Völkerrecht finden sollte, ein solcher Rechtssatz nicht den Weg über die allgemeinen Rechtsgrundsätze in das Völkerrecht nehmen.

Schluß Die vorschnelle Proklamierung des Rechtsmißbrauchsverbotes im Völkerrecht sowie der häufige - verbale - Rückgriff auf diesen Begriff vor allem in der Völkerrechtslehre können letztlich nicht anders gedeutet werden als ein Versuch, das bestehende Völkerrecht mit der - allerdings jeweils eigenen - moralischen Vorstellung in Deckung zu bringen. Ein Versuch, der angesichts der Heterogenität der Staatenwelt und mangels eines Konsenses über die grundlegenden völkerrechtlichen Wertvorstellungen mißlungen ist und mißlingen mußte, weil das rechtliche Urteil eben nicht identisch s'ein muß mit dem moralischen Urteil. Insoweit wollte diese Arbeit auch ein Beitrag sein zur Klarheit im Völkerrecht. Nicht erfüllte Moral- und Wunschvorstellungen im Völkerrecht sollen als das bezeichnet werden, was sie sind: Ein (vielleicht) erstrebenswertes Ziel. Wenn dagegen eine materiale, wertbeladene Generalklausel wie das Rechtsmißbrauchsverbot, das zudem selbst verbal noch keinem einheitlichen Verständnis unterliegt, als bereits gültiges Völkerrecht proklamiert wird, muß immer wieder der Einduck des "Versagens des Völkerrechts" entstehen, wenn trotz aller Proklamationen "Verstöße" gegen das-irgendwie verstandene-Rechtsmißbrauchsverbot nicht geahndet werden. Es ist dann aber nicht eigentlich das Völkerrecht, das versagt, sondern der Teil der Völkerrechtslehre, der Wunsch und Wirklichkeit im Völkerrecht nicht genügend trennen kann'. Wie jede positive Rechtsordnung ist auch das Völkerrecht nur Ausdruck der bestehenden realen Welt. Wenn in dieser realen Welt die Vorbedingungen für die Ausgestaltung bestimmter, vom moralischen Standpunkt an sich wünschenswerter, Rechtsinstitute nicht geschaffen werden, kann die Proklamierung derartiger Rechtssätze wie des Rechtsmißbrauchsverbotes ohne realen Hintergrund nur an der Wirklichkeit vorbeigehen. Insoweit vermochte die Feststellung, daß das heutige Völkerrecht ein Rechtsmißbrauchsverbot nicht kennt und auch die Vorbedingungen für eine Anerkennung des Rechtsmißbrauchsverbotes wenigstens zur Zeit und wohl auch auf absehbare Zeit nicht vorhanden sind, I Auf die Tendenzen der Verselbständigung wissenschaftlicher Völkerrechtssysteme im Vergleich zur Politik verweist bereits Baum, Soziologische Begründung, S. 270; vgl. auch schon Kunz, Völkerrechtswissenschaft, S.70 und die Überlegungen zum politischen Charakter des Völkerrechts bei Berber, Völkerrecht I, S. 24 f.

Schluß

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nichts anderes als die erneute Bestätigung der alten Erfahrung bringen, daß das Völkerrecht in gewissem Maße doch um einiges unvollkommener ist als die internen Rechtsordnungen der modernen Staatenwelt. Mit dieser Unvollkommenheit gilt es für absehbare Zeit weiter zu leben, so schwer es dem "innerstaatlich geschulten" Juristen auch fallen mag.

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