Luther und das Konzil: Zur Entwicklung eines zentralen Themas in der Reformationszeit 9783161510632, 9783161504747

Das Konzil als kirchliche Institution und christliche Autoritätsinstanz avancierte während der Reformationszeit zu einem

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Widmung
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Kapitel I. Luther und das Konzil: Eine Einleitung
1. Hinführung zum Thema
2. Konturen der Forschung
3. Methode und Quellen
4. Aufgabenstellung und Vorgehen
Kapitel II. Die Konzilsthematik im Streit um Ablass und Papsttum (bis 1518)
§ 1 Das Konzil in den frühesten Äußerungen und Schriften
1. Die frühen Randbemerkungen und Vorlesungen
2. Die Synodalpredigt
2.1. Der Anlass der Predigt
2.2. Der Inhalt der Predigt
2.3. Synode und Wort Gottes
3. Die geringe Affinität zum Konzilsthema
§ 2 Die wachsende Bedeutung der Konzilsthematik im Ablassstreit
1. Der Ablassstreit und die kirchlichen Autoritäten
1.1. Das Konzil als Approbationsinstanz kirchlicher Lehren
1.2. Das Konzil als Entscheidungsinstanz in Glaubensdingen
1.3. Das Konzil als Instanz kirchlicher Reformen
2. Die Autoritätenfrage im Streit mit Prierias
2.1. Der Prozessauftakt in Rom und Prierias’ Gutachten
2.2. Die kirchlichen Autoritäten in der „Responsio“ auf Prierias
2.3. Die Irrtumsfähigkeit des Konzils
2.4. Das Konzil als Repräsentanz der Kirche
2.5. Prierias’ konziliaristische Lutherinterpretation
§ 3 Die Konzilsthematik in Augsburg (1518)
1. Die Vorgeschichte
2. Cajetans Vorbereitung
3. Luther in Augsburg
4. Luther vor Cajetan
4.1. Die Forderung des Widerrufs
4.2. Der Disput über die kirchlichen Autoritäten
4.3. Das Konzil im Streitgespräch
5. Die Konzilsthematik in den nachfolgenden Begegnungen
6. Die weitere Entwicklung in Augsburg
§ 4 Die erste Appellation an das künftige Konzil (1518).
1. Das Instrument der Konzilsappellation
2. Der Weg zur Konzilsappellation
3. Die Gründe für die Konzilsappellation
4. Der Inhalt der Appellation
4.1. Die Appellation an das künftige, im Heiligen Geist versammelte Konzil
4.2. Die Begründung durch die päpstliche Fallibilität
4.3. Die Einwände gegen den römischen Ketzerprozess
5. Die Publikation der Appellation
6. Die Beurteilung der Appellation: Luther als Konziliarist?
Kapitel III. Die Entwicklung des reformatorischen Konzilsverständnisses (1519)
§ 5 Die altkirchlichen Konzilien im Vorfeld der Leipziger Disputation
1. Die Luthersache zwischen Konzilsappellation und Leipziger Disputation
2. Die Vorgeschichte der Leipziger Disputation.
2.1. Ecks Disputationsthesen
2.2. Die strittige Frage nach dem Disputationsschiedsgericht.
2.3. Der Papstprimat und seine kirchenrechtliche Grundlage als Kontroversthema
3. Die wachsende Bedeutung der altkirchlichen Konzilien
3.1. Die Autorität des Konzils von Nicäa
3.2. Die konzilsgeschichtlichen Quellen.
3.3. Die Entfaltung der altkirchlichen Konzilsautorität
3.4. Die Funktion der altkirchlichen Konzilsentscheide im Streit um den Papstprimat
§ 6 Die Konzilsthematik während der Leipziger Disputation (1519)
1. Die Rahmenereignisse
2. Die Konzilsthematik im Streit mit Eck um den päpstlichen Primat
2.1. Die ekklesiologischen Differenzen
2.2. Die altkirchlichen Konzilsentscheidungen und die griechische Ostkirche
3. Häresieverdacht und Infragestellung der kirchlichen Autorität
4. Das Konstanzer Konzil und die Irrtumsfähigkeit der Konzilien
5. Umstrittene Konzilsautorität
6. Fortsetzung und Modifi kationen der gegensätzlichen Positionen zum Konzil
7. Die Konsequenzen für das Konzilsverständnis aufgrund der Disputation
§ 7 Die Vertiefung der Konzilsthematik unmittelbar nach der Disputation
1. Die Beurteilung des Konzils nach der Disputation
2. Die Ausarbeitung des Konzilsverständnisses
2.1. Verschärfung der Konzilskritik in der Vorrede zu den „Resolutiones Lutherianae“
2.2. Radikalisierung der Konzilskritik in den „Resolutiones“
2.3. Die Neubestimmung des Verhältnisses von Konzil und Heiliger Schrift
2.4. Die Freiheit von Konzilsentscheidungen
3. Die Umsetzung des neuen Konzilsverständnisses.
Kapitel IV. Die Forderung nach einem freien, christlichen Konzil (1520)
§ 8 Die Hoffnung auf Reformation durch ein allgemeines Konzil
1. Der Laienkelch beim Abendmahl
1.1. Die Indienstnahme des Konzils im Abendmahlssermon
1.2. Politische Konsequenzen aufgrund der Laienkelchforderung
1.3. Die Hervorhebung des Konzils im Streit um den Laienkelch
1.4. Die Konzilsforderung in „De captivitate“.
2. Die Einführung der Priesterehe
2.1. Die Anregung in der Streitschrift „Ad schedulam“
2.2. Die Entfaltung in der Adelsschrift
3. Die Abschaffung kirchlicher und gesellschaftlicher Missstände durch ein Konzil
3.1. Konziliare Reformforderungen.
3.2. Die Reformmaßnahmen in der Adelsschrift
4. Die kirchenreformerischen Aufgaben der weltlichen Obrigkeit
4.1. Die Vorbereitung im Sermon „Von den guten Werken“
4.2. Begründung und Durchführung in der Adelsschrift
§ 9 Konzilskritik und Konzilsforderung im Sommer 1520
1. Die dritte Mauer der Romanisten
1.1. Die Bindung der weltlichen Obrigkeit durch den Eid
1.2. Die Furcht vor einem allgemeinen Konzil
1.3. Die Überordnung des Papstes über das Konzil
1.4. Vermauertes Rom
2. Die Begründung des freien, christlichen Konzils
2.1. Argumente aus der Heiligen Schrift und der frühen Kirchengeschichte
2.2. Die Notrechtsbegründung für das obrigkeitliche Engagement
2.3. Der antichristliche Missbrauch der kirchlichen Gewalt
2.4. Fehlende Konkretionen des freien, christlichen Konzils
2.5. Die Gestalt des freien, christlichen Konzils
3. Die Relativierung und Ablehnung der päpstlichen Konzilien
3.1. Die Konzilsautorität unter Christus und der Heiligen Schrift
3.2. Die Ablehnung des Konstanzer Konzils
3.3. Teuflische Konzilien
§ 10 Die erneute Appellation an ein allgemeines Konzil (1520)
1. Die Bannandrohungsbulle
1.1. Die inhaltliche Begründung der lutherischen Ketzerei
1.2. Die Verbreitung der Bulle
2. Die Entstehungsgeschichte der Konzilsappellation
2.1. Die Maßnahmen gegen die päpstliche Bulle
2.2. Das Zustandekommen und der Akt der Appellation
3. Die Appellation an „ein christlich frei Concilium“
3.1. Der Inhalt der Appellation.
3.2. Das Konzilsverständnis
3.3. Die Appellation als juristische Maßnahme im Ketzerprozess
3.4. Die Appellation als publizistische Maßnahme im Reformationsgeschehen
4. Der öffentliche Bruch mit Rom
Kapitel V. Die Politisierung und Problematisierung der Konzilsthematik im Umfeld des Wormser Reichstages (1521)
§ 11 Wachsende Konzilskritik als Reaktion auf die Bannandrohungsbulle
1. Die Heilige Schrift als Norm und Richter
2. Die Relativierung der durch ein Konzil vorzunehmenden Reformen
3. Die schriftgebundene Urteilsfreiheit über die Konzilien
4. Das bestärkende Negativurteil über das Konstanzer Konzil
5. Das Konzilsverständnis infolge des päpstlichen Ketzerurteils
§ 12 Die Konzilsthematik und der Wormser Reichstag
1. Das Konzilsthema auf dem Reichstag.
1.1. Die Reichsstände und die Konzilsforderung
1.2. Aleanders antilutherisches Wirken in der Konzilsfrage
2. Luthers Auftritt vor Kaiser und Reich
2.1. Das Verhör vor dem Reichstag am 17. April
2.2. Die Konzilsthematik am 18. April
3. Die Unterverhandlungen mit Luther und die Konzilsfrage
3.1. Die Verhandlungen der reichsständischen Kommission
3.2. Die Einzelverhandlungen und die Konzilsthematik
3.3. Der Konzilsvorschlag
4. Das Wormser Edikt
§ 13 Bewertung der Konzilsthematik im Umfeld des Reichstages
1. Das politische Konzilsbegehren der Reichsstände
1.1. Rückblick auf den Wormser Reichstag
1.2. Das Konzil als Forderung in der Reichspolitik seit 1522
2. Manifestierung der konzilskritischen Position bei Luther
Kapitel VI. Die Popularisierung und Problematisierung der Konzilsthematik in den 1520er Jahren
§ 14 Das Konzil und die Anfänge der evangelischen Gemeindereform
1. Die Konzilskritik im Spannungsfeld von menschlichem und göttlichem Wort
1.1. Schriftgeprägte Konzilsbeschlüsse als Wort Gottes
1.2. Konziliarer Geistmissbrauch und Menschenlehre
1.3. Metaphorische Konzilspolemik
1.4. Melanchthonische Konzilsapologetik
2. Konzil und Gemeindeaufbau
2.1. Konziliares Menschengesetz und unkonziliare Urteilsinstanz
2.2. Das unkonziliare Gemeindeverständnis
2.3. Realisierung der Reformen ohne Konzilsbeschluss.
3. Die Ablehnung einer synodalen Gemeindereformation
§ 15 Die Zurückhaltung bei politischen Konzilsbegehren.
1. Das vereinnahmende Urteil über das Regimentsmandat vom 6. März 1523.
2. Die polemische Beurteilung des 3. Nürnberger Reichsabschieds
3. Die ablehnende Haltung gegenüber dem politischen Konzilsbegehrenin der zweiten Hälfte der 1520er Jahre
§ 16 Die Popularisierung des Konzilsthemas auf der Kanzel und in Sermonen
1. Die Konzilspredigt (1522)
1.1. Das Konzil als Teil des päpstlich-kirchlichen Systems
1.2. Die Konzilsbeschlüsse als ungeistliche Menschenlehre
1.3. Der kirchliche Herrschaftsanspruch der Konzilien versus Christus.
2. Situative Konzilskritik
2.1. Die Reaktion auf die gegnerische Konzilsapologetik
2.2. Die Problematisierung der konziliaren Wirkweise des Geistes zum Pfingstfest
2.3. Die ablehnende Antwort auf das vielstimmige Konzilsbegehren
3. Exegetische Konzilserschließung des Paradigmas „Apostelkonzil“
3.1. Das Apostelkonzil 1522/23
3.2. Die Predigt über das Apostelkonzil 1524.
3.3. Nuancierungen des Apostelkonzils nach 1524
4. Variationen der homiletischen Konzilsprogrammatik nach 1524
§ 17 Die Durchführung der lutherischen Reformation ohne Konzil.
1. Die Gestaltung des Kirchenwesens seit 1525
1.1. Die kursächsische Reformation
1.2. Stellungnahme zu synodalen Reformationsentscheiden
2. Wortreformation statt Konzilsreformation
Kapitel VII. Die Konzilsthematik im Horizont von Politik und Kirche (1530–1546)
§ 18 Das politische Konzilsbegehren und seine Bewertung in der ersten Hälfte der 1530er Jahre.
1. Die Konzilspolitik und ihre Beurteilung seit dem Speyrer Reichstag 1529.
1.1. Die evangelische Konzilsforderung 1529.
1.2. Das evangelische Konzilsbegehren in Augsburg 1530
1.3. Die kaiserlichen Konzilsinitiativen und ihre Bewertung
1.4. Das Konzilsthema und der Nürnberger Anstand von 1532
2. Die protestantische Debatte um eine Konzilsteilnahme im Jahr 1533.
2.1. Die päpstliche Konzilsinitiative von 1533
2.2. Die kursächsische Konzilsantwort im Juni 1533
2.3. Lutherischer Konzilspragmatismus.
2.4. Kehrtwende in der Konzilsbeurteilung?
3. Intensivierung der Konzilsbemühungen durch Papst Paul III.seit 1534
3.1. Die Konzilszusage gegenüber dem Nuntius 1535.
3.2. Die Disputation „De potestate concilii“ (1536)
§ 19 Die lutherische Reaktion auf das Konzilsausschreiben von 1536 nach Mantua
1. Stellungnahmen der Wittenberger zu der Konzilsausschreibung Pauls III.
1.1. Die Wittenberger Empfehlungen im Sommer 1536
1.2. Edition von Hus-Briefen als Einflussnahme auf den politischen Konzilsdiskurs
1.3. Wittenberger Konzilspragmatik versus kurfürstliche Konzilspolitik
2. Die Schmalkaldischen Artikel (1536/38)
2.1. Der kurfürstliche Auftrag
2.2. Das Konzilsthema in den Artikeln und in der Vorbereitung des Bundestages
2.3. Der Schmalkaldener Bundestag 1537
3. Beiträge zum Konzilsdiskurs aus den Jahren 1537 und 1538
3.1. Konzilskritische und papstpolemische Publikationsoffensive
3.2. Die Reaktion auf die kurialen Konzilsverschiebungen
§ 20 Die reformatorische Schrift „Von den Konziliis und Kirchen“ (1539)
1. Abfassungsmotive
1.1. Leipziger Religionsgespräch und Frankfurter Bundestag
1.2. Grundlagenbestimmung des protestantischen Kirchenwesens
1.3. Kirchenhistorische Vorlagen
2. Die dreiteilige Periodisierung der Konziliengeschichte
3. Kritik an der normierenden Autorität von Konzilien und Kirchenvätern
3.1. Päpstliche Konzils- und Reformverweigerung
3.2. Argumente gegen die Konzilien und Kirchenväter als Reformgrundlage
4. Die Entfaltung der „Konzilshermeneutik“ anhand der altkirchlichen Konzilien
4.1. Die Unterscheidung in Haupt- und Nebenartikel
4.2. Die negative Wirkung der Konzilien: Radikalisierung der Ketzerei
4.3. Die positive Funktion der Konzilien: Verteidigung der biblischen Glaubenslehre
5. Die Macht und die Aufgaben eines Konzils
6. Die Entfaltung des evangelischen Konzilsverständnisses.
6.1. Pfarrer und Schulmeister als „kleine, doch ewige und nützliche Concilia“
6.2. Die Verteidigung des christlichen Glaubens als einziger Konzilsgrund
6.3. Die Konzilsklage gegen den Papst wegen Missachtung der Rechtfertigungslehre
6.4. Gestaltungsvorschläge für das (utopische) antipäpstliche Konzil
6.5. Konzilspolitischer Vorschlag: Ein Provinzialkonzil in deutschen Landen
6.6. Ziel der Konzilsschrift
§ 21 Wunsch und Wirklichkeit eines freien, christlichen Konzils in deutschen Landen
1. Das Konzilsthema in den 1540er Jahren
1.1. Das Nationalkonzil als Alternative zum Generalkonzil
1.2. Das „missionarische“ Motiv des protestantischen Konzilsbegehrens
1.3. Der politische Streit um das Konzil
2. Die päpstliche Konzilseinberufung nach Trient 1545
3. Stellungnahme in „Wider das Papsttum zu Rom, vom Teufel gestiftet“ (1545)
3.1. Das päpstliche Konzil versus reichsständische Konzilsforderung
3.2. Der Grund der päpstlichen Konzilsfurcht: Das Konstanzer Konzil
3.3. Die Konzilsattribute
3.3.1. „Frei“
3.3.2. „Christlich“
3.3.3. „In Deudschen landen“
3.4. Die kaiserliche Synodalgewalt
3.5. Resümierende Konzilsbetrachtung in „Wider das Papsttum zu Rom“
4. Die letzten Äußerungen über das Trienter Konzil.
Kapitel VIII. Luther und das Konzil: Ein Resümee
Quellen- und Literaturverzeichnis
1. Quellen
2. Hilfsmittel
3. Sekundärliteratur
Register
Bibelstellen
Personen
Orte und Länder
Sachen
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Luther und das Konzil: Zur Entwicklung eines zentralen Themas in der Reformationszeit
 9783161510632, 9783161504747

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Beiträge zur historischen Theologie Herausgegeben von

Albrecht Beutel 153

Christopher Spehr

Luther und das Konzil Zur Entwicklung eines zentralen Themas in der Reformationszeit

Mohr Siebeck

Christopher Spehr, geboren 1971; Studium der evangelischen Theologie in Bethel, Tübingen und Zürich; 1999 1. Theologisches Examen; 2002–2005 Vikariat in Herne/Evangelische Kirche von Westfalen; 2004 Promotion in Münster; 2004 2. Theologisches Examen; 2005–2009 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Seminar für Kirchengeschichte II der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Münster; 2009 Habilitation; 2009–2010 Lehrstuhlvertretung für Alte Kirche an der Ruhr-Universität Bochum; 2010–2011 Lehrstuhlvertretung für Kirchengeschichte an der Friedrich-Schiller-Universität Jena.

Gedruckt mit Unterstützung des Förderungs- und Beihilfefonds Wissenschaft der VG Wort. e-ISBN PDF 978-3-16-151063-2 ISBN 978-3-16-150474-7 ISSN 0340-6741 (Beiträge zur historischen Theologie) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abruf bar. © 2010 Mohr Siebeck Tübingen. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und straf bar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfi lmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Gulde-Druck in Tübingen aus der Bembo gesetzt, auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Buchbinderei Spinner in Ottersweier gebunden.

Für Nina

Vorwort Die vorliegende Studie wurde im Sommersemester 2009 als Habilitationsschrift im Fach Kirchengeschichte eingereicht und von der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster angenommen. Für die Drucklegung wurde sie geringfügig überarbeitet und durch ein Register erweitert. Ohne die motivierende Unterstützung und Förderung zahlreicher Personen wäre dieses Werk vermutlich nicht zustande gekommen. Daher gilt mein Dank allen, die direkt oder indirekt durch Rat und Tat an dieser Studie beteiligt waren. Vornehmlich habe ich Herrn Prof. Dr. Albrecht Beutel zu danken, der die Arbeit nicht nur in ihren Entstehungsphasen mit sorgsamer Aufmerksamkeit begleitete, sondern auch das Erstgutachten erstellte und das Buch in die ehrwürdige Reihe „Beiträge zur Historischen Theologie“ aufnahm. Dass er mir als Wissenschaftlichem Mitarbeiter am Seminar für Kirchengeschichte II in vorbildlicher Weise den nötigen Freiraum zum Forschen gewährte, ist besonders hervorzuheben. Mein Dank gilt sodann Herrn Prof. Dr. Konrad Hammann, der sich der Mühe des Zweitgutachtens unterzog und mir durch sachdienliche Hinweise weiterführende Impulse vermittelte. Fachliche Anregungen und Sensibilisierungen insbesondere für die religionspolitische Dimension des Konzilsthemas verdanke ich Herrn Prof. Dr. Karl-Heinz zur Mühlen sowie dem leider kürzlich verstorbenen Herrn Prof. Dr. Wolf-Dieter Hauschild. Hoch engagiert leisteten mir die Herren Sebastian Scheibling (Münster) und Markus Löffler ( Jena) wertvolle Dienste durch Literaturbeschaffung, Korrekturlesen, Überprüfung der Zitate und Mitwirkung am Register. Die Herren Christoph T. Beckmann, Johannes Heck und Dr. Malte van Spankeren machten sich auf unterschiedliche Weise verdient. Als hilfreich erwiesen sich darüber hinaus die Diskussionen im Münsteraner kirchengeschichtlichen Oberseminar, in dem ich Auszüge aus der Studie vorstellen konnte. In verlässlich professioneller Weise wurde die Publikation durch die Mitarbeiter des Verlags Mohr Siebeck besorgt, von denen dem Geschäftsführer, Herrn Dr. Henning Ziebritzki, und Frau Anna Krüger besonders zu danken ist. Gefördert wurde die Studie durch einen namhaften Druckkostenzuschuss der VG-Wort.

VIII

Vorwort

Meine Verlobte Nina Behnke nahm am Zustandekommen der Arbeit nicht nur intensiven und lebensdienlichen Anteil, sondern unterstützte, ermutigte und begleitete mich auch auf vielfältige Weise. Ihr sei dieses Buch gewidmet. Christopher Spehr

Münster, den 8. Juni 2010

Inhaltsverzeichnis Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XIX

I. Luther und das Konzil: Eine Einleitung . . . . . . . . . . . . . 1. 2. 3. 4.

Hinführung zum Thema . . . . Konturen der Forschung . . . . Methode und Quellen. . . . . . Aufgabenstellung und Vorgehen .

. . . .

. . . .

. . . .

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. . . .

. . . .

. . . .

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. . . .

1 5 16 17

II. Die Konzilsthematik im Streit um Ablass und Papsttum (bis 1518) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

23

§ 1 Das Konzil in den frühesten Äußerungen und Schriften . . . . . .

25

1. Die frühen Randbemerkungen und Vorlesungen 2. Die Synodalpredigt . . . . . . . . . . . . . . . 2.1. Der Anlass der Predigt . . . . . . . . . . . 2.2. Der Inhalt der Predigt . . . . . . . . . . . 2.3. Synode und Wort Gottes . . . . . . . . . . 3. Die geringe Affi nität zum Konzilsthema. . . . .

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1

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25 29 30 32 35 37

§ 2 Die wachsende Bedeutung der Konzilsthematik im Ablassstreit . . .

39

1. Der Ablassstreit und die kirchlichen Autoritäten . . . . . . . 1.1. Das Konzil als Approbationsinstanz kirchlicher Lehren . 1.2. Das Konzil als Entscheidungsinstanz in Glaubensdingen 1.3. Das Konzil als Instanz kirchlicher Reformen . . . . . . 2. Die Autoritätenfrage im Streit mit Prierias. . . . . . . . . . 2.1. Der Prozessauftakt in Rom und Prierias’ Gutachten. . . 2.2. Die kirchlichen Autoritäten in der „Responsio“ auf Prierias . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3. Die Irrtumsfähigkeit des Konzils . . . . . . . . . . . . 2.4. Das Konzil als Repräsentanz der Kirche . . . . . . . . 2.5. Prierias’ konziliaristische Lutherinterpretation . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

40 42 45 50 51 52

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. . . .

57 60 66 67

X

Inhaltsverzeichnis

§ 3 Die Konzilsthematik in Augsburg (1518) . . . . . . . . . . . . . . 1. 2. 3. 4.

Die Vorgeschichte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Cajetans Vorbereitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . Luther in Augsburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Luther vor Cajetan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1. Die Forderung des Widerrufs. . . . . . . . . . . . 4.2. Der Disput über die kirchlichen Autoritäten . . . . 4.3. Das Konzil im Streitgespräch . . . . . . . . . . . . 5. Die Konzilsthematik in den nachfolgenden Begegnungen 6. Die weitere Entwicklung in Augsburg . . . . . . . . . .

. . . . . . . . .

70 72 76 78 78 80 82 86 89

§ 4 Die erste Appellation an das künftige Konzil (1518). . . . . . . . .

92

1. 2. 3. 4.

Das Instrument der Konzilsappellation. . . . . . . . . . Der Weg zur Konzilsappellation . . . . . . . . . . . . . Die Gründe für die Konzilsappellation . . . . . . . . . Der Inhalt der Appellation . . . . . . . . . . . . . . . 4.1. Die Appellation an das künftige, im Heiligen Geist versammelte Konzil . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2. Die Begründung durch die päpstliche Fallibilität . . 4.3. Die Einwände gegen den römischen Ketzerprozess . 5. Die Publikation der Appellation . . . . . . . . . . . . . 6. Die Beurteilung der Appellation: Luther als Konziliarist?

. . . . . . . . .

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. . . . . . . . .

69

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93 96 99 101

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101 105 107 109 112

III. Die Entwicklung des reformatorischen Konzilsverständnisses (1519) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

115

§ 5 Die altkirchlichen Konzilien im Vorfeld der Leipziger Disputation .

117

1. Die Luthersache zwischen Konzilsappellation und Leipziger Disputation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Vorgeschichte der Leipziger Disputation. . . . . . . . . . . 2.1. Ecks Disputationsthesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2. Die strittige Frage nach dem Disputationsschiedsgericht. . . 2.3. Der Papstprimat und seine kirchenrechtliche Grundlage als Kontroversthema . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die wachsende Bedeutung der altkirchlichen Konzilien . . . . . 3.1. Die Autorität des Konzils von Nicäa . . . . . . . . . . . . 3.2. Die konzilsgeschichtlichen Quellen. . . . . . . . . . . . . 3.3. Die Entfaltung der altkirchlichen Konzilsautorität . . . . . 3.4. Die Funktion der altkirchlichen Konzilsentscheide im Streit um den Papstprimat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

117 121 122 124 125 128 129 130 131 136

XI

Inhaltsverzeichnis

§ 6 Die Konzilsthematik während der Leipziger Disputation (1519) . . .

138

1. Die Rahmenereignisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Konzilsthematik im Streit mit Eck um den päpstlichen Primat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1. Die ekklesiologischen Differenzen . . . . . . . . . . . . . 2.2. Die altkirchlichen Konzilsentscheidungen und die griechische Ostkirche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Häresieverdacht und Infragestellung der kirchlichen Autorität . . 4. Das Konstanzer Konzil und die Irrtumsfähigkeit der Konzilien . 5. Umstrittene Konzilsautorität . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Fortsetzung und Modifi kationen der gegensätzlichen Positionen zum Konzil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Die Konsequenzen für das Konzilsverständnis aufgrund der Disputation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

140

§ 7 Die Vertiefung der Konzilsthematik unmittelbar nach der Disputation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Beurteilung des Konzils nach der Disputation . . . . . . 2. Die Ausarbeitung des Konzilsverständnisses . . . . . . . . . 2.1. Verschärfung der Konzilskritik in der Vorrede zu den „Resolutiones Lutherianae“ . . . . . . . . . . . . . . 2.2. Radikalisierung der Konzilskritik in den „Resolutiones“ 2.3. Die Neubestimmung des Verhältnisses von Konzil und Heiliger Schrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4. Die Freiheit von Konzilsentscheidungen . . . . . . . . 3. Die Umsetzung des neuen Konzilsverständnisses. . . . . . .

142 143 144 147 149 153 157 160

164

. . . .

165 167

. . . .

168 171

. . . . . .

173 174 175

IV. Die Forderung nach einem freien, christlichen Konzil (1520) . .

181

§ 8 Die Hoffnung auf Reformation durch ein allgemeines Konzil. . . .

183

1. Der Laienkelch beim Abendmahl . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1. Die Indienstnahme des Konzils im Abendmahlssermon . . . 1.2. Politische Konsequenzen aufgrund der Laienkelchforderung 1.3. Die Hervorhebung des Konzils im Streit um den Laienkelch 1.4. Die Konzilsforderung in „De captivitate“. . . . . . . . . . 2. Die Einführung der Priesterehe . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1. Die Anregung in der Streitschrift „Ad schedulam“ . . . . . 2.2. Die Entfaltung in der Adelsschrift . . . . . . . . . . . . . 3. Die Abschaffung kirchlicher und gesellschaftlicher Missstände durch ein Konzil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

184 186 187 190 193 195 196 197 200

XII

Inhaltsverzeichnis

3.1. Konziliare Reformforderungen. . . . . . . . . . . . . . 3.2. Die Reformmaßnahmen in der Adelsschrift . . . . . . . 4. Die kirchenreformerischen Aufgaben der weltlichen Obrigkeit. 4.1. Die Vorbereitung im Sermon „Von den guten Werken“ . . 4.2. Begründung und Durchführung in der Adelsschrift. . . .

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201 202 205 207 208

§ 9 Konzilskritik und Konzilsforderung im Sommer 1520 . . . . . . .

211

1. Die dritte Mauer der Romanisten . . . . . . . . . . . . . . 1.1. Die Bindung der weltlichen Obrigkeit durch den Eid . . 1.2. Die Furcht vor einem allgemeinen Konzil . . . . . . . 1.3. Die Überordnung des Papstes über das Konzil . . . . . 1.4. Vermauertes Rom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Begründung des freien, christlichen Konzils . . . . . . . 2.1. Argumente aus der Heiligen Schrift und der frühen Kirchengeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2. Die Notrechtsbegründung für das obrigkeitliche Engagement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3. Der antichristliche Missbrauch der kirchlichen Gewalt . 2.4. Fehlende Konkretionen des freien, christlichen Konzils . 2.5. Die Gestalt des freien, christlichen Konzils . . . . . . . 3. Die Relativierung und Ablehnung der päpstlichen Konzilien 3.1. Die Konzilsautorität unter Christus und der Heiligen Schrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2. Die Ablehnung des Konstanzer Konzils . . . . . . . . . 3.3. Teufl ische Konzilien . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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§ 10 Die erneute Appellation an ein allgemeines Konzil (1520) . . . . .

234

1. Die Bannandrohungsbulle . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1. Die inhaltliche Begründung der lutherischen Ketzerei 1.2. Die Verbreitung der Bulle . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Entstehungsgeschichte der Konzilsappellation . . . . 2.1. Die Maßnahmen gegen die päpstliche Bulle . . . . . 2.2. Das Zustandekommen und der Akt der Appellation . 3. Die Appellation an „ein christlich frei Concilium“ . . . . 3.1. Der Inhalt der Appellation. . . . . . . . . . . . . . 3.2. Das Konzilsverständnis . . . . . . . . . . . . . . . 3.3. Die Appellation als juristische Maßnahme im Ketzerprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4. Die Appellation als publizistische Maßnahme im Reformationsgeschehen . . . . . . . . . . . . . . . 4. Der öffentliche Bruch mit Rom . . . . . . . . . . . . .

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XIII

Inhaltsverzeichnis

V. Die Politisierung und Problematisierung der Konzilsthematik im Umfeld des Wormser Reichstages (1521) . . . . . . . . . . . . . 255 § 11 Wachsende Konzilskritik als Reaktion auf die Bannandrohungsbulle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Heilige Schrift als Norm und Richter . . . . . . . . . 2. Die Relativierung der durch ein Konzil vorzunehmenden Reformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die schriftgebundene Urteilsfreiheit über die Konzilien . . 4. Das bestärkende Negativurteil über das Konstanzer Konzil . 5. Das Konzilsverständnis infolge des päpstlichen Ketzerurteils

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§ 12 Die Konzilsthematik und der Wormser Reichstag . . . . . . . . .

271

1. Das Konzilsthema auf dem Reichstag. . . . . . . . . . . . 1.1. Die Reichsstände und die Konzilsforderung . . . . . . 1.2. Aleanders antilutherisches Wirken in der Konzilsfrage . 2. Luthers Auftritt vor Kaiser und Reich . . . . . . . . . . . 2.1. Das Verhör vor dem Reichstag am 17. April . . . . . . 2.2. Die Konzilsthematik am 18. April . . . . . . . . . . . 3. Die Unterverhandlungen mit Luther und die Konzilsfrage . 3.1. Die Verhandlungen der reichsständischen Kommission. 3.2. Die Einzelverhandlungen und die Konzilsthematik . . 3.3. Der Konzilsvorschlag . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Das Wormser Edikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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§ 13 Bewertung der Konzilsthematik im Umfeld des Reichstages . . . .

319

1. Das politische Konzilsbegehren der Reichsstände . . . . . . 1.1. Rückblick auf den Wormser Reichstag . . . . . . . . 1.2. Das Konzil als Forderung in der Reichspolitik seit 1522 2. Manifestierung der konzilskritischen Position bei Luther . .

319 320 320 322

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VI. Die Popularisierung und Problematisierung der Konzilsthematik in den 1520er Jahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325 § 14 Das Konzil und die Anfänge der evangelischen Gemeindereform .

327

1. Die Konzilskritik im Spannungsfeld von menschlichem und göttlichem Wort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1. Schriftgeprägte Konzilsbeschlüsse als Wort Gottes . . . . . 1.2. Konziliarer Geistmissbrauch und Menschenlehre . . . . .

328 329 330

XIV

Inhaltsverzeichnis

1.3. Metaphorische Konzilspolemik . . . . . . . . . . 1.4. Melanchthonische Konzilsapologetik . . . . . . . 2. Konzil und Gemeindeauf bau . . . . . . . . . . . . . . 2.1. Konziliares Menschengesetz und unkonziliare Urteilsinstanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2. Das unkonziliare Gemeindeverständnis . . . . . . 2.3. Realisierung der Reformen ohne Konzilsbeschluss. 3. Die Ablehnung einer synodalen Gemeindereformation .

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§ 15 Die Zurückhaltung bei politischen Konzilsbegehren. . . . . . . .

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1. Das vereinnahmende Urteil über das Regimentsmandat vom 6. März 1523. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die polemische Beurteilung des 3. Nürnberger Reichsabschieds 3. Die ablehnende Haltung gegenüber dem politischen Konzilsbegehren in der zweiten Hälfte der 1520er Jahre . . . . . . . . § 16 Die Popularisierung des Konzilsthemas auf der Kanzel und in Sermonen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Konzilspredigt (1522) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. 1. Das Konzil als Teil des päpstlich-kirchlichen Systems . . . 1.2. Die Konzilsbeschlüsse als ungeistliche Menschenlehre . . . 1.3. Der kirchliche Herrschaftsanspruch der Konzilien versus Christus. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Situative Konzilskritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. 1. Die Reaktion auf die gegnerische Konzilsapologetik . . . . 2.2. Die Problematisierung der konziliaren Wirkweise des Geistes zum Pfi ngstfest . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3. Die ablehnende Antwort auf das vielstimmige Konzilsbegehren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Exegetische Konzilserschließung des Paradigmas „Apostelkonzil“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. 1. Das Apostelkonzil 1522/23 . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2. Die Predigt über das Apostelkonzil 1524. . . . . . . . . . 3.3. Nuancierungen des Apostelkonzils nach 1524 . . . . . . . 4. Variationen der homiletischen Konzilsprogrammatik nach 1524

359 364 367

371 373 375 376 378 380 380 382 383 386 387 389 394 396

§ 17 Die Durchführung der lutherischen Reformation ohne Konzil. . .

399

1. Die Gestaltung des Kirchenwesens seit 1525 . . . . . . . . 1.1. Die kursächsische Reformation . . . . . . . . . . . . 1.2. Stellungnahme zu synodalen Reformationsentscheiden 2. Wortreformation statt Konzilsreformation . . . . . . . . .

400 400 404 407

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XV

Inhaltsverzeichnis

VII. Die Konzilsthematik im Horizont von Politik und Kirche (1530–1546) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

411

§ 18 Das politische Konzilsbegehren und seine Bewertung in der ersten Hälfte der 1530er Jahre. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

414

1. Die Konzilspolitik und ihre Beurteilung seit dem Speyrer Reichstag 1529. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1. Die evangelische Konzilsforderung 1529. . . . . . . . . 1.2. Das evangelische Konzilsbegehren in Augsburg 1530 . . 1.3. Die kaiserlichen Konzilsinitiativen und ihre Bewertung . 1.4. Das Konzilsthema und der Nürnberger Anstand von 1532 2. Die protestantische Debatte um eine Konzilsteilnahme im Jahr 1533. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1. Die päpstliche Konzilsinitiative von 1533 . . . . . . . . 2.2. Die kursächsische Konzilsantwort im Juni 1533 . . . . . 2.3. Lutherischer Konzilspragmatismus. . . . . . . . . . . . 2.4. Kehrtwende in der Konzilsbeurteilung? . . . . . . . . . 3. Intensivierung der Konzilsbemühungen durch Papst Paul III. seit 1534 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1. Die Konzilszusage gegenüber dem Nuntius 1535. . . . . 3.2. Die Disputation „De potestate concilii“ (1536) . . . . .

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§ 19 Die lutherische Reaktion auf das Konzilsausschreiben von 1536 nach Mantua . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

454

1. Stellungnahmen der Wittenberger zu der Konzilsausschreibung Pauls III. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1. Die Wittenberger Empfehlungen im Sommer 1536 . . . . 1.2. Edition von Hus-Briefen als Einflussnahme auf den politischen Konzilsdiskurs . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3. Wittenberger Konzilspragmatik versus kurfürstliche Konzilspolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Schmalkaldischen Artikel (1536/38) . . . . . . . . . . . . 2.1. Der kurfürstliche Auftrag . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2. Das Konzilsthema in den Artikeln und in der Vorbereitung des Bundestages . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3. Der Schmalkaldener Bundestag 1537 . . . . . . . . . . . 3. Beiträge zum Konzilsdiskurs aus den Jahren 1537 und 1538 . . . 3.1. Konzilskritische und papstpolemische Publikationsoffensive 3.2. Die Reaktion auf die kurialen Konzilsverschiebungen . . .

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XVI

Inhaltsverzeichnis

§ 20 Die reformatorische Schrift „Von den Konziliis und Kirchen“ (1539) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Abfassungsmotive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1. Leipziger Religionsgespräch und Frankfurter Bundestag . 1.2. Grundlagenbestimmung des protestantischen Kirchenwesens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3. Kirchenhistorische Vorlagen. . . . . . . . . . . . . . . 2. Die dreiteilige Periodisierung der Konziliengeschichte . . . . 3. Kritik an der normierenden Autorität von Konzilien und Kirchenvätern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1. Päpstliche Konzils- und Reformverweigerung . . . . . . 3.2. Argumente gegen die Konzilien und Kirchenväter als Reformgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die Entfaltung der „Konzilshermeneutik“ anhand der altkirchlichen Konzilien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1. Die Unterscheidung in Haupt- und Nebenartikel . . . . 4.2. Die negative Wirkung der Konzilien: Radikalisierung der Ketzerei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3. Die positive Funktion der Konzilien: Verteidigung der biblischen Glaubenslehre . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Die Macht und die Aufgaben eines Konzils . . . . . . . . . . 6. Die Entfaltung des evangelischen Konzilsverständnisses. . . . 6.1. Pfarrer und Schulmeister als „kleine, doch ewige und nützliche Concilia“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2. Die Verteidigung des christlichen Glaubens als einziger Konzilsgrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3. Die Konzilsklage gegen den Papst wegen Missachtung der Rechtfertigungslehre . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4. Gestaltungsvorschläge für das (utopische) antipäpstliche Konzil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.5. Konzilspolitischer Vorschlag: Ein Provinzialkonzil in deutschen Landen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.6. Ziel der Konzilsschrift. . . . . . . . . . . . . . . . . .

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§ 21 Wunsch und Wirklichkeit eines freien, christlichen Konzils in deutschen Landen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1. Das Konzilsthema in den 1540er Jahren . . . . . . . . . . 1.1. Das Nationalkonzil als Alternative zum Generalkonzil . 1.2. Das „missionarische“ Motiv des protestantischen Konzilsbegehrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3. Der politische Streit um das Konzil . . . . . . . . . .

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541 543

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545 548

XVII

Inhaltsverzeichnis

2. Die päpstliche Konzilseinberufung nach Trient 1545 . . . . . . 3. Stellungnahme in „Wider das Papsttum zu Rom, vom Teufel gestiftet“ (1545) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1. Das päpstliche Konzil versus reichsständische Konzilsforderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2. Der Grund der päpstlichen Konzilsfurcht: Das Konstanzer Konzil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3. Die Konzilsattribute. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.1. „Frei“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.2. „Christlich“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.3. „In Deudschen landen“ . . . . . . . . . . . . . . . 3.4. Die kaiserliche Synodalgewalt . . . . . . . . . . . . . . . 3.5. Resümierende Konzilsbetrachtung in „Wider das Papsttum zu Rom“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die letzten Äußerungen über das Trienter Konzil. . . . . . . .

551 553 554 555 556 556 557 557 558 559 560

VIII. Luther und das Konzil: Ein Resümee . . . . . . . . . . . . 565 Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

573

1. Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Hilfsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Sekundärliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

573 576 577

Register . . . . . Bibelstellen . . . Personen . . . . . Orte und Länder . Sachen . . . . . .

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Abkürzungsverzeichnis Die Abkürzungen folgen S. M. Schwertner, Internationales Abkürzungsverzeichnis für Theologie und Grenzgebiete, Berlin/New York 21992. Zusätzlich werden folgende Abkürzungen verwendet: art. ADRG

AHL AHSTh AKThG AugH AWA B Benzing c. Cl Clem. Commun. CorpIC DCL

Decr. dist. EA var.

Extravag. EStL.N

articulus Akten der deutschen Reichsreligionsgespräche im 16. Jahrhundert, hg. von Klaus Ganzer und Karl-Heinz zur Mühlen, Göttingen 2000 ff. Kurt Aland, Hilfsbuch zum Lutherstudium, Bielefeld 41996. Arbeiten zur Historischen und Systematischen Theologie, Münster 2000 ff. Arbeiten zur Kirchen- und Theologiegeschichte, Weimar 1996 ff. Augustin Handbuch, hg. von Volker Henning Drecoll, Tübingen 2007. Archiv zur Weimarer Ausgabe der Werke Martin Luthers. Texte und Untersuchungen, Köln 1981 ff. Beiheft Josef Benzing und Helmut Claus (Hg.), Lutherbibliographie. 2 Bde., Baden-Baden 21989–1994. capitulum Luthers Werke in Auswahl. 8 Bde., hg. von Otto Clemen, Berlin 51955–1966. Clemens communis Corpus Iuris Canonici. 2 Bde., hg. von Emil Friedberg, (Leipzig 1879) Nachdruck Graz 1959–1995. Dokumente zur Causa Lutheri (1517–1521). 2 Bde., hg. von Peter Fabisch und Erwin Iserloh (CCath 41/42), Münster 1988– 1991. Decretum distinctio D. Martini Lutheri opera latina varii argumenti ad reformationis historiam imprimis pertinentia. 7 Bde., Frankfurt am Main 1865–1873. Extravagantes Evangelisches Staatslexikon. Neuausgabe hg. von Werner Heun, Martin Honecker, Martin Morlok und Joachim Wieland, Stuttgart 2006.

XX Grat. Greg. HWRh

Abkürzungsverzeichnis

Gratianus Gregorius Historisches Wörterbuch der Rhetorik, hg. von Gert Ueding, Tübingen u. a. 1992 ff. JJBW Der Briefwechsel des Justus Jonas. 2 Bde., gesammelt und bearbeitet von Gustav Kawerau, hg. von der Historischen Commission der Provinz Sachsen (Geschichtsquellen der Provinz Sachsen und angrenzender Gebiete 17), (Halle 1884–1885) Nachdruck Hildesheim 1964. Köstlin/Kawerau Julius Köstlin, Martin Luther. Sein Leben und seine Schriften. 2 Bde., 5. bearb. Aufl age von Gustav Kawerau, Berlin 1903. KSLuth Kommentare zu Schriften Luthers, Tübingen 2007 ff. LDStA Martin Luther, Lateinisch-Deutsche Studienausgabe. 3 Bde., hg. von Wilfried Härle, Johannes Schilling und Günther Wartenberg, Leipzig 2006–2009. Lenz Max Lenz (Hg.), Briefwechsel Landgraf Philipp’s des Grossmüthigen von Hessen mit Bucer. 3 Bde. (PPSA 5/28/47), Leipzig 1880–1891. Löscher Valentin Ernst Löscher (Hg.), Vollständige ReformationsActa und Documenta. 3 Bde., Leipzig 1720–1729. LuH Luther Handbuch, hg. von Albrecht Beutel, Tübingen 2005. LWML Leben und Werk Martin Luthers von 1526–1546. Festgabe zu seinem 500. Geburtstag, 2 Bde., hg. von Helmar Junghans, Berlin/Göttingen 1983. MBDS Martin Bucers Deutsche Schriften, hg. von Robert Stupperich u. a., Gütersloh/Paris 1960 ff. MBCor Martin Bucers Briefwechsel/Correspondance, hg. von Berndt Hamm, Reinhold Friedrich, Jean Rott u. a. Leiden/Boston/ Köln 1979 ff. MBW Melanchthons Briefwechsel, hg. von Heinz Scheible, StuttgartBad Cannstatt 1977 ff. MBWT Melanchthons Briefwechsel. Texte, hg. von Heinz Scheible, Stuttgart-Bad Cannstatt 1991 ff. Miethke/Weinrich Jürgen Miethke und Lorenz Weinrich (Hg.), Quellen zur Kirchenreform im Zeitalter der grossen Konzilien des 15. Jahrhunderts. 2 Bde., Darmstadt 1995–2002. Mirbt/Aland Carl Mirbt (Hg.), Quellen zur Geschichte des Papsttums und des römischen Katholizismus, 6. völlig neu bearbeitete Aufl. von Kurt Aland, Tübingen 1967. Martin Luther, Ausgewählte Werke. 6 Bde., hg. von Hans Mü 3 Heinrich Borcherdt und Georg Merz, München 31948– 1965. MüErg Martin Luther, Ausgewählte Werke. 7 Ergänzungsbände, hg. von Hans Heinrich Borcherdt und Georg Merz, München 3 1960–1975. q quaestio

Abkürzungsverzeichnis

SMHR

XXI

Spätmittelalter, Humanismus und Reformation. Studies in the Late Midle Ages, Humanism and the Reformation, Tübingen 1990 ff. SSWL Schriften zur südwestdeutschen Landeskunde, hg. vom Institut für Geschichtliche Landeskunde an der Universität Tübingen, Stuttgart u. a. 1963 ff. St. Stück StA Martin Luther, Studienausgabe. 6 Bde., hg. von Hans-Ulrich Delius, Berlin/Leipzig 1979–1999. Tentzel/Cyprian 1 Wilhelm Ernst Tentzel, Historischer Bericht vom Anfang und ersten Fortgang der Reformation Lutheri. Zur Erläuterung des Hn. V. Seckendorff Historie des Lutherthums, mit grossem Fleiß erstattet, und nunmehro in diesem andern Evangelischen Jubel-Jahr nebst einer besondern Vorrede, auch nützlichen, noch niemahls publicirten Uhrkunden, und nöthigen Registern mitgetheilet von Ernst Salomon Cyprian, Gotha 1717. Tentzel/Cyprian 2 Der Andere und Letzt Theil zu Wilhelm Ernst Tentzels Historischen Bericht vom Anfang und ersten Fortgang der Reformation Lutheri, hg. von Ernst Salomo Cyprian, Leipzig 1718. tit. titulus UA Urkunden und Aktenstücke zur Geschichte von Martin Luthers Schmalkaldischen Artikeln (1536–1574), unter Mitarbeit von Heinrich Ulbrich hg. von Hans Volz (KIT 179), Berlin 1957. WA D. Martin Luthers Werke. Kritische Gesamtausgabe, Weimar 1883 ff. WAB – Abt. Briefwechsel, 18 Bde., Weimar 1930–1985. WADB – Abt. Deutsche Bibel, 15 Bde., Weimar 1906–1961. WAT – Abt. Tischreden, 6 Bde., Weimar 1912–1921. Dr. Martin Luthers sämmtliche Schriften, hg. von Johann GeWalch 2 org Walch, 2. Aufl age St. Louis, 1880–1910. Wülcker/Virck Des kursächsischen Rathes Hans von der Planitz Berichte aus dem Reichsregiment in Nürnberg 1521–1523 (Schriften der königlich sächsischen Kommission für Geschichte 3), gesammelt von Ernst Wülcker nebst ergänzenden Aktenstücken bearbeitet von Hans Virck, Leipzig 1899. ZHF Zeitschrift für historische Forschung

I.

Luther und das Konzil: Eine Einleitung 1. Hinführung zum Thema Versammlungen, in denen Entscheidungen über Lehre und Leben der Kirche getroffen werden, gehören seit der Zeit der frühen Christenheit zum Kernbestand des Christentums. Diese als Konzil oder Synode bis in die Neuzeit hinein synonym bezeichneten Veranstaltungsformen prägten die Entwicklung der gesamten Theologie- und Kirchengeschichte in vielfältiger Weise.1 Den grundlegendsten Wandel erfuhr die Theorie und Praxis der Kirchenversammlung durch Martin Luther und die Reformation im 16. Jahrhundert, in deren Folge sich die konfessionell geprägten Konzilskonzeptionen ausdifferenzierten und in römisch-katholischer, lutherischer und reformierter Gestalt manifestierten.2 1 Sowohl der lateinische Begriff „concilium“ als auch der griechische Begriff „synodos“, die beide „Zusammenkunft“ oder „Versammlung“ bedeuten, fanden seit der Zeit der Alten Kirche zur Bezeichnung von lokalen, regionalen, überregionalen und gesamtkirchlichen Versammlungen Verwendung. Im Verlauf des Mittelalters entwickelten sich die Kirchenversammlungen zu kontinuierlichen oder situationsbezogenen Institutionen, von denen die regionalen Zusammenkünfte oft als Provinzial- oder Diözesansynode bezeichnet wurden, und entfalteten sich durch das erstarkende Papsttum in der Westkirche zu päpstlichen Universalkonzilien. Die in der Theologie des Hochmittelalters ausgebildeten Konzilstheorien, die zum Teil aus dem Gegensatz zum Papsttum erwuchsen, fanden ihre Umsetzung in den Reformkonzilien des 15. Jahrhunderts. – Weil die allgemeinen Konzilien zum Grundbestand der Christentumsgeschichte gehören und in jeder kirchengeschichtlichen Überblicksdarstellung Erwähnung fi nden, sei hier exemplarisch auf jüngere, spezifi sch konziliengeschichtliche Darstellungen verwiesen: H. J. Margull (Hg.), Die ökumenischen Konzile der Christenheit, Stuttgart 1961; P. Meinhold, Konzile der Kirche in evangelischer Sicht, Stuttgart 1962; G. Dumeige und H. Bacht (Hg.), Geschichte der ökumenischen Konzilien, 12 Bde., Mainz 1963–1990; H. Jedin, Kleine Konziliengeschichte. Mit einem Bericht über das Zweite Vatikanische Konzil, Freiburg im Breisgau 81978; G. Alberigo (Hg.), Geschichte der Konzilien. Vom Nicaenum bis zum Vaticanum II, Düsseldorf 1993; H. J. Sieben, Vom Apostelkonzil bis zum Ersten Vatikanum. Studien zur Geschichte der Konzilsidee (KonGe.U), Paderborn/ München/Wien/Zürich 1996; K. Schatz, Allgemeine Konzilien – Brennpunkte der Kirchengeschichte (UTB 1976), Paderborn/München/Wien/Zürich 1997; F. R. Gahbauer, Ch. Dinkel, R. Preul und G. Gaßmann, Art. Synode I.–III. (TRE 32, 2001, 559–584). Vgl. auch K. Schatz, Konzilien und ihre Rezeption in der Kirchengeschichte (RoJKG 26, 2007, 15–27). 2 Die Entwicklung und strukturelle Bedeutung der Synoden in den orthodoxen Kirchen ist von den römisch-katholischen und protestantischen Konzilskonzeptionen zu unterscheiden. So ist z. B. das orthodoxe Kirchenwesen in seiner Grundstruktur synodal geprägt und von den protestantisch-katholischen Differenzen unberührt geblieben. Zur Vertiefung der

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I. Luther und das Konzil: Eine Einleitung

Seitdem zählen die Konzilien in den protestantischen Kirchen zu historischen Größen der Vergangenheit. Im übertragenen Sinn können sie neuerdings auch innerhalb der ökumenischen Bewegung als Weltversammlungen charakterisiert werden.3 Hiervon ist die Synode der evangelischen Landeskirchen zu unterscheiden, die als kirchenleitendes und kirchenordnendes Organ ein seit dem 16. Jahrhundert vorbereitetes, im 19. und 20. Jahrhundert verfassungsrechtlich ausgestaltetes Phänomen bildet, welches in Ansätzen auf die mittelalterlichen Diözesan- und Nationalsynoden zurückgeht.4 Während die Synode heute zur Leitungsstruktur der protestantischen Kirchen zählt,5 fi ndet eine vertiefende systematisch-theologische Auseinandersetzung mit dem Konzilsbegriff allerdings kaum statt. Denn anders als in der römisch-katholischen Kirche, in der die Konzilien bis heute in Geltung stehen, substantiell zum Wesen der Kirche gehören und durch eine dogmatische und kirchenrechtliche Lehre amtlich fi xiert sind, gibt es – wie Wolf-Dieter Hauschild jüngst konstatierte – in den evangelischen Kirchen „keine verbindliche Definition von Wesen und Autorität eines Konzils“.6 Da aber die Entfaltung einer protestantischen Konzilslehre nicht nur im Blick auf die innerevangelische Kirchenpraxis, sondern auch in ökumeorthodoxen Synodentheorie und -praxis sei empfohlen: A. Jensen, Die Zukunft der Orthodoxie. Konzilspläne und Kirchenstrukturen (ÖTh 14), Zürich 1986; G. Gaßmann, Art. Synode III.3. Konfessionskundlich (TRE 32, 2001, 580–584), 580 f.; H. Ohme, Art. Synode IV. Bedeutung in der orthodoxen Kirche (RGG 4 7, 2004, 1976 f.). 3 Zu den ökumenischen Bemühungen der 1980er und 1990er Jahre, die unter der Bezeichnung „Konziliarer Prozeß für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung“ bekannt wurden, vgl. W. Lienemann, Art. Konziliarer Prozess (RGG 4 4, 2001, 1664 f.). 4 Zur Entwicklung der Synode in den evangelischen Kirchen vgl. u. a. G. V. Lechler, Geschichte der Presbyterial- und Synodalverfassung seit der Reformation, Leiden 1854; W. Maurer, Typen und Formen aus der Geschichte der Synode (SThKAB 9, 1955, 78–99); N. Närger, Das Synodalwahlsystem in den deutschen evangelischen Landeskirchen im 19. und 20. Jahrhundert ( JusEcc 36), Tübingen 1988; Ch. Dinkel, Art. Synode III.1. Reformation bis Schleiermacher (TRE 32, 2001, 571–575); R. Preul, Art. Synode III.2. Neuzeit seit Schleiermacher (TRE 32, 2001, 576–579); W.-D. Hauschild, Art. Synode I. Geschichtlich (RGG4 7, 2004, 1970–1974). – Weil die für das 19. und 20. Jahrhundert festzustellende begriffl iche Differenzierung von Konzil und Synode in der Reformationszeit noch nicht trennscharf vollzogen wurde, wird eine genaue Begriffsdefi nition der historischen Situation des 16. Jahrhunderts nicht gerecht. In vorliegender Studie fi ndet der Begriff Synode dann Verwendung, wenn er in den Quellen belegt ist oder durch ihn eine Provinzial- oder Diözesanversammlung beschreiben wird. 5 R. Brandt, Art. Synode II. Dogmatisch (RGG 4 7, 2004, 1974 f.), 1975 hebt zu Recht hervor, dass eine Synode nicht als „Kirchenparlament“ sondern als „geistliche Versammlung eigenen Charakters“ zu verstehen ist. Vgl. auch E. Kinder, Die Synode als kirchenleitendes Organ (SThKAB 9, 1955, 100–115). 6 W.-D. Hauschild, Art. Konzil (Th) (EStL.N 2006, 1324–1330), 1324. Bezüglich der Synode beklagte W. Huber, Synode und Konziliarität. Überlegungen zur Theologie der Synode (in: G. Rau, H.-R. Reuter und K. Schlaich [Hg.], Das Recht der Kirche Bd. 3: Zur Praxis des Kirchenrechts [FBESG 51], Gütersloh 1994, 319–348), 320: „Denn noch immer wird die Beschäftigung mit diesem Thema unter die ‚theologischen Bagatellen‘ gezählt.“ An dieser Feststellung hat sich bis heute nichts geändert.

1. Hinführung zum Thema

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nischer Perspektive als ein lohnenswertes interdisziplinäres Forschungsprojekt angezeigt werden muss, sollen mit der vorliegenden Studie aus kirchenhistorischer Sicht hierfür elementare Vorarbeiten geleistet werden. Denn um den hier lediglich angedeuteten Dissens zwischen den Konfessionen in der Theorie und Praxis der Konzilien verstehen, in evangelischer Verdichtung beschreiben und für den ökumenischen Dialog nutzbar machen zu können, ist der geschichtliche Ursprung der Differenz in der Reformation des 16. Jahrhunderts aufzuspüren. Weil der Wandel im Konzilsverständnis durch das reformatorische Auftreten Martin Luthers eingeleitet wurde, erscheint es sachlich angebracht, die Konzilsthematik an der Gestalt des Wittenberger Reformators exemplarisch herauszuarbeiten. Neben der Erschließung des lutherischen Konzilsverständnisses eröffnet eine Analyse der Konzilsproblematik anhand des Denkens und Handelns Luthers Aufschlüsse darüber, inwieweit spätmittelalterliche Kontinuitäten im Konzilsbegriff bewahrt und entfaltet sowie systemverändernde Diskontinuitäten in der Konzilsidee geprägt und ausgebildet wurden. Es sei daran erinnert, dass auf dem Hintergrund der mittelalterlichen konziliaristischen Theorien, die u. a. in der Lehre von der Überordnung des Konzils über den Papst ihre kirchenreformerische Dynamik entfalteten und unter dem Begriff „Konziliarismus“ summiert wurden,7 eine Hochschätzung der konziliaren Kircheninstanz im ausgehenden 14. und beginnenden 15. Jahrhundert begann, die durch die Krise des Papsttums im Spätmittelalter gefördert wurde. Ihren kirchenpraktischen Ausdruck fanden die konziliaristischen Ideen – freilich nicht unumstritten – in den Reformkonzilien von Konstanz (1414–1418) und Basel (1431–1449), die allerdings durch das Wiedererstarken des Papsttums und der damit verbundenen papalistischen Theoriebildung in Konkurrenz zur römisch-kurialen Institution gerieten.8 Folglich bildete der Streit zwischen Konziliarismus und Papalismus sowie die konziliare Theorie mit ihrem kirchenreformerischen Potential die Voraussetzung für die Entwicklung des Konzilsgedankens im 16. Jahrhundert. 7 Zur Problematik des Konziliarismus-Begriffs vgl. J. Miethke, Konziliarismus – die neue Doktrin einer neuen Kirchenverfassung, (in: I. Hlavácek und A. Patschovsky [Hg.], Reform von Kirche und Reich zur Zeit der Konzilien von Konstanz [1414–1418] und Basel [1431–1449]. Konstanz-Prager Historisches Kolloquium [11.–17. Oktober 1993], Konstanz 1996, 29–59). 8 Zum Konziliarismus des Spätmittelalters vgl. die Überblicke u. a. von R. Bäumer (Hg.), Die Entwicklung des Konziliarismus. Werden und Nachwirken der konziliaren Idee (WdF 279), Darmstadt 1976; H. J. Sieben, Traktate und Theorien zum Konzil. Vom Beginn des Großen Schismas bis zum Vorabend der Reformation (1378–1521) (FTS 30), Frankfurt am Main 1984; W. Brandmüller, Papst und Konzil im Großen Schisma (1378–1431). Studien und Quellen, Paderborn/München/Wien/Zürich 1990; H. Smolinsky, Art. Konziliarismus (TRE 19, 1990, 579–586); M. Basse, Von den Reformkonzilien bis zum Vorabend der Reformation (KGE 2/2), Leipzig 2008, 58–108.

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I. Luther und das Konzil: Eine Einleitung

Darüber hinaus ist hinlänglich bekannt, dass Luther infolge seiner reformatorischen Erkenntnis fundamentale Kritik an den Autoritäten der römischen Kirche übte – zuerst am Papst und seit 1519 an den Konzilien – und hiermit einen systemsprengenden Prozess in Gang setzte, der die überkommenen spätmittelalterlichen Signaturen radikal destruieren sollte. In diesem Zusammenhang avancierte das Konzil zu einem zentralen Thema, welches über Luther hinaus die gesamte evangelische Bewegung und ihre altgläubigen Gegner erfassen sollte und in theologischer, politischer, kirchenrechtlicher und historischer Dimension entfaltet wurde. So begann, durch Luther angestoßen, auf theologischer Ebene eine hitzige Diskussion über die Autorität und Bedeutung der Konzilien, die sowohl in historischer als auch in gegenwärtiger Perspektive reflektiert wurde. Hierbei wurde die Frage nach den Aufgaben, Gestalten und Möglichkeiten der Konzilien diskutiert und ihre bisherigen lehramtlichen Positionen problematisiert. Die Konzilstheorie wurde selbst zum Gegenstand der Glaubenskontroverse und beschleunigte letztlich die Glaubensspaltung. In politischer Dimension wurde der durch Luther angeregte Ruf nach einem allgemeinen Konzil sowohl von reformatorischen Protagonisten als auch von altgläubigen Vertretern gleichermaßen ventiliert und teils als Kirchenreforminstanz, teils als Gerichtsforum in der „Causa Lutheri“ auf die Ebene des deutschen Reichs transformiert. Damit wurde auch die kirchenrechtliche Dimension angeschnitten, welche u. a. in der Frage nach der Leitung, Zusammensetzung und Gesetzgebungsgewalt des kirchlichen Gremiums thematisiert wurde. Die historische Dimension, die mit der theologischen einherging, fragte nach der Bewertung der geschichtlichen Konzilien und der normativen Kraft ihrer Entscheidungen und Dekrete für Glauben und Kirche. Aus dieser sollte Luther seine Kritik hinsichtlich der konziliaren Lehrgewalt ableiten. Die hier angerissenen Dimensionen lassen folgende Schlussfolgerung zu: Die Frage nach dem Konzil zählt zu den komplexesten Themen der Reformationszeit. Die Erforschung ihrer Vielschichtigkeit und Mehrdimensionalität ist folglich nicht nur für die Entwicklung eines protestantischen Konzilsverständnisses aufschlussreich, sondern trägt auch fundamental zum Verstehen der Reformation im 16. Jahrhundert bei. Obwohl die Konzilsthematik, deren Bearbeitung die gesamte Zeit der Reformation in unterschiedlicher Intensität bestimmte, von allen einflussreichen Personen, die am Prozess der Reformation oder an ihrer Bekämpfung beteiligt waren, diskutiert wurde und deren Signatur zum theologischen und politischen Facettenreichtum jener Zeit zählt, soll hier – wie bereits angedeutet – der bescheidenere, aber keineswegs einfachere Zugang gewählt und eine Konzentration auf Luther gewagt werden. Diese Konzentration erfolgt nicht, um den Wittenberger Theologen als besondere Persönlichkeit gegenüber den übrigen Reformatoren oder altgläubigen Kontrahenten zu bevorzugen oder gar eine

2. Konturen der Forschung

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lutherische Engführung herbeizuführen, sondern sie drängt sich aufgrund der Notwendigkeit der Sache auf.9 Weil Luther die Konzilsdiskurse der Reformationszeit wie kein anderer initiierte und durch zahlreiche Beiträge prägte, außerdem selbst zum Grund für das vielfältige Konzilsbegehren wurde und zeitlebens mit der Thematik beschäftigt blieb, soll anhand von Luther die Entwicklung des Konzils in der Reformationszeit erschlossen werden. Dieses ist umso angezeigter, als es letztlich nicht allein – wie gemeinhin angenommen – Luthers Kritik am Papsttum und Episkopat war, die zum Bruch mit der römischen Kirche führte. Es war vor allem seine Infragestellung und Bestreitung der irrtumsfreien und göttlichen Autorität der Konzilien, die ihm Johannes Eck während der Leipziger Disputation 1519 sensationell abrang, durch welche Luther das spätmittelalterlich-kirchliche Autoritätengefüge überwand und zur freien reformatorischen Ausgestaltung vordrang.10 Folglich kommt dem Konzilsthema für Luthers Entwicklung zum Reformator fundamentale Bedeutung zu. Seine Erschließung stellt einen substantiellen und längst überfälligen Beitrag zur Theologie Luthers dar, so dass die Untersuchung nicht nur für die Ökumene- und Reformationsgeschichte von Belang ist, sondern ihren vornehmlichsten Wert als genuine Lutherarbeit besitzt. Dass eine „Neubearbeitung des Themas ‚Luther und das Konzil‘“ ein dringendes Forschungsdesiderat darstellt, wurde erst kürzlich beklagt.11 Nicht zuletzt aufgrund dieser Notwendigkeit wird die vorliegende Lutherstudie das markierte Desiderium erfüllen und – wie im Folgenden zu sehen sein wird – eine eklatante Lücke in der Lutherforschung schließen.

2. Konturen der Forschung Die Erforschung des Konzilsthemas in der Reformationszeit und speziell bei Martin Luther bildet zwar kein unbearbeitetes Gelände mehr, doch erstaunt, dass trotz der Brisanz und Komplexität der Thematik das Terrain nur marginal bestellt ist. Im Gegensatz zu der das gesamte Lebenswerk des Reformators 9 Weil die spätmittelalterlich-katholischen Konzilsvorstellungen ein vielfältiges Spannungsgeflecht unterschiedlicher theologischer Schulen und Positionen darstellen, deren nuancenreichen Erschließung den Gesamtrahmen der vorliegen Studie sprengen würde, muss hier auf eine differenzierte Bearbeitung dieses Themenfeldes verzichtet werden. Grundzüge des katholischen Konzilsverständnisses werden dann geboten, wenn eine Rezeption bei Luther nachweisbar ist oder wenn altgläubige Kontrahenten Luther auf die Konzilsthematik ansprechen. In gleicher Weise werden auch die konziliaren Positionen der protestantischen Reformatoren und Mitstreiter Luthers verhandelt. 10 Vgl. B. Moeller, Art. B.III.1. Luther und das Papsttum (LuH, 106–115), 112. 11 Th. Brockmann, Texte zu den Konzilien und zum Konzilsbesuch der Protestanten (LuJ 71, 2004, 249–251), 251.

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I. Luther und das Konzil: Eine Einleitung

durchziehenden Entwicklung des Konzilsgedankens stieß die Konzilsthematik bisher auf ein zurückhaltendes Forschungsinteresse, so dass die Studien zu Luthers Konzilsverständnis bis heute überschaubar sind. Während beispielsweise die Themen Ekklesiologie und kirchliches Amt bei Martin Luther in vielfältiger und hochspezialisierter Weise kompetent bearbeitet wurden und gegenwärtig ein Schwerpunkthema der Reformationsforschung bilden,12 bleiben die spezifischen Beiträge zum Thema „Luther und das Konzil“ in quantitativer und qualitativer Hinsicht hinter diesen Forschungsschwerpunkten signifi kant zurück. Lediglich im Umfeld des 2. Vatikanischen Konzils (1962–1965) kam es aufgrund des aktuellen kirchenpolitischen Bezugs und einer notwendigen konfessionellen Positionsbeschreibung zu einer intensiveren Bearbeitung der Konzilsthematik bei Luther, welche bis heute die Darstellungen zum Thema prägt. Um die immerhin vorhandenen Forschungskonturen aufzeigen und die hieraus resultierenden Untersuchungsfragen formulieren zu können, seien in einem kurzen Panorama die traditionellen und aktuellen kirchenhistorischen und geschichtswissenschaftlichen Forschungsfelder zur Thematik dargeboten. Die Lutherforschung des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts wurde in Bezug auf die Konzilsthematik durch die theologische Dissertation von Theodor Kolde maßgeblich geprägt, die er 1876 unter dem Titel „Luther’s Stellung zu Concil und Kirche bis zum Wormser Reichstag, 1521“ publiziert hatte.13 In seiner auf die Anfangsjahre der Reformation konzentrierten Untersuchung zeichnete der junge Kirchenhistoriker in historisch-chronologischer Vorgehensweise eine heute zwar überholte, die weiteren Forschungen aber stimulierende Entwicklungslinie von Luthers Konzils- und Kirchenbegriff. Insbesondere seine Feststellung, man habe bisher zu wenig betont, dass „Luthers 12 Vgl. zur Ekklesiologie bei Luther beispielsweise M. Abraham, Evangelium und Kirchengestalt. Reformatorisches Kirchenverständnis heute (TBT 140), Berlin/New York 2007; M. Beyer, Luthers Ekklesiologie (LWML, 93–117. 755–765); K. Hammann, Ecclesia spiritualis. Luthers Kirchenverständnis in den Kontroversen mit Augustin von Alveldt und Ambrosius Catharinus (FKDG 44), Göttingen 1989; W. Höhne, Luthers Anschauungen über die Kontinuität der Kirche (AWTL.NF 12), Berlin/Hamburg 1963; E. Kinder, Der evangelische Glaube und die Kirche. Grundzüge des evangelisch-lutherischen Kirchenverständnisses, Berlin 21960; J. von Lüpke (Bearb.), Radikale Kirchenkritik, radikale Erneuerung. Eine Synodalrede Luthers aus der Frühzeit der Reformation (Luther 79, 2008, 2–10); H. Theißen, Über Kreuz mit der Welt. Der Ort der Kirche bei Luther (Luther 79, 2008, 151–163); D. Wendebourg, Art. II. C.6. Kirche (LuH, 403–414); H. Zschoch (Bearb.), Die eine Kirche – ohne Ort an vielen Orten. Grundlegendes zum Kirchenverständnis aus Luthers Schrift gegen Alvelt von 1520 (Luther 79, 2008, 146–150). Zum kirchlichen Amt und der Frage der Ordination vgl. u. a. H. Goertz, Allgemeines Priestertum und ordiniertes Amt bei Luther (MThSt 46), Marburg 1997; M. Krarup, Ordination in Wittenberg. Die Einsetzung in das kirchliche Amt in Kursachsen zur Zeit der Reformation (BHTh 141), Tübingen 2007. Vgl. außerdem zum Thema die zahlreichen Literaturangaben in der Lutherbibliographie der verschiedenen Jahrgänge des LuJs. 13 Th. Kolde, Luther’s Stellung zu Concil und Kirche bis zum Wormser Reichstag, 1521. Historisch entwickelt, Gütersloh 1876.

2. Konturen der Forschung

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allmählige[r] Abfall von dem mittelalterlichen Kirchenthum“ nicht in der „Loslösung vom Papst“ gipfelte, sondern „in der Verwerfung des Concils“,14 sollte zukunftsweisend wirken. Nachdem Koldes Studie in weiteren Lutherarbeiten verifi ziert worden war,15 war es die sich zum Jahrhundertprojekt der Lutherforschung entwickelnde Edition der „Weimarer Ausgabe. Abteilung Schriften“ mit ihren die Quellentexte jeweils kritisch einleitenden Vorworten, die das Bild von Luthers Konzilsverständnis nachhaltig und zum Teil bis heute weiterwirkend beeinflussen sollte.16 In der Folgezeit entstanden vereinzelt Studien, die verschiedene Facetten der Konzilsthematik beleuchteten. So erschlossen die protestantischen Theologen Ernst Schäfer (1897) und Walther Köhler (1900) in ihren detailreichen Studien konzilsgeschichtliche Grundlagen.17 Der Berliner Kirchenhistoriker Karl Holl streifte in seinen Studien zur „Entstehung von Luthers Kirchenbegriff “ (1915) und zu „Luther und das landesherrliche Kirchenregiment“ (1911) die Bedeutung des Konzils für den jungen Luther.18 Der katholische Konzilsexperte Stephan Ehses befasste sich in einem kleinen, konfessionell zugespitzten Aufsatz mit „Luthers Appellation an ein allgemeines Konzil“ (1918/19).19 Und der lutherische Systematiker Carl Stange näherte sich in Aufsätzen den Themen „Luther und das fünfte Laterankonzil“ (1929) und „Luther und das Konzil zu Pisa von 1511“ (1933).20 80 Jahre nach Koldes Studie fasste der Münsteraner Kirchenhistoriker Robert Stupperich in seinem Aufsatz „Die Reformatoren und das Tridentinum“ (1956) die Forschungslage zu Luthers Konzilsverständnis in dem ernüchternden Resultat zusammen: „Eine heutige Ansprüche befriedigende Darstellung liegt nicht vor.“21 Zwar werde „im Zusammenhang mit der Entwicklung von Lu14

AaO. VI. Vgl. z. B. die Lutherbiographie von J. Köstlin, Martin Luther. Sein Leben und seine Schriften. 2 Bde., 5. neubearbeitete Aufl age von G. Kawerau, Berlin 1903 passim. 16 So z. B. durch die von J. K. F. Knaake verfassten Einleitungen zu Luthers „Konzilsappellationen“ (1518/ 1520) in: WA 2; 34 f. (publiziert: 1884) und WA 7; 74 f. 83 f. (1897), oder zur Schrift „An den christlichen Adel deutscher Nation von des christlichen Standes Besserung“ (1520) in: WA 6; 381–403 (1888). Hierzu zählt u. a. auch die Einleitung von F. Cohrs und O. Brenner zu „Von den Konziliis und Kirchen“ (1539) in: WA 50; 488–509 (1914). 17 W. Köhler, Luther und die Kirchengeschichte nach seinen Schriften, zunächst bis 1521. I. (untersuchender) Teil. 1. Abt.: Die Ablaßinstruktion, die Bullen, Symbole, Concilien und die Mystiker (Beiträge zu den Anfängen protestantischer Kirchengeschichtsschreibung), Erlangen 1900; E. Schäfer, Luther als Kirchenhistoriker. Ein Beitrag zur Geschichte der Wissenschaft, Gütersloh 1897. 18 K. Holl, Die Entstehung von Luthers Kirchenbegriff (1915) (in: Ders., Gesammelte Aufsätze zur Kirchengeschichte. I. Luther, [Tübingen 1921] Tübingen 71948, 288–325); Ders., Luther und das landesherrliche Kirchenregiment (1911) (in: Ders., Luther, 326–380). 19 S. Ehses, Luthers Appellation an ein allgemeines Konzil (HJ 39, 1918/19, 740–748). 20 C. Stange, Luther und das fünfte Laterankonzil (ZSTh 6, 1929, 339–444); Ders., Luther und das Konzil zu Pisa von 1511 (ZSTh 10, 1933, 681–710). 21 R. Stupperich, Die Reformatoren und das Tridentinum (ARG 47, 1956, 20–63), 22. 15

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I. Luther und das Konzil: Eine Einleitung

thers Kirchenbegriff [. . .] gelegentlich auch auf sein Konzilsverständnis hingewiesen“, doch seien diese durchaus instruktiven Bemerkungen vielfach einem bestimmten Zeitabschnitt zugeordnet und vermittelten nicht Luthers Gesamtsicht.22 Obgleich Stupperich entwicklungsgeschichtliche Konturen von Luthers Konzilsverständnis anfertigte und erstmals mehrere Facetten in der Konzilsthematik der Reformationszeit aufzeigte, blieben die Akzente zu Luther nicht nur aufgrund der Darstellungsform, welche die Äußerungen aller führenden Reformatoren zum Trienter Konzil (1545–1563) berücksichtigen wollte, blass und skizzenhaft.23 Neben der Lutherforschung waren es die größtenteils aus katholischer Perspektive betriebenen Forschungen zum Konzil von Trient, die in polemischer und apologetischer Weise sich u. a. mit Luthers Haltung zur Konzilsfrage befassten.24 Schließlich ermöglichte die 1901 begonnene wissenschaftliche Quellenedition zur Vorgeschichte und zum Verlauf des Tridentinums Einsichten in die kurialen Hintergründe.25 Den bedeutendsten Impuls erfuhr die Forschung zum Trienter Konzil durch die 1949 begonnene und 1979 abgeschlossene vierbändige „Geschichte des Konzils von Trient“ aus der Feder Hubert Jedins.26 In dieser, zum konzilshistorischen Standardwerk etablierten Darstellung beschrieb der katholische Kirchengeschichtler im ersten Band die theologische, kirchenpolitische und reichspolitische Vorgeschichte des Konzils von Trient, wobei er in höchst parteiischer und wissenschaftlich verzeichnender Form auch Luther und seine Konzilsäußerungen in die Entwicklungslinien eintrug.27

22 Ebd. Als Referenz verwies Stupperich auf P. Tschackert, Die Entstehung der lutherischen und der reformierten Kirchenlehre samt ihren innerprotestantischen Gegensätzen, Göttingen 1910, 111 u. ö. 23 Vgl. Stupperich, Reformatoren, 23–27. 27–36 passim. 24 So berührte C. J. Hefele, Conciliengeschichte. Nach den Quellen bearbeitet, fortgeführt von J. Hergenröther, Bd. 9, Freiburg im Breisgau 1890, Luthers Autoritätenkritik. Auch nahm Ludwig von Pastor immer wieder Bezug auf die Konzilsäußerungen des Wittenberger Theologen: L. von Pastor, Geschichte der Päpste seit dem Ausgang des Mittelalters. Bd. 4: Geschichte der Päpste im Zeitalter der Renaissance und der Glaubensspaltung von der Wahl Leos X. bis zum Tode Klemens’ VII. (1513–1534). 2 Teile, Freiburg im Breisgau 81925, passim; Ders., Geschichte der Päpste seit dem Ausgang des Mittelalters. Bd. 5: Geschichte Papst Pauls III. (1534–1549), Freiburg im Breisgau 51923, passim. – Zur Forschungsgeschichte vgl. H. Jedin, Das Konzil von Trient. Ein Überblick über die Erforschung seiner Geschichte, Rom 1948. 25 Die maßgebliche Quellensammlung zum Konzil von Trient liegt vor in der Reihe: Concilium Tridentinum. Diariorum, actorum, epistularum, tractatuum. Nova Collectio, 13 Bde., ed. Societas Georresiana, Friburgi 1901–2001. Für die Vorgeschichte ist insbesondere der von Stephan Ehses bearbeitete Band CT 4 von Interesse. 26 H. Jedin, Geschichte des Konzils von Trient. 4 Bde., Freiburg 1949–1979. 27 Die antilutherische Polemik des 1. Bandes von Jedins Konzilsgeschichte veranlasste einen unbekannten Leser, in dem Exemplar der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (Signatur KG III 8191-1) den Untertitel „Der Kampf um das Konzil“ mit den Worten zu kommentieren: „Ein Versuch, dem heutigen

2. Konturen der Forschung

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Mit der Ankündigung des 2. Vatikanischen Konzils am 25. Januar 1959 durch Papst Johannes XXIII. rückte die Konzilsthematik schlagartig in den Blickpunkt der Forschung. Jetzt nahmen sich sowohl evangelische als auch katholische Forscher der Fragestellung an, welche Konzilsvorstellung Luther vertreten hatte, und suchten sie für die ökumenische und kirchenpolitische Debatte im Umfeld des römisch-katholischen Generalkonzils fruchtbar zu machen. Von Albrecht Ebneter stammte die 1962 publizierte, historisch-chronologische Studie „Luther und das Konzil“, mit welcher der katholische Theologe die bis dahin umfassendste, prägnanteste und sachdienlichste Dokumentation von Luthers Stellungnahmen zum Konzil vorlegte.28 Bereits 1961 hatte Peter Meinhold die Konzilsthematik im Horizont der Reformation bearbeitet und Martin Seils sich mit dem „ökumenischen Konzil in der lutherischen Theologie“ befasst.29 Jaroslav Pelikan leitete aus der systematischen Analyse von Luthers Schrift „Von den Konziliis und Kirchen“ (1539) dessen protestantische Konzilskonzeption ab30 und Friedrich Wilhelm Kantzenbach beschrieb 1967 im Nachklang zum Vatikanischen Konzil „Auftrag und Grenze eines christlichen Konzils in der Sicht Luthers“.31 Auch wenn die letztgenannten Aufsätze hilfreiche ökumenische Beiträge darstellten, boten sie keine neuen Forschungsansätze und -erkenntnisse zu Luthers Konzilsverständnis. Dies änderte sich für die Lutherforschung erst 1966 mit der Dissertation von Christa Tecklenburg Johns, die unter dem Titel „Luthers Konzilsidee in ihrer historischen Bedingtheit und ihrem reformatorischen Neuansatz“ erschien und die bis heute die einzige monographische Darstellung zum Thema bildet.32 In ihr ging die Historikerin der Problematik der Abhängigkeit oder Selbständigkeit von Luthers Konzilsbegriff nach, die sie zu der Frage veranlasste, „ob und inwieweit sich das Konzilsverständnis des Reformators von seiner Kenntnis der Geschichte der Konzile und ihrer Theorie herleitet, oder ob und inwieweit es aus einem völlig neuen reformatorischen Ansatz und insbesondere aus einem

Katholiken begreifl ich zu machen, wieso Luther nicht nach seinem ersten Auftreten liquidiert wurde, was selbstverständlich hätte geschehen müssen.“ 28 A. Ebneter, Luther und das Konzil (ZKTh 84, 1962, 1–48). 29 P. Meinhold, Das Konzil im Jahrhundert der Reformation (in: H.-J. Margull [Hg.], Die ökumenischen Konzile der Christenheit, Stuttgart 1961, 201–233); M. Seils, Das ökumenische Konzil in der lutherischen Theologie (in: Margull, Konzile, 333–372). 30 J. Pelikan, Luthers Stellung zu den Kirchenkonzilien (in: K. E. Skydsgaard [Hg.], Konzil und Evangelium. Lutherische Stimmen zum kommenden römisch-katholischen Konzil, Göttingen 1962, 40–62). In englischer Fassung publizierte er den Aufsatz in: Ders., Obedient rebels. Catholic Substance and Protestant Principle in Luther’s Reformation, New York/Evanston 1964, 54–76. 31 F. W. Kantzenbach, Auftrag und Grenze eines christlichen Konzils in der Sicht Luthers (ThZ 23, 1967, 108–134). 32 Ch. Tecklenburg Johns, Luthers Konzilsidee in ihrer historischen Bedingtheit und ihrem reformatorischen Neuansatz (TBT 10), Berlin 1966.

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I. Luther und das Konzil: Eine Einleitung

neuen Kirchenbegriff hervorgeht.“33 Aus dieser, vornehmlich den „jungen Luther“ betreffenden Perspektive kristallisierte sie sodann die brisante Frage heraus, warum Luther im Rahmen des römischen Prozesses zweimal an die Institution eines Konzils appellierte, obwohl er die absolute Konzilsautorität seit 1519 relativierte und von einem Konzil als „letzte[r], ausschlaggebende[r] Instanz“ nicht mehr ausging. Bildete dieser Widerspruch eine Inkonsequenz oder war sein Vorgehen reine Taktik? 34 In zwei systematischen Schritten hoffte die Verfasserin, die Problematik lösen zu können. In einem ersten Kapitel trug sie summarisch Aussagen über Luthers Haltung zu den altkirchlichen und mittelalterlichen Konzilien sowie zum Konziliarismus zusammen, durch die Luthers ablehnende Haltung zu den päpstlichen Konzilien und zum Konziliarismus des Spätmittelalters deutlich wurde und die in der These mündeten, ein Konziliarist, d. h. ein Anhänger der Oberhoheit des Konzils über den Papst, sei Luther nie gewesen.35 In einem zweiten, weitaus kürzeren Kapitel leitete Tecklenburg Johns – in Anlehnung an Johannes Heckel 36 – Luthers „neuen“ Konzilsbegriff von seinem reformatorischen Kirchenbegriff ab und behauptete, das Konzilsverständnis sei allein von seinen reformatorisch-theologischen Grundanschauungen geprägt und nicht von kanonistischen oder konziliaristischen Positionen bestimmt worden. Von der ekklesiologisch grundgelegten Konzilstheologie aus habe Luther zur Untersuchung seiner schriftgemäßen Lehre eine seinen Vorstellungen entsprechende Synode oder ein freies, christliches Konzil gefordert.37 Obwohl die Beobachtungen und Erkenntnisse von Tecklenburg Johns die Forschungsdiskussion zu Luthers Konzilsverständnis erstmalig belebten,38 mangelte es der übersichtlichen Studie doch an historischer Einordnung, quellenkritischer Akribie, sachlicher Präzision und kontextualisierender Sichtweise. KurtVictor Selge wies in seiner 1968 eingereichten Heidelberger Habilitationsschrift „Normen der Christenheit im Streit um Ablaß und Kirchenautorität 1518 bis 1521. Erster Teil: Das Jahr 1518“, die bedauerlicher Weise nie gedruckt und fortgesetzt wurde, auf das problematische Lutherbild bei Tecklenburg Johns hin 33

AaO. 13. Ebd. 35 AaO. 142 f. u. ö. 36 Vgl. J. Heckel, Initia iuris ecclesiastici Protestantium (SBAW.PH 5, 1949), München 1950; Ders., Lex Charitatis (ABAW.PH 36), München 1953, der bereits in der ersten Hälfte der 1510er Jahre den reformatorischen Kirchenbegriff bei Luther ausgebildet fi ndet und den Wittenberger Theologen gegen den mittelalterlich-katholischen Kirchenbegriff opponieren lässt. Dahinter steht die von der jüngeren Lutherforschung mittlerweile überholte einseitige Hervorhebung des radikal Neuartigen der Theologie Luthers. 37 Tecklenburg Johns, Konzilsidee, 194. 38 Vgl. z. B. B. Lohse, Rez. zu Tecklenburg Johns, Konzilsidee, 1966 (HZ 206, 1968, 211 f.); R. Schwarz, Rez. zu Tecklenburg Johns, Luthers Konzilsidee, 1966 (ThLZ 94, 1969, 526 f.); E.-W. Kohls, Rez. zu Tecklenburg Johns, Luthers Konzilsidee, 1966 (ARG 59, 1968, 260 f.). 34

2. Konturen der Forschung

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und betonte, es sei ein methodischer Grundfehler, wenn man das Neue beim jungen Luther gleichzeitig mit der Konsequenz der Abwertung des „Alten“, d. h. Katholisch-Mittelalterlichen, herauspräpariere.39 Vielmehr, so das begründete Ergebnis von Selge, habe sich der „junge Luther“ nach wie vor als Teil seiner Kirche verstanden.40 Aus dieser Monographie, der Selge weitere anregende Aufsätze zu der die Konzilsthematik umfassenden Autoritätsproblematik folgen ließ,41 welche allesamt heute zum Standardrepertoire der Lutherforschung zählen, sind wesentliche historisch-genetische Einsichten in Luthers theologische Entwicklung und in seine im theologiegeschichtlichen Kontext stehenden Kirchen- und Konzilsgedanken zu gewinnen. Während in der evangelischen Luther- und Reformationsgeschichtsforschung seit den 1960er Jahren die Diskussionen42 z. B. um den jungen Luther, dessen 39 K.-V. Selge, Normen der Christenheit im Streit um Ablaß und Kirchenautorität 1518 bis 1521. Erster Teil: Das Jahr 1518, Habil. masch., Heidelberg 1968, 25 Anm. 2. Weitere Kritik an Tecklenburg Johns Studie vgl. Selge, aaO. 33. 60. 63. 40 AaO. 25 Anm. 2: „Ich ziehe es vor, dem jungen Luther seine Chance innerhalb seiner Kirche zu lassen, an die er selbst geglaubt hat.“ 41 K.-V. Selge, Die Augsburger Begegnung von Luther und Kardinal Cajetan im Oktober 1518. Ein erster Wendepunkt auf dem Weg zur Reformation ( JHKGV 20, 1969, 37–54); Ders., Der Weg zur Leipziger Disputation zwischen Luther und Eck im Jahr 1519 (in: B. Moeller und G. Ruhbach [Hg.], Bleibendes im Wandel der Kirchengeschichte. Kirchenhistorische Studien, Tübingen 1973, 169–210); Ders., Die Leipziger Disputation zwischen Luther und Eck (ZKG 86, 1975, 26–40); Ders., Das Autoritätengefüge der westlichen Christenheit im Lutherkonfl ikt 1517–1521 (HZ 23, 1976, 591–617). 42 Die in der Lutherforschung einst eifrig geführte Diskussion um den jungen Luther und dessen reformatorische Entdeckung ist mittlerweile signifi kant abgeebbt, obgleich eine sachliche Verständigung nach wie vor nicht erzielt werden konnte. Je nach theologischer Position des Forschers und je nach Bestimmung des Gehaltes der reformatorischen Entdeckung bzw. dessen, was unter „reformatorisch“ zu verstehen ist, wurde für die Früh- oder Spätdatierung der „reformatorischen Wende“ plädiert. Auch wenn heute aufgrund der erfreulich vorsichtiger und differenzierender urteilenden Forschung die Thematik kaum noch für Streit sorgt, bleiben die historischen und systematischen Schwierigkeiten bezüglich der Zuordnung u. a. des auf die Rechtfertigungslehre zielenden Selbstzeugnisses von 1545 (WA 54; 185,12– 186,20) und die das neue Bußverständnis behandelnde Notiz von 1518 (WA 1; 525,4–23) bestehen. Aus der fast unüberschaubaren Literaturfülle zum Thema seien neben den wichtigsten autobiographischen Aussagen Luthers: O. Scheel (Hg.), Dokumente zu Luthers Entwicklung (SQS NF 2), Tübingen 21929, die in den zwei Sammelbänden zusammengestellten Beiträge erwähnt: B. Lohse (Hg.), Der Durchbruch der reformatorischen Erkenntnis bei Luther (WdF 123), Darmstadt 1968; Ders. (Hg.), Der Durchbruch der reformatorischen Erkenntnis bei Luther. Neuere Untersuchungen (VIEG.B 25), Stuttgart 1988. Vgl. auch R. Schwarz, Luther (KIG 3/I), Göttingen 1986, 28–32; B. Lohse, Luthers Theologie in ihrer historischen Entwicklung und in ihrem systematischen Zusammenhang, Göttingen 1995, 97–110. V. Leppin, „Omnem vitam fidelium penitentiam esse voluit“. Zur Aufnahme mystischer Traditionen in Luthers erster Ablaßthese (ARG 93, 2002, 7–25) und ders., Martin Luther, Darmstadt 2006, 107–117 versucht in seinen Lutherdarstellungen die alte Diskussion neu zu beleben, indem er behauptet, dass bei Luther ein „psychologisch greif barer reformatorischer Durchbruch nicht stattfand“ (aaO. 116). Gegen diese Position erhob beispielsweise M. Brecht, Luthers neues Verständnis der Buße und die reformatorische Entdeckung (ZThK 101, 2004, 281–291) Einspruch.

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I. Luther und das Konzil: Eine Einleitung

reformatorische Entdeckung oder den Thesenanschlag kontrovers geführt und durch die katholische Lutherforschung herausgefordert wurden,43 nahm das Interesse an Luther und dem Konzil auf protestantischer Seite signifi kant ab. Die Thematik schien nahezu erledigt. Eine gegenläufige Entwicklung fand in der katholischen Kirchengeschichtsschreibung statt. Im Umfeld und Nachklang des 2. Vatikanischen Konzils trat die Erforschung der Reformkonzilien des Spätmittelalters, die Genese und Gestalt des Konziliarismus und die Erschließung der Reformationszeit in den Vordergrund. Indem die Literatur zu den Konzilien von Konstanz 44 und Basel45 bis heute zu einer unüberschaubaren Fülle anwuchs,46 die Beschäftigung mit dem 5. Laterankonzil (1512–1517) angeregt wurde47 und Einzelstudien zu konziliaristisch gesinnten Theologen und Kanonisten erschienen, intensivierte die ka43 Vgl. V. Leppin, Art. A.III. Lutherforschung am Beginn des 21. Jahrhunderts (LuH, 19–34), 23–28. 44 Einen umfassenden Literaturbericht über die Erforschung des Konstanzer Konzils bietet: A. Frenken, Die Erforschung des Konstanzer Konzils (1414–1418) in den letzten 100 Jahren (AHC 25,1/2), Paderborn 1993. Aus der bis heute angewachsenen Zahl von Einzelstudien zum Konstanzer Reformkonzil seien u. a. erwähnt: A. Franzen und W. Müller (Hg.), Das Konzil von Konstanz. Beiträge zu seiner Geschichte und Theologie. FS, Freiburg im Breisgau 1964; R. Bäumer (Hg.), Das Konstanzer Konzil (WdF 415), Darmstadt 1977; W. Brandmüller, Art. Konstanz, Konzil von (TRE 19, 1990, 529–535); Ders., Das Konzil von Konstanz 1414–1418. Bd. 1: Bis zur Abreise Sigismunds nach Narbonne (KonGe.D), Paderborn/München/Wien/Zürich (1991) 21999; Ders., Das Konzil von Konstanz 1414–1418. Bd. 2: Bis zum Konzilsende (KonGe.D), Paderborn/München/Wien/Zürich 1997. Vgl. hierzu kritisch H. G. Thümmel, Rez. zu Walter Brandmüller, Das Konzil von Konstanz 1414– 1418, 2 Bde. 1997–1999 (ThLZ 125, 2000, 783–788). Zum ökumenischen Aspekt vgl. z. B. R. Staats, Papalismus oder Konziliarismus. Die ökumenische Aktualität des Konzils von Konstanz 1414–1418 (in: Kirke, protestantisme og samfunn. FS til Professor Dr. Ingun Montgomery, hg. von R. Jensen, D. Thorkildsen, A. V. Tönnessen, Trondheim 2006, 261–274). 45 Zum Basler Konzil vgl. J. Helmrath, Das Baseler Konzil 1431–1449. Forschungsstand und Probleme (KHAb 32), Köln/Wien 1987; E. Meuthen, Das Basler Konzil als Forschungsproblem der europäischen Geschichte, Opladen 1985. Vgl. u. a. auch W. Krämer, Konsens und Rezeption. Verfassungsprinzipien der Kirche im Basler Konziliarismus (BGPhMA NF 19), Münster 1980. 46 Zu den Konzilien des 15. Jahrhunderts insgesamt vgl. u. a. J. Gill, Konstanz und BaselFlorenz (GÖK 9), Mainz 1967; J. Helmrath und H. Müller (Hg.), Die Konzilien von Pisa (1409), Konstanz (1414–1418) und Basel (1431–1449). Institution und Person (VKAMAG 67), Ostfi ldern 2008; I. Hlavácek und A. Patschovsky (Hg.), Reform von Kirche und Reich zur Zeit der Konzilien von Konstanz (1414–1418) und Basel (1431–1449), Konstanz 1996. Als Quellensammlung sei verwiesen auf die weitere Forschungsliteratur enthaltende Dokumentation: J. Miethke und L. Weinrich (Hg.), Quellen zur Kirchenreform im Zeitalter der großen Konzilien des 15. Jahrhunderts. 1. Teil: Die Konzilien von Pisa (1409) und Konstanz (1414–1418), Darmstadt 1995; Dies., Quellen zur Kirchenreform im Zeitalter der großen Konzilien des 15. Jahrhunderts. 2. Teil: Die Konzilien von Pavia/Siena (1423/24), Basel (1431–1449) und Ferrara/Florenz (1438–1445), Darmstadt 2002; H. Müller, Konzilien des 15. Jahrhunderts und Zweites Vatikanisches Konzil. Historiker und Theologen als Wissenschaftler und Zeitgenossen (ThRv 103, 2007, 1–18). 47 Zur Forschungsliteratur über das 5. Laterankonzil vgl. N. H. Minnich, Art. Lateransynoden II. Lateran V (1512–1517) (TRE 20, 1990, 489–492), 492.

2. Konturen der Forschung

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tholische Forschung unter kritischer Rezeption der protestantischen Studien auch ihr Interesse an Luthers Konzilsverständnis und suchte die spätmittelalterlich-konziliaristischen Einflüsse bei Luther hervorzuheben. Vornehmlich der Kirchenhistoriker Remigius Bäumer analysierte in verschiedenen Forschungsbeiträgen Luthers Konzilsvorstellungen auf dem theologiegeschichtlichen und kanonistischen Hintergrund der konziliaren Idee des frühen 16. Jahrhunderts,48 griff die Frage nach der „Irrtumsfähigkeit des Konzils“49 auf und arbeitete „drei Epochen“ in der Entwicklung von Luthers konziliaristischen Ansichten heraus.50 Folglich hatte nicht zuletzt Bäumer die Thematik „Luther und das Konzil“ auf die zentrale Frage nach dessen konziliaristischer Haltung zugespitzt. Der Ausgestaltung von Luthers Konzilsbegriff wandte sich Herbert Immenkötter einige Jahre später zu, indem er die von Luther erhobene Forderung nach einem „gemein, frei, christlich Konzil in deutschen Landen“ untersuchte.51 Neue Impulse erfuhr die Erforschung von Luthers Konzilsbegriff im Rahmen der von Walter Brandmüller seit 1979 herausgegebenen konziliengeschichtlichen Reihe.52 Hermann Josef Sieben untersuchte innerhalb seines umfangreichen ideengeschichtlichen Projektes zum Konzilsgedanken 1988 ausführlich „Luthers Konzilsidee“.53 In seinem profunden Beitrag konzentrierte sich Sieben einerseits auf Luthers Auslegung von Act 1554 und arbeitete andererseits anhand der Schrift „Von den Konziliis und Kirchen“ Luthers „Konzilsher48 R. Bäumer, Martin Luther und der Papst. 5. durchgesehene Aufl age mit einem neuen Kapitel: Die wissenschaftliche Diskussion über „Luther und der Papst“ seit 1971 bis 1986 (KLK 30), Münster (11970) 51987; Ders., Nachwirkungen des konziliaren Gedankens in der Theologie und Kanonistik des frühen 16. Jahrhunderts (RGST 100), Münster 1971. 49 R. Bäumer, Luthers Ansichten über die Irrtumsfähigkeit des Konzils und ihre theologiegeschichtlichen Grundlagen (in: L. Scheffczyk, W. Dettloff und R. Heinzmann [Hg.], Wahrheit und Verkündigung. Michael Schmaus zum 70. Geburtstag. Bd. 2, München/Paderborn/Wien 1967, 987–1003). 50 Die drei Phasen waren nach Bäumer, Papst, 45: 1. die Frühzeit bis 1518, in der Luther der konziliare Gedanke nicht stärker interessierte, 2. die Jahre 1518/19, in denen Luther konziliaristische Ansichten übernahm und 3. die Jahre seit 1519, in welchen Luther sich von Autoritäten frei und an die Norm der Heiligen Schrift gebunden fühlte. 51 H. Immenkötter, „Ein gemein, frei, christlich Konzil in deutschen Landen“. Zum Konzilsbegriff Martin Luthers (in: W. Brandmüller [Hg.], Synodale Strukturen der Kirche. Entwicklung und Probleme [TID 3], Donauwörth 1977, 126–139). 52 Siehe die zwei Teilreihen zur Konziliengeschichte: W. Brandmüller (Hg.), Konziliengeschichte Darstellungen, Paderborn/München/Wien/Zürich 1980 ff. (= KonGe.D); Ders. (Hg.), Konziliengeschichte Untersuchungen, Paderborn/München/Wien/Zürich 1979 ff. (= KonGe.U). 53 H. J. Sieben, Die katholische Konzilsidee von der Reformation bis zur Auf klärung (KonGe.U), Paderborn/München/Wien/Zürich 1988, 13–51. – Das Projekt brachte ebenfalls hervor: Ders., Die Konzilsidee der Alten Kirche (KonGe.U), Paderborn u. a. 1979; Ders., Die Konzilsidee des lateinischen Mittelalters (847–1378) (KonGe.U), Paderborn u. a. 1984; Ders., Katholische Konzilsidee im 19. und 20. Jahrhundert (KonGe.U), Paderborn u. a. 1993. 54 Sieben, Reformation, 23–32.

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I. Luther und das Konzil: Eine Einleitung

meneutik“ heraus.55 Die im selben Jahr veröffentlichte Studie von Hans-Jürgen Becker „Die Appellation vom Papst an ein allgemeines Konzil. Historische Entwicklung und kanonistische Diskussion im späten Mittelalter und in der frühen Neuzeit“ interpretierte Luthers Konzilsappellationen im Zusammenhang des juristischen Appellationsinstrumentes.56 Dass die Thematik „Luther und das Konzil“ zentrale Auswirkungen auf die politische Fragestellung nach der Funktion und Einberufung eines Konzils im Glaubensstreit der Reformationszeit hatte und mit dem mehrschichtigen Konzilsbegehren verknüpft war, wurde auch im Forschungsfeld der Territorial- und Reichsgeschichte erkannt, aber kaum eingehend bearbeitet.57 Lediglich die Forschungen von Eike Wolgast, welcher das Verhältnis der Wittenberger Theologen zur Politik der evangelischen Reichsstände untersuchte58 und in diesem Zusammenhang eine Studie über die kursächsischen Konzilsdiskurse unter Einbeziehung Luthers vorlegte,59 machten auf das Potential aufmerksam, das in der Erschließung der Konzilsthematik als Problem der Reichs-, Territorial- und Bündnispolitik liegt.60 Neben der Erforschung der Reichsgeschichte eröffnete die von protestantischen und katholischen Wissenschaftlern gleichermaßen betriebene Erforschung der Papst- und Kuriengeschichte, welche über das reine Interesse an der „Causa Lutheri“ hinaus ging, aufschlussreiche Einsichten in die päpstliche und europäische Konzilspolitik, die unmittelbare Auswirkungen auf die politischen Dimensionen der Reformation hatte.61 Aus diesem Forschungsfeld ging u. a. die von Peter Fabisch und Erwin Iserloh herausgegebene zweibändige Edition der 55

AaO. 32–43. H.-J. Becker, Die Appellation vom Papst an ein allgemeines Konzil. Historische Entwicklung und kanonistische Diskussion im späten Mittelalter und in der frühen Neuzeit (FKRG 17), Köln/Wien 1988, 448–453. 57 Ausnahmen bilden die zwei Qualifi kationsarbeiten: K. Hofmann, Die Konzilsfrage auf den deutschen Reichstagen von 1521–1524, Inaugural-Dissertation, Mannheim [1932]; G. Wilhelm, Die Konzilspolitik des Schmalkaldischen Bundes in den Jahren 1533–1539, Diss. masch. Jena 1939. 58 E. Wolgast, Die Wittenberger Theologie und die Politik der evangelischen Stände. Studien zu Luthers Gutachten in politischen Fragen (QFRG 47), Gütersloh 1977. 59 E. Wolgast, Das Konzil in den Erörterungen der kursächsischen Theologen und Politiker 1533–1537 (ARG 73, 1982, 122–152). 60 Weiterführende Ansätze fi nden sich bei: A. Kohnle, Reichstag und Reformation. Kaiserliche und ständische Religionspolitik von den Anfängen der Causa Lutheri bis zum Nürnberger Religionsfrieden (QFRG 72), Gütersloh 2001, passim. In diesem Zusammenhang ist auch auf die Studie von W. Borth, Die Luthersache (Causa Lutheri) 1517–1524. Die Anfänge der Reformation als Frage von Politik und Recht (HS 414), Lübeck/Hamburg 1970 aufmerksam zu machen, welche die Konzilsthematik allerdings nur streift. 61 Vgl. z. B. die wertvollen Beiträge von G. Müller, Die römische Kurie und die Anfänge der Reformation (ZRGG 19, 1967, 1–32); Ders., Die römische Kurie und die Reformation 1523–1534. Kirche und Politik während des Pontifi kates Clemens’ VII. (QFRG 38), Gütersloh 1969; Ders., Zur Vorgeschichte des Tridentinums. Karl V. und das Konzil während des Pontifi kats Clemens’ VII. (ZKG 74, 1963, 83–108). 56

2. Konturen der Forschung

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„Dokumente zur Causa Lutheri (1517–1521)“ hervor, die grundlegende Texte zum kurialen Prozess gegen Luther präsentierte, welche die Vieldimensionalität des Konzilsthemas aufzeigten.62 Ein eigenes Forschungsfeld, welches allerdings bezüglich der Konzilsthematik noch deutlich unterentwickelt ist, bilden im Rahmen der Reformationsgeschichtsforschung die Reformatoren neben Martin Luther. Studien zu Philipp Melanchthon, Martin Bucer u. a., die sich explizit dem Konzilsthema widmen, sind kaum vorhanden. Impulse könnten hier – neben der vorliegenden, auf Luther konzentrierten Arbeit – von der kritischen Quellenedition der Schriften Martin Bucers oder vom Briefwechsel Philipp Melanchthons ausgehen. Das neu erwachte Interesse an den Strukturen innerprotestantischer Dependenzen und gegenseitiger Beeinflussungen der reformatorischen Theologengruppen dürfte der Erforschung dienlich sein.63 Schließlich wurde die Konzilsfrage in der Reformationszeit jüngst als Thema der historischen Publikationsforschung entdeckt. 1998 veröffentlichte Thomas Brockmann die voluminöse Dissertationsschrift „Die Konzilsfrage in den Flugund Streitschriften des deutschen Sprachraumes 1518–1563“,64 in der er 562 der Gattung „Flug- und Streitschriften“ zugerechnete Texte nach konfessionellen Aspekten und historischen Entwicklungen ordnete, in diskurstheoretische Argumentationsstränge gliederte und zu einem vielschichtigen Panorama protestantischer und katholischer Konzilsstrukturen vordrang. Allerdings schloss sich Brockmann, der seine Arbeit durch Einzelstudien flankierte,65 im Blick auf Luther den wenigen vorhandenen Studien – mit Ausnahme der Interpretation des Apostelkonzils66 – an und bündelte das bisher Bekannte. Anhand des Forschungsüberblicks wird deutlich: Obwohl bisher aus verschiedenen Perspektiven Einzelbeiträge zum Thema „Luther und das Konzil“ geleistet wurden, fehlt eine die unterschiedlichen Forschungsfelder verbindende Gesamtschau sowie die verschiedenen ineinandergreifenden Facetten der Kon62 Dokumente zur Causa Lutheri (1517–1521). 2 Bde., 1. Teil: Das Gutachten des Prierias und weitere Schriften gegen Luthers Ablaßthesen (1517–1518), hg. und kommentiert von P. Fabisch und E. Iserloh (CCath 41), Münster 1988; 2. Teil: Vom Augsburger Reichstag 1518 bis zum Wormser Edikt 1521 hg. und kommentiert von P. Fabisch und E. Iserloh (CCath 42), Münster 1991. 63 Vgl. J.-M. Kruse, Universitätstheologie und Kirchenreform. Die Anfänge der Reformation in Wittenberg 1516–1522 (VIEG 187), Mainz 2002. 64 Th. Brockmann, Die Konzilsfrage in den Flug- und Streitschriften des deutschen Sprachraumes 1518–1563 (SHKBA 57), Göttingen 1998. 65 Th. Brockmann, The Problem of the Ecumenical Council in German Reformation Pamphlet Literature, 1520–1563 (AHC 36, 2004, 423–447). 66 Th. Brockmann, Apostelkonzil und Konzilsfrage in der Reformationszeit. Zur Argumentation mit Apg 15 in der Publizistik des deutschen Sprachraumes 1520–1563 (in: H. Schmidt-Glintzer [Hg.], Fördern und Bewahren. Studien zur europäischen Kulturgeschichte der frühen Neuzeit, Wiesbaden 1996, 25–48); Ders., Luther und das Apostelkonzil (Apg 15) (ZKG 114, 2003, 303–322).

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I. Luther und das Konzil: Eine Einleitung

zilsthematik berücksichtigende Studie. Weder wurde die Entwicklung von Luthers Konzilsverständnis kontextuell betrachtet noch seine situativen Stellungnahmen zur politischen Konzilsforderung in den Gesamtrahmen seiner Konzilstheorie gestellt. Die Kontinuitäten und Diskontinuitäten konziliarer Theorien in Luthers Genese zum Reformator blieben ebenso unberücksichtigt wie die Gründe und Motive, die zur Ablehnung des Konzils als evangelischer Kirchenreforminstanz führten.

3. Methode und Quellen Folglich ist der material dürftige Ertrag der bisherigen Forschungskonturen nur durch eine Neubearbeitung des Themas zu überwinden, welche die unterschiedlichen Aufgabenstellungen berücksichtigt und die einzelnen Felder miteinander verknüpft. Weil diese Aufgabe aber nicht geleistet werden kann, ohne zuvor einige methodische Grundentscheidungen getroffen und die Quellengrundlage benannt zu haben, müssen, ehe das Panorama der Fragestellungen mit dem daraus resultierenden Auf bau der Studie skizziert wird, Methode und Quellen reflektiert werden. Um die Vielfältigkeit, Komplexität und Differenziertheit des Themas einholen zu können, ist es ratsam, die Konzilsthematik anhand zentraler Stationen und Ereignisse in Luthers Leben sowie anhand grundlegender Äußerungen von ihm zu erschließen. Erst durch den hierfür geeigneten historisch-chronologischen Ansatz können die Entwicklungen und Wandlungen in Luthers Konzilsverständnis konturenscharf erschlossen und die Kontinuitäten und Diskontinuitäten prägnant bestimmt und theologisch sachgemäß analysiert werden. Weil von einem prozesshaften Verlauf der theologischen Entwicklung Martin Luthers auszugehen ist und diese durch unterschiedliche ideengeschichtliche, personenorientierte und biographische Kontexte stimuliert wurde, müssen auch Luthers Konzilsäußerungen kontextuell verortet werden. Die Integration der Aussagen und Ereignisse in die kirchen-, theologie- und allgemeingeschichtlichen Zusammenhänge wird die Nuancen, Verschiebungen und Kontraste, die sich in Luthers Konzilsverständnis niederschlagen, pointieren und mögliche Einflussfaktoren eruieren helfen. Auch deshalb ist der historisch-chronologische Ansatz den eher systematischen Ansätzen vorzuziehen, die Luthers Konzilsverständnis entweder anhand einer Schrift 67 oder durch die dem Kontext entwundene Zusammenstellung von Aussagen – wie beispielsweise in Tecklenburg Johns Studie68 – zu erschließen hofften. 67

Vgl. z. B. Pelikan, Luthers Stellung, 40–62. Tecklenburg Johns, Konzilsidee, 14–164 erschließt Luthers Konzilsvorstellungen durch die Nachzeichnung seiner Stellungnahmen zu den historischen Konzilien und begründet hierdurch die „Entwicklung der Konzilsidee“. Weil allerdings die Kontexte, in de68

4. Aufgabenstellung und Vorgehen

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Schließlich enthält der historisch-chronologische Ansatz methodologische Differenzierungsmöglichkeiten, die sowohl den Facettenreichtum des Konzilsthemas bei Luther in theologischer, historischer, kirchenjuristischer, kirchenpraktischer oder politischer Perspektive einzuholen verstehen, als auch die von außen auf Luther zukommenden Anforderungen hinsichtlich des konziliaren Fragespektrums durch theologische Gegner und Mitstreiter, durch Politiker und Fürsten oder durch Papst und Bischöfe integrieren lassen. Dabei sind die Studien der oben skizzierten Forschungsfelder zu den Konzilsdiskursen der Reformationszeit einzubeziehen, wodurch eine interdisziplinäre Verklammerung zwischen Kirchen- und Allgemeingeschichte, wie sie jüngst von Olaf Mörke angemahnt wurde, entsteht.69 Damit ein möglichst authentisches, mehrdimensionales und die jeweilige Situation berücksichtigendes Spektrum an Aussagen von Luther zum Konzilsthema erhoben werden kann, muss der Gesamtbestand der „Weimarer Ausgabe“ mit ihren Unterabteilungen „Werke“, „Briefe“, „Tischreden“ und „Deutsche Bibel“ als Quellengrundlage dienen und auf die Thematik „Luther und das Konzil“ hin untersucht werden.70 Anders als in bisherigen Studien sind hierfür u. a. auch die Predigtmitschriften und Nachschriften einzubeziehen, so dass erstmals ein umfassender Materialbestand der Gesamt- und Einzelanalyse zugrunde liegt. Flankiert wird diese komplexe Erschließungsweise durch weitere Quellentexte, die in Form von Schriften, Briefen, Gutachten oder Verhandlungsakten aus den zur Verfügung stehenden kritischen Editionen der ausdifferenzierten Reformationsgeschichts- und Reichstagsforschung zur Analyse und Interpretation jeweils hinzugezogen werden. Folglich gründet die Studie auf einer akribischen, in dieser Dimension von der Lutherforschung bisher nicht erreichten Vollständigkeit der Quellenerschließung, durch die neben den bekannten Haupttexten zahlreiche unentdeckte Aussagen und Nuancen bezüglich der Konzilsthematik bekannt gemacht werden.

4. Aufgabenstellung und Vorgehen Das methodische Verfahren und die Hinweise zum Quellenbestand ermöglichen es nun, die die Lutherstudie leitenden Fragekomplexe zu umreißen und

nen Luther seine Aussagen traf, nicht hinreichend Berücksichtigung fanden, bleibt Tecklenburg Johns Arbeit defi zitär. 69 O. Mörke, Die Reformation. Voraussetzungen und Durchsetzung (Enzyklopädie Deutscher Geschichte 74), München 2005, 137 f. 70 Zur Erschließung wurde einerseits auf das vielbewährte Luther-Register in Tübingen zurückgegriffen, andererseits mittels Computeranalyse die WA mit ihren Unterabteilungen WAB; WAT; WADB auf thematische Stichworte hin durchsucht.

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I. Luther und das Konzil: Eine Einleitung

die hieraus resultierende Aufgabenstellung zu formulieren, welche den Aufriss der Studie abbilden wird. (1) Der erste Aufgabenkomplex betrifft den jungen Luther und seine theoretischen und praktischen Konzilsrezeptionen. Hier gilt es zu klären, welche Einflüsse Luthers Konzilsvorstellungen prägten und mit welchen (spätmittelalterlichen) Konzilskonzeptionen er sich genauer beschäftigte. Neben den konzilstheoretischen Traditionen und Aneignungen sind – von der bisherigen Forschung unbeachtet – Luthers konzilspraktische Prägungen in den Blick zu nehmen. Lässt sich nachweisen, ob und welche Erfahrungen er mit der Institution der Synode oder des Konzils gesammelt hatte? Aus den theoretischen und praktischen Einflüssen resultiert die höchste Aufmerksamkeit verdienende Frage nach der Funktion des Konzils im beginnenden Prozess der Reformation. Eignete Luther dem Konzil oder der Synode in Analogie zu den konziliaristischen Tendenzen und Konzeptionen des Spätmittelalters kirchenreformerische Gestaltungskraft im Ablassstreit zu? Sollten hier Kontinuitäten nachweisbar sein, müsste geprüft werden, wie er diese in sein sich insbesondere im Jahr 1518 ausbildendes reformatorisches Verständnis kirchlicher Autoritäten integrierte. Pointierter ist zu formulieren: War Luther Konziliarist? Diesen Fragen wird im ersten Kapitel nachgegangen, welches „Die Konzilsthematik im Streit um Ablass und Papsttum (bis 1518)“ (II.) beschreiben wird. Dass im Spannungsfeld zwischen theologischer Fragestellung und beginnendem kurialen Ketzerprozess verstärkt kirchenpolitische und kirchenrechtliche Dimensionen für den Wittenberger Theologen zum Tragen kamen, in denen beispielsweise die Institution „Konzil“ im Herbst 1518 durch die „Konzilsappellation“ zur zentralen Koordinate avancierte, ist in diesem Kapitel ebenso darzustellen wie die Rolle, die Luther dem Konzil innerhalb des gegen ihn angestrengten Ketzerverfahrens einräumte. (2) Der zweite Komplex wendet sich der „Entwicklung des reformatorischen Konzilsverständnisses (1519)“ (III.) zu, welche im Rahmen der reformationsgeschichtlich bedeutsamen Leipziger Disputation erfolgte. Weil Luther dort die unfehlbare Autorität der Konzilien nicht nur öffentlich in Frage stellte, sondern auch bezüglich des Konstanzer Konzils bestritt, ist zu analysieren, was Luther zu dieser in der Theologiegeschichte bis dahin singulären Aussage veranlasste, und zu erkunden, welche Konsequenzen er aus der Leipziger Begegnung für seine Konzilstheorie zog. Außerdem müssen in diesem Zusammenhang die Fragen geklärt werden, in welcher Form sich Luther auf die Leipziger Veranstaltung vorbereitete, welche Quellen er konsultierte und welches Bild sich ihm bezüglich der historischen Konzilien und ihren Dekreten erschloss. Dass herausragende historische Konzilien für Luthers konziliare Argumentation und Theoriebildung von Relevanz waren, wurde von der Forschung zwar schon frühzei-

4. Aufgabenstellung und Vorgehen

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tig erkannt.71 Aber auf welche Weise er die Geschichte der Konzilien oder einzelne Aspekte aus ihnen für die Diskussion fruchtbar machte, fand bis heute keine befriedigende Antwort. (3) Die für Luthers reformatorische Entwicklung im Jahre 1520 höchst gravierende Fragestellung, warum er die Autorität eines Konzils einerseits destruieren, andererseits sich auf das Konzil im Reformationsprozess berufen konnte, zählt zu den ungelösten Problemen der Lutherforschung und muss in einem dritten Komplex bearbeitet werden. Wie konnte sich Luther nach seiner radikalen Kritik auf die Konzilsinstitution beziehen und sie produktiv in den Dienst der reformatorischen Sache stellen, obwohl er zuvor ihre Autorität bestritten hatte? Bei welchen Themen plädierte er für ein Konzil zur Reform der sichtbaren Kirche? Und welcher Art sollte dieses Reformkonzil sein? Es zählt zum theologischen Allgemeinwissen, dass Luther 1520 ein freies, christliches Konzil zum Einreißen der päpstlich-römischen Mauern forderte. Aber wie er dieses Konzil charakterisierte und in welcher Form es mit Luthers Kirchenbegriff verwoben war, gilt es in dem Kapitel „Die Forderung nach einem freien, christlichen Konzil (1520)“ (IV.) zu erschließen. Dort ist auch die Frage zu bedenken, wie Luther auf die Bannandrohungsbulle reagierte und welche Funktion er dem Konzil in diesem Prozess zuwies. (4) Die letztgenannte Problemstellung ist in einem vierten Untersuchungsschritt fortzuführen. Inwiefern nahm die päpstliche Bannandrohung auf Luthers Bewertung der kirchlichen Konzilsinstitution und auf sein theologisches Konzilsverständnis Einfluss? Welche Bedeutung erlangten in diesem Zusammenhang die Heilige Schrift und die Urteilsfähigkeit der Laien? Diese Aspekte leiten zur weitergehenden Frage nach der Rolle des Konzilsthemas auf dem Wormser Reichstag 1521 und in der Auseinandersetzung um und mit Luther über. Weil dort Luthers Lehre und Konzilshaltung zum reichspolitischen Thema wurden und Eingang in das Wormser Edikt fanden, muss „Die Politisierung und Problematisierung der Konzilsthematik im Umfeld des Wormser Reichstages (1521)“ (V.) eigens untersucht werden. (5) Mit der „Popularisierung und Problematisierung der Konzilsthematik in den 1520er Jahren“ (VI.) befasst sich das daran anschließende Kapitel, in dem anhand von drei Wirkungskreisen Luthers Einstellung zum Konzil erschlossen wird. Zum einen ist die Frage zu stellen, ob und wenn ja, welche Funktion Luther dem Konzil im reformatorisch ausgerichteten gemeindlichen Gestaltungs- und Auf bauprozess der 1520er Jahre zuwies. Wurde Luthers „reformatorische“ Konzilskonzeption nun tatsächlich für die lokale und territoriale Reformation dienstbar gemacht oder verhinderte gerade Luther ihre kirchenordnende Umsetzung? Da bekannt ist, dass Luther die christliche Gemeinde durch Gottes 71 Vgl. beispielsweise Kolde, Luther’s Stellung, 51 f.; Tecklenburg Johns, Konzilsidee, passim.

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I. Luther und das Konzil: Eine Einleitung

Wort bauen und nicht durch Synoden ordnen wollte, muss gefragt werden, welche theologischen Gründe und kirchenpraktischen Motive für Luther in diesem Zusammenhang entscheidend waren. Zum anderen ist zu erarbeiten, inwiefern Luther in die politische Diskussion um das Konzil involviert wurde und welche Position er in diesem Zusammenhang vertrat. Weil im beginnenden konfessionellen Ausdifferenzierungsprozess der 1520er Jahre, der durch die Erfolge der evangelischen Bewegung vorangetrieben wurde, der Forderung nach einem Konzil als Urteils- und Entscheidungsinstanz in der Glaubensfrage eine einheitswahrende Schlüsselstellung zukam, ist zu fragen, ob und in welcher Weise Luther das Konzilsbegehren unterstützte. Zum dritten muss der von der Forschung bisher nicht geklärten Frage nachgegangen werden, inwiefern Luther das Konzilsthema in Predigten oder gedruckten Sermonen in den 1520er Jahren popularisierte. Wie und was Luther über das Konzil predigte, dürfte Aufschlüsse über seine theoretischen Konzilsvorstellungen und praktischen Konzilserwartungen geben. (6) Der letzte große Aufgabenkomplex wendet sich der „Konzilsthematik im Horizont von Politik und Kirche (1530–1546)“ (VII.) zu. Mit der sich entwickelnden Bündnis- und Bekenntnispolitik erhielt das Konzil neue politische Brisanz, die durch eine differente kuriale und kaiserliche Konzilspolitik gesteigert und in verschiedenen päpstlichen Konzilsprojekten der 1530er Jahre aktuell wurde. Dadurch wurde das Konzil selbst zum Gegenstand der theologischen und politischen Kontroverse zwischen Protestanten und Altgläubigen, die in verschiedenen Konzilsdiskursen ihren Niederschlag fand. Inwiefern Luther sich an der Diskussion beteiligte, welche Maßnahmen er ergriff und welche Haltung er zum päpstlichen Konzilsvorhaben einnahm, ist ebenso zu analysieren wie der Einfluss, den der Reformator allein oder im Miteinander mit seinen Wittenberger Kollegen in den 1530er und 1540er Jahren auf die Entwicklung der protestantischen Konzilsposition ausübte. Aufgrund der Untersuchung des Konzilsthemas in jenen Jahren dürften sich Konturen ergeben, welche Aufschlüsse über Luthers Verknüpfung mit der Politik ermöglichen und diejenigen Tendenzen der Forschung kritisch beleuchten, die Luther nach 1525 zur Randfigur oder zum „Zuschauer“ des reformatorischen Geschehens werden lassen wollen.72 Durch die aufgezeigte Vermessung des Geländes und die Beschreibung des Zugangsweges bezieht die Erschließung des Thementerrains „Luther und das Konzil“ in kritischer Form die jeweiligen Erfordernisse und Strukturen mit ein, so dass aus den umrissenen Aufgabenfeldern kirchen- und theologiegeschichtlich relevante Ergebnisse gezeitigt werden können. Die vorgelegte Stu72 Vgl. z. B. Leppin, Luther, 292 u. ö. Siehe hierzu die Hinweise von A. Beutel, Rez. zu Volker Leppin, Martin Luther, 2006 (ThLZ 132, 2007, 1221–1224) und Ch. Windhorst, Rez. zu Volker Leppin, Martin Luther, 2006 (ThR 73, 2008, 237–246).

4. Aufgabenstellung und Vorgehen

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die zur Entwicklung des Konzils als zentralem Thema der Reformationszeit dürfte das Lutherbild differenzieren und pointieren helfen und – so steht zu hoffen – zu einem Gesamtverständnis der Konzilien aus lutherischer Perspektive beitragen.

II.

Die Konzilsthematik im Streit um Ablass und Papsttum (bis 1518) Die theologische Entwicklung des jungen Luther zählt nach wie vor zu den spektakulärsten und facettenreichsten Themen der Lutherforschung. Einen für sein Autoritäts- und Kirchenverständnis aufschlussreichen Teilbereich innerhalb des komplexen Entstehungsprozesses der reformatorischen Theologie bildet dabei die Frage nach dem Konzil. Welche Rolle eignete er der als Reforminstanz des Spätmittelalters hoch geschätzten Institution im Rahmen seiner wachsenden Kirchenreformbemühungen zu? Sind Kontinuitäten und Rezeptionsstränge nachweisbar? Oder gibt es für die Einflussnahme konziliaren Gedankengutes auf Luthers Entwicklungsprozess keine näheren Anzeichen? Beschritt er folglich einen vom konziliaristischen Kirchenverständnis des Spätmittelalters unabhängigen Weg? Neben der Frage nach den theologischen Prägungen von Luthers Konzilsvorstellung sind – erstmals in der Forschung überhaupt – die konzilspraktischen Einwirkungen mit einzubeziehen. Lässt sich nachweisen, ob und wenn ja, welche Erfahrungen er mit der kirchlichen Institution „Synode“ oder „Konzil“ gesammelt hatte? Gerade weil in der Diözese Brandenburg, zu der Wittenberg gehörte, Synoden oder synodenähnliche Konvente stattfanden, steht zu vermuten, dass es für den jungen Theologieprofessor dort Berührungspunkte gab. Unter Berücksichtigung dieser theoretischen und praktischen Horizonte konzentriert sich die Untersuchung der konziliaren Traditionen und Kontinuitäten bei Luther auf seine frühesten Äußerungen und Schriften (§ 1). Es fällt auf und verlangt nach einer Erklärung, dass positive Aussagen zur Konzilsautorität von Luther erst im Sommer 1518 eindeutig überliefert sind. Jetzt betonte er, dass die Entscheidungsautorität über kirchliche Lehrdispute nicht mehr beim Papst, sondern bei einem allgemeinen Konzil liege, und forderte ein Konzil zur Klärung der Ablassproblematik.1 Welches die Hintergründe und die Entwicklungslinien waren, die zu diesen zentralen konziliaren Aussagen führten, muss ebenso analysiert werden wie die Bedeutung, die sie innerhalb des Streites um Ablass und Papsttum einnahmen. Gleichzeitig ist die Frage zu klären, inwiefern Luther in dieser Phase als Konziliarist zu beurteilen ist (§ 2). 1

Siehe z. B. WA 1; 384,27; aaO. 584,10–12.17.

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II. Die Konzilsthematik im Streit um Ablass und Papsttum (bis 1518)

Die Verschärfung der Angriffe gegen Luther im Rahmen des kurialen Ketzerprozesses führte zuerst literarisch und im Oktober 1518 mündlich zur Beschleunigung der Umwertung des bisherigen kirchlichen Autoritätenkanons. Obwohl dem Augsburger Verhör durch Cajetan hierbei eine grundlegende Funktion zukam, wurde die durch den Kardinal ausgelöste Konzilsthematik im Streitgespräch bisher kaum näher analysiert und innerhalb des wachenden Autoritätenkonfl iktes interpretiert. Welche Bedeutung das Konzilsthema bezüglich der kirchlichen Autorität durch die Augsburger Begegnung für Luther erlangte, gilt es erstmalig aufzudecken (§ 3). Schließlich wagte der aufgrund des Ketzerprozesses um sein Leben fürchtende Luther im November 1518 eine Appellation an das allgemeine Konzil. Welcher Art diese Appellation war, welche Funktion sie ausübte und was Luther durch sie zu bezwecken suchte, wird in einem vierten Paragraphen genauer zu erörtern sein. Weil diese Appellation zu der innerhalb der Forschung umstrittenen Frage führt, inwiefern Luther durch diese Handlung als Konziliarist zu gelten habe, muss eine kontextuelle Neubestimmung vorgenommen werden, welche die in diesem Gesamtkapitel herausgearbeitete Entwicklung berücksichtigt (§ 4).

§ 1 Das Konzil in den frühesten Äußerungen und Schriften In der Lutherforschung wurden bis heute weder plausible, geschweige denn abschließende Antworten auf die Fragen gefunden, an welchen Orten und in welchen Zusammenhängen Luther mit der Konzilsthematik in Berührung kam und welche Prägung er bezüglich der im 15. Jahrhundert vielfältig diskutierten Konzilsidee erfuhr. Um sich der Problematik zu nähern, muss prägnanter gefragt werden: Wann, wo und in welchem Kontext kam Luther in seinen ersten nachweisbaren Äußerungen auf das Thema Konzil zu sprechen? Gab es reale Konzilien, auf die er sich in seinen literarisch greif baren Ausführungen bezog? Erwähnte er beispielsweise innerhalb seiner exegetischen Studien den Streit zwischen Konziliarismus und Papalismus? Außerdem stellt sich die Frage, ob er durch mögliche konzilspraktische Erfahrungen in seiner Haltung beeinflusst wurde. Im Rahmen des praktischen Untersuchungskontextes ist darüber hinaus nach der zentralen Aufgabe zu forschen, die Luther einem Konzil oder einer Synode zuweisen konnte. Lassen sich hierbei kirchenreformerische Positionen herauspräparieren oder sogar reformatorische Ideen fi nden? Zur Beantwortung dieses Spektrums sind die frühesten erhaltenen Schriften, Briefe und Aufzeichnungen Luthers auf das Themenfeld Konzil hin zu untersuchen und gegenüber der bisherigen Lutherforschung neu im Zusammenhang darzustellen.

1. Die frühen Randbemerkungen und Vorlesungen Einen ersten Zugang zum Thema bieten die im Rahmen seiner frühen akademischen Tätigkeit entstandenen Randnotizen und Vorlesungsmanuskripte,2 in denen Luther von den historischen Konzilien einzig das altkirchliche Konzil von Nicäa (325) erwähnt. So nennt er das Konzil von Nicäa in den Randbemerkungen zu den Sentenzen des Petrus Lombardus aus den Jahren 1510/11 im

2 Über Luthers frühe akademische Tätigkeit in Wittenberg vgl. u. a. die Überblicke bei M. Brecht, Martin Luther. Bd. 1: Sein Weg zur Reformation 1483–1521, Stuttgart 1981, 126–149; Köstlin/Kawerau, Luther 1, 101–121; B. Lohse, Luthers Theologie in ihrer historischen Entwicklung und in ihrem systematischen Zusammenhang, Göttingen 1995, 61– 97; Schwarz, Luther, 23–37; J. Wolff, Art. C. I.8. Vorlesungen (LuH, 322–328), 322 f.

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II. Die Konzilsthematik im Streit um Ablass und Papsttum (bis 1518)

Zusammenhang mit Athanasius3 und erwähnt es ebenfalls in seiner umfangreichen ersten Psalmenvorlesung von 1513 bis 1515, den „Dictata super psalterium“4 : Im Scholion zu Ps 90 [91],5–8 wird es als der Ort genannt, an dem die Wahrheit wieder auferstanden sei.5 Darüber hinaus gebraucht Luther in den „Dictata“ zwar das Wort „concilium“, verwendet es aber entsprechend der biblischen Textvorlagen im Sinne von „Versammlung“ oder „Rat“, nicht im Sinne von allgemeinem Konzil oder Synode.6 Weil das Wort „concilium“ als Versammlung vielfach eine ekklesiologische Zuspitzung erfährt, scheint eine kurze Skizzierung angebracht: 7 In der Zeilenglosse zu Ps 67 [68],31 interpretiert Luther „congregacio taurorum“ mit 3 Zur 11. Distinktion des Lombarden notiert Luther: WA 9; 40,6: Unde Athanasius: qui fuit vel ante vel sub concilio niceno. – Über die Bedeutung von Athanasius für Luther informiert B. Lohse, Luther und Athanasius (in: L. Grane, A. Schindler und M. Wriedt [Hg.], Auctoritas patrum. Zur Rezeption der Kirchenväter im 15. und 16. Jahrhundert [VIEG.B 37], Mainz 1993, 97–115), der in seiner profunden Darstellung jene Luthernotiz allerdings übersieht. Zum Umgang mit dem Sentenzenbuch des Lombarden vgl. Lohse, Luthers Theologie, 55–61; J. Wieneke, Luther und Petrus Lombardus. Martin Luthers Notizen anlässlich seiner Vorlesung über die Sentenzen des Petrus Lombardus Erfurt 1509/11, St. Ottilien 1995. 4 Siehe zu den „Dictata“ WA 3; (1) 11–652; WA 4; 1–462 sowie die kritische Neubearbeitung in: WA 55,1–2. 5 WA 55,2; 715,481 (Scholion zu Ps 90,5–8). 6 Den Begriff „concilium“ verwendet Luther in diesem Sinne im Wolfenbütteler Psalter (Luthers Glossenmanuskript) sechsmal, während er ihn in der Dresdener Scholienhandschrift 24-mal anführt. In seinem Psalterdruck von 1513, der dem Glossenmanuskript zugrunde liegt, übernimmt Luther aus den Textvorlagen z. B. „concilium malignantium“ WA 55,1; 196,14 (Ps 21,17 [22,17]), „concilio vanitatis“ WA 55,1; 232,3 (Ps 25,4 [26,4]) – siehe aber auch die textkritische Anmerkung hierzu –, „a concilio [synagoga] multo“ WA 55,1; 344 par.; WA 3; 226,11 (Ps 39,11 [40,11]), „in concilio [Ecclesia] sanctorum“ WA 55,1; 606 (Ps 88,8 [89,8]) und „in concilio iustorum“ WA 55,1; 740 (Ps 110,1 [111,1]). Zum Psalterdruck vgl. G. Ebeling, Luthers Psalterdruck vom Jahre 1513 (in: Ders., Lutherstudien Bd. 1, Tübingen 1971, 69–131). 7 Die Ekklesiologie in den „Dictata“, deren Darstellung und Interpretation für die Theologie des jungen Luthers aufschlussreich ist, kann aufgrund des Untersuchungsgegenstandes hier nur gestreift werden. Vgl. aus der Vielzahl der Forschungsbeiträge zur Ekklesiologie in den „Dictata“ und darüber hinaus exemplarisch Beyer, Ekklesiologie, 93; Holl, Entstehung, 289–306; H. Fagerberg, Die Kirche in Luthers Psalmenvorlesungen 1513–1515 (in: Gedenkschrift für D. Werner Elert. Beiträge zur historischen und systematischen Theologie, hg. von F. Hübner in Verbindung mit W. Maurer und E. Kinder, Berlin 1955, 109–118); W. Maurer, Kirche und Geschichte nach Luthers Dictata super Psalterium (in: Lutherforschung heute. Referate und Berichte des 1. Internationalen Lutherforschungskongresses Aarhus, 18.-23. August 1956, hg. von V. Vajta, Berlin 1958, 85–101); G. Müller, Ekklesiologie und Kirchenkritik beim jungen Luther (NZSTh 7, 1965, 100–128); J. Vercruysse, Fidelis Populus (VIEG 48), Wiesbaden 1968; S. H. Hendrix, Ecclesia in via. Ecclesiological Developments in the medieval Psalms Exegesis and the Dictata super Psalterium (1513–1515) of Martin Luther (SMRT 8), Leiden 1974; K.-V. Selge, Ekklesiologisch-heilsgeschichtliches Denken beim jungen Luther (in: K. Hagen [Hg.], Augustine, the Harvest, and Theology [1300–1650]. Essays dedicated to Heiko Augustinus Oberman in Honor of his Sixtieth Birthday, Leiden/New York/Kopenhagen/Köln 1990, 259–285). Siehe auch den Überblick bei Lohse, Luthers Theologie, 75–79.

§ 1 Das Konzil in den frühesten Äußerungen und Schriften

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„‚concilium‘ sacerdotum, Iudeorum fortium“8 und zählt die „concilia malorum“ im Scholion zu Ps 83 [84],2 neben der Synagoge der Juden und den Zusammenkünften der Ketzer zu den Wohnungen der Sünder, denen die Kirche mit den Wohnungen Christi gegenübersteht.9 Ekklesiologisch positiv gefüllt sind hingegen die Bezeichnungen „concilium iustorum“ und „concilium sanctorum“. In der Zeilenglosse zu Ps 88 [89],8 überträgt Luther „concilium sanctorum“ mit „ecclesia fidelium“.10 Innerhalb seiner Ausführungen zu Ps 110 [111],1 f geht Luther ausführlich auf den Begriff „concilium iustorum“ ein und differenziert diesen von der „congregatio iustorum“. Beschreibt „concilium“ den „spiritualem Con[v]entum“ und „iustorum“ die „apostolorum et fidelium“, bildet die „congregatio“ den „corporalem con[v]entum“.11 In der geistlichen Gemeinschaft, so Luther in seinem ausführlichen Scholion zu Ps 110 [111],1 herrschten Einigkeit in Glaube, Hoffnung und Liebe, wohingegen in der leiblichen Gemeinschaft, das ist die konkrete Kirche, die u. a. zur Abwehr der Häretiker notwendig sei, Gute und Böse zusammen lebten.12 Im Scholion zu Ps 81 [82],8 fi ndet sich eine Stelle, in der Luther laut Johannes Heckel die Irrtumsfähigkeit kirchlicher Einrichtungen andeutet.13 Luther spricht von der Synagoge als „Conventus et Concilium maiorum“ in der Kirche, in der oft zugunsten von Unwahrheit und Ungerechtigkeit gegen die Wahrheit geschlussfolgert werde.14 Diese Aussage rückt zwar durch die Wendung „Conventus et Concilium maiorum“ und durch die im Zusammenhang mit kirchlichen Entscheidungsinstanzen gebräuchlichen Verben „diffi nire“ und „concludere“ in die Nähe des Konzils als Kirchenversammlung, bleibt aber derart allgemein und singulär, dass ein Zusammenhang weder mit der Fallibilität des Konzils noch mit der Institution des universalen Konzils nachgewiesen werden kann.15 Außerdem darf der Kontext, in dem es um die Synagoge geht, nicht 8

WA 55,1; 486. WA 55,2; 629,24 f. 10 WA 55,1; 606. 11 WA 55,1; 740 (Zeilenglosse zu Ps 110,1) 12 WA 55,1; 853,40–855,108. Auf den ekklesiologischen Zusammenhang von „concilium“ und „congregatio“ geht Luther hier ebenfalls ein. Die verborgene, geistliche Gemeinschaft könne nicht ohne die sichtbare, leibliche Gemeinschaft sein und umgekehrt. Vgl. zum Themenkomplex u. a. Fagerberg, Kirche, 114; Müller, Ekklesiologie und Kirchenkritik, 105; Vercruysse, Fidelis Populus, 165; Hendrix, Ecclesia, 167. 13 Vgl. Heckel, Initia iuris, 78 f. Anm. 331. 14 WA 55,2; 610,170–175: H[a]ec synagoga Est Conventus et Concilium maiorum in Ecclesia, vbi sepius pro falsitate et iniustitia diffi nitur et contra veritatem concluditur. Stat autem ibi veritas et Iustitia, cum digna sit sedere aliis stantibus, quia ipsa iudicatur et damnatur, cuius est Iudicare et damnare, Sicut Christus in Concilio Caiphe, quia non admittitur nec datur ei locus, Sed reprobatur; ideo stat desolata. 15 Mit Bäumer, Irrtumsfähigkeit, 991 f., der anzweifelt, ob Luther „hier überhaupt an ein Konzil im Sinne einer Kirchenversammlung denkt.“ 9

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II. Die Konzilsthematik im Streit um Ablass und Papsttum (bis 1518)

übersehen werden! 16 Die Fehlbarkeit des Konzils wird somit ebenso wenig in den „Dictata“ grundgelegt wie die Konzilsthematik in ihr eine Rolle spielt.17 In Luthers Vorlesungsmanuskripten über den Römerbrief (1515/16) kommt dem Thema Konzil ebenfalls keine Bedeutung zu.18 Zwar übt Luther in seinem Glossenmanuskript Kritik an der Kirche.19 Dass eine Verbesserung oder Reform der kirchlichen Verhältnisse durch die Abhaltung einer Synode oder eines allgemeinen Konzils möglich ist, erwähnt er aber nicht. Das sogenannte Apostelkonzil von Act 15 nennt er bei der Interpretation von Röm 14,1–2 und bezeichnet es als „primum Concilium Ecclesi[a]e“.20 Auch die Manuskripte zur ersten Galaterbriefvorlesung (1516/17) 21 und zur Hebräerbriefvorlesung (1517/18) 22 enthalten keine Hinweise auf die Konzilsthematik. Der vorliegende Befund verdeutlicht, dass Luther in seinen frühen Vorlesungen und Randbemerkungen nur das frühchristliche Apostelkonzil und das altkirchliche Konzil von Nicäa erwähnt, ansonsten aber zur Konzilsthematik schweigt. Werden die beiden Konzilien von Luther bereits hier mit einer gewissen Hochschätzung bedacht, die – wie noch zu zeigen sein wird – sich zeitlebens erhalten sollte,23 überrascht das grundsätzliche Aussparen der Konzilsproblematik. Dies ist umso auffälliger, als unmittelbar vor Beginn der frühen Vorlesungen das antirömische Konzil von Pisa (1511) 24 getagt hatte und von 1512 bis 1517 das vom Papst geleitete 5. Laterankonzil 25 als Gegenkonzil agierte. Kirchenpolitisch 16 Zum Verhältnis von Synagoge und Kirche in den „Dictata“ vgl. Vercruysse, Fidelis Populus, 38–73 und diesen korrigierend Hendrix, Ecclesia, 243–283. 17 Auch in den „Annotationes Quincuplici Fabri Stapulensis Psalterio manu adscriptae“ (1513) (WA 4; [463] 466–526) greift Luther auf eine durch die lateinische Bibeltextvorlage geprägte Wendung zurück. Siehe WA 4; 484,31: Non sedi cum concilio vanitatis [. . .]. 18 Wie bereits in den „Dictata“ wird auch hier „concilium“ im Zitat der lateinischen Textvorlagen im Sinne von „Versammlung“ oder „Rat“ verwendet. Siehe Act 5,41 in: WA 56; 526,12 (Scholion zu Röm 15,20). 19 Vgl. Müller, Ekklesiologie und Kirchenkritik, 115–118. 20 WA 56; 129,17 f. (Randglosse zu Röm 14). 21 WA 57,2; 5–108. Dieser negative Befund ändert sich aufgrund des Bedeutungszuwachses des Konzilsthemas in Luthers „In epistolam Pauli ad Galatas commentarius“ (1519) (WA 2; 443–618), der aus der Vorlesung hervorgeht. Dort erwähnt Luther u. a. das „novissimum concilium“ (WA 2; 541,22), wobei er auf das 5. Laterankonzil anspielt. Siehe auch WA 57,2; XIV. 22 WA 57,3; 5–238. 23 Zur späteren Hochschätzung der altkirchlichen Konzilien siehe unten, Kapitel III § 5.3. und VII § 20. 24 Vgl. zum antipäpstlichen Konzil von Pisa-Mailand, das in der konfessionell katholischen Literatur als Konzilsversuch oder „Conciliabulum“ bezeichnet wird Jedin, Geschichte 1, 84–92; O. de la Brosse, Le pape e le concile. La comparaison de leurs pouvoirs à la veille de la Réforme (UnSa 58), Paris 1965, 57–78. 25 Zu dem vom 10. Mai 1512 bis zum 16. März 1517 tagenden 5. Laterankonzil vgl. Minnich, Lateran V, 489–492; Ders., The Participants at the Fifth Lateran Council (AHP 12, 1974, 157–206); Ders., Concepts of Reform proposed at the Fifth Lateran Council (AHP 7, 1969, 163–251); Schatz, Allgemeine Konzilien, 162–164.

§ 1 Das Konzil in den frühesten Äußerungen und Schriften

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war die Konzilsthematik somit höchst aktuell. In Luthers Vorlesungen fand sie aber keine Resonanz. Möglich ist, dass der Wittenberger Professor die Konzilsthematik in seinen frühen Vorlesungen bewusst aussparte. Diese Vermutung stützt sich auf die Beobachtung, dass Luther kirchenkritische Passagen zumindest in der Römerbriefvorlesung allem Anschein nach nicht im Hörsaal vortrug.26 Sollte er nun die Konzilsthematik mit Absicht aus den Vorlesungen heraus gehalten haben, muss die Frage geklärt werden, warum Luther über diese Thematik schwieg. Weil er aber auch in seinen autographischen Manuskripten zur ersten Psalmenvorlesung trotz häufigen ekklesiologischen Bezugs nicht auf das Thema Konzil zu sprechen kam, dürfte ein anderer Grund wahrscheinlicher sein. Luther, dessen reformatorische Lehre sich in jenen Jahren formte, zeigte an der Konzilsthematik kein Interesse, da er zum einen die kirchlichen Autoritäten und Institutionen noch nicht grundsätzlich problematisierte, zum anderen der kirchenpolitischen Dimension der zeitgenössischen Konzilien – wie im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation insgesamt – wenig Bedeutung beimaß oder von ihnen kaum etwas erfahren hatte. Für ihn war das Konzil eine kirchliche Institution, die er als junger Theologieprofessor ebensowenig in Frage stellte wie den Papst. Folglich waren für den Luther der frühen Vorlesungen weder das verstärkte Konzilsbemühen zu Beginn des 16. Jahrhunderts27 noch der historische Konzilsgedanke in irgendeiner Weise ekklesiologisch relevant, so dass der frühe Luther zwar als scharfsinniger Theologe und Exeget, nicht aber als Konziliarist erkennbar wird.

2. Die Synodalpredigt Waren Luthers Äußerungen zum Konzil im universitären Rahmen mehr als dürftig, bildete die pastorale Praxis den ersten ausführlicheren Berührungs26 Vgl. Müller, Ekklesiologie und Kirchenkritik, 118, der darauf aufmerksam macht, dass in keiner der studentischen Nachschriften von Luthers Römerbriefvorlesung dessen Kritik an der Kirche erwähnt wird. 27 Durch die intensive Erforschung der Entwicklung der Konzilstheorie von 1449 bis 1517, die durch Jedin, Geschichte 1, 24–110 angeregt vornehmlich von katholischen Kirchengeschichtlern seit den 1960er Jahren große Fortschritte gemacht hat, wird deutlich, dass der Streit um die Konzilsidee in jener Zeit keineswegs verstummte, sondern mit dem Konzil von Pisa (1511) neue Nahrung fand. Zu den „klassischen“ Konzilstraktaten jener Jahre zählt Dominicus Jacobazzis „De concilio“, aber auch die papalistischen Stellungnahmen des Dominikaners Cyprian Benetus, des Florentiner Theologen Johannes Franciscus Poggius und Angelo de Vallombrosa. Auf Seiten der Konziliaristen sind u. a. zu nennen: der skotische Philosoph Johannes Maior, dessen Schüler und Gegner Cajetans, Jacques Almain, der Kanonist Philippus Decius, Zaccaria Ferreri, Johannes Gozzadini und der Bischof von Famagosta, Matthias Ugoni. Einen Forschungsüberblick ermöglicht Sieben, Traktate und Theorien, 209–213. Vgl. auch Bäumer, Nachwirkungen, 1971.

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II. Die Konzilsthematik im Streit um Ablass und Papsttum (bis 1518)

punkt mit der Thematik. In einem 1708 erstmals gedruckten Predigtentwurf, der von Luther als Auftragsarbeit für den Propst von Leitzkau, Georg Mascov, in Latein verfasst worden war und den Titel „Sermo praescriptus praeposito in Litzka“ trägt, fi nden sich einige der frühesten erhaltenen Äußerungen zum Themenfeld Konzil und Synode.28 Wahrscheinlich auf einer konkreten Synode der Diözese Brandenburg sollten ganz im Sinne der spätmittelalterlich kirchlichen Reformbemühungen kirchliche Verbesserungen durchgeführt werden, deren theologische Begründung Luther nuancierte und deren Umsetzung er auf zentrale Reformforderungen konzentrierte.

2.1. Der Anlass der Predigt Weil das genaue Datum und der konkrete Anlass keine Erwähnung fi nden, bleibt eine nähere Bestimmung der äußeren Umstände problematisch. Sicher ist, dass der Entwurf als Auftragspredigt von Luther niedergeschrieben wurde und für eine kirchliche Versammlung, Synode oder Konvent genannt 29, bestimmt war. Der Auftraggeber, Georg Mascov, benötigte dieses Werk für eine kirchliche Versammlung, in der verschiedene Streitigkeiten beigelegt und ethische Missstände im Klerus abgeschafft werden sollten. Weil der Predigt programmatische Bedeutung für den Kurs der Versammlung zukam, war sie vermutlich die Eröffnungspredigt einer konkreten Synode, durch welche die Zielrichtung der Zusammenkunft bestimmt werden sollte.30 Unklar ist hingegen, um welche Synode es sich handelte, ob Mascov die Predigt überhaupt hielt, welche Wirkung sie erzielte und welches Ergebnis die Synode zeitigte. Dass der Abt Georg Mascov mit Martin Luther in freundschaftlichem Kontakt stand, bezeugen zwei bzw. drei erhaltene Lutherbriefe aus den Jahren 1516 und 1517.31 Verschiedene Berührungspunkte dürften den Kontakt gefördert haben: Zum einen hatte das Wittenberger Augustiner-Eremitenkloster einen 28 WA 1; (8) 10–17. Den ersten Abdruck besorgte Albert Meno Verpoortenn 1708 nach einem Kodex aus dem Jahr 1553. Siehe WA 1; 8. Deutsche Übersetzungen bieten Walch 2 9, 1728–1743 und J. Haar, Das Wort der Wahrheit. Ein Sermon D. Martin Luthers, entworfen (praescriptus) für den Propsten in Leitzkau (1512), über die Worte des Johannes: Alles, was aus Gott geboren ist, überwindet die Welt, usw. Übersetzt und herausgegeben nach WA 1,10–17 (Luther 47, 1976, 5–22). Erst jüngst machte Lüpke, Radikale Kirchenkritik, 2–10 auf die Synodalrede erneut aufmerksam. 29 WA 1; 12,5. 13,25 u. ö. 30 Handelte es sich um eine Diözesansynode, stand nach den Bestimmungen des Basler Konzils (COD3 473,17–24) am Anfang der Tagung eine Eröffnungspredigt. Diese sollte durch den Diözesanbischof oder eine andere Persönlichkeit gehalten werden und das Wort Gottes auslegen. Durch diese „exhortatio“ sollten alle Teilnehmer zu einem guten Lebenswandel, zur Meidung von Lastern und zur kirchlichen Disziplin ermahnt werden. Vgl. auch WA 1; 8 f. 31 WAB 1; 59 f. Nr. 23 (Luther an Georg Mascov, [Herbst 1516?]). Diese von Otto Clemen zusammengestellte Briefnummer enthält zwei Brieffragmente, die möglicherweise aus

§ 1 Das Konzil in den frühesten Äußerungen und Schriften

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Fischteich bei Leitzkau, den Luther zu verwalten hatte,32 zum anderen war Mascov als Propst des Prämonstratenserklosters in Leitzkau gleichzeitig bischöflich-brandenburgischer Archidiakon, zu dessen Bezirk auch Wittenberg zählte.33 Ob Mascov den jungen Augustiner-Eremitenmönch aus amtlichen oder freundschaftlichen Gründen für die Abfassung der Predigt gewann, kann nicht beantwortet werden. Auf jeden Fall sympathisierte Mascov bereits zum Zeitpunkt der Anfrage mit Luther. Später wandte er sich der Reformation zu und verließ das Kloster.34 Keineswegs dürfte die Auftragspredigt für das Konzil von Pisa (1511) oder das 5. Laterankonzil bestimmt gewesen sein, was von verschiedenen Lutherforschern des 19. Jahrhunderts behauptet wurde.35 Wie Joachim Karl Friedrich Knaake und Theodor Brieger begründet nachgewiesen haben, wird es sich bei der Synode nicht um ein allgemeines Konzil, sondern um eine Synode regionalen Charakters in der Diözese Brandenburg gehandelt haben.36 Diese Annahme wird durch den mehrfach im Text verwendeten Begriff „Synode“ unterstützt, der in Luthers späteren Schriften fast vollständig zugunsten des Wortes „Konzil“ zurücktritt. Ob mit der regionalen Synode die am 22. Juni 1512 in Ziesar tagende Brandenburger Diözesansynode bezeichnet war,37 oder die am 21. Mai 1515 stattfi ndende Diözesansynode,38 möglicherweise sogar eine Synode aus dem Jahr 1518,39 ist nicht letztgültig zu klären. Dass es sich nur um eine Archidiakonatssynode des Leitzkauer Bezirks handelte, dürfte eher unwahrscheinlich sein.40 Eine Brandenburgische Diözesansynode dürfte die größte Plausibilität für sich haben. Bezüglich des Datums spricht inhaltlich vieles für einen Zeitpunkt nach 1512, so dass hinsichtlich der Datierung das Jahr 1515 m. E. am wahrscheinlichsten ist.41 ursprünglich zwei Briefen bestanden. WAB 1; 97 f. Nr. 40 (Luther an Georg Mascov, Wittenberg, 17. 5. 1517). 32 Vgl. WAB 1; 72,8 Nr. 28 (Luther an Johann Lang, Wittenberg, 26. 10. 1516). 33 Vgl. Th. Brieger, Kritische Erörterungen zur neuen Luther-Ausgabe (ZKG 11, 1890, 101–154), 109 f. 34 Vgl. Köstlin/Kawerau, Luther 1, 370; Einleitung zu WAB 1; 59 f.; J. Heidemann, Die Reformation in der Mark Brandenburg, Berlin 1889, 140 f. 35 Kolde, Luther’s Stellung, 11 f. identifi zierte die Synode mit dem 5. Laterankonzil und datierte die Predigt ins Jahr 1514. 36 Vgl. WA 1; 8 f. (Einleitung); Brieger, Kritische Erörterungen, 106–112. 37 In dieser Synode ging es um die Bewilligung von Abgaben. Für diese Synode plädiert Knaake in seiner Einleitung, WA 1; 8 f., indem er die in Quellen erwähnte „exhortatio“ mit der Predigt Luthers identifi ziert. Haar, Wort, 18 f. schließt sich eher unkritisch an WA 1; 8 an. 38 Vgl. Brieger, Kritische Erörterungen, 107. 39 So Brecht, Luther 1, 94. 40 Vgl. Brieger, Kritische Erörterungen, 107–111. 41 Obgleich die Synode nicht genau zu identifi zieren ist, spricht gegen das Jahr 1512, dass Martin Luther zum einen mit den Vorbereitungen zu seiner Promotion ausgelastet war, zum andern noch nicht den späteren Bekanntheitsgrad erlangt hatte. Gleichzeitig weisen inhalt-

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II. Die Konzilsthematik im Streit um Ablass und Papsttum (bis 1518)

2.2. Der Inhalt der Predigt Die Predigt bietet eine Auslegung von I Joh 5,4 f., die Luther in folgende drei Begriffserläuterungen „Geburt aus Gott“ (nativitas Dei), „Welt“ (mundus) und „Sieg“ (victoria) untergliedert und auf die kirchliche Versammlung anwendet.42 In der Einleitung macht Luther ein paar – allerdings unkonkrete – Andeutungen bezüglich des Anlasses der Synode, wenn er davon spricht, dass „unsere Fehltritte korrigiert und unsere Füße auf den Weg des Friedens gelenkt“ werden sollen.43 Über den zu behandelnden Gegenstand äußert sich Luther ebenfalls lediglich andeutend: Es solle in dieser von Priestern besuchten Synode über die Angelegenheiten der ganzen Kirche beraten und auf eine „Reformation beider Stände“, d. h. des Klerus und der Laien, hingearbeitet werden.44 Hinter der Aussage einer „Reformation beider Stände“ dürften die in den Provinzial- und Diözesansynoden seit dem Mittelalter generell thematisierten Forderungen nach dem Einhalten des sittlichen Lebenswandels im Welt- und Ordensklerus und die seit dem Spätmittelalter erhobenen Einschärfungen von kirchlichen „Reformen an

liche Aspekte (Betonung des Wortes der Wahrheit) auf einen späteren Abfassungszeitpunkt, möglicherweise im Jahr 1515, hin. Vgl. K. Aland, Der Weg zur Reformation. Zeitpunkt und Charakter des reformatorischen Erlebnisses Martin Luthers, München 1965, 26 f.; Köstlin/Kawerau, Luther 1, 125; Lüpke, Radikale Kirchenkritik, 2; WA 59; 333 (Predigtübersicht 1510–1521). 42 Vgl. zur inhaltlichen, auf die reformatorische Theologie zielenden Interpretation Haar, Wort, 16–22; H. J. Iwand, Glaubensgerechtigkeit nach Luthers Lehre (1941) (in: Ders., Glaubensgerechtigkeit. Gesammelte Aufsätze Bd. 2, hg. von G. Sauter, München 1980, 11–125), 17–19; Lüpke, Radikale Kirchenkritik, 8–10. 43 WA 1; 10,6–9: Sanctus Apostolus Ioannes, sermonem hodie nobis facturus pro corrigendis vitiis nostris et dirigendis pedibus nostris in viam pacis, in hunc modum de coelo sonans exorsus est: [. . .]. 44 AaO. 12,9–11: Conveniunt autem in communi, ut consulant, rebus totius huius ecclesiae, et, ut vocant, pro utriusque status reformatione laborant. – Dies ist eine der ersten Belegstellen für den Gebrauch des Begriffes „reformatio“ durch Luther. Vgl. B. Lohse, Was heißt Reformation? (in: Ders., Lutherdeutung heute [Kleine Vandenhoeck-Reihe 276], Göttingen 1968, 5–18), 13 f.; W. Rochler, Martin Luther und die Reformation als Laienbewegung (Institut für Europäische Geschichte Mainz. Vorträge 75), Wiesbaden 1981, 46. Wie diese „reformatio“ beider Stände, des Klerus und der Laien oder des geistlichen und des weltlichen Standes, genauer gefasst werden sollte, geht aus dem Kontext der Predigt nicht eindeutig hervor. Bezüglich des Terminus „reformatio“ sei erinnert, dass der Begriff entsprechend des spätmittelalterlich-populären Reformdenkens im Sinne von Reform als Reinigung von Missständen und Wiederherstellung der alten Norm gebraucht wurde. Vgl. U. Köpf, Art. Reformation. I. Zum Begriff (RGG4 7, 2004, 145–147); E. Wolgast, Art. Reform, Reformation (GGB 5, 1984, 313–360), 321–326. Diese Beziehung wird von M.Schmidt, Luthers charismatischer Reformationsbegriff und der Reichstag zu Worms (in: F. Reuter [Hg.], Der Reichstag zu Worms von 1521. Reichspolitik und Luthersache, Worms 1971, 155–179), 170 bei der Interpretation von Luthers Reformationsbegriff nicht berücksichtigt.

§ 1 Das Konzil in den frühesten Äußerungen und Schriften

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Haupt und Gliedern“45 stehen, zumal die Notwendigkeit von Reformmaßnahmen hinsichtlich des Klerus am Vorabend der Reformation vielerorts als dringliche Aufgabe betrachtet wurde.46 Während für zahlreiche Synodalstatuten das Zurechtrücken des sittlichen Lebensstils durch moralische Appelle an den Klerus im Vordergrund stand, betonte Luther die theologische Dimension und nannte als reformatorische Hauptaufgabe der Synode, dass das Wort Gottes wieder in den Mittelpunkt gestellt und gepredigt werde.47 Die Priester, die überströmen sollten von dem 45 So u. a. die Formulierung im Eröffnungsdekret der 2. Sitzung des Konzils von Basel am 14. 2. 1432, COD3 457,20 f.: quod ipsa pro haeresum extirpatione ac morum generali reformatione ecclesiae in capite et in membris [. . .]. – Zur Wendung „Reform der Kirche an Haupt und Gliedern“, die der Bischof von Mende, Guillaume Durand d. J., in seinem Traktat „De modo generalis concilii celebrandi“ (1311/12) aus Anlass des Konzils von Vienne (1311– 1312) als Hauptaufgabe der Generalkonzilien prägte, vgl. K. A. Frech, Reform an Haupt und Gliedern. Untersuchung zur Entwicklung und Verwendung der Formulierung im Hoch- und Spätmittelalter (EHS.G 510), Frankfurt am Main u. a. 1992; Miethke/Weinrich 1, 3 f. 46 Nicht nur die allgemeinen Konzilien im Spätmittelalter thematisierten die kirchlichen Reformen, sondern auch und in erster Linie die Provinzial- und Diözesansynoden. So war die regelmäßige Abhaltung der Provinzialkonzilien auf Metropolitanebene im 6. Kanon des 4. Laterankonzils mit der Überwindung der Missstände und der Reform der Sitten vor allem im Klerus verknüpft. Die Durchführung der reformorientierten Konzilsbeschlüsse sollte durch die jährliche Zusammenkunft von Diözesansynoden gewährleistet werden (COD3 236,25–237,3). Vgl. allgemein J. Leinweber, Provinzialsynode und Kirchenreform im Spätmittelalter (in: R. Bäumer [Hg.], Reformatio Ecclesiae. Beiträge zu kirchlichen Reformbemühungen von der Alten Kirche bis zur Neuzeit. Festgabe für Erwin Iserloh, Paderborn 1980, 113–127). Diese Bestimmungen wurden in der 15. Sitzung des Basler Konzils vom 26. November 1433 erneuert, mit konkreten Maßnahmen (Unterbindung von Simonie, wucherischen Zinsverträgen, Konkubinat, Unzucht, Ausschweifungen, Veräußerung von Kirchengut) untermauert und durch Reformanweisungen erweitert (COD3 473–476,21). Zur Durchsetzung der Reform der Kirche an Haupt und Gliedern auf Diözesanebene sollten die Synoden elementar beitragen, deren kirchlich-regionale Bedeutung mit dem Zurückdrängen der Konzilsidee durch die Päpste in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts zunahm. Zu Beginn des 16. Jahrhunderts waren es vielerorts die von der Forschung nach wie vor zu wenig beachteten Diözesansynoden, die kirchliche Reformforderungen teils in Anknüpfung an mittelalterliche Statuten teils mit neuen Impulsen ventilierten. So wurde am Vorabend der Reformation u. a. das geistliche Leben und Wirken des Welt- und Ordensklerus kritisiert und zu dessen Besserung aufgerufen, wie es beispielsweise aus den Statuten der Freisinger Diözesansynode von 1509 hervorgeht. Vgl. G. Schwaiger, Freisinger Diözesansynoden im ausgehenden Mittelalter (in: Bäumer, Reformatio Ecclesiae, 259–270); Zum Gesamtthema vgl. N. Kruppa und L. Zygner (Hg.), Partikularsynoden im späten Mittelalter (VMPIG 219. Studien zur Germania sacra 29), Göttingen 2006; H. J. Sieben, Die Partikularsynode. Studien zur Geschichte der Konzilsidee (FTS 37), Frankfurt am Main 1990. 47 Über die Bedeutung des Wortes Gottes beim „jungen Luther“ handeln zahlreiche Forschungsbeiträge, von denen hier neben dem nach wie vor eindrücklichen Aufsatz von G. Ebeling, Die Anfänge von Luthers Hermeneutik (in: Ders., Lutherstudien 1, 1–68) genannt seien: G. Kolumbe, Studien zur Theologie des Wortes beim vorreformatorischen Luther, Diss. masch. Kiel 1958; A. Brandenburg, Gericht und Evangelium. Zur Worttheologie in Luthers erster Psalmenvorlesung (KKTS 4), Paderborn 1960; O. Bayer, Promissio. Geschichte der reformatorischen Wende in Luthers Theologie (FKDG 24), (Göttingen 1971)

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II. Die Konzilsthematik im Streit um Ablass und Papsttum (bis 1518)

„Wort der Wahrheit“ ( Jak 1,18), hätten dem Volk schändliche Lehren, Gesetze, menschliche Meinungen, Fabeln und abergläubische Dinge beigebracht.48 Daher sei es „unsere, der Prälaten und Priester, Schuld“, dass in dem Volk Christi Unfrieden, Zorn, Neid, Unkeuschheit und andere Laster herrschten, die Liebe erkalte, der Glaube verlösche und die Hoffnung auf höre.49 Denn statt mit der Verkündigung des Wortes der Wahrheit, welches die ureigenste Aufgabe der Priester und Geistlichen sei, seien sie mit anderen Dingen und zeitlichen Angelegenheiten beschäftigt. Folglich solle die Synode ihren Priestern gebieten, sich der Fabeln zu enthalten, sich auf „das reine Evangelium und die heiligen Ausleger der Evangelien“ zu konzentrieren und dem Volk „mit Furcht und Ehrerbietung“ das Wort der Wahrheit zu verkündigen. Sollte die Synode an diesem zentralen Punkt nicht mit größtem Eifer, mit gottseligen Gebeten und beständigem Ernst Hand anlegen, sei die gesamte Zusammenkunft wertlos.50 „Denn dieses ist der Dreh- und Angelpunkt der Sache, dieses die Summe einer legitimen Reformation, dieses das ganze Wesen der Gottseligkeit.“51 Neben der programmatischen Forderung nach der Wiederherstellung des Wortes der Wahrheit, das Luther mit dem „reinen Evangelium“ identifi ziert, sei es Aufgabe der Synode, die fleischlichen Begierden und weltlichen Tendenzen im Klerus zu begrenzen und ihn an seinen vorbildlichen Lebensstil in Keuschheit, Demut und Bescheidenheit zu erinnern.52 Diese geistlichen Verhaltensvorschriften seien anderen Gegenständen der Synode bei weitem vorzuziehen. So sei es unwichtig festzustellen, was die Geistlichkeit lesen und beten solle, welche Tage und Feste gefeiert werden sollten oder welche Zeremonien einzuhalten seien. Auch seien zeitliche und geistliche Dinge, welche Rechtssachen, Vorrechte und Würden beträfen, nicht zentral. Luther mahnt daher die Synode, dass sie nicht die geringfügigeren Angelegenheiten mit großem Engagement erledige, während sie die wesentlichen Darmstadt 1989; H. Junghans, Das Wort Gottes bei Luther während seiner ersten Psalmenvorlesung (in: Ders., Der junge Luther und die Humanisten, Weimar 1984, 274–287). Siehe auch die den ganzen Luther in den Blick nehmenden Beiträge von A. Beutel, In dem Anfang war das Wort. Studien zu Luthers Sprachverständnis (HUTh 27), Tübingen 1991; Ders., Art. C.II.2. Wort Gottes (LuH, 362–371). 48 WA 1; 12,11–19. 49 AaO. 12,21–24. 50 AaO. 13,24–32. 51 AaO. 13,33–35: Nam hic rerum cardo est, hic legitimae reformationis summa, hic totius pietatis substantia. – Kolumbe, Studien, 130 f. interpretiert: „Von dem Verständnis der Theologie in der Scholastik sich zu lösen, darin sieht Luther die summa legitimae reformationis.“ Der Predigtentwurf kann an dieser Stelle zwar dahingehend interpretiert werden, dass Luther bei der negativen Aussage über die menschlichen Lehren an die spätscholastische Theologie dachte, der er die Eindeutigkeit des göttlichen Wortes gegenüberstellte. Dass seine Ausführung aber darauf zielt, sich vom Theologieverständnis der Scholastik zu lösen, geht m. E. nicht eindeutig aus der Predigt hervor. Die Summe der rechtmäßigen Reformation ist hier positiv zu bestimmen als die Hinwendung zum Wort der Wahrheit. 52 WA 1; 15,20–27.

§ 1 Das Konzil in den frühesten Äußerungen und Schriften

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Dinge nicht anrühre.53 Sollte die Synode nicht radikal und konsequent gegen die Sittenlosigkeit im Klerus vorgehen – an dieser Stelle tritt das moralische Reformanliegen auch bei Luther hervor –, werde die Welt die Synode verlachen, wenn sie erfahre, dass bloß dem Namen nach, dem Scheine nach und dem Orte nach eine Synode versammelt sei. Hiervor müsse gewarnt werden, da man dann die Frucht einer erheuchelten und erdichteten Synode sehen werde, was der Herr in Gnaden verhüten wolle.54 Abschließend hebt Luther den Glauben als „fröhlichen Sieg“ über die Welt hervor, der durch Christus im Herzen des Glaubenden bewirkt werde. Allein durch den Glauben und nicht durch menschliche Übungen werden die negativen Affekte wie Zorn, Neid, Hochmut und Ehrgeiz überwunden.55 Der Glaube erlange das, was das Gesetz erfordere. Weil aber nur der ein Rufender sein könne, der glaube und das Evangelium höre, müsse – so Luther – das Evangelium von den Priestern zur Sprache gebracht und selbst betrieben werden.56 „Daher ist es das erste und letzte, dass wir mit allem Fleiß uns bemühen, das Evangelium auf das innigste vertraut zu halten, mit ihm umgehen in der Nacht und mit ihm umgehen am Tag.“57 Folglich lässt die Predigt bezüglich der durch die Synode zu reformierenden Prioritäten an Deutlichkeit nichts fehlen, wobei zentrale reformatorische Forderungen bereits angesprochen werden.58

2.3. Synode und Wort Gottes Wie bereits angedeutet, war die Verknüpfung von kirchlicher Synode und kirchenreformerischen Bemühungen für jene Zeit keineswegs singulär, gehörte sie doch zum Grundbestandteil jeder Diözesansynode oder jedes größeren Bezirkskonventes. Der von Luther zur Ermahnung der Synodenteilnehmer und möglicherweise für die Diskussion zugedachte Impuls hatte seine Spitze somit nicht in der Forderung nach Abschaffung von äußeren Missständen im Klerus und in der Verbalisierung allgemeiner kirchlicher Reformgedanken. Er zielte auf die Wurzel der Missstände: den Mangel am Wort der Wahrheit, dem Evangelium.

53 AaO. 15,30 f.: Neque digna res est Synodo, res leviores magnifice disposuisse et gravissimas non attigisse. 54 AaO. 15,31–16,2. 55 AaO. 16,34–37. 56 AaO. 16,38–17,6. 57 AaO. 17,7–9: Quare primum et novissimum est, ut omni studio satagamus euangelium commendatissimum habere, nocturna versantes manu versantesque diurna [. . .]. 58 Obwohl mit Lüpke, Radikale Kirchenkritik, 3 die reformatorischen Exklusivpartikel „solus Christus“, „sola gratia“, „solum verbum“ und „sola fide“ das Grundgerüst bilden, „in dem Luther das Geschehen der Erneuerung zu denken unternimmt“, wird in diesem frühen Entwurf noch nicht explizit die Heilige Schrift als Grundlage hervorgehoben und statt der Rechtfertigung die Wiedergeburt thematisiert.

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II. Die Konzilsthematik im Streit um Ablass und Papsttum (bis 1518)

Als erste und vornehmste Reformmaßnahme sah es Luther daher an, das Evangelium gegenüber den menschlichen Fabeln und Erdichtungen wieder klar und deutlich in den Mittelpunkt der Priesterschaft zu rücken. Somit plädierte er vor der Synode für die Neuausrichtung der kirchlichen Verkündigung und für die Predigt des Evangeliums, durch die der Glaube im Menschen hervorgerufen, der Mensch wiedergeboren und zu einem gottgemäßen Lebenswandel fähig werde. In seinem Plädoyer für das Wort der Wahrheit formulierte Luther hinsichtlich der Kirche die ekklesiologische Erkenntnis, dass die Kirche nur geboren und bestehen werde durch das Wort Gottes.59 Die Kirche ist für ihn eindeutig „creatura verbi“. Jegliche Konzentration auf Menschenworte in der Kirche werde „die Kirche auslöschen und das Volk Christi“ ertränken60 – eine Feststellung, die Luther schon bald im Kampf um den römischen Machtanspruch radikalisieren sollte. Insgesamt nutzte Luther diese Predigt, um seine theologischen Grundgedanken bekannt zu machen, die er vom Wort Gottes her entwickelt und auf dieses hin konzentriert hatte. Sein Anliegen, die Verkündigung des Evangeliums in der Priesterschaft zu stärken, lässt den werdenden Reformator erkennen. Kirchenreform bedeutete für ihn somit Konzentration auf das Wort Gottes, das alle weiteren Maßnahmen gestalten hilft. Der angemessene Ort, an dem dieses grundreformatorische Anliegen formuliert und als Beschluss umgesetzt werden sollte, war für Luther die konkrete kirchliche Synode. Die vornehmlichen Adressaten dieser Reformation des Wortes waren die Priester und der gesamte Klerus, aber noch nicht die Laien! Die Synode diente Luther als Forum, auf dem er das Wort Gottes deutlich zur Sprache und seine Vorstellungen von einer grundlegenden kirchlichen Reform den Verantwortlichen zu Gehör bringen wollte. Sein Vorgehen stellte somit um 1515 den traditionellen Versuch dar, mittels der kirchlichen Institution die Priesterschaft der Diözese zu reformieren, allerdings nicht durch Moralappelle, sondern durch die Sensibilisierung für das Wort Gottes. Den institutionellen Weg, über eine Provinzial- oder Diözesansynode die Evangeliumspredigt im Klerus einzuschärfen, sollte Luther schon bald aufgeben und nach anderen Mitteln zur Reform der Kirche greifen. 59 AaO. 13,38 f.: Stat fi xa sententia, ecclesiam non nasci nec subsistere in natura sua, nisi verbo Dei. 60 AaO. 13,40–14,3: Non ergo aliud verbum quaerendum, tractandum, acceptandum, nisi velis similiter nativitatem hanc divinam tollere, ecclesiam extinguere et populum Christi more Pharaonis in fluminibus Aegypti submergere, quod est humanis verbis perdere. – Die im Predigtentwurf vorgetragene Kirchenkritik lässt sich problemlos in die kirchenkritischen Äußerungen der ersten Psalmenvorlesung und der Römerbriefvorlesung (1515/16) einreihen, da die Kirchenkritik als theologisches Urteil aufgefasst wird, das sich auf die Heilige Schrift stützt. Allerdings wird dort, wie oben gesehen, nicht an ein Konzil oder eine Synode als Ort der Abstellung der Missbräuche gedacht. Vgl. Müller, Ekklesiologie und Kirchenkritik, 110–113 u. ö.

§ 1 Das Konzil in den frühesten Äußerungen und Schriften

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3. Die geringe Affinität zum Konzilsthema Abgesehen von der kirchenpolitisch üblichen Indienstnahme des Konzils oder einer Synode zur Verwirklichung von Reformmaßnahmen plausibilisieren die untersuchten Äußerungen Luthers: Der junge Wittenberger Theologieprofessor pflegte keine besondere Affi nität zu einem konkreten Konzil oder zur Konzilsidee. Im Rahmen seiner exegetischen und dogmatischen Studien waren ihm die frühchristlichen Konzilien – das sogenannte Apostelkonzil und das Konzil von Nicäa – und einzelne ihrer Konzilsbeschlüsse begegnet, ohne einen tieferen Eindruck auf ihn in dieser Phase zu hinterlassen. Auch ist anzunehmen, dass er über die ekklesiologischen Streitigkeiten zwischen Konziliaristen und Papalisten im Rahmen seines Studiums gehört und gelesen hatte sowie oberflächlich über die Reformkonzilien von Konstanz und Basel61 informiert war. Wo und in welchem Umfang, kann allerdings – will man auf dem Boden des literarisch Greif baren bleiben – nicht mehr präzise eruiert werden. Vermutlich wurde dem Studenten und jungen Theologieprofessor konziliaristisches Gedankengut durch die Beschäftigung mit Gabriel Biel62 , Johannes Gerson, Petrus von Ailly und Nikolaus von Tudeschi vermittelt.63 Auch dürfte Luther mit den kanonistischen Rechtstraditionen, welche die 61 Über das Konzil von Basel dürfte er zumindest über den Entscheid hinsichtlich der Immaculata Conceptio informiert gewesen sein, den er durch G. Biel, Collectorium circa quattuor libros Sententiarum. Liber tertius, ed. W. Werbeck et U. Hofmann, Tübingen 1979, 88,52–89,81 vermittelt bekommen haben dürfte. Zu dieser Lehre siehe ausführlicher unten, Kapitel II § 2.1.2. 62 Luther studierte außerordentlich intensiv Biels „Expositio“, wie er in einer Tischrede von 1538 bemerkte: WAT 3; 564,5–7 Nr. 3722: Gabriel scribens librum super canonem missae qui liber meo iudicio tum optimus fuerat; wenn ich darinnen las, da blutte mein hertz. Bibliae autoritas nulla fuit erga Gabrielem. Ich behalte noch die bucher, die mich also gemartert haben. – Mit Sicherheit arbeitete er die „Expositio“ Ende 1515 oder Anfang 1516 durch, dürfte sie aber auch schon früher in Erfurt studiert haben, so dass dieses Werk nach wie vor eine der wichtigsten Quellen für die Erforschung des frühen Luther ist. Vgl. G. Biel, Canonis misse expositio. Pars Prima, ed. H. A. Oberman et W. J. Courteny (VIEG 31), Wiesbaden 1963, XIII. 63 Nur durch das Rückschlussverfahren kann eine konziliare Schulung Luthers angenommen werden, orientierte er sich doch an führenden Theologen der konziliaren Position, zu denen der auf Wilhelm von Ockham fußende Gabriel Biel zählte. Weil Luther in seinem Theologiestudium das Sentenzenwerk von Petrus Lombardus nach Biel erarbeitet hatte, dürften ihm Passagen u. a. von Ockham über die Bedeutung des Konzils begegnet sein. Auch die Konzilstheologen Petrus von Ailly und Johannes Gerson hatte Luther nicht unter dem Gesichtspunkt der konziliaren Theorie studiert, obgleich sie ihm bekannt waren. Luther hielt sich insgesamt an die franziskanische, besonders spätfranziskanische, ockhamistische Lehrrichtung. Nach Melanchthon kannte Luther die Schriften von Petrus von Ailly und Gabriel Biel fast auswendig: Siehe CR 6; 159. Vgl. Lohse, Luthers Theologie, 35 f.; Schwarz, Luther, 18; V. Leppin, Art. B. I.6. Universitätswissenschaft (LuH, 62–67). Wann Luther mit dem Kanonisten Nikolaus von Tudeschi in Berührung kam, ist aufgrund der mangelnden Informationslage ebenfalls nicht konkreter bestimmbar. Siehe hierzu unten, Kapitel II § 2.2.3. u. ö.

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Konzilsthematik häufig verhandelten, in Berührung gekommen sein.64 Nachweisbare Impulse für seine theologische Entwicklung erfuhr Luther durch die um das autoritative Verhältnis von Papst und Konzil ringenden Positionen des 15. und 16. Jahrhunderts aber nicht. Diese Überlegungen werden durch das papstfreundliche bis papale Klima, welches sowohl in Erfurt als auch in Luthers Orden herrschte, bestätigt. Soweit historisch nachprüf bar, ventilierten Luthers Erfurter Lehrer keine konziliaren Theorien, sondern waren von der kirchlichen Autorität des Papstes überzeugt.65 Ebenfalls herrschte im Erfurter Augustiner-Eremitenkloster eine papsttreue Gesinnung in Lehre und Praxis, so dass beim jungen Luther keine Zweifel an der apostolischen Autorität und Gewalt des Papstes durch konziliare Ideen aufkamen.66 Darüber hinaus lassen sich auch für seine frühe Wittenberger Zeit keine Aussagen fi nden, in denen er zum Konziliarismus als Kirchenreformbewegung dezidiert Stellung bezog. Mit Kurt-Victor Selge ist daher zugespitzt zu formulieren: „In sein Wittenberger Gehäuse als Exeget und Prediger eingesponnen, stand er dem Streit um die Autorität von Papst und Konzil ganz fern.“67

64 Luthers Verhältnis zum kanonischen Recht bedarf dringend einer umfangreichen Aufarbeitung, die im Rahmen dieser Studie nicht zu leisten ist. Zu Luthers Umgang mit dem kanonischen Recht vgl. W. Maurer, Reste des Kanonischen Rechts im Frühprotestantismus (ZSRG.K 82, 1965, 190–253), bes. 190–199; S. Mühlmann, Luther und das Corpus Iuris Canonici bis zum Jahre 1530 (ZRSG 58, 1972, 235–305); J. Witte, Law and Protestantism. The legal Teachings of the Lutheran Reformation, Cambridge 2002, passim; V. Mäkinen (Hg.), Lutheran Reformation and the Law (SMRT 112), Leiden/Boston 2006, passim. Siehe auch den instruktiven Beitrag: Ch. Voigt-Goy, „dictum unius privati“. Zu Luthers Verwendung des Kommentars der Dekretale Signifi casti von Nicolaus de Tudeschis (in: P. Mähling [Hg.], Orientierung für das Leben. Kirchliche Bildung und Politik in Spätmittelalter, Reformation und Neuzeit. FS für Manfred Schulze zum 65. Geburtstag [AHSTh 13], Münster 2010, 93–114). 65 Vgl. O. Scheel, Martin Luther. Vom Katholizismus zur Reformation. Bd. 1: Auf der Schule und Universität, Tübingen 31921, 222 f. 66 Vgl. O. Scheel, Martin Luther. Vom Katholizismus zur Reformation. Bd. 2: Im Kloster, Tübingen 31930, 88–91. 67 Selge, Normen, 7.

§ 2 Die wachsende Bedeutung der Konzilsthematik im Ablassstreit Das geringe Interesse am Konzilsthema, welches für Luthers frühe Schaffensperiode konstatiert wurde, sollte sich erst durch die Auseinandersetzung um seine 95 Disputationsthesen zur Kraft der Ablässe ändern. Mehr noch als seine Anfang September 1517 verfassten Thesen „Contra scholasticam theologiam“,68 in denen Luther der von ihm wahrgenommenen scholastischen Theologie den Boden entzog, indem er Aristoteles als Grundlage der Theologie verneinte und unter Berufung auf Augustin den Menschen unter der Erbsünde als zum Guten nicht fähig skizzierte,69 stießen seine 95 Thesen vom 31. Oktober 1517 einen Prozess an, der nicht nur zur Reform, sondern zur Reformation der Kirche führen sollte.70 68 WA 1; (221) 224–228 = Cl 5; (311 f.) 320–326 = StA 1; (163) 165–172 = LDStA 1; 19–33. 69 Aus der Literatur zur Auseinandersetzung Luthers mit Aristoteles und der scholastischen Theologie seien genannt: Th. Dieter, Der junge Luther und Aristoteles. Eine historisch-systematische Untersuchung zum Verhältnis von Theologie und Philosophie (TBT 105), Berlin/New York 2001; L. Grane, Contra Gabrielem. Luthers Auseinandersetzung mit Gabriel Biel in der Disputatio Contra Scholasticam Theologiam 1517, Kobenhagen 1962; Ders., Modus loquendi theologicus. Luthers Kampf um die Erneuerung der Theologie (1515–1518) (AThD 12), Leiden 1975; Schwarz, Luther, 32–37. – Seine „neue Theologie“ entfaltete Luther seit Herbst 1516 durch Unterstützung seines Kollegenkreises. Zu diesem zählten Nikolaus von Amsdorf, Andreas Bodenstein von Karlstadt und Johannes Dölsch. Auf das theologische Miteinander der „Wittenberger Diskussionsgemeinschaft“, die durch die Disputation „De viribus et voluntate hominis sine gratia“ (WA 1; 145–151) entstanden war, und deren Bedeutung für die Reformation macht eindrücklich Kruse, Universitätstheologie, 2002 aufmerksam. 70 Aus der umfangreichen Forschungsliteratur zu den 95 Thesen und zu der durch Hans Volz 1959 ausgelösten und durch den katholischen Kirchengeschichtler Erwin Iserloh zugespitzten Diskussion um den Thesenanschlag, bei der die Fragen im Mittelpunkt standen, ob Luther seine Thesen wirklich am 31. Oktober oder möglicherweise am 1. November an die Tür der Schlosskirche zu Wittenberg angebracht habe und ob Luther sie überhaupt angeschlagen habe, vgl. in chronologischer Erscheinungsweise: H. Volz, Martin Luthers Thesenanschlag und dessen Vorgeschichte, Weimar 1959; E. Iserloh, Luthers Thesenanschlag, Tatsache oder Legende? (Institut für europäische Geschichte Mainz, Vorträge 31), Wiesbaden 1962 (Wiederabdruck in: Ders., Kirche – Ereignis und Institution. Aufsätze und Vorträge; Bd. 2: Geschichte und Theologie der Reformation, Münster 1985, 48–69); K. Honselmann, Urfassung und Drucke der Ablaßthesen Martin Luthers und ihre Veröffentlichung, Paderborn 1966; E. Iserloh, Luther zwischen Reform und Reformation. Der Thesenanschlag fand nicht statt (KLK 23/24), Münster 1966; E. Kähler, Die 95 Thesen. Inhalt und Bedeu-

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Durch die Heilige Schrift und die Kirchenväter geschult und von ihnen zur Kritik an der scholastischen Theologie geführt, hatte Luther die autoritative Argumentationsgrundlage in der Bibel und den Kirchenvätern manifestiert, wodurch sich verschiedene kirchlich-scholastische Gegner, welche sich ihren scholastischen Lehrern und den päpstlichen Dekretalen und Kanones verpfl ichtet hatten, herausgefordert fühlten. Der anfängliche Streit um die kirchliche Ablasspraxis und Ablasslehre mutierte daher im Jahr 1518 zum Streit um die Autorität des Papstamtes und schließlich zur Auseinandersetzung über die grundlegenden „Normen der Christenheit“. In diesem vielschichtigen Prozess äußerte sich Luther vermehrt zur kirchlichen Autorität der Konzilien und sprach ihnen oberste Entscheidungskompetenz zu. Daher stellt sich die Frage: War Luther plötzlich zum Konziliaristen geworden? Um dieser höchst brisanten Frage nachzugehen, sollen im Folgenden die schriftlichen Äußerungen Luthers bis zum September 1518 auf das Konzilsthema hin untersucht und genealogisch sowie kontextuell zur Darstellung gebracht werden. Dass die Untersuchung hierbei in der Forschung bekannte Sachverhalte nicht näher vertieft, versteht sich von selbst.

1. Der Ablassstreit und die kirchlichen Autoritäten Durch die Veröffentlichung der 95 Thesen zum Ablass, der „Disputatio pro declaratione virtutis indulgentiarum“,71 im Herbst 1517 begann für Luther ein Streit, der ihn in den Blickpunkt der theologischen und gelehrten Öffentlichtung (Luther 38, 1967, 114–124); H. Bornkamm, Thesen und Thesenanschlag Luthers. Geschehen und Bedeutung, Berlin 1967; H. Volz, Die Urfassung von Luthers 95 Thesen (ZKG 78, 1967, 67–93); R. Schwarz, Vorgeschichte der reformatorischen Bußtheologie (AKG 41), Berlin 1968; H.-Ch. Rublack, Neuere Forschungen zum Thesenanschlag Luthers (HJ 90, 1970, 329–342); M. Brecht, Luther 1, 173–215; Schwarz, Luther, 44–48; J. Wicks, Martin Luther’s Treatise on Indulgences, 1517 (ThStudies 28, 1967, 481–518) = Ders., Luther’s Reform. Studies on conversion and the church (VIEG.B 35), Mainz 1992, 87–116; Kruse, Universitätstheologie, 113–130. Im Jahr 2007 blitzte die Diskussion um den Thesenanschlag erneut auf, nachdem eine Notiz von Georg Rörer zum Thesenanschlag durch Martin Treu in einem Handexemplar des Neuen Testaments (Druck 1540) aufgefunden worden war. Siehe H. Schmoll, Die Geschichte mit dem Aushang. Ein Fund zum Thesenanschlag Luthers gibt der widerlegten Legende neue Nahrung (Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 38, Geisteswissenschaften, Mittwoch, 14. 2. 2007, N 3) und die gegen die von Schmoll suggerierte Meinung, es sei innerhalb der protestantischen Kirchengeschichte „unumstritten“, „dass Luthers Thesenanschlag am 31. Oktober 1517 nie stattgefunden“ habe, zu Recht protestierenden Leserbriefe wie z. B. A. Beutel, Nicht der Rede wert (Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 57, Donnerstag, 8. 3. 2007, 8). Vgl. zur neuesten Diskussion: J. Ott und M. Treu (Hg.), Luthers Thesenanschlag – Faktum oder Fiktion (SStLSA 9), Leipzig 2008 sowie den darin enthaltenen Aufsatz von B. Moeller, Thesenanschläge (in: Ott/Treu, Luthers Thesenanschlag, 2008), 9–31. 71 WA 1; (229) 233–238 = Cl 1; (1) 3–9 = StA 1; (173) 176–185 = LDStA 2; 1–15.

§ 2 Die wachsende Bedeutung der Konzilsthematik im Ablassstreit

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keit führen und schließlich zum Reformator werden lassen sollte. Mit Hilfe der 95 Thesen zur Kraft der Ablässe suchte Luther eine kritische Diskussion über das zeitgenössische Ablasswesen anzuregen und einen akademischen Klärungsprozess herbeizuführen. Innerhalb kurzer Zeit überschritten die als theologische Disputationsgrundlage verfassten Thesen, die Luther u. a. Erzbischof Albrecht von Mainz72 und seinem Erfurter Ordensbruder Johann Lang 73 gesandt hatte, den rein akademischen Rahmen und fanden öffentliches Interesse.74 In seinen Thesen ging Luther von einem radikalen, aus dem Neuen Testament erarbeiteten Bußverständnis aus, welches er der kirchlichen Bußlehre gegenüberstellte. In seine Kritik am kirchlichen Ablasswesen bezog Luther die Autorität der kirchlichen Instanzen ein, von denen hier besonders der Papst als Initiator des Ablasses Erwähnung fand. Auch wenn Luther die Autorität des Papstes nicht in Frage stellte, schränkte er dessen Machtbereich u. a. auf die kirchlichen Bußstrafen ein, die der Papst selbst nach seinem Urteil und den altkirchlichen Kanones festgesetzt hatte.75 Nach einem späten Selbstzeugnis Luthers warnte ihn bereits Anfang November Hieronymus Schurf, Wittenberger Jurist und ausgewiesener Kenner des kanonischen Rechts,76 nichts „gegen den Papst“ zu schreiben, da dieses zum Streit führen werde.77

72 Vgl. WAB 1; (108) 110–112 (-115) Nr. 48 (Luther an Albrecht von Mainz, Wittenberg, 31. 10. 1517). Auch dem für Wittenberg zuständigen Ortsbischof, dem Bischof von Brandenburg, dürfte Luther seine Thesen übersandt haben. 73 Vgl. WAB 1; 121 f. Nr. 52 (Luther an Johann Lang, Wittenberg, 11. 11. 1517). 74 Zum Begriff der Öffentlichkeit, der in die Reformationsgeschichtsforschung durch die Erforschung der Flugschriftenpublikation in Anlehnung an J. Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit. Untersuchungen zu einer Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft, Neuwied/Berlin 1962 Eingang fand, von R. Wohlfeil, Einführung in die Geschichte der deutschen Reformation, München 1982, 123–133 akzentuiert wurde und eine eigene Forschungsdiskussion auslöste, vgl. die z. T. widersprechenden Beiträge von Brockmann, Flugschriften, 32–40; J. Burkhardt, Das Reformationsjahrhundert. Deutsche Geschichte zwischen Medienrevolution und Institutionenbildung 1517–1617, Stuttgart 2002, 48–64; Th. Kaufmann, Das Ende der Reformation. Magdeburgs „Herrgotts Kanzlei“ (1548– 1551/52) (BHTh 123), Tübingen 2003, 65–67 Anm. 104; H. Flachmann, Martin Luther und das Buch. Eine historische Studie zur Bedeutung des Buches im Handeln und Denken des Reformators (SuR.NR 8), Tübingen 1996, 174–191; R. Wohlfeil, „Reformatorische Öffentlichkeit“ (in: L. Grenzmann und K. Stackmann [Hg.], Literatur und Laienbildung im Spätmittelalter und in der Reformationszeit. Symposion Wolfenbüttel [Germanistische Symposien. Berichtsbände 5], Stuttgart 1984, 41–52). 75 WA 1; 233,18–22 (Thesen 5 und 6). 76 Vgl. über den aus St. Gallen stammenden Schurf (auch Schürpf genannt): W. SchaichKlose, D. Hieronymus Schürpf. Leben und Werk des Wittenberger Reformationsjuristen 1481–1554, Torgen 1967; H. Lück, „. . . vnd viell feiner gesellen, die fleißiglichen studieren . . .“. Hieronymus Schurff (1481–1554). Mit dem Recht für das Leben (in: P. Freybe [Hg.], Wittenberger Lebensläufe im Umbruch der Reformation [Wittenberger Sonntagsvorlesungen], Wittenberg 2005, 52–74). 77 WAT 3; 564 Nr. 3722 (2. 2. 1538). Vgl. Bornkamm, Thesen, 18 f.

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Während in den 95 Thesen der Papst als kirchliche Autorität kritisch, aber nicht ablehnend angesprochen wurde,78 fand die Institution Konzil mit keinem Wort Erwähnung. Auch in den ersten Stellungnahmen Luthers zum Ablassstreit kam das Konzil nicht vor. Dennoch, provoziert durch seine Gegner, nahmen die Äußerungen Luthers über das Konzil mit der vermehrt in den Mittelpunkt rückenden Auseinandersetzung um die Autorität des Papstes zu.79

1.1. Das Konzil als Approbationsinstanz kirchlicher Lehren Durch Luthers Ablassthesen herausgefordert, fühlte sich der Dominikanermönch, Ablassprediger und erzbischöfl iche Subkommissar für die Ablassverkündung in der Kirchenprovinz Magdeburg, Johann Tetzel,80 genötigt, schriftlich gegen Luther Stellung zu beziehen. Neben Gegenthesen, die er sich von seinem Ordensbruder, dem Dominikaner Konrad Wimpina, Theologieprofessor in Frankfurt an der Oder, anfertigen ließ und über die er ebendort am 20. Januar 1518 disputierte,81 veröffentlichte Tetzel auf Deutsch eine Widerlegung 82 von Luthers „Ein Sermon von Ablaß und Gnade“83, in der er Luthers Thesen ablehnte, ihn in Zusammenhang mit John Wyclif und Jan Hus brachte und als Ketzer brandmarkte. Ebenfalls verfasste er 50 Disputationsthesen, die Anfang Mai in Wittenberg vorlagen. In ihnen konzentrierte sich Tetzel auf die kirchliche Lehrautorität.84 So lehrte Tetzel, der Papst habe die höchste Gewalt in der Kirche von Gott er78

Siehe die Thesen 5, 6, 20, 21, 48–53, 55, 58, 61, 73 f. u. a. in WA 1; 224–228. Zur Ausbreitung und Wirkung der Ablassthesen sowie die hierauf erfolgenden Reaktionen bis zum Sommer 1518 kann in der vorliegenden Studie nicht näher eingegangen werden. Hingewiesen sei u. a. auf die Überblicke bei Brecht, Luther 1, 198–215 oder S. H. Hendrix, Luther and the Papacy. Stages in a Reformation Confl ict, Philadelphia 1981, 22– 43. 80 Über Tetzel vgl. N. Paulus, Johann Tetzel der Ablaßprediger, Mainz 1899. 81 Die Thesen fi nden sich abgedruckt in: DCL 1, 321–337; siehe auch Paulus, Tetzel, (170) 171–180. Vgl. Brecht, Luther 1, 202; Schwarz, Luther, 50. Die gedruckten Thesen gelangten vermutlich Mitte März nach Wittenberg, wo zahlreiche Exemplare von aufgebrachten Studenten ohne Wissen Luthers auf dem Marktplatz verbrannt wurden. Siehe WAB 1; 155,24–41 Nr. 64 (Luther an Johann Lang, Wittenberg, 21. 3. 1518); WAB 1; 170,59– 171,66 Nr. 74 (Luther an Jakobus Trutfetter, Erfurt, 9. 5. 1518). 82 Der Titel der Schrift lautete: „Vorlegung [= Widerlegung] gemacht von Bruder Johan Tetzel Prediger Ordens Ketzermeister: wyder eynen vormessen Sermon von tzwentzig irrigen Artickeln Bebstlichen ablas vnn gnade belangende allen cristglaubigen menschentzuwissen von notten“ (WA 1; 380). Siehe DCL 1, (337) 340–363; Walch 2 18, 274–295 nimmt Ende Mai 1518 als Entstehungsdatum der Schrift an, das mit Paulus, Tetzel, 53 f. und Selge, Normen, 6 auf April zu korrigieren ist. 83 WA 1; (239) 243–246. In dieser auf Deutsch verfassten, im März 1518 publizierten und vielfach nachgedruckten kleinen Schrift suchte Luther in 20 Punkten die Kerngedanken seiner Ablasskritik dem Volk zu vermitteln. Vgl. Cl 1; 10 f. (Einleitung). 84 DCL 1, (363) 369–375. Vgl. Selge, Normen, 4. 79

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halten.85 Er besitze über alle Christen betreffs der „Religion“ (ad religionem Christianam) und der „Lehrautorität“ (ad Cathedram) die unmittelbare Jurisdiktion86 und stehe in der Jurisdiktionsgewalt über der ganzen Kirche und dem Konzil.87 Außerdem bestimme der Papst allein, was zum Glauben gehöre, lege die Heilige Schrift autoritativ aus 88 und könne in Sachen des Glaubens und der Seligkeit nicht irren. Folglich dürfe er nicht in Frage gestellt werden.89 In der praktischen Gewährung des Ablasses und der kirchlichen Anerkennung der Ablasslehre ordnete Tetzel das allgemeine Konzil eindeutig dem Papst unter, indem er betonte, dass einen vollkommenen Ablass weder ein Generalkonzil noch die Prälaten der Kirche gewähren dürften (These 13) und kein Mensch oder Generalkonzil bestimmen könne, was an den Ablässen wahr und zu glauben sei (These 14).90 Luther reagierte hierauf – ohne Tetzels Namen zu erwähnen – mit der Schrift „Eine Freiheit des Sermons päpstlichen Ablaß und Gnade belangend“91, die er im Juni 1518 verfasste.92 In ihr kritisierte er, dass sein Gegner keine überzeugenden Schriftargumente für den Ablass vorgetragen habe. Auch die für den Ablass ins Feld geführten Argumente bestünden nur aus Meinungen weniger Theologen, denen sich die übrigen theologischen Lehrer angeschlossen hätten.93 Sie verträten lediglich unautorisierte Ansichten. In diesem Zusammenhang betonte Luther, dass „bey gemeynem Concilio die gewalt“ sei, verbindlich „die warheit zuvorcleren, die an schrifft geredt wirdt“.94 Er setzte folglich den 85

DCL 1, 369,(12–14). AaO. 371,(1–4). 87 AaO. 371,(5–7): Docendi sunt Christiani, quod Papa iurisdictionis autoritate superior tota universali Ecclesia et Concilio quodque statutis suis humiliter sit oboediendum. – Die alleinige Autorität des Papstes über alle Konzilien hatte kurz zuvor Leo X. in der Konstitution „Pastor aeternus“, die am 19. 12. 1516 in der 11. Sitzung im 5. Laterankonzil beschlossen worden war, bestätigt. Siehe COD3 642,19–26: cum etiam solum Romanum pontificem pro tempore existentem, tamquam auctoritatem super omnia concilia habentem, conciliorum indicendorum, transferendorum, ac dissolvendorum plenum ius et potestatem habere, nedum ex sacrae scripturae testimonio, dictis sanctorum patrum, ac aliorum Romanorum pontificum etiam praedecessorum nostrorum, sacrorumque canonum decretis, sed propria etiam eorumdem conciliorum confessione manifeste constet [. . .]. 88 AaO. 371,(8–11). 89 AaO. 371,(12–19). 90 AaO. 372,(1–7): 13. Docendi sunt Christiani, quod plenissimam Indulgentiam non Concilium generale nec Praelati alii Ecclesiae simul vel disiunctim dare possunt, sed solus Papa, qui est Sponsus universalis Ecclesiae. 14. Docendi sunt Christiani, quod veritatem et fidem de Indulgentiis habendis nullus mortalium, imo nec Concilium generale, sed solus Papa, qui de catholica veritate sententionaliter habet iudicare, potest determinare. 91 WA 1; (380) 383–393. 92 Vgl. WA 1; 380–382 (Einleitung). Siehe auch Schwarz, Luther, 50 f. 93 WA 1; 384,14–22. 94 WA 1; 384,22–28: Auch geschicht den selben heyligen und wirdigen lerernn groß gewalt und unrecht von den lesterern und vorleger, das sie das fuer bewerte und gegrundte warheyt außclassen, das die lieben vetter fuer opinien und ungewiße wahn gehalten und geredt haben, darzu mit bloßen worten an alle bewerung gesetzt, Ja auch nit mehr haben 86

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von Tetzel angeführten Autoritäten das allgemeine Konzil als kirchliche Autorität gegenüber, dem allein das Recht zur Entscheidung in von der Heiligen Schrift nicht geklärten Glaubensfragen zukomme. Geschickt defi nierte Luther somit das von Tetzel in die Ablassdiskussion eingeführte Konzil – dieses wurde in der Forschung bisher übersehen – als oberste kirchliche Gewalt, ohne diese Gewalt in einen direkten Gegensatz zur These von der Papstgewalt zu stellen. Vielmehr erinnerte er daran, dass ein allgemeines Konzil die vorhandenen Meinungen zum Ablass bisher nicht festgeschrieben habe. Dem allgemeinen Konzil eignete Luther folglich die Approbationsgewalt kirchlicher Lehren zu. Bereits im Frühjahr 1518 hatte Luther diese Ansicht in seinen „Asterisci“95 gegenüber Johannes Eck, Theologieprofessor in Ingolstadt, wissenschaftlich pointierter geäußert. Eck, mit dem Luther über Christoph Scheurl in Nürnberg Brief kontakt pflegte,96 hatte als scharfsinniger Gegner in handschriftlichen Bemerkungen, von ihm „Obelisci“ genannt, einige von Luthers 95 Thesen kritisiert, ihn des Aufruhrs bezichtigt, in die Nähe der hussitischen Ketzerei gerückt und als Verächter des Papstes tituliert.97 Der Wittenberger Professor war über Ecks Stellungnahme, die ihm über Wenzeslaus Link aus Nürnberg zugespielt wurde, enttäuscht und antwortete mit seinen „Asterisci“, in denen er, wie bei einer wissenschaftlichen Disputation üblich, Ecks „Obelisci“ seine „Asterisci“ in These und Gegenthese gegenüberstellte.98 Das Konzil thematisierte Luther hierin an einer bedeutenden Stelle. Eck hatte Luther vorgeworfen, in These 58 99 den „unverschämtesten Irrtum“ zu äußern.100 In seiner Erwiderung betonte Luther: „Die unverschämteste Anmaßung ist es, etwas in der Kirche und unter Christen zu lehren, was Christus kunden reden, dann opinien, Syntemal nit bey yhn, sunder bey gemeynem Concilio die gewalt ist, schlislich die warheit zuvorcleren, die an schrifft geredt wirdt. – Vgl. Selge, Normen, 33. 95 WA 1; (278) 281–314: Asterisci Lutheri adversus Obeliscos Eckii. Siehe auch: DCL 1, 401–447. – Die von Luther nicht veröffentlichte Streitschrift kursierte in mehreren Abschriften und wurde erstmals 1545 im ersten Band der Wittenberger Gesamtausgabe von Luthers Werken veröffentlicht. 96 WAB 1; 91 Nr. 36 (Scheurl an Luther, Nürnberg, 1. 4. 1517). WAB 1; 152,29 f. Nr. 62 (Luther an Scheurl, Wittenberg, 5. 3. 1518). Vgl. E. Iserloh, Johannes Eck (1486–1543). Scholastiker, Humanist, Kontroverstheologe (KLK 41), Münster 21985, 22 f. 97 Eck hat seine im Januar oder Februar 1518 verfasste Schrift nie im Druck veröffentlicht. Vgl. WA 1; 278–280 (Einleitung); DCL 1, 376–383. 98 Zum Titel „Obelisci“ (Spießchen) und „Asterisci“ (Sternchen) vgl. O. Hiltbrunner, Die Titel der ersten Streitschriften zwischen Eck und Luther (ZKG 64, 1952/53, 312–320). Zur Auseinandersetzung zwischen Eck und Luther vgl. Brecht, Luther 1, 205–208; Iserloh, Eck, 24–28; Selge, Normen, 3; Ders., Weg, 173–176. 99 In der 58. These hatte Luther behauptet, dass die Schätze der Kirche nicht aus den Verdiensten Christi und der Heiligen bestünden, da diese immer ohne den Papst Gnade für den inneren Menschen wirkten. Vgl. WA 1; 236,14 f. 100 WA 1; 307,35 f.: Unde impudentissimus error apparet, merita Christi non esse infi nitum Thesaurum, etiam ordinatae dispensationi Papae non commissum.

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nicht gelehrt hat.“101 Sodann fragte er nach der autoritativen Bestätigung, warum der Schatz der Verdienste Christi in der Hand des Papstes liege: „Wo sagt das die Schrift? Wo die Väter? Wo die Kanones? Wo jemand in der ganzen Welt (abgesehen von den scholastischen Theologen).“102 Luther räumte ein, dass in einer „Extravagante“ von Papst Clemens VI. vom Schatz der Verdienste Christi die Rede sei, welcher durch den kirchlichen Ablass ausgeteilt werde.103 Er lese aber nirgends, dass diese Meinung approbiert worden sei. Nun differenzierte Luther zwischen dem Rechtsakt des bloßen Sagens („narrare“) und des Festsetzens („statuere“): „Es ist etwas anderes, ob der Papst etwas bloß sagt oder festsetzt; ja es ist noch ein großer Unterschied zwischen einer Festsetzung des Papstes und einer Approbation durch das Konzil.“104 Mithin betonte Luther, dass ein Beschluss durch den Papst erst dann volle Autorität erhalte, wenn er durch ein Konzil gebilligt werde. Deutlicher als in seiner deutschen Schrift gegen Tetzel entzog Luther die Approbation der kirchlichen Lehre dem Papst und wies sie dem allgemeinen Konzil zu. Die Entwicklung der Auseinandersetzung zum grundsätzlichen Autoritätenkonfl ikt war unübersehbar vorgezeichnet.

1.2. Das Konzil als Entscheidungsinstanz in Glaubensdingen Umfangreicher als in den vorangehenden Schriften profi lierte Luther die Bedeutung des Konzils für die kirchliche Autoritätsproblematik in den „Resolutiones disputationum de indulgentiarum virtute“.105 Bereits im Winter 1518 hatte Luther eine wissenschaftliche Erläuterung seiner 95 Thesen verfasst, die er auf Anraten von Hieronymus Schulz, dem für Wittenberg zuständigen Bischof von Brandenburg, anfangs zurückhielt,106 dann 101 WA 1; 308,9 f.: Longe ergo impudentissima omnium temeritas est, aliquid in Ecclesia asserere et inter Christianos, quod non docuit Christus. 102 WA 1; 308,13 f.: Ubi hoc Biblia? ubi Patres? ubi Canones? (excipe Magistros nostros) ubi in toto mundo? – Die Autorität des Konzils wird hier nicht erwähnt, da sie m. E. unter die Kanones zu fassen ist. Vgl. auch die Einleitung zu den „Resolutiones“. 103 Vgl. die von Clemens VI. am 27. 1. 1343 verkündete Jubiläumsbulle „Unigenitus Dei Filius“ vom 27. 1. 1343: CorpIC, Extravag. Commun., V. tit. 9 c.2 (Friedberg 2, 1304– 1306); DH 1025–1027. Diese Extravagante sollte im Augsburger Gespräch zwischen Cajetan und Luther im Oktober 1518 eine zentrale Rolle spielen. Siehe unten, Kapitel II § 3.4. 104 WA 1; 308,25 f.: Aliud est, Papam narrae, aliud statuere, Imo longe aliud Papam statuere, et Concilium approbare. – Vgl. Selge, Normen, 42. 105 WA 1; (522) 525–628 = Cl 1; (15) 16–147. 106 Luther übersandte das Manuskript seinem Bischof zur Prüfung. Siehe WAB 1; (135) 138–140 Nr. 58 (Luther an Hieronymus Scultetus, Bischof von Brandenburg, Wittenberg [13. 2. 1518] (Brecht, Luther 1, 212 Anm. 69, nimmt ohne Begründung den 22. Mai als Abfassungsdatum des Briefes an, welches m. E. nicht haltbar ist); WAB 1; 152, 17–20 Nr. 62 (Luther an Scheurl, Wittenberg, 5. 3. 1518). Erst in der zweiten Märzhälfte antwortete der Bischof und empfahl Luther über den Abt von Lehnin, von einer Veröffentlichung vorerst

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aber nach der Rückkehr von der Heidelberger Disputation Mitte Mai nicht zuletzt aufgrund der heftigen Kritik von Eck und Tetzel überarbeitete. Da Luther fürchtete, dass seine Gegner ihn in Rom anklagen würden, schickte er am 30. Mai 1518 über seinen Generalvikar und Beichtvater Johann von Staupitz eine handschriftliche Abschrift seiner Erläuterungen zu den 95 Thesen mitsamt einem Begleitbrief an Leo X. Zusammen mit den Erläuterungen gab er diesen Brief an den Papst107 sowie den Brief an Staupitz108 im Juni in den Druck. Mitte August lag die Schrift vollständig publiziert vor.109 Durch seinen Brief an Leo X., in dem er sich auf sein akademisches Disputationsrecht berief und einen Widerruf ablehnte, suchte Luther seine Position unter die Schutzherrschaft des Papstes zu stellen und sich gegen die Vorwürfe der (dominikanischen) Gegner zu wehren, er habe die päpstliche Autorität und Schlüsselgewalt vermindert und sei ein Ketzer. Vielmehr erkenne er die kirchliche Gewalt an und unterwerfe sich dem Urteil des Papstes, das als Stimme Christi anzuerkennen sei.110 Die in dem offi ziellen Brief an Leo X. unausgeglichene Spannung zwischen der Verweigerung des Widerrufes einerseits und der Unterwerfung unter den Papst andererseits enthielt jene für Luther im Jahr 1518 typische Ambivalenz, die zwischen der aus der Heiligen Schrift gewonnenen Überzeugung der theologischen, papstkritischen Erkenntnis auf der einen und der Hochachtung des Papstamtes auf der anderen Seite herrschte. Erst gegen Ende des Jahres 1518 sollte das Vertrauen in die päpstliche Urteilsfähigkeit zerstört werden.111 abzusehen (WAB 1; 162,10–15 Nr. 67 [Luther an Spalatin, Wittenberg, 2. Hälfte März 1518]). Anfang April war Luther von seinem Versprechen, die „Resolutiones“ nicht herauszugeben, seitens des Bischofs entbunden worden (WAB 1; 164,1 f. Nr. 70 [Luther an Spalatin, Wittenberg, kurz vor 4. 4. 1518]). – Brecht, Luther 1, 212 Anm. 69. 107 WA 1; 527,16–529,28 = Cl 1; 19,9–21,37. Siehe auch WA 9; (171) 173–175. 108 WA 1; 525–527,15 = Cl 1; 16–19,8. Eine deutsche Übertragung des Briefes fi ndet sich in LDStA 2; 17–23. In diesem Widmungsbrief erläuterte Luther sein neues Bußverständnis, dessen Erkenntnis er auf die seelsorgerlichen Gespräche mit Staupitz zurückführt. Für die theologische Entwicklung des Reformators ist der Brief von größter Bedeutung. Vgl. R. Wetzel, Staupitz und Luther (in: V. Press und D. Stievermann [Hg.], Martin Luther. Probleme seiner Zeit [SMAFN 16], Stuttgart 1986, 75–87), 78–81; Leppin, „Omnem vitam fidelium penitentiam esse voluit“, 7–25; Brecht, Luthers neues Verständnis der Buße, 281– 291. Zum Einfluss von Staupitz auf den jungen Luther vgl. M. Wriedt, Gnade und Erwählung. Eine Untersuchung zu Johann von Staupitz und Martin Luther (VIEG 141), Mainz 1991. 109 Zur Entstehungsgeschichte der „Resolutiones“ vgl. WA 1; 522 f.; Cl 1; 15 f.; Brecht, Luther 1, 212–215; Schwarz, Luther, 52. 110 WA 1; 527,16–529,28. 111 Die hier nicht weiter zu vertiefende Diskussion um Luthers schwankende Haltung zum Papst im Jahr 1518 wurde in der Forschung sehr kontrovers geführt. Beurteilten die einen Wissenschaftler Luthers positive Äußerungen zum Papst als Scheinmanöver oder Taktik (Höhne, Anschauungen, 42), nahmen andere die m. E. eher für Luther zutreffende Anerkennung der Papstautorität, „wenn auch nicht im Sinne des extremen Papalismus und der kurialen Praxis“ an (Selge, Normen, 27. 35 f. u. ö.). Vgl. zur Problematik Bäumer, Papst,

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Seine Erläuterungen eröffnete er mit einer bei theologischen Disputationen üblichen „Protestation“. Durch sie suchte er seine kirchliche Rechtgläubigkeit zu betonen, indem er die von ihm anerkannten kirchlichen Autoritäten nach ihrer normativen Relevanz gewichtet anführte.112 Als erste Autorität erwähnte er die Heilige Schrift, sodann die von der Kirche rezipierten Kirchenväter, schließlich die Kanones und päpstlichen Dekretalen.113 Sollte etwas aus diesen nicht bewiesen oder verworfen werden können, möchte er die Sache dem Urteil der Vernunft („iudicio rationis“) und der Erfahrung („experientia“) unterwerfen, aber eine Entscheidung letztlich seinen Oberen überlassen.114 Lediglich hinsichtlich der von ihm abgelehnten Lehrpositionen des Thomas von Aquin, Bonaventuras und anderer Scholastiker und Kanonisten werde er in christlicher Freiheit gemäß dem Pauluswort „Prüfet alles und das Gute behaltet“ (I Thess 5,21) urteilen.115 In den Erläuterungen der Thesen konzentrierte er seine Äußerungen zum allgemeinen Konzil erneut auf den Aspekt der Entscheidungsinstanz über die kirchliche Lehre und kontrastierte sie mehrfach mit der Institution des Papstes. So führte er beispielsweise in der Diskussion über These 20 (die Vergebung der Strafen durch den Papst) 116 an, dieser disputationswürdige Lehrsatz könne nicht von den scholastischen Lehrern als Glaubensartikel behandelt werden. Er müsse solange unentschieden bleiben, bis der Glaubensartikel allein durch das Urteil eines allgemeinen Konzils entschieden sei. Nicht einmal der Papst habe das 21–26 sowie dessen Forschungskommentar aaO. 101–144. Zu dem reformations- und theologiegeschichtlich grundlegenden Thema „Luther und der Papst“, zu dem in den letzten Jahr(zehnt)en keine eigenständige Studie vorgelegt wurde, obgleich weiterer Untersuchungsbedarf besteht, vgl. in Auswahl: E. Bizer, Luther und der Papst (TEH NF 69), München 1958; H. Kirchner, Luther und das Papsttum (LWML, 437–445. 871–874); Moeller, Papsttum, 106–115; G. Müller, Martin Luther und das Papsttum (in: G. Denzler [Hg.], Das Papsttum in der Diskussion, Regensburg 1974, 73–101); S. H. Hendrix, Luther und das Papsttum (Conc[D] 12, 1976, 493–497); H. J. Urban, Der reformatorische Protest gegen das Papsttum. Eine theologiegeschichtliche Skizze (Cath[M] 30, 1976, 295–319). Zur Verhältnisbestimmung der geistlichen und weltlichen Gewalt in der Auseinandersetzung mit Rom vgl. jetzt kompetent V. Mantey, Zwei Schwerter – Zwei Reiche. Martin Luthers ZweiReiche-Lehre vor ihrem spätmittelalterlichen Hintergrund (SuR.NR 26), Tübingen 2005, 167–171. 112 WA 1; 529,29–530,12. 113 AaO. 529,33–530,1: Primum protestor, me prorsus nihil dicere aut tenere velle, nisi quod in et ex Sacris literis primo, deinde Ecclesiasticis patribus ab Ecclesia Romana receptis, hucusque servatis et ex Canonibus ac decretalibus Pontificiis habetur et haberi potest. – Auch wenn Luther an dieser Stelle nicht ausdrücklich das Konzil nennt, ist es in den genannten Kanones mit inbegriffen. 114 AaO. 530,1–3. 115 AaO. 530,4–10 – Zu seiner ablehnenden Haltung gegenüber Thomas von Aquin und dem Thomismus vgl. u. a. L. Grane, Die Anfänge von Luthers Auseinandersetzung mit dem Thomismus (in: Ders., Reformationsstudien. Beiträge zu Luther und zur dänischen Reformation, hg. von R. Decot [VIEG.B 49], Mainz 1999, 57–68). 116 WA 1; 567,26–28: Igitur Papa per remissionem plenariam omnium poenarum non simpliciter omnium intelligit, sed a seipso tantummodo positarum.

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Recht, etwas in Dingen des Glaubens festsetzen zu können, außer – so mit polemischer Spitze hinzugefügt – die Ablassprediger.117 Im Rahmen der ausführlichen Erläuterung zur 26. These118 machte Luther auf die Art und Weise der Fürbitte für die Seelen aufmerksam und betonte, er wolle die Sache nur begründet untersuchen und disputieren. Die Weise der Fürbitte könne nicht durch ihn, sondern durch den Papst oder durch ein kirchliches Konzil („Ecclesiastici Concilii“) festgesetzt werden.119 Im weiteren Verlauf der Erörterung der 26. These defi nierte Luther den Papst als Menschen und unterschied hiervon die kanonische Rede. „Ich höre den Papst als Papst, das heißt, wie er in den Kanones spricht und gemäß den Kanones spricht oder mit einem Konzil eine Entscheidung trifft; nicht aber wenn er nach seinem Kopf redet.“120 Dass Luther hier eine Gleichrangigkeit von Papst und Konzil behaupten konnte, zeigt, dass er einer konziliaristischen Überordnung des Konzils über den Papst nicht konsequent anhing, eine papalistische Überbewertung der Papstautorität aber strikt ablehnte. Eindeutig unterschied Luther, wie bereits zuvor in den Erläuterungen zur 20. These, zwischen Papst und Konzil hinsichtlich der Entscheidungsgewalt bei Glaubensartikeln: Dem Papst allein komme es nicht zu, neue Glaubensartikel aufzustellen, sondern er könne Glaubensfragen nur nach den festgesetzten Glaubensartikeln beurteilen. Eine Entscheidung über neue Glaubensartikel gehöre vor ein allgemeines Konzil.121 „Sonst wäre der Glaube der ganzen Kirche, da der Papst ein Mensch ist und im Glauben und Sitten irren kann, beständig in Gefahr, wenn es notwendig wäre, alles, was ihm gut erschien, als wahr zu glauben.“122 Diese die Autorität des Papstes auf seine kirchenrechtliche Entscheidungsbefugnis eingrenzenden Aussagen richtete Luther u. a. gegen den am Beispiel Sixtus’ IV. erhobenen Anspruch auf päpstliche Vollgewalt, die sich in der Meinung ausdrückte, die päpstliche Autorität reiche bis ins Fegefeuer.123 Verknüpft mit der indirekten Zurückweisung des gegen ihn mittlerweile erhobenen Ketzervorwurfes, stellte er bezüglich der kirchlichen Anerkennung 117 WA 1; 568,19–23: Cum enim haec res sit fidei quidam articulus, si fuerit determinatus, adeo non pertinet ad doctores diffi nire, quod etiam ad solum concilii universalis iudicium sit suspendendus nec summus Pontifex quid temere in iis habeat statuere quae sunt fidei, Nisi soli praecones veniarum. 118 AaO. 574,16 f.: Optime facit Papa, quod non potestate clavis (quam nullam habet) Sed per modum suffragii dat animabus remissionem. 119 AaO. 579,30–36. 120 AaO. 582,21–23: Ego audio Papam ut papam, id est ut in Canonibus loquitur et secundum Canones loquitur aut cum Concilio determinat, Non autem, quando secundum suum caput loquitur [. . .]. 121 AaO. 582,37–583,2. 122 AaO. 583,2–4: Alioquin, cum Papa sit unus homo, qui errare potest in fide et moribus, periculo assidue laboraret totius Ecclesiae fides, si quicquid sibi visum fuerit necesse sit verum credi. 123 Vgl. aaO. 582,15–18. 582,35 f.

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von Lehrmeinungen heraus: Der Papst könne mit einem großen Teil der Kirche etwas so oder so halten – insbesondere in nicht zur Seligkeit notwendigen Sachen –, ohne dass die gegenteilige Meinung Sünde oder Ketzerei sei. Dies ändere sich erst, wenn durch ein allgemeines Konzil die eine Meinung verworfen, die andere bestätigt sei.124 Zur Verdeutlichung führte Luther die Lehre von der unbefleckten Empfängnis Marias an: Die römische Kirche glaube mit dem allgemeinen Konzil von Basel und fast der ganzen Kirche, dass Maria ohne Sünde gezeugt und geboren worden sei.125 Weil das Gegenteil aber nicht reprobiert worden sei, dürften gegenteilige Meinungen nicht verketzert werden.126 Die Frage, ob eine Meinung, die dem Papst widerspricht, als ketzerisch zu gelten habe, beantwortete Luther erneut mit dem Hinweis auf die Konzilsautorität und die konziliare Entscheidungsvollmacht.127 Eine Lehrformel wie die mit dem Fest der unbefleckten Empfängnis verknüpfte Ablassgewährung müsse daher solange nicht als wahr geglaubt werden, bis die Kirche sie beschließe.128 Sodann fokussierte er die Erläuterungen zur 26. These abschließend auf die Notwendigkeit eines allgemeinen Konzils:

124 AaO. 583,5–8: [. . .] donec fuerit per Concilium universale alterum reprobatum, alterum approbatum. 125 AaO. 583,8–12. Im Basler Konzil wurde die Lehre der Immaculata Conceptio seit dem 8. Dezember 1435 intensiv beraten, aber erst in der 36. Sitzung am 17. September 1439 definiert. Der Dominikaner und Kanonist Juan de Torquemada opponierte gegen diesen Konzilsbeschluss u. a. mit der Begründung, dass zum Zeitpunkt der Konzilsdefi nition Papst Eugen IV. das Konzil bereits nach Ferrara verlegt habe und das Basler Konzil somit keine kirchliche Versammlung mehr sei. Luther, dem die Entscheidung des Basler Konzils bekannt war, hegte keinen Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Konzilsbeschlusses. Inhaltlich war er dem Wittenberger Theologen vermutlich über den Sentenzenkommentar von Gabriel Biel (III, dist. 3, q. 1, Art. 2) vermittelt worden, in dem die Rechtmäßigkeit des Beschlusses für die Kirche behauptet worden war. Siehe G. Biel, Collectorium circa quattuor libros Sententiarum. Liber tertius, hg. von W. Werbeck und U. Hofmann, Tübingen 1979, 88,52–89,81. 1521 berief sich Luther erneut auf den Konzilsbeschluss (WA 7; 429,2–7). Vgl. zur Thematik mit weiteren Literaturangaben: R. Bäumer, Die Entscheidung des Basler Konzils über die Unbefleckte Empfängnis Mariens und ihre Nachwirkungen in der Theologie des 15. und 16. Jahrhunderts (in: J. Helmrath und H. Müller [Hg.], Studien zum 15. Jahrhundert. FS für Erich Meuthen Bd. 1, München 1994, 193–206), bes. 201; Köhler, Luther und die Kirchengeschichte, 115–118. 126 WA 1; 583,8–12. Ob Luther mit dieser Aussage direkt auf die ablehnende Haltung Torquemadas zur unbefleckten Empfängnis, der in Dominikanerkreisen hoch angesehen war, oder auf den Streit zwischen den diese Lehre befürwortenden Franziskanern und den sie negierenden Dominikanern anspielte, ist nicht eindeutig zu beantworten. Dass Luthers These von der gleichzeitigen Approbation und Reprobation eines Konzilsbeschlusses problematisch und kaum verallgemeinerungsfähig war, macht Köhler, Luther und die Kirchengeschichte, 116 f. deutlich. 127 WA 1; 584,10–12: Etiam si Papa cum suis poenitentiariis hic non erraret, non ideo sunt haeretici, qui negent eius sensum aut non credant, donec fuerit Concilii universalis iudicio utra partium defi nita vel reprobata. 128 AaO. 584,13–16.

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„Und hier siehst du abermals, wie notwendig ein rechtmäßiges und allgemeines Konzil sei. Aber ich fürchte, unserer Zeit sei es nicht wert, dass uns ein solches gegeben werde, sondern vielmehr, dass wir durch die Wirkungen des Irrtums betrogen werden, wie wir es verdient haben.“129

Somit verbalisierte Luther erstmals in einer Schrift den Wunsch nach einem allgemeinen Konzil. Doch kaum ausgesprochen, relativierte er ihn sogleich unter Hinweis auf die Zeitumstände.

1.3. Das Konzil als Instanz kirchlicher Reformen Mit dieser ambivalenten Hoffnung auf ein Konzil eng verknüpft waren die Aussagen zur Konfusion der Kirche und der Notwendigkeit einer Reform in den „Resolutiones“. In These 25 beklagte Luther, dass die Glaubenslage und die kirchliche Institution derart desolat seien, dass selbst profi lierteste Männer der Kirche nicht zu Hilfe kommen könnten.130 Was in einer solchen Verwirrung Gelehrsamkeit und gottseliger Eifer bedeuten, habe das unglückliche Ende jener „gelehrtesten und heiligsten Männer“ gezeigt, „die unter Julius II. durch ein für diese Not zusammengerufenes Konzil die Kirche zu reformieren sich bemühten.“131 Luther spielte mit jenem nicht näher genannten Reformkonzil, welches „unter“ Papst Julius II. oder genauer im Pontifi kat Julius’ II. einberufen wurde, nicht auf das 5. Laterankonzil, sondern auf das Konzil von Pisa an.132 Eine eindeutige Parteinahme Luthers für dieses Konzil, wie es vermutet werden könnte, kann aus dieser Passage allerdings nicht gefolgert werden. Ihm ging es um die inneren Beweggründe der beteiligten Konzilsteilnehmer. Gegen Ende seiner „Resolutiones“, in der Erläuterung der 89. These,133 kulminierten Luthers Aussagen unter Anspielung auf das in seinen Augen gescheiterte 5. Laterankonzil134 in einem Reformationsappell: 129 WA 1; 584, 16–19: Et iterum vides, quanta sit necessitas legitimi et universalis Concilii. Sed timeo, nostrum saeculum non sit dignum donari nobis tale, sed potius ut operationibus erroris illudamur, sicut meruimus. 130 AaO. 573,6–11. 131 AaO. 573,11–14: Quid enim potuerit hodie doctrina et pius zelus, satis probavit infoelix eventus eorum doctissimorum ut sanctissimorum virorum, qui sub Iulio Secundo studuerunt reformare ecclesiam instituto ad hanc necessitatem concilio. 132 Vgl. Selge, Normen, 44 Anm. 2; Stange, Konzil zu Pisa, 681–710. Die Interpretation von Köhler, Luther und die Kirchengeschichte, 102, „Luther schliesst das Pisanum mit dem Lateranense zusammen“, muss zurückgewiesen werden. 133 WA 1; 627,18–34. 134 Die Wendung „novissimum concilium“ (WA 1; 627,29) spielt mit aller Wahrscheinlichkeit auf das 5. Laterankonzil an, so dass hier die früheste Notiz Luthers über dieses Konzil vorliegt. Vgl. Stange, Konzil zu Pisa, 681 f. Zur Rezeption des 5. Laterankonzils bei Luther vgl. J. Headley, Luther and the Fifth Lateran Council (ARG 64, 1973, 55–78); Köhler, Luther und die Kirchengeschichte, 100–115; Stange, Luther und das fünfte Laterankonzil, 339–444.

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„Die Kirche bedarf einer Reformation, was nicht das Werk eines Menschen, des Papstes, ist, noch vieler, der Kardinäle, wie beides das letzte Konzil bewiesen hat, sondern der ganzen Welt, ja, Gottes allein. Die Zeit aber für diese Reformation weiß allein der, der die Zeit geschaffen hat.“135

Luther hielt weder den Papst – bei aller Wertschätzung Leos X. – noch das vom Papst und seinen Kardinälen geleitete und als kurialer Reformversuch gedeutete 5. Laterankonzil für die richtige Instanz zur Durchführung kirchlicher Reformen. Mit der Wendung „der ganzen Welt“ deutete Luther m. E. an, dass eine letztlich nur von Gott initiierte Reformation in irdischer Gestalt allein durch ein die gesamte Christenheit umfassendes Universalkonzil möglich sein werde. Im Blick auf die Anspielung auf das Konzil von Pisa und das 5. Laterankonzil erstaunt es, dass Luther in seinen „Resolutiones“ zwar die Immaculata-Entscheidung des Basler Konzils anführte, aber weder das Konstanzer noch das Basler Konzil mit der Reformthematik in Verbindung brachte. Diese Beobachtung kann m. E. nur dadurch erklärt werden, dass Luther 1518 kaum Kenntnisse vom Basler Konzil besaß.136 Beim Konstanzer Konzil, das ein Jahr später eine bedeutende Rolle spielen sollte, dürfte es sich ähnlich verhalten haben. Dennoch war die Linie vorgegeben: Während Luther die Autorität des Papstes einschränkte, stärkte er die Autorität des Konzils als Reforminstitution.

2. Die Autoritätenfrage im Streit mit Prierias Eine neue Dimension in der Auseinandersetzung um die Ablasslehre und Autoritätsthematik trat mit der Einleitung – genauer: den Voruntersuchungen zur Einleitung – des Häresieprozesses gegen Luther vor der römischen Kurie ein.137 135 WA 1; 627,27–31: Ecclesia indiget reformatione, quod non est unius hominis Pontificis nec multorum Cardinalium officium, sicut probavit utrumque novissimum concilium, sed tocius orbis, immo solius dei. Tempus autem huius reformationis novit solus ille, qui condidit tempora. – Gegen Stange, Konzil zu Pisa, 681, der „utrumque novissimum concilium“ mit die „beiden jüngsten Konzilien“ übersetzt. Vgl. auch Headley, Luther, 60. 136 Gegen Tecklenburg Johns, Konzilsidee, 155, die behauptet, dass Luther die „sehr bewegte Geschichte ebenso wie die einzelnen Beschlüsse“ des Basler Konzils „recht gut und schon vor 1518 gekannt“ habe. Mit ihrer These stützt sie sich auf Köhler, Luther und die Kirchengeschichte, 115, der annimmt, dass Luther die Akten des Basler Konzils bereits 1518 kannte. M. E. konsultierte Luther erst 1520 die Akten auf dem Hintergrund der Zulassung des Laienkelchs für die Böhmen. Siehe WA 6; 507, 2–4. 137 Vgl. zum römischen Prozess gegen Luther R. Bäumer, Der Lutherprozess (in: Ders. [Hg.], Lutherprozess und Lutherbann. Vorgeschichte, Ergebnis, Nachwirkung [KLK 32], Münster 1972, 18–48); Brecht, Luther 1, 232–237; Borth, Luthersache, 1970; P. Kalkoff, Forschungen zu Luthers römischem Prozeß (BPHIR 2), Rom 1905; Ders., Zu Luthers römischen Prozess (ZKG 25, 1904, 90–147. 273–290. 399–459. 503–603; ZKG 31, 1910, 48– 64. 368–414; ZKG 32, 1911, 1–67. 199–258. 408–456; ZKG 33, 1912, 1–72); Kohnle, Reichstag, 22–44; K. Müller, Luthers römischer Prozess (ZKG 24, 1903, 46–85); G. Mül-

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Hatten bereits Tetzel und Eck der Frage nach den kirchlichen Autoritäten wachsende Aufmerksamkeit geschenkt, rückte sie jetzt in Gestalt der Frage nach dem kirchlichen Gehorsam in den Mittelpunkt der Auseinandersetzung. Veranlassung zu dieser die Prinzipien der Ekklesiologie betreffenden Frage gab die kuriale Stellungnahme des Magisters sacri palatii, des Dominikaners Silvester Mazzolini aus Prierio, genannt Prierias.138 Durch sie wurde Luther zur Konkretisierung seiner Aussagen über das allgemeine Konzil veranlasst.

2.1. Der Prozessauftakt in Rom und Prierias’ Gutachten Im Dezember 1517 meldete der Mainzer Erzbischof, Albrecht von Brandenburg, die Verbreitung neuer Lehren durch Luther der römischen Kurie. Dieses Denunziationsschreiben traf vermutlich im Januar zusammen mit den 95 Thesen und weiteren Lutherschriften in Rom ein.139 Mit dieser Anzeige, die auf eine „ungehinderte Verkündigung des Petersablasses“140 zielte, wurde der Fall Luther in Rom aktenkundig und als Causa Lutheri verfolgt.141 Da aber kein Häresieverdacht geäußert worden war, beschritt Leo X. vorerst nicht den juristisch-prozessualen Weg, sondern versuchte Luther mit Hilfe der Ordensdisziplin zum Einlenken und zum Widerruf seiner Lehre zu bewegen.142 Während dieser Weg über den Promagister und designierten Generalprior des Augustiner-Eremitenordens, Gabriel della Volta (auch Venetus genannt), führte,143 gelangte im Frühjahr vermutlich eine erneute Denunziler, Die römische Kurie und die Anfänge der Reformation (ZRGG 19, 1967, 1–32). Den besten Überblick über die 1. Phase des römischen Prozesses gegen Luther bietet der von Peter Fabisch und Erwin Iserloh zusammengestellte Forschungsbericht in DCL 1, 19– 32. 138 Zu Prierias sowie zu seiner Auseinandersetzung mit Luther vgl. U. Horst, Zwischen Konziliarismus und Reformation. Studien zur Ekklesiologie im Dominikanerorden, Rom 1985, 127–162; DCL 1, 33–46; F. Lauchert, Die italienischen literarischen Gegner Luthers (Erläuterungen und Ergänzungen zu Janssens Geschichte des deutschen Volkes 8), Freiburg 1912, 7–30; M. Tavuzzi, The Life and Works of Silvestro Mazzolini da Prierio. 1456–1527 (DMMRS 16), Durham 1997. 139 Vgl. Brieger, ZKG 11, 1890, 116. Zu den weiteren Schriften werden u. a. die Auslegung der 7 Bußpsalmen und die Auslegung der Zehn Gebote gezählt. Ob die Thesen gegen die scholastische Theologie (so Borth, Luthersache, 35 Anm. 1) oder der „Tractatus de indulgentiis“ (so Bäumer, Lutherprozeß, 22 Anm. 18) übersandt wurden, ist nicht eindeutig zu beantworten. – Die Denunziation des Erzbischofs traf mit Kalkoff, Forschungen, 43 im Januar ein. 140 Kohnle, Reichstag, 24. 141 Bäumer, Lutherprozeß, 23 betont: „Die Anzeige des Erzbischofs von Mainz gegen Luther hatte automatisch die Eröffnung eines Prozesses wegen Häresieverdacht zur Folge.“ Differenzierter notiert m. E. zu Recht Kohnle, Reichstag, 24, dass Leo X. die Angelegenheit zunächst „als einen Fall der Ablaßbehinderung“ behandelte. Vgl. auch Borth, Luthersache, 35. 142 Vgl. DCL 1, 24–27. 143 Siehe DCL 2, (17) 19–21 (Leo X. an Gabriel della Volta, Rom, 3. 2. 1518). Vgl. zu den

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ation, diesmal durch die Dominikaner im Umfeld von Tetzel, an die römische Kurie.144 In dieser an den Procurator fiscalis generalis Urbis, Marius de Perusco, gerichteten Denunziation wurde der Häresieverdacht gegen Luther erhoben und die Eröffnung des Inquisitionsverfahrens gefordert.145 Da die ordensinterne Vermittlung kein für die Kurie befriedigendes Ergebnis hervorbrachte, wurde im Mai 1518 – die genaue Rekonstruktion dieser ersten Prozessphase ist nach wie vor umstritten – das kuriale Prozessverfahren gegen Luther in Gang gesetzt. Papst Leo X. beauftragte den Auditor camerae apostolicae, Hieronymus Ghinucci, mit der Überprüfung der Anklage. Sollte sich der Verdacht auf Häresie erhärten, müsse Luther zu einer formalen Anhörung nach Rom zitiert werden. Als kurialer Experte wurde Silvester Prierias beauftragt, ein theologisches Gutachten abzufassen. Dieses Gutachten, welches mit der zu Luthers 95 Thesen angefertigten Stellungnahme „Dialogus in praesumptuosas Martini Lutheri conclusiones de potestate papae“146 identisch sein dürfte, lag spätestens im Mai 1518 der Kurie und im Juni gedruckt vor.147 Auf Luthers „Resolutiones“, die in einer handschriftlichen Fassung im Juni 1518 dem Papst zugegangen waren, konnte Prierias nicht mehr reagieren.148 Bemühungen des Augustiner-Eremitenordens in der Causa Lutheri auch W. Delius, Der Augustiner Eremitenorden im Prozeß Luthers (ARG 63, 1972, 22–42); D. Gutiérrez, Die Augustiner vom Beginn der Reformation bis zur katholischen Restauration 1518–1648 (Geschichte des Augustinerordens 2), Rom 1975, 5–23. 144 Bäumer, Lutherprozeß, 19 f. weist diese von Kalkoff, Prozess (ZKG 33, 1912), 1 aufgestellte These einer zweiten Denunziation mit dem Hinweis zurück, dass hierüber nur Luther in seinen Appellationen des Jahres 1518 (WA 2; 30,14–27. 38,9–18) berichte. In einer ausführlichen Fußnote begründet Bäumer, aaO. 23 Anm. 21 seine Zurückweisung mit dem Schreiben Tetzels vom 31. 12. 1518 an Karl von Miltitz. In diesem habe Tetzel sich gegen Luthers Anschuldigungen verwahrt, nicht er, sondern der Erzbischof von Mainz habe den Prozess und die Zitation bewirkt. Dieses Schreiben, das dem rekonstruierten Ablauf nicht widerspricht, schließt eine zweite Denunziation – nun durch die Dominikaner – keineswegs aus. Außerdem sei daran erinnert, dass Luther seine notariell beglaubigten Appellationen auf der Grundlage des kurialen Vorladungsschreibens abfasste, welches nicht mehr erhalten ist. Weil allerdings keine weiteren Quellen von der Anzeige der Dominikaner zeugen, kann diese weitere Denuntiation nur mit großer Wahrscheinlichkeit behauptet werden. Zu Luthers Appellationen siehe unten, Kapitel II § 4 und IV § 10. 145 Vgl. hierzu insgesamt DCL 1, 24–28; Borth, Luthersache, 35; Kalkoff, Prozess (ZKG 33, 1912), 1–11. 146 Siehe den kritischen Textabdruck in: DCL 1, 52–107. Eine deutsche Übersetzung bietet Walch 2 18,310–345. Vgl. zum „Dialogus“ Horst, Zwischen Konziliarismus, 135– 145; Selge, Normen, 50–55. 147 Vgl. DCL 1, 38. Die Annahme von H. A. Oberman, Wittenbergs Zweifrontenkrieg gegen Prierias und Eck: Hintergrund und Entscheidungen des Jahres 1518 (ZKG 80, 1969, 331–358), 336, der die Abfassung des „Dialogus“ auf Anfang Januar 1518 in Folge der Übersendung der 95 Thesen durch Albrecht von Brandenburg datiert, ist m. E. nicht haltbar. Auch eine Unterscheidung zwischen dem theologischen Gutachten und dem „Dialogus“, wie sie u. a. von Schwarz, Luther, 57 behauptet wird, ist m. E. nicht notwendig. 148 Erst in der polemischen Schrift „Errata et argumenta M. Lutheris“ von 1520 setzte sich Prierias mit den „Resolutiones“ auseinander. Vgl. DCL 1, 53 Anm. 5.

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In seinem Gutachten kam Prierias zu dem Ergebnis, dass Luthers Thesen von der kirchlichen Autorität und vom Ablass irrig, falsch, vermessen oder häretisch seien. Bevor er die Thesen durch Gegenthesen kommentierte, bemerkte Prierias einleitend, dass er die hinter Luthers Sätzen stehenden „Fundamenta“ ans Licht bringen wolle und daher eine ausführlichere Widerlegung abzuwarten gedenke. Um Luther zu jener Offenlegung seiner Grundauffassungen herauszufordern, stellte Prierias vier ekklesiologische Fundamentalsätze voran. Sie bildeten die Grundlage der Auseinandersetzung mit Luther und enthielten zentrale ekklesiologische Aussagen.149 Der erste Satz lautete: „Die universale Kirche ist ihrem Wesen nach die Versammlung aller Christgläubigen zum Gottesdienst. Die universale Kirche ist aber ihrer Kraft nach die römische Kirche, das Haupt aller Kirchen, und der Papst. Die römische Kirche ist ihrer Vertretung nach das Kardinalskollegium, ihrer Kraft nach aber der Papst, der das Haupt der Kirche ist, freilich in anderer Weise als Christus.“150

Mit dieser pointierten Zusammenfassung lehnte sich Prierias an Aussagen von Juan de Torquemada über die universale Kirche als Versammlung der Gläubigen zu dem „einen“ Gottesdienst an151 und betonte, dass alle die Gesamtkirche konstitutierenden Wesens- und Autoritätsmerkmale in der römischen Kirche und insbesondere im Papst vorhanden seien. Die römische Kirche sei somit „virtualiter“ die universale Kirche.152 Repräsentiert werde die römische Kirche im Kollegium der Kardinäle, wodurch die Kardinäle neben Papst und Kirche eine Zentralstellung erhalten, die in der Auseinandersetzung zwischen Konzi-

149 Die hier niedergeschriebenen theologischen Grundlinien hatte Prierias bereits in seiner „Summa Summarum“ von 1514 geäußert. Vgl. Horst, Zwischen Konziliarismus, 127– 135. 150 DCL 1, 53,(14–18): Ecclesia univeralis essentialiter est convocatio in divinum cultum omnium credentium in Christum. Ecclesia vero universalis virtualiter est ecclesia Romana, ecclesiarum omnium caput, et Pontifex maximus. Ecclesia Romana representative est collegium Cardinalium, virtualiter autem est Pontifex summus, qui est ecclesie caput, aliter tamen, quam Christus. 151 Den Nachweis über die Nominaldefi nition der Kirche bei Torquemada, dem wirkmächtigen Verteidiger des päpstlichen Lehr- und Jurisdiktionsprimates und expliziten Gegner des Konziliarismus in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts, bietet DCL 1, 53 Anm. 7. 152 In der Verhältnisbestimmung zwischen „ecclesia universalis“ und „ecclesia romana“ konkurrierten seit der frühen Kanonistik zwei Linien. Die eine bestimmte die „ecclesia romana“ als römische Lokalkirche mit dem Bischof von Rom als Papst, die andere verknüpfte die römische mit der universalen Kirche aufs engste. Während Luther im Jahr 1519 zunehmend die erste Linie betonen sollte, lehrte Prierias in Anlehnung an Thomas von Aquin und Torquemada die Identifi zierung von römischer und universaler Kirche. Zu den spätmittelalterlichen Hintergründen vgl. B. Tierney, Foundations of the conciliar theory. The contribution of the medieval canonists from Gratian to the great schisma (SHCT 81), Leiden 1998, 36–46; DCL 1, 53 Anm. 8 (mit Stellennachweisen).

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liaristen und Papalisten entweder dem allgemeinen Konzil oder dem Papst zugesprochen wurde.153 Mit der Irrtumslosigkeit der „ecclesia universalis“ und der partiellen Irrtumsfähigkeit des Konzils befasste sich Prierias im zweiten Satz: „Wie die universale Kirche nicht irren kann, wenn sie über den Glauben oder die Sitten entscheidet, so kann auch ein wahres Konzil, wenn es tut, was in seinen Kräften steht, um die Wahrheit zu verstehen, nicht irren, wenigstens nicht im Endergebnis – und das verstehe ich unter Einschluss des Hauptes. Denn auch ein Konzil kann sich anfänglich täuschen, solange der Prozess der Wahrheitssuche andauert; ja, manchmal hat sich ein Konzil geirrt, wenngleich es schließlich mit Hilfe des Heiligen Geistes die Wahrheit erkannt hat. Ebenso kann auch die römische Kirche und kann auch der Papst nicht irren, wenn er in seiner Eigenschaft als Papst eine Entscheidung trifft, das heißt, wenn er sein Amt wahrnimmt und tut, was in seinen Kräften steht, um die Wahrheit zu erkennen.“154

Mit der Defi nition der Irrtumslosigkeit der universalen Kirche bei Approbation von Glaubens- und Sittenlehren formulierte Prierias einen allgemein anerkannten Grundsatz, welcher der mittelalterlichen Kanonistik und scholastischen Theologie zu Grunde lag.155 Diesen differenzierte er im Blick auf das Konzil, welches für den Papalisten Prierias nur unter Mitwirken des Papstes rechtmäßig versammelt sein konnte, indem er die Irrtumslosigkeit näher defi nierte: Im Prozess der Wahrheitssuche könne das Konzil bisweilen irren und habe sogar geirrt! Dieser Satz, den Luther ein Jahr später im Umfeld der Leipziger Dispu153 Vgl. Horst, Zwischen Konziliarismus, 138. Zu den kanonistischen Hintergründen vgl. B. Tierney, Die Kollegialität im Mittelalter (Conc[D] 1, 1965, 542–547). 154 DCL 1, 54,(2)-55,(3): Sicut ecclesia universalis non potest errare determinando de fide aut moribus, ita et verum concilium, faciens quod in se est (ut intelligat veritatem) errare non potest, quod intelligo incluso capite, aut tandem ac fi naliter, licet forte prima facie fallatur, quousque durat motus inquirende veritatis, immo etiam aliquando erravit, licet tandem per spiritum sanctum intellexerit veritatem, et similiter nec ecclesia Romana, nec pontifex summus determinans ea ratione, qua pontifex, id est, ex officio suo pronuncians, et faciens quod in se est, ut intelligat veritatem. 155 Vgl. Horst, Zwischen Konziliarismus, 139 f. Der Satz von der Infallibilität der Kirche bezog sich spätestens seit Beginn des 13. Jahrhunderts auf die „ecclesia universalis“ und wurde theologisch mit Lk 22,32, Mt 28,20 und Joh 16,13 begründet. Vermutlich seit Albertus Magnus zählte der Satz „ecclesia universalis errare non potest“ zum Kernbestand der kirchlichen Lehre, der weder von Papalisten noch Konziliaristen bestritten wurde. Vgl. die Nachweise bei B. Tierney, Origins of Papal Infallibility 1150–1350. A Study on the Concepts of Infallibility, Sovereignty and Tradition in the Middle Ages (SHCT 6), Leiden 1972, 35–37; Y. Congar, Die Lehre von der Kirche von Augustinus bis zum abendländischen Schima (HDG III,3c), Freiburg/Basel/Wien 1971, 159. – Prierias spitzte diesen theologisch und kanonistisch fi xierten Grundsatz, die „ecclesia universalis“ könne in Glaubens- und Sittendingen nicht irren, auf die „ecclesia romana“ mit dem Papst als Haupt zu. Für diese papalistische Interpretation berief er sich in seiner „Summa Summarum“ auf Thomas von Aquin, der den Papst als Nachfolger des Petrus frei von Irrtum hielt, sollte er in Glaubens- und Sittenfragen Dekrete und Konstitutionen erlassen. Vgl. Horst, Zwischen Konziliarismus, 129– 131.

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tation zugespitzt formulieren sollte, war somit von dem römischen Hoftheologen Prierias als Grundsatz niedergeschrieben worden.156 Allerdings entschärfte Prierias die in der Diskussion um die Fallibilität der Konzilien keineswegs singuläre Aussage dahingehend, dass das Konzil durch den Heiligen Geist letztlich die Wahrheit erkennen werde. Bedingung für die konziliare Wahrheitserkenntnis war neben der Beteiligung des Papstes am Konzil das menschliche Bestreben, nach allen Kräften sich um die Wahrheit zu bemühen.157 Weil Prierias anschließend dieselbe Irrtumslosigkeit für das Urteil des Papstes kraft seines Amtes annahm, ohne allerdings von Irrtümern im Prozess der Wahrheitsfi ndung zu sprechen, und das Konzil in dem ersten Fundamentalsatz als Repräsentationsorgan der Kirche nicht erwähnte, enthält der zweite Fundamentalsatz eine antikonziliaristische Spitze.158 Auf diesem Hintergrund steht zu vermuten, dass Prierias eine Auseinandersetzung um den Konziliarismus provozieren wollte, welchen er bei Luther, obwohl von diesem an keiner Stelle in seinen 95 Thesen angesprochen, als ein „Fundamentum“ vermutete.159 Seine papale Ekklesiologie steigerte Prierias im dritten Fundamentalsatz, in dem er die Lehre der römischen Kirche und des Papstes als „unfehlbare Glaubensregel“ skizzierte, „aus der auch die Heilige Schrift ihre Kraft und Autorität“ beziehe.160 In der vierten Fundamentalthese setzte er die „Gewohnheit“ 156

Siehe hierzu unten, Kapitel III § 6. Selge, Normen, 52 macht darauf aufmerksam, dass das Verlangen nach der rechten Bemühung „in der scholastischen Theologie in verschiedener Form als Voraussetzung für das Geschenk der Gnade Gottes genannt wird.“ 158 Vgl. Selge, Normen, 52 f., der hieraus folgert: „Luther würde diesem zweiten Fundament im Ergebnis wohl zustimmen können; freilich ist er von der in ihm genannten Voraussetzung der Irrtumslosigkeit, dem scholastischen Begriff des ‚facere quod in se est‘, tief, grundsätzlich und unwiderrufl ich geschieden.“ Auch Oberman, Wittenbergs Zweifrontenkrieg, 339 f. macht auf das als Bedingung für die Erleuchtung von Konzil und Papst formulierte „faciens quod in se est“ aufmerksam. Dieser Satz habe seinen Ort nicht in der Ekklesiologie, sondern in der Rechtfertigungslehre. Hiergegen wendet Horst, Zwischen Konziliarismus, 139 Anm. 364 ein, dass diese Formulierung „im ekklesiologischen Kontext nichts mit einer semipelagianischen Gnadenlehre zu tun“ habe, sondern die einer „Defi nition vorausgehenden theologischen Reflexionen“ beschreibe. Es diene als „Kriterium für das Vorliegen einer wirklichen Defi nition“. Gerade aufgrund dieses Kriteriums hinsichtlich der als irrtumslos gekennzeichneten Wahrheitserkenntnis sollten die Einwände von Selge und Oberman nicht überhört werden. 159 Zu Prierias’ Haltung gegenüber der Konzilsthematik vgl. Horst, Zwischen Konziliarismus, 127–135; R. Bäumer, Silvester Prierias und seine Ansichten über das ökumenische Konzil (in: G. Schwaiger [Hg.], Konzil und Papst. Festgabe für Hermann Tüchle, München 1975, 277–301). 160 DCL 1, 55,(5–7): Quicunque non innititur doctrine Romane ecclesie, ac Romani pontificis, tanquam regule fidei infallibili, a qua etiam sacra scriptura robur trahit et auctoritatem, hereticus est. – Zur fundamentalen Differenz in der Bewertung der Heiligen Schrift als Lehrautorität, welche Prierias in der Theologie Luthers als einer der ersten Kontroverstheologen erkannte, vgl. E. Mühlenberg, Scriptura non est autentica sine authoritate ecclesiae ( Johannes Eck). Vorstellungen von der Entstehung des Kanons in der Kontroverse um das reformatorische Schriftprinzip (ZThK 97, 2000, 183–209), 185 f. 157

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(consuetudo) den Lehrentscheidungen der Kirche gleich161 und formulierte in dem Corollarium gegen Luther: „Wer betreffs der Ablässe sagt, die römische Kirche könne nicht tun, was sie faktisch tut, ist ein Häretiker“.162 Die römische Kirche war somit nicht nur über die Heilige Schrift gestellt, sondern es war auch jede Kritik an der Ablasspraxis im Keim erstickt.163 Aufgrund dieses Gutachtens kam die kuriale Untersuchungskommission zu dem Ergebnis, dass Luther wegen Häresie und Auflehnung gegen die kirchliche Amtsgewalt nach Rom zu zitieren sei. Der Ketzerprozess war damit eröffnet und die Causa Lutheri „zu einer Materie der kirchlichen Strafgerichtsbarkeit“ geworden.164 Am 7. August 1518 erhielt Luther die Vorladung zum Verhör nach Rom, der er innerhalb von 60 Tagen persönlich nachzukommen hatte.165

2.2. Die kirchlichen Autoritäten in der „Responsio“ auf Prierias Vermutlich mit dem Vorladungsschreiben erreichte Luther die kuriale Stellungnahme Prierias’, worüber er Georg Spalatin, der zusammen mit dem sächsischen Kurfürsten Friedrich III. in Augsburg auf dem Reichstag weilte, am 8. August informierte.166 Zuvor hatte Luther sich in dem Brief hilfesuchend an seinen befreundeten Berater gewandt, er möge beim Kurfürsten und über den kurfürstlichen Rat Degenhart Pfeffi nger beim Kaiser erwirken, dass der Papst den Fall Luther nach Deutschland verlegen und einem unverdächtigen Gericht übertragen möge.167 Diese von der Forschung als „Commissio-Gesuch“ titulierte Bitte begründete Luther mit der mangelnden Integrität des von seinen Gegnern, den Dominikanern, beherrschten römischen Tribunals.168 Mit polemischen Worten kündigte Luther die Widerlegung von Prierias „wahrhaft wildwüchsigem und fast gänzlich ungebildetem Dialog“ an und be161

AaO. 55,(9)-56,(2). AaO. 56,(4 f.): Qui circa indulgentias dicit, ecclesiam Romanam non posse facere id quod de facto facit, hereticus est. 163 Lohse, Luthers Theologie, 125 formuliert zutreffend: „Einseitiger und zugespitzter ließ sich der römische Standpunkt in der Ablaßfrage nicht zur Geltung bringen.“ 164 Borth, Luthersache, 45. 165 Den 7. August als Datum der Zitation nennt Luther in den „Acta Augustana“ (WA 2; 25,31). Vgl. Müller, Prozess, 59–61. Das Vorladungsdokument ist nicht mehr existent, so dass der Inhalt aus den Angaben in Luthers Appellationen gefolgert werden muss. 166 WAB 1; 188 Nr. 85 (Luther an Spalatin in Augsburg, Wittenberg, 8. 8. 1518). Zur Tätigkeit Spalatins als „Helfer Luthers auf dem Felde der Diplomatie 1518/19“ vgl. die lesenswerte Studie von I. Höss, Georg Spalatin 1484–1545. Ein Leben in der Zeit des Humanismus und der Reformation, Weimar 1956, 124–155. Siehe auch Ch. Spehr, Art. Spalatin, Georg (NDB 24, 2010, 614 f.). 167 AaO. 188,8: [. . .] remissionem seu commissionem caus[a]e me[a]e ad partes Alemani[a]e [. . .]. 168 AaO. 188,9 f. Vgl. Borth, Luthersache, 46; Selge, Normen, 49 f. 162

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merkte, dass dieser Mensch sowohl sein Gegner als auch sein Richter sei.169 Am 31. August übersandte er Spalatin seine Streitschrift „Ad dialogum Silvestri Prieriatis de potestate papae responsio“170 mit der Bemerkung, er habe sie innerhalb von nur zwei Tagen verfasst.171 Aufgrund seines abschätzigen Urteils über Prierias’ „Dialogus“ hatte Luther – wie von ihm häufiger praktiziert und von Albrecht Beutel treffend als „Diskurszensur“ bezeichnet172 – einen Nachdruck der Streitschrift in Leipzig veranlasst.173 Luther wies in seiner Schrift nicht nur die vier Fundamentalsätze des italienischen Thomisten zurück, sondern bezog auch ausführlicher als bisher zu der vom Dominikanertheologen angesprochenen Konzilsthematik Stellung, ohne allerdings eine ausführliche Widerlegung von dessen papaler Ekklesiologie vorzunehmen. Seine Ausführung eröffnete Luther mit drei Grundthesen, in denen er gerade nicht die päpstliche Autorität zum Maßstab für Lehre und Handeln der Kirche hervorhob, sondern entsprechend der den „Resolutiones“ vorangestellten „Protestatio“174 die Heilige Schrift und in Abstufung die Kirchenväter sowie die Kanones und päpstlichen Dekretalen zu kirchlichen Autoritäten erklärte.175 Im ersten, schrifttheologischen Fundamentalsatz begründete er mit I Thess 5,21 und Gal 1,8 die Norm der Heiligen Schrift,176 die er im zweiten Fundamentalsatz mit einer Aussage Augustins in einem Brief an Hieronymus unterstrich.177 169 WAB 1; 188,21–23: Dialogo Silvestrino vere sylvestro & penitus inculto iam respondeo, quod totum mox habebis, ut paratum fuerit. Est idem homo suavissimus mihi simul adversarius & Iudex, ut in citatione videbis. 170 WA 1; (644) 647–686. 171 WAB 1; 192,31 f. Nr. 88 (Luther an Spalatin in Augsburg, Wittenberg, 31. 8. 1518): Mitto nugas meas nugacissimas & extemporalissimas adversus Sylvestrum, vere Sylvestrem & campestrem Sophistam meum, biduo effusas. – Zur Entstehungsgeschichte der Schrift vgl. WA 1; 644–646; DCL 1, 42. 172 Vgl. zu dieser den Gegner entlarvenden Publikationsmethode A. Beutel, Zensur und Lehrzucht im Protestantismus. Ein Prospekt (RoJKG 28, 2009, [im Druck]). 173 Vgl. WA 1; 644 f.; DCL 1, 45. 174 Siehe oben, Kapitel II § 2.1.2. 175 Dieser „Dreiklang der Autoritäten“ (Selge, Normen, 56) begegnet in der „Responsio“ häufiger, siehe: WA 1; 647,32. 648,19. 664,40 u. ö. 176 WA 1; 647,19–21. 177 AaO. 647,22–25: Secundum est illud B. Augustini ad Hieronymum: Ego solis eis libris, qui Canonici appellantur, hunc honorem deferre didici, ut nullum scriptorem eorum errasse fi rmissime credam. Caeteros autem, quantalibet doctrina sanctitateque polleant, non ideo verum esse credo, quia illi sic senserunt &c. – Augustin hatte in der Diskussion mit Hieronymus über den Antiochenischen Streit zwischen Paulus und Petrus für die alleinige Irrtumsfreiheit der Heiligen Schrift gegenüber allen übrigen die kirchliche Lehrautorität beanspruchenden Lehrzeugnissen plädiert. Siehe A. Augustin, Epistulae 82,1,3 (CSEL 34,2; 354,4–5 = PL 33, 277). Vgl. R. Hennigs, Der Briefwechsel zwischen Augustin und Hieronymus und ihr Streit um den Kanon des Alten Testaments und die Auslegung von Gal. 2,11–14 (SVigChr 21), Leiden 1994; W. Löhr, Art. C. I.13 Exkurs: Der Briefwechsel mit Hieronymus (AugH, 421–427). – Der Augustintext fand auch Eingang in die Kanones über die kirchlichen Autoritäten: CorpIC, Decr. Grat., I dist. 9 c.5 (Friedberg 1,17).

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In diesem von Luther seitdem immer wieder zitierten Beleg postulierte er neben der Heiligen Schrift als oberster Autorität die auf diese hinweisende patristische Autorität, wofür er Augustin und Hieronymus als Gewährsmänner anführte.178 Gleichzeitig spielte er auf die Problematisierung der Irrtumslosigkeit des Konzils in Prierias’ zweitem Fundamentalsatz an, indem er, in die Form des unverdächtigen Zitates gekleidet, allein die Autoren der kanonischen Schriften frei vom Irrtum bezeichnete. Der dritte Fundamentalsatz war der Dekretale Clemens’ V. entnommen und besagte, dass den Ablasspredigern verboten sei, dem Volk etwas anderes zu verkündigen, als in den päpstlichen oder bischöfl ichen Anweisungsbriefen enthalten sei.179 Dieser Satz zielte darauf, einerseits die Autorität der Kanones und päpstlichen Dekretalen hervorzuheben, andererseits die von Prierias im vierten Fundamentalsatz mit Blick auf die Ablassthematik zur Norm erhobene „Tat der Kirche“ (factum ecclesiae) zu kritisieren. Aus dieser Grundlegung und der Ergänzung, dass Prierias sich lediglich auf Thomas von Aquin berufe „ohne Schrift, ohne Väter, ohne Kanones, ja, endlich ohne alle Vernunftgründe“180, folgerte Luther: „Und darum verwerfe und leugne ich nach meinem Recht, das heißt, nach christlicher Freiheit, Dich und ihn zugleich.“181 178 Für Luther hatte dieses Augustin-Zitat deshalb zentrale Bedeutung, weil es nicht nur von seinem theologischen Kronzeugen Augustin stammte, sondern insbesondere die Heilige Schrift als zentrale kirchliche Norm beglaubigte. Siehe WA 2; 22,27 f. 279,28–32. 288,37 f. 309,33–38. 447,15–17. 626,33–38; WA 7; 99,5–10. 101,6 f. 640,36–38. 848,6–9/22–29; WA 8; 238,9–13; WA 10,2/1; 195,4–7; WA 11; 303,16–19; WA 12; 63,23–28; WA 29; 13,10–12; WA 30,2; 384,1–8; WA 49; 109,2–5; WA 50; 519,32–520,8. 525,10–15. 546,10–13. 658,21– 25; WA 54; 427,3 f.; WAT 5; 664,30–36 Nr. 6442. Vgl. zur Stelle auch K.-H. zur Mühlen, Die auctoritas patrum in Martin Luthers Schrift „Von den Konziliis und Kirchen“ (1539) (in: L. Grane, A. Schindler und M. Wriedt [Hg.], Auctoritas patrum II. Neue Beiträge zur Rezeption der Kirchenväter im 15. und 16. Jahrhundert, Mainz 1998, 141–152), 148 f. Über den Vorrang der Heiligen Schrift hatte Luther am 9. Mai 1518 seinem Erfurter Lehrer Jodocus Trutfetter geschrieben: ex te primo omnium didici, solis canonicis libris deberi fidem, caeteris omnibus iudicium, ut B. Augustinus, imo Paulus et Iohannes praecipiunt. (WAB 1; 171,72–74 Nr. 74 [Luther an Jodocus Trutfetter, Erfurt, 9. 5. 1518]). – Aus den zahlreichen Studien zur Augustin-Rezeption bei Luther sei hier stellvertretend auf H.-U. Delius, Augustin als Quelle Martin Luthers. Eine Materialsammlung, Berlin 1984 und A. Beutel, Art. D. X. Luther (AugH, 615–622) verwiesen. 179 WA 1; 647,26–28. Siehe CorpIC, Decr. Clem., V tit. 9 c.2 (Friedberg 2, 1190). Vgl. auch WA 1; 581,35. 619,30. 180 WA 1; 647,29–33. Die Berufung auf Schrift- und Vernunftgründe, die in dieser Phase noch durch verschiedene kirchliche Autoritäten unterstützt wurde, bildete für Luther unter Rezeption und Modifi kation scholastischer Argumentationsweise ein grundlegendes Beweisverfahren. Siehe z. B. auch WA 1; 234,11 f. Zum Gebrauch der Formel „Schrift und Vernunft“ siehe unten, Kapitel V § 12.2.2. 181 AaO. 647,33 f.: Ideoque meo iure, id est Christiana libertate, te et illum simul reiicio et nego. – Siehe die parallele Argumentation hinsichtlich der christlichen Freiheit zuvor in den Resolutiones: aaO. 530,4–10.

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Wie bereits in der „Protestatio“ zu den „Resolutiones“ führte er das allgemeine Konzil als kirchliche Autorität in den einleitenden Grundsätzen nicht explizit auf. Dieser immerhin bemerkenswerte Befund der Nichterwähnung sollte das Konzil als Autorität aber nicht abwerten, berief sich Luther doch im weiteren Verlauf der „Responsio“ wiederholt auf das Konzil als Entscheidungsinstanz in ungeklärten Lehrfragen.182 Außerdem summierte er, wie der als Dekretale Clemens’ V. zitierte Konzilsbeschluss des Generalkonzils von Vienne (1311–1312) 183 veranschaulicht, unter dem Begriff „Kanones“ die Konzilsentscheide. Der dritte Grundsatz enthielt somit implizit die Autorität der Konzilsentscheide. Auf die kirchliche Lehrautorität des Konzils kam Luther im Zusammenhang seiner 5. These zu sprechen, nur die vom Priester oder den Kanones auferlegten Strafen würden durch den Ablass erlassen.184 Prierias hatte diese These mit dem Hinweis auf die „Tat der Kirche“ (factum ecclesiae) und die Heiligen als ketzerisch verurteilt.185 Diese Aussage griff Luther argumentativ auf und wies sie u. a. mit dem Hinweis auf die Entscheidungsinstanz eines Konzils zurück. Solange die These von der Befreiung der Seelen durch den kirchlichen Ablass nicht von einem Konzil festgelegt werde, sei er kein Häretiker und könne an seiner verneinenden Meinung festhalten.186 Luther eignete dem Konzil weder die zentrale erkenntnisleitende Norm noch eine eingeschränkte Autorität zu, sondern betonte bei Widerlegung der Gegenthesen von Prierias, zur Klärung der strittigen Fragen erwarte er die Entscheidung eines Konzils. Für Luther war das Konzil als sichtbare, kirchliche Versammlung das handlungsorientierte Determinations- oder Approbationsorgan der rechten Lehre und somit die zentrale Institution zur abschließenden Klärung strittiger Lehr- (und Sitten)fragen. Jetzt, im Spätsommer 1518, bildete das Konzil für Luther die oberste kirchliche Lehrgewalt.

2.3. Die Irrtumsfähigkeit des Konzils Gegen die von Prierias der kirchlichen Lehre gleichgesetzten „Taten der Kirche“ führte Luther die Widersprüchlichkeit in Prierias’ Haltung an, indem er provokant fragte, mit welcher Kirche es Prierias und seine „Thomasleute“ halten würden, wenn es um die „Tat der Kirche von der Empfängnis der heiligen 182

Siehe WA 1; 655,29. 658,18 f. 674,30 f. 681,5 f. Zum Konzil von Vienne (1311–1312) vgl. Schatz, Allgemeine Konzilien, 118–122. Zur Dokumentation der Konzilsbeschlüsse siehe COD3 333–401. 184 WA 1; 655,3 f. Die 5. These lautete (WA 1; 233,18 f.): Papa non vult nec potest ullas penas remittere preter eas, quas arbitrio vel suo vel canonum imposuit. – Siehe die Erklärungen hierzu in WA 1; 534,19–538,35. 185 WA 1; 655, 4–6. DCL 1, 60,(7)-61. 186 WA 1; 655,28 f. 183

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Jungfrau“ ginge, die bei den meisten Dominikanern nicht anerkannt werde.187 Sei es die Kirche der Kraft nach („virtuali“), der Vertretung nach („repraesentativa“) oder dem Wesen nach („essentiali“)? Oder sei es jene „verbannte“ und „von dir geächtete“ Kirche, die ein „concilium generale“ sei?188 Der Hinweis auf das Generalkonzil kritisierte einerseits generell Prierias’ abschätzige Haltung gegenüber dem Konzil und spielte andererseits auf das Basler Konzil an, durch das die Immaculata Conceptio approbiert worden war.189 Mit dieser Reihung suchte Luther aufzuzeigen, dass es nicht nur den Dominikanern erlaubt sein dürfe, gegen ein anerkanntes „factum ecclesiae“ zu lehren, sondern auch ihm erlaubt sein müsse, in der Ablassfrage eine eigene Meinung zu vertreten, die weder entschieden noch verworfen sei.190 In der weiteren Diskussion über die 5. These kritisierte Luther die vermeintlich theologische Begründung der Ablässe durch die von Prierias zur Norm erhobenen „Tat der Kirche“ mit den Worten: „Ich glaube nicht, dass eine Tat der Kirche auch dort ausreicht (obwohl hier eine Tat der Kirche nicht vorhanden ist), weil sowohl der Papst als auch ein Konzil irren kann, wie Du es beim Panormitanus hast, der über das Capitel Significasti aus dem ersten Buche de const. herrlich davon handelt.“191

Mit diesem Satz formulierte Luther erstmalig in seinen Schriften die Irrtumsfähigkeit von Papst und Konzil. Diese von der Lutherforschung beachtete192 und als revolutionär interpretierte Aussage193 wirft in Konzentration auf das Konzil die Frage auf: Bestritt Luther nun die gerade erst gegenüber dem Papst profi lierte Lehrautorität der Konzilien? Lag hierin nicht eine Inkonsequenz oder gar ein Widerspruch in Luthers Argumentation vor? Oder war die These von der Fallibilität nur die notwendige Weiterentwicklung seiner bereits vorhandenen ek-

187

AaO. 655,37–656,2. Zur Immaculata Conceptio siehe oben, Kapitel II § 2.1.2. AaO. 655,2–4. 189 Siehe aaO. 583,8–12. 190 AaO. 655,4–12. 191 AaO. 656,30–33: Nec satis ibi esse credo etiam factum ecclesiae (quanquam hic non sit factum ecclesiae), quia tam Papa quam concilium potest errare, ut habes Panormitanum egregie haec tractantem li. i. de const. c. significasti. – Panormitanus kommentierte aus dem Dekret Gregors IX. „de electione“ (CorpIC, Decr. Greg. IX., I tit. 6 c.4 [Friedberg 2, 49 f.]), so dass die von Luther genannte Stelle „de const.“ durch „de elec.“ zu ersetzen ist. 192 Die immerhin vorhandenen Studien zu Luthers Konzilsverständnis thematisieren diese Stelle bisweilen, wird doch hier zum ersten Mal jene von Luther wiederholt zitierte und während der Leipziger Disputation 1519 zu Konsequenzen führende Aussage von der Irrtumsfähigkeit von Papst und Konzil ventiliert. Siehe WA 1; 685,20 f.; WA 2; 10,19–22. 279,32–35. 649,2 f.; WA 7; 134,28–34; WA 20; 622,14 f.; WA 54; 236,17 f.; WAT 1; 303,5 f. 30–33. Vgl. u. a. Bäumer, Irrtumsfähigkeit, 993; Selge, Normen, 60–70; Lohse, Luthers Theologie, 125. 193 Vgl. Tecklenburg Johns, Konzilsidee, 133, die auch in dieser Aussage generalisierend interpretiert, ohne den Kontext von Luthers Äußerungen zu berücksichtigen. 188

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klesiologisch-reformatorischen Gedanken, die gegenüber Prierias zur Entfaltung kamen?194 Um diese Fragen zu beantworten, ist zuvor auf Luthers Bezugsquelle einzugehen. Nikolaus von Tudeschi, auch als Panormitanus, Abbas Siculus oder Abbas Modernus bekannt, galt als der einflussreichste Jurist und Kanonist des 15. Jahrhunderts, der während des Basler Konzils zum führenden Konziliaristen aufgestiegen war.195 Dem seit 1434 als Erzbischof von Palermo wirkenden Rechtsgelehrten kam in der zeitgenössischen juristischen Ausbildung und Praxis hohes Gewicht zu,196 so dass es nicht unwahrscheinlich ist, dass Luther mit ihm während seiner kurzen Studienzeit der Rechte in Berührung gekommen war.197 Während seiner Wittenberger Tätigkeit, vielleicht sogar erst herausgefordert durch die sich zuspitzende Diskussion um die kirchlichen Autoritäten im Jahr 1518, dürfte sich Luther erneut selbständig oder auf Empfehlung seiner Wittenberger Freunde, wie beispielsweise des Rechtsgelehrten Hieronymus Schurf, mit Tudeschis Hauptwerk, dem umfangreichen, 1421 begonnenen kirchenrechtlichen Kommentar zu den Dekretalen Gregors IX., und den „Lecturae“ zu Sextus und den Clementinen befasst haben.198 In seiner Argumentation bezog sich Luther auf eine Stelle aus Panormitanus Dekretalenkommentar zum Kapitel „Significasti“, das im Titulus „de electione et electi potestate“ des ersten Buches von Gregors Dekretalen zu fi nden ist.199 In 194

Vgl. Heckel, Initia iuris, 76–78 und daran anschließend Stupperich, Reformatoren,

24. 195 Über Nikolaus von Tudeschi vgl. J. F. von Schulte, Die Geschichte der Quellen und Literatur des Canonischen Rechts. Bd. II: Von Papst Gregor IX. bis zum Concil von Trient, Stuttgart 1877 (Nachdruck Graz 1956), 312 f.; K. W. Nörr, Kirche und Konzil bei Nicolaus de Tudeschis (Panormitanus) (FKRG 4), Köln/Graz 1964; H. Schüssler, Der Primat der Heiligen Schrift als theologisches und kanonistisches Problem im Spätmittelalter (VIEG 86), Wiesbaden 1977, 172–195; A. Vagedes, Das Konzil über dem Papst? Die Stellungnahmen des Nikolaus von Kues und des Panormitanus zum Streit zwischen dem Konzil von Basel und Eugen IV., 2 Teile (PaThSt 11), Paderborn/München/Wien/Zürich 1981: O. Condorelli (Hg.), Niccolò Tedeschi (Abbas Panormitanus) e i suoi Commentaria in Decretales, Roma 2000. 196 Zur Bedeutung von Panormitanus für die juristische Ausbildung und Praxis zu Beginn des 16. Jahrhunderts vgl. K. H. Burmeister, Das Studium der Rechte im Zeitalter des Humanismus im deutschen Rechtsbereich, Wiesbaden 1974, 232. 239. 197 Die Meinung von Tecklenburg Johns, Konzilsidee, 130 dürfte in dieser Form nicht den Tatsachen entsprechen: „Die Schriften dieses konziliaristischen Rechtsgelehrten hatte Luther noch während seiner Rechtsstudien und bevor er sich überhaupt der Theologie zuwandte, gelesen und in seinen juristischen Arbeiten häufig zitiert.“ Stattdessen ist mit Schäfer, Luther als Kirchenhistoriker, 204 zurückhaltender anzunehmen, dass Luther in Erfurt mit Panormitanus bekannt wurde und ihn in der Folgezeit intensiver studierte. In den wenigen Monaten seines Jurastudiums im Jahr 1505 dürfte Luther nur schwerlich eine Vertiefung in Tudeschis Schriften vollzogen haben. 198 Auf Panormitanus hatte sich Luther bereits in seinen „Asterisci“ (WA 1; 288,37) und den „Resolutiones“ (WA 1; 568,24. 569,3.6.11) bezogen. Zum Verhältnis Luthers zu Panormitanus vgl. Voigt-Goy, „dictum unius privati“, 93–114. 199 Panormitanus, Commentari [. . .] Prima super Primo Decretalium. De electione

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der umfangreichen Erläuterung über das Verhältnis zwischen allgemeinen Konzil und Papst, in der Tudeschi die Superiorität des Generalkonzils als Repräsentanz der „ecclesia universalis“ in Glaubensdingen argumentativ entfaltete, hatte er Fälle für die Irrtumsfähigkeit des Papstes200 wie des Konzils aus dem kanonischen Recht angeführt. Die Behauptung, dass auch ein Konzil irren könne, begründete er mit dem Hinweis auf die von Gratian geführte Erörterung des Problems der Raubehe.201 Während das Konzil von Meaux (845) die Möglichkeit einer gültigen Eheschließung bei einer Raubehe verneinte, bejahrte eine dem Kirchenvater Hieronymus zugeschriebene Aussage bei Einwilligung des Vaters der Geraubten die Gültigkeit der Ehe. Weil der Kirchenvater seine Ansicht auf die Heilige Schrift stützen konnte, gab Gratian dessen Entscheidung den Vorzug, so dass das Konzil geirrt haben musste.202 Indem sich Luther auf die kirchlich anerkannte Autorität des Panormitanus berief,203 stellte er sich mit der Aussage über die Irrtumsfähigkeit von Papst und Konzil in den kanonistisch-kirchlichen Interpretationshorizont. Wie die jüngere Forschung zur konziliaristischen Traktatliteratur herausgearbeitet hat, wurde die Fallibilität der Konzilien keineswegs von Panormitanus allein verhandelt, cap. 4 Significasti nr. 3a, Lyon 1534, fol 119d-123a. Abgedruckt und sprachlich geglättet fi ndet sich ein Textauszug auch bei Nörr, Kirche, 104–106 und Selge, Normen, Anhang Bl. II–IV. Eine textkritische Ausgabe des umfangreichen und einflussreichen Kirchenrechtskommentars ist ein Forschungsdesiderat. 200 Panormitanus, Prima super primi, 122c: Ideo in concernentibus fidem, concilium est supra papam, unde non potest papa disponere contra dispositum per concilium. vide bonum text. et gl. in c. Anastasius. 19. dist. Hinc est, quod concilium potest con//demnare papam de haeresi, ut in c. si papa. 40. dist. ubi dicitur, quod papa potest esse haereticus, et de haeresi iudicari. Et dicunt Doct. in c. in fidei favorem, de haere. li. 6. quod concilium est iudex. – [zitiert und der Lesbarkeit angeglichen nach Nörr, Kirche, 104 f.]. In der überprüften Tübinger Druckausgabe von 1534 (UB Tübingen Hf 125) fehlt der erste Teil bis zum Doppelstrich! 201 Panormitanus, Prima super primi, 122c: puto tamen quod si papa moveretur melioribus rationibus et authoritatibus quam concilium, quod standum esset sententiae suae, nam et concilium potest errare, sicut alias erravit super matrimonio contrahendo inter raptorem et raptam. [Zitierung nach Nörr, Kirche, 105] – Es folgt bei Panormitanus ein Hinweis auf CorpIC, Decr. Grat., II Causa 36 q. 2 c.8 und 11 (Friedberg 1, 1291 f.). 202 Die Diskussion Gratians zwischen dem angeblichen Hieronymuszitat und der Entscheidung des Konzils bzw. der Synode von Meldensi (Meaux) fi ndet sich in der von Panormitanus angeführten Stelle: CorpIC, Decr. Grat., II Causa 36 q. 2 c.8 (Hieronymus) und c.10 f. (Meldensi) (Friedberg 1, 1291 f.). Gratian hatte dort geurteilt (ebd.): Hec auctoritas non preiudicat auctoritati Ieronimi, maxime cum illa testimonio diuinae legis nitatur. – Vgl. Schüssler, Primat, 17 f.; Voigt-Goy, „dictum unius privati“, 94–96. Ebneter, Luther, 7 Anm. 41 macht darauf aufmerksam, dass es sich bei den von Gratian angeführten Konzilien nicht um allgemeine Konzilien handelte, sondern nur um Provinzialkonzilien, so dass die Irrtumsthese nur auf Lokalkonzilien oder Synoden zutraf. Allerdings wurde diese Differenzierung weder bei Panormitanus und noch bei den auf ihn berufenden Rezipienten vertieft. 203 Zur Verhältnisbestimmung von Generalkonzil und Papst bei Panormitanus vgl. Nörr, Kirche, 106–149. Über die Irrtumsfähigkeit des Konzils aaO. 131–133; Bäumer, Irrtumsfähigkeit, 999.

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sondern fand sich in zahlreichen Schriften von Papalisten und Konziliaristen vielfältig diskutiert.204 Auf dem Hintergrund der zeitgenössischen Fallibilitätsdiskussion hatte Prierias, freilich aus papaler Perspektive, in der zweiten Fundamentalthese von der Irrtumsfähigkeit des Konzils gehandelt. Erst aufgrund dieser Fundierung, die sich auf den Beratungsprozess und nicht auf die Entscheidung des im Heiligen Geist versammelten und unter dem Papst stehenden Konzils bezog, dürfte Luther zur Aussage über die Irrtumsfähigkeit des Papstes und des Konzils veranlasst worden sein, die er allerdings, ohne die Einschränkung auf den Beratungsprozess zu beachten, verallgemeinerte. Daher ist zu resümieren: Luthers These von der Irrtumsfähigkeit von Papst und Konzil wurde durch Prierias angeregt! 205 Nun enthielt Luthers Formel „Papst und Konzil können irren“ gegenüber der papalen Position des Prierias zwar eine bewusste Provokation, blieb aber relativ unbestimmt sowie streng auf die „Tat der Kirche“ bezogen. Die Irrtumsfähigkeit von Papst und Konzil sagte Luther nur im Blick auf die kirchliche Praxis aus, nicht aber im Blick auf eine Lehrentscheidung über Glaubensfragen. Auch charakterisierte Luther in diesem Zusammenhang weder die Funktion des Papsts noch die Art des Konzils.206 Die bei der Analyse von vielen Forschern 207 nicht berücksichtigte kontextuelle Verflechtung mit Prierias’ Interpretation von der virtuellen und repräsentativen Kirche bestätigt sich in Luthers Antwort auf die 85. These, in der er Bezug 204 Über die vielschichtige Diskussion um die Irrtumsfähigkeit des allgemeinen Konzils vgl. Bäumer, Irrtumsfähigkeit, 997–1003, der betont, dass unter den spätmittelalterlichen Theologen und Kanonisten papalistischer wie konziliaristischer Gesinnung sich sowohl bejahende Aussagen über die Fallibilität des Konzils, als auch die konziliare Unfehlbarkeit betonende Sätze fi nden (aaO. 999). Vgl. auch Bäumer, Nachwirkungen, 163–203, der die bedeutendsten Aussagen zur Infallibilität bzw. Fallibilität der allgemeinen Konzilien vom 13. bis 16. Jahrhundert überblicksartig zusammenstellt. Vgl. auch Schüssler, Primat, 163–172. Sieben, Traktate, 149–207 behandelt eingehend die „Theorie vom unfehlbaren Konzil“ und die im Umfeld der verschiedenen Konzilien geführte Unfehlbarkeitskontroverse für den Zeitraum von 1378 bis 1449. 205 Selge, Normen, 63 interpretiert Luthers Aussage über die Fehlbarkeit streng auf den Papst bezogen, so dass er über die konziliare Fehlbarkeitsaussage nur noch notieren kann: „Daß auch das Konzil irren kann, kommt hier bloß nebenbei herein, weil Panormitanus davon spricht. Luther liegt daran gar nichts; im Gegenteil will er das ‚ausgewanderte und‘ von Prierias ‚geächtete Konzil‘ aufwerten, und er wiederholt mehrfach seine bekannte Ansicht über die Autorität des Konzils, verbindliche Letztentscheidungen in Glaubenssachen zu treffen.“ So stimmig die Stoßrichtung gegen die „factae ecclesiae“, die sich in den Taten des Papstes nach Luther keineswegs realisieren konnten, von Selge beobachtet wurde, tut er sich m. E. etwas zu leicht bei dem vermeintlichen Widerspruch zwischen Konzilsautorität und konziliarer Fallibilität auflösenden Interpretation. Luther hätte die Fallibilität des Konzils überhaupt nicht erwähnen müssen, wenn ihm an ihr „gar nichts“ gelegen hätte. Dass er sie trotzdem erwähnte, war nicht dadurch bedingt, „weil Panormitanus davon“ sprach, sondern weil sie Prierias in seinen Thesen eingeführt hatte. 206 Nur von einem Generalkonzil wurde die Infallibilität gelehrt. 207 Pars pro toto sei hier auf Tecklenburg Johns, Konzilsidee, 130–133 verwiesen.

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auf diese Stelle nahm. Dort kritisierte er das von Prierias als Richtschnur aufgestellte Tun und Reden der römischen Kirche, die jener als virtuelle (Papst) und als repräsentative Kirche (Kardinalskollegium) defi niert hatte, mit dem Hinweis, eine solche Kirche könne nach dem Kapitel „Significasti“ irren.208 Dem gegenüber betonte Luther: „Die allgemeine Kirche aber kann nicht irren“.209 Aus dieser Aussage geht hervor, dass Luther an der Infallibilität der „ecclesia universalis“ in Übereinstimmung mit der kirchlichen Lehre festhielt und folglich auch das allgemeine Konzil als Vertretung der universalen Kirche210 bei der Defi nierung der Glaubenslehren für irrtumslos hielt.211 Vorher hatte er bereits darauf insistiert, dass die Kirche in ihren Dekreten niemals vom wahren Glauben abgewichen sei.212 Für Luther stand daher fest, dass Papst und Konzil in Entscheidungen über die Glaubens- und Sittenlehren nicht geirrt hätten und, sollten sie ihrem Amt gemäß urteilen, nicht irren werden. Wird der Satz aus dieser Perspektive interpretiert, lässt sich kein Widerspruch in Luthers Wertschätzung und Berufung auf die höchste kirchliche Entscheidungsinstanz – ein allgemeines Konzil – ausmachen. Luther wäre folglich kontextuell fehlinterpretiert, würde man aus dieser Aussage für ihn die generelle Irrtumsfähigkeit kirchlicher Institutionen in Glaubensfragen ableiteten wollen. Dennoch signalisierte diese Textstelle eine vorsichtige Relativierung der kirchlichen Autoritäten, die aber noch im Rahmen der spätmittelalterlichen kanonistischen Diskussion blieb.

208 WA 1; 685,18–21: Ad quartam mihi pro regula tradis factum et dictum Ecclesiae Romanae. Respondeo: Si de virtuali et repraesentativa tua Ecclesia loqueris, nolo tuam regulam. Quia, ut supra dixi, ex c. Significasti, talis Ecclesia potest errare. – Hierauf weist auch Brockmann, Konzilsfrage, 63 Anm. 71 in Auseinandersetzung mit Bäumer, Irrtumsfähigkeit, 993. 996 hin. 209 AaO. 685,21 f.: Universalis autem Ecclesia non potest errare, ut doctissime etiam probat Cardinalis Cameracensis in primo Sententiarum. – Mit dieser Aussage berief sich Luther auf Gerson, den er bereits in anderen Schriften vielfach als Gewährsmann angeführt hatte. Siehe WA 1; 276,25. 417,5. 545,37. 547,14. 550,17. 210 Hiermit wird bereits auf aaO. 656,36 f. und Kapitel II § 2.2.4. vorgegriffen. 211 Dass er selbst dem Papst keinen realen Irrtum in der Ausübung seines Amtes unterstellte, belegt die Fortsetzung seiner Ausführung mit der polemischen Bemerkung gegen die suspekte, zweideutige Bezeichnung Kirche durch Prierias aaO. 685,22–25: Deinde: Nec Papa usquam hoc dicit aut facit, quod tu factum et dictum Ecclesiae vocas: promptulus es aequivocator huius nominis ‚Ecclesia‘, ideo maxime mihi suspectus. 212 WA 1; 662,29–38. Vgl. zu dieser Stelle die Interpretation von Selge, Normen, 61: „Es ist wieder das positive Vorurteil Luthers für die Tradition der Kirche, das sich hier ausspricht. Er meint kein autoritatives Dekret der römischen Kirche zu kennen, dem er im Namen des Evangeliums widersprechen müßte. Er sieht die Tradition der Kirche und dieser Kirche im Einklang mit dem Evangelium, und als Bürgschaft dessen gilt ihm die von den Canones und Dekreten der Päpste anerkannte und bekannte Autorität der Schrift und der Kirchenväter.“

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2.4. Das Konzil als Repräsentanz der Kirche Aus der Aussage über die fehlende Suffizienz der „Tat der Kirche“ und ihrer Begründung durch die Irrtumsfähigkeit von Papst und Konzil folgerte Luther: „Darum bestreite ich deine Grundlagen, wo du die Kirche in eine wesentliche, repräsentative und virtuelle unterschieden hast, so, wie sie lauten, und halte sie für nichts. Dein sind sie, das heißt ohne irgendein Schriftzeugnis und irgendeine Autorität vorgebracht.“213

Den ekklesiologischen Distinktionen der Fundamentalthesen von Prierias stellte Luther eine für sein Kirchen- und Konzilsverständnis grundlegende Bestimmung entgegen: „Ich kenne die Kirche der Kraft nach nur in Christus, der Vertretung nach nur in einem Konzil.“214 In der Entfaltung dieser These wiederholte Luther, den „Resolutiones“ entsprechend, seine Kritik an der Tat des Papstes als Tat der Kirche mit Hinweisen auf die Gewaltherrschaft der Päpste Julius II. und Bonifatius VIII.215 und wies die Zuordnung des Papstes zur „ecclesia virtualis“ zurück.216 Kritisch fragte Luther, wie Prierias das Generalkonzil der Kirche nenne. Wenn es nicht eine Kirche der Kraft, der Vertretung oder dem Wesen nach sei, bleibe es nur eine „accidentalis, nominalis et verbalis Ecclesia“.217 Mit diesem ekklesiologischen Grundsatz, der zur gängigen Kirchendefi nition der Konziliaristen – beispielsweise des Panormitanus – zählte,218 bewies Luther, 213 WA 1; 656,33–36: Ideo fundamenta tua, ubi distinxisti ecclesiam in essentialem, rep[r]aesentativam, virtualem, ut iacet in verbis, nego et pro nihilo habeo. Tua enim sunt, id est sine scriptura et autoritate ulla prolata. 214 AaO. 656,36 f.: Ego ecclesiam virtualiter non scio nisi in Christo, repraesentative non nisi in Concilio. 215 Die Amtsführung von Julius II. hatte Luther bereits in der Römerbriefvorlesung (WA 56; 480,8) und in der Hebräerbriefvorlesung (WA 57; 168,12 f.) kritisiert. Siehe auch WA 1; 573,13.21. 216 AaO. 656,37–657,8. 217 AaO. 657,10–13: Si autem Papa est virtualis Ecclesia, Cardinales repraesentativa, collectio fidelium essentialis, quod vocabis Concilium generale Ecclesiae? non est virtualis? non repraesentativa? non essentialis? Quid tum? fortasse accidentalis, nominalis et verbalis Ecclesia? 218 Panormitanus, Prima super primi, 122c (zitiert nach Nörr, Kirche, 105): Quia dico, quod licet concilium generale representet totam ecclesiam universalem, tamen in veritate ibi non est vere universalis ecclesia, sed representative; quia universalis ecclesia constituitur ex collatione omnium fidelium. Unde omnes fidelis orbis constituunt istam ecclesiam universalem, cuius caput et sponsus est ipse Christus. – Bäumer, Irrtumsfähigkeit, 999 weist darauf hin, dass der Satz über die Repräsentanz der Universalkirche fast wörtlich dem Dialogus von Ockham entnommen sei. Zum Repräsentationsgedanken, der für die konziliare Theorie grundlegend war, vgl. W. Brandmüller, Sacrosancta Synodus universalem Ecclesiam repraesentans. Das Konzil als Repräsentation der Kirche (in: Ders., Synodale Strukturen der Kirche, Donauwörth 1977, 93–112); H. Hofmann, Repräsentation. Studien zur Wort- und Begriffsgeschichte von der Antike bis ins 19. Jahrhundert (Schriften zur Verfassungsgeschichte 22), Berlin 1974; W. Krämer, Die Ekklesiologische Auseinandersetzung um die

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dass er in der Kirchenlehre auf dem Boden der kanonistisch und kirchlich anerkannten Tradition stand, von der sich Prierias entfernt habe. Gegen die Papstzentrierung von Prierias’ Kirchenverständnis, das Luther noch für eine Meinung der „päpstlichen Speichellecker“, aber nicht des Papstes selbst interpretierte, betonte er die Christuszentrierung. Diese christologisch orientierte Ekklesiologie, die hier bereits in Ansätzen über den traditionell-institutionellen Interpretationsrahmen hinausging, sollte Luther in den kommenden Jahren weiterentwickeln. Sichtbar repräsentiert wurde die Kirche für Luther jetzt im Generalkonzil. Das allgemeine Konzil war somit nicht nur sichtbares Approbationsorgan und oberste Lehrautorität, sondern durch die Frontstellung zu Prierias’ papaler Ekklesiologie zum christologisch grundierten Repräsentationsorgan der gesamten Kirche avanciert.

2.5. Prierias’ konziliaristische Lutherinterpretation Es ist anzumerken, dass aufgrund dieser Aussagen über die Konzilsautorität, der Berufung auf Panormitanus und der Kritik an der Papstautorität Prierias sich in seiner Vermutung bestätigt fand, Luther sei ein Konziliarist, so dass er die Auseinandersetzung mit Luther weiterhin auf dem Hintergrund des ekklesiologischen Streites zwischen Konziliarismus und Papalismus führte. Beispielsweise titulierte er in der „Replica F. Silvestri Prieriatis ad F. Martinum Luther“219 vom November 1518 Luthers konziliaristischen Gewährsmann Panormitanus als einen Rebellen und Schismatiker, der im Basler Konzil viel Unrecht angerichtet habe. Luther stütze sich mit ihm auf einen „Rohrstock, der seine Hand durchbohren“ werde.220 Auch erhob Prierias Vorwürfe gegen den von Luther wahre Repräsentation auf dem Basler Konzil (in: A. Zimmermann [Hg.], Der Begriff der Repraesentatio im Mittelalter [MM 8], Berlin/New York 1971, 202–237); A. Lumpe, Zu repraesentare und praesentare im Sinne von „rechtsgültig vertreten“ (AHC 6, 1974, 274– 290); J. Miethke, Repräsentation und Delegation in den politischen Schriften Wilhelms von Ockham (in: Zimmermann, Begriff der Repraesentatio, 163–185); B. Tierney, Die Idee der Repräsentation auf den mittelalterlichen Konzilien des Westens (Concilium 19, 1983, 516– 521); Ders., Foundations, 96–127; A. Zimmermann (Hg.), Der Begriff der Repraesentatio im Mittelalter. Stellvertretung, Symbol, Zeichen, Bild, Berlin/New York 1971. Auf die Rezeption des Repräsentationsgedankens bei Gabriel Biel machte jüngst aufmerksam R. Schwarz, Die gemeinsame Grundlage der christlichen Religion und deren strittiges Grundverständnis. Eine von Luther angeregte Unterscheidung mit ökumenischer Relevanz (ZThK 106, 2009, 41–78), 66 f. 219 Zur „Replica“ siehe Horst, Zwischen Konziliarismus, 145 f.; DCL 1, 107–110; WA 2; 48 f. Die „Replica“ (DCL 1, 116–128) erhielt Luther am 7. Januar 1519 in Leipzig und veranlasste Mitte Januar einen Nachdruck der Ausgabe, den er durch ein kurzes und spöttisches Vorwort auf dem Titelblatt vermehrte. Siehe WA 2; 50–56. 220 WA 2; 53,13–17 = DCL 1, 121,(2–7): Tu vero postergato non Thoma modo, sed doctore alio quolibet, quanta vis sancitate praepolleat, ad probandum, quod Romanus Pontifex decernendo de fide et moribus possit errare, inniteris baculo harundineo tuam manum terebraturo, scilicet Abbati Siculo, viro olim rebelli et scismatico, qui in Basilea, ubi basiliscus

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angeführten Pariser Universitätskanzler Johannes Gerson, der „pessime“ über die päpstliche Gewalt geschrieben habe.221 In größerer Ausführlichkeit wiederholte Prierias in seiner im März 1520 erschienenen kontroverstheologischen Hauptschrift „Errata et argumenta Martini Luteris“222 die Vorwürfe, Luther sei Konziliarist. Aus der untersuchten Lutherschrift sowie aus den übrigen Schriften zur Ablassthematik wird deutlich, dass für Luthers Ekklesiologie der spätmittelalterliche konziliaristische Streit nie erkenntnisleitend war. Selbst im Streit mit Prierias ging es Luther nicht um eine Neuauflage der alten kontroversen Verhältnisbestimmung zwischen Papst und Konzil, sondern um die Widerlegung von Prierias’ thomistisch-scholastischer, papalistischer Theologie durch die Autorität der Heiligen Schrift und die auf diese hin orientierenden kirchlichen Autoritäten. Von den sichtbaren, kirchlichen Institutionen gestand er dem allgemeinen Konzil als Repräsentanz der Kirche die oberste Lehrgewalt und die Vorrangstellung gegenüber dem Papst bei der Entscheidung in Glaubensfragen zu. Mit dieser Schwerpunktsetzung war Luther keineswegs zum Konziliaristen geworden, sondern er bediente sich in dieser Phase konziliarer Gedanken zur Veranschaulichung und Stützung seiner sich entwickelnden reformatorischen Ekklesiologie! Festzuhalten bleibt, dass Luther durch Prierias zur Tiefenschärfung bezüglich der kirchlichen Autoritäten – insbesondere von Papst und Konzil – veranlasst worden war, welches eine hilfreiche Vorbereitung für die folgenden Auseinandersetzungen mit Cajetan und Eck darstellen sollte.

pullulavit, pileum iniquitatis emeruerit [. . .]. – Siehe die weiteren Ausführungen WA 2; 53,17–31. 221 WA 2; 53,31–33 = DCL 1, 123,(1–3). 222 Als „Epitoma“ hatte Prierias einen Vorentwurf des polemisch-apologetischen Werkes gedruckt, den Luther Anfang Juni 1520 erhielt und wiederum mit einem Vorwort, Randglossen und einem Nachwort versehen unter dem Titel „Epitoma responsionis ad M. Lutherum (per fratrem Silvestrum de Prierio)“ noch im Juni drucken ließ. Siehe WA 6; (325) 328–348. Eine kritische Ausgabe bietet DCL 1, (129) 138–189. Vgl. M. Brecht, Curavimus enim Babylonem, et non est sanata (in: R. Bäumer [Hg.], Reformatio Ecclesiae. FS für Erwin Iserloh, Paderborn 1980, 581–595), der das Nachwort Melanchthon zuschreibt. Über die „Errata et argumenta“ Horst, Zwischen Konziliarismus, 146–162; Lauchert, Gegner Luthers, 23–30.

§ 3 Die Konzilsthematik in Augsburg (1518) Ein „erster Wendepunkt in der Entstehungsgeschichte der Reformation“223 bildete die Begegnung zwischen Luther und Cajetan im Oktober 1518 in Augsburg. Hatte sich Luther bis zu diesem Zeitpunkt mit der römischen Kirche und dem Papst in grundsätzlicher Übereinstimmung gesehen und gemeint, in der dogmatisch ungeklärten Ablass- und Papstfrage böten seine auf die kirchlichen Autoritäten wie die Heilige Schrift und die Kirchenväter gestützten Lehrmeinungen einen disputationswürdigen Beitrag, änderte sich diese Haltung mit Luthers Erlebnissen und Einsichten rund um Augsburg. Sie führten auf dem von Luther eingeschlagenen Weg schließlich zur Abkehr von der kirchlichen Autorität des Papstes. Diese grundlegende Veränderung und die spätere Ablehnung der kirchlichen Autorität des Papsttums war bereits in den Streitschriften vom Sommer 1518 vorgezeichnet worden, in denen ohne ausführliche theoretische Begründung an die Stelle des Papstes das Konzil als oberste Lehrautorität in Glaubensdingen gerückt war. Wie aber gestaltete sich jene Verschiebung der Autoritäten zugunsten des Konzils im Rahmen des Augsburger Gespräches? Bedenkt man darüber hinaus, dass das Zusammentreffen Luthers mit dem bedeutenden thomistischen Theologen und einflussreichen päpstlichen Legaten „in mancher Hinsicht [den] wichtigste[n] Versuch“ darstellte, „der im 16. Jahrhundert unternommen wurde, den Streit zwischen Luther und Rom auf die eigentlichen Probleme zu beschränken und womöglich zu überwinden“224, gewinnt die Frage nach den vorgenommenen Weichenstellungen bezüglich der kirchlichen Autoritäten nicht zuletzt an konfessioneller Brisanz. Obgleich die Begegnung, die als Verhör innerhalb des gegen Luther in Rom anhängigen Ketzerprozesses geplant war, in der Forschung eingehend behandelt wurde, wird dem Konzilsthema – wenn überhaupt – nur marginale Aufmerksamkeit geschenkt.225 Die Aufgabe der nachfolgenden Untersuchung wird es 223

Selge, Augsburger Begegnung, 37. B. Lohse, Cajetan und Luther. Zur Begegnung von Thomismus und Reformation (1986) (in: Ders., Evangelium in der Geschichte. Studien zu Luther und der Reformation, hg. von L. Grane, B. Moeller und O. H. Pesch, Göttingen 1988, 44–63), 48. 225 Die Begegnung zwischen Cajetan und Luther in Augsburg wurde nicht erst seit der Studie von G. Hennig, Cajetan und Luther. Ein historischer Beitrag zur Begegnung von Thomismus und Reformation (AzTh II,7), Stuttgart 1966 mehrfach untersucht und unter Einbeziehung der Position Cajetans diskutiert. Als weiterführende Literatur seien genannt 224

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daher sein, die Äußerungen und Bewertungen bezüglich der Konzilsthematik im Rahmen des Augsburger Zusammentreffens zur Darstellung zu bringen. Weil die äußeren Umstände, die zu der Begegnung führten, als bekannt vorausgesetzt werden können, soll an sie lediglich kurz erinnert werden. Um die Haltung Cajetans in der Frage nach der Autorität des Konzils einordnen zu können, wird etwas ausführlicher als in der vorliegenden Studie üblich auf die inhaltlichen Vorbereitungen des Kardinals einzugehen sein. Sodann werden Luthers Vorbereitungen thematisiert und der Ablauf des Zusammentreffens herausgearbeitet, um schließlich den Fokus auf die Konzilsthematik zu lenken und der Frage nachzuspüren, inwiefern sich die Verschiebung der kirchlichen Normeninstanzen zugunsten eines allgemeinen Konzils im Umfeld des Gesprächs mit Cajetan auswirkte.

1. Die Vorgeschichte Die Begegnung in Augsburg fand im Rahmen des prozessualen Ketzerverfahrens gegen Luther statt, welches seit dem Frühjahr 1518 an der römischen Kurie betrieben wurde.226 Auf die Vorladung zum Verhör, die Luther am 7. August 1518 erhielt und der er innerhalb von 60 Tagen nachkommen sollte, reagierte der Mönch mit der Bitte an seinen Landesherrn, die Sache vor einer unparteiischen Instanz in Deutschland verhandeln zu können.227 Friedrich der Weise, der sich mit seinem Beraterstab auf dem Augsburger Reichstag befand, nutzte die Gelegenheit, um mit kaiserlichen und päpstlichen Diplomaten die Luthersache zu verhandeln und sie im Sinne seiner „Lutherschutzpolitik“ zu betreiben.228 Weil Kurfürst Friedrich III. in der Diskussion um die Nachfolge Kaiser Bäumer, Papst, 27–32; O. H. Pesch, „Das heisst eine neue Kirche bauen“. Luther und Cajetan in Augsburg (in: M. Seckler, O. H. Pesch, J. Brosseder und W. Pannenberg [Hg.], Begegnung. Beiträge zu einer Hermeneutik des theologischen Gesprächs, Graz/Wien/Köln 1972, 645–661); L. Grane, Martinus noster. Luther in the German Reform movement 1518–1521 (VIEG 155), Mainz 1994, 23–29; Ders., Modus loquendi, 183–191; Hendrix, Luther and the Papacy, 52–65; J. Wicks, Cajetan und die Anfänge der Reformation (KLK 43), Münster 1983, 72–106; Lohse, Cajetan, 44–63; B. A. R. Felmberg, Die Ablasstheologie Kardinal Cajetans (1469–1534) (SMRT 65), Leiden/Boston/Köln 1998, 187–339; Moeller, Papsttum, 109–111. Die Konzilsthematik in Augsburg behandelt am eindrücklichsten Selge, Normen, 1968 und ders., Augsburger Begegnung, 37–54. Als Dokumentation sei auf Walch 2 15, 522–654 Nr. 173–239 und auf die popularwissenschaftliche Übersetzung K.-P. Schmid (Hg.), Die Acta Augustana 1518 – Deutsch. Dokumente vom letzten Gespräch Roms mit Luther in Augsburg vor seiner Exkommunikation, Augsburg 1982 sowie DCL 2, 69–131 verwiesen. 226 Siehe oben, Kapitel II § 2.2.1. 227 Vgl. WAB 1; 188 und Müller, Prozess, 59–61. 228 Vgl. zur kursächsischen Lutherschutzpolitik P. Kirn, Friedrich der Weise und die Kirche. Seine Kirchenpolitik vor und nach Luthers Hervortreten im Jahre 1517 (Beiträge zur Kulturgeschichte des Mittelalters und der Renaissance 30), Leipzig/Berlin 1926; Borth,

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Maximilians insbesondere für die päpstliche Politik eine Schlüsselrolle einnahm, hatten die kurfürstlichen Bemühungen durchaus Aussicht auf Erfolg. Mitte August verschärfte die römische Kurie hingegen ihr Vorgehen gegen Luther, indem sie den Verdacht auf Häresie in die Anklage auf Notorietät und Hartnäckigkeit umwandelte und somit das Verfahren als „summarisches“ zu beschleunigen suchte.229 Mit dem Breve „Postquam ad aures“ vom 23. August 1518 teilte Papst Leo X. seinem Legaten auf dem Augsburger Reichstag, Kardinal Cajetan, mit, dass die Luthersache „tum ex fama, tum ex facti permanentia, notoria et inexcusabilis“ geworden sei,230 und betraute ihn offi ziell mit der Causa Lutheri. Cajetan, der das Breve vorerst geheim hielt, wurde der Befehl erteilt, Luther umgehend persönlich vor sich zu laden. Notfalls müsse Luthers Erscheinen mit Hilfe der obrigkeitlichen Gewalt erzwungen und der Mönch gefangen gesetzt werden. Sollte Luther freiwillig erscheinen und Reue zeigen, könne Cajetan ihn in die Kirchengemeinschaft wieder aufnehmen. Sollte Luther aber nicht freiwillig kommen oder nicht widerrufen, sei er zu verhaften und zum Verhör nach Rom zu überstellen. Außerdem erhielt Cajetan für den Fall, dass Luther nicht erschiene, die Vollmacht, den Wittenberger Mönch und seine Anhänger öffentlich zu gebannten und verfluchten Häretikern zu erklären und gegen die Luther schützenden Obrigkeiten umfangreiche kirchliche Strafen zu verhängen.231 Gleichzeitig ersuchte Leo X. Friedrich den Weisen, den Häretiker nicht zu schützen, sondern ihn an den Apostolischen Stuhl auszuliefern.232 Der sächsische Kurfürst, der sich weigerte, Luther nach Rom zu überstellen, und für Luthersache, 53–56 u. ö.; I. Ludolphy, Friedrich der Weise, Kurfürst von Sachsen 1463– 1525, Göttingen 1984, 383–486; Kohnle, Reichstag, (22–44), bes. 27 f. Siehe auch M. Beyer, Luther und Kurfürst Friedrich der Weise von Sachsen (in: Aller Knecht und Christi Untertan. Der Mensch Luther und sein Umfeld; Katalog der Ausstellung zum 450. Todesjahr 1996, hg. von der Wartburg-Stiftung Eisenach, Eisenach 1996, 61–66). Zur bemerkenswerten Beziehung zwischen Luther und Friedrich dem Weisen, die durch die unermüdliche Mittlertätigkeit von Georg Spalatin ihre Dynamik erhielt, vgl. auch A. Gößner, Art. B. III.10. Luther und Sachsen (LuH, 179–185), 180–182. Die für die Lutherschutzpolitik hintergründige Frömmigkeit Friedrichs III. stellte jüngst anregend A. Kohnle, Die Frömmigkeit der Wettiner und die Anfänge der Reformation (LuJ 75, 2008, 125–140) heraus. 229 Den Anlass für die Verschärfung des Verfahrens bot das Bekanntwerden neuer Schriften und Thesen von Luther in Rom, deren Inhalt als häretisch und irrtümlich eingestuft wurde. Vgl. Müller, Prozess, 61. Auf welche Lutherschriften sich die Beurteilung stützte, ob auf die „Resolutiones“ (WA 1; [522] 525–628) oder den „Sermo de virtute excommunicationis“ (WA 1; [634] 638–643), kann nicht mehr eindeutig beantwortet werden. Vgl. DCL 2, 64 Anm. 8. Hinzu kam ein Schreiben Kaiser Maximilians an Leo X. vom 5. August 1518, in dem er ein zügiges Urteil gegen Luther einforderte und versicherte, dem kirchlichen Bann gegen Luther im Reich Geltung zu verschaffen. Vgl. aaO. 37–44. 230 WA 2; 23,28 f. 231 AaO. 23–25,5; DCL 2, (50) 62–68. Vgl. Müller, Prozess, 61–68. 232 DCL 2, (44) 48–50.

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eine Verhandlung vor einem deutschen Schiedsgericht eintrat, suchte auf diplomatischem Wege Kontakt mit dem päpstlichen Legaten und bewirkte ein Entgegenkommen des römischen Kardinals.233 Cajetan versicherte dem Kurfürsten, Luther nicht gefangen zu nehmen und nach Rom auszuliefern, sondern in Deutschland zu verhören. Die Forderung nach Übertragung der Luthersache an eine deutsche Instanz wies er allerdings zurück und bestand auf einer persönlichen Vernehmung, in welcher er Luther bei freiwilligem Erscheinen in Augsburg vorurteilslos begegnen und ihn „väterlich, nicht richterlich“ („paterne, non iudicialiter“) 234 anhören wolle. Friedrich versprach, Luther zu dem Gespräch mit Cajetan zu bewegen, erwartete aber im Gegenzug, dass die Anklage gegen Luther überprüft werde, Luther sich verteidigen und Augsburg frei verlassen dürfe. Das Verhör durch Cajetan solle nicht zu einem abschließenden Urteil führen.235 Aufgrund der für die kurialen politischen Interessen bedeutsamen Verhandlungen mit dem Kurfürsten erhielt Cajetan die päpstliche Instruktion „Cum nuper“ vom 11. September, in der er ermächtigt wurde, Luther in Deutschland zu verhören, bei Reue zu absolvieren oder bei Weigerung zu verurteilen. Die richterliche Vollmacht wurde somit faktisch vom Papst an den Kardinal delegiert, der eine angemessene Entscheidung in der Causa Lutheri nach sorgfältiger Prüfung unter Berücksichtigung der spannungsreichen Interessen von römischer Kurie und sächsischem Kurfürsten zu treffen hatte.236 Gegenüber der ursprünglichen Forderung beider Seiten stellte das Augsburger Treffen zwischen Cajetan und Luther einen diplomatischen Kompromiss dar.237

2. Cajetans Vorbereitung Nachdem Friedrich der Weise von dem römischen Einverständnis eines Verhörs durch den Kardinal erfahren hatte, bewegte der sächsische Kurfürst Luther, nach Ausgsburg zu kommen. Gleichzeitig bereitete Thomas de Vio – nach seiner Geburtsstadt Cajetan genannt – die Begegnung mit dem Wittenberger Theologen vor. Inwiefern Cajetan bei der Vorbereitung die Konzilsthematik berührte, soll unter Einbeziehung seiner in früheren Zusammenhängen sichtbar gewordenen Haltung zum Konzil kurz dargestellt werden. 233 Vgl. zur Rekonstruktion der Verhandlungen zwischen Friedrich und Cajetan Selge, Normen, 83–85; Wicks, Cajetan, 76–78; DCL 2, 58–60. 234 Zu dem Stichwort „paterne, non iudicialiter“ vgl. die Nachweise bei Selge, Normen, 84 Anm. 1. 235 Vgl. DCL 2, 60. Siehe u. a. WAB 1; 200 f. Nr. 92 (Spalatin an Luther, Augsburg, 5. 9. 1518). 236 Vgl. Hennig, Cajetan und Luther, 44 f.; Kalkoff, Forschungen, 57 f.; Wicks, Cajetan, 78–80; DCL 2, 60 f. 237 Vgl. Kohnle, Reichstag, 28.

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Als thomistischer Theologe und Generalmagister des Dominikanerordens (1508–1518) hatte sich Cajetan im Streit um die Autorität des Papstes als dessen Parteigänger bewährt und als expliziter Gegner des Konziliarismus profi liert.238 So hatte er gegen das Konzil von Pisa, das 1511 politisch gegen Papst Julius II. initiiert und theologisch durch konziliaristische Theorien untermauert worden war, sowohl kirchenleitend handelnd als auch papalistisch argumentierend Stellung bezogen.239 Insbesondere in seiner 1511 gegen den neu erstarkenden Konziliarismus verfassten Schrift „De comparatione auctoritatis papae et concilii“240 entwarf er seine Lehre von der Kirche und begründete die oberste Gewalt des Papstes gegenüber der Gesamtkirche mit der göttlichen Einsetzung. Indem er die Superiorität des Papstes vor allem über das allgemeine Konzil herausarbeitete, suchte er die konziliaristische Apologie des Benediktinerabts Zaccaria Ferreri, der sich im Rahmen des Pisaner Konzils auf die Konstanzer Konzilstheologen Petrus von Ailly und Johannes Gerson stützte, zu widerlegen. Nur ein vom Papst als Vicarius Christi berufenes und unter dessen Vorsitz stehendes allgemeines Konzil sei rechtmäßig und frei von Irrtum.241 Cajetans Ausführungen stießen seitens der Konziliaristen auf heftigen Widerstand. Gegenwind kam u. a. von der Pariser Universität, deren Kanzler An238 Aus der umfangreichen Forschungsliteratur zu Cajetan sei neben dem profunden Überblick von E. Iserloh und B. Hallensleben, Art. Cajetan de Vio, Jakob (TRE 7, 1981, 538–546) (Literatur) auf A. Bodem, Das Wesen der Kirche nach Kardinal Cajetan. Ein Beitrag zur Ekklesiologie im Zeitalter der Reformation (TThSt 25), Trier 1971; Felmberg, Ablasstheorie, 1998; J. F. Groner, Kardinal Cajetan. Eine Gestalt aus der Reformationszeit, Fribourg 1951; B. Hallensleben, Communicatio. Anthropologie und Gnadenlehre bei Thomas de Vio Cajetan (RGST 123), Münster 1985; Horst, Zwischen Konziliarismus, 27– 54; Lauchert, Gegner Luthers, 133–177; Wicks, Cajetan, 1983 sowie auf die knappe Einführung von B. Hallensleben, Thomas de Vio Cajetanus. Erneuerer der Theologie für eine erneuerte Kirche (in: Theologen des 16. Jahrhunderts. Humanismus – Reformation – Katholische Erneuerung; Eine Einführung, hg. von M. H. Jung und P. Walter, Darmstadt 2002, 65–82) verwiesen. 239 Unter anderem hatte der Ordensgeneral Cajetan den Dominikanern die Unterstützung und Teilnahme am Konzil untersagt und zwei Dominikanerprediger in die Stadt Pisa gesandt, um vor Ort den Widerstand zu wecken. Vgl. Bodem, Wesen der Kirche, 17. 240 Abgedruckt in Th. de Vio Cajetanus, Opuscula omnia. Nunc primum summa diligentia castigata, et doctissimorum quorundam virorum ope suo nitori accurate restituta, Lyon 1587 (Nachdruck Hildesheim/Zürich/New York 1995), 5–31a. 241 Cajetan, der sich wie Prierias den Lehren von Juan de Torquemada anschloss, berief sich in seiner papalistischen Argumentation auf die neutestamentlichen Verheißungsworte an Petrus in Mt 16 und Joh 21, wandte sich gegen die Konzilserklärungen von Konstanz und Basel und untermauerte sein papalistisches Kirchenbild u. a. durch Entscheidungen des Florenzer Konzils von 1439. Auf die für das antipäpstliche Konzil von Pisa wie für die Konziliaristen insgesamt zentrale Frage nach Legitimation der Absetzung des Papstes erwiderte Cajetan, der zwischen dem irrtumslosen Amt des Papsts und seiner menschlichen Person unterschied, dass die Kirche einen Papst als Person nur im Falle einer überführten Häresie nicht aber wegen anderer Vergehen absetzten könne. Jegliche über dem Papst stehende Urteilsinstanz sei abzulehnen. Vgl. Hennig, Cajetan und Luther, 13–29; Iserloh/Hallensleben, Cajetan, 540 f.

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fang des 15. Jahrhunderts nacheinander die Konzilstheologen von Ailly und Gerson gewesen waren und die noch Anfang des 16. Jahrhunderts eine „Hochburg“ konziliaristischen Gedankengutes bildete. Insbesondere der Pariser Theologe Jacques Almain tat sich als konziliaristischer Anhänger hervor, der im Frühjahr 1512 in seiner Schrift gegen Cajetan die Oberhoheit des Konzils gegenüber dem Papst verteidigte.242 Cajetan konterte noch im selben Jahr mit der Schrift „Apologia de comparata auctoritate papae et concilii“.243 Über sein schriftstellerisches Engagement gegen den Konziliarismus hinaus inspirierte und unterstützte Cajetan das von Papst Julius II. einberufene 5. Laterankonzil, indem er unter anderem im Mai 1512 eine gegen den Konziliarismus gerichtete Rede zur Reform der Kirche hielt.244 Aus Dank für seine Treue zum Papstamt und für seine papale Ekklesiologie ernannte ihn Leo X. 1517 zum Kardinal.245 Im Sommer 1518 wirkte er als Legat des Papstes auf dem Augsburger Reichstag mit dem Auftrag, um Unterstützung für das päpstliche Projekt eines Kreuzzuges gegen die Türken zu werben und die bevorstehende Kaiserwahl im Sinne der päpstlichen Interessen zu betreiben. Nach Beendigung des Reichstages konzentrierte sich der thomistische Theologe auf die Vorbereitung der verabredeten Begegnung mit Luther. Hierfür untersuchte er innerhalb von vier Wochen vor, während und nach der Begegnung mit dem Wittenberger Mönch vornehmlich dessen „Resolutiones disputationum de indulgentiarum virtute“246 und den „Sermo de poenitentia“247 sowie weitere Schriften.248 Als Ergebnis seiner Auseinandersetzung verfasste der Dominikaner zwischen dem 25. September und 29. Oktober 1518 insgesamt 15 Traktate in Form thomistischer Quaestiones, welche die bis dahin erschienen antilutherischen Streitschriften an intellektueller Tiefenschärfe und theolo242 Vgl. F. Oakley, Almain and Major. Conciliary Theory on the Eve of the Reformation (AHR 70, 1965, 673–690); Ders., Conciliarism in the Sixteenth Century. Jacques Almain Again (ARG 68, 1977, 111–132). 243 Vgl. de la Brosse, Le pape e le concile, 70–78 u. ö.; H.-J. Becker, Die Appellation vom Papst an ein allgemeines Konzil. Historische Entwicklung und kanonistische Diskussion im späten Mittelalter und in der frühen Neuzeit (FKRG 17), Köln/Wien 1988, 356– 358. 244 Vgl. Hennig, Cajetan und Luther, 30–41. 245 Vgl. Wicks, Cajetan, 38 f. 246 WA 1; (522) 525–628. 247 WA 1; (317) 319–324. 248 Außerdem benutzte Cajetan Luthers „Sermo de virtute excommunicationis“ (1518) (WA 1; [634] 638–643) und wahrscheinlich eine ungedruckte lateinische Übersetzung des „Sermons von Ablaß und Gnade“ (1517) (WA 1; [239] 243–246). Über Cajetans Quellen bei der Abfassung der Traktate siehe am prägnantesten Felmberg, Ablasstheologie, 221–228. Die Quellenbezüge sind in der zweisprachigen (lat./ franz.) Edition der Traktate von Ch. Morerod, Cajetan et Luther en 1518. Edition, traduction et commentaire des opuscules d’Augsbourg de Cajetan (Cahiers Oecuméniques 26), Tome 1, Fribourg 1994, 181–422 präzise nachgewiesen.

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gischer Themenvielfalt übertrafen.249 In formal-scholastischer Weise führte Cajetan nach Skizzierung des Themas – ohne den Wittenberger Theologen auch nur einmal mit Namen zu nennen – Luthers Position an, formulierte sodann eine Gegenthese, die er ausführlich begründete, prüfte aufgrund des aus der Gegenthese erarbeiteten Koordinatensystems Luthers Meinung und widerlegte sie.250 Die Traktate, die Luther vermutlich nie kennenlernte, behandelten die strittigen Themen Ablass, Beichte, Fegefeuer, Exkommunikation, Thesaurus ecclesiae und Rechtfertigungsgewissheit und dienten dem Kardinal zur theologischen Klärung gegenüber Luthers Meinung und der Vorbereitung auf die lehramtliche Fixierung der römischen Ablasslehre.251 Bereits im Traktat vom 26. September gelangte Cajetan zu dem Urteil, dass Luther in der Tat von den verbindlichen Lehren der Kirche abgewichen und somit nur ein Widerruf möglich sei.252 Die Traktate gehen aufgrund der verhandelten Streitpunkte nicht explizit auf die Konzilsthematik ein. Dennoch beruft sich Cajetan bei den seiner Argumentation zugrunde gelegten Normeninstanzen 253 u. a. auf die Entscheide des Lehramtes, zu denen er neben der päpstlichen Dekretale „Unigenitus Dei Filius“ von Clemens VI. (1343) 254, welche im Augsburger Gespräch noch eine bedeutende Rolle spielen sollte, vornehmlich die Entscheidungen des Konzils von Florenz aus dem Jahre 1439 unter Papst Eugen IV.255 zählt. So zieht er beispiels249 Die Traktate fi nden sich zusammen mit weiteren Texten Cajetans abgedruckt in Cajetan, Opuscula omnia, 97a-118b. Die erste kritische Ausgabe mit Kommentar zu den Augsburger Traktaten bietet Morerod, Cajetan et Luther en 1518, 2 Bde., Fribourg 1994. 250 Hierzu bemerkt Hennig, Cajetan und Luther, 46: „Das formal-scholastische Geschick Cajetans zeigt sich dabei immer wieder als vollendete Form seines theologischen Geschicks, Wesentliches von Unwesentlichem zu trennen und in scharfen, immer sachlich bleibenden Thesen und Antithesen seine Theologie als Thomist und Legat der römischen Kirche zu vertreten.“ 251 Vgl. Hennig, Cajetan und Luther, 90–93. 252 Im 2. Traktat fragte Cajetan, ob beim Empfang des Bußsakraments der Beichtende „äußerst fest glauben müsse, er sei wirklich von Gott freigesprochen, um die Frucht der Absolution zu empfangen“ (Übersetzung von Cajetan, Opuscula omnia, 109b,53–55) und schloss aus Luthers These von der persönlichen Glaubensgewissheit beim Sakramentsempfang: „Hoc enim est novam Ecclesiam construere“ (aaO. 111a,8 f.). Vgl. Hennig, Cajetan und Luther, 49–56; Pesch, „Das heisst eine neue Kirche bauen“, 646 Anm 5. 253 Zu Cajetans scholastischen Normeninstanzen zählen u. a. die Heilige Schrift, die kirchlichen Theologen, der in den Augsburger Traktaten nicht näher erläuterte „sensus ecclesiae“ und die römische Kirchenlehre. Vgl. hierzu ausführlich Selge, Normen, 86–108; Wicks, Cajetan, 85–93. 254 Zur Bulle, die über den von der Kirche auszuteilenden Schatz der Verdienste Christi handelt, siehe CorpIC, Extravag. Commun., V. tit. 9 c.2 (Friedberg 2, 1304–1306); DH 1025–1027. 255 Über das Konzil von Ferrara-Florenz vgl. u. a. J. Gill, Art. Basel-Ferrara-Florenz II. Das Konzil von Florenz (TRE 5, 1980, 289–296); G. Alberigo (Hg.), Christian Unity. The Council of Ferrara-Florence 1438/39–1989 (BEThL 97), Leuven 1991; J. Helmrath, Flo-

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weise im Traktat vom 26. September das „Decretum de Armeniis“ als verbindliche und schriftgemäße kirchliche Lehre gegen Luthers Lehre von der Gewissheit des Gotteswortes im Bußsakrament heran 256 und beruft sich im Traktat vom 17. Oktober auf das „Decretum pro Grecis“ gegen Luthers Kritik an der Läuterung durch das Fegefeuer 257. Dass der Dominikanertheologe dem Konzil von Ferrara-Florenz Lehrautorität zubilligte und seine Beschlüsse als verbindliche Glaubenslehre interpretierte, beruhte auf Cajetans papaler Ekklesiologie. Für ihn wies sich das durch Papst Eugen IV. von Basel nach Ferrara (1437) und Florenz (1439) verlegte Konzil als ein legitimes Konzil aus, weil es anders als die papstkritischen Reformkonzilien des 15. Jahrhunderts das Kriterium der ausdrücklichen päpstlichen Billigung und päpstlichen Leitung erfüllte. Als Letztinstanz kirchlicher Lehre konnte für ihn nur das unter dem Papst stehende Konzil gelten.

3. Luther in Augsburg Luther, der sich auf Wunsch seines Kurfürsten und entgegen dem Rat verschiedener Freunde Ende September auf den mühsamen Weg von Wittenberg über Weimar und Nürnberg nach Augsburg gemacht hatte, kam in Begleitung seines Ordensbruders Leonhard Beyer erschöpft und magenkrank am 7. Oktober in der freien Reichsstadt an. Über seine Situation, die ihn zwischen Hoffen und Bangen oszillieren ließ, schrieb er seinen Wittenberger Freunden: „Auch in Augsburg, auch mitten unter seinen Feinden herrscht Jesus Christus [. . .]. Es lebe Christus, es sterbe Martin und jeder Sünder, wie geschrieben steht.“258

renz und sein Konzil. Forschungen zum Jubiläum des Konzils von Ferrara-Florenz 1438/39– 1989 (AHC 29, 1997, 202–216); Miethke/Weinrich 2, 2002. 256 Siehe Cajetans Traktat „De fide ad fructuosam absolutionem sacramentalem necessaria“ abgedruckt bei Morerod, Cajetan et Luther I, 318–338. Auf die Unionsbulle für die Armenier, das in der 8. Sitzung am 22. November 1439 beschlossen wurde (COD3 534–559; DH 1310–1328), beruft er sich aaO. 332–334: [. . .] est enim fides infusa de gratia per sacramenta certissime conferenda, suscipientibus digne illa: ut in concilio florent. sub eugenio 4 determinatum est. – Vgl. zur Thematik von Glauben und Gewissheit Hennig, Cajetan und Luther, 49–56; Selge, Normen, 89–92; Pesch, „Das heißt eine neue Kirche bauen“, 655– 659. 257 Siehe Cajetans Traktat „An in Purgatorio possit esse meritum“ (Morerod, Cajetan et Luther I, 382–398). Zum Dekret über die Griechen, das in der 6. Sitzung am 6. Juli 1439 beschlossen wurde (COD3 523–528; DH 1304) siehe aaO. 388–390. Des Weiteren beruft sich Cajetan auf Entscheidungen des Konzils von Florenz in den Traktaten vom 29.9., 1.10., 7.10. und 14. 10. 1518. Vgl. mit Stellenangaben aus der Opuscula-Ausgabe Selge, Normen, 90. 258 WAB 1; 208,3–5 Nr. 96 (Luther an die Wittenberger Freunde, [Nürnberg, 3. oder 4. 10. 1518]): Etiam Augustae, etiam in medio inimicorum suorum dominatur Iesus Christus [. . .] Vivat Christus, moriatur Martinus et omnis peccator, sicut scriptum est [. . .].

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Nach seiner Ankunft bezog Luther im Karmeliterkloster St. Anna Quartier und ließ sein Eintreffen dem Kardinal mitteilen. Die folgenden Tage, an denen sich Luther von seiner Reise erholte und das öffentliche Interesse an seiner Person zu spüren bekam,259 waren der Vorbereitung des Treffens mit Cajetan sowie der Begegnung mit Gesinnungsgenossen und Humanistenfreunden gewidmet, zu denen der Augsburger Stadtschreiber und einflussreiche Politiker Konrad Peutinger zählte. Unterstützung und Rechtsberatung erhielt Luther u. a. durch den Freisinger Domherrn Christoph Langenmantel und die Augsburger Domherren Konrad und Bernhard Adelmann. Da zu befürchten stand, dass Luther durch den päpstlichen Legaten Cajetan gefangen gesetzt werde, forderten die Freunde kaiserliches Geleit für Luther, welches nach der widerwilligen Zustimmung von Cajetan gewährt wurde. Von der Absprache zwischen Cajetan und Friedrich dem Weisen, Luther väterlich zu verhören, war den Freunden nichts bekannt. Als Beobachter und Ratgeber des Kurfürsten waren die sächsischen Räte Johann Rühel und Philipp von Feilitzsch in Augsburg geblieben, die Luther ebenfalls als Berater zur Verfügung standen. Auch trafen Luthers Ordensgeneral Johannes Staupitz und sein Mitbruder Wenzeslaus Link ein. Briefl ich informierte Luther seinen Freund Spalatin am 10. Oktober von den Vorgängen in Augsburg, wobei er den Schwerpunkt auf eine am Vortag stattgefundene Unterredung mit Urbanus von Serralonga, dem Gesandten des Markgrafen von Montferrat, legte.260 Urbanus hatte Luther im Blick auf die Begegnung mit Cajetan aufgefordert, dem Kardinallegaten zuzustimmen, seine Behauptungen zu widerrufen und in den Schoß der Kirche zurückzukehren. Auch sei ihm nicht gestattet, mit Cajetan über die Gewalt des Papstes in Glaubensdingen zu disputieren. Luther, der Urbanus als Vertrauten des Kardinals wahrnahm, konnte weder dessen Auftreten noch dessen Anweisungen akzeptieren.261 Vielmehr führte das Gespräch bei Luther dazu, dass er weiterhin zwischen Hoffnung und Furcht schwankte.262 In dieser ambivalenten Stimmung erwähnte Luther gegenüber Spalatin das erste Mal die Absicht, an ein allgemeines Konzil zu appellieren.263 Wie er diese Option der Konzilsappellation umsetzen sollte, wird im folgenden Paragraphen zu sehen sein.264 Hier sei festgehalten, dass die Erwähnung der Konzilsappella259

Vgl. WAB 1; 213,8–10 Nr. 98 (Luther an Melanchthon, Augsburg, 11. 10. 1518). WAB 1; 209,24–210,45 Nr. 97 (Luther an Spalatin, Augsburg, 10. 10. 1518). 261 Vgl. W. Delius, Urbanus von Serralonga und der Prozeß Luthers (ARG 52, 1961, 29–48), der darauf aufmerksam macht, dass Urbanus auf Veranlassung des sächsischen Kurfürsten mit Luther sprach. 262 WAB 1; 210,44 f.: Ita inter spem & metum pendeo. – Zum Gespräch siehe auch Selge, Normen, 110 f. 263 WAB 1; 210,59 f. 264 Siehe unten, Kapitel II § 4. 260

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tion als Rechtsmittel zeigt, dass Luther der Konzilsthematik zunehmend Gewicht verlieh.

4. Luther vor Cajetan Die Begegnung von Cajetan und Luther, über die verschiedene Quellen berichten 265 und die als fester Bestandteil der Reformationsgeschichte in den einschlägigen Lutherbiographien und theologischen Darstellungen geschildert wird 266 , fand an den drei aufeinander folgenden Tagen vom 12. bis 14. Oktober im Fuggerhaus statt.267

4.1. Die Forderung des Widerrufs In der ersten Audienz kam es, nachdem Cajetan Luther zum Widerruf seiner Lehren aufgefordert hatte, zu einem von Luther klug eingefädelten Wortwechsel über den Schatz der Kirche und über die Glaubensgewissheit beim Sakramentsempfang. Weil die Positionen unvereinbar gegeneinander standen und Luther seine auf der Grundlage der Heiligen Schrift vorgetragenen Lehren nicht durch die Argumentation Cajetans widerlegt sah, erbat er sich Bedenkzeit. Am folgenden Tag erschien Luther in Begleitung von vier kaiserlichen Räten, einem Notar und weiteren Zeugen vor dem Kardinal und trug eine feier265 Als Quellen dienen Luthers Acta Augustana (WA 2; [1] 6–26), seine Korrespondenzen (WAB 1; Nr. 99. 100. 102–104), die „Appellatio M. Lutheri a Caietano ad Papam“ (WA 2; 27–33), die „Appellatio F. Martini Luther ad Concilium“ (WA 2; 34–40), der Brief Cajetans an den sächsischen Kurfürsten (WAB 1; 233–235 Nr. 1101), das Schreiben Luthers an den Kurfürsten (WAB 1; 236–246 Nr. 1102 [Luther an Kurfürst Friedrich, Wittenberg, 21.? 11. 1518]) und der aus mündlichen und schriftlichen Nachrichten zusammengestellte Bericht Spalatins (Walch 2 15, 557 f. 561–565). Darüber hinaus fi nden sich Berichte von Staupitz in Th. Kolde, Die deutsche Augustinerkongregation und Johann von Staupitz, Gotha 1879, 443, von Rühel in EA var. 2, 365 f. und Nachrichten von Scheurl in Ch. Scheurl, Briefbuch. Ein Beitrag zur Geschichte der Reformation und ihrer Zeit, Bd. 2: Briefe von 1517– 1540, hg. von F. von Soden und J. K. F. Knaake, Potsdam 1872, 51 f. Nr. 170 (Scheurl an Otto Beckmann, 21. 10. 1518); aaO. 53 f. Nr. 172 (Scheurl an Spalatin, 21. 10. 1518). Der erst 1535 verfasste Bericht von Giambattista Flavio Aquilano in dessen Schrift „Oratio et carmen de vita Thomae de Vio“ ist abgedruckt in: DCL 2, (69) 78–82. Vgl. auch Hennig, Cajetan und Luther, 61–63. Am umfangreichsten untersucht Selge, Normen, 112–146 das Augsburger Verhör anhand verschiedener Quellen. 266 Vgl. z. B. Köstlin/Kawerau, Luther 1, (201–215), bes. 204–211; Schwarz, Luther, 60 f.; Brecht, Luther 1, (237–255), bes. 243–248; Lohse, Luthers Theologie, 128–131. 267 Hennig, Cajetan und Luther, 63 Anm. 67 hat plausibel nachgewiesen, dass die Begegnungen an den Tagen 12. bis 14. Oktober 1518 (Dienstag bis Donnerstag) stattfanden (so WAB 1; 214 f. Nr. 99 [Luther an Spalatin, Augsburg, 14. 10. 1518]) und nicht, wie die Rechenschaftsberichte Luthers nahelegen (WA 2; 17,28–36; WAB 1; 241,221–226 Nr. 110 2 ), vom 13. bis 15. Oktober (Mittwoch bis Freitag).

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liche Erklärung vor, in der er seine kirchliche Rechtgläubigkeit unterstrich. Dem von Cajetan geforderten Widerruf könne er nicht nachkommen, weil er nicht von der Heiligen Schrift, den Kirchenvätern, den päpstlichen Dekretalen und der rechten Vernunft in seinen Äußerungen abgewichen sei. Er sei aber bereit, sollte er geirrt haben, sich der Kirche zu unterwerfen, über seine Lehren öffentlich und schriftlich Rechenschaft zu geben und sie zur Beurteilung den Universitäten von Basel, Freiburg, Löwen und Paris vorzulegen.268 Der Kardinal, der auf diese Erklärung mit der Wiederholung und thomistischen Vertiefung der am Vortag vorgetragenen Vorwürfe gegen Luther reagierte, gestattete dem hierzu nun schweigenden Luther auf Vermittlung von Staupitz, schriftlich auf die Differenzpunkte zu antworten.269 Bereits am nächsten Tag übergab Luther Cajetan in Anwesenheit der kursächsischen Räte Johann Rühel und Philipp von Feilitzsch seine schriftliche Ausarbeitung,270 in der er die umstrittene und von Cajetan ins Gespräch gebrachte Bulle „Unigenitus“ von Clemens VI. interpretierte und verschiedene Aspekte zur Auslegung kirchenamtlicher Dokumente darlegte. Schließlich entfaltete er zum Thema Glaubensgewissheit eine präzise und konzentrierte Darstellung seiner Rechtfertigungslehre. Nachdem Luther seine Erklärung dem Kardinal überreicht hatte, forderte dieser, ohne auf Luthers Schrift einzugehen, den Wittenberger wiederholt zum Widerruf auf und drohte ihm und seinen Anhängern mit Gewalt und kirchlicher Exkommunikation. Weil sich Luther durch sein Gewissen 271 gebunden 268

WA 2; 8,27–9,10. Vgl. aaO. 9,11–15; Walch 2 15, 564 f. 270 WA 2; 9,16–16,21. 271 Der Gewissensbegriff bei Luther ist, anders als in dem scholastischen oder neuzeitlichen Gewissensverständnis genuin theologisch bestimmt. Von G. Ebeling, Das Gewissen in Luthers Verständnis. Leitsätze (in: Ders., Lutherstudien Bd. 3. Begriffsuntersuchungen – Textinterpretationen – Wirkungsgeschichtliches, Tübingen 1985, 108–125), 109 ist treffend defi niert: „Gewissen im Sinne Luthers ist der anthropologische Ort, auf den als den Adressaten hin alle theologischen Aussagen ausgerichtet und an dem sie als Geschehen erfahrbar sind, der deshalb die Bedingung ihres Verstehens ist.“ Weil das Gewissen sowohl den Adressaten des Evangeliums benennt als auch beschreibt, inwiefern es ihn berührt und was das Evangelium an ihm wirkt, kommt dem Gewissen elementare Bedeutung für den Glauben und das Leben des Christen zu. Von hier aus wird das Gewissen zur theologischen Urteilsinstanz und Ort der soteriologischen Unterscheidungskunst. Zu Luthers Gewissensbegriff, der bei ihm im „conscientia“-Begriff statt in dem scholastischen „syntheresis“-Begriff wurzelt und eine eigene Studie wert wäre, vgl. u. a. M. G. Baylor, Action and Person. Conscience in Late Scholasticism and the Young Luther (SMRT 20), Leiden 1977; Ebeling, aaO. 108–125; Ders., Der kontroverse Grund der Freiheit. Zum Gegensatz von Luther-Enthusiasmus und Luther-Fremdheit in der Neuzeit (in: Ders., Lutherstudien 3, 366–394), 385– 389; Ders., Luthers Seelsorge. Theologie in der Vielfalt der Lebenssituationen an seinen Briefen dargestellt, Tübingen 1997, 462–464 u. ö.; E. Hirsch, Lutherstudien. Bd. 1 (Ders., Gesammelte Werke. Bd. 1, hg. von H. M. Müller), Waltrop 1998; G. Jacob, Der Gewissensbegriff in der Theologie Luthers (BHTh 4), Tübingen 1929; B. Lohse, Gewissen und Autorität bei Luther (KuD 20, 1974, 1–11); K.-H. zur Mühlen, Reformatorische Vernunftkritik 269

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und daher nicht in der Lage sah, ohne Widerlegung durch die Heilige Schrift seine Lehren widerrufen zu können,272 beendete Cajetan die Begegnung mit dem bekannten Ausspruch: „Geh! Widerrufe oder komm mir nicht mehr unter die Augen.“273 Mit der Berufung auf sein Gewissen hatte sich Luther erstmals zu jener anthropologischen Instanz bekannt, in der ihm die göttliche Wahrheitserkenntnis durch die Heilige Schrift als Wort Gottes getroffen hatte und gewiss geworden war. Von ihr konnte er nicht weichen, selbst wenn er sich mit den kirchlichen Autoritäten hierüber entzweien sollte.274

4.2. Der Disput über die kirchlichen Autoritäten Für die Konzilsthematik ist das erste Treffen zwischen Cajetan und Luther am Dienstag, dem 12. Oktober 1518, von besonderer Bedeutung. Bei diesem kam es während des Gesprächsverlaufs zu einem kurzen, aber scharfen Disput über die Bewertung der Konzilsautorität, so dass unter Berücksichtigung des Gesprächskontextes hierauf im Folgenden das Gewicht der Darstellung gelegt wird. Zu Beginn der ersten Audienz bat Luther den Kardinal untertänigst um Vergebung, wenn er etwas unbedacht gesagt oder getan hätte. Er wolle sich belehren lassen und zu einer besseren Lehrmeinung geführt werden.275 Cajetan reagierte darauf freundlich und unterstrich, dass er mit Luther nicht disputieren, sondern die Sache „väterlich und äußerst milde“ beilegen wolle.276 Im Auftrag und neuzeitliches Denken. Dargestellt am Werk M. Luthers und Fr. Gogartens (BHTh 59), Tübingen 1980, 93–115. Siehe auch unten, Kapitel V § 12.2.2. 272 Zur Gewissensbindung, der sich Luther verpfl ichtet sieht und auf die er sich im Rahmen des Augsburger Verhörs gegen die Widerrufsforderung des Kardinals erstmals überhaupt bezieht, siehe z. B. die Formulierung in Luthers Erklärung, WA 2; 16,6–12: Quare, Reverendissime in Christo pater [. . .], rogo humiliter, R. P. T. dignetur clementissime mecum agere et conscientiae meae compai ac demonstrare lucem, qua possim haec aliter intelligere, et non cogere ad revocationem eorum, quae etiam teste conscientia non alia duco quam ea, quibus me necesse sit consentire. Et stantibus his auctoritatibus aliud facere non possum, nisi quod obediendum esse deo magis quam hominibus scio. – Mit der Berufung auf das eigene Gewissen im Fall der Widerrufsforderung ohne vorherige Widerlegung anverwandelte Luther eine in der mittelalterlichen Theologie und im weltlichen wie kirchlichen Recht anerkannte Rechtsinstanz, die er aufgrund des für ihn unaufgebaren Zusammenhangs von Gewissen und göttlicher Wahrheit von der moralischen auf die theologische Ebene gehoben hatte. Siehe CorpIC Dec. Grat., II Causa 9 q. 3 c.91–101 (Friedberg 1, 669–671) und Th. von Aquin, Summa theol. II,1 q. 19 art. 5/6; q. 96 art. 4; II,2 q. 105 art. 2; Ders., De veritate, q. 17. Vgl. Selge, Augsburger Begegnung, 51 f. 273 WAB 1; 241,221 f. Nr. 1102 : Vade, inquit, aut revoces, aut in conspectum meum non revertaris. Zur Begegnung am 14. Oktober 1518 siehe auch WAB 1; 214 f. Nr. 99; WAB 1; 215–217 Nr. 100 (Luther an Karlstadt, Augsburg, 14. 10. 1518). 274 Vgl. Hirsch, Lutherstudien, 173. 275 WAB 1; 237,41–45 Nr. 1102. 276 Dieses geschah entsprechend der diplomatischen Verabredung mit dem Kurfürsten.

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des Papstes forderte er sodann von Luther dreierlei: Luther möge sich erstens eines Besseren besinnen und seine Irrtümer widerrufen, zweitens sich ihrer in Zukunft enthalten und drittens von allem Abstand nehmen, was in der Kirche Unruhe stiften könnte.277 Diese Forderungen suchte Luther konkreter zu fassen und fragte unterwürfig, worin er geirrt habe, zumal er sich keines Irrtums bewusst sei. Der Kardinallegat, der zu Beginn des Verhörs eine Disputation strikt abgewiesen hatte, hielt ihm darauf hin zwei Artikel entgegen: 278 Zum einen hätte Luther die Dekretale von Clemens VI. „Unigenitus“ mit ihren grundlegenden Sätzen über den Thesaurus ecclesiae nicht berücksichtigt und gegen sie in seiner 58. These über die Kraft der Ablässe behauptet, die Verdienste Christi seien nicht der Schatz der Ablässe.279 Zum anderen hätte er in den Erläuterungen zur 7. Ablassthese die neue und irrige Lehre vertreten, dass dem, der zum Bußsakrament gehe, der feste Glaube an die rechtfertigende Gnadenzusage Gottes nötig sei. Cajetan lehnte die sich auf Gottes Gnadenwort stützende persönliche Glaubensgewissheit mit der Bemerkung ab, dass derjenige, der zum Sakrament gehe, ungewiss sei, ob er Gnade erlange oder nicht. Er könne nur der Heilsvermittlung der Kirche im Allgemeinen gewiss sein, nicht aber einer persönlichen und unmittelbaren Gnadenzusage.280 Luther entgegnete Cajetan bezüglich des ersten Kritikpunkts, dass er die Dekretale von Clemens VI. und die ähnliche lautende Ablassbulle von Sixtus IV.281 sehr wohl sorgfältig untersucht habe. Sie habe für ihn aber keine Autorität erlangt, da sie die Worte der Heiligen Schrift, durch die sie die Lehre vom Kirchenschatz begründe, verdrehe und verfälsche. Außerdem gebe die Dekretale nur die theologische Meinung Thomas von Aquins wieder. Daher seien ihr die Bibelstellen, denen er in seiner These folge, als Autorität eindeutig vorzuziehen.282

277

WA 2; 7,19–26; WAB 1; 237,46–54. Die Reihenfolge, in der die zwei Streitpunkte behandelt wurden, differiert in Luthers offi ziellen Stellungnahmen. Während er die Glaubensproblematik der Ablassthematik im Brief an dem Kurfürsten vorzieht, führt er in den Acta zuerst die Ablassthematik und dann die Glaubensproblematik an. Der Bericht Spalatins, den dieser später anfertigte, schließt sich in der Reihenfolge den Acta an. Vgl. Walch 2 15, 562. Über die Streitpunkte und ihre vorangehende Untersuchung durch Cajetan in dessen Traktaten vgl. Selge, Augsburger Begegnung, 40–46. 279 WA 2; 7,29–34. 280 AaO. 7,35–40. Diesen theologisch gewichtigen Dissenspunkt, der für die konfessionelle Entwicklung von grundlegender Bedeutung werden sollte, hatte Cajetan in seinen Traktaten bereits mit der Bemerkung versehen: „Hoc enim est novam Ecclesiam construere.“ (Cajetan, Opuscula omnia, 111a,8 f.). 281 Siehe CorpIC, Extravag. Commun., V. tit. 9 c.5 (Friedberg 2, 1308 f.). 282 WA 2; 8,1–9. 278

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Mit dieser von Luther vorgetragenen Gewichtung der Autoritäten gegen die päpstlich-thomistischen Verlautbarungen und zugunsten der Heiligen Schrift war die grundsätzlichere Frage nach der normgebenden Autorität und somit der Papstgewalt gestellt. In diesem Zusammenhang kam es zum Streit um die Konzilsautorität zwischen Cajetan und Luther.283

4.3. Das Konzil im Streitgespräch Als Dominikaner, Thomist und Papalist konnte Cajetan mit Luthers Einwand nicht einverstanden sein. Folglich begann er – nach Luthers Berichten –, die Gewalt (potestas) des Papstes hervorzuheben. In den „Acta Augustana“ berichtet Luther über diesen Gesprächsgang: „Da hat er gegen mich angefangen die Potestas des Papstes herauszustreichen, dass sie über ein Konzil, über die Schrift, über alles in der Kirche sei. Und um dies zu beweisen, hat er die Verwerfung und Abschaffung des Konzils zu Basel angeführt, und gemeint, dass auch die Gersonisten mit Gerson zu verdammen seien.“284

Luther erzählte weiter, dass dieses „seinen Ohren neu“ gewesen sei. Gegenüber Cajetan verneinte er, dass der Papst über einem Konzil und über der Heiligen Schrift stehe, und empfahl seinerseits die Konzilsappellation der Pariser Universität vom Frühjahr 1518.285 Dem folgt die summarische Bemerkung: „und wir stritten mit häufigen Unterbrechungen über Buße und Gottes Gnade“.286 Diese Aussagen Luthers bestätigen sich in seinem Brief an den Kurfürsten 287 und im Bericht Spalatins288 – mit Modifi kationen im Gesprächsablauf – und geben weiterführende Hinweise auf Luthers Haltung zum Konzil. Bedenkt 283 Spalatin stellt in seinem Bericht die ihm überlieferte Szene wie folgt dar (Walch 2 15,562): Da habe der Legat gesprochen: Der Pabst habe aller Dinge Macht und Gewalt. Darauf hat Doctor Martinus geantwortet: Salva Scriptura, das ist: Ja, es sei wahr, doch so fern, daß die heilige Schrift vom Pabste nicht zerrissen würde. Da hat der Legat das Gespött daraus gehabt, und gesagt: Salva Scriptura! Der Pabst, weißt du das nicht, ist auch über das Concilium [. . .]. – Selge, Normen, 116 f. Anm. 6 urteilt aufgrund dieser Darstellung, Cajetan habe mit seiner Bemerkung, „der Papst habe aller Dinge Macht und Gewalt“, nur den Schriftgebrauch in „Unigenitus“ verteidigt, aber nicht die allgemeine Superiorität des Papstes über die Schrift behauptet, wie es Luther verstanden habe. Allerdings erklärt Selge nicht, warum Cajetan sodann das Konzil ins Gespräch gebracht hat. 284 WA 2; 8,10–13: Tunc cepit adversus me potestatem Papae commendare, quoniam supra Concilium, supra scripturam, supra omnia Ecclesiae sit, et ut id persuaderet, reprobationem et abrogationem Concilii Basiliensis recitavit, ac Gersonistas quoque una cum Gersone damnandos censuit. 285 AaO. 8,13–15: Haec ut erant nova in auribus meis, negavi contra, Papam supra Concilium, supra scriptururam esse, Deinde et universitatis Parrhisiensis appellationem commendavi [. . .]. 286 AaO. 8,15 f. 287 WAB 1; 240,171–177 Nr. 1102. 288 Walch 2 15, 562 f.

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man, dass Luther seine Position einerseits vor dem offi ziellen Vertreter der Kurie, andererseits durch seinen Bericht in den „Acta“ vor der gelehrten Öffentlichkeit und schließlich vor seiner kurfürstlichen Obrigkeit verantwortete, kommt den Aussagen erhebliches Gewicht zu. Nach Zeugnis der Berichte hatte Cajetan die Diskussion auf die Autoritätenfrage ausgeweitet,289 indem er wie bereits Prierias in seinem „Dialogus“ die Gewalt des Papstes in Glaubensfragen über das allgemeine Konzil, die Heilige Schrift und alles in der Kirche erhoben hatte.290 Während Cajetan auf das Verhältnis von Heiliger Schrift und Papstgewalt nicht näher einging – im Bericht Spalatins machte er sich aus Luthers Hinweis auf die Heilige Schrift sogar „ein Gespött“291 –, kontrastierte er die Potestas des Papstes mit dem Konzil. Wie der papsttreue Theologe in seiner Auseinandersetzung mit dem Konziliarismus um 1511 deutlich gemacht hatte, war die autoritative kirchliche Letztinstanz für ihn nicht das Konzil, sondern allein der Papst. Zur Begründung zog Cajetan die Verwerfung und Auf hebung des Basler Konzils durch den Papst heran 292 und suchte hiermit die Autorität des Papstamtes gegenüber einem Konzil, zumal einem nicht vom Papst geleiteten oder approbierten Konzil, zu beweisen. Auf welche päpstliche Verlautbarung er mit dieser Bemerkung anspielte, wird nicht berichtet. Vermutlich bezog er sich auf die unter der Leitung von Papst Eugen IV. im Konzil von Ferrara 1438 getroffene Bestimmung über die kirchlichen Strafen gegen die Anhänger des Basler Konzils293 oder auf das im Konzil von Florenz entstandene Dekret „Moyses vir Dei“ (1439).294 Mit der Bemerkung über die Verwerfung des Basler Konzils wollte Cajetan aber höchstwahrscheinlich nicht nur die umfassende Gewalt des Papstes beweisen, sondern vielmehr jegliche konziliaristischen Argumentationshorizonte ab289 Wie Selge, Normen, 117 vermutet, könnte Cajetan im Gespräch auf die im Dekret „Unigenitus“ festgestellte, oberste juristische Vollmacht des Papstes zur Entscheidung von Streitfragen verwiesen und diese auch auf die Auslegung der Schrift und Entscheidung in Glaubensfragen bezogen haben. 290 Im Brief an seinen Kurfürsten unterstreicht Luther, dass Cajetan versuchte (conari), die Potestas des Papstes auch „supra Scripturas et supra Concilia“ zu stellen (WAB 1; 240,172). Bei einem Textvergleich zwischen dem Brief und den „Acta“ fehlt im Brief die Aussage „supra omnia Ecclesiae“ (WA 2; 8,11). 291 Walch 2 15, 562. 292 Dieses berichtete Luther briefl ich auch Spalatin. Vgl. WAB 1; 219,36–38 Nr. 102 (Luther an Spalatin, [Augsburg, bald nach 14. 10. 1518]). 293 Zu der am 15. Februar 1438 in der 3. Sitzung des Konzils von Ferrara beschlossenen Verlautbarung, in der allen weiterhin in Basel versammelten Teilnehmern des „Konventikels“ mit der Strafe der Exkommunikation und dem Verlust ihrer Würden gedroht wurde, siehe COD3 517–520. 294 Das Dekret Eugens IV., das in der 7. Sitzung vom 4. September 1439 angenommen worden war, schloss sich an die Verlautbarung von Ferrara an, indem es sich erneut gegen das zeitgleich noch tagende Basler Konzil richtete, dessen konziliaristische Lehrsätze verwarf und allen dort Versammelten die kirchliche Exkommunikation androhte. Siehe COD3 529– 534; DH 1309.

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wehren, die er – wie zuvor Prierias – bei Luther vermutete.295 Hierzu fügt sich die in den „Acta“ anschließende Erwähnung, dass auch die Gersonisten mit Gerson als Vertreter des Konziliarismus zu verdammen seien. Wollte Cajetan folglich die vermutete konziliaristische Position von Luther treffen, bleibt zu klären, warum er überhaupt auf das Basler Konzil und Gerson zu sprechen kam. Im Brief an seinen Kurfürsten gibt Luther hierzu einen Hinweis. Dort betont er, dass er das Konzil von Basel und gewiss Gerson „in Resolutionibus“ angeführt habe, „was den Mann in Bewegung brachte.“296 Tatsächlich hatte Luther in seinen „Resolutiones“ zu den 95 Thesen, die von Cajetan bei seiner Vorbereitung aufmerksam studiert worden waren, Gerson und das Basler Konzil angeführt, allerdings nicht zur Begründung der Konzilsautorität.297 Cajetan wiederum hatte in seinen Augsburger Traktaten diese Stellen weder aufgegriffen noch die Konzilsproblematik gegen Luther ins Feld geführt. Dass Cajetan dieses nun mündlich nachholte, ist möglich, aber anhand der gerade an dieser Stelle differierenden Berichtlage letztlich nicht mehr zu klären. Jedenfalls fühlte sich Cajetan durch Luthers schriftliche (oder mündliche) Erwähnung des Basler Konzils und Johannes Gersons derart provoziert, dass er sich auf den Disput über die Superiorität von Papst oder Konzil einließ. Die von Cajetan angeblich bewiesene Oberhoheit des Papstes konnte Luther nun in der Tat nicht akzeptieren. Mit seinem Hinweis auf die erst jüngst ergangene Appellation der Pariser Universität 298 griff Luther die papalistische Haltung des Kardinals an und setzte sich hiermit für die Konzilssuperiorität ein. Wie im folgenden Paragraphen noch ausführlicher darzustellen ist, handelte es sich bei der genannten Konzilsappellation um die Appellation der Pariser Universität vom 27. März 1518, die sich gegen das zwischen Leo X. und Franz I. von Frankreich am 18. August 1516 abgeschlossene und durch das 5. Laterankonzil am 19. Dezember 1516 in der Bulle „Pastor aeternus gregem“ angenommene Konkordat wandte, in dem die „Pragmatische Sanktion von Bourges“ von 1438 für ungültig erklärt wurde.299 Für Luther bedeutete dies: Hatte die führende Universität Europas durch ihre Appellation die Konzilsautorität der 295

Vgl. Selge, Augsburger Begegnung, 43. WAB 1; 240,175–177: Nam Basiliense concilium, aut certe Gersonem allegaveram in Resolutionibus, quod hominem movebat. 297 Auf Gerson berief sich Luther in seiner Resolution zur 8. These (WA 1; 545,37. 547,14) und zur 11. These (WA 1; 550,17). Das Basler Konzil als allgemeines Konzil führte er in seiner Erläuterung zur 26. These im Zusammenhang mit der Lehre von der sündlosen Empfängnis der Maria und der Relevanz kirchlicher Lehrentscheidungen an (WA 1; 583,8–12). Siehe oben, Kapitel II § 2.1.2. 298 WAB 1; 240,174: Cum rursus Parisiensis Universitatis appellationem allegassem [. . .]. 299 Vgl. zum Datum Bäumer, Papst, 37 Anm. 14. Zur Entstehung und Geschichte des bedeutenden Konkordats siehe J. Thomas, Le concordat de 1516, ses origines, son histoire au XVIe siècle, 3 Bde, Paris 1910. Einen Auszug aus der im 5. Laterankonzil am 19. Dezember 1516 verabschiedeten Bulle „Pastor aeternus gregem“ bringt DH 1445. Den Gesamttext über die Auf hebung der Pragmatischen Sanktion bietet COD3 640–645, die Bulle über das Kon296

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Papstautorität vorgezogen, relativierte sich die vom Dominikanertheologen behauptete absolute Potestas des Papstes als eine Meinung unter anderen. Folglich diente schon die Tatsache der Pariser Konzilsappellation für Luther als ein Argument gegen die Papstgewalt. Möglicherweise spielte Luther – bedingt durch das Stichwort „Basler Konzil“ – auch auf die Inhalte der Appellation an, die sich gegen die Auf hebung der einst vom Basler Konzil beschlossenen „pragmatischen Sanktion“ wandte und den Umgang mit dem Basler Konzil durch das vom Papst geleitete 5. Laterankonzil kritisierte. Luther zeigte sich in diesem Disput als konziliaristischer Sympathisant, auch wenn er sich hütete, die Superiorität des Konzils über den Papst vor dem offi ziellen Vertreter der römischen Kurie dezidiert zu behaupten. Cajetan wiederum wies den Hinweis auf die Konzilsappellation mit scharfen Worten zurück: die Pariser werden ihre Strafe noch sehen.300 Tatsächlich hatte Leo X. gegen die Pariser Appellation an ein allgemeines Konzil am 16. Juni 1518 eine Bulle erlassen, in der er das Pariser Vorgehen verurteilte und verdammte.301 Folgt man der Darstellung in Luthers Brief an den Kurfürsten, schloss Cajetan nun die Verurteilung einiger Gersonisten an, an deren Namen sich Luther im Rückblick nicht mehr erinnert.302 Möglich ist, dass Cajetan seinen einstigen konziliaristischen Gegner Jacques Almain oder auch Johannes Major erwähnte. Dass Cajetan Luther in der Diskussion selbst als einen Gersonisten bezeichnete, wie Luther im Winter 1542/43 in einer Tischrede rückblickend bemerkte,303 dürfte eher unwahrscheinlich sein. Dass der Bericht über das Gespräch aber an dieser Stelle insgesamt lückenhaft ist, bemerkt bereits Spalatin in seinem aus verschiedenen Quellen rekonstruierten Bericht: „Ich weiß nicht, wie sich’s zugetragen hat, daß D. Martinus Gersonem allegirt; da hat der Legat gesagt: Ich weiß nichts von den Gersonisten. Da hat D. Martinus gesprochen: Wer sind doch die Gersonisten?“304 Luther, der von Cajetan wahrscheinlich keine Ausführungen über die Gersonisten, sondern über dessen Haltung zu Gerson hören wollte, drängte den Kardinal mit dieser Rückfrage in eine für ihn zunehmend unangenehme Diskussion über den Konziliarismus. Um sich aus diesem unerquicklichen Wortgefecht kordat zwischen dem Papst und dem König von Frankreich aaO. 638 f. Vgl. auch Becker, Appellation, 239–242. 300 WAB 1; 240,174 f. 301 Vgl. Becker, Appellation, 241; ausführlicher Thomas, Le concordat 3, 86–99, der als Datum der Bulle den 14. Juni 1518 anführt. 302 WAB 1; 240,175: Tandem nescio quos Gersonistas damnavit. 303 WAT 5; 213,23–25 Nr. 5523: Drumb hies mich der cardinalis zu Augspurg auch ein Gersonisten, cum a papa appellarem ad concilium Constantinum. – Der kausale Nebensatz ist in dieser Form fehlerhaft. Luther appellierte nicht an das Konstanzer Konzil, sondern 1518 an das allgemeine und 1520 an das freie Konzil. 304 Walch 2 15,562 f.

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zu befreien, bemerkte Cajetan: „Ei, laßt uns davon abstehen“ und ging auf ein anderes Thema über.305 Dass dem Kardinal die Ausweitung der Thematik auf die Autoritätsfrage nicht recht sein konnte, belegt sein Schweigen über diesen Gesprächsgang im Brief an den Kurfürsten.306 Auch wenn weder für Luther noch für Cajetan der Schwerpunkt des Verhörs im Streit um die Papst- oder Konzilssuperiorität lag, verdeutlicht der kurze Wortwechsel von Augsburg, dass Luther die papale Konzeption des Thomisten Cajetan ablehnte und einer konziliaren Konzeption zuneigte. Das allgemeine Konzil als Repräsentanz der Gesamtchristenheit manifestierte sich für Luther als kirchliche Entscheidungsinstanz in Glaubensfragen. Die Heilige Schrift und nicht die scholastischen Schulmeinungen bildeten die Norm, an der sich die Glaubenslehre zu orientieren hatte. Inwiefern er seine Lehraussagen einem allgemeinen Konzil zur Entscheidung vorlegen wollte, wie Selge aufgrund der am Mittwoch, dem 13. Oktober, von Luther vorgeschlagenen universitären Urteilsinstanzen behauptet,307 ist aus den überlieferten Quellen zum Augsburger Verhör nicht ersichtlich.

5. Die Konzilsthematik in den nachfolgenden Begegnungen Auf die Superiorität des Konzils über den Papst verwies Luther auch in seiner schriftlichen Erklärung, die er am Donnerstag, dem 14. Oktober, Cajetan überreichte. Im Rahmen der Interpretation der Rechtmäßigkeit von päpstlichen Dekretalen führte Luther Argumente aus der Heiligen Schrift und dem Kirchenrecht an, durch die er die Relativität päpstlicher Aussagen belegte. Zum einen wies er mittels Gal 2,14 auf die Möglichkeit des Irrtums durch Petrus hin und unterstrich zum anderen, dass Petri Lehre erst durch Jakobus’ Zustimmung und dem Einvernehmen der ganzen Kirche (ecclesiae consensus) im Apostelkonzil akzeptiert worden sei.308

305

Walch 2 15,563. Vgl. WAB 1; 233–235 Nr. 1101 (Cajetan an Kurfürst Friedrich, 25. 10. 1518). 307 Aus der Bemerkung von WA 2; 9,7–10 folgert Selge, Normen, 119 f.: „Es ist hiermit in allgemeiner Form auf den Instanzenzug der rechtmäßigen kirchlichen Lehrbildung verwiesen: von der Disputation über das Universitätsgutachten bis zur Determination durch den Papst und schließlich das Konzil. [. . .] Der Streit soll zunächst auf der normalen unteren Ebene der theologischen Urteilsbildung festgehalten werden. Angerufen werden dabei Universitäten, die in dieser Sache noch nicht gesprochen haben und nicht im Verdacht der Parteilichkeit stehen, und es ist natürlich wohl bedacht, wenn am Ende auch die Universität Paris genannt wird, die tags zuvor von Cajetan wegen ihrer auf konziliaristischem Standpunkt beruhenden Appellation mit Strafe bedroht worden ist: die Auswahl der Universitäten soll sichern, daß als eventuelle Letztinstanz das Konzil anstelle des vielleicht von einer Partei zu beeinflussenden Papstes erhalten bleibt.“ 308 WA 2; 10,12–17. 306

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Dieser Begründung aus der Heiligen Schrift stellte Luther erneut den Hinweis auf Panormitanus’ Kommentar zum Kapitel „Significasti“ unter dem Titulus „De electione“ aus dem ersten Buch der Dekretalen Gregors IX. zur Seite.309 Hatte Luther in der „Responsio“ aus dieser Stelle bereits die Irrtumsfähigkeit von Papst und Konzil abgeleitet,310 berief er sich jetzt auf die Aussage, dass in Glaubensdingen nicht nur ein allgemeines Konzil über dem Papst stehe, sondern, wie Gal 2,14 zeige, auch jeder Gläubige, wenn er sich auf bessere Autoritäten und Vernunftgründe als der Papst stütze.311 Anders als die Verweisstelle, in der die Präferenz eines einzelnen Gläubigen gegenüber dem Papst bei besseren Beweisgründen aus der Heiligen Schrift theoretisch im spätmittelalterlich konziliaristischen Interpretationsrahmen ohne Infragestellung der hierarchischklerikalen Verfassung und ihrer normgebenden Grundlagen verhandelt wurde, 309 Luther berief sich mit diesem Satz auf den Kommentar von CorpIC, Greg. IX, I tit. 6 c.4 (Friedberg 2, 49 f.) durch Panormitanus, Prima super primi, fol. 122c (zit. nach Nörr, Kirche, 105): Nam in concernentibus fidem, etiam dictum unius privati esset praeferendum dicto papae, si ille moveretur melioribus rationibus et authoritatibus novi et veteris testamenti quam papa. – Zur Interpretation vgl. Nörr, Kirche, 131–133, der den Satz, „in Glaubensfragen sei das dictum eines wahrhaft Gläubigen dem des irrenden Konzils oder Papstes vorzuziehen“, als „Fremdkörper“ in Tudeschis Lehre bezeichnet und ausführt: Panormitanus selbst sehe nicht „den tiefen Abgrund, der diese Gedanken, werden sie konsequent durchgeführt, von der mittelalterlichen Kirche trennt. Er hat sie niedergelegt, gleichsam hingeworfen, ohne weiter über sie nachzudenken: Schon zur Frage, wie sich seine Ansichten praktisch auswirken müssten, nimmt er keine Stellung mehr. Die Verfassung der Kirche in ihrer hierarchisch-klerikalen Struktur bleibt unangetastet. Wir sehen die Einbruchstellen eines neuen Kirchenverständnisses, Tudeschis aber hat sie nicht gespürt.“ (aaO. 133). Selge, Normen, 65 Anm. 2 problematisiert Nörrs Interpretation m. E. zu Recht. Der Gedanke, dass der wahre Glaube der Kirche nicht untergehen werde, selbst wenn er nur in einem einzigen Gläubigen vorhanden sei, zählte zum kanonistischen und theologischen Traditionsgut und wurde u. a. von Ockham und den durch ihn beeinflussten von Ailly am Beispiel der Maria, die während der Flucht der Jünger den Glauben allein bewahrte, plausibilisiert. Auch wenn ein Konzil irren sollte, werde der Glaube durch einzelne Christen in der als Gesamtkörperschaft verstandenen ecclesia universalis erhalten bleiben. Vgl. Tierney, Foundations, 44; Bäumer, Nachwirkungen, 167. 172 f. 175 u. ö. Zu Ockham vgl. V. Leppin, Die Aufwertung theologischer Laienkompetenz bei Wilhelm von Ockham (in: E. Strauß [Hg.], Dilettanten und Wissenschaft. Zur Geschichte und Aktualität eines wechselvollen Verhältnisses [Philosophie und Repräsentation 4], Amsterdam/Atlanta 1996, 35–48). Panormitanus schließt sich ohne Widersprüche dieser Traditionskette an, die in der Kirche von der Möglichkeit der Fallibilität der Menschen und der kirchlichen Institutionen ausging, die Verheißung der Infallibilität aber für die gesamte Kirche, die ecclesia universalis, behauptete und durch den Glauben einzelner Christen gewahrt sah. Vgl. zum Thema: Voigt-Goy, „dictum unius privati“, 93– 114. 310 WA 1; 656,32 f. Siehe oben, Kapitel II § 2.2.4. 311 WA 2; 10,19–22: Panormitanus quoque, li: i. de elect. c. Significasti, ostendit, in materia fidei non modo generale Concilium esse super Papam, sed etiam quemlibet fidelem, si melioribus nitatur auctoritate et ratione quam Papa, sicut Petro Paulus Gal. ij. – Auf diese Stelle beruft sich Luther auch u. a. in: WA 2; 404,27–29; WA 7; 134,28–30; aaO. 431,9–12; WAT 1; 303,5–8/31–33 Nr. 645; WAB 1; 391,98–100 Nr. 174 (Luther an den Minoritenkonvent zu Jüterbog, Wittenberg, 15. 5. 1519). In seinem Brief nach Jüterbog kennzeichnet Luther die Autorität eindeutig als Schriftautorität („autoritatem [Scripturae]“, aaO. 391,98).

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II. Die Konzilsthematik im Streit um Ablass und Papsttum (bis 1518)

betonte Luther, dass sich der Papst nicht nur dem Konzil unterzuordnen, sondern generell an der Stimme Christi als oberster Norm zu orientieren habe.312 Deren „rechtes“ Verständnis könne auch einem einzelnen Christen geschenkt sein. Indem der Wittenberger Theologe jene Stelle des Panormitanus rezipierte, fundierte er auf der einen Seite die Konzilsautorität als consensus Ecclesiae, relativierte sie aber auf der anderen Seite wiederum durch den Hinweis auf die schriftgegründete Glaubensautorität eines jeden Christen. Das allgemeine Konzil (generale Concilium) stand für ihn wie der einzelne Christ in Glaubensdingen über dem Papst – freilich mit der Einschränkung: wenn es bzw. er sich auf bessere Gründe der Heiligen Schrift oder der Vernunft berufen könne.313 Der hier implizierte Gedanke, dass sich auch das Konzil an der Bibel als oberster Norm zu orientieren hatte, war somit vorgebildet, ohne aber explizit ausgesprochen zu sein! Nicht mehr im Rahmen des Verhörs, sondern im Kontext der theologischen Interpretation der gegen ihn erhobenen Vorwürfe kritisierte Luther am Ende der „Acta Augustana“ noch einmal die Papstsuperiorität gegenüber dem Konzil.314 Weil durch diese Äußerungen Luthers konziliaristische Argumentation bekräftigt wird, seien sie hier kurz dargestellt. Nachdem Luther zugestanden hatte, dass nicht in allen päpstlichen Dekretalen der wahre, rechtmäßige Sinn der Heiligen Schrift enthalten sei, differenzierte er zwischen juristischen und theologischen Interpretationen kirchlicher Entscheide. Gegenüber den Juristen, die ihre Traditionen hochheben, hätten die Theologen die Reinheit der Heiligen Schrift zu bewahren.315 Dieses gelte besonders in der augenblicklichen Zeit, in der „äußerst schädliche Schmeichler“ (nocentissimos adulatores) aufträten, die den Papst über die Konzilien erheben würden. Indem ein Konzil durch das andere verworfen werde – wie in der Diskussion mit Cajetan angeklungen, war das Basler Konzil durch das Konzil von Florenz verworfen worden –, bleibe nichts Gewisses übrig. Schließlich werde ein Mensch, der Papst, alles zugleich niedertreten, indem er über dem Konzil und unter demselben sei.316 „Über ihm, wenn er verurteilen kann, unter ihm, 312 WA 2; 10,22–25: Quod et illo i. Chorin. xiiij. [I Kor 14,30] confi rmatur: Si fuerit alteri sedenti revelatum, prior taceat. Ideo sic vocem Petri esse audiendam, ut tamen liberior sit vox Pauli eum redarguentis, porro omnium superior vox Christi. 313 Wie 1521 vor dem Wormser Reichstag führte er bereits jetzt als Kriterien eines Widerrufs bessere Schrift- und Vernunftgründe an. Siehe unten, Kapitel V § 12.2.2. 314 WA 2; 22,11–18. 315 AaO. 22,11 f.: Elevent iuristae suas traditiones, multo magis nos theologi puritatem scripturae servemus [. . .]. 316 AaO. 22, 12–16: [. . .] eoque magis, quo videmus nostro saeculo surgere nocentissimos adulatores, qui Summum pontificem ultra Concilia elevant, scilicet ut uno Concilio per alterum reprobato nullum nobis certum relinquatur, tandem omnia simul conculcet unus homo Papa, idem super Concilium et infra [. . .].

§ 3 Die Konzilsthematik in Augsburg (1518)

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wenn er vom Konzil als einem Höheren seine Autorität empfängt, durch die er wieder über dem Konzil steht.“317 Die Konzilsthematik verlassend hob Luther hervor, dass es auch Leute gebe, die behaupten, dass der Papst nicht irren könne und über der Schrift stehe. Über diese nicht näher benannten papalistischen Theologen, zu denen Luther Tetzel, Prierias und sicherlich auch Cajetan zählte, urteilte er: Sollten ihre gräulichen Lehren zugelassen werden, sei die Heilige Schrift zu Grunde gerichtet und mit ihr auch die Kirche, da in ihr nichts als Menschenwort übrigbleibe.318 Diese Aussagen bestätigen Luthers Wertschätzung des Konzils gegenüber der Oberhoheit des Papstes im Herbst 1518. Sie identifizieren Luther als Vertreter der konziliaristischen Haltung im Blick auf die Konzilssuperiorität in Glaubensdingen und untermauern die bereits für den Sommer 1518 gemachte Beobachtung, dass eine Verschiebung der kirchlichen Autoritäten zugunsten des Konzils stattgefunden hatte. Schon vor der Augsburger Reise hatte der Papst zugunsten des allgemeinen Konzils die Autorität als oberste Approbationsinstanz eingebüßt. In der Augsburger Begegnung mit Cajetan fand sich Luther in dieser Ansicht bestätigt. Dennoch lässt Luther in seinen Schriften und im Verhör weder eine eigenständige Theorie des Konzils erkennen noch formuliert er ein Bekenntnis zum Konzil als alleiniger kirchlicher Gewalt und Norm. Höchste Norm genoss beim Wittenberger Theologieprofessor die Heilige Schrift, da sie göttliche Autorität besaß und über dem Konzil als sichtbarer, kirchlicher Autorität stand. Wie sich das Verhältnis von Konzil und Schrift beim Reformator entwickeln sollte, wird im weiteren Verlauf der Untersuchung zu berücksichtigen sein. Als Konziliarist im eigentlichen Sinne kann Luther daher auch für diese Lebensphase nicht gelten, sondern er bleibt eine eigenständige Persönlichkeit, die sich in der Auseinandersetzung um die „Normen der Christenheit“ die konziliare Idee argumentativ anverwandelte.

6. Die weitere Entwicklung in Augsburg Auch die dritte Begegnung zwischen Luther und Cajetan war für beide Seiten unbefriedigend geblieben. Obgleich Cajetan im Laufe des Verhörs seine richterliche Vollmacht durchscheinen ließ319, weigerte sich Luther standhaft zu widerrufen. Für ihn ging es im Streit um den Rechtfertigungsglauben bekanntlich nicht um eine austauschbare theologische Lehrmeinung, sondern existenziell 317 AaO. 22,16–18: [. . .] supra, dum potest damnare, infra, dum accipit a concilio auctoritatem tanquam a maiori, qua fi at supra concilium. 318 AaO. 22,18–21. Deutlicher als bisher interpretierte Luther in den „Acta“ die Verlautbarungen des Papstes als Menschenworte und Menschenmeinungen. 319 Vgl. WA 2; 16,23 f.

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II. Die Konzilsthematik im Streit um Ablass und Papsttum (bis 1518)

um die schriftgemäße Wahrheit und das Evangelium. So schrieb er seinem Wittenberger Kollegen Andreas Bodenstein von Karlstadt am 14. Oktober: „Das weiß ich, daß ich der allerangenehmst und liebst wäre, wenn ich dies einig Wort spräche: ‚revoco‘, das ist: ‚Ich widerrufe.‘ Aber ich will nicht zu einem Ketzer werden mit dem Widerspruch der Meinung, durch welchen ich bin zu einem Christen worden; ehe will ich sterben, verbrannt, vertrieben und vermaledeiet werden“.320

Enttäuscht über das Disputationsverbot und voll Furcht vor dem angedrohten, gewaltsamen Vorgehen des thomistischen Richters, griff Luther zu dem von seinen Freunden empfohlenen und von dem Juristen Dr. Johannes Auer mit vorbereiteten Rechtsmittel, der Appellation.321 Am 16. Oktober trat Luther vor den Notar Gallus Kunigender von Herbrechtingen und Zeugen 322 und appellierte unter Wahrung der Rechtsform von Cajetan und dem schlechter unterrichteten Papst an den besser zu unterrichtenden Papst.323 Mit diesem Schritt erhob der Wittenberger Theologe Einspruch gegen den eingeleiteten Ketzerprozess und gegen das Verhalten des päpstlichen Legaten und unterwarf sich direkt dem Urteil des besser zu unterrichtenden Papstes.324 320

WAB 1; 217,59–63 Nr. 100. Am 14. Oktober informierte Luther Spalatin und Karlstadt über die Vorbereitung der Appellation, die als juristisches Instrument gegen eine mögliche Verhaftung durch Cajetan gedacht war. Vgl. WAB 1; 215, 48 f.; WAB 1; 216,33 f.: Aber mir wird gemacht ein Appellation, so viel es müglich ist wohl zugericht, gegründet und der Sachen bequem und gemäß. 322 Als Zeugen fungierten beim Appellationsakt, der im Karmeliterkloster stattfand, Wenzel Steinbeiß und Bartholomäus Utzmair, Pfarrer in der Diözese Augsburg. Siehe WA 2; 33,15 f. 323 Appellatio M. Lutheri a Caietano ad Papam, WA 2; (27) 28–33; DCL 2, (116) 118–126. Zum ordentlichen Rechtsmittel der Appellation, welches die im zeitgenössischen geistlichen und weltlichen Recht geläufige Berufung von einem untergeordneten Richter oder Gericht an einen übergeordneten Richter oder Gericht bedeutete, vgl. J. Weitzel, Art. Appellation (HDRG2 2. Lieferung, 2005, 268–271); Müller, Prozess, 72 f. Die Umstände und den Inhalt der von Luther vorgenommenen Appellation stellt am profundesten Selge, Normen, 149– 158 dar. Siehe auch WAB 1; 224 f. Nr. 105 (Luther an Spalatin, Wittenberg, 31. 10. 1518). – Auch wenn Luther keine über die Pariser Appellation hinausgehenden Parallelen zu früheren Appellationsverfahren zog, dürfte den befreundeten Juristen möglicherweise ein anderers Vorgehen als Vorbild gedient haben: Herzog Siegmund (oder Sigismund) von Tirol hatte am 14. Juli 1460 an den besser zu unterrichtenden Papst appelliert, bevor er sich am 13. August 1460 an den künftigen Papst und an ein künftiges allgemeines Konzil wandte. Vgl. Bäumer, Nachwirkungen, 137 f.; Becker, Appellation, 167 f. (mit weiteren Literaturangaben). Zur Appellation ausführlicher unten, Kapitel II § 4.1. 324 Einen textkritischen Vergleich dieser Appellation mit der Pariser Konzilsappellation unternimmt Thomas, Le concordat 3, 69–71. Aus dessen Gegenüberstellung ergeben sich wenige wörtliche Übereinstimmungen, welche die juristischen Formulierungen der Appellation betreffen. Inwieweit hieraus eine direkte Abhängigkeit von Luthers Appellation geschlossen werden kann, ist m. E. nicht eindeutig zu klären. Sicherlich ist es möglich, dass dem Notar und Luther die Pariser Konzilsappellation als Vorlage diente. Notwendig ist diese Annahme allerdings nicht, da zum einen das Appellationsinstrument im weltlichen und 321

§ 3 Die Konzilsthematik in Augsburg (1518)

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Die gegenüber Spalatin angekündigte Konzilsappellation hatte er aus diplomatischen Erwägungen vorerst zurückgestellt. Nach weiteren vergeblichen Versuchen, sich Cajetan briefl ich anzunähern 325, verließ Luther am 20. Oktober abends heimlich und fluchtartig Augsburg und reiste gen Nürnberg. Am 22. Oktober erhielt die Appellation Rechtskraft, indem sie durch Anschlag am Augsburger Dom veröffentlicht und Cajetan zugestellt wurde.326 Papst Leo X. reagierte auf Luthers Ablasskritik und Disputationswunsch schließlich dergestalt, dass er die schriftlich vorgetragene Ablasstheologie Cajetans aufnahm und sie am 9. November 1518 in der Dekretale „Cum postquam“ lehramtlich fi xierte.327 Die von Luther kritisierte und von Cajetan vertretene Ablasstheologie war somit dogmatisiert und zur Kirchenlehre erhoben worden.328 Einer Verurteilung Luthers als Häretiker stand nun von kirchenrechtlicher und lehramtlicher Seite eigentlich nichts mehr im Weg.

geistlichen Recht verbreitet war und zum anderen einem vorgegebenen Formalschema folgte. 325 WAB 1; 220–222 Nr. 103 (Luther an Cajetan, [Augsburg, 17. 10. 1518]); aaO. 222 f. Nr. 104 (Luther an Cajetan, Augsburg, 18. 10. 1518). 326 Vgl. WAB 1; 225 Anm. 3; Selge, Normen, 158. 327 DH 1447–1449; DCL 2, (185) 191–202. 328 Vgl. Hennig, Cajetan und Luther, 89–92; Felmberg, Ablasstheologie, 305.

§ 4 Die erste Appellation an das künftige Konzil (1518) Für die Ausprägung von Luthers Konzilsverständnis kommt der Realisierung eines angekündigten Aktes große Bedeutung zu, den er jetzt im Rahmen der gegen ihn eingeleiteten kurialen Maßnahmen vollzog: Am 28. November 1518 appellierte Luther vom Papst an ein allgemeines Konzil.329 Mit diesem von der Forschung 330 vielfach beachteten, aber kaum kontextuell interpretierten Rechtsakt vollzog Luther einen Schritt, der für die Causa Lutheri und für die weitere Entwicklung der Reformation generell von Relevanz sein sollte. Während die römische Kurie die Appellation als ketzerisches Verhalten kritisierte und 1520 in der Bannandrohungsbulle „Exsurge Domine“ erwähnte,331 forderten verschiedene Personen oder Institutionen zunehmend die Einberufung einer Synode oder eines Konzils zur Klärung der strittigen Punkte.332 Mit der Erneuerung der Appellation im Jahre 1520 (§ 10) sollte der Ruf nach einem Konzil als Entscheidungsinstanz im Glaubensstreit in den folgenden Jahren nicht mehr verstummen. Abgesehen von der politischen Dimension kommt Luthers Konzilsappellation große Relevanz für seinen Konzilsbegriff zu. Denn mit der Anrufung des Konzils – gemeint war nicht ein Provinzial-, sondern ein allgemeines Konzil – 329

Siehe WA 2; (34) 36–40 und DCL 2; 218–227. Aus der Literatur, die sich mit Luthers erster Konzilsappellation beschäftigt, seien genannt: Bäumer, Papst, 36–42. 125–129 u. ö.; Becker, Appellation, 245–249; Brecht, Luther 1, 253 f.; Brockmann, Konzilsfrage, 58–60 u. ö.; DCL 2, 215–218; Ehses, Luthers Appellation, 740–748; Hendrix, Luther and the Papacy, 68–70. 174–176; Jedin, Geschichte 1, 140 f.; E. Iserloh, Martin Luther und der Auf bruch der Reformation (1517–1525) (HKG[ J] 4, 1967, 3–114), 61; Lohse, Luthers Theologie, 132–134; Selge, Normen, 185–189; Tecklenburg Johns, Konzilsidee, 135–143 u. ö. Die Angaben von Kolde, Luther’s Stellung, 37 sind nicht nur bezüglich der von ihm getroffenen Datierung der Appellation auf den 29. November durch die Lutherforschung überholt. 331 Siehe unten, Kapitel IV § 10.1. 332 Den Gedanken, eine Provinzialsynode zur Beilegung der Streitigkeiten um Luther einzuberufen, äußerte im Winter 1517/18 beispielsweise die theologische Fakultät der Universität Leipzig auf Anfrage des Mainzer Erzbischofs. Über diese Empfehlung berichtete die Fakultät ihrem Herzog: „Sunder unser gutdunken were, das s. kf. g. aus obirkeyt sinodaliter vorsammelte s. kf. g. underworfene suffraganeos und bischofe, sunderlich die, under welchen beyde part weren, samt andern bischofen, prelaten und umliegenden universiteten, durch welcher vorstand, obirkeyt und gewalt dise sache mochte gnugsam vorhort und sinodaliter geendet und weggeleget werden.“ (Gess 1, 50,5–10 Nr. 63 [Dekan und Doktoren der theologischen Fakultät zu Leipzig an Georg, Leipzig, 26. 12. 1518]). 330

§ 4 Die erste Appellation an das künftige Konzil (1518)

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wurde jetzt von Luther eine Praxis angewandt, die in konziliaristischen Theorien ihren Ursprung hatte. Diese Beobachtung führte in der bisherigen Reformationsgeschichtsforschung zu unterschiedlichen Urteilen hinsichtlich der oben bereits angeführten zentralen Frage, ob Luther als Konziliarist zu bewerten sei oder nicht. Beispielsweise bejahte der katholische Kirchengeschichtler und anerkannte Konzilsforscher Remigius Bäumer 333 diese Frage, während evangelische Lutherforscher wie Robert Stupperich 334 und Christa Tecklenburg Johns335 diese Frage vehement bestritten. In Zuspitzung der konträren Meinungen ist zu fragen: Warum appellierte Luther an ein allgemeines Konzil, obwohl er zuvor in der „Responsio“ die Irrtumsfähigkeit dieser Institution bereits erwähnt hatte? War die Appellation ein ernsthaftes Anliegen oder lediglich ein „prozessualer Schachzug“336 ? Hoffte der Wittenberger Theologe durch die Appellation den Ketzerprozess in irgendeiner Form auf halten zu können oder war es ein propagandistisches Mittel, durch das er in der konzilsfreundlichen Öffentlichkeit Zustimmung erreichen wollte? 337 Um hier nachvollziehbare Klarheit zu erlangen, gilt es zu fragen, inwiefern Luther die Autorität des allgemeinen Konzils propagierte und ob bzw. inwieweit dieser Appellationsschritt auf der Linie seiner im Jahr 1518 vollzogenen Entwicklung des Konzilsgedankens lag. Zur Beantwortung dieser Fragen müssen neben dem Inhalt der Appellation sowohl Luthers Motive als auch die Vor- und Wirkungsgeschichte sowie der Veröffentlichungsvorgang nachgezeichnet werden. Bevor allerdings auf die Konzilsappellation näher eingegangen wird, seien, um diesen Schritt des Wittenberger Theologen besser einordnen zu können, ein paar Bemerkungen hinsichtlich der Konzilsappellation im Allgemeinen voran gestellt.

1. Das Instrument der Konzilsappellation Die Appellation, deren Geschichte bis in die Spätantike zurück reicht, ist ein Berufungsinstrument gegen Entscheidungen des Papstes an ein allgemeines Konzil.338 Der Appellant richtet sich mit seiner eingelegten Appellation gegen einen Beschluss des Papstes und ruft das Konzil an, welches als überparteiliches Institut einen kirchenrechtlichen Entscheid treffen oder einen Streit schlichten soll. Im Bewusstsein, dass ein allgemeines Konzil selten tagt, wird in der Kon333

Bäumer, Papst, 38. Stupperich, Reformatoren, 24. 335 Tecklenburg Johns, Konzilsidee, 142 u. ö. 336 Jedin, Geschichte 1, 141. 337 Vgl. Bäumer, Papst, 39. 338 Vgl. zur Geschichte der Konzilsappellation Bäumer, Nachwirkungen, 121–162 und die umfangreiche, die geschichtliche Entwicklung bis ins 19. Jahrhundert verfolgende Studie von Becker, Appellation, 1988. Einen kurzen und prägnanten Überblick bietet zudem H.-J. Becker, Art. Konzilsappellation (HDRG 2, 1978, 1139–1142). 334

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II. Die Konzilsthematik im Streit um Ablass und Papsttum (bis 1518)

zilsappellation häufig das „künftige“ Konzil als Entscheidungsinstanz angerufen. Seit dem 13. Jahrhundert nahmen die Appellationen aufgrund der sich mehrenden Auseinandersetzungen zwischen Staat und Kirche im Rahmen landeskirchlicher Bestrebungen zu und fanden im Konziliarismus des 15. Jahrhunderts ihren Höhepunkt. Zu Beginn des 16. Jahrhunderts war die Konzilsappellation ein zwar selten angewandtes, aber durchaus noch gebräuchliches Berufungsmittel gegen Urteile des Papstes. Es sei nur an die aus politischen Motiven erfolgte Konzilsappellation der Republik Venedig im Jahre 1509 sowie an die Umstände, die zur Einberufung des papstlosen Konzils in Pisa 1511 führten, erinnert.339 Weil die Konzilsappellation die Autorität des Konzils über die Papstautorität stellte, regte sich gegen dieses Instrument von Beginn an Widerstand. Die Päpste fürchteten um ihren in Anspruch genommenen Jurisdiktionsprimat und reagierten mit Appellationsverboten. So erklärte Martin V. am 10. Mai 1418 die Konzilsappellation für verboten.340 Pius II. untersagte in seiner Bulle „Exsecrabilis“ vom 18. Januar 1460 unter Androhung der Exkommunikation jegliche Appellation 341 und Julius II. erneuerte das Verbot in der Bulle „Suscepti regiminis“ vom 1. Juli 1509.342 Zur Unterstützung verwiesen die Päpste auf Kanones des 5. und 9. Jahrhunderts, in denen jede Berufung gegen ein päpstliches Urteil verboten war.343 Mit der Konzilsappellation ging ein kirchenrechtlicher Streit um die Rechtmäßigkeit dieses Instruments einher, der seine Ursache in der differenten Bewertung der Konzilien hatte und daher von spätmittelalterlichen Kanonisten und kanonistisch geschulten Theologen gegensätzlich bewertet wurde. Wäh339

Vgl. Becker, Appellation, 231–238. Weil die Bulle, die sich gegen die nach Ende des Konstanzer Konzils durch Polen vollzogene Konzilsappellation wandte, nicht publiziert wurde, ist ihre Bedeutung in der Forschung umstritten. Vgl. R. Bäumer, Das Verbot der Konzilsappellation Martins V. in Konstanz (in: A. Franzen und W. Müller [Hg.], Das Konzil von Konstanz. Beiträge zu seiner Geschichte und Theologie. FS für Hermann Schäufele, Freiburg/Basel/Wien 1964, 187–213); Becker, Konzilsappellation, 1140 f. 341 In der Bulle bekräftigte Pius II.: [. . .] huiusmodi provocationes damnamus et tamquam erroneas ac detestabiles reprobamus. – Der Text der Bulle „Exsecrabilis“ ist im Bullarium diplomatum et privilegiorum sanctorum Romanorum Pontificum Taurinensis editio [BDP] 5 (1860), 149 f., bei DH 1375 und in deutscher Übersetzung bei L. von Pastor, Geschichte der Päpste. Bd. 2: Geschichte der Päpste im Zeitalter der Renaissance von der Thronbesteigung Pius II. bis zum Tode Sixtus IV., Freiburg im Breisgau 81925, 80 f. abgedruckt. Vgl. zu den historischen Hintergründen und den Konzilsappellationen Becker, Appellation, 162– 202. 342 Die Bulle „Suscepti regiminis“ ist in BDP 5 (1860), 479–481 wiedergegeben. Zu den kirchengeschichtlichen Hintergründen vgl. Becker, Appellation, 231–243. 343 CorpIC, Decr. Grat., II Causa 9 q. 3 c.10. 16. 17 (Friedberg 1, 607. 611) und CorpIC, Decr. Grat., II Causa 17 q. 4 c.30 (Friedberg 1, 823). Vgl. Becker, Konzilsappellation, 1140. 340

§ 4 Die erste Appellation an das künftige Konzil (1518)

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rend die papalen Kanonisten wie der nicht zuletzt Cajetan und Prierias beeinflussende spanische Dominikaner und Kardinal Juan de Torquemada die Stellung des Papstes als „princeps et monarcha totius ecclesiastici principatus“ verteidigten und die päpstlichen Verbote vorzubereiten halfen 344, begründeten die Verteidiger der konziliaren Idee die Möglichkeit der Konzilsappellation.345 Von ihnen kam Panormitanus besondere Bedeutung zu. Als „führender Kanonist der Epoche des Baseler Konzils“346 nahm er zum Problem der Konzilsappellation verschiedentlich Stellung. Wie vor ihm bereits Gerson hielt er die Konzilsappellation grundsätzlich für unzulässig, wenn sie sich gegen ein Urteil richtet, das der Papst mittels seiner Amtsgewalt getroffen hatte und das den „Status“ der Gesamtkirche nicht gefährdete. Eine Konzilsappellation war für Panormitanus aber dann zulässig, wenn der Papst etwas anordnet, das erstens gegen den Glauben verstößt, zweitens den Status der Kirche tangiert und drittens in sich sündhaft ist oder ein „scandalum futurum“ zur Folge hat. In diesen drei Ausnahmefällen der Häresie, der Zerrüttung des status ecclesiae und der Bedrohung der Kirche durch ein „scandalum“ ist der Gehorsam gegenüber dem Papst zu verweigern.347 Zu Beginn des 16. Jahrhunderts nahm unter Julius II. und Leo X. die papalistische Argumentation deutlich zu, indem sie die Unvereinbarkeit der Konzilsappellation mit der absoluten Autorität des römischen Pontifex betonte. Der einflußreiche Dominikaner Cajetan hatte in der 1512 publizierten Schrift „De comparatione auctoritatis papae et concilii“ die Unanfechtbarkeit päpstlicher Urteile hervorgehoben.348 In seiner im gleichen Jahr erschienenen „Apologia“ verwarf er die Konzilsappellation zwar nicht grundsätzlich, schränkte sie aber auf ein unter dem Papst tagendes Konzil ein. An ein papstloses oder über dem Papst stehendes Konzil zu appellieren, war nach Cajetan eindeutig untersagt.349 In der Tradition de Torquemadas und Cajetans stehend, äußerte sich auch Silvester Prierias u. a. in seiner „Summa“ ablehnend zur Konzilsappellation, indem er argumentierte, dass sich eine Appellation immer von einem niedrigeren an einen höheren Richter wende, der Papst aber der höchste Richter sei. Weil die Autorität des Konzils aber vom Papst stamme und die Entscheidungen des Konzils nur durch päpstliche Approbation Gültigkeit hätten, sei jegliche Behauptung, die die Konzilsappellation erlaube, häretisch.350

344 Vgl. zu den „Anwälten der päpstlichen Monarchie“ ausführlich Becker, Appellation, 331–338. Zu Torquemadas Kritik an der Konzilsappellation, die er vornehmlich in seiner 1453 vollendeten „Summa de ecclesia“ ausführte, siehe aaO. 334–337; Sieben, Traktate, 58. 345 Vgl. hierzu Becker, Appellation, 318–326. 346 AaO. 318. 347 Vgl. aaO. 318–324; Bäumer, Nachwirkungen, 131 f. 348 Vgl. Hennig, Cajetan und Luther, 13–29, bes. 24–29. 349 Vgl. Becker, Appellation, 356–359. 350 Vgl. Bäumer, Prierias, 293 f.

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II. Die Konzilsthematik im Streit um Ablass und Papsttum (bis 1518)

2. Der Weg zur Konzilsappellation Die Absicht, an ein allgemeines Konzil zu appellieren, hatte Luther erstmals am 10. Oktober 1518 gegenüber Spalatin schriftlich in Augsburg geäußert.351 Nach einem ausführlichen Gespräch mit dem Gesandten des Grafen von Montferrat, Urbanus von Serralonga, der ihn darauf hingewiesen hatte, dass über die Papstgewalt in Glaubensdingen nicht disputiert werden dürfe,352 und nach Warnungen vor der Gefährlichkeit des Kardinals Cajetan erwog Luther die Maßnahme der Appellation. In einem Brief an den kurfürstlichen Sekretär sagte er, nachdem er Grüße an seine Wittenberger Freunde hatte ausrichten lassen: „Denn es ist gewiß, dass ich an ein künftiges Konzil [Concilium futurum] appellieren werde, wenn der ehrwürdige Herr Legat mehr mit Gewalt als mit Recht [magis vi quam iudicio] wird handeln wollen.“353 Aus dieser Notiz lassen sich zwei Aspekte herausfi ltern: Zum einen wirkte die Erwähnung der Konzilsappellation gegenüber dem Briefpartner nicht als ein neuer, sondern vertrauter Gedanke. Es dürfte daher wahrscheinlich sein, dass das Instrument der Appellation im Vorfeld der Augsburger Reise mit Spalatin und verschiedenen kursächsischen Freunden diskutiert worden war. Zum anderen wies Luther auf den Anlass der Konzilsappellation hin. Sollte das Gespräch mit Cajetan, auf dessen Beginn er zu diesem Zeitpunkt noch wartete, gewaltsame Maßnahmen gegen Luther nach sich ziehen, sehe sich der Wittenberger Theologe gezwungen, an ein künftiges Konzil zu appellieren. Der Gedanke an das Instrument der Konzilsappellation diente Luther somit als Vorsichtsmaßnahme, da zu befürchten stand, dass die Begegnung mit Cajetan zu seiner Verhaftung genutzt werden könnte. Bei Inkrafttreten dieser Eventualität trat in den Augen der den Wittenberger Theologen beratenden Juristen ein eindeutiger Rechtsbruch ein, weil sich der Kardinal dann nicht an die Verabredung mit dem Kurfürsten gehalten hatte.354 Die Appellation wäre daraufhin als eine notwendige und legitime Gegenmaßnahme durchzuführen. Ob Luther auf die Möglichkeit der Konzilsappellation hingewiesen oder auf sie selbständig aufmerksam wurde, kann aufgrund fehlender Quellen nicht eindeutig beantwortet werden. Am wahrscheinlichsten ist, dass die juristischen Berater dem Theologieprofessor dieses Rechtsmittel aufzeigten und es ihm für den eventuellen Verhaftungsfall empfahlen. Möglicherweise war die Genese dieses 351

WAB 1; 209 f. Nr. 97. Vgl. aaO. 209 f.; Selge, Normen, 110 f. 353 WAB 1; 210,59 f.: Nam certum est me appellaturum Concilium futurum, si d. R. Legatus magis vi quam iudicio voluerit agere. 354 Ähnlich Selge, Normen, 111 f., der den juristischen Charakter stärker hervorhebt: „Und wenn die Annahme stimmt, es habe sich um eine Idee der Juristen gehandelt, muß man auch einen einfachen juristischen, nicht einen theologischen Grund dafür annehmen: das befürchtete ‚gewaltsame‘, der Zusage an den Kurfürsten zuwiderlaufende Verfahren des Kardinals.“ 352

§ 4 Die erste Appellation an das künftige Konzil (1518)

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Gedankens sogar mit dem Bekanntwerden der oben erwähnten Konzilsappellation der Pariser Universität vom 27. März 1518 verknüpft. Es dürfte nahe liegen, dass sich Luthers Freunde hierdurch ermutigt sahen, Luther auf dieses Rechtsmittel, welches die immerhin einflussreiche Pariser Sorbonne gegen den Papst eingelegt hatte, hinzuweisen. Vorerst stellte Luther aber den konziliaren Appellationsplan zurück und appellierte auf Anraten seiner Freunde in Augsburg vom schlecht unterrichteten an den besser zu unterrichtenden Papst.355 Am Plan der Konzilsappellation hielt Luther für den Fall fest, dass die vorgenommene Appellation vom Papst abgewiesen würde, wie Christoph Scheurl an Otto Beckmann unter Berufung auf Staupitz und Link am 21. Oktober berichtete.356 Von Augsburg nach Wittenberg zurückgekehrt, schrieb Luther noch am Tag der Ankunft, dem 31. Oktober, erneut an Spalatin betreffs der Konzilsappellation.357 In diesem Brief bekräftigte er seinen Willen zur Appellation an ein künftiges Konzil, verknüpfte ihn aber jetzt mit der in Augsburg vollzogenen Appellation an Papst Leo X. Während er diese als erste Appellation bezeichnete, bemerkte er: „Unterdessen, da ich hier [in Wittenberg] angelangt bin, will ich eine andere Appellation an ein künftiges Konzil zurichten, und werde mich an die Pariser hängen für den Fall, dass der Papst aus der Fülle seiner Macht, ja vielmehr seiner Tyrannei, die erste Appellation zurückweisen sollte.“358

Die Konzilsappellation bereitete Luther jetzt für den Fall vor, sollte, was er nach der Begegnung mit Cajetan in Augsburg für realistisch hielt, der Papst die erste Berufung abweisen. Auffällig ist neben der Begründung und Konkretisierung des Appellationsplanes der nicht näher erläuterte und somit für Spalatin verständliche Hinweis, sich an die Pariser hängen zu wollen. Damit war die Konzilsappellation der Pariser Universität gemeint. Wie bereits aus dem Gespräch mit Cajetan am 12. Oktober hervorging,359 war Luther die Pariser Konzilsappellation und möglicherweise auch die Verurteilung durch Leo X. bekannt. Dass er aber eine Vorlage der Pariser Konzilsappellation „in ihrer ganzen umständlichen Schwerfälligkeit“360 – so die Behauptung von Stephan Ehses – seiner eigenen Appellation zu Grunde legte, ist auf355

Siehe oben, Kapitel II § 3.7. Scheurl, Brief buch II, 51 f. Nr. 170 (Scheurl an Otto Beckmann, 21. 10. 1518): Martinus perseveranter renuit, appellat pontificem et hunc melius informandum, appellat futurum concilium si ita opus fuerit. 357 WAB 1; 224 f. Nr. 105. 358 AaO. 224,10–13: Interim hic positus aliam parabo appellationem ad futurum Concilium, adhesurus parrhisiensibus, in eventum, quo hanc priorem appellationem de plenitudine potestatis, immo tyrannidis refutaret papa. 359 WA 2; 8,15. 360 Ehses, Luthers Appellation, 740. 356

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grund dieser Äußerung Luthers gegenüber Spalatin keineswegs ausgemacht.361 Wie bereits Jules Thomas 1910 akribisch nachwies, beschränkten sich die wenigen Übereinstimmungen zwischen der Pariser Appellation und den beiden Berufungsurkunden Luthers lediglich auf wenige juristische Formalia.362 Werden weitere Konzilsappellationen, u. a. die 1520 von Andreas Bodenstein von Karlstadt vorgenommene Appellation, vergleichend hinzugezogen,363 schrumpfen die inhaltlichen Übereinstimmungen mit der Pariser Appellationen auf einen geringen Rest.364 An den von der Pariser Sorbonne vorgetragenen Sachverhalten war Luther nicht interessiert, da sie mit seinem, die eigene Person betreffenden Fall nicht zu vergleichen waren. Daher zielte Luther mit seinem Hinweis, sich an die Pariser zu hängen, nicht auf die Sache, sondern auf die Rechtmäßigkeit seines Vorhabens. Weil dieses Mittel von den Päpsten nicht nur in Glaubensdingen untersagt war sowie eine umstrittene und gegen die richterliche Autorität des Papstes gewandte Maßnahme bildete, unterstützte die Erwähnung des Pariser Vorgehens den legitimen Rechtsakt der Appellation. Denn mit der jüngsten Konzilsappellation hatte sich die damals bedeutendste Universität über die päpstlichen Appellationsverbote hinweggesetzt und sie nicht anerkannt. Dieser Rechtsauffassung schloss sich Luther an, so dass formuliert werden kann: In diesem Sinn diente die Pariser Konzilsappellation Luther als Vorbild. Inwiefern Spalatin und Kurfürst Friedrich III. auf Luthers Appellationsvorhaben reagierten, ist nicht näher bekannt. In den Briefen von November 1518 – auch in der ausführlichen Stellungnahme Luthers an Friedrich bezüglich eines Schreibens von Cajetan um den 21. November365 – taucht eine erneute Mittei361 Wenn Ehses ebd. behauptet, dass die Appellation Luthers „in solcher Eile“ geschah, „daß er sich nicht die Zeit nahm, eine eigene Fassung zu entwerfen“, muss ihm widersprochen werden. Die wenigen briefl ichen Äußerungen Luthers bezüglich der Ausarbeitung der Konzilsappellation geben keine Hinweise auf einen möglichen Zeitdruck, sondern vermitteln den Eindruck, dass Luther sehr behutsam die Appellation vorbereitete. Vgl. auch Tecklenburg Johns, Konzilsidee, 135. 362 Vgl. Thomas, Le concordat 3, 69–74, der die Appellation in Augsburg und die Konzilsappellation in Wittenberg mit der Pariser Appellation verglich. Vgl. auch den abgedruckten Auszug der Pariser Appellation in DCL 2, 227 Anm. 41. 363 Bäumer, Papst, 37 Anm. 13 weist auf die Konzilsappellation der Polen in Konstanz (1418) und auf die Appellation des Mainzer Erzbischofs Diether von Isenburg (1461) hin. – U. Bubenheimer, Consonantia Theologiae et Iurisprudentiae. Andreas Bodenstein von Karlstadt als Theologe und Jurist zwischen Scholastik und Reformation [ JusEcc 24], Tübingen 1977, 195–198 machte auf die von der Forschung fast vergessene Konzilsappellation Karlstadts am 19. Oktober 1520 aufmerksam und druckte sie als Beilage aaO. 292–300 ab. Bei einem Vergleich mit Luthers Appellationen fällt eine wörtliche Ähnlichkeit im notariellen Beglaubigungsabschnitt zu Beginn und am Schluss der Berufung auf, so dass anzunehmen ist, dass Luther und Karlstadt bzw. ihren Notaren ein festes Appellationsformular zu Grunde lag. 364 Vgl. Bäumer, Papst, 37, der Iserloh, Martin Luther, 61 korrigiert. Dieser hatte angenommen, dass Luther „im Wortlaut“ der Sorbonne folgte. 365 WAB 1; 236–246 Nr. 1102.

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lung über das Vorhaben nicht auf. Erst am 9. Dezember erwähnt Luther den Vollzug der Appellation in einem Brief an Spalatin.366

3. Die Gründe für die Konzilsappellation Die Gründe, die letztlich zur Konzilsappellation führten, sind in den sich für Luther nach dem Augsburger Verhör dramatisch zuspitzenden Entwicklungen zu fi nden. Auf seinem Rückweg nach Wittenberg war ihm durch Spalatin eine Briefsendung zugespielt worden, die auch eine Abschrift des päpstlichen Breves „Postquam ad aures“ für Cajetan vom 23. August enthielt.367 In ihm war Luther als notorischer Ketzer bezeichnet und Cajetan die Vollmacht erteilt worden, Luther bei Widerstand gegen die päpstliche Lehre als Ketzer, Exkommunizierten, Verdammten und Verfluchten öffentlich zu bezichtigen, zu verhaften und zur Auslieferung nach Rom überstellen zu dürfen. Luther hielt dieses Dokument anfänglich für eine Fälschung, da etwas so Ungeheuerliches kaum von Papst Leo X. ausgehen könne, fügte es aber der Druckfassung seiner Augsburger Verhandlungsakten bei.368 Auf die Fertigstellung dieses bereits im vorigen Paragraphen als Quelle herangezogenen Rechenschaftsberichts, der „Acta Augustana“, konzentrierte er sich nach seiner Rückkehr.369 Durch die „Acta“ wollte Luther die christliche Öffentlichkeit über den Verlauf des Augsburger Verhörs informieren und sie an der ausbleibenden Widerlegung seiner sogenannten Irrtümer teilhaben lassen. Am 19. November erhielt Kurfürst Friedrich der Weise das Schreiben Cajetans, das dieser am 25. Oktober verfasst hatte.370 In ihm teilte der Kardinal dem Kurfürsten die Einlösung seines Versprechens mit, Luther väterlich und nicht richterlich verhört zu haben. Er beklagte sich bei Friedrich über Luthers Uneinsichtigkeit und ausgebliebenen Widerruf sowie über die plötzliche Abreise des Mönches. Außerdem ermahnte er den Kurfürsten, Luther nach Rom auszuliefern oder aus seinem Land zu verjagen, und ließ ihn wissen, dass man die Sache in Rom nicht aufschieben, d. h. den Ketzerprozess zügig durchführen werde.371 366 WAB 1; 263 f.,15 f. Nr. 118 (Luther an Spalatin, [Wittenberg,] 9. 12. 1518): Appellavi etiam ad futurum Concilium. 367 Das päpstliche Breve fi ndet sich abgedruckt in den „Acta Augustana“: WA 2; 23–25 und DCL 2, 62–66. 368 WAB 1; 105,25. 369 Vgl. WA 2; (1) 6–26. 370 WAB 1; 233–235 Nr. 1101. 371 AaO. 234,79–82: Postremo, illud sciat Illustrissima Dominatio Vestra, nequaquam hoc tam grave et pestilens negotium posse diu haerere, nam Romae prosequentur causam, quando ego lavi manus meas, et ad Sanctissimum Dominum, Dominum nostrum, huiusmodi fraudes scripsi.

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Eigenhändig fügte er am Briefende noch hinzu, dass Friedrich weder der Ehre seiner Vorfahren noch seiner eigenen Ehre einen Schandflecken wegen eines „Brüderchens“ (fraterculus) zufügen lassen dürfe.372 Den Brief Cajetans schickte der Kurfürst nach Erhalt in Abschrift an Luther mit der Bitte um Stellungnahme, die er wiederum dem Kardinal zuzusenden beabsichtigte. Luther antwortete dem Kurfürsten mit einem in Latein abgefassten, umfangreichen Bericht, in dem er den Verlauf der Augsburger Begegnung mit Cajetan schilderte und über dessen unnachgiebige Forderung nach Widerruf berichtete.373 Der Wittenberger Theologe forderte darin wie schon zuvor in Augsburg, dass man ihn der beschuldigten Irrtümer mit überzeugenden Gründen überführen möge und er, sollte er nicht widerrufen, vom Kurfürst verfolgt, von der Universität preisgegeben und von Christus vernichtet werden könne. Weil er aber bisher nicht seines Irrtums überführt sei, könnten die vorgebrachten Verdammungsgründe nicht überzeugen. Ihm gehe es bei diesem Verfahren weniger um seine Person als vielmehr um die Wahrheit, die der Kurfürst zu schützen habe. Das Land werde er verlassen, um seinem Landesherrn Schwierigkeiten zu ersparen.374 Gegen die Forderung, Luther bei Exkommunikation des Territoriums zu verweisen, protestierte die Wittenberger Universität am 23. November in einem von Luther entworfenen Schreiben an den Kurfürsten und verlangte eine begründete Widerlegung der Lehren Luthers.375 Dass Friedrich der Weise gegenüber Cajetan in seinem Schreiben vom 7. Dezember 1518 mit deutlichen Worten für Luther Partei beziehen und sich für dessen Bleiben in Wittenberg einsetzen würde,376 war Luther in den Tagen vor der Appellation nicht bekannt. Täglich erwartete er das Eintreffen des päpstlichen Exkommunikationsbescheids, wie Luther seinen Briefpartnern am 25. November mitteilte.377 Gegenüber Spalatin äußerte er, dass er alles ordne und vorbereite, um zu gehen, wenn ihn der Bann treffe. Wohin er gehen solle, wisse er nicht.378 Der konkrete Auslöser für die wenige Tage später vollzogene Appellation an das allgemeine Konzil war zweifelsohne das Schreiben Cajetans an den Kur372

WAB 1; 235,85–90. Siehe den als Quelle für die Darstellung des Verhörs bereits verwendeten Bericht: WAB 1; 236–246 Nr. 1102. Vgl. auch Ludolphy, Friedrich der Weise, 407, die darauf aufmerksam macht, dass Luther im Brief die engen Verbindungen zwischen ihm und dem kursächsischen Hof gegenüber Außenstehenden bewusst nicht erwähnte. 374 Brecht, Luther 1, 252 bewertet den Brief an den Kurfürsten mit den Worten: „Das ist unbestreitbar einer der ganz großen Lutherbriefe.“ 375 WAB 12; 16 f. Nr. 4215 (=111a) (Von Luther entworfenes Schreiben der Wittenberger Universität an Kurfürst Friedrich den Weisen, Wittenberg, 23. 11. 1518). 376 WAB 1; (249) 250 f. Nr. 1103 (Kurfürst Friedrich an Kardinal Cajetan, 7./8.? 12. 1518). Vgl. über die Maßnahmen des Kurfürsten Ludolphy, Friedrich der Weise, 406–409. 377 WAB 1; 256 f. Nr. 113 (Luther an Christoph Langenmantel in Augsburg, Wittenberg, 25. 11. 1518); WAB 1; 257 f. Nr. 114 (Luther an Staupitz, Wittenberg, 25. 11. 1518). 378 WAB 1; 253 f. Nr. 112 (Luther an Spalatin, [Wittenberg,] 25. 11. 1518). 373

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fürsten. Weil der päpstliche Legat dem Kurfürsten darin offen gedroht und die Appellation Luthers an den Papst mit keinem Wort erwähnt hatte,379 fand sich Luther in einer schwierigen und völlig offenen Situation. Der Prozess gegen ihn wurde in der römischen Kurie vorangetrieben und das Exkommunikationsurteil gegen ihn vorbereitet. Die Wahrscheinlichkeit, Wittenberg und Kursachsen verlassen zu müssen, rückte in greif bare Nähe. Dennoch fühlte sich Luther durch Christus bestärkt, in der Sache nicht weichen zu dürfen, wie er Staupitz mitteilte.380 In dieser hochbrisanten Lage setzte sich bei Luther die Erkenntnis durch, dass die Kurie und mithin der Papst selbst gegen ihn opponierten und seine bisherige Meinung, zwischen akademischen Gegnern und päpstlichem Glaubensrichter unterscheiden zu können,381 aufgegeben werden müsse. Die Folge war, dass Luther seine bereits Anfang Oktober geäußerte Absicht jetzt konkret werden lies und sich vom Papst als Richter an das die gesamte Christenheit repräsentierende Forum des allgemeinen Konzils wandte. Seine Appellation an das künftige Konzil war daher folgerichtig.

4. Der Inhalt der Appellation Am 28. November gegen 3 Uhr nachmittags bekundete Luther in der neben der Wittenberger Stadtkirche gelegenen Fronleichnamskapelle seine Appellation. Als Zeuge des Rechtsaktes und Notar amtete Christoph Behr aus Konstanz, durch „heilige apostolische und kaiserliche Gewalt öffentlicher Notar“und Vizecomes, der unter anderem durch den Zeugen Hieronymus Papiß, Kleriker des bischöfl ichen Domkapitels, begleitet wurde.382

4.1. Die Appellation an das künftige, im Heiligen Geist versammelte Konzil Die Appellation begann mit einer notariellen Beglaubigung, in der das Datum und Luther als die appellierende Person genannt wurden. In juristischer Terminologie wurden darauf die für eine Appellation notwendigen Formalia getroffen. Hierzu zählten die Erwähnung des Berufungs- und Appellationszettels („provocationis et appellationis papyri schedulae“), die Bitte um Verweisungsbriefe („apostolos“) und die Nennung der Institution, an die appelliert wurde. 379

Vgl. Selge, Normen, 166. WAB 1; 258,22 f.: Video eos fi rmasse propositum damnandi me, rursus fi rmat Christus propositum non cedendi in me. 381 Borth, Luthersache, 54. 382 WA 2; 40,33–37. 380

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Der Appellationszettel, den Luther – nach Auskunft des notariellen Zeugnisses – vorbereitet in seinen Händen hielt und der nach der Einleitung des Notars abgedruckt ist, begründete inhaltlich die Appellation. Außerdem benötigte der Appellierende einen rechtswirksamen Verweisungsoder Gezeugnisbrief („apostoli“), der ihm die Erlaubnis gab, die Sache vor ein höheres Gericht oder eine höhere Instanz zu bringen. Diese Scheine standen dem Appellierenden von Rechtswegen zu.383 Die Institution oder der Richter, gegen die sich Luther wandte, („iudex a quo“) war der Papst. Die Instanz, an die Luther appellierte, („iudex ad quem“) bildete das nächste, unmittelbar künftige, im Heiligen Geist rechtmäßig versammelte Konzil.384 Mit dieser Näherbestimmung des Konzils, die noch nicht die Attribute „frei“ und „christlich“ enthielt,385 schloss sich Luther der zeitgenössischen Appellationspraxis an ein „künftiges“ Konzil an. Das Konzil charakterisierte Luther als im Heiligen Geist rechtmäßig versammelt, welches die traditionell grundlegende Konzilsdefi nition darstellte.386 Denn sowohl in Konzilsdekreten und in papalen wie konziliaren Begründungen leitete sich die Rechtmäßigkeit der Konzilsversammlung von der unmittelbaren göttlichen Einwirkung und geglaubten Anwesenheit des Heiligen Geistes ab.387 383 Im kanonischen und gemeinen Prozessrecht zur Zeit Luthers existierten sogenannte Apostelbriefe („apostoli“, „litterae dimissoriae“), die bei Berufungen einer Partei gegen eine Entscheidung der unteren Instanz an eine höhere Instanz zum Tragen kamen. In der Regel musste eine Appellation oder Berufung, die sich an die übergeordnete Instanz oder Oberrichter („iudex ad quem“) wandte, bei der unteren Instanz oder dem erstinstanzlichen Richter („iudex a quo“) eingelegt werden. Der Unterrichter erstattete mittels des Apostelbriefs über den Verlauf und ordnungsgemäßen Ablauf des Verfahrens Bericht, wenn er die Appellation für zulässig erachtete, und übertrug durch dieses Instrument – auch als „apostoli reverentiales“ genannt – das Rechtsverfahren an die obere Instanz. Sollte die untere Instanz durch Abwesenheit verhindert sein oder die Erteilung eines Apostelbriefes verweigern, konnte der Apostelbrief durch einen notariellen Gezeugnisbrief („apostoli testimoniales“) ersetzt werden. Letzteres Verfahren trat im Falle Luthers ein, da der Papst als „iudex a quo“ sowohl abwesend war, als auch eine Appellation an das Konzil als „iudex ad quem“ untersagt hatte, so dass mittels „apostoli testimoniales“ die Appellation Rechtsgültigkeit erhielt. Vgl. F. Merzbacher, Art. Apostelbrief (HDRG 1, 1971, 195 f.). 384 WA 2; 36,17 f.: [. . .] ad Concilium proxime et immediate futurum, saltem in spiritusancto legitime congregatum [. . .]. 385 Bäumer, Papst, 38 behauptet, dass Luther an „ein zukünftiges, gesetzmäßiges, freies Konzil“ appellierte. Das trifft allerdings in der Terminologie für die Konzilsappellation von 1518 noch nicht zu, so dass Bäumer hier aufgrund des Wortbestandes zu korrigieren ist. 386 Dass ein Konzil unmittelbar vom Heiligen Geist inspiriert war, zählte zur ältesten kirchlichen Konzilstradition. Die Geistinspiriertheit wurde im Laufe der Geschichte auf die gesamte kirchliche Konzilsinstitution übertragen und zu den Gedanken der Geistanwesenheit und des Geistbeistandes erweitert. Vgl. Brockmann, Konzilsfrage, 81–83; Sieben, Konzilsidee der Alten Kirche, 315; Ders., Konzilsidee des lateinischen Mittelalters, 184. 387 Die Wendung „in Spiritu sancto legitime congregata“ fi ndet sich nicht nur in dem Dekret „Haec sancta“ des Konstanzer Konzils (COD3 409,19), sondern bildet die Begründungskonstante in zahlreichen anderen Dekreten und Beschlüssen insbesondere der Konzilien des 15. Jahrhunderts (z. B. COD3 514,9 Konzil von Ferrara). Vgl. zum Prinzip der

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Andere Zusammenkünfte, Gruppen oder private Versammlungen, die dieser Bestimmung nicht entsprachen, waren ausgeschlossen.388 In seinem der Einleitung folgenden Appellationszettel („dicta appelationis schedula“) beruft sich Luther auf sein Recht von einer niedrigeren an eine höhere Instanz zu appellieren. Die Appellationsmaßnahme sei ein Hilfsmittel, das zur Unterstützung der Unterdrückten von den Urhebern des Rechts geschaffen worden sei.389 Weil ein heiliges Konzil, das im Heilgen Geist rechtmäßig versammelt sei und die heilige katholische Kirche repräsentiere, in Glaubenssachen über dem Papst stehe, könne der Papst als niedrigere Instanz eine Konzilsappellation nicht verbieten. Sollte er es dennoch tun, handle er gegen sein Amt.390 Die Appellation sei eine Verteidigung, die nach göttlichem, natürlichem und menschlichem Recht jedem zukomme und von niemandem, selbst vom Papst nicht, zu verhindern sei.391 In dieser der inhaltlichen Ausführung vorangestellten Begründung legitimierte Luther seine Konzilsappellation, indem er die päpstlichen Appellationsverbote für illegitim erklärt. Erstmalig in seinen bisherigen Äußerungen zum Konzilsthema führte er jetzt eine Konzilsdefi nition an, die einzelne bis dahin getroffene Aussagen vereinte: Das heilige, im Heiligen Geist rechtmäßig versammelte Konzil repräsentiere die heilige katholische Kirche, d. h. die gesamte Christenheit.392 Der Repräsentationsgedanke, den Luther bereits in ähnlicher Form in seiner „Responsio“ geäußert hatte,393 zählte wie die Begründung durch den Heiligen

konziliaren Christus- und Geistbegnadetheit des Konzils (von Basel) J. Wohlmuth, Konziliarismus und Verfassung der Kirche (Conc[D] 19, 1983, 522–526) 523 f. – Für die Rechtmäßigkeit der päpstlichen Konzilien gehörte darüber hinaus die Einberufung und Leitung durch den Papst (z. B. COD3 514,7–9). 388 WA 2; 36,19: [. . .] aliis vero congregationibus, factionibus et concionibus privatis penitus seclusis [. . .]. 389 AaO. 36,22–26: Cum appellationis remedium in subsidium et relevamen oppressorum a iurium conditoribus sit adinventum et non solum ab illatis, verum etiam ab inferendis et inferri comminatis gravaminibus et iniuriis iura appellare permittant, adeo quod inferior de non appellando ad superiorem statuere non possit et manus superiorum claudere, [. . .]. 390 AaO. 36,26–31: sed cum satis sit in professo, sacrosanctum Concilium in spiritusancto legitime congregatum, sanctam ecclesiam catholicam repraesentans, sit in causis fidem concernentibus supra Papam, evenit, quod nec Papa in causis huiusmodi, ne ab eo ad Concilium appelletur, statuere possit, tanquam id agens quod ad officium suum non spectet ullo modo [. . .]. 391 AaO. 36,31 f.: sitque appellatio ipsa defensio quaedam, quae iure divino, naturali et humano cuique competit, neque per principem auferri possit [. . .]. 392 Auch wenn hier von der katholischen Kirche gesprochen wird, meint Luther in Rezeption des Begriffs nicht die partikulare römische Kirche, sondern die das Generalkonzil konstituierende „ecclesia universalis“, von der er u. a. in seiner „Responsio“ gesprochen hatte. 393 Siehe WA 1; 656,36 f.

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Geist substantiell zur Konzilsdefi nition und wurde in zahlreichen traditionellen Konzilsdekreten vorangestellt.394 Während die auf dem Repräsentationsgedanken und der Geistbegnadetheit beruhende Konzilsdefi nition sowohl von unter dem Papst als auch über dem Papst stehenden Konzilien getroffen werden konnte, ventilierte Luther in der Verhältnisbestimmung von Papst und Konzil eindeutig konziliaristische Positionen: Weil das Konzil die Vertretung der katholischen Kirche sei, komme dem Konzil die höchste Autorität „in causa fidem“ zu und stehe über dem Papst. Aufgrund der Superiorität des Konzils in Glaubensangelegenheiten bestritt Luther dem Papst die Kompetenz, Konzilsappellationen zu verbieten. Weil die Aussage über die Konzilssuperiorität das zentrale konziliaristische Argument bildete, wurde in der Forschung häufiger die Meinung vertreten, Luther habe sich der im Dekret „Haec sancta“395 des Konstanzer Konzils getroffenen Defi nition explizit angeschlossen.396 Bei einem direkten Vergleich fällt auf, dass sich zwar in der allgemeinen Konzilsdefi nition wörtliche Übereinstimmungen fi nden, eine wörtliche Berufung auf die dem Konzil unmittelbar von Christus gegebenen Gewalt und somit auch auf die konziliaristische Begründung aber fehlt.397 Auch wenn der Sache nach in diesem Zusammenhang konziliare Parallelitäten gefunden werden, ein Beleg dafür, dass sich Luther

394 Zur Wendung „ecclesiam catholicam (militantem) repraesentans“ siehe COD3 409,23; 416,14 f. u. ö. Es ist auffällig, dass Luther den Zusatz „kämpfende“ oder „streitende“ Kirche an dieser Stelle weglässt. Über den Repräsentationsgedanken siehe oben, Kapitel II § 2.2.4 mit Angabe von weiterführender Literatur. Diese ergänzend sei u. a. auf die Thematisierung des „Prinzips der Repräsentativität und Konziliarität“ bei Wohlmuth, Konziliarismus, 523 hingewiesen. 395 Zum Dekret „Haec sancta“, das in der 5. Sitzung des Konzils am 6. April 1415 verabschiedet wurde, siehe COD3 409 f. 396 So noch jüngst Brandmüller, Konzil von Konstanz 2, 430, der ohne Beleg notierte: „Es ist nur folgerichtig, wenn er [Luther] sich dabei wörtlich an Formulierungen in Haec sancta anschloß; zwei Jahre später wiederholte er seine Konzilsappellation.“ Vgl. auch Lohse, Luthers Theologie, 133 Anm. 311 und Bäumer, Papst, 128: „In Wirklichkeit hat Luther wörtlich die Worte des Konstanzer Dekrets ‚Haec Sancta‘ angeführt und – im Gegensatz zur Appellation der Pariser Universität den Hinweis auf die Superiorität des Konzils in Glaubenssachen hinzugefügt.“ Behutsamer äußert sich Brockmann, Konzilsfrage, 58 f. 397 COD3 409,22–27: Et primo declarat, quod ipsa in Spiritu sancto legitime congregata, generale concilium faciens, et ecclesiam catholicam militantem repraesentans, potestatem a Christo immediate habet, cui quilibet cuiuscumque status vel dignitatis, etiam si papalis exsistat, obedire tenetur in his quae pertinent ad fidem et exstirpationem dicti schismatis, ac generalem reformationem dictae ecclesiae Dei in capite et in membris. – Die von mir kursiv gesetzten Worte fi nden sich in der Konzilsdefi nition WA 2; 36,26–28: sacrosanctum Concilium in spiritusancto legitime congregatum, sanctam ecclesiam catholicam repraesentans, sit in causis fidem concernentibus supra Papam [. . .].

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diesem oder ähnlichen Dekreten 398 explizit anschloss, fi ndet sich hier nicht.399 Die Aussage über die Superiorität des Konzils gehörte schlichtweg zum Grundbestand jeder konziliaren Konzeption, welche normativ im Konstanzer Dekret „Haec sancta“ formuliert worden war.400 Die Äußerung über die Konzilssuperiorität, die von Luther nicht historisch oder ekklesiologisch vertiefend begründet wurde – es handelte sich hier bekanntlich um eine Appellation und nicht um eine kanonistische oder theologische Abhandlung –, reichte für seine Zeitgenossen als Beweis aus, um Luther als konzilistischen Gesinnungsgenossen wahrzunehmen. Diesen allgemeinen Aussagen über die Rechtmäßigkeit der Konzilsappellation fügte Luther einige Bemerkungen zu seiner Person sowie zu seinem Appellationsbegehren an und versicherte feierlich, nicht gegen die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche zu sein und nichts gegen das Ansehen des heiligen apostolischen Stuhls und seines Papstes Gewalt sagen zu wollen. Allerdings schränkte er die „Protestatio“ mit dem Nebensatz ein: „wenn er gut beraten ist“.401

4.2. Die Begründung durch die päpstliche Fallibilität Der „Protestatio“ folgten programmatische Aussagen, die Luthers kritische Haltung gegenüber dem Papst verstärkten.402 Weil sie in der notariell beglaubig398 Hierunter ist vor allem das Konstanzer Dekret „Frequens generalium conciliorum celebratio“ (COD3 438–443) vom 9. Oktober 1417, in dem die Superiorität des Konzils über einen Papst nicht mehr generell, sondern auf den Fall eines neuen Schismas beschränkt wurde, zu zählen. 399 Dass Luther die die Superiorität des Konzils über den Papst thematisierenden Dekrete von Konstanz und Basel mit keinem Wort in seiner Appellation erwähnte, betont Tecklenburg Johns, Konzilsidee, 138, die hieraus allerdings fälschlicherweise folgert, dass Luther „bewußt und in voller Absicht auf diese konziliaristische Argumentation verzichtete, eben weil sie seiner Auffassung nicht entsprach.“ Dem widerspricht Bäumer, Papst, 41 zu Recht mit dem Hinweis auf das von Luther angeführte Argument der Superiorität des Konzils in Glaubensdingen. 400 Ideengeschichtlich kulminieren die konziliaristischen Konzeptionen zwar im Dekret „Haec sancta“ und weiteren Dekreten der Reformkonzilien von Konstanz und Basel, so dass Bäumer, Papst, 126. 128 in sachlicher Perspektive zuzustimmen ist. Weil sich aber Luther hier und in späteren Äußerungen – gerade in Bezug auf die Diskussion um das Konstanzer Konzil – keineswegs auf die Dekrete von Konstanz und Basel beruft, sollte von der Anlehnung an eine allgemein konziliaristische Konzeption, nicht aber von einer direkten Abhängigkeit und wörtlichen Übernahme gesprochen werden! 401 WA 2; 36,32–37,6. Das Motiv des gut beratenen Papstes, welches Luther bereits in seiner ersten Appellation verwendet hatte, diente dazu, sich vom schlecht beratenen Papst Leo X. abzuheben. Siehe aaO. 39,40. 402 WA 2; 37,8–28. Selge, Normen, 187 äußert treffend: „Diese zwanzig Zeilen [. . .] sind ein Katechismus für die Grenzen der Autorität des Papsttums“. Siehe auch die Aussagen zur päpstlichen Fehlbarkeit in WA 1; 582,19–21. 583,2–4. 656,30–33. 685,19–22; WA 2; 10,8– 17. 22,18 f.

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II. Die Konzilsthematik im Streit um Ablass und Papsttum (bis 1518)

ten Appellation geäußert wurden, kam ihnen höchste Bedeutung zu, begründete Luther doch hier die päpstliche Fallibilität mit seiner menschlichen Herkunft: Der Papst, der das Geschick Gottes auf Erden leite, sei ein Mensch „wie wir“, der aus Menschen genommen und als ein Mensch nach Hebr 5,1 f. mit Schwachheit umgeben sei. Er könne „irren, sündigen, lügen und eitel werden“ und sei „nicht von dem Spruch der Schrift ausgenommen: ‚Jeder Mensch ist ein Lügner‘“ (Ps 116,11).403 Mit diesen Sätzen hob Luther die Irrtumsfähigkeit des Papstes hervor, welche die Grundlage für einen eventuell notwendigen Widerstand gegen den Papst bildete. Dieser Widerstand ging für Luther bereits auf die Zeit der Apostel zurück und kulminierte in dem in Gal 2,14 beschriebenen Verhalten des Petrus. Dieser erste und heiligste aller Päpste stellte sich gegen die Wahrheit des Evangeliums und musste von Paulus getadelt werden. Aus dem apostolischen Beispiel leitete Luther nicht nur das Widerstandsrecht der Gläubigen, sondern – wie Kurt-Victor Selge zu Recht betont – ihre Widerstandspfl icht ab.404 Sollte ein Papst aufgrund der Schwachheit Petri oder anderer Ursachen fallen, etwas lehren oder beschließen, das gegen die göttlichen Gebote verstoße, sei ihm nicht nur der Gehorsam zu verweigern, sondern mit Paulus Widerstand zu leisten. Die geringeren Glieder seien um des ganzen Leibes willen verpfl ichtet, durch fromme Fürsorge der Schwachheit des Hauptes entgegen zu wirken.405 Hieraus lässt sich folgern: Alle Christen haben nach Luther das Handeln des Papstes vom Evangelium her zu beurteilen und, wenn nötig, korrigierend einzugreifen. In dieser Argumentation aus der Heiligen Schrift bezüglich des Papsts bestritt Luther zwar nicht die päpstliche Primatstellung und dessen Gewalt in der Kirche. Er ordnete sie aber ihrer geschichtlichen Genese zu und begrenzte sie auf ihre menschlich-fehlbare Gestalt. Der Papst als schwacher, irrtumsfähiger Mensch unterlag nach dem Zeugnis der Heiligen Schrift dem geistgewirkten Urteil der Gläubigen, die ihm bei Fehlentscheidungen korrigierend zu Hilfe kommen sollten. Die Autorität des Papstes wurde somit beschränkt und der Autorität der ganzen Christenheit untergeordnet. Weil die Gesamtchristenheit im allgemeinen Konzil repräsentiert werde, wandte Luther seinen Fokus auf das Konzil als höhere kirchliche Instanz. Dieses, so darf im Gesamtzusammenhang interpretiert werden, müsse dem fehlgeleiteten Papst widerstehen und ihn an seine ursprünglichen, evangeliumsgemäßen Amtspfl ichten erinnern.

403 WA 2; 37,9–12. Der Bezug auf den Hebräerbrief macht den signifi kanten Unterschied zwischen dem aus den Menschen genommenen Hohenpriester und Christus als Hohenpriester deutlich. Während Christus die Autorität göttlichen Rechts besitzt, bleibt der Papst mit seiner Gewalt auf der Seite der Menschen beschränkt. Vgl. Selge, Normen, 188. 404 Vgl. Selge, Normen, 187. 405 WA 2; 37,21 f.

§ 4 Die erste Appellation an das künftige Konzil (1518)

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Die Argumentation mündete in einer weiteren Begründung der Appellation: Sollte der Widerstand der Christenheit aufgrund der Machtverhältnisse unmöglich sein, bleibe für die Unterdrückten nur die Appellation als Hilfsmittel („remedium“) übrig.406

4.3. Die Einwände gegen den römischen Ketzerprozess Im zweiten Teil seines Appellationszettels beschrieb Luther den Sachverhalt und die gegen ihn vorgetragenen Beschuldigungen.407 Sie mündeten in dem Grundvorwurf, der römische Prozess gegen ihn weise Rechtsverletzungen aufgrund von Machtmissbrauch auf. Vom Umfang her leicht verändert, in der Aussage aber identisch, skizzierte Luther wie in seiner Appellation an den Papst408 den Verlauf des Ablassstreites. Er begann mit seiner Kritik an der Ablasspraxis, die er mit der Autorität verschiedener Kanones begründete und deren wissenschaftlicher Klärung die 95 Disputationsthesen dienten. Luther berichtete weiter, dass die Ablassprediger gegen diese Thesen öffentlich Protest erhoben, ihn als Ketzer verschrieen und ihn vor dem Papst als der Häresie verdächtig angezeigt hätten. Die im Zuge des ausgelösten Ketzerprozesses erforderliche Anhörung Luthers, die ursprünglich in Rom stattfi nden sollte, sei nach Augsburg verlegt und durch Kardinal Cajetan durchgeführt worden. Weil aber Cajetan Luthers theologische und kirchenrechtliche Einwände nicht akzeptiert und ihn unter Androhung von Gewalt zum Widerruf aufgefordert habe, habe er an den besser zu unterrichtenden Papst Leo X. appelliert. Über die Reaktion auf die erste Appellation äußerte sich Luther enttäuscht, da sie vom Papst verachtet werde. Luther betonte hingegen, dass er bis heute nichts anderes begehre, als dass ihm seine Irrtümer nachgewiesen werden würden. Doch statt diesen Nachweis zu führen, ermittele der römische Hof weiter gegen ihn, bereite seine Verdammung vor, dränge ihn mit tyrannischer Gewalt seine Meinung zu widerrufen, die er im Gewissen für wahrhaftig halte,409 und versuche ihn vom Glauben an Christus und der wahren Schrifterkenntnis abzubringen. Hiergegen wandte Luther ein, dass die Gewalt des Papstes nicht gegen noch über, sondern unter der Heiligen Schrift und der Wahrheit stehe und dem Papst verliehen sei, um die irrenden Schafe zurückzurufen und nicht zu verderben.410 Bei der tatsächlichen päpstlichen Praxis fürchtete Luther aber, dass in Zukunft niemand mehr Christus zu bekennen und die Heilige Schrift in der 406

AaO. 37,28–30. AaO. 37,30–39,39. 408 Vgl. aaO. 28,32–32,30. 409 Siehe zur Gewissensthematik oben, Kapitel II § 3.4.1. 410 WA 2; 39,31–34: cum potestas Papae non contra nec supra sed pro et infra scripturae et veritatis maiestatem sit nec potestatem Papa acceperit oves perdendi, in luporum fauces 407

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II. Die Konzilsthematik im Streit um Ablass und Papsttum (bis 1518)

Kirche zu lehren wage.411 Schließlich sorgte sich der Wittenberger Professor, von dem wahren, christlichen Glauben zu den leeren und lügenhaften Meinungen der Menschen gewaltsam gedrängt zu werden.412 Weil der christliche Glaube und die Heilige Schrift durch das päpstliche, rein menschliche Verhalten in ihrer Existenz bedroht seien, sehe er keinen anderen Ausweg als an das allgemeine Konzil als Forum der gesamten Christenheit zu appellieren.413 In feierlicher Form berief und appellierte („provocare et appellare“) Luther daher vom nicht recht beratenen Papst und den mit ihrem Bann und Ketzerurteil wartenden Richtern für sich und seine Anhänger an ein künftiges Konzil, das rechtmäßig und an einem sicheren Ort versammelt sei und zu dem er oder sein Anwalt frei kommen könne.414 Mit dieser Notiz erweiterte Luther seine Vorstellung von einem künftigen Konzil. Es solle nicht nur rechtmäßig (im Heiligen Geist) versammelt sein, sondern auch an einem vor kurialen Nachstellungen sicheren Ort – eine Grundforderung der protestantischen Politiker seit 1521 – tagen. Der freie Zugang müsse gewährleistet sein. Allerdings charakterisierte er das Konzil noch nicht explizit als „freies“ Konzil.415 Seine Ausführungen beendet Luther mit den für eine Appellation üblichen rechtlichen Versicherungen und der Forderung nach Appellationsscheinen „primo, secundo, tercio instanter, instantius et instantissime“416 , wodurch er sich gegen eine mögliche Ungültigkeit der Appellation wehrt. Wie zu Beginn wird die Appellation Luthers durch die juristischen Mitteilungen des Notars Christoph Behr von der Bezeugung des Rechtsaktes, der Beurkundung der Rechtmäßigkeit der Appellation und der Ausfertigung der geforderten Appellationsscheine oder Verweisungsbriefe an Luther abgerundet.417 proiiciendi et in errores errorumque magistros tradendi, sed ad veritatem (sicut pastorem et episcopum, vicarium Christi, decet) revocandi [. . .]. 411 AaO. 39,35–37: ex quibus me laesum gravatumque sentiens, cum tali violentia videam futurum esse, ut nullus etiam ipsum Christum audeat confiteri nec scripturas sacras in ecclesia sua propria profiteri [. . .]. – Der Aspekt, dass die Autorität des Wortes Gottes durch den Papst und seine Schmeichler in der Christenheit in größter Gefahr geraten ist, bildet das Grundmotiv für Luthers vehementes Auftreten und für seinen Apell an die gesamte Christenheit. Vgl. auch Selge, Normen, 189 Anm. 1. 412 WA 2; 39,37–39: atque ita me quoque a vera, sana christianaque fide et intelligentia in vanas et mendaces hominum opiniones violenter protrudi et in seductorias populi christiani fabulas urgeri: [. . .]. 413 AaO. 39,39–40,20. 414 AaO. 40,10 f.: [. . .] ad futurum concilium legittime ac in loco tuto, ad quem ego vel procurator per me deputandus libere adire potero vel poterit [. . .]. 415 Siehe hierzu unten, Kapitel IV § 9.2. 416 AaO. 40,13 f. 417 In diesem Zusammenhang ist auf eine juristische Schwierigkeit aufmerksam zu machen. Da Luther die Appellationsscheine oder Verweisungsbriefe nicht von der niedrigeren Instanz, hier dem Papst, noch von der höheren Instanz, dem Konzil, erhalten konnte, musste der Notar versichern, ihm diese als Zeugnisbriefe auszustellen.

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Die Rechtsurkunde wird durch Nennung des Datums, des Orts und der Namen der Zeugen beschlossen.418

5. Die Publikation der Appellation Nach dem Rechtsakt bat Luther seinen Drucker Johann Grunenberg, Kopien der Appellation in Plakatform anzufertigen und diese an ihn zurückzugeben. Für den Fall des Eintreffens des päpstlichen Bannes wollte er sie vorrätig halten und nach seinem Weggang der Öffentlichkeit durch Anschlag und Druck bekannt machen.419 Mitte Dezember berichtete Luther jedoch an Wenzeslaus Link, dass die gedruckten Exemplare der Konzilsappellation ohne sein Wissen fast vollständig verkauft und somit bereits in die Öffentlichkeit gelangt seien.420 Er äußerte sein Missfallen über diesen unautorisierten Vorgang, bemerkte aber schlicht: „sed actum est.“ Eigentlich wollte er sie gedruckt bei sich auf bewahren, aber Gott habe andere Gedanken gehabt.421 Etwas ausführlicher ging Luther am 20. Dezember gegenüber Spalatin auf diesen Vorgang ein.422 Dort betonte er, dass er mit dem Drucker verabredet habe, dieser solle ihm alle gedruckten Exemplare gegen Bezahlung aushändigen. „Aber der gute Mann, bedacht auf seinen Gewinn, hatte sie, während ich wartete, dass er sie bringe, zuvor fast alle verkauft.“423 Luther versicherte, dass er als Letzter von diesem Vorgang erfahren habe, über den er sehr ärgerlich sei. Aber es sei geschehen und er könne den Vorgang nicht ungeschehen machen.424 Auch die „Acta Augustana“ seien zuvor ohne sein Zutun bis auf den letzten Bogen verbreitet worden. Weil in diesen Vorgang das durch Spalatin mitgeteilte kurfürstliche Publikationsverbot eintraf, sei er um der Vollständigkeit willen genötigt gewesen, den letzten Bogen herauszugeben.425 Nun tue ihm die Her418

WA 2; 40,31–37. Vgl. WA 2; 34. 420 WAB 1; 270 f. Nr. 121 (Luther an Link, [Wittenberg,] 18. 12. 1518). In diesem theologiegeschichtlich bedeutenden Brief äußerte er auch erstmals die Vermutung, dass „der wahre Antichrist“, wie Paulus ihn abmahle, am römischen Hofe regiere. Dass als Datum der Herausgabe der Konzilsappellation der 10. Dezember anzunehmen ist, wie WA 2; 34 aufgrund der Datierung des Briefes an Link auf den 11. Dezember behauptet, ist nach der durch WAB 1; 269 f. vorgenommenen Datierung auf den 18. Dezember nicht haltbar. Über den Antichristvorwurf siehe unten, Kapitel III § 5.2. 421 AaO. 270,15–17. 422 WAB 1; 280 f. Nr. 124 (Luther an Spalatin, Wittenberg, 20. 12. 1518). 423 AaO. 281,9 f.: At bonus homo, suis lucris intentus, cum ego expectarem, ut afferret, prius fere omnes vendiderat. 424 AaO. 281,11 f.: Et ego novissimus omnium tandem editas cognovi. fui satis in eum stomachatus. Sed actum erat. infectum facere nequivi. 425 AaO. 281,12–17. 419

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ausgabe der beiden Schriften sehr leid, nachdem er den vortreffl ichen Brief des Kurfürsten an Cajetan gelesen habe.426 Einen Tag später versicherte er Spalatin im Ton deutlich gelassener, dass er vorerst in Wittenberg bleiben und auf die Reaktion aus Rom warten werde. Die bei Luther zu beobachtende Entspannung der lebensbedrohlichen Situation war durch das Votum des Kurfürsten veranlasst worden, dessen Schutz er sich jetzt gewiss sein konnte. Auch teilte Luther Spalatin mit, dass er bezüglich des öffentlichen Anschlags der Appellation an allen Orten die Juristen zu Rate ziehen werde.427 Ob Luthers Konzilsappellation durch förmlichen Aushang publik wurde, ist nicht bekannt. Möglicherweise hatte Luther auf Anraten seiner Rechtsberater von dieser Maßnahme Abstand genommen, weil zum einen das Verdammungsurteil durch die römische Kurie (noch) nicht eingetroffen war, zum anderen die Appellation bereits auf anderem Weg in die Öffentlichkeit gelangt war und zum dritten die sich um Luther bemühende Politik des Kurfürsten eine hinreichende Schutzmaßnahme bildete. Trotz dieser Sachlage wurde der Veröffentlichungsvorgang der Konzilsappellation in der Forschung häufiger problematisiert. So fragte Erwin Iserloh, wie ein „Akt von so großer Tragweite“ entgegen Luthers Absicht „mehr oder weniger zufällig ausgelöst“ werden konnte.428 Im Anschluss an Iserloh unterstrich Remigius Bäumer, dass Luthers Schreiben an Wenzeslaus Link „nur vordergründig glaubhaft sei“. Vielmehr sei der Druck „aus einem propagandistischen Motiv“ heraus geschehen, um die öffentliche Meinung „entsprechend“ zu beeinflussen. Die Behauptung Luthers, die Appellation sei gegen seinen Willen veröffentlicht worden, müsse man „als eine Entschuldigung gegenüber Spalatin werten“.429 Die Luther unterstellte Absicht einer bewusst gelenkten Veröffentlichung und einer in seinen Briefen vorgenommenen Verschleierungstaktik ist ein Interpretationsversuch, der weder den Quellen noch der Situation Luthers gerecht wird. Indizien für eine von Luther selbst initiierte Veröffentlichung ergeben sich aus den mitgeteilten Texten nicht. Auch der von Bäumer gegen Scott H. 426 AaO. 281,18–20: Nunc multo magis utrorumque editionis me penitet, postquam vidi Egregias has Literas Illustriss[imi] principis nostri ad dominum R. Legatum. – Hiermit war der Brief Friedrichs an Cajetan vom 7. oder 8. Dezember 1518 gemeint: WAB 1; 250 f. Nr. 1103 und DCL 2, (131) 133–135. 427 WAB 1; 282 f. Nr. 125 (Luther an Spalatin, Wittenberg, 21. 12. 1518): De Appellatione figenda ubilibet Consulam Iurisperitos. (282,27). 428 Iserloh, Martin Luther, 61: „Müssen wir ihn [Luther] dann nicht eines unverantwortlichen Leichtsinns bezichtigen? Oder haben wir mit einem diplomatischen Schachzug zu rechnen, durch den Luther den sächsischen Hof vor fertige Tatsachen stellen wollte, ohne gegen dessen klare Weisungen gehandelt zu haben?“ In der Tat hatte sich der Kurfürst gegen eine voreilige Publikation der „Acta Augustana“ gewandt und womöglich auch gegen eine Veröffentlichung der Konzilsappellation. 429 AaO. 61 f.; Bäumer, Papst, 39.

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Hendrix430 angeführte Hinweis auf die parallele Argumentation bei der Verbreitung der Ablassthesen gegen Luthers Willen kann nicht recht überzeugen.431 Es ist vielmehr umgekehrt zu fragen: Warum sollte Luther dem Drucker die Schuld an der Herausgabe geben, wenn er selbst dieses Verfahren beabsichtigt oder gar initiiert hatte? Und welchen Grund hatte Luther, gegenüber Link und Spalatin die Unwahrheit zu sagen oder gar zu lügen? Die Einwände, der Kurfürst habe die Publikation nicht befürwortet, so dass Luther sich zu dieser (konstruierten) Version genötigt fühlte, kann nicht den explizit geäußerten Ärger Luthers über den Vorgang erklären. Es ist hingegen anzunehmen, dass sich der Vorgang in der Tat so ereignete, wie Luther ihn schilderte. Aufgrund mangelnder Sorgfalt war der Appellationstext ohne sein Wissen in die Öffentlichkeit gelangt, für die er nicht zuletzt bestimmt war. Und dieser Vorgang konnte Luther in seiner verzweifelten Situation, als Gottes Wille gedeutet, durchaus Recht sein. Weil er weiterhin den Bannspruch aus Rom und bis Mitte Dezember die Stellungnahme des Kurfürsten in seiner Sache fürchtete, hoffte er auf öffentliche Unterstützung. Die christliche Öffentlichkeit, an deren Vertretung er appellierte, sollte in Luthers Sache selbst urteilen und womöglich tätig werden. Luthers Konzilsappellation fand schnell Verbreitung. In Kürze entstanden Nachdrucke in Wittenberg, Leipzig und Venedig.432 Am 19. oder 20. Dezember schrieb Scheurl aus Nürnberg an Luther, dass er neulich sehr betrübliche Nachrichten gehört hätte. Luther habe sich vom Volk verabschiedet, habe an ein Konzil appelliert („appellasse concilium“) und sei ratlos und von allem Schutz verlassen geflohen. Ohne die Konzilsappellation näher zu thematisieren, führt Scheurl zwei Beispiele von Appellationen vom Papst an Gott bzw. Christus an, die in einer ähnlichen Verfolgungssituation von Einzelpersonen getätigt wurden.433 An diesen Glaubensbeispielen habe er sich getröstet. Jetzt sei er aber froh, dass Luther nach wie vor in Wittenberg sei und wieder predige.434 In weiteren der Nachwelt erhaltenen Briefen an oder von Luther wurde die Konzilsappellation bis in das Frühjahr 1519 hinein nicht mehr erwähnt. Andere Themen und Maßnahmen in der Luthersache rückten in den Vordergrund. In den Augen seiner Zeitgenossen, insbesondere der römischen Kurie, galt Luther aufgrund seiner Konzilsappellation jetzt eindeutig als Anhänger der konziliaren Theorie.435 430

Hendrix, Luther and the Papacy, 175. Bäumer, Papst, 127. 432 Vgl. Benzing, 32 f., Nr. 240–248. 433 Hierbei handelt es sich um die von Antoninus von Florenz berichtete Appellation von 1376 in Avignon und die durch Baptist Fregosos um 1480 mitgeteilte Appellation vom Papst an Christus. Vgl. Walch 2 21,1, 125. 434 WAB 1; 272–275 Nr. 122 (Scheurl an Luther, Nürnberg, 19./20. 12. 1518). 435 Vgl. Becker, Appellation, 249; Brockmann, Konzilsfrage, 60. 431

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II. Die Konzilsthematik im Streit um Ablass und Papsttum (bis 1518)

6. Die Beurteilung der Appellation: Luther als Konziliarist? Wie ist nun aber die Konzilsappellation innerhalb Luthers reformatorischer Entwicklung zu bewerten? War sie nur ein kurzes juristisches Manöver des in die Enge getriebenen Mönchs und somit ein „prozessualer Schachzug“? Oder stand hinter der Appellation die feste Überzeugung, durch ein künftiges allgemeines Konzil werde die eigene Sache tatsächlich entschieden? Die wenigen überlieferten Erwähnungen der Konzilsappellation aus Luthers Feder, die geringe Aussicht auf Erfolg eines solchen künftigen Unternehmens, welches Luther in den „Resolutiones“ selbst beklagte,436 und die Appellationsverbote des Papstes scheinen die Manöverthese zu unterstützen. Von einem Manöver im Sinne eines Ausweichmanövers oder Scheinmanövers zu sprechen, nimmt die hinter dem Rechtsakt der Appellation stehende Autorität in ihrer kirchenrechtlichen Dimension aber nicht ernst. Wenn Luther an ein Konzil appellierte, dann suchte er nicht ein Manöver zu inszenieren oder einen Aufschub in seinem Prozess zu erreichen, sondern eine Entscheidung in seiner Sache herbeizuführen. Weil der Papst, von dem er seit der Zusendung der „Resolutiones“ am 31. Mai bis zur Papstappellation vom 18. Oktober ein christliches Urteil erwartet hatte, (durch seine Berater) verblendet war, trat an dessen Stelle die Autorität des Konzils als Forum der gesamten christlichen Kirche, durch welche die Wahrheit und das Evangelium wieder zur Geltung gebracht werden437 und der Papst zur evangeliumsgemäßen Amtsführung ermahnt werden sollte. Das Konzil und mithin die Konzilsappellation hatten für Luther somit dienenden Charakter. Die Appellation war ihm ein ernstgemeintes Hilfsmittel und das Konzil die dem Remedium entsprechende kirchliche Institution! Um sich dieses Hilfsmittels zu bedienen, übernahm Luther die gängigen spätmittelalterlichen Konzilsvorstellungen, wie er sie bereits in den „Resolutiones“, in der „Responsio“ und gegenüber Cajetan angedeutet hatte, und ergänzte sie um die wenigen zudem noch formal gehaltenen Aussagen über das künftige an einem sicheren Ort im Heiligen Geist versammelte Konzil als Repräsentation der christlichen Kirche. Alle Aussagen über das Konzil, die Luther in seiner Appellation traf, waren nicht genuin lutherisch. Daher folgerten verschiedene Wissenschaftler, dass Luther, weil er eindeutig konziliaristisches Gedankengut übernahm, nunmehr selbst Konziliarist sein müsse.438 In seiner Replik auf Hendrix unterstrich Bäu436

WA 1; 584,17 f. Dass ein Konzil die Wahrheit und das Wort Gottes wieder zur Geltung bringen sollte, hatte Luther in ähnlicher Weise bereits in dem Entwurf der Synodalrede geäußert. Siehe oben, Kapitel II § 1.2. 438 Bäumer, Papst, 128 urteilte: „Hier zeigt sich eindeutig die Nachwirkung des Konziliarismus auf Luther“. 437

§ 4 Die erste Appellation an das künftige Konzil (1518)

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mer diese These, indem er zum einen Hendrix’ Gegenthese, Luther sei kein Konziliarist, als aus einem „einseitigen Konziliarismusbegriff “ geschöpft kritisierte.439 Zum anderen betonte er gegen Hendrix’ Ansicht, dass ein Konziliarist derjenige sei, der die Autorität des Konzils über die des Papstes stelle.440 Wird der Begriff des Konziliaristen auf denjenigen konzentriert, der lediglich die Superiorität des Konzils über den Papst behauptet, so trifft diese von überwiegend katholischen Forschern wie Remigius Bäumer441 und den Herausgebern der „Dokumente zur Causa Lutheri“, Peter Fabisch und Erwin Iserloh,442 vorgenommene Bewertung in der Tat zu. Von Tecklenburg Johns wurde diese Position mit der Begründung abgelehnt, dass Luther ein neues, vom Evangelium geleitetes Konzilsverständnis verfolgte und daher kein Konziliarist gewesen sein könne.443 Obgleich die Rezeption konziliaristischer Ideen auch von Tecklenburg Johns nicht geleugnet werden kann, ist das von ihr für das Jahr 1518 behauptete neue Konzilsverständnis durch die in diesem Kapitel untersuchten Schriften nicht belegbar. Sehr wohl zeichnete sich bei Luther eine Entwicklung hin zu einer neuen, reformatorischen Kirchen- und Konzilstheorie ab. Aber noch hatte er diese Konzilstheorie weder aus dem Evangelium noch der kanonistischen Tradition abgeleitet und ausgebildet. Gleichwohl wird die Bewegung spürbar, die das Konzil zwar als Repräsentation der Gesamtchristenheit und Approbationsorgan in Dienst nehmen konnte, ihm aber nicht mehr – wie bei den spätmittelalterlichen Konziliaristen – die Funktion der höchsten und alleinigen Lehrinstanz zuwies. Stattdessen setzte sich die Entwicklung fort, in welcher Luther die Heilige Schrift zunehmend zur grundlegenden Autorität erklären und über alle kirchlichen Dogmen und Institutionen stellen sollte.444

439 Hendrix, Luther and the Papacy, 69: Luther „does not argue the conciliaristic thesis that the pope derives his authority from a council or the council derives its authority from Christ.“ 440 Bäumer, Papst, 126: „Gegen Hendrix muß betont werden, daß Luther in Wirklichkeit ganz entschieden einen Konziliarismus vertreten hat. Nach ihm steht das Konzil in Glaubensfragen über dem Papst.“ 441 Bäumer, Papst, 43. 125. u. ö. 442 DCL 2, 218. 443 Tecklenburg Johns, Konzilsidee, 142 f.: „Demnach kann aus der Konzilsappellation Luthers und aus der Art und Weise, in der er dieselbe vollzog, nicht auf eine konziliare Gesinnung des Reformators geschlossen werden. [. . .] Luther war kein Konziliarist, und er hat daraus auch nie einen Hehl gemacht.“ Dagegen wehrte sich Bäumer, Papst, 43, der die überwiegende Zustimmung der evangelischen Rezensenten zu dieser These nicht nachvollziehen konnte. Allerdings wurde in den Rezensionen, die Tecklenburg Johns zustimmten, Luthers eigenständiger Konzilsbegriff in seiner entfalteten Form (und nicht in der sich im Jahr 1518 entwickelnden Form) zu Recht positiv hervorgehoben vgl. Lohse, Rez. zu Tecklenburg Johns, 211 f.; Schwarz, Rez. zu Tecklenburg Johns, 526 f.; Kohls, Rez. zu Tecklenburg Johns, 260 f. 444 Vgl. auch Lohse, Luthers Theologie, 133, der positiv, aber durchaus behutsam Teck-

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II. Die Konzilsthematik im Streit um Ablass und Papsttum (bis 1518)

Im traditionellen Sinne verstand sich Luther nicht als Konziliarist.445 Sonst hätte er sich zum einen in den persönlichen Briefen, in denen er zahlreiche Gedanken zuerst verbalisierte, bevor er sie an die Öffentlichkeit brachte, deutlicher als ein solcher zu erkennen gegeben. Auch hätte er sich zum anderen in seinen Schriften noch eindeutiger auf Vertreter des Konziliarismus, beispielsweise auf Panormitanus, gestützt, konziliaristische Argumente pointiert vorgetragen und das Dekret „Haec sancta“ explizit thematisiert. Es trifft hier erneut das zu, was bereits oben für Luther festgestellt wurde: Im Verlauf der Auseinandersetzung um die Autorität des Papstes übernahm Luther zunehmend konziliare Argumente und Ideen, die in der Konzilsappellation ihren praktischen und kirchenrechtlichen Höhepunkt fanden. Folglich bediente sich Luther im Streit um die päpstliche Gewalt einer vorgegebenen Position und Praxis, die er eigenständig für seine Zwecke umwandelte und – sollte sich die Situation verändern – auch wieder ablegen konnte.446 Auf diesem Hintergrund ist die Frage, ob Luther Konziliarist war, mit einem Ja und einem Nein zu beantworteten: Im Jahr 1518 wirkte Luther als Konziliarist, indem er die Superiorität des Konzils über den Papst in Glaubensdingen betonte und sich somit deutlich vom Primat des Papstes gegen Tetzel, Prierias und Cajetan abgrenzte. Luther war aber nicht in dem Sinne Konziliarist, dass er das Konzil zur höchsten Norm stilisierte, sondern es als oberster kirchlicher Entscheidungsinstanz immer der Norm der Heiligen Schrift und somit dem Wort Gottes unterordnete und von dort her relativierte. Es sei angemerkt, dass nach dem kurfürstlichen Schreiben die Konzilsappellation für Luther nur noch juristische Bedeutung hatte. Denn während im Dezember 1518 die Konzilsappellation für großes Aufsehen unter Luthers Freunden gesorgt und ihm selbst die Sympathien der konziliaristischen Parteigänger eingetragen hatte, zog Luther selbst vorerst keine Konsequenzen aus der Betonung des Konzils als kirchlicher Urteilsinstanz oder theologischem Schiedsrichter in seiner Angelegenheit. Stattdessen hoffte Luther weiterhin auf eine akademische Disputation über die strittigen Fragen und eine Entscheidung durch unparteiische Universitäten.

lenburg Johns Meinung über den Unterschied zwischen Luther und dem Konziliarismus rezipiert. 445 Er verstand sich aber auch noch nicht als „Scripturalist“, wie Hendrix, Luther and the Papacy, 68 gegen Bizer, Papst, 9 f. betont. 446 Ähnlich Lohse, Luthers Theologie, 134: „Für Luthers Position gab es kein direktes Vorbild in der Vergangenheit. Am ehesten konnte er sich allerdings mit bestimmten Gedanken des Konziliarismus identifi zieren; das hat er hier getan, dabei aber zugleich seinen abweichenden Standpunkt deutlich gemacht.“

III.

Die Entwicklung des reformatorischen Konzilsverständnisses (1519) Es ist hinlänglich bekannt, dass die Leipziger Disputation1 im Sommer 1519 für die Entwicklung von Luthers Konzilsinterpretation von höchster Bedeutung war und zu einer Bewusstwerdung seiner reformatorischen Konzilsvorstellung führte. Allerdings ist bisher nicht untersucht worden, welche relevanten Vorkommnisse und theologischen Entscheidungen zur Ausprägung seiner Leipziger Konzilsaussage führten. War die Luther von Eck abgerungene These, Konzilien könnten irren und hätten tatsächlich geirrt, der spontanen Situation geschuldet oder war sie ein öffentliches Zutagetreten eines länger währenden Prozesses? In der Tat wurde die Konzilsthematik bereits im Vorfeld der Disputation für den Wittenberger Theologen akut. Bei seiner intensiven Vorbereitung auf die öffentliche Auseinandersetzung studierte Luther u. a. die altkirchlichen Konzilsentscheide und fand sich durch sie in seiner Kritik am Papstprimat bestätigt. Wie und welche Konzilien der Alten Kirche nun für Luther argumentativ von Relevanz wurden und welche Auswirkungen dies auf sein kirchliches Autoritätsverständnis hatte, muss in einem eigenen Paragraphen analysiert werden (§ 5). Sodann ist die Leipziger Disputation selbst zu betrachten und im Hinblick auf die Dynamik der Konzilsthematik im Streitgespräch nachzuzeichnen. Gefragt werden muss, inwiefern konziliare Argumente von Luther und Eck wechselweise vorgetragen, welche Konzilsbeschlüsse thematisiert und welche Konturen bezüglich der Konzilsautorität ausgestaltet wurden. Durch die systematischchronologische Hervorhebung dieser Aspekte anhand des Disputationsverlaufes werden die unterschiedlichen Facetten der Thematik – wie z. B. die Bewertung

1 Die Leipziger Disputation bildete über die Heidelberger Disputation (1518) hinaus den theologiegeschichtlichen Höhepunkt von Luthers akademischer Disputationstätigkeit. Zur Orientierung über Luther und die Disputationen sei empfohlen: B. Lohse, Luther als Disputator (Luther 34, 1963, 97–111); A. Schubert, Libertas Disputandi. Luther und die Leipziger Disputation als akademisches Streitgespräch (ZThK 105, 2008, 411–442); R. Schwarz, Art. C.I.9. Disputationen (LuH, 328–340); E. Wolf, Zur wissenschaftsgeschichtlichen Bedeutung der Disputationen an der Wittenberger Universität im 16. Jahrhundert (in: Ders., Peregrinatio II. Studien zur reformatorischen Theologie, zum Kirchenrecht und zur Sozialethik, München 1965, 38–51).

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III. Die Entwicklung des reformatorischen Konzilsverständnisses (1519)

des Konstanzer Konzils und des Konzils von Nicäa – anschaulich und innerhalb Luthers theologischer Entwicklung verortet (§ 6). Schließlich soll die nach der Disputation beginnende Entfaltung des kritischen Konzilsverständnisses in den Blick genommen und gefragt werden, welche Konsequenzen Luther aus den Leipziger Erfahrungen und Erkenntnissen zog. In welcher Weise er den vom Ingolstädter Theologen gegen Luther erhobenen Ketzervorwurf nun seinerseits gegen Eck wendete, in welcher Art er Bewertungskriterien an die Rechtmäßigkeit von Konzilsentscheiden anlegte und inwiefern er jetzt zu einem zunehmend reformatorischen Konzilsverständnis vordrang, wird kontextuell zu bestimmen und theologisch zu defi nieren sein (§ 7).

§ 5 Die altkirchlichen Konzilien im Vorfeld der Leipziger Disputation Während der Vorbereitung auf die Leipziger Disputation studierte der Wittenberger Professor die kirchlich anerkannten Begründungen der päpstlichen Primatsgewalt anhand von Quellentexten und entwickelte aufgrund seiner wachsenden Überzeugung von der Autorität der Heiligen Schrift und der Geschichte der Alten Kirche eine gesteigerte Wertschätzung einzelner Kirchenväter und verschiedener altkirchlicher Konzilien und Konzilsentscheidungen. Insbesondere die Aufwertung der altkirchlichen Konzilien bereitete in Abgrenzung zum päpstlichen Primatsanspruch Luthers Leipziger Aussagen über das Konzil vor. Dieser Aspekt wurde trotz der Studien von Kurt-Victor Selge 2 und Leif Grane3 von der Lutherforschung bisher übersehen, so dass es Aufgabe der folgenden Untersuchung sein wird, zu erkunden, in welchem Zusammenhang und in welcher Form Luther die altkirchlichen Konzilien und ihre Beschlüsse thematisierte. Um diese Aufgabe kontextuell umsetzen zu können, muss der Fortgang der Luthersache und die Vorgeschichte der Leipziger Disputation mit in die Darstellung einbezogen und auf die in diesem Zusammenhang getroffenen Konzilsaussagen geachtet werden.

1. Die Luthersache zwischen Konzilsappellation und Leipziger Disputation Luthers rapide schwindendes Interesse am Konzilsthema hing unmittelbar mit der weiteren Entwicklung des römischen Prozesses zusammen, welcher Ende des Jahres 1518 ins Stocken geraten war. Die Stagnation des Verfahrens resultierte unter anderem aus der Kaiserwahlpolitik der Kurie, die den sächsischen Kurfürsten für ihre antihabsburgischen Interessen gewinnen wollte.4 In diesem Zusammenhang war Friedrich der Weise bereits im Herbst 1518 die Verleihung der Goldenen Rose durch Leo X. in Aussicht gestellt und der päpstliche Kammerjunker Karl von Miltitz beauftragt worden, sie zusammen mit besonderen 2

Selge, Weg, 169–210. Grane, Martinus noster, 45–80. 4 Vgl. die Überblicksdarstellungen u. a. von Borth, Luthersache, 56–65; Schwarz, Luther, 62–65; Kohnle, Reichstag, 31–38. 3

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III. Die Entwicklung des reformatorischen Konzilsverständnisses (1519)

Ablassbullen zu überreichen und Luther – quasi als Gegenleistung – gefangen zu nehmen.5 Weil sich aber Friedrich im Rahmen seiner Lutherschutzpolitik Anfang Dezember für ein Verbleiben Luthers an seiner Universität und gegen eine Auslieferung nach Rom ausgesprochen, eine Verurteilung als zu vorschnell abgelehnt und sich Luthers Argumentation zu eigen gemacht hatte, bisher sei nichts Gottloses, Unchristliches oder Ketzerisches in dessen Lehre festgestellt worden,6 war die römische Kurie aus reichspolitischen Erwägungen geradezu gezwungen, die Luthersache diplomatischer zu betreiben und den Urteilsspruch über Luther aufzuschieben, wollte sie den sächsischen Kurfürsten als politischen Partner nicht verlieren. Der kursächsischen Seite bot dieses die Möglichkeit, Luthers Forderung nach einer öffentlichen, universitären Disputation7 zu unterstützen8 und ein Urteil über dessen Lehre durch ein unverdächtiges Schiedsgericht in deutschen Landen erneut zu betonen.9 Eine mögliche Realisierung dieser Forderungen wurde durch den Tod Kaiser Maximilians am 12. Januar 1519 noch verstärkt, fiel doch Friedrich dem Weisen das Reichsvikariat „vacante imperio“ für die Länder sächsischen Rechts und als ältestem und angesehensten Kurfürst eine Schlüsselstellung in der kaiserlichen Nachfolgediskussion zu.10 Bereits vor dem 12. Januar war die Schiedsgerichtsforderung u. a. bei einem Gespräch zwischen dem sich nun als Vermittler gerierenden Miltitz und Luther, welches am 5. und 6. Januar 151911 in Altenburg stattfand, erhoben und verabredet worden.12 5 Vgl. Borth, Luthersache, 57 f.; W. Petke, Das Breve Leos X. an Georg Spalatin von 1518 über die Verleihung der Goldenen Rose an Friedrich den Weisen (AKuG 80, 1998, 67–104). Zum diplomatischen Auftreten Karl von Miltitz’, das in der Forschung ausführlich beschrieben und unterschiedlich bewertet wird, vgl. Köstlin/Kawerau, Luther 1, 220– 229; Müller, Römischer Prozess, 76 f.; Kalkoff, Römischer Prozess, 279–288 u. ö.; Ders., Die Miltitziade. Eine kritische Nachlese zur Geschichte des Ablaßstreites, Leipzig 1911; Brecht, Luther 1, 255–263; Bäumer, Lutherprozeß, 28–32. Den Forschungsdissens bezüglich der „Miltitziade“ markiert Kohnle, Reichstag, 31 f. Anm. 68. 6 WAB 1; 250 f. Nr. 1103 (Kurfürst Friedrich an Cajetan, 7./8. 12. 1518); DCL 2, (131) 133–135. 7 Vgl. u. a. WAB 1; 244,332–337 (Luther an Kurfürst Friedrich, 21?. 11. 1518). 8 WAB 1; 251, 35–39. 9 Vgl. zur „Commissio causae ad partes“: Borth, Luthersache, 54 f. 59 f. u. ö. 10 Vgl. Ludolphy, Friedrich der Weise, 212–215. 11 Das Datum ist aufgrund ungenauer Quellenangaben nicht ganz gesichert. Das Treffen könnte auch am 4. und 5. Januar 1519 stattgefunden haben. 12 Als Quellen über die Altenburger Verhandlung dienen u. a. WAB 1; 289–291 Nr. 128 (Luther an Kurfürst Friedrich, Altenburg, 5./6. 1. 1519); aaO. (291) 292 f. Nr. 129 (Luther an Papst Leo X., Altenburg, 5./6. 1. 1519); aaO. 293 f. Nr. 130 (Luther an Kurfürst Friedrich, Altenburg, 5./6. 1. 1519); aaO. 313 f. Nr. 140 (Luther an Johann Sylvius Egranus in Zwickau, [Wittenberg,] 2. 2. 1519); aaO. (343) 344 f. Nr. 152 (Luther an Staupitz, [Wittenberg,] 20. 2. 1519); Walch 2 15, 690–708. Vgl. Th. Brieger, Luther-Studien I: Das Ergebnis der Altenburger Verhandlungen mit Karl von Miltitz und Luthers Entwickelung in den ersten Monaten des Jahres 1519 (ZKG 15, 1895, 204–221); Kohnle, Reichstag, 33 f.

§ 5 Die altkirchlichen Konzilien im Vorfeld der Leipziger Disputation

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In dieser offi ziellen Unterredung, an der neben Spalatin auch der kursächsische Rat Fabian von Feilitzsch teilnahm, verlangte Miltitz als zwielichtiger Verhandlungspartner, Luther möge seine gegen die Gewalt der römischen Kirche und folglich gegen den päpstlichen Primat gerichteten Lehren widerrufen.13 Luther räumte ein, dass er seine Lehren widerrufen werde, sobald man ihn des Irrtums überführt habe. Außerdem bot er an, in Zukunft zur Ablassthematik zu schweigen, wenn auch seine Gegner schweigen würden, und die Öffentlichkeit zum Gehorsam gegenüber der römischen Kirche aufzurufen. In einem entworfenen, aber nie abgeschickten Schreiben wollte Luther schließlich Papst Leo X. seine Ergebenheit mitteilen.14 Von kursächsischer Seite wurde sodann die Forderung nach einem deutschen Schiedsgericht erhoben, sollte der Prozess gegen Luther von der Kurie weiter betrieben werden.15 Im Rahmen dieser von Miltitz positiv aufgenommenen Verabredung 16 kam es zu einer für die Bewertung der Konzilsappellation durch Luther kleinen, aber gewichtigen Äußerung: Fabian von Feilitzsch hatte als Schiedsrichter den Salzburger Erzbischof ins Gespräch gebracht, den Luther als Richter anerkennen wollte. Sollte der Erzbischof jedoch in seinem Urteil für ihn unannehmbare Dinge fordern, werde er zu seiner Appellation – d. h. der Konzilsappellation – zurückkehren.17 Diese Notiz belegt, dass Luther, während er dem Verhör durch einen deutschen Bischof offen gegenüber stand, auf Anraten seiner Rechtsberater an der Konzilsappellation als ultima ratio festhielt. Auch wenn Luther diese Maßnahme nicht weiter ausführte, hatte sich seine positive Haltung zum Rechtsmittel der Appellation nicht geändert. 13

WAB 1; 290,6–8. Vgl. Borth, Luthersache, 60. Über die drei Vorschläge Luthers – Schweigen, Papstbrief, öffentliches Bekenntnis zur römischen Kirche – siehe WAB 1; 290,11–25. Das Entschuldigungsschreiben fi ndet sich abgedruckt: WAB 1; (291) 292 f. Nr. 129 (Luther an Papst Leo X., [Altenburg, 5./6. 1. 1519]). Die deutschsprachige Schutzschrift „Luthers Unterricht auf etliche Artikel, die ihm von seinen Abgönnern aufgelegt und zugemessen werden“ (WA 2; [66] 69–73 = Cl 1; [148] 149–153), in der Luther Fragen zur Fömmigkeitspraxis behandelte, bildet nach Knaake, Einleitung zu WA 2; 66; Köstlin/Kawerau, Luther 1, 226 f. u. a. jenes von Miltitz abgenötigte öffentliche Bekenntnis zur römischen Kirche. Kritischer äußert sich zur Entstehungsgeschichte Cl 1; 148. 15 WAB 1; 290,34–43. 16 Als Ergebnis nannte Luther zwei Punkte: 1. Die Ablassfrage sollte von beiden Seiten nicht mehr öffentlich behandelt werden. 2. Miltitz sollte den Papst bitten, einen gelehrten deutschen Bischof mit der Untersuchung und Beurteilung der Luthersache zu beauftragen. Die Verabredung von Altenburg teilte Luther seinem Kurfürsten unmittelbar nach Ende der Verhandlungen mit. Siehe WAB 1; 293 f. Nr. 130 (Luther an Kurfürst Friedrich, [Altenburg, 5./6. 1. 1519]). 17 WAB 1; 290,34–38: Zcum Vierdenn hatt Magister Spalatinus durch angebenn her fabian von feylitz das vorgeschlagen, das die sach befolenn wurde dem hochwirdigen etc. Ertzbischoff zcü Saltzpürg, desselben urteyl, ßo mit gelertenn unuordechtigen leüten beschlosßen, ich halten solt adder [odder] zcu meyner appellation widder kerenn, ßo myrs nit zcu halten were. 14

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III. Die Entwicklung des reformatorischen Konzilsverständnisses (1519)

Die naheliegende Konsequenz, die eine Verbindung von Schiedsrichtergedanken und Konzilsappellation bot, ein allgemeines Konzil statt kirchenleitender Persönlichkeiten wie den Erzbischof von Salzburg oder Trier18 als Schiedsrichter zu fordern, äußerten weder Luther noch die kursächsischen Räte. Über die Gründe hierfür kann nur spekuliert werden. Sicherlich hatte die Forderung nach einem allgemeinen Konzil bezüglich der Luthersache Anfang Januar 1519 eine deutlich geringere Realisierungschance als eine bischöfl iche Richterinstanz in Deutschland. Sodann konnte ein episkopaler Richter eine zügigere Entscheidung treffen als ein lange vorzubereitendes und international zu besetzendes Konzil. Außerdem war die kurfürstliche Delegationsforderung bezüglich einer Verlegung des Prozesses von der Kurie auf ein innerdeutsches Gremium bereits mit kirchenpolitischen Schwierigkeiten verbunden. Schließlich stand ein kirchliches Konzil, dessen Tagungsort festzulegen war, unter Leitung des Papstes, was der Luthersache nicht dienlich sein konnte. Eine Verknüpfung von Konzilsforderung und Schiedsrichtergedanke sollte – wie noch zu sehen sein wird – dem weiteren Verlauf der Reformation vorbehalten bleiben. Obwohl es in der Folgezeit verschiedene Bemühungen gab, die Schiedsrichteridee zu realisieren,19 gingen Kurfürst Friedrich und der Trierer Erzbischof, Richard von Greiffenklau, Anfang Juli 1519 einen Schritt weiter: Sie verabredeten ohne päpstliche Rückversicherung, Luther zum nächsten Reichstag, der für Martini geplant war, einzuladen und dort durch den Trierer Erzbischof als richterliche Instanz zu verhören.20 Somit war der Schiedsrichtergedanke in der Luthersache erstmals in das nationale Forum des Reichstags hineingetragen und auf eine von der Kurie unabhängige „neue rechtliche Grundlage“21 gestellt worden. Dass der Reichstag nach der Wahl Karls V. zum römischen König und späteren Kaiser am 28. Juni 1519 erst 1521 stattfi nden würde, ahnte zum damaligen Zeitpunkt niemand.

18 WAB 1; 307,16–20 Nr. 136 (Luther an Kurfürst Friedrich, [Wittenberg, zwischen 13.19. 1. 1519]). 19 Vgl. Borth, Luthersache, 63–65; Kohnle, Reichstag, 36 f. 20 WAB 1; 526,20–527,25 Nr. 2042 (Kurfürst Friedrich an Miltitz, Lochau, 12. 10. 1519): Dann wir haben unserm Freund von Tryer darinnen geschrieben auf den Abschied, so wir zu Franckfurth mit seiner Lieb Doctor Martinus halben gehabt, wenn ein Reichstag fürgenommen und wir den besuchen werden, dass wir alsdenn Doctor Martinum mit uns bringen; wurden wir aber solchen Reichstag beschicken, dass wir Doctor Martinus auch mit schicken wollten. – Vgl. unter Nennung weiterer Quellen Borth, Luthersache, 64 Anm. 56; Schwarz, Luther, 65. 21 AaO., 64. Vgl. Bäumer, Lutherprozeß, 31 f. Anm. 58, der Borth in der Frage der weiterhin bestehenden päpstlichen Delegation für den Trierer Erzbischof als Gerichtsinstanz zwar zu Recht korrigiert, aber die neue Dimension des Verhörs vor dem öffentlichen und nationalen Forum des Reichstages nicht berücksichtigt.

§ 5 Die altkirchlichen Konzilien im Vorfeld der Leipziger Disputation

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Luther selbst lag die Forderung nach einer gelehrten, öffentlichen Disputation näher. Von ihr erhoffte er sich einen größeren Beitrag „zur Entdeckung der Wahrheit“22 als von einem Verhör. Die kuriale Bulle zur Ablassthematik, die ihm Mitte Januar 1519 zugespielt wurde, änderte an seiner Einstellung, eine akademische Disputation über den Ablass und die Papstgewalt würden für Klarheit sorgen, nichts.23

2. Die Vorgeschichte der Leipziger Disputation Bereits im Sommer 1518 war nach heftiger Streitschriftenkontroverse24 eine Gelehrtendisputation zwischen dem Ingolstädter Theologen Johannes Eck und dem Wittenberger Theologieprofessor Andreas Bodenstein von Karlstadt verabredet worden.25 Martin Luther, dessen 95 Ablassthesen den Ausgangspunkt für den Streit mit Eck gebildet hatten, fungierte im Herbst 1518 hinsichtlich der Disputationsvorbereitung als Mittelsmann zwischen Karlstadt und Eck, hielt sich aber selbst aus der direkten Konfrontation mit Eck heraus. Als Ort wählte Eck die Universität Leipzig, welche er am 4. Dezember 1518 schriftlich ersuchte, die Disputation zu genehmigen und ein Urteil in den strittigen Fragen zu fällen.26 Obwohl die theologische Fakultät auf Anraten des zuständigen Bischofs Adolf von Merseburg die Anfrage negativ beschied, hatte sie sich nach 22

WAB 1; (230) 231,5 f. Nr. 109 (Luther an Eck, Wittenberg, 15. 11. 1518). WAB 1; 307,37–47. 24 Siehe zur Streitschriftenkontroverse oben, Kapitel II § 2.1.1. 25 Zur Vorgeschichte der Leipziger Disputation vgl. u. a. J. K. Seidemann, Die Leipziger Disputation im Jahre 1519. Aus bisher unbenutzten Quellen historisch dargestellt und durch Urkunden erläutert, Dresden/Leipzig 1843; Th. Wiedemann, Dr. Johann Eck. Professor der Theologie zu der Universität Ingolstadt, Regensburg 1865, 75–83 (häufig fehlerhaft); R. Albert, Aus welchem Grunde disputierte Johann Eck gegen Martin Luther in Leipzig 1519 (ZHTh 43, 1873, 382–441), 398–411; Walch 2 15, 802–845; WA 2; 153–156; H. Barge, Andreas Bodenstein von Karlstadt. 1. Teil: Karlstadt und die Anfänge der Reformation, Leipzig 1905, 131–151; Selge, Weg, 169–210; E. Iserloh, Johannes Eck (1486–1543). Scholastiker, Humanist, Kontroverstheologe (KLK 41), Münster 21985, 28–31; Th. Freudenberger, Hieronymus Dungersheim von Ochsenfurt am Main 1465–1540. Theologieprofessor in Leipzig; Leben und Schriften (RGST 126), Münster 1988, 104–119; DCL 2, 241–247; Grane, Martinus noster, 45–80; Th. Fuchs, Konfession und Gespräch. Typologie und Funktion der Religionsgespräche in der Reformationszeit (Norm und Struktur Bd. 4), Köln/Weimar/Wien 1995, 144–160; Kruse, Universitätstheologie, 191–205. Die Vorgeschichte wird auch in dem vorzüglichen Beitrag von Schubert, Libertas Disputandi, 420– 424 skizziert. 26 Seidemann, Leipziger Disputation, 111 f. (Eck an die Leipziger Universität, 4. 12. 1518). Zeitgleich richtete Eck ein Schreiben an die theologische Fakultät der Universität Leipzig (vgl. aaO. 25) und an den Herzog (Gess 1, 47–49 Nr. 62 [Dr. Johann Eck an Herzog Georg, Ingolstadt, 4. 12. 1518]). Luther schrieb in Karlstadts Namen ebenfalls an die Leipziger theologische Fakultät. Siehe die Notiz in WAB 1; 295,3 f. Nr. 132 (Luther an Eck, Leipzig, 7. 1. 1519). Vgl. Selge, Weg, 179. 23

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III. Die Entwicklung des reformatorischen Konzilsverständnisses (1519)

einigen Turbulenzen dem landesherrlichen Urteil Herzog Georgs zu unterwerfen und die Disputation zuzulassen.27

2.1. Ecks Disputationsthesen Zur Vorbereitung der Disputation veröffentlichte Eck am 29. Dezember 1518 in Augsburg zwölf Thesen, die er in Leipzig gegen die neue Lehre zu verteidigen gedachte.28 Luther erhielt Ecks „Scheda disputatoria“ Anfang Februar 1519 und stellte fest, dass Eck nicht Karlstadts, sondern seine Äußerungen zum Hauptgegenstand der Disputation gemacht hatte. Am 2. Februar beklagte Luther, er werde nun gezwungen, für seine Ablassthesen mit Eck zu kämpfen.29 Einen Tag später teilte er Johann Lang mit,30 dass ihn Ecks neuer Angriff provoziert habe, die römische Bestie („lernas“) mit einer ernsthaften Schrift anzugreifen. „Denn bis jetzt habe ich in der römischen Sache nur gespielt und gescherzt, obwohl sie schon darüber wie über etwas unerträglich Ernstes furchtbaren Schmerz empfi nden.“31 Das mit Miltitz ausgehandelte „Stillhalteabkommen“ war für ihn außer Kraft gesetzt.32 Luther antwortete auf Ecks Thesen mit 12 Gegenthesen, die am 7. Februar bereits unter dem Titel „Disputatio D. Iohannis Eccii et P. Martini Luther in studio Lipsensi futura“ gedruckt waren.33 Diesen Disputationsthesen gab Luther einen offenen Brief an Karlstadt bei, in dem er betonte, Eck habe den Ablassstreit wieder eröffnet und Luther herausgefordert, so dass nun nicht Karlstadt, sondern er als Angegriffener in die Disputation gehen werde.34 Mit dieser öffentlichen Ankündigung drängte Luther von nun an darauf, in Leipzig zur Dis-

27 Über die Auseinandersetzungen zwischen der theologischen Fakultät, der Universität, dem Merseburger Bischof und dem um die Ehre seiner Landesuniversität bedachten Herzog Georg bezüglich der Genehmigung der Disputation vgl. Seidemann, Leipziger Disputation, 28–31 u. ö.; Selge, Weg, 179–184. 28 Die Thesen trugen den Titel „In studio Lipsensi disputabit Eckius propositiones infra notatas contra D. Bodenstein Carlestadium archid. et Doctorem Wittenburgensem“ siehe WA 9; (206) 207–210. Die ersten elf Thesen waren gegen Luthers Erklärungen über die Buße, den Ablass, den Schatz der Kirche und das Fegefeuer gerichtet, die 12. These gegen die Hinterfragung des päpstlichen Primats. 29 WAB 1; 314,33–38. 30 WAB 1; (314) 315 Nr. 141 (Luther an Johann Lang, [Wittenberg,] 3. 2. 1519). 31 AaO. 315,7–10: Eccius noster nova bella bellat contra me, et fiet, ut faciam, quae diu cogitavi, Christo propitio, id est, ut aliquando libro serio in Romanas lernas invehar. Huc usque enim et lusi et iocatus sum in rem Romanam, quamquam mire doleant ut de intolerabili serio. 32 Siehe z. B. WAB 1; 357 f. Nr. 160 (Luther an Kurfürst Friedrich, Wittenberg, 13. 3. 1519). 33 Vgl. WA 2; 155. 34 WAB 1; (315) 316–318 Nr. 142 (Luther an Karlstadt, [Wittenberg, 4. oder 5. 2. 1519]).

§ 5 Die altkirchlichen Konzilien im Vorfeld der Leipziger Disputation

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putation zugelassen zu werden und seine Thesen dort persönlich verteidigen zu können. Eck äußerte jetzt ebenfalls öffentlich, neben Karlstadt auch gegen Luther in Leipzig streiten zu wollen.35 Dennoch gestattete Herzog Georg die Zulassung Luthers zur Disputation vorerst nicht, was u. a. mit Luthers ungeklärter Rechtslage bezüglich des römischen Prozesses und der päpstlichen Ablassdekretale vom 9. November 1518, die eine Diskussion um die lehramtlich festgelegte Ablassfrage nicht erlaubte, zusammenhing.36 Trotz der unklaren Rechtslage kündigte Luther an, in Leipzig anwesend zu sein und seine Thesen verantworten zu wollen. Die offi zielle Zulassung Luthers erfolgte erst zu Beginn der Disputation in Leipzig.37 Anders als Luther war Eck die Erlaubnis zur Disputation mit Karlstadt am 19. Februar 1519 vom Herzog, der Universität und der theologischen Fakultät Leipzig zugegangen. Als Termin legte der Ingolstädter Professor den 27. Juni fest.38 Vermutlich um dem Vorwurf zu widersprechen, er habe Karlstadt in seinen Disputationsthesen nicht berücksichtigt, und als Reaktion auf Luthers Gegenthesen ließ Eck im März die Schrift „Disputatio et excusatio Johannis Eccii adversus criminationes F. Martini Lutter ordinis Eremitarum“ drucken, die aus einem offenen Brief an Abt Kaspar von Wessobrunn und Johannes Zinngießer, Propst des regulierten Chorherrenstifts Polling, sowie aus den Disputationsthesen bestand, welche um eine den freien Willen betreffende These auf jetzt dreizehn Thesen erweitert waren.39 Nachdem Luther Ecks Schrift erhalten hatte, erweiterte er seine Disputationsthesen „Contra novos et veteres errores“ ebenfalls um eine These und gab sie zusammen mit einem Vorwort Mitte Mai unter dem Titel „Disputatio et 35

Vgl. WAB 1; 319–322 Nr. 1422 ; Selge, Weg, 193 Anm. 89. Vor der Disputation hegte Herzog Georg Sympathien für Luther, sah sich aber durch die ungeklärten Sachverhalte zur Zurückhaltung gezwungen. Vgl. zum Verhältnis Georgs zu Luther insgesamt: F. Gess, Leipzig und Wittenberg. Ein Beitrag zur sächsischen Reformationsgeschichte (NASG 16, 1895, 43–93); A. Gößner, Art. B.III.10. Luther und Sachsen (LuH, 179–185), 183 f.; I. Ludolphy, Die Ursachen der Gegnerschaft zwischen Luther und Herzog Georg von Sachsen (LuJ 32, 1965, 28–44); G. Wartenberg, Luthers Beziehungen zu den sächsischen Fürsten (LWML 549–571. 916–929) 562–566; Ch. Volkmar, Reform statt Reformation. Die Kirchenpolitik Herzog Georgs von Sachsen 1488–1525 (SMHR 41), Tübingen 2008, 446–473, bes. 449–452. 37 Luthers Ankündigung wurde von der Universität Leipzig als Formfehler kritisiert und zurückgewiesen. Darauf hin entschuldigte er sich bei Herzog Georg am 19. 2. 1519 und bat um Zulassung. Über die Probleme um Luthers Zulassung zur Disputation vgl. Seidemann, Leipziger Disputation, 31–36.45; Selge, Weg, 188–196. Zur Disputationszulassung und Sicherheitszusage durch Herzog Georg siehe WA 54; 183,2–11. 38 WAB 1; 343 Nr. 151 (Eck an Luther, Ingolstadt, 19. 2. 1519). 39 Der offene Brief vom 14. 3. 1519 ist als Beilage abgedruckt in WAB 1; 319–322 Nr. 142 2. Zusammen mit dem Brief sind die Thesen, welche die Überschrift „Contra F. Lutter et D. Bodenstein in Lipzensi studio has disputabit propositiones Eccius 27. Junii. 1519“ tragen, wiedergegeben in: DCL 2, (241) 247–253. 36

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III. Die Entwicklung des reformatorischen Konzilsverständnisses (1519)

excusatio F. Martini Luther adversus criminationes D. Johannis Eccii“ heraus.40 Seine die päpstliche Gewalt betreffende 13. These entfaltete Luther in einer eigenen Schrift, die kurz vor der Leipziger Disputation unter dem Titel „Resolutio Lutheriana super propositione sua decima tertia de potestate papae“ gedruckt vorlag.41

2.2. Die strittige Frage nach dem Disputationsschiedsgericht Waren Zeit, Ort, Gegner und Gegenstand der Disputation frühzeitig bekannt gemacht, blieb eine zentrale Frage bis zum Ende der Disputation ungeklärt: Wer sollte als Schiedsgericht amtieren? In der Regel waren die Argumente der Disputationsparteien bei einer außerordentlichen akademischen Disputation der Beurteilung eines Schiedsgerichts zu unterwerfen.42 Dies galt umso mehr bei der mit Spannung erwarteten Leipziger Disputation, bei der die neuen Lehren Luthers und Karlstadts auf die kirchlich-scholastischen Lehren von Eck trafen. Weil das akademische Urteil über Sieg oder Niederlage der neuen Lehre entscheiden konnte, kam dem unparteiischen Richter daher besondere Bedeutung zu. Bereits Ende Dezember 1518 hatte sich die Leipziger theologische Fakultät in ihrer ersten Reaktion auf die Disputationsanfrage gegenüber Herzog Georg geweigert, die von den Disputanten zugedachte Entscheidungsfunktion zu übernehmen, wovon sie mit Unterstützung des Merseburger Bischofs nicht abrückte.43 In der Folgezeit wurde die umstrittene Schiedsrichterthematik von den Streitparteien bis zum Beginn der Disputation suspendiert. Denn anders als 40 WA 2; (153) 158–161; DCL 2, 253–257. Karlstadt hatte am 26. April seine siebzehn Thesen umfassende Diputationsreihe unter dem Titel „Conclusiones Carolostadii contra D. Joannem Eccum Lipsiae 27. Iunii tuendae“ veröffentlicht. Siehe Löscher 3, 284–291; dt. Übersetzung bei Walch 2 18, 714–717. Vgl. WA 2; 155. 41 WA 2; (180) 183–240. Siehe jetzt auch die lateinisch-deutsche Studienausgabe: LDStA 3; 17–171. 42 Zur Geschichte der akademischen Disputation vgl. Fuchs, Konfession, 16–34. Einen konzisen Einblick in das mittelalterliche Disputationswesen bietet Schubert, Libertas Disputandi, 414–419. 43 Siehe Gess 1; 50,20–51,18 Nr. 63 (Dekan und Doktoren der theologischen Fakultät zu Leipzig an Herzog Georg, Leipzig, 26. 12. 1518). Die Gelehrten der theologischen Fakultät begründeten ihre Haltung mit dem juristischen Hinweis auf ihre fehlende „obirkeyt“ ( Jurisdiktion und Lehrgewalt) über die Streitenden, die beim Bischof und Papst liege. Außerdem solle die Luthersache vom Papst auf deutsche Erzbischöfe und Bischöfe übertragen werden, so dass dieses bischöfl iche Schiedsgericht, zu dem möglicherweise Experten verschiedener Universitäten hinzugezogen werden könnten, die Angelegenheit zu entscheiden habe. Herzog Georg betonte in seinem Antwortschreiben, eine Zulassung der Disputation in Leipzig erfordere keine schiedsrichterliche Tätigkeit der Fakultät. Die Urteilsfi ndung könne an die „bebistlichen commissarien, ader ander geburliche stellen“ übertragen werden (Gess 1, 52,16–20 Nr. 65 [Herzog Georg an den Dekan und die Doktoren der theologischen Fakultät zu Leipzig, 30. 12. 1518]). Eck hatte die Fakultät ebenfalls aufgefordert, die Rolle des

§ 5 Die altkirchlichen Konzilien im Vorfeld der Leipziger Disputation

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Eck, der auf die Autorität eines lehramtlichen oder akademischen Schiedsgerichts setzte, zielte Luther (und Karlstadt) mit der Publikation der Thesen und Erläuterungen bereits im Vorfeld der Leipziger Disputation auf ein anderes Schiedsgericht: die gelehrte Öffentlichkeit.44 Folglich drängte es Luther nicht, einen institutionalisierten Schiedsrichter für die Disputation zu bestellen.

2.3. Der Papstprimat und seine kirchenrechtliche Grundlage als Kontroversthema Durch Ecks Disputationsthesen angeregt, konzentrierten sich die Disputanten in ihrer Vorbereitung auf die Buß- und Ablasslehre sowie auf die hochbrisante Thematik des Papstprimats und seiner kirchenrechtlichen Grundlage.45 Während der erste Themenbereich von Luther in verschiedenen Schriften bereits ausführlich dargestellt worden war, zog der zweite Themenbereich jetzt Luthers ganze Aufmerksamkeit auf sich.46 Seit dem Augsburger Verhör durch Cajetan war Luther aufgrund seiner sich entwickelnden theologischen und historischen Einsichten die Begründung der päpstlichen Gewalt und mit ihr die kanonistischen Grundlagen der römischen Kirche zunehmend fragwürdig geworden. Zwar hatte er in seiner Ende Februar 1519 erschienenen deutschsprachigen Verteidigungsschrift „Unterricht auf etliche Artikel“47 die römische Kirche und ihre Päpste mit dem christlichen Liebes- und Einigkeitsargument gegenüber den „Laien“ verteidigt,48 aber sowohl die „gewalt und ubirkeit“ des römischen Stuhls, deren Begründung Sache der Gelehrten sei, als weltliche Angelegenheit für nicht heilsnotwendig hingestellt49 als auch Gottes Gebot und Wort mit dem Schiedsrichters zu übernehmen (Gess 1, 73 f. Nr. 93 [Eck an den Dekan und die Doktoren der theologischen Fakultät zu Leipzig, Ingolstadt, 19. 2. 1519]). Vgl. Selge, Weg, 180. 44 Vgl. Selge, Weg, 195. WAB 1; 318,80–83: [. . .] omnia autem vel possibili modestia in literas pronuntientur atque ea sic in literas relata offerri possint Sedi Apostolicae, Episcopis et totius christiani orbis iudicio. 45 Eck hatte in seiner 7., in der 2. Fassung eingeschobenen Disputationsthese gegen Karlstadt außerdem die Frage nach dem freien Willen angesprochen und somit zum Disputationsgegenstand erhoben. Vgl. DCL 2, 252. Hierauf gingen sowohl Luther (WA 2; 161,13–16) als auch Karlstadt in seinen Thesen (Löscher 3, 289–291) ein. 46 In einem Brief an Wilibald Pirkheimer hatte Luther nicht ohne Freude berichtet, dass sich der Konfl ikt mit der Kurie von der Ablassthematik auf die heiligen Kanones verlagere. Diese Auseinandersetzung habe er schon seit längerer Zeit gewünscht, aber nicht gewagt, aus freien Stücken vorzutragen. Siehe WAB 1; 348,13–22 Nr. 154 (Luther an Wilibald Pirkheimer, Wittenberg, 20. 2. 1519). Und gegenüber Scheurl unterstrich er am selben Tag, dass er bisher gespielt habe, jetzt aber im Ernst gegen den römischen Papst und die römische Anmaßung handeln werde. WAB 1; 346,17 f. Nr. 153 (Luther an Scheurl, Wittenberg, 20. 2. 1519). 47 WA 2; (66) 69–73. 48 AaO. 72,30–73,5. 49 AaO. 73,6–11: Was aber die gewalt und ubirkeit Romisches stuels vormag, und wie ferne sich dieselb streckt, laß die gelerten außfechten, dan daran der seelen selickeyt gar

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III. Die Entwicklung des reformatorischen Konzilsverständnisses (1519)

Papst und dem geistlichen Recht kontrastiert.50 Insbesondere das römische Kirchenrecht mit seinen päpstlichen Dekretalsammlungen entpuppte sich für ihn als eine dem Evangelium widersprechende menschliche Gesetzessammlung, die geschichtlich geworden und darum kritisch zu hinterfragen war.51 Das kanonische Recht hatte sich einer vernunftgeleiteten Überprüfung durch die Heilige Schrift und Geschichte der Alten Kirche zu unterziehen, konnte der Schrift aber kaum mehr gerecht werden.52 Anlass für die Verschärfung der papst- und romkritischen Position Luthers bot im Frühjahr 1519 die 12., später 13. These Ecks. Der scharfsinnige Disputator hatte spätestens bei dem Studium der „Acta Augustana“ und Luthers Konzilsappellation festgestellt, dass die Problematisierung der Papstgewalt das theologisch und kirchlich zentrale Thema bildete und dieses das spätmittelalterlichrömische Kirchensystem elementar gefährdete. Daher formulierte Eck in Anspielung auf eine Äußerung Luthers, die er in seinen „Resolutiones“ zu den Ablassthesen getan hatte: 53 „Dass die römische Kirche vor den Zeiten Silvesters [I. 314–335] nicht höher war als die anderen Kirchen, bestreiten wir. Sondern wir haben den, der den Stuhl und den Glauben des heiligen Petrus gehabt hat, immer als den Nachfolger Petri und allgemeinen Stellvertreter Christi anerkannt.“54 nichts gelegen, und Christus seyne kirche nit auff die eußerliche, scheynbare gewalt unnd ubirkeyt adder eynige zeitliche dingk, die der welt und weltlichen gelaßen ist, sunder yn die ynwendige lieb, demut unnd eynickeyt gesetzt und gegrundet hatt. 50 Im Abschnitt „Von Den Gepoten Der Heyligen Kirchen“ (aaO. 71,1–29) betonte Luther u. a. (aaO. 71,1–3): Gottes gepot sol man uber der kirchen gepot achten, wie das golt und edel gesteyn uber das holtz und stroo, alß der Apostel lautet 1. Co: 3. und sol yhe keynes vorachten. – Nachdem er über Gottes Gebot und den menschlichen Rechten und Werken, zu denen er den Papst und das geistliche Recht zählt, gehandelt hat, schlägt er ein Konzil zur Abschaffung einzelner kirchlicher Gebote vor (aaO. 71,25–29): Der halben ist auch meyn rad, das man der kirchen gepot eyns teyls ablegt yn eynem Concilio, auff das man gottis gepot auch eyn mal scheynen und leuchten ließ [. . .]. 51 Über die Motivation seines Engagements siehe WAB 1; 356,11–14 Nr. 159 (Luther an Spalatin, Wittenberg, 5. 3. 1519): Sed hoc ago pro fide mea in Christum, ut verbum eius non pro libito trahant atque contaminent. Dimittant mihi decreta Ro[mana] Euangelium syncerum & omnia alia rapiant [. . .]. 52 Gegenüber Pirkheimer hatte er die „sacros canones“ sogar als „prophanas sacrarum literarum corruptelas“ tituliert. Siehe WAB 1; 348,13–22. 53 Luther hatte in seinen Erläuterungen zur 22. These mittels des historischen und geographischen Arguments behauptet, die römische Kirche habe zur Zeit Gregors I. (590–604) noch nicht über die anderen Kirchen – wenigstens Griechenlands – gestanden. WA 1; 571,16–20. Eine ähnliche Äußerung Luthers findet sich in den „Acta Augustana“, siehe WA 2; 20,4–13. Vgl. E. Kähler, Beobachtungen zum Problem von Schrift und Tradition in der Leipziger Disputation von 1519 (in: H. Gollwitzer [Hg.], Hören und Handeln. FS für Ernst Wolf, München 1962, 214–229), 219. 54 DCL 2, 253 (WA 9; 209,41–210,2): Romanam Ecclesiam non fuisse superiorem aliis ecclesiis ante tempora Sylvestri negamus, sed eum, qui sedem beatissimi Petri habuit et fi dem, successorem Petri et vicarium Christi generalem semper agnovimus. – Kähler, Beobachtungen, 219 macht in Anlehnung an Köhler, Luther und die Kirchengeschichte, 124

§ 5 Die altkirchlichen Konzilien im Vorfeld der Leipziger Disputation

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Luther griff die Suprematsthematik in seiner Gegenthese auf und spitzte sie in bisher ungewohnter Schärfe zu: „Dass die römische Kirche höher ist als alle anderen, wird aus den eiskalten Dekreten der römischen Päpste, die in den letzten 400 Jahren aufgekommen sind, bewiesen, gegen welche die bewährte Geschichte der ersten 1100 Jahre, der Text der Heiligen Schrift und der Beschluss des Nicänischen Konzils, des heiligsten von allen, steht.“55

Diese These erzürnte nicht nur die Verfechter der römischen Kirche,56 sondern verunsicherte und ängstigte auch zahlreiche Freunde Luthers,57 griff sie doch die kirchenrechtlichen Grundlagen des spätmittelalterlichen Kirchensystems an. Luther selbst war sich seiner Provokation bewusst, ja er hatte sie disputationsstrategisch sogar beabsichtigt. In einem ausführlichen Brief Ende Februar 1519 an Spalatin deckte er seine wohldurchdachte Strategie auf, die darauf zielte, die Begründung des Primatsanspruchs des Papstes und der römischen Kirche durch Argumente aus der Geschichte der Alten Kirche zu widerlegen.58 Dass er den Primatsanspruch der römischen Kirche insgesamt mittlerweile ablehnte, äußerte er im selben Brief, ohne allerdings die für die Papstkirche häretische Position in die Öffentlichkeit zu tragen.59 Überhaupt zählte er die päpstliche Gewalt jetzt zu den „Mitteldingen“ („neutrales“) wie Reichtum, Gesundheit darauf aufmerksam, dass Eck mit der Erwähnung Silvesters I., dem Papst zur Zeit Kaiser Konstantins, seiner These Aktualität verlieh. Durch die Silvester angeblich gemachte Schenkung begann für die waldensisch-hussitischen Papstkritiker der Verfall der Kirche. 55 WA 2; 161,35–38: Romanam Ecclesiam esse omnibus aliis superiorem, probatur ex frigidissimis Romanorum Pontificium decretis intra cccc annos natis, contra quae sunt historiae approbatae MC annorum, textus scripturae divinae et decretum Niceni Concilii omnium sacratissimi. 56 Der päpstliche Inquisitor für die Kirchenprovinzen Köln, Mainz und Trier, Jakob von Hochstraten, informierte Leo X. am 7. April 1519 über die 12. (13.) Disputationsthese Luthers und kritisierte sie als kirchenverderblich. Vgl. WA 2; 384 f. Luther antwortete Hochstraten während oder kurz nach der Leipziger Disputation auf dessen Denunziation. Siehe „Scheda adversus Iacobum Hochstraten“ (1519), in: WA 2; 386 f. 57 Vgl. Selge, Weg, 188, der urteilt: „Zu unvorsichtig schien sie [d. h. die These], mehr, zu unsicher, zu offen im Widerspruch mit römischem Anspruch und Geschichtsüberlieferung, zu sicher in ihrer aller Tradition ins Gesicht schlagenden Theorie über das junge Alter des Primats, geeignet, auch den letzten seiner Freunde an Luther zweifeln zu lassen.“ Dass auch Spalatin sich sorgte, zeigt Luthers Beruhigungsbrief WAB 1; (350) 351–352 Nr. 156 (Luther an Spalatin, Wittenberg, 24. [?] 2. 1519). 58 WAB 1; 352–354 Nr. 157 (Luther an Spalatin, Wittenberg, 24. [?] 2. 1519). Gegenüber Staupitz äußerte Luther siegesgewiss, dass die Disputation für die römischen Rechte und Gebräuche übel ausgehen werde. WAB 1; 344,27–29 Nr. 152 (Luther an Staupitz, Wittenberg, 20. 2. 1519). 59 WAB 1; 353,45–354,49: Si ergo posuissem, Quod Rhomana Ecclesia usque in hodiernum diem non omnibus Ecclesiis fuisset superior & quod contra Eccium staret hystoria Ecclesie usque ad nostros dies, vera dixissem, Sed nimis aperte & citra Insidias. – Bereits im vorangehenden Brief an Spalatin hatte er betont, aus Rücksicht auf den Kurfürsten und die Universität sich in seiner Haltung noch zurückzuhalten. WAB 1; 351,15–17: Multa ego premo et causa Principis et Universitatis nostrae cohibeo, quae (si alibi essem) evomerem in vastatricem Scripturae et ecclesiae, Romam, melius Babylonem.

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und andere zeitliche Dinge und lehnte es ab, jene „temporalia“ durch das Wort Gottes zu behaupten.60 Um für die akademische Auseinandersetzung mit Eck gewappnet zu sein, vertiefte Luther im Frühjahr 1519 seine kirchengeschichtlichen und kirchenrechtlichen Quellenstudien, durch die er in seiner Annahme, der Papst könne der Antichrist sein, bestärkt wurde.61 Mit der geschichtlichen Argumentation gegen den Primat erwachte Luthers Interesse an den altkirchlichen Konzilien. In diesem Zusammenhang gewann das von der Christenheit hochgeschätzte Konzil von Nicäa für Luther elementare Bedeutung und besondere Aufmerksamkeit.62

3. Die wachsende Bedeutung der altkirchlichen Konzilien Um die wachsende Bedeutung der altkirchlichen Konzilien im Vorfeld und Umfeld der Leipziger Disputation nachvollziehen zu können, gilt es im Folgenden zu fragen, wie und in welcher Form Luther das Konzil darstellte, aus welchen Quellenwerken er schöpfte und welche anderen altkirchlichen Konzilien er berücksichtigte. Ebenfalls muss anhand der Schriften gegen Ecks Disputationsthesen die konziliare Argumentationsstruktur analysiert und ihre Funktion innerhalb der Autoritätsdiskussion thematisiert werden.

60 AaO. 354,69–73: Ego istam pontificam potestatem inter eas res numero, que sunt neutrales, ut divitie, sanitas & alia temporalia. Ideo mihi vehementer displicet res temporales in tantas contentions vocari, Insuper & verbo dei (quod ea contemnenda semper docet) eadem asseverare. 61 Verbunden mit der schwerwiegenden Kritik an den päpstlichen Dekreten äußerte dies Luther gegenüber Spalatin im März. Siehe WAB 1; 359,28–31 Nr. 161 (Luther an Spalatin, Wittenberg, 13. 3. 1519): Verso & decreta pontificum pro mea disputatione Et (in aurem tibi loquor) nescio an papa sit Antichristus ipse vel Apostolus eius, adeo misere corrumpitur & crucifigitur Christus (idest veritas) ab eo in decretis. – Zur Entwicklung von Luthers Antichristvorstellung, die er im Rahmen des Konfl iktes mit Rom ausbildete und die ihn über einzelne Stationen zur Identifi zierung des Papsttums mit dem Antichrist führte, vgl. den erhellenden Überblick von Hammann, Ecclesia spiritualis, 125–129. Vgl. darüber hinaus u. a. H. Preuß, Die Vorstellungen vom Antichrist im späteren Mittelalter, bei Luther und in der konfessionellen Polemik. Ein Beitrag zur Theologie Luthers und zur Geschichte der christlichen Frömmigkeit, Leipzig 1906; G. Seebaß, Art. Antichrist IV. Reformation und Neuzeit (TRE 3, 1978, 28–43), 28–32; V. Leppin, Luthers Antichristverständnis vor dem Hintergrund der mittelalterlichen Konzeption (KuD 45, 1999, 48–63). 62 Kenntnisse über das Konzil von Nicäa hatte Luther – sicherlich nicht nur durch die Lektüre der Kirchenväter und des „Corpus Iuris Canonici“ – frühzeitig vermittelt bekommen, zählten sie doch zum Allgemeingut theologischer Bildung. Wie oben bereits gesehen, Kapitel II § 1.1., erwähnte er das Konzil bereits 1510/11 in seinen Randnotizen zu Petrus Lombardus (WA 9; 40,6) und bemerkt in den Dictata (WA 55,2; 715,481 [Scholion zu Ps 90,5–8]), dass das Konzil die Arianer verdammt habe. Vgl. Köhler, Luther und die Kirchengeschichte, 122 f.

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3.1. Die Autorität des Konzils von Nicäa Die Disputationsthese gegen Eck bildete Luthers erste offi zielle Berufung auf das Konzil von Nicäa. In ihr bezeichnete er das Konzil erstmals als das heiligste aller Konzilien und zog es allen anderen Konzilien vor.63 Außerdem stellte er die Dekrete des Nicänischen Konzils in eine Reihe mit der Heiligen Schrift und der 1100-jährigen Kirchengeschichte, so dass er dem Konzil normative Bedeutung zusprach. Dieser Autorität des Konzils von Nicäa hatten sich die päpstlichen Dekrete zu beugen, sollten sich Differenzen zwischen ihnen und den Konzilsbeschlüssen aufzeigen lassen. Dass dieses bezüglich der Suprematsstellung der römischen Kirche der Fall war, deutete Luther in seinem um den 24. Februar 1519 verfassten Brief an Spalatin an.64 Eck werde an der letzten Disputationsthese Anstoß nehmen, die Abfassung römischer Dekrete mit Primatsanspruch auf die Zeit des Konzils von Nicäa ausweiten und behaupten, die römische Kirche sei höher als alle und ohne dieselbe dürfe kein Konzil ausgeschrieben werden.65 Obwohl Luther gegenüber Spalatin nicht weiter auf das Konzil von Nicäa und dessen Kanones einging,66 bemerkte er zur altkirchlichen Praxis der Konzilseinberufung, Cyprian habe die Kirchen Afrikas zu einem Konzil versammelt, ohne den römischen Papst zu fragen. Dieses sei auch noch zu Augustins Zeit in Afrika praktiziert worden.67 Die erste ausführlichere Argumentation mit der Konzilsautorität von Nicäa gegen den römischen Primatsanspruch erfolgte in der „Resolutio super propositione sua decima tertia de potestate papae“ und – anders als noch von Ernst Schäfer und Walther Köhler in ihren nach wie vor anregenden Studien zu Luthers kirchenhistorischen Arbeiten behauptet – nicht in dem Briefwechsel mit Hieronymus Dungersheim.68 63 Zur Bedeutung des Konzils von Nicäa für Luther im Jahr 1519 vgl. J. M. Headley, Luther’s view of church history (Yale publications in religion 6), New Haven/London 1963, 162–167. 172–175. 64 WAB 1; 352–354 Nr. 157. 65 AaO. 353,20–25: Scio enim, quod ex hac parte irrupturus est clamans ac gestiens, quod non possim probare nec supputationem annorum recte tenuerim [. . .], Quia longe ante cccc annos, immo ante Mille annos quoque Rhomana Ecclesia decreta ediderit, praesertim Iulius primus, proximus Niceno Concilio, Esse Romanam Ecclesiam omnibus superiorem, Nec sine ea licere Concilium Indicere. – Hier spielt Luther auf CorpIC, Decr. Grat., I dist. 17 c.2 (Friedberg 1, 51) an. 66 Warum Luther weder auf die Einberufung des Konzils von Nicäa noch auf dessen Dekrete näher eingeht, kann nur spekulativ beantwortet werden. Vielleicht ist die Auslassung dieser naheliegenden Aspekte dem Briefcharakter geschuldet. Möglicherweise aber hatte er diese Aspekte noch nicht an den Quellenschriften eingehend überprüft. In seiner „Resolutio“ zur 13. These wird er hier weiterführende Bemerkungen anstellen. 67 WAB 1; 354,50–54. 68 Ausführlich gehen u. a. Schäfer, Luther, 47–51 und Köhler, Luther und die Kirchengeschichte, 125–136 in Anschluss an Löscher 3, 21–80 auf diesen Briefwechsel ein, den sie

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3.2. Die konzilsgeschichtlichen Quellen Bevor das Vorkommen der altkirchlichen Konzilien in der Erläuterung zur 13. These thematisiert wird, ist dieser zwischen dem Leipziger und Wittenberger Theologen nach der Disputation geführte Briefwechsel im Blick auf Luthers Äußerungen über seine kirchengeschichtlichen Quellen zu befragen. Dungersheim hatte vermutet, Luther hänge argumentativ ganz vom Nicänischen Konzil ab, und behauptet, der Primat der römischen Kirche sei durch das Konzil von Nicäa bestätigt worden. Dies wies Luther unter Hinweis auf die Bewertung der historischen Quellen zurück.69 In den gegen Dungersheim gerichteten Briefen nannte Luther als Grundlage für seine geschichtlichen Kenntnisse über das Konzil von Nicäa und andere altkirchliche Konzilien70 neben dem von ihm kritisch beurteilten „Decretum Gratiani“ und den übrigen Teilen des „Corpus Iuris Canonici“71 die „Historia Ecclesiastica“ des Eusebius-Rufi nus72 , die „Historia ecclesiastica tripartita“ von Cassiodor 73, Platinas „De vita et moribus summorum pontificum historia“74 sowie die Kirchenväter – allen voran Augustin und Cyprian.75 Außerdem kannwie Kolde, Luther’s Stellung, 40–42 vor die Disputation terminieren. Bezüglich der Datierung ist aber WAB 1; 517 f. zu folgen, der den Briefwechsel später ansetzt. 69 WAB 1; (517) 518–522 Nr. 203 (Hieronymus Dungersheim von Ochsenfart an Luther, [Leipzig], 7.10.[1519]); aaO. (566) 567 Nr. 225 (Luther an Dungersheim, [Wittenberg, Anfang Dezember 1519]); aaO. 574–594 Nr. 230 (Dungersheim an Luther, [Leipzig, Mitte Dezember 1519]); WAB 2; 2 Nr. 244 (Dungersheim an Luther, [Leipzig, Ende Januar 1520]); aaO. 23 Nr. 245 (Luther an Dungersheim, [Wittenberg, Ende Januar 1520]); WAB 2; 112 Nr. 292 (Dungersheim an Luther, [Leipzig, Ende Mai 1520]; WAB 2; 113 Nr. 293 (Luther an Dungersheim, [Wittenberg, Ende Mai 1520]); WAB 2; 114 Nr. 294 (Dungersheim an Luther, [Leipzig, Anfang Juni 1520]); WAB 2; 122 Nr. 301 (Luther an Dungersheim, [Wittenberg, Mitte Juni 1520]); WAB 2; 132 Nr. 307 (Dungersheim an Luther, [Leipzig, Ende Juni 1520]). Vgl. Brecht, Luther 1, 315; Freudenberger, Dungersheim, 120–170. H.-U. Delius, Zu Luthers historischen Quellen (LuJ 42, 1975, 71–125), 104 betont, dass dieser Briefwechsel „für die Darstellung der historischen Quellen Luthers von großer Bedeutung“ sei. 70 Die nachfolgende Aufstellung lehnt sich an WAB 1; 567,6–8 und den Beobachtungen von Schäfer, Luther, 50 an. 71 Über das „Corpus Iuris Canonici“ bei Luther, das diesem seit seiner frühesten Studienzeit bekannt war, vgl. aaO. 193–205; Mühlmann, Luther, 235–305. 72 GCS Eusebius 2/1. 2/2, insb. 957–1040. Zu dem gattungsbegründenden Werk des Eusebius von Caesarea, welches Rufi nus am Ende des 4. Jahrhunderts ins Lateinische übersetzte und um zwei Bücher erweiterte, vgl. M. Wallraff, Die Rezeption der spätantiken Kirchengeschichtswerke im 16. Jahrhundert (in: Grane, Auctoritas patrum 2, 223–260), 223 f. Anm. 3. Zur Rezeption bei Luther vgl. aaO. 234; Schäfer, Luther, 117–122; Delius, Zu Luthers historischen Quellen, 104–106. 73 CSEL 71 Cassiodorus. Über der auf den Kirchenhistorikern Sokrates, Sozomenos und Theodoret basierenden „Tripartita“ vgl. Wallraff, Rezeption, 224 f. Zu Luthers Gebrauch vgl. Schäfer, Luther, 122–126. 74 Vgl. Schäfer, Luther, 127–131; Delius, Zu Luthers historischen Quellen, 98–102. 75 Vgl. WAB 1; 354,50–54. Zu den Kirchenväterstudien Luthers siehe u. a. Schäfer, Luther, 176–190; V. Leppin, Art. B.I.3 Kirchenväter (LuH, 45–49). Zu Augustin vgl. H.-U.

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te er die griechischen Kanones des Konzils von Nicäa, die ihm möglicherweise handschriftlich durch Melanchthon zugänglich gemacht worden waren.76 Welche weiteren kirchenhistorischen Quellen Luther einsah, ist nur schwer auszumachen.77 Dass Dungersheim als vermeintlichen Trumpf gegen Luther den Beschluss der Konzilsväter von Nicäa anführte, in dem diese der römischen Kirche die apostolische Autorität zusprachen,78 traf Luther nicht. Kompromisslos lehnte er den Einwand mit dem Hinweis ab, er wisse, wo es geschrieben stehe, stammte das Dekret doch aus der von ihm abgelehnten „Pseudoisidorischen Dekretalensammlung“.79

3.3. Die Entfaltung der altkirchlichen Konzilsautorität Die Autorität des Konzils von Nicäa und weiterer altkirchlicher Konzilien entfaltete Luther argumentativ in seiner bereits erwähnten „Resolutio“ zur 13. Disputationsthese. In dieser für seine theologische Entwicklung wegweisenden Schrift vom Juni 1519, die der publizistischen Vorbereitung auf die Leipziger Disputation diente,80 rückte der Wittenberger Professor in aller Deutlichkeit die Heilige Schrift sowie die frühe Kirchengeschichte und die Dekrete der altkirchlichen Konzilien als Autorität für die Klärung von Glaubensfragen in den Mittelpunkt und entwickelte in systematisch-argumentativer Weise seine Auffassung vom Papsttum.81 Delius, Augustin als Quelle Luthers. Eine Materialsammlung, Berlin 1984; A. Beutel, Art. X. Luther (AugH, 615–622). Zu Cyprian vgl. Schäfer, Luther, 177 f. 76 WAB 1; 567, 13 f. vgl. Schäfer, Luther, 51 Anm. 1; Köhler, Luther und die Kirchengeschichte, 128. 77 Schäfer, Luther, 50 nennt die Chroniken des Sabellicus, Nauclerus und Jacobus Philippus Bergomensis, obgleich die beiden letztgenannten als Quellen für Luther fraglich sind (vgl. aaO. 115). 78 WAB 1; 522,174 f.: Quod signanter quoque in praefatis statutis expressum est: salva, inquiunt patres illi, in omnibus apostolica autoritate. 79 Vgl. Köhler, Luther und die Kirchengeschichte, 129–131. Über die „Pseudoisidorischen Dekretalen“ vgl. H. Fuhrmann, Einfluß und Verbreitung der pseudoisidorischen Fälschungen. Von ihrem Auftauchen bis in die neuere Zeit (SMGH 24, 1–3), 3 Bde, Stutt gart 1972–1974. 80 Die „Resolutio“ verfasste Luther u. a., um zur Disputation zugelassen zu werden. WAB 1; 415,8–14 Nr. 184 (Luther an Johann Lang, Wittenberg, 6. 6. 1519). 81 WA 2; (180) 183–240. Luther untersucht in dieser Schrift die zur Begründung der päpstlichen Gewalt herangezogenen Texte und kontrastiert sie mit Texten aus der Heiligen Schrift und der Kirchengeschichte. Weil die Kirche auf den Fels des Glaubens gegründet ist, dürfen menschliche Lügen die freie Erforschung der Wahrheit bezüglich des Papstprimats nicht behindern. Grundsätzlich hält Luther am Papsttum und Primatsanspruch (der äußeren Form nach) fest, kritisiert aber die Begründungsweise dieses Anspruchs. In einem ersten Abschnitt (aaO. 186,4–187,31) führt Luther zur Begründung der Oberhoheit des Papstes positiv aus, dass sie dem Willen Gottes entsprechen muss, und erkennt sie nach Röm 13 und I Petr 2,13.15 als Obrigkeit an. Sodann entfaltet er im zweiten, ausführlichen Abschnitt, dass

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Im Zusammenhang mit der der gesamten christlichen Kirche – und nicht Petrus und der römischen Kirche allein – zukommenden Schlüsselgewalt entfaltete er Grundzüge seines neuen Kirchenbegriffs, indem er die Kirche z. B. nach dem Glaubensbekenntnis als „communio sanctorum“ interpretierte,82 in der das Wort Gottes gepredigt und geglaubt werde.83 Der argumentative Rückgriff auf die alte Kirchengeschichte mit ihren Konzilien und Kirchenvätern 84 resultierte aus Luthers Geschichtsanschauung, welche besagte, dass die christliche Wahrheit in der Zeit der Apostel und der Alten Kirche gegenüber den späteren Zeiten am ursprünglichsten und reinsten erhalten gewesen sei.85 Durch die wachsenden Einflüsse menschlicher Werke und päpstlicher Macht sei die Glaubenswahrheit im Verlauf der Geschichte zunehalle bisherigen Begründungen für die Oberhoheit keine Beweise darstellen. Er untergliedert diesen Abschnitt aufgrund einer kurzen Einführung in drei Teile. AaO. 187,33–35: Quod probationes hucusque habitae nihil sint, tripliciter ostendam: Primo scripturas adductas dissolvendo, Secundo canonum seu decretalium inefficacem probationem, Tertio rationes robustissimae adducendo. – Folglich widerlegt er im ersten Teil die angeblichen Schriftbeweise (aaO. 187,36–197,42) und im zweiten die Beweise der kirchlichen Kanones und Dekretalen (aaO. 198,1–225,28). Im dritten Teil führt er schließlich Vernunftargumente an (aaO. 225,29–239,35). Vgl. zur Schrift Kolde, Luther’s Stellung, 43–47; Lohse, Luthers Theologie, 136–138; ausführlich: Grane, Martinus noster, 57–80. 82 WA 2; 190,15–26. 83 AaO. 208,25–29: Quare ubicunque praedicatur verbum dei et creditur, ibi est vera fides, petra ista immobilis: ubi autem fides, ibi ecclesia: ubi ecclesia, ibi sponsa Christi: ubi sponsa Christi, ibi omnia quae sunt sponsi. Ita fides omnia secum habet, quae ad fidem sequuntur, claves, sacramenta, potestatem et omnia alia. 84 Zur Kirchenväterrezeption bei Luther im Vorfeld der Leipziger Disputation vgl. Lohse, Luther und Athanasius, 105; J. Schilling, Luther und Gregor der Grosse (in: Grane, Auctoritas patrum, 175–184), 182; K.-V. Selge, Die Kirchenväter auf der Leipziger Disputation (in: Grane, Auctoritas patrum, 197–212). 85 Äußerungen Luthers über sein Geschichtsbild aus dem Jahr 1519 belegen, dass er den Gedanken eines fortschreitenden Verfalls seit der Zeit der Alten Kirche vertreten konnte, ohne allerdings der humanistischen Vorstellung einer idealen Frühzeit unkritisch zu folgen. Versuchsweise sprach er einzelnen Gestalten und Institutionen der frühen Kirchengeschichte normativen Charakter zu. Keineswegs aber wandte er die normative Bedeutung auf die gesamte frühe Kirchengeschichte an. Siehe z. B. WAB 1; 307,29–36 Nr. 136 [Luther an Kurfürst Friedrich, (Wittenberg, zwischen dem 13. und 19. 1. 1519)]. vgl. Headley, Luther’s view, 163 f.; B. Lohse, Luther und Athanasius, 107 f.; A. Merkt, Das patristische Prinzip. Eine Studie zur theologischen Bedeutung der Kirchenväter (SVigChr 58), Leiden/Boston/ Köln 2001, 131–133; J. Schilling, Die Wiederentdeckung des Evangeliums. Wie die Wittenberger Reformatoren ihre Geschichte rekonstruieren (in: L. Grenzmann [Hg.], Die Präsenz der Antike im Übergang vom Mittelalter zur Frühen Neuzeit [AAWG.PH III, 263], 2004, 125–142); Ders., Art. B.II.3. Geschichtsbild und Selbstverständnis (LuH, 97–106). Instruktiv und weiterführend: R. Schwarz, Die Wahrheit der Geschichte im Verständnis der Wittenberger Reformation (ZThK 76, 1979, 159–190). Kürzlich wurde eine umfangreiche und lehrreiche Studie zu Luthers Geschichts- und Wirklichkeitsverständnis aus systematischer Perspektive vorgelegt, die in differenzierter Weise die Komplexität von Luthers Geschichtsverständnis entfaltet: W. Kastning, Morgenröte künftigen Lebens. Untersuchungen zu Martin Luthers Geschichts- und Wirklichkeitsverständnis (FSÖTh 117), Göttingen 2008.

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mend verunklart worden, so dass es zu einem prozesshaften Verfall der Klarheit des Evangeliums gekommen sei. Aufgrund dieser verfallstheoretischen Geschichtsdeutung, welche für Luthers Interpretation der historischen Konzilien zeitlebens von Bedeutung blieb,86 erschienen die altkirchlichen Konzilien als glaubwürdigere Zeugen gegenüber der späteren kirchengeschichtlichen Entwicklung. Allerdings idealisierte Luther die Alte Kirche mit ihren Vätern und Konzilien keineswegs, sondern interpretierte auch sie als geschichtlich gewordene Personen und Institutionen. Dass er in der zweiten, erweiterten Auflage der „Resolutio“, die er nach der Leipziger Disputation in der zweiten Augusthälfte 1519 herausgab, der Heiligen Schrift allein höchste Autorität zusprach, zeugt von einer durch die Disputation mit Eck zugespitzten Pointierung der Schriftautorität.87 Weil bereits Leif Grane Luthers schriftgeleitete und kirchengeschichtlich orientierte Argumentation gegen die Begründungen des Papstprimates ausführlich darstellte,88 wird hier der Fokus auf die altkirchlichen Konzilien und Konzilsbeschlüsse gerichtet bleiben. So hebt Luther gegen die im „Decretum Gratiani“ festgehaltene Meinung von (Pseudo-)Isidor, der Papst sei der Fürst der Priester oder höchste Priester,89 den 25. (26.) Kanon des afrikanischen Konzils von Karthago (397) hervor: „Des ersten Sitzes Bischof soll nicht Fürst der Priester oder höchster Priester oder irgend etwas der Art genannt werden, sondern nur Bischof des ersten Stuhls.“ Und ergänzt die Feststellung mit den Worten: „Aber ein allgemeiner [Bischof ] soll sogar nicht der römische Papst genannt werden“90 Neben diesem Beschluss des afrikanischen Konzils beruft sich Luther auf eine Entscheidung des „ehrwürdigen“ Konzils von Chalcedon (451) und deren Rezeption durch die römischen Bischöfe. Wie aus den Briefen Gregors I. (590–604) hervorgehe, habe das Konzil von Chalcedon dem römischen Papst die Oberhoheit angetragen. Die Päpste hätten diesen Antrag aber bis zur Zeit Gregors I. abgelehnt.91 Auf86

Siehe z. B. unten, Kapitel VII § 20.3. In dem für die zweite Aufl age verfassten Vorwort betont Luther, dass er nicht nach menschlichem Urteil, sondern nach dem Urteil der Heiligen Schrift alle Schriften, Aussprüche und Taten der Menschen verstehen will. WA 2; 184,2 f.: volo non iudice humano die scripturam sed scriptura iudice omnium hominum scripta, dicta, facta intelligere. – Lohse, Luthers Theologie, 136 resümiert: „In dieser Schrift zeigt sich deutlicher als zuvor das sogenannte reformatorische Schriftprinzip.“ 88 Vgl. Grane, Martinus noster, 57–80. 89 Die Meinung (Pseudo-)Isidors zitiert Luther aus: CorpIC, Decr. Grat., I dist. 21 c.1 § 8 (Friedberg 1, 68). 90 WA 2; 200,21–24: Dicitur enim dis. xcix. c. prime: primae sedis Episcopus non appelletur princeps sacerdo-tum vel summus sacerdos aut aliquid huiusmodi, sed tantum primae sedis Episcopus. Et sequitur: Universalis autem nec etiam rhomanus pontifex appelletur. – Zum Kanon 25 des 3. Konzils von Karthago siehe CChr 149, 40 = CorpIC, Decr. Grat., I dist. 99 c.3 (Friedberg 1, 350 f.). 91 WA 2; 201,31–34. Luther verweist als Quelle auf die Regesten bzw. Sammlungen von Gregor I. Siehe Epp. V,18,20,43. VIII, 30: MPL 77,740 BC, 747 A, 771 C, 933 f. 87

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grund dieses Sachverhaltes, den Luther noch einmal in seiner „Resolutio“92 und in späteren Diskussionen93 wiederholt vorträgt, belegt er, dass die Oberhoheit des Papstes durch Gewohnheit („usu“) und menschliches Recht („iure hominum“), nicht aber durch das Evangelium („verbis evangelicis“) und das göttliche Recht („iure divino“) entstanden sei.94 Darüber hinaus verneint Luther die papale Meinung, alle Konzilien seien aufgrund der Autorität der römischen Kirche durchgeführt worden und hätten von ihr Kraft bekommen. Die Autorität des römischen Papstes – so die papale Argumentation – werde in den Konzilsbeschlüssen nicht angetastet.95 Dieser These, die er unter Bezugnahme auf den Streit um den Bischofseid zwischen dem Erzbischof von Palermo und Paschalis II. (1099–1118) aus der Dekretalensammlung Gregors IX. zitiert,96 hält Luther die Autorität der altkirchlichen Konzilien entgegen. Polemisch fragt er, ob das Konzil von Nicäa oder andere von Augustin und Cyprian in Afrika abgehaltene Konzilien durch die römische Kirche ihre Autorität bekommen hätten oder durchgeführt worden seien.97 Auf diese bei Cyprian und Augustin erwähnten afrikanischen Konzilien98 bezieht sich Luther erneut in seiner Zusammenstellung der Argumente „ex historiis et rationibus“99. Wiederum fragt er, ob diese Konzilien vom Papst verhin92 Im Zusammenhang mit der Problematisierung des Namens „universalis Episcopus“ für den römischen Papst nimmt Luther Bezug auf die Antragung des Titels durch das Konzil von Chalcedon und zitiert Gregor I., WA 2; 232,25–28: Certe pro beati Petri apostolorum principis honore per venerandam Chalcedonensem synodum rhomano pontifici oblatum est, sed nullus eorum unquam hoc singularitatis vocabulum assumpsit nec uti consensit, ne, dum privatum aliquid daretur uni, honore debito privarentur sacerdotes universi. – Ebenfalls zitiert Luther den Sachverhalt aus einem Brief an die Bischöfe Eulogius zu Alexandria und Anastasius zu Antiochia. Siehe aaO. 232,36–233,3. – Dass Luther historisch-akribisch gearbeitet hat, verdeutlicht die Beibehaltung der Bezeichnung „synodus“ für „concilium“ in den angezeigten Briefzitaten. 93 So z. B. in der Leipziger Disputation, WA 59; 467,1093–1097. 94 WA 2; 201,36 f. 233,3–6. In dieser Schrift identifi ziert er das göttliche Recht mit dem Evangelium oder Wort Gottes, welches Luther in der Leipziger Disputation weiter ausbaut. 95 WA 2; 216,17–19. 96 Ausführlich geht Luther auf den Streit um den Bischofseid ein und kommentiert kritisch in Dialogform die in CorpIC, Decr. Greg. IX., I tit. 6 c.4 (Friedberg 2, 49 f.) mitgeteilte Dekretale des Paschalis II. Während der Erzbischof und der König von Sizilien diesen, dem Papst zu leistenden Eid unter Berufung auf den Verbotsbefehl Christi (Mt 5,34) und die hierzu fehlenden Konzilsbeschlüsse ablehnen, besteht der Papst auf seine ihm von Christus anvertraute Autorität. Siehe WA 2; 212,7–216,30. Aus dem für Luther im Zusammenhang mit Nikolaus von Tudeschis Kommentar auch an anderen Stellen zentralen Kapitel „Significasti, de eclectione“ der „Dekretalen Gregors IX.“ zitiert er als päpstliche Meinung, WA 2; 216,16–19: Aiunt in conciliis non inveniri statutum, quasi rhomanae ecclesiae legem concilia ulla praefi xerint, cum omnia concilia per rhomanae ecclesiae autoritatem et facta sint et robur acceperint, et in eorum statutis patenter excipiatur rhomani pontificis autoritas. 97 WA 2; 216,20–22. 98 Diese hatte Luther bereits im Brief an Spalatin summarisch erwähnt. Siehe oben, Kapitel III § 5.3.1. 99 WA 2; 235,20.

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dert worden seien oder lediglich Rottenversammlungen („conciliabula“) bildeten, weil sie ohne die Genehmigung des Papstes stattgefunden hätten.100 Schließlich erwähnt Luther im Zusammenhang mit dem päpstlichen Machtanspruch den vergeblichen Versuch Julius’ I. (337–352), die morgenländischen Bischöfe zu zwingen, nur aufgrund seines Befehls ein Konzil zu versammeln.101 Sodann wendet sich Luther in seiner historischen und vernunftorientierten Argumentation erneut einzelnen altkirchlichen Konzilskanones zu. Um den Primat der Jerusalemer Kirche zu beweisen, nimmt er beispielsweise Bezug auf ein Dekret des Konzils von Konstantinopel (381). Die in Konstantinopel versammelten Bischöfe hätten dem römischen Bischof Damasus I. (366–384) mitgeteilt: „Wir zeigen an, dass in der Mutter aller Kirchen, Jerusalem, [. . .], der sehr ehrwürdige und von Gott geliebte Cyrill Bischof sei“.102 Für Luther wird durch diesen Konzilsbeschluss zweierlei bestätigt: Zum einen wurde in der Alten Kirche die Kirche von Jerusalem und nicht Rom für die Mutter aller Kirchen gehalten. Zum anderen fand das Konzil nicht unter der Autorität des Papstes statt.103 Auf die Beschlüsse des Konzils von Nicäa kommt Luther am Ende seiner Schrift zu sprechen. Hier entfaltet er den Konzilsbeschluss, auf den er in seiner Disputationsthese anspielt: „Und bei Alexandrien wie in der Stadt Rom ist die alte Gewohnheit zu halten, dass wie jene über Ägypten so diese über die in der Nähe der Stadt (Rom) gelegenen Kirchen Sorge tragen.“104

Dieses nach der Kirchengeschichte von Eusebius-Rufi nus zitierte Dekret des Konzils105 beweist Luther, dass dem römischen Papst nicht die Oberhoheit und Alleinherrschaft („monarchia“) zukomme. Die Sorge oder Aufsicht über die italienischen und nahe bei Rom gelegenen Kirchen werde ihm nach alter Gewohnheit („ex vetusta consuetudine“) zugeteilt und nicht – wie von den Primatsverteidigern behauptet – nach göttlichem Recht („iure divino“). Somit stehe dieses Dekret „gegen die ganz kalten Dekrete“.106 Aus diesem Gegensatz folgert Luther für seine theologische Position:

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AaO. 236,8–10. AaO. 235,38–236,3. Luther bezieht sich hierbei auf die Historia tripartita, 4. Buch. 102 Luther beruft sich auf die Historia Tripartita, 9. Buch, 14. Kapitel und zitiert den Beschluss, WA 2; 237,35 f.: In matre cunctarum ecclesiarum, Hierosolymis, constituta reverendissimum et deo amabilem Cyrillum Episcopum esse significamus [. . .]. 103 WA 2; 237,37–40. 104 AaO. 238,4–6: Et apud Alexandriam vel in urbe Rhoma vetusta cosuetudo servetur, ut vel ille Aegypti vel hic suburbanarum ecclesiarum solicitudinem gerat. 105 Rufi nus, Historia ecclesiasticae X, 6.6 (GCS Eusebius 2/2, 966,24–967,2). 106 WA 2; 238,6–11. 101

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III. Die Entwicklung des reformatorischen Konzilsverständnisses (1519)

„Wenn ich also ein Ketzer bin, wohlan, so mögen sie zuerst dieses Konzil auf heben, dem gleich einem Evangelium zu gehorchen die Dekrete selbst mich zwingen.“107

Polemisch bemerkt er, dass er nicht zwei unterschiedlichen Herren dienen könne. Dass die Macht des römischen Papstes begrenzt sei, belegt Luther mit weiteren Konzilsbeschlüssen. Hinsichtlich der Amtseinsetzung von Bischöfen solle dem römischen Bischof nicht die alleinige Macht zukommen. Die Landesbischöfe sollten die Ordination vornehmen. Das entsprechende Dekret von Nicäa zitiert Luther mit den Worten: „Und damit, wenn etwa bei der Ordination eines Bischofs zwei oder drei wegen irgendeines Streits anderer Meinung wären, die Autorität der übrigen und besonders des Metropoliten mit den anderen desto fester gehalten werde.“108

Schließlich betont Luther den im Konzil von Nicäa bestätigten Ehrenprimat des Jerusalemer Bischofs und zitiert folgenden Beschluss: „Und dass dem Bischof von Jerusalem das von Alters her übergebene Vorrecht der Ehre bewahrt werde, indem gleichwohl auch die Würde des Metropoliten dieser Provinz bleibt.“109

Somit ist für den Wittenberger Theologen bewiesen, dass von alters her ein anderer Bischof als der von Rom den Ehrenprimat inne gehabt habe. Außerdem gibt Luther zu bedenken, dass Eustathius, Bischof von Antiochia, den Vorsitz im Konzil hatte und nicht der römische Papst. Weder war Eustathius ein Ketzer, noch habe das Konzil gegen göttliches Recht gehandelt.110

3.4. Die Funktion der altkirchlichen Konzilsentscheide im Streit um den Papstprimat Die ausführlichen Argumentationslinien in der „Resolutio“, in denen Luther außerdem das 4. Konzil von Karthago (um 400) 111 und kritisch einen Beschluss 107 AaO. 238,12 f.: Si ergo sum haereticus, age, tollant primum hoc concilium, cui me ipsa quoque decreta tanquam euangelio cogunt oboedire. 108 AaO. 238,16–18: Et ut, si forte in ordinando episcopo duo vel tres pro aliqua contentione dissentiant, reliquorum autoritas et praecipue Metropolitani cum caeteris fi rmior habeatur. – Siehe GCS Eusebius 2/2 967,3–5. 109 WA 2; 238,23–25: Et ut Episcopo Hierosolymorum antiquitus tradita honoris praerogativa servetur, manente nihilominus et Metropolitani ipsius provintiae dignitate. – Siehe GCS Eusebius 2/2, 967,6–8. 110 WA 2; 238,28–32. 111 Um die Widersprüchlichkeit der päpstlichen Dekretalien bezüglich der Oberhoheit des römischen Bischofs zu beweisen, thematisiert Luther die Rangordnung im Verhältnis zwischen Bischof und Presbytern und zitiert aus CorpIC, Decr. Grat., I dist. 95 c.9 f. (Friedberg 1, 335) den 34. und 35. Kanon des 4. Konzils von Karthago, WA 2; 230,12–15: Episcopus, in quolibet loco sedens, stare presbyterum non patiatur. [. . .] Episcopus in ecclesia in

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des letzten Konzils, des 5. Laterankonzils (1512–1517),112 nennt, kulminieren in der These, dass neben Christus kein anderes allgemeines Haupt der Kirche auf Erden sein könne.113 Dieser papstkritischen, an der Heiligen Schrift orientierten Position, die sich vordergründig gegen die Ableitung des Papstprimats aus göttlichem Recht, hintergründig aber bereits gegen den römischen Primatsanspruch überhaupt wendet, stellt Luther seine Argumente aus den altkirchlichen Konzilsbeschlüssen dienend zur Seite. Obwohl er auf die historische Situation der jeweiligen Konzilien überhaupt nicht näher und auf die kirchengeschichtlichen Zusammenhänge der Dekrete nur sporadisch eingeht, billigt er den in seiner Abhandlung verstreut vorgetragenen altkirchlichen Konzilsdekreten große Autorität zu. Weil diese Konzilien mit ihren Kanones der apostolischen Zeit näher stehen als die päpstlichen Dekretalsammlungen des Mittelalters und weil sie eine kollegiale, schriftgemäße Repräsentanz der Kirche und keine monarchische Papstkirche vertreten, sind sie neben der Heiligen Schrift und den Kirchenvätern Garanten für Luthers sich entfaltendes reformatorisches Autoritätsverständnis. Ohne die umfangreiche, die altkirchlichen Konzilsbeschlüsse mitberücksichtigende Vorbereitung auf die Disputation, welche zu einer Hochschätzung der frühen Konzilien führte, wären die in Leipzig getätigten Aussagen über das Konstanzer Konzil kaum denkbar gewesen.

consessu presbyterorum sublimior sedeat, intra domum vero collegam presbyterorum se esse cognoscat. 112 Als negativen Höhepunkt der „ganz kalten Dekretalen“ und der Vernachlässigung des Evangeliums verweist Luther auf den als eine Selbstverständlichkeit geltenden Beschluss des 5. Laterankonzils, dass die Seele des Menschen unsterblich sei. Siehe WA 2; 226,38–40. Vgl. Köhler, Luther und die Kirchengeschichte, 108–112; Stange, Luther und das fünfte Laterankonzil, 339–444. 113 WA 2; 239,23 f.

§ 6 Die Konzilsthematik während der Leipziger Disputation (1519) Während der Leipziger Disputation verbalisierte Luther in Ansätzen erstmals sein als reformatorisch zu bezeichnendes Konzilsverständnis, indem er die Infallibilität von Konzilsentscheidungen erschütterte und die Autorität der Konzilien hinterfragte. Durch den Disputator Eck provoziert, verschärfte Luther seine bereits 1518 in den „Resolutiones“ zu den Ablassthesen formulierte hypothetische Aussage, dass Konzilien irren können,114 zu der Bemerkung, dass sie bisweilen tatsächlich geirrt hätten. Auch unterschied Luther in Leipzig erstmals öffentlich zwischen der Autorität der Kirche und der Autorität der Heiligen Schrift. Obwohl diese oberflächlich skizzierten Beobachtungen zum Grundbestand jeder Überblicksdarstellung der Reformationsgeschichte115 und jeder Biographie der an der Veranstaltung beteiligten Personen116 zählen, gibt es erstaunlich wenig Forschungsbeiträge, welche die theologischen Differenzen in der Leipziger Disputation insgesamt und speziell bezüglich des Konzilsthemas näher untersuchen.117 Selbst die anregenden Beiträge von Kurt-Victor Selge118 und 114

Siehe oben, Kapitel II § 2.2.3. Vgl. z. B. Iserloh, Martin Luther, 65; K.-H. zur Mühlen, Reformation und Gegenreformation. Teil 1 (Zugänge zur Kirchengeschichte 6), Göttingen 1999, 60–62; J. Wallmann, Kirchengeschichte Deutschlands seit der Reformation, Tübingen 62006, 26–28. 116 Zur Leipziger Disputation vgl. Th. Wiedemann, Dr. Johann Eck. Professor der Theologie zu der Universität Ingolstadt, Regensburg 1865, 75–139; E. Iserloh, Johannes Eck (1486–1543). Scholastiker, Humanist, Kontroverstheologe (KLK 41), Münster 21985, 31–46; M. Ziegelbauer, Johannes Eck. Mann der Kirche im Zeitalter der Glaubensspaltung, Sankt Ottilien 1987, 87–100; G. Wilczek, Johannes Eck, Ingolstadt 2003, 12–25. 62–121; Köstlin/Kawerau, Luther 1, 240–251; H. Boehmer, Der junge Luther. Mit einem Nachwort von H. Bornkamm, Leipzig 71955, 230–237; Brecht, Luther 1, 295–307; A. Beutel, Martin Luther. Eine Einführung in Leben, Werk und Wirkung, 2. verbesserte Aufl., Leipzig 2006, 78 f.; Th. Kaufmann, Martin Luther (Beck’sche Reihe 2388), München 2006, 51; Leppin, Luther, 144–150. 117 Über die Disputation siehe Seidemann, Leipziger Disputation, 39–70. Vgl. auch Kolde, Luther’s Stellung, 40–54; J. Lortz, Die Leipziger Disputation 1519 (BZThS 3, 1926, 12–37); Kähler, Beobachtungen, 214–229; L. Grane, Gregor von Rimini und Luthers Leipziger Disputation (in: Ders., Reformationsstudien. Beiträge zu Luther und zur dänischen Reformation [VIEG 49], Mainz 1999, 37–56); Kruse, Universitätstheologie, 205– 219. Kürzlich bemängelte Schubert, Libertas Disputandi, 411 zu Recht, dass „trotz ihrer quasi ikonischen Bedeutung für das evangelische Selbst- und Geschichtsverständnis“ die Leipziger Disputation „gleichzeitig zu den am wenigsten erforschten Episoden im Leben 115

§ 6 Die Konzilsthematik während der Leipziger Disputation (1519)

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Leif Grane119 sowie die Ergänzung durch Thomas Fuchs120 erforschen die Konzilsthematik fast ausschließlich hinsichtlich der Infragestellung der Konzilsautorität, aufgrund der Jaroslav Pelikan die Disputation sogar zum „Beginn der Reformation“ erklären konnte.121 Allerdings wurde das facettenreiche konziliare Spektrum, das in der Diskussion zwischen Luther und Eck zu Tage trat, bei der Konzentration auf die Infallibilitätsthese kaum beachtet.122 Weil die Leipziger Disputation für Luthers Haltung zur Konzilsthematik von prägender Bedeutung war, muss auf die Disputation zwischen Luther und Eck ausführlich eingegangen werden. Es gilt zu fragen, in welchem Zusammenhang die Konzilsthematik zur Sprache kam und wie die jeweiligen Disputanten auf sie reagierten. Ließ sich Luther zu der These von der Fehlbarkeit der Konzilien zufällig provozieren oder war sie für ihn die logische Konsequenz seiner sich entfaltenden reformatorischen Theologie mit ihrer papst- und romkritischen Spitze? Welche historischen Konzilien spielten in der Auseinandersetzung eine Rolle und welche Bedeutung räumte Luther ihnen ein? Und warum hinterfragte Luther überhaupt die Konzilsautorität, obwohl er noch im November 1518 an ein allgemeines Konzil appelliert hatte? Um die verschiedenen Fragen beantworten zu können, muss das Spektrum der Disputation zur Konzilsthematik analysiert und unter Berücksichtigung des historischen und theologischen Hintergrunds interpretiert werden. Grundlage der Untersuchung ist das im 59. Band der Weimarer Ausgabe unter dem Titel „Disputatio inter Ioannem Eccium et Martinum Lutherum“ (1519) kritisch wiedergegebene Protokoll,123 das in einer unautorisierten Ausgabe im Dezember 1519 gedruckt erschien.124 118

Martin Luthers“ zähle. Vgl. auch seine die Disputationsstrukturen herausarbeitende Studie aaO. 411–442. 118 Selge, Disputation, 26–40. Zum Streit über die Konzilsautorität vgl. aaO. 36 f. 119 Grane, Martinus noster, 81–113. Zur Konzilsthematik vgl. aaO. 100–105. 120 Fuchs, Konfession, 170–187. 121 Pelikan, Luthers Stellung, 40: „Mehr als die zwei Jahre früher angeschlagenen 95 Thesen oder gar die Exkommunizierung, die 1521, zwei Jahre später, erfolgte, markiert diese Feststellung [, dass das Konzil von Konstanz tatsächlich geirrt habe,] den Beginn der Reformation“. 122 Eine gewisse Ausnahme bildet Ebneter, Luther, 11–19, der auch die Diskussion um das Konzil von Nicäa mit in seine Darstellung einbezieht. 123 Den Gesamttext der Disputation bietet: O. Seitz (Hg.), Der authentische Text der Leipziger Disputation (1519). Aus bisher unbenutzten Quellen, Berlin 1903. Die Disputation Luther – Eck ist unzureichend wiedergegeben in: WA 2; (250) 254–383 und textkritisch verbessert sowie durch hilfreiche Literaturnachweise ergänzt in der 1983 vorgelegten Neuedition: WA 59; (427) 433–605. 124 Vgl. zur Geschichte des Disputationsprotokolls Seitz, Leipziger Disputation, 1–11; WA 59; 428–431.

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1. Die Rahmenereignisse Unter großer Anteilnahme der Leipziger Bevölkerung und zahlreicher auswärtiger Gäste avancierte die intensiv geplante und seitens des Merseburger Bischofs bis zuletzt heftig bekämpfte Disputation125 zu einem Theologenkongress von nationaler Bedeutung mit öffentlich-inszeniertem Rahmenprogramm. Insbesondere der Auftritt Luthers in dem Streitgespräch mit Eck wurde mit Spannung erwartet, hofften Sympathisanten wie Gegner doch auf eine theologische Klärung des um den Wittenberger Professor aufgebrochenen Konfl iktes. Die unmittelbaren Vorbereitungen und denkwürdigen Rahmenereignisse, die das Aufeinandertreffen der profi liertesten zeitgenössischen Theologen Deutschlands begleiteten, wurden ebenso wie der Verlauf des Streitgespräches in zahlreichen Briefen und Augenzeugenberichten mitgeteilt.126 Neben Johannes Eck und zahlreichen Gelehrten aus Leipzig und Umgebung trafen aus Wittenberg außer Karlstadt und Luther auch Melanchthon, Nikolaus von Amsdorf, Johann Agricola, Herzog Barnim von Pommern in seiner Funktion als Rektor der Universität und weitere Gelehrte ein. Zahlreiche bewaffnete Wittenberger Studenten, die sich als lutherische Schutztruppe verstanden, begleiteten die Delegation. Juristischen Beistand erhielt die Wittenberger Abordnung u. a. durch den kursächsischen Rat Hans von Planitz. Unter der Schirmherrschaft des sächsischen Herzogs Georg, der dem dreiwöchigen Streitgespräch häufiger beiwohnte, fand die Disputation in der festlich geschmückten großen Hofstube der herzoglich-sächsischen Residenz, der Pleißenburg, statt. Dem herzoglichen Rat Cäsar Pflug und dem Kanzler Johann Kochel oblag die Gesamtleitung, der städtischen Bürgerwehr die militärische Aufsicht.127 Bevor die Disputation offi ziell eröffnet wurde, schlossen die Kontrahenten Karlstadt und Eck am Sonntag, dem 26. Juni, einen im Vorfeld nicht unumstrittenen rechtskräftigen Kontrakt. Die aufzustellenden Behauptungen sollten von den Parteien wechselseitig opponierend und respondierend vorgetragen und durch vier Notare protokolliert werden. Aus den notariellen Mitschriften war 125 Bischof Adolf von Merseburg hatte noch am 24. Juni versucht, ein Mandat gegen die Disputation zusammen mit der päpstlichen Ablassdekretale in Leipzig öffentlich anschlagen zu lassen, welches der Rat der Stadt und Herzog Georg verhinderten. Vgl. Gess 1, 89 Nr. 119 (Bischof Adolf an Herzog Georg, Merseburg, 25. 6. 1519); aaO. 90 Nr. 120 (Georg an Bischof Adolf, Dresden, 27. 6. 1519); WAB 1; 421,8–13 Nr. 187 (Luther an Spalatin, Wittenberg, 20. 7. 1519). 126 Siehe Löscher 3, 291–558 (Disputationsakten: 292–507; Beschreibung der Disputation: 508–558) und die unkritische Zusammenstellung bei Walch 2 15, 1130–1259. Luther erstattete kurz nach der Disputation Bericht: WAB 1; 420–424 (428) Nr. 187 (Luther an Spalatin, Wittenberg, 20. 7. 1519); WA 2; 391–403,4; WAB 1; 465–478 Nr. 192 (Luther und Karlstadt an Kurfürst Friedrich, Wittenberg, 18. 8. 1519). Vgl. Selge, Weg, 199–204. 127 Vgl. neben der in der vorhergehenden Anmerkung angeführten Literatur Schwarz, Luther, 69.

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ein offi zielles Protokoll zu erstellen, das am Ende der Disputation den Beteiligten in Abschrift mitgegeben und zur Beurteilung der Lehre dem zu bestimmenden Schiedsgericht zugesandt werden sollte. Erst nach dem Urteilsspruch des Schiedsgerichts durfte eine Veröffentlichung des Protokolls erfolgen, was Luthers Hoffnung auf ein ihm genehmes Urteil durch die gelehrte Öffentlichkeit zunichte machte.128 Luther, der sich kurzzeitig weigerte, dem Kontrakt zuzustimmen, ergänzte ihn auf Drängen seiner Rechtsberater durch zwei Forderungen, von denen eine erneut seine Konzilsappellation berücksichtigte: Erstens dürfe ihm durch das Schiedsurteil das Recht auf die Appellation an das Konzil im römischen Prozess nicht genommen werden und zweitens dürften die Disputationsakten nicht an die römische Kurie weitergeleitet werden.129 Weil die Benennung des Schiedsgerichts – wie bereits gesehen – einen zentralen Streitpunkt zwischen Eck und Luther bildete, einigten sich die Kontrahenten auf Drängen des sächsischen Herzogs schließlich am 14. Juli: Über die Disputation Eck – Luther sollten die Universitäten Paris und Erfurt, über die Disputation Eck – Karlstadt nur die Universität Erfurt das Urteil sprechen und den Sieg verkünden. Ausgeschlossen waren in Erfurt und Paris die Mitglieder der Augustiner-Eremiten und der Dominikaner.130 Umstritten war die Frage, wer urteilen sollte. Eck plädierte für die Doktoren der Theologie und Kanonistik.131 Luther benannte die gesamte Universität – insbesondere die Laien – als Urteilsinstanz.132 Die Entscheidung fällte Herzog Georg am 16. Juli zugunsten Ecks.133 Das bedeutendste akademische Streitgespräch der Reformationszeit, das nicht nur eine erhebliche Resonanz in der gebildeten Öffentlichkeit hervorrufen, sondern auch den Reformationsverlauf nachhaltig prägen sollte, begann am Montag, dem 27. Juni 1519.134 Wie verabredet, disputierten Eck und Karlstadt am 27. und 28. Juni sowie am 1. und 3. Juli vor zahlreichem und erlesenem 128 Gess 1, 91 f. Nr. 123 (Contract der Disputanten, Leipzig, 26. Juni, 4. und 14. Juli 1519) = WAB 1; 428–430. 129 Gess 1, 91,27–32: Doch so hat doctor Martinus seyn appelation, die er zuvorn vorgewendt, als vil er des recht hat, vorbehalten und nicht wollen fallen lassen, auch das dye acta diser disputation nicht in bebistlichen hof aus ursachen yne bewegend, darubir zu erkennen, sollen geschigkt werden. So auch in diser disputation zwuschen berurten doctorn yrrung vorfallen wurden, sollen sie der herren, so alher vorordent, weysung leyden. 130 Gess 1, 91 f. = WAB 1; 428–430. 131 Gess 1, 92–94 Nr. 124 (Cäsar Pflug an Herzog Georg, [Leipzig], 15. 7. 1519). 132 WAB 1; 430 f. (Denkschrift Luthers für Herzog Georg, Leipzig, 14. [oder 15.?]7. 1519). 133 Gess 1, 94 Nr. 125 (Herzog Georg an Cäsar Pflug, Rochlitz, 16. 7. 1519). 134 Eröffnet wurde die Veranstaltung durch eine Begrüßungsrede des Juristen Simon Pistoris in der Aula der Universität. Es folgte eine feierliche Messe in der Thomaskirche, ein Festumzug zur Pleißenburg und eine zweistündige Eröffnungsrede des Humanisten Petrus Mosellanus im Disputationssaal. Vgl. Seidemann, Leipziger Disputation, 46–50; Brecht, Luther 1, 297 f.

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Publikum135 über die Frage nach der Rolle des freien Willens im Rechtfertigungsprozess und somit über die augustinisch-paulinische Sünden- und Gnadenlehre.136 Anschließend stritten Eck und Luther vom 4. bis 14. Juli über die Gewalt des Papstes, das Fegefeuer, den Ablass, die Buße und die Absolution. Zum Ende der Disputation traten noch einmal Karlstadt und Eck gegeneinander an und setzten ihre Disputation über den freien Willen fort.137 Obwohl noch nicht alle Themen verhandelt worden waren, wurde die Disputation am Freitag, dem 15. Juli, gegen 14 Uhr abgebrochen und durch eine feierliche Schlussrede des früheren Universitätsrektors Johann Lange von Löwenberg beendet. Der Grund für dieses plötzliche Ende war ein politischer: Kurfürst Joachim I. von Brandenburg befand sich auf der Rückreise vom Frankfurter Kurfürstentag und Herzog Georg wollte ihn in seiner Leipziger Residenz empfangen, wofür er die große Hofstube benötigte.138

2. Die Konzilsthematik im Streit mit Eck um den päpstlichen Primat Den Höhepunkt der außerordentlichen Universitätsdisputation bildete die vom 4. bis 8. Juli währende fünftägige Auseinandersetzung zwischen Luther und Eck über die päpstliche Primatsgewalt, die von Eck provoziert und durch Luthers 13. These vorbereitet worden war. Während Luther in der dem Redegefecht vorangestellten „Protestatio“ betonte, dass er aus Ehrfurcht vor dem Papst und der römischen Kirche den Gegenstand der Disputation, der „nicht notwendig und außerordentlich widerwärtig“ sei,139 gern gemieden hätte, bildete für Eck die Frage des Papstprimates den Kern des theologischen Streites. In dieser Auseinandersetzung, die spezifischer über die Frage nach der Begründung des Primats durch das göttliche Recht handelte und somit das zu dogmatischer Würde erhobene Selbstverständnis des Papsttums grundlegend betraf, traten die bereits im Vorfeld von beiden Persönlichkeiten erkannten Differenzen zu Tage und verschärften sich in der Frage des Schriftverständnisses, des Traditionsprinzips und der kirchlichen Autoritäten.140 135 Über die Zuhörer der Disputation siehe die Liste bei O. Clemen, Ein gleichzeitiger Bericht über die Leipziger Disputation 1519 (NASG 51, 1930, 44–57). 136 Seitz, Text, 14–54. Vgl. zur Disputation Karlstadt-Eck: Wiedemann, Eck, 100–107; Barge, Karlstadt, 153–160; R. J. Sider, Andreas Bodenstein von Karlstadt. The Development of his thought 1517–1525 (SMRT 11), Leiden 1974, 70–81; Iserloh, Eck, 29–36; Fuchs, Konfession, 160–170. 137 Seitz, Leipziger Disputation, 219–245; Vgl. Wiedemann, Eck, 124–134; Barge, Karlstadt, 160–163. 138 Vgl. Seidemann, Leipziger Disputation, 58. 139 WA 59; 434,43. 140 Zum Schrift- und Traditionsprinzip in der Leipziger Disputation, die im Rahmen

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Die hier näher zu bearbeitende Konzilsthematik, deren Spektrum von einzelnen Konzilsentscheidungen über verschiedene Konzilien bis hin zur Frage nach der Konzilsautorität reichte, entwickelte sich in diesem Zusammenhang zu einem zentralen Streitpunkt. Auch in den anschließenden Disputationen wurde das Konzilsthema zwischen Luther und Eck immer wieder kontrovers diskutiert. Um eine möglichst genaue Analyse und Interpretation der Konzilsthematik mit ihrer disputationsinhärenten Dynamik vornehmen zu können, müssen sowohl Luthers als auch Ecks Argumente und Gegenargumente in der Disputation wechselseitig nachgezeichnet und in Bezug auf Luthers Konzilsverständnis systematisiert werden.

2.1. Die ekklesiologischen Differenzen Obgleich hinreichend bekannt, bedarf das Kirchenverständnis als die der Konzilsthematik zugrundeliegende Differenz zwischen den Disputanten einer kurzen, einleitenden Erinnerung: 141 In seinem den akademischen Disput eröffnenden Redebeitrag widersprach Eck Luthers 13. These und formulierte seinen mit der spätmittelalterlichen Kircheninstitution übereinstimmenden Standpunkt: „Die Alleinherrschaft und die eine Oberherrschaft in der Kirche Gottes ist aus göttlichem Recht und von Christus eingesetzt, weshalb der Text der Heiligen Schrift und die anerkannten Historien sich ihm nicht widersetzen.“142

Eck begründete seine These mit der Analogie zwischen „ecclesia militans“ und „ecclesia triumphans“ sowie mit der Notwendigkeit einer hierarchisch verfassten, monarchisch geleiteten Herrschaft für die irdische Existenz der „streitenden Kirche“, wofür er neben Bibelstellen (Eph 4,16; Joh 5,19) verschiedene Kirchenväterbelege anführte. Disputationsstrategisch überlegt, bezeichnete Eck alle Lehren, die Kritik an der Primatsthese der römischen Kirche übten, als ketzerisch. Explizit erwähnte er John Wyclif.143

dieser Studie nicht genauer dargestellt werden können, vgl. u. a. Kähler, Beobachtungen, 214–229; Grane, Martinus noster, 86–100. 141 Vgl. hierzu Selge, Disputation, 30 f. Zu Ecks Ekklesiologie vgl. R. Bäumer, Die Ekklesiologie des Johannes Eck (in: E. Iserloh [Hg.], Johannes Eck [1486–1543] im Streit der Jahrhunderte. Internationales Symposion der Gesellschaft zur Herausgabe des Corpus Catholicorum aus Anlaß des 500. Geburtstages des Johannes Eck vom 13. bis 16. November 1986 in Ingolstadt und Eichstätt [RGST 127], Münster 1988, 129–154). Zu Luthers Ekklesiologie siehe die weiterführende Literatur in Kapitel I.2. 142 AaO. 435,72–74: Monarchia et unus principatus in ecclesia dei est de iure divino et a Christo institutus, quare textus sacrae scripturae vel historiae approbatae ei non adversantur [. . .]. 143 AaO. 435,74–436,94.

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Luther erwiderte, dass er eine Alleinherrschaft in der „streitenden Kirche“ zugestehe, welche aber nicht von einem Menschen, sondern „iure divino“ von Christus ausgeübt werde.144 Die Christuszentrierung der irdischen Kirche begründete Luther anhand biblischer Zeugnisse (I Kor 15,25; Mt 28,20 u. a.) und widerlegte die von Eck angeführten Argumente als nicht beweiskräftig für die göttliche Stiftung des Primats. Zwar ließ er die hierarchische Verfassungswirklichkeit der römischen Kirche unangetastet, verstand aber die Papstkirche als geschichtlich gewordene Partikularkirche, die von der Jerusalemer Kirche als Mutter aller Kirchen abhänge.145 Mit Ecks und Luthers Eingangsvoten war der grundsätzliche ekklesiologische Gegensatz skizziert, der im Verlauf der Disputation vertieft wurde. Während Eck am „ius divinum“ des Papsttums festhielt, bestritt Luther zwar nicht das Papsttum als solches, wohl aber dessen göttliche Stiftung und deren Heilsnotwendigkeit für die universale Kirche. Diesen ekklesiologischen Standpunkt suchte Luther in Leipzig mit Hilfe der Heiligen Schrift, einzelnen Kirchenvätern, der frühen Kirchengeschichte, der griechischen Ostkirche, dem Kirchenrecht und altkirchlichen Konzilsdekreten argumentativ zu stützen. Weil die altkirchlichen Konzilien mit ihren Beschlüssen – wie schon in der „Resolutio“ – von Luther als Argumente gegen den römischen Primatsanspruch zu Beginn der Disputation angeführt wurden, sind sie den Ausführungen zum Konzilsthema voranzustellen.

2.2. Die altkirchlichen Konzilsentscheidungen und die griechische Ostkirche In seiner ersten Erwiderung auf Eck erwähnte Luther u. a., dass nach Cyprian die Bischofswahl dem Volk und, wie auch im „allerheiligsten“ Konzil von Nicäa festgesetzt, zwei oder drei Nachbarbischöfen zukomme.146 Außerdem berief er sich auf den Beschluss des Konzils von Karthago (397), in welchem untersagt wurde, den Bischof von Rom „pontifex universalis“ zu nennen.147 Mit diesen Hinweisen auf zwei altkirchliche Konzilsdekrete verbalisierte Luther gleich zu Beginn der Disputation die für ihn zentrale Autorität der frühen Konzilien. Ohne auf ihre Autorität einzugehen, wies Eck das Konzilsdekret von Nicäa als nicht weiterführend zurück und deutete den Kanon des afrikanischen Konzils zusammen mit Lk 22,25 positiv, der römische Papst sei eigentlich Bischof der allgemeinen Kirche zu nennen.148 Luther hingegen kritisierte die Zurück144 AaO. 437,131 f.: Monarchiam ecclesiae militantis prorsus confiteor eiusque caput non hominem sed Christum ipsum idque auctoritate divina [. . .]. 145 AaO. 437,132–440,241. 146 AaO. 438,180–183. Vgl. WA 2; 238,16–18 und oben, Kapitel III § 5.3.3. 147 WA 59; 440,232–235. Vgl. WA 2; 200,21–24 und oben, Kapitel III § 5.3.3. 148 WA 59; 442,305 f. 444,369–379.

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weisung seiner altkirchlichen Konzilsargumente als haltlos und unterstellte die „törichte“ Antwort dem Urteil der Richter und Zuhörer.149 Im Blick auf die kirchlich anerkannte Konzilsautorität bemerkte der Wittenberger Professor: Sollte das Konzilsdekret von Nicäa nicht feststehen und gegen das göttliche Recht beschlossen worden sein, dürfe Nicäa nicht ein katholisches Konzil, sondern eine teufl ische Rottenversammlung („diabolicum conciliabulum“) genannt werden.150 In seiner Replik wehrte sich Eck gegen den impliziten Vorwurf, die Autorität des Nicänischen Konzils nicht zu achten, und interpretierte den Konzilsbeschluss in historisch-entwicklungspraktischer Perspektive: Was die Handlung und den Gebrauch des Konzilsdekrets angehe, könne dieser je nach Beschaffenheit der Zeit, Personen und Orte verändert werden, wie an vielen Kanones zu sehen sei.151 Eine solche Position lehnte er aber bei Dekreten zum Papstprimat strikt ab. Am folgenden Tag bemerkte Luther zum Diskussionsstand: Weil das Konzilsdekret von Nicäa über die Bischofseinsetzung nicht widerlegt werden könne, habe Eck es ignoriert.152 Weitere Konzilsbeschlüsse kamen innerhalb des um die griechische Ostkirche kreisenden Argumentationsstrangs zum Tragen. Während Luther mit der ekklesiologischen Wirklichkeit der Ostkirche gegen die Behauptung des einheitsstiftenden Primatsanspruchs der römischen Kirche argumentierte,153 widersprach Eck dieser Argumentation und behauptete, die Ostkirche sei von der die christliche Einheit wahrenden, römischen Kirche abgefallen.154 Die Griechen seien Schismatiker und Häretiker, auch wenn sie der römischen Kirche im Konzil von Florenz unter Eugen IV. einen falschen Gehorsam geleistet hätten.155 Im weiteren Disputationsverlauf lehnte Luther den Häresievorwurf gegen die griechische Ostkirche ab,156 während Eck ihn als dogmatisch gesetzt verteidigte.157 Zur Unterstützung der Eigenständigkeit der griechischen Kirche gegenüber dem römischen Anspruch auf kirchliche Oberherrschaft berief sich Luther wiederum auf das altkirchliche Konzil von Nicäa und dessen Konzilsbeschlüsse. Wie zuvor in der „Resolutio“ begründete Luther seine Position zum einen mit 149

AaO. 449,546–450,556. AaO. 447,465–470. 151 AaO. 452,630–632: Sed quae factum et conversationem respiciunt, pro temporis, personarum et locorum qualitate mutari possunt, ut in multis canonibus videmus. 152 AaO. 456,743 f. 153 AaO. 439,191–197. 439,208–210. 448,495–502 154 AaO. 443,322–333. 155 AaO. 453,642–651. Vgl. auch aaO. 482,1560–1563. Eck bezieht sich hier auf die Unionsbulle „Laetentur caeli“, die auf der Sessio 6 am 6. 6. 1439 beschlossen wurde, siehe COD3 523–528. 156 WA 59; 456,748–750. 462,916–934. 463,960–970. 157 AaO. 458,810–813. 469,1139–1144. 150

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dem Konzilsdekret über die Zuständigkeit der alexandrinischen und römischen Stadtkirche für die sie jeweils umgebenden Gebiete,158 zum anderen mit dem Beschluss über den Jerusalemer Ehrenprimat.159 Zum dritten betonte er, dass die griechischen Bischöfe nicht vom römischen Pontifex bestätigt worden seien, und verwies u. a. auf den zu Beginn der Disputation erwähnten Konzilsbeschluss von Nicäa über die Bischofseinsetzung.160 Aufgrund der erneuten Argumentation mittels der Konzilsbeschlüsse von Nicäa, die Eck einerseits ohne Beweiskraft für die zu diskutierende Sache, andererseits ohne Relevanz für den römischen Primat zurückwies,161 hielt Eck grundsätzlich fest: Keine Synode, selbst zur Zeit des Nicänischen Konzils, konnte als rechtmäßig anerkannt werden, wenn sie nicht unter der Autorität des römischen Papstes versammelt worden sei.162 Dass das Quinisextum (692) der römischen Kirche den obersten Sitz zubillige, belegte Eck mit Hilfe der 22. Distinktion des „Decretus Gratiani“.163 Auch bemühte er sich mittels der Kirchenväter – vor allem Augustins – nachzuweisen, dass zur Zeit des Konzils von Nicäa die Oberhoheit des römischen Papstes in der Gesamtkirche galt.164 Konnte Luther Eck im Streit um die Eigenständigkeit der griechischen Ostkirche bezüglich des römischen Primats unter Hinweis auf das Konzil von Nicäa und weitere Argumente der altkirchlichen Tradition bisweilen in Verlegenheit bringen, suchte Eck seinen Gegner mit der jüngeren Tradition der Kirche – insbesondere den jüngeren Konzilien – zu konfrontieren und, wie nachfolgend zu belegen sein wird, in den Verdacht der Ketzerei zu bringen.

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AaO. 475,1321–1327. Vgl. WA 2; 238,3 und oben, Kapitel III § 5.3.3. AaO. 475,1328 f. Vgl. WA 2; 238,22. 160 AaO. 475,1335–476,1346. Auf die Festsetzung der Bischofseinsetzung im Konzil von Nicäa beruft sich Luther noch einmal ausführlich aaO. 495,1932–496,1944, wogegen Eck in aaO. 504,2200–2205 und aaO. 511,2419 f. kontert. 161 AaO. 483,1580–484,1588. 162 AaO. 483,1582–1584: Nam synodus nulla etiam eo tempore legitima arbitrabatur quae non foret auctoritate Romani pontificis congregata. – Zum Beweis dieser grundlegenden Aussage verweist Eck auf die den Päpsten Marcellus I. (308–309), Julius I. (337–352) und Leo I. (440–461) zugeschriebenen Konstitutionen in CorpIC, Decr. Grat., I dist. 17 c.1; dist. 17, c.2; dist. 18, c.2 (Friedberg 1, 50 f. 53 f.). 163 AaO. 484,1588–1592. Eck bezieht sich auf den 36. Kanon der durch Kaiser Justinian II. (685–695; 705–711) 691/692 nach Konstantinopel einberufenen Synode Quinisextum oder 2. Trullanum. Siehe CorpIC, Decr. Grat., I dist. 22 c.6 (Friedberg 1, 76). Zum Trullanum vgl. Schatz, Allgemeine Konzilien, 86 f. 164 WA 59; 484,1608–485,1619. Eck führt den 92. Brief Augustins an Innozenz I. an. 159

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3. Häresieverdacht und Infragestellung der kirchlichen Autorität In seinem Eingangsvotum hatte Eck angedeutet, dass die Leugnung des Primates der römischen Kirche zu den Irrtümern John Wyclifs zähle. Am Vormittag des 2. Disputationstages wurde er gegen Ende seiner Rede konkret. Neben der Zitierung eines Satzes von Wyclif, in dem dieser es für nicht heilsnotwendig erachtete, den Supremat der römischen Kirche über die anderen Kirchen zu glauben,165 fügte Eck aus den „schädlichen Irrtümern“ von Jan Hus drei verurteilte Sätze an, zu denen die These zählte, dass die päpstliche Würde vom Kaiser herkomme.166 Hiergegen bezeugte er unter Berufung auf die Bulle „Unam sanctam“ (1302) von Bonifatius VIII., dass die Kirche ihren Primat von Christus und nicht durch menschliche Rechte oder Einwilligung des Volkes erhalten habe. Dennoch hätten die schismatischen Böhmen ihre Irrtümer u. a. durch Eingaben im Basler Konzil hartnäckig verteidigt.167 Die Ausführungen gipfelten schließlich in einem direkten Angriff gegen Luther: Dessen 13. These und die Argumentation, der Primat der Kirche sei aus menschlichem Recht erwachsen, begünstige die böhmischen Irrtümer! 168 Luther wies den von Eck im Vorfeld der Disputation angedeuteten Vorwurf169 umgehend zurück und verurteilte seinerseits das böhmische Schisma.170 Um 165 AaO. 461,880–882: Hinc inter damnatos et pestiferos errores Ioannis Vuiclef damnatus est et ille: „Non est de necessitate salutis credere Romanam ecclesiam esse supremam inter alias.“ – Siehe DH 1191. 166 AaO. 461,882–888: Sic inter pestilentes Ioannis Huss errores ille quoque connumeratur: „Petrus non est nec fuit caput ecclesiae sanctae catholicae.“ Et alius: „Non est scintilla apparentiae, quod oporteat esse unum caput in spiritualibus regens ecclesiam, quod semper cum militante ecclesia conversetur“. Et iste: „Papalis dignitas a caesare inolevit, et papae perfectio et institutio a caesare emanavit.“ – Siehe DH 1207. 1209. 1227. 167 AaO. 461,888–901. Zur Eingabe der Hussiten im Basler Konzil und den Konzilsverhandlungen mit den Böhmen vgl. Gill, Konstanz und Basel-Florenz, 201–232. 168 AaO. 461,901–908. 169 Durch die Formulierung der 12. bzw. 13. Disputationsthese hatte Eck die Nähe Luthers zur Häresie der Böhmen angedeutet. In seinem publizierten Brief vom 14. März 1519 (WAB 1; 319–322) verdächtigte Eck Luther im Blick auf die „Acta Augustana“ und die Konzilsappellation unter Anlehnung an verschiedene Kirchenväterzitate der Ketzerei, weil er dem „Priester Gottes“, dem Papst, nicht gehorche, und urteilte, aaO. 322,106–109: Quam consultum esset Luttero id amplecti, quod S. Bernardus Pisanis consuluit de Honorio papa: Honora tuum et universitatis patrem. Sed antiquos cineres ignit Lutter et antiquae messis novam profert zizantiam, ut Ambrosii verbis utar. – Vgl. Fuchs, Konfession, 155–157; Selge, Weg, 188 f.; Schubert, Libertas Disputandi, 419 f. 170 AaO. 462,912–915: Numquam mihi placuit neque in aeternum placebit quodcunque schisma; inique faciunt Bohemi, quod se auctoritate propria separant a nostra unitate, etiamsi ius divinum pro eis staret, cum supremum ius divinum sit charitas et unitas spiritus. – Inwiefern Luther den von Eck ausgesprochenen Vorwurf der hussitischen Ketzerei einkalkuliert hatte, lässt sich aufgrund zweideutiger Belege nicht zweifelsohne beantworten. Tatsächlich hatte Luther im offenen Brief an Karlstadt vom Februar (WAB 1; 316–318) betont, dass Eck ihm neue, ausgedachte Irrtümer zuschreibe, und unterstrichen, aaO. 317,66–318,69: Quanquam mallem, ut monstrum, quod iam diu in me alis et quod te male habet, aliquando

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dem Häresieverdacht zu wehren, kritisierte Luther zu Beginn seines Votums am frühen Nachmittag erneut Ecks Verdächtigung, indem er betonte, dass er nicht die Spaltung der Böhmen verteidigen wolle noch könne, sondern die 1400-jährige Geschichte der griechischen Ostkirche.171 Ungefragt ging Luther sodann erstmalig auf die von Eck angeführten wyclifhussitischen Artikel ein,172 mit denen er sich wahrscheinlich kurz zuvor in der Mittagspause anhand der von Hieronymus de Croaria besorgten Ausgabe der Konstanzer Konzilsakten vertraut gemacht hatte.173 Vor Eck behauptete Luther nun, es sei gewiss, dass unter den Artikeln „viele ganz christliche und evangelische“ („multos plane christianissimos et evangelicos“) seien, welche die allgemeine Kirche nicht verdammen könne. Hierzu zähle die zu Unrecht verdammte und im Glaubensbekenntnis enthaltene Aussage, dass nur eine allgemeine Kirche sei.174 Ebenfalls sei es unwichtig, ob der folgende Satz Wyclif oder Hus zugeschrieben werde: „Es ist zur Seligkeit nicht notwendig, zu glauben, dass die römische Kirche höher als die anderen sei.“175 Gregor von Nazianz und andere griechische Bischöfe seien ohne Einhalten dieses Artikels selig geworden.176 pareres et nauseas, quibus stomachus tuus periclitatur, tandem evomeres in publicum minisque illis tuis basilicis et gloriosis per omnia fi nem imponeres. – Ob allerdings aus Luthers Aufruf an Eck, er solle seine Vorwürfe laut äußern, mit Selge, Weg, 189 zu interpretieren ist, Eck „solle Luther endlich offen für den Ketzer erklären, für den Böhmen, als den er ihn mit seinen vagen Andeutungen hinstellt“, muss aufgrund des Kontextes fraglich bleiben. Fuchs, Konfession, 157 formuliert inhaltlich unkorrekt: „In einem offenen Schreiben an Karlstadt forderte er Eck auf, seinen Vorwurf des Hussitismus endlich offen und ehrlich auszusprechen.“ 171 WA 59; 466,1041–1047. 172 Dass die Leipziger Disputation die entscheidende Wende in Luthers Haltung zu Hus bildete, darf als bekannt vorausgesetzt werden. Weil Luther sich vor der Disputation mit der Lehre von Jan Hus und der Geschichte des Konstanzer Konzils nicht eingehender beschäftigt hatte, Ecks Anschuldigungen aber die dort verurteilte Lehre von Hus betraf, musste Luther sein Unwissen in Leipzig umgehend kompensieren. Über die Quellenstudien zu Hus vgl. Schäfer, Luther, 63. 205–216; Köhler, Luther und die Kirchengeschichte, 184–186. Zu Luthers Verhältnis zu Hus vgl. u. a. aaO. 162–236; W. Delius, Luther und Huß (LuJ 38, 1971, 9–25); B. Lohse, Luther und Huß (1965) (in: Ders., Evangelium in der Geschichte, Göttingen 1988, 65–79); S. H. Hendrix, „We are all Hussites“? Hus and Luther Revisited (ARG 65, 1974, 134–161); Th. Kaufmann, Luther und die Böhmen (in: M. Wallraff und M. Kessler [Hg.], Biblische Theologie und historisches Denken. Aus Anlass der 50. Wiederkehr der Basler Promotion von Rudolf Smend [Studien zur Geschichte der Wissenschaften in Basel. NF 5], Basel 2008, 62–109). 173 H. de Croaria, Acta Scitu dignissima docte[que] co[n]cinnata Constantiensis concilii celebratissimi [. . .], Hagenow 1500. Diese Ausgabe fand sich neben einer Aufl age von 1512 auch in Wittenberg. Vgl. Schäfer, Luther, 209. Vermutlich befand sich ein Exemplar unter den von den Wittenbergern zur Disputation mitgebrachten Büchern. 174 WA 59; 466,1048–1051: Secundo, et hoc certum est, inter articulos Ioannis Huss vel Bohemorum multos esse plane christianissimos et evangelicos, quos non possit universalis ecclesia damnare, velut est ille et similis, quod tantum est una ecclesia universalis. 175 AaO. 466,1055 f.: Deinde ille: „Non est de necessitate salutis, credere Romanam ecclesiam aliis esse superiorem“; sive sit Vuicleff, sive Huss, nihil curo. 176 Siehe aaO. 466,1048–1059.

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Sodann zog Luther in bis dahin unbekannter Deutlichkeit Konsequenzen für sein Glaubens- und Autoritätsverständnis: Es stehe nicht in der Gewalt des römischen Papstes oder der Inquisitoren, neue Glaubensartikel aufzustellen, sondern sie hätten nach den gegebenen zu urteilen. Kein gläubiger Christ könne über die Heilige Schrift, die „eigentlich das göttliche Recht“ sei, hinaus zum Glauben an einen Artikel gezwungen werden, wenn nicht eine „neue und anerkannte Offenbarung“ („nova et probata revelatio“) hinzukomme. Es sei nach göttlichem Recht verboten, etwas zu glauben, das nicht „durch die göttliche Schrift“ („per scripturam divinam“) oder „durch eine deutliche Offenbarung“ („per manifestam revelationem“) bewiesen sei. Zum Beleg der Heiligen Schrift als höchster Norm bezog sich Luther auf Gerson, Augustin und die Juristen.177 Insbesondere die Rezeption der von den Juristen in ihrer Kommentierung des Kanons „Significasti“ geäußerten Position, dass „die Meinung eines Privatmannes mehr gelte als der römische Papst, Konzil oder Kirche, wenn er sich auf ein besseres Zeugnis oder einen besseren Grund stütze“,178 bedeutete eine Ausweitung der von Luther bereits in den „Acta Augustana“ getroffenen Relativierung der Autorität des Papsttums auf die Konzilien und übrigen kirchlichen Institutionen.179 Im Zweifelsfall hatten sich die kirchlichen Autoritäten der auf Schrift- und Vernunftgründen ruhenden Erkenntnis eines einzelnen Menschen zu beugen. Mit diesen Aussagen manifestierte Luther zwei für seine reformatorische Theologie grundlegende Einsichten: die Heilige Schrift als höchste Autorität und die Urteilskompetenz eines einzelnen Christen gegenüber den kirchlichen Institutionen. An Eck kritisierte er zum einen die Missachtung des göttlichen Rechts, d. h. der Heiligen Schrift, und zum anderen dessen kirchengeschichtliche Argumentation: „Daher, so sehr mich der treffl iche Herr Doktor mit den Böhmen dringt, die noch nicht hundert Jahre alt sind, so sehr dringe ich ihn mit der orientalischen Kirche, dem besseren Teil der allgemeinen Kirche und 1400 Jahre alt.“180

4. Das Konstanzer Konzil und die Irrtumsfähigkeit der Konzilien In Ecks Reaktion, die Luther zum protokollarischen Protest nötigte, erneuerte der Ingolstädter Theologe den Häresievorwurf u. a. mit dem Angriff gegen Lu177

AaO. 466,1059–467,1074. AaO. 467,1071–1074: Quin etiam ipsi iuristae [. . .] in canone Significasti, De electione et electi potestate statuunt, praevalere unius privati hominis sententiam tam pontifici Romano quam concilio et ecclesiae, si meliori auctoritate nixus fuerit vel ratione. – Siehe CorpIC, Decr. Greg. IX., I tit. 6 c.4 (Friedberg 2, 49 f.). 179 Luther spielte hiermit auf Nikolaus von Tudeschis Kommentar an. Hierzu siehe oben, Kapitel II § 2.2.3. 180 AaO. 467,1082–1085. 178

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thers Schrifthermeneutik im Streit um die Interpretation von Mt 16,18: Es sei „böhmisches Gift“ („verum Bohemicum“), die Heilige Schrift besser verstehen zu wollen als die anerkannten kirchlichen Autoritäten wie „die Päpste, Konzilien, Doktoren und Universitäten“. Der Heilige Geist habe seine Kirche nicht verlassen und es sei verwunderlich, wenn Gott seinen Heiligen und Märtyrern diese Wahrheit verborgen hätte.181 Nachdem Eck seinem Gegner verschiedentlich widersprochen hatte,182 konfrontierte er Luther aufgrund dessen Aussagen über die verurteilten Artikel mit dem Konstanzer Konzil: Aber „ich meine, dass dies allen Christgläubigen schrecklich sei, dass der ehrwürdige Vater sich nicht scheut, gegen das so heilige und lobenswerte Konstanzer Konzil, das mit so großer Übereinstimmung der ganzen Christenheit versammelt worden ist, zu sagen, etliche hussitische und wyclifitische Artikel seien überaus christliche und evangelische gewesen [. . .], welche die allgemeine Kirche nicht verdammen könne.“183

Die lebensbedrohliche Gefährlichkeit der Situation erkennend, fiel Luther Eck protestierend ins Wort und beteuerte, nichts gegen das Konstanzer Konzil gesagt zu haben.184 Gestärkt durch die Irritation seines Gegners setzte Eck seine Argumentation unbeirrt fort. Die „verdammten Hussiten“ könnten sich auf Luthers Zugeständnis zweier Artikel berufen und analog zu Augustins Mahnung gegen den Ansehensverlust der Heiligen Schrift bei einer dort erkannten Lüge behaupten, „wenn das Konzil in diesen beiden Artikeln geirrt hat, die überaus christlich sind, so wird dessen Ansehen bei uns auch in anderen Artikeln wanken.“185 Die Berechtigung seines Angriffs belegte Eck mit der kirchlichen Dogmatisierungspraxis: Eine Aussage, die durch die Autorität eines Konzils oder des Papstes verdammt sei, könne anschließend nicht ohne Verdacht auf Ketzerei verteidigt werden.186 Rhetorisch geschickt hatte Eck Luther mit den hussitischen Artikeln 181

AaO. 470,1176–1181. Hierzu zählte Ecks Bemerkung, dass im Konstanzer und Basler Konzil durch bewährte Theologen wie Nikolaus von Kues u. a. die böhmischen Irrtümer schriftlich widerlegt worden seien (aaO. 471,1220–472,1231). Siehe auch aaO. 465,1032–1036. – Zu Ecks Beurteilung des Konstanzer Konzils insgesamt vgl. R. Bäumer, Johannes Eck und das Konstanzer Konzil (in: Synodus. Beiträge zur Konzilien- und allgemeinen Kirchengeschichte. FS für Walter Brandmüller, hg. von R. Bäumer, Evangelos Chrysos und Johannes Grohe, Paderborn/München/Wien/Zürich 1997, 571–591). 183 AaO. 472,1232–1240: [. . .] sed hoc horrendum omnibus Christifidelibus arbitror, quod reverendus pater contra tam sanctum et laudabile Constantiense concilium tanto consensu totius christianitatis congregatum non veretur dicere, articulos aliquos Hussiticos et Vuiclefficos fuisse christianissimos et evangelicos [. . .] quos non possit universalis ecclesia damnare [. . .]. 184 AaO. 472,1237 f. 185 AaO. 473,1250–1252: Si concilium erravit in his duobus articulis christianissimis, ita eius apud nos in aliis articulis vacillabit auctoritas. 186 Zur Verdeutlichung nannte er die von Richard von St. Victor ohne Anschuldigung 182

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gegen die Autorität des Konstanzer Konzils ausgespielt und den Verdacht der Ketzerei manifestiert. Am folgenden Tag, dem 6. Juli, meldete sich Luther in einer offi ziellen Protestation zu Wort. In ihr bezichtigte er Eck des Vertragsbruchs und der Kompetenzüberschreitung und kritisierte, dass Eck sich das Richteramt angemaßt und ihn für einen Ketzer erklärt habe.187 Außerdem wies Luther die Anschuldigung empört von sich, er habe die schädlichsten Irrtümer des Hus äußerst christliche genannt.188 Nach der Replik auf verschiedene Punkte, zu denen die Kritik an Ecks Disputiermethode zählte189, ging Luther auf seine Aussage ein, einige im Konstanzer Konzil verurteilte Artikel von Hus seien überaus christliche und evangelische gewesen.190 Aber anstatt die revolutionäre These zu relativieren, untermauerte er sie, indem er zwei hussitische Artikel zitierte, die er nicht auf Hus, sondern auf Augustin und dessen Rezeption durch Petrus Lombardus zurückgeführt wissen wollte,191 und erwähnte zwei weitere Artikel, deren dogmatisch korrekter Inhalt von Eck nicht bestritten werden könne.192 Weil Luther einerseits die Autorität des Konstanzer Konzils nicht antasten und andererseits die angeführten hussitischen Artikel als christliche Artikel retten wollte, bemühte er zur Verteidigung mehrere Erklärungsversuche: Zuerst äußerte Luther den Verdacht, dass diese und ähnliche Artikel in Konstanz nicht verdammt, sondern durch einen Betrüger in den Irrtumskatalog des behauptete These der Zeugung des Wesens in der Gottheit, die aber anschließend im 4. Laterankonzil entschieden wurde, so dass jetzt niemand ohne Ketzerverdacht behaupten könne, dass das Wesen der Gottheit zeuge. Siehe aaO. 473,1256–1261. Vgl. DH 804. 187 WA 59; 475,1308–1313. 188 AaO. 475,1314–1317. 189 AaO. 477,1370–1376. Luther wies Ecks Behauptung (aaO. 470,1176–1181), er wolle die Heilige Schrift besser als die Konzilien, Universitäten, Lehrer und der Papst verstehen, als „rhetorico boatu“ zurück. 190 AaO. 478,1418–1422. Obwohl ein vermeintlicher Widerspruch zwischen Luthers Vorwurf gegen Eck (aaO. 475,1314–1317) und der hier gemachten Aussage über die sehr christlichen Artikeln des Jan Hus’ besteht, wird Luther diesen Widerspruch entweder nicht gesehen oder die Aussagen anders gedeutet haben. Während die erste Aussage sich auf die auch von Luther für häretisch gehaltenen Irrtümer Hus’ bezieht, fi ndet er diese nicht in den von ihm im Folgenden angeführten Artikeln. 191 AaO. 478,1423–1428: Inter articulos Huss est et ille: „Unica est sancta universalis ecclesia quae est praedestinatorum universitas“; item alius: „Universalis sancta ecclesia tantum est una sicut tantum unus est numerus praedestinatorum“. Hi duo non sunt Huss sed Augustini super Ioannem vi. ad verbum prope, et repetuntur per magistrum sententiarum in iiii. de sacramento eucharistiae. – Die verurteilten Artikel siehe DH 1201. Zum vagen Nachweis vgl. WA 59; 478 Anm. 271. 192 AaO. 478,1428–1432 (-479,1437): Tertius est: „Duae naturae, divinitas et humanitas, sunt unus Christus“. Hos articulos, credo, confitetur mecum dominus Ioannes Eccius. Quartus: „Divisio immediata humanorum operum est quod sunt vel virtuosa vel vitiosa; quia si homo est vitiosus et agit quicquam, tunc agit vitiose, et si est virtuosus et agit quicquam, tunc agit virtuose“. – Siehe DH 1204. 1216. Vgl. auch WA 59; 479 Anm. 274.

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Konzils eingeschoben worden seien. Durch die Fälscherhypothese suchte Luther das Konzil als offi zielle kirchliche Instanz zu entlasten.193 Sodann bemerkte er, dass im Konzil eine Abstufung kirchlicher Zensuren von „ketzerisch“ über „irrig“, „lästerlich, „vermessen“, „aufrührerisch“ bis hin zu „gottseligen Ohren anstößig“ vorgenommen worden sei194 und somit jeder von Eck pauschal verdammte Artikel mit der Entscheidung des Konzils näher zu bestimmen sei. Sollte ein Artikel „anstößig“ sein, müsse er noch längst nicht verdammt oder falsch sein.195 Diese Argumentation übertrug Luther auf Ecks Ketzeranklage und folgerte, es sei keineswegs bewiesen, dass der kritische Satz über den Supremat der römischen Kirche ketzerisch sei, auch wenn er unter die ketzerischen Artikel gerechnet werde.196 Hieran schloss Luther neue, für die Entwicklung seines reformatorischen Konzilsverständnisses grundlegende Aussagen über das Wesen eines Konzils an: Es sei ein von Eck vorgetragenes falsches Beispiel, mit Augustin zu behaupten, sollte eine Lüge in einem Konzil zugelassen werden, werde das Ansehen des gesamten Konzils wanken. Augustin beziehe sich mit dieser Aussage auf die Heilige Schrift, „welche das unfehlbare Wort Gottes ist, ein Konzil ist aber eine Schöpfung dieses Wortes.“197 Aus der fundamentalen Differenzierung zwischen „verbum dei“ und „creatura verbi“, die von nun an für Luthers Konzilsverständnis elementar werden sollte, resultierte für ihn: Ist das Wesen des Konzils Kreatur des Wortes, ist mit Panormitanus in seiner Auslegung des Kapitels „Significasti“ zuzugestehen, dass das Konzil – anders als das Wort selber – irren könne („concilium posse errare“).198 Diese Aussage im Anschluss an den kirchlich anerkannten Kanonisten Nikolaus von Tudeschi, die Luther bereits 1518 in erster Linie bezüglich des Papsttums getroffen hatte,199 übertrug er jetzt öffentlich auf die Institution Konzil. Obwohl Luther mit dieser unter spätmittelalterlichen Theologen keineswegs singulären Aussage die Möglichkeit der Fallibilität eines Konzils thematisierte,200 wollte er die Autorität des Konzils keineswegs schwächen, sondern sie 193

AaO. 479,1443–1445. Vgl. Selge, Disputation, 36. WA 59; 479,1446–1448: Verum, ultra hoc, cum ipsummet concilium dicat aliquos esse haereticos, aliquos erroneos, aliquos blasphemos, aliquos temerarious, aliquos seditiosos, aliquos piarum aurium offensivos [. . .]. – Luther lehnt sich hier an die in der 8. und 15. Sitzung des Konstanzer Konzils vorkommenden Differenzierungen der verurteilten Sätze an: COD3 414,26–30. 415,12–15. 427, 28–39. 195 Köhler, Luther und die Kirchengeschichte, 181 wertet in diesem Zusammenhang die „Sophistik der Unterscheidung“ als verzweifelte Bemühung, die Konzilsautorität zu halten. 196 WA 59; 479,1448–1461. Vgl. Selge, Disputation, 36 f. 197 AaO. 479,1462–1465. Augustinus de scriptura divinis ratiocinatur, quae est verbum dei infallibile; concilium vero creatura istius verbi (aaO. 479, 1464 f.). 198 AaO. 479,1465–480,1467: Ideo iniuria fit verbo dei per hanc comparationem cum concessum sit concilium posse errare, ut notat Panormitanus, capite Significasti. 199 Siehe oben, Kapitel II § 2.2.3. Vgl. Brockmann, Konzilsfrage, 62 f. 200 Zur These von der Irrtumsfähigkeit von Konzilien, die u. a. auf Wilhelm von Ockham 194

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in ihrer ekklesiologisch-menschlichen Gestalt im Gegenüber zum göttlichen Wort in für ihn angemessener Weise zur Geltung bringen. Dass diese Pointierung dennoch den Traditionsrahmen sprengte, war Luther in diesem Moment kaum bewusst. Ein grundlegendes und seitdem immer wieder vorgetragenes Merkmal bildete für Luther die in Anlehnung an die Regel von I Thess 5,21 notwendige kritische Prüfung.201 Weil nach Augustin alle Schriften mit Ausnahme der Heiligen Schrift geprüft werden müssten und der römische Papst und die Konzilien Menschen seien, müssten auch ihre Dekrete geprüft werden und dürften von der apostolischen Regel nicht ausgeschlossen werden.202

5. Umstrittene Konzilsautorität Durch diese grundsätzlichen Äußerungen über die Irrtumsfähigkeit der Konzilien hatte Eck jetzt die Möglichkeit, den Ketzereivorwurf gegen Luther auf die Institution des Konzils insgesamt auszuweiten. In der Tat beschritt Eck diesen Weg und provozierte Luther zu schärferen Aussagen. Eck eröffnete seine Antwort mit der Zurückweisung des Richtervorwurfs und der Betonung, Luther nicht der Ketzerei beschuldigt zu haben. Vielmehr seien dessen Aussprüche den Ketzern und Böhmen günstig und nähmen sie in Schutz, insbesondere die „fürchterlichen“ Bemerkungen über die vom Konstanzer Konzil verworfenen hussitischen Artikel, die Luther als äußerst christlich und evangelisch werte.203 Anschließend führte Eck u. a. seine Interpretation von Mt 16,18 aus, welche er umfangreich mit Hilfe verschiedener Kirchenväter, Konzilien und Dekrete untermauerte,204 bevor er auf die von Luther als „catholicos et evangelicos“ bezeichneten vier hussitischen Artikel zu sprechen kam. Schon in formaler Hinsicht brandmarkte er ihre Nennung durch Luther als Verstoß gegen das Disputationsabkommen, weil Herzog Georg das von den heiligen Konzilien Entschiedene unangetastet sein lassen wollte.205 Sodann wies Eck Luthers Fälscherhypothese unter Verweis auf den beurkundeten und von den Hussiten nicht beanstandeten Druck der Konstanzer Akten durch Hieronymus de Croaria zurück.206 zurückgeht, und die sowohl von Papalisten als auch von Konziliaristen vertreten wurde, vgl. Bäumer, Irrtumsfähigkeit, 997–1002. 201 Vgl. WA 1; 647,19; WA 2; 447,1–4. 626,39. 202 WA 59; 480,1469–1475. Romanus pontifex et concilia sunt homines, ergo probandi sunt et sic tenendi, nec eximendi ab hac regula apostolica (aaO. 480,1473–1475). 203 AaO. 482,1547–1552. 204 AaO. 485,1639–488,1731. 205 AaO. 489,1732–1737. Hier beruft sich Eck auf die protokollarisch festgehaltene Entscheidung von Herzog Georg (aaO. 481,1530–482,1543). 206 AaO. 489,1737–1741. Vgl. Ebneter, Luther, 14.

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Über die von den Konzilsvätern untersuchten und von der heiligen Synode verdammten und verworfenen Artikel könne er, Eck, nicht richten, da sie schon gerichtet seien. Vielmehr müsse jeder gute Christ sie aufgrund der Konzilsentscheidung für verdammt und verworfen halten.207 Luthers Abstufung der kirchlichen Zensur hielt er für unbrauchbar. Erneut kritisierte er die positive Bewertung der Artikel und belehrte die Zuhörer über die besagten Artikel mit dem Ergebnis, dass sie nicht christlich, sondern erzketzerisch seien.208 Somit bestimmte Eck die generelle Normativität von Heiliger Schrift und Konzilien sowie das Wesen des Konzils fundamental anders als Luther: Für Eck enthielten sowohl die Heilige Schrift als auch die Konzilien die „zweifellose und unfehlbare Wahrheit“.209 Luthers Wesensbestimmung der Konzilien als Menschen und Geschöpfe kritisierte er als unbrauchbar und die daraus resultierende Folgerung, dass sie irren könnten, als widerwärtig. Sollten Konzilien irren, seien sie keine Konzilien, sondern wie das Konzil von Ephesus und die Konzilien von Rimini oder Aachen „Rottenversammlungen“.210 Als zu glaubende Aussage betonte Eck, dass alles, was in einem rechtmäßig versammelten Konzil in Glaubensdingen festgesetzt und beschlossen werde, ganz gewiss sei. Diese Gewissheit resultierte für ihn aus der das wahre Konzil regierenden Macht des Heiligen Geistes,211 auf den er im weiteren Verlauf der Disputation immer wieder verwies.212 Für Eck ist somit konstitutiv, dass ein kirchliches Konzil nicht durch menschlichen Sinn, sondern durch göttlichen Geist versammelt ist. Die Autorität der Konzilien wird durch die Anwesenheit des Heiligen Geistes gewährt. Gegen Ende seiner Erwiderungsrede am Morgen des 7. Julis, in der er ausführlich seine umstrittene 13. These entfaltete und sich noch einmal deutlich vom Ketzerverdacht distanzierte, entwickelte Luther im Gegenüber zu Ecks Konzilsvorstellungen erneut zentrale Aussagen zum Konzil: Er stimme mit Eck überein, dass die Konzilsbeschlüsse, die den Glauben betreffen, angenommen werden müssten.213 Er behalte sich aber vor, „dass ein Konzil bisweilen geirrt 207

WA 59; 489,1741–1750. AaO. 489,1750–490,1776. 209 AaO. 490,1776–1785. 210 AaO. 490,1785–1788. Zu den von Eck angeführten Konzilien von Ephesus (449), von Rimini (359) und (vermutlich) von Aachen (860) vgl. aaO. 490 Anm. 372. Wie Eck in seiner Ausführung andeutet, war ein Konzil dann ein „Conciliabulum“, wenn es nicht vom Papst anerkannt wurde. Diese Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit eines Konzils nannte er als Kriterium explizit in seinen Schriften „Super propositione sua decima tertia de potestate papae“ (1521) und „Enchiridion“ (1525). Vgl. Bäumer, Ekklesiologie, 146; Ders., Eck, 574. 211 AaO. 490,1788–491,1798. 212 Zur Leitung des Konzils durch den Heiligen Geist siehe auch WA 59; 541,3385. 562,4036. 571,4342–4345. 213 AaO. 500,2080 f.: Consentio cum domino doctore quod conciliorum statuta in his quae sunt fidei sunt omni modo ampletenda. 208

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habe und bisweilen irren könne, zumal in den Dingen, die nicht den Glauben betreffen.“214 Außerdem habe ein Konzil nicht die Macht, neue Glaubensartikel aufzustellen, da es sonst so viele Artikel wie menschliche Meinungen gebe.215 Mit diesen drei Sätzen, in denen er einerseits die Traditions- und Institutionentreue wahren wollte, andererseits die Autorität des Konzils in der Aufstellung neuer Glaubensartikel beschnitt und ihr Irrtumsfähigkeit – in nicht zum Glauben zählenden Dingen – testierte, stellte Luther die kirchlich anerkannte Macht der Konzilien und ihre als unfehlbar geltende Autorität grundsätzlicher als bisher in Frage. Statt diesen Aussagen sogleich zu widersprechen, konzentrierte sich Eck in der hitzigen Diskussion um das „ius divinum“ der päpstlichen Suprematsbegründung auf einzelne, vom Konstanzer Konzil verdammte hussitische Artikel und konkretisierte mit ihrer Hilfe den Ketzervorwurf gegen Luther. So führte Eck den von Hus bestrittenen Artikel an, die Gewalt der Regierung und Verwaltung sei Petrus zuzugestehen,216 und kritisierte den von Hus aufgestellten und von Luther als nicht ketzerisch bezeichneten Artikel, der kirchliche Gehorsam werde nicht durch einen Spruch der Heiligen Schrift begründet.217 Obwohl dieser Artikel vom Konzil verdammt sei, halte Luther an ihm fest, so dass jener entweder ein vermessener Mensch oder ein der Ketzerei verdächtiger Aufrührer sei.218 Zum Artikel über die Werke des Menschen summierte Eck: Der Artikel des Konstanzer Konzils sei wahr und jeder, der ihm widerspreche, irre und widerspreche der Wahrheit und Ehre des Konzils.219 Luther kritisierte, dass Eck Zuflucht bei einem Artikel des Konstanzer Konzils suche, welcher bereits widerlegt sei.220 Der vom Konzil verdammte Artikel von den Werken der Menschen werde von Paulus und Augustin behauptet sowie von Gregor von Armini und den Universitäten verteidigt. Mit diesem Widerspruch zwischen Augustin und der Bibel auf der einen und dem Konstanzer Konzil auf der anderen Seite fand Luther seine Irrtumsthese in diesem Artikel bestätigt und formulierte forsch: Eck solle daher beweisen, „dass ein Konzil nicht irren könne, nicht geirrt habe oder auch nicht irre.“ Denn ein Konzil könne nicht ein göttliches Recht aus dem machen, was der Natur nach nicht göttliches Recht sei. Ketzerisch sei nur das, was gegen das göttliche Recht 214 AaO. 500,2081–2083: Hoc solum mihi reservo quod et reservandum est, concilium aliquando erraasse et posse errare, praesertim in his quae non sunt fidei. 215 AaO. 500,2083–2085: Nec habet concilium auctoritatem novorum articulorum condendorum in fide, alioqui tot tandem habebimus articulos quot hominum opiniones. 216 AaO. 503,2173–2175. DH 1207. 217 Siehe DH 1191. 218 WA 59; 504,2185–2193. 219 AaO. 507,2294–2296. DH 1216. vgl. WA 59; 490,1767–1778. 220 AaO. 507,2298–2303. Luther hatte den Artikel mit Augustin und der Heiligen Schrift gegen die scholastischen Doktoren und Aristoteles bereits als falsch überführt, vgl. aaO. 500,2074–2079.

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sei.221 In Entfaltung seiner These, dass ein Konzil keine neuen Glaubensartikel aufstellen dürfe, drehte Luther in dieser Aussage die Beweislast um: Eck habe die Unfehlbarkeit und Irrtumsfreiheit eines Konzils zu beweisen. Eck spitzte nun seine Angriffe gegen Luther zu. Zuerst betonte er, dass Luther den hussitischen Artikel vom Gehorsam gegenüber der Kirche mit dem Artikel von den Werken der menschlichen Handlungen vermische, welcher von keiner Universität verteidigt worden sei. Sodann griff er Luthers Beweisforderung der Irrtumslosigkeit eines Konzils auf und fragte provokant, ob Luther heimlich das Konstanzer Konzil verdächtig halten wolle. Schließlich steigerte Eck seinen Verdacht zu dem Spitzensatz: „Wenn ihr glaubt, ein rechtmäßig versammeltes Konzil habe geirrt oder irre, seid ihr mir wie ein Heide und Zöllner.“222

Hinsichtlich der Konzilsthematik ging Eck außerdem auf den Hinweis auf „De Significasti“ ein und betonte, dass Gerson und andere Gelehrte schwankten, ob ein Konzil über dem Papst sei. Da dies aber nicht angesprochen worden sei, wolle er auch darüber nichts weiter ausführen.223 Luther konterte auf die Angriffe mit der Differenzierung zwischen dem jungen Konstanzer und dem altehrwürdigen Nicänischen Konzil: Während Eck sich in seiner Argumentation auf das Konstanzer Konzil berufe, beziehe er sich auf das Nicänische Konzil, „welches viel heiliger und berühmter“ sei. Außerdem stellte er fest, „so sehr auch immer ein Konzil angezogen wird, so erhält man dadurch noch nicht ein göttliches Recht.“ Weil es um das göttliche Recht gehe, trage ein Konzil nichts zur Sache aus.224 In seiner Replik bemerkte Eck, dass Luther sich durch die Autorität des Konstanzer Konzils nicht binden lassen wolle. Hier hätten nun die Richter zu entscheiden. Bezüglich des Konzils von Nicäa betonte Eck, er verwerfe das Konzil nicht bezüglich des Glaubens und der Sitten, aber bezüglich der Bischofsordination könne sein Beschluss nach Zeiten und Orten verändert werden.225 In seinem Abschlussvotum zur Primatsfrage ging Eck auf das Apostelkonzil von Jerusalem ein,226 indem er betonte, Petrus sei zwar Jakobus gewichen, der 221 AaO. 507,2303–508,2311. Quando articulus de operibus hominum inter damnatos recensetur et a sancto Paulo et Augustino asseritur, deinde per Gregorium Ariminensem, per omnes universitates usque hodie defenditur, non movebor odiosissimis inculcationibus huius articuli, donec egregius dominus doctor probaverit concilium non posse errare, non errasse aut etiam non errare. Cum concilium facere ius divinum non possit ex eo quod natura sua non est ius divinum, ideo neque haereticum est nisi quod contra ius divinum est. 222 AaO. 511,2415–2417: Hoc dico vobis, reverende pater, si creditis concilium legitime congregatum errasse aut errare, estis mihi sicut ethnicus et publicanus. 223 AaO. 512,2449–2452. 224 AaO. 513,2480–2486. 225 AaO. 516,2573–2576. 226 Das Jerusalemer Apostelkonzil (Act 15) erwähnte Luther in der Leipziger Disputation mit keiner Silbe.

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Primat sei Petrus aber nicht streitig gemacht worden. Das Zugeständnis Luthers, Petrus und somit dem Papst komme der Primat der Ehre zu, verwarf Eck mit dem Hinweis auf die Kirchenväter und das Konstanzer Konzil, welches Petrus den Primat der Herrschaft zuschreibe. Luther möge daher auf hören, sich größerer Zeugnisse zu rühmen als derjenigen der Kirchenväter und des berühmten Konstanzer Konzils.227

6. Fortsetzung und Modifi kationen der gegensätzlichen Positionen zum Konzil Den in der Disputation um den Papstprimat zutage getretenen Ansichten über die Konzilsautorität folgten Eck und Luther auch in den anschließenden Diskursen. In der Auseinandersetzung um das Fegefeuer am 8. und 9. Juli, welches Luther als nicht schriftgemäß ablehnte, rekurrierte Eck erneut auf ein jüngeres Konzil: auf das Konzil von Florenz (1439) und dessen Unionsdekret mit den Griechen.228 Nachdem Luther Ecks Meinung kritisiert hatte, es sei gegen das Konzil von Florenz, dass das Fegefeuer in der Heiligen Schrift nicht ausgedrückt sein solle,229 nahm er ohne nähere Begründung eine Verhältnisbestimmung zwischen Schrift und Konzil vor, die auf der Linie seiner sich ausbildenden Schrifthermeneutik lag: „Ein Konzil kann nicht machen, dass das zur Schrift gehöre, was seiner Natur nach nicht zur Schrift gehört, gleichwie auch die Kirche keine Evangelien hat machen können, obwohl sie die Evangelien gutgeheißen hat.“230

Für Luther konnte weder ein Konzil noch die Kirche den Bestand der Heiligen Schrift und deren Aussagen autoritativ erweitern.231 Gegen diese Verhältnisbestimmung, deren Wahrheitsgehalt er nicht anzweifelte, warf Eck Luther wie beim Konstanzer Konzil vor, er besudle das lobenswürdige Konzil, indem er behaupte, dass es etwas Absurdes beschließe. Diesem stellte Eck die Autoritätsbegründung für ein kirchliches Konzil entgegen: Der Heilige Geist habe das Konzil von Florenz regiert, auf dem gelehrte Männer versammelt gewesen seien. Hieraus folgerte er für die Schrifthermeneutik: Das 227

AaO. 524,2829–2839. AaO. 531,3030 f. Siehe zum Fegefeuer, das in dem Unionsdekret mit den Griechen explizit genannt wird, COD3 527,30–42 = DH 1304. 229 WA 59; 535,3170 f. 230 AaO. 535,3171–3173: Respondeo, quod concilium non potest facere esse de scriptura quod non est de scriptura natura sua, sicut nec ecclesia potuit facere evangelia, etiamsi approbavit evangelia. 231 Zum Streit über die kanonische Autorität der Heiligen Schrift während der Disputation, der den Anfang der Kanondebatte in der Reformationszeit markiert, vgl. Mühlenberg, Scriptura, 186 f. 228

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derart versammelte Konzil habe bessere Schrifterkenntnis und Schriftverständnis als eine Einzelperson wie Luther.232 Der Diskussion um die Konzilsautorität müde, modifi zierte Luther seine Meinung zur Irrtumsfähigkeit der Konzilien in Glaubensentscheidungen, wodurch seine in dieser Sache noch schwankende Haltung zum Ausdruck kam. Abwiegelnd bemerkte Luther, er habe heute genug vom Konzil gesagt, und bestätigte überraschend Ecks Aussage, dass ein Konzil nicht irre. Sollte es aber irren, sei es kein Konzil.233 Hiermit hatte er seine vorher noch vehement vertretene These von der Fallibilität eines Konzils zurückgenommen, auch wenn er eine gewichtige Einschränkung sofort hinzufügte: „Ich glaube, dass ein Konzil und die Kirche niemals irren in den Dingen, die den Glauben betreffen; in anderen ist es nicht nötig, nicht zu irren.“234

Mit dieser Unterscheidung zwischen der Irrtumslosigkeit in Glaubensdingen und Irrtumsfähigkeit in anderen Dingen hatte Luther in der sensiblen Diskussion um die Autorität von Konzil und Kirche zweierlei zu bezwecken gesucht: Zum einen wollte er eine erneute Zuspitzung der Konzilsdiskussion vermeiden, zum anderen hoffte er, seine These von der Irrtumsfähigkeit der Konzilien in einer für alle Seiten akzeptablen Weise zu interpretieren. Dass er neben dem Konzil explizit auch die Kirche anführte, signalisierte den engen Zusammenhang der kirchlichen Institutionen. Auch in der Diskussion um den Ablass am 11. Juli berief sich Eck erneut auf die Autorität der jüngeren Generalkonzilien. So betonte er, dass seit 300 Jahren der Ablass von den allgemeinen Konzilien und der Geistlichkeit für die Christen als nützlich und gottselig angesehen worden sei.235 Als Konzilien führte er das Konzil von Vienne (1311–1312),236 das 4. Laterankonzil (1215),237 das 1. Konzil von Lyon (1245) 238 sowie erneut das Konstanzer Konzil 239 an. In seiner Entgegnung auf die einzelnen Konzilsargumente griff Luther die Formulierung Ecks auf und bestätigte, dass der Ablass nützlich sei, aber nicht 232

WA 59; 541,3381–3388. AaO. 547,3569–3571. 3575–3577. 234 AaO. 547,3577–3579: Et ut meo sensu loquar, credo concilium et ecclesiam nunquam errare in his quae sunt fidei; in caeteris non est necesse non errare. 235 AaO. 554,3807–3809. 236 AaO. 554,3809–3813. Clemens V. erneuerte die von Urban IV. 1264 erlassene Bulle „Transiturus“ auf dem Konzil von Vienne durch die Bulle „Si Dominus“ siehe CorpIC, Decr. Clem., III tit. 16 c.1 (Friedberg 2, 1174–1177). 237 WA 59; 554,3813–3821. Zu den angeführten Dekreten siehe CorpIC, Decr. Greg. IX., V tit. 38 c.12 (Friedberg 2,887); DH 812–814; COD3 245,1–23 und CorpIC, Decr. Greg. IX., III tit. 45 c.2; V, 38,14 (Friedberg 2, 650. 889); DH 818 f.; COD3 263,7–264,9. 238 WA 59; 554,3821. Über das 1. Konzil von Lyon vgl. Schatz, Allgemeine Konzilien, 113 f. 239 WA 59; 555,3824–3828. Eck weist darauf hin, dass in Konstanz unter den Irrtümern die Verachtung des Ablasses verurteilt (DH 1192) und Ablass für die Konzilsteilnehmer gewährt wurde (COD3 450,23–451,9). 233

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für die Christen, die Christus lieben und suchen.240 Außerdem dürfe in dieser Sache keine Person – weder die eines Konzils noch die eines Papstes – angesehen werden, weil der Irrtum des Ablasses in einer nicht notwendigen Sache ungefährlich sei.241 Folglich rekurrierte Luther mit dieser Aussage wieder auf seine Unterscheidung der Konzilsbeschlüsse, indem er den Ablass zu den unwesentlichen, fehlbaren Dingen rechnete, die keineswegs den Glauben berühren. Implizit rechnete Luther den Ablass zu den Irrtümern der angeführten Konzilien. Auch distanzierte sich Luther in Bezug auf das „löbliche Konstanzer Konzil“ von dem Vorwurf der Verachtung des Ablasses.242 Der Ablass sei aber ein „Nachlassen von guten Werken“, welche für die Christen keineswegs als gut zu nennen seien, sollten sie „von noch so heiligen Konzilien“ oder Männern gutgeheißen werden.243 Anschließend betonte Luther, Eck solle nicht allein mit den Namen von Zeugnissen, sondern auch mit der Wahrheit der Sache selbst gegen Luther handeln.244 Eck wies erneut die Einwände gegen den Ablass und die Konzilsentscheidungen zurück. Im Widerspruch zu Luther zählte er den Ablass zu den Dingen des Glaubens, die von jedem Christen zu hören und zu befolgen seien.245 Andererseits konnte Eck seinen Gegner in Bezug auf dessen Kritik an der ihm vorgeworfenen Verachtungsthese der Mäßigung loben.246 In seiner Antwort schlug Luther erneut versöhnliche Töne an. So griff Luther die Irrtumsproblematik noch einmal auf und interpretierte sie wie folgt: Eck sage, ein Konzil irre nicht, weil es vom Heiligen Geist regiert werde. Dieses sei zu ergänzen: Das Konzil irre nicht in den Dingen des Glaubens, in denen es vom Heiligen Geist regiert werde. Und um den Verdacht von sich zu weisen, betonte er: „ich habe nicht gesagt, dass ein Konzil im Geben von Ablass geirrt habe.“247 Eck konterte hiergegen, es müsse vorausgesetzt werden, dass ein rechtmäßig versammeltes Konzil immer vom Heiligen Geist regiert werde, solange das Gegenteil nicht festgestellt sei.248 Voraussetzung für die Regierung des Heiligen Geistes nach Eck ist die rechtmäßige Versammlung. In der Disputation über die

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WA 59; 557,3895–3901. AaO. 557,3901–3905. 242 AaO. 558,3922–3928. 243 AaO. 558,3941–3944. 244 AaO. 558,3944 f. 245 AaO. 561,4020–562,4040. 246 AaO. 562,4061–4066. 247 AaO. 567,4218–4221. Et ut aliquando dicam: non dixit, errasse concilium in dandis indulgentiis sed posse errare (aaO. 567,4220 f.). 248 AaO. 571,4342–4345. 241

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Buße, die am 12. und 13. Juli durchgeführt wurde, traten zum Konzilsthema keine neuen Aspekte hinzu.249

7. Die Konsequenzen für das Konzilsverständnis aufgrund der Disputation In Leipzig war Luther durch Eck zu öffentlichen Äußerungen über das Konzil gedrängt worden, die er vorher weder in seinen Schriften noch in seinen Briefen akzentuiert hatte, so dass die Leipziger Disputation zu Recht als das entscheidende Datum in der Ausbildung seines spezifischen Konzilsverständnisses gelten kann. Luthers kritische Äußerungen zum Konzil kamen aber keineswegs aus dem Nichts, sondern bildeten die theologische und notwendige Konsequenz aus dem Zusammenwirken seiner Bewertung der altkirchlichen Konzilien und Konzilsentscheidungen, seines Geschichtsbildes, seines papstkritischen Kirchenverständnisses, seines Schriftprinzips und seiner Einsicht in die Urteilskraft eines einzelnen Christen. Wie gesehen, war Luther bei seiner Vorbereitung auf die altkirchlichen Konzilsbeschlüsse u. a. von Nicäa oder Chalcedon gestoßen und hatte diese als zentrale Argumente gegen die Primatslehre aufgebaut, so dass die Hochschätzung der altkirchlichen Konzilien, die er auch über Leipzig hinaus vertrat, ihm bereits vor der Disputation zueigen war. Ohne auf die historischen Umstände der Konzilien näher einzugehen, baute er die Wertschätzung z. B. des Konzils von Nicäa in seiner Argumentation gegen Eck aus und kontrastierte es mit den von ihm deutlich geringer geschätzten jüngeren Konzilien, allen voran dem Konstanzer Konzil. Die herausragende Bedeutung der altkirchlichen Konzilien als Autoritäten stand in unmittelbarem Zusammenhang mit der Wertschätzung der Alten Kirche mit ihren Kirchenvätern Augustin, Cyprian u. a. und manifestierte sich in einem Geschichtsbild, das die Reinheit der Glaubenslehre in der Heiligen Schrift und der Tradition der Alten Kirche gewahrt wissen wollte. Je näher die Konzilien mit ihren Entscheidungen zeitlich und inhaltlich der Heiligen Schrift waren, desto größere Wertschätzung billigte Luther ihnen in Leipzig zu. Mit der Wertschätzung der altkirchlichen Tradition ging – wie bereits von Luther in seiner 13. Disputationsthese geäußert – eine Geringschätzung der jüngeren kirchlichen Tradition mit ihren Konzilien einher. Als Zeitraum hatte er in der ersten Fassung seiner 13. These die letzten 400 Jahre genannt, in denen durch das Wirken der römischen Päpste mittels ihrer im kanonischen Recht 249 Luther bezog sich noch einmal auf das Konzil von Nicäa (aaO. 598,5195–5200) und betonte gegen das Konstanzer Konzil die Autorität und Kontinuität der ersten Kirche (aaO. 599,5231–5236).

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gesammelten Dekretalen die Primatsgewalt der römischen Kirche manifestiert und mittels des verfälschten göttlichen Rechts zum Absolutheitsanspruch erhoben worden war. Der päpstliche Primatsanspruch resultierte für Luther aufgrund seiner sich in diesem Konfl ikt entwickelnden Unterscheidung von göttlichem und menschlichem Recht nicht aus göttlichen, der Heiligen Schrift gemäßen Bestimmungen, sondern aus menschlichen, dem Gebrauch entsprechenden Vorschriften. Das in diesem Kirchen- und Geschichtsverständnis vorhandene kritische Potential gegen die spätmittelalterliche Kirchenstruktur und römische Kirchenlehre hatte Eck erkannt, in Verbindung zu den verurteilten Ketzern Wyclif und Hus gebracht und mit den kirchlich anerkannten jüngeren Konzilien, allen voran dem Konstanzer Konzil, verknüpft. Luther geriet durch Ecks Provokation in die konfl iktreiche Situation, sich einerseits gegen den Ketzervorwurf wehren zu müssen, andererseits seine ekklesiologische Überzeugung verteidigen zu wollen, die er bei der Lektüre der verurteilten wyclif-hussitischen Sätze wiedererkannte. Dem unausweichlichen Dilemma, welches Eck vorzeitig triumphieren ließ, suchte Luther durch die Aufwertung einzelner, im Konstanzer Konzil verdammter hussitischer Sätze als „ganz christliche und evangelische“ zu begegnen. Aufgrund dieser Argumentation kritisierte Eck, dass Luther die bei Konziliaristen wie Papalisten gleichermaßen unangefochtene Autorität des Konstanzer Konzils in Zweifel ziehe und dem Konzil irrtümliche Entscheidungen unterstelle. Hiergegen entwickelte Luther auf der Grundlage seiner zur Gewissheit werdenden Differenzierung von Wort Gottes und menschlichen Lehren die These, dass ein Konzil nicht Gottes Wort, sondern ein Geschöpf des Wortes sei. Als Geschöpf oder menschlich-geschichtliche Institution war das Konzil wie der Papst und die Lehrtradition der Schrift dienend nach- und untergeordnet. Gleichzeitig hatte das Wesen des Konzils Auswirkungen auf dessen Beschlussfassungen: Wie in den „Acta Augustana“ bereits gegenüber dem Papst geäußert, war es möglich, dass ein Konzil als Geschöpf irren konnte. Diese anhand der Konstanzer Konzilsentscheidungen zu den Artikeln von Hus und Wyclif ausformulierte Sichtweise, die Luther wie zuvor bei der Thematisierung der Irrtumsfähigkeit des Papstes aus Nikolaus von Tudeschis Kommentar zu „De significasti“ abgeleitet hatte, war die eigentliche positionelle Neuerung in Leipzig. So wandte er auf die Konzilien allgemein die Irrtumsthese als reale und realisierte Möglichkeit an, obgleich er sich gegen die naheliegende Herausforderung von Eck verwahrte, konkrete Konzilsentscheidungen als tatsächliche Irrtümer zu bezeichnen. Dass Luthers Haltung zur Irrtumsfähigkeit und Autorität der Konzilien während der Disputation zwar konsequent, aber keinesfalls stringent war, signalisiert, dass er sein Konzilsverständnis noch nicht reflektiert hatte. Hatte er zuerst

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freimütig behauptet, dass ein Konzil bisweilen geirrt habe und irren könne, zumal in Dingen, die nicht zum Glauben gehören, schränkte er diese These später dahingehend ein, dass ein Konzil nur in unwesentlichen Dingen irren könne. In Entscheidungen, die den Glauben betreffen, können Konzil und Kirche nicht irren.250 Allerdings war auch bezüglich des Verhältnisses von Glaubensentscheidung und Konzil Luthers Position noch nicht abschließend formuliert, hatte er dem Konzil doch vorher das Recht abgesprochen, neue, nicht durch die Heilige Schrift begründete Glaubensartikel aufzustellen und etwas zum göttlichen Recht machen zu wollen, das der Natur nach „ius humanum“ sei. Seine schwankenden Einschränkungen, die Luther auf der Grundlage des zunehmend alles beherrschenden Schriftprinzips vornahm, tätigte er, um einerseits die Autorität der Konzilien zu bewahren – bildeten doch die altkirchlichen Konzilsentscheidungen für ihn grundlegende Argumente –, und andererseits die für ihn als fehlerhaft bewerteten Konzilsentscheidungen kritisieren zu können. Schließlich hing hiermit die Einsicht in die Urteilskraft eines einzelnen Christen zusammen, die sich in den „Acta Augustana“ nur gegen die päpstliche Autorität wandte, in der Disputation aber auf die kirchlichen Institutionen insgesamt ausgeweitet wurde. Sollte ein einzelner Gläubiger bessere Autorität oder Gründe in einem Konfl iktfall vorbringen können als eine kirchliche Institution, sei diesem zu glauben.251 Ecks Verständnis der Konzilsautorität beruhte auf der Einberufung durch den Papst, der rechtmäßigen Versammlung gelehrter und kirchlich angesehener Männer und der Leitung durch den Heiligen Geist. Warum Luther diese Kriterien nicht reflektierte, mag verschiedene Gründe haben: Entweder spielten diese Aspekte für ihn in Leipzig keine Rolle, oder aber er ließ sich auf eine möglicherweise kontroverse Diskussion über die rechtmäßige Versammlung bewusst nicht ein. Grundlegend war für ihn, dass der Heilige Geist ein Konzil und die Kirche in Glaubensdingen, nicht aber in anderen Dingen regierte. Mit seinen ambivalenten Äußerungen über die Konzilien hatte Luther in der Leipziger Disputation einen Weg hin zu seinem reformatorischen Konzilsverständnis beschritten, das sowohl gegenüber der kirchlichen Tradition als auch gegenüber dem Konziliarismus analogielos war. Dass Konzilien nicht nur irren konnten, sondern auch bisweilen geirrt hatten, war eine für spätmittelalterliche Theologen und Kanonisten – ob konziliaristischer oder papalistischer Richtung – gleichermaßen revolutionäre These, hinterfragte sie doch die im Bewusstsein der Zeit höchste kirchliche Autorität, was einem theoretischen Bruch mit dem 250 Brockmann, Flugschriften, 65 formuliert m. E. zu pauschal: „Luthers Antworten auf Ecks Invektiven und Nachfragen enthalten beinahe die gesamte Skala möglicher Reaktionen von der Verteidigung der These über die interpretierende Abschwächung und die Ableugnung des Gesagten bis zur ausdrücklichen Behauptung des Gegenteils.“ 251 Vgl. Rochler, Luther, 38 f.

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römischen Kirchenbegriff gleichkam. In ihrer ganzen ekklesiologischen, kirchenrechtlichen und kirchenpolitischen Brisanz hatte Luther seine öffentlichen Aussagen zum Konzil aber noch nicht erfasst und zu Ende gedacht. So erschütterte Luther in Leipzig die Autorität der Konzilien und stellte sie moderat in Frage, die Konzilien selbst und ihre Bedeutung als kirchliche Entscheidungsinstitutionen aber wollte er keineswegs aufgehoben wissen.

§ 7 Die Vertiefung der Konzilsthematik unmittelbar nach der Disputation Die Leipziger Disputation stieß in der gelehrten Welt auf eine enormes Echo und sorgte durch mündliche Berichte, Briefe und Flugschriften für eine deutliche Polarisierung zwischen Anhängern und Gegnern Luthers sowie für eine erneute Popularitätssteigerung des Wittenberger Theologieprofessors. Während Eck und seine Gesinnungsgenossen wie Hieronymus Emser u. a. Luther in ihren Schriften als erwiesenen böhmischen Ketzer bekämpften, der die für die römische Kirche grundlegende göttliche Begründung des Papstamtes und der Konzilien leugne, und Landesherren wie Herzog Georg von Sachsen 252 sich gegen Luthers Position aussprachen, begrüßten Vertreter der böhmischen Brüder Luthers Haltung und schickten ihm die Schrift „Libellus de ecclesia“ von Jan Hus.253 Luther selbst überarbeitete im Anschluss an die Disputation seine Position zum Papstprimat 254 und richtete seine Aufmerksamkeit auf die unklare Konzilsthematik mit ihrer Frage nach der Irrtumsfähigkeit. Weil er während der Disputation durch Eck zu diesem Punkt gedrängt worden war, sich selbst aber noch schwankend und unsicher gezeigt hatte, suchte er nun die an der Beurteilung des Konstanzer Konzils aufgebrochene Frage im Rahmen seiner Lehre zu beantworten und bezüglich der Autoritätsproblematik konsequent weiterzudenken. So wurde ihm z. B. die Fallibilität der Konzilien jetzt zur Gewissheit. In diesem durch die Disputation angestoßenen und in der Forschung bisher zu wenig beachteten Klärungsprozess entstanden grundlegende Äußerungen zum Konzil, die im Folgenden näher zu untersuchen sind.255 Daher gilt es zu 252 Vgl. Volkmar, Reform, 453–455. Der Augenzeuge Sebastian Fröschel (Löscher 3, 276–281) schilderte im Rückblick von 1566 den dramatischen Höhepunkt der Disputation: Als Luther Eck entgegnete: „‚Lieber Hr. Doctor, Non omnes Articuli Hussitici sunt Haeretici.‘ Darauf sprach Herzog Georg mit lauter Stimme, laut, daß mans über das ganze Auditorium höret: ‚Das walt die Sucht,‘ und schüttelt den Kopff, und setzet beide Armen in die beide Seiten.“ AaO. 279 f. 253 Siehe WAB 1; (416) 417 f. Nr. 185 ( Joh. Poduska an Luther, Prag, 17. 7. 1519); aaO. 419 f. Nr. 186 (Wenzel von Roždalowsˆ ky an Luther, Prag, 17. 7. 1519). Beide Briefe erhielt Luther erst am 3. Oktober 1519. 254 Vgl. WA 2; 183 f. 255 Über die Bedeutung der grundlegenden Konzilsäußerungen unmittelbar nach der Disputation, insbesondere in den „Resolutiones“ siehe Brockmann, Flugschriften, 66–69; Ebneter, Luther, 15–19; Brecht, Luther 1, 309 f.

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fragen, wo und wie Luther sein Konzilsverständnis weiterentwickelte und in welcher Form er seine neuen Erkenntnisse begründete. Außerdem muss beachtet werden, wie er die realen Konzilien, insbesondere das Konzil von Nicäa und das Konstanzer Konzil, auf diesem Hintergrund beurteilte. Um die Motivation, mit der Luther an die Ausarbeitung ging, und die zeitgenössische Brisanz des Themas erfassen zu können, ist zuvor die Bewertung der Konzilsthematik in den zeitgenössischen Berichten zur Disputation überblicksweise zu eruieren.

1. Die Beurteilung des Konzils nach der Disputation Während Ecks Vorwurf der hussitischen Parteinahme durch Luther für erheblichen Wirbel gesorgt hatte und Luthers Argumentation mit der Heiligen Schrift und der Alten Kirche gegen die göttliche Begründung des Papstprimats auf große Resonanz gestoßen war, fand die Dramatik um das Konzilsthema in nur wenigen Berichten nach der Disputation Erwähnung.256 Weil das Konzilsthema nicht den Mittelpunkt der Disputation gebildet hatte, war es von manchen Zuhörern vermutlich kaum wahrgenommen worden. Von Luthers Freunden ging einzig Melanchthon in seinem ausführlichen Augenzeugenbericht an Johannes Oekolampad unmittelbar nach der Disputation auf die Kontroverse um die Konzilsthematik ein,257 indem er Eck referierte, dieser habe sich gegen Luther auf die Autorität des Konstanzer Konzils und die dort verdammten Artikel der Hussiten berufen. Außerdem sei die Meinung vertreten worden, ein Konzil könne nicht irren, wogegen Luther „kundiger“ geantwortet habe, man habe in Konstanz nicht alle Artikel als ketzerisch verdammt.258 Den Verlauf der Diskussion verkürzt Melanchthon mit den Worten, es wäre verdrießlich, alles weitere hierüber zu erzählen, und meint, hier sei nicht der Ort, über die Autorität der Konzilien („conciliorum auctoritas“) zu handeln.259 Sodann betont er im Anschluss an Luther, dass es offenkundig sei, „dass kein Konzil neue Glaubensartikel auf bringen“ könne.260 Die abschließende Bemerkung ist für die Beurteilung der Konzilsthematik aufschlussreich: „Martin stand deshalb im schlechten Ruf, weil es schien, er sei 256 Petrus Mosellanus berichtete seinem Schüler Julius Pflug am 6. 12. 1519 u. a., dass Luther mit den Zeugnissen der Schrift und den alten Konzilien gegen Eck vorgegangen sei (Löscher 3, 242–251; Walch 2 15, 1194–1204). Warum die Konzilsproblematik bei Nikolaus von Amsdorf (Löscher 3, 238–241; Walch 2 15, 1184–1187) und anderen keine Erwähnung fi ndet, kann nur spekulativ beantwortet werden. Vermutlich eigneten sie der Thematik nicht die Bedeutung zu, die ihr Eck und Luther zuschrieben. 257 MBWT 1; 132–141 Nr. 59 (Melanchthon an Johannes Oekolampad, Wittenberg, 21.7.[1519]). 258 AaO. 138,130–139,135. 259 AaO. 139,135 f. 260 AaO. 139,136 f.: hoc palam est, „non posse concilium novos articulos fidei condere“.

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den Konzilien hinderlich, während jener nichts mit größerem Eifer bewies, als dass die Konzilien ihre Autorität behielten. Da warf man Ketzereien, böhmische Parteiung und andere derartige Beschuldigungen vor.“261 Dass Luthers Haltung in der Konzilsthematik auf Ablehnung in Leipzig stieß, wird von Melanchthon ebenso betont wie das Bemühen Luthers, das Ansehen der Konzilien zu wahren. Auch wenn hier Melanchthons verteidigende Interpretation von Luthers Position erkennbar wird, bringt sie in Kürze Luthers tatsächliche Meinung in der Disputation zum Ausdruck.262 Anders als Melanchthon schlossen sich verschiedene Disputationszuhörer der Meinung Ecks an und würdigten, wie Johann Cellarius gegenüber Wolfgang Capito notierte, Luthers Aussagen zum Konstanzer Konzil als Beweis für dessen Häresie.263 Wie viele Zuhörer sich dezidiert aufgrund von Luthers Konzilsaussage von ihm abwandten, ist nicht mehr nachzuvollziehen. Vermutlich dürfte der Vorwurf der böhmischen Ketzerei bei dem größten Teil der sich von Luther distanzierenden Personen, zu denen zahlreiche Leipziger Bürger gehörten, ausschlaggebend gewesen sein, zumal Luthers Problemanzeige der Autorität der Konzilien in Gestalt des Konstanzer Konzils von den Vertretern des Konziliarismus als Angriff auf ihre Position verstanden werden musste. Luthers Kontrahent Eck wertete die Konzilsdiskussion in seinem Brief vom 24. Juli 1519 als Sieg. Nachdem er erwähnt hatte, dass Luther einige vom Konstanzer Konzil verdammte Artikel als grundchristlich und evangelisch beurteilt habe, bemerkte er: „Durch diesen frevelhaften Irrtum hat er viele abgeschreckt und von sich abwendig gemacht, die ihm vorher zugetan waren.“264 Die früheste Stellungnahme zur Disputation und zum diskutierten Konzilsthema formulierte Luther in seinem Brief an Spalatin vom 20. Juli 1519, den er nach seiner Rückkehr in Wittenberg verfasste.265 Über den Verlauf urteilte Luther enttäuscht, die Disputation sei nicht nur schlecht angefangen, sondern auch ärger ausgegangen, weil Eck und die Leipziger die eigene Ehre und nicht die Wahrheit gesucht hätten.266 Überblicksartig berichtete er von Ecks Argu261 AaO. 139,137–140: Male audiit ob haec Martinus, quod videbatur obstrepere conciliis, quom ille nihil maiore religione praestaret, quam ut sua conciliis esset auctoritas; ibi haereses, „Bohemicae factiones“ et id genus crimina alia obiiciebantur. 262 Eck reagierte auf den unter dem Titel „Epistola de Lipsica Disputatione“ in Wittenberg gedruckten Brief Melanchthons mit einer Kontroversschrift und provozierte einen Streit mit dem jungen Wittenberger Professor. 263 Löscher 3, 225–232; Walch 2 15, 1232–1239 ( Johann Cellarius an Wolfgang Capito, [Leipzig], 31. 7. 1519). 264 Löscher 3, 222–224; Walch 2 15, (1224–1227) 1225 (Eck an Jakob Hochstraten, Leipzig, 24. 7. 1519). 265 WAB 1; 420–424 (428) Nr. 187 (Luther an Spalatin, [Wittenberg,] 20. 7. 1519). Offensichtlich hatte Luther nicht eher dem aufgrund der Frankfurter Kaiserwahl in Leipzig abwesenden Spalatin schreiben können, da die Veröffentlichungsmodalitäten über den disputierten Inhalt nicht geklärt schienen. 266 AaO. 424,145–147.

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mentation für den Primat des Papstes nach göttlichem Recht und bemerkte, dass sich Eck am Ende seiner Ausführung ganz auf das Konstanzer Konzil und auf die Verdammungsurteile gegen die hussitischen Artikel gestützt habe. Eck, der ein „nicht wenig unverschämter denn verwegener Sophist“ sei,267 habe ihn als Ketzer und Schutzherrn der ketzerischen Böhmen öffentlich („palam“) beschuldigt. Zur Diskussion hinsichtlich der Autorität des (Konstanzer) Konzils bemerkte Luther, nachdem er öffentlich bekannt habe, dass einige Artikel dort auf „gottlose Weise“ verdammt worden seien, sei Eck wie eine Viper aufgebraust und habe Luthers „Übeltat“ groß gemacht. Er hingegen habe aus den Worten des Konstanzer Konzils bewiesen, dass nicht alle dort verdammten Artikel ketzerisch und irrig seien, so dass Ecks Beweise nichts ausgerichtet hätten.268 Folglich fühlte sich Luther von Eck zu Unrecht angegriffen und unter Rückgriff auf die Systematisierung der Konstanzer Ketzerentscheidungen im Recht. Dass Luther mit der Thematik über das Ansehen des Konzils eine ergebnisoffene Entwicklung angestoßen und hier noch keine weiterführenden Gedanken mitgeteilt hatte, belegt seine das Thema im Brief an Spalatin resümierende Bemerkung: „Et sic pendet ista res.“269

2. Die Ausarbeitung des Konzilsverständnisses Die Ausarbeitung seiner Position zum Konstanzer Konzil und zum Konzilsverständnis führte Luther in den Tagen nach der Leipziger Disputation durch. Das Ergebnis präsentierte er in der auf den 15. August datierten und Anfang September erschienenen Streitschrift „Resolutiones Lutherianae super propositionibus suis Lipsiae disputatis“270 und in dem zusammen mit Karlstadt verfassten Brief an den Kurfürsten vom 18. August.271 Da Luther den „Resolutiones“ als Widmungsvorrede einen Brief an Spalatin voranstellte, der – gesondert gedruckt – bereits um den 10. August erschien,272 dürfte die intensivere Beschäftigung mit der Konzilsautorität in dem Monat zwischen dem 14. Juli und 10. August stattgefunden haben.273 Welche Quellen er für die Ausarbeitung nutzte, 267

AaO. 422,66 f. AaO. 422,70–76. 269 AaO. 422,77. 270 WA 2; (388) 391–435. 271 WAB 1; 465–478 Nr. 192 (Luther und Karlstadt an Kurfürst Friedrich, Wittenberg, 18. 8. 1519). 272 Vgl. WAB 1; 435–437 Nr. 191 (Luther an Spalatin, Wittenberg, c. 10. 8. 1519); DCL 2, 266–269. Der Brief fi ndet sich als Vorrede abgedruckt in WA 2; 391–403,4 und DCL 2, 269–282. 273 Anders als Otto Clemen in WAB 1; 426 Anm. 30 aufgrund Luthers Bemerkung „edam resolutiones denuo“ (aaO. 423,105) im Brief an Spalatin vom 20.7. annimmt, dürfte es einen 268

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ist – da von Luther nicht angeführt – nur annähernd zu beantworten. Sicherlich lagen ihm wie bereits während der Leipziger Disputation die „Acta Scitu dignissima docteque concinnata Constantiensis concilii celebratissimi“ vor. Außerdem hatte er eine Abschrift des Leipziger Disputationsprotokolls zur Hand und dürfte weitere Quellen zu Rate gezogen haben.

2.1. Verschärfung der Konzilskritik in der Vorrede zu den „Resolutiones Lutherianae“ In seiner gegenüber dem Brief vom 20. Juli deutlich polemischeren Vorrede an Spalatin,274 der zum Teil Luthers (und Karlstadts) Brief an den Kurfürsten folgte,275 orientierte Luther seine Ausführungen am Verlauf der Disputation, skizzierte wie zuvor Ecks Insistieren auf dem Konstanzer Konzil und notierte ironisch-abwertend dessen Verdammung von Luthers Meinung als hussitisch und ketzerisch.276 Zur Argumentation von Eck, die Luther in den Gesamtrahmen der Diskussion um das „ius divinum“ einordnete, bemerkte Luther, Eck habe das göttliche Recht nicht vortragen können, so dass er zum menschlichen Recht gelaufen sei, um durch dasselbe das göttliche Recht zu beweisen.277

unmittelbar nach der Disputation vorgenommenen Urdruck der „Resolutiones“ m. E. nicht gegeben haben. Zum einen weist der unmittelbare Brief kontext auf die 13. These Luthers hin (aaO. 423,102–105) und somit auf das tatsächliche Vorhaben, die vor der Disputation ausgegangene „Resolutio“ zur 13. These in einer 2. Aufl age herauszugeben, zum anderen konnte Clemen einen Urdruck nirgends nachweisen. 274 In dieser für die Öffentlichkeit bestimmten Vorrede hatte Luther zu einem deutlich schärferen Ton gegenüber Eck gefunden als noch in seinem Brief vom 20. 7. 1519. Diese polemische und sachliche Verschärfung resultierte aus der Propaganda, die in Form von Druckschriften und Briefen gegen Luther kurz nach der Leipziger Disputation begonnen hatte. Beispielsweise erwähnt Luther Ecks Schreiben an den sächsischen Kurfürsten vom 22. 7. 1519 (WA 2; 400,37; abgedruckt: WAB 1; 459–462 Nr. 1921 [Eck an Kurfürst Friedrich, Leipzig, 22. 7. 1519]) und bezieht sich (WA 2; 402,3) auf Ecks Streitschrift „Excusatio Eckii ad ea quae falso sibi Philippus Melanchthon, grammaticus Wittenbergensis super theologica disputatione Lipsica adscripsit“ (WA 2; 402; abgedruckt: Löscher 3, 591–596; CR 1, 97–103). 275 In dem von Karlstadt und Luther abgefassten Brief geht es explizit um Luther, siehe WAB 1; 466–478. 276 WA 2; 397,17–21. Scharfzüngig kritisiert Luther ebd.: Hic totus immoratus anhelabat, quo poterat odiosius movere invidiam, quia aliud non habuit, quo suo fermento palparet blandius [. . .]. 277 AaO. 397,21–23. Ähnlich äußert sich Luther gegenüber dem Kurfürsten, WAB 1; 468,124–469,127: Und [Eck] hat sein einigen stärkisten Grund für sich genommen das Concilium Constantiense, sich gestellt oder vielleicht nit weiß, daß Concilium ist ius humanum, und mag nit ius divinum machen ex non iure divino.

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Hiergegen entfaltete Luther nun systematischer als in Leipzig seine Konzilsgaranten, das Konzil von Nicäa 278 und das afrikanische Konzil 279, die er als „ältere und berühmtere Konzilien“ dem „einen“ Konzil entgegensetzte 280 und durch die er zu beweisen suchte, dass Eck die altbewährten Konzilsentscheidungen nicht geachtet und sich somit selbst zum Ketzer gemacht habe. Durch seine Interpretation des Konzils von Nicäa und des afrikanischen Konzils habe Eck dem Ansehen der Konzilien Abbruch getan.281 Zu Luthers positiver Argumentation mit der Autorität der altbewährten Konzilien und ihren Konzilsentscheidungen trat die ausführlicher entfaltete Interpretation der Verdammungsurteile des Konstanzer Konzils, mit deren Hilfe er Ecks mangelndes Verständnis des Konzils aufzudecken gedachte.282 Hatte Luther bereits in der Disputation die Differenzierung der verdammten Artikel nach dem Wortlaut des Konzils erwiesen,283 vertiefte er diese Argumentation erneut und verknüpfte sie mit der Wahrheitsthematik. Weil für Luther nicht alle im Konzil verdammten Sätze von Hus gegen den Glauben und gegen die Verordnungen über die Sitten verstoßen hatten, konnten diese, obwohl sie manchen als verwegen und anstößig erschienen, „wahr und katholisch“ sein. Unter diese als „anstößig“ charakterisierten Sätze rechnete er jenen, der römische Papst sei nicht aus göttlichem Recht der Herr über alle der Gewalt nach.284 Aus dieser Interpretation folgerte Luther: 278 WA 2; 397,26–398,4: Bezüglich des Konzils von Nicäa, dessen bereits in der Disputation angeführten, den römischen Primatsanspruch einschränkenden Konzilsbeschlüssen (WA 59; 475,1321–1329) und Ecks Aussage, dass die römischen Päpste die Konzilsentscheidungen zugelassen und gestattet hätten, formulierte Luther den Gegensatz zwischen dem Anspruch des „ius divinums“ der Papstgewalt und dem Anspruch der Konzilsgewalt gegen das „ius divinum“ des Papstes etwas zu beschließen. Aus diesem unauflöslichen Differenz schloss Luther WA 2; 397,39–398,2: Ita fiebat, ut miser Romanae potestatis tutor et patronus primatum hunc tueri non posset, nisi blasphemaret tum sacratissimum Nicenum Conciliorum, tum ipsos Pontifices, dum eos solvisse ius divinum asseruit. – Siehe auch WAB 1; 469,143–155. 279 WA 2; 398,5–17: Hinsichtlich des von Luther durchgehend als afrikanisches Konzil bezeichneten Konzils von Karthago (WA 59; 440,232–235) polemisierte er gegen den von Eck interpretierten Konzilsbeschluss, der römische Pontifex sei nicht „universalis Pontifex“, sondern „universalis Ecclesiae pontifex“ zu nennen. 280 WA 2; 397,24–26. Siehe auch WAB 1; 469,142 f.: Zum andern hab ich das allerchristenlichst und groß concilium Nicaenum fürbracht und auch Africanum [. . .]. 281 WA 2; 398,18–22. 282 Hierzu siehe aaO. 398,23–399,36. 283 Vgl. WA 59; 479,1446–1448. Siehe WA 2; 398,25–28: Primum ex ipsius Concilii verbis, quae sic habent ‚quidam ex eis sunt notorie haeretici, quidam erronei, alii blasphemi, alii temerarii et seditiosi, alii piarum aurium offensivi‘. Haec ibi. – Ebenfalls führte Luther dies im Brief an seinen Kurfürsten an. – Siehe WAB 1; 470,165–167. Köhler, Luther und die Kirchengeschichte, 188–190 weist nach, dass Luther in der Vorrede zu den „Resolutiones“ sich nicht nach der die hussitischen Sätze verdammenden Sessio 15 vom 6. 7. 1415 (COD3 421,12–432,20), sondern nach der die wyclifschen Sätze verdammenden Sessio 8 vom 4. 5. 1415 (COD3 411,1–416,5) richtete. 284 WA 2; 399,6–8.

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„Daher ist es klar, dass das Konstanzer Konzil nicht gegen mich streite, und dass ich durch dasselbe weder als ketzerisch noch irrig, sondern vielmehr als katholisch und wahrhaftig erwiesen werde, so dass in solcher Weise die Übereinstimmung mit dem Nicänischen und dem afrikanischen Konzil und dem Konstanzer besteht.“285

Gleichwohl differenzierte Luther aufgrund der Befürchtung, seine Argumentation für das Konstanzer Konzil werde von den Gegnern nicht akzeptiert, die Autorität und Vorrangstellung der Konzilien,286 verknüpfte sie mit der Irrtumsthese, die er hier deutlich selbstverständlicher als in der Disputation prononcierte, und formulierte wesentliche Aspekte seines Konzilsverständnisses: „Denn weil ein Konzil irren kann, werde ich bekennen, dass eher das Konstanzer geirrt habe als das Nicänische und afrikanische, weil diese weit glücklicher vor sich gegangen sind und gehandelt haben als jenes, und sie schon lange vor den anderen Konzilien auch mit den heiligen Evangelien verglichen worden sind, besonders das Nicänische.“287

Somit bewertete Luther mithilfe der Fehlbarkeit der Konzilien deren Autorität, zu deren Kriterien er neben dem Alter, dem Verlauf und der Konzilshandlung die Übereinstimmung mit den Evangelien, d. h. mit der Heiligen Schrift, zählte.288 Auffällig ist gleichzeitig, dass Luther seine Referenzkonzilien nicht von der prinzipiellen Möglichkeit des Irrtums ausschloss, sondern ihnen aufgrund der Kriterien eine geringere Irrtumswahrscheinlichkeit zugestand. Über das Konstanzer Konzil urteilte er, dieses Konzil habe jene Ehre noch nicht erlangt. Zum Beweis berief sich Luther auf den Konzilserlass des „letzten römischen Konzils“ (5. Laterankonzil), den er durch die Pariser Konzilsappellation und durch Cajetan kannte.289 In ihm sei das Basler Konzil verworfen worden und dem Konstanzer Konzil ein erheblicher Ansehensverlust widerfahren, weil das Laterankonzil verordnete, „dass der Papst über dem Konzil sei“.290 In Konstanz sei aber das Gegenteil dieses Beschlusses festgestellt worden, woraus Luther für sein Konzilsverständnis folgerte: „Und da die Konzilien so sich gegenseitig verwerfen, machen sie uns unterdessen ganz sicher und frei, beiden zu widersprechen.“291 285 AaO. 399,25–28: Claret ergo, Concilium Constantiense non contra me pugnare, nec haereticum nec erroneum, immo catholicum et veracem ex eodem me probari, ut sic stet concordia cum Niceno et Aphricano Concilio et Constantiensi. 286 AaO. 399,37–39. 287 AaO. 399,39–400,3: Nam cum Concilium possit errare, potius Constantiense quam Nicenum et Aphricanum errasse confitear, quod haec longe foelicius quam illud processerint et egerint ac iam diu sacris Euangeliis etiam prae caeteris Conciliis comparata sint, presertim Nicenum [. . .]. 288 Die von Papst Gregor I. getroffene Aussage, dass das Konzil von Nicäa neben den drei weiteren Hauptkonzilien mit den vier Evangelien zu vergleichen sei, kannte Luther aus CorpIC, Decr. Grat., I dist. 15 c.2 (Friedberg 1, 35 f.). 289 Vgl. Köhler, Luther und die Kirchengeschichte, 104–106. 290 WA 2; 400,3–7. 291 AaO. 400,7 f.: Atque ita invicem sese reprobantia Concilia interim satis nos tutos reddunt et liberos ad contradicendum utrisque [. . .].

§ 7 Die Vertiefung der Konzilsthematik unmittelbar nach der Disputation

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Das Laterankonzil, das den Konstanzer Beschluss zur Oberhoheit des Konzils über den Papst verurteilt hatte, bildete für Luther somit die Rechtsgrundlage für seine in Leipzig noch vorsichtig vorgetragene These. Wenn ein Konzil mit normativem Anspruch den Beschluss eines anderen Konzils mit normativem Anspruch für falsch und irrtümlich erkläre, könne von Irrtumslosigkeit der Konzilien keine Rede mehr sein! Luther fand daher seine These von der Fehlbarkeit der Konzilien und ihrer Autorität voll und ganz bestätigt, wie seine die Konzilsthematik beendende Bemerkung belegt: Er wolle dies weiter ausführen, sobald Eck sich hierüber öffentlich ausgesprochen habe.292

2.2. Radikalisierung der Konzilskritik in den „Resolutiones“ In seinen „Resolutiones“, in denen Luther über seine dreizehn Disputationsthesen Rechenschaft ablegte, verfolgte er seinen konzilskritischen Weg pointiert radikaler, indem er nun erstmals öffentlich die Autorität der Konzilien und des Papstes für sich nicht mehr als verbindlich erklärte. Im Zusammenhang seiner ersten Disputationsthese bezüglich des täglichen Sündigens und Bußetuns des Menschen 293 kam Luther über den vom Konstanzer Konzil verdammten hussitischen Artikel, jede menschliche Handlung sei entweder gut oder böse,294 auf die Konzilsthematik zu sprechen. Zum einen bemängelte Luther Ecks Verhalten, jegliche Suche nach Wahrheit zu unterbinden, zum anderen bemerkte er, dass die Konzilien öfter geirrt hätten.295 Als Beispiel aus der Alten Kirche, welches er hier zum ersten Mal für die Irrtumsfähigkeit in Glaubensartikeln anführte, erwähnte er Cyprian und die afrikanischen Bischöfe, die in einem Konzil über den zentralen Glaubensartikel „de virtute baptismatis“ geirrt hätten.296 Sodann formulierte Luther erstmals ein Bekenntnis, das seine nun zur Überzeugung gelangte neue Wahrheitserkenntnis zum Ausdruck brachte: 292 AaO. 400,7–9. Vgl. auch aaO. 395,35; WAB 1; 468,121 f. Luther setzte dieses Vorhaben erst in seiner Mitte Oktober 1520 publizierten Schrift „Von den neuen Eckischen Bullen und Lügen“ (WA 6; [576] 579–594) um, nachdem Eck die Streitschrift „Des heiligen Concilii zu Costentz [. . .] entschueldigung“ veröffentlicht hatte. 293 WA 2; 403,6–9: Quottidie peccat omnis homo, sed et quottidie poenitet, docente Christo ‚poenitentiam agite‘, excepto uno novo quodam iusto, qui poenitentia non indiget, cum etiam palmites fructiferos quottidie purget agricola coelestis. 294 AaO. 403,10–12. 295 AaO. 404,1–7. 296 AaO. 404,7–9. Luther bezog sich hier vermutlich auf das Konzil von Karthago (256), welches im Ketzertaufstreit gegen Papst Stephan I. entschieden hatte. Schon vorher hatten zwei Konzilien in Karthago (255, Frühjahr 256) über den Streit beraten. Vgl. zum Ketzertaufstreit: K. Baus, Von der Urgemeinde zur frühchristlichen Großkirche. Einleitung in die Kirchengeschichte von H. Jedin (HKG[ J] 1), Freiburg/Basel/Wien 1962, 404–408; J. A. Fischer, Das Konzil von Karthago im Spätsommer 256 (AHC 16, 1984, 1–39). In seinem „Enchiridion“ von 1525 führte Eck dieses Konzil als historisches Beispiel eines Lokalkonzils auf, welches irren könne. Vgl. Brockmann, Flugschriften, 157 f.

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III. Die Entwicklung des reformatorischen Konzilsverständnisses (1519)

„Und damit ich klar und frei rede, was ich meine, so glaube ich, dass ich ein christlicher Theologe sei und im Reich der Wahrheit lebe, dass ich darum schuldig sei, nicht allein die Wahrheit zu beteuern, sondern auch sie zu behaupten und zu verteidigen, sei es mit Blut oder mit dem Tod.“297

Die Konsequenz aus dieser Erkenntnis war die Befreiung von der Macht der kirchlichen Autoritäten, wie er es im Folgesatz betonte: „Deshalb will ich frei sein und mich durch niemanden gefangen nehmen lassen, weder durch die Autorität eines Konzils noch einer Gewalt noch der Universitäten noch des Papstes, dass ich nicht zuversichtlich bekennen soll, was ich als wahr erkannt habe, sei es von einem Katholischen oder von einem Ketzer behauptet worden, mag es gebilligt oder missbilligt sein von irgend einem Konzil.“298

Seine Einsicht fand Luther bei dem bereits in der Disputation zitierten Panormitanus bestätigt, man müsse einem einzelnen Gläubigen („uni privato fideli“) mehr glauben als einem ganzen Konzil oder dem Papst, wenn er ein besseres (Schrift)zeugnis („meliorem autoritatem“) oder einen Vernunftgrund („rationem“) hätte.299 Luther übertrug darauf hin die Meinung des Rechtsgelehrten erstmals auf seine eigene Haltung, indem er fragte, warum er es nicht versuchen solle, allein ein besseres Zeugnis vorzubringen als ein Konzil.300 Nach diesen zentralen Vorbemerkungen gründete Luther seine Meinung gegen die Konzilien auf die Widersprüche („Contraria“). Zuerst rückte er die Autorität der Heiligen Schrift als Entscheidungsnorm gegenüber der Kirche und ihren Entscheidungen in den Mittelpunkt 301 und bemerkte sodann zum Konstanzer Konzil: Dort sei festgelegt worden, dass ein Konzil über dem Papst stehe. Diesen Beschluss beurteilte Luther in einem Nebensatz als „ganz wahr“ und begründete ihn mit der Aussage des Hieronymus’, der Erdkreis sei größer als die Stadt (Rom).302 Daraus schlussfolgerte Luther, dass die ganze allgemeine Kirche größer als die eine römische Kirche sei. Folglich stehe die ganze universale Kirche und ein Konzil, welches diese repräsentiere, über der römischen und jeder

297 WA 2; 404,10–13: Et ut plane et libere dicam, quod sentio, credo me theologum esse Christianum et in regno veritatis vivere, ideo me debitorem esse non modo affi rmandae veritatis, sed etiam asserendae et defendendae seu per sanguinem seu per mortem. 298 AaO. 404,14–17: Proinde volo liber esse et nullius seu Concilii seu potestatis seu universitatum seu pontificis autoritate captivus fieri: quin confidenter confitear quicquid verum videro, sive hoc sit a Catholico sive haeretico assertum, sive probatum sive reprobatum fuerit a quocunque Concilio. 299 AaO. 404,26–29. Siehe hierzu oben, Kapitel II § 3.4. 300 WA 2; 404,30 f. 301 AaO. 404,32–405,10. 302 AaO. 405,11–14: Primum determinatum illic est, Concilium esse supra Papam, quod ego verissimum iudico. Nam et B. Hieronymus ad Euagrium dicit: Si autoritas quaeritur, maior est orbis urbe.

§ 7 Die Vertiefung der Konzilsthematik unmittelbar nach der Disputation

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anderen Partikularkirche.303 Für Luthers Konzilsverständnis hieß dies: Ein Konzil ist die Vertretung oder Repräsentation der Gesamtkirche und steht über dem römischen Papst. Hinter der Defi nition des Konzils als Repräsentation der Kirche, die Luther bereits 1518 vertreten hatte, verbarg sich – wenn auch unausgesprochen – die altkirchliche Praxis der ökumenischen Konzilien.304 In den weiteren Ausführungen über das Konstanzer Konzil kontrastierte Luther den Beschluss vom Konzilsprimat mit dem verdammten hussitischen Artikel, der Papst stehe nicht aus göttlichem Recht über allen Kirchen, und folgerte hieraus die Widersprüchlichkeit des Konzils.305 Die Widersprüchlichkeit der Konzilien steigernd verwies er wie bereits in der Vorrede an Spalatin und im Brief an den Kurfürsten auf den gegenteiligen Beschluss des 5. Laterankonzils und fragte, welches der Konzilien nun ketzerisch sei.306 Weil ein Konzil bisweilen geirrt habe und irren könne, sei das Ansehen der Konzilien geschwächt, sei ihren Handlungen „frei“ zu widersprechen und seien ihre Beschlüsse kritisch zu beurteilen. Polemisch bemerkte er, dass die an Stelle der Kirche getroffenen Entscheidungen und Verwerfungen „der Konzilien unserer Zeit“ nur ungewiss machten und verwirrten, „wo Christus, die Kirche, ein Konzil, der Heilige Geist“ zu suchen sei.307 Nach diesen grundsätzlichen Aussagen konzentrierte sich Luther erneut auf die vom Konstanzer Konzil verdammten hussitischen Artikel, kontrastierte sie mit den altkirchlichen Konzilien und betonte, aus den Worten des Konzils selber und aus der Heiligen Schrift zu beweisen, dass einige Sätze von Hus zu Unrecht in Konstanz verdammt worden seien.308

2.3. Die Neubestimmung des Verhältnisses von Konzil und Heiliger Schrift In seinem Bericht an den Kurfürsten folgte Luther, wie bereits erwähnt, der Vorrede und übernahm wesentliche Aspekte aus den „Resolutiones“. Deutlicher als in seiner öffentlichen Rechenschaft formulierte er gegenüber dem Kurfürsten aber das Verhältnis von Konzil und Heiliger Schrift: „Und halt nit darfür, daß ein Concilium Gewalt und Fug hab, so hin zu verdammen klare Spruch der Geschrift umb der Ketzer Mißbrauch.“309 Weil sich für Luther jetzt die Heilige Schrift als höchste Autorität und Wahrheit gegenüber allen anderen 303 AaO. 405,14–18. Sed contra tota Ecclesia (et Concilium, quod illam representat) super Romanam ecclesiam, sicut super quamlibet aliam particularem. (aaO. 405,15–17). 304 Siehe oben, Kapitel II § 2.2.4. 305 WA 2; 405,19–33. 306 AaO. 405,34–40. 307 AaO. 406,1–8. 308 AaO. 406,9–407,2. 309 WAB 1; 470,189 f.

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III. Die Entwicklung des reformatorischen Konzilsverständnisses (1519)

kirchlichen Institutionen herauskristallisierte, konnten die auf dem Konstanzer Konzil verdammten Artikel von Hus, da sie von Luther als schriftgemäß und somit als „wahr“ erkannt waren, nicht mehr ketzerisch sein. Generell betonte Luther unter Inanspruchnahme der christlichen Freiheit jetzt: „Das wöll Gott nimmermehr, daß ein frumm Christenmensch ein Spruch der Gschrift recht verstand und in sich bildet und sollt denselben darnach umb etlicher irrigen Verstands willen verwerfen, unangesehen seinen rechten Verstand. Darüber sollt man Papst und Concilia verleugnen zu Rettung der heiligen Gschrift, denn wo dieser Artikel ketzerisch gescholten wird, so muß Euangelium, Paulus und Aug[ustinus] untergehen. Ehe ich das tu, will ich meiner christlichen Freiheit brauchen und sagen also: Ein Concilium mag irren (wie alle Lehrer der Gschrift und Rechten schreiben) und hat etlich Mal geirret, wie die Historien beweisen und das jetzige letzte Römisch anzeigt wider das Costnitzer und Baseler.“310

2.4. Die Freiheit von Konzilsentscheidungen Aus den angeführten drei Schriften unmittelbar nach der Leipziger Disputation wird deutlich, dass Luther nicht nur die Konzilsautorität zugunsten der Schriftautorität relativiert hatte, sondern sich auch Mitte August 1519 an die Konzilsentscheidungen keineswegs mehr gebunden fühlte. Die Fehlbarkeit von Konzilien – auch in Glaubensdingen – war nun erwiesen, so dass die ungeprüfte Abhängigkeit von kirchlichen Autoritäten für ihn nicht mehr gelten konnte. Folglich desavouierte Luther aufgrund der Auseinandersetzung mit Eck um das Konstanzer Konzil und die dort verurteilten wyclif-hussitischen Sätze das traditionelle römische Konzilsverständnis, welchem sowohl Papalisten als auch Konziliaristen anhingen. Es muss als kirchengeschichtliche Ironie wirken, dass gerade die Auseinandersetzung der beiden kanonistischen Lager in der Frage der Oberhoheit von Papst oder Konzil die entscheidende Rolle bei der Bestätigung für die Irrtumsthese spielte, argumentierte Luther doch mit dem Beschluss des papsttreuen 5. Laterankonzils gegen das papstkritische Basler und Konstanzer Konzil. Obwohl Luther die Autorität der Konzilien – insbesondere der jüngeren – als erschüttert begriff und ihnen keineswegs mehr die bisher gebotene kirchliche Bedeutung zubilligte, hielt er argumentativ an den altkirchlichen Konzilien von Nicäa und Karthago fest. Diesen Widerspruch, der in der negativen Bestimmung der Konzilsautorität lag und die Frage aufnötigte, inwiefern Luther überhaupt noch positiv an der Institution Konzil festhalten konnte, erkannte er nicht als Problem.

310

WAB 1; 472,251–260.

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Ein Erklärungsversuch mag dennoch gewagt werden: Für Luther nach der Leipziger Disputation konnte ein Konzil nur dann Autorität beanspruchen, wenn es als Versammlung der universalen Kirche über dem römischen Papst stand und seine Entscheidungen auf der Grundlage der Heiligen Schrift rechtmäßig getroffen hatte. Unfehlbarkeit konnte nur dem Wort Gottes zukommen, nicht aber einem Konzil, so dass jede Konzilsentscheidung anhand der Heiligen Schrift und durch Vernunftgründe überprüf bar sein musste.

3. Die Umsetzung des neuen Konzilsverständnisses Argumentativ folgte Luther seinen konziliaren Einsichten auch in weiteren Streitschriften des Jahres 1519, in denen er einzelne Aspekte seines Konzilsverständnisses wiederholte, spezifi zierte und vertiefte. Auf die Konzilsthematik ging er sowohl in der gegen Eck gerichteten Schrift „Contra malignum Iohannis Eccii iudicium super aliquot articulis a fratribus quibusdam ei suppositis Martini Lutheri defensio“311 als auch in der gegen Hieronymus Emser publizierten Schrift „Ad aegocerotem Emserianum M. Lutheri additio“312 mit unterschiedlicher Intensität ein. Da Luther gegenüber der Leipziger Disputation u. a. das Kontrastargument zwischen dem Konstanzer Konzil und dem Konzil von Nicäa in seinen zunehmend polemischen Streitschriften erneuerte und zuspitzte, sollen diese Ausführungen hier abschließend thematisiert werden. Die Schrift „Contra malignum Iohannis Eccii“ war Luthers Reaktion auf das von Eck noch in Leipzig angefertigte Gutachten für den Bischof von Brandenburg, welches auf die Beschwerden der Jüterboger Franziskaner in dem durch den lutherischen Prediger Franz Günther im magdeburgischen Jüterbog ausgelösten Streit zurückging.313 Aus den Klagebriefen der Franziskaner hatte Eck gegen die Lehre der „Lutheraner“ sechzehn ketzerische Sätze herausgezogen und sie mit Anmerkungen versehen. Auf fünfzehn Artikel ging Luther, der Ecks Gutachten seit Mitte August 1519 kannte, in seiner Verteidigungsschrift, 311

WA 2; (621) 625–654. WA 2; (655) 658–679. 313 In dem radikaler werdenden Streit, der seit Ostern 1519 gegen die neuen Lehren des Franz Günthers von den Jüterbogern Franziskanern geführt wurde, hatten die Franziskaner Beschwerde in Form zweier Briefe am 4. und 5. Mai 1519 erhoben und dem Bischof von Brandenburg zugeleitet. Zu dieser Beschwerde, in der verschiedene Sätze der Anhänger Luthers für ketzerisch erklärt wurden, äußerte sich Luther am 15. Mai in einem selbstbewussten und scharfen Brief (WAB 1; [387] 389–393 Nr. 174 [Luther an den Minoritenkonvent zu Jüterbog, Wittenberg, 15. 5. 1519]). Bei seinem Leipzigaufenthalt im Gefolge des brandenburgischen Kurfürsten Joachim I. hatte der brandenburger Bischof Eck kurz nach der Disputation jene zwei Beschwerdebriefe vorgelegt. Über den Verlauf des Streits sowie die Auseinandersetzung mit Eck vgl. WA 2; 621–623; WAB 1; 387–389; P. J. Wallenborn, Luther und die Franziskaner in Jüterborg (FS 17, 1930, 114–159); W. Delius, Luther und die Franziskaner in Jüterbog ( JBBKG 51, 1978, 7–21); Brecht, Luther 1, 312–315. 312

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die in der zweiten Augusthälfte entstanden, am 3. September abgeschlossen und Ende September gedruckt war,314 näher ein, indem er gegen Eck polemisierte und seine eigene Lehre begründet darlegte. Das Konzilsverständnis wurde bereits im ersten Artikel „de conciliis generalibus“ thematisiert und durch Luther korrigiert: „Nichts hält er [d. h. Luther] von den Generalkonzilien, weil sie nicht die universale Kirche repräsentieren.“315 Diese Anfang Mai von den Franziskanern aufgestellte und von Eck in Anlehnung an die Leipziger Disputation aufgegriffene Aussage verwarf Luther unter Hinweis auf seine „Resolutiones“ zum Ablass sowie den „Dialogus“ mit Silvester und betonte, lediglich die augenblickliche Zeit sei eines rechtmäßigen Konzils nicht würdig.316 Außerdem fügte Luther die zwei Grundaspekte seines aktuellen Konzilsverständnisses an: 1. Ein Generalkonzil habe öfter geirrt und könne irren. 2. Solche rechtmäßigem Generalkonzilien wie das Konzil von Nicäa seien selten.317 Hingegen habe er nie gesagt, dass er alle Konzilien leugne, sondern nur von etlichen behauptet, dass sie geirrt hätten und irren könnten.318 Mit diesen zu Beginn seiner Streitschrift getätigten Aussagen über die Generalkonzilien wies Luther die ihm von Eck unterstellten konzilsfeindlichen Absichten zurück und verdeutlichte, dass er an einem legitimen Generalkonzil als Repräsentanz der universalen Kirche weiterhin festhalte. Nach den Ausführungen zum Papstprimat, den päpstlichen Dekreten und weiteren Klagepunkten zitierte Luther als 11. Artikel den von ihm bereits vor der Leipziger Disputation verteidigten Satz: „Man muss einem einfachen Laien, der die Schrift anführt, mehr glauben als dem Papst oder einem Konzil, die die Schrift nicht anführen.“319 In der Begründung dieses Satzes gegen Eck betonte Luther die Autorität des Wortes Gottes und stellte fest: 314 WAB 1; 511 Nr. 200 (Luther an Franz Günther, Pfarrer zu Jüterbog, [Wittenberg,] 30. 9. 1519). 315 WA 2; 627,11–13: ARTICVLVS PRIMVS. Nihil tenet de conciliis generalibus, quia non representant universalem ecclesiam. 316 WA 2; 627,14–18. Siehe diesen Gedanken in den „Resolutiones“ WA 1; 584,15–19. Vgl. zum Repräsentationsgedanken „Ad dialogum Silvestri Prieratis“ WA 1; 656,35–657,2 und oben, Kapitel II § 2.2. 317 WA 2; 627,28–30: Credo autem, auditores meos forte dixisse, Concilium generale saepius errasse et errare posse, tum quod rara sunt concilia illa legitime generalia quale Nicenum fuit: hoc enim dicentes verissime dixerunt. – Ob Luther diese zwei Grundaussagen, von denen er erst nach Leipzig ganz und gar überzeugt war, bereits vorher in seinen Vorlesungen (auditores weist darauf hin) thematisiert hatte – wie er durch diesen Satz glauben machen möchte –, ist schwer anzunehmen und eher dem Genus der Streitschrift denn der Realität geschuldet. Sollte Luther diese Sätze schon vor Leipzig öffentlich im Hörsaal gelehrt haben, hätte er bereits in der Disputation zu deutlich reflektierteren Aussagen hinsichtlich der Irrtumsfähigkeit der Konzilien kommen müssen. 318 WA 2; 627,30–628,3. 319 WA 2; 649,1–3: ARTICVLVS VNDECIMVS. Quod plus sit credendum simplici laico scripturam alleganti quam Papae vel concilio scripturam non alleganti. – Auf diesen Satz

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„Die Heilige Schrift ist Gottes Wort, und wenn das eine Eselin sagt, muss man es hören auch vor allen Engeln, wenn sie das Wort Gottes nicht hätten.“

Sollten Konzil und Papst ohne das Wort Gottes handeln, seien sie nicht zu hören.320 Hiermit unterstrich Luther erneut den Primat der Heiligen Schrift gegenüber den kirchlichen Autoritäten. Der Berufung auf historische Konzilien hatte sich Luther argumentativ bereits in und nach der Disputation bedient. Weil die Beschlüsse des Konzils von Nicäa Argumente gegen das „ius divinum“ des Papsttums darstellten, hatte er es dem Konstanzer Konzil gegenübergestellt. Nun führte er erneut die Aussage an, dass für Ecks Position lediglich das Konzil von Konstanz mit der Verdammung der wyclif-hussitischen Artikel stehe,321 während er unter Hinweis auf die Argumentation in der Leipziger Disputation und die noch zu publizierenden Disputationsakten das Konzil von Nicäa und das afrikanische Konzil, ja die sechs ersten und berühmtesten Konzilien für sich habe.322 Obwohl Luther diese sechs Konzilien – hierbei musste es sich um die ersten sechs sogenannten Generalkonzilien handeln 323 – nicht näher beschrieb, steigerte er die kontrastierende Wertschätzung der namentlich erwähnten Konzilien von Nicäa, Chalcedon und Karthago am Ende seiner Schrift gegen Eck noch einmal deutlich.

hatte sich Luther auch in seinem Brief vom 15. Mai 1519 bezogen, wobei er dort explizit Panormitanus und Augustin als Gewährsmänner anführte. Siehe WAB 1; 391,98–392,106. Gegen Eck formulierte er als 22. ketzerischen Artikel polemisch, WA 2; 654,16–19: VICESIMVSSECVNDVS, Concilium est supra scripturam et verbum dei. Quia Eccio magistro plus eis credendum etiam sine scriptura quam laico cum scriptura. 320 WA 2; 649,15–17: scriptura sancta est verbum dei: quod si asina diceret, audiendum est etiam prae omnibus angelis, si verbum dei non haberent, nedum prae papa et concilio sine verbo dei agentibus. 321 Zu Ecks Berufung auf das Konstanzer Konzil mit den verurteilten Artikeln von Hus siehe WA 2; 633,31. 643,11–26. 651,27–31. In aaO. 643,24 f. bezeichnet Luther Eck als „tanquam dominus super concilium et ecclesiam sanctam“. 322 WA 2; 641,37–642,2. Siehe auch aaO. 636,35–37. 642,28 f. 642,31–34. Zur „Synode“ von Chalcedon aaO. 643,36–40. Dem gleichen Muster folgte Luther auch in der Ende Oktober 1519 verfassten Schrift „Ad Johannem Eccium M. Lutheri epistola super expurgatione Ecciana“ (WA 2; [698] 700–708), siehe aaO. 701,3–5. 323 Dass Luther mit den ersten vier allgemeinen Konzilien das Konzil von Nicäa (325), Konstantinopel (381), Ephesus (431) und Chalcedon (451) meinte, zeigte sich nicht erst in seiner Schrift „Von den Konziliis und Kirchen“. Siehe unten, Kapitel VII § 20. Welche zwei weiteren allgemeinen Konzilien er darüber hinaus bedachte – Konstantinopel (553), Konstantinopel (680/681) oder Nicäa (787) –, ist nicht ohne weiteres zu klären. Vermutlich bezog sich Luther auf die zwei Konzilien von Konstantinopel, da Eck in der Leipziger Disputation mit dem 2. Tullanum (690/691) für die Übertragung des Primats auf die römische Kirche argumentiert hatte. In der Schrift „Contra malignum“ rechnete Luther an anderer Stelle (WA 652,21 f.) nur fünf Konzilien zu den anerkannten. Folglich schwankte die Zahl der von Luther akzeptierten Generalkonzilien, was zum einen mit seinem mangelhaften historischen Kenntnisstand über die Konzilien von Konstantinopel, zum anderen mit seiner Terminierung des Beginns der kirchlichen Verfallsgeschichte durch das Papsttum zusammenhing.

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III. Die Entwicklung des reformatorischen Konzilsverständnisses (1519)

Unter dem Titel „Articuli haeretici Iohannis Eccii et quorundam fratrum ex illorum assertis et negatis per Martinum Lutherum deducti“324 hatte Luther die gegen ihn angewandte Methode umgedreht und aus den Aussagen von Eck und den Jüterbogern Franziskanern seinerseits 24 Sätze mit Begründung für ketzerisch erklärt. Während Luther in den Artikeln 11 bis 17 Argumente aus der Heiligen Schrift anführte, bildeten in den ersten zehn Artikeln der eckschen Ketzereien das Konzil von Nicäa mit dessen Beschlüssen sowie das afrikanische Konzil und das Konzil von Chalcedon die Hauptargumente, die alle Gegenargumente auflösten. Insbesondere das Konzil von Nicäa war Luther „der feste Stein, an welchem alle Sätze Ecks zerschellen.“325 So formulierte er beispielsweise: „Das Nicänische Konzil mit den vier folgenden ist ketzerisch“326 , „Das afrikanische Konzil ist ketzerisch“327 oder „Die orientalische Kirche war mehr als tausend Jahre ketzerisch“.328 Durch diese und weitere Sätze steigerte Luther die seit der kirchengeschichtlichen Beschäftigung im Frühjahr 1519 gewachsene Erkenntnis über die Bedeutung der altkirchlichen Konzilien und ihrer Beschlüsse, die durch die Kontrastierung mit den jüngeren Konzilien argumentativ ausgebaut worden war, derart, dass das Konzil von Nicäa autoritativ dem Evangelium nahezu gleichrangig erschien.329 Auf diese Gleichrangigkeit hob Luther auch in seiner Streitschrift „Ad aegocerotem Emserianum“ ab, welche er Ende September 1519 veröffentlicht hatte.330 Im Zusammenhang mit der Kritik am Primat des Papstes „iure divino“ 324

WA 2; 652,18–654,29. Köhler, Luther und die Kirchengeschichte, 147. Das Konzil von Nicäa oder dessen Beschlüsse fi nden in sieben Artikeln (WA 2; 652,21.29.32. 653,3.6.13.16), das afrikanische Konzil in einem (aaO. 652,23), das Konzil von Chalcedon ebenfalls in einem (aaO. 653,9) und das Konstanzer Konzil als Kontrast in sieben Artikeln (aaO. 652,24 f.29.35. 653,3.6.10.17) Erwähnung. 326 AaO. 652,21 f.: PRIMVS, Nicenum concilium cum quatuor sequentibus est haereticum. 327 AaO. 652,23–26: SECVNDVS, Aphricanum concilium est haereticum. Probatur ex Eccianis dictis, quia determinaverunt, contra Constantiense concilium, Rhomanum pontificem non esse universalem Episcopum super omnes ecclesias, nec Episcopos ex urbe Rhomana confi rmandos. 328 AaO. 652,27–29: TERTIVS, Orientalis ecclesia fuit plus quam per mille annos haeretica. Patet, quia vixit secundum statuta Niceni, contra concilium Constantiense. 329 Vgl. Ebneter, Luther, 17. Die Gleichrangigkeit des Konzils von Nicäa mit dem Evangelium formulierte Luther tatsächlich in der Begründung des 9. Artikels der Ketzereien (WA 2; 653,11–13): NONVS, Tota universalis ecclesia est haeretica per totum orbem, excepto Eccio et fratribus. Quia tenet Nicenum concilium euangelio aequale. 330 Der humanistisch gebildete Theologe am Hof Herzog Georgs von Sachsen, Hieronymus Emser, hatte am 13. 8. 1519 ein öffentliches Schreiben an den katholischen Administrator des Erzbistums Prag und Probst von Leitmeritz, Johannes Zack, verfasst, worin er über die Leipziger Disputation berichtete und über Luthers Verhältnis zu den Böhmen handelte. Auch wenn Emser die von Eck vorgenommene Identifi zierung Luthers mit den Böhmen differenzierter darstellte und Luther von den Böhmen abzugrenzen suchte, kritisierte er, dass 325

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betonte er, dass das Nicänische Konzil diese These aufgestellt habe, welches die römischen Päpste dem Evangelium gleich schätzten.331 Polemisch verband Luther die Wertschätzung des Konzils mit der Ketzerthese gegen ihn und übertrug den Ketzervorwurf – wie bereits in der Schrift gegen Eck – auf das Konzil von Nicäa.332 Wiederum kontrastierte Luther das Konzil von Nicäa, welches ihm in der Disputation ein „Tydeus gegen die vielen Soldaten von Heu und Stroh“ 333 war, mit dem Konstanzer Konzil 334 und betonte, dass er das Nicänische Konzil noch nicht in allen Artikeln erörtert habe. Allerdings kam es im Folgenden nicht zu einer publizierten Diskussion über das Konzil von Nicäa und die von Luther hier angedeuteten weiteren Beweise. In seiner Schrift gegen Emser bemerkte Luther – wenn auch fragend –, dass es in Leipzig nicht zu einer Diskussion über die Autorität der Konzilien gekommen sei,335 und notierte im Nachsatz, dass hierfür die Apostelgeschichte hätte konsultiert werden müssen.336 Mit dieser allgemeinen Aussage hatte Luther erstmals eine biblische Quelle für seine Konzilsautorität angeführt und somit einen Weg für die Entwicklung seines Konzilsverständnisses markiert, den er in den folgenden Jahren beherzt gehen sollte.

Luther den päpstlichen Primat nicht aus göttlichem, sondern nur aus menschlichem Recht begründet hatte. Siehe H. Emser, De disputatione Lipsicensi, quantum ad Boemos obiter deflexa est (1519), hg. von F. X. Thurnhofer (CCath 4), Münster 1921, (9) 29–41. In seiner zum Teil äußerst polemischen und schroffen Kontroversschrift „Ad aegocerotem Emserianum M. Lutheri additio“ (WA 2; [655] 658–679) griff Luther die Aussagen von Emser an und vermutete hinter Emsers Vorgehen ein boshaftes Doppelspiel: Einerseits wolle er Luther von den Böhmen abrücken, andererseits halte er ihn für einen Ketzer. Vgl. WA 2; 655–657; H. Smolinsky, Augustin von Alveldt und Hieronymus Emser. Eine Untersuchung zur Kontroverstheologie der frühen Reformationszeit im Herzogtum Sachsen (RGST 122), Münster, 221–238; Brecht, Luther 1, 317–319. 331 WA 2; 672,5 f.: Mea propositio de primatu Papae non est mea, sed Niceni Concilii, quod Romani Pontifices Euangelio comparant. 332 AaO. 672,7–11. 333 AaO. 674,16. Hier spielte Luther auf den heldenhaften Feldherrn Tydeus im Kriegszug gegen Theben an. Siehe Virgil, Aeneis, lib. 6, 479. 334 WA 2; 674,7–15; aaO. 666,23. Vgl. zum Konstanzer Konzil außerdem aaO. 666,14.21. 335 AaO. 673,34 f.: Nunquid ibi de autoritate Conciliorum tractatum est? 336 AaO. 673,35 f.: nunquid actuum liber in hanc rem, sicut oportuit, examinatus est?

IV.

Die Forderung nach einem freien, christlichen Konzil (1520) Während Luther das Konzil im Verlauf des Jahres 1519 als fehlbare und menschliche Kirchenversammlung bezeichnen, seine Entscheidungen bisweilen als irrtümlich beurteilen, die Konzilsart differenzieren und die Lehrautorität des Konzils der Autorität des Wortes Gottes unterordnen konnte, nahm er seit Ende 1519 verstärkt das Konzil bzw. den Konzilsgedanken für die Reform oder Reformation der Kirche in Anspruch. Diese anscheinend gegenläufige Bewegung von Konzilskritik und Indienstnahme des Konzils stellt eines der bis heute ungelösten Probleme innerhalb der reformatorischen Entwicklung Luthers dar, so dass eine Bearbeitung im Rahmen dieser Studie angezeigt ist. Um diese Problematik einer Klärung zuzuführen, müssen beide Stränge verfolgt, verglichen und aufeinander bezogen werden. Dies gilt, nachdem zuvor Luthers relativierende und damit destruierende Konzilskritik für 1519 erschlossen wurde (Kapitel III.), insbesondere für die Frage, in welcher Art und Weise das Konzil für eine Kirchenreform nutzbar gemacht werden sollte. Es ist bekannt, dass in den 1510er Jahren ein reformfreundliches Klima unter Fürsten und Humanisten vorhanden war, durch welches der spätmittelalterliche Ruf nach einer „Reform an Haupt und Gliedern“, die Konkretisierungsversuche der Reformkonzilien des 15. Jahrhunderts und die Diskussion in der Reformliteratur konziliaristischer und papalistischer Prägung erhalten blieb und sich mit romkritischen und nationalen Tendenzen verband.1 Innerhalb dieser Reformtendenzen nahmen das Konzil und die weltliche Obrigkeit eine aufeinander bezogene zentrale Funktion ein.2 1 Siehe zur Reformformel und den damit verbundenen Vorstellungen, oben Kapitel II § 1.2.2. Vgl. u. a. auch Brandmüller, Konzil von Konstanz 2, 67–95; J. Helmrath, Reform als Thema der Konzilien des Spätmittelalters (in: G. Alberigo [Hg.], Christian unity. The Council of Ferrara-Florence 1438/39–1989 [BEThL 97], Leuven 1991, 75–152); Ders., Theorie und Praxis der Kirchenreform im Spätmittelalter (RoJKG 11, 1992, 29–40); J. Miethke, Kirchenreform auf den Konzilien des 15. Jahrhunderts. Motive – Methoden – Wirkungen (in: J. Helmrath und H. Müller [Hg.], Studien zum 15. Jahrhundert. FS Erich Meuthen, Bd. 1, München 1994, 14–42); A. Patschovsky, Der Reformbegriff zur Zeit der Konzilien von Konstanz und Basel (in: Hlavácek, Reform, 7–28). – Über die Verbindung von Konzil und Kirchenreform im Spätmittelalter vgl. beispielsweise Bäumer, Nachwirkungen, 245–260. 2 Der weltlichen Obrigkeit und dem Konzil kam für die Reform der Kirche zentrale Bedeutung zu, wie aus der Aufforderung der im Konzilsversuch von Pisa versammelten Kardinäle und Prälaten an Kaiser Maximilian am 11. November 1511 deutlich wird, Tent-

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IV. Die Forderung nach einem freien, christlichen Konzil (1520)

Unter anderem konnte Luther an dieses konzilsoffene Klima mit seinen seit Herbst 1519 verstärkt vorgetragenen kirchlichen Reformforderungen anknüpfen, die den Beginn der Umsetzung der reformatorischen Lehrbildung auf dem kirchenpraktischen Gebiet bildeten und den reformatorischen Prozess vorantrieben. Weil die Funktion und Bedeutung des Konzils für die kirchlichen Reformvorschläge bisher nirgends eingehender untersucht wurde, muss gefragt werden, ob sich Luther mit seinen Forderungen an die vorgeprägten konziliaren Linien anlehnte oder inwieweit er seine Themen selbständig entwickelte. Somit müssen Luthers Reformpunkte genauer analysiert und auf ihre Kontinuitäten und Diskontinuitäten hin befragt werden. Zusätzlich zu der Frage, welcher Art diese Reformforderungen waren, mit denen Luther die evangeliumsgemäße Reformation – von ihm als Besserung der kirchlichen Verhältnisse oder Besserung der Christenheit insgesamt gedeutet 3 – verband, ist zu untersuchen, welche Rolle er der geistlichen und weltlichen Obrigkeit in diesem Reformprozess zuwies (§ 8). Sodann gilt es, die zentralen Aussagen zum Konzilsthema innerhalb seiner Reformschriften von 1520, vornehmlich seiner Adelsschrift, herauszuarbeiten und unter den Gesichtspunkten der negativen Konzilskritik und der positiven Konzilsgestaltung einzuordnen. Dass dabei ein Schwerpunkt auf der Entfaltung des reformatorischen Konzilsverständnisses, welches 1520 im Begriff des „freien, christlichen Konzils“ seinen programmatischen Ausdruck fand, liegen wird, ist von der Sache her vorgegeben. Hinsichtlich des lutherischen Konzilsbegriffes gilt es zu fragen, wie Luther die produktive Konzilskonzeption gestalten wollte und welche konkreten Vorschläge er zur Umsetzung seiner Konzilsidee darlegte (§ 9). In Folge der im Sommer 1520 abgefassten päpstlichen Bannandrohungsbulle gegen den Wittenberger Theologen wiederholte Luther seine Konzilsappellation im Herbst 1520. Wie es zu diesem Akt kam, was er durch diese Appellation bezwecken wollte und in welcher Form er seine reformatorische Konzilsvorstellung mit der Appellation verband und verstärkt wissen wollte, muss wie die Adressatenfrage kontextuell erschlossen werden (§ 10). zel/Cyprian 1, 45–49: Stehe auf, o löblicher Ka(e)yser, tritt herzu, sey wacker: die Kirche fället hin, die Frommen werden unterdrucket, die Bösen überheben sich; Gerechtigkeit versinckt, Gottlosigkeit wird in Ehren gehalten, Ungläubige kommen in die Höhe und werden in Schoß gesetzt! Greiffe es an, o grosser Ka(e)yser. Die Römische und allgemeine Kirche ruffet dir, als ihrem advocaten und Beschirmer, mit starcker und erbärmlicher Stimme zu! – Schon zuvor hatte der Kaiser verlauten lassen, aaO. 51 f.: Die allgemeine Christenheit und unsere Heilige Liebe Mutter, die Kirche, leidet allenthalben Noth; der rechte Glaube (fides orthodoxa) kommt in Abgang, das Böse nimmt zu. Es ist kein ander Mittel dafür, als ein allgemein concilium. 3 Während der Begriff „Reformation“ von Luther bekanntlich synonym mit „Reform“ gebraucht wurde, verwandte er den Begriff „Besserung“ im Sinne von „Besserung der Christenheit“ als Beschreibung des Reformationsgeschehens (siehe WA 6; 258,7 u. ö.).

§ 8 Die Hoffnung auf Reformation durch ein allgemeines Konzil Bereits in seiner um 1515 abgefassten Synodalrede hatte Luther kirchliche Reformen angemahnt. Zum Ende des Jahres 1519 konkretisierten sich die Bemühungen um eine evangeliumsgemäße Ausgestaltung des kirchlichen Lebens und verdichteten sich im Jahre 1520 zu programmatischen Forderungen, die in den bedeutenden reformatorischen Schriften „Von den guten Werken“4 „An den christlichen Adel deutscher Nation von des christlichen Standes Besserung“5, „De captivitate Babylonica ecclesiae praeludium“6 und „Von der Freiheit eines Christenmenschen“7 gipfelten. In diesem aus der Heiligen Schrift, den Kirchenvätern, den altkirchlichen Konzilien und dem Vergleich mit der griechischen Kirche gespeisten Klärungsprozess verband Luther die Einführung der kirchlichen Reformen explizit mit der Genehmigung durch ein allgemeines Konzil, wodurch er sich zum einen an die konziliaristische, im deutschen Reich seit den Reformkonzilien von Konstanz und Basel nie ganz verstummten Forderungen nach kirchlichen Reformen durch ein Konzil anlehnte, zum anderen inhaltlich über diese spätmittelalterlichen Reformbemühungen hinausging und kirchlich dogmatisierte Gebräuche verändert oder abgestellt wissen wollte. Dass er sich mit seinen Reformforderungen an ein künftiges Konzil wandte, stand für Luther selbst keineswegs im Widerspruch zu der in und nach der Leipziger Disputation getroffenen Aussage von der Irrtumsfähigkeit der Konzilien und der problematisierten Autorität der jüngeren Konzilien. Vielmehr eröffnete ihm die Einsicht, dass Konzilien geirrt und einander widersprochen hatten, überhaupt erst die Möglichkeit, durch neue, an der Heiligen Schrift orientierte Konzilsbeschlüsse die kirchlichen Missbräuche und Irrtümer, welche nicht selten in einem der jüngeren Konzilien fi xiert worden waren, zu korrigieren. Außerdem signalisierte er mit der Verbindung von Reform oder Reformation und der Institution Konzil, dass er sich nach wie vor auf dem Boden der katholischen Kirche befand und sich keineswegs von dieser zu lösen gedachte. Das

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WA 6; (196) 202–276 = Cl 1; 227–298 = StA 2; (12) 15–88. WA 6; (381) 404–469 = Cl 1; (362) 363–421 = StA 2; (89) 96–167. WA 6; (484) 497–573 = Cl 1; 426–512 = StA 2; (168) 172–259. WA 7; (12) 20–38 = Cl 2; 10–27 = StA 2; (260) 263–309.

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IV. Die Forderung nach einem freien, christlichen Konzil (1520)

Papsttum aber mit seinem Primats- und Machtanspruch schied für ihn mit der Publikation der Bannandrohungsbulle als Reformationsinstanz endgültig aus.8 Weil Luthers Gedanken über Reformen oder Reformation durch ein allgemeines Konzil einen wesentlichen, in der Forschung bisher aber nie zusammenhängend erörterten Aspekt seines Konzilsverständnisses und seiner reformatorischen Entwicklung pointieren, ist im Folgenden zu fragen, welche Reformforderungen Luther durch ein künftiges Konzil zu realisieren gedachte. Außerdem gilt es, soweit es für die Vertiefung der Thematik hilfreich ist, zu berücksichtigen, welche Reaktionen diese Vorschläge bei seinen Gegnern auslösten und wie Luther hierauf reagierte. Aufgrund der Brisanz und Reichweite der Reformthematik erscheint die ausführlichere Untersuchung des ersten und zweiten Reformpunktes, des Laienkelchs beim Abendmahl und der Priesterehe, als unabdingbar. Da sich in der chronologischen Darstellung die Themen überschneiden, wird zur Differenzierung der einzelnen Reformstränge im Folgenden ein eher systematischer Zugang gewählt werden.

1. Der Laienkelch beim Abendmahl Für einen kirchenpolitischen Eklat und für das erste kirchenamtliche Vorgehen gegen Luthers Schriften im Volk sorgte seine anfangs verhalten vorgetragene Überlegung, ein allgemeines Konzil möge den Laienkelch im Abendmahl wieder ermöglichen. Im Herbst 1519 verstärkte Luther nach den Kontroversen um die Leipziger Disputation die bereits im Frühjahr desselben Jahres begonnene Vermittlung seiner rechtfertigungstheologischen und bibelfundierten Ansichten zu zentralen Fragen der Laienfrömmigkeit und des christlichen Lebens, die er – häufig zuerst in Predigten behandelt – in populären Erbauungsschriften einer breiteren Öffentlichkeit auf deutsch zugänglich machte. Diese Schriften enthielten neue Gestaltungsvorschläge, die auf eine evangeliumsgemäße Verbesserung der christlichen Lebens- und Frömmigkeitspraxis 8 Die sich entwickelnde, zunehmend kritische bis ablehnende Haltung zum Papsttum, die 1519 und 1520 noch signifi kanten Schwankungen unterworfen war – konnte Luther doch noch Mitte Oktober 1520 einen den Papst würdigenden Brief an Leo X. verfassen (WA 7; [1] 3–11 [deutsch]. [39] 42–49 [lateinisch]), obwohl er bereits öffentlich den Antichristvorwurf in seiner Schrift „Von dem Papstthum zu Rom wider den hochberühmten Romanisten zu Leipzig“ (WA 6; [277] 285–324) erhoben hatte (WA 6; 322,18 f.) – kann in dieser Studie zwar nicht eigens untersucht werden, wird aber an den für das Konzilsthema gewichtigen Stellen Berücksichtigung fi nden. Zum Widmungsbrief an Papst Leo X. vgl. B. Hamm, Freiheit vom Papst – Seelsorge am Papst. Luthers Traktat „Von der Freiheit eines Christenmenschen“ und das Widmungsschreiben an Papst Leo X. Eine kompositorische Einheit (LuJ 74, 2007, 113–132). Über die Entfaltung der Papstkritik zwischen 1519 und 1520 vgl. u. a. Kirchner, Papsttum, 443; Moeller, Papsttum, 106–115; Selge, Autoritätengefüge, 609– 611 u. ö.

§ 8 Die Hoffnung auf Reformation durch ein allgemeines Konzil

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innerhalb der Kirche zielten und die sich zunehmend zu den reformatorischen Grundanliegen formten.9 In diesem Zusammenhang erarbeitete Luther im Herbst die der Einübung in den christlichen Glauben dienenden Sakramentssermone über die Buße10, die Taufe11 und das Abendmahl12 , die er der Herzoginwitwe Margarethe von Braunschweig-Lüneburg widmete.13 In theologischexegetischer Auseinandersetzung mit dem Sakramentsgebrauch und der mittelalterlichen Sakramentslehre sowie der Weiterentwicklung des Sakraments als Gnadenmittel und Glaubensstärkung trat in den drei Sermonen deutlicher als bisher sein sich an der Heiligen Schrift und Augustin orientierendes und vom spätmittelalterlichen Gebrauch abhebendes Sakramentsverständnis zu Tage.14 9 Siehe z. B. M. Luther, Auslegung deutsch des Vaterunsers für die einfältigen Laien, 1519 (WA 2; [74] 80–130); Ders., Ein Sermon von der Betrachtung des heiligen Leidens Christi, 1519 (WA 2; [131] 136–142 = Cl 1; 154–160); Ders., Ein Sermon von dem ehelichen Stand, 1519 (WA 2; [162] 166–171) oder ders., Ein Sermon von der Bereitung zum Sterben, 1519 (WA 2; [680] 685–697 = Cl 1; 161–173 = StA 1; [230] 232–243). Über Luthers theologische Entwicklung zwischen 1519 und 1520, die zur Entfaltung seines reformatorischen Programms führte, vgl. z. B. die Überblicke bei Brecht, Luther 1, 333–370; Schwarz, Luther, 72–94. 10 M. Luther, Ein Sermon von dem Sakrament der Buße, 1519 (WA 2; [709] 714–723 = Cl 1; 174–184 = StA 1; [244] 247–257). 11 Ders., Ein Sermon von dem heiligen hochwürdigen Sakrament der Taufe, 1519 (WA 2; [724] 727–737 = Cl 1; 185–195 = StA 1; [259] 260–269). 12 Ders., Ein Sermon von dem hochwürdigen Sakrament des heiligen wahren Leichnams Christi und von den Brüderschaften, 1519 (WA 2; [738] 742–758 = Cl 1; 196–212 = StA 1; [270] 272–287). Wahrscheinlich erschien diese Schrift Anfang Dezember im Druck, wie eine Briefnotiz Luthers belegt. Siehe WAB 1; 563,7 Nr. 223 (Luther an Spalatin, [Wittenberg,] 29. 11. 1519). 13 WA 2; 713 und WAB 1; (537) Nr. 210 (Luther an die Herzogin Margareta von Braunschweig-Lüneburg, [Wittenberg, c. 15. 10.? 1519]). Siehe auch aaO. 539,23–25 Nr. 211 (Luther an Spalatin, Wittenberg, [c. 16. 10.?] 1519). 14 Obwohl Luther im Herbst nicht öffentlich begründete, warum er jene drei Sakramentssermone verfasste, thematisierte er gegenüber Spalatin im Dezember 1519 erstmals die drei behandelten Sakramente und lehnte die übrigen kirchlichen Sakramente als solche ab. Siehe WAB 1; 594,19–595,25 Nr. 231 (Luther an Spalatin, Wittenberg, 18. 12. 1519): De aliis sacramentis non est, quod tu vel ullus hominum ex me speret aut expectet ullum sermonem, donec docear, quo loco queam illa probare. Non enim ullum mihi reliquum est sacramentum, quod sacramentum non sit, nisi ubi expressa detur promissio divina, que fidem exerceat, cum sine verbo promittentis & fide suscipientis nihil possit nobis esse cum Deo negotii. Que autem de sacramentis illis septem fabulati illi sunt, alio tempore audies. – Lohse, Luthers Theologie, 145 beobachtet zurecht anhand dieser Bemerkung, dass Luther in seiner Sakramentslehre bereits zu weitergehenden Ansichten gelangt war, als er in seinen Sermonen öffentlich zugestand. Tatsächlich hielt sich Luther in den ersten Jahren seines Romkonfl iktes in seinen deutschsprachigen Schriften mit seinen Reformforderungen deutlicher zurück als in seinen lateinischen Schriften oder in den privaten Briefen. Zur Sakramentslehre Luthers in den Sermonen und insbesondere im Abendmahlssermon vgl. Bayer, Promissio, 226–241; E. Bizer, Die Entdeckung des Sakraments durch Luther (EvTh 17, 1957, 64–90), 79–81; Brecht, Luther 1, 341–348; H. Grass, Die Abendmahlslehre bei Luther und Calvin. Eine kritische Untersuchung (BFChrTh 2, 47), Gütersloh 21954, 19–25; Lohse, Luthers Theologie, 144–150; J. Lortz, Sakramentales Denken beim jungen Luther (LuJ 36, 1969, 9–40), 22 f.; F. Mann, Das Abendmahl beim jungen Luther (BÖT 5), München 1971,

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1.1. Die Indienstnahme des Konzils im Abendmahlssermon Höchste Aufmerksamkeit erregte insbesondere der „Sermon von dem hochwürdigen Sakrament des heiligen wahren Leichnams Christi und von den Brüderschaften“. Dort war es ausschließlich der von dem Wittenberger Theologen erstmals vorgetragene Gedanke, durch ein allgemeines Konzil den Laienkelch wieder einzuführen, der kirchenpolitisches Aufsehen erregte und von da an zu einer Grundforderung der sich formierenden evangelischen Bewegung werden sollte. Ausgehend von dem Nutzen des Sakraments, der durch das tägliche Empfangen oder Begehren des Sakraments oder Zeichens erzielt werde, skizzierte Luther in dem Sermon die zeitgenössische, von der christlichen Kirche angeordnete Kommunionpraxis, die den Priestern, nicht aber dem Volk den Empfang von Brot und Wein erlaube.15 Der spätmittelalterlichen Konkomitanzlehre16 entsprechend sei es nicht heilsnotwendig, beide Zeichen zu empfan46–48; M. Rathey, Eucharistische Ethik in Luthers Abendmahlssermon von 1519 (Luther 63, 1992, 66–73); W. Schwab, Entwicklung und Gestalt der Sakramententheologie bei Martin Luther (EHS.T 79), Frankfurt am Main/Bern 1977; W. Simon, Die Messopfertheologie Martin Luthers. Voraussetzungen, Genese, Gestalt und Rezeption (SuR.NR 22), Tübingen 2003, 227–254; U. Stock, Die Bedeutung der Sakramente in Luthers Sermonen von 1519 (SHCT 27), Leiden 1982; D. Wendebourg, Essen zum Gedächtnis. Der Gedächtnisbefehl in den Abendmahlstheologien der Reformation (BHTh 148), Tübingen 2009, 45–47. 15 WA 2; 742,15–23. Noch bis ins 15. Jahrhundert war die „communio sub utraque specie“ in der katholischen Kirche auch für Laien praktiziert worden, obgleich sie seit dem 12. Jahrhundert zunehmend umstritten war. Zu den Gründen, die zum mittelalterlichen Kelchentzug führten, zählten u. a. eine übersteigerte Achtung von Brot und Wein im Volk, eine wachsende Hostienverehrung, die Vermeidung von unangemessenem Umgang mit dem Kelch aber auch Weinmangel und andere praktische Aspekte (z. B. Ansteckungsgefahr bei Seuchen). Hinzu trat die theologische Begründung durch das aristotelische Konzept der Konkomitanz, das, zur Konkomitanzlehre entwickelt, in jeder Gestalt die Gegenwart des ganzen Christus propagierte. Aufgrund dieser Überlegungen konnte sich die stellvertretende Kommunion durch den Priester etablieren. Eine dogmatische Fixierung der „communio sub una specie“ für die Laien und die Gestattung des Kelches ausschließlich für die Priester fand erst am 15. Juni 1415 in der 13. Sitzung des Konzils von Konstanz statt (DH 1198–2000; COD3 418,24–419). Mit dieser Festlegung entwickelte sich der Kelch zum klerikalen Standessymbol, der die Differenz von Priester und Laie sinnenfällig werden ließ. Vgl. StA 2; 272 Anm. 6; K. Ganzer, Art. Laienkelch. I. Historisch-theologisch (LThK 3 6, 1997, 600 f.); D. Girgensohn, Peter von Pulkau und die Wiedereinführung des Laienkelches. Leben und Wirken eines Wiener Theologen in der Zeit des großen Schismas (VMPIG 12), Göttingen 1964; W. Hinz, Art. Kelchentziehung (RGG 4 4, 2001, 919). Zur spätmittelalterlichen Diskussion über den Laienkelch vgl. R. Damerau, Der Laienkelch (SGR 2), Giessen [1964]; J. Smend, Kelchversagung und Kelchspendung in der abendländischen Kirche. Ein Beitrag zur Kultusgeschichte, Göttingen 1898. 16 Konnte Luther hier noch die kirchliche Lehre der „communio sub una specie“ mit ihrer Begründung durch die Konkomitanz vertreten, lehnte er sie später ab. Grass, Abendmahlslehre, 55 betont, dass Luther bis etwa 1521 „ohne große Betonung an der Konkomitanz festgehalten“ habe, nachher aber wie zuvor die Transsubstantiationslehre fallen gelassen habe, „indem er zunächst die Spekulation darüber, schließlich aber auch die Sache selbst verwarf “. Vgl. zur Konkomitanzlehre W. Hinz, Art. Konkomitanz (RGG 4 4, 2001, 1598 f.).

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gen.17 Eingebettet in diese Aussage und ergänzt durch den nicht näher spezifizierten historischen Hinweis, dass auch die Laien vor Zeiten beiderlei Gestalt erhalten hätten, regte Luther an, „das die kirch yn eynem gemeyn Concilio widderumb vorordenete, das man allen menschen beyder gestalt gebe, wie den priestern.“18 Es sei „zimlich und feyn“, das Sakrament ganz zu geben, da das Sakrament eine „gantz voreynung und unvorteylete gemeynschafft der heyligen“ bedeute.19 Luthers Argumentation gipfelte in der Begründung: Christus habe beide Gestalten für alle Christen zum Gebrauch eingesetzt.20 Das in der Erbauungsschrift begründete Plädoyer nach Einführung des Laienkelchs durch ein allgemeines Konzil, welches Luther – obgleich am Anfang seiner Schrift – eher als Randproblem thematisiert hatte, stieß auf heftigen Widerspruch, so dass er sich genötigt fand, in einer erneuten Auflage zu ergänzen: „Es seyn ettlich, die dißen Sermon [. . .] furworffen haben, drumb das ich ym dritten Artickell gesagt hab, Es dunckt mich feyn, wo ein Christlich Concilium vorordenete, beyde gestalt yderman zu geben, Haben auch das maull ßo weyt auff than, das sie sagen, Es sey eyn yrthum und ergerlich.“21

1.2. Politische Konsequenzen aufgrund der Laienkelchforderung Insbesondere Herzog Georg von Sachsen, der seit der Leipziger Disputation gegen den Wittenberger Professor aufgrund der durch Eck verdächtigten Nähe Luthers zu den Hussiten aufgeschreckt war und eine akute Gefahr für das Seelenheil seiner Untertanen fürchtete, sah sich nach der Lektüre des Abendmahlssermons in seiner Sorge bestätigt. In der Forderung nach Einführung des Laienkelchs durch ein allgemeines Konzil, welches das Hauptmerkmal der Hussiten bildete,22 erblickte Georg – ohne die theologische Ausgewogenheit des Zu Luthers Haltung hierzu vgl. StA 2; 272 Anm. 6; H. Hilgenfeld, Mittelalterlich-traditionelle Elemente in Luthers Abendmahlsschriften (SDGSTh 29), Zürich 1971, 376–385. 17 Siehe auch WA 2; 749,7–10. 18 AaO. 742,24–26. 19 AaO. 742,29–743,1. 20 AaO. 743,4–6. 21 AaO. 758,8–11. 22 Kurz nach dem Tod von Hus wurde die Forderung nach dem Laienkelch zum Symbol der hussitischen Bewegung und zum Kern ihrer Gemeinde- und Gruppenbildung. Hus selbst hatte sich, anders als sein Landsmann Jakob von Mies, der 1414/15 die Kelchkommunion für Laien obligatorisch einführte, zur Frage nach dem Laienkelch zurückhaltend geäußert. Vgl. zur Verhandlung über den Laienkelch im Konstanzer Konzil und das am 15. Juni 1415 in der Sessio 13 ausgesprochen Verbot des Laienkelchs (COD3 418 f.) Girgensohn, Peter von Pulkau, 1964; Brandmüller, Konzil von Konstanz 1, 360–370; Ders., Konzil von Konstanz 2, 139–149 – Obwohl sich die hussitische Bewegung in eine gemäßigte Richtung, die aus böhmischem Hochadel, Magistern und Bürgern der Prager Altstadt bestehenden Utraquisten, und eine radikalere Richtung, die aus Süd- und Westböhmen sich in der Stadt Tabor sammelnden Taboriten, sowie in die als Pikarden oder Adamiten bezeichneten radikalen Chiliasten differenzierte, blieb die Laienkelchforderung ein gemeinsames Anliegen. In den vier

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Sermons zu würdigen – in Luther einen neuen Wortführer der hussitischen Ketzerei.23 Daher formulierte der empörte albertinische Herrscher vermutlich unter Mitwirkung seines Hoftheologen Hieronymus Emser 24 einen Beschwerdebrief an Luthers Landesherren 25 und rief die Bischöfe von Merseburg und Meißen zu Maßnahmen gegen die deutschsprachige Schrift auf, um Ärgernis und Unruhe im „gemeynen volk“ zu vermeiden.26 Während Kurfürst Friedrich III. Luther gegen die Vorwürfe seines Vetters in Schutz nahm 27 und Bischof Adolf von Merseburg nach erneuter herzoglicher Aufforderung zwar versicherte, er werde mögliches Ärgernis beim Volk abwenden,28 aber keine Zensurmaßnahme ergriff, verbot Johann VII. von Schleinitz, Bischof von Meißen, am 24. Januar 1520 durch seine Offi zialbehörde in Stolpen die Verbreitung des Abendmahlssermons in seiner Diözese und kündigte die Konfiszierung aller Exemplare an.29 Prager Artikeln, zu denen sich die einzelnen hussitischen Gruppen gegen König Siegmund 1420 zusammengeschlossen hatten, bildete der Kelch eine Grundforderung. Vom Basler Konzil wurden die Prager Artikel als Prager Kompaktaten 1433 gebilligt, 1462 aber von Papst Pius II. aufgehoben und der Laienkelch verboten. Die intensive Verteidigung des Laienkelchs in Böhmen könnte darin seine Ursache haben, dass sich in manchen böhmischen Orten Anfang des 15. Jahrhunderts der Gebrauch des Laienkelchs noch erhalten hatte. Vgl. zur komplexen Thematik F. Machilek, Art. Hus/Hussiten (TRE 15, 1986, 710–735), 719– 729; P. Hilsch, Art. Hus, Johannes/Hussiten (RGG 4 3, 2000, 1961–1963). 23 Vgl. Volkmar, Reform, 456–459, der auf die Verstärkung der herzöglichen Reaktion gegen den Laienkelch durch den dem Sermon beigegebenen Titelholzschnitt des Wittenberger Drucks von Johann Grunenberg aufmerksam macht. Eindrücklich interpretiert aaO. 456 diesen Vorgang als ein „Lehrstück über die zeitgenössische Rezeption von Reformationspropaganda“ in Bezug auf das Verhältnis von Wort und Bild. Vgl. zur Kontroverse um den Laienkelch aufgrund des von Volkmar, ebd. als „Flugschrift“ bezeichneten Sermons die Überblicke bei Köstlin/Kawerau, Luther 1, 292–298; Brecht, Luther 1, 346–348; Schwarz, Luther, 73 f. 24 Welche Rolle Hieronymus Emser in der Laienkelch-Rezeption durch Herzog Georg spielte, wird von Volkmar in seiner profunden Studie allerdings nicht bedacht. 25 Gess 1, 110 f. Nr. 146 (Herzog Georg an Kurfürst Friedrich, Dresden, 27. 12. 1519). 26 AaO. 111 f. Nr. 147 (Herzog Georg an [Bischof Johann und Bischof Adolf, Dresden,] 27. 12. 1519). 27 AaO. 112 f. Nr. 148 (Kurfürst Friedrich an Herzog Georg, Lochau, 29. 12. 1519). Dieser Brief bildet ein wertvolles Dokument zu Friedrichs Lutherschutzpolitik, wenn er u. a. formuliert aaO. 112,28–38: Und wie wol ich nit achten kan, wo fur das berurt buchleyn wil angesehen werden, so hore ich doch, das bisher desselben doctor Martinus lare bey vil gelarten und verstendigen fur Cristlich geacht und gehalten wurden, die ich doch in yrem wert und bey seiner vorantwortung lasse, nachdem E. L. wissen, das doctor Martinus handlung und disputation uf erkentnus stet, darzu er sich auch erboten hat fur bebstlicher heiligkeit comissarien, der ime auch verordent, furzukommen und sich der billickait weisen zu lassen, wie dann solch sein erbieten vermag, auß dem allem, ab got wil, sol befunden werden, das mir mit billickeit von nymants einige uflegung bescheen soll. – Vgl. auch Ludolphy, Friedrich der Weise, 417 f. 28 Gess 1, 116 Nr. 154 (Bischof Adolf an Herzog Georg, Merseburg, 20. 1. 1520) als Reaktion auf den weiteren Brief des Herzogs. Siehe aaO. 115 f. Nr. 152 (Herzog Georg an Bischof Adolf, Dresden, 13. 1. 1520). 29 Zur ersten Reaktion von Bischof Johann VII. siehe aaO. 114 Nr. 150 (Bischof Johann

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In seinem Mandat verwies der Bischof nach dem Hinweis, dass Luthers Sermon entgegen der Anordnung des 5. Laterankonzils ohne bischöfl iche Genehmigung publiziert worden sei,30 auf den Konzilsbeschluss über die vollgültige „Communio sub una specie“31 und lehnte die Kommunion unter beiderlei Gestalt als aufrührerisch und den Gehorsam der Kirche verweigernd ab.32 Neben diesem ersten kirchenamtlichen Verbreitungsverbot einer Lutherschrift überhaupt zeitigte der Abendmahlssermon eine Wirkung mit weitergehenden Folgen: Herzog Georg entschied sich aufgrund des Sermons und der Forderung nach Einführung des Laienkelchs durch ein allgemeines Konzil endgültig gegen Luther und manifestierte seine Position in der von nun an beginnenden antilutherischen Kirchenpolitik.33 Aufgrund der sächsischen Anfeindungen verfasste Luther Mitte Januar 1520 noch vor Publikation des bischöfl ichen Erlasses auf Drängen seiner Freunde eine Verteidigung seines Sermons auf Deutsch,34 in der er den Vorwurf der an Herzog Georg, Stolpen, 1. 1. 1520). Das Mandat ließ Luther am Ende seiner Schrift „Ad schedulam inhibitionis sub nomine episcopi Misnensis editam super sermone de sacramento eucharistiae M. Lutheri Augustiniani responsio“ (WA 6; [142] 144–153) unter der Überschrift „Schedulae Tenor“ (aaO. 151,28–153,8) abdrucken. Dieses Verfahren, die gegnerischen Schriften mit einem Kommentar oder einer Einleitung versehen zu publizieren, wandte Luther häufig an. 30 WA 6; 151,35–152,1. 31 AaO. 152,29–35: ac sanctam catholicam ecclesiam in sacra generali Sinodo in spiritusancto legittime tunc congregata ex divina eiusdem spiritussancti inspiratione non conficientes sub sola specie panis communicari debere instituisse et ordinasse, propter quam institutionem et ordinationem huiusmodi sumptionem sub utraque specie esse temerariam, presumptuosam, scandalosam, seditiosam et ecclesiastici ritus turbativam, et ex consequenti eterne damnationis inductivam [. . .]. – Siehe DH 1198–1200. 32 WA 6; 152,35–153,8. Zur ablehnenden Haltung von Bischof Johann VII. gegenüber Luthers Laienkelchvorschlag vgl. auch A. Lobeck, Das Hochstift Meissen im Zeitalter der Reformation bis zum Tode Herzog Heinrichs 1541 (MDF 65), Köln 1971, 54–61. 33 Vgl. zum Beginn der antilutherischen Kirchenpolitik, die anfänglich aus einem Druckverbot von Lutherschriften bestand, welches in Leipzig aber auf z. T. originelle Weise umgangen wurde (u. a. in dem Druck von Valentin Schumann, der – ohne Nennung des Autors – Luthers Abendmahlssermon mit einem für Dungersheims „Confutatio Apologetici“ hergestellten Holzschnitt zierte) Volkmar, Reform, 458 f. 581–586 u. ö. Zuzustimmen ist auch dessen summarischer Beobachtung aaO. 459: „Was auf der Leipziger Disputation noch Verdacht war und sich mit der Hoffnung auf Distanzierung verband, hatte mit Luthers Schrift zum Laienkelch Gewissheit gewonnen: Luther war ein Hussit, zumindest in den Augen Herzog Georgs. [. . .] Nicht die Leipziger Disputation, sondern erst der kleine, unscheinbare Sermon vom Dezember 1519 markiert also den Bruch zwischen Luther und seinem wichtigsten Gegner unter den deutschen Fürsten.“ Vgl. zu Herzog Georgs Kirchenpolitik auch Smolinsky, Alveldt und Emser, 310–344 u. ö. 34 M. Luther, Verklärung etlicher Artikel in seinem Sermon von dem heiligen Sakrament, 1520 (WA 6; [76] 78–83). Siehe die Ankündigung in WAB 1; 612,5 f. Nr. 240 (Luther an Spalatin, Wittenberg, 18. 1. 1520) und die Mitteilung über die Fertigstellung der Erklärung sowie die Verblendung von Herzog Georg durch die Leipziger Theologen in aaO. 619,6–10 Nr. 242 (Luther an Johann Lang, [Wittenberg,] 26. 1. 1520): Mitto declarationem pro sermone Eucharistiae contra Lipsenses nequitias, quibus me Boemum natum tanta fide

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böhmischen Ketzerei zurückwies und bezüglich der Einführung des Laienkelchs gegen willkürliche Veränderungen den notwendigen Konsens der christlichen Kirche untermauerte: „Ich hab nit gesagt noch geraten, ist auch nit meyn meynung, das eyn odder ettlich Bischoff von eygener gewalt solten anheben beyde gestalt yemant tzu reychen, es wurd dan alßo gesetzt unnd befolen durch eyn gemeyn Christlich Concilium, wilchs ich nehmlich außgedruckt hab.“35

Gleichzeitig legte Luther umfangreicher als bisher seine Haltung zu den hussitischen Böhmen dar. So stellte er u. a. fest, dass die Böhmen, welche aufgrund der Christusgemäßen Einsetzung beiderlei Gestalt im Abendmahl gebrauchten, nicht als Ketzer wohl aber als Schismatiker anzusehen seien, zumal die römische Kirche ihnen für knapp hundert Jahre den Laienkelch zugestanden habe.36

1.3. Die Hervorhebung des Konzils im Streit um den Laienkelch In seiner am 7. Februar 1520 zügig verfassten und um den 11. Februar ohne Einverständnis des kurfürstlichen Hofs gedruckten „Antwort auf die [d. h. den] Zettel, so unter des Officials zu Stolpen Siegel ist ausgegangen“37 griff Luther das bischöfl iche Verbreitungsverbot seines Abendmahlssermons an und stellte erneut richtig, er habe nicht gelehrt, dass man beide Gestalten im Abendmahl reichen solle. Statt seiner individuellen Meinung habe er den Vorschlag ausdrücklich der künftigen Entscheidung eines „gemeyn Christlich Concilium[s]“ als kirchlicher Ordnungsinstanz überlassen. Erst aufgrund deren Anordnung sollten beide Gestalten „gehorsamlich gereicht“ werden.38

sparserunt, ut aulas Principum permoverint. Ducem Georgium captivum ducunt mihi infensissimum factum; denique minatus est Dresdensibus propter me expulsionem, ut vocant. 35 WA 6; 79,5–8. 36 AaO. 79,14–80,23. Mit der Bemerkung, dass die römische Kirche den Laienkelch zugelassen habe, spielte Luther auf die Ende August 1433 getätigte Konzession des Basler Konzils an, die den Böhmen den Gebrauch des Laienkelchs gestattete. Vgl. Gill, Konstanz und Basel-Florenz, 212. 37 WA 6; (135) 137–141. Spalatin hatte Luther briefl ich gebeten, von der Streitschrift gegen das bischöfl iche Mandat Abstand zu nehmen, da sonst „ein neuer, großer Brand“ entstehe. Weil aber Luther die Schrift bereits in den Druck gegeben hatte und sie verbreitet wurde, kam Spalatins Mahnung zu spät. In der Tat war die Stimmung am kursächsischen Hof durch das als selbstherrlich gewertete Vorgehen Luthers zuungunsten des Reformators kurzzeitig gekippt. Siehe WAB 2; 39 f. Nr. 253 (Luther an Spalatin, [Wittenberg,] 12. 2. 1520); aaO. 42–45 Nr. 255 (Luther an Spalatin, Wittenberg, [c. 16.2.] 1520); aaO. 46 f. Nr. 256 (Luther an Spalatin, [Wittenberg,] 18. 2. 1520). 38 WA 6; 138,6–11: Czum ersten bekennet der hochgelerter meyster dieser tzedell, und mus bekennen, das ich nith gelert hab, man sol beyder gestalt reichen, ob michs wol guth dunckt, dan ich hab mein duncken nyemant tzur regell adder lere gesetzt, sondern mith ausgedruckten wortten fuergetzogen ein gemeyn Christlich Concilium, wo das selbig wurdt

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Argumentativ nahm Luther nun den im gegnerischen Mandat erwähnten Konzilsbeschluss für die „Communio sub una specie“ auf und fragte, „warumb seines [d. h. Stolpen] Concili ordnung besserlich und meins Concili ordnung ergerlich sey“, oder wer ihm erlaubt habe, „eins Concilii ordnung tzu bestetigenn, des andern tzuvordamnen und lesteren.“39 Durch diese vernunftorientierte Kontrastierung der Konzilsentscheide, die strukturell an die im Herbst 1519 geführte Debatte um die Differenzen der Konzilsentscheide von Basel und dem 5. Laterankonzil bezüglich der Irrtumsfähigkeit erinnerte, suchte Luther die Brüchigkeit der stolpischen Argumentation aufzuzeigen. Außerdem knüpfte er an die geringe Akzeptanz des im bischöfl ichen Mandat gegen die Böhmen angeführten 5. Laterankonzils an40 und polemisierte, dass der Verfasser, indem er sich bei der Widerlegung des hussitischen Irrtums weder auf die Heilige Schrift noch auf andere Gründe, sondern nur auf das jüngste Konzil berufe, „den Bemen recht von hundert jarenn her bis an das selb Concilium“ gebe.41 Dass Luther mit seinen Ausführungen den Sinn und Wortlaut des Mandats bezüglich der Konzilserwähnungen nicht wirklich traf, war der schnellen Entstehung der Schrift und ihrem polemischen Charakter geschuldet.42 Dennoch bildet diese Schrift Luthers erste vernichtende Kritik am 5. Laterankonzil. Ausführlicher, aber keineswegs gemäßigter, widmete sich Luther unter Mitwirkung Melanchthons der Konzilsproblematik in seiner kurz vor dem 24. Februar 1520 gedruckten lateinischen Antwortschrift „Ad schedulam inhibitionis sub nomine episcopi Misnensis editam super sermone de sacramento eucharis-

solchs vorordenen, das alszo dan beyder gestalt wurdt noch desselben Concilii ordnung gehorsamlich gereicht. 39 AaO. 138,(11-)16–21: Darumb will ich yn hie mit gebeten haben, das er ein ander mall auff den nuchtern morgen tzedel schreyb, unnd nit wyder mich fechte durch ordnung eins Concilii, szo er mir eins andern Concili ordnung fuer ergernisz, auffrur, tzwispalt auff ruckt, auff das mir nit not sey zu argwenen, er hab sein gehirn ym ketzschperg vorloren, und selbst nit wisse was er sage. 40 AaO. 138,22–29: Auch ist das nit ein klein vormynderung seins eygen fur nemen, ja ein grosser abbruch Romischer uberkeyt unnd stercke bemischer tzwispaltikeit, Das der arm, blos, nacketh tzedeler tzu seynem grundt nit anders auff bringt, dan das letzt Romisch Concili, das noch nit tzehen jar alt, von vielen zu Rom selbst fur nichts gehalten, auch in deutzschen und allen landen wenig ere erlangt hat, das ich fur war gar nahe tzweyffel, ob dyser tzeddeler solchs den Bemen tzu eren und Romischen stull tzu schandenn, mutwillig adder unwissendt setzt habe. 41 AaO. 138,29–139,2. 42 Köhler, Luther und die Kirchengeschichte, 107 f. weist darauf hin, dass es im 5. Laterankonzil keinen Beschluss zum Laienkelch gab, so dass Luthers Rezeption des stolpischen Zettels auf einem Missverständnis beruhte. Weil Luther in späteren Schriften nicht hierauf zurück kam, darf angenommen werden, dass er den Fehler schweigend zur Kenntnis genommen hat. – Über die herzoglich-sächsische Rezeption der Schrift siehe Gess 1, 116 f. Nr. 155 (Aufzeichnung Georgs in Form einer dem Bischof zu Meißen in den Mund gelegten Erklärung betreffend Luthers „Antwort auf die Zettel, so unter des Offi zials zu Stolpen Siegel ist ausgegangen“, nach 17. 2. 1520).

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tiae responsio“43. Bevor er auf die für ihn unhaltbaren Vorwürfe einging, unterstrich Luther seine Übereinstimmung mit zentralen Aussagen des bischöfl ichen Mandats: 44 Es sei den Beschlüssen des 5. Laterankonzils zu gehorchen und den Laien nur eine Gestalt zu geben.45 Der ganze Christus sei in jeder einzelnen Gestalt anwesend. Alle Leser sollten um der Einigkeit der Christenheit willen den Ausführungen des Mandats folgen.46 Wie in seiner deutschsprachigen Verteidigungsschrift wies Luther den Vorwurf des Schismas zurück, da er den Laienkelch weder geboten noch geraten, sondern eine Entscheidung hierüber der Gewalt eines allgemeinen Konzils anvertraut habe.47 Mit Hilfe der kirchlich anerkannten Autorität des Konzils argumentierte er generell, es könne nicht skandalös und schismatisch sein, was ein Konzil verordnet habe, verordnen werde oder verordnen könne.48 Weil er sich auf Beschlüsse eines künftigen Konzils beziehe, könne dieses nicht falsch sein, da sonst auch alles, was über die Gewalt des Papstes und der Konzilien geschrieben werde, aber noch nicht beschlossen sei, schismatisch sein müsse.49 Er habe nichts gegen die kirchliche Lehre gesagt, sondern lediglich den Wunsch geäußert, dass ein allgemeines, künftiges Konzil beiderlei Gestalt wieder einführen möge. Diesen Wunsch veranschaulichte Luther durch ein weiteres kirchlich brisantes und unten noch näher auszuführendes Beispiel: die Einführung der Priesterehe durch ein allgemeines Konzil.50 Erneut ging Luther auf die Bedeutung des 5. Laterankonzils ein, dessen Autorität er hinterfragte, aber nicht ablehnte, und dessen Beschluss „sub una specie“ er mit der Böhmenfrage verknüpfte.51 Kritisch äußerte sich Luther, wolle der Verfasser des Mandats nur die Böhmen treffen, dürfe er „unsere Ungebun43

WA 6; (142) 144–153. Wie bereits in Verteidigungsschriften gegen die römische Kurie mit Rücksicht auf den Papst praktiziert, nahm Luther auch in dieser Schrift den Meißener Bischof und die Domherren beabsichtigt wohlwollend von der Verfasserschaft aus und betonte, zwei oder drei bischöfl iche Bedienstete hätten dieses „stolpische“ Mandat aufgesetzt. Siehe aaO. 144,30– 145,5; WAB 2; 39,15 f. 45 An dieser Stelle wiederholte Luther irrtümlicher Weise die These vom Konzilsbeschluss. Vgl. Köhler, Luther und die Kirchengeschichte, 107 f. 46 WA 6; 145,6–13. 47 AaO. 144,21–25. 48 AaO. 145,21–26: ‚At, inquiunt, Tu probas utranque speciem dari, quod est scandalosum et scismaticum.‘ Respondeo: Probavi sane, sed sic, ut non fieret nisi mandante Concilii generalis autoritate. Quod tam clare expressi, ut ipsa met invidia coacta sit mea verba de Concilio eodem inserere. Est ne ergo apud te, invidia hebes et indocta, schismaticum et scandalosum quod Concilium statuit aut statuet aut statuere potest? – Als Stilmittel bedient er sich hier verschiedentlich des dialogischen Streitgesprächs mit seinen Gegnern, den „vortrefflichen Männern“ (aaO. 145,14–23), mit dem „Neid“ (invidia) (aaO. 145,22–33) oder dem „armen Zettel“ (misera schedula) (aaO. 147,9–36). 49 AaO. 145,29–37. 50 AaO. 146,13–24. 147,27–36. Zur Forderung der Einführung der Priesterehe durch ein allgemeines Konzil siehe unten, Kapitel IV § 8.2. 51 AaO. 148,22–149,16. 44

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denheit von der Macht und dem Verlangen nach den Konzilien zu reden“, nicht verdammen. Dass die Böhmen in ihrem Schisma zu verdammen seien, billigte Luther, wollte diese Verdammung aber in Liebe und Wahrheit geschehen lassen.52 In einer kurzen Notiz bemerkte Luther darüber hinaus, dass einige meinten, er habe bisher glücklich und heilig gegen Schismatiker und anstößige Menschen gestritten, die die Gewalt des Papstes „in das Fegefeuer, in den Himmel, in die Hölle, über das Konzil und über alles in der Welt“ erhoben hätten.53 Obwohl diese Nebenbemerkung in die gegnerische Argumentation eingebaut ist, können aus ihr behutsam Rückschlüsse auf Luthers Prioritätensetzung in der kirchlichen Autoritätenfrage im Februar 1520 gezogen werden: Trotz der Auseinandersetzungen in und nach der Leipziger Disputation stand für Luther ein allgemeines Konzil über dem Papst.

1.4. Die Konzilsforderung in „De captivitate“ Während Luther nicht weiter auf das bischöfl iche Mandat einging, sorgte sein Vorschlag, durch ein allgemeines Konzil den Laienkelch zuzulassen, nachhaltig für Diskussionsstoff. Während sich die Anhänger Luthers dieser Überlegung anschlossen, interpretierten seine Gegner den Vorschlag zur Einführung des Laienkelchs als Forderung und verknüpften diese mit der böhmischen Ketzerei. Der Leipziger Franziskaner Augustin von Alveldt lehnte beispielsweise in dem „Tractatus de communione Sub vtraque Specie quantum ad laicos“, der im Juli 1520 – möglicherweise auf Anraten von Bischof Adolf von Merseburg – abgefasst worden war, die Entscheidung über die Einführung von beiderlei Gestalten durch ein künftiges Konzil mit dem Hinweis auf das Konstanzer Konzil vehement ab.54 In seiner programmatischen Schrift „De captivitate Babylonica ecclesiae praeludium“55 bezog sich Luther auf Alveldts Traktat gegen beiderlei Gestalt im 52 AaO. 147,18–25: At dices ‚Boemos gaudere de tuo sermone timuimus‘. Respondeo: Et impiorum est timere, ubi non est timor. Esto, Boemos volebas compescere. At non ideo damnanda fuit nostra licentia loquendi de potestate et desyderio Conciliorum. Hoc enim est timere pruinam et obrui nive. Damna Boemos in suo schismate, et placebis mihi quoque. Sed fac, ut sine charitatis et veritatis lesione id praestes [. . .]. 53 AaO. 145,38–146,3: Iam sequens erit horum virorum superdoctissimorum autoritate, Lutherum hactenus pugnasse foelici sanctaque pugna non nisi adversus schismaticos et scandalosos, eos scilicet, qui potestatem Papae in purgatorium, in coelum, in infernum, supra Concilium, super omnia mundi constituunt, [. . .] 54 Obwohl sich der Traktat gegen die evangelische Bewegung wandte, wurde Luther mit keinem Wort erwähnt. Stattdessen polemisierte Alveldt explizit gegen Wyclifs und Hus’ Kelchforderung. Vgl. zu Alveldt und dessen Traktat: Smolinsky, Alveldt und Emser, 107– 119. 55 Vgl. zu den Hintergründen dieser bekannten und nicht nur für das evangelische Sakramentsverständnis bedeutenden Schrift: WA 6; 484–496; StA 2; 168–171.

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Abendmahl und wiederholte seine bisherige Meinung, ein Generalkonzil möge beschließen, dass den Laien beiderlei Gestalt gegeben werde. Diese Position sei von dem „überaus gelehrten Bruder“ mit dem Hinweis kritisiert worden, dass es weder von Christus noch den Aposteln geboten oder geraten, beiderlei Gestalt den Laien darzureichen, und somit der zu gehorchenden Entscheidung der Kirche überlassen sei.56 Aufgrund der gegnerischen Polemik und seiner fortschreitenden Erkenntnis bezüglich des Sakramentsverständnisses verschärfte Luther seine Haltung zum Laienkelch, indem er alle als „gottlos“ kritisierte, die den Laien beiderlei Gestalt verweigern, und suchte dieses in dem „Vorspiel“ von „der Gefangenschaft der römischen Kirche“ aufzuzeigen.57 Folglich führte er als erstes Gefängnis des Abendmahlssakraments die Verweigerung des Laienkelchs an und belegte anhand von Schriftstellen und Kirchenväterzitaten das Gegenteil. Pointiert wiederholte er seine Ansicht, dass es „gottlos und tyrannisch“ sei, dem Laien beiderlei Gestalt abzuschlagen, da dies weder in der Macht der Engel noch des Papstes oder eines Konzils liege. Den Beschluss des Konstanzer Konzils, auf den sich die Laienkelchgegner stützten, kontrastierte er auch in dieser Schrift mit dem gegenteiligen Beschluss des Basler Konzils, dass die Böhmen beiderlei Gestalt empfangen dürften.58 In der Argumentation wies er den Priestern und nicht den Laien die Schuld zu, dass sie den Laien beiderlei Gestalt mit Gewalt abschlagen. Allerdings wolle er das Gewissen unterrichten, dass man die römische Tyrannei leide und erdulde, aber nicht verteidige und rechtfertige. Zur Begründung untermauerte Luther noch einmal, dieses Gefängnis wolle er durch einen Beschluss eines allgemeinen Konzils aufgehoben wissen, damit „uns die christliche Freiheit aus den Händen des römischen Tyrannen“ wiedergegeben und einem jeden sein Wille, das Sakrament zu begehren und zu gebrauchen, gelassen würde.59 56 WA 6; 498,29–34: Hactenus ego stultus sensi, pulchrum fore, si pro laicis utraque species sacramenti porrigenda statueretur Concilio generali. Hanc sententiam frater plus quam doctissimus correcturus dicit, Neque praeceptum esse neque consultum sive a Christo sive Apostolis, ut utraque species porrigatur laicis, ideoque Ecclesiae relictum iuditio, quid hic faciendum omittendumve sit, cui necesse sit oboedire. 57 AaO. 501,10–15: Itaque, dum illi murmurant, a me laudari utriusque speciei communionem et in maxima ista seque dignissima re foelicissime occupantur, ego procedam et iam conabor ostendere, omnes esse impios, qui utriusque speciei communionem laicis denegant. Quod ut commodius faciam, praeludam de capitivitate Ecclesiae Romanae, suo tempore daturus plurima, ubi Papistae doctissimi hunc librum superaverint. 58 AaO. 506,33–507,4: Concludo itaque, Negare utranque speciem laicis esse impium et tyrannicum nec in manu ullius angeli, nedum Papae et Concilii cuiuscunque, nec moror Concilium Constantiense, cuius autoritas si valet, cur non valet et Basiliensis, quod contra statuit, Boemis licere utranque speciem suscipere, quod multa disputatione illic obtentum est, ut extantes annales et literae Concilii probant? 59 AaO. 507,27–31: Hoc est, quod dixi, mihi pulchrum videri, si generalis Concilii statuto ista captivitas solveretur et nobis Christiana illa libertas e manibus Romani tyranni resti-

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2. Die Einführung der Priesterehe Einen weiteren Reformvorschlag, der durch ein allgemeines Konzil genehmigt werden könne und der schon bald zu einer Zentralforderung der evangelischen Bewegung werden sollte, unterbreitete Luther in der Diskussion um die Konzilsautorität bei Einführung des Laienkelchs: die Priesterehe.60 Während die seit dem 2. Laterankonzil 1139 dogmatisierte Zölibatsverpfl ichtung61 die priesterliche Existenz substanziell betraf und zum augenfälligsten Unterscheidungsmerkmal zwischen Priestern und Laien zählte, gestaltete sich die Einhaltung des Zölibats in der Praxis bekanntlich als problematisch. Auch am Vorabend der Reformation brach die u. a. von Humanisten mehrheitlich vorgetragene Kritik an der laxen Handhabung des Priesterzölibats nicht ab, obgleich öffentlichkeitswirksame Stimmen, die eine Änderung des Eheverbotes für Priester anregten, nie ganz verstummten, aber die Ausnahme blieben.62

tueretur et cuique suum arbitrium petendi utendique relinqueretur, sicut in baptismo et poenitentia relinquitur. 60 Zum Zölibatsproblem und zur Priesterehe während der Reformationszeit vgl. die Überblicke bei U. Bubenheimer, Streit um das Bischofsamt in der Wittenberger Reformation 1521/22. Von der Auseinandersetzung mit den Bischöfen um Priesterehen und den Ablaß in Halle zum Modell des evangelischen Gemeindebischofs Teil 1 (ZSRG.K 73, 1987, 155–209); S. E. Buckwalter, Die Priesterehe in Flugschriften der frühen Reformation (QFRG 68), Gütersloh 1998; A. Franzen, Zölibat und Priesterehe in der Auseinandersetzung der Reformationszeit und der katholischen Reform des 16. Jahrhunderts (KLK 29), Münster 31971; W. Kawerau, Die Reformation und die Ehe. Ein Beitrag zur Kulturgeschichte des sechzehnten Jahrhunderts (SVRG 39), Halle 1892, 12–40. 61 Bereits im 1. Laterankonzil (1123) war Priestern, Diakonen und Subdiakonen das Zusammenleben mit Konkubinen und Ehefrauen verboten worden (Kanon 3 bzw. 7 siehe DH 711; COD3 191,1–5). Im 2. Laterankonzil wurde dieser Beschluss um Bischöfe, Regularkanoniker, Mönche und Konversen mit Profess erweitert und die Priesterehe für rechtlich ungültig erklärt (Kanon 7 siehe COD3 198,6–16), womit ein längerer, im 11. Jahrhundert von den Klöstern ausgehender Reformprozess zum Abschluss gekommen war. Mit der Aufnahme in die Rechtssammlung Gratians erlangte der Beschluss kirchenrechtliche Geltung. Siehe CopIC, Decr. Grat. II, causa 27, q.1. c.40 (Friedberg 1, 1059). Vgl. zur Entstehungsgeschichte des Zölibats u. a. G. Denzler, Das Papsttum und der Amtszölibat. 1. Teil: Die Zeit bis zur Reformation (PuP 5,1), Stuttgart 1973; Ders., Die Geschichte des Zölibats, Freiburg i. Br. 1993; R. M. Price, Art. Zölibat II. Kirchengeschichtlich (TRE 36, 2004, 722–739), bei dem weitere Literatur zum Thema zu gewinnen ist. 62 Vgl. hierzu Buckwalter, Priesterehe, 34–39. Eine prominente Ausnahme aus der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts war die Forderung nach Einführung der Priesterehe in der Reformatio Sigismundi, die in dem Textabschnitt allerdings nicht explizit durch die Institution Konzil erwartet wurde. Siehe H. Koller (Hg.), Reformation Kaiser Siegmunds (MGH. Staatsschriften des späteren Mittelalters 6), Stuttgart 1964, 152,7 f.

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2.1. Die Anregung in der Streitschrift „Ad schedulam“ Luther sprach, wie bereits angedeutet, in seiner gegen das Meißener Mandat verfassten Streitschrift „Ad schedulam inhibitionis [. . .] responsio“ zum ersten Mal überhaupt den Gedanken der Wiedereinführung der Priesterehe an: „Wie, wenn ich sagte: es erscheint mir vortreffl ich, dass den Priestern durch die Autorität eines Konzils wieder Ehefrauen erlaubt würden?“63

Diese Frage war als Beispiel für einen künftigen Konzilsbeschluss im Irreal geäußert und zielte als ein der Laienkelchforderung analoges Gedankenspiel auf die Widerlegung des Schismavorwurfes, wenn Luther fragte, ob er in dieser Sache auch „schismatisch und skandalös“ sei, nur weil er sage, dass er wünsche, die Kirche möge tun, was in ihrer Autorität liege. Noch habe sie die Priesterehe nicht verordnet, sondern praktiziere es anders.64 Der kirchliche Ordnungs- und Traditionsaspekt dürfe kein Argument für die Verdammung einer verbalisierten Forderung sein. Mit dem Verweis auf Pius II., der sich positiv zur Priesterehe geäußert hatte, suchte Luther seine Position zu stützen.65 Im weiteren Argumentationsgang hob der Reformator die Widersprüchlichkeit und Anmaßung der Denkverbote seiner Gegner bezüglich der Konzilien hervor: Während sie auf der einen Seite auf die Macht („potestas“) der Konzilien bauen, verbieten sie auf der anderen Seite, über die von einem künftigen Konzil möglicherweise zu ordnenden Dinge reden zu dürfen. Wenn es nach 63 WA 6; 146,13 f.: Quid, si dicerem, mihi pulchrum videri, ut sacerdotibus curatis uxores redderentur autoritate Concilii? – Weder hatte Luther die Priesterehe vorher in seiner „Antwort auf die Zettel, so unter des Officials zu Stolpen Siegel ist ausgegangen“ (WA 6; 137–141) noch in einem überlieferten Privatbrief thematisiert, so dass er in dieser Schrift zum ersten Mal den Gedanken der Priesterehe öffentlich machte. Dass er ihn innerhalb der Diskussion um die Autorität von zukünftigen Konzilien äußert, veranschaulicht den für Luther zu dieser Zeit unmittelbaren Zusammenhang von Reform und Konzil bzw. Reformbemühungen und zukünftigen Konzilsentscheiden. Zu den Überlegungen zur Priesterehe vgl. das Textreferat bei Buckwalter, Priesterehe, 61 f. 64 WA 6; 146,14–16: An hic scismaticus et scandalosus sum, dicens, hoc me optare, quod Ecclesia potest praestare, sola hac causa, quia nondum est statutum et aliter nunc agitur? 65 AaO. 146,17 f.: At tunc Pium secundum, cuius haec vox fuit, scismaticum dices et scandalosum. – Auf welche Äußerungen Pius’ II. (1458–1464) Luther hier anspielt, wird aus dem Kontext nicht deutlich. Außerdem bringt er in seinem gedruckten Gesamtwerk Pius II. an keiner weiteren Stelle mit der Zölibatsthematik in Verbindung. Dennoch fand die Berufung auf Pius II. innerhalb der evangelischen Bewegung Anhänger. So wurde auf den Renaissancepapst in dem von Melanchthon 1530 abgefassten lateinischen Text von CA 23 „De coniugio sacerdotum“ unter Nennung der Quelle Platina verwiesen (BSLK11 86,20–87,3). Von dort wird die Referenzstelle, auf die sich auch Luther – vielleicht durch einen Hinweis von Melanchthon – bezieht, erhellt: Es handelt sich um eine bei Bartholomeus Platina „De vitis ac gestis pontificum“ Pius II. zugeordnete Sentenz: Sacerdotibus magna ratione sublatas nuptias, maiori restituendas videri. – Siehe BSLK11 87, Anm. 2. Zu Pius’ II. Stellung zum Zölibat vgl. Denzler, Papsttum und Amtszölibat, 131–134. – Weil aber auch Luther Platina bei seiner Vorbereitung auf die Leipziger Disputation studiert hatte, könnte der Hinweis auch umgekehrt von Luther an Melanchthon vermittelt worden sein.

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den Gegnern gehe, dürfe von der Macht der Konzilien nicht weiter gesprochen werden.66 Im Verlauf seiner Streitschrift kam Luther erneut auf das Beispiel der Priesterehe zu sprechen, indem er seine sich hier langsam zur Forderung formende Überlegung begründete: „Siehe, die griechischen Priester haben Ehefrauen: Darf man darum nicht sagen und wünschen, dass durch die Autorität eines Konzils auch unseren Priestern Ehefrauen gegeben würden, weil wir mit solchen Reden der Meinung der Griechen gefallen würden?“67

Neben dem Konfessionsvergleich68 und dem Aspekt der Konfessionsverständigung argumentierte Luther mit den durch den Zölibat verursachten Missständen in der zeitgenössischen Priesterschaft sowie mit der Freiheit der griechischen Priester in dieser Angelegenheit und bemerkte, dass alle rechtschaffenen Männer die Priesterehe wünschen müssten.69 Am Ende seiner Ausführungen zur Priesterehe unterstrich Luther noch einmal, dass die positiven Überlegungen lediglich zur Veranschaulichung eines akuten Problems dienen.70

2.2. Die Entfaltung in der Adelsschrift Mit diesen Hinweisen war in der Frage der Priesterehe ein Weg vorgezeichnet, den Luther im Verlauf des Jahres 1520 beherzter beschreiten sollte. Während er von der eher traditionellen Antwort des Wittenberger Juristen Hieronymus Schurf, den er bezüglich der kanonistischen Beurteilung des Priesterzölibats angefragt hatte, enttäuscht war, vertiefte Luther seine Überlegungen zur Thematik.71 Bereits in seiner gegen Augustin von Alveldt gerichteten Streitschrift „Von dem Papstthum zu Rom wider den hochberühmten Romanisten zu Leip66

WA 6; 146,18–22. AaO. 147,27–29: Ecce Graeci sacerdotes habent uxores: Nunquid ideo non licet dicere et optare, ut autoritate Concilii nostris quoque sacerdotibus dentur uxores, quod sic dicentes Graecorum opinioni placemus? 68 AaO. 147,29–32: Aut quis unquam schismaticus et scandalosus habitus est, si cum Graecis in hac re sentiret et similia nostris optaret, licet facere non posset prohibitus interim statuto contrario Ecclesiae et usu? 69 AaO. 147,32–34: Quis est enim virorum optimorum, qui hanc Graecorum sacerdotum licentiam, misertus nostrorum periculis maximis et scandalis, non optet hodie? 70 Siehe aaO. 147,34–36. Treffend formuliert Buckwalter, Priesterehe, 62: „Eigentlich geht es Luther hier nicht um die Zölibatsfrage, sondern darum, für argumentative Zwecke eine Analogie zwischen den Hussiten und den griechischen Christen aufzustellen: Deshalb vor einem Konzil zur Abendmahlsfrage zurückzuschrecken, weil die schismatischen Böhmen dadurch an Auftrieb gewinnen könnten, zeuge ebenso von mangelndem Verstand und von Ängstlichkeit, wie mit einem Konzil zur Zölibatsfrage deshalb zu zögern, weil die griechischen Christen sich daran erfreuen und gestärkt werden könnten.“ 71 Siehe WAT 3; 551 f. Nr. 3707. Vgl. auch Brecht, Luther 1, 356; Bubenheimer, Streit, 162. 67

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zig“72 hatte er die Priesterehe zur Veranschaulichung der päpstlichen Gewaltenfrage als Beispiel heranzogen.73 Wenige Wochen später nahmen die Gedanken zur Erlaubnis der Priesterehe durch ein allgemeines Konzil konkrete Gestalt an. In seiner ursprünglich als „offenes Blatt“74 an Kaiser Karl V. und den deutschen Adel gegen die Tyrannei der römischen Kurie geplanten Schrift „An den christlichen Adel deutscher Nation“, die im Juni innerhalb weniger Wochen verfasst und Mitte August 1520 gedruckt war 75 – auf sie wird wiederholt einzugehen sein –, erörterte Luther im 14. Reformpunkt erstmals ausführlich die Problematik des Priesterzölibats.76

72 WA 6; (277) 285–324 = Cl 1; (323) 324–361. Nachdem Alveldt auf Anraten des Merseburger Bischofs Adolf die zwei Schriften „Super apostolica sede“ und „Eyn gar fruchtbar vnd nutzbarlich buchleyn von dem babstlichen stule“ gegen Luther verfasst hatte, in denen er das ius divinum des päpstlichen Primates verteidigte, formulierte Luther seine Gegenschrift, die am 26. Juni gedruckt vorlag. Wieder war es ein Angriff, der Luther nötigte, seine theologische Position zu präzisieren. Suchte er zum einen die päpstlichen Geheimnisse des Antichrists („Antichristi mysteria“) bekannt zu machen (WAB 2; 120,12 Nr. 297 [Luther an Spalatin, Wittenberg, (7. 6.?) 1520]) und Alveldts Vorwürfe zu widerlegen, formulierte er in der Schrift zum anderen seine ersten umfangreichen Äußerungen zum reformatorischen Kirchenbegriff (aaO. 292,35–297,35). Vgl. Smolinsky, Alveldt und Emser, 50–87; Hammann, Ecclesia spiritualis, 17–123. 73 WA 6; 307,26–34: Ja warumb vorpeut der Babst der gantzen priesterschafft den ehelichen standt nit allein widder die figur, sondern auch widder got, widder recht, widder vornunfft und natur, des er keinen fug, gewalt noch recht hat, das die kirch noch nie gebottenn, noch gebiettenn mag, und macht ausz eygenem mutwillen on not und ursach die Christenheit vol hurn, sunder und elend gewissen? wie sanct Paul von yhm sagt i. Timo. iiij [I Tim 4,1–3]. – Siehe den gesamten Abschnitt aaO. 307,26–308,10. Vgl. Buckwalter, Priesterehe, 62–64. 74 WAB 2; 120,13–15: Est animus publicam schedam aedere ad Carolum & totius germaniae nobilitatem aduersus Ro[manae] Curiae tyrannidem & nequitiam. 75 WA 6; (381) 404–469. Zur Adelsschrift vgl. A. Adam, Die Nationalkirche bei Luther (ARG 35, 1938, 39–62); K. Bauer, Luthers Aufruf an den Adel, die Kirche zu reformieren (ARG 32, 1935, 167–217); A. Beutel, Dreifach vermauertes Rom (Ref. 42, 1993, 12–18); Cl 1; 362 f.; W. Köhler, Luthers Schrift an den christlichen Adel im Spiegel der Kultur- und Zeitgeschichte, Halle an der Saale 1895; Ders., Zu Luthers Schrift „an den christlichen Adel deutscher Nation“ (ZSRG.K 14, 1925, 1–38); Ders., Rez. zu Ernst Kohlmeyer, Noch ein Wort zu Luthers Schrift an den Christlichen Adel, 1925 (ZSRG.K 16, 1927, 486–493); E. Kohlmeyer, Die Entstehung der Schrift Luthers an den christlichen Adel, Gütersloh 1922; Ders., Noch ein Wort zu Luthers Schrift an den Christlichen Adel (ZKG 44, 1925, 582– 594); Ders., Zu Luthers Anschauung vom Antichrist und von weltlicher Obrigkeit (ARG 24, 1927, 142–150); B. Moeller, Klerus und Antiklerikalismus in Luthers Schrift An den christlichen Adel deutscher Nation von 1520 (in: P. A. Dykema and H. A. Oberman, Anticlericalism in late medieval and early modern Europe [SMRT 51], Leiden/New York/Köln 21994, 353–365); Schwarz, Luther, 81–84; StA 2; 89–95. – Weil die Adelsschrift für die Konzilsund Reformthematik von zentraler Bedeutung ist, wird auf sie unten, Kapitel IV § 9, ausführlich eingegangen werden. 76 WA 6; 440,15–443,24. Vgl. Buckwalter, Priesterehe, 64–66.

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Ausgehend von der durch den Zölibat ausgelösten existentiellen Gewissensnot der konkubinarischen Priester 77 kritisierte Luther die theologische und kirchenrechtliche Begründung der Ehelosigkeit durch den Papst. Hierbei orientierte er seine Anregungen am biblischen Vorbild der Pastoralbriefe (I Tim 3,2; Tit 1,6 f.) und übertrug diese Anforderungen auf die Berufung eines Pfarrers durch die christliche Gemeinde: Jede Gemeinde solle sich „eynen gelereten frumenn burger“ zum Pfarrer wählen, ihm das Pfarramt übertragen, ihn von der Gemeinde ernähren und „yhm frey wilkoer“ lassen, „ehelich zu werdenn odder nit“. Wiederholt erinnerte Luther an die Praxis der griechischen Kirche.78 Obgleich Luther dem freiwilligen Zölibat der Kirchenväter historisch positive Seiten abgewinnen konnte,79 kritisierte er vehement seine zwanghafte Verordnung durch den päpstlichen Stuhl und interpretierte diese unter Bezug auf I Tim 4,1–3 als Machenschaft des Teufels: „das hat yhn der teuffel geheyssenn“.80 Auf dem Hintergrund seiner Papstkritik und im Bewusstsein, dass mit einer Auf hebung des Zwangszölibats die kirchliche Ordnung und das geistliche Recht umgestoßen werden würde, präsentierte er im Blick auf den Pfarrstand den als funktional zu bezeichnenden Reformvorschlag: „Ich wil reden von dem pfarr stand, den got eingesetzt hat, der ein gemeyn mit predigen unnd sacramenten regierenn musz, bey yhnen wonen und zeytlich hausz halten: den selben solt durch ein Christlich Concilium nachgelassen werden freyheit, ehlich zuwerden, zuvormeydenn ferlickeit und sund.“81

77 WA 6; 440,15–20: Zum viertzehenden, wir sehen auch, wie die priesterschafft gefallen, und mancher armer pfaff, mit weib unnd kind ubirladenn, sein gewissenn beschweret, da doch niemannt zu thut, yhnen zuhelffenn, ob yhn fast wol zuhelffen were: lest Bapst unnd Bischoff hie gehen was do geht, vorterben was do vortirbt, Szo wil ich erredten mein gewissenn, und das maul frey auffthun, esz vordriesz Bapst, Bischoff odder wen es wil, [. . .]. – Siehe auch aaO. 442,5–9. 78 AaO. 440,31–36. Der durch den römischen Stuhl „ausz eygenem frevel“ verordnete Priesterzölibat wird von Luther als Trennungsgrund der griechischen Kirche angeführt (aaO. 441,8). 79 AaO. 440,36–441,2. Hier betonte Luther, dass der Zölibat in Zeiten der Verfolgung Studieneifer und Martyriumsbereitschaft gefördert habe. 80 AaO. 441,4 f. Siehe auch den Kontext aaO. 440,36–441,10. Mit unüberbietbarer Deutlichkeit kritisierte Luther im weiteren Verlauf seiner Ausführung die Festlegung des Zölibats durch das kanonische Recht und hinterfragte das geistliche Recht sowie die päpstliche Gewalt überhaupt, wobei er seine seit 1519 immer wieder vorgetragene Papstkritik in scharfe Polemik steigerte (aaO. 442,19–24. 442,34–443,24): Es ist noch nie guttis unnd wirt nymmer mehr ausz dem Bapstum und seinen gesetzen kummenn. (Zitat: aaO. 443,3 f.). 81 AaO. 441,24–27. Vorher hatte Luther bereits empfohlen aaO. 441,11 f.: Ich rad, man machs widder frey und lasz einem yeglichen sein frey wilkore, ehlich odder nit ehlich zuwerden. – Als eine Begründung gegen den Priesterzölibat formulierte Luther aaO. 441,28–30: den die weil sie got selb nit vorpunden hat, szo sol und mag sie niemant vorpindenn, ob er gleich ein engel vom hymel were, schweyg dan bapst, und was da gegen ym geistlichen recht gesetzt, sein lautter fabeln und geschwetz.

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An Luthers Aussagen ist bemerkenswert, dass die Forderung nach Freilassung der Priesterehe für ihn weder Selbstzweck noch moralische Verpfl ichtung bildete. Vielmehr diente sie neben der seelsorgerlichen, um das Gewissen und Seelenheil der Priester besorgten Ausrichtung und der antipäpstlichen Zuspitzung, die in der Kontrastierung von päpstlichem und göttlichem Gesetz bestand,82 der neuen, aus dem Gedanken des allgemeinen Priestertums aller Glaubenden83 erwachsenen Konzeption des evangelischen Pfarrstandes, welcher von Gott selbst eingesetzt war und dessen Aufgabe in der Predigt und der Sakramentsverwaltung bestand.84 Reihte sich der auf die eigene Entscheidung des Pfarrers abzielende Vorschlag in die 26 bzw. 27 kirchlichen und gesellschaftlichen Reformpunkte, die in einem künftigen Konzil zu behandeln seien,85 erwähnte er – anders als in den übrigen Punkten – hier noch einmal explizit das Konzil als Instanz, durch welche den Pfarrern die Freiheit zur Priesterehe gewährt werden sollte. Mit der ausdrücklichen Betonung des christlichen Konzils als kirchlicher und kirchenordnender Institution suchte Luther sein Anliegen zu bekräftigen, den Zwangszölibat nicht willkürlich und unautorisiert, sondern durch das höchste christliche Gremium legitimiert und geordnet aufzulösen. Solange eine Konzilsentscheidung noch nicht gefällt sei, riet Luther den zölibatär lebenden Priestern, auf „ein gemein Christlich ordnung“ zu warten.86 Den im Konkubinat lebenden Priestern gab er aber den seelsorglichen Rat, die unter Gewissensnöten geschlossene Partnerschaft als legitime Ehe zu betrachten, denn „die zwey sein gewiszlich fur got ehlich.“87

3. Die Abschaffung kirchlicher und gesellschaftlicher Missstände durch ein Konzil Neben den Reformforderungen nach Laienkelch und Priesterehe griff Luther auch in anderen Reformgedanken die konziliaristische Tradition des Spätmittelalters auf, indem er kirchliche und gesellschaftliche Missstände durch ein Konzil abgestellt wissen wollte.

82 AaO. 442,19–21: Es ligt mehr ann deyner seelen selickeit, den an den tyrannischen, eygengeweltigen, frevelichen gesetzen, die zur selickeit nit not sein, noch von got gepotten. 83 Zum Priestertum aller Glaubenden und Getauften siehe unten, Kapitel IV § 8.4.2. 84 Vgl. Moeller, Klerus, 357 f. 85 Zu den kirchlichen und gesellschaftlichen Reformpunkten siehe unten, Kapitel IV § 8.3.2. 86 WA 6; 442,3–5. 87 AaO. 442,3–24 (Zitat: aaO. 442,15). Weitere Argumente für die Priesterehe nannte Luther in aaO. 442,25–443,24, wobei er neben der Notwendigkeit einer pfarramtlichen Haushaltshilfe u. a. Mt 19,6 anführte.

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3.1. Konziliare Reformforderungen Hatte er bereits in seiner Synodalpredigt um 1515 Reformen des Klerus gefordert,88 empfahl er im Februar 1519 in seinem „Unterricht auf etliche Artikel, die ihm von seinen Abgönnern aufgelegt und zugemessen werden“89, einen Teil der kirchlichen Gebote in einem Konzil abzulegen. Diesen Vorschlag trug Luther innerhalb des Abschnittes „Von Den Gepoten Der Heyligen Kirchen“90 vor, indem er die Unterscheidung zwischen Gottes Gebot und den kirchlichen Geboten thematisierte. Gottes Gebot solle über die kirchlichen Gebote und nicht die menschlichen Rechte und Werke, die vom Papst ausgehen, über Gott und Gottes Wort gestellt und gefürchtet werden.91 Auch wenn Luther die kirchlichen Gesetze hier nicht explizit aufzählte, deutete er Bußleistungen, Fastengebote, Heiligenverehrung und Feiertagsheiligung als solche Gebote an.92 Sie wollte er Anfang 1519 zwar nicht grundsätzlich abgeschafft, aber doch deutlich durch ein Konzil reduziert wissen. Mit dieser Reformmaßnahme hoffte Luther der Wiederentdeckung von Gottes Wort und Gebot durch die Gläubigen den Weg zu ebnen.93 In dem Ende 1519 verfassten und Anfang 1520 gedruckten „[Großen] Sermon von dem Wucher“94, in dem Luther das sozialethische Thema des Zinsnehmens verhandelte, nannte er bei der Umsetzung von städtischen Reformen das allgemeine Konzil: Durch den Befehl der geistlichen und weltlichen Obrigkeit oder „yn eynem gemeynenn Concilio“ solle festgesetzt und verordnet werden, dass „eyn iglich statt und fleck yhre kirchen, turn, glocken baweten unnd yhre arme leut selb vorsorgeten, das der bettell gar abe ging“.95 88

Siehe hierzu oben, Kapitel II § 1.2. WA 2; (66) 69–73 = Cl 1; (148) 149–153. 90 WA 2; 71,1–29. 91 Diese Aussagen sind innerhalb von Luthers Papst- und Rechtskritik einzuordnen, wie er in aaO. 71,8–14 deutlich macht: Alßo hab ich gesagt, das eyn große vorkerunge itzt in der welt ist, das man gottis gepot gantz vorachtet, Und die weyl sich mit menschlichen rechten und wercken deckt, unnd nu den Pabst und seyne wort weyt mehr furcht dan got und gottis wort. Und wan ich das sage, ßo spricht man, ich widderstreb dem Pabst unnd geystlichen gerecht, wollen aber nit hoeren, das sie got selb und seynem gerecht unverschampt widderstreben. 92 AaO. 71,14–20. 93 AaO. 71,25–29: Der halben ist auch meyn rad, das man der kirchen gepot eyns teyls ablegt yn eynem Concilio, auff das man gottis gepot auch eyn mal scheynen und leuchten ließ, dan mit den lichten vieler gepot hat man dem tag gotlichs gepots gar nah die augen auß gelaucht. 94 WA 6; (33) 36–60 = Cl 3; 21–44,29. Diese Schrift war eine Überarbeitung des „[Kleinen] Sermon[s] vom Wucher“ (WA 6; [1] 3–8), den Luther im Spätjahr 1519 veröffentlicht hatte. Sie ging 1524 in Luthers programmatische volkswirtschaftliche Schrift „Von Kaufshandlung und Wucher“ (WA 15; [279] 293–322) ein. Vgl. Köstlin/Kawerau, Luther 1, 279; Brecht, Luther 1, 339 f. 95 WA 6; 45,21–24. 89

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Zielte dieser Reformvorschlag auf die Eindämmung der Bettelpraxis und Stärkung der kommunalen Eigenverantwortung besonders hinsichtlich der Kirchenbauten, lag seine Spitze eindeutig in der Kritik an der als Ausbeuterei wahrgenommenen Bullen- und Kirchenbaupraxis des Papstes.96

3.2. Die Reformmaßnahmen in der Adelsschrift Hatte Luther Äußerungen zur Abstellung kirchlicher und gesellschaftlicher Missstände durch ein Konzil innerhalb einzelner Schriften lediglich punktuell getätigt und in seiner Schrift „Von den guten Werken“ sogar bestritten,97 befasste er sich mit ihnen intensiv in seiner umfangreichsten kirchlichen Reformschrift, der Adelsschrift. In einem gewaltigen Reformkatalog forderte er die Abschaffung aller Missstände durch ein rechtmäßiges allgemeines Konzil, so dass er dem Konzil als Reforminstanz von Rechts wegen zentrale Bedeutung zuschrieb. Diese auffällig hohe Wertschätzung des Konzils beruhte auf einer Neuinterpretation des Konzilsverständnisses, das im folgenden Kapitel näher dargestellt werden wird. Um eine systematische Zusammenschau zu ermöglichen, wird im Folgenden die durch das Konzil geforderte Abstellung der Missstände kurz skizziert werden: Nach grundlegenden fundamentaltheologischen Aussagen über die drei Mauern der Romanisten im ersten Hauptteil98 bemerkte Luther in der Überleitung zu seinem Reformkatalog: „Nu wollen wir sehenn die stuck, die man billich in den Concilien solt handeln“.99 Den Appell verknüpfte er mit einem Weckruf an die Deutschen, Gott mehr als die Menschen zu fürchten (Act 5,29), „das wir nit teylhafftig werdenn aller armen seelen, die szo kleglich durch das schendlich, teuffelisch regiment der Romer vorloren werden“.100 Die besonders in humanistischen Kreisen verbreitete antirömische Leidenschaft war für Luthers Reform-

96 Siehe den gesamten Abschnitt „Zum Sechzehenden“ aaO. 45,20–46,2, bes. aaO. 45,24–29: oder yhe nit alßo tzu ging, das eyn iglich fleck seyne kirchen oder armen ynn allen andernn steten erbettellt, wie itzt der unlustige prauch ist, und solt den heyligen stul zu Rom mit seynen bullen zu fridenn lassen, der wol anders zu schaffen hat, wo er seyns ampts pflegen will, dann Bullen vorkauffen und kirchen bawen, der yhm auch keyneß nott ist. 97 WA 6; 258,14 f. Siehe hierzu unten, Kapitel IV § 8.4.1. 98 WA 6; 406,21–415,6. Der erste Teil hebt sich durch seine genuin theologische Fundierung von den übrigen praktisch-reformerischen Teilen ab. Auch visualisiert die im Druck gesetzte Sperrung des einleitenden Satzes (aaO. 406,21 f.) und die in drei Unterabschnitten gegliederte Struktur eine sachliche Abgrenzung, die mit der inhaltlichen Abgrenzung harmoniert. 99 AaO. 415,7 f. StA 2; 108 Anm. 112 übersetzt „billich“ mit „von Rechts wegen“, so dass hierdurch der juristisch-legitime Charakter des Konzils deutlich wird. 100 WA 6; 415,13–16.

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punkte ebenso elementar wie die apokalyptische Dimension, in die er seinen Kampf um die Abstellung der Missstände gestellt sah.101 Zu Beginn des zweiten Hauptteils102 führte Luther drei durch eine Kurienreform zu beseitigende Ärgernisse an, welche die weltliche Macht und den Lebenswandel des Papstes,103 die Vielzahl der sich als weltliche Fürsten gerierenden Kardinäle104 und die kostenintensive kuriale Hof haltung 105 betrafen. Sodann äußerte er sich ausführlich und abfällig zu den römischen Rechtsmissbräuchen und Finanzpraktiken und kritisierte das geistliche Recht.106 Mit einer neuen Einleitung versah Luther die nummerierten 26 (ab der zweiten Auflage 27) kirchlichen und gesellschaftlichen Reformartikel, die den dritten Hauptteil der Adelsschrift ausmachen107 : „Wie wol nu ich zugering byn, stuck furtzulegenn, zu solches grewlichs weszens besserung dienlich, wil ich doch das narn spiel hynausz singen unnd sagen, szovil mein vorstand vormag, was wol geschehen mocht und solt von weltlicher gewalt odder gemeinen Concilio.“108

Mit dieser Stellungnahme untermauerte er das Konzil als Reforminstanz. Die in unterschiedlicher Länge dargestellten und thematisch weit gefassten „kirchlichen Gebrechen“ oder Missstände bezogen sich in den ersten zwölf Punkten erneut auf das Papsttum und die Kurie. Gezielt äußerte Luther Re101 Beutel, Dreifach vermauertes Rom, 16 bezeichnet die zwei die „Adelsschrift“ leitmotivisch durchziehenden Gesichtspunkte zu Recht „antirömischer Affekt“ und „apokalyptischer Horizont“. 102 WA 6; 415,7–427,29. Der als zweiter Hauptteil benannte Abschnitt sticht formal durch die von Luther intendierte Sperrung des ersten Satzes und durch die beginnende Zählung hervor. 103 AaO. 415,19–416,16. 104 AaO. 416,17–417,22. 105 AaO. 417,22–418,13. 106 AaO. 418,14–427,29. Dieser von Schwarz, Luther, 82 Anm. 5 bezeichnete „Exkurs“, den Köhler, Zu Luthers Schrift, 2–5 „Digression“ nannte, ging vielleicht auf Mitteilungen zurück, die der aus Rom kommende Münsteraner Johann von der Wieck Luther mündlich berichtete und die Luther in die Schrift einarbeitete. Vgl. Bauer, Aufruf, 197 f. 107 WA 6; 427,30–467,27. Der dritte Teil wird durch die auffällige Sperrung des Satzes (aaO. 427,30–34) sowie den Neubeginn der Zählung (aaO. 427,35) begründet. Weil in dem dritten Hauptteil gegenüber dem zweiten teils Wiederholungen, teils Abweichungen sowie neue Punkte vorkommen, und darüber hinaus literarische Brüche zwischen den Teilen zu fi nden sind, wurde die Einheitlichkeit und Entstehungsgeschichte der Adelsschrift von Otto Clemen, Cl 1; 362 und später zwischen Kohlmeyer, Entstehung, 1922; Ders., Noch ein Wort, 582–594; Ders., Anschauung, 142–150 und Köhler, Zu Luthers Schrift, 1–38; Ders., Rez. zu Kohlmeyer, 486–493 intensiv problematisiert und diskutiert, ohne zu einem abschließenden Ergebnis zu gelangen. Hieran änderten auch die von Adam, Nationalkirche, 48 f. Anm. 1 und Bauer, Aufruf, 167–217 getätigten Vorschläge nichts. Von Spekulationen abgesehen, darf als gesichert gelten, dass die Schrift nicht in einem Zug entstanden ist, sondern während der Abfassung noch Veränderungen eingearbeitet wurden. Vgl. die einleitenden Bemerkungen von Karlheinz Blaschke, StA 2; 92 f. 108 WA 6; 427,30–34.

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formwünsche im Blick auf die päpstliche Annaten-, Lehens- und Stellenbesetzungspraxis,109 die Rechtssprechung und den kurialen Finanzapparat, die politischen Ambitionen des Papstes und die Verehrung des Papsts und der Stadt Rom.110 Vom 13. Reformpunkt an thematisierte er allgemeine kirchlich-religiöse Gebrechen, wozu er neben der Vielzahl der Bettelorden (13.) den oben bereits angeführten Priesterzölibat (14.) rechnete. Außerdem kritisierte Luther die Beichtpraxis (15.), die Häufung der Seelenmessen (16.), den Missbrauch des kirchlichen Bannes und der Strafpraxis des kanonischen Rechts (17.), die Vielzahl der Heiligenfeste (18.), verschiedene kirchenrechtliche Bestimmungen wie päpstliche Dispense im Eherecht u. a. (19.), den an Wallfahrten und Wunder gebundenen Aberglauben (20.), das Bettelwesen von Mönchen und Wallfahrern (21.), die Pfründenstiftungen für priesterliche Messgottesdienste (22.), die religiösen Bruderschaften mit ihren Sonderrechten (23.) und seit der 2. Auflage die papalistische Theorie von der „translatio imperii ad Germanos“ (26.). Darüber hinaus schlug er in konkret werdenden Ausführungen vor, die Verketzerung der Böhmen aufzuheben (24.) und das Universitätsstudium zu reformieren (25.).111 Diesen „geistlichen Gebrechen“ fügte Luther eine Aufzählung von „weltlichen Gebrechen“ (27.) wie Kleiderluxus, Zinswucher, Völlerei, Trunksucht, Prostitution und Vernachlässigung der Jugend an.112 Luthers verschiedene Reformforderungen, auf die im Rahmen dieser Studie nicht vertiefend eingegangen werden kann, stießen publizistisch auf ein ungeahntes Echo – innerhalb weniger Tage waren die 4000 Exemplare der erste Auflage der Adelsschrift bereits verkauft.113 Dieser sensationelle publizistische Erfolg beruhte nicht nur auf der Popularität des werdenden Reformators, sondern in erster Linie auf den Reformvorschlägen, durch die zeitgenössische Reformanliegen in einer bisher nicht dagewesenen Art ventiliert wurden. Auch kam Luthers „Trompetensignal“, wie er seine Schrift gegenüber Spalatin nannte,114 verschiedenen Reformbestrebungen nahe, zu denen die seit dem 109 Als dritten Reformpunkt (aaO. 429,8–430,4) schlug Luther vor, durch ein kaiserliches Gesetz anzuordnen, dass bei der Bischofsernennung nach der Ordnung des „allerheyligisten und berumptisten Concilii Niceni“ verfahren werden möge. Nicht Rom solle die Bestätigung geben, sondern die zwei Nachbarbischöfe oder der Erzbischof. Mit seiner Orientierung am Konzil von Nicäa knüpfte Luther an Überlegungen an, die er bereits im Umfeld der Leipziger Disputation getätigt hatte, indem er u. a. den willkürlichen Umgang des Papstes mit Konzilsbeschlüssen kritisierte, aaO. 429,12–14: wen der Bapst solch und aller Concilia statut wil zureyssen, was ists nutz, das man Concilia habe? 110 AaO. 427,35–438,13. Zu den Hintergründen vgl. die Anmerkungen in StA 2; 122,5– 132,32. 111 WA 6; 438,14–465,21. Auch hier sei auf den Anmerkungsapperat in StA 2; 132,33– 163,2 verwiesen. 112 WA 6; 465,22–467,27. Siehe auch StA 2; 163,3–165,21. 113 WAB 2; 167,10 f. Nr. 327 (Luther an Johann Lang in Erfurt, Wittenberg, 18. 8. 1520). 114 WAB 2; 164,13 Nr. 324 (Luther an Spalatin, [Wittenberg,] 5. 8. 1520): Classicum

§ 8 Die Hoffnung auf Reformation durch ein allgemeines Konzil

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Frankfurter Kurfürstentag im August 1456 immer wieder gegen Rom vorgetragenen „Gravamina der deutschen Nation“115 und die „Reformatio Sigismundi“ zählten. Hinzu traten humanistische und nationalkirchliche Reformtendenzen,116 die Luther in seiner Programmschrift bediente, über die er aber deutlich hinausging, indem er die „geistlichen Gebrechen“ abgestellt wissen wollte und die weltliche Obrigkeit hierfür in den Dienst nahm.

4. Die kirchenreformerischen Aufgaben der weltlichen Obrigkeit In der Tat hatte sich für Luther im Frühjahr 1520 die Vermutung zur Gewissheit gewandelt, dass auf den Papst und die römische Kurie als mögliche Reformkräfte nicht mehr zu hoffen, eine Reform der Kirche von der Heiligen Schrift her aber nötiger denn je sei. Diese Reformtendenzen entstammten einem vielfältigen Geflecht von theologischen Erkenntnissen, gegnerischen Angriffen, kirchenpolitischen Ereignissen und persönlichen Erlebnissen, die zusammen den Nährboden für die umfassenden Reformforderungen bildeten. Zum einen verdichteten sich für Luther die Berichte, dass der Ketzerprozess gegen ihn in Rom wieder in Gang gesetzt, sein Gegner Eck nach Rom gereist und mit einer bevorstehenden Bannung zu rechnen sei, die jetzt auch Luthers Landesherrn treffen sollte.117 Zum anderen steigerten verschiedene altgläubige Gegner ihre publizistischen Angriffe gegen Luther. Hierzu zählte die Verurteilung der Universitäten von Löwen und Köln, welche die erste offizielle akademische Zensur gegen Luthers Lehren bedeutete und die von ihm in einer Entgegnungsschrift widerlegt wurde.118 Auch die bereits erwähnte Schrift von Augustin von Alveldt und die

meum. Den Begriff „Kriegstrompete“ verwendete – möglicherweise durch Vermittlung von Spalatin – auch Johann Lang in seinem Brief an Luther. Siehe WAB 2; 167,4 f.: Sitne libellus meus, quem tu classicum vocas, mi Pater, tam atrox et ferox, tu videris et alli omnes. 115 Vgl. beispielhaft zu den Gravamina oder „Beschwerung“ von Reich, Reichskirche und Gläubigen durch Papst und Kurie: B. Gebhardt, Die gravamina der Deutschen Nation gegen den römischen Hof. Ein Beitrag zur Vorgeschichte der Reformation, Breslau 21895; H. Scheible, Die Gravamina, Luther und der Wormser Reichstag 1521 (BPf KG 39, 1972, 167–183); A. Störmann, Die städtischen Gravamina gegen den Klerus am Ausgange des Mittelalters und in der Reformationszeit (RGST 24–26), Münster 1916; G.-R. Tewes, Die römische Kurie und die europäischen Länder am Vorabend der Reformation (BDHIR 95), Tübingen 2001, 303–313; E. Wolgast, Art. Gravamina nationis germanicae (TRE 14, 1985, 131–134). 116 Vgl. Adam, Nationalkirche, 45–56. 117 Vgl. Borth, Luthersache, 72–77; Über Ecks Reise nach Rom berichtet Luther in WAB 2; 55 f. Nr. 260 (Luther an Spalatin, [Wittenberg,] 26. 2. 1520). Siehe auch aaO. 64–70, 67 Nr. 266 (Pelikan an Luther, 16. 3. 1520); aaO. 82 f. Nr. 278 (Luther an Spalatin, 16. 4. 1520); Delius, Urbanus von Serralonga, 36–44. 118 Das Verdammungsurteil der beiden Universitäten publizierte Luther am 26. März

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Schrift von Prierias, die am Primat des Papsttums nach göttlichem Recht festhielten, forderten Luther zur Verschärfung seiner Position heraus. Zum dritten erlebte Luther in dieser Phase der zunehmenden Anfeindung von Seiten der Humanisten wie Crotus Rubeanus119 und der Reichsritterschaft in Gestalt Ulrich von Huttens, Franz von Sickingens und Silvester von Schaumbergs sowie des fränkischen und kursächsischen Adels Zustimmung und Ermutigung,120 während die Bischöfe sich weiterhin kritisch oder zurückhaltend äußerten.121 Und schließlich reiften die aus exegetischen Studien gewonnenen theologischen Erkenntnisse zur reformatorischen Glaubenslehre, in deren Licht die 1520 mit seiner „Responsio Lutheriana ad eandem damnationem“ (WA 6; [170] 174–180. 181–195). Vgl. Schwarz, Luther, 74–77. 119 Luthers „Responsio“ gegen die Kölner und Löwener Lehrzensur, in der er u. a. auf das Vorgehen der Universitäten gegen Reuchlin anspielte, fand in humanistischen Kreisen positive Aufnahme. Siehe z. B. WAB 2; 87–93 Nr. 281 (Crotus Rubeanus an Luther, Bamberg, 28. 4. 1520). Vgl. Schwarz, Luther, 75–77; WA 6; 171. 120 Die zugesagte Unterstützung der humanistisch geprägten Reichsritter erfreute Luther nicht nur, sondern stärkte auch sein Selbstbewusstsein gegenüber seinen Feinden und motivierte ihn u. a., den christlichen Adel beherzter als bisher für die kirchlichen Reformen in Dienst zu nehmen. Beispielsweise nahm Ulrich von Hutten im Januar und Februar 1520 über Melanchthon (MBW 1, 68 Nr. 72. 74) Kontakt zu Luther auf und unterbreitete ihm ein Schutzangebot des mächtigen Reichsritters Franz von Sickingen, welches er im Juni 1520 erneuerte (WAB 2; 115–118 Nr. 295 [Ulrich von Hutten an Luther, Mainz, 4. 6. 1520]). Ein ähnliches Angebot erhielt Luther erst mündlich (WAB 2; 103,19–22 Nr. 287 [Luther an Spalatin, Wittenberg, 13. 5. 1520]) dann briefl ich von Silvester von Schaumberg und dem fränkischen Adel (WAB 2; 121 f. Nr. 298 [Silvester von Schaumberg an Luther, Münnerstadt, 11. 6. 1520]). Siehe auch WAB 2; 162,10–13 Nr. 323 (Luther an Joh. Voigt, Augustiner in Magdeburg, [Wittenberg,] 3. 8. 1520). Zum Einfluss der Ritterschaft auf Luther im Sommer 1520, der nach der historiographischen Rittereuphorie der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zurückhaltender und kritischer zu bewerten ist – lassen sich doch signifi kante Unterschiede bezüglich reformerischer und nationaler Ziele und Methoden bei Luther und Hutten ausmachen – vgl. Brecht, Luther 1, 352 f.; H. Junghans, Der nationale Humanismus bei Ulrich von Hutten und Martin Luther (in: Ders., Spätmittelalter, Luthers Reformation, Kirche in Sachsen. ausgewählte Aufsätze hg. von M. Beyer [AKThG 8], Leipzig 2001, 67– 90); P. Kalkoff, Ulrich von Hutten und die Reformation. Eine kritische Geschichte seiner wichtigsten Lebenszeit und der Entscheidungsjahre der Reformation (1517–1523) (QFRG 4), Leipzig 1920; Ders., Der geschichtliche Ulrich von Hutten in seinem Verhältnis zu Luther (LuJ 5, 1923, 22–55); M. Meyer, Hutten und Luther (in: 450 Jahre Reformation, hg. von L. Stern und M. Steinmetz, Berlin 1967, 102–117); J. Schilling, Hutten und Luther (in: Ulrich von Hutten in seiner Zeit. Schlüchterner Vorträge zu seinem 500. Geburtstag, hg. von J. Schilling und E. Giese [MonHas 12], Kassel 1988, 87–117); StA 2; 90 f.; WA 6; 387–390 – Zu den intensiveren, den Prozess der Reformation kontinuierlicher und langfristiger befördernden Kontakten zum kursächsischen Adel, vgl. Bauer, Aufruf, 173–182, der die Anregung zur Abfassung der Adelsschrift in diesen zu fi nden meint. Auch wenn der kursächsische Adel vom Kurfürsten abhängig war, darf sein Einfluss im Reformationsprozess nicht unterschätzt werden. Vgl. allgemein J. Herrmann, Luthers Beziehungen zu dem niederen Adel (LWML, 613–626. 943–950). 121 Siehe WAB 2; 52 f. Nr. 258 (Bischof Adolph von Merseburg an Luther, Merseburg, 25. 2. 1520); aaO. 53–55 Nr. 259 (Kardinal Erzbischof Albrecht von Mainz an Luther, Kalbe, 26. 2. 1520).

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Missstände der römischen Kirche überdeutlich wurden und aufgrund der Endzeiterwartung auf Veränderung drängten.

4.1. Die Vorbereitung im Sermon „Von den guten Werken“ In diesem hier lediglich angedeuteten und problemlos um andere Aspekte zu erweiternden Zusammenspiel entstand von März bis Mai 1520 Luthers ursprünglich als Sermon konzipiertes, sich aber zunehmend zur Reformschrift wandelndes Buch „Von den guten Werken“122 , in dem er den gesamten Dekalog interpretierte und die Glaubensgerechtigkeit insbesondere im Rahmen des ersten Gebots entfaltete. Nur der Glaube könne das erste Gebot erfüllen, so dass nur er die Grundlage zur gottgemäßen Umsetzung der übrigen Gebote sei. In diesem Zusammenhang formulierte Luther in der auf Anraten Spalatins dem sächsischen Herzog und späteren Kurfürsten Johann von Sachsen gewidmeten Schrift123 frömmigkeitspraktische Anregungen und konkrete Reformvorschläge,124 die er ausführlich in der Interpretation des vierten Gebots bezüglich des Gehorsams gegenüber der Obrigkeit zur Sprache brachte.125 Als Gotteslästerung bezeichnete Luther das weltliche Auftreten und ungeistliche Verhalten der geistlichen Obrigkeit, welches, um die Christenheit nicht weiter zu verderben, abgestellt werden müsse, und gab zu bedenken: „Es meinen etlich, man sol das auff gemein Concilium stellen. Da sag ich neyn zu: dan wir haben vil Concilia gehabt, da solchs ist furgewant, nehmlich zu Costnitze, Basele und das letzt Romisch. Es ist aber nichts auszgericht und ymmer erger worden.“126

Diese Aussagen, die von den bisher untersuchten konzilsfreundlichen Äußerungen im Rahmen der Reformüberlegungen deutlich abweichen, lassen erkennen, dass Luther bei Abfassung dieser Schrift von einem Konzil im herkömmlichen Sinne, das unter päpstlicher Aufsicht stand, keine Reform mehr erwartete.127 Stattdessen mahnte er hier erstmals, dass Könige, Fürsten, Adel, Städte und Gemeinden die Initiative zu den Kirchenreformen ergreifen mögen, 122 WA 6; (196) 202–276 = Cl 1; 227–298 = StA 2; (12) 15–88 (Handschrift in WA 9; (226) 229–301.Vgl. Brecht, Luther 1, 349–351; Schwarz, Luther, 90–92. 123 WA 6; 202–204,12 siehe auch WAB 2; 78 Nr. 275 (Luther an Herzog Johann von Sachsen, Wittenberg, 29. 3. 1520). 124 So gab Luther beispielsweise im Rahmen des dritten Gebots (WA 6; 229,15–250,16) u. a. Anregungen zur Gebetspraxis, stellte Überlegungen zur Sonntagsheiligung an und übte Kritik an der kirchlichen Fastenpraxis. 125 In vierfacher Weise ordnete Luther dem vierten Gebot den Gehorsam zu: gegenüber Vater und Mutter (aaO. 250,20–255,17), gegenüber der geistlichen Obrigkeit (aaO. 255,18– 258,31), gegenüber der weltlichen Obrigkeit (aaO. 258,32–263,4) und gegenüber dem Dienstherren (aaO. 263,5–264,15). 126 AaO. 258,14–17. 127 Dies wird aus den weiteren Ausführungen aaO. 258,17–24 deutlich.

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da der höhere Klerus in dieser Sache jetzt untätig bleibe, sich aber, sobald die weltliche Obrigkeit begonnen habe, den Reformen anschließen werde.128 Dass König, Fürsten und der gesamte Adel Reformen gegen die römische Kurie vorantreiben mögen, äußerte Luther auch in seiner Schrift „Von dem Papsttum zu Rom“, ohne diesen Gedanken mit dem Konzil zu verknüpfen.129 Anders als dort brachte Luther in dem zeitgleich am 26. Juni erschienenen Schlusswort der „Epitoma responsionis ad M. Lutherum (per Fratrem Silvestrum de Prierio)“130 den Gedanken der weltlichen Obrigkeit als Reforminstanz erneut mit dem Konzilsgedanken in Verbindung. So beklagte er, dass ein allgemeines Konzil als Hilfsmittel der zerrütteten und verwüsteten Kirche von den Romanisten verhindert werde,131 und fürchtete, dass bei andauernder „Raserei“ kein anders Mittel helfen werde, als dass Kaiser, Könige und Fürsten die römische Pest mit Gewalt und Waffen beendeten.132

4.2. Begründung und Durchführung in der Adelsschrift Mit der Abfassung seiner programmatischen Schrift „An den christlichen Adel deutscher Nation von des christlichen Standes Besserung“ trat Luther in eine neue Phase seiner Reformbemühungen ein: Jetzt waren es nicht mehr einzelne, verstreut angedeutete Überlegungen zur Indienstnahme der weltlichen Obrigkeit, sondern ein wohlüberlegtes und theologisch begründetes Programm, dass die weltliche Obrigkeit zur Reformkraft der Kirche werden ließ.133 128 AaO. 258,24–27: Sondern das were das best, unnd auch das einige ubirbleibend mittel, szo Kunig, Fursten, adel, Stet und gemein selb anfiengen, der sach ein einbruch mechten, auff das die Bischoff unnd geistlichen (die sich itzt furchten) ursach hetten zufolgen. 129 WA 6; 322,23–25: Uber das mocht ich wol leyden, das kunig, fursten unnd aller adel dartzu griff, das den buffen von Rom die strasz nyder wurd gelegt, die bischoff mentel unnd lehen erauszen blieben. 130 AaO. (325) 328–348. Luther hatte die gegnerische Schrift des Prierias abdrucken lassen und mit einem Vorwort, Randbemerkungen und einem Schlusswort versehen erneut publiziert. In dem an antirömischen Affekt kaum zu übertreffenden Vorwort kündigte Luther Rom und der römischen Kirche seine Anhängerschaft auf, wenn Prierias vom Papst geschützt werde, aaO. 329,6–12: Si sic Roma credit, Beata Graecia, beata Boemia, beati omnes, qui sese ab ea separaverunt et de medio istius Babylonis exierunt, Damnati vero omnes, qui ei communicaverint. Et ego quoque, si Pontifex et Cardinales hoc os Satanae non compescuerint et ad palinodiam adegerint, his testibus confiteor, me dissentire Romanae Ecclesiae et negar eam cum Papa et Cardinalibus tanquam abominationem stantem in loco sancto. 131 AaO. 347,2–16. 132 AaO. 347,17–20: Mihi vero videtur, si sic pergat furor Romanistarum, nullum reliquum esse remedium qua ut Imperator, reges et principes, vi et armis accincti, aggrediantur has pestes orbis terrarum remque non iam verbis sed ferro decernant. 133 Über die Deutung der weltlichen Obrigkeit bei Luther vgl. u. a. Holl, Kirchenregiment, 326–380; Mantey, Zwei Schwerter, passim; K. Müller, Kirche, Gemeinde und Obrigkeit nach Luther, Tübingen 1910.

§ 8 Die Hoffnung auf Reformation durch ein allgemeines Konzil

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Folglich adressierte er seinen Reformationsaufruf an den jungen mit großen Erwartungen verbundenen Kaiser Karl V. und an den christlichen Adel deutscher Nation134, worunter er nicht nur den Adel im engeren Sinne, sondern alle Träger politischer Verantwortung in Deutschland fasste.135 Als Begründung nannte Luther: „ob got wolt doch durch den leyen standt seiner kirchen helffen, seintemal der geistlich stand, dem es billicher geburt, ist gantz unachtsam worden.“136 Der weltlichen Obrigkeit als wirkmächtigem, christlichem Laienstand gestand er das Recht und die Pfl icht zu, sich als Bewahrerin der Christenheit für die Reformation einzusetzen, da der geistliche Stand als eigentlich zuständige Reformkraft ausfalle. Stattdessen habe sich die römische Kirche hinter Mauern verschanzt und verhindere jede Besserung der Christenheit.137 Dass die weltliche Obrigkeit überhaupt das Recht zu kirchlichen Reformen habe, begründete Luther in seinen Ausführungen zur ersten Mauer: der Unterscheidung von Priester- und Laienstand und der damit verbundenen Überordnung der geistlichen über die weltliche Gewalt.138 Gegen diese kategoriale Differenz, die das spätmittelalterliche Standesdenken prägte, betonte Luther, dass alle Christen durch Taufe, Evangelium und Glaube zu Gliedern des geistlichen Standes gemacht seien und unter ihnen kein gradueller Unterschied bestehe. Vielmehr seien alle durch die Taufe zu Priestern geweiht und hätten nach I Petr 2,9 und Apk 1,5 f. 5,10 priesterliche Vollmachten. Somit lebten alle Christen in der Gottunmittelbarkeit. Unterschiede gebe es lediglich bezüglich des Amtes,

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WA 6; 405,9 f. Für Luther war es selbstredend, dass die angesprochenen Träger politischer Verantwortung Christenmenschen seien und die weltliche Obrigkeit eine christliche Obrigkeit sei. Vgl. Holl, Kirchenregiment, 335 u. ö. 136 WA 6; 404,14–16. 137 AaO. 406,21–23: Die Romanisten haben drey mauren, mit grosser behendickeit, umb sich zogen, damit sie sich biszher beschutzt, das sie niemant hat mugenn reformierenn, dadurch die gantz Christenheit grewlich gefallen ist. [Hervorhebungen im Text] – Der Begriff Christenheit ist in der Adelsschrift nicht eindeutig, da er anders als in der Schrift „Von dem Papsttum zu Rom“ nicht explizit differenziert wird. Zum einen erfasst Luther mit ihm die Gesamtheit aller Christen auf Erden, die in verschiedene „Stände“, d. h. Reiche, gegliedert ist und das Ganze in einem Reich oder einer Stadt bilden. Zum anderen kann der Begriff auch die Gesamtheit der gläubigen Christen (geistlichen Standes) beschreiben, die Teil der äußeren Christenheit sind. Vgl. zur Differenzierung des Begriffs Köhler, Zu Luthers Schrift, 18–38. 138 WA 6; 406, 23–26: Zum ersten, wen man hat auff sie drungen mit weltlicher gewalt, haben sie gesetzt und gesagt, weltlich gewalt habe nit recht ubir sie, sondern widderumb, geystlich sey ubir die weltliche. – Sowie aaO. 407,10–12: Man hats erfunden, das Bapst, Bischoff, Priester, Kloster volck wirt der geystlich stand genent, Fursten, Hern, handtwercks und ackerleut der weltlich stand, wilchs gar ein feyn Comment und gleyssen ist [. . .]. – Zur ersten Mauer insgesamt siehe aaO. 407,9–411,7. Vgl. auch Beutel, Dreifach vermauertes Rom, 13 f. 135

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IV. Die Forderung nach einem freien, christlichen Konzil (1520)

das in einer Beauftragung zum öffentlichen Dienst aufgrund der allgemeinen Vollmacht bestehe.139 Luther erinnerte die weltliche Obrigkeit an ihre Amtspfl icht, das Recht zu schützen und dem Unrecht zu wehren, und unterstrich mit seiner Lehre vom Priestertum aller Glaubenden, welche die für die mittelalterliche Sozialordnung grundlegende Unterscheidung von Geistlichen und Laien zum Einsturz brachte, dass diese Pfl icht gegenüber allen Gliedern des christlichen Körpers bestehe, auch gegenüber dem Papst.140 Aufgrund der aktuellen Notsituation der Kirche sei die weltliche Obrigkeit als öffentliche Rechtsgewalt aufgefordert, die kirchlichen Missstände abzustellen und die Christenheit zu bessern,141 indem sie dahin wirken möge, dass „ein recht frey Concilium werde“.142

139 WA 6; 407,13–15: Dan alle Christen sein warhafftig geystlichs stands, unnd ist unter yhn kein unterscheyd, denn des ampts halben allein [. . .]. – Siehe auch die weiteren Ausführungen aaO. 407,15–408,25 und aaO. 408,26–31: Szo folget ausz dissem, das leye, priester, fursten bischoff, und wie sie sagen, geistlich und weltlich, keynen andern unterscheyd ym grund warlich haben, den des ampts odder wercks halben, unnd nit des stands halbenn, dan sie sein alle geystlichs stands, warhafftig priester, bischoff und bepste, aber nit gleichs eynerley wercks, gleich wie auch unter den priestern und munchen nit eynerley werck ein yglicher hat. – Erstmals hatte Luther diese aus dem Neuen Testament gewonnenen Einsichten über das Priestertum aller Glaubenden am 18. Dezember 1519 gegenüber Spalatin ausgesprochen, siehe WAB 1; 595,26–37 Nr. 231 (Luther an Spalatin, Wittenberg, 18. 12. 1519). Siehe auch WA 6; 370,25–27. Vgl. die instruktiven Bemerkungen bei Krarup, Ordination, 19 f., der Melanchthon als möglichen Entdecker dieser wirkungsgeschichtlich bedeutsamen reformatorischen Einsicht bezeichnet. Vgl. außerdem Goertz, Allgemeines Priestertum, 1997 (gegen die dort vertretenden These von dem allgemeinen Priestertum als Metapher hierzu kritisch und m. E. zu recht Krarup, Ordination, 23–25). 140 WA 6; 408,26–410,2. 141 AaO. 410,5–8: darumb yhr [der Obrigkeit] werck sol frey unvorhindert gehen in alle glidmasz des gantzen corpers, straffen und treyben, wo es die schuld vordienet odder not foddert, unangesehen Bapst, Bischoff, priester, sie drewen odder bannen, wie sie wollen. – Holl, Kirchenregiment, 328–336 interpretiert die eingreifende Tätigkeit der weltlichen Obrigkeit in der Adelsschrift als eine abgestufte, die sich aus einer unmittelbaren und einer mittelbaren zusammensetze. Während sich das unmittelbare Einschreiten der Obrigkeit aus ihrem weltlichen Amt, die Untertanen zu schützen und Räuberei und Dieberei abzuwehren, begründe, sei das Einschreiten in geistlichen Dingen durch die Not der Christenheit begründet und nur aufgrund des allgemeinen Ansehens der weltlichen Obrigkeit möglich. Als mittelbares Einschreiten der Obrigkeit versteht Holl die Einberufung des Konzils. 142 WA 6; 413,29.

§ 9 Konzilskritik und Konzilsforderung im Sommer 1520 Dass kirchliche Reformen, die das gesamte christliche Leben erfassten, nicht nur geboten, sondern geradezu notwendig waren, machte Luther im Sommer 1520 in seiner Adelsschrift deutlich. Jetzt hatte sich seine Kritik am Papsttum zum öffentlich vertretenen endzeitlichen Antichristvorwurf gesteigert. Die schlafende Christenheit suchte Luther nun auf die Gefahr des Papsttums aufmerksam zu machen. Gegenüber Spalatin brachte er diesen Gedanken Anfang August 1520 zum Ausdruck: „Mein Trompetensignal, auch wenn es vielleicht von niemandem gutgeheißen werden wird, muss doch von mir gutgeheißen werden, um die Tyrannei des römischen Antichristes anzugreifen, welche die Seelen der ganzen Welt zugrunde richtet. Es ist äußerst scharf und heftig, damit ich zugleich, wie ich hoffe, jene matten Lästerer in Erstaunen setze.“143

Kurz vorher hatte er an Johann Voigt im Blick auf sein Sendungsbewusstsein bemerkt: „Wir fürchten nichts mehr, sondern jetzt gebe ich das gemein[verständliche] Buch gegen den Pabst heraus von dem zu bessernden Stand der Kirche; hier behandle ich den Papst sehr scharf, und gleichsam als den Antichrist. Bittet den Herrn für mich, dass mein Wort seiner Kirche Nutzen schaffe.“144

Im Zusammenhang mit der am Evangelium ausgerichteten Kirchenreform eignete Luther, nachdem die Geistlichkeit ausgeschieden war, den beiden verbliebenen, mit öffentlichkeitswirksamen Machtbefugnissen ausgestatteten Institutionen, der weltlichen Obrigkeit auf der einen und dem Konzil auf der anderen Seite, die notwendige Reformkraft zu. Sollte sich bei Luther in den folgenden Jahren auch die weltliche Obrigkeit als Ausführungsorgan der kirchlichen Reformen durchsetzen, spielte das Konzil hier (noch) die wesentliche Rolle zur Besserung der Christenheit. 143 WAB 2; 164,13–17 Nr. 324 (Luther an Spalatin, [Wittenberg,] 5. 8. 1520): Classicum meum &si nullis forte probabitur, mihi tamen probari necesse est ad inuadendam Antichristi Romani tyrannidem totius orbis animas perdentem. Acutissimum est & vehementissimum, quo simul languidulos illos conuitiatores spero faciam obstupescere. 144 WAB 2; 162,13–16: Nihil timemus amplius, sed iam edo librum vulgarem contra Papam de statu ecclesiae emendando: hic Papam acerrime tracto et quasi Antichristum. Orate Dominum pro me, ut prosit verbum meum ecclesiae suae.

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IV. Die Forderung nach einem freien, christlichen Konzil (1520)

Wie in kaum einer anderen Phase von Luthers Schaffen nahm jetzt der Konzilsgedanke – sowohl negativ als auch positiv – breiten Raum ein. Kritisierte Luther einerseits die päpstlichen Konzilien, forderte er andererseits ein freies, christliches Konzil. Verurteilte er einerseits das Konstanzer Konzil, plädierte er andererseits für die auf dem Konstanzer und Basler Konzil realisierte Oberhoheit des Konzils über den Papst. In der bisherigen Konzilspraxis erblickte er auf der einen Seite keine Möglichkeit zur Kirchenreform, während er auf der anderen Seite die Einberufung eines Reformkonzils konsequent anmahnte. Um die von Luther getätigten vermeintlich gegensätzlichen Aussagen zum Konzil einordnen zu können, müssen seine Äußerungen zum Konzil in den Schriften und Briefen des Sommers 1520 genauer analysiert werden.

1. Die dritte Mauer der Romanisten Im Bild der dritten Mauer, das Luther in seiner Adelsschrift zur Visualisierung der römischen Ärgernisse bezüglich der Konzilsthematik nutzbar machte, bündelte er die Hindernisse, welche gegen eine grundlegende Kirchenreform durch ein Konzil vom römischen Papst und seinen Mitstreitern errichtet worden waren. Bereits vor der Adelsschrift hatte sich Luther in der Schrift „Von den guten Werken“ und in seinem Nachwort zur „Epitoma responsionis ad Martinum Luther (per fratrem Silvestrum de Prierio)“ kritisch zum päpstlichen Einfluss auf die Konzilien geäußert, indem er die Realisierungschancen eines traditionellen Reformkonzils thematisierte, das Machtverhältnis zwischen Papst und Konzil problematisierte und einzelne päpstliche Konzilsmotive exponierte. Stellte Luther damit einerseits eine Kontinuität zu konziliaren Reformgedanken her, grenzte er sich durch seine genuin reformatorische Interpretation andererseits von ihnen ab. Wie diese Kontinuität und Diskontinuität aussah, ist im Rahmen von Luthers Analyse des Zusammenhanges von Papst, Konzil und Kirchenreform zu erörtern, welche im Folgenden untersucht wird.

1.1. Die Bindung der weltlichen Obrigkeit durch den Eid Schroff wies Luther – wie bereits gesehen – in seiner Schrift „Von den guten Werken“ jene Stimmen zurück, die eine Reform der geistlichen Gewalt in einem „gemein Concilium“ durchgeführt wissen wollten. „Da sag ich neyn zu: dan wir haben vil Concilia gehabt, da solchs ist furgewant, nehmlich zu Costnitze, Basele und das letzt Romisch. Es ist aber nichts auszgericht und ymmer erger worden.“145 145

WA 6; 258,15–17. Siehe oben Kapitel IV § 8.4.1.

§ 9 Konzilskritik und Konzilsforderung im Sommer 1520

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Deutlich akzentuierte er seine zuvor geäußerte Kritik an den jüngsten Konzilien, die er jetzt hinsichtlich des die einstige Einberufung begründenden Anliegens einer Kirchenreform spezifizierte – ohne dies historisch zu grundieren. Nüchtern resümierte er, dass eine Reform nicht stattgefunden habe, sondern die Missstände viel schlimmer geworden seien. Daher stand für Luther fest: „solche Concilia“ seien „nichts nutz“.146 Als Ursache für die verhinderte Kirchenreform nannte Luther den „fundt“, den Kunstgriff, den sich „die Romische weiszheit“ erdacht habe: Durch einen dem Konzil vorangehenden Eid147 habe die geistliche Primatsgewalt Könige und Fürsten an die Beibehaltung des Status quo gebunden und „alszo einen rigel furgesteckt, aller reformacion sich zuerweren, aller buberey schutz und freyheit zuerhalten“.148 Widergöttlich und widerrechtlich sei dieser Eid durch die römische Jurisdiktion erzwungen worden und habe als Riegel dem Heiligen Geist, „der die Concilia regiren sol, eben damit die thur zugesperret“.149 Für Luther fesselte folglich der Gehorsamseid gegenüber dem römischen Stuhl politisch die weltlichen Herrscher, in die Belange der römischen Kirche einzugreifen, immunisierte kirchenrechtlich die römische Kirche gegen mögliche Reformen und verhinderte theologisch das freie Wirken des Heiligen Geistes als die Erneuerung wirkende Kraft in einem Konzil.150 Mit diesen Ausführungen verband Luther unausgesprochen zwei Annahmen, die er im Sommer 1520 konkretisieren sollte: Die weltliche Obrigkeit beteiligte sich aktiv an einem Konzil, was historischen Gepflogenheiten entsprach.151 Sie hatte im und durch das Konzil die Gewalt, Kirchenreformen durchführen zu können, was der traditionellen Gewaltentrennung in geistliche und weltliche Herrschaft widersprach. Von einem päpstlichen Konzil, das mit einer durch Eid gebundenen weltlichen Gewalt agierte, war eine Besserung der Christenheit nicht zu erwarten.

146

AaO. 258,17 f. Zur Funktion und Bedeutung des (kirchlichen) Eids siehe z. B. DRTA.JR 1; 865,23– 866,5; 871,19–872,2. Vgl. auch StA 2; 71 Anm. 602; E. Eichmann, Die Kaiserkrönung im Abendland. Bd. 2: Einzeluntersuchungen, Würzburg 1942, 163–207; P. Prodi (Hg.), Glaube und Eid. Treueformeln, Glaubensbekenntnisse und Sozialdisziplinierung zwischen Mittelalter und Neuzeit (Schriften des Historischen Kollegs. Kolloquien 28), München 1993. 148 WA 6; 258,18–21. 149 AaO. 258,21–24. Zum Heiligen Geist, der nach konziliarer Theorie das Konzil überhaupt erst konstituierte und legitimierte, und Luthers Kritik hieran, siehe unten Kapitel VI § 14.1.2. 150 Die Bindung der weltlichen Obrigkeit im Konzil durch die kirchlichen Eide wiederholte Luther in WA 6; 588,25–589,7. 151 Die Teilnahme von weltlichen Herrschern oder deren Gesandten an den päpstlichen Konzilien war übliche Praxis. Umstritten war in der Konzilsliteratur des 15. und 16. Jahrhunderts, welchen Einfluss die weltlichen Herrscher als Laien auf das Konzil hatten und ob ihnen Stimmrecht zu gewähren sei. Vgl. Bäumer, Nachwirkungen, 231–243. 147

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1.2. Die Furcht vor einem allgemeinen Konzil Neben der Kritik am Konzilseid, die Luther als Erklärung für das Scheitern der Reformanliegen der zurückliegenden päpstlichen Konzilien anführte, begründete er in seinem Nachwort der „Epitoma responsionis ad Martinum Luther“, warum die „Romanisten“ die Einberufung eines allgemeinen Konzils verhinderten: Silvester Prierias’ Angriffe gegen ihn seien „aus tiefstem Hasse und unglaublicher Furcht vor einem allgemeinen Konzil“ geschehen.152 Denn sollte ein Konzil einberufen werden, müssten die römischen Kurialisten um ihre Freiheit fürchten. Da sie ihr antichristliches Wirken folglich gefährdet sähen, suchten sie alles daran zu setzen, „der zerrütteten und verwüsteten Kirche“ nicht durch das Mittel eines Konzils zu helfen.153 Mit der These von der Konzilsfurcht, die durch den drohenden Machtverlust der römischen Kurie motiviert war, griff Luther eine in der konziliaristischen Reformliteratur des 15. und 16. Jahrhunderts und in romkritischen Kreisen verbreitete Meinung auf.154 Ob er die antirömische These aus Quellen übermittelt bekommen oder selbständig entworfen hatte, kann aufgrund mangelnder Belege nicht beantwortet werden. Fest steht, dass er sie hier im Nachwort zur „Epitoma“ zum ersten Mal schriftlich fi xierte und seitdem in verschiedenen Schriften erneuerte.155

1.3. Die Überordnung des Papstes über das Konzil Eine weitere Erfi ndung der „Romanisten“ zum Erhalt der eigenen Macht stellte für Luther die Überordnung des Papstes über das Konzil dar. Weil sie ein Konzil nicht grundsätzlich verhindern konnten, hätten sie die Behauptungen 152 WA 6; 347,2–4: Haec quisquis legis, Christiane frater, a Sylvestro, Satanae organo, prolata intelligere debes non nisi summo odio et incredibili metu generalis Concilii esse conficta: [. . .]. 153 AaO. 347,4–9: [. . .] agunt enim Romanistae iam dudum furore impietatis suae insanientes, quo impunitam licentiam quidvis audendi habeant, ne aliquando concilii remedio affl ictae et vastatae ecclesiae succurratur et Romanensibus Nimbrottis, Ismaelitis, sanguissugis, Sybaritis, Zodomitis, Antichristis, orbem totum fictis (ut Petrus prophetavit) verbis seducentibus, modus aliquis ponatur. 154 Die Konzilsfurcht des Papstes und der Kurie war ein verbreitetes Motiv im 15. und 16. Jahrhundert und diente verschiedenen Theologen und Kanonisten als Kritik an der mangelnden Reformbereitschaft des Papstes. Beispielsweise forderte der Anonymus von Kremsmünster 1471 den Papst in einem Traktat auf, ein Reformkonzil einzuberufen. Es sei verbreitete Meinung, dass Papst und Kurie kein Konzil wünschten, sondern es fürchteten, hassten und verabscheuten, weil durch eine Konzilseinberufung ihre Macht beschnitten werde. Siehe Jedin, Geschichte 1, 34 f.; Bäumer, Nachwirkungen, 251. Vgl. zum Gedanken, „die Nichtberufung des Konzils sei bedingt durch die Furcht der Päpste vor der Kirchenreform“, aaO. 252 f. 155 Siehe u. a. WA 6; 406,37–407,1. 425,26; WA 7; 44,24; WA 50; 193,12; WA 54; 232,15. 270,34.

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manifestiert: der Papst stehe über dem Konzil, ohne ihn könne keines versammelt werden, nur durch ihn sei es handlungsfähig und er allein sei die „unfehlbare Richtschnur“ für das richtige Schriftverständnis.156 Mit diesen „mehr als höllischen Erdichtungen und Lügen“ hätten die „Romanisten“ das Konzil vor dem Zustandekommen zu Spott gemacht, falls sie genötigt sein sollten, eines zuzulassen. In polemischer Zuspitzung nannte Luther den Grund: damit sie „ihr Sodom und Babylon“ ungestraft behalten können.157 Mit der Kritik an der Oberherrschaft des Papstes über das Konzil übernahm Luther wiederum einen, wenn nicht den bedeutendsten Topos der konziliaristischen Reformliteratur des 15. und 16. Jahrhunderts, überbot ihn aber durch seine ins Grundsätzliche gesteigerte Kritik am Papsttum. Dass das Papsttum im Pakt mit dem Teufel stehe, wurde – trotz mancher antirömischer Polemik – von den Konziliaristen nicht zu folgern gewagt. Folglich war ein christliches und die Kirchenreform beförderndes Konzil politisch, rechtlich und theologisch vollkommen unmöglich. Denn durch die Oberherrschaft des korrumpierten, antichristlichen Papstes musste auch das von ihm einberufene und geleitete Konzil korrumpiert sein, so dass die päpstlichen Konzilien keine geistgewirkten Ergebnisse zeitigen konnten.158 Damit waren die Linien vorgezeichnet, die Luther in seiner Adelsschrift im Bild der Mauer bündelte und ausmalte.

1.4. Vermauertes Rom Bereits in seiner an den Kaiser und den christlichen Adel gerichteten Einleitung knüpfte Luther an die Reformversuche der vorangehenden Konzilien an. Nachdem er die bedrückende Not und Beschwerung aller Stände der Christenheit beklagt und indirekt den Kaiser aufgefordert hatte, seine Hand der „elenden [deutschen] Nation“ zu reichen,159 äußerte er sich zu den konziliaren Reformanliegen nüchtern: „Es ist offt durch Concilia etwas furgewant, aber durch etlicher menschen list behendiglich vorhyndert und ymmer erger worden“.160 Diese „tuck und boszheit“ wolle er jetzt durchleuchten, damit sie erkannt und unschädlich gemacht werde.161 156 WA 6; 347,10–13: Cum itaque futurum videant, ut Concilium prohibere nequeant, fi ngunt, Papam esse supra Concilium, sine eius autoritate nullum cogi, nullum durare nullum obligare, et prorsus nihil facere ullum concilium, ipsum vero Papam esse regulam infallibilem veritatis, autorem intelligendae scripturae. 157 AaO. 347,13–16: Quibus figmentis et mendaciis plusquam tartareis, si cogantur concilium admittere, tamen ante eluserint quam admittant, et sic undique impunitam suam Zodomam et Babylonem redemerint. 158 Den Vorwurf, dass der Papst über den Konzilien stehe, wiederholte Luther u. a. in WA 7; 10,8 f. // 48,6 f.; aaO. 166,8–12; WA 8; 424,15 f. // 497,12–14; WA 50; 86, 13 f. 159 WA 6; 405,15–20. 160 AaO. 405,20 f. 161 AaO. 405,21–23.

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In Analogie zu den Mauern von Jericho analysierte Luther die Ursache der Not und Beschwerung in dem einprägsamen Bild der trutzigen Burgmauern. Die Päpste und ihre Anhänger hätten drei Mauern um sich gezogen, „damit sie sich biszher beschutzt, das sie niemant hat mugenn reformierenn, dadurch die gantz Christenheit grewlich gefallen ist.“162 Nach der ersten Mauer, die in der Überordnung der geistlichen vor der weltlichen Gewalt bzw. der Unterscheidung von Klerus und Laienstand bestand, und der zweiten, die das Schriftauslegungsmonopol des Papstes zum Inhalt hatte, formulierte Luther als letzte Mauer hinsichtlich der Romanisten: „Zum dritten, drewet man yhn mit einem Concilio, szo ertichten sie, es muge niemant ein Concilium beruffen, den der Bapst.“163 Weil das Konzil als institutionalisiertes Forum der Kirchenreform für die Romanisten zu einer ernsthaften Gefahr werden konnte, die verhindert werden musste, erklärte Luther das bisherigen Scheitern durch die Kombination der einzelnen römischen Hindernisse – Eidgebundenheit der Fürsten, Oberherrschaft des Papstes und Furcht der Romanisten – mit den Worten: „und ob sie schon ein Concilium musten machen, haben sie doch dasselb zuvor mat gemacht, damit, das sie die fursten zuvor mit eyden vorpfl ichten, sie bleyben zulassen, wie sie sein, dartzu dem Bapst vollen gewalt geben ubir alle ordnung des Concilii, alszo das gleich gilt, es sein vil Concilia odder kein Concilia, on das sie uns nur mit larven und spiegelfechten betriegen, szo gar greulich furchten sie der haut fur einem rechten freyen Concilio, und haben damit kunig und fursten schochter gemacht, das sie glewben, es were widder got, szo man yhn nit gehorchte in allen solchen schalckhafftigen, listigen spugnissen.“164

Weil die „Romanisten“ eine Reformation fürchteten, streuten sie darüber hinaus Uneinigkeit zwischen Könige und Fürsten, damit nicht durch ihre Einigkeit ein Konzil zustande käme.165 Mit diesen grundlegenden Aussagen suchte Luther die weltliche Obrigkeit für ein Konzil zu sensibilisieren und zu mobilisieren, indem er die Motive der päpstlichen Konzilspraxis aufdeckte und ihre Einschüchterungstaktik torpedierte. Der hierdurch geleistete Fortschritt in Luthers Konzilsverständnis bestand nicht in den zuvor bereits getätigten papstkritischen Äußerungen. Neu für seinen Konzilsbegriff war die hier erstmals verbalisierte und zur Charakterisierung des Konzils eingeführte Wendung „rechte, freye Concilio“! 162

AaO. 406,22 f. WA 6; 406,28 f. Wie die dritte Mauer zum Einsturz gebracht werden kann, entfaltete Luther in der Theorie aaO. 413,1–415,6. 164 AaO. 406,32–407,3. 165 AaO. 425,25–28: Und ausz dem meer fleussit nw in alle welt gleiche tugent: solten sich solch leut nit billich furchten fur der reformation und einem freyen Concilio, und ehe alle kunig und fursten in eynander hencken, das yhe nit durch yhr eynickeit ein Concilium werde? 163

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2. Die Begründung des freien, christlichen Konzils Nachdem Luther die ersten zwei „stroeren und papyren mauren“166 theologisch – insbesondere durch die Erklärung des Priestertums aller Glaubenden – umgestoßen hatte, attackierte er die dritte Mauer und suchte sie argumentativ zum Einsturz zu bringen. Auch wenn Luther in diesem Abschnitt der Adelsschrift erneut keine systematisch ausgefeilte Konzilstheorie vorlegte, lassen sich aus der Argumentation für sein Konzilsverständnis, insbesondere für die Begründung des freien, christlichen Konzils, gewichtige Aussagen gewinnen, welche für die evangelische Bewegung insgesamt zukunftsweisend werden sollten.

2.1. Argumente aus der Heiligen Schrift und der frühen Kirchengeschichte Mit der Feststellung, dass die dritte Mauer von selbst einstürzen werde, wenn die ersten zwei Mauern gefallen seien, leitete Luther zur Argumentation gegen den dritten Missstand des Papsttums über. Weil der Papst gegen die Heilige Schrift handle, seien „wir“167 gemäß Mt 18,15–17 „schuldig, der schrifft bey zustehen, yhn straffen und zwingen“.168 Aus der Gemeinderegel schloss Luther, dass „einem yglichenn glid“ befohlen werde, für das andere zu sorgen, welches besonders gelte, wenn ein „gemeyn regierend gelid ubel“ handle und hierdurch viel Schaden und Ärgernis hervorrufe.169 Eigens ging Luther sodann auf die Gemeindeversammlung ein: „sol ich yhn den vorklagen fur der gemeyne szo musz ich sie ja zusammenn bringen.“170 Obwohl Luther dieses richtende Gemeindeforum nicht ausdrücklich identifiziert, kann hierfür aufgrund des Zusammenhanges nur eine Institution in Frage kommen: das Konzil.171 Der Ärgernis erregende Papst muss folglich vor die Gemeinde zitiert werden und bei mangelnder Einsicht seines Fehlverhaltens aus der christlichen Gemeinde ausgeschlossen werden. Somit erhält das Konzil bei Luther den Charakter einer Gemeindeversammlung und ermöglicht Anknüpfungspunkte an seinen sich entwickelnden reformatorischen Kirchenbegriff, den er aber in seiner Adelsschrift nicht entfaltete.172 166

AaO. 407,5. Das „wir“, welches Luther in der Adelsschrift häufig verwendete, umfasste neben Luther alle reformwilligen Christen überhaupt, die er als Leser voraussetzte. 168 AaO. 413,2–7. 169 AaO. 413,7–10. 170 AaO. 413,10 f. 171 Dass hiermit das Konzil als den Papst strafende Instanz gemeint ist, wird durch aaO. 413,16 belegt. 172 Anders als in der Schrift „Von dem Papsttum zu Rom“ thematisierte Luther in der 167

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Auf ihren autoritativen Bestand untersuchte Luther sodann die römische Behauptung, allein dem Papst gebühre es, ein Konzil einzuberufen und zu bestätigen, und stellte fest, dass diese Lehre ohne Anhalt in der Heiligen Schrift nur in „yhre[m] eygene[n] gesetz“ begründet sei.173 Die Geltung des päpstlichen oder geistlichen Rechts, das Luther hier nicht grundsätzlich ablehnte, habe dort seine Grenze, wo es der Christenheit schädlich und Gottes Gesetzen zuwider werde. Weil aber nun der Papst „streffl ich“ sei, höre auch die Geltungskraft seiner Gesetze auf. Für die Christenheit sei es sehr schädlich, einen straf bar gewordenen Papst nicht durch ein Konzil zu bestrafen.174 Diese Aussagen enthielten zwar Analogien zur konziliaristischen Reformliteratur, in der die Absetzbarkeit eines Papstes intensiv und detailliert diskutiert wurde,175 knüpften aber nicht explizit an sie an, sondern intendierten systemsprengende Züge. Denn weder kam in der Reformliteratur der Schriftbegründung 176 die elementare Bedeutung zu, die ihr Luther beimaß, noch wurden das kanonische Recht und die geistliche Institution des Papstes grundsätzlich in Frage gestellt. Bezüglich der Konzilseinberufung argumentierte Luther erneut mit der Heiligen Schrift und der Praxis der Alten Kirche: Nach Act 15,6 hätten nicht Petrus, sondern alle Apostel und Ältesten das „Apostel Concilium“ einberufen. Hätte es Petrus allein einberufen, wäre es kein „Christlich Concilium“, sondern „ein ketzrisch Conciliabulum“ gewesen.177 Gleiches gelte vom Konzil von NiAdelsschrift weder seinen sich entwickelnden Kirchenbegriff noch gestaltete er die Begründung des freien, christlichen Konzils nach Mt 18,15–17 weiter aus. 173 AaO. 413,12 f. Zur Begründung im kanonischen Recht siehe StA 2; 106 Anm. 101. 174 WA 6; 413,13–16. 175 Dass ein häretischer Papst abgesetzt werden könne oder sein Amt verliere, war die fast einhellige Meinung der Kanonisten und Theologen des Mittelalters und der frühen Neuzeit. Insbesondere im Zusammenhang mit dem Großen abendländischen Schisma war die Frage nach der Absetzbarkeit akut geworden und im Konstanzer Konzil intensiv diskutiert und zu dem Beschluss vorbereitet worden, dass ein Papst nicht nur bei Häresie, sondern auch dann abgesetzt werden könne, wenn er der Kirche notorisch Ärgernis gebe. Weil aber die Beschlussfassung nicht angenommen wurde, blieb die Thematik ergebnislos. Auch das Basler Konzil, das erfolglos versuchte Papst Eugen IV. abzusetzen, konnte keine Klarheit bringen, so dass die Problematik in der Literatur je nach papalistischer oder konziliaristischer Richtung gewichtet wurde. Während die papalistischen Theologen eine Absetzbarkeit des Papstes nur bei Häresie, Schisma oder umstrittener Papstwahl für möglich hielten, plädierten die konziliaristischen Theologen auch im Falle anderer Vergehen des Papstes für die Absetzung durch ein allgemeines Konzil. Vgl. ausführlich und die Position der verschiedenen Kanonisten und Theologen zur Diskussion im 15. und 16. Jahrhundert referierend Bäumer, Nachwirkungen, 83–120, welcher weiterführende Literatur angibt. 176 Eher die Ausnahme als die Regel bildete der Pariser Theologe Johannes Major in seinem Matthäuskommentar, wenn er aufgrund der Exegese von Mt 18,17 die Absetzbarkeit des Papstes durch ein allgemeines Konzil begründete. Vgl. Bäumer, Nachwirkungen, 100; Oakley, Almain and Major, 682 f. 177 WA 6; 413,17–20. – Diese Position wurde von den Konziliaristen nicht vertreten, die sich zwar bisweilen auf Act 15 beriefen, aber in der Regel von der Konzilseinberufung durch den Papst ausgingen.

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cäa: Der Bischof von Rom habe es weder berufen noch bestätigt, „sondern der keyszer Constantinus unnd nach yhm viel ander keyszer desselben gleichen than, das doch die allerchristlichsten Concilia geweszen sein.“178 Entsprechend schloss Luther: Hätte der Papst allein die Gewalt gehabt, wären sie alle ketzerisch gewesen. Die Papstkonzilien beurteilte Luther mit den Worten: „fi nd ich nit besonders, das drynnen ist auszgericht.“179

2.2. Die Notrechtsbegründung für das obrigkeitliche Engagement War mit der Begründung durch die Heilige Schrift und die Kirchengeschichte die dritte Mauer umgestürzt, thematisierte Luther erneut die durch den Papst und seine Anhänger verursachte geistliche Not der Christenheit. Um den Notstand zu beheben, „sol dartzu thun wer am ersten kann als ein trew glid des gantzen corpers das ein recht frey Concilium werde“.180 Obgleich Luther somit prinzipiell jedem Christen die Möglichkeit zur Einberufung eines freien Konzils eröffnete, betonte er: Dieses vermöge niemand besser als das „weltlich schwert“.181 An dieser Stelle wäre nun ein Hinweis auf die altkirchliche Praxis der kaiserlichen Konzilseinberufung zu erwarten gewesen. Doch Luther griff auf die historische Argumentation nicht zurück. Denn einerseits hatte er sie bereits eingeführt, so dass eine erneute Erinnerung lediglich die traditionelle Gewohnheit thematisieren konnte. Andererseits konnte der historische Hinweis nicht das Notrecht der weltlichen Obrigkeit theologisch begründen. Für Luthers Argumentationsgang war die Ableitung der Indienstnahme der weltlichen Obrigkeit für die Kirchenreform aus dem Priestertum aller Glaubenden zentral: Weil die weltliche Obrigkeiten nun Mitchristen und Mitpriester seien, sei es ihre Pfl icht, dort einzugreifen, wo Not und Nutzen es erfordere.182 Zur Veranschaulichung des Ernsts der kirchlichen Lage malte Luther das Bild vom Stadtbrand, bei dem niemand untätig zusehen dürfe, sondern jeder verpfl ichtet sei, den anderen Bürgern zu helfen. Dieses gelte erst recht von der „geystlichen stad Christi“, in der sich ein Feuer am päpstlichen Regiment entzündet habe.183 Um die Aussage zu vertiefen, entwarf Luther das Bild eines feindlichen Angriffs gegen eine Stadt. Das feindliche Vorhaben müsse, sobald es der erste Stadtbewohner entdecke, sogleich gemeldet werden, um die Stadt zur 178 179 180 181 182 183

AaO. 413,20–23. AaO. 413,23–26. AaO. 413,27–29. AaO. 413,29 f. AaO. 413,30–33. AaO. 413,33–39.

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Gegenwehr zu mobilisieren. Gleiches gelte von dem Angriff der höllischen Feinde, gegen den die schlafenden Christen aufgeweckt werden müssten.184 Eindringlich mahnte Luther mit diesen dramatisch-bildhaften Vergleichen die weltliche Obrigkeit, die Verantwortung für das Zustandekommen eines freien Konzils zu übernehmen. Dass er hierbei besonders an Kaiser Karl V. dachte, dem die politische Durchsetzungskraft für die Einberufung eines Konzils am ehesten zukam, legt der Kontext zwar nahe. Explizit erwähnt wird dies aber nicht. Dennoch dürfte Luther aufgrund der Anspielung auf Kaiser Konstantin und das Konzil von Nicäa sowie die Ansprache an Kaiser Karl V. als christlichen Kaiser an ihn als Beschützer der Christenheit gedacht und die Einberufung eines freien Konzils von ihm erwartet haben.185 Luthers Äußerungen zur Frage nach der Befugnis zur Einberufung eines freien Konzils bedienten sich der konziliaristischen Notrechtsbegründung, die bereits Wilhelm von Ockham vertreten hatte.186 Dieser vieldiskutierte und in der Reformliteratur unterschiedlich gewichtete Rechtsgrund besagte generell: Sollte die geistliche Gewalt versagen, müsse die weltliche Gewalt eingreifen und die Kirche in den von Gott gewollten Zustand versetzen. Dass Luther das konziliaristische Motiv des Notrechts aufnahm, es aber weiterentwickelte und mit dem Priestertum aller Glaubenden sogar neu begründete, veranschaulicht seine souveräne, nicht nur von den konziliaristischen Konzepten gelöste theologische Gestaltungskraft, die für sein mittlerweile systemsprengendes reformatorisches Wirken typisch wurde. Denn anders als in der Reformliteratur, in der eine Wiederherstellung des alten kirchlichen Zustands mit Papst und Klerus sowie Laien durch die Kirchenreform projektiert wurde, ging es Luther grundsätzlich um die Befreiung von der Macht des Papstes und die Besserung der ganzen Christenheit.

2.3. Der antichristliche Missbrauch der kirchlichen Gewalt Mehr affektiv denn argumentativ steigerte Luther schließlich seine Ausführungen gegen die angebliche Macht des Papstes über die Konzilseinberufung, 184 AaO. 413,40–414,3: Desselben gleichen geschicht auch, szo die feynd eine stadt uberfielen, da vordienet der ehr und danck, der die andern am ersten auff bringt. warumb solt den der nit ehre vordienen, der die hellischen feynd vorkundet, und die christen erweckt und berufft? 185 Durch die Anspielung konnte Karl V. als zweiter Kaiser Konstantin erscheinen. 186 Zu Ockhams Konzilsverständnis und Notrechtsbegründung vgl. Sieben, Konzilsidee des lateinischen Mittelalters, 410–469; J. Miethke, De potestate papae. Die päpstliche Amtskompetenz im Widerstreit der politischen Theorie von Thomas von Aquin bis Wilhelm von Ockham [SuR.NR 16], Tübingen 2000, 289–295; Leppin, Aufwertung, 35–48. Zur Funktionsbestimmung von Papst und Generalkonzil bei Ockham siehe auch V. Leppin, Geglaubte Wahrheit. Das Theologieverständnis Wilhelms von Ockham (FKDG 63), Göttingen 1995, 294–299.

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indem er sich auf die Funktion der kirchlichen Gewalt konzentrierte und das Wesen der korrumpierten kirchlichen Gewalt aufdeckte. Seinen Ausgang nahm Luther an dem gegnerischen Einwand, die päpstliche Gewalt dürfe niemand – auch nicht die weltliche Obrigkeit – bestreiten.187 Hiergegen betonte er, dass niemand in der Christenheit die Gewalt habe, Schaden zu tun oder die Abstellung von Schaden zu verhindern. In der Kirche sei die Gewalt nur zur Besserung dar. „Drumb wo sich der Bapst wolt der gewalt brauchenn, zuwerenn ein frey Concilium zumachen, damit vorhyndert wurd die besserung der kirchen, szo sollen wir yhn unnd seine gewalt nit ansehen, und wo er bannen und donnern wurd, solt man das furachten als eins tollen menschen furnehmen, und yhn, in gottis zuvorsicht, widderumb bannen und treyben, wie man mag“.188

Der Papst maße sich die Gewalt an, die er nicht habe, und werde durch II Kor 10,8 niedergestreckt: „‚Got hat uns gewalt geben, nit zuvorterben, sondern zubessern die christenheit‘“.189 Folglich könne hier nur die Gewalt des Teufels und Antichrists am Werk sein, die alles abwehrt, was zur Besserung der Christenheit dienlich sei. Deshalb sei der päpstlichen Gewalt nicht mehr zu gehorchen, auch wenn sie gegenüber der weltlichen Gewalt mit Wunderzeichen beeindrucken wolle. Aus dieser endzeitlichen Perspektive fordert Luther daher alle auf, sich der päpstlich-teufl ischen Gewalt mit Leib, Gut und allem, „was wir vormugenn“ zu widersetzen.190 Der Teufel werde von seinen Wundern ablassen, wenn man sich mit festem Glauben an die Worte Gottes halte.191 Somit motivierte Luther seinen Appell an die weltliche Obrigkeit, ein freies, christliches Konzil zur Besserung der Christenheit einzuberufen, nicht nur biblisch und notrechtlich, sondern – aufs höchste gesteigert – apokalyptisch. Resümierend hielt Luther am Ende dieses Abschnittes fest: „Hie mit, hoff ich, sol das falsche, lugenhafftige schrecken, damit uns nu lange zeit die Romer haben schuchter und blod gewissen gemacht, ernyder liegen, unnd das sie mit uns allen gleich dem schwert unterworffen sein, die schrifft nit macht haben ausztzulegen durch lautter gewalt on kunst, und keinen gewalt haben, ein Concilium zuweren odder noch yhrem mutwillen pfenden, vorpfl ichten unnd seine freyheit nehmen, unnd wo sie das thun, das sie warhafftig des Endtchrists und teuffels gemeinschafft sein, nichts von Christo, denn den namen haben.“192

187 WA 6; 414,4 f.: Das sie aber yhre gewalt rumen, der sichs nit zyme widdertzufechtenn, ist gar nichts geredt. 188 AaO. 414,7–12. 189 AaO. 414,14 f. 190 AaO. 414,15–26. 191 AaO. 414,27–34. 192 AaO. 414,35–415,6.

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IV. Die Forderung nach einem freien, christlichen Konzil (1520)

2.4. Fehlende Konkretionen des freien, christlichen Konzils Abgesehen von der Forderung nach einem durch die weltliche Obrigkeit einzuberufenden freien, christlichen Konzil und dem auf dem Konzil zu verhandelnden Reformkatalog, den er im zweiten und dritten Teil seiner Adelsschrift ausführte, machte Luther keine konkreten Vorschläge zur Gestaltung des Konzils. Weder erwähnte er einen möglichen Konzilsort, welcher, weil der deutsche Adel angesprochen war, vermutlich im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation liegen sollte,193 noch äußerte er sich über einen Zeitpunkt, bis zu dem das Konzil einzuberufen sei. Außerdem machte Luther keine expliziten Angaben über die genaue Reihenfolge der zu verhandelnden Reformpunkte,194 über den Konzilsvorsitz,195 über die in der Konzilsliteratur heftig umstrittene Frage nach der Stimmberechtigung und Zusammensetzung des Konzils. Letztere deutete er zumindest an, wenn er „kunig und fursten“ als mögliche Konzilsteilnehmer dachte,196 und konkretisierte dies Mitte Oktober in seiner polemischen Schrift „Von den neuen Eckischen Bullen und Lügen“197 dahingehend, dass er neben den „aller ungeleretisten bischoff und grobisten, tollisten Sophisten [. . .] auch vornunfftige, erfarende Fursten, Adel und leyen“ im Rat sitzen wissen wollte.198 193 Der Zusatz „in deutschen Landen“ bezüglich des freien, christlichen Konzils fi ndet sich in der Adelsschrift nicht. Aufgrund dieses Befundes müssen alle Interpretationen, die dieses freie Konzil als deutsches Nationalkonzil bewerteten (z. B. Köhler, Luther und die Kirchengeschichte, 103 Anm. 2), da es durch den deutschen Adel initiiert werden sollte, zurückgewiesen werden. Kohlmeyer, Entstehung, 19 f. diskutiert den Gedanken des Nationalkonzils, verwirft ihn aber zu Recht zugunsten des allgemeinen Konzils. – Die Wendung „in deutschen Landen“ wurde von den Reichsständen geprägt, die es seit dem Wormser Reichstag zur Forderung erhoben. Im allgemeinen Ausschreiben des Reichsregiments vom 6. März 1523 (DRTA.JR 3; 447–452) war die Forderung wiederholt (aaO. 449,8 f. u. ö.) und briefl ich Kurfürst Friedrich III. mitgeteilt worden, er möge dahin wirken, dass Luther und seine Anhänger bis zum nächsten Konzil nichts Neues schreiben oder drucken mögen (WAB 3; 74). In seinem hierauf bezogenen Brief an seinen Landesherrn erwähnte Luther Ende Mai 1523 erstmals das „frey Christlich Concilium an gelegen malstat deutscher Nation“ (WAB 3; 75,18 f. Nr. 618, [Luther an Kurfürst Friedrich, Wittenberg, 29. 5. 1523]) und druckte 1524 die Wendung, die innerhalb des kaiserlichen Textes stand, in der Schrift „Zwei kaiserliche uneinige und widerwärtige Gebote, den Luther betreffend“ (WA 15; [241] 254–278) in WA 15; 273,32 ab. Zu einer eigenständigen Rezeption der Forderung nach einem Konzil „in deutschen Landen“ kam es erst in der Diskussion um die päpstliche Konzilseinladung der 1530er Jahre. Siehe WA 50; 195,31. 288,3. 623,17–26; WA 54; 208,5–10. 210,5. 211,1. 215,26–217,9. 274,5. 367,1. 194 Luthers Zählung der Reformpunkte besagt nichts über die Rang- und Reihenfolge der im Konzil zu verhandelnden Missstände aus. 195 Dass der Kaiser dem Konzil präsidieren sollte, entbehrt konkreter Anhaltspunkte im Text der Adelsschrift. Anders verhält es sich mit der Einberufung des Konzils. 196 WA 6; 425,25–28. 197 WA 6; (576) 579–594. 198 AaO. 589,10–12. Diese Aussage über die Teilnahme von Laien am Konzil wurde m. E. in der Forschung bisher nicht beachtet. Tecklenburg Johns, Konzilsidee, 37 behauptete

§ 9 Konzilskritik und Konzilsforderung im Sommer 1520

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Hinsichtlich der konkreten Gestaltung des Konzils – welche nicht mit der Gestalt des Konzils zu verwechseln ist – hielt sich Luther vermutlich deswegen zurück, weil sie für ihn eine Nebensächlichkeit war und er dem Kaiser und dem christlichen Adel freie Hand bei der Konzipierung des Konzils lassen wollte. Luther ging es wesentlich um den trompetenartigen Weckruf an die deutsche Nation zur Warnung vor den Machenschaften des Papstes und seiner Anhänger sowie um die Befreiung von diesen den christlichen Glauben und das christliche Leben unterdrückenden Hindernissen – und um die Freiheit des allgemeinen Konzils. Daher bot Luther in seinem emotional-visionären Aufruf zur Besserung der Christenheit die Gefahrenanzeige und nannte, teilweise sehr detailliert, zahlreiche Abhilfemaßnahmen. Über die Realisierungschancen des Maßnahmenkatalogs verlor er hingegen kein Wort. Im Zusammenspiel mit den zahlreichen und zum Teil sehr unterschiedlichen Reformvorschlägen verleiteten die fehlenden Konkretionen über die Gestaltung des freien, christlichen Konzils in der Adelsschrift die Forschung bisweilen zu Fehlinterpretationen insbesondere hinsichtlich der Frage, ob das Konzil oder die weltliche Obrigkeit als Exekutivorgan der Reformen von Luther gedacht war. So behauptete z. B. Ernst Kohlmeyer, dass im Verlauf der Adelsschrift der Gedanke des Konzils zugunsten der weltlichen Obrigkeit zurücktrete, welches er an einzelnen Reformpunkten nachzuweisen versuchte.199 Die zwischen Konzil und weltlicher Obrigkeit tatsächlich zu beobachtenden oszillierenden Kompetenzen in der Durchführung der Reform stellten für Luther m. E. aber keine Gegensätze, sondern Ergänzungen dar. Denn es ist die weltliche Obrigkeit, welche die Aufgabe erhält, das Konzil einzuberufen. Und es ist gerade diese weltliche Obrigkeit, welche die Besserungsvorschläge für die Christenheit umsetzen soll.200 Auch wenn die weltliche Obrigkeit und nicht das zwar, „die Teilnahme von Laien am Konzil“ sei „eine der großen Forderungen Luthers“, belegte diese These aber nur durch die Schrift „Von den Konziliis und Kirchen“ (1539). Während Luther die Laien als Konzilsteilnehmer in seiner Streitschrift gegen Eck 1520 immer hin erwähnte, ging Karlstadt in seiner Konzilsappellation vom 19. Oktober 1520 einen Schritt weiter: Er erhob die Teilnahme der Laien zur programmatischen Forderung. Vgl. Bubenheimer, Consonantia Theologiae, 197 f. 298,176 f. 199 Kohlmeyer, Noch ein Wort, 585–594. „Übersieht man dazu die lange Reihe der Punkte, die nicht nur mit Wahrscheinlichkeit der weltlichen Obrigkeit zugeschrieben werden [. . .], so ergibt sich, daß jedenfalls von einem Vorwiegen des Konzilsplanes nicht geredet werden kann.“ (aaO. 588). Außerdem betont er, dass das Konzil, wo es erwähnt werde, „geistlichen Charakter“ trage, und fragt in Abgrenzung zu Holl: „wo bleibt das Konzil im Verlauf der Schrift an den Adel?“ (aaO. 590). Schließlich sieht er in dem Zurücktreten des Konzilsgedankens einen Fortschritt Luthers „zu einem immer entschlosseren Bruch mit Rom“ (aaO. 585). Vgl. auch ders., Anschauungen, 149 f. 200 Vgl. die Ausführungen von Köhler, Zu Luthers Schrift, 11–17; Ders., Rez. zu Kohlmeyer, 489–493, der wiederholt begründet, dass „weltliche Obrigkeit und Konzil keine Gegensätze, sondern eine Ergänzung bedeuten“ (Rez. zu Kohlmeyer, 489). Weil durch das allgemeine Priestertum keine im herkömmlichen Sinne „geistliche Gewalt“ mehr existiert, sondern nur noch eine Gewalt, die sich lediglich hinsichtlich des Amtes unterscheidet, trägt

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IV. Die Forderung nach einem freien, christlichen Konzil (1520)

Konzil in einzelnen Punkten direkt aufgefordert wird, die Reformen umzusetzen,201 wird die These vom Zurücktreten des Konzilsgedankens bereits durch die Erwähnung des Konzils an wesentlichen Nahtstellen der Schrift widerlegt.202 Keineswegs spielte Luther die Konzilsforderung als reine Theorie ein,203 die lediglich aufgrund der konziliaristischen und nationalkirchlichen Tradition auf Unterstützung seitens der Obrigkeit aus war. Vielmehr war er von der Notwendigkeit eines Konzils gegen die päpstlichen Machenschaften überzeugt, wenn er flehentlich bat: „Helff nu got einem freyen Concilio, das es den Bapst lere, wie er auch ein mensch sey, unnd nit mehr dan got, wie er sich unterstehet zu sein.“204

Zum anderen schrieb er, nachdem die Adelsschrift herausgegeben worden war und aufgrund des bissigen Stils und provokanten Inhalts sofort zu heftigen Diskussionen unter Luthers Anhängern geführt hatte, am 19. August an Wenzeslaus Link über den Abfassungszweck: Er habe das Buch nicht verfasst, um einen Aufruhr zu erregen, sondern damit er „dem allgemeinen Konzil die Freiheit“ wahre.205

2.5. Die Gestalt des freien, christlichen Konzils Wenn Luther auch keine konkreten Gestaltungsvorschläge unterbreitete, so präsentierte er in seiner Adelsschrift zum ersten Mal eine neue Gestalt des Konzils, die in dem wirkmächtigen Begriff „freies, christliches Konzil“ ihren Ausdruck fand. Weil das in diesem Begriff zu Tage tretende positive Konzilsverständnis von Luther öffentlichkeitswirksam eingeführt wurde, soll der Begriff, den er, um den nationalen Zusatz „in deutschen Landen“ erweitert, erst 1545 in seiner Schrift „Wider das Papsttum zu Rom, vom Teufel gestiftet“206

auch das Konzil keinen im spätmittelalterlichen Sinne spezifi sch „geistlichen Charakter“ mehr, sondern vereint als christliche Gemeindeversammlung alle Gemeindeglieder. Weil auch die weltliche Obrigkeit am Konzil partizipiert, „ist sie mit inbegriffen in das Forum, vor dem ‚die Stuck billich verhandelt werden‘ sollen“ (aaO. 490). 201 Vgl. die Zuordnungen bei Köhler, Rez. zu Kohlmeyer, 491–493. 202 WA 6; 406,28 f. 415,7 f. 427,32–34. 203 So Kohlmeyer, Zu Luthers Schrift, 593: „Darum ist es für die Schrift bezeichnend, daß sie nur die Berechtigung des freien Konzils theoretisch begründet, im weiteren Verlauf jedoch viel mehr mit der Empirie rechnet als mit der Theorie.“ 204 WA 6; 436,37 f. 205 WAB 2; 168,17–19 Nr. 328 (Luther an Wenzeslaus Link in Nürnberg, [Wittenberg,] 19. 8. 1520): De vindicta nihil dico, Dominus ignoscat; nec hoc a me agitur, ut seditionem moveam, sed ut concilio generali libertatem asseram. 206 WA 54; (195) 206–299.

§ 9 Konzilskritik und Konzilsforderung im Sommer 1520

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pointiert entfaltete,207 hier anhand der Aussagen der Adelsschrift interpretiert werden. Für Luther ist das Konzil ein freies Konzil.208 In Verbindung mit dem Substantiv „Freiheit“ avancierte dieses Adjektiv zum grundlegenden Programmwort seiner auf dem Evangelium fußenden theologischen Einsicht, welche Luther im Sommer 1520 auf vielfältige Weise entfaltete. So geht es für ihn in der Adelsschrift um die Befreiung von den drei Mauern der „Romanisten“, später um die Herausführung aus „der babylonischen Gefangenschaft der Kirche“ und schließlich um die „Freiheit eines Christenmenschen“.209 Theologisch orientiert er sich an dem paulinischen Freiheitsbegriff (Gal 5,1): Christus habe uns frei gemacht von allen menschlichen Gesetzen, „zuvor wo sie widder got unnd der seelen selickeit“ seien.210 Und wir seien „in der tauff frey“ geworden und nur dem göttlichen Wort untertan.211 Die positiven Aussagen kontrastiert Luther sogleich mit der Frage: „warumb sol uns einn mensch in seine wort gefangenn nehmenn? Wie sanct Paulus sagt ‚Ir seyt frey wordenn, werdet yhe nit knecht der menschenn‘, das ist der, die mit menschen gesetzen regieren.“212

Diese an Christus gebundene Freiheit zielt in der Adelsschrift weniger auf die von Luther im Freiheitstraktat entfaltete Heilsperspektive des einzelnen Christen, sondern auf die Befreiung von der Gefangenschaft durch menschliche Gesetze oder Worte und schafft somit die Voraussetzung für die Ermöglichung der christlichen Freiheit.213 Dass mit den menschlichen Satzungen die päpstlichen Vorschriften und das als teufl isch beurteilte päpstliche Handeln gemeint sind, welche die Entfaltung des Evangeliums und der daraus erwachsenden Glaubensfreiheit unterdrücken, wird – wie gesehen – im Bild der drei Mauern eindrücklich beschrieben und in den Reformvorschlägen ausdrücklich thematisiert. Die Befreiung von den menschlichen Fesseln der römischen Herrschaft eröffnet der weltlichen Obrigkeit und dem Konzil Freiheit. Wie die weltliche 207

Siehe aaO. 211,13–217,9. Siehe WA 6; 407,1. 413,29. 414,8. 415,3 f. 425,26. 436,37. 209 Zu Luthers Freiheitsbegriff sei aus der Fülle der Forschungsliteratur stellvertretend verwiesen auf: G. Ebeling, Die königlich-priesterliche Freiheit (in: Ders., Lutherstudien. Bd. 3: Begriffsuntersuchungen – Textinterpretationen – Wirkungsgeschichtliches, Tübingen 1985, 157–180); E. Jüngel, Zur Freiheit eines Christenmenschen. Eine Erinnerung an Luthers Schrift (1978) (in: Ders., Indikative der Gnade – Imperative der Freiheit. Theologische Erörterungen 4, Tübingen 2000, 84–160). Zur Genese der Freiheitsaussagen vgl. Th. Jacobi, „Christen heißen Freie“. Luthers Freiheitsaussagen in den Jahren 1515–1519 (BHTh 101), Tübingen 1997. 210 WA 6; 443,22–24. 211 AaO. 456,26 f. 212 AaO. 456,26–30 mit dem Zitat von I Kor 7,23 und der Anlehnung an Gal 5,1. 213 Nach der Lektüre der Adelsschrift hatte Martin Bucer ausgerufen: „Sie enthält Freiheit!“ Siehe MBCor 1; 118,11 f. Nr. 17 (Bucer an Spalatin, Heidelberg, 19. 9. 1520): inest libertas! 208

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IV. Die Forderung nach einem freien, christlichen Konzil (1520)

Gewalt ihr Amt „frey“ und ungehindert – ohne Einschränkungen der päpstlichen Gewalt – ausüben soll,214 soll auch das Konzil frei und ohne päpstliche Einschränkungen seinen Dienst tun. Folglich beschreibt Luther mit dem freien Konzil in erster Linie eine von der Oberherrschaft des Papstes und der römischen Tyrannei befreite Institution, die ohne kirchliche Einschränkungen als christliche Gemeindeversammlung zur Besserung der Christenheit zusammentreten, beraten und handeln soll. Dass Luther die Teilnahme des Papstes am freien Konzil keineswegs ausschloss, sondern um der Eingrenzung und Abschaffung der päpstlichen Fehlentwicklungen willen integriert wissen wollte, wird anhand der Begründung des Konzils durch die Gemeinderegel deutlich. Hieraus resultieren weitere Aspekte des freien Konzils: Die Entscheidungsfi ndung des Konzils solle frei geschehen – ohne eidliche Bindung der Gewissen – und allein Gottes Wort und nicht menschlichen Gesetzen unterworfen sein. Außerdem sollten die im freien Konzil getroffenen Beschlüsse Freiheit ermöglichen, wie der Reformator anhand der Priesterehe ausführlich darstellt.215 Sodann ist das Konzil nach Luthers Verständnis ein christliches Konzil.216 Diesen Begriff, den er nicht explizit ausdifferenziert, führt er im Zusammenhang mit dem sogenannten Apostelkonzil (Act 15,6) und den altkirchlichen Konzilien ein: Weil das Apostelkonzil von den Aposteln einberufen wurde, war es ein christliches Konzil. Hätte Petrus es allein einberufen, wäre es ein ketzerisches „Conciliabulum“ gewesen. Auch das Konzil von Nicäa und die folgenden altkirchlichen Konzilien bewertet Luther als „allerchristliche Concilia“, da sie nicht durch den Papst, sondern durch die Kaiser einberufen wurden.217 Folglich bilden Apostelkonzil, Nicäa und weitere altkirchliche Konzilien für Luther das Vorbild für christliche Konzilien, während die päpstlichen Konzilien als ketzerische „Conciliabula“ angesehen werden. Christlich ist das Konzil dann, wenn die Verhandlungsgegenstände auf Grundlage der Heiligen Schrift und nicht nach päpstlichen Gesetzen beurteilt werden.218 Außerdem hat das Konzil als Gemeindeversammlung christlichen Charakter, da der Standesunterschied von Klerikern und Laien zugunsten des Priestertums aller Getauften aufgehoben ist, somit der rein klerikale Charakter hinfällig ist und ein neuer geistlicher – weil christlicher – Konzilstyp für die Kirche prägend ist, an dem verschiedene Amtsträger mitwirken. Christlich ist 214

WA 6; 409,18.31. 410,5. 413,32. WA 6; 441,26 f. Im Zusammenhang mit der oben, Kapitel IV § 8.2. thematisierten Priesterehe verwendet Luther das Wortfeld frei/Freiheit gehäuft. So will er sein „maul frey auffthun“ (440,19 f.), dem Pfarrer zur Ehe „frey wilkoer“ lassen (440,33) und dem vor der Priesterweihe stehenden Pfarrer „frey gewissen on alle gelubd“ machen (442,2). 216 Siehe aaO. 413,19. 23. 441,26. 217 AaO. 413,17–26. 218 Ausdrücklich erwähnt Luther das christliche Konzil bei der Genehmigung der Priesterehe (aaO. 441,26). 215

§ 9 Konzilskritik und Konzilsforderung im Sommer 1520

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das Konzil daher auch deshalb, weil es ein die Christenheit repräsentierendes Gremium verschiedener Christenmenschen ist, die im Geist der Eintracht zum Wohl und zur Besserung der ganzen Christenheit ihre Entscheidungen treffen mögen. Für Luther ist das Konzil sodann ein rechtes Konzil.219 Mit diesem Attribut untermauert er sowohl die Richtigkeit im Sinne von richtig, gerecht und rechtschaffen als auch die Legitimität und Rechtmäßigkeit des Konzils. Somit ist das Konzil gegenüber den päpstlichen Ansprüchen nicht nur theologisch, sondern auch juristisch abgesichert und institutionalisiert. Für Luther ist das Konzil schließlich ein allgemeines Konzil.220 Nicht ein Provinzial- oder Nationalkonzil möchte er anregen, sondern ein an den altkirchlichen Konzilien orientiertes Generalkonzil oder – diesen Ausdruck verwendet Luther nicht – ökumenisches Konzil. Die Attribute „frei“, „recht“, „christlich“ und „allgemein“ skizzierten Luthers neues Konzilsverständnis, das implizit mit seinem Kirchenverständnis einherging, ohne allerdings explizit aus der Ekklesiologie entwickelt zu sein. Dieses künftige Konzil, das sich in historischer Perspektive an die altkirchlichen Konzilien anlehnte und in theologischer Grundierung dem Priestertum aller Getauften verpfl ichtet war, diente als kirchliche Institution einzig und allein dem Zweck, die Besserung der Christenheit voranzutreiben. Auch wenn Luthers Reformationsaufruf nicht überall auf Sympathie stieß und manche Anhänger zu Gegnern machte, wirkte er im Spätsommer 1520 geradezu elektrisierend. Die Forderung nach einem Konzil, die in den „Gravamina“ immer wieder angemahnt worden war, setzte sich unter den Anhängern der Reformation und den gemäßigten kirchlichen Reformern als politische Forderung seit 1521 im Ruf nach einem freien, christlichen Konzil vor dem Forum des Reichstages durch.

3. Die Relativierung und Ablehnung der päpstlichen Konzilien Neben der Forderung nach einem freien, christlichen Konzil verschärfte Luther in der Folgezeit seine Kritik an den päpstlichen Konzilien. Insbesondere gegen das seit der Leipziger Disputation von ihm negativ beurteilte Konstanzer Konzil unterstrich er seine Einwände, die sich aus einer wachsenden Parteinahme für

219 In aaO. 407,1. 413,29 kombiniert er das Adjektiv mit „frei“, während er in 415,7 von „billich Concilium“, d. h. ein Konzil von Rechts wegen, spricht. 220 AaO. 427,33 f. Siehe auch unten Kapitel VII § 21.3.3.

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IV. Die Forderung nach einem freien, christlichen Konzil (1520)

Jan Hus221 speisten.222 Zur Verschärfung seiner Aussagen über Hus und das Konstanzer Konzil war Luther durch Johannes Eck provoziert worden, der zum einen mit der Publikation der Bannandrohungsbulle gegen Luther in Deutschland beauftragt war – welches im folgenden Kapitel skizziert wird – und zum anderen eine Streitschrift gegen Luthers Adelsschrift verfasst und Anfang Oktober 1520 publiziert hatte.223 Mit dieser setzte sich Luther in dem Mitte Oktober verfassten Traktat „Von den neuen Eckischen Bullen und Lügen“224 auseinander, in dem er Ecks Angriffe – zum Teil in scharfer Polemik – widerlegte, die Frage nach den kirchlichen Autoritäten klärte sowie das Konstanzer Konzil wiederholt kritisierte.

3.1. Die Konzilsautorität unter Christus und der Heiligen Schrift Gegen die von Eck vorgetragene Kritik, Luther stelle sich über die heiligen Lehrer und Konzilien,225 konterte er in übergroßer Deutlichkeit: „ich erhebe mich nit ubir die doctores und Concilia, ich erhebe Christum ubir alle lerer und Concilia“226 und fügte hinzu, dass, wenn er von demselben einen „klarenn spruch het“, ihn auch über alle Engel erheben würde.227 Mit dem auch an anderen Stellen vorgebrachten Hinweis auf Paulus und Gal 1,8 begründete er seine reformatorische Grundauffassung.

221 In WA 6; 455,7–11 hatte Luther betont, dass er Hus weder zu einem Heiligen noch Märtyrer machen wolle, obgleich ihm Unrecht geschehen sei und sein Buch „De ecclesia“ und seine Lehre zu Unrecht verdammt worden seien. Über „De ecclesia“ vgl. M. Spinka, John Hus’ concept of the church, Princeton 1966, 252–289. 222 Zu den Äußerungen über Konstanz und Hus in den vorangehenden Schriften des Jahres 1520 siehe WA 6; 184,35–37. 185,3 f. 258,16. 561,23–25, zur Erwähnung in den „Operationes in Psalmos“ WA 5; 451,33–40. Vgl. die grundsätzlich zutreffende, aber im Detail ungenaue und bisweilen falsche Darstellung von Delius, Luther und Huß, 14–19. 223 J. Eck, Des heilgen Concilij tzu Costentz/ der heylgen Christenheit/ vnd hochlo(e)blichen keyßers Sigmunds/ vn(n) auch des Teutzschen Adels entschu(e)ldigung/ das in bruder Martin Luder/ mit vnwarheit/ auff gelegt/ Sie haben Joannem Huß/ vnd Hieronymû von Prag wider Babstlich Christlich/ Keyserlich geleidt vnd eydt vorbrandt, Leipzig 1520. – Siehe WA 6; 576 f. Delius, Luther und Huß, 17 irrt, wenn er behauptet, Ecks Polemik habe sich gegen Luthers Schrift „De captivitate Babylonica“ gerichtet. 224 WA 6; (576) 579–594. 225 Eck, Entschuldigung, (4): Ja nicht allein die selbigen [Kirchenväter] auch vber/ al Co(n)cilium/ wue sie ym nicht gefalle(n)/ wie er die heylige schrifft verstehet/ vormeyndter die frey mo(e)gen verlegen/ vnd yne widdersprechen/ waserley Co(n)cilien es geweßen sein/ waser vormessenheyt das sey/ kan eyn yetzlicher vorstendiger wol abenemen/ seynen verstandt/ ßo vil heyligen/ vnd der Christlichen kirchen/ furtzusetzen. – Dagegen Luther WA 6; 581,7 f.: Er schild auch meyne hoffart, das ich mich erhebe ubir die heyligen lerer und Concilia. 226 AaO. 581,14–16. 227 AaO. 581,16 f.

§ 9 Konzilskritik und Konzilsforderung im Sommer 1520

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War für Luther der einzige Meister Christus,228 an dessen Geboten er sich allein orientieren wollte, so war die Bibel alleinige Grundlage für jegliche christliche Lehre. Als höchste Autorität hob er die Heilige Schrift in Abgrenzung zu Ecks Vorwurf hervor, Luther sei bei den kirchlichen Autoritäten wankelmütig und unbeständig.229 Alle Autoritäten wie Eck, Papst, Doktoren, Konzilien, Menschen, Engel und Teufel, so Luther in polemischem Ton, sollten und müssten „in die schrifft und dasselb urteil empfangen“.230 Denn die Schrift sei für ihn am beständigsten und habe höchste Priorität. Danach gebrauche oder verwerfe er nach Überprüfung durch die Schrift alle Meinungen ohne Ansehen dessen, der sie geäußert habe.231 Mit dieser Klarstellung über die Schriftautorität hatte Luther erneut die Relativierung aller menschlichen Institutionen unterstrichen, zu denen er auch die Konzilien mit ihren Beschlüssen zählte.

3.2. Die Ablehnung des Konstanzer Konzils Geschickt hatte Eck den Streit um den vom Konstanzer Konzil zum Ketzer verurteilten und dort verbrannten Hus erneut aufgegriffen und Luthers in der Adelsschrift geäußerten Vorwurf, das Konstanzer Konzil habe eklatanten Rechtsbruch im Verfahren gegen Hus begangen, zurückgewiesen.232 Innerhalb des 24. Reformpunktes, der aus einem Plädoyer für eine kirchliche Wiedervereinigung mit den Hussiten bestand,233 hatte Luther dort das Verfahren gegen Hus als Unrechtstat verurteilt, da Hus und Hieronymus von Prag trotz des von Kaiser Siegmund zugesagten freien Geleits verbrannt worden seien.234 228 AaO. 587,1–3: Ich will keynen meyster habenn, den nur einen, der heysset Christus ym hymel, wie er uns allen gepotten hat, alle andere wil ich fur mitschuller halten. 229 Auf Eck, Entschuldigung, (9 f.) konterte Luther: Sprichst, ich woll nit leyden die Scholasticos, szondern die Ecclesiasticos, widerumb woll ich die Ecclesiasticos auch nit leyden, itzt den bapst, itzt nit den bapst, itzt Concilia, itzt nit Concilia, szondern wolle nur mit der schrifft gehandelt haben (WA 6; 585,13–16). – Siehe auch aaO. 586,22–24. 230 AaO. 586,19 f. 231 AaO. 586,24–587,1: Ich wil die schrifft haben auffs aller bestendigst und zum erstenn, Darnach allis ander nehmen unnd lassen, was mich die schrifft leret, es hab geschriebenn wer do woll. 232 Die kleine Broschüre Ecks zielte im gesamten Auf bau und in der polemischen Rhetorik auf Luthers Kritik am Konstanzer Konzil, wenn er den Abschnitt mit den Worten einleitete: Dytz vnd der gleychen verdamlich vnnd yrrig artickel [aus der Adelsschrift]/ die vns das Luderisch ewangelium lernet/ das er sich ru(e)met/ er habs vnder den bencken her fur getzoge(n)/ es sey wol cccciar darunder gelegen/ wil ich yetztmal altzu rw stellen/ Aber den grossen freuel da er das heylig Conciliu(m) tzu Costenitz vn(n) die gantzen Christenheit mit der vnwarheitt gro(e)ßlich schmecht vnd iniuriert/ das keynen fru(m)men Christen nicht tzu gedulden ist/ dan er schreibt/ Joannes Huß vnd Hieronymus von Prag sindt tzu Costnitz wider bebstlich/ Christlich/ Keißerlich geleydt vnd eydt vorbrant [. . .]. (Eck, Entschuldigung, [10]). 233 Siehe WA 6; 454,17–457,27. 234 AaO. 454,3–6. 22–34. Tatsächlich hatte das Konzil gegen die kaiserliche Zusage des

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IV. Die Forderung nach einem freien, christlichen Konzil (1520)

Durch den Eidbruch des „keyszerlich[en], bepstlich[en] Christlich[en]“ Geleites235 habe das Konzil gegen Gottes Gebot verstoßen und sich vom bösen Geist statt vom Heiligen Geist regieren lassen.236 Mit dieser These, die historisch bekannt war und zu einem Hauptvorwurf der hussitischen Bewegung gegen das Konzil zählte, verfolgte Luther in der Adelsschrift ein dreifaches Ziel: Zum einen war hierdurch das irrtümliche Handeln des Konstanzer Konzils in der „causa fidei“ erneut verdeutlicht. Zum anderen zeigte es, wie die friedliche Absicht der weltlichen Obrigkeit, insbesondere des Kaisers Siegmund, durch die eidliche Bindung an den Papst und die Seinen unterlaufen worden war und sie durch den Eid zu Gefangenen des Papstes geworden waren. Zum dritten hatten nicht die Hussiten, die gegen den Rechtsbruch protestierten, sondern der Papst mit seinen Anhängern Schuld am böhmischen Schisma. Bereits mit dem Titel seiner Schrift „Des heiligen Concilii tzu Costentz, der heylgen Christenheit, und hochlöblichen keyßers Sigmunds, vn auch des Teutzschen Adels entschueldigung, das in bruder Martin Luder, mit vnwarheit, auff gelegt, Sie haben Joannem Huß, und Hieronymu von Prag wider Babstlich Christlich, Keyserlich geleidt vnd eydt vorbrandt“ hatte Eck nicht nur die Verteidigung des Konstanzer Konzils angekündigt, sondern diese auch mit der Zurückweisung der Geleitbruchthese verbunden. Hiergegen konterte Luther, der in seinen „Operationes in Psalmos“ das Konstanzer Konzil bereits im Blick auf die hussitischen Artikel über die Ekklesiologie als „conciliabulum Satanae“237 bezeichnet hatte, in seiner Schrift gegen Eck mit einer grundsätzlichen Kritik am Konstanzer Konzil und der dort verurteilfreien Geleits verstoßen, welches Hus überhaupt bewogen hatte, nach Konstanz zu reisen. Nachdem Hus am 6. Juli 1415 in der Sessio 15 als „hartnäckiger Ketzer“ verurteilt, dem weltlichen Schwert übergeben und verbrannt worden war, beschloss das Konzil erst am 23. September in der Sessio 19, dass ungeachtet eines vom Kaiser oder Königen gewährten sicheren Geleits durch den zuständigen Richter Untersuchungen wegen Häresie angestellt werden dürften, und hob das Hus zugesagte Geleit auf. Siehe Mirbt/Aland 1, 478 Nr. 769 f. Vgl. auch K. Müller, König Sigmunds Geleit für Huss (HV 1, 1898, 41–86); M. Spinka, John Hus. A Biography, Princeton 1968, 219–290; P. Uhlmann, König Sigmunds Geleit für Hus und das Geleit im Mittelalter, Halle 1893. – Hieronymus von Prag war – anders als von Luther behauptet – freies Geleit nicht zugesagt worden. Er war zur Verteidigung von Hus nach Konstanz gekommen und wurde erst auf der Rückreise verhaftet, verurteilt und schließlich am 30. 5. 1416 auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Siehe den von Eck, Entschuldigung, (12 f.) abgedruckten Brief; COD3 433 f. Vgl. Brandmüller, Konzil von Konstanz 2, 115– 139; P. Hilsch, Art. Hieronymus von Prag (RGG4 3, 2000, 1730); J. Miethke, Die Prozesse in Konstanz gegen Jan Hus und Hieronymus von Prag – ein Konfl ikt unter Kirchenreformern? (in: F. Smahel [Hg.], Häresie und vorzeitige Reformation im Spätmittelalter [Schriften des Historischen Kollegs 39], München 1998, 147–167); StA 2; 150 Anm. 449. 235 WA 6; 454,30. 236 AaO. 554,37–555,7. 237 WA 6; 451,33–36: Ecclesia universalis est praedestinatorum universitas, et eos, qui ex hoc sequuntur, dicoque et protestor, eos fuisse impie damnatos, Conciliumque Constantiense, quantum in hanc partem, fuisse conciliabulum Satanae, dum eos damnavit. – Vgl. Hendrix, Hussites, 146 f.

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ten Lehre von Hus: Nachdem er das Buch „De ecclesia“ von Hus gelesen habe, welches er in Leipzig noch nicht gekannte habe, wolle er nun nicht „etlich, szondern alle artickel, zu Costnitz vordampt, gehalten habe[n]“.238 Dieses Buch sei hochverständlich, edel und christlich und „des gleychen in vier hundert jaren nit ist geschrieben“.239 Gegen die von Eck vorgetragenen historischen Hinweise, nicht der Papst habe die Verbrennung von Hus veranlasst, sondern die sich aus Nationen der Christenheit zusammengesetzten Konzilsteilnehmer, zu denen auch der deutsche Adel zählte,240 erinnerte Luther an die in der Adelschrift vorgetragene eidliche Bindung der weltlichen Obrigkeiten durch den Papst, wodurch ihnen – trotz guter Absicht – in den neuen Konzilien die Hände gebunden gewesen seien.241 Bei einer freien Ausübung ihrer Gewalt hätten die Konzilien mit Kaiser Siegmund einen größeren Erfolg gegen die römischen Einflüsse gehabt und müssten positiver bewertet werden.242 In seiner Streitschrift hatte Eck schließlich Luthers Rede vom freien Konzil aufgegriffen und sein Unverständnis über dessen Abwertung des Konstanzer Konzils als Reformkonzil verbalisiert: Seit etlichen Jahrhunderten habe es kein freieres Konzil als Konstanz „in deutschen Landen“ gegeben.243 Als Lüge wies Luther diese nicht nur von Konziliaristen vertretene Behauptung in Anlehnung an die päpstliche Bindungsthese zurück und unterstrich seine Forderung nach einem freien Konzil, in dem nicht nur Kleriker und Scholastiker sitzen sollten, 238

WA 6; 587,21–23. AaO. 587,23–588,3. Des weiteren urteilte Luther über Hus und dessen Artikel, aaO. 588,4–11: Es sein nit Johannis Husz artickel, szondern Christi, Pauli, Augustini, auffs aller sterckist gegrundt und unwidderstoszlich beweret, wie das alle mussen bekennen, die dasselb leszenn. Ach, wolt got, ich were sein wirdig, [. . .] Nit das ich damit Johan. Husz erhebe und marterer ausz schreyen wil, den ich bin nit szo frevel, heyligen zurheben, als der Bapst mit seinen blinden papisten. 240 Eck, Entschuldigung, (11): So darff er nicht tzu messen dem babst der da regirt hab/ da drey babst hat ma(n) entserzt/ vnd ist Huß vnd Hieronymus verprant worden ee das der new babst ist erwelt worden/ Da(n) da hat yetlich nation auß geschlossen vnd erwerlt die geschicktisten die sie gehabt hat/ darum also schmacht hie Ludder nicht die Ro(e)mer die lu(e)tzel do in dem concilio tzu thun hatten/ sunder al nation der Christenheit Teutsch/ Welsch/ Frantzosisch/ Engellendisch etc. dan die haben die handlung des concilij wider die bebst vnd ketzer gefuert [. . .]. 241 WA 6; 588,25–589,4. 242 AaO. 589,4–7: Hette der keyszer Sigmund und fursten frey durfft handeln, wie er es ym syn hatte, es solte Costnitz und Basel wol viel andere Concilia, unnd den lugenhafftigen Romanisten yhr ubirmutige boszheit wol gewenigert worden sein. 243 Eck, Entschuldigung, (10 f.): Der ludder schreyt nur nach eynem freyen Concilio/ ßo doch in etlich hundertiaren nye keyn freyers Concilium gewesen ist/ Dan Costentz ist in teutschen landen/ da man der Ro(e)mer gewalt oder ander nation sich nicht hat do(e)rffen entsetzen [. . .]. Sowie aaO. (13): Aber dy warheit triumphirt vnnd sygt ob allen dingen/ das groß heilig frey concilium durch die gantzen Christenheit angeno(m)men/ sol der mu(e)nch nu(m)mermer vm stossen/ vn(n) so er sich beru(e)fft auff ein frey co(n)ciliu(m) wa wolt man yme ain anders freiers gro(e)ssers tzu samen bringen/ dan das gewesen ist. 239

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IV. Die Forderung nach einem freien, christlichen Konzil (1520)

sondern auch „vornunfftige, erfarende“ Fürsten, Adelige und Laien.244 Polemisch spitzte er zu: „Seynd es doch nu dahyn kummen ist, das ehliche weyber mehr biblien kunden und Christliche sache basz vorstahn, dan doctor Eck und seine mitsophisten.“245 Nach einer erneuten Pointierung der Eidbruchthese gegen Eck und einer Verteidigung von Hus fasste Luther zusammen: „Man hat nu hundert jar gewehret, und yhe mehr gewehret wirt, yhe mehr es erfur dringt, das es offenbar wil werden, Hussen sach sey gotlich, Costnitzer sey teuffl isch gewesen, die warheit wil und mag nit vorporgen bleyben.“246

3.3. Teufl ische Konzilien Im Herbst 1520 festigte sich Luthers negatives Urteil über die jüngeren Konzilien, welches er zeitlebens nicht mehr ändern sollte. Hierbei kam – wie gesehen – erneut dem Konstanzer Konzil und Ecks Provokation verschärfende Prägekraft zu. War Luther durch Eck während der Leipziger Disputation über die ekklesiologischen Artikel von Hus zum öffentlichen Eingeständnis der Irrtumsthese des Konstanzer Konzils gedrängt worden, die Luther anschließend aufgrund der menschlichen Institution Konzil generalisiert hatte, war es jetzt erneut das allein vom Umgang mit Hus und Hieronymus von Prag her beurteilte Konstanzer Konzil, das zur polemisch-radikalen Verteufelung der päpstlichen Konzilien führte. Folglich hatte das von seinem Gegner Eck in die Diskussion gebrachte Konstanzer Konzil für die negative Ausbildung des althergebrachten Konzilsverständnisses grundlegende Bedeutung. Da die Beurteilung von Konstanz von der ersten Erwähnung an mit dem Wirken Hus’ verknüpft war, musste bei der wachsenden Begeisterung für Hus im Jahr 1520 für Luther das Konzil weiter an Ansehen verlieren, wie das Motiv vom Bruch des Geleites und die These von der Unfreiheit der weltlichen Obrigkeit signalisieren. Diese Aspekte waren für Luther aufs engste mit dem fehlerhaften und antichristlichen Wirken des Papstes gegen die Konzilien verknüpft, so dass er die von Eck angesprochene Problematik der drei Päpste zu Beginn des Konzils mit keinem Wort würdigte und auch die in Konstanz im Dekret „Haec sancta“ beschlossene Oberherrschaft des Konzils über den Papst – obwohl von Luther selbst vertreten – ausblendete. Eine Differenzierung zwischen der historisch das Konzil prägenden „causa reformationis“ und der „causa fidei“ vollzog Luther nicht.247 244

WA 6; 589,8–12. AaO. 589,12–14. 246 AaO. 590,14–17. 247 Die Verhandlungsgegenstände des Konstanzer Konzils wurden mit den Begriffen „causa unionis“, „causa fidei“ und „causa reformationis“ umschrieben. Vgl. zu den drei auf dem Konstanzer Konzil verhandelten Themenkreisen, der Beseitigung des Papstschismas 245

§ 9 Konzilskritik und Konzilsforderung im Sommer 1520

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Warum Luther diese Differenzierung 1520 nicht vornahm, lässt sich nur ansatzweise erklären: Für Luther hatte die aktuelle Befreiung der Kirche von der römischen Tyrannei und die freie Ausbreitung des Evangeliums als Wort Gottes höchste Priorität, so dass es ihm nicht um die Würdigung historisch vergangener und letztlich erfolgloser Reformbemühungen gehen konnte. Außerdem war in den päpstlichen Konzilien nicht die Heilige Schrift zum Leitmaßstab erkoren, sondern waren die kirchlichen Bestimmungen und geistlichen Gesetze prägend, die menschliche Gesetze und nicht göttliche Gesetze darstellten. Sodann war das Konstanzer Konzil von seinem römischen Gegner Eck eingeführt worden, was Luther verstimmen musste. Und da die päpstlichen Konzilien weder frei, christlich noch allgemein gewesen waren, war durch sie lediglich das päpstliche System gefestigt worden. Hingegen suchte Luther in der endzeitlichen Stimmung jetzt die Besserung der Christenheit voranzutreiben, wozu sich die Institution eines freien, christlichen Konzils geradezu anbot.

(causa unionis), dem Prozess gegen Wyclif und Hus und dessen Folgen (causa fidei) und der Kirchenreform (causa reformationis) u. a. die Übersichten bei Basse, Reformkonzilien, 58– 70; Brandmüller, Konzil von Konstanz 1, 1991; Ders., Konzil von Konstanz 2, 1997; Gill, Konstanz und Basel-Florenz, 49–142.

§ 10 Die erneute Appellation an ein allgemeines Konzil (1520) Aufgrund der Bekanntmachung der Bannandrohungsbulle „Exsurge Domine“248 im Frühherbst 1520, die Luther eine Widerrufsfrist von 60 Tagen einräumte, trat für ihn jetzt das ein, was er seit fast zwei Jahren befürchtet hatte: die endgültige Verurteilung seiner Lehre und Ankündigung des Bannes. Da er sich aber weiterhin nicht durch Schrift- und Vernunftgründe widerlegt sah, ergriff er als Gegenmaßnahme verschiedene Initiativen kirchenrechtlichen und theologischen Charakters. Zu diesem breit gefächerten Maßnahmenkatalog zählte auch die Wiederholung der Appellation an ein allgemeines Konzil in lateinischer und deutscher Sprache,249 die das in der Adelsschrift eher theoretisch verhandelte Konzil als Reformationsort nun in eigener Sache juristisch als Appellations- und (eventuell) als Anhörungsort forderte. Diese Maßnahme gilt es näher zu untersuchen, zumal bereits besagte Bulle die erste Konzilsappellation u. a. mit dem Argument zurückgewiesen hatte, niemand könne an ein Konzil appellieren, der öffentlich erkläre, dem Konzil keinen Glauben zu schenken.250 Mehr noch als die erste Konzilsappellation wertete die konfessionell gebundene Reformationsgeschichtsforschung die zweite Appellation als reines Taktieren. So behauptete Hubert Jedin unter Hinweis auf Luthers Aussage, dass Konzilien irren könnten und geirrt hätten: „Er appellierte an ein Tribunal, dessen Kompetenz er selbst verneinte, und brandmarkte 248 Die Bulle ist kritisch kommentiert, dokumentiert und mit der deutschen Übersetzung Spalatins (Die verdeutsch Bulle under/ dem namen des Bapst Leo des/zehenden) parallel publiziert in: DCL 2, (317) 365–411. Die verurteilten Einzelsätze Luthers sind abgedruckt u. a. in DH 1451–1492; Mirbt/Aland 1, 504–513 Nr. 789. Aus der Sekundärliteratur zur Bannandrohungsbulle, deren von Köstlin/Kawerau, Luther 1, 350 geprägte Bezeichnung sich gegen Kalkoff[s], Prozess (ZKG 25, 1904) 274 Anm. 2 Vorschlag einer „Verdammungsbulle“ durchsetzte u. a. Bäumer, Lutherprozess, 35–45; Borth, Luthersache, 71 f.; Paul Kalkoff, Die Bulle „Exsurge“ (ZKG 35, 1914, 166–203; ZKG 37, 1917/18, 89–174); Ders., Prozess (ZKG 25, 1904, 90–147. 430–450); Müller, Römischer Prozeß, 77–83; Zur deutschen Übersetzung vgl. P. Kalkoff, Die Übersetzung der Bulle „Exsurge“ (ZKG 45, 1927, 382–399). Vgl. auch Brecht, Luther 1, 371–378; Schwarz, Luther, 94–96. 249 Siehe „Appellatio D. Martini Lutheri ad Concilium a Leone X. denuo repetita et innovata“ (WA 7; [74] 75–82) und „D. Martin Luthers Appellation oder Berufung an ein christlich frei Concilium von dem Bapst Leo und seinem unrechten Frevel verneuert und repetirt“ (WA 7; [83] 85–90). 250 DCL 2, 396,(14 f.): [. . .] frustra etiam Concilii auxilium imploravit, qui illi se non credere palam profitetur [. . .]. – Kolde, Luther’s Stellung, 82 urteilte m. E. zu undifferenziert, wenn er betonte: dieser Satz sei „vielleicht die richtigste Bemerkung in der ganzen Bulle“.

§ 10 Die erneute Appellation an ein allgemeines Konzil (1520)

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damit sein Vorgehen als reines Manöver, das auf die konziliaristischen Gesinnungen zahlreicher Reichsstände spekulierte“.251 In der Tat muss gefragt werden, wie Luther die Appellation gewichtete, wenn er zuvor die Autorität kirchlicher Konzilien hinsichtlich der spätmittelalterlichen Tradition grundsätzlich in Frage gestellt hatte, sich nun aber erneut auf die Autorität des Konzils berief. Welche Rolle spielte hierbei die Forderung nach einem freien, christlichen Konzil und wie schätzte Luther die Wirkung und Realisierungschancen seiner Appellation ein?

1. Die Bannandrohungsbulle Seit dem Spätherbst 1519 wurde das Ketzerverfahren gegen Luther in Rom mit neuer Intensität betrieben, nachdem die Kaiserwahl vollzogen war und die damit zusammenhängenden diplomatischen Bemühungen der Kurie um den sächsischen Kurfürsten hinfällig geworden waren. Noch 1519 suchte die Kurie unter Androhung des Interdikts, Friedrich den Weisen zum Eingreifen gegen Luther zu bewegen, der sich allerdings auf die Verabredung mit dem Trierer Erzbischof berief, Luther vor dem Forum des kommenden Reichstages zu verhören.252 In Rom setzte Ende Januar 1520 eine intensive Beratungstätigkeit über die Konzeption einer Bulle gegen Luther ein, die in einem komplizierten, hier nicht weiter darzustellenden Verfahren Gestalt annahm 253 und von Vermittlungsbemühungen durch den Augustiner-Eremitenorden begleitet wurde.254 Erwähnt sei, dass Johannes Eck nach Rom geladen worden war, wo er vor dem 25. März eintraf und über die Auswirkungen der Lehren Luthers in Deutschland informierte. Ende April wurde er zum Mitglied einer neuen kurialen Kommission ernannt, der die Kardinäle Pietro Accolti und Cajetan sowie der Theologieprofessor und Augustinermönch Johannes Hispanus angehörten. Diese Viererkommission hatte den Auftrag, die Bulle endgültig auszuarbeiten.255 Nach Vorentwürfen und Beratungen in den Konsistorialsitzungen am 251

Jedin, Geschichte 1, 143. Vgl. auch Ehses, Appellation, 743–746. Vgl. zu den kurialen Initativen und der kursächsischen Lutherschutzpolitik Ende 1519: Kalkoff, Prozess (ZKG 25, 1904), 436 f.; Borth, Luthersache, 70 f. 253 Über die vom Papst Ende Januar oder Anfang Februar einberufene Untersuchungskommission, deren Auflösung, die Bildung einer zweiten Theologenkommission und deren Vorschlag, in einer päpstlichen „Extravagante“ Einzelsätze Luthers ohne Namensnennung nach verschiedenen Verwerfungsgraden zu unterscheiden und in einem Breve Luther zum Widerruf seiner häretischen Positionen aufzufordern vgl. Müller, Römischer Prozess, 77 f.; Kalkoff, Prozess (ZKG 25, 1904), 99–104; Ders., Forschungen, 109 f.; A. Schulte, Die römischen Verhandlungen über Luther 1520. Aus den Atti Consistriali 1517–23 (QFIAB 6, 1904, 32–52. 174–176. 374–378); DCL 2, 317 f. 254 Vgl. Brecht, Luther 1, 371 f.; Th. Kolde, Luther und sein Ordensgeneral in den Jahren 1518 und 1520 (ZKG 2, 1878, 478–480). 255 Vgl. P. Fabisch, Johannes Eck und die Publikationen der Bullen „Exsurge Domine“ 252

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IV. Die Forderung nach einem freien, christlichen Konzil (1520)

21., 23. und 26. Mai und 1. Juni wurde die päpstliche Bulle auf den 15. Juni datiert und ausgefertigt. Durch Anschlag an die Peterskirche und päpstliche Kanzlei wurde die Bulle am 24. Juli veröffentlicht.256 Welche Rolle der Aspekt „Luther und das Konzil“ in dem päpstlichen Dokument spielen sollte, muss im Folgenden untersucht werden.

1.1. Die inhaltliche Begründung der lutherischen Ketzerei Die mit den Worten aus Ps 74,22 „Exsurge Domine“ eingeleitete Bulle 257 wandte sich im Prolog an Christus, Petrus, Paulus, die Heiligen und die ganze Kirche mit der Bitte um Hilfe gegen die neue Ketzerei, welche im Bild des den Weinberg des Herrn verwüstenden Fuchses und Wildschweins anschaulich gemacht wurde.258 Es folgten drei Hauptteile, die sich maßregelnd gegen die Irrlehre, gegen Luthers Schriften und gegen die Person Luthers wandten. Im ersten Hauptteil 259 wurde beanstandet, dass sich Irrtümer in Deutschland verbreitet hätten, die einerseits bereits von Konzilien und Päpsten im Zusammenhang mit den Ketzereien der Griechen und Böhmen verdammt worden seien, andererseits als „ketzerisch, falsch, ärgerlich, fromme Ohren verletzend oder einfältige Gemüter verführend“260 bezeichnet werden müssten. Außerdem wurde beklagt, dass diese Irrlehren in der deutschen Nation aufgekommen seien, welche doch einst vom Papst durch die Übertragung des Kaisertums geehrt worden sei. Deutschland sei außerdem in der Bekämpfung der Häresie aufmerksam gewesen durch die kaiserlichen Gesetze zur Freiheit der Kirche und zur Verfolgung der Ketzer, durch das Konzil von Konstanz261 und jüngst durch die Lehrurteile der Kölner und Löwener Universität.262 und „Decet Romanum Pontificem“ (in: E. Iserloh [Hg.], Johannes Eck [1486–1543] im Streit der Jahrhunderte [RST 127], Münster 1988, 74–107), 74–84; Iserloh, Eck, 49 f.; Kalkoff, Prozess (ZKG 25, 1904), 104–119. 256 Über die Konsistorialsitzungen und die dortigen Diskussionen informieren neben Kalkoff, ebd.; Bäumer, Lutherprozeß, 36–40; Müller, Römischer Prozess, 77–79; Schulte, Verhandlungen, 33–52. 257 Zur Bulle vgl. H. Roos, Die Quellen der Bulle „Exsurge Domine“ (15. 6. 1520) (in: J. Auer und H. Volk [Hg.], Theologie in Geschichte und Gegenwart. FS für Michael Schmaus, München 1957, 909–926); Bäumer, Lutherprozeß, 40–42; Müller, Die römische Kurie, 7–11; Grane, Martinus Noster, 232–268. 258 DCL 2, 364–368,(2). 259 AaO. 368,(3)-370,(17). 260 AaO. 368,(9 f.). Siehe auch aaO. 386,(3 f.). 261 Die Erwähnung der Verurteilung der Irrlehren von Hus und Hieronymus von Prag auf dem Konstanzer Konzil und die Erinnerung an die Hussitenkriege wurde – mit eindeutiger Anspielung auf Luthers Aussagen während und nach der Leipziger Disputation – eigens thematisiert. Siehe aaO. 370, (5–8). 262 Die Gutachten der Kölner Universität vom 30. August 1519 (WA 6; 178–180) und das Votum der Löwener Universität vom 7. November (WA 6; 175–178) lagen der kurialen Kommission vor.

§ 10 Die erneute Appellation an ein allgemeines Konzil (1520)

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Daran schlossen sich im zweiten Hauptteil 263 41 Sätze an, die pauschal verworfen wurden.264 Diese aus verschiedenen Schriften Luthers zusammengestellten Zitate oder Mischzitate, die nicht streng systematisch angeordnet waren, gingen neben Aussagen zum Bußsakrament, über die Bestreitung des Kirchenschatzes, zu den Ablässen und dem Bann auch auf das Thema Konzil ein: So wurde Luthers umstrittener Reformvorschlag aus dem Abendmahlssermon und der „Verklerung etlicher Artikel“ (1520), den Laienkelch durch ein Konzil zu genehmigen und die Böhmen aufgrund der Darreichung beider Gestalt nicht als Ketzer, sondern nur als Schismatiker zu betrachten, verurteilt.265 Im Zusammenhang von Sätzen gegen die Schlüssel- und Lehrgewalt des Papstes wurde Luthers in den „Resolutiones disputationum de indulgentiarum virtute“ (1518) getätigte Äußerung kritisiert, dass es keine Sünde oder Ketzerei sei, solange anderer Meinung als der Papst zu sein, bis in einer zur Seligkeit nicht notwendigen Sache durch ein allgemeines Konzil die eine Position verworfen und die andere bestätigt werde.266 Unter die irrigen Artikel wurden darüber hinaus die in den „Resolutiones“ zur Leipziger Disputation (1519) getätigte Aussage zum freien Urteil über und Handeln gegen Konzilsbeschlüsse gezählt 267 sowie die in der Leipziger Disputation gemachte Aussage, etliche von Hus durch das Konstanzer Konzil verurteilten Artikel seien äußerst christlich, wahr und evangelisch.268 Folglich waren als Begründung der Irrlehre die strittigen Konzilsäußerungen Luthers in die Bulle aufgenommen und als zentrale Argumente im Ketzerverfahren genutzt worden. Die angeführten 41 Sätze galten vom Papst mit sofortiger Wirkung als verworfen. Zusammen mit den Lutherschriften, in denen diese Aussagen enthalten waren, dürften sie weder gelesen noch weiter verbreitet und auf bewahrt, sondern müssten verbrannt werden. Bei Zuwiderhandeln verfalle man dem Kirchenbann oder anderen kirchlichen Strafen. 263

Siehe DCL 2, 372,(1)-394,(16) AaO. 372,(1)-386,(2). 265 AaO. 378,(1–3) = DH 1466: Consultum videtur, quod ecclesia in communi Concilios statueret laicos sub utraque specie communicandos, nec Bohemi communicantes sub utraque specie sunt heretici, sed scismatici. – Mischzitat aus WA 2; 742,24–26 und WA 6; 80,36 f. 266 DCL 2, 382,(1–4) = DH 1478: Si Papa cum magna parte ecclesie sic vel sic sentiret nec etiam erraret, adhuc non est peccatum aut heresis contrarium sentire, presertim in re non necessaria ad salutem, donec fuerit per Concilium universale alterum reprobatum, alterum approbatum. – Siehe wörtlich WA 1; 583,5–8. 267 DCL 2, 382,(5–7) = DH 1479: Via nobis facta est enarrandi auctoritatem Conciliorum et libere contradicendi eorum gestis et iudicandi eorum decreta et confidenter confitendi, quicquid verum videtur sive probatum fuerit, sive reprobatum a quocumque Concilio. – Mischzitat aus WA 2; 406,1 f. und WA 2; 404,15–17. 268 DCL 2, 382,(8–10) = DH 1480: Aliqui articuli Ioannis Huss condemnati in Concilio Constantiensi sunt Christianissimi, verissimi et evangelici, quos nec universalis ecclesia posset damnare. – Zitat nach WA 59; 466,1048–1051. 264

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IV. Die Forderung nach einem freien, christlichen Konzil (1520)

Im dritten Hauptteil 269 wurde zunächst das Bemühen des Papstes um die Person Martin Luthers hervorgehoben und dessen Verhalten im Ketzerprozess kritisiert. Hierbei erwähnte die Bulle ausdrücklich Luthers Konzilsappellation und betonte, dass Pius II. und Julius II. dieses Verfahren verboten hätten,270 so dass allein die Tatsache der Appellation für die Verurteilung als Ketzer ausreiche. Nicht versäumt wurde es, auf den – oben bereits angeführten – Widerspruch aufmerksam zu machen, dass Luther vergeblich die Hilfe der Konzilien anrufe, da er öffentlich bekenne, ihnen nicht zu glauben.271 Mit dieser Erwähnung sollte Luthers Appellation die kirchenrechtliche Grundlage entzogen und einer erneuten Berufung auf das Konzil vorgebaut werden.272 Dennoch wurde Luther und seinen Anhängern eine 60-tägige Widerrufsfrist eingeräumt, die mit der Publikation der Bulle an den zuständigen Bischofskirchen beginne. Mit sofortiger Wirkung dürfe Luther aber nicht mehr predigen und müsse schriftlich oder mündlich in Rom Widerruf einlegen. Sollte Luther nicht widerrufen, werde die Verurteilung Luthers und seiner Anhänger als notorische und hartnäckige Ketzer entsprechende Strafen nach sich ziehen. Neben der Vernichtung des gesamten Schrifttums Luthers seien alle weltlichen und kirchlichen Obrigkeiten aufgefordert, Luther gefangenzunehmen und nach Rom zu überstellen. Jeder, der den Ketzer schütze, habe mit den üblichen Strafen für sich und sein Land zu rechnen. Zum Schluss wurden noch Angaben zur Verbreitung der Bulle gemacht sowie Bestimmungen zum Umgang mit dem Dokument getroffen.273

1.2. Die Verbreitung der Bulle Mit der Promulgation dieser umfangreichen Bulle, die den Bann gegen Luther und seine Anhänger nach Verstreichen der 60-tägigen Frist androhte und somit zu Recht als Bannandrohungsbulle zu bezeichnen ist, waren im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation die päpstlichen Nuntien Johannes Eck und

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DCL 2, 394,(17)-406,(17). Zur Bulle „Execrabilis“ (18. Januar 1460) von Pius II. und zur Bulle „Suscepti reiminis“ (1509) von Julius II. siehe oben, Kapitel II § 4.1. 271 DCL 2, 396,(11–15): [. . .] in vocem temerarie appellationis prorupit ad futurum Concilium, contra Constitutionem Pii Secundi ac Iulii Secundi predecessorum nostrorum, qua cavetur taliter appellantes Hereticorum pena plectendos (frustra etiam Concilii auxilium imploravit, qui illi se non credere palam profitetur) [. . .]. 272 Vermutlich trug Eck in der Konsistorialsitzung am 21. Mai aus dem von ihm mitgeführten Protokolldruck der Leipziger Disputation unter besonderer Berücksichtigung der 13. Disputationsthese vor, um der Kurie die rechtliche Handhabe gegen Luthers Konzilsappellation zu bieten. Vgl. Schulte, Verhandlungen, 48. 52; Kalkoff, Prozess (ZKG 25, 1904), 110; DCL 2, 322. 273 DCL 2, 406,(18)-410,(14). 270

§ 10 Die erneute Appellation an ein allgemeines Konzil (1520)

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Hieronymus Aleander beauftragt.274 Während letzterer, der als gebildeter Humanist galt, für die Überbringung der Bulle an Kaiser Karl V. und die Veröffentlichung in den Niederlanden zuständig war,275 übernahm Eck diese Aufgabe in den Bistümern Brandenburg, Meißen und Merseburg, gegenüber dem Kurfürsten von Sachsen sowie weiteren Bischöfen und Kurfürsten.276 Mit diesem Vorgehen verfolgte die Kurie eine Doppelstrategie: Zum einen sollten die Nuntien die weltlichen und geistlichen Territorialherren für die Publikation und Exekution der Bulle gewinnen. Zum anderen sollte der Kaiser informiert, an seine Schutzpfl icht für die römische Kirche erinnert und veranlasst werden, Mahnbriefe zur Unterstützung des Vollzuges der Bulle an seine Fürsten zu senden.277 Dass mit Eck jener schärfste Luthergegner zum Spezialinquisitor gemacht worden war, dessen Ansehen unter den Anhängern und Sympathisanten Luthers gering war, sollte der Autorität der Bulle schaden.278 Denn während Eck zwischen dem 21. und 29. September 1520 die Bulle an den Bischofskirchen in Brandenburg, Meißen und Merseburg problemlos anschlagen ließ und sie somit formalrechtlich auch für Kursachsen veröffentlicht war,279 blieb seine Mission im kursächsischen Territorium erfolglos. Während Herzog Georg Eck durch die Zueignung eines mit Geld gefüllten goldenen Kelchs auszeichnete, wurden gegen ihn in Leipzig, wo er 1519 noch herzlich empfangen worden war, Plakate verbreitet, Spottverse gedichtet und Gewalttätigkeiten angedroht, so dass in dieser Situation, die durch die Anwesenheit von ungefähr 50 Wittenberger Studenten aufgeheizt war, Schutzmaßnahmen ergriffen wurden und er ins Dominikanerkloster fl iehen musste.280 Der ihm ursprünglich zugetanen Universität Leipzig überreichte er die Bulle nur durch Boten, was zur Infragestellung der Rechtmäßigkeit der zugegangenen 274 Eck und Aleander erhielten für ihre Mission vier Schriftstücke: Ein sogenanntes Breve commissionis, eine persönliche Instruktion, einen Geleitbrief und ein Beglaubigungsschreiben. Siehe DCL 2, (329–334) 438–445. – Zu der Umsetzung der Bannandrohungsbulle vgl. Borth, Luthersache, 78–80; Kohnle, Reichstag, 45–47 mit weiteren Literaturangaben. 275 Siehe DCL 2, 439,(25)-440,(4). Über den Erfolg von Aleander, auf dessen Betreiben es nach Anerkennung der Bulle durch die Landesuniversität zu Bücherverbrennungen seit dem 8. Oktober in Löwen, Lüttich, Antwerpen und weiteren Orten der kaiserlichen Erblande gekommen war vgl. Borth, Luthersache, 80–83. 276 Vgl. DCL 2, 329. 277 Vgl. aaO. 331 f. Borth, Luthersache, 80. 278 Zu Ecks Aktivitäten in Sachsen und Oberdeutschland vgl. u. a. Bäumer, Lutherprozeß, 43–45; Borth, Luthersache, 82–85; DCL 2, 334–337; Fabisch, Eck, 94–101; P. Kalkoff, Die Vollziehung der Bulle „Exsurge“, insbesonderheit im Bistum Würzburg (ZKG 39, 1921, 1–44). 279 Vgl. Kohnle, Reichstag, 48–52. 280 Siehe WAB 2; 191,31–35 Anm. 11 Nr. 340 (Luther an Spalatin, [Wittenberg,] 3. 10. 1520); Tentzel/Cyprian 1, 436–442 = Walch 2 15, 777–781 Nr. 340 (Miltiz an den Kurfürsten von Sachsen, Leipzig, 3. 10. 1520). Vgl. Brecht, Luther 1, 382.

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IV. Die Forderung nach einem freien, christlichen Konzil (1520)

Bulle führte.281 Auch überstellte Eck durch einen Leipziger Ratsdiener ein Exemplar den Vertretern des Naumburger Bischofs in Zeitz, dessen Bistum unter kursächsischer Schutzherrschaft stand. Durch Leipziger Stadtknechte schickte er eine Abschrift an die Universität Wittenberg, wo sie als nicht rechtmäßig zugestellt betrachtet und daher nicht veröffentlicht wurde.282 Und schließlich sandte er unter dem Vorwand, keine geeignete Kleidung bei sich zu haben, die Bulle zusammen mit einem päpstlichen Schreiben Herzog Johann von Sachsen durch Boten. Kurfürst Friedrich III. und sein Bruder Johann weigerten sich, die Bulle in ihrem Territorium umzusetzen. Die süddeutschen Bischöfe folgten der Bulle nur zögerlich, da sie Proteste und Ausschreitungen fürchteten.283 Die zahlreichen Schwierigkeiten bei der Umsetzung der Bulle signalisierten die geschwundene Autorität der römischen Kurie innerhalb des Kurfürstentums Sachsens und der nahegelegenen Universitäten überdeutlich, wodurch auch Eck in seiner Mission eingeschüchtert und zurückhaltender wurde. Dass der Einfluss von Luthers Lehre erheblich war und er von verschiedenen Kreisen, z. B. den Humanisten, Unterstützung erhielt,284 minderte allerdings nicht die Gefahr, die durch die Bulle gegen Leib und Leben des Reformators ausging.

2. Die Entstehungsgeschichte der Konzilsappellation Seit Mitte August war Luther von der Verbreitung der Bulle unterrichtet.285 Anfang Oktober war er über die Ankunft Ecks in Sachsen und die Publikation der Bulle informiert.286 Jetzt begann eine Phase intensiver diplomatischer, schriftstellerischer und kirchenpolitischer Aktionen, die von Luther, aber auch von seiner Universität, den kurfürstlichen Räten und dem Kurfürsten selbst betrieben wurden.287

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Vgl. Volkmar, Reform, 469 Anm. 97. Außerdem hatte Eck in dem mit der Bulle publizierten Veröffentlichungsschreiben als von der Bannandrohung betroffene Personen Luthers Universitätskollegen und Theologen Andreas Bodenstein, genannt Karlstadt, und Johannes Dölsch erwähnt. Vgl. Tentzel/Cyprian 1, 450 f. (Miltiz an Kurfürst Friedrich, Eilenburg, 14. 10. 1520); Kohnle, Reichstag, 52–63. 283 Vgl. aaO. 63–75. 284 Vgl. zur Rezeption der Bulle in humanistischen Kreisen die kompetente Darstellung von Grane, Martinus noster, 237–268. 285 WAB 2; 166,6–9 Nr. 326 (Luther an Spalatin, Wittenberg, 14. 8. 1520). Vgl. Kalkoff, Prozess (ZKG 25, 1904), 519 f. 286 Siehe WAB 2; 187,28 f. Nr. 338 (Luther an Günter von Bünau, Wittenberg, 28. 9. 1520); aaO. 189,18–22 Nr. 339 (Luther an Konrad Sam, Wittenberg, 1. 10. 1520); WAB 2; 191,11–13. 287 Vgl. die Übersicht bei Kohnle, Reichstag, 53–63. 282

§ 10 Die erneute Appellation an ein allgemeines Konzil (1520)

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Bereits mit den ersten Nachrichten über die Verbreitung der Bulle hatte Luther Kaiser Karl V. Ende August 1520 um Schutz angerufen.288 Gleichzeitig hatte er in dem auf öffentliche Wirkung zielenden, in Deutsch und Latein gedruckten „Erbieten“ seine erneute Bereitschaft bekundet, sich durch die Heilige Schrift korrigieren zu lassen, sich einer öffentlichen Disputation zu stellen und das auf der Grundlage der Heiligen Schrift getroffene Urteil unverdächtiger geistlicher und weltlicher Richter zu akzeptieren.289 Mit dem Eintreffen der Bannandrohungsbulle am 10. Oktober in Wittenberg bekam auch Luther ein Exemplar zugespielt. Am 11. Oktober meldete er Spalatin, dass die Bulle nun da sei.290 Er werde sie verachten und als lügnerisch, gottlos und auf jede Weise als Machwerk Ecks öffentlich behandeln, obwohl er von der Echtheit der päpstlichen Bulle überzeugt sei.291 Er wünsche, dass Karl V. „ein Mann“ sei, der für Christus die römischen Teufel angreife, doch habe er von Erasmus gehört, dass der kaiserliche Hof von den „Betteltyrannen“ eingenommen und auf Karl nicht zu hoffen sei.292 Zum Schluss des Briefes erwähnte Luther, er werde seine Konzilsappellation erneuern „und nach dem Rate der Unsrigen tun, was getan werden muss.“ Obwohl er lieber wolle, „dass die Bulle ihren Fortgang gegen mich nähme“, müsse er doch auch „auf andere Rücksicht nehmen“.293 Folglich waren es in erster Linie äußere Motive, die Luther zur erneuten Appellation bewegten. Einerseits hatten seine juristischen Berater ihn zu diesem Schritt bewogen, andererseits hielt er sie aus Rücksicht gegenüber anderen – vermutlich die von der Bulle mitbetroffenen Universitätskollegen Karlstadt und Dölsch – für notwendig. Karlstadt kam diesem Schritt zuvor, indem er am 19. Oktober 1520 vom Papst an das „allerheylgste Christliche und gemeyne Concilio“ appellierte.294 288 Siehe WAB 2; (172) 175–178 Nr. 332 (Luther an Kaiser Karl V., Wittenberg, [30. 8.?] 1520). 289 Siehe WA 6; (474) 476–478 (handschriftlicher Entwurf ). 480 f. (deutsche Fassung). 482 f. (lateinische Fassung). 290 WAB 2; 195,6 f. Nr. 341 (Luther an Spalatin, Wittenberg, 11. 10. 1520): Venit tandem Bulla ista Romana per Eccium allata, de qua nostri scribunt ad principem plura. 291 AaO. 195,7–13. Hinter diesem für Luthers Verteidigungsstrategie typischen Vorgehen stand der erneute Versuch, den Papst selbst zu schonen. 292 AaO. 195,13 f. 24–27. 293 AaO. 195,30–32: Ego appellationem meam innouabo & consilio nostrorum agam, quae agenda sunt, quamquam mallem Bullae processum ire in me. Sed aliorum quoque ratio habenda est. – Obwohl die Konzilsappellation eine wesentliche Maßnahme Luthers darstellte, erwähnt sie Kohnle, Reichstag, 52–63 nicht. 294 Appellation: Andres Bodenstein von Carolstad zu dem allerheyligisten gemeynen Concilio Christlicher vorstendiger vorsamelung (in: Bubenheimer, Consonantia, 292–300). Die in deutscher Sprache gedruckte Appellation richtete sich an ein Konzil, „das nicht allein Bischoffen und prelaten, sunder auch weltlich hern und alle leyhen, so einen reynen, guten vorstand heyliger schrifft haben, begreufft“ (aaO. 298,176 f.). Allerdings spricht Karlstadt in seiner Appellation an keiner Stelle von einem freien, christlichen Konzil! Vgl. zur Konzils-

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IV. Die Forderung nach einem freien, christlichen Konzil (1520)

2.1. Die Maßnahmen gegen die päpstliche Bulle Dass Luther in dieser prekären Situation auch andere Wege einschlug, die ihm empfohlen worden waren, veranschaulicht das auf Wunsch seines Kurfürsten in Lichtenburg stattfi ndende Gespräch mit Miltitz am 12. Oktober 1520.295 Es war Miltitz letztes Bemühen, Luther mit dem Papst auszusöhnen. Luther, der von diesem Versöhnungsplan wenig erwartete, erklärte sich bereit, einen Brief an Papst Leo X. in deutscher und lateinischer Sprache zu verfassen und ihm darin anzubieten, zu schweigen, falls seine Gegner auch schweigen würden. Zusammen mit einer theologischen Schrift sollte dieser diplomatische Brief auf den 6. September zurückdatiert an Papst Leo verfasst werden.296 Tatsächlich arbeitete Luther den Sendbrief nach dem 13. Oktober aus und ließ ihn zusammen mit seiner Schrift „Von der Freiheit eines Christenmenschen“ drucken.297 In seinem Brief versäumte er es nicht, an die Appellation vom Papst an das Konzil zu erinnern, zu der er durch die Papstschmeichler provoziert worden sei, und verteidigte in der lateinischen Fassung sein Vorgehen gegenüber den Appellationsverboten von Pius II. und Julius II.,298 wodurch er den Angriff der Bannandrohungsbulle hinsichtlich seiner Appellation abzuwehren suchte. In polemischer Schärfe äußerte sich Luther gegen die Angriffe der Bulle in seiner Schrift „Von den Eckischen Bullen und Lügen“, in der er die Strategie verfolgte, die Bulle sei nicht das Werk des Papstes, sondern Ecks „lugen spiel“.299 In ihr wehrte er sich gegen die Verurteilung einzelner Sätze und nannte als Ursache für die Ungültigkeit der Bulle als ersten Punkt seine Konzilsappellation: Die Appellation, „an das gemeyn Concilio gestellet, steht noch unvorruckt, daruber ich dem bapst mit allen den seinen nichts gestendig bin, den allein gut-

appellation aaO. 195–198; Barge, Karlstadt 1, 229 f.; Becker, Appellation, 251. In den erhaltenen Briefen aus dem Jahr 1520 verschwieg Luther diesen Schritt Karlstadts. 295 WAB 2; 195,27–29. 296 WAB 2; 196 f. Nr. 342 (Luther an Spalatin, Lichtenburg, [12. 10.] 1520); Tentzel/ Cyprian 1, 449. Vgl. Hamm, Freiheit vom Papst, 113–132; H.-G. Leder, Ausgleich mit dem Papst? Luthers Haltung in den Verhandlungen mit Miltitz 1520, Berlin 1969. 297 WA 7; (1) 3–11 und (39) 42–49. Vgl. auch B. Stolt, Studien zu Luthers Freiheitstraktat mit besonderer Rücksicht auf das Verhältnis der lateinischen und der deutschen Fassung zueinander und die Stilmittel der Rhetorik, Stockholm 1969, 12–90. 298 Der deutsche Text lautete (WA 7; 3,8–12): [. . .] ßo kann ichs nit lassen, deyn on unterlaß zugedenckenn, dann wie wol ich von ettlichenn deyner unchristlichen schmeychler, wilch on alle ursach auff mich erhetzit seyn, gedrungen bynn mich auff eyn Christlich frey Concilion von deynem stuel unnd gericht ynn meyner sach zuberuffen. – Hingegen formulierte Luther im lateinischen Text (aaO. 42,10–13): Et quanquam impiis adulatoribus tuis in me sine causa saevientibus coactus fuerim a sede tua ad futurum provocare Concilium, nihil veritus Pii et Iulii, tuorum predecessorum, vanissimas constitutiones, idipsum stulta tyrannide prohibentium. 299 WA 6; 592,7–9.

§ 10 Die erneute Appellation an ein allgemeines Konzil (1520)

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lichen handel“.300 Sollte der Papst aber die Appellation nicht anerkennen und mit Gewalt gegen ihn vorgehen, werde er erneut an das Konzil appellieren.301 Dem Angriff gegen Eck folgte in den Streitschriften „Adversus execrabilem Antichristi bullam“,302 die Luther im Oktober für die Gelehrten verfasst hatte, und der Schrift „Wider die Bulle des Endchrichts“,303 die er für die allgemeine Öffentlichkeit bestimmt hatte, die Auseinandersetzung mit der Bulle selbst.

2.2. Das Zustandekommen und der Akt der Appellation Am 4. November kündigte Luther Spalatin an, dass er nicht privat an die Fürsten schreiben werde, sondern durch einen öffentlichen Zettel die Konzilsappellation erneuern werde und „alle Großen und Kleinen Deutschlands“ anrufen wolle, sich der Appellation anzuschließen. Sodann werde er sich an die Gewissen des einzelnen wenden, damit er nicht in der Todesstunde überführt werde, den Ungeheuern gehorcht zu haben.304 Nach diesen Aussagen verfolgte Luther mit der geplanten Maßnahme den zusätzlichen Zweck, die weltlichen Obrigkeiten um ihres Gewissens willen um Unterstützung der Appellation zu bitten. Kurz vor Ablauf der offi ziellen Widerrufsfrist ergriff Luther schließlich das angekündigte Mittel der Konzilsappellation: 305 Am 17. November 1520 um 10 Uhr morgens erneuerte er in seiner Stube in den Mauern des Augustinerklosters die fast zwei Jahre alte Appellation.306 Diesmal amtierte als Notar der aus Eisle300

AaO. 592,14–16. AaO. 592,16–19. Desweiteren nannte er die auf Betreiben Karl von Miltitz’ zustande gekommene Verabredung zwischen Kurfürst Friedrich III. und dem Erzbischof von Trier zum Verhör Luthers (aaO. 592,20–28), die Unaufrichtigkeit und die Parteilichkeit Ecks (aaO. 592,29–593,4) und die kurialen Betrügereien mit Kopien und Abschriften von Bullen, die für ihn keine Gültigkeit haben (aaO. 593,5–21). 302 WA 6; (595) 597–612. 303 WA 6; (613) 614–629. 304 WAB 2; 211,41–45 Nr. 351 (Luther an Spalatin, Wittenberg, 4. 11. 1520): Non scribam priuatim ad principes, sed publica schedula appellationem innouabo, inuocaturus ad adhesionem quoslibet Germaniae magnos & paruos & rei indignitatem expositurus, deinde conscientiam cuiusque conuenturus, ne impiis istis monstris in hora mortis suae obediuisse conuincatur. 305 Zu Luthers erneuter Konzilsappellation und ihrer Bewertung vgl. u. a. Bäumer, Papst, 36–42; Ders., Nachwirkungen, 149 f.; Becker, Appellation, 250–253; Brecht, Luther 1, 395; Brockmann, Konzilsfrage, 105–108. 206 f.; Köstlin/Kawerau, Luther 1, 373 f.; Schwarz, Luther, 100; Tecklenburg Johns, Konzilsidee, 115–123. 306 Dass diese Konzilsappellation neben dem „Erbieten“ von Ende August von Spalatin als herausragendes Ereignis gewertet wurde, verdeutlicht seine Notiz in Tentzel/Cyprian 2, 26 f. (Spalatini, Annales): Im Jar nach Christi geburt 1520 hat Doctor Martinus Luther ein offen Christlichs erbieten laßen im Druck ausgeen. Und als ihn nichts geholffen, als hat er vom Babst Leo dem Zcehenden auff ein kunfftigs Christlichs Concilium appellirt. – Brecht, Luther 1, 395 nennt irrtümlich den 17. Dezember als Termin. 301

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IV. Die Forderung nach einem freien, christlichen Konzil (1520)

ben, Diözese Halberstadt, stammende Johann Agricola,307 der von folgenden fünf „ehrbaren Männern und Herren“ als Zeugen begleitet wurde: Dr. Johann Pockmann, Magister der Philosophie aus der Diözese Bamberg, Dr. Valentin Klochtzer, durch kaiserliche Gewalt öffentlicher Notar aus Geyer in der Diözese Meißen, Herr Jakob Seydeller aus Neuendorf in der Diözese Meißen, Herr Thomas Kluege, Priester aus Zwickau in der Diözese Naumburg, sowie Casper Cruciger, Kleriker aus Leipzig in der Diözese Merseburg.308 Dass die sechs namentlich aufgeführten Persönlichkeiten aus fünf Diözesen stammten, verlieh dem Akt der Appellation zusätzliche Würdigkeit und symbolisierte die Verbreitung der Anhängerschaft Luthers. Dass aus der Diözese Brandenburg kein Zeuge aufgeführt ist, war entweder Zufall oder lag am Appellationsort: Wittenberg gehörte bekanntlich zur Diözese Brandenburg.309 Die von der bisherigen Lutherforschung ungeklärten Entwicklungsschritte, die zur Abfassung der Appellation führten, dürften aus den Quellen wie folgt zu rekonstruieren sein: Aller Wahrscheinlichkeit nach wurde die konkrete Abfassung der Appellation durch die Nachfrage der kurfürstlichen Räte in Eilenburg ausgelöst, bei denen sich Luther und Melanchthon am 13. November 1520 auf hielten.310 Die dort während der Abwesenheit des Kurfürsten geschäftsführenden Räte Fabian von Feilitzsch, Hungold von Einsiedel und Hans von Taubenheim hatten kurz zuvor mit den bischöfl ichen Stiftsräten von Zeitz in der Frage eines gemeinsamen Vorgehens gegen die Bulle korrespondiert 311 und hierbei die geplante Konzilsappellation Luthers als Maßnahme erwähnt.312 307 Der Freund Luthers war durch heilige apostolische Gewalt öffentlicher Notar, was für die Rechtsgültigkeit der Appellation von Bedeutung war. (WA 7; 82,17 f.). 308 AaO. 82,10–16. 309 AaO. 82,3. 310 Über den ermutigenden Aufenthalt siehe WAB 2; 213 f. (Luther an Spalatin, Eilenburg, 13. 11. 1520). 311 Vgl. die Korrespondenz zwischen den bischöfl ichen Räten in Zeitz mit den kurfürstlichen Statthaltern und Räten in Eilenburg: Walch 2 15, 1581 f. Nr. 463 (Räte zu Zeitz an kurfürstliche Räte, Zeitz, 20. 10. 1520); aaO. 1582 Nr. 464 (Die kurfürstlichen Räte an die Räte zu Zeitz, Eilenburg, 22. 10. 1520). Da der Zeitzer Kanzler Heinrich Schmiedberg am 12.11. nach Eilenburg zur Beratung zwecks eines gemeinsamen Vorgehens gegen die Bulle kommen wollte, aber bereits am 5.11. gestorben war, fragten die Zeitzer Räte in Eilenburg erneut an. Siehe aaO. 1586 f. Nr. 467 (Räte zu Zeitz an die kurfürstlichen Räte, Zeitz, 5. 11. 1520). 312 Mit MBW 1, 83 bildete Walch 2 15, 1588–1590 Nr. 470 (Die kurfürstlichen Räte an die Räte zu Zeitz, vor dem 15. 11. 1520) das undatierte Antwortschreiben der Eilenburger Statthalter, in dem sie formale Bedenken gegen die Publikation der Bulle erhoben und meldeten (aaO. 1589): Zum dritten werden wyr bericht, als solde doctor Martinus von vill benümpter vermeynter bulla geappelirt haben, wu dem also, hett man sich auch desto paß zu entschuldigen, die execution zw ergehen lassen. – Möglich ist, dass dieser Bericht aus dem am 5. November aufgesetzen Brief des Stadtrats von Wittenberg an die kurfürstlichen Räte hervorging, in dem die Wittenberger anfragten, inwiefern sie sich der Konzilsappellation von Luther anschließen sollten. Siehe Walch 2 15, 1608 Nr. 479 (Rat von Wittenberg an die kurfürstlichen Räte, Wittenberg, 5. 11. 1520).

§ 10 Die erneute Appellation an ein allgemeines Konzil (1520)

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In einem verlorengegangenen Schreiben erkundigten sich die Zeitzer Räte genauer nach dieser Appellation, worauf hin die kursächsischen Räte am 8. November den Stiftsräten mitteilten, von der Appellation bisher nichts Näheres gehört zu haben. Außerdem empfahlen sie den Zeitzern, einen Boten nach Wittenberg zu senden, der sich bei dem stets gut unterrichteten Melanchthon erkundigen solle.313 Die kursächsischen Räte schrieben am selben Tag an Melanchthon, ein Exemplar von Luthers Appellation gegen Eck und die Bulle – falls vorhanden – dem Gesandten aus Zeitz auszuhändigen.314 Vermutlich überschnitt sich die Anfrage des bischöfl ichen Gesandten mit Luthers und Melanchthons Aufenthalt in Eilenburg, so dass sich die kurfürstlichen Räte am 13. November persönlich nach der Konzilsappellation erkundigten. Durch die kursächsischen Beamten ermutigt, konnte Luther annehmen, seine Appellationsmaßnahme werde von den bischöfl ichen Stiftsräten von Zeitz übernommen, so dass er die Konzilsappellation nach seiner Rückkehr nach Wittenberg am 17. November in die Tat umsetzte. Dass er selbst diese Maßnahme bisher nicht unbedingt als notwendig erachtet hatte, schrieb er am selben Tag an Lazarus Spengler.315

3. Die Appellation an „ein christlich frei Concilium“ Der offi zielle, in lateinischer Sprache abgefasste Text „Appellatio D. Martini Lutheri ad Concilium a Leone X. denuo repetita et innovata“316 wurde kurz nach dem Rechtsakt der Appellation gedruckt. Inwiefern er durch den in solchen Fällen üblichen öffentlichen Anschlag bekundet wurde, ist nicht überlie313 Das Datum ist im Anschluss an MBW 1, 83 gegenüber Walch 2 15, 1587 Nr. 468 (Die kurfürstliche Räte an die Stiftsräte zu Zeitz, [o.O.] 15. 11. 1520) auf den 8.11. zu korrigieren. Über die Konzilsappellation heißt es dort: [. . .] dieweil wir dann eigentlich bericht das gedachter Doctor Martinus von berürter Bullen apellirt, unnd dawider zu excipiren und zu schreiben für hat, des wir aber noch zur Zeit, wie dasselb durch Jne fürgenommen werden will, nit bericht empfangen, So haben wir geinwertigl. [. . .] Phillipum Melanthon, welcher unsers versehens um Doctor Martinus Handlung und gelegenheit am maysten wissens hat, geben, das er demselben Eweren geschigkten antzeig unnd bericht thu, wie Doctor Martinus die Appellation wider bestimbte Bullen gethan unnd fürder den proceß mit der excipirung oder schreiben dagegen halten will. – Warum die Anfrage an Melanchthon und nicht Luther ergehen sollte, bleibt ein Rätsel. Möglicherweise befand sich Luther in den Tagen nach dem 4. November auf einer längeren Reise, wovon die kursächsischen Räte Kenntnis hatten. 314 MBWT 1, 234 f. Nr. 110 (Die kursächsischen Räte an Melanchthon, [Eilenburg, 8. 11. 1520]) mit der Begründung in MBW 1, 82 f. Nr. 110. 315 WAB 2; 217,22–26: Ich will niemand am ersten angreifen; mir ist genug, mich, so ich angegriffen werde, beschützen. Ich laß itzt meine Appellation verneuert drucken lateinisch und deutsch, wiewohl ich’s nicht groß Not hab geachtet, so gar öffentlich und unverschämt ist die Bulle im antichristlichen Verdamnieren. – Ob und in welcher Form die Zeitzer Stiftsräte einen Druck der Urkunde zugeschickt bekamen, ist nicht näher bekannt. 316 WA 7; (74) 75–82.

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IV. Die Forderung nach einem freien, christlichen Konzil (1520)

fert.317 Eine gekürzte und zum Teil frei übertragene deutsche Ausgabe erschien von Luther angefertigt zeitgleich unter dem Titel „Appellation oder Berufung an ein christlich frei Concilium von dem Papst Leo und seinem unrechten Frevel verneuert und repetirt“318 . Dieser ohne Einhaltung der juristischen Form verfasste Text suchte „das ungelehrte Volk oder den gemeinen Haufen“ über den Appellationsakt zu informieren.319

3.1. Der Inhalt der Appellation Einleitend erinnerte Luther im offi ziellen Text an die einstige Konzilsappellation mit den Worten, es sei allen Christen bekannt, dass er von Papst Leo X. rechtmäßig an ein zukünftiges Konzil appellierte habe, wodurch er „durch feindliche Beschwerung“ des Papstes gezwungen wurde.320 Sodann wiederholte Luther den Appellationstext von 1518,321 indem er betonte, dass ein im Heiligen Geist rechtmäßig versammeltes, die Kirche repräsentierendes Konzil in Glaubensfragen über dem Papst stehe. Der Papst sei daher nicht befugt, die Konzilsappellation zu verbieten.322 Darauf hin erhob Luther die Forderung nach einem künftigen und rechtmäßigen Konzil an einem sicheren Ort, zu dem er oder sein Vertreter frei kommen könnte.323 Nach der Mitteilung, dass Luther Appellationsscheine vom Notar Christoph Behr erhalten habe, und der Nennung der damaligen Zeugen setzte Luther mit der Schilderung der neuen Sachlage ein.324 Er begann mit einem direkten Angriff auf Leo X., dessen Person er – entgegen seinem Verhalten in den Streitschriften vom Oktober 1520 – keineswegs mehr schonte. Leo bleibe in seiner ruchlosen Tyrannei hart, da er ihn, Luther, nun durch eine „gewisse 317 AaO. 74 behauptet, dass es fraglich sei, ob ein öffentlicher Anschlag stattgefunden habe. Bis Ende November war er jedenfalls nicht geschehen, obgleich daran gedacht wurde. 318 WA 7; (83) 85–90. 319 Vgl. aaO. 83. 320 AaO. 75,2–4: NOtum sit omnibus Christianis, quod ego Martinus Luther antea a Leone decimo Papa legitime et iuste appellavi ad futurum Concilium, iniquis ad hoc coactus gravaminibus eiusdem Leonis Papae. 321 AaO. 75,6–80,22. Siehe WA 2; 36–40. 322 WA 7; 76,10–16. Konkreter äußerte sich Luther an dieser Stelle in seiner deutschen Fassung gegen die Appellationsverbote des Papstes und seiner Vorgänger Julius II. und Pius II., womit er gegen den in der Bannandrohungsbulle geäußerten Vorwurf protestierte (aaO. 85,10–15): Auch offenbar ist, wie eyn Christlich gemeyn Concilium, ßonderlich ynn sachen den Christlichen glauben betreffend, ubir den Bapst ist[.] Und er, von yhm an das selb zu Appelliern, keyn gewalt hatt zu weren, ob wol Julius secundus unnd Pius secundus mit yhren frevelln, tollen gesetzen sich desselben vorgebenß unterwundenn haben [. . .]. – Siehe DCL 2, 396,(11–15) 323 WA 7; 79,33–35. 324 Siehe aaO. 80,23–82,25.

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Bulle“ verurteile „ohne Einladung, Anhörung und Widerlegung“ seiner Bücher.325 Außerdem verneine der Papst, dass ein kirchliches Konzil der Sache diene, und fl iehe und tadele wie ein Treuloser und Abtrünniger.326 Mit dieser Aussage verwahrte sich Luther gegen die päpstliche Kritik am künftigen Konzil, die in der Bannandrohungsbulle vorgetragen worden war, und wies die Anweisungen des Papstes als die des Antichrists und einer unglaublichen Gotteslästerung zurück. Luther betonte: „Ich, Prediger Martin mache allen und einzelnen im Herrn bekannt, dass ich mich noch bemühe und anhänge der getanen und verkündeten Appellation und sie rechtmäßig vor einem Notar und würdigen Zeugen erneuert habe und ich dies Geschriebene erneuere und erneuert verkünde [. . .].“327

Hieran schloss er in vier Punkten seine Appellationsbegründung an: 328 Er werde erstens wie durch einen gefährlichen Richter, ohne widerlegt zu sein, mit Gewalt verurteilt. Zweitens werde er als Ketzer und Abtrünniger behandelt, der den katholischen Glauben in den Sakramenten leugne. Drittens werde er von einem Feind der Heiligen Schrift getroffen, der sein eigenes Wort dem Wort der göttlichen Schrift entgegensetze. Und viertens führe sich der Papst als „Verächter der heiligen Kirche Gottes und des rechtmäßigen Konzils“ auf, weil er meine, ein Konzil „sei nichts in der Natur der Sache“. Diesen päpstlichen Einwand gegen die zur Zeit der Appellation nicht existente Institution widerlegte Luther mit dem Argument, auch wenn das Konzil augenblicklich nicht real versammelt sei, seien Herren und Richter in der Kirche natürlicher Weise vorhanden, die sich zu einem Konzil versammeln könnten.329 Folglich existiere das Konzil in verborgener Weise in der Kirche und könne durch Ein325

AaO. 80,23–25. AaO. 80,25–31: Ad haec concilium Ecclesiasticum esse in rerum natura neget, fugiat et vituperet, tanquam infidelis et apostata, suamque tyrannidem illius potestati impiissimae praeferat, iubeatque impudentissime, ut abnegem fidem Christi in sacramentis percipiendis necessariam, atque ut nihil omittat quod Antichristum referat, sacram scripturam sibi subiiciat et conculcet incredibili blasphemia, simque his intolerabilibus gravaminibus gravissime Iesus. 327 AaO. 80,31–37: Ego praedictus Martinus omnibus et singulis in domino notum facio, me adhuc niti et inherere appellationi factae et praedictae eamque legitime coram Notario et fide dignis testibus innovavi et his scriptis innovo et innovatam pronuncio, et in virtute eiusdem adhuc persevero appellans et Apostolos petens iure et modo quibus fieri potest et debet melioribus coram vobis, domino Notario publico et autentica persona, et his testibus ad futurum Concilium a praedicto Leone [. . .]. 328 AaO. 80,37–81,14. 329 AaO. 81,6–11: Quarto tanquam a blasphemo, superbo contemptore sanctae Ecclesiae die et legitimi Concilii in hoc, quod praesumit et mentitur, Concilium nihil esse in rerum natura, quasi ignoret, etiam si non sit actu congregatum, tamen esse personas in Ecclesia non nihil in rerum natura, immo dominos et iudices omnium, qui ad Concilium pertinent pro tempore congregandum. – Zur Problematik und der Diskussion im 15. und 16. Jahrhundert über das aktuell nicht versammelte Konzil als „iudex ad quem“ vgl. Becker, Appellation, 173 f. 343–345. 347 f. 350 f. 364 f.; Brockmann, Konzilsfrage, 107. 326

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IV. Die Forderung nach einem freien, christlichen Konzil (1520)

berufung der Mitglieder jederzeit realisiert werden.330 Denn es würde auch dann ein Reich oder ein Senat bestehen, wenn der Kaiser mit Fürsten und Senatoren nicht zusammen gekommen sei.331 Neu gegenüber der Appellation von 1518, aber ganz auf der Linie der Adelsschrift richtete sich Luther nun – wie gegenüber Spalatin am 4. November angekündigt – an Karl V., die Fürsten, Stände und Obrigkeiten.332 Sie rief er auf, sich der Konzilsappellation anzuschließen um des Glaubens, der Kirche Christi, der Freiheit und des Rechts eines rechtmäßigen Konzils willen, der Tyrannei des Papstes Widerstand zu leisten und zumindest die Ausführung der Bulle zu verhindern oder zu verschieben. Dies solle solange geschehen, bis er, Luther, vor unverdächtigen Richtern geprüft und durch Schriften und würdige Dokumente widerlegt werde. Mit seinem Aufruf an die weltliche Obrigkeit zielte Luther auf die Unterstützung seiner Person und Sache, die einerseits in der Verhinderung der Umsetzung der Bulle, andererseits in der Forderung nach einem Verhör vor unparteiischen Richtern gipfelte.333 Zum Ort oder Forum des Verhörs machte Luther an dieser Stelle keine näheren Angaben. Obwohl sich vom Kontext und Inhalt der Schrift her unzweifelhaft das Konzil als Ort anbot, präzisierte er es nicht.334 Diese auffällige Nichtfestlegung ermöglichte es Luther, dem Kurfürsten, der als Forum des Verhörs den kommenden Reichstag forderte, nicht in den Rücken zu fallen.335 330 Die Aussage Luthers „concilium nihil esse in rerum natura“ interpretieren Ehses, Appellation, 744 f. und Tecklenburg Johns, Konzilsidee, 118 f. Anm. 264 dahingehend, Luther habe die in der Bulle „Execrabilis“, dem Appellationsverbot von Pius II. aus dem Jahr 1460 (DH 1375), geäußerten Wortlaut „Concilium nusquam est, neque scitur, quando futurum sit“ (Zitat nach Ehses, Appellation, 745) missverstanden. Nach Ehses sagt Pius II. nichts weiter, als dass das allgemeine Konzil keine ständige Einrichtung der katholischen Kirche sei, sondern lediglich bei Bedarf und Anlass einberufen werden könne. M. E. liegt hier aber kein Missverständnis vor, da Luther aufgrund seiner Vorstellung des Konzils als Versammlung der Gemeinde die Ansicht vertrat, das christliche Konzil existiere wie eine verfassungsmäßig eingerichtete Körperschaft auch dann, wenn sie nicht tage. Dass bei Luther möglicherweise noch konziliaristische Vorstellungen nachklangen, die von der ständigen Anrufung des Konzils ausgingen, macht Becker, Appellation, 252 unter Hinweis auf die Rechtsgutachten zur Mainzer Stiftsfehde und die Körperschaftstheorie mittelalterlicher Juristen deutlich. 331 WA 7; 81,11–14: Neque enim ideo imperium aut senatus nihil est, quia Imperator cum principibus aut senatores non sunt congregati, quorum interest congregari, sicut hic insigniter et crasse delyrat Leo cum suis leunculis. 332 AaO. 81,17–31. Siehe WAB 2; 211,41–45. 333 Dass er seine Sache, wie seit Sommer 1520 offen vertreten, als Christi Sache ansah, unterstreicht Luthers Versprechen, die Obrigkeit werde am Jüngsten Tag „mit der vollendeten Gnade belohnt“. – Bereits vorher hatte er Bereitschaft zu einem Verhör signalisiert, siehe WA 7; 81,15 f. 334 In der deutschen Übertragung äußerte er sich ebenfalls nicht präziser, wenn er formulierte, aaO. 90,2–4: biß ich und meyne sach redlich beruffen und durch unvordechtige richter verhoeret, mit grundlicher schrifft widder legt werde. 335 Der sächsische Kurfürst, der seit Ende September u. a. mit seinem Berater Spalatin in Köln weilte, konzentrierte seine diplomatischen Bemühungen in der Luthersache auf die

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Nachdem Luther seine Ausführungen mit der radikalen Bemerkung abgeschlossen hatte, dass bei einer Fortsetzung der päpstlichen Unterstützungspolitik es der weltlichen Obrigkeit unmöglich werde, selig zu werden, und er selbst sich mit der vorgelegten „treulichen und brüderlichen“ Warnung entlasten möchte, folgten die notariellen Instruktionen sowie die Nennung der Zeugen.336

3.2. Das Konzilsverständnis Der genaue Vergleich zwischen der lateinischen Appellationsurkunde und dem deutschen Text eröffnet hinsichtlich des Konzilsbegriffs eine in der Forschung bisher nicht beachtete Differenz. Gegenüber der lateinischen Urkunde, in der von einem künftigen Konzil (futurum Concilium) gesprochen wird, charakterisiert Luther dies in der deutschen Version als „eyn frey Christlich Concilium“337, wie er es bereits im Titel verdeutlicht. Im lateinischen Text wird diese Bestimmung erstaunlicherweise nur ein einziges Mal in der Wendung „pro libertate et iure legitimi Concilii“338 verwendet. Dass dieses Konzil auch als „sicher“ bezeichnet wird und „eyn Christlich gemeyn Concilium“ – d. h. allgemeines Konzil – darstellte, war bereits im Appellationstext von 1518 vorgegeben. Diese Beobachtung deckt sich auch mit der Bezeichnung der Konzilsappellation in der lateinischen und deutschen Version des Sendschreibens an Leo X., welches Anfang November 1520 gedruckt vorlag. Während der lateinische Text von „ad futurum [. . .] Concilium“339 spricht, bezeichnet der deutsche Text es mit „eyn Christlich frey Concilion“.340 Diese Differenz in dem Gebrauch der Bezeichnung „freies, christliches Konzil“ fällt auf. Ist der Unterschied auf ein Schwanken im Konzilsverständnis Luthers zurückzuführen oder meint Luther im lateinischen Text das, was er im deutschen präzisiert? Zuerst ist daran zu erinnern, dass der lateinische Appellationstext eine offizielle Rechtsurkunde war, die – auch hinsichtlich der Appel-

Einberufung eines neutralen Gelehrtenschiedsgerichts, welches unter Beteiligung von Kaiser und Ständen während des kommenden Reichstages stattfi nden sollte. Mit dieser Idee, zu der sich auch Luther in seinem „Erbieten“ bereit erklärt hatte (WA 6; 480,33–481,9), hoffte der Kurfürst die Gültigkeit der Bannandrohungsbulle zu umgehen und die Luthersache zu einer Reichsangelegenheit zu machen. Vgl. den guten Überblick bei Kohnle, Reichstag, 57–63. 336 WA 7; 81,32–82,25. 337 AaO. 85,3 f. 88,6 f. („eyn zukunfftig frey, sicher Concilium“). 88,24 f. („eynis freyen Conciliums“). 89,3 („eyn Christlich Concilium“). 89,12 f. („eynis freyen Concilii“). 89,26 („freyer Christlicher Concilia“). 338 AaO. 81,21. 339 WA 7; 42,11 f. 340 WA 7; 3,11.

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IV. Die Forderung nach einem freien, christlichen Konzil (1520)

lationsinstanz – gewissen Vorgaben unterworfen war.341 Der deutsche Text hingegen war kein Rechtsdokument, sondern eine auf Information der breiteren Öffentlichkeit angelegte Schrift! Sodann war der erste Teil des lateinischen Textes eine Wiederholung der 1518 getätigten Appellation, in der Luther seinen Begriff vom freien Konzil noch nicht entwickelt hatte. Folglich wurde nur in der deutschen Überarbeitung und nicht in der lateinischen Fassung von 1520 die Appellation von 1518 als an ein freies, christliches Konzil adressiert bezeichnet.342 Und schließlich widersprechen die lateinischen Textstellen an keiner Stelle der deutschen Fassung, sondern dürfen als von Luther selbst vorgenommene Interpretationen betrachtet werden. Daher kann von einem Unterschied im Konzilsbegriff nicht auf ein Schwanken im Konzilsverständnis bei Luther geschlossen werden. Vielmehr führt er seine in der Adelsschrift erhobene Forderung nach einem freien Konzil jetzt hinsichtlich der Appellation fort. Dass er auch hier das Konzil durch die christliche Gemeinde und deren Glieder defi niert wissen will, verbalisiert Luther durch die Identifi zierung von Konzil und christlicher Gemeinde hinsichtlich der Teilnehmer.343 Offen bleibt allerdings erneut, wie sich Luther die Zusammensetzung des Konzils konkret dachte.

3.3. Die Appellation als juristische Maßnahme im Ketzerprozess Die Appellation bildete eine – aber keineswegs die einzige – Maßnahme im Schutzbemühen Luthers und seiner Rechtsberater gegen die Bannandrohungsbulle. Hatte Luther seit seiner Konzilsappellation von 1518 wiederholt auf diesen Schritt als juristisch-legitimes Mittel hingewiesen, ergriff er diese Möglichkeit jetzt aufgrund der äußeren (nicht inneren!) Notwendigkeit erneut und schuf damit eine rechtliche Situation, die der Klärung bedurfte und die die Umsetzung des Bannes verzögern sollte. Dass der Papst in seiner Bannandrohungsbulle die erste Konzilsappellation verurteilt, aus dem Verstoß gegen die Dekrete der Päpste Pius II. und Julius II. 341 Dem Charakter des Rechtsdokuments entsprechend, wurden die juristischen Formalien genau beachtet. Bei einem Vergleich mit Karlstadts Appellation, in der ebenfalls die juristische Form gewahrt wurde, ist mit Bubenheimer, Consonantia, 196 Anm. 48 festzuhalten, dass beiden Konzilsappellation ein festes notarielles Appellationsformular zugrunde lag. 342 Gegen Kolde, Luther’s Stellung, 37, der aus der Perspektive von 1518 die erste Konzilsappellation als an ein „zukünftiges legitimes freies Concil“ deutete. Der Terminus taucht vor der Adelsschrift bei Luther nicht auf! 343 WA 7; 89,15–18: wie wol es noch nit vorsamlet ist, ßo seyn doch die fur handen, die ynn eyn Concilium gehoren, das ist die Christlich gemeyne, gleich wie das Romisch reych odder eyner iglichen statt rad darumb nit sol nichts heyssen, ob die fursten und herrn, ßo dreyn gehoren, nit vorsamlet seynn. – Mit dem Begriff „christliche Gemeinde“ übersetzte Luther hier – typisch für seinen Kirchenbegriff – das Wort „Ecclesia“ (81,10).

§ 10 Die erneute Appellation an ein allgemeines Konzil (1520)

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die Möglichkeit der Verketzerung Luthers abgeleitet und die Unrechtmäßigkeit der Maßnahme hervorgehoben hatte, konnte Luther nur als Bestärkung seiner Position bewerten. Denn weil dieser kirchenrechtliche Anspruch des Papstes keineswegs von allen Kanonisten und Theologen getragen wurde, nutzte Luther in diesem Rechtskonfl ikt, der um die Frage nach der Vorrangstellung von Konzil oder Papst kreiste, die juristisch umstrittene Autoritätenfrage. Weil er der Überordnung des Konzils als Versammlung der christlichen Gemeinde anhing, war es nur konsequent, die kirchliche Entscheidungsinstanz erneut im Konzil zu suchen. Durch das Mittel der Appellation entzog er dem Papst und seinen Beamten die Urteilsfähigkeit im Ketzerprozess und delegierte eine Entscheidung an das künftige allgemeine Konzil. Somit war der „Schachzug“ keineswegs ein reines Manöver, sondern ein ernstes juristisches Bemühen um die Aufschiebung der Vollstreckung des angedrohten Ketzerurteils und ein Mittel des Rechtsschutzes. Dass Luther die Appellation zwar nicht als lebensnotwendigen, aber durchaus als wesentlichen Schritt ernst nahm, verdeutlicht sein Anfang November an den Stadtrat von Wittenberg gerichtetes Ersuchen, sich der Appellation anzuschließen. Diese Anfrage, die in der Appellation im Aufruf an die Obrigkeit generell geäußert wurde, zielte konkret darauf, das Interdikt, das der Stadt drohte, mit Hilfe des Rechtsmittels der Appellation abzuwehren und den geplanten Schritt auf eine breitere Grundlage zu stellen. Der Stadtrat, welcher der Appellation grundsätzlich positiv gegenüber stand, suchte mit dem Hinweis, dass diese Angelegenheit äußerst bedeutsam sei, die Meinung der kurfürstlichen Räte durch Fabian von Feilitzsch einzuholen, wie in dieser Sache zu verfahren sei.344 Die kursächsischen Räte wandten sich ihrerseits nun an die Wittenberger Juristen Hennig Göde, Wolfgang Stehelin, Hieronymus Schurf und Christian Bayer mit der Bitte um ein Gutachten hinsichtlich der Konzilsappellation.345 Wie dieses Gutachten ausfiel und was die Wittenberger Stadträte Luther antworteten, ist nicht erhalten. Am 28. November zeigte sich Luther gegenüber Johann Lang noch zuversichtlich, dass der Wittenberger Rat seiner Appellation beitreten werde.346 Weil weitere Nachrichten hierüber fehlen, steht zu vermuten, dass sich der Stadtrat der Konzilsappellation nicht anschloss. 344 Walch 2 15, 1608: [. . .] wie Doctor Martinus bey uns befahrt wehre, wie wol er vorlengst in das heylig künfftige concilium appellirt, das er in geistliches bannes beschwerung kommen mochte, der halben beyen uns, dem Rath, von wegen der gantzen gemeynheit verschafft in synnen, daß wir Im in seyner appellation adheriren wolthen. Dieweyl dann diese sachen ehtwas groß und wichtigk, [. . .]. – Hierbei bezogen sich Luther und die Stadträte auf die erste Konzilsappellation (angezeigt durch das Wort „vorlengst“), da die Erneuerung der Appellation noch nicht durchgeführt war. 345 Walch 2 15, 1609 Nr. 480 (Kurfürstliche Räte an die gelehrten Räte zu Wittenberg, [ohne Ort und Datum]). 346 WAB 2; 218, 6 f. Nr. 354 (Luther an Johann Lang, Wittenberg, 28. 11. 1520): Nos cogitamus de adhaesione appellationis.

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IV. Die Forderung nach einem freien, christlichen Konzil (1520)

Diese zögerliche Haltung dürfte im Zusammenhang mit der kurfürstlichen Lutherschutzpolitik stehen, in der der Konzilsgedanke keine unmittelbare Rolle spielte. Für Friedrich den Weisen bildete der kommende Reichstag den Ort, an dem Luther verhört werden sollte. Dass auch Luther schließlich über die Maßnahme der Konzilsappellation hinaus ging, minderte die Ernsthaftigkeit der Anrufung des künftigen, freien Konzils in keiner Weise.

3.4. Die Appellation als publizistische Maßnahme im Reformationsgeschehen Anders als bei der mehr oder weniger ungeplanten Publikation der Konzilsappellation von 1518 diente die rasche Veröffentlichung der lateinischen und deutschen Appellation dem Ziel, in der Öffentlichkeit um Unterstützung gegen die Bannandrohungsbulle zu werben. Insbesondere die deutsche Schrift, die mehrere Auflagen erlebte347, war – wie bereits angedeutet – aufgrund des Fehlens jeglicher notarieller Formalien als Informationstraktat und Rechenschaftsbericht und nicht als Appellationsdokument verfasst.348 Neben der Information der Öffentlichkeit und der öffentlichen Rechenschaft über sein Vorgehen wandte sich Luther mit seiner Veröffentlichung jetzt an die weltliche Obrigkeit. Ähnlich seinem Reformationsaufruf an den Kaiser und den deutschen Adel, ein freies, christliches Konzil einzuberufen, forderte Luther nun Kaiser und Adel auf, der Bulle keine Folge zu leisten, sich um des Evangeliums und des Gewissens willen der Appellation anzuschließen und für ein freies, christliches Konzil zu kämpfen. Dieses in dem öffentlichen Instrument verbalisierte Anliegen, das von der Forschung vielfach übersehen wurde, bildete neben der juristischen Dimension Luthers ureigenstes Interesse an der Erneuerung des Rechtsinstituts, wie er es in seinem Brief an Spalatin Anfang November geäußert hatte. Folglich ist es naheliegend und mit der Adelsschrift in Zusammenhang zu bringen, wenn er als Adressaten der Konzilsappellation nicht allein die Öffentlichkeit, sondern in erster Linie die weltliche Obrigkeit angesprochen wissen wollte. Obwohl sich die weltliche Obrigkeit – soweit bekannt – der Konzilsappellation Luthers nicht ausdrücklich anschloss, verfehlte Luthers öffentlicher Akt 347 Während die lateinische Fassung nur drei Drucke erlebte (Benzing 1,91/ 2,74 f. Nr. 770–771a), kam die deutsche Fassung auf acht Drucke im Jahr 1520 (Benzing 1,91 f./2,75 Nr. 772–778a). 348 Ähnlich wie der kurz zuvor veröffentlichte „Sendbrief “ an Leo X., in dem dieser nicht direkt angegriffen worden war, sollte diese Schrift der Verteidigung dienen, wobei jetzt die Person des Papstes nicht mehr geschont wurde. Auf der strukturellen Ebene fand eine gewisse Wiederholung der Situation von 1518 statt, da damals der die Person des Papstes schonende Appellation von Cajetan an den Papst die schärfere Appellation vom Papst an das Konzil gefolgt war.

§ 10 Die erneute Appellation an ein allgemeines Konzil (1520)

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seine Wirkung nicht: Der Ruf nach einem freien, christlichen Konzil sollte von jetzt an nicht mehr verstummen! 349

4. Der öffentliche Bruch mit Rom Bald sollte Luther zu einem weiteren öffentlichkeitswirksamen Akt schreiten, der unter erneuter Beteiligung des befreundeten Notars Johannes Agricola stattfand: Am Montag, dem 10. Dezember, 60 Tage nach Übermittlung der Bulle nach Wittenberg, überantwortete Luther morgens um 9 Uhr vor dem Elstertor die Bannandrohungsbulle dem lodernden Scheiterhaufen. Außerdem wurden das kirchenrechtliche Handbuch von Angelus de Clavasio, Schriften von Eck und Emser und das „Corpus Juris Canonici“ den Flammen übergeben.350 Mit dieser Bücherverbrennung, die Luther bereits im Juli 1520 gegenüber Spalatin in Erwägung gezogen 351 und zu der Melanchthon durch Anschlag an der Stadtkirche die Wittenberger Studentenschaft eingeladen hatte,352 reagierte der Wittenberger Theologieprofessor nicht nur auf die Verbrennung seiner Schriften in Löwen, Köln und anderen Orten, sondern bekundete seine ablehnende Haltung gegenüber dem geistlichen Recht und vollzog somit den Bruch mit der auf den kirchenrechtlichen Bestimmungen basierenden römischen Papstkirche. In seiner Schrift „Warum des Papstes und seiner Jünger Bücher von D. Martin Luther verbrannt sind“353 begründete er die Verwerfung des päpstlichen Kirchenrechts. Als Beispiel fügte er dreißig „Artickell unnd yrtumb ynn des geystlichen rechts und Bepstlichen buchern, darumb sie billich zuvorprennen und zu meyden seyn“354 an. Im 4. Irrtumssatz nannte er die kirchenrechtliche Mei349

Siehe unten, Kapitel VI und VII passim. Vgl. u. a. H. Boehmer, Luther und der 10. Dezember 1520 (LuJ 2/3, 1920/21, 7–53); Ders., Der junge Luther, 302–310; Brecht, Luther 1, 403–406; H. Beschorner, Die sogenannte Bannbulle und ihre angebliche Verbrennung durch Luther am 10. Dezember 1520 (in: Forschungen aus mitteldeutschen Archiven. FS für Hellmut Kretzschmar [Schriftenreihe der Staatlichen Archivverwaltung 3], Berlin 1953, 315–327); Schwarz, Luther, 101 f.; WA 7; 152 f. Einen forschungsgeschichtlichen Überblick hinsichtlich der Beurteilung des 10. Dezembers 1520 bietet bis zum Jahr 1972 mit Schwerpunkt auf der Interpretation des kanonischen Rechts Mühlmann, Luther und das Corpus Iuris Canonici, 282–297. 351 WAB 2; 137,27–31 Nr. 310 (Luther an Spalatin, [Wittenberg, 10. 7. 1520]). – Vgl. Maurer, Reste, 191. 352 WA 7; 183. 353 WA 7; (152) 161–182. – Ein vermutlich von Kardinal Ägidius von Viterbo verfasstes kuriales Gutachten vom Winter 1520/21 analysiert H. Tüchle, Des Papstes und seiner Jünger Bücher. Eine römische Verteidigung und Antwort auf Luthers Schrift „Warum des Papstes und seiner Jünger Bücher von D. M. Luther verbrannt sind“ aus dem Jahre 1521 (in: Bäumer, Lutherprozess und Lutherbann, 49–68). 354 WA 7; 165,1–3. Die Artikel fi nden sich: AaO. 165,4–176,3. 350

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IV. Die Forderung nach einem freien, christlichen Konzil (1520)

nung, der Papst stehe über Konzilien und Ordnungen,355 fügte im 5. Satz an, der Papst habe volle Gewalt über alle Rechte356 und summierte im 6. Artikel: „Daraus folget, das der Bapst macht habe, alle Concilia und alle ordnung zu reyssen, wandeln und setzen, wie er denn teglich thutt, da mit keyn macht noch nutz ubirbleybt den Conciliis und Christlichen ordnungen.“357

Neu waren diese Aussagen nicht, sondern sie wiederholten das, was Luther ausführlicher als dritte Mauer in seiner Adelsschrift beschrieben hatte.

355 AaO. 166,2–4: Der Bapst und seyn stuel seyn nit schuldig unterthan tzu seyn Christlichen Conciliis und ordnungenn, cap. ‚Significasti‘ de elect. – Hier bezog sich Luther auf die mehrfach von ihm angeführte Stelle aus dem CorpIC, Decr. Greg. IX., I tit. 6 c.4 [Friedberg 2, 49 f.]. 356 WA 7; 166,6 f. 357 AaO. 166,9–12.

V.

Die Politisierung und Problematisierung der Konzilsthematik im Umfeld des Wormser Reichstages (1521) Für die Genese von Luthers Konzilsverständnis begann mit dem zeichenhaften Akt der Verbrennung der Bannandrohungsbulle eine neue Phase. Jetzt hatte er sich nicht nur öffentlich von der römischen Kirche mit ihren Autoritätsstrukturen theologisch distanziert, sondern auch die Papstkirche in einer notariell beaufsichtigten Inszenierung quasi exkommuniziert. Die sich vom päpstlichen Kirchensystem befreiende reformatorische Entwicklung, deren theologische und frömmigkeitspraktische Nuancen Luther wie gesehen im Sommer und Herbst 1520 in verschiedenen Schriften und Briefen wirkmächtig entfaltet hatte, war, verstärkt durch die kirchenamtliche Verketzerung des Wittenberger Theologen, zwangsläufig auf einen Bruch mit der römischen Kirche hinausgelaufen. Der radikale Bruch, über dessen lebensbedrohliche Tragweite sich der Wittenberger Theologe durchaus bewusst war, musste – so steht zu vermuten – auch für Luthers Beurteilung der kirchlichen Konzilsinstitution Konsequenzen haben. Denn mit der sinnfälligen Bekämpfung des antichristlichen Charakters des Papsttums wurden nicht nur wie bisher alle die Papstkirche unterstützenden Autoritäten problematisiert, sondern von der Heiligen Schrift her grundstürzend in Frage gestellt. Welche Auswirkungen diese „Radikalisierung“ auf Luthers unmittelbare Bewertung der Konzilsthematik und auf eine mögliche Weiterentwicklung seiner 1520 geäußerten „reformatorischen“ Konzilsidee hatte, ist in einem ersten Schritt durch die Analyse der zentralen Äußerungen Luthers vom Winter 1520/21 herauszuarbeiten (§ 11). Diese Untersuchung ist notwendig, weil zwar Luthers schrifttheologische und ekklesiologische Konsequenzen infolge des römischen Bannes von der Lutherforschung durchleuchtet,1 die Auswirkungen für das Konzilsverständnis aber bisher kaum beachtet wurden.

1 Vgl. z. B. H.-Ch. Daniel, Luthers Ansatz der claritas scripturae in den Schriften Assertio omnium articulorum und Grund und Ursach aller Artikel (1520/21) (in: T. Mannermaa, A. Ghiselli und S. Peura [Hg.], Thesaurus Lutheri. Auf der Suche nach neuen Paradigmen der Luther-Forschung; Referate des Luther-Symposiums in Finnland 11.–12. November 1986 [Veröffentlichungen der fi nnischen theologischen Literaturgesellschaft 153], Helsinki 1987, 279–290); Hammann, Ecclesia spiritualis, 125–241; Höhne, Luthers Anschauungen, 73–75.

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V. Die Politisierung und Problematisierung der Konzilsthematik (1521)

Dies ist umso erstaunlicher, als Luthers konzilstheologische Position kurze Zeit später, im Frühjahr 1521, höchst politischen Charakter erhielt! Denn auf dem Reichstag zu Worms wurde er – was kaum bekannt sein dürfte – massiv mit der Konzilsthematik konfrontiert. Folglich stellt sich die für die Reformationsgeschichtsforschung brisante Frage, welche Rolle das Konzilsthema auf dem Wormser Reichstag spielte. In welcher Form kam Luther mit der Thematik vor dem höchsten Gremium des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation in Berührung? Wie reagierte er auf die politische Konfrontation? Lassen sich Kontinuitäten oder Diskontinuitäten in der Begründung seines Konzilsverständnisses vor Kaiser und Reich aufdecken? Und welche Konsequenzen ergaben sich für ihn aus seiner Haltung zum Konzil? Diese und weitere Aspekte sind in einem zweiten, weitaus umfangreicheren Schritt zu behandeln (§ 12). Weil über Luthers Auftritt hinaus dem Konzil in seiner politischen, kontroverstheologischen und juristischen Mehrdimensionalität insgesamt eine große Bedeutung auf dem Reichstag zukam und es nicht zuletzt Eingang in das Wormser Edikt fand, ist die Untersuchung auf die politische Kontextualisierung des Konzilsgedankens auszudehnen und auf die verhandelten konziliaren Diskursstränge hin zu befragen. Schließlich gilt es, die Ergebnisse der Analyse zusammenzufassen (§ 13), indem zum einen Kaiser und Reichsstände in den Blick genommen werden und ein skizzenhafter Ausblick auf die Entwicklung der politischen Konzilsforderung der folgenden Reichstage gegeben wird.2 Zum anderen sind Luthers Konzilsvorstellungen auf dem zuvor entfalteten Hintergrund der kirchlichen und politischen Entwicklungen jener Monate zu perspektivieren und Modifi kationen oder Identitäten zu thematisieren. Insofern befasst sich dieses Kapitel insgesamt mit der bis heute kaum genauer erforschten Problematisierung und Politisierung der Konzilsthematik im Umfeld des Wormser Reichstages.

2 Einen Überblick über die Reichstage zwischen 1521 und 1555 geben A. Kohnle und E. Wolgast, Art. Reichstage der Reformationszeit (TRE 28, 1997, 457–470).

§ 11 Wachsende Konzilskritik als Reaktion auf die Bannandrohungsbulle Im Rahmen der kursächsischen Lutherschutzpolitik ließ Kurfürst Friedrich über Spalatin dem Wittenberger Theologen im Herbst 1520 mitteilen, er möge zu den in der Bannandrohungsbulle für häretisch erklärten Lehrsätzen Stellung beziehen und sie eingehend aus der Heiligen Schrift begründen.3 Obwohl Luther meinte, mit seiner Schrift „Adversus execrabilem Antichristi bullam“ und der erweiterten deutschen Version „Wider die Bulle des Endchrists“ hinreichend auf die „satanische Bulle“ reagiert zu haben, und keine weitere schriftliche Stellungnahme gegen sie abfassen wollte,4 verfasste er die von seinem Landesherrn erbetene Stellungnahme. So begann Luther Ende November oder Anfang Dezember 1520 mit der Abfassung seiner Bekräftigung und Begründung der 41 verdammten Sätze, deren lateinische Fassung Mitte Januar 1521 unter dem Titel „Assertio omnium articulorum M. Lutheri per bullam Leonis X. novissimam damnatorum“5 gedruckt vorlag.6 Parallel arbeitete er an einer teilweise ausführlicheren, für Luther „klareren und einfacheren“ deutschen Fassung,7 die sechs Wochen später unter der Überschrift „Grund und Ursach aller Artickel D. Martin Luthers, so durch römische Bulle unrechtlich verdammt sind“8 publiziert wurde und als Beitrag für den Reichstag zu Worms und die dort zu erwartende Entscheidung in der Luthersache formuliert war. Diese zum Teil gegen das Papsttum schärfere Schrift, die sich an das Volk wandte, war nicht nur als Aus3 Siehe WAB 2; 220,5 f. Nr. 355 (Luther an Spalatin, Wittenberg, 29. 11. 1520): Articulos singulos damnatos a Bulla mox aggrediens suscipio defendendos singulos, sicut scripsisti, et a me peti intelligo. – Vgl. aaO. 221 Anm. 3. 4 WAB 2; 211,26–33 Nr. 351 (Luther an Spalatin, Wittenberg, 4. 11. 1520): Edidi latinam antibullam, quam mitto; cuditur & eadem vernacula. [. . .] Moderata imperia non sunt Romani pontificis imperia, quibus Christus extinguitur & abnegatio fidei mandatur. Ego prae mera indignitate rei breuis esse coactus sum. Ita me Satanica ista bulla excruciat, peneque in totum obticuissem. Quis enim Satan vnquam tam impudenter ab initio mundi locutus est in Deum? 5 WA 7; (91) 94–151 = LDStA 1; 71–217. Die verdienstvolle lateinisch-deutsche Studienausgabe übersetzt „Assertio“ mit „Wahrheitsbekräftigung“, das zwar interpretatorisch richtig, vom Wortlaut allerdings irreführend ist. „Assertio“, so wie es von Luther verstanden wurde, sollte einfacher mit „Behauptung“ oder „Meinungsäußerung“ übersetzt werden. 6 Am 16. Januar schickte Luther Spalatin ein komplettes Druckexemplar nach Worms. Siehe WAB 2; 249,8 f. Nr. 368 (Luther an Spalatin in Worms, Wittenberg, 16. 1. 1521). 7 WAB 2; 249,10: Vernacula erit planior & simplicior. 8 WA 7; (299) 308–457 = Cl 2; 60–132 = StA 2; (310) 314–404.

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V. Die Politisierung und Problematisierung der Konzilsthematik (1521)

einandersetzung mit der Bannandrohungsbulle, „sondern auch als Akt der Vorbereitung für das Auftreten vor Kaiser und Reich“ zu verstehen.9 In beiden Schriften verteidigte Luther anhand der von der Bulle vorgegebenen Reihenfolge seine 41 Artikel, denen er in der „Assertio“ erstmals in komprimierter und luzide fundierter Form eine schrifthermeneutische Grundlage voranstellte, welche die Basis für seine Bewertung und Gewichtung der Kirchenväter, aber auch der Konzilsthematik darstellte. Daher mag die folgende, umrisshafte Skizzierung dieses theologischen Fundaments für den Interpretationsrahmen dienlich sein. Weil Luther auch zu den die Konzilsthematik betreffenden Artikeln 16, 28, 29 und 30 der Bulle Stellung bezog, wird seine Argumentation hier eingehender zu untersuchen sein. Es stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage, wie Luther jetzt, nachdem er soeben in seiner Appellation zukunftsgewandt ein freies, christliches Konzil gefordert hatte, mit der ihm zum Vorwurf gemachten Kritik an den vergangenen Konzilien umging. Finden sich Spuren der positiven Beurteilung der künftigen Konzilsinstanz in den zwei Schriften? Welcher Art war sein Umgang mit den kirchlich rezipierten früheren Konzilsbeschlüssen? Inwiefern ging Luther auf seine bisherigen, kritischen Konzilsinterpretationen ein und wie begründete er sie? Obwohl – und dies sei vorweg bemerkt – die Schriften ganz auf der bisher eingeschlagenen konzilskritischen Linie stehen, kommt ihnen im Blick auf den nahenden Wormser Reichstag besonderes Gewicht zu.

1. Die Heilige Schrift als Norm und Richter Während Luther im Streit mit der Papstkirche immer mehr die alleinige Schriftautorität unter Zurückdrängung der kirchlichen Autoritäten betont und die Überordnung der Heiligen Schrift über die menschlichen Institutionen begründet hatte, formulierte er in der „Assertio“ jetzt erstmals in brennpunktartiger Deutlichkeit und fundamentaltheologischer Klarheit sein reformatorisches Schriftprinzip.10 9

StA 2; 312. Die Literatur zu Luthers Schriftprinzip und Schriftverständis ist überbordend und kann hier keineswegs nur annähernd wiedergegeben werden. Daher sei pars pro toto verwiesen auf die weiterführenden Beiträge von: A. Beutel, In dem Anfang war das Wort. Studien zu Luthers Sprachverständnis (HUTh 27), Tübingen 1991, 235–252 (Literaturangaben: 235– 237 Anm. 175); Ders., Erfahrene Bibel. Verständnis und Gebrauch des verbum dei scriptum bei Luther (ZThK 89, 1992, 302–339 [Wiederabdruck in: Ders., Protestantische Konkretionen. Studien zur Kirchengeschichte, Tübingen 1998, 66–103]); G. Ebeling, Evangelische Evangelienauslegung. Eine Untersuchung zu Luthers Hermeneutik (FGLP 10,1), München 1942, Tübingen 31991; Ders., Luther. Einführung in sein Denken. Mit einem Nachwort von A. Beutel, Tübingen 52006, 100–119; Ders., „Sola scriptura“ und das Problem der Tradition (in: Ders., Wort Gottes und Tradition. Studien zu einer Hermeneutik der Konfessionen [KiKonf 7], 1964, 91–143); Ders., Luther und die Bibel (in: Ders., Lutherstudien 1, 1–68); 10

§ 11 Wachsende Konzilskritik als Reaktion auf die Bannandrohungsbulle

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In der Einleitung zur „Assertio“ bezeugt Luther seine im Streit mit Rom vielfach bekundete Meinung, dass keine Autorität irgendeines heiligen Vaters ihn nötigen könne, seine Aussagen zu revidieren, es sei denn, er werde durch das Urteil der Heiligen Schrift eines besseren belehrt.11 Diesen seine fundamentale Position umreißenden Satz entfaltet Luther sodann näher, wobei ihm ein argumentativ-hermeneutisches Kabinettstück gelingt: Zwar verbieten die päpstlichen Kanones, die Heilige Schrift nach dem eigenen Geist (proprius spiritus) auszulegen,12 welches als Gesetz auch gegen Luther vorgetragen werde, doch hätten die Romanisten den Sinn dieser Aussage dahingehend missverstanden, dass sie die Bibel zur Seite gelegt und sie nach ihrem eigenen Geist und Gutdünken ausgelegt hätten.13 Mit der falsch verstandenen hermeneutischen Regel hätten sie nicht das gesucht, was die Heilige Schrift sage, sondern das, was die menschlichen Ausleger über die Heilige Schrift meinen.14 Dies sei soweit gegangen, dass man den Papst allein zum rechten Schriftinterpreten gekürt und betont habe, dieser könne in Glaubensdingen nicht irren.15 Gegen die hermeneutische Verwechselung des „spiritus proprius“ mit dem menschlichen Geist des Auslegers, der nur täuschen und nicht gewiss machen könne, selbst wenn er Augustin heiße,16 unterstreicht Luther, „dass die Schriften nur durch denjenigen Geist zu verstehen sind, in dem sie geschrieben worden“ seien.17 Die rechte Schriftauslegung hört nach Luther allein auf den Geist des Textes, während sie den eigenen Geist und den Geist anderer Schriftausleger abwehrt.18 Denn weil sich selbst die Schriftinterpretationen der Kirchenväter untereinander widersprechen, könne ein gewissmachendes und klares Urteil auf eine strittige Frage N. Slenczka, Die Schrift als „einige Norm und Richtschnur“ (in: K.-H. Kandler [Hg.], Die Autorität der Heiligen Schrift für Lehre und Verkündigung der Kirche, Neuendettelsau 2001, 53–78). Zu „Assertio“ und „Grund und Ursach“ konkreter vgl. Daniel, Luthers Ansatz, 279–290. 11 WA 7; 96,4–6. Vgl. die Untersuchung der Autorität der Schrift anhand der „Assertio“ bei Beutel, Erfahrene Bibel, 77–79. 12 AaO. 96,9–11: Dicentque illud omnium ore et calamo usitatum, a paucis tamen intellectum, quod in Canonibus pontificum docetur, Non esse scripturas sanctas proprio spiritu interpretandas. 13 AaO. 96,11–14. 14 AaO. 96,14 f. 15 AaO. 96,15–19. 16 AaO. 96,21–34. 17 AaO. 96,35–97,3: Error itaque manifestus est, hoc verbo ‚non licet scripturas proprio spiritu intelligere‘ nobis mandari, ut sepositis sacris literis intendamus et credamus hominum commentariis. Hanc, inquam, intelligentiam absque dubio Satanas ipse invexit, quo nos a nostris, id est sacris, literis longissime avocaret et desperatam scientiam scripturae nobis faceret, cum sic potius sit intelligendum, scripturas non nisi eo spiritu intelligendas esse, quo scriptae sunt, qui spiritus nusquam praesentius et vivacius quam in ipsis sacris suis, quas scripsit, literis inveniri potest. 18 AaO. 97,3–19. Vgl. Beutel, Erfahrene Bibel, 79. – Siehe auch WA 7; 98,40–99,2: Nolo omnium doctior iactari, sed solam scripturam regnare, nec eam meo spiritu aut ullorum hominum interpretari, sed per seipsam et suo spiritu intelligi volo.

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V. Die Politisierung und Problematisierung der Konzilsthematik (1521)

nicht mittels menschlich-autoritativer Interpreten gefunden, sondern nur mit der Heiligen Schrift als Richterin gefällt werden.19 Daher weist Luther resümierend vom katholischen Traditionsprinzip auf die Heilige Schrift, die „durch sich selbst ganz gewiss ist, ganz leicht zugänglich, ganz verständlich, ihr eigener Ausleger, alles von allen prüfend, richtend und erleuchtend“.20 Da die Schrift sich selbst auslegt (sui ipsius interpres) und für alle Leser klar und verständlich ist,21 gilt: „Also sollen die ersten Prinzipien der Christen nichts als die göttlichen Worte sein, aller Menschen Worte aber daraus gezogene Schlussfolgerungen, die auch wieder darauf zurückgeführt und daran erwiesen werden müssen.“22

Vom Schriftprinzip her erhalten – so Luther unter Berufung auf Augustin 23 – die Kirchenväter wie alle kirchlichen Autoritäten ihr Ansehen, das sie auch nur dann erhalten können, wenn ihre Aussagen aus der Bibel als „recht lehenherr und meister uber alle schrifft unnd lere auff erden“24 abgeleitet, an ihr gemessen und von ihr her beurteilt werden können.25 Um das Kriterium der schrifthermeneutischen Urteilskraft zu untermauern, beruft sich Luther auf die von ihm häufig traktierten apostolischen Mahnungen „Prüft alles, und was gut ist, behaltet“ (I Thess 5,21) und „Wenn jemand ein anderes Evangelium verkündigt als das, das ihr empfangen habt – verflucht sei er!“ (Gal 1,8) sowie „Prüft die Geister, ob sie von Gott sind“ (I Joh 4,1).26 Zur Verdeutlichung verweist er auf die personalen und konziliaren Beispiele von Petrus und den übrigen Aposteln, wenn er unter Bezug auf das Apostelkonzil in Act 15 betont, alle dort Versammelten hätten ihre Worte aus der Heiligen

19 AaO. 97,19–22: Aut dic, si potes, quo iudice fi nietur quaestio, si patrum dicta sibi pugnaverint. Oportet enim scriptura iudice hic sententiam ferre, quod fieri non potest, nisi scripturae dederimus principem locum in omnibus quae tribuuntur patribus [. . .]. 20 AaO. 97,22–24: hoc est, ut sit ipsa per sese certissima, facillima, apertissima, sui ipsius interpres, omnium omnia probans, iuducans et illuminans. – Übersetzung nach LDStA 1; 81,2–5. 21 Vgl. Oswald Bayer, Martin Luthers Theologie. Eine Vergegenwärtigung, Tübingen 2 2004, 62–70; W. Mostert, Scriptura sacra sui ipsius interpres. Bemerkungen zum Verständnis der Heiligen Schrift durch Luther (LuJ 46, 1979, 60–96), 62–67. 22 WA 7; 98,4–6: Sint ergo Christianorum prima principia non nisi verba divina, omnium autem hominum verba conclusiones hinc eductae et rursus illuc reducendae et probandae. – Übersetzung nach LDStA 1; 81,30–33. 23 Wie bereits oben, Kapitel II § 2.2.2., zu WA 1; 647,22–25 ausgeführt sowie WA 7; 315,35–38 u. ö. bezieht sich Luther mit seiner Aussage auf Augustin in seinem Brief an Hieronymus, aaO. 99,5–10: Ego solis eis libris, qui canonici dicuntur, eum deferre honorem didici, ut nullum eorum scriptorem errasse fi rmiter credam, caeteros vero, quantalibet sanctitate doctrinaque praepolleant, ita lego, ut non ideo verum credam, quia ipsi sic senserunt, sed si per Canonicas scripturas aut ratione probabili mihi persuadere potuerunt. 24 WA 7; 317,7 f. 25 Siehe WA 7; 98,7–99,22. Vgl. Merkt, Das patristische Prinzip, 123 f. 26 WA 7; 99,23–29.

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Schrift abgeleitet.27 Luthers Beweisgang gipfelt schließlich in Christus, der, obwohl er durch Johannes den Täufer und Gott bezeugt wurde, seine Lehren immer wieder aus der Schrift begründete.28 Daher lehnt Luther den ihm von seinen Gegnern vorgeworfenen „Irrsinn“ ab, dass „die Schriften, aus denen wir Zeugnisse für unsere Ansichten heranziehen müssen“, durch Zeugnisse von Menschen erwiesen und gesichert werden müssen.29 Denn die „Freiheit des Geistes und die Majestät des Wortes Gottes“ sei allen menschlichen Autoritäten und selbst den ehrenwerten, altkirchlichen Vätern – und es dürfte ergänzt werden: altkirchlichen Konzilien – vorzuziehen.30 Diese Ausführungen habe er seiner „Assertio“ deshalb vorangestellt, damit seine Gegner keinen Sieg beanspruchen können, die meinen, mit Kirchenvätersprüchen Luthers Lehre anzugreifen, da er sich einst gegenüber der scholastischen Theologie auf die Autorität der Kirchenväter berufen habe.31 Er habe die Kirchenväter den scholastischen Theologen deshalb vorgezogen, weil sie näher an der Quelle der Wahrheit stehen.32

2. Die Relativierung der durch ein Konzil vorzunehmenden Reformen Diesen grundsätzlichen Aussagen über die Kirchenväter entsprechend beurteilte Luther die Konzilsbeschlüsse nicht nur vom Wort Gottes her, sondern relativierte auch ihre kirchlich-singuläre Reformautorität, die er ihnen im Streit mit dem Papst noch kurz zuvor zugestanden hatte. Anschaulich wird das prozesshafte Zurückweichen des allgemeinen Konzils als Ort der Kirchenreform in Luthers Erläuterung zum 16. Artikel der Bannandrohungsbulle in der „Assertio“. Dort griff er einleitend den in der Bulle geforderten Widerruf seiner Lehraussagen formal auf, indem er die angeführte Doppelthese33 widerrief, die Kirche möge in einem allgemeinen Konzil den 27 AaO. 99,40 f.: Sed et Petrus et omnes Apostoli, etiam Concilio congregati Act. Xv., per scripturas sua demonstant [. . .]. 28 AaO. 100,1–5. 29 AaO. 100,6–9. 30 AaO. 100,12–14: Non tamen per haec sanctis patribus volo detractam auctoritatem et ingratitudinem pro sanctis eorum laboribus repensam, sed libertatem spiritus et maiestatem verbi dei illis praepositam. 31 AaO. 100,38–101,2. Weil verschiedene Kirchenvätersprüche von Luthers Gegnern seit der Leipziger Disputation zunehmend als argumentative Waffe gegen ihn ins Feld geführt worden waren und er selbst die Widersprüchlichkeiten der alten Väter bei vertieftem Studium entdeckt hatte, entfaltete sich u. a. angeregt durch Aussagen von Augustin das Prä der Heiligen Schriften vor allen Kirchenvätern. 32 AaO. 101,3–8. 33 AaO. 122,36–123,2: Consultum videtur, quod Ecclesia in communi Concilio statueret, laicos sub utraque specie communicandos, nec Boemi sub utraque specie communicantes sunt haeretici et schismatici. – Siehe WA 7; 389,15–19 sowie die Bannandrohungsbulle DCL 2, 378,(1–3) = DH 1466. Hierzu oben, Kapitel IV § 10.1.

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Laien beiderlei Gestalt gestatten 34 und die bisher unter beiderlei Gestalt kommunizierenden Böhmen seien keine Ketzer und Schismatiker. 35 Seinen Widerruf begründete Luther damit, dass er „viel zu mild und sanfft gesetzt habe“,36 und er betonte, indem er die politisch aufgeladene Aussage über die Böhmen pointierte: Die Griechen und Böhmen seien in diesem Stück „nit ketzer noch parteische, szondernn die aller Christlichsten unnd besten folger des Euangelii auf erden“,37 da sie den Text des Evangeliums und den altbewährten katholischen Brauch des Laienkelchs gegen die „verherenden und gottlosen Dekrete des römischen Tyrannen und Antichristen“ für sich hätten.38 Auf die Frage, durch welche kirchliche Instanz der Laienkelch wieder eingeführt werden solle, betonte Luther: „Es were gut, das nit allein ynn einem gemeynen Concilio, szondernn ein iglich Bisschoff ynn seinem bistum widderumb ordenette beyde gestalt und das gantz sacrament den leyen zugeben und folget alszo dem Euangelio on des Bapsts danck“.39

Während Luther die Entscheidungsautorität des allgemeinen Konzils zwar nicht grundsätzlich anzweifelte, aber doch deutlich durch die bischöfl iche Gewalt ergänzte, nahm er ohne nähere Begründung eine Relativierung des konziliaren Gremiums vor. Das bischöfl iche Amt hingegen erfuhr jetzt bei der Einführung des Laienkelchs und somit bei der Durchführung von dogmatisch strittigen Kirchenreformmaßnahmen eine deutliche Aufwertung, die Luther durch die Erinnerung an die bischöfl iche Hirten- und Fürsorgepfl icht für die anvertrauten „schefle Christi“ unterstrich.40 Mit dieser schriftgeleiteten Interpretation des Bischofsamtes suchte Luther die realen Bischöfe auf ihre kirchliche Autorität anzusprechen und für die Umsetzung der kirchlichen Reformen zu gewinnen, musste aber schon bald die enttäuschende Entdeckung machen, dass sie ihre Angriffe gegen den Wittenberger Professor verstärkten. Beispielsweise verdammten die benachbarten Di34 Siehe hierzu die Äußerung im Rahmen des Abendmahlssermons WA 2; 742,24–26 und ihre Erläuterungen oben, Kapitel IV § 1.1. 35 Die Bannandrohungsbulle übersetzt korrekt aus Luthers Schrift „Verklärung etlicher Artikel“, WA 6; 80,35–81,2. Diese Stelle verändert Luther in der „Assertio“ und, ihr darin folgend, „Grund und Ursach“ dahingehend, dass er die Böhmen nun als keine „haeretici et schismatici“ (WA 7; 123,1 f. aaO. 389,18 f.) bezeichnet, während er sie vorher zwar nicht als „Ketzer, sondern [als] Schismatiker“ bezeichnet hatte (Kursivdruck von mir). 36 AaO. 395,7. 37 AaO. 395,7–9. 38 AaO. 123,4–10. aaO. 395,9–15. Artikel 16 begründet Luther bezüglich des Laienkelchs in „Grund und Ursach“ (WA 7; 389,20–399,30) deutlich umfassender als in der knapper gehaltenen „Assertio“ (WA 7; 123,3–124,15). Insgesamt verschärft er gegenüber der „Babylonica“ seine Forderungen zum Gebrauch von beiderlei Gestalt im Abendmahl. 39 AaO. 399,12–15; aaO. 123,29–31. 40 AaO. 399,16–18. Daran, dass die Bischöfe für Lehre und Disziplin in ihren Diözesen Verantwortung trugen, hatte Luther auch schon früher mahnend erinnert wie z. B. in der 11. Ablassthese (WA 1; 233,31 f.).

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özesanbischöfe von Merseburg und Meißen entsprechend der Bulle Luthers Lehre und ließen Bücher von ihm in der zweiten Januarhälfte 1521 verbrennen.41 Aufgrund dieser sich im Verlauf des Jahres 1521 verdichtenden Erfahrungen verabschiedete sich Luther spätestens 1522 von dem Gedanken, dass sich die amtierenden Bischöfe gegen die Papstkirche für die Einführung des Evangeliums einsetzen würden, und wandte sich vom diözesanbischöfl ichen Ansatz dem neutestamentlich-frühkirchlichen Modell des gemeindlichen Bischofs zu, ohne die übergemeindlich-episkopale Struktur aus den Augen zu verlieren.42 Während sich Luther von dem bisher vertretenen konziliaren Ansatz zur Kirchenreform schließlich gänzlich verabschieden sollte, unterstützte er weiterhin das bischöfl iche Modell für die Einführung und Ausgestaltung der Reformation in evangelisch-modifi zierter Form.43 Spürbarer nahm Luther die Relativierung der von ihm einst geforderten Konzilsentscheide in seiner Erklärung zum 28. Artikel vor.44 In dem im Rahmen des Ablassstreites formulierten Satz hatte Luther auf die Entscheidung durch ein allgemeines Konzil in nicht zur Seligkeit notwendigen Dingen gedrungen.45 Jetzt hielt er die Beschäftigung eines Konzils oder des Papstes mit nicht heilsnotwendigen Sachen für überflüssige Zeitverschwendung, da es zahlreiche heilsnotwendige Dinge zu behandeln gebe, und kritisierte frühere Kon41 Siehe Luthers Mitteilungen in WAB 2; 251,15 f. Nr. 369 (Luther an Spalatin, Wittenberg, 21. 1. 1521); aaO. 266,15 f. Nr. 377 (Luther an Spalatin in Worms, Wittenberg, 17. 2. 1521); aaO. 275,14–22 Nr. 381 (Luther an Spalatin, Wittenberg, 6. 3. 1521) u. ö. Vgl. Volkmar, Reform, 469. 42 Den Gedanken, dass in jeder Stadt ein Bischof amtieren möge, hatte Luther bereits in der Adelsschrift unter Berufung auf Tit 1,5–7 entwickelt (WA 6; 440,21–35). Er entfaltete ihn in der im Sommer 1522 verfassten Schrift „Wider den falsch genannten geistlichen Stand des Papsts und der Bischöfe“ (WA 10,2; [93] 105–158, bes. 140,9–17), in der er sich in scharfer Polemik gegen den reichskirchlichen Diözesanepiskopat abgrenzte. Vgl. G. G. Krodel, Luther und das Bischofsamt nach seinem Buch „Wider den falsch genannten geistlichen Stand des Papstes und der Bischöfe“ (in: M. Brecht [Hg.], Martin Luther und das Bischofsamt, Stuttgart 1990, 27–65). 43 Von den zahlreichen Beiträgen zum bischöfl ichen Amt sei hier besonders hingewiesen auf: P. Brunner, Das Amt des Bischofs (Schriften des Theologischen Konvents Augsburgischen Bekenntnisses 9), Berlin 1955, 5–77; Brecht, Luther und das Bischofsamt, 1990; G. Kretschmar, Die Wiederentdeckung des Konzeptes der „Apostolischen Sukzession“ im Umkreis der Reformation (in: Ders., Das bischöfl iche Amt. Kirchengeschichtliche und ökumenische Studien zur Frage des kirchlichen Amtes, hg. von D. Wendebourg, Göttingen 1999, 300–344); D. Wendebourg, Die Reformation in Deutschland und das bischöfl iche Amt (in: Dies., Die eine Christenheit auf Erden. Aufsätze zur Kirchen- und Ökumenegeschichte, Tübingen 2000, 195–224). 44 Siehe WA 7; 133,4–134,6 und aaO. 427,28–429,26. 45 WA 7; 133,4–8: Si Papa cum magna parte Ecclesiae sic vel sic sentiret, nec etiam erraret, adhuc non est peccatum aut heresis contrarium sentire, praesertim in re non neccessaria ad salutem, donec fuerit per Concilium universale alterum reprobatum, alterum approbatum. – Siehe WA 7; 427,27–32 sowie die Bannandrohungbulle DCL 2, 382,(1–4) = DH 1478, die sich auf WA 1; 583,5–8 bezieht.

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zilsbeschlüsse als „Nichtigkeiten“ und „Altweiberfabeln“.46 Die Befolgung der nicht zur Seligkeit notwendigen Konzils- und Papstentscheide unterwarf Luther dabei der aus der christlichen Freiheit abgeleiteten Urteilsfähigkeit eines jeden einzelnen und betonte erneut, dass nicht menschlichen Meinungen, sondern nur der Heiligen Schrift zu glauben sei.47 Von einer möglichen reformatorischen Indienstnahme der allgemeinen Konzilien zur Wiederherstellung der Schriftautorität und zur Verhandlung zentraler Glaubensfragen, die sich nach Luthers früheren konziliaren Ausführungen nahelegte und mit dem Hinweis auf die Behandlung der heilsnotwendigen Sachen vorher zumindest angedeutet worden war,48 sprach der Reformator jetzt nicht mehr! Die Betonung der aus der Schriftautorität resultierenden Befreiung des Glaubens von menschlichen Gesetzen und Beschlüssen hatte für ihn absolute Priorität gewonnen vor jeglichem Gedanken an eine neuerliche Konzilsforderung als Reforminstanz.

3. Die schriftgebundene Urteilsfreiheit über die Konzilien Jene Erkenntnis erläuterte Luther in seinen Ausführungen zum 29. Artikel,49 der, den „Resolutiones“ über die Leipziger Disputation entnommen, die eigene Urteilsfreiheit über die konziliare Autorität und Macht sowie über die Handlungen und Beschlüsse eines Konzils stellte.50 Zuerst korrigierte Luther die Meinung der „Papisten“, die jene Aussage dergestalt verstünden, als ob er Beliebigkeit im Widerstehen von Konzilsbeschlüssen lehren würde. Dies habe er aber nie im Sinn gehabt noch jemals schriftlich fi xiert.51 Vielmehr habe er gesagt, dass den Konzilien zu widersprechen und zu widerstehen sei, „wenn sie irgendwann Widersprechendes“ beschlössen, das entweder gegen die Schrift 46 WA 7; 133,9–30. Zu den nichtigen Beschlüssen zählte Luther die Bestimmungen über die Ablässe, den Primat des Papstes und die Wandlung des Brotes. In „Grund und Ursach“ kritisierte Luther die Aufnahme des 28. Satzes als häretischen Artikel, obwohl dieser nur von zur Seligkeit unnötigen Dingen spreche, und plausibilisierte das kuriale Verhalten als ungerecht mit dem Hinweis auf den päpstlichen Umgang mit den Vertretern und Gegnern des im Basler Konzil gefassten Beschlusses zur Immaculata Conceptio. AaO. 429,2–7, siehe auch oben, Kapitel II § 2.1.2. 47 AaO. 133,33–37. 48 AaO. 133,16 f.: cum tam multa sint necessaria ad salutem, quae sola tractari oporteat. – Zum Begriff der Heilsnotwendigkeit vgl. R. Mau, Der Gedanke der Heilsnotwendigkeit bei Luther (ThA 26), Berlin 1969. 49 WA 7; 134,8–135,10 und aaO. 429,28–18. 50 AaO. 134,8–11: Via nobis facta est enervandi autoritatem conciliorum et libere contradicendi eorum gestis et iudicandi eorum decreta et confidenter confitendi, quicquid verum videtur, sive probatum, sive reprobatum fuerit a quocunque Concilio. – Siehe aaO. 429,28– 31 und zur Bannandrohungsbulle DCL 2, 382,(5–7) = DH 1479, die ein Mischzitat aus WA 2; 406,1 f. und aaO. 404,15–17 formuliert. 51 WA 7; 134,12–14. aaO. 429,32–34.

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oder gegen andere Konzilien gerichtet sei.52 Für ihn gelte: „Scripturam, inquam, volo iudicem esse Conciliorum“.53 Denn die „schrifft ist unser recht und trotz, da mit wir auch einem engel von hymel mugen widderstreben, wie sanct Paulus Gal i. [1,8] gepeutt, schweyg [geschweige denn] einem Bapst und Concilio“.54 Während Luther in „Grund und Ursach“ seine schrifttheologische Paradestelle Gal 1,8 für die Laien verdeutlichte,55 erklärte er in der „Assertio“: Er habe den Satz von der Schrift als Richterin wegen der „neuerlichen Konzilien“ gesagt, in denen nichts Schriftgemäßes, sondern alles „gemäß rein menschlichen Festsetzungen und Träumen“ beschlossen worden sei. Daher seien sie eher „Marktplätze der Menschen“ (hominum conciliabula) als „Konzilien der Kirchen“ (Ecclesiae concilia) zu nennen.56 Mit dieser polemischen Charakterisierung der neueren Konzilien, zu denen neben dem Konstanzer auch das 5. Laterankonzil zählte, erneuerte Luther seine bekannte Kritik an den Papstkonzilien.57 Zur Stützung der individuellen Urteilsfreiheit verwies er auf seine Referenzstelle im Panormitanus: Einem einzelnen Gläubigen sei mehr zu glauben als einem Konzil oder dem Papst, wenn er „bessere Autorität“ (meliorem autoritatem) oder „Vernunft“ (rationem) für sich habe.58 In „Grund und Ursach“ verdeutschte Luther den Sachverhalt mit den Worten: „szo er klare schrifft odder helle vornünfft furlegt[,] denn bapst unnd Concilio“59 und unterstrich diesen Beleg durch die unangefochtene Autorität des Panormitanus bei den Juristen.60 In seiner „Assertio“ deutete Luther – noch in Frageform – die Konsequenz aus diesem Gedankengang an: Wenn einem einzigen Privatmann in 52 AaO. 134,14 f.: Ego enim docui Conciliis dissentire et resistere, si quando contraria vel scripturae vel sibi ipsis statuissent. 53 AaO. 134,15 f. Die Richterfunktion der Bibel betont Luther in „Grund und Ursach“, aaO. 429,34–36: „wo sie etwas widder die schrifft setzten ym Concilio, solt man der schrifft mehr denn dem Concilo glewben“. 54 AaO. 429,36–431,2. 55 AaO. 431,3–9. 56 AaO. 134,16–19: Quod dixi propter concilia illa novissima, in quibus nihil defi nitum est iuxta scripturas, sed omnia secundum mera hominum statuta et somnia, si qua optima statuta sunt, ut potius hominum conciliabula quam Ecclesiae concilia dicere possis. 57 Siehe hierzu oben, Kapitel IV § 9.3.3. – In der „Assertio“ schloss Luther die provokante Hypothese an, dass er dennoch recht geredet hätte, wenn er behauptet hätte, dass es jedem nach Belieben erlaubt sei, den Konzilien zu widerstehen. Denn der Papst setze in den Konzilien Dinge fest, die nicht heilsnotwendig seien, und behaupte, sie in heilsnotwendige wenden zu können. Siehe aaO. 134,21–27. 58 AaO. 134,28–30: Adduxi autem pro mea sententia Panormitanum de elect. c. Significasti, dicentem, plus esse credendum uni privato fideli quam toti Concilio aut Papae, si meliorem autoritatem vel rationem habeat. – Zur Berufung auf diese Beweisstelle bei Nikolaus von Tudeschi siehe WA 2; 10,19–22 und oben, Kapitel II § 3.6. 59 WA 7; 430,10 f. 60 Siehe den Gesamtzusammenhang aaO. 430,9–12.

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einem bestimmten Fall mehr als einem Konzil zu glauben sei, „ist dann nicht die Autorität der Konzilien auch demselben privaten Gläubigen unterworfen?“61 Ohne diese die bisherige kirchenamtliche Lehre auf den Kopf stellende These zur Bedeutung der Konzilien zu vertiefen, führte Luther zur Beglaubigung der Schrifterkenntnis eines einzelnen Gläubigen verschiedene Bibelstellen (I Kor 14,30, Gal 2,14 und Act 15) an und verwies erneut auf die Praxis im Apostelkonzil, dass die Apostel dort Beschlüsse nicht aus ihrem eigenen Geist heraus gefasst, sondern durch die Schrift erwiesen hätten.62

4. Das bestärkende Negativurteil über das Konstanzer Konzil Nach diesen grundlegenden Aussagen über die Autorität der kirchlichen Konzilien radikalisierte Luther den 30. Artikel der Bannandrohungsbulle,63 der die während der Leipziger Disputation geäußerte Inschutznahme einiger durch das Konstanzer Konzil verdammter Sätze von Hus thematisierte.64 Weil diese Lehraussage seit Leipzig zu den politisch provokantesten Sätzen Luthers überhaupt zählte, durch die u. a. die wachsende Ablehnung Luthers bei Herzog Georg von Sachsen verstärkt worden war, hatten Eck und die Kurie sie sich bekanntlich als ein zentrales Argument in der Häresieabwehr dienstbar gemacht.65 Nicht neu in der Sache betonte Luther bestärkend: Er habe sich bei diesem Satz geirrt und widerrufe ihn, da er gesagt habe, einige Artikel des Jan Hus seien evangelisch. „Aszo sag ich itzt: Nit etlich allein, szondernn alle artickel Joannis husz, zu Costnitz vordampt, seynn gantz Christlich, und bekenne, das der Bapst mit den seynen als ein rechter Endchrist hie gehandelt, das heylig Euangelium mit Johanne husz vordampt und an sein stat des hellischen tracken [Drachen] lere gesetz hat“.66

61 AaO. 134,32–34: si uni privato plus credendum est quam Concilio in aliquo casu, nonne autoritas Conciliorum quoque subiecta est eidem privato fideli? – Gegen Papst und Konzil polemisierte Luther erneut unter Berufung auf Gal 1,8 in: WA 7; 134,36–135,1: Vide hic, sanctissime Papa, Paulus anathema iubet esse, etiam si Angelus de coelo aliud docuerit. En quanto magis anathema esse debet, si Papa de terra vel Concilium de inferno aliud docuerint. 62 AaO. 135,1–8. 63 AaO. 135,12–136,19 und aaO. 430,21–431,18. 64 AaO. 135,12–14: Aliqui articuli Ioannis Huss condemnati in Concilio Constantiensi sunt Christianissimi, verissimi et Euangelici, quos nec universalis Ecclesia posset damnare. – Siehe aaO. 430,21–23 und den Satz in der Bannandrohungsbulle DCL 2, 382,(8–10) = DH 1480, der entlehnt war aus WA 59; 466,1048–1051. 65 Siehe hierzu oben, Kapitel III § 6.5. 66 WA 7; 431,25–29. Diese Zuspitzung hatte Luther bereits in seiner Schrift „Von den neuen Eckischen Bullen und Lügen“, WA 6; 587,21–23, getroffen. Siehe hierzu oben, Kapitel IV § 9.3.2.

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Die schon in seinen „Operationes in Psalmos“ vorgetragene Charakterisierung des Konstanzer Konzils als „conciliabulum Satanae“67 modifi zierte er in seiner „Assertio“ in die Wendung „synagoga illa Satanae“,68 welche sich „aus den verbrecherischsten Sophisten zusammensetzte“,69 und schloss: „Schau, hier hast du den Widerruf, den deine Bulle verlangt hat.“70 Es ist auffällig, dass Luther die radikale Charakterisierung des Konstanzer Konzils in „Grund und Ursach“ nicht vornahm. Diese signifi kante Differenz wird Luther unter Berücksichtigung seiner Leserschaft bewusst kalkuliert haben: Eine von seinem eigentlichen Anliegen ablenkende Diskussion über die Bedeutung des Konstanzer Konzils im Volk oder unter den weltlichen Obrigkeiten wollte er mit Blick auf den Wormser Reichstag gerade vermeiden.

5. Das Konzilsverständnis infolge des päpstlichen Ketzerurteils Insgesamt gesehen verschärfte Luther seine Aussagen über die Konzilsbeschlüsse und über die Autorität der Konzilien in den Schriften „Assertio“ und „Grund und Ursach“ infolge des päpstlichen Ketzerurteils.71 Bis zum Abfassungszeitraum hatte Luther einzelne Konzilsbeschlüsse und die Autorität der Konzilien teils positiv, teils negativ beurteilt. Jetzt überwog die Relativierung und die negativ konnotierte Kritik in seinen Äußerungen zu den Konzilien und ihren Entscheidungen, die umso mehr ins Gewicht fielen, als er in den von der Bann67

WA 5; 451,35 f. WA 7; 135,18. 69 AaO. 135,18 f. 70 AaO. 135,21. – Schließlich griff Luther den Vorwurf seiner Gegner auf, er sei ein Hussit, und verglich sich mit Hus: Wenn Hus ein Häretiker gewesen sei, sei er „zehnmal mehr ein Häretiker“, weil Hus weit Geringeres und Kleineres gesagt habe, „indem er gleichsam begann, das Licht der Wahrheit zu enthüllen“ (aaO. 135,23–25) und fuhr fort, aaO. 135,26– 28: Hoc ideo dico, ut intelligat lector, quam scelerati et impii fuerint homicidae illi Constantiensis Concilii Pontifices et Pharisei, qui illum exusserint, cum ego me fatear Christianum nolimque eorum damnationem agnoscere. 71 Dass Luther in Folge des päpstlichen Ketzerurteils nicht nur eine Verschärfung der Aussagen über die Konzilsbeschlüsse, sondern auch eine theologische Begründung seiner polemischen Aussagen über das antichristliche Papsttum wenige Wochen später in seiner Schrift „Ad librum eximii magistri nostri Magistri Ambrosii Catharini, defensoris Silvestri Prieratis acerrimi, responsio“ (WA 7; [698] 705–778) vornahm und diese anhand seiner ekklesiologischen Konzeption kontrastierte, sei an dieser Stelle angemerkt. Weil Luther in der noch vor seiner Abreise zum Wormser Reichstag fertig gestellten „Anti-Catharinusschrift“ aber das Konzilsthema nicht näher entfaltete, sondern nur allgemein auf das Konzil im Rahmen der von Ambrosius Catharinus in seiner Streitschrift behaupteten kirchlichen Autoritäten Bezug nahm (aaO. 707,35–708,2) sowie die These von der über dem Konzil stehenden Papstgewalt (771,18–21) und der konziliaren Infallibilität (773,28) erneut bestritt, ist die für Luthers Ekklesiologie ertragreiche Schrift hinsichtlich der Konzilsthematik unergiebig. Eine gehaltvolle und vertiefende Interpretation der polemischen Gelegenheitsschrift bietet Hammann, Ecclesia spiritualis, 125–241. 68

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androhungsbulle verurteilten Sätzen die Konzilien einerseits als produktive Orte der Reform gewürdigt, andererseits der kritischen Beurteilung unterzogen hatte. Alle Verhandlungen und Beschlüsse der früheren kirchlichen Konzilien wurden von ihm nun auf der bereits in dem Mischzitat des 29. Satzes angeklungenen Linie vom Herbst 1519 interpretiert und ausnahmslos dem göttlichen Wort der Heiligen Schrift und somit dem Schriftprinzip unterworfen. Speisten sich die Konzilsentscheide nicht aus der Heiligen Schrift, sondern waren sie dem kirchlichen Traditionsprinzip und der Mitwirkung des Papstes geschuldet oder widersprachen sich Konzilsentscheide, lehnte Luther die Versammlungen radikal ab.72 Als durch die Bannandrohungsbulle vorgegebenes prominentes Beispiel defi nierte er mit Hinweis auf die schriftgemäßen hussitischen Artikel das Konstanzer Konzil in der „Assertio“ als „Synagoge des Satans“,73 hielt sich aber in „Grund und Ursach“ mit dieser Charakterisierung und mit der Erwähnung weiterer Konzilien auffallend zurück. Eine Ausnahme bildete das Apostelkonzil, das Luther als vorbildhaftes Beispiel für die gelungene konziliare Umsetzung des Schriftprinzips mehrfach hervorhob. Über die altkirchlichen Konzilien, unter denen er das Konzil von Nicäa bisher besonders betont hatte, schwieg er.74 Es stellt sich die Frage, wie dieses Schweigen zu verstehen ist. Neben der oben bereits angeführten These, dass er kurz vor dem Wormser Reichstag eine vom Schriftprimat ablenkende Diskussion über das Konstanzer Konzil vermeiden wollte, dürften weitere Aspekte hinzukommen: Einerseits stellte Luther generalisierende Kriterien als Beurteilungsmaßstab eines jeden beliebigen Konzils auf, so dass sich weitere Beispiele erübrigten, andererseits eignete er der Konzilsthematik nicht mehr die Bedeutung zu, welche er ihr als Ort der Kirchenreform noch in der Adelsschrift zugewiesen hatte. Hinzu tritt eine weitere Beobachtung: Mit keinem Wort erwähnte Luther die bei Abfassung der „Assertio“ nur wenige Wochen zurückliegende Berufung auf die Instanz eines freien, christlichen Konzils! Hätte er dem von ihm kurz zuvor noch skizzierten künftigen Konzil reale Gestaltungs-, Reform- und Rechtsautorität für die Erneuerung der Kirche zugebilligt, dürfte Luther dies in seinen Schriften angemerkt haben. Eine explizite Erklärung hierfür gibt Luther zwar nicht, doch dürfte sich – von politischen Erwägungen abgesehen – folgende Interpretation nahelegen: 72 Mit dieser Argumentation wandte Luther die von ihm seit 1518 geforderte Begründung einer rechtmäßigen Lehre durch Schriftzeugnisse und Vernunftargumente auf die Beurteilung der Konzilien an. 73 WA 7; 135,18. 74 Allerdings hatte er seine Wertschätzung des Konzils von Nicäa keineswegs aufgegeben, da er es in späteren Schriften nach wie vor als schriftgemäß bezeichnete. Siehe WA 8; 118,1; aaO. 218,25 u. ö.

§ 11 Wachsende Konzilskritik als Reaktion auf die Bannandrohungsbulle

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Die freie, christliche Konzilsinstanz hatte er als höchste menschliche Richterinstanz im Streit um die rechte Glaubenslehre zwischen ihm und dem Papst angerufen. Mit dem ergebnislosen Verstreichenlassen der in der Bannandrohungsbulle gesetzten Widerrufsfrist und seiner Verbrennung der Bulle vollzog Luther den Bruch mit Rom, so dass eine konziliare Entscheidung über seine von ihm als wahr und schriftgemäß erkannten christlichen Lehren im römischen Prozess zwar noch hilfreich, aber nicht mehr notwendig war. Denn von seinem öffentlich bekundeten reformatorischen Schrift- und Selbstverständnis her konnte ein Urteilsspruch, der auf einem allgemeinen, rechtmäßigen Konzil aus der Heiligen Schrift abgeleitet worden war, nur für ihn sprechen. Schließlich zog er aus der in der „Assertio“ erneut entfalteten schriftgebundenen Urteilsfreiheit eines jeden Gläubigen über Papst und Konzil im Blick auf die Richterinstanz die Konsequenz. In Kombination mit der Lehre von der Klarheit der Schrift und vom Priestertum aller Glaubenden folgerte Luther aus der Erkenntnis der individuellen schriftgeleiteten Urteilskraft die generelle Urteilsfähigkeit des einfachen Laien als Richter im Glaubensstreit.75 In der Einleitung zu „Grund und Ursach“ forderte er erstmals nicht nur die weltliche Obrigkeit,76 sondern den einfachen Laien auf, über die päpstliche Lehre und Kirche und über die „recht grundguten kirchen“ und Lehren zu richten.77 Während Luther zuvor den Laien aus Sorge um dessen Seelenheil über seine Lehren unterrichtet und zur Meinungsbildung angeregt hatte,78 empfahl er am Ende des Jahres 1520, dass der Laie selbst urteilen möge. Diese Forderung nach dem einzelnen Laien als Richter stellte letztendlich die Autorität und das Forum eines künftigen Konzils als kirchliche Urteilsinstanz im Glaubensstreit in Frage.79

75 Vgl. H. Junghans, Der Laie als Richter im Glaubensstreit der Reformationszeit (LuJ 39, 1972, 31–54). 76 In seiner an den kursächsischen Rat Fabian von Feilitzsch gerichteten Widmungsvorrede zur „Assertio“ rühmte er diesen Laien als geschickten Richter und Ratgeber in der Glaubenssache. Siehe WA 7; 94,6–10. 77 AaO. 309,7–15: GEbenedeyet und gelobt sey got, der vatter unsers hern Jesu Christi, der zu dieszen zeiten szo viel hertzen erleucht und Christlichen vorstand auch in den leyen erweckt, das man in aller welt anfahet rechten unterscheyd zusehen der geferbeten und gleyssender kirchenn odder geystlickeit vonn der recht grundgutten kirchen, die uns biszher szo lange mit heyligen kleydern, berden, wercken und der gleychen euserlichen scheynen und menschen gesetzen vorporgen unnd vorsetzt geweszenn, das wir auch zuletzt mehr mit gelt geben den mit gleuben selick zuwerden geleret sein. – Sowie auch aaO. 315,6 f.: Alszo ists auch itzt, das arm pawrn unnd kinder baß Christum vorstan den Bapst, Bischoff unnd doctores, und ist alles umbkeret. – Vgl. Junghans, Laie, 50–52. 78 Vgl. die Belege bei Junghans, Laie, 46–49. 79 Den Gedanken des christlichen Laien als Beurteiler der rechten Lehre entfaltete Luther im Frühjahr 1523 in seiner ekklesiologischen Gestaltungsschrift „Daß eine christliche Versammlung oder Gemeine Recht und Macht habe, alle Lehre zu urteilen und Lehrer zu berufen, ein- und abzusetzen. Grund und Ursach aus der Schrift“ (WA 11; [401] 408–416 = Cl 2; 395–403 = StA 3; [72] 75–84).

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V. Die Politisierung und Problematisierung der Konzilsthematik (1521)

Trotz dieser die Urteilsfähigkeit des einzelnen Christen in den Vordergrund rückenden Argumentationslinie, die in der Folgezeit für die Entwicklung der christlichen Gemeinde von Bedeutung werden sollte, verabschiedete sich Luther nicht letztgültig vom Gedanken eines freien, christlichen Konzils, dem immerhin das Potential eignete, ekklesiologisch weiterentwickelt zu werden. Aber von der Bindung an die Institution des allgemeinen Konzils als formalverbindlicher Autorität und vornehmlichster Entscheidungsinstanz in Glaubensfragen – wie es von den Konziliaristen ekklesiologisch gelehrt und kirchenorganisatorisch gefordert worden war – hatte sich Luther endgültig losgesagt. Es gehört zur Ironie der Reformationsgeschichte, dass in dem Augenblick, in dem Luther sich vom künftigen Konzil als Richter befreite, die weltlichen Obrigkeiten im Umfeld des Wormser Reichstags begannen, das Konzil als Glaubensrichter zu begehren, und der zeitgenössische Konzilsdiskurs an Bedeutung gewann.

§ 12 Die Konzilsthematik und der Wormser Reichstag Am 17. und 18. April 1521 trat Luther vor Kaiser und Reich in Worms. Dort verweigerte er bekanntlich den Widerruf seiner Lehren, lehnte Papst und Konzilien als widersprüchliche kirchliche Normen ab und berief sich auf die Heilige Schrift und sein in Gottes Wort gefangenes Gewissen.80 Der berühmte Auftritt Luthers vor dem Wormser Reichstag markiert nicht nur einen Höhepunkt der Reformationsgeschichte, sondern bildet eine kirchengeschichtliche Schlüsselszene, die zur Weltgeschichte zu zählen ist. In zahlreichen Studien und Darstellungen wissenschaftlicher wie populärer Art wurde dieses bis zur Legende überhöhte Ereignis thematisiert und interpretiert, in der bildenden Kunst des 19. Jahrhunderts geradezu heroenhaft stilisiert und von der konfessionellen Geschichtsschreibung diabolisch kritisiert oder euphorisch laudiert.81 Aufgrund der herausragenden Bedeutung dieser Begebenheit gilt der Wormser Reichstag insgesamt als relativ gut erforscht.82 Die für die vorliegende Studie zentrale Konzilsthematik wurde allerdings – sieht man von der wissenschaftlich überholten Arbeit Theodor Koldes aus dem Jahr 1876 83 und der teilweise unpräzisen 80

WA 7; 838,4–9. Ausführliches Zitat siehe unten, Kapitel V § 12.1.2. Vgl. A. Kohnle, Luther vor Karl V. Die Wormser Szene in Text und Bild des 19. Jahrhunderts (in: S. Laube und K.-H. Fix [Hg.], Lutherinszenierung und Reformationserinnerung [SStLSA 2], Leipzig 2002, 35–62). 82 Aus der umfangreichen Forschungsliteratur zur Luthersache auf dem Reichstag seien in Auswahl genannt: Boehmer, Der junge Luther, 312–345; Borth, Luthersache, 99–129; Brecht, Luther 1, 413–453; P. Kalkoff, Der Wormser Reichstag von 1521. Biographische und quellenkritische Studien zur Reformationsgeschichte, München/Berlin 1922; E. Kessel, Luther vor dem Reichstag zu Worms 1521 (in: E. Kaufmann [Hg], Festgabe für Paul Kirn, Berlin 1961, 172–190); Köstlin/Kawerau, Luther 1, 380–434; Kohnle, Reichstag, 85–104; J. Kühn, Luther und der Wormser Reichstag, 1521. Aktenstücke und Briefe, Leipzig 1914; B. Lohse, Luthers Antwort in Worms (Luther 29, 1958, 124–134); H. Lutz, Das Reich, Karl V. und der Beginn der Reformation. Bemerkungen zu Luther in Worms 1521 (in: H. Fichtenau und E. Zöllner [Hg.], Beiträge zur neueren Geschichte Österreichs, Wien 1974, 47–70); F. Reuter (Hg.), Der Reichstag zu Worms von 1521. Reichspolitik und Luthersache, Worms 1971; H. Scheible, Die Gravamina, Luther und der Wormser Reichstag 1521 (BPf KG 39, 1972, 167–183); H. von Schubert, Die Vorgeschichte der Berufung Luthers auf dem Reichstag zu Worms 1521, Heidelberg 1912; Schwarz, Luther, 102–109. Einen Forschungsüberblick bieten R. Wohlfeil, Der Wormser Reichstag von 1521 (in: Reuter, Reichstag zu Worms, 59–154), 59–66; W. Völker, Luther auf dem Reichstag in Worms (AMRhKG 14, 1962, 115–127). 83 Kolde, Luther’s Stellung, 91–113, teilt zum Teil gute Beobachtungen mit, ist aber forschungsgeschichtlich überholt, da er weder auf die Publikation der vollständigen Aleander81

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Dissertation Karl Hofmanns aus dem Jahr 1932 84 ab – bisher nicht hinreichend untersucht.85 Dies ist insofern merkwürdig, als sowohl Luther die Konzilien in seinem bekannten Schlussvotum als kirchliche Autoritäten anführte wie auch der päpstliche Nuntius Aleander vom Reichstag nach Rom berichtete: „Jetzt aber ist ganz Deutschland in hellem Aufruhr. Neun Zehntel erheben das Geschrei: ‚Luther‘ und für das übrige Zehntel, falls ihm Luther gleichgültig ist, lautet die Losung wenigstens: ‚Tod dem römischen Hofe!‘ jedermann fordert und kreischt ‚Konzil‘, ‚Konzil‘, will es in Deutschland haben, und selbst die, welche am meisten für uns, ja für sich selbst sorgen sollten, wollen es teils aus Furchtsamkeit, teils aus Trotz, teils aus anderen Absichten.“86

Weil das Konzilsthema in Worms mit der Luthersache verknüpft und von bemerkenswerter Relevanz für die anwesenden Fürsten und Politiker war, muss genauer gefragt werden, welche Rolle die von Aleander mitgeteilte Konzilsforderung auf dem Reichstag spielte. Wurden mit ihr allgemein konziliaristische Ideen ventiliert oder nahm das Konzilsbegehren Anregungen Luthers auf, wie er sie in seiner Adelsschrift und der Konzilsappellation bezüglich eines freien, christlichen Konzils geäußert hatte? Zielten die Konzilsforderungen auf eine Klärung in der Luthersache oder waren sie auf eine allgemeine Kirchenreform gerichtet? Wie reagierte der Vertreter der Kurie, Aleander, auf das die päpstliDepeschen noch auf die Reichstagsakten zurückgreifen konnte. Als kritische Quelleneditionen der Aleander-Depeschen gelten: P. Balan (Hg.), Monumenta Reformationis Lutheranae ex tabulariis S. Sedis Secretis. 1521–1525, Regensburg 1883; Th. Brieger (Hg.), Aleander und Luther 1521. Die vervollständigten Aleander-Depeschen nebst Untersuchungen über den Wormser Reichstag. I. Abteilung, Die Depeschen Aleanders 1520–1521 (Quellen und Forschungen zur Geschichte der Reformation 1), Gotha 1884; P. Kalkoff (Hg.), Die Depeschen des Nuntius Aleander vom Wormser Reichstag 1521 (SVRG 17), Halle/Saale 1886; Ders., Nachtrag zur Korrespondenz Aleanders während seiner Nuntiatur in Deutschland 1520–1522 (ZKG 28, 1907, 201–234). Unerlässlich für die Erforschung des Wormser Reichstages sind die Qellenwerke DRTA.JR 2; Förstemann, 27–82; WA 7; WAB 2 u. a., nützlich auch P. Kalkoff (Hg.), Briefe, Depeschen und Berichte über Luther vom Wormser Reichstag 1521 (SVRG 59), Halle/Saale 1898. 84 K. Hofmann, Die Konzilsfrage auf den deutschen Reichstagen von 1521–1524, Mannheim [1932], 9–30. Trotz unpräziser Terminologie und mancher spekulativen Äußerung enthält die unter Hans von Schubert und Walther Köhler entstandene Arbeit die bisher differenzierteste und aus zahlreichen Quellen erarbeitete Darstellung zur Konzilsthematik auf dem Wormser Reichstag. 85 Skizzenhafte Hinweise bietet unter der Überschrift „Das Konzil als Politikum“ immerhin Brockmann, Konzilsfrage, 226 f. 86 Brieger, Aleander, 48,9–16 Nr. 6; Kalkoff, Depeschen, 43 Nr. 6 (Aleander an den Vizekanzler Medici, Worms, [8. 2. 1521]): Al presente che tutta la Germania è involta et delle dieci parti di essa le nove cridano „Luther“ et la decima, se non se cura de ditti di Luther, saltem crida la morte alla Corte di Roma, et ognuno demanda et strida „Concilio“, „Concilio“, et lo voleno in Germania, et quelli, che più deverebbono far per noi, imo per se stessi, alcuni per timidità, alcuni per dispetto, altri per qualche suo dissegno. – Abweichend hiervon liest Balan, Monumenta, 98 Nr. 36: et ogniuno domanda et crida concilio et lo voleno in Germania [. . .].

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che Autorität beschneidende institutionelle Begehren? Und wie verhielt sich Luther zur Konzilsthematik? Folglich gilt es einerseits zu untersuchen, welche Rolle die Konzilsforderung auf dem Reichstag spielte und wie sich Aleander zu diesem kirchenpolitischen Begehren verhielt, andererseits zu analysieren, inwiefern Luther mit der von Nuntius, Kaiser und Reichsständen jeweils unterschiedlich gewerteten Konzilsthematik konfrontiert wurde und wie er auf die dem Thema inhärenten Aspekte reagierte. Weil es sich um Verhandlungen auf höchster politischer Ebene handelte, waren die Konzilsaussagen Luthers in Worms – auch wenn sie größtenteils nur durch Berichte vermittelt sind – keine spontanen Einfälle, sondern wohlüberlegte Manifestationen seiner theologischen und kirchenpolitischen Überzeugung, die von fundamentalem Gewicht für die Gesamtinterpretation seines kirchlichen Autoritäts- und Konzilsverständnisses sind. Um Luthers Aussagen kontextuell verorten zu können, soll zuerst die Konzilsthematik auf dem Reichstag genauer dargestellt werden.

1. Das Konzilsthema auf dem Reichstag Luthers Erscheinen auf dem Reichstag war einem vielfältigen diplomatischen und kirchenpolitischen Ringen geschuldet, in welchem der junge Kaiser Karl V. die Schlüsselfigur bildete.87 Nachdem die in der Bannandrohungsbulle „Exsurge Domine“ gesetzte Frist von sechzig Tagen verstrichen war, ohne dass Luther widerrufen hatte, galt er seit Anfang Dezember 1520 defi nitiv als Häretiker. Die Exkommunikation Luthers und seiner Anhänger stand folglich fest und musste nur noch kirchenrechtlich vom Papst attestiert werden. Die kuriale Seite, die durch die beiden Nuntien Marino Caracciolo und Hieronymus Aleander vertreten war, suchte den Kaiser, der sich bereits kritisch zu Luther geäußert und Bücherverbrennungen in Löwen und Lüttich gestattet hatte, zur Anwendung des kaiserlichen Ketzerrechts 88 zu bewegen.89 Auf der anderen Seite hielt 87 Über Kaiser Karl V. (reg. 1519–1558) vgl. u. a. K. Brandi, Kaiser Karl V. Werden und Schicksal einer Persönlichkeit und eines Weltreiches. 2 Bde., München 1937–1941; A. Kohler, Karl V. 1500–1558. Eine Biographie, München 22000; A. Kohler, B. Haider und Ch. Ottner (Hg.), Karl V. 1500–1558. Neue Perspektiven seiner Herrschaft in Europa und Übersee (Österreichische Akademie der Wissenschaften. Philosophisch-historische Klasse. Historische Kommission: Zentraleuropa-Studien 6), Wien 2002; I. Ludolphy, Die Voraussetzungen der Religionspolitik Karls V., Stuttgart 1965. 88 Vgl. den Überblick bei I. Wurtzbacher, Das Reichsrecht und die Rechtswirklichkeit im Fall Dr. Martin Luther am Beispiel des Repräsentanten Kursachsens Friedrich III. (EHS. G 74), Frankfurt am Main/Bern 1976, 47–51. 89 Zur Rolle Aleanders vgl. Jedin, Geschichte 1, 160; G. Müller, Die drei Nuntiaturen Aleanders in Deutschland 1520/21, 1531/32, 1538/39 (QFiAB 39, 1959, 222–276), 224– 236; Ders., Die römische Kurie und der Reichstag (in: Reuter, Reichstag zu Worms, 237– 256).

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der sächsische Kurfürst Friedrich der Weise seine Forderung nach einem Verhör Luthers vor unparteiischen Richtern und nach Widerlegung von dessen angezeigten Irrtümern aus der Heiligen Schrift aufrecht. Gegen die von ihm kritisierte Rechtspraxis der Kurie hoffte er in Anlehnung an die unter Kaiser Maximilian I. verbalisierten Gravamina zusätzlich auf Unterstützung durch die Reichsstände.90 Der junge Kaiser wirkte in seiner Haltung zur Luthersache, die zur Reichsangelegenheit geworden war, schwankend: 91 Während er Friedrich III. Ende Oktober oder Anfang November 1520 in Köln mitgeteilt hatte, Luther nicht ohne Verhör zu verurteilen, und ihn am 28. November aufforderte, Luther zum ausgeschriebenen Reichstag mitzubringen, zog er am 17. Dezember dieses Zugeständnis auf Betreibens Aleanders zurück, falls Luther nicht das, was „er wider bäbstlich Heiligkait und den stuel zu Rom, auch wider die gesetz der concili geschrieben“ habe, „widerrufen und sich berüerter bäbstlicher Heiligkait und des stuels zu Rom erkentnis unterwerfen wolle“.92 Aleander wiederum hoffte, dass der Kaiser noch vor Beginn des Reichstages über Luther die Reichsacht verhänge93 und die Luthersache somit nicht zum bestimmenden Thema des für Januar 1521 einberufenen Reichstags werde, wofür seitens des offi ziellen Programms kein Anlass bestand, sollte es doch u. a. um das Reichsregiment, das Reichskammergericht, den Landfrieden, Reichsmatrikel, den kaiserlichen Romzug und Probleme der Außenpolitik gehen.94 Als der Reichstag am 27. 90 Zur kursächsischen Politik im Vorfeld und während des Reichstages vgl. K. Blaschke, Kurfürst Friedrich der Weise von Sachsen und die Luthersache (in: Reuter, Reichstag zu Worms, 316–335); Borth, Luthersache, 103–107 u. ö.; P. Kalkoff, Friedrich der Weise und Luther (HZ 132, 1925, 29–42), der eine wissenschaftlich überholte Verhältnisbestimmung vornimmt; Ludolphy, Friedrich der Weise, 428–438; E. Wagner, Luther und Friedrich der Weise auf dem Wormser Reichstag von 1521. Eine Nachprüfung der Aufstellungen Paul Kalkoffs (ZKG 42, 1923, 331–390); Wurtzbacher, Reichsrecht, 1976. Kurfürst Friedrich vermied es, sich mit Luther zu identifi zieren, bestand aber auf dem Recht der sachlichen Widerlegung ohne Gewaltandrohung, wie es noch in den Unterverhandlungen Anfang Februar zwischen dem kursächsischen Kanzler Gregor Brück und Jean Glapion, dem Beichtvater des Kaisers, zum Ausdruck kam. Zu den vier Gesprächen siehe DRTA.JR 2; 477–494 Nr. 66 (4 Berichte des sächsischen Kanzlers Brück) sowie die von Glapion aus „De captivitate“ herausgezogenen Artikel, die für ihn Irrlehren darstellten, Förstemann, 37–40 Nr. 6 (Latein); aaO. 40–44 Nr. 7 (Deutsch). Vgl. Wagner, Luther, 360–365; Wohlfeil, Reichstag, 99– 101. 91 Vgl. zur Luther- oder „Zick-Zack-Politik“ (Wohlfeil, Reichstag, [89–101] 99) des Kaisers bis zum Januar 1521 Lutz, Reich, 65 f. 92 DRTA.JR 2; 470,9–12 Nr. 62 (Kaiser Karl an Kurfürst Friedrich von Sachsen, Worms, 17. 12. 1520); Vgl. aaO. 469 Anm. 1; Borth, Luthersache, 103–105. 93 Brieger, Aleander, 19,12–22,16 Nr. 1; Kalkoff, Depesche, 10–16 Nr. 1 (Aleander an den Vizekanzler Medici, Worms, [14./15. 12. 1520]). Bei den Verweisen zu den Aleanderdepeschen wird auf Brieger und die deutsche Übersetzung von Kalkoff zurückgegriffen, während Balan, Monumenta, aufgrund einzelner textlicher Ungenauigkeiten unberücksichtigt gelassen wird. 94 Siehe das auf den 1. November 1520 datierte Reichstagsausschreiben in: DRTA.JR 2; 136–138 Nr. 2 und die Proposition vom 27./28. Januar 1521 in: aaO. 153–156 Nr. 7.

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Januar 1521 feierlich eröffnet wurde, war nicht nur unklar, ob Luther nach Worms geladen, sondern ob über die Luthersache überhaupt offiziell verhandelt werden würde. Dennoch konnte Aleander nicht verhindern, dass Luther ein zentrales Thema in den informellen Begegnungen und Verhandlungen der Fürsten und ihrer Räte bildete.95 Insbesondere in der Anfangsphase wurde das Vorgehen im Fall Luthers von den Reichsständen diskutiert und die sofortige Anwendung des kaiserlichen Achtmandats ohne vorheriges Verhör problematisiert.96 Außerdem erwartete die den Reichstag u. a. durch Flugschriften begleitende Öffentlichkeit, in der Luther großen Rückhalt genoss, dass die Glaubensfrage zum Thema der Reichsversammlung werde,97 wodurch sich die Fürsten zum behutsamen Handeln genötigt sahen, wollten sie Unruhe im Volk vermeiden. Zur medialen Beeinflussung zählte auch, dass zahlreiche Lutherschriften durch Händler nach Worms gebracht wurden oder dort selbst als Nachdrucke erschienen.98 Hierunter fanden sich nach Angaben von Paul Kalkoff Luthers Konzilsappellation und seine Adelsschrift.99 95 Eindrücklich, wenn auch nicht ohne Parteinahme, berichtet hierüber Aleander in seinen Depeschen u. a. vom 6. Februar und 8. Februar (?) siehe Brieger, Aleander, 42–45 Nr. 5; Kalkoff, Depeschen, 38–41 Nr. 5 (Aleander an den Vizekanzler Medici, Worms, 6. 2. 1521); Brieger, Aleander, 46–57 Nr. 6; Kalkoff, Depeschen, 42–53 Nr. 6. (Aleander an den Vizekanzler Medici, Worms, [8. 2. 1521]). Siehe auch den Bericht des englischen Gesandten Cuthbert Tunstall am 29. Januar: DRTA.JR 2; 782,10–785,13 Nr. 126; Kalkoff, Briefe, 31–34 Nr. 5 (Tunstall an Wolsey, Worms, 29. 1. 1521). 96 Das Rechtsinstitut des Reichsachtmandats war als alleiniges Recht des Kaisers seit der Reichsreformbewegung im 15. Jahrhundert zunehmend von den Reichsständen bestritten und in der Kammergerichtsordnung von 1495 festgeschrieben worden, nach der neben dem Kaiser das Reichskammergericht für die Verhängung der Reichsacht und bei Ächtung von Fürsten zuständig war. Um den unter Kaiser Maximilian I. vollzogenen Missbrauch dieses Gesetzes zu vermeiden, schloss Artikel 24 der Wahlkapitulation Karls V. eine Reichsachtverhängung ohne erwiesenen Grund und rechtmäßiges Verhör defi nitiv aus. Schwieriger gestaltete sich die Achtverhängung als Folge des Kirchenbannes, in der die verfassungsrechtliche Zuständigkeit nach der Reichsreform zwischen Kaiser und Reichsständen ungeklärt war. Die Verhängung der Reichsacht über Luther stellte somit nicht nur den ersten Testfall für die Glaubwürdigkeit der kaiserlichen Rechtsanwendung gegenüber den Reichsständen dar, sondern erforderte auch eine Neudefi nition der weltlichen Zuständigkeiten in der bis dahin üblichen Abfolge von Kirchenbann und Achtinstitut. Vgl. Borth, Luthersache, 108–110. 125–129. 97 Vgl. J. Ufer, Wie zeitgenössische Flugschriften vom Reichstag zu Worms 1521 berichteten (BPf KG 40, 1973 = Ebernburg-Hefte 6./7. F., 1972/73, 196–209); Ders., „Passion D. Martins Luthers“. Eine Flugschrift von 1521 (in: Reuter, Reichstag zu Worms, 449–458). 98 Siehe Brieger, Aleander, 49,23–27. Vgl. Kalkoff, Depeschen, 44 (Übersetzung): Täglich regnet es lutherische Schriften in deutscher und lateinischer Sprache; auch hier wird eine Druckerei unterhalten, wo dieses Handwerk bisher unbekannt war. Es wird hier gar nichts Anderes verkauft als Schriften Luthers, und selbst am kaiserlichen Hofe, denn die Leute halten ganz erstaunlich zusammen und haben Geld in Menge. 99 Vgl. Kalkoff, Wormser Reichstag, 241. Von Benzing werden keine Drucke der Konzilsappellation und der Adelsschrift in Worms für 1521 nachgewiesen. Andererseits notiert Hofmann, Konzilsfrage, 26 Anm. 77 ohne Quellenangabe, dass „plötzlich ein fl iegender

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Aufgrund dieser öffentlichen Parteinahme äußerte Aleander am 8. Februar 1521 besorgt jenen oben zitierten Satz vom Aufruhr und der Lutherbegeisterung in Deutschland. Jedermann fordere ein Konzil, das in Deutschland stattfi nden solle.100 Diese Aussage ergänzte er im selben Brief vom 8. Februar in Bezug auf den Reichstag mit den Worten: „Denn alle schreien auf dem Reichstag nach einem Konzil, kündigen Rom den Gehorsam auf und empören sich gegen den Klerus.“101

1.1. Die Reichsstände und die Konzilsforderung Auch wenn sich die von Aleander berichtete euphorische Forderung nach einem Konzil in der Reichstagsliteratur kaum niederschlug und möglicherweise seiner Strategie, die römische Kurie um stärkere fi nanzielle und personelle Unterstützung im Kampf gegen Luther wachzurütteln,102 geschuldet war, erwähnten der englische Gesandte Cuthbert Tunstall103 und der römische Nuntius Rafael de Medici104 in ihren Berichten ebenfalls das Konzilsbegehren. Zwei Jahre später vermerkte Aleander über den Reichstag in Worms, er sei „täglich mit der Forderung nach einem Konzil geradezu überschüttet“ worden.105 Folglich bildete die Thematik zumindest zu Beginn des Reichstages in doppelter Weise einen bedeutenden Faktor in Worms: bezüglich der Kirchenreform und – zum Teil damit verknüpft – hinsichtlich der Luthersache. Die Initiierung einer allgemeinen Kirchenreform war ein zentrales Anliegen der weltlichen und geistlichen Stände,106 welches sich seit Mitte des Jahres 1520 mit dem Namen Martin Luther verknüpft hatte. Sie beruhte auf der seit dem Buchdrucker, Hans von Erfurt, in Worms auftauchte, der gerade Luthers ‚verneuerte Berufung an ein frei christlich Konzil‘ nachgedruckt hatte.“ Diese Bemerkung dürfte in der Tat zutreffen, da der Drucker Hans Werlich, genannt Hans von Erfurt, – 1520 in Augsburg tätig – in jenem Jahr u. a. die Adelsschrift (Benzing Nr. 689. 695. 696) und die deutschsprachige Konzilsappellation (Benzing Nr. 774) herausgegeben hatte. 1521 zog er mit seiner kleinen Druckerei nach Worms, wo er für das Reichstagspublikum verschiedene Lutherschriften druckte, zu denen auch die „Assertio omnium articulorum“ (Benzing Nr. 780) zählte. 100 Siehe Brieger, Aleander, 48,9–16. 101 Brieger, Aleander, 55,2 f.: perchè el rumor di tutti in la Dieta è di voler Concilio, de desobedir a Roma, de insurger contra il Clero [. . .]. – Übersetzung nach Kalkoff, Depeschen, 50. 102 Über den mangelnden Rückhalt seitens der Kurie beklagte sich Aleander häufiger in seinen Briefen und fürchtete, nachdem ihm seit November Morddrohungen u. a. aus dem Umfeld Ulrich von Huttens zugegangen waren, um Leib und Leben. Vgl. z. B. Brieger, Aleander, 19,5–8. 27,30–28,2. 29,5–10; Kalkoff, Depesche, 12. 22–24. 103 DRTA.JR 2; 782,10–785,13 Nr. 126; Kalkoff, Briefe, 31–34 Nr. 5 (Cuthbert Tunstal an Wolsey, Worms, 29. 1. 1521). 104 Balan, Monumenta, 50–53 Nr. 20; DRTA.JR 2; 788–790 Nr. 131; Kalkoff, Briefe, 34–40 Nr. 6 (Rafael de’ Medici an den Vizekanzler Medici, Worms, [6./] 7. 2. 1521). 105 Zitiert nach Hofmann, Konzilsfrage, 10. 106 Vgl. zu den ungefähr 400 Reichsständen im Heiligen Römischen Reich deutscher

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Wiener Konkordat von 1448 nicht enden wollenden Kritik der deutschen Nation an der römischen Politik, die sich u. a. an der kurialen Finanz- und Stellenbesetzungspraxis entzündet und in den „Gravamina nationis germanicae“ gegen den römischen Hof niedergeschlagen hatte.107 Die Klage über diese „Beschwerungen“ war seitdem fester Bestandteil in den Reichsversammlungen und auf den hieraus seit ungefähr 1470 verstärkt institutionalisierten Reichstagen. In Worms war die Gravaminadebatte und Reformfrage zu einem Höhepunkt gelangt, nachdem die antirömische Stimmung in Deutschland u. a. durch die Publikation der 1510 von Jakob Wimpfeling für Kaiser Maximilian verfassten Gravamina im Jahr 1520 und mehr noch durch Luthers Adelsschrift108 angeheizt worden war. Diese romkritische Stimmung unter den Reichsständen war teils aus national-territorialen, teils aus kirchenpolitischen Motiven gespeist und hatte sich insbesondere aufgrund der Adelsschrift – unter Außerachtlassung der theologisch-reformatorischen Absicht – mit dem Namen des Wittenberger Theologen verbunden, so dass die von Aleander berichtete Luthersympathie größtenteils auf dessen Reformforderungen im Rahmen der Gravamina zurückzuführen ist. Zur Abschaffung der „Beschwerungen“ forderten die Reichsstände, gemäß der Herkunft der Gravaminabewegung aus der konziliaristischen Tradition und der Erneuerung durch Luthers Vorschlag, ein allgemeines Konzil.109 Diese Grundforderung wird, weil sie in mündlichen Verhandlungen vorgetragen wurde, in den Reichstagsakten kaum erwähnt. Daher ist es auch nicht letztendlich zu klären, wer genau von den am Reichstag beteiligten Personen für ein künftiges Konzil eintrat. Aleanders Mitteilung, dass unter den Konzilsbefürwortern auch einige seien, die „am meisten für uns, ja für sich selbst sorgen sollten“,110 dürfte darauf hinweisen, dass verschiedene Bischöfe hierunter zu fi nden waren. Somit forderten den konziliaren Weg zur Suspendierung der Gravamina zumindest zu Beginn der Reichstagung auch Vertreter der hohen Geistlichkeit. Zu diesen könnte auch Matthäus Kardinal Lang von Wellenburg,

Nation zur Zeit des Wormser Reichstages und über die dort beteiligten Fürsten H. Scheible, Fürsten auf dem Reichstag (in: Reuter, Reichstag zu Worms, 369–398). 107 Vgl. zur Gravaminaliteratur oben, Kapitel IV § 8.3., und zum Wormser Reichstag vornehmlich Scheible, Gravamina, 167–183. 108 Siehe oben, Kapitel IV § 9.1.4. 109 Der englische Gesandte Tunstall referierte aus einem Gespräch mit Wilhelm von Croy, Herr von Chièvres und kaiserlicher Rat: DRTA.JR 2; 785,1–6. Siehe hierzu die Übersetzung von Kalkoff, Briefe, 34: Auch sagte er [Chièvres], viele bedeutende Gelehrte hielten es mit Luther in einigen Punkten, die Luther nur zu dem Zwecke weiter getrieben habe, als er rechtfertigen könne und wolle, damit er über den Rest gehört werden möchte und ein Konzil zur Abstellung der kirchlichen Missstände berufen würde, wovon der Papst nichts hören will, der vielmehr bei seinem Verdammungsurteil beharrt. 110 Brieger, Aleander, 48,14 f.; Kalkoff, Depeschen, 43.

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Erzbischof von Salzburg, gezählt haben.111 Der auf Ausgleich bedachte humanistische Diplomat war ein deutlicher Kritiker der römischen Kurie, aber kein Lutheranhänger, und suchte als ein Vertreter des sich formierenden Reformkatholizismus z. B. im Jahr 1522 durch eine Reformsynode seiner Kirchenprovinz administrative Veränderungen in seiner Kirche herbeizuführen.112 Unter den weltlichen Herrschern brachte Herzog Georg von Sachsen in seinen Anfang Februar verfassten Vorschlägen für eine Neufassung der reichsständischen Gravamina das Konzilsbegehren zum Ausdruck.113 Obwohl dieser gegen Luther opponierte und somit das mehrheitlich ständische Miteinander von Gravaminaforderung und Luthersache desavouierte, hielt er am Konzilsbegehren fest. Allerdings fand der nicht nur von Georg vorgeschlagene Weg zur Kirchenreform mittels eines Konzils, der in den Wormser Verhandlungen über die Erweiterung der Gravamina im Februar und März noch diskutiert worden war, in den nur als Entwurf und – aufgrund der einsetzenden Kritik der Bischöfe – nicht als Beschluss gefassten großen Klage- und Beschwerdekatalog des Reichstages keinen Eingang.114 Trotzdem ließen sich die weltlichen Fürsten nicht von ihrem Konzilsbegehren abbringen. Am Ende des Reichstages überreichten sie im Rahmen ihrer „Beschwerungen“ gegen Rom und die Geistlichkeit dem Kaiser eine Supplikation.115 Den zweiten Motivkomplex, innerhalb dessen die Konzilsforderung erhoben wurde und zum Teil mit dem ersten Komplex verknüpft war, bildete die Luthersache und die mit ihr zusammenhängende Glaubensfrage. Weil nicht nur die kursächsischen Fürsten, zu denen neben Kurfürst Friedrich auch dessen jüngerer Bruder Herzog Johann von Sachsen zählte, und die in den Verhandlungen 111

Vgl. über ihn und seine Tätigkeit während des Reichstages Scheible, Fürsten, 383–

389. 112 Vgl. E. Honée, Die Idee eines Nationalkonzils in der frühen Reformationszeit. Ein Vergleich dreier Pläne für ein Konzil (1523/24) (AHC 22, 1990, 242–272), 257–265; J. Salla berger, Kardinal Matthäus Lang von Wellenburg (1468–1540). Staatsmann und Kirchenfürst im Zeitalter von Renaissance, Reformation und Bauernkriegen, Salzburg 1997, 254–259. 113 Gess 1; 150,22–153,5 Nr. 189 = DRTA.JR 2; 662–666 Nr. 94 (Herzog Georgs von Sachsen Beschwerden wider die Geistlichkeit, für die Bearbeitung der Beschwerden auf dem Wormser Reichstage eingereicht). Zum Konzilsthema aaO. 666,3–7: Das grost verdampnis armer selen erwechst aus ergernis, so man von geistlichen bekompt, darumb von nodten, das ein gemein reformacion geschiet, welchs nit bequemer wan durch ein gemein concilium mag gebessert werden. Darumb wir alle billich mit hochstem vleis ufs underthenigst bitten, dasselbig also zu furdern. – Zu Herzog Georg auf dem Wormser Reichstag, über den Aleander anfangs klagte, dass auch dieser sich gegen Rom gestellt habe, jedoch aufgrund dessen antilutherischen Kurses schnell sein Urteil ändern sollte, vgl. neben den zahlreichen Aussagen in den Aleanderdepeschen Hofmann, Konzilsfrage, 14 f.; Scheible, Fürsten, 390–397; Volkmar, Reform, 176–179 u. ö. 114 DRTA.JR 2; 670–704 Nr. 96 (Entwurf der Beschwerden der deutschen Nation, März 1521). Vgl. zur Gravaminadiskussion und zu den Verhandlungen in Worms: Gebhardt, Gravamina, 104–113; Scheible, Gravamina, 178–183. 115 Siehe DRTA.JR 2; 723,32–36. Die Supplikation ist allerdings nicht erhalten.

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einflussreichen kurfürstlichen Räte für Luther Position bezogen und für eine unparteiische Anhörung des von Rom vorverurteilten Ketzers eintraten, nahm die Frage, wie mit Luther umzugehen sei, breiten Diskussionsraum ein. Der überwiegende Teil der Reichsstände konnte sich aufgrund seines Antikurialismus und Antiklerikalismus mit Luthers im Sommer 1520 vorgetragener Romkritik, Kirchenreformbemühen und Konzilsforderung identifi zieren, ohne die reformatorischen Lehren und Hintergründe eingehender durchdrungen und deren kirchensprengende Brisanz erkannt zu haben. Für sie, die sich später zur sogenannten „Mittelpartei“ und nicht zu Anhängern der Reformation zählen sollten, galt Luther als ein kirchenpolitischer Gesinnungsgenosse, der nicht einfach durch die kaiserliche Reichsacht zu verurteilen war. Als mögliche Verfahrenswege wurden deshalb einerseits ein Verhör Luthers vor einem gelehrten Schiedsgericht oder gar vor dem Forum des Reichstages gefordert, andererseits eine Beurteilung der lutherischen Lehren durch ein allgemeines Konzil angedacht. Hierbei konnte die Schiedsgerichtsidee, die vornehmlich vom sächsischen Kurfürsten propagiert wurde,116 durch den konziliaren Weg erweitert, ergänzt oder ersetzt werden. Daher verwundert es nicht, wenn Nuntius Medici am 7. Februar der Kurie meldete, dass viele Fürsten eine Beratung in der Luthersache einem Konzil vorbehalten wollten, welches das „ganze Volk“ erwarte.117 Literarisch greif bar wurde das Konzilsbegehren sowohl bei Lutheranhängern wie Ulrich von Hutten118 als auch bei Lutherkritikern wie Johannes Faber, Pri116 Den konziliaren Weg selbst verfolgte Kurfürst Friedrich – soweit bekannt – nicht aktiv, da für ihn nicht der Papst mit seiner Hierarchie oder der Klerus, sondern die wissenschaftliche Theologie, wie sie an seiner Landesuniversität Wittenberg betrieben wurde, als Autorität in dogmatischen Streitfragen galt. Vgl. Blaschke, Kurfürst Friedrich, 321. Luther bestätigte die kurfürstliche Zurückhaltung bezüglich der Konzilsthematik in seiner Schrift „Wider den rechten auffrührischen, verrätherischen und mordischen Rathschlag der ganzen Mainzischen Pfafferei Unterricht und Warnung“ (WA 19; [252] 260–282) aus dem Jahr 1526: Aufgrund der Erfahrungen des Reichstages zu Worms habe Friedrich der Weise geäußert, aaO. 276,13–17: Er hette sein lebenlang nie nicht kindischer ding gesehen den in solchem handel zu Wormbs, und kunde nun woll mercken, wie man in den Concilien thete, nemlich das die pfaffen regierten. Derhalben, wie wol er schweig [!], hielt er dennocht von dem an nicht mer von den Concilien. 117 Balan, Monumenta, 53: molti de questi grandi dicono che questa cosa se doveria vedere cum un concilio, et tutta la plebe dice che se farà dicto concilio et che non pagharano più annate. – Siehe auch Kalkoff, Briefe, 40. 118 Nach P. Kalkoff, Ulrich von Hutten und die Reformation. Eine kritische Geschichte seiner wichtigsten Lebenszeit und der Entscheidungsjahre der Reformation (1517–1523) (QFRG 4), Leipzig 1920, 326 wollte der humanistisch gebildete und streitsüchtige Ritter eine Schrift aus der Zeit des Basler Konzils herausgeben, in der die konziliaren Lehren allgemein verständlich skizziert waren. Die Schrift ließ Hutten zusammen mit einer weiteren Schrift unter dem Titel „Concilia, wie man die halten sol. Vnd von verleyhung geystlicher lehenpfrunden“ abdrucken. Auf dem Titelblatt ergänzte Hutten: Wilt wissen in eim knopff vnd griff,/ warûb doch schwanck sant Peters schiff/ vnd wer des hatt durchlöchert gar?/ Du fi ndst es hye gantz offenbar./ [. . .] Der stamm Symon, vnd sein geschlecht,/ Bapst, Cardina(e)l, und all ir gbrecht,/ Münch, Curtisa(e)n, mit hoffs genosß/ entdeckt seind hye, an frommkeit blosß./ Vnd leüg ich dir, so binn villycht/ mit jnen ich ein o(e)der wycht./ Ein wunder

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or der Dominikaner in Augsburg,119 und Mercurino Arborio di Gattinara, kaiserlichem Großkanzler.120 Allerdings entfaltete sich das Konzilsbegehren in der Glaubensfrage während dieses Reichstages nicht zu einer von allen Reichsständen getragenen politischen Forderung, was mit dem ständischen Bemühen um die Durchsetzung einer eigenen, von der Kurie unabhängigen weltlichen Urteilsinstanz im Sinne der Schiedsgerichtsidee sowie nicht zuletzt mit dem Auftreten Luthers selbst zusammenhing. Dass der Konzilsgedanke nicht realisiert werden konnte, lag aber in erster Line an der ablehnenden Haltung des Kaisers und der Kurie. Karl V. hatte – nach den zur Verfügung stehenden Quellen – in Worms die Konzilsidee weder in der Luthersache noch in der Kirchenreformdebatte näher erwogen, obwohl sie unter seinen Räten präsent war.121 bu(e)chlin binn ich gnant,/ lang zeyt gelegen vnbekant./ Nun wünsch ich fürha(e)r, rechter zeyt,/ glaub mir, der Haß im Pfeffer leyt/ Concilium, Concilium/ Concilium. – Siehe E. Böcking (Hg.), Ulrichs von Hutten Schriften Bd. 1. Briefe von 1506 bis 1520, Leipzig 1859, 76 f.; Ders., Ulrichs von Hutten Schriften Bd. 2. Briefe von 1521 bis 1725, Leipzig 1859, 78 f. Jedin, Geschichte 1, 162, der Kalkoff, Hutten, 326 folgt, ordnet die Motivation zur Publikation dem Umfeld des Reichstages zu. Wann die Schrift erschien, ist kaum eindeutig zu beantworten. Folgt man J. Benzing, Ulrich von Hutten und seine Drucker. Eine Bibliographie der Schriften Huttens im 16. Jahrhundert mit Beiträgen von Heinrich Grimm (Beiträge zum Buch- und Bibliothekswesen 6), Wiesbaden 1956, 125, erschien die Schrift nach dem 20. Februar 1521, nach Böcking erst nach dem 14. Juni 1521. 119 Faber schlug in seiner Stellungnahme (Förstemann, 66 f. Nr. 23; Walch 2 15, 1722 f. [ Johann Faber’s Bedenken an Kurfürst Friedrich]) ein von den mächtigsten Fürsten Europas beschicktes Gelehrtengericht vor, in dem über Luthers Schriften beratschlagt und entschieden werden sollte. Er erweiterte diese Idee um ein allgemeines Konzil nach altkirchlichem Vorbild. DRTA.JR 2; 484,23–28 Anm. 2: Contra Arrium, Sabellium, Nestorium ita processum, nec pontifici Romano soli, neque cuivis alteri creditum; sed caesares convocarunt concilium quandoque soli, quandoque cum pontifice, et illic semper defi nitum, quid verum quidve erroneum, testantur concilia quatuor prima. Neque hi citati Romam, neque condemnati Romae, sed in conciliis; ita et nunc fieri posset. 120 Brieger, Aleander, 79,8 f. Nr. 12 (Aleander an den Vizekanzler Medici, Worms, 28. 2. 1521): il Cancelliere dice esser impossibile, saltem absque Concilio, et quod fata obstant, et questo è il suo proverbio. – Siehe auch Kalkoff, Depeschen, 74 Nr. 11. Die Klage erhob Aleander auch am 4. März gegen Gattinara, der behauptete, dass die Problematik um Luther nicht ohne Konzil zu klären sei. Siehe Brieger, Aleander, 87,14–17 Nr. 13; Kalkoff, Depeschen, 83 Nr. 12 (Aleander an den Vizekanzler Medici, Worms, [4. 3. 1521]). Dass Gattinara tatsächlich für ein Konzil zur Klärung der Luthersache plädierte und somit nach Kolde, Luthers Stellung, 98 ein Vertreter der konziliaren Idee war, stellte Hofmann, Konzilsfrage, 23 f. in Frage. Für ihn äußerte der Großkanzler diese Ansicht nur aus taktischen Gründen, um die Reichsstände für die notwendige Romzugshilfe positiv zu stimmen. Gegen Hofmann betonte Jedin, Geschichte 1, 161 f. 181 f. unter Hinzuziehung der späteren politischbiographischen Entwicklung, dass Gattinara in der Tat ein Anhänger der Konzilsidee war. 121 Karl V., welcher in der am 17. September 1526 als Notariatsinstrument publizierten Staatsschrift von Papst Clemens VII. an ein künftiges Konzil appellierte, ließ 1521 noch keine konziliaren Tendenzen erkennen. Vgl. Hofmann, Konzilsfrage, 20–22. Zu der aus dem Konfl ikt zwischen Karl V. und Clemens VII. entstandenen und vermutlich vom Großkanzler Gattinara mitverfassten kaiserlichen Konzilsappellation vgl. u. a. Bäumer, Nachwirkungen, 160; Becker, Appellation, 260–263; Jedin, Geschichte 1, 189 f.; G. Müller, Zur

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Auf vehemente Ablehnung stieß das Konzilsbegehren bei den Vertretern der Kurie, da sowohl in der Luthersache als auch in Bezug auf die Kirchenreformen ein Konzil, das sich an die konziliaristischen Ideen der Reformkonzilien des 15. Jahrhunderts anlehnte und somit die Autorität des Papstes und des römischen Hofes konterkarierte, verhindert werden musste.

1.2. Aleanders antilutherisches Wirken in der Konzilsfrage Die ablehnende Haltung der Kurie in der Konzilsfrage wurde in einer wahrscheinlich von Aleander Ende Dezember oder Anfang Januar 1520/21 verfassten Instruktion für eine geplante, aber nicht zu Stande gekommene kaiserliche Gesandtschaft an Kurfürst Friedrich manifest.122 In dem Schreiben warnte Aleander den Kurfürsten insbesondere vor dem vermeintlichen Rechtsmittel der Konzilsappellation: Die Instanz des Generalkonzils, an die Luther gegen das päpstliche Urteil appelliert habe, komme als Berufungsinstanz nicht in Frage, weil ein solches Konzil nur mit großen Schwierigkeiten versammelt werden könne. Höchst gefährlich sei es für die christliche Sache, dass Luther unter Verweis auf seine Konzilsappellation gegen den Glauben ungestraft reden, nicht gehorchen, alles leugnen und verwerfen zu können meine. Die gesamte Ordnung der Kirche werde durch eine solche Appellation umgestoßen.123 Somit legte Aleander allen Nachdruck darauf, die durch die Konzilsappellation heraufziehende Gefahr für die römische Kurie, die durch die Anerkennung des Rechtsinstruments von verschiedenen Beratern deutscher Fürsten und vermutlich auch von Friedrich dem Weisen drohte, abzuwehren und die Appellation als Berufungsmittel wirksam zu bekämpfen. Inzwischen war am 3. Januar 1521 die Bannbulle „Decet Romanum Pontificem“124 gegen Luther und seine Anhänger in Rom feierlich promulgiert und zusammen mit dem Inquisitionsbreve „Apostolicae sedis providentia“ sowie Vorgeschichte des Tridentinums. Karl V. und das Konzil während des Pontifi kats Clemens’ VII. (ZKG 74, 1963, 83–108), 83–95. 122 Vgl. zur Gesandtschaft und zur Instruktion DRTA.JR 2; 474 f. Anm. 1. 123 Balan, Monumenta, 93 Nr. 35: Moneatur etiam benigne, caveat sibi ab excommunicatione, et interdicto, neque fidat appellationi Lutheranae: non enim rationabile est, neque paci Christianorum opportunum, ut in rebus spiritualibus, statim quis ad Concilium generale provocet, quod magna cum difficultate congregari potest; et sic igitur liceret unicuique (quidquid sibi libitum esset) contra fidem impune loqui, et de ea iuxta suum cuiusque sensum (ut Martinus saepe facit et consulit) statuere, scripturae sensum pervertere, decreta patrum negare, conciliis detrahere, sententiis prelatorum diffi nitivis, non obedire, nihil omnio in religione pensi habere, sub hoc ad Concilium appellandi praetextu: quod sicuti est enormissimum, absurdissimum abominabile et in re Christiana perniciosissimum: ita pro certo teneat Illustrissimus Dux hujuscemodi appellationes et pessimas et inanes esse, nihilque prodesse, [. . .]. 124 Siehe die kritische Edition DCL 2, 457–467 mit den einleitenden Bemerkungen aaO. 445–450.

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V. Die Politisierung und Problematisierung der Konzilsthematik (1521)

verschiedenen Instruktionsschreiben dem päpstlichen Nuntius Aleander zugeschickt worden.125 Dieser erhielt die ungeduldig erwartete Bulle, über deren Inhalt er sich enttäuscht zeigte und deren Publikation er daher verschieben musste, am 10. Februar.126 Am Aschermittwoch, dem 13. Februar 1521, überreichte Aleander das päpstliche Breve „Alias Celsitudini“127 dem Kaiser und teilte ihm mit, dass Luther am 3. Januar exkommuniziert worden sei. Anschließend hielt er vor den Reichsständen eine mehrstündige Rede, in der er die Gefährlichkeit von Luthers Häresie betonte und die Stände aufforderte, ohne Disputation alle Maßnahmen zur Ketzerverfolgung umgehend einzuleiten. Dabei suchte er mit Hilfe des sensiblen Konzilsthemas einen Stimmungsumschwung gegen Luther unter den Reichsständen herbeizuführen. Obwohl die durch den Kaiser am Tag zuvor veranlasste Rede nicht erhalten ist, vermitteln der ausführliche Bericht des kursächsischen Kanzlers Gregor Brück128 sowie Selbstzeugnisse von Aleander129 die zentralen Gedanken, die zum Teil in den Text des Wormser Edikts gegen Luther eingehen sollten.130 Um die antikuriale und papstkritische Stimmung der Reichsstände auszugleichen, knüpfte Aleander nicht an Luthers Papstkritik an, sondern konzentrierte sich unter geschicktem Aufgreifen der konziliaren Argumentation auf Luthers Kritik am Konstanzer Konzil und an der konziliaren Idee überhaupt, wozu er u. a. Luthers soeben erschienene „Assertio omnium articulorum“ heranzog. In welcher Art und Weise er das Konzilsthema mit Luther verband, sei im Folgenden ausführlicher dargestellt. Der Nuntius charakterisierte Luther als Häretiker und Aufrührer, indem er Parallelen zu den böhmischen Ketzern herstellte und ihn als Gefahr für die Obrigkeit brandmarkte.131 Wie bereits Johannes Eck gegenüber Herzog Georg in Leipzig nutzte auch Aleander die im Gedächtnis der deutschen Fürsten verankerte Angst vor den politischen Aufständen der Böhmen, die Aleander durch Luthers Sympathie für den auf dem Konstanzer Konzil verdammten und verbrannten Jan Hus stützte und als Argument für die Richtigkeit der päpstlichen 125 DCL 2, (450 f.) 467–472. Die Texte wurden Aleander durch Kardinal Giulio de Medici, Erzbischof von Florenz und späterer Papst Clemens VII., am 28. Januar aus Palo zugeschickt. 126 Zur Vorgeschichte der Bannbulle und zur Rolle Aleanders bei der Zurückziehung und Neufassung der Bulle, die der päpstliche Nuntius u. a. aus Furcht vor Ulrich von Hutten von Rom forderte, vgl. DCL 2, 446–450. 127 Siehe das am 18. Januar von Leo X. verfasste Breve in: DCL 2, (451 f.) 472–476. 128 DRTA.JR 2; 494–507 Nr. 67. 129 Siehe Brieger, Aleander, 58–60 Nr. 7; Kalkoff, Depeschen, 54–57 Nr. 7 (Aleander an den Vizekanzler Medici, Worms, 12. 2. 1521); Brieger, Aleander, 61–63 Nr. 8; Kalkoff, Depeschen, 58–60 Nr. 8 (Aleander an den Vizekanzler Medici, Worms, 14. 2. 1521); Balan, Monumenta, 59 Nr. 23; Kalkoff, Briefe, 43 Nr. 7 (Aleander an Dr. Johann Eck, Worms, 17. 2. 1521). 130 Siehe DRTA.JR 2; (640) 643–659 Nr. 92. 131 DRTA.JR 2; 496,6–13.

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Linie markierte.132 Daran anknüpfend erinnerte Aleander an die von Luther in der Leipziger Disputation getätigten Aussagen, dass etliche in Konstanz verdammten Artikel von Hus christlich gewesen seien, und monierte, Luther habe in seiner jüngst erschienenen „Assertio omnium articulorum“ diese Aussage dahingehend korrigiert, dass alle dort verdammten Artikel christlich und die vom Konzil zugelassenen und approbierten Artikel ganz ketzerisch gewesen seien.133 Aus diesem Grund bemerkte der Nuntius nach Brücks Bericht: „Wie eine grosse verstockung! was das heilige concilium gelobt, vordampt Luther, und was dasselbige vordampt, lestert er!“134

Im Rahmen der Kritik an verschiedenen als blasphemisch bewerteten Lehraussagen Luthers, zu denen Ausführungen über Luthers in „De captivitate Babylonica“ vorgetragene Lehre über das allgemeine Priestertum der Glaubenden und die Sakramente zählten,135 erwähnte er, die Griechen würden die Vorstellung vom Fegefeuer ablehnen. Diese Behauptung sei falsch und werde durch die Bulle des Florentiner Konzils von 1439 widerlegt, in der der Kaiser von Konstantinopel, Johannes Paläologus, die Lehre vom Fegefeuer und den Papst als Oberhaupt der gesamten christlichen Kirchen anerkannt habe.136 Inszenatorisch verdichtet präsentierte er darauf hin der staunenden Versammlung die unter dem Titel „L[a]etentur caeli“ bekannt gewordene Unionsbulle, die Aleander angeblich im Dezember 1520 in einem Wormser Archiv entdeckt hatte.137 Dass dieses Dekret, über das am folgenden Tag ein kritisches Gutachten angefertigt wurde,138 von der griechischen Kirche nie rezipiert worden war, verschwieg Aleander. 132 DRTA.JR 2; 497,14–19: So hat sein bebstliche Heiligheit nicht geringere hoffnung und zuversicht zu euch, den anderen churfursten, fursten und stenden des heiligen Romischen reichs, alzo das seine Heiligheit nicht zweifelt, ir werdet den nicht leiden, der Johannem Huss und Jheronimum von Praga, die zu Costenicz vordampt und vorbrandt sein, aus der hellen widerrufft und ab inferis revocirt. 133 AaO. 500,1–6. Siehe WA 7; 135,12–21. Folglich hatte Aleander bereits vor dem 13. Februar die „Assertio“ studiert. 134 DRTA.JR 2; 500,6–8. 135 Hierunter rechnete Aleander z. B. die Lehre vom allgemeinen Priestertum der Glaubenden mit ihrer Suspension des Unterschiedes zwischen Laien- und Priesterstand (siehe aaO. 502,21–31). 136 AaO. 500,25–502,8. Die in der 6. Sitzung am 6. Juli 1439 beschlossene „Defi nitio sanctae oecumenicae synodi Florentinae“ ist in COD3 523–528 abgedruckt. Allerdings wird in dem Dokument die Lehre vom Fegefeuer defi nitorisch nicht näher ausgeführt, während von den Reinigungsstrafen und der Genugtuung ausführlicher gehandelt wird, (aaO. 527,30–42; DH 1304–1306). Zum Primat des Papstes siehe COD3 528,15–30; DH 1307. 137 Bereits am 14. Dezember hatte Aleander die Unionsbulle dem kaiserlichen Staatsrat vorgelegt und die zentrale Argumentation Luthers, die griechische Kirche weiche von der römischen in dem Primat des Papstes, der Lehre vom Fegefeuer und der Fürbitte der Heiligen ab, hierdurch zu widerlegen versucht. Vgl. DRTA.JR 2; 501 Anm. 1; WAB 2; 261 Anm. 5. 138 Zum Wortlaut des Gutachtens, das generell das Konzil von Florenz im Gegenüber zum

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Anschließend rekurrierte Aleander erneut auf das Konstanzer Konzil und die Konzilien insgesamt, indem er gegen Luther behauptete: „Item er sundiget wider die heiligen concilia und voracht die, thar das concilium Constanciense, do der keiser Sigemundt und der merer teil der prelaten Deuczscher und Welscher, auch anderer nacionen kegenwertig gewest, sentinam diaboli nennen.“139

Weil das Konstanzer Konzil als Reformkonzil auf deutschem Boden in der deutschen Nation nach wie vor hohes Ansehen genoss,140 hoffte der Nuntius nun mit der an den nationalen Gedanken anknüpfenden Argumentation die konziliar gesinnten Reichsstände gegen Luther einzunehmen. Schließlich griff Aleander Luthers Konzilsappellation an und argumentierte gegen sie aus kirchenrechtlicher und normativer Perspektive: Zum einen sei die Appellation gegen die Bestimmungen des apostolischen Stuhles erfolgt,141 zum zweiten verachte Luther hierin die Lehrautorität des Papstes und zum dritten akzeptiere er die Entscheidungsgewalt des Konzils überhaupt nicht, da Luther öffentlich vom Konstanzer Konzil behaupte, es habe gegen Hus und Hieronymus von Prag Unrecht getan.142 Folglich nutzte der päpstliche Vertreter unter einseitiger Reduzierung und ohne Einbettung in den kontextuellen Zusammenhang Luthers ablehnende Aussagen zum Konstanzer Konzil, um ihm grundsätzlich eine antikonziliare Haltung und eine perfide Widersprüchlichkeit zu unterstellen. Mit der Argumentation gegen die Konzilsappellation hoffte Aleander dem sich auf Luther beziehenden Konzilsbegehren den Boden zu entziehen und ein Verhör des Ketzers vor dem Forum des Konzils oder Reichstages abzuwenden. Bereits kurze Zeit später konstatierte Aleander zufrieden, dass die Begeisterung für Luther bei den anwesenden Reichsständen spürbar nachgelassen habe. Es sei dies die Frucht seiner Aschermittwochsrede, „denn man wusste eben nur von den schmählichen Angriffen Luthers auf Papst und Klerus, nicht aber von seinen Äußerungen über die Sakramente und seiner Billigung sämtlicher ArtiBasler Konzil kritisierte, siehe DRTA.JR 2; 501 Anm. 1. – Luther, der von Aleanders Fund gehört und sich darauf hin um die Akten bemüht hatte, war vermutlich im Januar in den Besitz der Konzilsakten von Florenz gelangt. Anfang Februar äußerte er gegenüber Spalatin, dass er diese drucken lassen wolle. Hierzu ist es aber höchstwahrscheinlich nicht gekommen. Siehe WAB 2; 260,8 Nr. 375 (Luther an Spalatin, Wittenberg, 3. 2. 1521). 139 DRTA.JR 2; 503,17–20. Aleander dürfte mit dieser Aussage auf Luthers Bemerkung in seiner „Assertio“ gegenüber den päpstlichen bzw. konziliaren Beschlüssen von Konstanz angespielt haben, WA 7; 135, 20 f.: tua autem omnia prorsus impia et diabolica. 140 Vgl. Hofmann, Konzilsfrage, 26. 141 Hier irrt Hofmann, Konzilsfrage, 26, der behauptet, dass Aleander „schlauerweise, auf das päpstliche Verbot einer Appellation an das Konzil hinzuweisen“, vermieden hätte. 142 DRTA.JR 2; 505,22–29: Aber Martinus Luther hat zu sterkung seins mutwillens und auf[ru]rischen furnemens wider die determinacion sedis apostolice an das concilium appellirt und vormeint unsers heiligsten vaters des babstes erkentnis nicht zu leiden. Des concilii erkentnis kann er auch nicht leiden, dan er vorwirft und voracht alle ordinancien der heiligen concilien, spricht offentlich, das concilium zu Costenicz habe Johanni Huss und Iheronimo von Praga unrecht gethan.

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kel des Jan Hus.“143 Ob Aleanders polemische Rede tatsächlich die von ihm geäußerte Wirkung erzielte oder das Nachlassen der Lutherthematik nicht vielmehr aufgrund der am 6. März erfolgten kaiserlichen Einladung Luthers nach Worms stattfand, die ein Rückschlag für Aleanders Bemühen bedeutete, kann nicht genau geklärt werden. Anzunehmen ist, dass insbesondere die Erwähnung von Hus und Luthers negative Bewertung des hoch angesehenen und geschätzten Konstanzer Konzils unter den Zuhörern alte Befürchtungen hervorrief und vielfach zu einer kritischen Distanz gegenüber Luther führte. Dass durch Aleanders Agitation auch der Kaiser überzeugt wurde, wird in den unter Mitwirkung Aleanders zustande gekommenen kaiserlichen Mandatsentwürfen gegen Luther deutlich, in denen dieselben Begründungen Eingang fanden und zunehmend mit der nationalen Argumentation verknüpft wurden.144 Weil außerdem Aleanders Ausführungen für die Mehrzahl der regierenden Häupter die erste inhaltliche Berührung mit Luthers Lehre bedeutete, konnte die Rede bei einzelnen Herrschern zu einer kritischeren Sicht des Wittenberger Theologen führen. Andererseits war Aleanders Rede nicht überzeugend genug, um die von ihm intendierte Vermeidung der Vorladung Luthers vor den Reichstag zu verhindern.

143 Brieger, Aleander, 93,24–94,7 Nr. 14; Kalkoff, Depeschen, 89 Nr. 13 (Aleander an den Vizekanzler Medici, [Worms, 8. 3. 1521]). 144 Während im kaiserlichen Mandatsentwurf vom 15. Februar (DRTA.JR 2; [507] 509– 513 Nr. 68) zwar der Hinweis auf die von Luther in seiner „Assertio“ verbreiteten Artikel, „so an vil orten in Behemen gehalden werden und di von den heiligen concilien vor ketzerisch erkannt und erklert sein“ (aaO. 512,5–7), als Ketzerbegründung genannt wurde, fand die Argumentation gegen Hus und das Konstanzer Konzil mit dem nationalen Gedanken erst im Ediktsentwurf vom 2. März (DRTA.JR 2; [520] 521–526 Nr. 72) Eingang, aaO. 523,20– 29: [. . .] mit einfurung der artigkel, der sich vor zeiten Johannes Huss und Wicklef gebraucht, und di durch di Behmischen ketzer bisher und noch gebraucht worden und von den heiligen concilien als ketzerisch erkant und erclert sein, geprediget und ausgeschrien, uber das des Hussen sekte oder irsal in dem heiligen concilii zu Costenz zusambt ainem Ro. kaiser und den fursten Deutzscher nacion mit grosser frolokung aller Deutzschen und hail der ganzen cristenhait verdampt und verworfen worden ist, welchs der Lutter verechtlicher weis auslegt, als ob in solichem der entekrist wer gesessen und dasselbig concili des teufels stul gewesen sei. – Diese Ergänzung war höchstwahrscheinlich eine Reaktion in Folge der Aschermittwochsrede Aleanders, der Bannbulle und des päpstlichen Schreibens an Karl V. vom 18. Januar, die allem Anschein nach in den Entwurf vom 15. Februar noch nicht berücksichtigt waren. Im schließlich publizierten Entwurf vom 10. März (DRTA.JR 2; [529] 531–533 Nr. 75) wurde die Argumentation auf die einstige Ablehnung der nun von Luther geäußerten Lehren im Konstanzer Konzil und ihre Bewilligung durch Kaiser und Reichsstände zugespitzt formuliert, aaO. 531,11–19: Wir [Karl V.], auch eur jeder tragen gut wissen, was wort, schriften und bücher durch Martin Luther [. . .] und in seinem namen ein zeit her gepredigt und in Latein und Teutsch geschriben, gedruckt und ausgebraitet, die unserm heiligen glauben cristenlicher ler, satzung und gebrauch in vil weg ganz widerwertig und verletzlich, die auch den merern teil im heiligen concili zu Costenz mit rat und bewilligung ains Römischen kaisers, auch aller fürsten und comunen und sonderlich Teutscher nacion verdilget, verworfen und verdampt worden sein.

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Um das Konzilsbegehren darüber hinaus einzudämmen, intervenierte Aleander angeblich mit Hilfe einer Falschmeldung, worüber er im Abstand von zwei Jahren in einem Gutachten berichtete: In der Konzilsforderung habe er sich gegenüber einigen Fürsten anfangs mit Ausreden beholfen, aber dann, nachdem ein Kurier aus Rom eingetroffen sei, behauptet, der Papst beabsichtige in naher Zukunft ein Konzil auszuschreiben. Darauf hin seien sie derartig bestürzt gewesen, dass weder die kaiserlichen Räte noch die Fürsten „forthin das Konzil zu erwähnen wagten.“ Hätte der Papst wirklich die Absicht gehabt, ein Konzil einzuberufen, wären die Deutschen die ersten gewesen, die es zu verhindern versucht hätten.145 Wo, wann und gegenüber wem Aleander diese Mitteilung tätigte, verschwieg er. Weil der Inhalt, selbst wenn er erfunden war, als hochbrisante Nachricht in den Korrespondenzen der Reichstagsteilnehmer in irgendeiner Form Niederschlag gefunden haben müsste, in ihnen aber keinerlei Notiz von dem Konzilsvorhaben des Papstes vorhanden ist, ist Aleanders Meldung mit historischer Vorsicht zu betrachten. Trotzdem dürfte Aleander einen nicht unwesentlichen Beitrag geleistet haben, das Konzilsbegehren und die Konzilsthematik insgesamt bis zum Auftreten Luthers in Worms zurückgedrängt zu haben. Seine Einflussnahme in der Luthersache mittels des Konzilsthemas unterstrich Aleander mit einer weiteren Aktion: Wahrscheinlich zwischen dem 19. Februar und dem 1. März stellte er – ähnlich wie zuvor Glapion – eine Liste häretischer Sätze aus „De captivitate“ und der „Assertio“ zusammen, von der er hoffte, sie werde erfolgreich zur Meinungsbildung und als Verhandlungsgrundlage vom Kaiser und den Reichsständen rezipiert.146 Tatsächlich wurde diese Liste, in der auch ausführlich Luthers jüngste Aussagen zum Konstanzer Konzil genannt wurden,147 als Zusammenstellung der von Luther zu widerrufenden Lehren von den Ständen genutzt. Luther selbst erhielt sie von Spalatin im März als Widerrufl iste zugesandt148 und kommentierte sie nach anfänglichem Unwillen über die Widerrufforderung im Rahmen seiner Reichstagsvorbereitung.149

145

DRTA.JR 2; 666 Anm. 2. Siehe auch Hofmann, Konzilsfrage, 23 f. Siehe Förstemann, 44 f. Nr. 8 (Latein) und aaO. 46 f. Nr. 9 (Deutsch). Zu den Entstehungshintergründen vgl. WA 7; 605–607. 147 Förstemann, 45 und WA 7; 612 f. 148 Siehe die Äußerung Luthers gegenüber Spalatin am 19. März, WAB 2; 289,5–11 Nr. 389 (Luther an Spalatin, Wittenberg, 19. 3. 1521): Articulos reuocandos, Mi Spalatine, & res gerendas a me praescriptas accepi. Tu ne dubites nihil me reuocaturum, postquam video non alio eos niti argumento, quam quod contra ritum & consuetudines Ecclesie (quam fi ngunt) scripserim. 149 Die von Luther kommentierte Liste wurde gedruckt unter dem Titel: „Martini Lutheri responsio extemporaria ad articulos, quos Magistri Nostri ex Babylonica et Assertionibus eius excerpserant, quos venienti Wormatiam obiicerent tanquam haereticos“ (WA 7; [605] 608–613). 146

§ 12 Die Konzilsthematik und der Wormser Reichstag

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2. Luthers Auftritt vor Kaiser und Reich Während sich der Kaiser in seinem Mandatsentwurf vom 15. Februar für die sofortige Exekution der Bannbulle und die Gefangennahme Luthers einsetzte,150 drangen die Reichsstände unter Hinweis auf die drohende Aufstandsgefahr durch das lutherisch gesinnte Volk am 19. Februar darauf, Luther vor den Reichstag zu laden und von einem unparteiischen Gremium zu verhören. Sollte er seine Glaubensirrtümer widerrufen, müsste er in den übrigen Aspekten angehört werden. Bei Weigerung des Widerrufs müssten aber die entsprechenden Maßnahmen zur Ketzerbekämpfung eingeleitet werden.151 Nach intensivem diplomatischen Ringen, zähen Verhandlungen und einem erneuten kaiserlichen Mandatsentwurf vom 2. März152 wurde vermutlich am 6. März beschlossen, Luther vorzuladen, um ihm zum Widerruf Gelegenheit zu geben. Bereits in der Sitzung vom 19. Februar hatte der Kaiser die bei den Reichsständen mit der Luthersache verknüpfte Gravaminathematik von dieser getrennt, indem er die Stände aufforderte, ihre Gravamina unabhängig von der Causa Lutheri zusammenzustellen. Mit dieser kaiserlichen Unterscheidung wurde die seit dem Sommer 1520 bestehende enge Verbindung von Kirchenreformbestrebungen und Luthers Reformation brüchig.153 Neben dem Vorladungszugeständnis an die Stände hielt der Kaiser an seinem Mandat gegen Luther fest, welches – in modifizierter Form und unter Umgehung der Reichsstände – die Anweisung enthielt, alle Bücher Luthers unverzüglich der Obrigkeit auszuliefern. Auch wurde in dem auf den 10. März datierten und am 26. oder 27. März veröffentlichten sogenannten Sequestrationsmandat betont, dass der Papst Luthers Lehre bereits verdammt und sich der Reichstag gegen jede Neuerung ausgesprochen habe.154 Folglich gestaltete sich die kaiserliche Politik in der Luthersache doppelgleisig: Den Reichsständen gestattete er die Vorladung Luthers, dem kurialen Ansinnen kam er mit dem Luthers Schriften verurteilenden Sequestrationsmandat entgegen.155 Am 6. März lud der Kaiser unter Zusage des freien Geleites für An- und Abreise, aber ohne nähere Angabe über den Vorladungszweck Luther nach Worms.

150 DRTA.JR 2; (507) 509–513 Nr. 68 (Erster Entwurf eines Edikts gegen Luther und seine Anhänger, vom Kaiser den Ständen vorgelegt am 15. Februar). 151 AaO. (514) 515–517 Nr. 69 (Antwort der Stände auf den ihnen vom Kaiser am 15.2. vorgelegten Entwurf eines Edikts gegen Luther). 152 AaO. (520) 521–526 Nr. 72 (Zweiter Entwurf eines kaiserlichen Edikts gegen Luther). 153 Siehe aaO. 518 f. Anm. 1; Scheible, Gravamina, 179. 154 DRTA.JR 2; (529) 531–533 Nr. 75 (Mandat Kaiser Karls V.). Siehe auch Aleanders Bericht über die Entstehungsgeschichte des Sequestrationsmandats: Brieger, Aleander, (89) 91–95 Nr. 14; Kalkoff, Depeschen, 86–91 Nr. 13. 155 Vgl. Brecht, Luther 1, 425.

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V. Die Politisierung und Problematisierung der Konzilsthematik (1521)

Der Einladung folgte Luther ohne Zögern.156 Obwohl er das kaiserliche Sequestrationsmandat auf seiner Reise kennenlernte, in dem Karl V. die Gelegenheit zum Widerruf erwähnte, seine Treue gegenüber dem Papst beteuerte und den Mönch als bereits Verurteilten behandelte, hielt es den Wittenberger Theologen nicht davon ab, in Worms zu erscheinen, um seine Lehren vortragen zu können.157 Dort traf Luther, vom Reichsherold Kaspar Sturm und etwa 100 ihn schützenden Soldaten begleitet, am Dienstag, dem 16. April, vormittags ein und wurde von der Bevölkerung und zahlreichen Gästen überschwänglich begrüßt.158 Sein Quartier bezog Luther im Komturhof der Rhodeserritter, dem sogenannten Johanniterhof, in dem u. a. die kursächsischen Räte Friedrich Thun und Philipp von Feilitzsch sowie der Erbmarschall des Heiligen Römischen Reiches, Ulrich von Pappenheim, wohnten.159 156 Siehe WAB 2; (278) 280 f. (Kaiser Karl V. an Luther, Worms, 6. 3. 1521); DRTA.JR 2; 526 f. Nr. 73; aaO. 527–529 Nr. 74; WAT 2; 658,9–659,2 Nr. 2783c. 157 Als Vorladungsgrund nannte Karl in seinem Schreiben an Luther nicht den Widerruf, sondern die Erkundigung über die Lehren und Bücher, „so ain zeither von dir ausgeganngen sein“ (WAB 2; 280,4–6). Über die Reise siehe die zwei überlieferten Reisebriefe WAB 2; 296 f. Nr. 395 (Luther an Melanchthon, Gotha, 7. 4. 1521); aaO. 298 f. Nr. 396 (Luther an Spalatin, Frankfurt a. M., [14.4.] 1521). Die Reise nach Worms gestaltete sich für Luther zu einem öffentlichen Triumphzug. So begrüßte ihn in Leipzig der Magistrat mit einem Ehrentrunk Wein, in Weimar erhielt er von Herzog Johann Zehrgeld und in Erfurt wurde er von der Universität durch einen Empfang geehrt. An verschiedenen Orten predigte er. Den in einer überdachten Kutsche reisenden Luther begleiteten aus Wittenberg der Augustiner-Eremitenmönch Johann Petzensteiner, Nikolaus von Amsdorf und der pommersche Adelige Peter von Suaven, aus Erfurt der Jurist Justus Jonas. Vgl. Brecht, Luther 1, 427–431; Schwarz, Luther, 104 f. 158 Siehe DRTA.JR 2; 850 f. Nr. 190 (Veit Warbeck an Herzog Johann von Sachsen, Worms, 16. 4. 1521); Brieger, Aleander, 142 f. Nr. 22; Kalkoff, Depeschen, 133 f. Nr. 18 (Aleander an den Vizekanzler Medici) Aleander berichtete teils furchtsam, teils spöttisch über die Ankunft des „Ketzermeisters“: Nachdem ein Priester Luther beim Verlassen seines Wagens in seine Arme geschlossen, dreimal das Gewand angerührt und ihn wie eine heilige Reliquie behandelt hätte, habe Luther mit „seinen dämonischen Augen im Kreise umher“ geblickt und gesagt: „Gott wird mit mir sein.“ Zitiert nach Kalkoff, Depeschen, 133. Vgl. zur Ankunft auch Wohlfeil, Reichstag, 112. 159 Vgl. F. Reuter, Worms um 1521 (in: Ders., Reichstag zu Worms, 13–58), 45 f. Im Johanniterhof wohnten darüber hinaus weitere Mitglieder des kursächsischen Hofes, von denen sich die Beamten Hans Schott und Bernhard von Hirschfeld aufgrund der Raumnot mit Luther ein Schlafzimmer teilen mussten. Über den Aufenthalt in Worms informieren u. a. folgende Quellen: Acta et res gestae D. Martini Lutheri in comitiis principum Wormaciae a. 1521 (DRTA.JR 2; [540] 545–569 Nr. 79); Die ganze Handlung [. . .] (DRTA.JR 2; [569] 573–586 Nr. 80); der Bericht des Offi zials von Trier (DRTA.JR 2; [587] 588–594); Ettliche sunderliche fleissige Handlung in Dr. M. Luthers Sachen [. . .] zu Wormbs [. . .] ergangen (DRTA.JR 2; [599] 600–611 Nr. 85); Verhandlungen mit D. Martin Luther auf dem Reichstage zu Worms, in: WA 7; 814–887, worin die vorangehenden Berichte ebenfalls enthalten sind. Luther selbst ergänzt in seinen Tischreden rückblickend manche Details zum Wormser Reichstag, wobei der historische Quellenwert aufgrund des zeitlichen Abstandes, der Redesituation und der Gattung zum behutsamen Umgang mahnt. Siehe WAT 3; 281– 289 Nr. 3357 (27. 9. 1533); aaO. 343,25–344,12 Nr. 3474; WAT 5; 65–73 Nr. 5342; aaO.

§ 12 Die Konzilsthematik und der Wormser Reichstag

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2.1. Das Verhör vor dem Reichstag am 17. April Bereits am folgenden Tag, dem 17. April, erhielt Luther die Vorladung zum Verhör.160 Am Nachmittag wurde Luther durch den Reichserbmarschall und den Reichsherold in die Herberge des Kaisers, den Bischofshof, geleitet, wo sich in einem niedrigen und offensichtlich zu kleinen Raum ein Gremium aus Reichsständen, kaiserlichem Hofstaat und Kaiser versammelt hatte.161 Zu Beginn des Verhörs, dem der päpstliche Nuntius Aleander trotz Mitwirkung an der Vorbereitung fern blieb,162 ermahnte der Reichserbmarschall Luther, lediglich auf Fragen zu antworten. Sodann stellte der offi zielle Verhandlungssprecher, der Trierer Offi zial Johann von der Ecken, Luther in lateinischer und deutscher Sprache im Auftrag des Kaisers zwei Fragen: Ob er sich erstens zu den unter seinem Namen ausgegangenen Büchern bekenne und ob er zweitens deren Inhalt aufrechterhalten oder etwas davon widerrufen wolle.163 Zur Veranschaulichung waren etwa zwanzig Lutherschriften in deutscher und lateinischer Sprache auf einer Bank nebeneinander gelegt, die Aleander dem Trierer Kirchenjuristen vorher übergeben hatte.164 80,27–81,8 Nr. 5350. Über die Quellen insgesamt vgl. Kalkoff, Wormser Reichstag, 320– 335. 160 Zum Verhör Luthers und der Bewertung durch die Anwesenden siehe neben WA 7; 814–882, die in WA 7; 882–887 genannten Berichte mit Quellennachweisen sowie verschiedene Dokumente in DRTA.JR 2. Aus der jüngeren Sekundärliteratur zum Verhör vgl. u. a. Brecht, Luther 1, 431–442; Kessler, Luther, 172–190; Lohse, Luthers Antwort, 124–134; K.-V. Selge, Capta conscientia in verbis Dei. Luthers Widerrufsverweigerung in Worms (in: Reuter, Reichstag zu Worms, 180–207); Schwarz, Luther, 105–107; Wohlfeil, Reichstag, 113–119. Bei der Darstellung des Verhörs am 17. und 18. April wird WA 7 zu Grunde gelegt und auf die Notierung der Parallelstellen in den DRTA.JR 2 bisweilen zugunsten der Lesbarkeit verzichtet. 161 Vgl. Kalkoff, Wormser Reichstag, 335–337. Die Ortswahl markierte, dass es sich nicht um eine Sitzung des Reichstages im strengen Wortsinn handelte, da die Ständeversammlungen in der Regel im Rathaus abgehalten wurden. Nach Wohlfeil, Reichstag, 113 unterstützte die Wahl des Verhörortes die These von Borth, Luthersache, 125, dass es bei der Befassung mit der Luthersache „primär nicht um einen Akt der Reichsgesetzgebung, sondern um einen Fall der Reichsstrafjustiz“ ging. 162 Am Morgen des 17. April hatten der Großkanzler Gattinara und Glapion, der einflussreiche Beichtvater des Kaisers, mit den Nuntien Aleander und Caracciolo die Strategie des Verhörs festgelegt. Siehe Brieger, Aleander, 145 f. Nr. 23; Kalkoff, Depeschen, 135 Nr. 19. 163 Siehe den Bericht des Offi zials von Trier WA 7; 826,15–19: primum fatearis libros hos praesentes (fasce librorum suorum Latine et Alemanice scriptorum ei ostenso) publice tibi et singulatim nunc nominatos, qui tuo nomine pretitulati circumferuntur, tuos esse, illosque pro tuis agnoscas nec ne? deinde an illos et eorum contenta retractare et revocare vel inherere eisdem pocius et inseverare velis? 164 Zur auf Latein abgefassten Liste der von Aleander zusammengestellten Schriften, die mit der Liste der ausgelegten Drucken identisch sein dürfte und zwölf lateinische und zehn deutsche Schriften aufzählte: Balan, Monumenta, 183 f. Nr. 68 = WA 7; 840,10–33. Siehe auch DRTA.JR 2; 548 Anm 1; Kalkoff, Wormser Reichstag, 341–343 Anm. 2. Über den Vorgang berichtet Luther 1540 in einer längeren Tischrede zum Wormser Reichstag WAT 5; 66,2–6 Nr. 5342a.

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V. Die Politisierung und Problematisierung der Konzilsthematik (1521)

Während Luther die erste Frage sogleich bejahen wollte, fiel ihm der assistierende kurfürstliche Rechtsberater, Hieronymus Schurf,165 ins Wort und forderte den Offi zial auf, die Titel der ausgelegten Bücher öffentlich und somit juristisch korrekt zu verlesen.166 Zu den ausgelegten Werken Luthers zählte neben den reformatorischen Hauptschriften aus dem Jahr 1520 u. a. auch seine Konzilsappellation. Dass sie sowohl in lateinischer als auch in deutscher Fassung vorlag, unterstrich vor Kaiser und Reich die Bedeutung, die Aleander und von der Ecken ihr zumaßen.167 Nach der Verlesung der Titel antwortete Luther zuerst auf Deutsch und anschließend auf Latein unter Wiederholung der ersten Frage, dass es seine Bücher seien. Hinsichtlich der zweiten Frage verwies er auf die zentrale Bedeutung der Sache für den Glauben und das Seelenheil und unterstrich, weil es sich hierbei um das Größte im Himmel und auf Erden, das Wort Gottes, handle, könne er nicht ohne Vorbereitung etwas behaupten.168 Nach Zitation von Mt 10,32 bat er die kaiserliche Majestät um Bedenkzeit, damit er, „ohne das Gotteswort zu verletzen“ und seine „Seele zu gefährden, die rechte Antwort auf die Frage geben möge.“169 Nach einer Beratung von Kaiser und Ständen erklärte der Offi zial in einer Mahnrede, obwohl Luther keine Bedenkzeit zugestanden hätte, da er hätte wissen müssen, warum er vorgeladen sei, werde ihm ein Tag zur Vorbereitung gewährt. Er müsse aber frei sprechen und dürfe sich nicht schriftlich erklären.170 165 Zu Schurfs Tätigkeit auf dem Wormser Reichstag vgl. den bei der Schreibweise von Personennamen changierenden Aufsatz von E.-W. Kohls, Humanisten auf dem Reichstag (in: Reuter, Reichstag zu Worms, 415–437), 425–429. Vgl. auch Schaich-Klose, Hieronymus Schürpf, 25–27. 166 WA 7; 828,7 f.; WAT 5; 66,5. 167 Neben der „Assertio“, die in lateinischer (Assertio omnium articulorum, WA 7; [91] 94–151) und deutscher Fassung (Grund und Ursach aller Artikel, WA 7; [299] 308–457) ausgelegt war, und der Schrift „Von den guten Werken“ (WA 6; [196] 204–276), die in einer lateinischen Übersetzung „De bonis operibus“ vorhanden war, bildete lediglich die Konzilsappellation, die vermutlich in den Ausgaben von 1520 vorlag, eine Doppelung. Siehe Balan, Monumenta, 183 f. und WA 7; 840,10–33. 168 WA 7; 829,1–15. 169 WA 7; 829,15–17 = DRTA.JR 2; 548,21–549,3: Peto hac de causa, et quidem suppliciter a Caesarea Maiestate vestra spacium deliberandi, ut citra divini verbi iniuriam et animae meae periculum interrogationi satisfaciam. – Warum Luther um Bedenkzeit bat, ist in der Forschung vielfach diskutiert und von Kessel, Luther, 173–178 sowie Wohlfeil, Reichstag, 115 f. zusammenfassend referiert worden. Weder motiverte m. E. innere Unsicherheit (S. Skalweit, Reich und Reformation, Berlin 1967, 140) noch eine Anweisung des Landesherrn, mit Hilfe der juristisch üblichen Bedenkzeitforderung dennoch zu der versagten Disputation zu gelangen (so Kalkoff, Friedrich der Weise, 40), Luther zu der Bitte. Am plausibelsten erscheint mir die Erklärung von Schwarz, Luther, 105: In der Zitation Luthers vor den Reichstag war der Widerruf nicht erwähnt, mit dem er aber nun offi ziell konfrontiert wurde, so dass die Bedenkzeitforderung „verständlich“ war. „Diese Bitte resultierte wohl aus dem Gewicht der Wahrheitsfrage, dem Ernst der Situation, der Würde des Forums und nicht zuletzt dem Wortlaut der Zitation.“ 170 WA 7; 829,18–830,4 = DRTA.JR 2; 549, 4–10. Siehe auch DRTA.JR 2; 589 f.

§ 12 Die Konzilsthematik und der Wormser Reichstag

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Darauf hin wurde Luther in sein Quartier geleitet, wo er dem Wiener Humanisten Johannes Cuspinian schrieb: „Aber ich werde in Ewigkeit auch nicht einen Strich widerrufen, so Christus gnädig ist.“171

2.2. Die Konzilsthematik am 18. April Für die Frage nach der Konzilsthematik auf dem Reichstag kam, was häufig in der Forschung übersehen wird, dem zweiten Verhörtag eine besondere Bedeutung zu: Luther, der vermutlich am Abend zuvor die geforderte Erklärung vorbereitet hatte, wurde erneut gegen 16 Uhr abgeholt und diesmal zu einem geräumigeren Saal in den Bischofshof geleitet.172 Nachdem eine vorangehende Sitzung von Kaiser und Kurfürsten beendet worden war, konnte Luther um 18 Uhr den völlig überfüllten Saal betreten.173 Die nun beginnende Verhandlung eröffnete der Trierer Offi zial mit mahnenden Worten auf Latein, die er auf Deutsch wiederholte.174 Er schloss mit der Grundfrage an Luther: „Willst Du die von Dir anerkannten Bücher alle verteidigen oder etwas zurücknehmen?“175 Luther antwortete in einer etwa zehnminütigen freien Rede,176 in der er sich zuerst noch einmal zu seinen Schriften bekannte und dann auf die Widerrufsfrage einging.177 Hierfür teilte er die Schriften in drei Gattungen ein: erstens erbauliche Schriften über christlichen Glauben und Sitten, zweitens Schriften gegen das Papsttum und die Papisten und drittens Schriften gegen einzelne Personen als Verteidiger der römischen Tyrannei. Die ersten Schriften, welche selbst von seinen Gegnern anerkannt würden, könne er nicht widerrufen, da er sonst die Wahrheit verurteile.178 Die zweiten Schriften werde er ebenfalls nicht widerrufen, da vielfach bezeugt sei, 171 WAB 2; 300,12 f. Nr. 397 (Luther an Joh. Cuspinianus in Wien, Worms, 17. 4. 1521): Verum ego ne apicem quidem reuocabo in[a]eternum, Christo quidem propitio. – Vorher (aaO. 300,8–11) hatte Luther kurz über den Verlauf des ersten Verhörtages berichtet. 172 Zur Wahl des Saales vgl. Kalkoff, Reichstag, 335–337. 173 Siehe DRTA.JR 2; 852–854 Nr. 192 (Sixtus Ölhafen an Hector Pömer, [Worms], 18. 4. 1521). Ölhafen wollte dem Verhör beiwohnen, entschied sich aber aufgrund des „ubergross gedreng“, nicht zu bleiben (aaO. 854,1 f.). 174 DRTA.JR 2; 549,26–550,12 = WA 7; 830,18–831,10. 175 WA 7; 831,8 f. Zitiert nach DRTA.JR 2; 550,10 f.: visne libros tuos agnitos omnes tueri? an vero quicquam retractare? 176 Nach DRTA.JR 2; 550 Anm. 1 ist strittig, in welcher sprachlichen Reihenfolge Luther antwortete. Möglicherweise antwortete Luther zuerst auf Deutsch und anschließend auf Latein. Vgl. Wohlfeil, Reichstag, 116. 177 Die lateinische, von Luther herrührende Fassung ist abgedruckt in WA 7; 832,2– 835,18; DRTA.JR 2; 551,5–555,9, die deutsche Fassung, die Spalatin anfertigte, in WA 7; 867,18–876,3; DRTA.JR 2; 575,2–581,15. Siehe auch den fragmentarischen Entwurf in WA 7; 815. Eine Übersetzung der lateinischen Fassung bieten Köstlin/Kawerau, Luther 1, 414–417 und Selge, Capta conscientia, 183–186. Vgl. auch Selges Interpretation, aaO. 188– 207. 178 WA 7; 833,1–7.

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„dass die Gesetze des Papstes und die Menschenlehren die Gewissen der Gläubigen elend in Fesseln geschlagen, misshandelt und zu Tode gefoltert haben und dass vor allem in dieser ruhmreichen deutschen Nation Hab und Gut von unglaublicher Tyrannei ohne Ende und auf unwürdige Weise verschlungen worden sind und noch verschlungen werden.“179 Sollte er diese Schriften widerrufen, stärkte er die Tyrannei und Gottlosigkeit sowie die Unterdrückung des armen Volkes.180 Auch die dritte Schriftgattung könne er nicht widerrufen, obgleich er in ihnen mitunter schroffer, als es einem Christen und Mönch zustehe, geurteilt habe. Weil es aber nicht um sein Leben, sondern um die Lehre Christi gehe, dürfe er die Tyrannei nicht schützen.181 Daher bitte er die kaiserliche Majestät oder wer immer es vermöge, durch Propheten- und Evangelienzeugnisse seine Irrtümer zu widerlegen. Wenn er eines Besseren belehrt sei, werde er jeden Irrtum widerrufen und seine Bücher ins Feuer werfen.182 Diesen Ausführungen schloss sich eine Zwischenberatung von der Eckens mit dem Kaiser an. Schließlich wandte sich der Kirchenjurist in einer längeren Rede wieder an Luther und kritisierte, er habe nicht auf die Fragen geantwortet, sondern verlange Belehrung aus der Heiligen Schrift.183 Mit diesen Ausflüchten nach Schriftbeweisen und eigensinnigen, gegen die Tradition der Kir179 AaO. 833,10–15: Nam id neque negare neque dissimulare quisquam potest, cum experiencia omnium et universorum querimonia testes sint, per leges Papae et doctrinas hominum conscientias fidelium miserrime esse illaqueatas, vexatas et excarnificatas, tum res et substantias, praesertim in hac inclita Germaniae natione, incredibili tyrannide devoratas devorarique ad huc sine fi ne indignisque modis [. . .]. – Die Übersetzung folgt Selge, Capta conscientia, 185. 180 WA 7; 833,8–834,2. Dass Luther auf diese zweite Gattungsgruppe ausführlicher einging, dürfte in der Sache begründet sein, auf die er hier anspielte: die Gravamina und die im Reichsständemandat vom 19. Februar verbalisierte antikuriale Haltung. Vgl. Borth, Luthersache, 116; Wohlfeil, Reichstag, 117. In erster Linie gründete die ausführlichere Darstellung aber in der Kritik am tyrannischen Wesen des antichristlichen Papsttums, gegen das durch den christlichen Adel deutscher Nation gehandelt werden musste. Vgl. Selge, Capta conscientia, 197. 181 WA 7; 834,3–10. 182 AaO. 834,19–23: Itaque rogo per misericordiam dei, S. Maiestas vestra, Illustrissimae dominationes, aut quicunque tandem, vel summus vel infi mus, possit, reddat testimonium, convincat errores, superet scripturis propheticis et Euangelicis: paratissimus enim ero, si edoctus fuero, quemcunque errorem revocare, eroque primus qui libellos meos in ignem proiiciam. – Möglicherweise suchte Luther mit diesem von ihm seit dem Verhör durch Cajetan im Oktober 1518 immer wieder vorgetragenen Hinweis auf die Widerlegung seines angeblichen Irrtums durch die Heilige Schrift dem Verhör einen anderen Verlauf zu geben. Wahrscheinlich spielte er hiermit auf die von ihm erwartete Disputation an (so z. B. Völker, Luther in Worms, 121). Ob er darüber hinaus auf eine „Aktualisierung“ des Ständemandats vom 19. Februar mit dem Ziel einer „globalen Neuaufrollung des Konfl ikts“ hoffte (so Borth, Luthersache, 116), geht m. E. hier über den theologischen und antikurialen Argumentationshorizont Luthers hinaus. 183 Zur Rede von der Eckens, die am römisch-katholischen Wahrheitsgedanken und der kurialen Ketzerabwehrhaltung orientiert war, siehe dessen Bericht in WA 7; 835,23–838,24 = DRTA.JR 2; 591,29–594,3. Eine Übersetzung bietet Selge, Capta conscientia, 186–188.

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che stehenden Deutungen greife Luther nur alten Ketzerbrauch auf.184 In diesem Zusammenhang erinnerte der Offi zial – wie bereits Aleander in seiner Aschermittwochsrede – an Luthers Nähe zu Jan Hus, indem er betonte, Luther stelle die „längst verworfenen Häresien“ des Jan Hus als „katholische Wahrheiten“ hin und beseitige und untergrabe somit „alle Autorität und Majestät der Konzilien“.185 Dass der Offi zial nicht auf die unter den Zuhörern eher schwer verständlichen buß- und ablasstheologischen Thesen Luthers, sondern auf jene ekklesiologischen Thesen von Luthers Bekenntnis zu den verurteilten Sätzen von Hus und der Relativierung der Konzilsautorität einging, war nicht nur der auf Erfolg zielenden öffentlichen Redesituation und kurialen Argumentationsstruktur geschuldet. Vielmehr bestand im Auditorium genau an diesen ekklesiologisch-konziliaren Aspekten ein elementares Interesse. Von der Ecken pointierte in aller Schärfe: Sollte Luther nicht von seinen „notorischen Irrtümern und Ketzereien“ Abstand nehmen, werde sein Andenken ausgetilgt und seine Lehre und Person verdammt.186 Denn seine Lehren seien nicht neu, sondern „Irrlehren der Begarden, Waldenser, Armen von Lyon, Wyclifs und Hus’ und anderer, die längst synodal verurteilt worden“ seien.187 Mit dem mehrfachen Hinweis auf die Konzilsentscheide,188 den neben Luther189 auch weitere Berichterstatter als für diese Rede charakteristisch hervorhoben,190 knüpfte der Offi zi184 Bereits in der Leipziger Disputation hatte Eck Luther von der kirchlichen Tradition und vom Lehramt abweichenden Eigensinn bei der Schriftinterpretation vorgeworfen und diesen als „böhmisches Gift“ bezeichnet (z. B. WA 59; 470,1176–1179). Jetzt wurde der Vorwurf vor dem kaiserlichen Forum erneuert, dass Luther die Heilige Schrift, durch die er sich nach Ketzerart belehren lassen wolle, nach seinem „Kopf und Gutdünken verstanden wissen“ wolle. Siehe WA 7; 837,7–14. 185 AaO. 836,23–28: Non his, Martine, dogmata tua et libros sufficienter distinxisti, Cum illa, que post summi pontificis sententiam edideris, longe magis detestanda sint et execranda quam priora, que merito damnanda scripseras, utpote reprobatas olim hereses Iohannis Huysz catholicas esse veritates asserentia et auctoritatem omnem pariter et maiestatem conciliorum poenitus succidentia et enervantia. 186 AaO. 836, 34–36: Si vero in notoriis tuis erroribus et heresibus pervicaciter, ut coepisti, inseverare perges, indubie, ut omnis tua e medio tollatur memoria, et sana et insana omnia cum auctore suo damnabuntur. 187 AaO. 837,14–16: plurima enim eorum, que adducis, Pegardorum sunt, Waldensium sunt, Pauperum de Lugduno sunt, Wicleff et Huysz et aliorum iam dudum sinodaliter explose hereses. – Selge, Capta conscientia, 187 Anm. 16b weist darauf hin, dass die kirchenrechtlichen Ketzerlisten, auf die sich von der Ecken bezieht, Waldenser und Arme von Lyon aus Unkenntnis häufig als zwei Gruppen nebeneinander stellen. 188 Siehe auch WA 7; 837,36. 189 Siehe auch Luthers Kurzzusammenfassung der Rede in WA 7; 835,20–837,2, in der er ausdrücklich die Konzilien erwähnte. In der deutschen Fassung heißt es, WA 7; 876,4–8: Nach diser [Luthers] red hat des Reichs redner, eynlich eynem, der eyn straffen wolt, gesagt, das ich nicht ein bequeme antwort geben hett, Es geburt sich nicht, auch dovon zudisputiren, das in vortzeiten in den Concilien verdammeth und beschlossenn were. Derhalben wurd von mir begert ein schlechte und unverwirrte antwort, Ob ich ein widerspruch wolt thun oder aber nicht. 190 Siehe die Berichterstattung z. B. von Konrad Peutinger, Gesandter der Stadt Augsburg,

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al an die strategische Argumentationslinie Johannes Ecks, der Bannandrohungsbulle und Aleanders an, indem er die Autorität und das Ansehen der allgemeinen Konzilien unter besonderer Anspielung des Konstanzer Konzils instrumentalisierte und Luthers Position als damit unvereinbar kontrastierte. Durch diese Argumentation, die schon vorher Eingang in das kaiserliche Sequestrationsmandat gefunden hatte,191 suchte der Offi zial, der jegliche papale Argumentation vermied, an die konziliare Haltung der Zuhörermehrheit anzuknüpfen, Zustimmung zu seiner Meinung zu erzielen und Empörung über Luthers Position zu erregen. Dass er mit der Erwähnung der Konzilien bzw. ihrer Beschlüsse ein strittiges und zentrales Thema aufgegriffen hatte, sollte sich im Verlauf des Verhörs bewahrheiten. Von der Ecken fuhr fort zu betonen, was die katholische Kirche richterlich entschieden habe, was in die kirchlichen Bräuche übergegangen sei und was frühere Generationen leidenschaftlich geglaubt hätten, dürfe nicht erneut diskutiert werden.192 Eine Disputation über diese Dinge sei daher abzulehnen.193 Abschließend forderte er Luther erneut auf, eine einfache und bündige Antwort darauf zu geben, ob er widerrufen wolle.194 Luther antwortete hierauf, indem er die Aussagen über die kirchliche Autorität der Konzilien und ihre Entscheidungen aufgriff und um die Institution des Papstes erweiterte, mit den weltberühmten Worten: „Wenn ich nicht durch Schriftzeugnisse oder einen klaren Grund widerlegt werde – denn allein dem Papst oder den Konzilien glaube ich nicht, da es feststeht, dass sie häufig geirrt und sich auch selbst widersprochen haben –, so bin ich durch die von mir angeführten Schriftworte bezwungen, und mein Gewissen ist in den Worten Gottes gefangen. So kann und will ich nichts widerrufen, weil es gefährlich und verderblich ist, etwas gegen das Gewissen zu tun. Gott helfe mir. Amen.“195 in: DRTA.JR 2; 861,5–9 Nr. 194 (Konrad Peutinger an Augsburg, [Worms, 19. 4. 1521]): Dagegen der official ine noch fast auf das widerruffen vermanet und zaigt im an, er hette wider die heiligen concilia und insonder das zü Costentz gewesen geschriben, die doch von der christenlichen kirchen angenomen und bisher gehalten. – Auch der Gesandte der Stadt Frankfurt, Philipp Fürstenberg, berichtete über die Konzilsthemtik in: DRTA.JR 2; 865,22– 26 Nr. 195 (Fürstenberg an Frankfurt, [Worms, 19. 4. 1521?]): zudem dass er wist, dass dasjenige, so er widder herfurbracht, vormals von den ketzern auch in dag bracht worden were, aber durch ein concilium, das von allen stenden der cristenheit zu Costnitz im heilgen geist versamlet gewest, wer verdampt worden [. . .]. 191 Siehe oben, Kapitel V § 12.1.2. 192 WA 7; 837,16–22. 193 AaO. 838,20 f.: Nihil est ergo, Martine, quod disputationem eorum expectes, que certa et explicita fide credere teneris. 194 AaO. 838,21–24. 195 WA 7; 838,4–9: Nisi convictus fuero testimoniis scripturarum aut ratione evidente (nam neque Papae neque conciliis solis credo, cum constet eos et errasse sepius et sibiipsis contradixisse), victus sum scripturis a me adductis et capta [est] conscientia in verbis dei, revocare neque possum nec volo quicquam, cum contra conscientiam agere neque tutum neque integrum sit. Ich kann nicht anderst, hie stehe ich, Got helff mir, Amen. – Bezüglich der Satzkonstruktion ist m. E. gegen Selge, Capta conscientia, 180 mit G. Ebeling, Luther-

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Im ersten Satz dieses für den lutherischen Protestantismus geradezu programmatischen Bekenntnisses fasste Luther seine bisherige Einsicht über die autoritativ-verbindlichen Normen der Christenheit zusammen und unterschied von ihnen die allgemein anerkannten kirchlichen Normeninstanzen Papst und Konzil. Für den Reformator bildete, wie er zuvor in der Einleitung zur „Assertio“ prinzipientheologisch formuliert hatte,196 das Wort Gottes die absolute Autorität und einzig verbindliche Norm, an der seine gesamte Lehre gemessen werden musste. Wenn ihn jemand zum Widerruf aufforderte, hatte er ihn – wie bereits Augustin gegenüber Hieronymus betont hatte197 – zuvor mit eindeutigen Schriftzeugnissen und klaren Vernunftargumenten198 zu widerlegen.199 studien Bd. 3: Begriffsuntersuchungen – Textinterpretationen – Wirkungsgeschichtliches, Tübingen 1985, 386 f. Anm. 66 zu lesen. Dass der populäre und zur „sprichwörtlichen Beliebtheit“ (Beutel, Luther, 94) entwickelte erste Teil des Schlusssatzes „Hier stehe ich, ich kann nicht anders“ eine spätere redaktionelle Erweiterung des kurzen Schlusswortes „Gott helfe mir, Amen“ ist, weist u. a. DRTA.JR 2; 555 Anm. 1 nach. Vgl. hierzu abschließend K. Müller, Luthers Schlußworte in Worms (in: A. Harnack u. a. [Hg.], Philotesia. FS Paul Kleinert, Berlin 1907, 269–289). Zur deutschen Fassung siehe WA 7; 876,11–877,6. 196 WA 7; 98,4–6: Sint ergo Christianorum prima principia non nisi verba divina, omnium autem hominum verba conclusiones hinc eductae et rursus illuc reducendae et probandae. 197 Mit der Berufung auf die Schrift- und Vernunftzeugnisse lehnte sich Luther u. a. an den für ihn zentralen Augustinsatz (A. Augustin, Epistulae 82,1,3 [CSEL 34,2; 354,4–5 = PL 33, 277]) an, siehe oben, Kapitel II § 2.2.2. zu WA 1; 647,22–25, und ausführlicher in WA 7; 99,5–10 sowie WA 7; 315,35–38. Bestätigt hatte sich diese Aussage u. a. bei Panormitanus. 198 Zu Luthers Auffassung von der Vernunft allgemein vgl. neben den wertvollen Beiträgen von G. Ebeling, Disputatio de homine Teil 2: Die philsophische Defi nition des Menschen. Kommentar zu These 1–19 (Lutherstudien 2), Tübingen 1982, 184–332; Ders., Disputatio de homine Teil 3: Die theologische Defi nition des Menschen. Kommentar zu These 20–40 (Lutherstudien 2), Tübingen 1989, 208–229 u. ö. die hilfreichen Studien von B. Lohse, Ratio und Fides. Eine Untersuchung über die ratio in der Theologie Luthers (FKDG 8), Göttingen 1958; Ders., Luthers Theologie, 214–218; K.-H. zur Mühlen, Reformatorische Vernunftkritik und neuzeitliches Denken. Dargestellt am Werk M. Luthers und Fr. Gogartens (BHTh 59), Tübingen 1980, 67–152 u. ö. Auf die „ratio evidens“ (WA 7; 838,4) oder „scheynlich ursachen“ (WA 7; 876,12), auf welche sich Luther erneut in den nachfolgenden Verhandlungen beruft, geht Lohse ausführlicher in seinem seperaten Aufsatz ders., Luthers Antwort, 124–134 in Auseinandersetzung mit H. Preuss, Was bedeutet die Formel „Convictus testimoniis scripturarum aut ratione evidente“ in Luthers ungehörnter Antwort zu Worms? (ThStKr 81, 1908, 62–83) ein. Nach Lohse, Luthers Antwort, 134 meine Luther nicht die „vom Ichwillen des Menschen bestimmte“ Vernunft, sondern diejenige, „die im Gehorsam gegen Gottes Wort zu ihrer echten Natürlichkeit befreit ist“. Selge, Capta conscientia, 200 Anm. 46 weist zu Recht darauf hin, dass Luther jenes klare Defi nitionsbedürfnis in Worms nicht hatte, sondern gegenüber den päpstlichen Lehren neben dem Schriftbeweis die erfahrbare Wirklichkeit anführen wollte. Zur hierhinter stehenden Problematik von Schrifthermeneutik und Wirklichkeitserfahrung, die für Luther zu einer überwiegend positiven „Kongruenz von Schrift und Erfahrung“ wird (Beutel, Erfahrene Bibel, 98) vgl. z. B. A. Beutel, Art. C.III.3. Theologie als Erfahrungswissenschaft (LuH, 454–459). 199 Borth, Luthersache, 117 Anm. 119 interpretiert den Wortlaut des Widerrufes nicht nur als persönliche Glaubensstärke Luthers, sondern auch als einen „deutlichen Hinweis auf die seit dem Jahre 1518 immer wieder vorgebrachte Forderung der Lutherschutzpolitik nach

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Wehrte sich Luther mit diesen Hinweisen u. a. gegen die ihm vom Trierer Offi zial vorgeworfene Eigensinnthese bei der Schriftauslegung, lehnte er gleichzeitig die von diesem erwartete ausschließliche Gewissensorientierung an den traditionell-kirchlichen Autoritäten Papst und Konzilien mit ihren kirchenrechtlichen Entscheidungen ab. Als Begründung für die Ablehnung argumentierte er nicht theologisch, sondern in Aufnahme der seit der Leipziger Disputation häufig vorgetragenen Aspekte eher vernunftorientiert: Weil ihre Beschlüsse nicht irrtumsfrei seien und die Autoritäten – vornehmlich die Konzilien – sich häufig widersprochen hätten, könnte ihren Dekreten keine letztgültigverbindliche Überzeugungskraft zukommen. Hinter dieser Argumentation stand, obwohl Luther dies hier nicht erwähnte, die am normativen Gotteswort gewonnene Einsicht in die kirchlichen Autoritäten als fehlbare, menschliche Institutionen, denen letztgültige Beweiskraft fehle. Folglich war Luther davon überzeugt, dem Gotteswort allein verpfl ichtet und mit seinem Gewissen 200 allein an dieses und nicht an die kirchlich-menschlichen Autoritäten wie Papst und Konzilien gebunden zu sein. Wie erstmals vor Cajetan in Augsburg 201 begründete er vor Kaiser und Reichsständen die Ablehnung der Widerrufsforderung mit der Berufung auf sein Gewissen, welches für ihn allein in Gottes Wort gefangen und damit klarer und eindeutiger als in Augsburg von allen kirchlichen Autoritäten befreit war. Diese scheinbar paradoxe Gewissensbindung, die in der gewissensbefreienden Erkenntnis des Wortes Gottes wurzelte, ließ ihn in innerer und äußerer Freiheit eines Christenmenschen dem Widerrufsbegehren vor dem öffentlichen Forum widerstehen.202 einem unverdächtigen Verhör, dessen Kennzeichen gerade darin bestand, daß es mit Hilfe von Schriftbeweisen und Vernunftgründen Luther seiner Schuld einwandfrei überführte.“ Zeugnisse der Schrift und Vernunftargumente seien Kernforderungen der bisherigen Lutherschutzpolitik. Auch wenn diesen Beobachtungen hinsichtlich der Lutherschutzpolitik zuzustimmen ist, haben sie m. E. für Luthers Bekenntnissituation in Worms, in der es um die Wahrheit der erkannten christlichen Lehre und deren Widerruf ging, keine Bedeutung. 200 Das Gewissen, welches für Luther Adressat des Evangeliums und synonym mit den Wörtern „Seele“ oder „Herz“ das „unvertauschbare Selbstsein des Menschen“ (Ebeling, Luthers Seelsorge, 463) beschreibt, hebt sich von dem scholastischen, auch vom Trierer Offi zial verstandenen Gewissensbegriff in ontologischer Sachdifferenz ab. Zum Gewissensbegriff siehe oben, Kapitel II § 3.4.1. 201 Siehe oben, Kapitel II § 3.4.1. 202 Selge, Capta conscientia, 181 Anm 3 weist hinsichtlich Luthers Gewissensberufung auf die im Hintergrund stehende kirchlich-theologische Tradition hin. Wenn der höhere Gehorsam gefordert werde, handle es sich in der Kirche nicht um ein Widerstandsrecht, sondern eine Widerstandspfl icht! Siehe auch die Hinweise auf Luthers Gewissensberufung im Rahmen des Augsburger Verhörs 1518 entsprechend der vorangehenden Anmerkung. Zur Gewissensfreiheit, die von Luther in der Wortverbindung „libertas conscientiae“ (WA 8; 606,30–39) geprägt wurde und inhaltlich nicht „auf einer Tat des Menschen, sondern auf der Versöhnungstat Gottes beruht“ siehe die Ausführungen über das „Verhältnis der Freiheit zum Gewissen“ bei Ebeling, Der kontroverse Grund, 385–389.

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Auf Luthers Widerrufsweigerung folgte ein heftiger Wortwechsel, in dem der Offizial Luther riet: „Leg das Gewissen ab, Martinus, wie du zu legen verpfl ichtet bist, denn es ist im Irrtum, und es wird für dich sicher und heilsam sein zu widerrufen!“203

Von der Eckens Aussage über das irrende Gewissen gründete in der von Luther bereits zugunsten der theologischen Interpretation des Begriffs der „conscientia“ aufgegebenen scholastischen Differenzierung des moralischen Gewissensbegriffs in „syntheresis“ und „conscientia“, die den intellektualen oder affektiven anthropologischen Seelenkräften zugewiesen war. Während die „syntheresis“ als höchste aller affektiven Kräfte ihre Neigung zum Guten unmittelbar von Gott erfährt, als habitus die ersten Prinzipien der praktischen Vernunft im Menschen einstiftet sowie als Seelengrund und letzte ontologische Bedingung der Soteriologie unfehlbar ist, kommt der irrtumsfähigen „conscientia“ die Anwendung jener Prinzipien auf konkrete ethische Handlungen zu.204 Auf diesem Hintergrund konnte von der Ecken Luthers Berufung auf das Gewissen nur als einen der Kirche gegenüber ungehorsamen Akt der irrenden „conscientia“ deuten.205 Denn weil für den Trierer Kirchenjuristen das Gewissen unauflöslich an das System der römischen Kirche gebunden und diesem defi nitiv verpfl ichtet war, galten von der Eckens Einwände jetzt dem Beweis der Wahrheit und Irrtumslosigkeit der kirchlichen Autoritäten. Daher griff er unter Auslassung der umstrittenen Papstthematik die Konzilsthematik mit dem Hinweis auf, Luther könne nicht beweisen, dass Konzilien geirrt hätten, zumindest nicht in Glau-

203 WA 7; 839,33–840,5: Depone conscientiam, Martine, quam deponere teneris, quia erronea est, et tutum tibi erit revocare et integrum. 204 Zur Differenzierung von syntheresis und conscientia vgl. Ebeling, Gewissen in Luthers Verständnis, 112; Hirsch, Lutherstudien, 11–108; Zur Mühlen, Reformatorische Vernunftkritik, 31–33. 93–115. 205 Vgl. auch Selge, Capta conscientia, 181 Anm. 4. Nach dem scholastischen Gewissensbegriff galt das Gewissen als Handlungsrichtschnur (syntheresis), die in der generellen Ausrichtung auf das Gute unfehlbar war. In der konkreten Anwendung (conscientia) konnte es aber irren. Nach Bonaventura und Duns Scotus war jenes irrende Gewissen durch Gebet, Ermahnung und Verweis auf die kirchliche Autorität hin abzulegen. Auch bei Thomas von Aquin konnte ein irrendes Gewissen nicht bei der das göttliche Gesetz betreffenden „ignorantia iuris“ entschuldigt werden, sondern hatte sich der Kirche zu beugen. Vgl. zur Thematik des irrenden Gewissens u. a. J. Stelzenberger, Syneidesis – conscientia – Gewissen (AMT 5), Paderborn 1963, 100–106; J. Lecler, Geschichte der Religionsfreiheit im Zeitalter der Reformation, Bd. 1, Stuttgart 1965, 165–175. Treffend resümiert Ebeling, Gewissen in Luthers Verständnis, 115 den Sachverhalt: „Luthers Bruch mit der Scholastik und dem kanonischen Recht unter Berufung auf das Gewissen war in traditioneller Sicht nur deutbar als ein Akt des irrenden Gewissens, das die darin implizierte Gewissenspfl icht, das irrende Gewissen zugungsten der Kirche abzulegen, nicht befolgt und den sich Widersetzenden daraufhin defi nitiv zum Ketzer machte.“

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bensdingen (materia fidei). In Sittendingen (materia moralia) sei ein Konzilsirrtum hingegen möglich.206 Mit dieser Defi nition schloss sich der Kirchenjurist jener Lehre an, die Luther selbst noch bis 1519 hinsichtlich der Fallibilität von Konzilsentscheidungen vertreten hatte.207 Jetzt hingegen galt für Luther, dass Konzilien auch in Glaubensfragen geirrt hätten, so dass er gegen von der Ecken konterte: Er könne und wolle die Irrtümer der Konzilien beweisen.208 Nach Darstellung von Lazarus Spengler, dem Gesandten der Stadt Nürnberg, gestaltete sich der Streit um die Irrtumsfähigkeit der Konzilien, hinter dem der grundsätzliche Streit um die dogmatische Verlässlichkeit der Kircheninstanz Konzil stand, etwas ausführlicher: Luther habe dem Offi zial geantwortet, „es sei kund und offentlich“, dass Konzilien „mehrmals geirret hetten“,209 welches er unter Hinweis auf das Konstanzer Konzil begründete: „und dieweil das concilium zu Costenitz in vielen stugken wider klare und helle texte der heiligen schrift determinirt, so drunge ine die heilige schrift zu sagen, das dasselbig concilium geirret hab.“210

Sollte sich dieser erweiterte Wortwechsel in dieser Form tatsächlich zugetragen haben, nutzte Luther den sich plötzlich eröffnenden Moment, um seine von kurialer Seite aufs schärfte kritisierte Haltung zum Konstanzer Konzil vor dem Reichstagsforum zu begründen und zu verteidigen. Erneut argumentierte er mit seiner Bindung an die Schriftautorität gegen die menschlich-konziliaren Entscheidungen. Erst hierauf habe, so Spengler, der Offi zial erneut eingewandt, Luther könne nicht beweisen, dass die allgemeinen Konzilien geirrt hätten, worauf Luther antwortete, dieses beweisen zu wollen.211 206 WA 7; 840, 5–7: Quod autem concilia errasse dicis, nullo unquam tempore probare poteris, in materia fidei saltem, licet in materia morum ista haut gravate permisero. 207 Vgl. oben, Kapitel III § 6.5. 208 WA 7; 840,8. 209 DRTA.JR 2; 887,39 Nr. 210 (Lazarus Spengler an Ungenannten, [Worms, April/Mai 1521]). 210 AaO. 887,40–42. 211 AaO. 887,42–45. Auch Peutinger berichtet am Ende des Verhörs vom Konzilsthema, indem er allerdings eine Kompilation verschiedener Aussagen Luthers und von der Eckens anfertigt. DRTA.JR 2; 861,5–862,9: Dagegen der official ine noch fast auf das widerruffen vermanet und zaigt im an, er hette wider die heiligen concilia und insonder das zü Costentz gewesen geschriben, die doch von der christenlichen kirchen angenomen und bisher gehalten; auch nit not, fi ll mit im zü disputieren und ine zü uberwinden, dan er nichtz neues, sonder, was hievor die armen von Leon, Wiclepf, Huss und ander gehalten hetten, das alles doch von den concilien verdampt, in sein buechern anbracht hette. Luter sagt dawider, die concilia hetten auch geirrt und zü mermalen widerwartigs und auch wider das gotlich recht satzung gemacht. Der official vermaint nain, Luter ja, und wolt solchs beweisen. Mit dem hat der handel auf das mall ain end gehabt. Ward ain gros geschrai, als Luter an dem ort wider abschied; in solchem er sich auch kai. Mt. undertaniglich bevolhen hat. Im beschlüs sprach er die wort: Got kum mir zü hilf!

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Alle Berichterstatter stimmen darin überein, dass das sich entwickelnde Streitgespräch über die Autorität der Konzilien an dieser Stelle – höchstwahrscheinlich durch den Kaiser, der die Verhandlung gedolmetscht verfolgte – abgebrochen und das Verhör als beendet erklärt wurde.212 Der Abbruch löste ein allgemeines Durcheinander bei den Anwesenden aus, was als Ausdruck des „plötzlichen Spannungsabfalls“213 oder auch als Empörung über die Widerrufsweigerung und Irritation über Luthers Wertung der Konzilien interpretiert werden kann. Von Freunden und Anhängern wurde Luther aus dem Saal geführt und als Sieger gefeiert. Bei der Ankunft in seiner Herberge sprach Luther entspannt und beglückt nach Angaben des Augenzeugen Sixtus Ölhafen die Worte „ich bin hindurch, ich bin hindurch.“214 In der allgemein bekannten Schlussszene von welthistorischem Format ging es, was vielfach in der auf die Gewissensthematik und die Schlussworte Luthers fokussierten Forschung übersehen wird, um nichts Geringeres als um die Konzilsautorität und ihre dogmatische Bewertung als verlässliche Instanz. Wie bereits in der Leipziger Disputation war es die differente Beurteilung der Konzilsbeschlüsse, welche die vom Trierer Offi zial initiierte Kontroverse entfacht und zur Diskussion über die Fallibilität der Konzilien geführt hatte. Während Luther im Streitgespräch möglicherweise eine Chance zur versagten Disputation im Beweis der Irrtumsfähigkeit der Konzilien und somit der grundsätzlichen Problematisierung der konziliaren Verlässlichkeit auf blitzen sah und von der Ecken – in seiner konziliaren Wertschätzung angegriffen – Luther der Ketzerei vor Ort überführen wollte, war es jetzt der Kaiser, der die Problematik über die konziliaren Irrtümer erkannte und eine drohende Disputation hierüber abbrach. Für ihn, der eine nicht ganz ungetrübte Einstellung zum Papst pflegte, geriet mit der ketzerischen Infragestellung der Konzilien die axiomatische Verlässlichkeit der höchsten Autorität der Christenheit ins Wanken, an der auch ein Großteil der adeligen Zuhörer festhielt. Weil Luther, statt auf die externe Wahrheitserkenntnis der gewichtigsten kirchlichen Autorität, des Konzils, zu vertrauen, seine autoritative Instanz in dem auf Gottes Wort gebundenen internen Gewissen beharrlich meinte betonen zu müssen, stand das Urteil über Luther für Karl fest.

3. Die Unterverhandlungen mit Luther und die Konzilsfrage Bereits am Morgen des folgenden Tages rief der Kaiser die Stände zu sich, um aus dem Verhör die reichsrechtlichen Konsequenzen zu ziehen. Bei dieser Sit212 213 214

WA 7; 840,1–4. 9; DRTA.JR 2; 862,6 f. 866,6 f. Wohlfeil, Reichstag, 119. DRTA.JR 2; 853,21.

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zung, an der auch die Nuntien teilnahmen,215 ließ Karl V. eine von ihm verfasste Erklärung vortragen,216 in der er sich zum katholischen Glauben seiner Vorfahren bekannte und an deren Verordnungen erinnerte. Dass er in diesem Zusammenhang konkret auf das von Luther abgewiesene Konstanzer Konzil und andere Konzilien Bezug nahm,217 hing mit Karls positiver Bewertung jenes Konzils zusammen: Weil sein Vorgänger Siegmund das Konzil zusammengerufen hatte, bedeutete Konstanz für ihn „der Erweis für die kaiserliche Sorge um das Heil der Christenheit“.218 Noch zog Karl V. hieraus keine weiteren Konsequenzen, die sich von dem Anspruch der kirchlich-konziliaren Kompetenz des Kaisertums gegenüber der päpstlichen Lehrautorität, welche in der Erklärung gänzlich verschwiegen wurde, nahegelegt hätten. In seinem Votum betonte der Kaiser weiter, dass er nach der Anhörung Luthers, dem er keine weitere folgen lasse, entschlossen sei, unverzüglich gegen ihn „wie gegen einen notorischen Häretiker“ vorzugehen.219 Obwohl das kaiserliche Votum eindeutig ausgefallen war, berieten die Reichsstände in Sitzungen am 19. und 20. April ihr weiteres Vorgehen bezüglich der Luthersache, bei der die Konzilsthematik eine bedeutende Rolle spielte. Beispielsweise verwies Kurfürst Joachim I. von Brandenburg in der Versammlung der Kurfürsten erneut auf die Konzilsmissachtung Luthers: 220 Luther habe sich zu den bereits durch die heiligen Konzilien verurteilten Häresien schriftlich bekannt und somit die Autorität der Konzilien, durch die allein umstrittene Sachen in der Kirche geklärt werden könnten, verachtet.221 Daher sollten die Stände den Kaiser unterstützen, die Konzilsbeschlüsse, die Riten und Gewohnheiten der Vorfahren in der christlichen Religion zu bewahren.222 Die Forderung Joachims, dem Kaiser bei einer Widerrufsverweigerung Luthers sogleich zu folgen, lehnten die Stände u. a. aus Angst vor einem gewaltsamen Aufstand 215 Siehe Brieger, Aleander, 153,21–155,2; Kalkoff, Depeschen, 143–145 (Aleander und Caracciolo an den Vizekanzler Medici, [Worms, 19. 4. 1521]). 216 Zur Erklärung des Kaisers am 19. April siehe DRTA.JR 2; 594–596 Nr. 82 sowie die Übersetzung und Interpretation von H. Wolter, Das Bekenntnis des Kaisers (in: Reuter, Reichstag zu Worms, 222–236), die Lutz, Reich, 68–70 korrigiert. Vgl. auch Brecht, Luther 1, 440 f. 217 DRTA.JR 2; 595,18–20: et par espécial ce que a esté ordonné par lesdits mes prédécesseurs, tant au consille de Constence que autres. – Auf welche anderen Konzilien als Orte kaiserlicher Verordnungen Karl hier anspielte, ob auf diejenigen der Spätantike (so Lutz, Reich, 68) oder auf jüngere wie das Basler Konzil, kann nicht abschließend geklärt werden. 218 Wolter, Bekenntnis, 232. 219 DRTA.JR 2; 595,39 f.: Et, comme cy-dessus ay dit, suis délibéré me conduyre et procéder à l’encontre de luy comme contre notoire érétique. 220 DRTA.JR 2; 596,10–598,2 Nr. 83 (Referat des Kurfürsten Joachim, [20. 4. 1521]). Vgl. G. Heinrich, Kurfürst Joachim von Hohenzollern, Markgraf von Brandenburg (in: Reuter, Reichstag zu Worms, 336–351), 346. 221 DRTA.JR 2; 597,1–10. 222 AaO. 597,10–17.

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des „gemeinen Mannes“ ab223 und schlugen vor, eine reichsständische Kommission einzusetzen, in der durch „gnedigen ansuchen, brüderliche vormanung und guttige erinnerung“224 gelehrter Männer Luther zu einem Widerruf bewegt werden sollte. Der Ansatzpunkt für dieses Vorgehen bildete Luthers grundsätzliche Bereitschaft, sich überzeugen zu lassen.225 Daher baten die Stände den Kaiser am 20. April, Luther vor einen Gelehrtenausschuss zu laden und ihn durch Vernunftgründe und Schriftbeweise zu unterweisen, in welchen Artikeln er geirrt habe.226 Ob in diesen reichsständischen Verhandlungen auch ein anonymes Gutachten seinen Ort hat, in dem ausdrücklich durch das von Aleander gefürchtete Berufungsmittel der Konzilsappellation eine Verurteilung Luthers durch den Papst abgewendet und eine Beurteilung seiner Lehre einem künftigen Konzil anheimgestellt werden sollte, ist nicht eindeutig zu beantworten.227 Zumindest hat diese juristische, prolutherische Argumentationsstruktur, die konkret darauf zielte, das kaiserliche Achtmandat zu verhindern,228 und auf den Sachverhalt hinwies, dass in Glaubensdingen nicht der Kaiser, sondern das Konzil zuständig sei, sich nicht durchsetzen, geschweige denn überhaupt die literarisch greif bare Verhandlungsebene erreichen können.229 Aus politischer Rücksichtnahme gestattete der Kaiser das Ansinnen der Reichsstände am 22. April,230 schränkte die Untersuchung der Kommission aber auf drei Tage ein und beharrte darauf, die Reichsacht unverzüglich zu 223 In der Nacht vom 19. auf den 20. April waren Plakate am Rathaus und an den bischöflichen Kirchen angeschlagen worden, in denen ein Aufstand angedroht und vornehmlich Erzbischof Albrecht von Mainz die Hauptschuld am Vorgehen gegen Luther zugeschrieben wurde. 400 Ritter ständen zur Verteidigung Luthers bereit (DRTA.JR 2; 559 Anm. 2). Ähnliche Propagandazettel wurden auch gegen Luther in Umlauf gebracht. Vgl. A. Ph. Brück, Kardinal Albrecht von Brandenburg, Kurfürst und Erzbischof von Mainz (in: Reuter, Reichstag zu Worms, 257–270), 265 f.; A. Schmidt, Der Trierer Kurfürst Erzbischof Richard von Greiffenklau und die Auswirkung des Wormser Edikts in Kurtrier (in: Reuter, Reichstag zu Worms, 271–296), 276. 224 DRTA.JR 2; 603,5 f. 225 Siehe DRTA.JR 2; 598 f. Nr. 84 (Die Stände an den Kaiser, [20. 4. 1521]). 226 Ebd. – Als Vorlage der sogenannten irrigen Artikel dürfte ihnen die aus Aleanders Feder stammende Liste gedient haben. Siehe Förstemann, 44 f. Nr. 8 (Latein); aaO. 46 f. Nr. 9 (Deutsch). 227 DRTA.JR 2; 534 f. Anm. 3. Becker, Appellation, 255 terminiert das Gutachten unmittelbar nach Luthers Verhör. 228 DRTA.JR 2; 534,36–41: Aber daz kai. Mt. acht- und aberachtsbrive uber und wider doctor Luther solt ausgeen lassen, solt kai. Mt. aus folgenden ursachen auch nit zu raten sein: dann wir achtens dafur, daz kai. Mt. diser wichtigen sachen den heiligen glauben belangend, nemlich ob doctor Martinus wider den glauben geschrieben oder nicht, nicht erkentnus thun moge, dann solchs einem consilio, gepurlicher weis versamelt, allein zustet. 229 Vgl. Kohnle, Reichstag, 96. 230 Vgl. Borth, Luthersache, 117 f.; Wohlfeil, Reichstag, 120 f., die auf die Tagespolitik hinweisen und das Eingeständnis des Kaisers mit einer bei Weigerung drohenden Gefährdung der kaiserlichen Politik in den Verhandlungen über Regiment und Kammergericht erklären.

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verhängen, sollte der Mönch nicht widerrufen.231 Eine Disputation lehnte er ab, da Luthers Artikel bereits durch ein Konzil verurteilt seien.232 Aus den hier lediglich skizzenhaft umrissenen Stellungnahmen von Kaiser und Reichsständen hinsichtlich des weiteren Vorgehens in der Luthersache wird deutlich, dass seit dem Verhör Luthers das Thema der Konzilsautorität und der Konzilsbeschlüsse bei Kaiser und Ständen eklatant an Bedeutung gewonnen hatte und jetzt die zentrale Begründung für Luthers Häresie darstellte! Auch Aleander notierte am 27. April zufrieden, dass sich durch Luthers Bewertung des Konstanzer Konzils die öffentliche Meinung von ihm „stark entfremdet“ hätte.233 Allerdings fürchtete er noch am 20. April, sollte Luther einige, den kaiserlichen Politikern „anstößige Punkte“ widerrufen, aber die Beschwerden gegen den Papst aufrecht erhalten, dass die Öffentlichkeit wieder für Luther Partei ergreifen und die Sache für Rom nicht gut ausgehen werde.234 Zu den „anstößigen Punkten“ zählte unzweifelhaft Luthers Angriff gegen das Konstanzer Konzil.

3.1. Die Verhandlungen der reichsständischen Kommission In der von den Ständen eingesetzten Kommission wurde Luthers als irrtümlich monierte Bewertung der Konzilien zu einem zentralen Argument ausgebaut, so dass der Streit um die Konzilsthematik, der vom Kaiser am 18. April abgebrochen worden war, auf einer anderen Ebene und vor einem überschaubareren Gremium fortgesetzt werden konnte.235 Unter Leitung des Erzbischofs von Trier, Richards von Greiffenklau, der als Schiedsrichter in der Luthersache im Januar 1519 von Miltitz ins Gespräch ge231 DRTA.JR 2; 601,14–23. Mit der Einschränkung, dass Luther eine sichere Heimreise gewährt werde, billigten die Stände den Kompromiss. Vgl. Schmidt, Richard von Greiffenklau, 276 f. 232 DRTA.JR 2; 872,20–22: es sei auch nit not von nuwem mit ime von den sachen zu disputiren, dan ein hellig concilium hab sein artikel lengest verdampt. 233 Brieger, Aleander, 160,10–13 Nr. 25; Kalkoff, Depeschen, 149 (Aleander und Caracciolo an den Vizekanzler Medici, [Worms, 27. 4. 1521]). 234 Brieger, Aleander, 160,5–10. 235 Als Hauptquellen dieser, für die Beurteilung der Konzilsthematik nicht zu unterschätzenden Verhandlungen siehe vor allem DRTA.JR 2; 560,4–568,19 Nr. 79 = WA 7; 843,1– 856,13; DRTA.JR 2; 601,24–611,8 Nr. 85 = WA 7; 842,26–856,30; WAB 2; (319) 320–329 Nr. 404 (Luther an Graf Albrecht von Mansfeld, Eisenach, 3. 5. 1521) und DRTA.JR 2; (611) 612–624,2 Nr. 86 (Hieronymus Vehuns an [den Markgrafen Philipp von Baden oder Herzog Georg von Sachsen], Baden, 3. 6. 1521). Die folgende Darstellung bezieht sich größtenteils auf die textkritisch besser erschlossene Ausgabe der DRTA.JR 2. – Vgl. die Zusammenfassung und Interpretation der reichsständischen Sonderverhandlungen u. a. bei Brecht, Luther 1, 442–447; Hofmann, Konzilsfrage, 27–30; H. Immenkötter, Hieronymus Vehus. Jurist und Humanist der Reformationszeit (KLK 42), Münster 1982, 23–32; Jedin, Geschichte 1, 162 f.; Lutz, Reich, 60–65; Schmidt, Richard von Greiffenklau, 277–291; Wohlfeil, Reichstag, 120 f.

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bracht sowie von Luther akzeptiert worden war 236 und der mit Kurfürst Friedrich in Frankfurt ein Verhör auf den für November 1519 terminierten Reichstag verabredet hatte,237 trat am Mittwoch, dem 24. April, morgens um 6 Uhr der Ständeausschuss im Speisesaal der erzbischöfl ichen Herberge zusammen.238 Luther war in Begleitung von Schurf, Amsdorf und Jonas erschienen.239 Nach der Begrüßung durch Kurfürst Joachim von Brandenburg betonte der badische Kanzler und Jurist, Hieronymus Vehus, der zum Sprecher der Kommission gewählt worden war, dass es sich bei dieser Zusammenkunft nicht um eine Disputation, sondern um eine Ermahnung in brüderlicher Liebe handle. Luther möge bedenken, ob er eigenwillig auf seinem Standpunkt beharren oder bei der Einigkeit der Kirche, „den ungenetten rock“, bleiben wolle.240 Vehus trat nun mit zwei Themenkomplexen Luthers Widerrufsverweigerung entgegen, die zum einen die Autorität der christlichen Kirche, zum anderen das Gewissen betrafen.241 Als erstes widerlegte der Kanzler die aus der Irrtumsfähigkeit der Konzilien abgeleitete mangelnde Autorität der kirchlichen Institution, auf die hier ausführlicher einzugehen ist: Die Beschlüsse und Satzungen der christlichen Konzilien, in denen viele heilige Väter im Heiligen Geist versammelt gewesen seien, hätten Autorität, auch wenn sie bisweilen geirrt hätten.242 Dieses erstaunlich offene Zugeständnis konziliarer Irrtümer begründete Vehus nach dem Bericht vom 26. April mit dem Hinweis, dass wir alle Menschen seien und irren könnten.243 Dennoch dürfe Luther ihre Gewalt deswegen nicht verachten und ihnen ungehorsam sein, zumal er nicht den Gegenbeweis „in ewangelischer satzung“ habe.244 Außerdem hätten die Konzilien nichts Gegensätzliches (contraria), sondern lediglich Verschiedenes (diversa) determiniert, welches aufgrund verschiedener Zeiten, Personen und Orte geschehen musste. Diesen Un236

Siehe oben, Kapitel III § 5.1. Siehe oben, ebd. 238 Zu den Mitgliedern des Ausschusses gehörten Kurfürst Joachim von Brandenburg, Herzog Georg von Sachsen, der Augsburger Bischof, Christoph von Stadion, der Meister des Deutschordens, Dietrich von Cleen, der Bischof von Brandenburg, Hieronymus Schulz, der badische Kanzler, Hieronymus Vehus, der Straßburger Gesandte, Ritter Hans Bock und der Augsburger Gesandte, Konrad Peutinger, sowie Graf Georg von Wertheim. Siehe u. a. DRTA.JR 2; 613,22–26; Schmidt, Richard von Greiffenklau, 277 Anm. 40. 239 Vgl. DRTA.JR 2; 560 Anm. 3. 240 DRTA.JR 2; 603,11–13. AaO. 614,10–17. 241 AaO. 614,28–31: Uf sollichs in gestalt gnediger ermanung und persuasion und dheiner andern meinung zeigt man ime an zwei testimonia, nemblich testimonium ecclesie et testimonium conscienciae sue, gezugnus christenlicher kirchen und gezugnus seiner eigen gewissne [sic!]. 242 AaO. 614,33–36. 243 AaO. 603,13–17: und sagent volgend von den concilien, ab si gleich geirret hetten, so wer dennach ir gwalt und auctoritet nit zu verachten; dann wir weren alle menschen und künten alle irren, aber dennoch must man die gewalt darumb nit verachten. 244 AaO. 614,36–38. 237

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terschied zwischen gegensätzlichen („widderwertigen“) und verschiedenen („gesunderten“) Dingen versinnbildliche das Verhalten des Hauptmanns von Kapernaum und Zachäus’. Beide hätten verschiedene gottgefällige Werke getan, „der ein in humilitate, in demut, der ander in charitate, in liebe“.245 „Also mit den satzungen der concilien [. . .], in geistlichs wesens ordnungen, und anderm minderung, merung gethon haben, sind weder inen selb noch evangelio widderwertig, aber gesundert“.246

Um die Unterschiedlichkeit der Konzilsbeschlüsse darüber hinaus zu plausibilisieren, ergänzte Vehus dieses Beispiel aus der Bibel durch das auf Vernunftgründen beruhende Argument, dass die Reichsordnungen verschiedenen Zeiten und Umständen angepasste und veränderte Gesetze seien.247 Dem stellte Vehus das eher kirchengeschichtlich-genealogische Argument zur Seite, dass es, nachdem unter den Christen die Liebe erkaltet und die Sünde zugenommen habe, von den Kirchenvätern neue Arzneien in Gestalt von Konzilsbeschlüssen gefunden werden mussten.248 Die notwendigen Änderungen erläuterte Vehus mit Beispielen aus der Liturgie.249 Luther solle zugeben, dass ein christliches Konzil, welches im Namen Christi versammelt sei, die Kirche repräsentiere und die allgemeine christliche Kirche anzeige, „heilsame, gute, nutzbare, erschiessliche ordnungen pflanze, die zu lob und ere gottes, zu heil der menschen und gutter andacht dienen.“250 Nach diesem ersten, eher pragmatischen Argumentationsgang, der auf die Notwendigkeit und Nützlichkeit der kirchlichen Konzilsbeschlüsse zielte, appellierte Vehus an Luthers Gewissen, seinen eigenen Verstand nicht über die anerkannten Meinungen zahlreicher Christen zu stellen und von seinen irrenden Standpunkten abzulassen.251 Er möge die Ehre Gottes und das Heil der Seelen vor Augen haben und den Schaden bedenken, der bei einem Insistieren auf seiner irrigen Meinung in der Kirche und unter den Menschen entstehen werde. Vielmehr solle er seine Schriften und Lehren dem Kaiser und den Reichsständen „zu erwegung, ermessung und entscheid“ übergeben und sich ihrem Beschluss fügen.252 Dass die Forderung einer Unterwerfung unter Kaiser und Stände die kirchenrechtliche Autorität aushebelte, nach der Luther bereits verurteilt war, und sich der Reichstag hiermit in die Rolle des Schiedsrichters 245

AaO. 614,38–615,9. AaO. 615,9–13. 247 AaO. 615,13–18. 248 AaO. 615,19–26. 249 AaO. 615,27–616,8. U. a. begründete Vehus, warum die Messe heimlich gelesen werden solle, anhand der zur Zeit des Athanasius aufgekommenen Wandlungslegende: Hirten hätten einst die Konsekrationsworte von Priestern gehört und über ihrem Brot gesprochen, worauf hin es sich in blutiges Fleisch verwandelt habe. 250 AaO. 616,12–16. 251 Siehe aaO. 616,17–618,1. 252 AaO. 618,1–4. 246

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im Streit zwischen Luther und dem Papst drängte, stellte für den Ausschuss allem Anschein nach kein kirchenjuristisches Problem dar, sondern bildete vielmehr ein grundsätzliches Anliegen der sich zunehmend römisch-kirchlicher Befugnisse einverleibenden Territorialherren.253 Luther, der von der geschickten und wohlgestalteten Ermahnung des für kirchliche Reformen im Rahmen der Alten Kirche eintretenden Kanzlers angetan war,254 ging in seiner Erwiderung sogleich auf das Konzilsthema ein: Er schränkte den Vorwurf dahingehend ein, kein Konzil außer das Konstanzer angegriffen zu haben.255 Er habe dies auch nicht aufgrund der Konstanzer Geschehnisse kritisiert, da er wisse, dass die Obrigkeit zu ehren sei, egal ob sie Recht oder Unrecht tue.256 Vielmehr habe er das Konstanzer Konzil aufgrund des Irrtums in der Lehre und des Glaubens angegriffen, weil es den Glaubensartikel „ich glaub die heiligen christliche kirchen“ verurteilt habe, der in dem Artikel von Hus enthalten sei: „es ist ein einige, gemeine, christliche kirchen, 253 Auf die Tatsache, dass sich der Ausschuss mit dem Unterwerfungsvorschlag kirchliche Befugnisse anmaßte, machte Aleander bereits aufmerksam, der hierüber urteilte: „questa è iniquissima et diabolica“ (Brieger, Aleander, 164,23; Kalkoff, Depeschen, 191). Hinter diesem Vorschlag stand die Absicht der Reichsstände, von Luther einen Widerruf zu erlangen, um die drohende Acht abzuwenden und um ein Auseinanderbrechen zwischen Luther und der Kirche zu vermeiden, welches die an Luthers Rom- und Kirchenkritik interessierten Stände im Rahmen ihrer Gravaminabemühungen gerade vermeiden wollten. Ein weiteres Motiv dürfte die politisch-polizeiliche Sorge vor gewalttätigen Auseinandersetzungen in den jeweiligen Territorien gewesen sein, die bei einer Verurteilung drohten. Außerdem könnten die auf verfassungsrechtlichen Machterhalt und möglicherweise Machtzuwachs zielenden Reichsstände, die sich im Urteil über Luthers als häretisch zu beurteilende Glaubenslehren zwar größtenteils einig waren, aber mit ihren Bedenken im offenbaren Gegensatz zur kaiserlichen Entscheidung vom 19. April standen, ihre Stärke durch einen Verhandlungserfolg demonstriert haben wollen. Inwiefern die Aussichten auf Erfolg wirklich als real eingeschätzt wurden, kann, da eingehende Untersuchungen über die hinter den Kulissen agierenden ständischen und kaiserlichen Räte samt ihren Kontakten zu Luther und den kursächsischen Beratern fehlen, kaum beantwortet werden. Luther selbst hatte seine Position vor Kaiser und Reich am 18. April manifestiert, so dass ein genereller Widerruf schier aussichtslos schien und – wenn überhaupt – nur über eine freundlich-ermahnende, differenzierte und kompromissbereite Form der Rücknahme zu erreichen gedacht war, was von den humanistisch gebildeten Verhandlungsführern vorangetrieben wurde. Vgl. Kohls, Humanisten, 415–437. Dennoch war der Unterwerfungsvorschlag unter die kaiserlich-ständische Urteilsinstanz von vornherein nicht nur auf der kirchenrechtlichen, sondern auch auf der verfahrensrechtlichen Ebene höchst fraglich, da die Stände an den Kaiser „als Urteilsinstanz mit sicherem kanonischem Rückbezug“ gebunden waren und somit keine vom Kaiser unabhängige Instanz bilden konnten. Vgl. Lutz, Reich, 64. 254 In seinem Brief an den Grafen Albrecht von Mansfeld vom 3. Mai 1521 bewertete Luther die Rede als „fürwar ain geschickte wol gestallte vermanung“ (WAB 2; 322,38 f.) und bezeichnete sie Jahre später noch als eine „splendidissima oratio“ oder „oratio meditata“ (WAT 3; 283,28 Nr. 3357 a; WAT 5; 66,30 Nr. 5342 a). Vgl. hierzu Schmidt, Richard von Greiffenklau, 280; Immenkötter, Vehus, 27. 255 In DRTA.JR 2; 562,12 f. heißt es: Nec [Non, WA 7; 846,5] omnia concilia me reprehendisse sed tantum Constantiense [. . .]. 256 DRTA.JR 2; 604,12–15.

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das do ist die anzal aller auserwelten und von got versehen heiligen“.257 Obwohl Luther auch das Wirken und die Handlungen des Konstanzer Konzils als „böße“ beurteilte, wie er Graf Albrecht von Mansfeld mitteilte,258 konzentrierte er sich vor dem Ständeausschuss bewusst auf den verurteilten Lehrartikel über die Kirche – in der Leipziger Disputation hatte er noch weitere Lehrartikel hinzugezogen 259 –, den er als unbestreitbaren Dreh- und Angelpunkt seiner Kritik herausstellte. Dass er genau diese Aussage in seiner „Responsio extemporaria“, der Kommentierung der von Spalatin zugeschickten Widerrufartikel, bereits vorbereitet und thetisch formuliert hatte,260 sei hier lediglich angemerkt. Luther griff Vehus’ Stichworte vom menschlichen Gehorsam gegenüber dem Konzil und der innerkonziliaren Differenzierung in „diversa“ und „contraria“ zwar auf, transformierte sie aber in schrifthermeneutischer Anverwandlung in den Vergleich mit dem göttlichen Wort: Weil die Verurteilung des Glaubensartikels über die Kirche gegen Gottes Wort streite und ihm eindeutig widerspreche, man aber Gott mehr als den Menschen gehorchen müsse (Act 5,29), ende hier die konziliare Gewalt und der Gehorsam gegenüber dem Konzil.261 Mit dieser das Wort Gottes in den Mittelpunkt seiner Argumentation rückenden Ausführung immunisierte Luther seine Konzilskritik gegen jegliche Angriffe und wandte sich von der Konzilsthematik der Vertiefung seines Schriftprinzips zu. Hierbei wies er u. a. den Vorwurf des Eigensinnes bei der Schriftauslegung zurück und betonte, dass der Glaube oder die Lehre Ärgernis mit sich bringe, „dann gots wort Ergert alzeyt die grossen weyßen und hayligen“.262 Nach einer Beratung des Ausschusses bat Vehus Luther, die Vorhaltungen zu bedenken, seinen Sinn zu ändern und seine Bücher dem Urteil des Kaisers und der Reichsstände anzuvertrauen.263 Luther stimmte dem Unterwerfungsvorschlag mit der Erweiterung zu, er sei auch bereit, die Schriften von den Geringsten prüfen zu lassen, wenn es – so sein expliziter Vorbehalt – aufgrund der Heiligen Schrift geschehe.264 Sollte ein Irrtum in seinen Schriften gefunden 257 AaO. 604,15–19. WA 7; 846,5–9: [. . .] sed tantum Constantiense, ob hoc potissimum, quod verbum dei damnarit, quod pateat in articulo hoc Ioannis Huss ibi damnato: ‚Ecclesia Christi est universitas praedestinatorum‘. Hoc damnasse concilium Constantiense, et sic hunc articulum fidei ‚Credo Ecclesiam sanctam catholicam‘. 258 WAB 2; 324,106 f.: Ich fa(e)cht auch den Bapst nit an, Noch des concilium jres bo(e)ßen lebens oder werck [. . .]. 259 Siehe oben, Kapitel III § 6.4. 260 WA 7; 612, 2–4: Collectores. Concilium Constantiense pessime omnium errasse. – Lutherus. Quia damnavit hunc Articulum fidei: ‚Credo Ecclesiam sanctam catholicam.‘ – Siehe auch aaO. 612,10. 261 DRTA.JR 2; 562,12–19; aaO. 604,19–25. 262 WAB 2; 324,113 f. Siehe auch DRTA.JR 2; 562,20–28; aaO. 604,25–605,14. 263 DRTA.JR 2; 562,30–32; aaO. 605,17–19. 264 WA 7; 848,1–12; DRTA.JR 2; 605,20–606,10. Luther begründete die Schriftautorität wie häufig ausführlich mit Verweisen auf Augustin und Paulus, wobei er I Thess 5,21 und Gal 1,1 anführte.

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werden, wolle er nicht um Gnade bitten. Sein an das göttliche Wort gebundene Gewissen dürfe aber nicht zur Verleugnung des klaren Wortes gedrängt werden. Denn er könne in brüderlicher Liebe nur soviel zugeben, wie dem Evangelium und dem Glauben erträglich sei.265

3.2. Die Einzelverhandlungen und die Konzilsthematik Nach Ende der Kommissionssitzung kam es zu verschiedenen offiziellen und halboffi ziellen Vermittlungsinitiativen, die auf Luthers Widerruf zielten und die Konzilsproblematik wiederholt thematisierten. In einer Sondersitzung 266 in der Stube des Trierer Erzbischofs verhandelte von Greiffenklau unter Beteiligung des Frankfurter Dechanten Johannes Cochläus267 und des Trierer Offi zials von der Ecken im Anschluss an die Kommissionssitzung mit Luther, dem Schurf und Amsdorf assistierten. Erneut wurde Luther der Vorwurf gemacht, die Schrift nach eigenen Maßstäben und nicht nach Tradition und Autorität der Kirche auszulegen, wodurch zu allen Zeiten Irrlehren wie die des Arius entstanden seien.268 Luther berief sich nun grundsätzlicher als in der vorangegangenen Sitzung auf das göttliche und menschliche Recht, den Konzilsentscheidungen zu widersprechen, und begründete dies mit dem Apostelwort: „Wenn einem anderen, der da sitzt, eine Offenbarung zuteil wird, soll der erste schweigen“ (I Kor 14,30).269 Seine Kritik untermauerte Luther nach Cochläus’ Bericht durch das 265 WAB 2; 324,115–117: darumb künd ich bru(e)derlicher lyebe nichts weytters nachlassen, dann sovil dem Euangelio und glauben leydenlich were. – Siehe auch DRTA.JR 2; 606,10–20: Kurfürst Joachim fasste die Sachlage in der Frage zusammen: Her doctor, so vil ich vormerk, so habt ir gesagt, ir welt von euerm vornemen nit absten, ir werdet dan durch gegrundete schrift anders unterweiset. – Luther antwortete darauf: Gnedigister herr, ja, oder durch helle ursach. (WA 7; 849,15–18). 266 Siehe hierzu die ausführliche Darstellung von Johannes Cochläus nach DRTA.JR 2; 624–627 Nr. 87 ( Johann Cochlaeus berichtet einem Freunde Georg N., Frankfurt, 21. 6. 1521). Deutlich kürzer berichten DRTA.JR 2; 563,20–564,11 = WA 7; 849,7–850,11; DRTA.JR 2; 606,24–607,17 = WA 7; 849,22–850,31. Vgl. Schmidt, Richard von Greiffenklau, 278–280. 267 Zu Cochläus vgl. R. Bäumer, Johannes Cochlaeus (1479–1552). Leben und Werk im Dienst der katholischen Reform (KLK 40), Münster 1980; M. Spahn, Johannes Cochläus. Ein Lebensbild aus der Zeit der Kirchenspaltung, Berlin 1898. 268 DRTA.JR 2; 606,31–607,4: Des hat der official angefangen zu sagen und arguern, das aus der heiligen schrift durch ire ungleiche auslegung und deutunge allzeit ketzereien gewachsen sein, mit einfürung, wie aus disem spruch: der vatter ist grosser dan [der son] die Arrianische ketzerei, und aus disem: Joseph hat Mariam nit erkent, bis si iren erstgebornen sun geboren hab, ein andere ketzerei geflossen sei. Derhalben must und solt man nicht stetigs der heiligen schrift ane auslegung und deutung der heiligen vetter und concilien anhangen, mit einmischunge vil andere wort. 269 DRTA.JR 2; 625,29–32: Veruntamen volebat sibi fas iusque esse conciliorum decretis contradicere ex illo sane verbo apostoli: si alii revelatum fuerit sedenti, prior taceat [. . .]. – Zu dieser Stelle siehe oben, Kapitel II § 3.5.

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Beispiel des Paphnutius, der auf dem Konzil von Nicäa allein gegen den Zölibat Stellung bezogen habe.270 Auf diese Geschichte, die Luther hier erstmals öffentlich und seitdem häufiger als Exempel der individuellen Glaubenseinsicht anführte, war er wahrscheinlich durch die Lektüre von Prierias’ „Epitoma“ aufmerksam geworden und hatte sie in der von ihm in der zweiten Hälfte des Jahres 1520 herausgegebenen „Epistola adversus constitutionem de cleri coelibatu“ wiedergefunden.271 270 AaO. 625,32 f.: adiungens Paphnutii exemplum, qui Niceno concilio de prohibendis ordini sacerdotali nuptiis contradixerit. – Die Existenz des Paphnutius, Bekenner und Bischof in der Thebais (spätes 3.–4. Jh.), die in der älteren Forschung umstritten war, wurde nach einer kritischen Analyse der griechischen Quellengrundlage durch F. Winkelmann, Die Problematik der Entstehung der Paphnutioslegende (in: J. Herrmann, H. Köpstein und R. Müller [Hg.], Griechenland – Byzanz – Europa [BBA 52], Berlin 1985, 32–42) widerlegt. Winkelmann beweist, dass Paphnutius ein Produkt verschiedener hagiographischer Nachrichten ist und sein Auftritt auf dem Konzil von Nicäa als Legende zu titulieren ist, zumal eine Teilnahme Paphnutius’ am Konzil von Nicäa in den ältesten Quellen nicht nachgewiesen werden konnte. Das erste Vorkommen der Paphnutiuslegende fi ndet sich bei Sokrates, Historia ecclesiastica 1,11 (PG 67,101–104), sodann bei Sozomenos, Historia ecclesiastica 1,23 (PG 67, 925 f. = GCS 50, 44,10–45,3) und Cassiodor, Historia ecclesiastica tripartita 2,14 (PL 69, 933 = CSEL 71, 107,1–108,2) und diente seit dem Mittelalter als Beweis gegen den Pfl ichtzölibat der Alten Kirche. Die erste greif bare Rezeption des Paphnutius im Mittelalter, die auch sogleich zu einer Auseinandersetzung um dessen Echtheit aufgrund der Zölibatsthematik führte, fi ndet sich in dem um 1074 entstandenen Briefwechsel „De prohibenda sacerdotum incontinentia“ zwischen Bernold von Konstanz und dem Kleriker Alboin. Dieser Briefwechsel und die Diskussion um die Priesterehe im Zuge der Zölibatsgesetzgebung Gregors VII. führten zur „Epistola Udalrici“, die vermutlich 1075 in der Diözese Konstanz abgefasst wurde. Vgl. E. Frauenknecht, Die Verteidigung der Priesterehe in der Reformzeit (MGH Studien und Texte 16), Hannover 1997. Diesen Brief, in den ebenfalls die Paphnutiuslegende Eingang gefunden hatte, ließ Luther in der zweiten Jahreshälfte 1520 mit einem Vorwort versehen unter dem Titel „Epistola divi Hulderichi Augustensis episcopi adversus constitutionem de cleri coelibatu“ herausgeben (WAB 12; 22 f. Nr. 4217 [= 365a]). In der Folgezeit bezog er sich auf diesen Brief mehrfach: WA 7; 677,13–22; WA 42, 178,1–7. 16–19; WAT 4, 55,7 f. Nr. 3983; aaO. 456,35 Nr. 4731. Vgl. J. Haussleiter, Die dem Bischof Ulrich von Augsburg zugeschriebene Epistel de continentia clericorum in einer Wittenberger Ausgabe (1520) mit Vorrede Luthers (BBKG 6, 1900, 121–126); O. Clemen, Ein Zeugnis für die frühen Beziehungen zwischen Holland und Wittenberg (ThStKr 93, 1920/21, 286– 293). 271 Zu der Darstellung von Prierias in seiner durch Luther im Juni 1520 herausgegebenen „Epitoma“ (WA 6; 338,29–339,5) notierte der Wittenberger Professor, WA 6; 339,30: Pulchrum argumentum a sancto viro ad impium. – Die profunde Untersuchung von Delius, Zu Luthers historischen Quellen, 109 f. führte als frühsten Beleg die Erwähnung von Paphnutius in „De votis monasticis“ (WA 8; 616,38. 617,9) an und hielt die Übernahme des Beispiels aus verschiedenen Quellen für möglich, während Köhler, Luther und die Kirchengeschichte, 152–155 bereits Prierias’ Argumentation für die Einzelentscheidung des Papstes gegen eine Konzilsmehrheit und Luthers Wormser Thematisierung erwähnt hatte. Obwohl die Paphnutiusgeschichte unter den Zeitgenossen bekannt war und seit 1520 neben Prierias auch von Emser gegen Luther polemisch verwandt wurde, dürfte sehr wahrscheinlich sein, dass Luther 1. in der Tat durch seinen Gegner Prierias auf das Beispiel explizit hingewiesen wurde, 2. er es in der „Epistola Udalrici“ wiederentdeckte und 3. die Erwähnung in Worms der früheste Beleg für die produktive Rezeption darstellt. Zwar macht auch Tecklenburg

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Gegen die Begebenheit wurde von Luthers Verhandlungspartnern eingewandt, dass Paphnutius vor der Konzilsentscheidung und somit während des Beratungsprozesses Einspruch erhoben habe und nicht nachher.272 Dass Luther in seinem Brief vom 3. Mai nicht die hier nach Cochläus’ Bericht diskutierte Konzilsthematik anführte, sondern gegen den Papst als Glaubensrichter die Mündigkeit eines jeden Christen in Glaubenssachen betonte, ist interpretationsbedürftig.273 Die Mitteilung Luthers, deren Wahrheitsgehalt ebenso wenig wie die von Cochläus’ Bericht aus dem historischen Abstand geklärt werden kann, signalisiert zumindest, dass der Reformator der Konzilsthematik an dieser Stelle keine nachhaltige Bedeutung zubilligte. Durch mehrere Einwände von Cochläus entwickelte sich das Gespräch schließlich zu einer hitzigen Disputation, in der Hieronymus Schurf häufiger für Luthers Redefreiheit Partei ergreifen musste.274 Erneut wurde durch den Trierer Offi zial das Gespräch auf die bereits erörterte Frage gelenkt, worin das Konstanzer Konzil geirrt habe. Luther verwies wiederum auf den Artikel von Hus, die Kirche sei die Anzahl der Auserwählten, welches er durch Joh 18,9 begründete.275 Dieser Ausführung schloss sich eine ekklesiologische Diskussion Johns, Konzilsidee, 75 Anm. 161 auf die Wormser Begebenheit aufmerksam, zieht aber hieraus keine weiteren Schlüsse. Hätte Luther die in den Kirchengeschichten von Cassiodor, Sozomenos und Sokrates sowie CorpIC, Decr. Grat., I dist. 31 c.12 (Friedberg 1, 114) angeführte Begebenheit, deren Authentizität er zeitlebens nie in Frage stellte, bereits im Rahmen der Leipziger Disputation bewusst wahrgenommen, wäre sie bereits 1519 als Argument für den konziliaren Irrtum, die Glaubenserkenntnis eines Einzelnen und den Widerstand gegen ein ganzes Konzil anverwandelt worden. Auch im Rahmen seiner Überlegungen zum Zölibat hätte er sie bereits 1520 als Begründung für die Freiwilligkeit der Ehelosigkeit anführen können. 1521 nutzte er die Erzählung zur Veranschaulichung der Kritik an den zum Zwang verkommenden Gelübden, indem er Paphnutius’ Widerspruch gegen die Umwandlung freiwilliger Lebenshaltungen in gesetzliche Bestimmungen hinsichtlich der Priesterehe würdigte (WA 8; 616,38–617,9). Auf den Einspruch des Paphnutius im Konzil von Nicäa bezieht sich Luther darüber hinaus: WA 10,1II; 336,38–337,5; WA 10,3; 262,14–19; WA 25; 18,15–22; WA 30,3; 454, 16 f./33 f.; aaO. 492,18 f.; WA 39,1; 186, 1–4; aaO. 187, 34. 33–36; WA 40,1; 203, 9–11/25–29; WA 50; 539,10–15; aaO. 549,33; aaO. 553,24.29; WA 54; 251,16; WAT 4; 49,17–20/49,30–33 Nr. 3974; WAT 5; 603,32/604,8 f. Nr. 6325 – Vgl. auch Schäfer, Luther, 299. 272 DRTA.JR 2; 625,33–626,2. Die Geschichte von Paphnutius’ Auftritt im Konzil von Nicäa war Cochläus entweder aus der polemischen Literatur oder dem „Decretum Gratiani“ hinreichend bekannt. Die Geschichte bettete Luther übrigens anders als in Worms in „De votis monasticis“ (WA 8; 616,38–617,9) in den konziliaren Entscheidungsprozess ein. 273 WAB 2; 325,147–156: aber es was ain loßen disputation, das sy mich mit scharpfen stichwortten versùchtendt, zù dem zül aber nit draffen. Ich sprach: der Bapst wer kain richter jn sachen, Die gots wort und glauben betreffent, sonder ain Christen mensch mu(e)ßt zùsehen und richten, gleych wie jr auch darnach leben und sterben mùß, dann glaub und wort gots ist yederman aygen Jnn der gantzen gmain. Das grindet ich auff sant Pauls j. Chorintiorum 14. 30 : ‚Revelatum assidenti si fuerit, prior taceat‘. auß welchem spruch clar ist, das der maister dem schùler volgen sol, so er es bo(e)ssers hat in gotes wortten, und der spruch belib besten und sta(e)t noch, das sy nichts dar wider außsprachen. Also schied wir von dannen. 274 DRTA.JR 2; 607,9 f. 275 DRTA.JR 2; 626,17–21: Officialis vero, cum ille pertinaciter assereret concilium

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über die Rolle des Judas und das Gleichnis vom Unkraut unter dem Weizen an, die in die Aufforderung Cochläus’ mündete, Schlussfolgerungen aus den thematisierten Bibelstellen zu ziehen. Luther kritisierte dies mit der Bemerkung, er werde nicht aufgrund von Vernunftschlüssen (syllogismi acturum), sondern aufgrund der Heiligen Schrift verhandeln, wodurch er erneut das Schriftprinzip in den Vordergrund stellte und seine explizite Vorbehaltsklausel unterstrich.276 Schließlich brach der Erzbischof das ergebnislose Wortgefecht ab.277 Ein weiterer Einzelversuch von Cochläus, Luther zum Widerruf zu bewegen, folgte am Nachmittag des 24. April,278 der für die historischen Umstände in Luthers Herberge, die „interkonfessionellen“ Gesprächsstrategien und theologischen Streitpunkte u. a. zur Abendmahlslehre aufschlussreich ist, aber in der Konzilsfrage keine neuen Impulse setzte.279 Auch ein offi zielles Gespräch mit den humanistisch gebildeten und um Ausgleich bemühten Persönlichkeiten Peutinger 280 und Vehus am Morgen des 25. April, in dem sie erneut den Vorschlag der Ständekommission unterbreiteten, Luther möge Kaiser und Ständen seine Bücher vorbehaltlos zur Beurteilung überlassen und sich ihrem Urteil

Constantiense in suis decretis errasse, quaesivit ex eo in, quonam errasset concilium. Tum ille: in damnatione, inquit, istius articuli Joannis Huss, quod ecclesia tantum est numerus praedestinatorum, quia Christus dicit: pater, quos dedisti mihi, non perdidi ex eis quenquam. 276 Die logischen Schlüsse, die ein Grundbestandteil des scholastischen Beweisverfahrens in der Theologie darstellten, sind von Luthers Forderung nach eindeutigen Vernunftgründen oder „hellen ursachen“ zu unterscheiden! Es steht zu vermuten, dass Cochläus die von Luther vorgenommene Unterscheidung nicht erkannt hatte oder erkennen wollte. 277 DRTA.JR 2; 627,12 f. 278 Siehe hierzu die deutsche Zusammenfassung von Cochläus’ Bericht in DRTA.JR 2; 627,28–631,32, sowie den Auszug des Gespräches bei Kühn, Luther und der Wormser Reichstag, 92–101 Nr. 23b. Vgl. über die verschiedenen Etappen des Gespräches, ihre Inhalte und deren Bewertung: Bäumer, Cochlaeus, 23 f.; Brecht, Luther 1, 444 f.; Kohls, Humanisten, 427; Schmidt, Richard von Greiffenklau, 284–286. 279 Die Konzilsthematik blitzte lediglich im Verlauf des Streitgespräches über die Transsubstantiationslehre auf. Cochläus erinnerte Luther an die Approbation jener Lehre durch das 4. Laterankonzil, worauf dieser lapidar antwortete, dass auf menschliche Autoritäten nichts zu geben sei. Einige der zahlreichen lutherischen Zuhörer lachten sogar, weil Cochläus sich auf konziliare Verordnungen stütze. Siehe DRTA.JR 2; 629,12–15; Kühn, Luther und der Wormser Reichstag, 96. 280 Peutingers Ausgleichsversuch interpretiert Kohls, Humanisten, 420–424 als Weg einer „politischen Lösung“, die auf Erasmus’ Einfluss fusste. Nach Kohls, aaO. 424 wollte der Augsburger Gesandte zweierlei erreichen: 1. Dass Luther sich „dem Urteil einer Kommission über seine Schriften unterwerfe (damit also Luthers unnachgiebige Ablehnung eines Widerrufs entschärfen und gar umgehen)“. 2. „Die Möglichkeit einer erneuten Verhandlung der Sache Luthers auf einem Konzil anbahnen.“ Kohls übersieht allerdings, dass der Vorschlag einer konziliaren Untersuchung erst in der zweiten Gesprächsrunde am Nachmittag des 25. April von Peutinger vorgetragen wurde, so dass es nicht zu erklären ist, warum Peutinger diese Möglichkeit, sollte sie zu seiner Strategie gezählt haben, nicht bereits am Morgen zur Diskussion stellte.

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fügen, führte nicht weiter. Luther bestand auf der Bibel als Urteilskriterium, das die Unterhändler ihrerseits nicht zugestehen konnten.281

3.3. Der Konzilsvorschlag Bei einer erneuten Zusammenkunft von Peutinger und Vehus am frühen Nachmittag des 25. April im Johanniterhof schien sich plötzlich ein Kompromiss mit Luther abzuzeichnen: die Beurteilung seiner Lehre durch ein künftiges Konzil. Dieser erst jetzt eingebrachte Vorschlag war nach Darstellung der Quellen eher der verfahrenen Situation denn einer klugen Verhandlungstaktik geschuldet: Aus der Zuhörerschaft wurde gegen Peutinger und Vehus der Vorwurf erhoben, sie seien als verheiratete Juristen ohne theologische Profession für die Verhandlung gänzlich ungeeignet. Luther ergriff für die beiden Laien mit der Anwendung seiner Lehre von der „claritas scripturae“, die er zuvor in der Schrift „Grund und Ursach“ entwickelt hatte, Partei: Weil das Wort Gottes klaren und schlichten Verstandes sei, könne es von jedem gelesen und verstanden werden.282 In diesem Zusammenhang ging Luther auf die im Konstanzer Konzil verurteilten Artikel von Hus ein und betonte, dass über deren Rezeption sein Ordenslehrer 283 prophezeit hätte, „das die zeit kommen wurde, darin dieselben verdampten artickel widder geofnet und usgebreit wurden.“284 Durch diese Aussagen angeregt, lenkte Peutinger das Gespräch vom Konstanzer Konzil weg und unterbreitete unter Aufgreifen des Stichwortes Konzil den neuen Vorschlag, „doctor Luther“ solle „seine schriften [. . .] zu erkanntnus eins kunftigen concilio“ stellen.285 Luther bejahte diesen Vorschlag mit der Einschränkung, dass die Zusammenkunft des Konzils in naher Zukunft geschehen müsse und die für irrig gehaltenen Artikel ihm vorgelegt werden müssten, bevor sie den Konzilsvätern zur Entscheidung gestellt würden.286 281 Zu den Verhandlungen mit Peutinger und Vehus am 25. April siehe neben DRTA.JR 2; 565,5–566,2 = WA 7; 851,8–853,6; DRTA.JR 2; 584,8–28 = WA 7; 878,9–19; DRTA.JR 2; 608,3–609,25 = WA 7; 851,28–853,20; Vehus’ Bericht DRTA.JR 2; 619,10–623,13. Vgl. Immenkötter, Vehus, 28–32; H. Lutz, Conrad Peutinger. Beiträge zu einer politischen Biographie (Abhandlungen zur Geschichte der Stadt Augsburg 9), Augsburg 1958, 186–197; Schmidt, Richard von Greiffenklau, 286 f. 282 DRTA.JR 2; 622,5–18. 283 Dass Luther mit dieser Bemerkung auf Staupitz anspielte, wie DRTA.JR 2; 622 Anm. 1 behauptet, ist möglich, aber nicht unbedingt notwendig. Nach WA 6; 591,12–20 könnte auch Johannes Greffenstein gemeint sein, der um 1505/06 über Hus geäußert hatte, dieser sei „on unterricht, on beweyzung, on ubirwindung“ verurteilt worden. Vgl. Delius, Luther und Huß, 11. 284 DRTA.JR 2; 622,18–22. 285 AaO. 622,22–25. Vgl. Lutz, Peutinger, 193 f.; Ders., Reich, 63. 286 DRTA.JR 2; 622,25–28.

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Wie Heinrich Lutz richtig beobachtet hat,287 weichen die Quellenberichte bei der Schilderung der Reaktion Luthers voneinander ab. Vehus berichtete, dass auf Peutingers und seinen Einwand, Luther möge bis zur Konzilsentscheidung über die strittigen Artikel weder lesen noch schreiben und predigen, er sich hierzu ohne Einschränkung bereit erklärte.288 Hingegen wird in den übrigen Berichten mitgeteilt, Luther habe bei dem Konzilsvorschlag zur Bedingung gemacht, dass über die aufgestellten Artikel ein künftiges Konzil „aus und mit kraft des götlichen worts daruber spreche.“289 Eine Zusage von Luther, über die strittigen Artikel bis zum Konzil zu schweigen, wurde in den „Acta et res gestae“ als strategisches Vorgehen von Peutinger und Vehus gedeutet.290 Historisch gesichert ist, dass die beiden reichsständischen Unterhändler sofort den Trierer Erzbischof über das von Luther eingeräumte Konzil als Schiedsgericht informierten, worauf hin dieser Luther zu sich rief.291 Nachdem der Erzbischof Luther – nach Aleanders Mitteilung – auf den Widerruf erneut hingewiesen und ihm einen einflussreichen Posten angeboten hatte,292 unterbreitete er ihm vier Vorschläge, die der Reformator allerdings ablehnte: Erstens, er möge sich dem gemeinsamen Schiedsgericht von Kaiser und Papst unterwerfen oder zweitens seine Sache der Entscheidung des Kaisers allein anvertrauen. Drittens solle er sich Kaiser und Reichsstände zu Richtern wählen oder viertens bei Zurücknahme einiger der größten Irrlehren die übrigen einem künftigen Konzil unterwerfen.293 Mit welchen Worten und Argumenten Luther auf das vorge287

Lutz, Peutinger, 194–197. Vgl. auch Immenkötter, Vehus, 31. DRTA.JR 2; 622,28–38: Gaben doctor Peuttinger und ich im antwurt, wir wolten das anbringen, der zuversicht, wurd nit mangel haben; doch dergestalt, das er mittlerzeit von denselben artickeln, so also ufgezeichnet und zu kunftiger erorterung gesatzt, auch mit lesen, schriben oder predigen stillstand. Das zeugt sich doctor Luther an, willig sein zu thon, doch allein in denselben artickeln, die man fur irrig halten und zu erkenntnuss des concilium gesetzt, die er desshalben im verzeichnet ubergeben begert, und das er sunst das wort gottes und heilig schriften lesen, schriben, lernen und predigen mocht und im an demselben nichts benommen were. Sagt ich ime daruf, das wir uns uf anbringen versehen, daran auch nit mangel erschienen wurde. 289 DRTA.JR 2; 609,18; aaO. 565,20–23. Siehe auch DRTA.JR 2; 584,24–28: Seint dennoch nachmittag wider kommen und folgend furgeslagen, das er die sach auf eins conciliums erkentnuss wolt stellen. Hat doctor Martinus auch bewilligt, doch also, das sie die artickel zuvor auszugen, im furtrugen, und das ein concilium ein urteil auch durch gottes wort daruber spreche. 290 Nach DRTA.JR 2; 565,24 f. hätten die Verhandlungsführer den das Konzil an die Heilige Schrift bindenden Vorbehalt Luthers in ihrem Bericht an den Trierer Erzbischof unterschlagen und Luthers Zusage des Stillhaltens fälschlich gehört. Gegen den Vorwurf der falschen Berichterstattung wehrte sich Vehus am Ende seiner Rechtfertigungsschrift. Siehe DRTA.JR 2; 623,14–624,1. 291 Über diese Unterredung berichten DRTA.JR 2; 566,3–567,17 u. a. sowie Brieger, Aleander, 163,22–166,5; Kalkoff, Depeschen, 152–154. 292 Vgl. hierüber Schmidt, Richard von Greiffenklau, 288–290. 293 Brieger, Aleander, 164,9–165,9; Kalkoff, Depeschen, 153 f. Aleander kommentierte in dem mit Caracciolo abgefassten Brief an Kardinal Medici diese Punkte mit den abfälligsten Bemerkungen, da sie gegen die bereits erfolgte päpstliche Bannung Luthers als Häretiker 288

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schlagene Konzil einging, ist nicht mehr genau rekonstruierbar, da die Berichte besonders in diesem erst unter vier Augen, später unter Anwesenheit Spalatins stattgefundenen Gespräch äußerst different sind.294 Nach dem Bericht der „Acta et res gestae“ fragte Luther auf den von Greiffenklau unterbreiteten Konzilsvorschlag, ob die größten ihm vorgeworfenen Irrlehren jene im Konstanzer Konzil verdammten seien. Der Erzbischof gestand, dass es eben diese seien,295 worauf Luther betonte, dass er nicht schweigen wolle und könne, da er gewiss sei, dass durch diese Beschlüsse und Dekrete Gottes Wort verdammt worden sei.296 Hingegen könne er die Artikel, die auf ihn selbst zurückgingen und nicht in der Bibel gegründet seien, – so die Erweiterung in der deutschen Textversion des „Berichts“ – einem Konzil zur Entscheidung vorlegen, „sofern das si den götlichen worten nit entgegen weren.“297 Andernfalls wolle er lieber Leib und Leben lassen als sich gegen das Wort Gottes vergreifen.298 Folglich war Luther seinem Schriftprinzip in den Verhandlungen bis zuletzt treu geblieben, indem er nicht nur eine Beurteilung durch ein kaiserlich-ständisches Gremium, sondern auch die Unterwerfung unter ein kirchliches Konzil von der Zusicherung der Schriftgemäßheit in der Beweisführung abhängig machte. Ein Konzil, das für Luther lediglich menschlich-kirchliche Autorität hatte, musste, und hierin wiederholte er sich beharrlich, unter der Heiligen Schrift stehen. Diese Einsicht unterstrich er im letzten Wormser Ausgleichsversuch noch einmal mit allergrößtem Nachdruck.299 Eine Aufgabe des Schriftvorverstießen, und versuchte das Vorgehen des Trierer Erzbischofs als taktisches Manöver zu entschuldigen. Über den Konzilsvorschlag schrieb er: La quarta, che el revocasse al presente alcune cose più enormi et del resto se remettesse al futuro Concilio; questa ancor è iniqua et inutilissima alla causa nostra, la qual non ha di bisogno de delationi. (Brieger, Aleander, 164,24–27). – Inwiefern die vier Vorschläge tatsächlich im Gespräch aufgezählt wurden oder eine Kompilation Aleanders von allen in Worms Luther eröffneten Möglichkeiten darstellen, ist nicht mehr eindeutig zu klären. 294 Vgl. z. B. die voneinander abweichenden Darstellungen bei Brecht, Luther 1, 446 f., der das Vier-Augengespräch ans Ende der Verhandlung mit dem Trierer Erzbischof setzt, und Schmidt, Richard von Greiffenklau, 287–291. 295 Diese Aussage deutet darauf hin, dass die von Aleander exzerpierten (Förstemann, 44 f.) und von Luther in seiner „Responsio extemporaria“ (WA 7; 608–613) kommentierten Lutherartikel die schriftliche Grundlage für die reichsständische Widerrufforderung bildeten. 296 DRTA.JR 2; 567,8–12: Dicenti Treviro, quid esset facturus, si decerperentur articuli concilio submittendi? respondit Lutherus: modo non sint hi, quos concilium Constantiense damnaverit. Ait Trevir: se vero timere eos ipsos futuros. Atqui, inquit Lutherus, de eiusmodi tacere neque possum neque volo, ut certus eius decretis damnatum dei verbum. – Siehe auch aaO. 609,26–30 und Luthers Tischrede vom Herbst 1536 über das Gespräch mit dem Trierer Erzbischof: WAT 3; 343,30–344,4 Nr. 3474. 297 DRTA.JR 2; 609,30–610,2. 298 AaO. 610,5 f. 299 In seinem Brief an den Grafen von Mansfeld führt Luther die Konzilsthematik beim Bericht über die Sonderverhandlungen nicht mehr an. Siehe WAB 2; 325,156–327,1.

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behalts hätte eine Aufgabe seiner theologischen und christlichen Existenz bedeutet. Mit der Empfehlung des Rats des Gamaliel (Act 5,38 f.), die Zukunft werde entscheiden, ob seine Sache aus Gott sei, und dem Wunsch, den Kaiser um Reiseerlaubnis zu bitten, beendete Luther diesen letzten Vermittlungsversuch, ohne dass es zu einem Widerruf oder einer Unterwerfung gekommen war.300 Am Abend erhielt Luther durch eine Delegation in seiner Herberge den kaiserlichen Entlassungsbefehl, in dem an die vorangehenden Vermittlungsversuche erinnert, Luthers Uneinsichtigkeit, sich zu bessern, zur Einheit der Kirche zurückzukehren oder sich einem Vergleich zu stellen, kritisiert und das weitere Prozedere angedeutet wurde. Gleichzeitig enthielt der Befehl die Zusicherung des freien Geleites von 21 Tagen.301

4. Das Wormser Edikt Lediglich skizzenhaft sei hier abschließend an die Rückreise Luthers und an die Verhängung des Wormser Edikts erinnert: Mit einigen Freunden verließ Luther am 26. April zwischen 9 und 10 Uhr morgens die Stadt, um nach Wittenberg zurückzukehren.302 Am Abend zuvor war der Reformator über den kursächsischen Plan informiert worden, ihn für einige Zeit in Sicherheit zu bringen,303 was er am 28. April Lukas Cranach unchiffriert mitteilte: „Ich laß mich eintun und verbergen, weiß selbst noch nicht wo.“304 In Begleitung des Reichsherolds und vermutlich 20 Reiter, die Sickingen zur Verfügung gestellt hatte, reiste Luther über Oppenheim und Frankfurt am Main nach Friedberg, wo er am 29. April den kaiserlichen Herold entließ und ihm einen Brief an Spalatin überreichte, dem ein Brief an Karl V. beigelegt war.305 Eine vermutlich von Spalatin ins Deutsche übersetzte Parallelfassung war an die Reichsstände adressiert und wurde diesen am 30. April vorgetra300

DRTA.JR 2; 567,14–17; aaO. 610,17–19. DRTA.JR 2; 568,1–7: quia tam multipliciter frustra a caesare, electoribus, principibus et ordinibus commonefactus ad cor et unitatem noluerit redire, reliquum ess, ut caesar ut advocatus fidei catholicae procedat. Ergo mandatum caesaris esse, ut intra 21 dies hinc ad securitatem suam redeat sub conductu publico et libero ipsi sevando neque vel paedicando vel scribendo in itinere populum commoveat. 302 Zur Rückreise vgl. Brecht, Luther 1, 448–450; Böhmer, Der junge Luther, 346–350; Köstlin/Kawerau, Luther 1, 430–432. 303 Der zuvor mit Friedrich dem Weisen verabredete Geheimplan, über dessen Einzelheiten der Fürst nicht unterrichtet sein wollte, war Luther durch die kurfürstlichen Berater von Feilitzsch, von Thun und Spalatin angezeigt worden. Siehe zum Gesamtzusammenhang WAT 5; 82 Nr. 5353. 304 WAB 2; 305,5 Nr. 400. 305 WAB 2; 318 Nr. 403 (Luther an Spalatin, Friedberg, 29. 4. 1521); WAB 2; (306) 307– 310 Nr. 401 (Luther an Kaiser Karl V., Friedberg, 28. 4. 1521). 301

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gen.306 Luther bedankte sich hierin für das Geleit und skizzierte noch einmal den Verlauf der Wormser Verhandlungen mit den vorgebrachten Vorschlägen, zu denen er auch die Beurteilung seiner Lehre durch ein künftiges Konzil zählte.307 Die kompromisslose Haltung, sich und seine Lehren der Entscheidungsgewalt des Kaisers oder eines Konzils nur unter der Bedingung anzuvertrauen, dass sie allein das Evangelium als Urteilskriterium anerkennen würden, begründete er noch einmal ausführlich theologisch. Für ihn blieb seine Lehre einzig dem Wort Gottes verpfl ichtet, das frei und ungebunden sei und über jeder menschlichen Autorität stehe.308 Schließlich unterstrich Luther, dass eine Widerlegung seiner Bücher in Worms nicht stattgefunden habe und er somit unüberwunden abgereist sei.309 Bekanntlich wurde Luther am 4. Mai bei der Burg Altenstein in einem Hohlweg durch kursächsische Reiter überfallen, gefangen genommen und auf die Wartburg in Sicherheit gebracht, wo er sich die nächsten zehn Monate auf halten sollte.310 Nach den ergebnislosen Verhandlungen mit Luther erkundigte sich der Kaiser am 30. April bei den Ständen, ob das angekündigte Achtmandat gegen Luther jetzt abgefasst werden könne.311 In einer Beratung stimmten die Stände dem kaiserlichen Vorhaben zu und überließen dem Kaiser die Ausarbeitung.312 Darauf hin beauftragte Karl V. Aleander, einen Entwurf für das Edikt auszuarbeiten.313 Dieser wurde von den kaiserlichen Räten und weiteren Beauftragten überarbeitet und ins Deutsche übersetzt. Am 8. Mai waren die Reinschriften erstellt, so dass Aleander dem kaiserlichen Großkanzler die lateinische und deutsche Fassung zur Beurkundung vorlegte, worauf er den kaiserlichen Beur306 WAB 2; (310) 314–317 Nr. 402 (Luther an die Kurfürsten, Fürsten und Stände des Reichs, Friedberg, 28. 4. 1521). 307 WAB 2; 308,40 f. 308 AaO. 308,41–309,81 u. ö. 309 AaO. 309,90–95. 310 Siehe u. a. WAB 2; 337,37–338,60 Nr. 410 (Luther an Spalatin, Wartburg, 14. 5. 1521); WAT 4; Nr. 4871; WAT 5; 82 Nr. 5353. Über die Gerüchte im Zusammenhang von Luthers Gefangennahme, dessen Veranlassung seitens der Reichsstände und der Nuntien noch in Worms Kurfürst Friedrich zur Last gelegt wurde, siehe Brieger, Aleander, 208,14–213 Nr. 31; Kalkoff, Depeschen, 192–197 Nr. 25 (Aleander an den Vizekanzler Medici, [Worms, 15. 5. 1521]). Aleander vermutete Luther auf Sickingens Burg. 311 Zum Wormser Edikt, seiner Entstehungsgeschichte, Diskussion und Publikation vgl. aus der neueren Literatur Borth, Luthersache, 121–129; DCL 2, 484–497 (mit Anführung der älteren Literatur aaO. 486 Anm. 1); Kohls, Reichstag, 99–104; A. Kohnle, Art. Wormser Edikt (TRE 36, 2004, 287–291); Wohlfeil, Reichstag, 121–123. 148–151. 312 DRTA.JR 2; 893 Nr. 211 (Christoph von Schwarzenberg an Wilhelm und Ludwig von Baiern, Worms, 1. 5. 1521). 313 DRTA.JR 2; 638,16–21 Nr. 89 (Gattinara an den Kardinal von Sitten, [Worms, 1. 5. 1521]); Brieger, Aleander, 178–180 Nr. 27; Kalkoff, Depeschen, 172–174 Nr. 24 (Aleander an den Vizekanzler Medici, [Worms, 5./11.? 5. 1521]).

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kundungsbefehl erhielt.314 Trotz interner Verzögerungen und Diskussionen, inwiefern den Ständen das Edikt noch einmal zur Begutachtung vorzulegen sei, was aber nicht erfolgte,315 wurde das Edikt nach der feierlichen Abschlusssitzung des Reichstages am 25. Mai im Beisein des noch verbliebenen Teils der Reichsstände in der kaiserlichen Residenz bekanntgegeben.316 Am 26. Mai unterzeichnete Karl V. das Edikt, welches als kaiserliches Achtedikt nach geltendem Recht volle Rechtsgültigkeit besaß,317 sowie das Publikationsmandat.318 Das Edikt 319 ist in drei Hauptteile untergliedert, von denen nach einem Einleitungsteil 320 der erste Hauptteil Luthers zu beanstandende Irrtümer 321 und die Verhandlungen in Worms322 skizziert, der zweite die Reichsacht 323 gegen Luther und seine Anhänger verfügt und der dritte Zensurbestimmungen gegen Luthers Schriften enthält.324 Bezüglich der Konzilsthematik bildet das Edikt eine kompakte Zusammenfassung der gegen Luther in Aleanders Rede vom 13. Februar und in den verschiedenen Verhandlungen in Worms vorgetragenen Vorwürfe. Einerseits wird daran erinnert, dass die von Luther vertretenen Lehren bereits von der Kirche 314 Vgl. Wohlfeil, Reichstag, 122, der betont, dass im Achtverhängungsverfahren mit dem kaiserlichen Beurkundungsbefehl die Fällung des Achturteils erfolgt war. 315 Brieger, Aleander, 203–206,13; Kalkoff, Depeschen, 187–192. 316 Brieger, Aleander, 220–223,19 Nr. 33; Kalkoff, Depeschen, 203–206 Nr. 27 (Aleander an den Vizekanzler Medici, [Worms, 26. 5. 1521]) – Der sächsische Kurfürst Friedrich war bereits abgereist. 317 Siehe Brieger, Aleander, 223,19–230,16; Kalkoff, Depeschen, 206–212. Die von Kalkoff u. a. in ders., Wormser Reichstag, 361–378 gegen N. Paulus, Zur Geschichte des Wormser Reichstages von 1521 (HJ 39, 1919, 269–277) behauptete These, die Annahme des Edikts sei „erschlichen“ und verfassungswidrig, so dass das Edikt kein für alle Stände verbindliches Reichsgesetz sei, wurde von der neueren Forschung überzeugend zurückgewiesen. Weil das Edikt ein kaiserliches Rechtsgebot war, bedurfte es nicht der Zustimmung der Reichsstände und fand daher auch nicht als ordentlicher Reichstagsbeschluss Eingang in den Reichsabschied. Vgl. zu dieser juristischen Thematik Borth, Luthersache, 123–129; Kohls, Reichstag, 100 f.; Wohlfeil, Reichstag, 122 f. 318 DRTA.JR 2; 659–661 Nr. 93 (Publikationsmandat des Wormser Edikts, Worms, 26. 5. 1521); Balan, Monumenta, 213 f. Nr. 81. 319 Der deutsche, für das Reich gültige Text des Edikts ist abgedruckt in DRTA.JR 2; (640) 643–659 Nr. 92, die deutsche und lateinische Fassung in DCL 2, 510–545. Über die zeitgenössischen Drucke vgl. J. Benzing, Die amtlichen Drucke des Reichstages (in: Reuter, Reichtag zu Worms, 438–448), 441–444. 320 DCL 2, 510–516,(11). Hierin knüpft Karl V. an die Bannandrohungsbulle „Exsurge Domine“ an, stellt Luthers Wirken als Ketzerei und der deutschen Nation zum Unheil gereichend dar und bewertet die Versuche des Papstes, Luther in die Kirche zurückzuholen, als gescheitert. 321 AaO. 516,(11)-522,(11). Die Aufzählung der Irrtümer, worunter u. a. Luthers Kritik an der Siebenzahl der Sakramente und die Forderung nach beiderlei Gestalt des Abendmahls gezählt wurden, lehnte sich an die Bannandrohungsbulle und Aleanders Rede vom 13. Februar an. 322 AaO. 522,(12)-532,(23). 323 AaO. 532,(24)-538,(28). 324 AaO. 538,(29)-542,(30)

§ 12 Die Konzilsthematik und der Wormser Reichstag

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und verschiedenen Konzilien als häretisch verurteilt seien.325 Andererseits werden als gewichtigste Irrlehren am Ende der Aufzählung im ersten Hauptteil die konzilskritischen Aussagen Luthers zur Anklage erhoben: Er verschmähe die heiligen Konzilien und verachte insbesondere das Konstanzer Konzil. Die dort verdammten Lehren von Hus bewerte er als christlich und evangelisch, während er die Konstanzer Konzilsbeschlüsse verachte.326 Mit beißender Polemik wird in Anlehnung an Luthers „Assertio“ formuliert: „und ist mit seinem gemüt in ein soliche unsynnigkeit gefallen, das er gloriert, sey der gedacht Huss einmal ein ketzer gewesen, so sey er zehen mal eyn ketzer.“327 In dem über die Wormser Verhandlungen referierenden Teil wird diese jegliche Konzilien ablehnende Position undifferenziert als durch Luther vor Kaiser und Reich öffentlich bestätigt dargestellt und mit den Worten beurteilt: „Und also in unser [Karl V.] und der stende gegenwart die hayligen concilien unmiltiglich unverschambt verspot, verdambt, geschmecht und gentzlichen verachtet und zùvor das zu Costentz, so der Deütschen nation zu ewiger ere den fryden und ainigkeyt wider gegeben“.328

Aus der vorangehenden, auf die Konzilsthematik fokussierten Analyse ergibt sich folgendes, in der Reformationsgeschichtsforschung bisher nicht beachtete Ergebnis: Luthers Konzilskritik hatte nicht nur in der Bannandrohungsbulle als Argument für seine Ketzerei Eingang gefunden, sondern war aufgrund der politischen Bedeutung des Konstanzer Konzils und der Diskussionen auf dem Wormser Reichstag im kaiserlichen Edikt zum wesentlichsten Argument für den Erweis seiner Irrlehre avanciert! Somit wurde Luthers Konzilsverständnis – nun freilich in Konzentration auf seine Institutionenkritik und kontroverstheologische Verzeichnung – zu einem Fall des Reichsrechts erhoben, indem es die 325

DCL 2, 512,(13); 516,(8); 524,(15 f.) u. ö. AaO. 520,(9)-(22): Er schamet sich auch nicht, jetz wider die hayligen concilen offenlich zu reden und die nach seinem willen zu smelern und zu verletzen, aus den er sonderlich das concili zu Costentz allenthalben mit seinem beflecten mundt swerlichen antastet und nennet das, der ganzen christenlichen kirchen und Deutscher nation zu smach und vercleinung, eyn sinagog des teüffels und dann die, so darin gewesen seyn und Johansen Hussen und seyner ketzereyschen handlung willen zu verprennen verordent haben, nemlich unsern vorfarn Kayser Sigmunden, auch des heyligen reychs fürsten und gemaine versamlung, entchristen und des teüffl s appostel, todtsleger und phariseyer und sagt, das ales das, so in demselben concili von des Hussen jrrsal wegen verdampt, christenlich und ewangelisch sey, und verjcht das anzunemen und zu beweren. Aber die artickel, so dasselb concili angenomen und beslossen hat, will er kainswegs zulassen [. . .]. 327 AaO. 520,(22)-(24). 328 AaO. 526,(29)-528,(4). Gleichfalls tendenziös wird Luthers in den reichsständischen Verhandlungen geäußerte Meinung dargestellt, er halte „nit allein alle yetzgemelte personen, sonder auch ain gemain concilium (ob gleichwol ains sein wurde) verdechtlich und arckwenig“ und wolle nur „nach seyner regel und nit aus den concilien, noch aus kayserlichen oder gaystlichen gesetzen, noch aus ainicher va(e)ter auctoriteten, wie hailig die sein, sonder allein aus den worten der hailigen schrifft“ seine Lehren beurteilt wissen (aaO. 530,[21]532,[7]). 326

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V. Die Politisierung und Problematisierung der Konzilsthematik (1521)

gewichtigste Begründung für die Verhängung der Reichsacht über den Wittenberger Theologen lieferte. Das Wormser Edikt, das in Kursachsen aufgrund einer Geheimabsprache zwischen Karl V. und Kurfürst Friedrich nicht zur Anwendung kam 329 und auch in anderen Gebieten des deutschen Reiches nicht in der von Aleander erwarteten Form umgesetzt wurde,330 war in den folgenden Jahren das grundlegende Rechtsmittel in der kaiserlichen Politik gegen die sich formierenden lutherisch gesinnten Reichsstände.

329 Zusammengestellt sind die dürftigen Nachrichten über diese Geheimabsprache, die Kurfürst Friedrich vor seiner Abreise am 23. Mai mit Karl V. getroffen hatte, in DRTA.JR 2; 659 f. Anm. 1. Der mächtige Reichsfürst hatte demnach den Kaiser gebeten, ihn mit der Sache „sovil den Luther und sein handlung betrifft“, zu verschonen (Förstemann, 217 Nr. 92 [Kurfürst Friedrich an Erzherzog Ferdinand, Lochau, 18. 8. 1524]). Karl schickte darauf hin kein Achtmandat nach Kursachsen, so dass das Wormser Edikt für Luther und seine zahlreichen Anhänger in Kursachsen ausgesetzt war und der Reformationsprozess in diesem Territorium zur Entfaltung kommen konnte. Bereits am 12. Mai 1521 hatte Luther die wahrscheinlich auf Spalatins Nachrichten zurückgehende Vermutung geäußert, dass das Wormser Edikt zwar unter Herzog Georg und Kurfürst Joachim von Brandenburg, aber nicht in Kursachsen zur Anwendung kommen werde. Siehe WAB 2; 332,30–33 Nr. 407 (Luther an Melanchthon, Wartburg, 12. 5. 1521). Zu diesem politisch klug eingefädelten Sachverhalt vgl. Blaschke, Kurfürst Friedrich, 331; Kohnle, Reichstag, 103. 330 Vgl. M. Brecht, Das Wormser Edikt in Süddeutschland (in: Reuter, Reichstag zu Worms, 475–489); P. Kalkoff, Das Wormser Edikt und die Erlasse des Reichsregiments und einzelner Reichsfürsten (HB 37), München/Berlin 1917; Kohnle, Wormser Edikt, 289 f.; R. Stupperich, Vorgeschichte und Nachwirkungen des Wormser Edikts im deutschen Nordwesten (in: Reuter, Reichstag zu Worms, 459–474).

§ 13 Bewertung der Konzilsthematik im Umfeld des Reichstages Aus der vorangehenden Untersuchung ergibt sich, dass das Konzilsthema in seiner Mehrdimensionalität eine zentrale und bisher in der Forschung viel zu gering veranschlagte Rolle auf dem Wormser Reichstag spielte. Auch wenn Kaiser und Reichsstände sowie Luther der Thematik eine völlig unterschiedliche Gewichtung gaben, lässt sich nicht übersehen, dass der Reichstag für die Bewertung der Konzilsthematik wie für den Umgang in der Luthersache einem Doppelpunkt gleichkam. Für Kaiser und Reichsstände bildete das Wormser Edikt den vorläufigen Abschluss des kaiserlich-ständischen Prozesses der Urteilsbildung in der Luthersache, dessen Interpretation und Praktikabilität in den nächsten Jahren die Reichspolitik prägen und zwischen Kaiser, altgläubigen und lutherisch gesinnten Reichsständen zum verfassungsrechtlichen Politikum werden sollte.331 Das Konzilsbegehren, das während des Reichstages vornehmlich von Aleander erfolgreich bekämpft worden war, trat seit 1522 im Rahmen der Ständepolitik als offizielles Postulat im Umgang mit der sich ausbreitenden lutherischen Lehre in den Vordergrund. Für Luther hingegen verdichtete sich mit den Erfahrungen von Worms und durch die Verhängung der Reichsacht die Ansicht, dass auf menschlich-konziliare Institutionen zur Klärung der Glaubensfrage nicht mehr zu hoffen sei. Diese bedeutenden gegenläufigen Entwicklungen sind im Folgenden kurz zu bündeln und zu perspektivieren.

1. Das politische Konzilsbegehren der Reichsstände Luthers Forderung nach einem freien, christlichen Konzil in der Adelsschrift sowie seine Konzilsappellation, mithin sein reformatorisches Konzilsverständnis, verquickten sich mit dem im Rahmen der Gravaminathematik projektierten Konzilsbegehren. Ihren ersten Ausdruck fanden sie in Worms. Zur offi ziellen Forderung der Reichsstände wurde der Gedanke in modifi zierter Form während des 2. Nürnberger Reichstages erhoben und bestimmte seitdem die reichsständische Religions- und Friedenspolitik.332 331 332

Vgl. Borth, Luthersache, 129–135; Kohnle, Reichstag, 105–203 u. ö. Vgl. A. P. Luttenberger, Glaubenseinheit und Reichsfriede. Konzeptionen und Wege

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V. Die Politisierung und Problematisierung der Konzilsthematik (1521)

1.1. Rückblick auf den Wormser Reichstag Die Wertschätzung der kirchlichen Konzilien, insbesondere der Reformkonzilien des 15. Jahrhunderts, war bei Kaiser und Reichsständen ungebrochen. In der Tradition des Konstanzer Konzils und möglicherweise auch des Basler Konzils verstand sich der Kaiser als Bewahrer und Verteidiger der Christenheit, der sich wie sein Vorfahre auf dem Thron, Kaiser Siegmund, für das Zustandekommen des Konzils eingesetzt hatte. Während Karl V. darüber hinaus in Worms keine konziliaren Interessen erkennen ließ, war unter den Ständen konziliaristisch-antipapales Gedankengut verbreitet. Hierbei fand das Konstanzer Konzil als Reformkonzil besondere Aufmerksamkeit: Es bildete die Grundvoraussetzung für die Gravamina der deutschen Nation und diente bei den vorgebrachten Konzilsbegehren als orientierendes Vorbild. Außerdem betrachteten die Stände es als das bedeutendste allgemeine Konzil auf dem Boden des Reiches und eigneten ihm nationales Gewicht zu. Dass der überwiegende Teil der Reichsstände nicht für ein vom Papst einberufenes und geleitetes Konzil plädierte, sondern eher jenen zwei Konzilskonzeptionen zuneigte, die einerseits im Konstanzer Reformkonzil, andererseits in Luthers Rede vom freien, christlichen Konzil wurzelten, verdeutlicht Aleanders Notiz von dem reichsständischen Erschrecken über eine päpstliche Konzilseinberufung. Auffällig ist allerdings, dass die Forderung nach einem freien, christlichen Konzil unter den Reichsständen literarisch noch nicht greif bar wurde. Das Konzilsbegehren, das anfänglich in der miteinander verbundenen Luthersache und Gravaminathematik und, so mag vermutet werden, in der Verquickung beider antipapaler Konzilskonzeptionen als ein möglicher Weg zur Klärung der kirchlichen Schwierigkeiten erwogen worden war, wurde nicht zuletzt durch die antilutherische Strategie von Aleander vereitelt. Dieser hatte die von Eck seit der Leipziger Disputation äußerst erfolgreich umgesetzte Kontroverstaktik übernommen, welche die antipapale Konzilssympathie der weltlichen Obrigkeiten insbesondere für das Konstanzer Konzil und die konzilskritische Bewertung Luthers folgenreich gegeneinander ausspielte. Weil durch das Wormser Edikt eine vermeintlich klare Entscheidung gegen Luther gefallen war und die deutschen Gravamina hiervon getrennt worden waren, fand die Konzilsforderung (noch) keine offi zielle Unterstützung.

1.2. Das Konzil als Forderung in der Reichspolitik seit 1522 Lediglich angedeutet sei, dass das Konzilsbegehren in der reichsständischen Politik in den folgenden Jahren massiv an Bedeutung gewann, hinsichtlich der konfessionsneutraler Reichspolitik 1530–1552 (Kurpfalz, Jülich, Kurbrandenburg) (SHKBA 20), Göttingen 1982, 11–26 u. ö.

§ 13 Bewertung der Konzilsthematik im Umfeld des Reichstages

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Luthersache mit dem Wormser Edikt in Konkurrenz trat und zum Ansatz einer einheitlichen „reichskirchlichen“ Lösung avancierte.333 Denn obwohl das Wormser Edikt ein klares Urteil über Luther gefällt hatte, gelang es einerseits den einflussreichen lutherfreundlichen Politikern in dem bis 1524 in Nürnberg wirkenden Reichsregiment, dem kursächsischen Rat Hans von der Planitz sowie dem bambergschen Hofmeister Johann von Schwarzenberg, die Exekution des Wormser Edikts zu vereiteln und andererseits auf den drei Nürnberger Reichstagen (1522–1524) eine aus Rücksichtnahme auf die kursächsischen Finanzbeiträge für die kaiserliche Türkenabwehr moderate Begrenzung der evangelischen Bewegung durchzusetzen. Zum zentralen religionspolitischen Mittel der Reichsstände wurde die Konzilsforderung auf dem 2. Nürnberger Reichstag 1523, nachdem der Nuntius des reformorientierten Papstes Hadrian VI., Francesco Chieregati, zur kirchlichen Erneuerung und zur Ketzerbekämpfung ein Schuldbekenntnis vorgetragen hatte, in dem er die kurialen und kirchlichen Missstände eingestand und sie als begünstigende Umstände für die „lutherische Ketzerei“ deutete.334 Hierdurch wurde erneut die in Worms durch Aleander und den Kaiser voneinander geschiedene Gravaminathematik mit der Luthersache verknüpft. Zur Antwort auf die Rede des Nuntius erstellte der aus Reichstags- und Regimentsmitgliedern bestehende „kleine Ausschuss“ im Januar ein Gutachten, in welchem zur einvernehmlichen Lösung der Glaubensfrage und der kirchlichen Reformproblematik das Konzilsbegehren in die Formel geprägt wurde: Der Papst möge mit Zustimmung des Kaisers „ein frei cristenlich concilium an eine bequeme malstat Teutscher nation“, als „nemlich zu N. oder N.“ ausschreiben.335 Diese For333

Borth, Luthersache, 129. Siehe DRTA.JR 3; 399,14–404,6 Nr. 75 (Breve Papst Adrians VI. an die in Nürnberg versammelten Stände des Reiches, Rom, 25. 11. 1522); aaO. (390) 393,29–399,13 Nr. 74 (Instruktion Papst Adrians VI. an Chieregati, Rom, ca. 25. 11. 1522). Zur Instruktion vgl. aaO. 388 Anm. 1 und zur Rede des Nuntius Chieregati aaO. 387,28–390,20 Nr. 73 (10. 12. 1522). Vgl. Hofmann, Konzilsfrage, 43–45. 335 DRTA.JR 3; 424,23–425,1. In einer Textvariante des Gutachtens des kleinen Ausschusses wird „gegen Teutsche nation gelegen, als nemlich zu N. oder N.“ (aaO. 424,29), in dem von Adolf Wrede abgedruckten Haupttext konkret „gein Strasburg, Meintz, Collen, Costentz oder Metz“ (aaO. 424,25) gelesen. Zum Gutachten insgesamt siehe aaO. (417) 419,4–429,15 Nr. 79 (Gutachten, 15. und 19–23. 1. 1523). – Inwiefern der Begriff „cristenlich“ bereits Luthers reformatorisches Konzilsverständnis implizierte, d. h. auf der Versammlung seien allein Christus und das Evangelium zu hören und es sei dort nicht nach päpstlichen und menschlichen Gesetzen, sondern aufgrund der Heiligen Schrift zu urteilen, oder lediglich als überkommene Formel rezipiert wurde, ist nicht eindeutig zu beantworten, da hierüber keine näheren Erläuterungen getätigt werden. Hingegen lag in dem Attribut „frei“ die Intention, dass die Synode als papstfrei, d. h. nicht unter päpstlicher Bevormundung stehend, konzipiert war. Ihre Unparteilichkeit war den Verfassern des Gutachtens ebenso wichtig, wie die weiteren Details bezüglich des Tagungsortes und der Geschäftsordnung, in der wider alle kirchliche Ordnung den Laien Sitz- und Stimmrecht zugestanden wurde. Mit diesen Ausführungen wurde eine von römischer Tradition unabhängige Konzilskonzeption entwickelt, 334

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V. Die Politisierung und Problematisierung der Konzilsthematik (1521)

mel, die in den Reichsabschied von 1523 übernommen wurde336 und von Befürwortern und Gegnern der evangelischen Bewegung gleichermaßen verantwortet wurde, sollte zum „Prototyp ständischer Konzilsforderungen in den kommenden Jahren“ werden.337 In dieser Entwicklung war Luthers noch 1520 vorgetragenes Anliegen jetzt in formelhafter Verdichtung zur politischen Forderung erhoben worden,338 welche in der Folgezeit die Religionspolitik bestimmte, teils aus Hoffnung auf kirchliche Erneuerung, teils aus Sorge vor einem Aufruhr im Volk, der durch die Aussetzung des Wormser Edikts und die Konzilsforderung abgewendet werden konnte. Nachdem das Begehren nach einem allgemeinen Konzil auf größtmöglichsten Widerstand in der Kurie und beim neuen Papst Clemens VII. gestoßen war, suchten die Reichsstände auf dem 3. Nürnberger Reichstag ein Nationalkonzil zur Ordnung der kirchlichen Verhältnisse im Reich zu initiieren und somit durch einen „reichskirchlichen“ Weg die Lösung der Religionsprobleme zu erzielen. Allerdings wurde dieser Weg durch den Kaiser versagt und die Verhinderung der sich andeutenden Kirchenspaltung weiterhin aufgeschoben. Obgleich das Begehren nach einem allgemeinen Konzil als Ort zur Vermeidung der kirchlichen Spaltung aufrecht erhalten wurde, schlossen sich im Sommer 1524 süddeutsche Fürsten im Regensburger Bündnis zusammen, um der Ausweitung der lutherischen Ketzerei zu wehren, und leiteten damit die Phase der politischen Bündnisse im Religionsstreit ein.339

2. Manifestierung der konzilskritischen Position bei Luther Für den nach Worms zur Verteidigung seiner Lehren gereisten Luther waren die grundsätzlichen Überlegungen zur Konzilsthematik vor seiner Reise ausgereift und fanden in Worms ihre Bestätigung. Die Lehre und Autorität der Konzilien hatte er seit der Leipziger Disputation immer stärker von der bibelgeleiteten Bewertung der jeweiligen Konzilsentscheide abhängig gemacht, während er der Institution des kirchlichen Konzils per se immer weniger Autorität zugebilligt hatte. Am Ende dieses Prozesses, der quasi in der Identifi zierung von den Konzilsentscheiden mit ihren Konzilien gipfelte, standen die Verbrennung der Bannandrohungsbulle und des kanonischen Rechts, die jene Bulle reflektiedie zentrale Gedanken von Luthers 1520 propagierten Konzilstheorie aufnahm. Zum kleinen Ausschuss auf dem Reichstag vgl. Hofmann, Konzilsfrage, 45–54. 336 DRTA.JR 3; 746,13–18. Siehe insgesamt aaO. (736) 737,17–759,11 Nr. 117 (Abschied des Reichstages, Nürnberg, 9. 2. 1523). 337 Kohnle, Reichstag, 120. 338 Zu Luthers Haltung bezüglich dieser Forderung siehe unten, Kapitel VI § 15.1. 339 Vgl. zum 3. Nürnberger Reichstag und den Reaktionen der Stände auf das Projekt des Nationalkonzils in Speyer: Borth, Luthersache, 144–160; Kohnle, Reichstag, 204–247; Hofmann, Konzilsfrage, 66–111. Siehe auch unten, Kapitel VI § 15.2.

§ 13 Bewertung der Konzilsthematik im Umfeld des Reichstages

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renden Schriften „Assertio“ und „Grund und Ursach“ sowie der Auftritt vor Kaiser und Reich in Worms. Ein Konzil konnte für Luther nur dann als christliche Normeninstanz gelten, wenn seine Handlungen und Entscheide einzig und allein an der Heiligen Schrift als Quelle und Richtschnur orientiert waren und sich jederzeit bei Überprüfung durch die Heilige Schrift an ihr bewähren ließen. Ohne die Heilige Schrift und das Wort Gottes blieb das Konzil lediglich eine menschlich-irrtumsfähige Versammlung, deren Entscheidungen keinen Einfluss auf Glaubensgewissheit und Heilsbedeutung hatten und keinen Anspruch auf Allgemeinverbindlichkeit erheben konnten. Sollten sich Konzilsbeschlüsse untereinander widersprechen oder ein Konzil sogar gegen die Heilige Schrift entschieden haben, war es, wie er am Konstanzer Konzil erkannt und seit den „Resolutiones“ zur Leipziger Disputation formuliert hatte, zu verwerfen. Mit seiner exklusiven Betonung des Schriftprinzips und strikten Anwendung des Schriftvorbehalts gegenüber dem Traditionsprinzip hatte Luther auch die konziliaristisch-ekklesiologische Position überwunden, die nach Josef Wohlmuth die allgemein-verbindliche Konzilsautorität im Prinzip der „Repräsentativität und Konziliarität“, im Prinzip der „konziliaren Christus- bzw. Geistunmittelbarkeit“ und im „Mehrheitsprinzip“ verankert sah.340 Für den Reformator war – ohne die konziliaristische Position theologisch eigens zu reflektieren und zu diskutieren – jedes historische und künftige Konzil, das Anspruch auf Autorität erheben wollte, allein auf das Wort Gottes gewiesen, von dem es seine Gott- und Geistunmittelbarkeit erfuhr. Diese grundlegend kritischen Bemerkungen zur Konzilstheologie, von der Luther zeitlebens nicht mehr abrücken sollte, ließen alle darüber hinaus gehenden konzilstheoretischen oder konzilspraktischen Gedanken geradezu als Adiaphora erscheinen, denen sich Luther in dieser existenzbedrohenden Lebensphase im Winter und Frühjahr 1520/21 nicht widmen wollte und konnte. Dass Luther mit seiner schriftbetonten Neubewertung der Konzilien auf erheblichen Widerstand stoßen werde, hatte die antilutherische Propaganda und die kuriale Untersuchungskommission im Ketzerprozess frühzeitig erkannt und in populärer Weise gegen Luther auszunutzen gesucht. Der reichspolitisch bedeutendste Versuch gelang Aleander während des Wormser Reichstages, auf dem Luther die Schrift bekenntnishaft-programmatisch über Papst und Konzilien stellte, die Beurteilung der Konzilsentscheide vom Schriftprinzip her apostrophierte und seine für die Mehrzahl der Anwesenden unverständliche Kritik am Konstanzer Konzil vor Kaiser und Reich wiederholte. Fanden Luthers papstkritische und antipapale Äußerungen in Worms überwiegend (stillschweigende) Zustimmung, stieß dieses die externe Verlässlichkeit der kirchlichen Konzilien destruierende Bekenntnis auf kaiserlich-reichsständischen 340

Wohlmuth, Konziliarismus, 523–525.

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V. Die Politisierung und Problematisierung der Konzilsthematik (1521)

Protest. Inwiefern von den beratenden Kirchenjuristen wie von der Ecken abgesehen die Reichsstände Luthers radikale Umwertung der bis dahin nur vom Papst und den papalistischen Theologen bestrittenen höchsten Autorität der allgemeinen Konzilien in ihrer theologischen und kirchenorganisatorischen Tragweite tatsächlich erkannten, mag dahingestellt sein. Seine Aussage, dass er nicht alle Konzilien verurteilt habe, blieb in der mehrdimensional motivierten Empörung über die Kritik am Konstanzer Konzil ungehört. Auf die Frage, inwiefern ein allgemeines Konzil Richter im Glaubensstreit sein könne, ließ sich Luther in den Unterverhandlungen zwar ein, betonte aber auch für das künftige Konzil den Schriftprimat bei der Urteilsfi ndung, der wiederum vom Trierer Erzbischof nicht zugestanden werden konnte. Folglich fand wie bereits in der „Assertio“ auch in Worms keine positiv-produktive Indienstnahme des allgemeinen Konzils durch Luther statt. Es dürfte nicht vermessen sein anzunehmen, dass sich in Worms bei Luther der Eindruck manifestierte, ein künftiges Konzil könne nicht mehr in seiner Sache austragen als der Reichstag. Weil nun selbst das weltliche Forum, dessen leitende Persönlichkeiten Luther ein Dreivierteljahr vorher zur Besserung der Christenheit aufgerufen und für die Initiierung eines allgemeinen Konzils beworben hatte, statt die angekündigten „Erkundigungen“ über seine Lehren und Bücher einzuholen, auf den nicht umsetzbaren Widerruf zentraler Lehrsätze drängte, versiegte bei Luther auch die ohnehin nicht mehr ausgeprägte Hoffnung auf eine positive Beurteilung seiner Lehren durch ein allgemeines, künftiges Konzil, welches aus Klerikern, weltlichen Herrschern und Laien zusammengesetzt sein sollte. Was Luther 1526 im Rückblick auf den Wormser Reichstag für Kurfürst Friedrich behauptete, wenn er dessen stillschweigende Ablehnung des als Pfaffenhandlung charakterisierten Konzilsinstituts hervorhob,341 war auch seine eigene Meinung: Aufgrund seiner Erfahrung vor dem mit einem Konzil vergleichbaren Forum des Reichstages und aufgrund der bereits zuvor geäußerten theologischen Erkenntnis von der Urteilsfähigkeit des einzelnen Christen im Glaubensstreit dürfte Luther die Idee eines freien, christlichen Konzils als Urteilsinstanz stillschweigend beiseitegelegt haben. Mit den Ereignissen in Worms kam somit für Luther eine längere Entwicklungsphase seines Konzilsverständnisses zu einem vorläufigen Abschluss. Inwiefern diese These auch für die Umsetzung der reformatorischen Ideen in die kirchengemeindliche Praxis und bei dem Auf bau des evangelischen Kirchenwesens gilt, muss sich anhand der folgenden Untersuchung erweisen.

341 WA 19; 276,11–17. Im Zusammenhang mit der Abfassung seiner Schrift „Von den Konziliis und Kirchen“ wiederholte Luther diesen Gedanken. Siehe WAT 4; 269,3–8 Nr. 4375 (1. 3. 1539).

VI.

Die Popularisierung und Problematisierung der Konzilsthematik in den 1520er Jahren Während die wenigen Untersuchungen und Überblicksdarstellungen zu Luthers Konzilsverständnis in der Regel mit dem Wormser Reichstag von 1521 enden1 und erst mit der veränderten kirchenpolitischen Großwetterlage der 1530er Jahre neu anheben,2 bilden die 1520er Jahre im Blick auf die Konzilsfrage bei Luther ein kaum bearbeitetes Untersuchungsfeld.3 Verlief Luthers konzilstheoretische Entwicklung wie konzilspraktische Positionierung bis zum Reichstag facetten- und abwechslungsreich, schien mit seiner Bannung und Ächtung das Interesse am Konzil beim Reformator signifi kant zu schwinden und folglich auch in der Lutherforschung zu erlahmen. Diese Feststellung ist umso erstaunlicher, als von 1522 bis 1525 das in Worms noch relativ verhalten verbalisierte Konzilsbegehren zu einer reichsständischen Zentralforderung avancierte, mit Hilfe derer die Glaubensstreitigkeiten teils freundlich geschlichtet, teils radikal eliminiert werden sollten.4 Auch fand der Konzilswunsch mitsamt der zunehmend ambivalenten Konzilsthematik Widerhall in den Flugschriften, die insbesondere von 1520 bis 1526 in großer Zahl erschienen und, wenn auch nicht in der Intensität mit den Diskursen um Schriftprinzip und Rechtfertigungslehre konkurrierend, den Konzilsdiskurs öffentlichkeitswirksam inszenierten.5 Schließlich traten innerhalb der rasch wachsenden evangelischen Bewegung zunehmend praktische Fragen nach Reformen der kirchlichen 1 Zur Manifestierung dieser Untersuchungszäsur trug wesentlich die Studie von Kolde, Luthers Stellung, 1876 bei. Vgl. z. B. Bäumer, Irrtumsfähigkeit, 987–1003. 2 Vgl. z. B. Kantzenbach, Auftrag und Grenze, 108–134; Pelikan, Luthers Stellung, 40–62; Stupperich, Reformatoren, 20–63. 3 Sieben, Die katholische Konzilsidee, 23–32 interpretiert in seiner Untersuchung immerhin eine Predigt aus dem Jahr 1524 und entwickelt an ihr Luthers Konzilstheorie. Auch verhandelt Ebneter, Konzil, 27–29, an der Einleitung von Oskar Brenner (WA 50; 491 f.) orientiert, den Konzilsgedanken in jener als „Episode der Sammlung“ bezeichneten Zeit. Im Rahmen ihrer Lutherdarstellungen streifen die Konzilsthematik Brecht, Luther 2, 27. 69. 84. 98. 115. 117 f. u. ö.; H. Bornkamm, Martin Luther in der Mitte seines Lebens. Das Jahrzehnt zwischen dem Wormser und dem Augsburger Reichstag. Aus dem Nachlaß hg. von K. Bornkamm, Göttingen 1979, passim; Köstlin/Kawerau, Luther 1, 591; Dies., Luther 2, 141 f. 260 f. u. ö. oder Schwarz, Luther, 122 u. ö. 4 Pauschal und ohne Differenzierung analysierte der katholische Konzilsforscher Jedin, Geschichte 1, 155: „In den Entscheidungsjahren der Reformation von 1521 bis 1525 gab es, menschlich gesprochen, nur ein Mittel, der Abfallsbewegung Einhalt zu gebieten: das Konzil.“ 5 Vgl. Brockmann, Konzilsfrage, 199–201 u. ö.; Ders., The Problem of the Ecumenical

326 VI. Die Popularisierung und Problematisierung der Konzilsthematik in den 1520er Jahren Verhältnisse und der Gestaltung des reformatorischen Kirchenwesens auf, die auf eine Entscheidungsinstanz drängten und traditionell mit dem Konzilsgedanken verknüpft waren. Auf dem Hintergrund dieser hier lediglich angerissenen Bedeutung, die dem Konzilsthema in den Anfangsjahren der Reformation zukam, ist es dringend geboten, Luthers Stellungnahmen und Aussagen zum Konzilsthema in jener Zeit eingehend zu analysieren und zu fragen, in welcher Form Luther auf den Konzilsdiskurs reagierte und wie er sich konkret zu den Konzilsbegehren in theologischer und kirchenpolitischer Perspektive äußerte. Stimmte Luther konzilsfreundliche Töne an und entfaltete er bei den gemeindlichen Gestaltungsfragen jetzt seine produktive Konzilstheorie vom freien, christlichen Konzil oder setzte er seine konzilsskeptische Haltung fort? Wenn er, was anzunehmen ist, seine kritische Position ausbaute, muss gefragt werden, wie er diese näher begründete. Welcher Art waren seine Argumente und das von ihm gezeichnete Konzilsbild? Differenzierte er sein theologisches, kirchenpraktisches und kirchenorganisatorisches Urteil über die Institution Konzil aufgrund von veränderten Adressatenkreisen, Themenstellungen und persönlicher Situation oder kann eine unveränderte Haltung festgestellt werden? Im Folgenden sollen diese Fragen in vier Paragraphen untersucht und in der Gesamtentwicklung des Reformators kontextualisiert werden. Weil für die Transformation der reformatorisch-theologischen Erkenntnisse in die gemeindepraktische Alltagswirklichkeit mit ihren vielschichtigen Problemen wie z. B. Gottesdienstgestaltung, Pfarrstellenbesetzung, Finanzen, kirchenjuristische Streitfälle oder Entwicklung der kirchlichen Oberaufsicht die theologischen Grundentscheidungen von Luther in der ersten Hälfte der 1520er Jahre getroffen wurden, wird in der Untersuchung auf diesem Zeitraum der Schwerpunkt liegen. In einem ersten Zugang wird zu analysieren sein, wie Luther das Verhältnis von Konzil und evangelischer Gemeindereform bestimmte und welche Funktion er dem Konzil oder der Synode beim Auf bau des reformatorischen Kirchenwesens in seinen Schriften und Briefen zuwies (§ 14). Davon unterschieden ist die Frage näher zu beantworten, wie Luther auf die politischen Konzilsforderungen reagierte (§ 15). Einen eigenen, für Luthers Selbstverständnis grundlegenden und methodisch von den vorangehenden Paragraphen zu unterscheidenden Analysegegenstand bilden die Lutherpredigten jener Jahre, durch die er alle grundlegenden reformatorischen Einsichten zu popularisieren suchte. Inwiefern er auch sein Konzilsverständnis homiletisch popularisierte, wird eingehend zu klären sein (§ 16). Schließlich sei in einem skizzenhaften Abschnitt die Zeit zwischen 1525 und 1530 in den Blick genommen und auf Luthers Aussagen zum Themenkomplex Konzil und Reformation hin befragt (§ 17). Council in German Reformation Pamphlet Literature, 1520–1563 (AHC 36, 2004, 423– 447).

§ 14 Das Konzil und die Anfänge der evangelischen Gemeindereform In konsequenter Weise setzte der von der Papstkirche zum Ketzer und vom Kaiser unter die Reichsacht gestellte Luther die Entfaltung seiner reformatorischen Theologie trotz seines Exils auf der Wartburg fort.6 Da er von der unmittelbaren Diskursgemeinschaft in Wittenberg wie auch von der direkten Einflussnahme auf die evangelische Bewegung durch sein „Patmos“7 abgeschnitten war, suchte er durch Korrespondenzen und Schriften, die in der Regel durch seinen Mittelsmann, den kursächsischen Geheimsekretär Spalatin, weitergeleitet wurden,8 auf verschiedene theologische Probleme und neu auftretende kirchenpraktische Fragen zu reagieren, wobei er es nicht unterließ, Notizen zur Konzilsthematik zu machen. Besondere Bedeutung kommt hierbei den seit seinem Wartburgaufenthalt zunehmenden Fragen nach einer reformatorischen Neugestaltung des Gottesdienstes und des Gemeindelebens zu. Weil die Thematik der kirchlichen Reformen zentral berührt war, die traditionell Aufgabe der allgemeinen Konzilien oder der Provinzialsynoden waren, musste sich Luther in irgendeiner Form zur Institution „Konzil“ verhalten. Blieb die herausgearbeitete kritische Konzilswertung prägend oder traten Verschiebungen und Neubewertungen der Konzilien ein? Da diese Fragestellung in der Forschung bisher nicht hinreichend geklärt werden konnte, soll hierauf der Schwerpunkt der Betrachtung liegen.

6 Zu Luthers Aufenthalt auf der Wartburg vgl. u. a. M. Brecht, Luther und die Wittenberger Reformation während der Wartburgzeit (in: G. Vogler [Hg.], Martin Luther. Leben – Werk – Wirkung, Berlin 1983, 73–90); G. Kawerau, Luthers Rückkehr von der Wartburg nach Wittenberg (Neujahrsblätter 26, hg. von der Historischen Kommission für die Provinz Sachsen und das Herzogtum Anhalt), Halle 1902. 7 In Anspielung auf den Seher Johannes (Apk 1,9) bezeichnete Luther sein Exil auf der Wartburg als sein Patmos, siehe WA 8; 44,2. 140,6 u. ö. 8 Zu Spalatins Mittlertätigkeit während Luthers Wartburgaufenthalt, die aufgrund der Geheimhaltungspfl icht von Luthers Asyl notwendig war und eine Art Zensur aller Schrifterzeugnisse bedeutete vgl. Höss, Spalatin, 203–220.

328 VI. Die Popularisierung und Problematisierung der Konzilsthematik in den 1520er Jahren

1. Die Konzilskritik im Spannungsfeld von menschlichem und göttlichem Wort Vor einer Zusammenstellung von Luthers Konzilsaussagen ist zu konstatieren: Luther setzte von der Wartburg aus seine Kritik an den historischen Konzilsentscheiden ebenso fort wie seine Skepsis gegenüber künftigen Konzilien, bot aber nun zum Teil eine ausführlichere und differenziertere Begründung. In einzelnen Streitschriften, die er gegen seine kirchlichen und akademischen Widersacher verfasste, kontrastierte Luther erneut die gegnerische Berufung auf Konzilsentscheide mit dem Primat der Heiligen Schrift. So betonte er in der für sein Sünden- und Gnadenverständnis zentralen Schrift gegen den Löwener Theologen Jacobus Latomus,9 die er im Juni 1521 niederschrieb und unter dem Titel „Rationis Latomianae pro incendariis Lovaniensis scholae sophistis redditae Lutheriana confutatio“10 drucken ließ, die Notwendigkeit der konziliaren Schriftfundierung 11 und formulierte: „Ist es nicht das Schlimmste von allem, wenn ein Konzil ohne Gottes Wort handelt und beschließt?“12 9 Jacques Masson, (genannt Latomus) seit 1519 Mitglied der Löwener Theologischen Fakultät, konzentrierte sich in seiner um die Jahreswende 1520/21 angefertigten und Anfang Mai 1521 in Antwerpen gedruckten, das Löwener Lehrurteil gegen Luther verteidigenden Kontroversschrift „Articulorum doctrinae fratris Martini Lutheri per theologos Lovanienses damnatorum ratio ex sacris literis et veteribus tractatoribus“ anders als viele scholastische Gegener nicht auf Luthers Papst- und Institutionenkritik, sondern griff dessen Sünden- und Gnadenverständnis an. Er suchte zu beweisen, dass der Wittenberger Theologe sich zu Unrecht auf Bibel und Kirchenväter berufe. Vgl. zu Latomus: P. Fabisch und E. Iserloh, Art. Latomus, Jacobus (TRE 20, 1990, 495–499). 10 WA 8; (36) 43–128 = StA 2; (405) 410–519 = LDStA 2; (XVIII-XXII) 187–399. Vgl. zur Kontroversschrift, die Melanchthon als „Antilatomus“ titulierte (MBWT 1; 355,23 f.) und H. Zschoch, Art. C.I.3. Streitschriften (LuH, 277–294), 284 als „einzige Streitschrift dieser Jahre“ charakterisierte, „in der Luther das theologische Zentrum seines Christentumsverständnisses darstellen konnte“: R. Hermann, Zur Kontroverse zwischen Luther und Latomus (in: Ders., Studien zur Theologie Luthers und des Luthertums, Göttingen 1981, 256–268); E. Iserloh, Gratia und Donum, Rechtfertigung und Heiligung nach Luthers Schrift „Wider den Löwener Theologen Latomus“ (1521) (in: Ders., Kirche – Ereignis und Institution. Aufsätze und Vorträge Bd. 2, Münster 1985, 70–87); J. Rogge, Gratia und donum in Luthers Schrift gegen Latomus (ThV 2, 1970, 139–152); H. Zschoch, Martin Luthers Argumentation mit Eccl 7,21 in der Auseinandersetzung mit Jacobus Latomus (LuJ 60, 1993, 17–38). Darüber hinaus vgl. auch Bornkamm, Luther in der Mitte seines Lebens, 166–179; Brecht, Luther 2, 16–18; Schwarz, Luther, 111. 11 Latomus bezog sich in seinem Traktat u. a. auf die von der Bannandrohungsbulle als häretisch damnatierten Aussagen Luthers, zu denen auch die These zählte, WA 8; 57,32 (siehe auch WA 1; 322,22–25; WA 6; 177, 7 f.; DCL 2, 374,[9–11] = DH 1458 und Luthers Entgegnung in WA 6; 626,3–17; WA 7; 117,17–118,24): „Non omnia mortalia esse sacerdoti confitenda.“ (Siehe StA 2, 431 Anm. 184) – Gegen diese Aussage hatte Latomus auf die konziliare Beichtverpfl ichtung durch das 4. Laterankonzil angespielt (COD3 245; DH 812), wogegen Luther erläuterte, WA 8; 57,33 f.: Hunc damnatum dicit generali Concilio, ergo est damnatus, tenet consequentia a Latomo ad suum sapientem. Quam autem scripturam pro se habet Concilium? 12 AaO. 57,37–58,1: Nonne vitiosissimum est, Concilium sine verbo dei agere aut statuere?

§ 14 Das Konzil und die Anfänge der evangelischen Gemeindereform

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Diesen Aspekt vertiefte Luther in einer ausführlicheren Stellungnahme zur Bedeutung der Konzilien in seinem an die christliche Gemeinde gerichteten Buch „Von der Beicht, ob die der Bapst macht habe zu gepieten“.13 Hierin warnte er u. a. grundsätzlich vor jeglicher Herrschaft der Menschenlehre in der Kirche14 und fragte in diesem Rahmen, was von den Konzilien zu halten sei, in denen vieles geregelt und beschlossen würde, welches aber „nit yn der schrifft funden wirt“?15 Als Antwort entfaltete er nicht ohne Polemik die Grundzüge seiner Konzilstheorie im Spannungsfeld von Gottes Wort und Menschenlehre.

1.1. Schriftgeprägte Konzilsbeschlüsse als Wort Gottes Luther hatte bis zu diesem Zeitpunkt einzelne Konzilien aufgrund des Schriftprimates hervorgehoben und ihnen von dort her kirchliche Autorität testiert, ohne aber die Frage aufzuwerfen, wie mit den schriftorientierten Konzilien und ihren Entscheidungen umzugehen sei. In „Von der Beicht“ behandelte er jetzt erstmals positiv, wenn auch lediglich skizzenhaft, die Frage nach dem richtigen Umgang mit einem in der Heiligen Schrift gegründeten Konzil, indem er betonte: In etlichen Konzilien seien Glaubensartikel durch die Bibel erläutert worden, wie das Konzil von Nicäa beweise, „und etlich ding geseczt, auß der schrifft geczogen unnd durch schrifft gegrund“.16 Diese Konzilien oder Konzilsartikel seien so zu „halten“ und zu behandeln wie Gottes Wort selbst.17 Luther hatte in handlungsorientierter Absicht die schriftbezogenen, dem Glauben und dem Heil dienenden Konzilsbeschlüsse mit dem Wort Gottes identifiziert, so dass geurteilt werden mag: Für Luther konnten jene schriftgeleiteten Konzilien gewissermaßen als Fortschreibung des „verbum scriptum“ wie als Umsetzung des „verbum praedicatum“ erscheinen.18 Voraussetzung hierfür war, dass die Konzilien „mit schrifften odder mit gewissen antzeygen des geystis handellnn“ sollen, „wie das erst Concilium der Apostelnn thet“.19 13

WA 8; (129) 138–185. 186–204 (118. [119.] Psalm). – Vgl. Brecht, Luther 2, 27–29. Insgesamt teilte Luther sein die Beichte begegründendes „Büchlein“ in drei Teile, von denen der erste gegen die Menschenlehre in der Kirche gerichtet war (aaO. 140,7–152,22), der zweite eine Überprüfung des von den Gegnern angeführten Schriftbeweises ihres Beichtinstitutes darstellte (aaO. 152,23–164,13) und der dritte die Christen zum evangeliumsgemäßen Gebrauch der Beichte und zur Umsetzung der Gebote Christi anwies (aaO. 164,14–185). 15 WA 8; 149,33 f. 16 AaO. 149,34–150,3. 17 AaO. 150,3 f.: das man die selben halte, ist eben so viel alß gottis wort halten. 18 Vgl. zum „verbum scriptum“ und „verbum praedicatum“ den brillianten Überblick mit weiterführenden Hinweisen bei Beutel, Wort Gottes, 367–370; Ders., „Scriptura ita loquitur, cur non nos?“ Sprache des Glaubens bei Luther (in: Ders., Protestantische Konkretionen, 104–123), 108 f. 19 WA 8; 150,25–27. 14

330 VI. Die Popularisierung und Problematisierung der Konzilsthematik in den 1520er Jahren Obwohl Luther es jetzt lediglich bei dem blitzhaften Aufleuchten des konziliaren Wort-Gottes-Gedankens unter Einbeziehung des Apostelkonzils und des Nicänums als den ersten, vom Heiligen Geist erleuchteten Konzilien 20 beließ, bot dieser Ansatz eine produktiv-evangelische Indienstnahme der historischen wie künftigen Konzilsentscheide, den Luther aber in der apologetischen Situation nicht auszubauen gedachte.21

1.2. Konziliarer Geistmissbrauch und Menschenlehre Stattdessen erneuerte Luther seine These von den Konzilsentscheidungen als menschliche Satzungen und Gebote, indem er notierte: „Aber was menschlich drynnen geseczt ist (der das mehrer teyl und fast alle der art sind) halten sie selb nit, die do hoch rumen die Concilia.“22

Diese These verstärkte er nicht nur durch den ambivalenten Gebrauch der Konzilsgesetze seitens seiner der römisch-kirchlichen Tradition anhängenden Gegner, sondern führte auch in der Schrift „Von der Beicht“ das Widerspruchsargument konziliarer Entscheidungen und das Häufigkeitsargument zahlreicher Konzilien an. Nach diesen eher vernunftorientierten Argumenten thematisierte er die Beschlussgrundlage und den Konzilsprozess: Anstatt aus der Heiligen Schrift hätten die Konzilsteilnehmer nur von „yhren eygen kopffen“ her entschieden und in „großer freveler vormessenheyt“ behauptet, „der heylig geist sey bey yhnen unnd las sie nit yrren“.23 Weil die Berufung auf den Heiligen Geist und die daraus abgeleitete Irrtumslosigkeit ein von Papalisten wie Konziliaristen präferiertes Formalindiz für die Rechtmäßigkeit und Autorität der Konzilien darstellte, griff Luther nicht nur das römische Traditionsprinzip, sondern jetzt auch auf dem Hintergrund der beginnenden Auseinandersetzung mit den Schwärmern das gegenüber ihnen später vertiefend kritisierte zweifelhafte Geistprinzip an! 24 20 AaO. 150,34–151,3: Sie [die Papisten] haben gesehen, das die ersten Concilia ym geyst gehend glaubwirdig sind worden. Haben sich nu auch ynn die selben ehre gedrungen, gar nichts angesehen, ob sie ubir tausent meyl ungleych sind am leben und geyst den ersten heyligen vettern yn yhren Concilien [. . .]. 21 Die naheliegende Plausibilisierung der mit dem Wort Gottes identifi zierten Konzilsentscheide, wie z. B. das Glaubensbekenntnis von Nicäa-Konstantinopel, nahm Luther nicht vor. 22 WA 8; 150,4–6. 23 AaO. 150,6–10. 24 Zu dem vielschichtigen Thema Heiliger Geist bei Luther sei hier exemplarisch weiterführend verwiesen auf die Arbeiten von G. Ebeling, Luthers Ortsbestimmung der Lehre vom heiligen Geist (in: Ders., Wort und Glaube. Bd. 3: Beiträge zur Fundamentaltheologie, Soteriologie und Ekklesiologie, Tübingen 1975, 316–348); G. Heintze, Luthers Pfi ngstpredigten (LuJ 34, 1967, 117–140); E. Herms, Luthers Auslegung des Dritten Artikels, Tübin-

§ 14 Das Konzil und die Anfänge der evangelischen Gemeindereform

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Um eine Verwechslung des göttlichen Geistes mit dem menschlichen Geist zu vermeiden, band Luther die Anwesenheit des Heiligen Geistes im Konzil an das überprüf bare und äußerliche Medium der Heiligen Schrift und garantierte – aufgrund seiner Lehre von der Wortbindung des Geistes25 – durch den rechten Gebrauch der Schrift als äußeres Wort das Wirken Gottes bzw. dessen Geistes im Konzil. Da die kirchlichen Konzilsprotagonisten ihre Handlungen und Entscheide in der Regel aber ohne schriftgemäße Orientierung vornahmen, bildete ihre Rede vom Heiligen Geist eben jene von Luther verurteilte Verwechslung des Geistes mit dem menschlichen Geist. Dieser Missbrauch des Geistes führte zum willkürlichen, glaubenslosen Verhalten: dass „sie onn forcht, on andacht, on verstand, thun was sie wollen yn denn Conciliis, auch yhren glawben vorwarloßet.“26 Wie ernst Luther die Kritik am Missbrauch des konziliar gewendeten Geistes nahm, belegen seine mahnenden Worte: „Es ist der grosten ungluck eynis ynn der Christenheyt, der schendlich vordampter wahn, das man die Concilia achtet, sie haben den heyligen geyst, ßo yhr unter zwentzigen kaum eyniß ist, das die schrifft braucht und den geyst beweyßet.“27

Außerdem kritisierte Luther die inflationär angestiegene Zahl von zu befolgenden Konzilsbeschlüssen, die als menschliche Gesetze höhere Bedeutung erlangt hätten als das Evangelium Christi. Obwohl Luther die zunehmend theologisch reflektierte Gesetzesthematik bezüglich der konziliaren Dekrete in der Schrift „Von der Beicht“ nicht weiter vertiefte, rückte er die Problematik zumindest mit dem Hinweis auf das Evangelium Christi in den rechtfertigungstheologischen Begründungszusammenhang und signalisierte im Gesamtzusammenhang seiner Ausführungen, dass durch die Inflation der menschlichen Gesetze und Bestimmungen die christliche Wahrheit verschattet worden sei.28 Daher folgerte Luther: „Darumb Concilia hinn, Concilia her, sind es menschen lere, ßo geltten sie nichts mehr, ßo sind es nit Concilia, es sind tabernen unnd Juden schulen.“29

Dieses Gesamturteil, das er von der schrift- und evangeliumsgeleiteten Grundargumentation her auch über die übrigen kirchlichen Autoritäten wie Kirchengen 1987; R. Prenter, Spiritus Creator. Studien zu Luthers Theologie (FGLP 10/VI), München 1954. 25 Vgl. zur „neuerwachten Konzentration auf das äußere Wort“ Beutel, In dem Anfang, 383–401 mit hilfreichen Literaturangaben aaO. 385 f. Anm. 254. 26 WA 8; 150,10–12. 27 AaO. 150,31–34. Bereits in der Adelsschrift hatte Luther die Verhinderung des Heiligen Geistes im Konzil beklagt; dort allerdings nur im Zusammenhang mit dem die weltliche Obrigkeit bindenden päpstlichen Eid (WA 6; 436,37). Weitere Stellen zum Mangel des Heiligen Geistes im Konzil siehe u. a. in WA 22; 178,10; WA 28; 757,32; WA 50; 644,5; WA 54; 214,12. 28 WA 8; 150,12–19. 29 AaO. 150,20–22.

332 VI. Die Popularisierung und Problematisierung der Konzilsthematik in den 1520er Jahren väterlehren, päpstlichen Dekretalen und Meinungen der Scholastiker und akademischen Theologen gefällt hatte, avancierte für Luther seit dem Wartburgaufenthalt zur zentralen Kontrastfigur der christlichen Autoritäten, die sich u. a. sprachlich in der negativen Reihung oder Aufzählung in Form einer kirchlichen „Autoritätenkette“ niederschlug: Denn Kirche, Konzilien, Väter und Universitäten widersprechen dem Heiligen Geist, Jesus Christus und der göttlichen Majestät.30

1.3. Metaphorische Konzilspolemik Gegenüber den bisherigen Äußerungen zum Konzil verschärfte Luther auf der Wartburg auch seine metaphorische Konzilspolemik. Im „Antilatomus“ hatte er über die nicht schriftgebundenen Konzilien als Kardinals- und Bischofsversammlungen gespottet: „Wenn ein Konzil ohne Schriftgrund in Geltung steht, genügt es auch, Leute mit Ornat und Tonsur dort zu versammeln. Warum schaffen wir nicht hölzerne und steinerne Bilder aus den Kirchen mit Mitra und Kasel an einen Ort und sagen, da sei das allgemeine Konzil?“31

Diese Beschreibung wiederholte er leicht modifiziert in der vermutlich wenige Tage später verfassten Schrift „Von der Beicht“ mit der Ergänzung, dass bei einer derart leblosen Versammlung weder der Heilige Geist noch das Evangelium notwendig seien. Jeder Maler und Bildhauer könne ein solches Konzil anfertigen.32 30 Siehe z. B. WA 8; 54,38–55,1 (Antilatomus); in der Schrift „De abroganda missa privata“ (1521): WA 8; 427,20–26; 432,37–433,2. 4–11; 435,30–34 und in ihrer deutschen Bearbeitung „Vom Missbrauch der Messe“ (1521): WA 8; 501,3–7. AaO. 507,17–29: Und, ob es wol lecherlich scheynt, solchs tzu begeren, ßo tzwingt mich doch da tzu grym und tzorn der Papisten und die elende, sinloß torheyt der reyssende wolffe tzu Pariß, Loven und ynn andern hohen schulen: wilche alle ßo gar blind unnd verstockt sind, das sie Christum, seyn Apostelln, Euangelisten und die gantze schrifft verachten und nichts tzu hertzen nehmen und wollen, das wyr mit den unsinnigen unsinnig sind, gottis wortt unnd werck verlassen unnd mit yhn menschen wortt und werck ru(e)men unnd den anhangen, schreyen unnd ruffen: Die Vetter, vetter, vetter, Die Kirche, kirche, kirche, Concilia, concilia, concilia, Dectreta, decreta, decreta, Universitates, universitates, universitates. Mit dißem schaum und wasserbullen du(e)rffen sie fodern, das yhn alle hymlische und gottliche warheytt unnd donnerschlege des heyligen geystis weychen. Unnd, ßo sie nit weychen, wollen sie von stundt an alles verbrennen und verdamnen. – Siehe auch WA 8; 507,32–39; 510,35–511,2. 31 WA 8; 57,35–37: Si Concilium sine scriptura valet, et satis est infulatos et rasos illic congregari, cur non lignea et lapidea signa e templis congregamus, et impositis mitris et infulis dicamus illic Concilium esse generale? – Die Übersetzung orientiert sich an LDStA 2; 223,37–41. 32 WA 8; 151,8–14: Wen tzu eynem Concilio nit mehr gehoret den eyn vorsamlung vieler, die Cardinal hutt, Bischoff infulen [Mitra] und pareth tragen, ßo mocht man auch die hultzern heyligen auß den kirchen vorsamlen, yhn Cardinal hu(e)tt, Bischoff infulen und parrett auff setzen und sagen, es sey eyn Concilium, ßo were hynfurt keyns heyligen geysts noch

§ 14 Das Konzil und die Anfänge der evangelischen Gemeindereform

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1.4. Melanchthonische Konzilsapologetik Inwiefern Luthers im Winter und Frühjahr 1520/21 ausgeprägtes Konzilsverständnis von seinen Wittenberger Mitstreitern adaptiert und interpretiert wurde, soll – um den einer eigenen Untersuchung würdigen Rezeptionsrahmen zumindest anzudeuten – hier skizzenhaft anhand von Melanchthons „Schutzrede“ dargestellt werden. Melanchthon hatte die Schrift im Sommer 1521 gegen die Lehrzensur der Pariser theologischen Fakultät der Sorbonne abgefasst.33 Luther hielt diese lateinisch verfasste Apologie seiner Theologie für derart bedeutend, dass er sie eigenhändig ins Deutsche übersetzte und somit dem 24-jährigen Melanchthon, den er als „Haupt“ der Wittenberger Bewegung ansah,34 besondere Wertschätzung zuteil werden ließ.35 Euangeliums nott ynn Conciliis, kund auch eyn iglicher maler und bildener wol eyn Concilium machen. 33 Innerhalb der „Wittenberger Diskussionsgemeinschaft“, die sich zur Wittenberger Bewegung entwickelt hatte und seit Sommer 1521 den universitären Reformdiskurs und seit Herbst 1521 die kirchenpraktischen Reformen vorantrieb, avancierten Melanchthon und Karlstadt zu den leitenden Persönlichkeiten. Während Luthers Abwesenheit übernahm insbesondere Melanchthon durch seine umfangreiche Publikationstätigkeit die Information und Orientierung der lateinkundigen Öffentlichkeit über die reformatorische Theologie, indem er zum einen kirchlich-scholastische Angriffe abwehrte, zum anderen die reformatorische Lehre in seinen bekannten „Loci communes rerum theologicarum seu hypotyposes theologicae“ (CR 21; 81–227 = MSA 2,1; [1] 3–163) entfaltete. Zu den Interaktionen und Reformthemen innerhalb der Gruppe der „Wittenberger Reformer“ im Sommer 1521, die maßgeblich durch Karlstadt geprägt wurden, vgl. die profunde und facettenreiche Untersuchung von Kruse, Universitätstheologie, 279–317. Zu Melanchthons Wirken seit Sommer 1521 vgl. W. Maurer, Der junge Melanchthon zwischen Humanismus und Reformation. Bd. 2: Der Theologe, Göttingen 1969, 152–179; H. Scheible, Melanchthon. Eine Biographie, München 1997, 59–74; zu Karlstadt vgl. Barge, Karlstadt 1, 240–310; Bubenheimer, Consonantia Theologiae, 230–245; A. Zorzin, Karlstadt als Flugschriftenautor (GTA 48), Göttingen 1990, 115–118 u. ö. 34 WAB 2; 395,9–11 Nr. 434 (Luther an Spalatin, [Wartburg,] 7. 10. 1521): Scribam alias latius. obsecro, ne philippus maneat, si pestis irruat. Seruandum est hoc caput, vt ne pereat verbum, quod dominus ei mandauit in salutem animarum. – Vgl. zum Freundschafts- und Arbeitsverhältnis zwischen Luther und Melanchthon u. a. A. Beutel, Praeceptor Germaniae – Doctor ecclesiae. Melanchthons Selbstverständnis als Gelehrter (in: Ders., Protestantische Konkretionen, 124–139); M. Brecht, Melanchthon und Luther oder: Samsons Kinnbacke (in: G. Frank [Hg.], Der Theologe Melanchthon [Melanchthon-Schriften der Stadt Bretten 5], Stuttgart-Bad Cannstadt 2000, 83–101); Ebeling, Luthers Seelsorge, 266–318; B. Lohse, Philipp Melanchthon in seinen Beziehungen zu Luther (LWML, 403–418. 860–863); E. Mülhaupt, Luther und Melanchthon. Die Geschichte einer Freundschaft (in: Ders., Luther im 20. Jahrhundert. Aufsätze, Göttingen 1982, 121–134); W. H. Neuser, Luther und Melanchthon: Einheit im Gegensatz. Ein Beitrag zum Melanchthon-Jubiläum 1960 (TEH.NF 91), München 1961; Ders., Luther und Melanchthon – Ein Herr, verschiedene Gaben (in: W.-D. Hauschild, W. H. Neuser und Ch. Peters [Hg.], Luthers Wirkung. FS für Martin Brecht zum 60. Geburtstag, Stuttgart 1992, 47–61); W. Pauck, Luther und Melanchthon (in: V. Vajta [Hg.], Luther und Melanchthon, Referate und Berichte des Zweiten Internationalen Kongresses für Lutherforschung Münster 8.–13. August 1960, Göttingen 1961, 11–31); Ch. Peters, Art. B.III.8. Luther und Melanchthon (LuH, 161–168); H. Scheible, Luther

334 VI. Die Popularisierung und Problematisierung der Konzilsthematik in den 1520er Jahren Am 15. April 1521 war von der Pariser Fakultät das Urteil über Luther gefällt worden, welches, einst als Schiedsurteil über die Leipziger Disputation angefordert,36 durch interne Zwistigkeiten bezüglich der Bewertung der Papstautorität verschleppt, durch Briefe von Herzog Georg 1520 erinnert und durch die Bannandrohungsbulle erneut angeregt, sich unter Berücksichtigung der „Babylonica“ in der Verurteilung von 104 Lehrsätzen Luthers niedergeschlagen hatte.37 Die aus dem Zusammenhang gerissenen Artikel wurden als Ketzereien der Ebioniten, Manichäer, Montanisten oder Hussiten apostrophiert und ohne begründende Widerlegung als irrig oder ketzerisch damnatisiert. Hierzu zählten auch Aussagen über die allgemeinen Konzilien.38 Allerdings wurde zum Missfallen papalistischer Theologen weder auf die Leipziger Disputation in einem direkten Schiedsspruch Bezug genommen noch die Papstautorität verteidigt.39 Mit ih35

und Melanchthon (in: G. May und R. Decot [Hg.], Melanchthon und die Reformation. Forschungsbeiträge [VIEG.B 41], Mainz 1996, 139–152); Ch. Spehr, Art. Melanchthon, Philipp (TRT5 2, 2008, 771–774), 772. 35 Siehe WA 8; 295–312 sowie CR 1; 398–416 = MSA 1; 141–162: Adversus furiosum Parrisiensium Theologastrorum decretum Philippi Melanchthonis pro Luthero apologia. – Publikationsstrategisch dürfte Luther mit seiner Übersetzung mehrere Ziele verfolgt haben: Zum einen wollte er der Schrift einen größeren Leserkreis verschaffen, zum anderen Melanchthon als die das Evangelium vorantreibende und Luther korrekt interpretierende Persönlichkeit in Wittenberg autorisieren. Zum dritten suchte Luther durch die Übersetzung Inhalte seiner eigenen Theologie zu vermitteln, wie z. B. die Übertragung von „ecclesia“ durch „Christenheit“ belegt. Siehe hierzu den instruktiven Beitrag von M. Beyer, Luther übersetzt Melanchthon (in: M. Beyer und G. Wartenberg [Hg.], Humanismus und Wittenberger Reformation. Festgabe anläßlich des 500. Geburtstages des Praeceptor Germaniae Philipp Melanchthon am 16. Februar 1997. Helmar Junghans gewidmet, Leipzig 1996, 145– 154). Vgl. auch M. Brecht, Luther als Schriftsteller. Zeugnisse seines dichterischen Gestaltens (calwer taschenbibliothek 18), Stuttgart 1990, 67 f. 36 Siehe oben, Kapitel III § 6.1. 37 Vgl. WA 8; 255–266; Beyer, Luther übersetzt Melanchthon, 147 f.; F. T. Bos, Luther in het oordeel van de Sorbonne. Een onderzoek naar ontstaan, inhoud en werking van de Determinatio (1521) en naar haar verhouding tot de vroegere veroordelingen van Luther, Amsterdam 1974; Brecht, Luther 2, 19; D. S. Hempsall, Martin Luther and the Sorbonne, 1519–1521 (BIHR 46, 1973, 28–40). Zur Rolle Herzog Georgs, der das Fakultätsgutachten im Anschluss an die Leipziger Disputation nicht nur in Auftrag gegeben und bezahlt, sondern wahrscheinlich auch einen Druck des Urteils in Leipzig lanciert hatte vgl. Volkmar, Reform, 468 f. Anm. 95. 570. 38 Beispielsweise urteilten die Pariser Theologen nach der deutschen Übersetzung, WA 8; 269,18–25: Denn er [Luther] ist so kun geweßen, das er seynn dunckel hatt furgesetzt allenn universiteten, datzu vorachtet er der allten und heyligen lerer der kirchen spruche und, das er den hauffen seyniß ungotlichen weßens mehre, die satzung der heyligen Concili meynet er lahm zu machen, gerad alß hett gott alleyn eynem Luther furbehalten die ding, die den glewbigen tzur selickeyt nod sind, wilche die kirche ynn vorigen tzeytten nit hette gewist, und gerad alß hette Christus seyne brawd biß auff diße tzeyt ynn fi nsternis unnd blindheyt der yrthum vorlassen. – Weitere Erwähnungen der allgemeinen Konzilien, gegen die Luther verstieß: aaO. 269,31 f.; 270,34; 272,4; 272,27; 276,11–18; 279,25–30; 283,36–38 (Luther übersetzt fälschlich „Konzil zu Wien“, das sich aber auf das Konzil von Vienne bezog.); WA 8; 285,32–286,27 („Von den gemeynen Conciliis“); 290,10–13. 39 Vgl. Beyer, Luther übersetzt Melanchthon, 147 f.; WA 8; 259 f.

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rem dennoch eindeutigen Urteil reihte sich die zeitgenössisch bedeutendste Universität, auf deren differenziertes und konziliaristisches Urteilsvermögen Luther im Herbst 1518 noch großen Wert gelegt hatte,40 in die scholastischkirchliche Verteidigungsfront ein, verwarf mittels ihres plakativ-holzschnittartigen Verfahrens die lutherischen Lehren und bildete den Beginn der antilutherischen Propaganda in Frankreich.41 Da Melanchthon die „Determinatio theologicae facultatis Parisiensis super doctrina Lutheriana“42 vor Luther erhielt, unterzog er Mitte Juni das Urteil einer argumentativ-feinsinnigen „Reclamatio“,43 in der er das lutherische Schriftund Autoritätsprinzip verteidigte und beides zum Druck beförderte. Luther selbst erhielt Melanchthons Apologie und das Pariser Urteil Anfang Juli 1521 und ließ die Pariser Stellungnahme, welche er publikationsstrategisch mit einem Vorwort und einem „Gegen-Urteil“ begleitete, samt Melanchthons „Schutzrede“ auf Deutsch herausgeben.44 Während Luther das Urteil der „grobe[n] Esell“45 zu Paris in seinem als Richtspruch apostrophierten „Gegen-Urtheil“ polemisch zurückwies, ohne die Konzilsthematik erneut zu akzentuieren,46 nahm Melanchthon in seiner eher sachlich temperierten und theologiegeschichtlich vertiefenderen „Schutzrede wider dasselbe Parisische Urtheil für D. Luther“ die Unterscheidung von göttlicher und menschlicher Lehre auf und kritisierte die scholastische Verwechslung der Verlautbarungen von kirchlichen Autoritäten, zu denen er die Universitäten, Kirchenväter und Konzilien zählte, mit den zentralen Glaubensaussagen

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Siehe oben, Kapitel II § 3.4.1. Vgl. I. Dingel, Art. B.III.13. Luther und Europa (LuH, 206–217), 213 f.; G. Ph. Wolf, Das neuere französische Lutherbild (VIEG 72), Wiesbaden 1974, 7–18. 42 CR 1; 366–388; WA 8; 268–290. 43 CR 1; 398–416 = MSA 1; 141–162. 44 Siehe WA 8; 267 (Vorrede); aaO. 268–290,27 („Ein Urtheil der Theologen zu Paris über die Lehre Doctor Luthers“); aaO. 290,28–294 („Ein Gegen-Urtheil Doctor Luthers“); aaO. 295–312 („Schutzrede Philipp Melanchthons wider dasselbe Parisische Urtheil für D. Luther“). Erwähnungen des literarischen Vorhabens und deren Durchführung siehe in: WAB 2; 357,23 f. Nr. 418 (Luther an Melanchthon, Wartburg, 13. 7. 1521); aaO. 365,32–34 Nr. 420 (Luther an Spalatin, [Wartburg,] 15. 7. 1521); aaO. 376,109–111 Nr. 425 (Luther an Melanchthon, [Wartburg,] 3. 8. 1521); aaO. 378,7–9 Nr. 426 (Luther an Spalatin, Wartburg, 6. 8. 1521). – Eine Interpretation dieser Edition Luthers bietet Beyer, Luther übersetzt Melanchthon, 145–154. 45 WA 8; 290,35; 291,17. 46 Die Konzilien erwähnt Luther neben den Aposteln im Gegenüber zu den ohne die Heilige Schrift argumentierenden Pariser „Sophisten“: aaO. 291,18. Die Pariser Konzilsappellation nennt er im Kontrast zum Papst, aaO. 293,1–5: Aber sie dencken noch an yhr Appellation. Der Bapst hatt yhn leyde than, da wollten sie sich gern ann yhm rechen und ihn zwingen, das er ihn flehet, das darnach gesagt wurd: Den Luther hatt nyemant denn Pariß unter truckt. Darumb will ich yhr mit stymmen nit habenn, sie thunß auß keyner lieb der warheyt. 41

336 VI. Die Popularisierung und Problematisierung der Konzilsthematik in den 1520er Jahren der Heiligen Schrift.47 Ein Indiz hierfür sei die Irrtumsfähigkeit der kirchlichen Autoritäten, welche auch von Ockham behauptet werde.48 Die Betonung der Heiligen Schrift durch Luther49 verteidigte Melanchthon und unterstrich der hermeneutischen Linie von Luthers „Assertio“ entsprechend, dass zum Verstehen der Heiligen Schrift keine kirchlich-institutionelle Interpretation nötig sei, da die Schrift selbst gewiss und klar sei und „das sie sich selb außlege, wo etwa eyn fi nster ortt ist“.50 Hinsichtlich der Konzilien erinnerte Melanchthon: „Item, was sagt yhr datzu, das die allten Concilia haben nie nichts on schrifft beschlossen, und das ist auch der griff, da durch wir unter scheyd nehmen unter den waren und falschen Concilien, das die waren mit der hellen schrifft stymmen, die falschen aber der schrifft mißhallen!“51

Dem Vorwurf, Luther widerstrebe den Konzilien und sei von den ältesten Konzilien gleichsam als Montanus, Manichäer und Ebionäer verdammt worden,52 begegnete Melanchthon mit einer Untersuchung, in der er zu dem Ergebnis kam, Luthers Lehre sei nicht mit den altkirchlichen Ketzerlehren vergleichbar und werde keineswegs von den altkirchlichen Konzilien verdammt.53 Vielmehr gehe es Luther stets um die Schriftpriorität, der auch die Autorität der altkirchlichen Konzilien unterzuordnen sei.54 Luthers Protest gegen die kirchlichen 47 AaO. 298,15–20: Sie schellten den Luther eynen ketzer, nit darumb, das er der heyligen schrifft, ßondern den hohen schulen, den heyligenn vettern, den Conciliis mißhellt. Zum andern, die spruch der hohen schulen, der heyligen vetern, der Concilien nennen sie hewbt stuck des glawbens. Mocht ich doch woll hie widder euch handelln mit ewrn eygen satzungen, ßo yhe diße ding euch vorporgen sind. 48 AaO. 298,20–25: Was ist offentlicher kundt, denn das widder hohe schulen, noch heylige vetter, noch Concilia mugen hewbtstuck oder artickel des glawbens machen, Sintemal es mag geschehen, das nit alleyn die hohen schulen, sondern auch die heyligen vetter unnd concilia yrren? Wolt yhr myr hyrynn nit glewben, glewbt ewrem Occam. Wie seyd yhr denn so kune, das yhr menschen wahn nennet hewbtstuck des glawbens? 49 AaO. 300,17 f.: Luther mache nicht „alle ding new“, sondern tue nichts anderes, „denn das er unß widder tzu der schrifft bringe, ya auch tzu den veternn, die tzu dem vorstand der schrifft am nehsten kommen sind.“ 50 AaO. 299,16–18. – Zur Schriftauslegung beim frühen Melanchthon vgl. K. Haendler, Wort und Glaube bei Melanchthon. Eine Untersuchung über die Voraussetzungen und Grundlagen des melanchthonischen Kirchenbegriffs (QFRG 37), Gütersloh 1968, 56–73. 51 WA 8; 299,12–15. In Melanchthons Original lautet die Stelle, MSA 1; 146,27–31: Quid, quod etiam vetera Concilia sine scriptura nihil decreverunt et hac ratione inter Concilia vera et falsa discernimus, quod haec cum scriptura evidente consentiunt, illa a scriptura dissentiunt? 52 WA 8; 302,23–26: Wilchs sind aber die Concilia, denen Luther wider strebt? Yhr gebt fur, es sey von den alltisten Concilien sein ler vordampt: das merckt man darauß, das yhr auß yhm eyn Montanum, Manicheum, Ebionem, unnd was macht yhr nit auß yhm! 53 AaO. 302,32–304,19. 54 AaO. 304,20–26: Diß allis schreyb ich nit der meynung, das ich tzu gebe den allten Conciliis ßo grossen gewallt, das, ßo Luther die helle schrifft, wilcherley Concilia es seyen, gegen setzte, das man drumb von der schrifft weichen sollt, ßondernn das ich denn leßer vormane, wie viel er glewben solle dißem großem geplerre unßer lieben Magistrorum nos-

§ 14 Das Konzil und die Anfänge der evangelischen Gemeindereform

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Konzilien sei verständlich und „billich“, zumal zahlreiche vom Papst dominierte Konzilien in der Zeit des „Romischen Antichrists“55 evangeliumswidrig gewesen seien,56 wie die Konzilien von Vienne, Konstanz und Lyon.57 Seine Ausführungen schloss Melanchthon mit der Bemerkung an die Pariser Theologen: „Drumb lasset dem Luther tzu, das er der Concilien gesetz wige nach dem Euangelio, last yhm tzu, das er das Euangelium fur tzihe, ßo etwas gesetzt ist, das anders leret.“58

Die von Melanchthon vorgenommene, von Luther aber nicht übernommene bewertende Differenzierung zwischen wahren und falschen Konzilien lehnte sich direkt an Luthers Unterscheidung von päpstlich-menschlichen Konzilien und schriftgrundierten Konzilien an, unterschied sich aber sowohl in defi nitorischer Präzision wie in historischer Konkretion. Für Melanchthon bildeten generell die Konzilien der Alten Kirche schriftorientierte Konzilien, während Luther – ohne dass er generalisierende Aussagen über die altkirchlichen Konzilien in dieser Phase traf – überwiegend das Apostelkonzil und das Nicänum thematisierte. Aus diesen wenigen Bemerkungen darf für das melanchthonische Konzilsverständnis gefolgert werden: Obwohl Melanchthon mit Luther in der autoritativ unabdingbaren Schriftbezogenheit der Konzilien übereinstimmte und dieses gemein-reformatorische Konzilsverständnis in seinen „Loci communes“ im Herbst 1521 systematisierte,59 setzte er in der Bewertung der altkirchlichen trorum von Pariß, da sie schreyen: Luther vordampt alle Concilia, die heyligen vetter, er ist eyn Montan, eyn Ebion, eyn Manicheus, eyn Artitorit und der gleychen. 55 AaO. 304,28. 56 AaO. 304,35–37: Billich widderstrebt Luther den Conciliis, ßo er Christum fur sich hat, widder wilchen ßo gesetzt haben, sind nit Christi, ßondernn des Antichrists kirchen geweßen. 57 AaO. 304,31–35. 305,1–4. 58 AaO. 305,7–9. Im lateinischen Originaltext lautet die Stelle, MSA 1; 153,16–19: Permittite igitur Luthero Conciliorum decreta ad Evangelium exigere, permittite praeferre Evangelium, si quid diversum constitutum est. 59 In den „Loci communes“ fasste Melanchthon unter dem Locus „De lege“ im Unterabschnitt „De humanis legibus“ den Primat der Heiligen Schrift in Glaubensfragen im Satz zusammen, MSA 2,1; 56,34–37: De fide non habent ius neque pontifices neque concilia neque universa ecclesia quidquam mutandi aut statuendi, sed simpliciter ad praescriptum sacrarum literarum exigendi sunt articuli fidei. – Auch das von Luther thematisierte Problem der von Papalisten wie Konziliaristen propagierten Geistbegabtheit der Konzilien zum Erweis ihrer Irrtumslosigkeit kritisierte Melanchthon und entwickelte gegen den nicht nachprüfbaren, zweifelhaften Maßstab des Geistes – er sei menschlicher oder göttlicher Geist – das auf Gottes Geist beruhende, externe und deutlich nachprüf bare Schriftkriterium in der Frage, MSA 2,1; 57,22–25: Quaeso te, quomodo probabimus spiritus, nisi ad certam aliquam regulam adeoque ad scripturam exigantur, quam solam certo constat spiritu dei conditam esse? – Das den Geist prüfende Schriftkriterium wandte Melanchthon sodann auf die Konzilsthematik unter Einbeziehung von Beispielen an (aaO. 57,25–61,11) und erinnerte explizit an das Pariser Urteil, aaO. 59,36–61,3: Haec mihi plane persuadent nihil pro articulo fidei habendum esse, quod non palam scriptura docet, ut rumpantur interim Parisienses, qui in sua

338 VI. Die Popularisierung und Problematisierung der Konzilsthematik in den 1520er Jahren Konzilien einen anderen Schwerpunkt: Während Luther, abgesehen vom Apostelkonzil und dem Konzil von Nicäa, kaum schriftgrundierte Konzilien gelten lassen wollte und die allgemeinen Konzilien im Sommer 1521 aufgrund seines Kampfes gegen die das Evangelium verfi nsternde Menschenlehre überwiegend negativ beurteilte, bewertete Melanchthon die altkirchlichen Konzilien und die Kirchenväter insgesamt freundlicher und ermöglichte der evangelischen Bewegung mit dieser später ausgearbeiteten Position weiterhin einen positiven Zugang zu konziliaren Prozessen.60

2. Konzil und Gemeindeauf bau Von der Wartburg aus widersetzte sich Luther nicht nur seinen theologischen und kirchlichen Gegnern, sondern widmete sich verstärkt Fragen zur am Evangelium orientierten Erneuerung und Umgestaltung des christlichen Lebens61 illa inepta et impia condemnatione Lutheri principia fidei vocant conciliorum et scholarum dogmata. – Bereits am 9. September 1519 hatte Melanchthon in seinen aufsehenerregenden Baccalaureatsthesen (MSA 1; [23] 24 f.) behauptet, aaO. 24,31 f.: Conciliorum auctoritas est infra scripturae auctoritatem. – Die generelle Unterordnung der Konzilien unter die Heilige Schrift unterstrich er 1520 in der der „Declamatiuncula in Divi Pauli doctrinam“ (MSA 1; [26] 27–43,2) angehängten „Epistola ad Johannem Hessum Theologum“ (MSA 1, [43–53], 44,19 f.). 60 Zu Melanchthons Konzilsverständnis vgl. M. Becht, Pia Synodus. Die Lehre vom Konzil in der Theologie Philipp Melanchthons und Johannes Calvins (in: Melanchthon und der Calvinismus [Melanchthon-Schriften der Stadt Bretten 9]), Stuttgart-Bad Cannstatt 2005, 107–133); G. D. Crofts, Philipp Melanchthon’s Views on Church Councils, Diss. masch. University of Colorado 1971 (Faksimile Ann Arbor, Michigan/London 1981); R. Stupperich, Kirche und Synode bei Melanchthon (in: F. Hübner [Hg.], Gedenkschrift für D. Werner Elert. Beiträge zur historischen und systematischen Theologie, Berlin 1955, 199– 210). – Über die hier im Gegenüber zu Luther in Ansätzen vorhandene Unterscheidung im Traditionsverständnis, insbesondere in der positiveren Bewertung der Alten Kirche und der patristischen Methode, vgl. Haendler, Wort und Glaube, 73–91. 61 Luther erweiterte z. B. die an der Thematik der Priesterehe aufgeworfene Problematik des Zölibatsgelübdes um die grundsätzliche Frage nach den Mönchsgelübden, welche er als gottlose Werke verwarf, wenn sie nicht vom rechtfertigenden Glauben, sondern von der Werkgerechtigkeit her motiviert abgelegt worden waren. Da Gelübde das Leben einer besonderen Gesetzlichkeit unterwerfen, seien um der christlichen Freiheit willen die vom Christusglauben erfüllten Gewissen von den bindenden Fesseln zu lösen. Siehe Luthers bedeutende Thesenreihe „Themata de Votis“ (WA 8; [313] 323–335) und seine grundlegende reformatorische Schrift zur Thematik: „De votis monasticis iudicium“ (WA 8; [564] 573– 669). Vgl. R. Kolb, Die Zweidimensionalität des Mensch-Seins: Die zweierlei Gerechtigkeit in Luthers De votis monasticis Iudicium (in: Ch. Bultmann, V. Leppin und A. Lindner [Hg.], Luther und das monastische Erbe [SMHR 39], Tübingen 2007, 207–220); B. Lohse, Mönchtum und Reformation. Luthers Auseinandersetzung mit dem Mönchsideal des Mittelalters (FKDG 12), Göttingen 1963, 356–370; H.-M. Stamm, Luthers Stellung zum Ordensleben (VIEG 101), Wiesbaden 1980, 38–57. – Um unsicheren Predigern Orientierungshilfe zu bieten, verfasste Luther Musterpredigten, die er anfänglich in lateinischer (WA 7; [458] 463–537), auf der Wartburg dann in deutscher Sprache für die Advents- und Weihnachtszeit

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und der gottesdienstlichen Praxis, die für das evangelisch zu reformierende Kirchenwesen von vornehmlicher Bedeutung waren. In vielfältiger Weise hatte sich Luther bis zum Sommer 1521 mit der Problematik der Messe und des Altarsakraments literarisch auseinandergesetzt,62 war aber bis dahin vor den praktischen Konsequenzen oder gar einer Durchführung der Reformen mittels Gewaltanwendung zurückgeschreckt und hatte stattdessen z. B. die stiftungsgemäße Wiederherstellung des Abendmahls in beiderlei Gestalt von den kirchenleitenden Instanzen eines allgemeinen Konzils oder vom Bischof erwartet.63 Während seines Wartburgaufenthaltes reifte in Luther die Gewissheit, dass er von der römischen Kirche keine Mithilfe an dem begonnenen Reformwerk erwarten konnte, sondern nun selbst berufen sei, seine theologischen Grundsätze behutsam in das kirchliche Leben zu transformieren und zur Umgestaltung der Messe beizutragen. So teilte er Melanchthon beispielsweise am 1. August 1521 mit, er begrüße das in Wittenberg diskutierte Vorhaben, das Abendmahl gemäß Christi Einsetzung in beiderlei Gestalt zu feiern, denn er selbst hätte bei einer Rückkehr nach Wittenberg dies in Angriff nehmen wollen.64 Außerdem unterstrich er, in Zukunft keine Privatmessen mehr zelebrieren zu wollen.65 Während ihn der sich intensivierende Wittenberger Reformdiskurs um die Messe nicht direkt tangierte,66 äußerte er sich zu dem von seinen Ordensbrüausarbeitete und die alsbald als Wartburgpostille (WA 10,1/1 und WA 10,1/2; 1–208) den Grundstock für sein Postillenwerk bildeten. Vgl. WA 10,1/2; XLI-LXXIX; S. Widmann, Die Wartburgpostille. Untersuchungen zu ihrer Entstehung und zu Luthers Umgang mit dem Text, 2 Bde. Diss. Masch., Tübingen 1968; Ders., Von der Wartburgpostille bis zum Septembertestament 1522. Luther als Übersetzer des Neuen Testaments; Beobachtungen zu seiner Methode unter Einbeziehung von Glossenmaterial der Stuttgarter Vulgata (1519) (VB 21, 1999, 61–93). 62 Siehe WA 2; 742–758 (1519); WA 9; 445–449 (Predigt, 8. 4. 1520); WA 6; 353–378 (1520); aaO. 502–526,33 (1520). In einem weiten Sinn bezeichnete Luther mit dem Begriff „Messe“ den ganzen Messgottesdienst, verwendete ihn aber auch häufig im engeren Sinn für die Abendmahlsfeier. Zur Messreform vgl. u. a. R. Meßner, Die Meßreform Martin Luthers und die Eucharistie der Alten Kirche. Ein Beitrag zu einer systematischen Liturgiewissenschaft (IThS 25), Innsbruck/Wien 1989, 189–206; R. Schwarz, Der hermeneutische Angelpunkt in Luthers Meßreform (ZThK 89, 1992, 340–364). Siehe zu dem im Rahmen der Messreform mitbedachten, konkret-theologischen Problem des Messopfers Simon, Messopfertheologie, 2003 sowie prägnant Wendebourg, Essen zum Gedächtnis, 54–57. 63 Siehe oben, Kapitel IV § 8.1 und V § 11.2. Zur Ablehnung der Einführung des Laienkelchs mit Gewalt und der ordnungsgemäßen kirchlichen Einsetzung durch einen Beschluss eines allgemeinen Konzils siehe WA 6; 507,21–33 („De captivitate“). 64 WAB 2; 372,69–72 Nr. 372 (Luther an Melanchthon, [Wartburg,] 1. 8. 1521). 65 AaO. 372,73. 66 Der von Karlstadt durch seine Publikationstätigkeit im Sommer 1521 angeregte und von Melanchthon und den übrigen Wittenberger Reformern geführte Abendmahlsdiskurs wurde nach intensiven Diskussionen seit Ende September 1521 in die gottesdienstliche Praxis transformiert. Melanchthons Empfang des Abendmahls unter beiderlei Gestalt am 29. September 1521 bildete den sinnfälligen Beginn der Neuordnung des kirchlichen Lebens in Wittenberg, die von den Augustiner-Eremiten, allen voran Gabriel Zwilling, und den Stu-

340 VI. Die Popularisierung und Problematisierung der Konzilsthematik in den 1520er Jahren dern Anfang Oktober öffentlich erklärten Verzicht der Privatmesse in einem ursprünglich als Brief konzipierten, dann aber zum Traktat angewachsenen Text in lateinischer und deutscher Sprache. In der Schrift „De abroganda missa privata“67 und ihrer deutschen Fassung „Vom Missbrauch der Messe“68 formulierte er vom Neuen Testament her sein evangelisches Verständnis vom Priestertum und der Messe, welches er in der Absicht darlegte, dass sich niemand ohne begründete Gewissensprüfung von der bisherigen katholisch-kirchlichen Messpraxis, die nach herkömmlichem Verständnis heilsverdienstlich war, lossagte.69 Im Zusammenhang mit den das alte Messwesen legalisierenden kirchlichen Autoritäten erwähnte er pauschalisierend auch die Konzilien mit ihren Beschlüssen, welche er innerhalb der kirchlichen „Autoritätskette“ negativ als dem Evangelium und Christus widersprechende institutionelle Gesetzeswerke charakterisierte.70 Diese sich bei Luther auf der Wartburg manifestierende Interpretationsrichtung der allgemeinen Konzilsbeschlüsse als abzulehnende, die Papstkirche stabilisierende Menschengesetze verstärkte seine theologische wie gemeindeordnende Zurückhaltung bezüglich der Konzilsinstitution. Denn nicht nur in seinen Reformüberlegungen, deren behutsame und gewaltlose Umsetzung Luther um der im Glauben noch schwachen Menschen willen in seiner im Dezember 1521 abgefassten Schrift „Eine treue Vermahnung zu allen Christen, sich zu hüten vor Aufruhr und Empörung“71 anmahnte, sondern auch bei seiner Postillenarbeit und seiner epochalen, zur Grundlage der evangelischen Frömmigkeit und des Gemeindelebens avancierenden Übersetdenten in der nächsten Zeit fortgesetzt und schließlich durch Karlstadt radikalisiert wurde. Vgl. zu diesem umfassenden Prozess: Aktenstücke zur Wittenberger Bewegung Anfang 1522, hg. von H. Barge, Leipzig 1912; Barge, Karlstadt 1, 311–460; Brecht, Luther 2, 34–53; U. Bubenheimer, Scandalum et ius divinum. Theologische und rechtstheologische Probleme der ersten reformatorischen Innovationen in Wittenberg 1521/22 (ZSRG.K 90, 1973, 263–342); Ders., Consonantia theologiae, 243–245; Bornkamm, Luther in der Mitte seines Lebens, 56–71; Kruse, Universitätstheologie, 301–305. 317–330; N. Müller, Die Wittenberger Bewegung 1521 und 1522. Die Vorgänge in und um Wittenberg während Luthers Wartburgaufenthalt. Briefe, Akten u. dgl. und Personalien, Leipzig 21911; Schwarz, Luther, 118 f.; StA 2; 520–525. 67 WA 8; (398) 411–476. 68 WA 8; (477) 482–563. 69 Siehe aaO. 411 f. (lateinisch) 482 f. (deutsch) (Widmung an die Augustiner zu Wittenberg). 70 WA 8; 427,20–26; 432,27–433,12; 435,29–34. In antipäpstlicher Polemik betonte Luther vorher, dass sich die päpstlichen Götzen erdreisten, nicht nur zu disputieren, sondern auch zu prahlen, „Papam esse supra Concilium, supra universam ecclesiam.“ (WA 8; 424,15 f.). Luther kommentierte diese Aussage mit den Worten, aaO. 424,16: Quid enim est hoc dicere, nisi Papam esse supra theodidactos? – Allerdings vertiefte er diese eher positive Betonung des Konzils und der Kirche nicht, die auf der konziliaristischen, sich vom Papst distanzierenden Linie früherer Aussagen lag. 71 WA 8; (670) 676–687 = Cl 2; (299) 300–310 = StA 3; (12) 15–26.

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zung des Neuen Testaments ins Deutsche,72 blieb die Konzilsthematik fast vollständig unerwähnt.73 Auch nachdem Luther aufgrund der turbulenten Vorkommnisse und wachsenden Uneinigkeiten in Wittenberg am 1. März gegen den Willen des Kurfürsten die Wartburg verlassen hatte, um in Wittenberg das öffentliche Predigtamt wieder auszuüben und die Verantwortung für einen maßvollen, die noch im päpstlichen Gesetz gefangenen Gewissen berücksichtigenden Reformkurs in der Stadt zu übernehmen sowie die kirchliche Ordnung wieder herzustellen, was ihm mittels der als Invokavitpredigten bekannten Predigtreihe74 gelingen sollte,75 fanden Begriffe wie Konzil und Synode oder konziliare Vorstellungen im Frühjahr 1522 keine Erwähnung. Aufgrund dieser Beobachtungen ist nun näherhin zu untersuchen, ob und in welcher Weise Luther in der Folgezeit auf die mehrdimensionale Konzilsthematik einging und welche Relevanz er dem einst mit der kirchlichen Reform verknüpften Konzilsgedanken für die Entwicklung des evangelischen Gemeindewesens zubilligte.

2.1. Konziliares Menschengesetz und unkonziliare Urteilsinstanz Mit wachsendem, geradezu „prophetischem“ Selbstverständnis76 bereitete Luther seit Frühjahr 1522 die Wittenberger Gemeinde durch Ausübung des Pre72 Vgl. WADB 6 und 7. Zur Übersetzung des Neuen Testaments sowie zu den Bibelübersetzungen Luthers überhaupt vgl. aus der Literaturfülle stellvertretend J. Armbruster, Luthers Bibelvorreden. Studien zu ihrer Theologie (Arbeiten zur Geschichte und Wirkung der Bibel 5), Stuttgart 2005; H. Blanke, Art. C.I.1. Bibelübersetzung (LuH, 258–265); H. Bluhm, Bedeutung und Eigenart von Luthers Septembertestament. Eine Analyse von Römer 3,19–31 (LuJ 39, 1972, 55–79); S. Raeder, Voraussetzungen und Methode von Luthers Bibelübersetzung (in: H. Liebing und K. Scholder [Hg.], Geist und Geschichte der Reformation. Festgabe für Hanns Rückert, Berlin 1966, 152–178); B. Stolt, Martin Luthers Rhetorik des Herzens (UTB 2141), Tübingen 2000, 84–126; H. Volz, Martin Luthers deutsche Bibel. Entstehung und Geschichte der Lutherbibel, eingeleitet von F. W. Kantzenbach, hg. von H. Wendland, Hamburg 1978; WADB 6; XLI-L. 73 Vom Konzil spricht Luther lediglich in WA 10,1/1; 168,10–14 im negativen Rahmen der kirchlichen Autoritäten und in WA 10,1/2; 96,16; 154,7 hinsichtlich des Konstanzer Konzils. 74 WA 10,3; (XLVI) 1–64. 436–439 = Cl 7; (362) 363–387 = StA 2; (520) 530–558. 75 Vgl. Bornkamm, Luther in der Mitte seines Lebens, 72–80; U. Bubenheimer, Luthers Stellung zum Aufruhr in Wittenberg 1520–1522 und die frühreformatorischen Wurzeln des landesherrlichen Kirchenregiments (ZSRG.K 102, 1985, 147–214), 203–210; H. Junghans, Freiheit und Ordnung bei Luther während der Wittenberger Bewegung und Visitationen (ThLZ 97, 1972, 95–104); Kruse, Universitätstheologie, 362–389. 76 Luthers Selbstverständnis manifestierte sich während oder kurz nach seinem Wartburgaufenthalt in den selbstgewählten Titeln „Ecclesiastes“, „Prediger“ oder „Evangelist“, mit denen er den ihm übertragenen Predigtauftrag und sein aus der Taufe abgeleitetes Priestersein als Amt der Wortverkündigung interpretierte. Weil seine Sache die Sache Jesu Christi war, trat er in angedeuteter Parallelisierung mit Paulus in einer schier unüberbietbaren Selbsteinschätzung auf. Prominentestes und vielzitiertes Zeugnis dieser Selbsteinschätzung

342 VI. Die Popularisierung und Problematisierung der Konzilsthematik in den 1520er Jahren digtamtes behutsam und bewusstseinsbildend auf die kirchlichen Reformen vor, deren praktische Umsetzung er ein Jahr später, 1523, in Angriff nahm.77 Hierbei ging er von dem seine Gemeindeauf baukonzeption leitenden Grundsatz aus, allein durch Gottes Wort und das Predigtamt werde Gemeinde gebaut, nicht aber durch eine neue evangelische Kirchenordnung, wie sie am 24. Januar 1522 vom Wittenberger Rat unter Einflussnahme Karlstadts eingeführt worden war.78 Da Luther davon überzeugt war, „was Gott frei gemacht“ habe, solle frei bleiben,79 lehnte er jede allgemeingültige Verbindlichkeit beanspruchende Gemeindeordnung als neue Gesetzlichkeit ab, die weder die im Glauben Schwachen berücksichtige noch der Freiheit des Glaubens Entfaltungsraum gebe. Folglich bekämpfte Luther nicht nur die alten Verordnungen der Papstkirche als die Gewissen bedrückenden Zwänge und Gesetze, sondern stritt u. a. in seinen Invokavitpredigten mit gleicher Vehemenz gegen die eine neue Gesetzlichkeit etablierenden evangelischen Ordnungen, so dass er jetzt verstärkt und an zwei Fronten wirkend das Gesetzesthema problematisierte. Gegenüber dem Gesetz betonte Luther: „Das Evangelium will frei auf der rechten Straße gehen, an keinen Befehl gebunden, sondern ein Herr über alle Befehle sein“.80 Aus diesem Freiheitsverständnis heraus wies er die Anwendung von Gewalt und Zwangsmaßnahmen zur Durchsetzung von Reformen ab und plädierte dafür, Gottes Wort allein wirken und Gott sein Werk tun zu lassen, denn „[m]an soll und kan niemant tzum glawben bringen, ßondern [muss] das Euangelion frey selbs holen lassen, wen es holet.“81 Luther, der auf die freie Selbstdurchsetzungs-

bildet ein Passus im Brief an Kurfürst Friedrich den Weisen, den Luther auf seinem Rückweg nach Wittenberg in Borna verfasste, WAB 2; 455,39–45 Nr. 455 (Luther an Kurfürst Friedrich, Borna, 5. 3. 1522): Von meiner Sach aber, gnädigster Herr, antworte ich also: E. K. F. G. weiß, oder weiß sie es nicht, so laß sie es ihr hiemit kund sein, daß ich das Euangelium nicht von Menschen, sondern allein vom Himmel durch unsern Herrn Jesum Christum habe [Gal 1,10], dass ich mich wohl hätte mügen (wie ich denn hinfort tun will) einen Knecht und Euangelisten rühmen und schreiben. Daß ich mich aber zur Verhöre und Gericht erboten hab, ist geschehen, nicht daß ich dran [d. h. an meiner göttlichen Mission] zweifelt, sondern aus uberiger [d. h. überflüssiger] Demut, die andern zu locken. – Neben diesem Selbstzeugnis sei aus der Forschungsliteratur, die sich mit der Thematik befasst, exemplarisch verwiesen auf Brecht, Wittenberger Reformation, 87; H. von Campenhausen, Reformatorisches Selbstbewußtsein und reformatorisches Geschichtsbewußtsein bei Luther 1517–1522 (in: Ders., Tradition und Leben. Kräfte der Kirchengeschichte; Aufsätze und Vorträge, Tübingen 1960, 318–342); B. Lohse, Luthers Selbsteinschätzung (1985) (in: Ders., Evangelium in der Geschichte. Studien zu Luther und der Reformation. Zum 60. Geburtstag des Autors hg. von L. Grane, B. Moeller und O. H. Pesch, Göttingen 1988, 158–175), bes. 169–172. 77 Vgl. zur Gottesdienstreform Schwarz, Luther, 123–127. 78 Siehe die Ordnung des Rates der Stadt Wittenberg vom 24. Januar 1522: StA 2; 525– 529. 79 WA 10,3; 24,4 f. (Predigt am Dienstag nach Invocavit, 11. 3. 1522). 80 WA 10,2; 31,14–16 (Von beider Gestalt des Sakraments zu nehmen, 1522). 81 WA 10,2; 28,7–9. Siehe auch WA 10,3; 15,2–12 (Predigt am Montag nach Invocavit, 10. 3. 1522).

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kraft des Evangeliums vertraute, war davon überzeugt, dass aus der Verkündigung die Taten zwanglos folgen werden.82 Auf diesem Hintergrund sind nun auch die Äußerungen zum Konzil zu lesen. Während Luther die Konzilsthematik – wie noch zu sehen sein wird – seit Sommer 1522 verstärkt in seinen die Wittenberger Christen stärkenden und den einzelnen Gläubigen in den Blick nehmenden Predigten popularisierte, befasste er sich mit dem Konzil in seinen Schriften oder Korrespondenzen deutlich seltener als zuvor. An den Stellen, an denen er auf das allgemeine Konzil Bezug nahm, interpretierte er es wie die übrigen kirchlichen Autoritäten vom menschlichen Gesetzesverständnis her, welches den göttlichen Gesetzen der Heiligen Schrift und dem Wort Gottes widerstreite.83 Wenig Aufmerksamkeit schenkte Luther 1522 der kirchenpolitischen Forderung, die in dem auf Herzog Georgs Anzeige zurückgehenden Mandat des Nürnberger Reichsregiments vom 20. Januar 1522 erhoben wurde, die kirchlichen Neuerungen bezüglich der Priesterehe, Klosterflucht der Mönche und der Messe seien bis zu einer reichsständischen Versammlung oder einer Konzilsentscheidung zu unterbinden.84 In seiner Reformschrift „Von beider Gestalt des Sakraments zu nehmen“85 bemerkte er hierzu lapidar: „Es ist zu Nurmberg auß dem regiment außgangen, das man die sach von beyder gestallt des sacraments tzu empfahen, auffschieben soll auff eyn tzukunfftigs Concili, denn die

82

Vgl. Junghans, Freiheit und Ordnung, 98–100. Siehe WA 10,2; 89,16–19 (Von Menschenlehre zu meiden und Antwort auf Sprüche, so man führet, Menschenlehre zu stärken, 1522); WA 11; 262,31–36 (Von weltlicher Obrigkeit, wie weit man ihr Gehorsam schuldig sei, 1523): Darumb ists gar uberauß eyn nerricht ding, wenn sie gepieten, man solle der Kirchen, den Vetern, Concilien glewben, ob gleych keyn Gottis wortt da sey. Teuffels Apostel gepieten solchs unnd nicht die kirche. Denn die kirche gepeutt nichts, sie wisse denn gewiß, das Gottis wort sey, wie S. Petrus sagt: ‚Wer da redet, der rede als gottis wort‘. Sie werden aber gar lange nicht beweyßen, das der Concilien setze Gottis wort sind. – Rechtfertigungstheologisch zugespitzt unterschied Luther in seinem Brief an den Herzog von Savoyen vom September 1523 den seligmachenden Christusglauben vom papstkirchlichen und konziliaren Gesetzesglauben, WAB 3; 151,73–152,79 Nr. 657 (Luther an Herzog Karl III. von Savoyen, Wittenberg, 7. 9. 1523): Proinde fatemur, mundum esse per papas, concilia, decreta patrum miserrime seductum ac irretitum iis hominum traditionibus, verius autem: laqueis diaboli, dum omnibus persuasum fuit, iis servatis salutem, iis omissis perditionem contingere. Hoc figmento obscuratus est Christus, euangelion, fides, charitas, vere bona opera, libertas christiana, et, in summa, nobis palma salutis intercepta, ut frustra currere coacti simus. 84 Zum Regimentsmandat vom 20. Januar 1522, das sich weder auf den Lutherbann noch auf das Wormser Edikt bezog, sondern eine künftige Prüfung der kirchlichen Neuerungen einer reichsständischen Versammlung oder „Konzilien“ (Gess 1; 252,21 liest „consilia“) überwies, siehe Gess 1; 250,24–252,31 Nr. 288 (Statthalter und Regiment an Herzog Georg, Nürnberg, 20. 1. 1522). Vgl. Kohnle, Reichstag, 105–115; Kalkoff, Wormser Edikt, 20– 34; Kirn, Friedrich der Weise, 145 f. 85 WA 10,2; (1) 11–41. 83

344 VI. Die Popularisierung und Problematisierung der Konzilsthematik in den 1520er Jahren klugen herrn wollen es nit verdamnen, doch ynn des nicht tzu lassen, ßondern unerkandt verdampt haben.“86

Weil aber der Ruf nach einer konziliaren Urteilsbildung und Entscheidung bezüglich der an verschiedenen Orten umgesetzten und sich weiter ausbreitenden evangelischen Reformen nicht verstummte und insbesondere von den lutherischen Gegnern und politischen Institutionen zunehmend lauter vorgetragen wurde, betonte Luther wiederholt die durch Christus und das Evangelium und nicht durch ein Konzil jedem einzelnen Christen zukommende Urteilsbegabung und die für sein Seelenheil notwendige gewissenhafte Unterscheidungsfähigkeit von falscher, menschlicher und richtiger, göttlicher Lehre. Beispielsweise führte er in seiner Instruktion vom 28. April 1522 für den Altenburger Rat, der eine von Luther unterstützte evangelische Predigerstelle gegen die Position des dortigen Propstes einzurichten suchte und sich in diesem frühreformatorischen Besetzungskonfl ikt vor einer kurfürstlichen Kommission verantworten musste,87 aus: „Unnd ob sie [die altgläubigen Gegner] wurden sagen, es gepur unß nicht tzu vrteylen, wilchs das Euangelion sey, odder sey noch nicht entschieden durch eyn Concili, Das gestehen wyr yhn nicht, Dann die schrifft gibt nicht eynem Concilio, Sondern eynem iglichen Christen macht, die lere tzu vrteylen, 1. Cor. 14,[30] vnnd die wolffe tzu kennen vnnd meyden, Matt. 7,[15] vnnd stehet nicht darauff, was ander leutt schliessen, wennß auch Engel weren, sondern auff eyns iglichen gewissen, denn eyn iglicher muß fur sich selb glewben vnnd vnterscheytt wissen tzwisschen rechter vnnd falscher lere, Quia: Quicunque crediderit, saluus erit. [Mk 16,16]“88

In ähnlicher Weise äußerte sich Luther in der am 15. Juli 1522 fertiggestellten Streitschrift gegen König Heinrich VIII. von England, in der er auf die in Heinrichs Namen 1521 unter dem Titel „Assertio septem sacramentorum“ angefertigte und 1522 von Hieronymus Emser ins Deutsche übersetzte Schrift in lateinischer („Contra Henricum Regem Angliae“) und deutscher Sprache („Antwort deutsch auf König Heinrichs Buch“) reagierte.89 Luther unterstrich hier u. a. das Recht und das Gebot des einzelnen Christen zur Prüfung und Beurteilung der Lehre, wobei er sich erneut auf die für ihn zentral gewordene Bibelstelle Mt 7,15 berief und von der Meinung der Päpste, Kirchenväter, Konzilien 86

WA 10,2; 21,9–13. Vgl. zum Konfl ikt und zu Luthers Vorschlag an den die kirchlichen Belange in die Hand nehmenden lutherisch gesinnten Stadtrat, Gabriel Zwilling zum Prediger nach Altenburg zu berufen, WAB 2; 502 f. Nr. 476 (Der Rat zu Altenburg an Luther, [Altenburg, c. 15. 4. 1522]); aaO. 504 f. Nr. 477 (Luther an den Bürgermeister und Rat zu Altenburg, Wittenberg, 17. 4. 1522); aaO. 505 f. Nr. 478 (Luther an Gabriel Zwilling [in Düben], Wittenberg, 17. 4. 1522). Luthers Instruktion ist abgedruckt aaO. (506) 507 f. Vgl. zum gesamten Sachverhalt jetzt eindrücklich Krarup, Ordination, 41–49. 88 WAB 2; 508,39–47. 89 WA 10,2; (175) 180–222 (lateinischer Text); aaO. (223) 227–262 (deutscher Text). Vgl. Zschoch, Streitschriften, 285. 87

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und Schulen, nur den Bischöfen und Geistlichen stehe die Jurisdiktionsfähigkeit zu, polemisch abgrenzte.90 Neben der Betonung der schriftorientierten Urteilserkenntnis eines jeden Christen charakterisierte er erneut die Schriftwidrigkeit kirchlicher Autoritäten, insbesondere der Konzilien, als „sacrilega illa et abominanda Concilia“91 und bezeichnete sie, wenn sie etwas anderes als das Wort Gottes allein verehrten, unter erneuter Anspielung auf Mt 7,15 als „Wölfe, Diener des Satans und falsche Propheten“.92 Angemerkt sei, dass Luther einen bereits vorbereiteten Gedanken in dieser Schrift erstmals öffentlich aussprach: Mit dem Konzil von Nicäa, „omnium optimo“, habe die Gesetzlichkeit der kirchlichen Beschlüsse und damit der kirchliche Verfallsprozess begonnen.93 Bisher hatte er das Konzil von Nicäa stets als vorbildlich und mit größter Wertschätzung gewürdigt und von den späteren, päpstlichen Konzilien positiv abgehoben. Jetzt problematisierte und propagierte er – ohne nähere Begründung – das altkirchliche Konzil selbst als den Beginn der konziliaren Verfallsgeschichte und relativierte damit die allgemein anerkannte Autorität des Nicänischen Konzils! Für diese neue Überzeugung waren verschiedene Aspekte verantwortlich: Zum einen hatte die Schrift- und Geistorientiertheit des Konzils durch die bereits in Worms thematisierte Paphnutius-Legende gelitten. Zum anderen führten seine altgläubigen Gegner im kontroverstheologischen Diskurs zunehmend die Autorität des Konzils von Nicäa an, so dass eine Relativierung einer Autoritätsminderung gleichkam. Und zum dritten war bei Luther die Abneigung gegen die dem Evangelium widerstreitenden menschlichen Gesetze gewachsen. Denn, so interpretierte er den Verlauf der Kirchengeschichte, es werde seit dem Konzil von Nicäa aufgrund der großen Anzahl von Autoritätspersonen und der langen Traditionskette das päpstliche Recht als heilsam, rechtens und göttlich gehalten.94 Der Grund für die Verfallsgeschichte lag in der für Luther in der Vorbereitung zur Leipziger Disputation zur Gewissheit gewordenen Erkenntnis, dass in der Kirche neben der Heiligen Schrift Menschengebote leitend wurden, aus denen sich das Papsttum mit seiner Tyrannei entwickelt habe. Luther deutete folglich die Entwicklung der realen Konzilien im Horizont der papstkirchlichen Gesamtentwicklung als Dekadenzmodell, wodurch er die seit 1520 öffentlich vorgetra90

WA 10,2; 217,14–25. AaO. 218,13 f. 92 AaO. 219,9–11: Quare videmus hic, omnes Pontifices, omnia Concilia, omnes scholas, qui aliud in Ecclesia sonant quam verbum dei solius, esse lupos, Satanae ministros et falsos prophetas. 93 AaO. 218,22–26: Et ut hic mei Hinrici et sophistarum recorder, qui a longitudine temporum et multitudine hominum pendent cum sua fide, Primum negare non potest huius rapti iuris tyrannidem ultra mille annos durasse, nam in ipso Concilio Niceno, omnium optimo, iam tum incipiebant leges condere et ius istud sibi vendicare. 94 AaO. 218,26–29. 91

346 VI. Die Popularisierung und Problematisierung der Konzilsthematik in den 1520er Jahren gene Identifi kation des Papstes mit dem Antichrist auch auf die übrigen kirchlichen Institutionen übertrug und in einen geradezu apokalyptischen Geschichtsrahmen stellte. Die Institution „allgemeines Konzil“ galt ihm jetzt als eine Erscheinungsform dieser antichristlichen Wirkweise verdächtig, die nur durch die Evangeliumsverkündigung von Gott selbst bekämpft werden konnte.95

2.2. Das unkonziliare Gemeindeverständnis In Kombination dieser kirchlichen Geschichtsdeutung mit seiner Ekklesiologie, welche Luther seit 1520 im Gegenüber zur Papstkirche in den Auseinandersetzungen mit Alveldt, Emser und Catharinus intensiver reflektiert hatte,96 eignete Luther der Institution „Konzil“ keine positiv-konstruktive Funktion mehr zu. Bis 1520 hatte er für das allgemeine Konzil noch den Repräsentationsgedanken der universalen Christenheit vertreten.97 Auch hatte er entsprechend der in der Schrift „Von dem Papsttum zu Rom“ betonten Unterscheidung der zwei Kirchen – der geistlichen, inneren und der leiblichen, äußeren Kirche98 – durch den Begriff „freies, christliches Konzil“ das Konzil in reformatorischer Sicht als eine äußerliche Erscheinungsform der inneren Kirche interpretiert.99 Nun aber nahm er die Konzilsinstitution nur noch der äußeren Form nach als Bestandteil der römischen Kirche wahr! Aus dieser bedeutsamen Beobachtung lässt sich die These formulieren: In dem Moment, in dem Luther die reformatorische Ekklesiologie in die Gemeindepraxis transformierte, hatte das Konzil als Repräsentationsorgan der Christenheit und Entscheidungsinstanz über die Rechtmäßigkeit der kirchlichen Lehre seine Relevanz verloren. Seine vorgebildete Ekklesiologie entwickelte Luther jetzt, nach dem Bruch mit der römischen Amtskirche, mit aller Konsequenz vom Gemeindebegriff her und machte diesen seit 1522 für seine Vorstellungen bezüglich des Auf baus des evangelischen Kirchenwesens fruchtbar.100 Dem dritten Artikel des Apostolicums entsprechend war das Wesen der Kirche Gemeinde, die „congregatio 95 Sein verfallstheoretisches Geschichtsverständnis (siehe oben, Kapitel III § 5.3.3.) hatte im Zusammenhang mit der sich ausprägenden Antichristvorstellung (Kapitel III § 5.2.3.) bei Luther dazu geführt, dass er die Gegenwart als Endzeit interpretierte, in welcher der apokalyptische Kampf zwischen Gott und Teufel tobe. Zur Deutung der Gegenwart als „Zeit des Zornes“ vgl. aus der Literaturvielfalt jetzt die diese bündelnden Ausführungen von Kastning, Morgenröte, 272–318. 96 Vgl. Hammann, Ecclesia spiritualis, 1989. 97 Siehe oben, Kapitel II § 2.2.4. 98 WA 6; 297,2. Siehe auch WA 1; 639,3. 99 Siehe oben, Kapitel IV § 9.2. 100 Zur Ekklesiologie in jener Phase vgl. W. Brunotte, Das geistliche Amt bei Luther, Berlin 1959, 34–95. u. ö.; W. Stein, Das kirchliche Amt bei Luther (VIEG 73), Wiesbaden 1974, 167–178.

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sanctorum“, die „Sammlung“101 oder der „Haufen christgläubiger Leute“,102 die das Wort Gottes hören und an das Evangelium glauben. Kirche defi nierte Luther personal als Gemeinschaft der an Christus Glaubenden, in der die verborgene Wirklichkeit des Heiligen Geistes gegenwärtig ist. Dieser Zusammenschluss der Gläubigen wurde durch das göttliche Wort geschaffen und erhalten. Denn das Wort war es, das Kirche ermöglichte, weil es den Glauben im einzelnen Christen entfachte und somit zur Versammlung der Glaubenden befähigte. Für Luther bildeten Wort und Kirche folglich ein wechselseitiges Abhängigkeitsverhältnis, da Gottes Wort nicht ohne Gottes Volk sein konnte und umgekehrt. Kirche als „Geschöpf des Evangeliums“103 war nicht nur innerlich durch das Wort konstituiert,104 sondern auch äußerlich am Wort Gottes erkennbar, wie Luther in dem im Frühjahr 1523 abgefassten Traktat „Daß ein christliche Versammlung oder Gemeine Recht und Macht habe, alle Lehre zu urtheilen und Lehrer zu berufen, ein- und abzusetzen. Grund und Ursach aus der Schrift“105 betonte: Daran „soll man die Christlich gemyne gewißlich erkennen: wo das lautter Euangelion gepredigt wirt.“106 101 Siehe WA 7; 219,1–10: Ich glaub, das do sey auff erden, ßo weyt die welt ist, nit mehr dan eyne heylige gemeyne Christliche kyrche, wilche nicht anders ist, dan die gemeyne odder samlung der heyligen, der frumen, glaubigen menschen auff erden, Wilche durch den selben heyligen geyst vorsamlet, erhalten und regiret wirt, und teglich ynn den sacramenten und wort gottis gemehret. Ich glaub, das niemant kan selig werden, der nit ynn dißer gemeyne erffunden wirt, eyntrechtlich mit yhr haltend, in eynem glauben, wort, sacramenten, hoffnung und lieb, und keyn Jude, Ketzer, Heyd oder sunder mit yhr selig werde, es sey dan das er sich mit yhr vorsune, voreynige und yhr gleychformig werde in allen dingen. 102 WA 10,1/1; 140,14 f. 103 WA 2; 430,6 f. 104 WA 7; 721,10–12. 105 WA 11; (401) 408–416 = Cl 2; 395–403 = StA 3; (72) 75–84. 106 WA 11; 408,8–10. In seiner Schrift „Ad librum Ambrosii Catharini“ betonte Luther, wenn die Kirche auch nicht sichtbar sei, so sei sie dennoch an äußeren Zeichen erkennbar, WA 7; 720, 34–38: Signum necessarium est, quod et habemus, Baptisma scilicet, panem et omnium potissimum Euangelium: tria haec sunt Christianorum symbola, tesserae et caracteres. Ubi enim Baptisma et panem et Euangelium esse videris, quocunque loco, quibuscunque personis, ibi Ecclesiam esse non dubites. – Sowie aaO. 721,9 f.: Euangelium enim prae pane et Baptismo unicum, certissimum et nobilissimum Ecclesiae symbolum est, cum per solum Euangelium concipiatur, formetur, alatur, generetur, educetur, pascatur, vestiatur, ornetur, roboretur, armetur, servetur, breviter, tota vita et substantia Ecclesiae est in verbo dei, sicut Christus dicit ‚In omni verbo quod procedit de ore dei vivit homo‘. – Zu den notae ecclesiae der Kirche, die bei Luther neben dem Wort Gottes, der Taufe und dem Abendmahl in seinen späten Kirchenschriften um die Schlüsselgewalt, die Berufung und Ordination von Pfarrern und Bischöfen, das Gebet und Gotteslob, das Erleiden des Kreuzes (WA 50; 628,16– 642,21) bzw. Amt, apostolisches Glaubensbekenntnis, Vaterunser, Ehre der weltlichen Obrigkeit, Lob des Ehestandes, Leiden sowie den Verzicht auf Rache für die Verfolgung (WA 51; 479,4–487,2) vermehrt wurden, vgl. aus der vielfältigen Literatur u. a. Aurelius, Verborgene Kirche, 47–51; H. Th. Goebel, Notae Ecclesiae: zum Problem der Unterscheidung der wahren Kirche von der falschen (EvTh 50, 1990, 222–241); Hammann, Ecclesia spiritualis, 96–99. 156–161; F.-W. Kantzenbach, Strukturen in der Ekklesiologie des älteren Luther. Ein Beitrag zur reformatorischen Lehre von den „notae ecclesiae“ (LuJ 35, 1968, 48–77);

348 VI. Die Popularisierung und Problematisierung der Konzilsthematik in den 1520er Jahren Weil „Christlich gemeyne on gottis wortt nicht syen soll noch kann“,107 legte Luther in seiner Gemeindeauf baukonzeption das Gewicht auf die evangeliumsorientierte Predigt des Wortes und suchte in jener Phase für die Neuausrichtung der institutionellen Gestalt der Kirche u. a. einerseits die Prüfungs- und Urteilsfähigkeit über rechte und falsche Lehre oder göttliches und menschliches Wort beim einzelnen Glaubenden und in der Gemeinde zu stärken und andererseits Anforderungen an geeignete Prediger für die Ausübung des Predigtamtes zu entwerfen, wie er es bereits in seiner Instruktion für den Altenburger Rat angedeutet hatte. Dieser für das junge evangelische Gemeindewesen zentralen Problematik widmete sich Luther in einem der ersten Traktate zur Gestaltung der Kirche, „Daß ein christliche Versammlung“, zu dem er von der Leisniger Gemeinde gedrängt worden war. In ihrem Gesuch baten die Leisniger, Luther möge „das Pfarramt mit Schrift befestigen“.108 Weil Luther seine Gemeindekonzeption vom Evangelium her entwickelte, widersprach er vehement dem Anspruch des das Evangelium unterdrückenden Klerus, christliche Gemeinde zu sein.109 Auf die Frage, wie die „lere tzu urteylen, lerer odder seelsorger eyn und ab zu setzen“110 seien, berief sich Luther entgegen der in der römischen Kirche üblichen institutionell-gesetzlichen Praxis, die den Bischöfen, Gelehrten und Konzilien diese Aufgabe überließ,111 anhand von Joh 10,27 und weiteren biblischen Belegstellen112 erneut auf die gemeindlich-individuelle Urteilspraxis: Lohse, Luthers Theologie, 301–304; G. Neebe, Apostolische Kirche. Grundunterscheidungen an Luthers Kirchenbegriff unter besonderer Berücksichtigung seiner Lehre von den notae ecclesiae (TBT 82), Berlin/New York 1997; P. Steinacker, Die Kennzeichen der Kirche. Eine Studie zu ihrer Einheit, Heiligkeit, Katholizität und Apostolizität (TBT 38), Berlin/New York 1982. 107 WA 11; 411,22 f. 108 WA 12; 5. Im Klartext hieß dies: Luther möge den Leisniger Anspruch auf die Predigerwahl durch die Gemeinde in einer Schrift verteidigen. Vgl. Krarup, Ordination, 51–57. Zu einer weiteren Grundthematik der beginnenden Neuordnung des evangelischen Kirchenwesens zählten die Einrichtung einer kirchlichen Kassenverwaltung und der Umgang mit der Armenpflege. Luther verfasste für die von der Leisniger Gemeinde entworfene Kastenordnung einen „Radschlag wie die geystlichen gutter zu handeln sind“, die 1523 gemeinsam in der „Ordnung eines gemeinen Kasten“ (WA 12; [1] 11–30) publiziert wurden. Gleichfalls auf Bitten der Leisniger Gemeinde entwarf er den Traktat „Von Ordnung Gottesdiensts in der Gemeine“ (WA 12; [31] 35–37) im Frühjahr 1523. 109 WA 11; 408,22–28: Daraus folget unwiddersprechlich, das die Bischoff, stifft, kloster und was des volcks ist, lengist keyn Christen noch Christlich gemeyne geweßen sind, wye wol sie solchen namen alleyne fur allen auffgeworffen haben. Denn wer das Euangelion erkennet, der sihet, horet und greyfft, wie sie noch heuttigs tags auff yhren menschen leren stehen und das Euangelion gar von sich vertrieben haben und auch noch vertreyben. Darumb was solch volck thut und furgibt, mus man achten als heydenisch und welltlich ding. 110 AaO. 408,29 f. 111 Vgl. die Nachweise zum Lehramt der Bischöfe, der Gelehrten und Konzilien aus dem kanonischen Recht: StA 3; 76 Anm. 15. 112 AaO. 408,29–411,12. Luther berief sich u. a. auf Joh 10,5.8; Mt 7,15; I Thess 5,21; Mt 20,26; 24,4.

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„Denn Christus setzt gleich das widderspiel, nympt den Bischoffen, gelerten und Concilien beyde recht und macht, tzu urteylen die lere und gibt sie yderman und allen Christen ynn gemeyn“.113

Aus diesem Grund und mit implizitem Bezug auf die zeitgenössische Konzilsforderung unterstrich Luther daher: „Lieber, was mugen hie widder sagen die wasser blassen, die do scharren: Concilia, Concilia, Ey man mus die gelerten, die Bischoffe, die menge horen, man mus den allten brauch und gewonheyt ansehen? Meynstu, das myr gottis wortt sollt deynem allten brauch, gewonheyt, Bischoffen weychen? Nymer mehr. Darumb lassen wyr Bischoff und Concilia schliessen und setzen, was sie wollen, aber wo wyr gottis wort fur uns haben, solls bey uns stehen und nicht bey yhn, obs recht odder unrecht sey, und sie sollen uns weychen und unßerm wort gehorchen.“114

Das göttliche Recht einer Gemeinde bestimmte, dass dort, wo es die geistliche Not erforderte, die christliche Gemeinde vom allgemeinen Priestertum der Glaubenden her selbständig für die Wortverkündigung zu sorgen hatte.115 Daher eignete Luther der Gemeinde Leisnig und jeder evangelischen Gemeinde das Recht und die Pfl icht zu, sich der widergöttlichen, geistlichen Obrigkeit um des Seelenheils willen zu entziehen116 und das Predigtamt selbst verantwortungsvoll einzurichten und am Evanglium auszurichten.117 Aus dieser sowohl konkret lokalen wie überzeitlich-universalen Sichtweise perspektivierte Luther die institutionellen Probleme der Gemeindebildung. Die Einrichtung einer übergemeindlichen Organisation und Ordnungsinstanz in dieser Situation nahm Luther hingegen noch ebenso wenig in den Blick wie eine gesamtkirchenleitende Institution. Von dieser Fokussierung auf die Ortsgemeinde in den ersten Jahren des evangelischen Gemeindeauf baus erklärt sich zusätzlich, warum Luther den Konzilsgedanken für die übergemeindlichen Anliegen nicht aktivierte.

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AaO. 409,20–22. AaO. 409,28–410,2. 115 AaO. 411,31 f.: Denn das kan niemant leucken, das eyn iglicher Christen gottis wort hatt und von gott gelert und gesalbet ist tzum priester. 116 AaO. 411,13–18: Alßo schließen wyr nu, das wo eyn Christliche gemeyne ist, die das Euangelion hatt, nicht alleyne recht und macht hatt, sondern schuldig ist bey der seelen selickeyt yhre pfl icht nach, die sie Christo ynn der tauffe gethan hatt, zu meyden, tzu fl iehen, abtzusetzen, sich zu entzihen von der uberkeyt, so die itzigen Bischoff, Ept, Kloster, stifft und yhr gleychen treyben, weyl man offentlich sihet, das sie widder gott und seyn wortt leren und regiren. 117 AaO. 411,22–24: Weyl aber Christlich gemeyne on gottis wortt nicht seyn soll noch kan, folget aus vorigem starck gnug, das sie dennoch ja lerer und prediger haben mussen, die das wortt treyben. – Zur Einrichtung des Predigtamtes, dem „hohist ampt“ in der Christenheit (aaO. 415,30 f.), siehe aaO. 411,22–416,10. 114

350 VI. Die Popularisierung und Problematisierung der Konzilsthematik in den 1520er Jahren

2.3. Realisierung der Reformen ohne Konzilsbeschluss Die Debatte um Verbot oder Einführung kirchlicher Reformen mittels eines allgemeinen Konzils erlebte mit dem auf den 6. März 1523 datierten Mandat des Reichsregiments einen neuen Höhepunkt,118 wurde doch hierin bezüglich des „Luthers und seiner anhenger vilfaltigen schreibens und lere“119 bestimmt, dass bis zur Klärung durch ein „frei cristenlich concilium an bequeme malstat Teutscher nation“120 „das heilig evangelium nach auslegung der schriften von den cristenlichen kirchen approbirt und angenomen“121 zu predigen sei und die Überwachung der Prediger durch die Bischöfe erfolgen müsse.122 Die Bücherzensurbestimmungen123 und die Bestrafung verheirateter Geistlicher und ausgetretener Mönche wurden den Reichsständen übertragen124 und der sächsische Kurfürst wurde in einer Sonderinstruktion gebeten, die Publikation von Luthers Schriften und dessen Anhängern zu unterbinden.125 Luther, der, wie unten zu sehen sein wird, dieses Mandat in seinem Sinn interpretierte, hatte nicht zuletzt im Traktat „Daß ein christliche Versammlung“ 118 Vgl. Des kursächsischen Rathes Hans von der Planitz’ Berichte aus dem Reichsregiment in Nürnberg 1521–1523, gesammelt von E. Wülcker, nebst ergänzenden Aktenstücken bearb. von H. Virck (Schriften der königlich sächsischen Kommission für Geschichte 3), Leipzig 1899; DRTA.JR 3; (447) 448–452 Nr. 84 (Mandat des Reichsregiments, 6. 3. 1523). 119 DRTA.JR 3; 448,28 f. 120 AaO. 449,8 f. Die Konzilsforderung der Reichsstände lautete im Gesamtzusammenhang, aaO. 449,4–14: nu auf sölchs durch obberürte unsern kaiserlichen stathalter, churfürsten, fürsten und stende auf wichtigen gehabten rathe nach gestalt und gelegenheit aller sachen diser zeit kein tröstlicher, hilfl icher mittel haben ertrachten oder fi nden mögen, dan das die bäbstlich Ht mit unser verwilligung ein frei cristenlich concilium an bequeme malstat Teutscher nation, als gen Strassburg, Mentz, Cöln, Metz oder ander ört, der sich babstlich Ht und wir uns vereinigen möchten, ausschreibe; und aufs lengest in jaresfrist angefangen werden söll, wie dan bemelter unser stathalter [. . .] irer Ht sölchen rathslag und gutbedünken widerumb schriftlich in antwurts weis haben stellen und zuschicken lassen. 121 AaO. 449,26 f. 122 AaO. 449,31–451,3. Vgl. C. Augustijn, Allein das heilig Evangelium. Het mandaat van het Reichsregiment 6 maart 1523 (NAKG.NS 48, 1967/68, 150–165); W. Henß, Predigtrichtlinien vor dem Bauernkrieg. Zwischen Schriftprinzip und kirchlicher Lehrautorität (ZSRG.K 75, 1989, 270–374) sowie die kritische Bemerkung von Kohnle, Reichstag, 125 Anm. 128 zum Aufsatz von Augustijn. 123 DRTA.JR 3; 449,27–31: das auch weiter nichts neues gedrückt oder feil gehabt werde, es sei dann zuvor durch gelerte person, so darzu sonderlich verordent werden söllen, besichtigt und zugelassen, wie dann söllichs die schrift irer Heiligkeit zugesant weiter innhelt. 124 AaO. 451,3–452. 125 AaO. 447 Anm. 2. So bereits im Mandat, aaO. 449,19–24: [Die Reichsstände haben] sich [. . .] erpoten, mitter zeit bis zu sölchem concilio allen fleis fürzuwenden und zu haben und sünderlich bei der öberkeit, da sich gemelter Lüther und etlich sein anhenger enthalten, fleissig handlen zu lassen, darmit verfügt werde, das derselb Lüther oder seine anhenger hinfürter nichts neues schreiben oder drücken lassen [. . .]. – Vgl. zur Entstehungsgeschichte des Nürnberger Reichsabschieds 1523 und des Regimentsmandats den Überblick bei Kohnle, Reichstag, 116–127.

§ 14 Das Konzil und die Anfänge der evangelischen Gemeindereform

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das Konzil als Entscheidungs- und Urteilsinstanz abgewiesen und die Autorität der Konzilien und Bischöfe für ihn und seine Anhänger als längst nicht mehr bindend demontiert.126 Nun suchte Luther ein künftiges Konzil mit dessen Dekreten aus christlicher Freiheit heraus zwar nicht zu hindern.127 Für die Durchführung der überfälligen Reformen aus dem evangelischen Glauben heraus hielt er aber eine vorausgehende Genehmigung durch ein allgemeines Konzil für nicht mehr statthaft! Diese Überzeugung entfaltete er im Dezember 1523 an genau den zwei Themen, deren reformerische Umsetzung er einst von einem Konzil erwartet hatte: der Einführung des Abendmahls sub utraque128 und der Abschaffung des Zwangszölibats.129 Jetzt widersprach er seinen früheren Aussagen unüberhörbar, ohne sie allerdings explizit zu widerrufen. Für die zu konstatierende antikonziliare Überzeugung war eine Verschiebung der gegnerischen Frontstellung verantwortlich. Sein Gegenüber bildeten jetzt nicht mehr wie 1519/20 die Römer oder Papisten, sondern die konziliaristischen Gelehrten und Politiker mit ihrem Konzilsruf, die er ironisch als „unser Concilien iuncker“ titulierte.130 Weil sie zahlreichen, der Reformation zuneigenden Personen einschärften, erst die Entscheidungen eines Konzils und deren eventuelle Reformerlaubnis abzuwarten, griff Luther die für die gläubigen Gewissen als unheilvolle Verzögerung interpretierte Einstellung wortgewaltig an. 126

WA 11; 409,10–410,2. WA 12; 217,17 f.: Nec quenqum id morari debet, quod Concilium iactant, in quo id rursum licere sanciatur. – Zugespitzt auf die Differenzierung von Christus- und Glaubenspredigt einerseits und Predigt über zeitliche und äußerliche Dinge andererseits formulierte er in seinem Brief vom Dezember 1523 über die ihm vorgelegten Fragen, ob dem Papst u. a. mit oder ohne Konzil von Gott die Macht oder Gewalt zugestanden worden sei, über ein göttliches Gebot oder eine Vorschrift ein Gesetz abzufassen, durch dessen Einhaltung ein Mensch gerettet oder bei Verachtung verdammt werden könne, WAB 3; 212,139–143 Nr. 697 (Luther an den Hochmeister Albrecht von Preußen, [Wittenberg, Dezember 1523]): Si ergo papa aut concilia Christum seu fidem seu euangelium, quae sunt mysteria Dei, praedicant, audiendi sunt; sin aliud praedicant, liberum est eos audire, imo, cum cogant, necesse est eos non audire, quia stat fi xa sententia supra Christum Matth. 17,[5]: ‚Hunc audite‘. 128 Siehe oben, Kapitel IV § 8.1. 129 Siehe oben, Kapitel IV § 8.2. 130 WA 12; 239,36–240,3: Ja sie sind erger denn die Ro(e)mer, denn die Ro(e)mer hetten doch den zum Gott gemacht, der fur eyn Gott gehallten ward. Unser Concilien iuncker wollen schlecht yhr eygen ding setzen, und es soll alleyn darumb recht seyn, das sie es setzen. – Zu dieser Gruppe zählte Luther auch den Generalvikar des Bistums Konstanz, Johann Fabri, der in einer Streitschrift 1522 mit patristischen und konziliaren Argumenten Luthers Theologie bestritten hatte. Gegen sie verfasste Justus Jonas im August 1523 die Erwiderung „Adversus Iohannem Fabrum“, zu der Luther das Vorwort beisteuerte (WA 12; [81] 85–87) und hierin bemerkte, aaO. 85,21–23: Totus enim Faber nihil est nisi Patres, Patres, Patres, Concilia, Concilia, Concilia, quae fabula iam dudum mihi surdo etiam a nostris Lipsensibus Theologistis, imo asinis, deruditur. – In seiner Vorrede kennzeichnete Luther die Anhänger der Konzilsautorität – singulär in seinem gesamten Schrifttum – als „Conciliistas“ (aaO. 86,24), denen er die „Patristas“ und „Copulatistas“ (aaO. 86,23 f.) zur Seite stellte. 127

352 VI. Die Popularisierung und Problematisierung der Konzilsthematik in den 1520er Jahren Anlass für die theologische Entfaltung seiner ablehnenden Reformforderung durch ein Konzil gaben ihm zwei ungefähr zeitgleich entstandene Schriften: die auf Bitte seines Zwickauer Freundes Nikolaus Hausmann verfasste „Formula Missae et Communionis“, in der er erstmals erläuterte, wie in christlicher Weise Messe und Abendmahl zu feiern seien,131 und „An die Herren deutschs Ordens, daß sie falsche Keuschheit meiden und zur rechten ehelichen Keuschheit greifen, Ermahnung“, die er als Reformschrift auf Wunsch Albrechts von Brandenburg-Ansbach, Hochmeisters des Deutschen Ordens, entworfen hatte.132 Weil Luther das Gebot (ius) Christi für seine Auffassung beanspruchen konnte, kontrastierte er in der Schrift „Formula Missae“: „Die Konzilien wollen wir weder hindern noch in den Sachen hören, die fest im Evangelium sind.“133

Von der Klarheit des göttlichen Einsetzungsbefehls überzeugt, steigerte er das durch ein menschliches Konzil erst noch zu legalisierende Gebot zur Einführung des Abendmahls in beiderlei Gestalt sogar ins Paradoxe, wenn er es ablehnte, die durch einen Konzilsbefehl zugelassene doppelte Gestalt zu gebrauchen.134 Statt die sündigen Menschen mit ihren Konzilien höher als Christus zu achten, sollten die Konzilsanhänger sich Gott zuwenden und ihm zuerst die Ehre geben. Da Gottes Wort vorhanden sei, bedürfe es keiner erneuten Geneh131 WA 12; (197) 205–220. Über seine Absicht schrieb Luther, aaO. 206,15–19: Imprimis itaque profitemur, non esse nec fuisse unquam in animo nostro, omnem cultum dei prorsus abolere, sed eum, qui in usu est, pessimis additamentis viciatum, repurgare et usum pium monstrare. Nam hoc negare non possumus, Missas et communionem panis et vini ritum esse a Christo divinitus institutum. 132 WA 12; (228) 232–244. Luther richtete diese Schrift an die einem monastischen Leben verpfl ichteten Ordensmitglieder und gab ihnen den Gewissensrat, den Ordensstaat Preußen mit Hilfe ihrer reichen Grundherrschaft in eine weltliche Herrschaft umzuwandeln und sich von Ordensrittern zu „tüchtige[n] Landsassen und christlichen Ehemänner[n]“ zu entwickeln (aaO. 229). Prinz Albrecht war 1522 durch Andreas Osiander in Nürnberg für die Reformation gewonnen worden und hatte Luther am 1. Advent 1523 persönlich in Wittenberg aufgesucht. Tatsächlich legte er das Amt des Hochmeisters des Deutschen Ordens nieder und säkularisierte den sich bereits zu einem modernen, von der Ordensverfassung gelösten Gebilde entwickelnden und durch feindliche Zugriffe gefährdeten Deutschordensstaat in das Herzogtum Preußen, in welchem er 1525 als Herzog die Reformation einführte. Vgl. Brecht, Luther 2, 84 f.; Bornkamm, Luther in der Mitte seines Lebens, 282–298; W. Hubatsch, Albrecht von Brandenburg-Ansbach. Deutschordens-Hochmeister und Herzog in Preußen 1490–1568 (Studien zur Geschichte Preußens 8), Heidelberg 1960; Ders., Luther und die Reformation im Herzogtum Preußen ( Jahrbuch preußischer Kulturbesitz 20, 1983, 25–37); Die Reformation im Ordensland Preussen 1523/24. Predigten, Traktate und Kirchenordnungen (QODKG 6), eingeleitet und hg. von R. Stupperich, Ulm 1966; P. Tschackert, Herzog Albrecht von Preußen als reformatorische Persönlichkeit (SVRG 45), Halle 1894. 133 WA 12; 217,18 f.: Nos Christi ius habemus et Concilia nec morari nec audire volumus in his, quae manifeste sunt Euangelii. 134 AaO. 217,19–24.

§ 14 Das Konzil und die Anfänge der evangelischen Gemeindereform

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migung durch ein Konzil. Andernfalls sei diese Konzilshörigkeit Ausdruck von Götzendienst und Unglaube.135 Aus diesem Grund sei es richtig, dass er mit seinen Anhängern ohne und gegen die Konzilssatzungen beide Gestalten gelehrt und gebraucht und nicht auf ein Konzil gewartet hätte.136 Praktisch hielt er jetzt den Zeitpunkt für gekommen, nachdem in Wittenberg zwei Jahre lang das Evangelium gepredigt worden war, nur noch beide Gestalten nach Christi Ordnung auszuteilen.137 In gesteigerter Form kritisierte Luther die Konzilsbegehren zur Zulassung der Priester- und Mönchsehe in „An die Herren deutschs Ordens“, worauf, da er in diesem Zusammenhang grundsätzliche Aussagen über sein Konzilsverständnis traf, erneut kurz einzugehen ist. Nach der für den Schrifttheologen Luther typischen Argumentation mit dem Wort Gottes (Gen 2,18) 138 griff er die seit „der Apostel zeyt durch so viel Concilia und heylige veter geleret und befestigt[e]“139 und somit auf dem Traditionsargument fußende Lehre vom Zölibat an, indem er sie von der Irrtumsfähigkeit menschlicher Autoritäten sowie vom Maßstab Gottes und der Heiligen Schrift her beurteilte140 und als Glaubenslehre ablehnte.141 Darauf hin polemisierte Luther gegen den als absurd empfundenen kirchlichen Autoritätsglauben: Obwohl die „lieben iunckern“ geständen, dass der Zölibat nicht in der Schrift gegründet, sondern durch die Kirche eingeführt worden sei, müsse, um dem Gehorsam der Kirche Genüge zu leisten, mit Reformen gewartet werden, bis der Zölibat durch ein Konzil abgeschafft werde. Konzilsbeschlüsse seien nach dieser kirchenrechtlichen Lesart nur durch Konzilien aufzuheben.142 Diese Vorstellung ironisierte er zu der Aussage, dass Gott 135 AaO. 217,24–31: Si tu nosti panem et vinum a Christo institutum, utrunque scilicet sumendum esse ab omnibus, ut clarissime testantur Euangelia et Paulus, ita ut et ipsi adversarii cogantur id confiteri, nec tamen audes illi credere et fidere, ut ita sumas, audes vero ut sumas, si homines in concilio suo id statuant: Nonne tum praefers homines Christo? Nonne extollis homines peccati super deum, qui dicitur et colitur? Nonne plus fidis in hominum verba quam in dei verba? Imo verbis dei prorsus diffidis, et solis hominum verbis credis? – Siehe auch aaO. 217,31–218,4. 136 AaO. 218,4–14. 137 AaO. 217,5–16. Quare simpliciter iuxta institutum Christi utraque species et petatur et ministretur. (aaO. 217,11 f.). – Siehe auch WAB 3; 183,13–16 Nr. 678 (Luther an Nikolaus Hausmann, Wittenberg, [2. Hälfte Oktober 1523]). 138 WA 12; 233,31–234,2: Darumb wollen wyr ettlich gru(e)nd nu setzen, die fur Gott gellten, das der ehliche stand yhm angenheme sey. Gott spricht Gene. 2 [. . .] Dis sind Gottis wort, und unmu(e)glich zuverstehen on mit dem glawben. – Siehe auch aaO. 234,2–33. 139 AaO. 234,36 f. 140 AaO. 235,8–11: Was sagen sie aber datzu, das Gott ellter ist denn alle Concilia und veter? so ist er yhe auch grosser und mehr denn alle Concilia und veter. Item, die schrifft ist auch ellter und mehr denn alle Concilia und veter. Item, die Engel halltens alle mit Gott und mit der schrifft. 141 AaO. 234,34–235,20. 142 AaO. 236,9–15.

354 VI. Die Popularisierung und Problematisierung der Konzilsthematik in den 1520er Jahren selbst den Konzilsgläubigen nun Ehre und Autorität erweisen müsse,143 und fragte nach der Legitimation solcher – gegen das erste Gebot verstoßenden144 – Anmaßungen: „Wer hat euch die macht geben, Gottis wort zu endern und auffzuheben und widder eyn zu setzen? Also soll man Gott zur schulen füren, und dem heyligen geyst die feddern streychen. Sage myr, wer hat yhe grewlicher grewel gehöret? und solchs sollen furgeben, die da seelen regiren wollen!“145

Auf die Gottes Vollmacht konterkarierende Konzilsautorität entgegnete Luther mit einer Aussage, die das Konzilsverständnis in jener Phase grundsätzlich pointierte und in bisher nicht formulierter Deutlichkeit auf den Punkt brachte: „Concilia las ich schliessen und setzen, was zeytlich sachen odder noch unverkleret ist, Aber was öffentlich da ligt fur augen, das Gottes wort und wille sey, wollen wyr widder Concilia noch kirchen setze odder schlüs gewartten, sondern Got fürchten, zufaren und darnach thun, ehe denn man denckt, ob Concilia werden sollen odder nicht.“146

Dass Luther von der Institution des Konzils sich nicht gänzlich verabschiedet hatte, belegt der soeben zitierte Satz, in dem er erstmals seit längerer Zeit die Aufgabe des Konzils wieder positiv-produktiv beschrieb. Ein Konzil konnte über zeitliche, d. h. äußerliche, den Glauben nicht tangierende Angelegenheiten beraten und entscheiden sowie über strittige theologische Lehrfragen Urteile fällen. Diese funktionale Aufgabenbeschreibung war aber für Luther fest eingebunden in den Zusammenhang, der eindeutig auf die in Gottes Wort fundierten und seinem Willen folgenden Glaubensaussagen zielte.147 Weil sich der Glaube und die Seele des Menschen, selbst in ihrer größten Anfechtungssituation angesichts des Todes, nur auf das göttliche, gewisse Wort verlassen konnten, galt für Luther eine erst durch ein menschliches Konzil zu fällende Entscheidung in Glaubensdingen nicht nur als unsicher, sondern war auch um der Seelenseligkeit willen strikt abzulehnen. „Denn ich wills nicht gewartten, das die Concilia beschliessen, ob zu glewben sey an Gott vatter, schepffer hymel und erden, an seynen eynigen son, Jhesum Christum unsern herrn, an den heyligen geyst etc. Also auch alle ander offentlich, helle gewisse stücke der schrifft, die myr nott und nütz sind zu glewben. Denn wo die Concilia verzögen, und ich die weyl sterben müste, wo bliebe meyne seele die weyle, so sie noch 143

AaO. 236,15–19. Auch wenn Luther hier das erste Gebot nicht explizit erwähnte, fand seine theologische Interpretation auf diesem Hintergrund statt. 145 AaO. 236,19–23. 146 WA 12; 236,24–28. 147 Vgl. Tecklenburg Johns, Konzilsidee, 181 Anm. 422, die allerdings den Gesamtzusammenhang der 1523 entworfenen Schrift nicht ausreichend berücksichtigt, wenn sie mit Bezug auf diese Lutherpassage hervorhebt: Luther gestehe den Konzilien das Recht zu, Glaubensfragen insofern autoritativ und allgemein verbindlich zu entscheiden, „als es sich bei diesen Fragen um strittige theologische Lehrprobleme handelt, die noch nicht endgültig in der Schrift beantwortet sind“. 144

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nicht sollt wissen, und aller erst von den Concilia gewartten, was sie glewben sollt, so myr doch der glawbe hie nott were?“148

Das Konzil hatte für den Reformator längst keine Autorität mehr, über Dinge des Glaubens und des Gewissens zu entscheiden, sondern war, wenn es sich anmaßte, über das in der Schrift manifestierte Wort Gottes zu bestimmen wie etwa beim Zölibat, nichts anderes als Abgötterei und eine Gott verleugnende Instanz.149 Daher konnte Luther den Mitgliedern des Ordens nur den Gewissensrat geben, bei Begehren zu heiraten und nicht auf ein Konzil zu warten.150 Das Reformwerk hing also nicht vom Konzil, sondern vom gewissen Gotteswort ab, so dass Luther an die christliche Tatkraft appellierend seinen Hörern beherzt einschärfte: „Auff das wort wagen wyrs und thuns, nur zu trotz und zu widder allen Concilien, kirchen, allen menschen setzen, allen gelübden, gewonheytten, und was da widder seyn möcht oder yhe gewesen ist.“151

Von daher lautete Luthers Botschaft im Dezember 1523 an die Mitglieder des sich der Reformation öffnenden Deutschordens schlicht und klar: „So ist auff keyn Concilion zu harren noch auffzuschieben, weyl es Gottis wort heyst und foddert“.152

3. Die Ablehnung einer synodalen Gemeindereformation Weil sich die Reformation in Kursachsen seit ihrem Beginn ungehindert, aber auch uneinheitlich und unreguliert ausgebreitet hatte, stellte sich spätestens im Sommer 1524 die Frage, wie eine möglichst einheitliche, evangeliumsorientierte Reformationslinie durchzusetzen sei. Luther war der Problematik anfänglich analog der bischöfl ichen Visitation, die der Meißener Bischof Anfang April gegen die evangelische Bewegung in einzelnen Städten durchgeführt hatte,153 durch Predigtreisen begegnet, die ihn etwa vom 25. April bis 6. Mai 1522 in die kursächsischen Städte Borna, Altenburg, Zwickau und Torgau führten und durch die er mittels seiner Autorität die Reformation in den besuchten 148

WA 12; 236,28–35. AaO. 237,1–238,14. 150 Darumb wilcher geystlicher will ehlich werden, der soll gottis wort fur sich nemen, daselbs sich auff verlassen und ynn des selben namen freyen, unangesehen, ob Concilia fur odder hernach kommen (aaO. 238,15–17). 151 AaO. 238,20–23 und 238,23–26: Augen und oren zu, und nur gottis wort yns hertz gefasset! Und obs uns die Concilia und menschen hynfurt erleubten und zu liessen, so wollen wyr yhr urlaub nicht haben, und umb yhrs zulassens willen nichts widder thun noch lassen. 152 AaO. 244,10 f. 153 Vgl. K. Pallas, Briefe und Akten zur Visitationsreise des Bischofs Johannes VII. von Meißen im Kurfürstentum Sachsen, 1522 (ARG 5, 1907/08, 217–312). 149

356 VI. Die Popularisierung und Problematisierung der Konzilsthematik in den 1520er Jahren Orten zu stabilisieren suchte.154 Allerdings hatten die „schwärmerischen“ Reformen Thomas Müntzers in Allstedt und Karlstadts in Orlamünde an der Saale die Notwendigkeit einer nicht allein vom Evangelium gesteuerten Regulierung signifi kant werden lassen.155 Auch wenn Luther im kurfürstlichen Auftrag Mitte August 1524 nach Orlamünde gereist und Karlstadt durch die kursächsische Regierung Mitte September 1524 aus Kursachsen ausgewiesen worden war, wodurch eine gewisse Beruhigung der Gemeinde eingetreten war, blieb die Grundproblematik einer geordneten Ein- und Durchführung der kursächsischen Gemeinde- und Gottesdienstreform bestehen. Insbesondere in der Gestaltung der Gottesdienste und kirchlichen Gebräuche waren erhebliche Differenzen zwischen den Gemeinden aufgetreten, die Nikolaus Hausmann, seit 1519 Anhänger Luthers und seit 1521 Pfarrer an St. Marien in Zwickau sowie behutsamer Reformator des dortigen Kirchenwesens,156 veranlassten, Luther zur kirchenordnenden Klärung der strittigen Zerimonialfragen eine regionale Kirchensynode oder ein evangelisches Konzil vorzuschlagen.157 Möglicherweise lehnte sich Hausmann hierbei an jenen von Luther 1523 selbst geäußerten synodalen Gedanken an: In seiner Schrift an die Böhmen „De instituendis ministris Ecclesiae“,158 die Luther unter Mitwirkung des zwielichtigen Gallus Cahera abgefasst hatte, empfahl er, die 154 Siehe WA 10,3; 86–124 (Zehn Reisepredigten, gehalten in Borna, Altenburg und Zwickau, 1522). 155 Vgl. den Überblick zu den Entwicklungen bei Brecht, Luther 2, 148–172; Bornkamm, Luther in der Mitte seines Lebens, 133–165; Schwarz, Luther, 139–144. – Zu Karlstadts Wirken in Orlamünde vgl. u. a. V. Joestel, Ostthüringen und Karlstadt. Soziale Bewegung und Reformation im mittleren Saaletal am Vorabend des Bauernkrieges (1522– 1524), Berlin 1996; S. Looß und M. Matthias (Hg.), Andreas Bodenstein von Karlstadt (1486–1541). Ein Theologe der frühen Reformation. Beiträge eines Arbeitsgesprächs vom 24.–25. November 1995 in Wittenberg (Themata Leucoreana), Wittenberg 1998; Krarup, Ordination, 74–79. – Zu Müntzers Wirken in Allstedt vgl. u. a. S. Bräuer und H. Junghans (Hg.), Der Theologe Thomas Müntzer. Untersuchungen zu seiner Entwicklung und Lehre, Göttingen/Berlin 1989; H.-J. Goertz, Thomas Müntzer. Mystiker – Apokalyptiker – Revolutionär, München 1989, 88–122; W. Held, Der Allstedter Schosser Hans Zeiß und sein Verhältnis zu Thomas Müntzer (ZfG 35, 1987, 1073–1091); T. Scott, The ‚Volksreformation‘ of Thomas Müntzer in Allstedt and Mühlhausen ( JEH 34, 1983, 194–212); E. Wolgast, Thomas Müntzer. Ein Verstörer der Ungläubigen (Persönlichkeit und Geschichte 111/112), Göttingen/Zürich 1981, 35–58. 156 Hausmann war 1521 als Pfarrer nach Zwickau berufen worden. Er begrenzte das Wirken der Zwickauer Propheten und Thomas Müntzers und führte zusammen mit dem Zwickauer Stadtrat die Reformation ein. Vgl. P. Wappler, Thomas Müntzer in Zwickau und die „Zwickauer Propheten“ (SVRG 182), Gütersloh 1966. – Luther selbst war mit Hausmann, mit dem er in regem Briefwechsel stand, befreundet und widmete ihm beispielsweise die von jenem eingeforderte Schrift „Formula Missae et Communionis“ (WA 12; 205–220). 157 Der Brief, in dem er Luther diesen kirchenordnenden Vorschlag unterbreitete, ist nicht mehr vorhanden. 158 WA 12; (160) 169–196 = LDStA 3; 575–647. Vgl. die aufschlussreiche Analyse der Schrift unter der Überschrift „Der Ratschlag an die Böhmen: Die evangelische Ordination (1523)“ bei Krarup, Ordination, 57–67.

§ 14 Das Konzil und die Anfänge der evangelischen Gemeindereform

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Pfarrer mögen zusammenkommen und aus ihren Reihen einen oder mehrere Kirchenvisitatoren wählen, bis ein evangelischer Erzbischof rechtmäßig eingesetzt sei.159 Seinem Zwickauer Freund antwortete Luther am 17. November 1524,160 indem er zuerst seinen Willen zur Einführung der Messe in deutscher Sprache bekundete, sich aber (noch) nicht im Stande fühlte, die Umsetzung dieses Werkes voranzutreiben. Daher wolle er jeden bei seiner Meinung belassen (Röm 14,5), „bis Christus etwas anderes schenken wird.“161 Den Vorschlag eines Konzils hingegen lehnte er entschieden ab: Ein „Concilium ex nostris“ zur Vereinheitlichung der Zeremonien halte er für nicht ratsam! 162 Zur Begründung seiner dezidierten Konzilsablehnung führte er aus, obgleich man ein Konzil „mit redlichem Eifer“ versuche, lehrten alle Konzilien der Kirche von Anfang an, dass – wie selbst im Apostelkonzil163 – in ihnen „mehr von Werken und Satzungen als vom Glauben gehandelt“ worden sei. In den folgenden Konzilien sei „aber niemals vom Glauben, sondern immer nur über Meinungen und Fragen disputiert worden“.164 Aufgrund der geschichtlichen Erkenntnis über die menschlich-gesetzliche und nicht göttlich-rechtfertigungs159 WA 12; 194,14–20: Ubi vero profecerit domino operante opus, ut multae civitates hoc modo Episcopos suos eligant, tum poterint Episcopi illi, si velint, inter sese convenire et unum vel plures ex sese eligere, qui maiores illorum sint, id est, qui illis ministrent et visitent illos, sicut Petrus visitavit ecclesias in actis Apostolorum, donec Boemia redeat ad legitimum rursus et Euangelicum archiepiscopatum, qui non multis censibus et ditionibus, sed multis ministeriis et visitandis Ecclesiis dives sit. – Krarup, Ordination, 65 Anm. 119 macht zu Recht auf die Problematik aufmerksam, dass Luther einerseits das Konzept des Gemeindebischofsamtes voraussetzt, andererseits dieses in seiner Schrift an die Böhmen nicht ausführt, sondern den Bischofstitel synonym mit Prediger und Pfarrer gleichsetzt. Die Folge ist, dass er den für den Sprengel zuständigen Bischof, der ein reines Leitungs- und Visitationsamt ausüben soll, als Erzbischof tituliert. 160 WAB 3; 373 f. Nr. 793 (Luther an Nikolaus Hausmann, Wittenberg, 17. 11. 1524). Siehe auch die allerdings nur auf die Zeremonien beschränkte ins Deutsche übersetzte Fassung WAT 6; 241 f. Nr. 6867. 161 WAB 3; 373,13–16: Missam vernaculam opto magis quam promitto, quod impar sim huic operi, quod musicam simul & spiritum desiderat; Interim permitto quoslibet suo sensu abundare, donec alia Christus dederit. – 1525 setzte Luther dieses Vorhaben in die Tat um und schuf eine deutschsprachige Liturgie, die 1526 unter dem Titel „Deutsche Messe und Ordnung Gottesdiensts“ (WA 19; [44] 72–113 = Cl 3; 294–309) gedruckt erschien. 162 WAB 3; 373,16 f.: Mihi non satis tutum videtur, Concilium ex nostris cogi pro vnitate ceremoniarum statuenda. 163 Mit dem Apostelkonzil von Act 15 hatte sich Luther zuvor im Juni 1524 ausführlich in einer Predigt befasst. Siehe unten, Kapitel VI § 16.3.2. 164 AaO. 373,17- 21: Est enim res mali exempli, quantumuis bono zelo tentata, vt probant omnia Ecclesi(a)e concilia ab initio, Ita vt & in Apostolico illo Concilio ferme de operibus & traditionibus magis quam de fide sit tractatum, In posterioribus vero nunquam de fide, sed semper de opinionibus & qu(a)estionibus disputatum [. . .]. – Zum theologisch-philosophischen Diskurs über den freien Willen siehe u. a. „De servo arbitrio“ (1525) (WA 18; [551] 600–787 = Cl 3; 94–293 = StA 3; [170] 177–356). Vgl. aus der Fülle der Forschungsliteratur Th. Kaufmann, Art. B.III.6. Luther und Erasmus (LuH, 142–152), 147–151.

358 VI. Die Popularisierung und Problematisierung der Konzilsthematik in den 1520er Jahren theologische Funktionalisierung der Konzilien resümierte Luther: Daher „ist mir auch der Name eines Konzils fast so verdächtig und verhasst wie der Name des freien Willens.“165 Anstelle eines nur neue Gesetze und Zwänge aufstellenden evangelischen Konzils plädierte Luther für den Grundsatz der evangelischen Gestaltungsfreiheit: „Wenn eine Kirche der anderen nicht freiwillig in äußeren Dingen nachfolgen will, warum soll man sie dann mit Konzilsdekreten zwingen, die sehr bald in Gesetze und Fesseln der Seelen verwandelt werden? Möge doch eine [Kirche dem Beispiel] der andern in freier Weise folgen oder man lasse sie bei ihren Bräuchen, wenn nur die Einheit des Geistes im Glauben und Wort gewahrt wird, mag die Verschiedenheit und Mannigfaltigkeit im Fleisch und in weltlichen Dingen noch so groß sein.“166

Auch wenn diese optimistische Gemeindeauf bautheorie durch die negativen Erfahrungen des Bauernkrieges im kommenden Jahr getrübt werden sollte und Luther 1526 die „Deutsche Messe“ auf vielfaches Drängen als Vereinheitlichungsvorschlag herausgab, wird durch diesen Brief erstmals seine Haltung zu evangelischen Synoden oder Konzilien deutlich. Luthers Ansicht über die Konzilien war in den Anfangsjahren der Neugestaltung des kirchlichen Lebens fast ausschließlich negativ konnotiert. Der Grund für diese zuerst gegen die päpstlichen Konzilien, seit 1522 verstärkt auch gegen die Konzilien der Alten Kirche entwickelte Sichtweise lag hier in der als Verfallsgeschichte gedeuteten zunehmenden Gesetzlichkeit der menschlichen Konzilien und ihrer Dekrete, durch welche ihre ursprünglich auf Glauben und Heil angelegte Wirkweise gänzlich verfi nstert war. Statt christliche Freiheit und Entfaltung des Evangeliums fürchtete Luther selbst bei einem evangelischen Konzil aufgrund der geschichtlichen Erfahrung die Einführung neuer Gesetze und Vorschriften, welche wie die jüngst abgestreiften päpstlichen Dekrete erneut zur Unfreiheit der christlichen Gemeinde und zur Unterdrückung des Glaubens führen mussten. Aus dieser die christliche Freiheit verteidigenden Haltung heraus ergab sich für den Auf bau des evangelischen Kirchenwesens in Kursachsen: Mit seiner programmatisch geäußerten Ablehnung eines Konzils zur Ordnung des Gottesdienst- und Gemeindewesens im November 1524 verhinderte Luther den konziliar-synodalen Weg zur Durchführung der Reformation.

165 WAB 3; 373,22 f.: vt Mihi Conciliorum nomen pene tam suspectum & inuisum sit, quam nomen liberi arbitrii. 166 AaO. 373,23–374,27: Si vna Ecclesia alteram sponte non vult imitari in externis istis, Quid opus est Conciliorum decretis cogi, qu(a)e mox in leges & animarum laqueos vertuntur? Imitetur ergo altera alteram libere, aut suis moribus sinatur frui, modo vnitas spiritus salua sit in fide & verbo, quantumuis sit diuersitas & varietas in carne & elementis mundi.

§ 15 Die Zurückhaltung bei politischen Konzilsbegehren Luther lehnte – wie bereits gesehen – den Ruf nach einem allgemeinen Konzil zur Einführung von kirchlichen Reformen in seinen Reform- und Streitschriften der Jahre 1522 bis 1524 pointiert ab. Daher steht zu erwarten, dass Luther auch das politische Konzilsbegehren der Reichsstände rundweg ablehnte. Doch bevor diese naheliegende Vermutung als Tatsache behauptet werden kann, muss untersucht werden, wie sich Luther in den Schriften politischen Charakters der Jahre 1523 und 1524 bezüglich der seit dem Wormser Reichstag nicht verstummten reichsständischen Forderung nach einem Konzil zur Klärung der Glaubensfrage verhielt.

1. Das vereinnahmende Urteil über das Regimentsmandat vom 6. März 1523 Aufgrund seiner Lutherschutzpolitik war Kurfürst Friedrich III. seit 1522 von verschiedenen Seiten zunehmend unter Druck geraten. Herzog Georg intervenierte gegen Friedrich III. im Nürnberger Reichsregiment, die sächsischen Bischöfe beklagten sich gegen den Kurfürsten, Papst Hadrian VI. griff ihn in einem Breve an und Kaiser Karl V. sandte ein kritisches Schreiben betreffs der Glaubensfrage nach Deutschland. Auch vom Reichsregiment erhielt der Kurfürst über seinen Gesandten Hans von der Planitz besorgniserregende Mitteilungen, so dass Friedrich von den Wittenberger Theologen ein Gutachten167 zum Widerstand gegen Kaiser und Fürsten anforderte.168 Erst bei Einhaltung 167 Zur politischen Gutachtertätigkeit Luthers siehe die profunde Studie von E. Wolgast, Die Wittenberger Theologie und die Politik der evangelischen Stände. Studien zu Luthers Gutachten in politischen Fragen (QFRG 47), Gütersloh 1977. Die politischen Weisungen und Empfehlungen werden in den Quellen vielfach undifferenziert und synonym mit „Ratschlag“, „Bedenken“ oder „Gutachten“ tituliert, so dass eine genauere Unterscheidung nicht vorgenommen werden kann. Vgl. zum Problem auch A. Kohnle, Wittenberger Autorität. Die Gemeinschaftsgutachten der Wittenberger Theologen als Typus (in: I. Dingel und G. Wartenberg [Hg.], Die Theologische Fakultät Wittenberg 1502 bis 1602. Beiträge zur 500. Wiederkehr des Gründungsjahres der Leucorea [LStRLO 5], Leipzig 2002, 189–200), 193; Ch. Ocker, Church robbers and reformers in Germany 1525–1547. Confi scation and religious purpose in the Holy Roman Empire (SMRT 114), Leiden/Bosten 2006, XVIII. 168 Planitz thematisierte die Luthersache regelmäßig in seinen Briefen an seinen Kurfürsten vom 2. Nürnberger Reichstag. Siehe z. B. Wülcker/Virck, 248–250,22 Nr. 113 (Planitz

360 VI. Die Popularisierung und Problematisierung der Konzilsthematik in den 1520er Jahren und Umsetzung der im 2. Nürnberger Reichsabschied geforderten Maßnahmen deutete sich für den kursächsischen Fürsten eine leichte Entspannung der bedrohlichen Lage an.169 Luther nahm in zwei Schritten – einem Schreiben an seinen Landesherrn und einer öffentlichen Schrift – zu dem auf dem Nürnberger Reichsabschied basierenden Mandat des Reichsregiments vom 6. März 1523170 Stellung, welches neben dem Wormser Edikt und dem Regimentsmandat von 1522171 die dritte reichsrechtliche Regelung in der Glaubensfrage darstellte und den Ständen – allen voran Kurfürst Friedrich III. – die Möglichkeit eröffnete, zwischen dem Wormser Edikt als kaiserlichem Rechtsgebot und den Regimentsmandaten als ständischem Satzungsrecht zu wählen.172 Nachdem der Wittenberger Theologe durch Hieronymus Schurf eine Abschrift des Regimentsmandats sowie des gesonderten Schreibens an Kurfürst an Kurfürst Friedrich, Nürnberg, 18. 11. 1522); aaO. 259,32–262,17 Nr. 118 (Planitz an Kurfürst Friedrich, Nürnberg, 4. 12. 1522); aaO. 266,20–275,32 Nr. 121 (Planitz an Kurfürst Friedrich, Nürnberg, 11. 12. 1522). Im Bericht vom 2. Januar 1523 trug Planitz die gegen Luther vorgebrachten Vorwürfe der Fürsten vor, die sich u. a. aus dessen Auftreten beim Wormser Reichstag speisten und in der reichsständischen Kritik gipfelten, Luther habe jegliche Schiedsinstanz über seine Lehre in Worms abgelehnt. Er habe sich 1. gegen die Universitäten, 2. gegen eine Versammlung von weltlichen und geistlichen Gelehrten und 3. gegen ein allgemeines Konzil als Richter ausgesprochen. Hieraus müssten Konsequenzen für den ihn schützenden Kurfürsten gezogen werden. Siehe zur Lutherthematik aaO. 302,33–304,30 Nr. 132 (Planitz an Kurfürst Friedrich, Nürnberg, 2. 1. 1523). Zum Gutachten der Wittenberger Theologen siehe WAB 12; (35) 39–45 Nr. 4222 (Gutachten von Luther, Melanchthon, Bugenhagen und Amsdorff, Wittenberg, spätestens 8. 2. 1523). Den Typus des Kollektivgutachtens der Wittenberger Theologen reflektiert Kohnle, Wittenberger Autorität, 189–200. Vgl. zum politischen Vorgehen des Kurfürsten Friedrich III. im Gegenüber und Miteinander mit Luther in den Jahren 1522 und 1523 bis zum Nürnberger Reichsabschied Wolgast, Theologie, 95–108; Höss, Spalatin, 227–252. – Nicht die Politik des Kurfürsten, wohl aber das Schuldbekenntnis von Papst Hadrian VI., das durch den Legaten Chieregati auf dem 2. Nürnberger Reichstag vorgetragen wurde (siehe oben, Kapitel V § 13.1.2.), griff Luther in der veränderten Situation von 1538 auf, indem er die vor dem Reichstag vorgetragene Instruktion von 1522/23, mit einer Vorrede, Nachwort und Marginalglossen versehen, in lateinischer und deutscher Fassung abdrucken ließ. WA 50; (352) 355–363. 169 Über die 1522/23 unter Druck geratene kursächsische Lutherschutzpolitik, deren Darstellung hier nicht weiter vertieft werden kann, informiert kompetent Kohnle, Reichstag, 128–137. 170 Siehe oben, Kapitel V § 13.1.2. 171 Siehe oben, Kapitel VI § 14.2.1. 172 Über die religionspolitischen Entwicklungen im Reich und in den Territorien in den Jahren 1522/23, die als eine Übergangsphase zu interpretieren sind, aber durch die dem Wormser Edikt teils konkurrierend, teils rezipierend gegenübergestellte Gesetzgebung der Reichsstände mit dem 2. Nürnberger Reichstag in rechtlicher Hinsicht zu einer „Spaltung der Nation“ führten, vgl. am ausführlichsten Kohnle, Reichstag, 128–203. Zum 2. Nürnberger Reichstag und zu den Bemühungen des Reichsregiments in der Luthersache vgl. u. a. Borth, Luthersache, 135–143; Hofmann, Konzilsfrage, 41–66; M. Schulze, Zwischen Furcht und Hoffnung. Berichte zur Reformation aus dem Reichsregiment (in: Th. A. Brady, Die deutsche Reformation zwischen Spätmittelalter und früher Neuzeit [Schriften des Historischen Kollegs München. Kolloquien 50], München 2001, 63–90).

§ 15 Die Zurückhaltung bei politischen Konzilsbegehren

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Friedrich III.173 Ende Mai mit der kurfürstlichen Instruktion erhalten hatte, sich künftig dem Mandat zu fügen,174 reagierte Luther zuerst in einem Schreiben an seinen Landesherrn vom 29. Mai 1523.175 In diesem unterstrich er die zwei für ihn zentralen Aspekte der politischen Weisung: das Publikationsverbot und die Predigtklausel. Auf das vom Papst mit Genehmigung des Kaisers innerhalb von einem Jahr auszuschreibende „frey Christlich Concilium an gelegen malstat deutscher Nation“ ging er hingegen nicht näher ein.176 Hinsichtlich des Publikationsverbotes, „bis auff das kunfftig Concilium“ nichts Neues „schreyben odder drucken“ zu lassen,177 gestand Luther den polemischen Stil mancher seiner Schriften ein, der Freunde und Feinde gleichermaßen unangenehm berührt habe, und gab seinen christlichen Ungehorsam gegenüber dem Willen des Kurfürsten in dieser Sache wie in der Angelegenheit seiner Rückkehr nach Wittenberg zu, entschuldigte diesen aber mit seiner Fürsorgepfl icht für die christliche Gemeinde in Wittenberg.178 Des Schreibens würde er sich gerne enthalten und dem Publikationsverbot fügen, doch lästerten seine Gegner Fabri und Emser mit ihren Schriften das Evangelium, so dass diese Provokation um der göttlichen Wahrheit willen nicht unbeantwortet bleiben könne.179 Die Predigtklausel interpretierte Luther als Anweisung, „alleyn das heylig Euangelion“ zu predigen und zu lehren sowie die Lehrer und Prediger hierauf zu verpfl ichten.180 Die auf die römische Papstkirche anspielende Bestimmung des Mandates, „nach auslegung der schrifften von der Christlichen kirchen approbirt vnd angenomen“,181 überging er hingegen geschickt.182 Im Juli verfasste er die an den Reichsstatthalter und das Reichsregiment gerichtete politische Schrift „Wider die Verkehrer und Fälscher kaiserlichs Man-

173 Wülcker/Virck, 390,4–392,6 Nr. 160 (Pfalzgraf Friedrich, Statthalter, Fürsten und andere Räthe des Kaiserlichen Regiments an Kurfürst Friedrich, Nürnberg, 6. 3. 1523). 174 AaO. 434,8–13 Nr. 180 (Kurfürst Friedrich an Planitz, Colditz, 10. 5. 1523). 175 WAB 3; (74) 75–78 Nr. 618 (Luther an Kurfürst Friedrich, Wittenberg, 29. 5. 1523). Siehe auch das Antwortschreiben WAB 3; (121) 122–124 Nr. 642 (Kurfürst Friedrich an Luther, Kolditz, 7. 8. 1523). 176 WAB 3; 75,18 f. 177 AaO. 75,37–76,38. 178 AaO. 76,71–77,83. 179 AaO. 77,83–94. – Allerdings fügte Luther als Reaktion auf das Publikationsverbot und die reichsregimentlich verfügte Vorzensur der im Juli 1523 verfassten, gegen Fabri gerichteten Auslegung „Das siebente Capitel S. Pauli zu den Corinthern“ (WA 12; [88] 92–142) den Zensurvermerk an, die Schrift habe entsprechend der kaiserlichen Anweisung die Wittenberger Universitätszensur durchlaufen (aaO. 142,8–12). Vgl. Beutel, Zensur, im Druck. 180 WAB 3; 77,94–102. 181 AaO. 75,31 f. 182 Insgesamt dürfte dieser Lutherbrief nicht allein für den Kurfürsten bestimmt gewesen sein, sondern – wie häufiger – als eine vorauseilende Entschuldigung gegenüber Kaiser und Reich dem Kurfürsten in seiner politischen Strategie dienlich gewesen sein.

362 VI. Die Popularisierung und Problematisierung der Konzilsthematik in den 1520er Jahren dats“,183 in der er sich gegen eine Fehlinterpretation des Reichsmandates wandte, wie sie nach Luthers Meinung in manchen Territorien vorgenommen wurde.184 Mit Bedacht integrierte der Reformator das Regimentsmandat in seine Verteidigungsstrategie und interpretierte es entgegen der Mandatsintention proreformatorisch. Erneut begann er mit der Predigtklausel und verwarf die Auslegung, nur das predigen zu dürfen, was die scholastische Theologie lehre und die römische Kirche approbiert habe.185 Aufgrund der Mandatsrede von der „Christlich kirche“ – und nicht von der „Römischen kirchen“ – sei auf die älteren Kirchenväter wie Augustin, Cyprian und Hilarius zurückzugreifen186 und Augustins Autoritätskriterium der Heiligen Schrift und der hellen Vernunft anzuwenden.187 Diesem und nur diesem Verständnis, das Evangelium zu predigen, wolle er sich anschließen. Zur Untermauerung seiner Argumentation führte Luther den Abfassungszweck des Mandates an, der darauf ziele, ein freies Konzil einzuberufen und die umstrittene Sache dort zu verhandeln.188 Sollte hingegen beabsichtigt sein, lediglich am Alten festzuhalten, „was were eyn Concilium von no(e)tten? Warumb sollt man denn furgeben die sach auff zuschieben auff eyn Concilium, so diß mandat, der meynung nach, schon eyn urteyl gefellet hette, viel gro(e)sser und weytter, denn villeicht das kunfftige Concilium stellen wurde, wens gleich auffs ergist gantz und gar widder uns stellete?“189

Gegen eine solche unlautere und das Volk irreleitende Absicht verwahrte er sich und betonte, er habe seiner Gemeinde das Mandat derart erläutert: Zum einen möge die Ausweitung der reformatorischen Sache bis zu einem Konzil ruhen, zum anderen sollten die Scholastiker von ihren Angriffen gegen die reformatorische Lehre ablassen und zum dritten sei dem Volk „nichts denn das lautter Euangelion“ zu verkündigen.190 Die Predigtaufsicht durch bibelverständige, nur die Heilige Schrift als Maßstab anwendende Bischöfe191 begrüßte Luther ebenso wie die Zensurmaßnahmen von Publikationen durch Gelehrte oder die Obrigkeit.192 Mit Ausnahme 183

WA 12; (58) 62–67. AaO. 62,1–63,9. 185 AaO. 63,10–15. 186 Anders als Luther hatten die geistlichen Reichsstände an die vier Kirchenväter Hieronymus, Augustin, Gregor und Ambrosius gedacht. Vgl. WA 12; 63 Anm. 1. 187 AaO. 63,16–28. Siehe hierzu oben, Kapitel II § 2.2.2. 188 AaO. 63,35–64,1: Auch erzwinget sichs daraus, das dißer verstand zu hallten sey, denn syntemal das mandat endlich darumb ist ausgangen, das eyn frey Concilium angestellet, und ynn des die sache gestillet werde, leydet sichs nicht, das wyr sollten schweigen und mit ihenen den vorigen thand predigen, wie sie es deutten. 189 AaO. 64,2–6. 190 AaO. 64,9–17. 191 AaO. 64,30–65,15 (Der ander Artickel). 192 AaO. 65,16–18 (Der dritte Artickel). 184

§ 15 Die Zurückhaltung bei politischen Konzilsbegehren

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der Übersetzung der Bibel werde er sich dieser Regelung unterwerfen.193 Ablehnend äußerte er sich gegen die der geistlichen Gerichtsbarkeit zugeschriebenen Maßnahmen gegen verheiratete Priester und aus dem Orden ausgetretene Mönche.194 Am Ende seiner kleinen Schrift folgerte Luther, die juristische Widersprüchlichkeit des Mandates gegenüber dem Wormser Edikt erkennend: „Uber das acht ich, das lautts disz mandatts ich Martinus Luther solle billich aus Bepstlichem und Keyserlichem bann und acht seyn, bis auffs kunfftig Concilium. Sonst wust ich nicht, was solcher auffschub seyn sollt, sonderlich, so ich solch artickel bewillige zu hallten.“195

Mit dieser überraschenden Interpretation verlieh er dem Schreiben eine politische Spitze, die den Gesandten Kursachsens am Reichsregiment in Nürnberg, von der Planitz, in diplomatische Bedrängnis brachte.196 Bezüglich des Konzils ging Luther über die auf den Termin und die Institution sich beziehenden Aussagen allerdings nicht hinaus. Entgegen dem anfänglich erwarteten Verhalten agierte Luther in seinen an die politischen Obrigkeiten adressierten Stellungnahmen auffallend zurückhaltend. Weder defi nierte er das Konzil näher noch tätigte er irgendeine Form von Konzilskritik. Vielmehr akzeptierte er das künftige christliche Konzil als rechtmäßige Institution innerhalb seiner Interpretationsstrategie und instrumentalisierte es geschickt für seine Argumentation, so dass ihm von politischer Seite keinerlei Konzilsfeindlichkeit vorgeworfen werden konnte. Diese überraschende Zurückhaltung und pragmatische Beurteilung des geforderten Konzils dürfte zu einem nicht unerheblichen Teil der politischen Rücksichtnahme auf den in seiner Lutherschutzpolitik bedrängten Kurfürsten Friedrich III. geschuldet gewesen sein. Wie Luther abgesehen von diesem „diplomatisch-schlitzohrigen“ Schachzug wirklich über das Konzilsbegehren des Reichstages und des Regiments dachte, äußerte er in seinen Predigten197 und in den bereits oben dargestellten Reformschriften vom Dezember 1523.198 193 Über die Druckschriftenzensur urteilte Luther, sie sei längst überfällig gewesen und von der Wittenberger Universität bereits vor einem Jahr eingeführt worden. Siehe aaO. 65,19–26. 194 AaO. 65,27–67,12 (Der vierde Artickel). 195 AaO. 67,13–16. 196 Vgl. WA 12; 60. 197 WA 11; 121,22–122,3 (Predigt am Pfi ngstdienstag, 26. 5. 1523), besonders aaO. 121,22: Videbimus, quid acturi sint in concilio futuro. – WA 14; 259 f. (Predigt über das 1. Buch Mose, Nr. 31, 27. 9. 1523). Siehe unten, Kapitel VI § 16.2.3. 198 Bereits im Sommer 1523 urteilte Luther im Begleitbrief zu Johann Apels „Defensio pro suo coniugio“ über das Regimentsmandat, zu welchem er bisher geschwiegen hatte, mit den Worten, WA 12; 71,17–22: Scilicet illa est obedientia Caesarei edicti de referenda causa nostra ad Concilium futurum. Nos adhuc quietius agimus, sed si sic perrexerint, nos quoque tandem valefaciemus edicto Caesaris, non quidem exusturi (sicut illi) aut vincturi, aut vi quippiam acturi (hoc enim non est Christianorum), sed verbis et scripturis gloriam verbi

364 VI. Die Popularisierung und Problematisierung der Konzilsthematik in den 1520er Jahren

2. Die polemische Beurteilung des 3. Nürnberger Reichsabschieds Dass die lutherische Glaubensfrage und der Gedanke an ein damit verbundenes Konzil als Urteilsinstanz weiterhin die Reichspolitik auf den unterschiedlichen Ebenen bestimmte, zeigte sich erneut während des 3. Nürnberger Reichstags von 1524. Dort setzte sich als Alternative zum Generalkonzil die Idee durch, den Glaubensstreitigkeiten mittels eines deutschen Nationalkonzils zu begegnen und die als allgemeine Versammlung der deutschen Stände titulierte Institution gegen den kurialen Willen nach Speyer auf den 11. November 1524 einzuberufen.199 defensuri, et Papistarum portenta latius castigaturi. – Ebneter, Luther und das Konzil, 29, der sich an WA 50; 491 orientiert, behauptet: „Als auf dem Reichstag zu Nürnberg im Januar 1523 die Berufung eines allgemeinen freien Konzils auf deutschem Boden gefordert und in Aussicht gestellt wurde, schöpfte Luther neue Hoffnung.“ Weil Luther, wie die vorangehende Analyse zeigt, seine Hoffnung nicht auf das Konzil setzte, sondern lediglich rein kirchenpolitisch-strategisch mit dem Postulat „Konzil“ operierte, sind sowohl Ebneter, als auch Brenner (WA 50; 491) zu korrigieren. 199 Auf dem 3. Nürnberger Reichstag (1524) kam es nach der Ständeaudienz des Kardinals Lorenzo Campeggio, Legat des neuen Papstes Clemens VII., vom 17. März 1524 zu einer intensiven Diskussion über das Konzilsbegehren. Weil Campeggio signalisierte, dass Clemens VII. weder bereit sei, die reichsständischen Gravamina kirchenreformerisch zu akkommodieren, noch der Konzilsforderung Rückhalt gewährte, sondern allein auf die Durchführung des Wormser Edikts in der Religionsfrage drängte, knüpften die Reichsstände in ihren Sitzungen entgegen der kurialen Position an die Konzilsforderung an und trugen, vermutlich durch die Herzöge von Bayern zur Zurückweisung der neuen Lehre eingebracht, den neuen Gedanken eines deutschen Nationalkonzils vor. Der Idee eines deutschen Sonderkonzils als Ansatz zur Lösung der weiterhin von Rom verhinderten Kirchenreformfrage und der Luthersache stimmte nicht nur die altgläubige Ständemehrheit zu, sondern sie fand auch die Unterstützung der lutherfreundlichen Stände, so dass dieser Gedanke neben der Abhaltung eines allgemeinen Konzils in dem für die Konzilsgeschichte bedeutsamen Ständebeschluss vom 5. April Eingang fand (DRTA.JR 4; [499] 500–501). Im Reichsabschied vom 18. April (DRTA.JR 4; 590–613 Nr. 149) wurde unter Rücksichtnahme auf den päpstlichen Legaten terminologisch statt von einem Provinzial- oder Nationalkonzil von einer „gemeine[n] versamlung Teutscher nation“ (aaO. 604,20) gesprochen, welcher die Befugnisse eines Nationalkonzils zugeschrieben wurden (DRTA.JR 4; 515 f. [Entwurf des Abschieds]; 603,10– 605,25 [Abschied bezüglich der neuen Glaubenslehre]). Die allgemeine Versammlung sollte in Speyer zusammenkommen, um dort u. a. über eine Interimslösung in der Glaubensfrage bis zum künftigen „gemeinen freien universals concilii der ganzen Cristenheit“ (aaO. 604,13.22) zu beraten. Gleichzeitig beschlossen die Reichsstände aber auch – anders als noch beim 2. Nürnberger Reichstag –, der Umsetzung des Wormser Edikts „sovil inen muglich“ (aaO. 603,26) nachzukommen. Über den Konzilsdiskurs während des 3. Nürnberger Reichstages vgl. Borth, Luthersache, 144–153; Hoffmann, Konzilsfrage, 66–94; Honée, Idee, 245–272; Kohnle, Reichstag, 204–219. – Bezüglich des Begriffs „Nationalkonzil“ herrschte unter den zeitgenössischen Politikern und Theologen eine terminologische Unschärfe, die ihre Ursache in der nicht näher defi nierten Form und Funktion dieser seitens der Reichsstände neu projektierten Institution hatte. So konnte neben dem Nationalkonzil auch von einer „reichsversamlung“, „gemaine versamlung“ oder „gemaine versamlung des heiligen reichs“ gesprochen werden (DRTA.JR 4; 458). Gerhard Müller titulierte das Nationalkonzil präziser als „Versammlung der [deutschen] Stände zur Behandlung der Religionsstreitigkeiten“ (NBD 1, Ergänzungsbd. 1, LX). Zur Terminologie und zur Entwicklung der Idee jener nie

§ 15 Die Zurückhaltung bei politischen Konzilsbegehren

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Luther, der anfangs sein Desinteresse am Nürnberger Reichstag gegenüber Spalatin bekundet hatte,200 verhielt sich zu der auch von lutherisch gesinnten Ständen 201 unterstützten Idee einer geplanten nationalkonziliaren Versammlung in seinen Schriften und Briefen auffällig still und erwähnte lediglich erneut kritisch das allgemeine Konzilsvorhaben in seinen Predigten.202 Diese Zurückhaltung erklärt sich aus der überraschenden Tatsache, dass Luther der Gedanke des von den Reichsständen protegierten nationalen Konzilsprojektes überhaupt nicht bekannt war! Durch das von Erzherzog Ferdinand als Reichsstatthalter im Namen des Kaisers ausgefertigte Mandatsexemplar vom 18. April 1524 an die Mansfelder Grafen 203 dürfte Luther, der Anfang Juli bereits Gerüchte über das kaiserliche Mandat vernommen hatte,204 über den Inhalt des Dokumentes Ende Juli informiert worden sein.205 Weil Ferdinand in seinem Mandat den Hinweis auf die in Speyer geplante nationale Versammlung durch den Begriff „gemeyn Reichstag“206 ergänzt hatte, konnte es sich für Luther bei der Speyrer Zusammenkunft um nichts anderes als um einen einfachen Reichstag handeln.207 Luther selbst reagierte – anders als 1523 – auf das Mandat äußerst empört und ließ es entsprechend der Praxis der Diskurszensur zusammen mit dem Wormser Edikt unter dem Titel „Zwei kaiserliche uneinige und widerwärtige Gebote

realisierten Veranstaltung vgl. die vorzügliche Studie von E. Laubach, „Nationalversammlung“ im 16. Jahrhundert. Zu Inhalt und Funktion eines politischen Begriffs (MÖSA 38, 1985, 1–48). 200 WAB 3; 241,5–9 Nr. 709 (Luther an Spalatin in Nürnberg, Wittenberg, 1. 2. 1524). Allerdings beklagte er sich Ende Februar, keinerlei Nachrichten vom Reichstag zu erhalten: WAB 3; 248,4–13 Nr. 714 (Luther an Spalatin in Nürnberg, Wittenberg, 23. 2. 1524). Mitte März wusste Luther zu berichten, dass in Nürnberg noch nichts gegen ihn beschlossen sei (WAB 3; 255,5 f. Nr. 721 [Luther an Nikolaus Hausmann, Wittenberg, 14. 3. 1524]) und Anfang Mai, dass in Nürnberg Drohungen entwickelt werden (WAB 3; 283,18 f. Nr. 738 [Luther an Spalatin, Wittenberg, 2. 5. 1524]). – Über Spalatins Tätigkeit in Nürnberg vgl. Höss, Spalatin, 252–256. 201 Weil die Idee des Nationalkonzils durch die antilutherischen Reichsstände eingebracht worden war und auf eine Bekämpfung der als Ketzerei beurteilten lutherischen Lehren zielte, stand Kursachsen der Nationalversammlung skeptisch gegenüber, wollte aber die Verhandlungen in Speyer nicht boykottieren. Siehe DRTA.JR 4; 794 f. Anm. 1. Größeres Interesse an der auch Laien integrierenden Institution, die damit nicht nur terminologisch vermehrt Züge eines Reichstages annahm, zeigten die Reichsstädte Nürnberg und Straßburg. 202 So z. B. in: WA 15; 472,2 (Predigt, 13. 3. 1524); WA 14; 437,14–438,4 (Predigt, 19. 3. 1524); WA 15; 683,24 (Predigt, 14. 9. 1524). 203 WA 15; 244. – Der Erzherzog hatte den Reichsabschied in einem Mandat hinsichtlich der Luthersache und der Türkenhilfe eigens verkündet und dieses mit gut zweimonatiger Verzögerung den Reichsständen zugestellt. Siehe den Wortlaut: DRTA.JR 4; 615–620; WA 15; 272,22–277,19. 204 WAB 3; 315,18–21 Nr. 756 (Luther an Johann Brießmann, Wittenberg, 4. 7. 1524). 205 WA 15; 245. 206 DRTA.JR 4; 616,40 = WA 15; 274,5. 207 Vgl. Brockmann, Konzilsfrage, 231 Anm. 141.

366 VI. Die Popularisierung und Problematisierung der Konzilsthematik in den 1520er Jahren den Luther betreffend“ im August abdrucken.208 Die kaiserlichen Edikte rahmte er durch ein Vor- und Nachwort, welche jetzt jegliche diplomatischen Rücksichtnahmen ausblendeten, und verurteilte die Widersprüchlichkeit des Nürnberger Mandats: 209 „Da bin ich zugleich verdampt und auffs kunfftig gericht gespart, Und sollen mich die deutschen zugleich als eynen verdampten halten und verfolgen und doch wartten, wie ich verdampt soll werden. Das mussen myr yhe truncken und tolle fursten seyn.“210

Während Luther die Idee des Nationalkonzils nicht zur Kenntnis nahm, bekämpfte die Kurie massiv das Vorhaben als weltlichen Eingriff in die kirchlichen Angelegenheiten 211 und erreichte bei Karl V., der aus verfassungsrechtlichen Gründen gegen das Projekt opponierte, das auf den 15. Juli 1524 datierte kaiserliche Edikt von Burgos. Darin verbot der Kaiser alle von den Reichsständen initiierten Konzilien und Disputationen über den Glauben unter Androhung der Acht, womit er auch die Speyrer Nationalversammlung untersagte, und suchte erneut das Wormser Edikt den Ständen einzuschärfen.212 208 WA 15; (241) 254–272. Hinsichtlich der Konzilsthematik muss Bornkamm, Luther in der Mitte, 277 f. korrigiert werden: „Er [Luther] hatte überhaupt nicht in das politische Spiel während der Reichstage eingegriffen, etwa indem er die Hauptforderung der Reformfreunde nach einem Konzil, die er seit langem vertreten hatte, publizistisch unterstützte.“ Der Reformator hatte aber vor allem deswegen nicht in das politische Spiel eingegriffen, weil er u. a. von der Konzilsforderung nicht mehr überzeugt war. 209 WA 15; 254,12–18: Schendlich lautts, das keyser und fursten offentlich mit liegen umb gehen. Aber schendlicher lautts, das sie auff eyn mal zugleich widderwertige gepott lassen ausgehen, wie du hierynnen sihest, das gepotten wird, man solle mit myr handeln nach der acht, zu Wormbs aus gangen, und dasselbige gepott ernstlich volfuren und doch daneben auch das widdergebot annemen, das man auff kunfftigen reichs tag zu Speyer soll aller erst handeln, was gut und bo(e)se sey ynn meyner lere. – Zu korrigieren ist Brenner, WA 50; 492, der in seiner Einleitung übersieht, dass Luther 1. längst vor seiner Schrift „Zwei kaiserliche uneinige und widerwärtige Gebote“ von der Konzilsinstitution als Entscheidungsgremium über seine Lehre abgerückt war und 2. in dieser Schrift überhaupt nicht von einem Konzil, sondern von einem Reichstag spricht! 210 AaO. 254,18–21. – Gegenüber Heinrich von Zütphen in Bremen nannte er das Mandat auch „Crudele mandatum Caesaris“ (WAB 3; 337,13 Nr. 772 [Luther an Heinrich von Zütphen, Wittenberg, 1. 9. 1524]). Erst im Rückblick von 1530 urteilte er gegenüber den in Augsburg versammelten Geistlichen unter Bezugnahme auf den Bauernkrieg über die Speyrer Versammlung, WA 30,2; 274,1–4: Denn yhr wisset noch wol on allen zweifel, wie fur der auffrur der Speyrissche reichstag, mit so herrlicher trostlicher hoffnung ausgeschrieben ward, das alle wellt mit grosser gyr gaffet und hertzlich wartet, es sollte da gut werden [. . .]. 211 Vgl. Pastor, Päpste 4/2, 398–401. 212 Siehe Walch 2 15, 2268–2271 Nr. 744 sowie die an den sächsischen Kurfürsten gerichtete Ausfertigung Förstemann, 204–206 Nr. 81 (Kaiser Karl V. an den Kurfürsten Friedrich zu Sachsen, Burgos, 15. 7. 1524). Karl V. beurteilte den Reichsständebeschluss über das Nationalkonzil als Verfassungsbruch. Vgl. zum Scheitern des Speyrer Nationalkonzils: Borth, Luthersache, 153–160; Kohnle, Reichstag, 220–227; Laubach, „Nationalversammlung“, 3–16; G. Müller, Die römische Kurie und die Reformation 1523–1534. Kirche und Politik während des Pontifi kates Clemens’ VII. (QFRG 38), Gütersloh 1969, 22–29; J. Weizsäcker, Der Versuch eines Nationalkonzils in Speier den 11. November 1524 (HZ 64, 1890, 199–

§ 15 Die Zurückhaltung bei politischen Konzilsbegehren

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3. Die ablehnende Haltung gegenüber dem politischen Konzilsbegehren in der zweiten Hälfte der 1520er Jahre Obwohl das Speyrer Projekt mit der Ablehnung des Kaisers reichspolitisch erledigt war, fand die Konzilsforderung in Form eines allgemeinen Konzils oder einer konzilsähnlichen Nationalversammlung als Zielpunkt einer anzustrebenden Interimslösung in der Glaubensfrage weiterhin Rückhalt unter den Reichsständen. Waren die zu regelnden reichsrechtlichen Interimsbestimmungen äußerst different, so wichen auch die Vorstellungen über die Struktur, Organisation und Machtbefugnisse des konziliaren Gremiums innerhalb der Stände deutlich voneinander ab. So forderte beispielsweise Herzog Georg von Sachsen ein allgemeines Konzil als notwendiges Institut zur Beseitigung der „lutherischen Sekte“ und sprach einem partikularen Reichstag die Kompetenz ab, in Fragen der christlichen Ordnung Änderungen vorzunehmen.213 In ähnlicher Weise schlossen die geistlichen Stände jegliche Reichsversammlung zur Abstellung von kirchlichen Missbräuchen aus und plädierten für ein kirchlich anerkanntes, allgemeines und vom Papst geleitetes Konzil.214 Hingegen postulierten die evangelischen Stände, die aufgrund ihrer „Protestatio“ gegen den Reichsabschied von 1529 den Namen „Protestanten“ erhielten, nicht zuletzt aus taktischen, den Vollzug des Wormser Edikts verzögernden Gründen ein Konzil, welches sie in reformatorischer Weise als freies, christliches Konzil interpretiert wissen wollten.215 Weil die Reichsstände keine ein215). Im Rückblick wurde das Scheitern des Nationalkonzils vielfach in Zusammenhang mit dem Bauernkrieg gebracht. So notierte Luther beispielsweise 1530, WA 30,2; 274,5–9: Aber ewr ratschlag war da voller weisheit, vnd ver schuffs, dass der selbige reichstag, stümpff, schimpfl ich vnd schendlich ward abgekundigt [d. h. abgesagt], Da kam auch flugs drauff die rute, nemlich der Muntzer mit der auffrur, vnd gab euch einen schilling [d. h. Schlag,] den yhr noch nicht vber wunden habe, vnd wir leider noch grossen schaden davon haben [. . .]. 213 Vgl. z. B. Gess 2; 404,19–405,20 Nr. 1146 (Herzog Georg an Kurfürst Johann und Landgraf Philipp, Rochlitz, 2. 10. 1525). Hierin verbindet der sächsische Herzog fälschlich das „Christlich[en] gemeins concilium“ mit einem Versprechen der Stände gegenüber dem Kaiser auf dem Wormser Reichstag, bis zum Konzil keine Neuerungen einzuführen. In: Gess 2; 464,26–466,5 Nr. 1193 (Herzog Georgs Instruktion für Dr. Otto von Pack zum Augsburger Reichstag, Dresden, 26. 12. 1525) beklagte Herzog Georg, dass Änderungen der christlichen Ordnung Sache eines allgemeinen Konzils und nicht eines Reichstages seien. 214 Über die Streitigkeiten zwischen weltlichen und geistlichen Ständen auf dem 1. Reichstag zu Speyer berichtet der sächsische Gesandte Otto von Pack: Gess 2; 565,8–569,26 Nr. 1276 (Otto von Pack an Herzog Georg, Speyer, 2. 7. 1526), insbes. 566,31–39. 215 Siehe z. B. „Protestation“ der evangelischen Stände in: DRTA.JR 7,2; (1273,7–1288 [Die erweiterte Protestation, 20. 4. 1529]), 1286,16–1287,20; Die Appellation und Protestation der evangelischen Stände auf dem Reichstage zu Speier 1529, hg. von J. Ney (QGP 5), (Leipzig 1906) Nachdruck Darmstadt 1967. – Zur Entwicklung der evangelischen Bündnisund Bekenntnispolitik nach dem Speyrer Reichstag vgl. u. a. Kohnle, Reichstag, 376–380 u. ö.; H. von Schubert, Beiträge zur Geschichte der evangelischen Bekenntnis- und Bündnisbildung 1529/30 (ZKG 29, 1908, 323–384; ZKG 30, 1909, 28–78. 271–351); Ders., Die

368 VI. Die Popularisierung und Problematisierung der Konzilsthematik in den 1520er Jahren deutige theologische und konzilsorganisatorische Klärung des Konzilsbegriffes vornahmen, konnte ein offener Dissens zwischen altgläubiger und reformatorischer Konzilsinterpretation in den 1520er Jahren vermieden werden. Somit war mittels des „dissimulierenden“ Konzilsbegriffes eine begriffl iche Übereinstimmung signalisiert, die sachlich aber nicht vorhanden war.216 Luther befasste sich in den folgenden Jahren nicht weiter mit der politischen Konzilsforderung, die auf den Reichstagen in Augsburg (1525/26) 217 und Speyer (1526) 218 thematisiert und in den Abschieden proklamiert wurde. Lapidar urteilte er gegenüber Wenzeslaus Link über die erste Reichsversammlung in Speyer: „Der Reichstag zu Speyer ist nach der gewöhnlichen Weise, wie die Deutschen Reichstage zu halten pflegen. Man trinkt und spielt, weiter nichts.“219

Der für die reformatorischen Stände günstige Abschied in Speyer, der die bekannte Kompromissformel enthielt, bis zum kommenden Konzil oder der Nationalversammlung sei es betreffs der Defi nition des Wormser Edikts jedem Stand überlassen, „für sich also zu leben, zu regieren und zu halten, wie ein

Anfänge der evangelischen Bekenntnisbildung bis 1529/30 (SVRG 143), Leipzig 1928; W. Steglich, Die Stellung der evangelischen Reichsstände und Reichsstädte zu Karl V. zwischen Protestation und Konfession 1529/30. Ein Beitrag zur Vorgeschichte des Augsburgischen Glaubensbekenntnisses (ARG 62, 1971, 161–192). 216 Eine differenzierte, die reichspolitischen Stellungnahmen der 1520er Jahre in den Blick nehmende Klärung von dem, was die jeweiligen Reichsstände unter den Begriffen „allgemeines Konzil“, „freies, christliches Konzil“ oder „Nationalversammlung“ verstanden, ist Aufgabe einer eigenständigen, hier nicht zu leistenden Untersuchung. Vgl. die skizzenhaften Bemerkungen von Brockmann, Konzilsfrage, 228–240. Über die Bedeutung „dissimulierender“, mehrdeutiger Rechtstermini in der Reformationszeit vgl. M. Heckel, Die Krise der Religionsverfassung des Reiches und die Anfänge des Dreißigjährigen Krieges (in: K. Repgen [Hg.], Krieg und Politik 1618–1648. Europäische Probleme und Perspektiven [Schriften des Historischen Kollegs, Kolloquien 8], München 1988, 107–131), 115–118. 217 Zur Politik im Vorfeld und während des von den Fürsten kaum besuchten Augsburger Reichstages von 1525/26 vgl. u. a. W. Friedensburg, Zur Vorgeschichte des Gotha-Torgauischen Bündnisses der Evangelischen 1525–1526, Marburg 1884; Kohnle, Reichstag, 248– 256. 218 Über den 1. Reichstag von Speyer und dessen Rezeption vgl. W. Friedensburg, Der Reichstag zu Speier 1526. Im Zusammenhang der politischen und kirchlichen Entwicklung Deutschlands im Reformationszeitalter (Historische Untersuchungen 5), Berlin 1887; Ders., Die Reformation und der Speierer Reichstag von 1526 (LuJ 8, 1926, 120–195); F. Haffner, Die Konzilsfrage auf dem Reichstag zu Speyer 1526 im Spiegel der damaligen aussen- und innenpolitischen Situation (BPf KG 37/38, 1970/71, 59–201); Kohnle, Reichstag, 257–271. 277–362. – Auf dem von den Fürsten gemiedenen Regensburger Reichstag von 1527 wurde die Konzilsforderung im Reichsabschied nicht aufgeworfen. Siehe DRTA.JR 7,2; 999,21– 1005,16 Nr. 23 (Der Abschied, 18. 5. 1527). Vgl. Kohnle, Reichstag, 272–276. 219 WAB 4; 109,9 f. Nr. 1033 (Luther an Wenzeslaus Link in Nürnberg, [Wittenberg,] 28. 8. 1526): Spirae Comitia sunt more solito Germanis comitia celebrandi, potatur et luditur, praeterea nihil.

§ 15 Die Zurückhaltung bei politischen Konzilsbegehren

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jeder solches gegen Gott, und ka(e)serl. Majesta(e)t hoffet und vertraut zu verantworten“220, war für Luther fast bedeutungslos.221 Ähnlich verhielt es sich mit dem Reichstag von Speyer (1529).222 Am Tag der Reichstagseröffnung, dem 15. März 1529, schrieb Luther Nikolaus von Amsdorf optimistisch, dass er bezüglich des Reichstages gute Hoffnung habe. Aus dieser positiven Haltung heraus stimmte er hinsichtlich eines Konzils erstmals seit langem etwas freundlichere Töne an: Auch ein Konzil könne nicht viel schaden, wenn es zusammenkomme, „obwohl mir das weder wahrscheinlich noch glaubhaft erscheint“.223 Keine zwei Monate später urteilte er gegenüber Link in Nürnberg nach Verkündung des Abschieds: „Von dem Konzil, von dem gesprochen wird, können wir nichts hoffen.“224 Diese die politischen Konzilsbegehren kritisch betrachtende Haltung behielt Luther in der Folgezeit bei.225 Erst in den 1530er Jahren 220 Neue und vollständigere Sammlung der Reichs-Abschiede. 2. Teil, Frankfurt am Main 1747, 274; Siehe auch Walch 2 16, 208–223 Nr. 809 (Abschied und Receß des Reichstages zu Speier, 27. 8. 1526). 221 Luther thematisierte den Speyrer Reichstag darüber hinaus in WAB 4; 109,5 f. Nr. 1032 (Luther an Michael Stifel in Tolleth, Wittenberg, 11. 8. 1526); aaO. 111,5–9 Nr. 1034 (Luther an Spalatin, [Wittenberg, Ende 8.1526]). Im Blick auf die unterlassene Durchführung des Wormser Edikts erwähnte er in einem Gutachten an Kanzler Brück den Speyrer Reichstag: WAB 4; 422,41–46 Nr. 1246 (Luther an Kanzler Brück, [Torgau, 28. 3. 1528]). 222 Zum 2. Speyrer Reichstag vgl. DRTA.JR 7,1; 478–880; DRTA.JR 7,2; passim; Kohnle, Reichstag, 363–375; J. Kühn, Die Geschichte des Speyrer Reichstags 1529 (SVRG 146), Leipzig 1929. 223 WAB 5; 40,8 f. Nr. 1396 (Luther an Nikolaus von Amsdorf in Magdeburg, [Wittenberg,] 15. 3. 1529): De Comitiis spero bene, neque Concilium valde nocere poterit, si fi at, quamvis fieri mihi non sit verisimile neque credibile. 224 WAB 5; 62,10–13 Nr. 1416 (Luther an Wenzeslaus Link in Nürnberg, [Wittenberg,] 6. 5. 1529): Finita sunt iterum Comitia, sed nullo paene fructu, nisi quod christomastiges et psychotyranni suum furorem non potuerunt explere. Quod nobis satis est a Domino impetrasse; nam de Concilio, quod dicitur, nihil est, quod speremus. 225 In seinem Gutachten über die Frage nach dem bewaffneten Widerstand gegen den Kaiser vom Dezember 1529 verwies Luther auf ein Konzil oder ein Verhör als politisch vorgesehene Urteilsinstanzen. Siehe WAB 5; 209,28–31 Nr. 1511 (Luther an Kurfürst Johann, [Wittenberg,] 24. 12. 1529): Zum andern, Wenn gleich der keiser des gemuetes were, das er mit gewalt widder das Eüangelion faren wolt on Concilio vnd on verhöre, So mag man dennoch nicht mit gutem gewissen zu felde zihen, Gott gebe, der keiser gebe weiter vngnedige odder gar keine antwort. – Die Konzilsforderung der Reichsstände erwähnten Luther und Melanchthon als Argument für die Nichtverurteilung der evangelischen Lehre durch das Reich in ihrem „Bedenken auf den Tag zu Nürnberg“, WAB 12; 109,66–78 Nr. 4235 (Luther und Melanchthon, [Wittenberg, Dezember 1529]). Vgl. zur Widerstandsproblematik bei Luther u. a. D. Böttcher, Ungehorsam oder Widerstand? Zum Fortleben mittelalterlichen Widerstandsrechts in der Reformationszeit (1529–1530) (Historische Forschungen 46), Berlin 1991; H. Dörries, Luther und das Widerstandsrecht (in: Ders., Wort und Stunde. Bd. 3: Beiträge zum Verständnis Luthers, Göttingen 1970, 195–270); Ebeling, Luthers Seelsorge, 63–77; H. Kunst, Evangelischer Glaube und politische Verantwortung. Martin Luther als politischer Berater seiner Landesherrn und seine Teilnahme an den Fragen des öffentlichen Lebens, Stuttgart, 225–261; G. Müller, Luthers Beziehungen zu Reich und Rom (LWML, 369–401. 849–860), 378–380; H. Scheible (Hg.), Das Widerstandsrecht als Problem der

370 VI. Die Popularisierung und Problematisierung der Konzilsthematik in den 1520er Jahren vertiefte er die Thematik wieder im Rahmen der in realistische Nähe rückenden Konzilsausschreibung.

deutschen Protestanten 1523–1546 (TKTG 10), Gütersloh 1969; Schwarz, Luther, 170–175. 180–185; W.D. J. Cargill Thompson, Luther and the right of resistance of the emperor (SCH[L] 12, 1975, 159–202).

§ 16 Die Popularisierung des Konzilsthemas auf der Kanzel und in Sermonen Den Dreh- und Angelpunkt von Luthers vielfältigem Wirken in den Jahren der beginnenden Gemeindereformation bildete seine kontinuierliche Predigttätigkeit. Als „Ecclesiast“ oder Prediger zu Wittenberg,226 der in der Regel in der Stadtkirche das Wort Gottes verkündigte, aber auch auf Reisen unermüdlich die Kanzeln betrat, unterrichtete er seit seiner Rückkehr von der Wartburg im Frühjahr 1522 die versammelten Christenmenschen grundlegend in der reformatorischen Glaubenslehre und suchte seine Hörer durch das Evangelium sowohl im Glauben zu erbauen als auch zur Liebe anzutreiben, wodurch er die christliche Gemeinde zu bauen gedachte.227 Mit seiner neu einsetzenden Predigttätigkeit 1522 trat ein in der Publizistik bis dahin unbekanntes Phänomen auf, welches das ausgeprägte Interesse an Luthers Predigten und ihren Einfluss auf die evangelische Bewegung bezeugt. Manuskripte von heute vielfach verschollenen Mit- oder Nachschriften von Lutherpredigten – die Nachschriften Georg Rörers sind immerhin erhalten geblieben – gelangten an bedeutende Druckorte außerhalb Wittenbergs und wur226 Z. B. WA 10,2; 105,2 f.: Martinus Luther von Gotis gnaden Ecclesiastes tzu Wittemberg. – Gegen Luthers Schrift „Wider den falsch genannten geistlichen Stand des Papsts und der Bischöfe“ hatte Hieronymus Emser unter Aufnahme der Selbstbezeichnung die polemische Streitschrift veröffentlicht „Wider den falsch genannten Ecclesiasten und wahrhaftigen Erzketzer Martin Luther“, abgedruckt in: Flugschriften gegen die Reformation (1518– 1524), hg. von A. Laube unter Mitarbeit von U. Weiß, Berlin 1997, 456–479 (-483). 227 Zu Luthers Predigttätigkeit vgl. S. Bei der Wieden, Luther Predigten des Jahres 1522. Untersuchugen zu ihrer Überlieferung (AWA 7), Köln/Weimar/Wien 1999; H. Zschoch, Art. C.I.7. Predigten (LuH, 315–321). In historisch-biographischer Weise befassen sich mit dem Prediger Luther u. a. die Arbeiten von H. Werdermann, Luthers Wittenberger Gemeinde wiederhergestellt aus seinen Predigten. Zugleich ein Beitrag zu Luthers Homiletik und zur Gemeindepredigt der Gegenwart, Gütersloh 1929; P. Meinhold, Luther und die Predigt (in: H. Balz und S. Schulz [Hg.], Das Wort und die Wörter. FS für Gerhard Friedrich, Stuttgart/Berlin/Köln/Mainz 1973, 113–126). Auf ihren dogmatischen Gehalt oder ihre homiletische und rhetorische Struktur untersuchen die Predigten u. a. U. Asendorf, Die Theologie Martin Luthers nach seinen Predigten, Göttingen 1988; A. Beutel, Caput doctrinae Christianae. Zu Luthers Predigt vom 13. Dezember 1528 (in: Ders. und V. Drehsen [Hg.], Wegmarken protestantischer Predigtgeschichte. Homiletische Analysen, Tübingen 1999, 13–26); Bornkam, Luther in der Mitte seines Lebens, 180–205; Ebeling, Evangelische Evangelienauslegung, (1942) 31991; E. Herms, Das Evangelium für das Volk. Praxis und Theorie der Predigt bei Luther (in: Ders., Offenbarung und Glaube. Zur Bildung des christlichen Lebens, Tübingen 1992, 20–55); Stolt, Rhetorik, 62–83.

372 VI. Die Popularisierung und Problematisierung der Konzilsthematik in den 1520er Jahren den dort bearbeitet und gedruckt. Während Luther selbst seine Predigten nicht für den Druck vorbereitete, sondern lediglich ausgewählte Predigten zu Traktaten ausgestaltete, hatten diese in einen Fließtext gegossenen Predigten und Sermone, die oft unter einem thematischen Titel kursierten und bis nach Skandinavien, Frankreich und in die Niederlande verbreitet wurden, einen erheblichen Anteil an der Ausbreitung der Reformation als Predigt- und Flugschriftenbewegung.228 Für die Frage nach Luthers Umgang mit der Konzilsthematik in der mündlichen Kanzelrede kommt einerseits den von Rörer aufgezeichneten, andererseits den bearbeiteten und nachgedruckten Predigtmitschriften erhebliches Gewicht zu. Denn durch sie wird es überhaupt möglich zu untersuchen, wie Luther im Gemeindekontext auf die Mehrdimensionalität der Konzilsproblematik einging und in welcher Weise er die konziliare Kirchenversammlung popularisierte. Auch wenn der authentische Überlieferungswert der Predigtmitschriften, die, ihres unmittelbaren Wirkungskontextes und der Predigtsituation enthoben, vielfach unautorisiert in den Druck gingen, geringer als der von originalen Lutherschriften ist und daher methodisch bedacht sein will,229 besteht an dem lutherischen Gehalt der grundlegenden Gedankengänge in dieser Schriftengattung und ihrem hohen reformationsgeschichtlichen Wert, den sie für den evangelischen Kommunikations- und Konsolidierungsprozess über Wittenberg hinaus hatten, kein Zweifel.

228 Vgl. Schwarz, Luther, 120; Zschoch, Predigten, 317. Es ist das große Verdienst von Bernd Moeller, die Bedeutung der Symbiose von Buchdruck und städtischer Predigt bzw. Lutherpredigt für den Erfolg der Reformation mit ihren spezifi schen Modifi zierungen erkannt und eingehend untersucht zu haben. Vgl. exemplarisch B. Moeller, Was wurde in der Frühzeit der Reformation in den deutschen Städten gepredigt? (ARG 75, 1984, 176–193); Ders., Das Berühmtwerden Luthers (ZHF 15, 1988, 65–92); Ders., Stadt und Buch. Bemerkungen zur Struktur der reformatorischen Bewegung in Deutschland (in: W. J. Mommsen [Hg.], Stadtbürgertum und Adel in der Reformation [Veröffentlichungen des deutschen Historischen Instituts London 5], Stuttgart 1979, 25–39); Ders. und K. Stackmann, Städtische Predigt in der Frühzeit der Reformation. Eine Untersuchung deutscher Flugschriften der Jahre 1522 bis 1529 (AAWG.PH 220), Göttingen 1996. 229 Bei der Wieden, Predigten, 3 differenziert völlig zu Recht zwischen den Predigten selbst und deren Überlieferung, problematisiert die zum Teil sehr unterschiedlichen Textgestalten der Predigtdrucke bei einer einzigen Lutherpredigt und hinterfragt, ob und inwieweit überhaupt diese Drucke das gesprochene Kanzelwort wiedergeben. Positiv notiert sie, dass die Druckvarianten „Wandlungen und Akzentuierungen der Theologie Luthers abseits des fachtheologischen Disputs“ wiedergeben und somit die Rezeption von Lutherpredigten bezeugen. Überhaupt sind die quellenkritischen Probleme, auf die Bei der Wieden, Predigten, 19–24 in ihrer auf 1522 konzentrierten Grundlagenstudie hinweist, elementar und heute Voraussetzung für jegliche weitere Beschäftigung mit den Predigtdrucken. Vgl. auch den die quellenkritischen Aspekte der Predigten Luthers bedenkenden Aufsatz von P. Ferry, Martin Luther on Preaching. Promises and Problems of the Sermon as a Source of Reformation History and as an Instrument of the Reformation (CThQ 54, 1990, 265–280).

§ 16 Die Popularisierung des Konzilsthemas auf der Kanzel und in Sermonen

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Weil in der Forschung bisher nur vereinzelte Predigten exemplarisch auf die Konzilsthematik hin untersucht wurden,230 eine gesamte Erschließung aber bisher nirgends vorgenommen wurde, ist eine Untersuchung der Predigten auf diese Thematik hin dringend angezeigt. Eine Analyse der Predigten dürfte Aufschluss darüber geben, in welcher Weise sich Luther mit dem Konzil in jenen Jahren vor dem Forum der gemeindlichen Öffentlichkeit befasste, wie er sie situativ und kirchenpolitisch aktualisierend in seiner Kanzelrede verhandelte und ob Unterschiede und neue Akzente gegenüber seinen Schriften sichtbar werden. Folglich sind die gesamten Predigten – inklusive der quellenkritisch differenten Postillen, ausgearbeiteten Reihenpredigten und Sermonen 231 – auf die Stichworte Konzil und Synode hin zu untersuchen und ist die Frage zu beantworten, in welchem Bezugsrahmen sich der Prediger Luther zum Konzil äußerte. Darüber hinaus ist zu fragen: In welcher Form brachte er das Konzil der Gemeinde nahe und welche homiletische Intention verfolgte er hierdurch? Wie äußerte er sich zu historischen Konzilien und welche exegetischen Beobachtungen teilte er insbesondere zum Prototyp des Konzils, dem Apostelkonzil, mit? Und ließ er – anders als in seinen Schriften – seine 1520 noch propagierte reformatorische Konzilstheologie auf der Kanzel aufleben? Weil das chronologische Vorgehen auch in dieser Untersuchung berücksichtigt werden soll, werden in diesem Kapitel die Predigten der 1520er Jahre mit einem deutlichen Schwerpunkt auf den reformatorischen Gemeindeauf bruchsjahren 1522 bis 1524 darzustellen und, um zahlreiche Dubletten zu vermeiden, möglichst systematisch zu ordnen sein.

1. Die Konzilspredigt (1522) Abgesehen von den im Rahmen der Studie bereits vorgestellten und untersuchten Sermonen hatte Luther in den für den Druck ausgearbeiteten Predigten bis zum Sommer 1522 lediglich beiläufig Bezug auf einzelne Konzilien genommen 232 oder sich von ihnen allgemein im Zusammenhang mit den die Heilige 230 Dies trifft insbesonders für die im Juni 1524 gehaltene Predigt zum Apostelkonzil zu, die erst jüngst mehrfach eingehend analysiert und mit der Schrift „Von den Konziliis und Kirchen“ verglichen wurde. Vgl. Th. Brockmann, Luther und das Apostelkonzil (Apg 15) (ZKG 114, 2003, 303–322); B. T. Oftestad, Evangelium, Apostel und Konzil. Das Apostelkonzil in der Sicht Luthers und Melanchthons (ARG 88, 1997, 23–56); Sieben, Die katholische Konzilsidee, 23–32. Siehe auch unten, Kapitel VII § 20.3.2. 231 Die Ausweitung der Untersuchung auf die von Luther autorisierten oder von ihm ausgestalteten Predigten macht insofern Sinn, als sie aus der Kanzelrede hervorgingen und die Predigtsituation vielfach noch mitbedachten. 232 Auf den Apostelkonvent nach Act 6 nahm Luther in WA 9; 525,8 f. (Predigt, 26. 12. 1520), auf das Konstanzer Konzil in WA 10,1/2; 96,16 (Adventspostille, „Euangelium am

374 VI. Die Popularisierung und Problematisierung der Konzilsthematik in den 1520er Jahren Schrift und Christus verdunkelnden papstkirchlichen Autoritäten distanziert.233 Der zentrale Grund für Luthers verhaltene homiletische Konzilsrezeption beruhte in der frömmigkeitspraktischen Dimension der Evangeliumsverkündigung, die er in Ausrichtung auf die beiden in vielfältiger Weise intonierten und variierten reformatorischen Grundthemen Glaube und Liebe entfaltete und der hörenden wie lesenden Christengemeinde einzuschärfen gedachte.234 Erst seit Juni 1522, als Luther zunehmend die Notwendigkeit sah, die neue Glaubenslehre deutlicher als bisher sowohl gegen die traditionellen Kirchenlehren als auch gegen die sich formierenden schwärmerischen Strömungen abzugrenzen und im Gegenzug die individuelle Urteilsfähigkeit des Christenmenschen und der Gemeinde zu fördern, trat das Konzilsthema stärker in Luthers Predigthorizont. Am 10. August 1522, dem 8. Sonntag nach Trinitatis, nutzte er in seiner Predigt über die Perikope Mt 7,15–20 die Gelegenheit, ausführlich über die Gewalt und Autorität des Evangeliums und über die Kraft der Konzilien zu handeln. Sie erschien in mehreren Drucken, von denen die in Augsburg durch Melchior Ramminger hergestellte Ausgabe den Titel trug „Ain Sermon. Kürtzlich geprediget vonn Do. Mar. Lut. Und dar bey den versta[n]d, wie vil kraft die hailigen Eua[n]gelia, über die Concilio habent“235 und diente vermutlich als Vorbild für die Ende des Jahres 1522 anonym publizierte Flugschrift „Ein kurzer Bericht von einem zukünftigen Konzil“.236 Zur raschen Skizzierung und Systematisierung der zentralen Aussagen soll neben Luthers als „Konzilspredigt“ bekannt gewordene Auslegung von Mt 7,15–20 auf weitere, das Stichwort Konzil enthaltene Predigten des Jahres 1522 eingegangen werden.

andern sontag ym Advent“); aaO. 154,7 (Adventspostille, „Am dritten sontag des Advents Euangelium“) Bezug. 233 WA 9; 377,20 (Scholia in librum Genesis, 1519–1521); WA 10,1/1; 168,2 (Kirchenpostille, Epistel am Christtag). 234 Den Grundtenor seiner Predigten fasste der Reformator in dem Satz zusammen, WA 10,3; 361,13 f. (Sermon zu St. Michael zu Erfurt getan vom Glauben und Werken, 21. 10. 1522): Glaub got, Hylff deynem nechsten, das lert das gantz euangelion. – Vgl. Bornkamm, Luther in der Mitte seines Lebens, 182–195 u. ö. 235 WA 10,3; CXXXVIII. Diesen Titel trugen auch die vermutlich vom Augsburger Druck abhängigen Erfurter Drucke von Matthes Maler und Ludwig Trutebul sowie ein Straßburger Druck. Vgl. zur Druckgeschichte WA 10,3; CXXXVII-CXLI und genauer: Bei der Wieden, Predigten, 282–289. Der Sermon ist abgedruckt unter der Nr. 43 in WA 10,3; 257–268, sowie in Stephan Roths Sommerpostille von 1526 unter Berücksichtigung von Mt 7,21 (WA 10,1/2; 332–340). 236 A. Laube (Hg.), Flugschriften der frühen Reformationsbewegung (1518–1524). Bd. 1, Berlin/Vaduz 1983, 191–200.

§ 16 Die Popularisierung des Konzilsthemas auf der Kanzel und in Sermonen

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1.1. Das Konzil als Teil des päpstlich-kirchlichen Systems Grundvoraussetzung für Luthers kanzeltheologischen Interpretationsrahmen war die ausschließliche Wahrnehmung des allgemeinen Konzils als Bestandteil des römischen Kirchensystems, von dem er sich jetzt radikal abgrenzte. Diese Distanzierung vollzog er selbstkritisch auch bei seinen eigenen Büchern, in denen er einst innerhalb des römischen Kirchenwesens bleibend den kirchlichen Institutionen – nicht zuletzt dem Konzil – Autorität zugebilligt hatte. In seiner Vorrede an die seine Bücher unautorisiert publizierenden Drucker beklagte Luther im „Sermon von dem reichen Mann und armen Lazarus“ 1522 pauschal: „Wollt Gott, ich hett meyner bu(e)cher das mehrer teyl widder heym, ßonderlich darynnen ich Bapst, Concilia und der gleychen noch viel zu geben habe.“237 Mit dieser deutlichen Selbstzensur destruierte er alle Funktionen und Wirkweisen der genannten kirchlichen Institutionen. Dass Luther das Konzil in seinen Predigten von 1522 nicht nur undifferenziert als Bestandteil des römischen Kirchensystems verstand und deshalb verwarf, sondern ihm auch zusammen mit dem Papst die zentrale negative Leitungs- und Entscheidungsfunktion der Kirche zuschrieb, welche gut 1000 Jahre die Glaubenslehren bestimmt und beurteilt und somit über die Gläubigen entmündigend geherrscht hätte,238 lag ganz auf seiner antirömischen Kontrastlinie. Gegen diese vor der Leipziger Disputation bezüglich des Papstes entwickelte Dekadenzlehre, die sich in den Konzilien und geistlichen Würdenträgern manifestiert hatte, kontrastierte Luther das aus dem Evangelium neu gewonnene Glaubensverständnis und Glaubensrecht, das die mündige Individualität und geistliche Urteilskraft des einzelnen Christenmenschen betonte. So verbalisierte er diese zuvor in seiner Instruktion für den Altenburger Rat propagierte Lehraussage jetzt in seiner Predigt am Pfi ngstdienstag, dem 10. Juni 1522,239 in 237 WA 10,3; 176,15–17 (Sermon von dem reichen Mann und dem armen Lazarus, 22. 6. 1522). – In der Vorrede (aaO. 176,1–17) kritisierte Luther das Verfahren verschiedener Drucker, die Luthers Predigten ohne Kenntnis des Predigers aus Nachschriften zu Sermonen gestalteten und außerhalb Wittenbergs publizierten. Luther verwahrte sich gegen diese Praxis und bat um vorherige Autorisierung der Drucke, sollte sein Name genannt werden. Dass durch diese Tätigkeit Luthers Gedanken einem weiten Lesepublikum bekannt wurden und zur Ausbreitung der evangelischen Bewegung beitrugen, hatte Luther bei dieser Druckerschelte nicht im Blick. 238 WA 10,3; 258,9–11 (1522): Es ist wol Tausent iar das wir nicht haben macht gehabt zu urteylen, sunder haben ein mu(e)ssen nemen als gerecht alles das der Bapst und Concilia bestimpt haben. – Siehe auch WA 10,1/2; 334,10–13 (Roths Sommerpostille, 1526); WA 10,3; 358,26–31 (1522). 239 Die Perikopenpredigt über Joh 10,1–11 fi ndet sich verkürzt in Roths Sommerpostille (WA 10,1/2; 287–292) und in Crucigers Neubearbeitung der Sommerpostille von 1544 (WA 21; 497,6–507) sowie als Predigtdruck des Jahres 1522 unter der Nr. 30 (WA 10,3; 170–175). Bei der Darstellung wird auf den Predigtdruck zurückgegriffen. Zur Predigt und Textgeschichte vgl. Bei der Wieden, Predigten, 218–223.

376 VI. Die Popularisierung und Problematisierung der Konzilsthematik in den 1520er Jahren der er grundlegende Aussagen zum allen Glaubenden anvertrauten Predigtamt in Abgrenzung zum Amtsverständnis der römischen Kirche und zur spiritualistischen Predigtweise der Schwärmer traf.240 Bezüglich der Verhältnisbestimmung von geistlichem Amt und Gemeinde schärfte er in Auslegung von Joh 10,3–5 seinen Hörern ein: Es seien zwei Stücke zu lernen, „Libertas credendi und Auctoritates Judicandi, Ein freyheit des glaubens und gwalt zuurteylen.“241 Während „unser dieb und mo(e)rder“ betont hätten, man dürfe nur den Urteilen und Beschlüssen der kirchlichen Konzilien und scholastischen Gelehrten glauben,242 lege das Evangelium ( Joh 10,1– 11) „allhie alle Concilia, alle Bapstliche gesetz [nieder], das wir nichts anemen an [ohne] urtheyl“, sondern zu urteilen Macht haben und dieses Urteil bei uns feststehe.243 An dieser positiven Fähigkeit des einzelnen Christen und der Gemeinde, die rechte Lehre theologisch beurteilen zu können, relativierten sich alle exklusiven Jurisdiktionsansprüche der geistlichen Würdenträger und der kirchlichen Konzilien. Wenige Wochen später befasste sich Luther innerhalb seiner Konzilspredigt erneut mit der für das evangelische Gemeindeverständnis zentralen Thematik des christlichen Urteilsvermögens.

1.2. Die Konzilsbeschlüsse als ungeistliche Menschenlehre Jetzt entfaltete und begründete Luther seine Überlegungen zur individuellen Urteilsfähigkeit des Christen und schärfte seinen Hörern die reformatorischen Prinzipien sola scriptura und sola fide ein. In radikaler Weise bestritt er den kirchlichen Exklusivanspruch auf Urteilsgewalt sowie die Autoritätsanmaßungen von Papst und Konzil mit Verweis auf Mt 7,15: 244

240

Siehe WA 10,3; 170,1–172,28. WA 10,3; 173,17–19. Nach Roths Bearbeitung in WA 10,1/2; 290,1 f. lautete der Textausschnitt präziser: die freyhait zu glauben unnd gewalt zu urthailen. 242 WA 10,3; 173,19–23. Siehe auch WA 10,1/2; 290,2–6. 243 WA 10,3; 173,24–174,6; WA 10,1/2; 290,10–24. Es wäre eine eigene, über Bei der Wieden hinausgehende Untersuchung wert, die Aussagen der Predigtfassungen zu vergleichen und im Rahmen der theologischen Entwicklungslinien von Luther und seinen Bearbeitern zu interpretieren. 244 Einleitend hatte Luther in impliziter Anspielung auf die Wittenberger Gemeindesituation die exegetische Kontextualisierung von Mt 7,15 vorgenommen, WA 10,3; 257,5–13: Do der her in disen dreyen gemelten Capittel [Mt 5–7] [. . .] auß gelegt het die gepot gottes, hatt er entlich beschlossen also: ‚was Ir wollet das euch die menschen thuen sollen, das selb thut yn auch‘. Das ist die rain Christlich lere, darumb folget nun das Euangelium in welchen er pflegt das ampt eines guten hirten und lerers und warnet, das wir uns hu(e)tten sollen vor falschen leren, Als solt er sagen: Ir habt nun die recht lere, darumb hyn furt so huet euch vor andern leren, dan gewiß ists, es werden bo(e)se lerer und falsch Propheten auff steen, wann das wort gepredigt wirdt. 241

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„Aber das ist das Euangelium, welches das Babstumb und alle Concilia zu grundt und zu boden stosset, da mit wir nicht schuldig zuhalten seyn was der Babst gebeutet oder menschen setzen.“245

Insbesondere verdeutliche das Evangelium, dass weder Papst noch Konzilien der Befehl gegeben sei, zu beschließen, was zu glauben sei. Vielmehr enttarne es sie als falsche Propheten.246 Denn spätestens in der Sterbesituation könne man nicht auf die irrtumsfähigen und zweifelhaften Beschlüsse und Aussagen von Papst und Konzilien bauen, sondern müsse eigenverantwortlich seinen Glauben in Gottes Wort gegründet haben.247 In existentieller Weise unterstrich Luther so die einem jeden Christen aus der Heiligen Schrift zukommende Fähigkeit und Notwendigkeit der Lehrunterscheidung und Lehrbeurteilung und kritisierte wiederholt die gegen das göttliche Wort streitenden traditionell kirchlichen Autoritäten als unglaubwürdige menschliche Institutionen, auf die kein Verlass sei.248 In der allein auf Christus als „dein helffer und erlo(e)ser“249 fokussierten Perspektive entwand Luther den als rein menschlichen Einrichtungen charakterisierten Konzilien jegliche Relevanz für den christlichen Glauben und eignete die Unterscheidung der Lehre unter Bezug auf I Kor 2,15 dem geistlichen Menschen zu.250 Diese auf die Konzilsbeschlüsse als reine Menschenlehre reduzierten Aussagen,251 die Luthers konzilskritische, hier geradezu antikonziliaristische Linie in der evangelischen Bewegung zu popularisieren halfen, gipfelten in der polemischen Aussage:

245 WA 10,3; 258,11–13; WA 10,1/2; 334,13–15. Da die Parallelstellen in der Sommerpostille nur wenige Unterschiede aufweisen, sei in den folgenden Anmerkungen auf eine Parallelnotierung verzichtet. 246 WA 10,3; 258,13–18: Darumb sage ich noch einmal: fast dises Euangelium wol, dann es ist weder dem Babst noch dem Concilien noch niemants auff erden der befelch zugeben, das er setz und beschließ was zu gelauben sey, und der herr spricht: hu(e)ttet euch vor yn. Das Euangelium muß ligen [= lügen] oder der Babst mit den Concilien, dann der Babst spricht: wir allein haben zu urteylen wes du dich halten solst. 247 AaO. 259,2–18. Den Hinweis auf die existenzielle Anfechtung des Glaubens in der Todesstunde, in der ein auf traditionelle Kirchenlehren und Konzilsbeschlüsse beruhender Glaube in „teufl ische Zweifel“ gerate, führte Luther wiederholt als Argument für die Notwendigkeit des Glaubenswissens von Gottes Wort an. WA 12; 360,15–23 (Epistel S. Petri gepredigt und ausgelegt. Erste Bearbeitung 1523); WA 12; 415,17–28 (Predigt, 11. 1. 1523). 248 WA 10,3; 260,22–261,2: Darumb das wort das mich got lert, da laß ich mich nit von dringen, als wenn mann spricht: dreu(e) und zwey machen fu(e)nffe, das ist gewiß und offentlich, Wenn alle Concilia anders beschlu(e)ssen, so weiß ich dennocht das sie liegen. 249 AaO. 261,10. 250 AaO. 262,8–11. Zur Interpretation von I Kor 2,15 bei Luther vgl. Rochler, Luther, 39–57. 251 Zum Konzil als Menschenlehre oder „Menschen Concilia“ siehe neben dem in der folgenden Anmerkung getätigten Verweis u. a. auch WA 8; 150,20; WA 21; 470,32.

378 VI. Die Popularisierung und Problematisierung der Konzilsthematik in den 1520er Jahren „Da sehet ir nun das es ein unsünnig ding ist, das die ungo(e)tlichen menschen zusamen lauffen und machen Concilia und setzen was sie wo(e)llen, und etwa keiner da ist, der den geyst gottes geschmacket hat.“252

Zur Veranschaulichung seiner These führte Luther das Konzil von Nicäa mit dem Einschreiten des geistbegabten Paphnutius an 253 und applizierte diese Begebenheit auf die Gemeinde: „Also mu(e)ssen frey wir richter bleiben, das wir macht haben zu ortern, zurichten, zu urteylen, zu verdammen als was der Babst setzt oder Concilia beschlyessen. Nemen wir was an, so sol es als geschehen, das wirs nit darumb annemen das sy also sagen, sunder das sichs vergleycht mit unserm gewissen und der geschrifft.“254 Denn sobald man sage, „der mensch habs gesagt oder die Concilia, so wirstu auff den sandt bawen.“255

Bildete die in dieser Predigt entfaltete Unterscheidungslehre zwischen der individuellen, auf Gottes Wort beruhenden Urteilsfähigkeit des Glaubenden und der menschlichen Urteilsbevormundung durch die traditionellen Kircheninstitutionen den Bezugsrahmen, innerhalb dessen der Prediger Luther auf die Autorität und Gewalt der Konzilien zu sprechen kam, griff er auch in der Folgezeit die Konzilsthematik vielfach im Zusammenhang mit der Beurteilung der rechten Lehre auf, indem er die konziliaren Beschlüsse negativ als ungewisse und geistlose Werke und Gesetze der Menschen interpretierte.256

1.3. Der kirchliche Herrschaftsanspruch der Konzilien versus Christus Hatte Luther in seiner Wittenberger Konzilspredigt die Beurteilungsgewalt über die christliche Lehre den Konzilien bestritten und nachhaltig abgesprochen, schärfte er auch an anderen Predigtorten wie in Erfurt, 257 in der Schloss252

WA 10,3; 262,11–14. WA 10,3; 262,14–19: Wie den geschach in dem Concilio zu Niceno: da gingen sie mit umb und wollten gesetz machen uber den geistlichen stand, das die priester nit elich sollten sein: Da warn sie schon alle falsch. Da stund ein mensch auff Paphnucius und legt das alles nider, das im auch folget das gantz Concilium und mu(e)sten von irem beschluß ab tretten. Nicht also, sprach er, das ist nit Christlich. – Zur Paphnutiuslegende siehe oben, Kapitel V § 12.3.2. 254 WA 10,3; 262,21–263,4. 255 AaO. 263,9 f. 256 So z. B. in WA 10,3; 359,2–28 (Predigt, 21. 10. 1522); aaO. 373,35–37 (Predigt in der Schloßkirche zu Weimar, 24. 10. 1522); aaO. 397,32–398,4 (Predigt in der Pfarrkirche zu Weimar, 26. 10. 1522); WA 12; 414,32–415,4 (Predigt, 11. 1. 1523); aaO. 260,27–32 (Epistel S. Petri, 1523); WA 11; 155,14–18 (Predigt am 8. Sonntag nach Trinitatis, 26. 7. 1523); WA 14; 59,12–16 („Die ander Epistel S. Petri und eine S. Judas gepredigt und ausgelegt“, 1523/24; Predigt 2. 2. 1523). 257 Die unter der Nr. 52 abgedruckten Predigt „Sermon zu St. Michael zu Erfurt getan vom Glauben und Werken“ (21. 10. 1522) fi ndet sich in: WA 10,3; 352,20–361,19. Vgl. Bei der Wieden, Predigten, 343–346. Zu den Reisepredigten in Weimar und Erfurt vgl. auch WA 10,3; CLX-CLXVII. 253

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kirche zu Weimar 258 und in der dortigen Pfarrkirche,259 die er auf einer Reise im Oktober 1522 besuchte, der Gemeinde die allein auf Christus und sein Wort gründende reformatorische Glaubenslehre ein und verwarf die traditionell-kirchenhierarchischen Vorstellungen eines auf päpstlichen und konziliaren Beschlüssen beruhenden Glaubens- und Kirchenverständnisses. So erörterte er nach soteriologischer Grundlegung diese Problematik in der Erfurter Predigt vom 21. Oktober unter der sich jetzt zunehmend aufdrängenden, für die Entfaltung der christlichen Gemeinde elementaren Frage, „was da sey dy christlich kirch“.260 Pointiert und polemisch grenzte er seine ekklesiologischen Überlegungen von dem das weltliche und geistliche Schwert tragenden hohen Klerus und seinen Konzilien als „arme kirch“ ab261 und skizzierte in der traditionellen Metapher von Christus als dem Bräutigam und den Gläubigen als der Braut Ansätze seiner Kirchenlehre.262 Für die in Erfurt besonders aktiven scholastischen Theologen, zu denen auch sein einstiger Lehrer Bartholomäus Arnoldi von Usingen zählte263 und die Luther wie üblich als Sophisten bezeichnete, hatte er in diesem Zusammenhang nur Polemik übrig: Sie beharrten auf der traditionellen Kirchenlehre und riefen im Streit über die Glaubensdifferenzen nach den Autoritäten: „papa papa, Concilium concilium, patres patres, hohen schul hohen schul hohen schul“. Mit der Heiligen Schrift sei ihnen „ir maul“ zu stopfen.264 In der Auseinandersetzung mit den altgläubigen, auf die kirchlichen Autoritäten bauenden Geistlichen um das rechte Predigtamt kritisierte er erneut den „endecristliche[n]“ Herrschaftsanspruch der Päpste,265 über die rechte Predigt in der christlichen Kirche zu urteilen und die Heilige Schrift ohne Gott auszulegen.266 In diesem Zusammenhang verwies Luther auch undifferenziert auf die Konzilien: Ebenso „thun alle Concilia, wöllen hern über die Cristliche kirch sein und tretten Christum mit füssen.“267 Dieser kirchliche Herrschaftsanspruch des Papstes, der Konzilien und ihrer Gebote widerspreche Christus und seinem Evangelium aufs deutlichste.

258

WA 10,3; 371,7–379,9 (24. 10. 1522). WA 10,3; 394–399 (26. 10. 1522). 260 WA 10,3; 358,25 f. 261 AaO. 358,26–359,2. 262 AaO. 360,25–28: Also secht ihr nuh, wie wir alle gleych seind durch den einigen glauben, der gibt uns Christum gar tzu einem breutigam, und wir all yn disem glaubenn seind ein brautt, einn christliche kyrch dises gesponsen Jesu Christi. 263 Vgl. Bei der Wieden, Predigten, 345. 264 WA 10,3; 359,33–360,2. Hinzu fügte er, aaO. 360,2 f.: Eyn wort gottes ist mer dan diser hauff mit aller seiner gewaldt. 265 WA 10,3; 398,1–4. 266 AaO. 397,22–38. 267 AaO. 397,37–398,1. 259

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2. Situative Konzilskritik Während Luthers homiletische Konzilsäußerungen 1522 schwerpunktartig im Zusammenhang mit der dem einzelnen Christen zugesprochenen Jurisdiktionsgewalt und Urteilsbildung über die Glaubenslehre standen, die ihre Fortsetzung teils in den Predigten, teils in den Schriften zu gemeindeorganisatorischen Fragen von 1523 fanden, setzte er die in der Erfurter Predigt vom Oktober 1522 begonnene Auseinandersetzung mit seinen gelehrten und kirchlichen Gegnern 1523 auf der Kanzel fort, indem er verstärkt Stellung zu deren Bemühen um Aufrechterhaltung der theologischen und juridischen Konzilsautorität bezog. Diese auffällige kontroverstheologische Zuspitzung hing nicht zuletzt mit dem Konzilsbegehren zusammen, welches als Maßnahme zur Eindämmung der evangelischen Bewegung literarisch und politisch propagiert und popularisiert wurde.268 Während Luther Anfang 1523 nur ganz sporadisch das Konzilsthema verbalisierte, nahmen die Konzilsäußerungen seit Mai 1523 quantitativ zu, welches im engeren oder weiteren Zusammenhang mit dem kirchenpolitischen Konzilsbegehren des 2. Nürnberger Reichstages stand und zu pointierten Aussagen Luthers über das Konzilsvorhaben führte. Hinzu traten bestimmte durch das Kirchenjahr geprägte Predigtanlässe, zu denen neben den Perikopenpredigten das Pfi ngstfest mit marginalen Ausführungen über die Wirkweise des Heiligen Geistes im Konzil zählte. Folglich ist es aufschlussreich, die verschiedenen Akzentuierungen des Konzilsthemas von der Kanzel, sowohl Luthers Zurückweisung der gegnerischen Konzilsapologetik als auch die Problematisierung der konziliaren Geistlehre zum Pfi ngstfest sowie Luthers Stellungnahme zu einem künftigen Konzil, hier zu skizzieren.

2.1. Die Reaktion auf die gegnerische Konzilsapologetik In seiner Predigt vom 11. Januar 1523 über Lk 2,41–52 widerlegte Luther das gegnerische Insistieren auf den irrtumsfreien Konzilsbeschlüssen durch einen Vergleich mit der fallibelen Maria und der Fallibilität des Apostelkonzils und wies die Berufung auf das kirchliche Traditionsprinzip als schrifttheologisch unhaltbar zurück.269 Anfang Mai problematisierte Luther im Rahmen seiner 268 Auch wenn Brockmann, Konzilsfrage, 678 für 1523 keine Flugschrift ausfi ndig machen konnte, die als „Konzilsschrift im engeren Sinn“ gilt, war die Frontstellung den Zeitgenossen dennoch präsent und wurde in zahlreichen, „weiteren einschlägigen Schriften“ mit bedacht. 269 WA 12; 414,32–418,2. Auch in seiner Perikopenpredigt über den zwölfjährigen Jesus im Tempel im Jahr 1525 kritisierte Luther die Lehre, ein Konzil könne nicht irren, mit dem Hinweis darauf, dass selbst Maria geirrt habe. Siehe WA 17,1; 7,27–30 (Predigt am Sonntag nach Epiphanias, 8. 1. 1525).

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Predigt über Joh 16,5–14270 ausführlicher die exegetische Begründung der Gelehrten hinsichtlich der Konzilsautorität in Glaubensdingen. Weil Christus in Joh 16,12 angekündigt habe, noch vieles mitteilen zu wollen, welches über das Evangelium hinausgehe, folgerten die Gelehrten, dass Christus den Konzilien, dem Papst und den Bischöfen seine Lehre zu vollenden befohlen habe.271 Diese verbreitete Argumentation der „narren“ verwarf Luther mit dem Hinweis, dass Christus die Apostel angeredet und ihnen den Heiligen Geist verheißen hätte, der sie am Pfi ngsttag erleuchtet habe.272 Polemisch grenzte er sich von der konziliaren Fortschreibung der Christuslehre ab, indem er auf Joh 16,13 anspielend bemerkte, wenn die Konzilien als Wahrheit lehrten, „wie man soll platten und kappen tragen und junckfrawschafft halten“,273 seien die Apostel nie zur Wahrheit gelangt.274 Auch in weiteren Predigten des Jahres 1523 problematisierte Luther den gegnerischen Ruf, man müsse neben der Heiligen Schrift auch den Konzilien und den Kirchenvätern glauben, und wurde nicht müde, diese Forderung durch einzelne Evangeliumsverse zurückzuweisen.275 Anfang 1524 machte Luther die menschliche „ratio“ für diesen Einwand verantwortlich.276 Wie in seinen Predigten üblich, nannte er auch in dieser elementaren Problematik über das Jahr 1523 hinaus seine Gegner nicht namentlich, sondern unterschied sie bisweilen pauschal in die Gruppen der Gelehrten 277, der hohen Geistlichkeit wie Papst 270 WA 11; 104,22–108,5 (Predigt am Sonntag Cantate, 3. 5. 1523); WA 12; (540) 542– 552; WA 10,1/2; 259 f. (Roths Sommerpostille, 1526). 271 In der Predigtmitschrift notierte Rörer knapp WA 11; 107,15 f.: Sed hic fundamentum posuerunt sophistae dicentes non solum scripturam habendam, sed et audiendum conciliis et patribus, et haec stulta. – Hingegen liest die zum Sermon ausgestaltete und in Wittenberg gedruckte Predigt differenzierter, WA 12; 550,21–28: Aber diese wort [ Joh 16,12] haben unsere doctores und hochgelerten auff yhren thand gezogen und zu yhrem grund gelegt, das sie sagen, Man musse etwas mer haben, denn das Euangelium und die schrifft, Drumb soll man auch horen, was die concilia und der Bapst schliessen und setzen und wollen das alßo beweren: Christus spricht hie ‚Ich hab euch noch viel zusagen, das yhr itzt nicht kundet tragen‘, darumb weyl ers nicht alles gesagtt hat, mußs yha folgen, das ers den conciliis und dem Babst und Bischoffen befolhen hab, die es vollend leren sollen. 272 WA 12; 550,29–551,5. Siehe auch aaO. 575,36–576,15 (Predigt, 24. 5. 1523). 273 AaO. 551,7 f. 274 AaO. 551,6–27. 275 WA 11; 121,19–21 (Predigt, 26. 5. 1523) unter Bezug auf Joh 10,9: Ipsi dicunt: non negamus Euangelium, sed ordinationes patrum et conciliorum non reiicimus. Contra hoc textus dringt fast etc. ‚Ego sum ostium‘, also durfft ich den babst nicht schelten, sed Christus fecit. – WA 11; 154,32–155,18 (Predigt, 26. 7. 1523) unter Berufung auf Lk 1,52 und Mt 7,15–20; WA 14; 259,25–260,14 (Predigt, 27. 9. 1523, Rörer) mit Bezug auf Act 15; WA 11; 221,30–32 (Predigt am Stephanustag, 26. 12. 1523) in Anlehnung an Joh 16,12 f. 276 WA 14; 326,31–327,26 (Predigt, 6. 1. 1524, Roth): Ratio dicit ‚Utinam aliquid doceretur, statueretur a Concilio aliquo, quid esset credendum‘. Hic homines sua sapientia plus caeteris errant, quasi scilicet tua stultitia verbum dei metiri possis, quemadmodum Papa suis voluit legibus complecti Christianitatem, ut unanimis esset. 277 WA 11; 107,15 f.; WA 15; 534,4–7 (Predigt, 10. 4. 1524).

382 VI. Die Popularisierung und Problematisierung der Konzilsthematik in den 1520er Jahren und Bischöfe278 und des Volkes279, ohne allerdings – abgesehen von den Gelehrten – genauere Konturen und Spezifi ka dieser Gruppen hinsichtlich der Konzilsthematik auf der Kanzel zu verdeutlichen.

2.2. Die Problematisierung der konziliaren Wirkweise des Geistes zum Pfingstfest Weil die zentrale Lehre der Konzilsprotagonisten für die konziliare Irrtumsfreiheit und die sich daraus ergebende Autorität der Beschlüsse die Geistbegabung und Geistunmittelbarkeit des Konzils darstellte, dürfte es aufschlussreich sein, wie Luther das Verhältnis von Heiligem Geist und Konzil in seinen Pfi ngstpredigten thematisierte.280 Hatte er bereits am Pfi ngstdienstag 1522281 das Konzil in seiner Predigt erwähnt, ohne allerdings den Heiligen Geist zu berücksichtigen,282 ging er am Pfi ngstsonntag 1523283 auf die altgläubige Lehre ein, dass der Heilige Geist das Konzil leite, die Konzilsentscheide herbeiführe und die Dekretalgesetze bewirke. Diese römische Lehre sei die größte Entehrung des Heiligen Geistes, da sie – so Rörer in seiner Mitschrift – aus dem Geist ein totes Gesetz des Moses mache, obwohl er ein lebendiges Gesetz sei. Diese Verkehrung habe nicht der Heilige Geist, sondern der Teufel beschlossen.284 Die von Rörer in seiner Mitschrift auf die Antithetik von tötendem Gesetz und lebendigmachendem Geist zielende Lutherauslegung wurde in der Ausformulierung der Predigt im „Sermon auf den Pfi ngsttag“ um die Unterscheidungskategorie von äußerlich und innerlich erweitert285 und aufgrund der von Luther schroff zurückgewiesenen gesetzlich-menschlichen Wirkweise des Geis278

WA 11; 221,30–32. WA 11; 154,32–34. 280 Zu den Pfi ngstpredigten allgemein vgl. Heintze, Luthers Pfi ngstpredigten, 117–140. 281 WA 10,3; 170–175 (Predigt am Pfi ngstdienstag, 10. 6. 1522) par. WA 10,1/2; 287–292 (Roths Sommerpostille, 1526) 282 WA 10,3; 173,17–21 par. WA 10,1/2; 290,1–6; WA 10,3; 174,4–6 par. WA 10,1/2; 290,20–22. 283 Von der Predigt am 24. Mai 1523 über Joh 14,23–27 und Act 2 existiert eine Mitschrift Rörers (WA 11; 111–114,27) und mehrere zu Sermonen ausgearbeitete Drucke (WA 12; [566] 568–578), sowie ihre Einflechtung in Roths Sommerpostille (WA 10,1/2; 278–280). 284 WA 11; 111,21–26: Cum homo sentit se ita adfectum, tum verus scriptor venit, die lebendige schrifft, sunt viva dona, cor quod lust habet gegen got. Hactenus dictum spiritum sanctum regere concilium et statuere articulos, et feces leges decretalium. Et haec maxima ignominia. Ipsi ex spiritu sancto faciunt legem mortuam, Mosen, cum sit viva lex et scribat legem in cor. Diabolus ista statuit, non spiritus sanctus. 285 WA 12; 570,21–27: Biß her hatt man also von yhm gepredigt, das er alles mache und eyngebe, was die Concilia beschliessen unnd was der Bapst ym geystlichen recht gepeutt, so doch das alles nur eusserlich ding ist, von eusserlichen dingen gepeutt und eußerlich regirt. Darumb ist es eben widersynnisch und umbgekert: Denn sie machen auß des heyligen geystes werck eyn schrifftlich, todt gesetz, wilches doch eyn geystlich unnd lebendig gesetz seyn sollt. Alßo macht man eyn Mosen und menschentand auß yhm. 279

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tes positiv in die Aussage gefasst: „Darumb ligt die kunst daran, das man recht vom heyligen geyst predige.“286 Obgleich Luther auch in seiner Predigt am Pfingstdienstag 1523 erneut kurz das Konzilsthema anschnitt, ohne es allerdings mit der Lehre vom Heiligen Geist zu verknüpfen,287 und zu Pfi ngsten 1524 überhaupt nicht die Konzilsproblematik anführte, entfaltete er in seiner Anfang Juni 1524 gehaltenen Auslegung über das Apostelkonzil die konziliare Geistwirkung erneut, worauf unten noch näher einzugehen sein wird.288 Wiederum verwarf er in der Nachmittagspredigt vom Pfi ngsttag 1525 die konziliare Meinung, der Heilige Geist erlaube nicht, dass Konzilien irren.289 Nachdem Luther in den folgenden Jahren das Konzilsthema nicht mehr mit dem Pfi ngstfest verbunden hatte, was mit der bei ihm auch sonst zu beobachtenden Tendenz zusammenhing, dem Konzilsthema geringere Bedeutung beizulegen, bezog er am Pfi ngstmontag 1529 erneut konzilskritisch Stellung. Vermutlich auf dem Hintergrund des Speyrer Reichstages stellte er abgesehen vom Apostelkonzil die vergangenen und künftigen Konzilien als „Konzile des Teufels“ dar und bemängelte an ihnen das gänzliche Fehlen des Heiligen Geistes.290 Die insgesamt im Rahmen der Pfi ngstfestpredigten der 1520er Jahre zu konstatierenden Aussagen über die Verbindung von Heiligem Geist und Konzil dienten eindeutig der Lehrabgrenzung.

2.3. Die ablehnende Antwort auf das vielstimmige Konzilsbegehren Zur Realisierung des in den Jahren 1523 und 1524 vielfach verbalisierten Konzilsbegehrens, das sich allgemein in Luthers verstärkter Beschäftigung mit dem Konzilsthema auf der Kanzel in jenen Jahren widerspiegelte, äußerte sich der Prediger auch konkret. Während er sich Anfang April 1523 über die Widersinnigkeit einer Konzilserwartung zur Entscheidung für die Evangeliumspredigt

286 AaO. 570,20. – Über das Amt des Heiligen Geistes lehrte Luther, aaO. 570,30–571,3: Er [der Geist] kompt herab und erfullet die junger, die zuvor do sassen ynn trawren und forcht unnd machet yhre zungen fewrig und zuspallten, enttzundet sie, das sie keck werden und frey yn hauffen predigen und sich fur nichts furchten. Da sihistu yhe klar, das nicht seyn ampt sey bu(e)cher schreyben noch gesetz machen, Sondernn das selbige nur frey auff heben, und das er eyn solicher Gott ist, der nur yns hertz schreybet, macht es pru(e)nnen und schafft eyn newen mutt, das der mensch fur Gott fro(e)hlich wirtt und lieb zu yhm gewinnet und darnach den leutten mit fro(e)lichem gemu(e)tt dienet. 287 WA 11; 121,17–21. 288 Siehe WA 15; (571) 575–602. 289 WA 17,1; 268,22–24 (Predigt am Pfi ngsttage, nachmittags, 4. 6. 1525). 290 WA 29; 364,6–16 (Predigt am Pfi ngstmontag, 17. 5. 1529, Nachschrift Rörer). aaO. 364,25–31 (Nürnberger Handschrift). Siehe auch unten, Kapitel VI § 16.3.3.

384 VI. Die Popularisierung und Problematisierung der Konzilsthematik in den 1520er Jahren moniert hatte,291 ging er kritisch auf das „concilium futurum“, welches vom 2. Nürnberger Reichstag angeregt worden war, ein: „Wir werden sehen, was sie im künftigen Konzil verhandeln werden. Wenn sie Regelungen beschließen, sind sie Diebe und Strolche.“292

Den direkten Bezug zum Reichstagsmandat zog Luther in seiner unmittelbar auf die Stellungnahme an Kurfürst Friedrich III. folgenden Fronleichnamspredigt vom 4. Juni 1523,293 in der er am Ende die Gottesdienstgemeinde über die Bemühungen der Fürsten zur Verfolgung der Unruhe mittels eines vom Kaiser unterstützten Konzils unterrichtete und die Interimsanweisungen, die Predigt des Evangeliums, das Publikationsverbot und die Mönchsproblematik hervorhob294 sowie das gesamte Vorhaben einer kritischen Bewertung unterzog.295 Elementar kritisierte Luther in der in den textlich voneinander abweichenden Fassungen von Rörer und Roth vorliegenden Predigt vom 27. September 1523296 das obrigkeitliche Konzilsbegehren im Rahmen der Auslegung von Gen 16,12. In Grundzügen verwies der Prediger auf das erwartete Konzil – Roth spezifi zierte es in seiner Bearbeitung genauer als Generalkonzil 297 –, in welchem über den Glaubensstreit gerichtet werden solle. Weil Gott aber nicht über sein Wort richten lasse, erwarte Luther kein Konzil.298 Zur weiteren Begründung berief sich Luther auf seine konzilsgeschichtlichen Lesefrüchte und 291 WA 11; 81,28–30 (Predigt, 5. 4. 1523): Ita si nobis expectandum esset concilium, dum decerneret Euangelium praedicandum, sed fieret. 292 WA 11; 121,22–24: Videbimus, quid acturi sint in concilio futuro. Si ordinationes statuerint, sunt fures et latrones. Possumus quidem aliquid statuere, sed ut liberum sit. 293 WA 11; 125,11–127,6 (Predigt am Fronleichnamstage, 4. 6. 1523). Dies war Luthers letzte Predigt, die er am Fronleichnamsfest hielt. 294 AaO. 126,34–38: Mandati capita recensebo. Ita decreverunt, credo spiritum sanctum fuisse an [ohne] iren danck. Papa rogavit principes, ut darent consilium, quo tumultus ille sectaretur. Responderunt, ut convocaret concilium cum Caesare. Interim debere praedicari in mundo, Et hi qui non praedicant Euangelium pie corrigant, 3. nihil edendum in lucem, 4. de Monialibus etc. 295 WA 11; 127,1–6. 296 Die Predigt vom 27. September 1523 über Gen 16 ist als Nr. 31 unter WA 14; 254–262 synoptisch in der Handschrift Rörers, einer Handschrift Roths und der Bearbeitung Roths wiedergegeben. Aufnahme fand die Predigt auch in der 1527 veranlassten und von Luther mit einer Vorrede versehenen lateinischen Bearbeitung der Genesispredigten von 1523/24 „In Genesin Mosi librum sanctissimum Declamationes“ (WA 24; 300,4–316,2) und in einer kurze Zeit später erschienenen deutschen Bearbeitung unter dem Titel „Über das erste Buch Mose, Predigten sampt einer Unterricht, wie Moses zu leren ist“ (WA 24; 300,17–316,12). 297 WA 14; 259,37–260,29. 298 AaO. 259,25–260,14 (Roths Handschrift): Sie konnen uns nichts nit vorwerffen, dens Concilium, do beruffen sie sich auff, die sollen in der sach discerniren. Es wirt aber nichts drauß. Gott lest nicht richtenn uber sein wort. – Abweichend hiervon aaO. 259,10–260,1 (Rörers Handschrift): Ideo cum Caesar, principes veniunt contra nos, simus et contra eos, quis hic erit iudex? non homo, deus ‚ego ipse ero ultor et iudex‘. Ipsi nihil efficient, deus non patietur suum verbum opprimi. [. . .] Si werden nichts guts machen, tametsi concludant, pro Ismaele maior pars erit.

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problematisierte generell die mangelnde Reinheit der „fleischlichen“ (und nicht geistlichen) Versammlungen, die somit keine Entscheidungsinstanz über Gottes Wort sein könnten. Nach der Predigtfassung von Roth erläuterte Luther unter Hinweis auf das Apostelkonzil: „Ich hab vill Concilia geleßen, aber das darff ich ßagen, das noch nie kein lautter rein Concilium gehalten ist. Ein stuck ist wol zcu zceitten christlich geweßen. Vix potuit conservari concilium Apostolorum Hierosolymis.“299

Folglich lehnte er eine konziliare Entscheidung über die Predigt des Evangeliums erneut ab: „Allein wen ich das wort Gottes hab, ßo bestehe ich, es habe der teuffel ader [sic!] das Concilium gesagt“.300

Die fundamentale Kritik am geforderten Konzil, in dem über die Glaubenslehre entschieden oder einzelne Reformanliegen geklärt werden sollten, setzte Luther auch im folgenden Jahr fort. Im März unterstrich er, Christus erwarte mit seinem Evangelium kein künftiges Konzil,301 und kritisierte die Gelehrten und die gesamte Welt, die Glaubensurteile an das kommende Konzil deligieren zu wollen.302 Im September desavouierte Luther die gegnerische Hinhaltetaktik und unterstellte den Papisten, sie wollten nur deshalb ein Konzil versammeln, um zu bewahren, was sie einst beschlossen hätten.303 Kurzum, Luther wurde nicht müde, auf der Kanzel die zeitgenössische Konzilsforderung wie bereits zuvor die früheren Konzilsbeschlüsse vom Evangeli299 AaO. 260,14–17. In der Fortsetzung äußerte Luther nach Roth, aaO. 260,17–20: Tres tantum fuerunt tunc, Petrus, Paulus et Barnabas, noch musten sie ettwas zculasßen. Drumb ßag ich: ich hab kein rein Concilium geleßen, das ist alles drumb geschehen von Gott, das ehr wil richter sein, er kann auch kein andern richter leidenn. – Siehe auch aaO. 260,1–10 (Rörer). In bearbeiteter Form WA 24; 312,31–313,12: Ich habe noch nie kein Concilion unter allen gesehen, da der heilige geist regiret. Es ist wol ynn etlichen ein stu(e)ck odder zwey Christlich gewest, aber das es gantz reyn were, habe ich nicht gelesen, Daru(e)mb ists nichts, das man sich noch beruffen wo(e)alle auff ein Concilion, es wird doch nichts guts ausgerichtet. – In welcher Form Luther etwas über die Konzilien gelesen hatte, ob als Konziliengeschichte oder als Konzilsbeschlüsse, und auf welche Konzilien Luther genauer anspielte, teilt er nicht mit. Da weder in seinen Predigten noch in seinen Schriften neue Erwähnungen historischer Konzilien vorgenommen werden, steht zu vermuten, dass Luther hier auf seine einstige Beschäftigung mit den Konzilien im Rahmen seiner kirchengeschichtlichen Studien vor der Leipziger Disputation anspielte. 300 WA 14; 260,21–25 (Roths Nachschrift). Nach Roths Bearbeitung soll Luther abweichend von den zwei Predigtfassungen gesagt haben, aaO. 260,38: Ne sperato pacem mundi ex concilio. 301 WA 15; 472,1 f. (Predigt am Sonntag Judika, 13. 3. 1524). 302 WA 14; 437,14–438,4 (Rörer); aaO. 438,14–18 (Roth) über die Predigt am 19. März 1524 zu Gen 31 f. (aaO. 433–442). 303 WA 15; 683,23–26. 684,16 f. 688,27–30 (Predigt am Tage Kreuzes Erhöhung, 14. 9. 1524).

386 VI. Die Popularisierung und Problematisierung der Konzilsthematik in den 1520er Jahren um her konsequent abzulehnen und gegen jegliche richterliche Entscheidung eines künftigen Konzils zu opponieren. Das in dieser radikalen Form bisher in der Lutherforschung für die Predigten nicht bekannte Untersuchungsergebnis, welches in etwa dem oben festgestellten Befund bezüglich der Schriften entspricht, bedeutete umgekehrt: Positiv-produktive Äußerungen über ein allgemeines, künftiges, freies und christliches Konzil oder homiletische Mahnungen bezüglich einer reformatorischen Konzilskonzeption nahm Luther auf der Kanzel nicht vor. Stattdessen interpretierte er die kirchlichen Konzilien aus der soteriologischen und rechtfertigungstheologischen Perspektive als gesetzliche Menschenwerke und teuflische Veranstaltungen, die nichts anderes als „Gift, Tod und Pest“ seien.304

3. Exegetische Konzilserschließung des Paradigmas „Apostelkonzil“ Ein eigenes Gewicht hatte Luther in seinen Schriften dem Jerusalemer Apostelkonzil beigelegt, galt dieses doch traditionell als allgemein vorbildliches Konzilsmodell und anerkanntes Konzilsparadigma.305 Weil die lukanische Darstellung in Act 15 auch für Luther in der dort geschilderten Form stattgefunden hatte und als bedeutendster Schriftbeleg für die konziliare Institution und ihre Autorität diente, dürfte für die homiletische Popularisierung des Konzilsgedankens von besonderem Interesse sein, in welcher Form Luther das Apostelkonzil, welches von spätmittelalterlichen Konzilstheologen wie Petrus von Ailly als „erstes“ Kirchenkonzil überhaupt tituliert wurde,306 interpretierte. Blieb Luther, der in früheren Schriften das Apostelkonzil über die konziliaristische Interpretationslinie hinausgehend als erstes und bestes – weil schriftorientiertes und geistgeleitetes – Konzil gerühmt, aber auch bereits leichte Kritik geübt 304 WA 15; 535,1 f.: sed dicimus eorum concilia esse diabolum, ergo non pascua, sed venenum, mors et pestilentia. 305 Zum traditionellen Charakter des Apostelkonzils als Vorbild für Synoden vgl. H. J. Sieben, Die Konzilsidee der Alten Kirche (KonGe.U), Paderborn u. a. 1979, 175 f. u. ö. Hinsichtlich der Inanspruchnahme von Act 15 im Entwicklungsprozess des mittelalterlichen Konzilsdenkens vgl. H. J. Sieben, Die Konzilsidee des lateinischen Mittelalters (847–1378) (KonGe.U), Paderborn 1984; Ders., Traktate und Theorien zum Konzil. Vom Beginn des Großen Schismas bis zum Vorabend der Reformation (1378–1521) (FTS 30), Frankfurt am Main 1983, 40. 141–146. 237; Bäumer, Nachwirkungen, 71. 163. 176–178. 196. – Zum Apostelkonzil, das im Rahmen des Konzilsdiskurses in der Reformationszeit sowohl von katholischen wie reformatorischen Flugschriftenautoren argumentativ nutzbar gemacht wurde vgl. Th. Brockmann, Apostelkonzil und Konzilsfrage in der Reformationszeit. Zur Argumentation mit Apg 15 in der Publizistik des deutschen Sprachraumes 1520–1563 (in: H. Schmidt-Glintzer [Hg.], Fördern und Bewahren. Studien zur europäischen Kulturgeschichte der frühen Neuzeit, Wiesbaden 1996, 25–48); Ders., Luther und das Apostelkonzil, 303–322; H. J. Sieben, Eine ‚ökumenische‘ Auslegung von Apg 15 in der Reformationszeit: Reginal Poles De concilio (ThPh 60, 1985, 16–42); Oftestad, Evangelium, 23–56. 306 Vgl. Brockmann, Luther und das Apostelkonzil, 306 Anm. 10.

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hatte, auf der Kanzel bei seiner positiven Sichtweise oder übertrug er seine von der Rechtfertigungslehre her entwickelte institutionenkritische und konzilsskeptische Beurteilung nun sogar auf das Apostelkonzil?

3.1. Das Apostelkonzil 1522/23 Bevor die Predigten seit 1522 genauer auf Luthers Interpretation und kontextuelle Verankerung des Apostelkonzils untersucht werden, sei auf eine singuläre Aussage von ihm aus dem Jahr 1520 hingewiesen. Nach der von Johannes Poliander zusammengestellten Predigtsammlung der Jahre 1519 bis 1521307 bezeichnete Luther in seiner Predigt am Stephanustag, dem 26. Dezember 1520,308 in Ausgestaltung von Act 6 den dort beschriebenen Apostelkonvent positiv als „Erst Concilium, das do vorsamlet ist gewesen in der Christenheyt und ist wol geordnet.“309 Während sich in dieser notizenhaften Charakterisierung die bis 1521 noch herrschende, positiv-vorbildliche Indienstnahme der apostolischen Konzilien durch Luther spiegelte und er entsprechend der exegetisch-konziliaren Tradition die Versammlung von Act 6 als Konzil interpretierte,310 äußerte er sich gemäß seiner konzilskritischen Sichtweise in einer Predigt vom 11. Januar 1523 skeptisch zum Apostelkonzil von Act 15.311 Jetzt diente ihm das Apostelkonzil als eindrücklichstes Beispiel für die mangelnde dogmatische Verlässlichkeit der konziliaren Kircheninstitution und als anschauliches Exempel gegen das Vertrauen auf die Lehre von Menschen. In seiner einleitenden Rahmung skizzierte Luther nach Act 15,5–7 die zeitlichen und personellen Koordinaten des Konzils: Gut 18 Jahre nach Christi Himmelfahrt seien die Apostel und die bedeutendsten Christen – vermutlich unabsichtlich wird der Versammlungsort Jerusalem verschwiegen – zusammengekommen und hätten über die Frage der Beschneidung als Bedingung für die Aufnahme der Heiden in die christliche Gemeinde diskutiert. Dabei hätten die zu Christen gewordenen Obersten der Pharisäer und der Gelehrten für die Be307

WA 9; (314) 329–676. WA 9; 525,3–527,19. 309 AaO. 525,8 f. 310 In der Tradition konnte neben der Wahl der Sieben (Act 6,1–6) auch die Wahl des Matthias (Act 1,15–26) als Apostelkonzil bezeichnet werden. Vgl. Sieben, Traktate, 141–147. Die von Brockmann, Apostelkonzil und Konzilsfrage, 30. 38 Anm. 34 gemachten Beobachtungen, dass sowohl in einigen katholischen, als auch in wenigen reformatorischen Flugschriften neben dem Konzil von Act 15 weitere Apostelkonzilien genannt werden, ist durch die von Luther vorgenommene Identifi zierung zu erweitern. 311 Siehe die bereits zuvor untersuchte Predigt über Lk 2,42–52, die als gedruckter „Sermon am 1. Sonntag nach Epiphaniä“ überliefert ist (WA 12; [407] 409–419). Die Predigt fand auch Eingang in Roths Fastenpostille von 1525 (WA 17,2; [15] 16–32,11) und in Roths Winterpostille von 1528 (WA 21; 54,30–56). 308

388 VI. Die Popularisierung und Problematisierung der Konzilsthematik in den 1520er Jahren schneidung und das Einhalten des Gesetzes Moses plädiert und die Konzilsmehrheit hinter sich bringen können.312 Allein Petrus, Paulus, Barnabas und Jakobus hätten sich gegen die mehrheitliche Beschneidungsforderung gewehrt und insbesondere Petrus hätte sich durch seine Rede (Act 15,7–11) der Beschneidungsverpfl ichtung widersetzt.313 Aus dieser Schilderung folgerte Luther, dass, obwohl viele glaubende Christen anwesend waren, Gott sie irren ließe, und resümierte: Wenn die drei oder vier nicht gewesen wären, sei in der jungen Kirche ein „yrrig ding geleret und eyn gebot widder Christum auffgesetzt worden“.314 Indem Luther einerseits der Vielzahl der dem Gesetzesvorschlag zustimmenden Christen die kleine Anzahl der Rechtgläubigen gegenüberstellte, andererseits die Irrtumsfähigkeit der ersten Christengemeinde hervorhob, applizierte Luther auf das zeitgenössisch-mehrheitliche Kirchen- und Konzilsverständnis von der Infallibilität der kirchlichen Entscheide: „Noch sind wir solch narrn und so blind, das wyr nicht anders kunden sagen, denn‚ das haben die Concilia und die kyrch gebotten, die konnen nicht yrren, und was sie schliessen, dem sol man folgen‘.“315

Zur Veranschaulichung der Fallibilität selbst der im höchsten Ansehen stehenden Christen fügte Luther noch das in Gal 2,11–13 mitgeteilte Fehlverhalten von Petrus und Barnabas an – ohne es näher zu schildern – und erwähnte den öffentlichen Tadel durch Paulus.316 In Übertragung auf den Autoritätsanspruch der zeitgenössischen Konzilien folgerte Luther: „Haben nu diese heylige Concilia und die heyligen leu(e)t geyrret, was sollen denn wyr auff unsere Concilia vertrawen, wilche, wenn man sie gegen die helt, die die Apostel gehalten haben, yhn nicht das wasser konden reychen?“317

Die angeführten Perikopen bettete Luther sodann als mahnende Beispiele für fehlbare Menschenworte in den übergeordneten Lehrkontext vom Glauben und Vertrauen auf das Wort Gottes ein.318 Zusammenfassend akzentuierte Luther noch einmal die gefahrvolle Bedrohung, von der selbst eine derart vorbildliche christliche Gemeinde, wie die in den Apostelakten geschilderte, nicht frei sein konnte, welche durch die zwei Kriterien „Glaube“ und „Heiliger Geist“ konstituiert war,319 und schärfte sei312

WA 12; 417,3–13. AaO. 417,14–22. 314 AaO. 417,23–27. 315 AaO. 417,27–29. 316 AaO. 417,30–33. 317 AaO. 417,33–418,2. 318 AaO. 418,3–10. 319 AaO. 419,24–26: Item in Actis, das da ein christlich gemeyne war der, die da glewbten und den geyst hatten, und dennoch strauchleten und hetten ein unchristlich gesetz gemacht, wo nicht die andern hetten geweret. 313

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nen Hörern ein: „Darumb sol man kein Concilien noch heyligen glewben, wenn sie nicht Gottis wort bringen.“320 In seiner oben bereits analysierten Predigt vom 27. September 1523 über Gen 16 wies er nun unter der seitdem auf die Konzilien angewandten Beurteilungskategorie von rein und unrein, d. h. göttlich und menschlich, seiner konzilskritischen Interpretationslinie entsprechend das Apostelkonzil als nicht reines Konzil aus, weil in ihm gegen Christus beschlossen worden sei. Zwar hätten Petrus, Paulus und Barnabas – Jakobus wurde jetzt nicht mehr erwähnt – positiv auf das Jerusalemer Apostelkonzil eingewirkt, doch „musten sie etwas zu lassen.“321 Obgleich weder Rörer noch Roth diese Aussage plausibilisierten, klang für den aufmerksamen Predigthörer die Anspielung auf das Aposteldekret an, über welches Luther in seiner Predigt zu Act 15 im Jahr 1524 in ähnlicher Weise handeln sollte. Den hier mitschwingenden Gedanken, dass ein Konzil mit seinen Beschlussfassungen einen Zusatz zum reinen Evangelium darstelle, hatte Luther kurz zuvor in seinem Brief an Herzog Karl III. von Savoyen geäußert.322 Von nun an sollte der Zusatzgedanke bei Luther zum konzilskritischen Argumentationsrepertoire zählen.323 Zusammenfassend kann festgehalten werden: Obwohl Luther erneut das Apostelkonzil als Beispiel für den menschlichen Einfluss in einem Konzil akzentuierte, diente es nun nicht mehr zur Widerlegung der Lehre von der kirchlich-institutionellen Infallibilität, sondern im Rahmen des reichsständischen Konzilsbegehrens als Beispiel für die grundsätzliche Kritik an der konziliaren Entscheidungsgewalt.

3.2. Die Predigt über das Apostelkonzil 1524 In den Mittelpunkt der rechtfertigungstheologischen Auseinandersetzung rückte Luther das Apostelkonzil in seiner Predigt über Act 15 Anfang Juni 1524, die den Auftakt für zwei weitere Perikopenpredigten über Act 16 und 17 bildete.324 Das Thema der Predigt, welche in Nachschriften von Rörer und Roth sowie in 320

AaO. 419,26 f. WA 14; 260,7 f. (Rörer). Siehe auch aaO. 260,15–20: Ein stuck ist wol zcu zceitten christlich geweßen. Vix potuit conservari concilium Apostolorum Hierosolymis. Tres tantum fuerunt tunc, Petrus, Paulus et Barnabas, noch musten sie ettwas zculasßen. Drumb sag ich: ich hab kein rein Concilium geleßen, das ist alles drumb geschehen von Gott, das ehr will richter sein, er kann auch kein andern richter leidenn. – Siehe auch WA 24; 312,9–313,2 (lateinische Bearbeitung 1527); aaO. 313,12–16 (deutsche Bearbeitung, 1527). 322 WAB 3; 152,89 f. Nr. 657 (Luther an Herzog Karl III. von Savoyen, [Wittenberg,] 7. 9. 1523): solo euangelio Dei puro, sine additionibus conciliorum, doctorum, patrum. 323 Zu den von Luther kritisierten „Zusätzen“ vgl. Schwarz, Grundlage, 46–63. 324 WA 15; (571) 575–602 (Predigt über das 15. Capitel der Apostelgeschichte, 1. 6. 1524). 321

390 VI. Die Popularisierung und Problematisierung der Konzilsthematik in den 1520er Jahren Druckfassungen überliefert ist, war die durch den Glauben und die Gnade Gottes erwachsene Freiheit des Gewissens gegenüber den menschlichen Werken und Gesetzen.325 In diesen genuin reformatorischen Horizont trug Luther die vom Apostelkonzil getätigten gesetzlichen Bestimmungen über äußere Dinge, wie die Enthaltung von Blut und Ersticktem, kritisch ein und relativierte die von altgläubiger Seite unter Bezug auf Act 15 angemahnte Notwendigkeit und Berechtigung äußerer Kirchen- und Lebenssatzungen. Auf die in Abgrenzung zur katholischen Kirchenlehre entwickelte Lehre, die, obgleich noch nicht eigens in der Predigt thematisiert, auch im Zusammenhang mit der wachsenden Organisation des reformatorischen Gemeindewesens von Bedeutung war, antwortete Luther 1526 mit der Herausgabe der Predigt unter dem Titel „Zwei Sermone auf das 15. und 16. Kapitel in der Apostelgeschichte“, auf die er später öfter verwies.326 Auch wenn er seine Predigt nicht selbst für die Drucklegung bearbeitet hatte, war sie dennoch von ihm „veranlaßt und gebilligt“ worden.327 Weil Luther seiner Predigt fundamentaltheologische Bedeutung beimaß, seien die wesentlichen Aussagen zum Konzil – obwohl erst kürzlich von Bernt Torvild Oftestad und Thomas Brockmann eingehend untersucht 328 – hier wenigstens skizziert. Das Apostelkonzil bot für Luther jetzt den Schauplatz, an dem der die Heilsgeschichte von Beginn an durchziehende theologische Hauptkonfl ikt zwischen geschenkter Gottesgerechtigkeit aus Glauben und menschlicher Werkgerechtigkeit anschaulich wurde.329 So betonte er, dass auch die Apostel mit diesem Fundamentalkonfl ikt konfrontiert wurden, als in der ersten Christenheit die Einhaltung des Gesetzes zur Erlangung der Seligkeit gefordert wurde.330 Hieraus folgerte Luther kritisch, dass die allgemein anerkannte und hochgeschätzte Autorität der „prima ecclesia“ gegenüber der Kirche anderer Zeiten zu relativieren sei, da der Heilige Geist zu allen Zeiten gleich stark und schwach 325 AaO. 578,2–6 (Rörer): In hoc Euangelio pugnatur et tractatur de libertate conscientiae. Sepius audistis: ubi fides praedicatur et gratia dei, ibi abrogatur, quicquid est operum et legis. Gratia et werck, glaub und gsetz non conveniunt, opera fieri debent, sed tamen ne conscientia confidat in his, ut conscientia sola hereat in gratia dei. 326 Vgl. WA 15; 572; Köstlin/Kawerau, Luther 2, 141 f. Der Sermon erschien in drei nachgewiesenen Druckversionen. Im Jahr 1525 war bereits in Augsburg ein Predigtdruck unter dem Titel „Ain Sermon von der freyhaitt der gewissen Uber das XV: Cap: der XII: Potten Wirckunng“ erschienen, WA 15; 571. 327 WA 15; 572. In aaO. 575–602 wird eine Textsynopse der Nachschriften von Rörer und Roth, der Augsburger Druck von 1525 und die autorisierte Fassung von 1526 geboten. Bei der Analyse wird der ausformulierten und von Luther autorisierten Textversion von 1526 gefolgt, obgleich die übrigen, der Predigtsituation von 1524 näherkommenden Versionen berücksichtigt bleiben. 328 Vgl. Brockmann, Luther und das Apostelkonzil, 308–314; Oftestad, Evangelium, 27–33. 329 WA 15; 578,21–581,25 (Sermon, 1526). 330 AaO. 580,28–581,25 (Sermon, 1526).

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gewirkt habe.331 In diesen die besondere ekklesiologische Qualität der frühen Kirche eingrenzenden Horizont ordnete er das Apostelkonzil ein, welches er theologisch und institutionenkritisch akzentuierte und mit den Problemen der Glaubensvergewisserung und der autoritativen Verlässlichkeit verschränkte. In erneut kritischer Aufnahme des konziliaren Mehrheitsprinzips, das auch von der Papstkirche in Gestalt der zahlreichen theologischen Gewährsmänner als Argument für die Glaubwürdigkeit der kirchlichen Lehren aktualisiert wurde, beanstandete Luther den irrenden „ganzten hauff “, welcher beinahe die Lehre von der Gesetzesobservanz beschlossen hätte. Allein die für die wahre Glaubenslehre streitende Minderheit in Gestalt von Petrus, Paulus und Barnabas habe sich auf dem Apostelkonzil gegen die Konzilsmehrheit erhoben und sich dort schließlich durchsetzen können.332 Nicht das Konzil als ganzes, sondern die wenigen Apostel wirkten als vorbildliche Retter des Evangeliums. Lehnte Luther somit die konziliaristische Vorstellung von einer geistgeleiteten Konzilsmehrheit entschieden ab, zog er aus der vorangehenden Beobachtung eine kirchlich-verfallsgeschichtliche und eine individuell-heilsgeschichtliche Folgerung, die er bereits in anderen Kontexten geäußert hatte: 1. Trotz aller zum Teil erfolgreichen Bemühungen der Apostel sei die Lehre vom Gesetzeswerk in der Christenheit nie ganz ausgerottet worden. Unter dem Papsttum sei sie sogar zur herrschenden Lehre avanciert.333 2. Weil menschliche Beschlüsse, auch wenn sie mehrheitlich konziliar oder von Autoritätspersonen gefasst seien, fehlerhaft sein können, wie das Apostelkonzil beispielhaft zeige, müsse jeder Christ sich seines Glaubens gewiss sein.334 Vornehmlich aufgrund der heilsnotwendigen Glaubensvergewisserung, die Luther seinen Zuhörern einzuschärfen nicht müde wurde, entfaltete er seine am Apostelkonzil exemplarisch verdichtete Konzilskritik in zwei, bereits bekannten Lehrdimensionen: Zum einen dürfe man nicht Gottes Stimme mit anderen, durchaus weisen Stimmen verwechseln und die eigene Glaubenssicherheit zugunsten von äußeren, noch zu treffenden Konzilsbeschlüssen aufgeben.335 Zwar könne es hinsichtlich der Glaubensstärkung hilfreich sein, wenn der Glaube durch fromme Leute oder Versammlungen unterstützt werde, doch dürfe man 331 AaO. 581,26–31 (Sermon, 1526). In Roths Nachschrift lautet die Textpassage, aaO. 581,12–14: Man ruhmet sich ictzt vil de perfectione primitivae ecclesiae, wahr ist, fuit perfecta. Aber wen wirs ansehen recht, ßo ist der heilige geist ßo wol wi iczt stargk unnd schwach geweßen in den Christen. 332 AaO. 581,29–34 (Sermon, 1526). 583,24–28. 584,30–35. 333 AaO. 581,35–582,25 (Sermon, 1526). 334 AaO. 582,26–32 (Sermon, 1526). 583,32–584,24. 335 In Bezug auf Joh 10,3 formulierte Luther in der Metaphorik von Schaf und Hirte, aaO. 584,20–24 (Sermon, 1526): Das schaff mus der stimme gewis sein, augen und oren zuthun und nichts ho(e)ren wollen, wie grosse, viel, weise, frumme leute es sein. Thut es das selbige nicht, lesset die sicherheit faren und will erst ho(e)ren, was endlich geschlossen wird, ist es schon verfuret von dem hirten. Solchs hat Gott uns angezeigt ynn diesem ersten Concilio.

392 VI. Die Popularisierung und Problematisierung der Konzilsthematik in den 1520er Jahren sich hierauf nicht verlassen. „Der heilige geist hat es nicht verheissen, das er ynn den Conciliis wolle sein, sondern yn den hertzen der Christen, die er weis.“336 Zum anderen seien die Konzilien als menschliche Institutionen ungewiss und nicht vertrauenswürdig, zumal kein einziges Konzil rein gewesen sei und allein den Glauben gelehrt habe. Jedes Konzil „hat ein zusatz und abbruch dem glawben gethan, und yhe newer yhe erger, bis zu letzt da sie zu Costnitz die heiligen verbrant haben.“337 Folglich wiederholte Luther seine Kritik an der mangelnden Glaubwürdigkeit des Konzils und verband es in antiklimaktischer Steigerung mit seiner institutionengeschichtlichen Verfallsdeutung der Konzilien, die – nur im Sermon von 1526 angeführt – in Konstanz ihren Tiefpunkt erreicht hatte.338 Weil Luther den Widerspruch zwischen der Verteidigung der Glaubenslehre durch Petrus, Paulus und Barnabas und der Einbringung des Gesetzesaspektes durch Jakobus, der „ein wenig strauchlet“,339 in das Jerusalemer Aposteldekret als theologisch bedenklichen Zusatz zur Glaubenslehre (Act 15,29) bemerkte, suchte er ausgleichend zu formulieren: „Dis wie wol es das erst und reiniste [Konzil] ist, noch leuffet etwas mit unter, doch on schaden, lassens geschehen, das das gesetz ein wenig mit leufft, doch das man nur das heubtstuck bleiben lasse und allein den glawben lasse frum und selig machen.“340

Nach diesen grundsätzlichen Aussagen konzentrierte sich Luther in seiner Predigt sodann auf die Nachzeichnung der kontroversen Verhandlungen des Apostelkonzils und auf die Interpretation des Aposteldekrets mit den „Jakobusklauseln“, welche er exegetisch auf die hier nicht näher zu analysierenden Unterscheidungslehren von Gnade und Gesetz, Glaube und Werken zuspitzte.341 In antipäpstlicher Aktualisierung urteilte Luther über das von Paulus und Barnabas bezeugte Evangelium von der Gnade in Act 15: „Nun dieser text gilt ytzet eben so starck, als dazumal widder alle lere und leben, so an wercken klebt, on das sie ytzt nicht daruber Concilium machen und sich erst befragen, 336 AaO. 584,27–29 (Sermon, 1526). In Roths Nachschrift von 1524 lautete die Textpassage in möglicher Anlehnung an WA 8; 150,20–22, WA 15; 584,8–10: Concilia hin, Concilia her, sie haben nichts zcu schlisßen, neque vult spiritus esse semper in conciliis, wil sein, wu ehr wil in cordibus fidelium. – Während Luther noch 1521 in „Von der Beicht“ das Apostelkonzil als positives Konzilsbeispiel würdigte (WA 8; 150,25–27), urteilte er in seiner Predigt 1524 über das Konzil negativ, WA 15; 584,10–12: Das Concilium hie ist falsch, die do schlisßen, quod oporteat circumcidi et servare legem Mosi simul cum Euangelio. 337 AaO. 585,21–23 (Sermon, 1526). 338 WA 15; 585,1 f. (Rörer): Ideo concilia sunt incerta, quia nullum adeo purum est, quod non fecit ein abbruch des glaubens et quanto noviora, adeo nocentiora. – In den Nachschriften und im Druck von 1525 wurde das Konstanzer Konzil nicht erwähnt, so dass es für den Sermon 1526 entweder in Rezeption der lutherischen Konzilstheorie durch den Bearbeiter selbständig eingefügt oder auf Wunsch von Luther zugefügt wurde. 339 AaO. 583,28. 340 AaO. 585,23–26 (Sermon, 1526). 341 AaO. 585,28–602,12 (Sermon, 1526).

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sind wol tieffer hinein gefurt vom glawben denn yhene, Sind so tol, das sie yhre eigen selbs erdachte werck, stende, orden, newe lere und artickel durch die Concilia auffgesetzt haben und notig gemacht, darynn sie stecken und ersoffen sind, das niemand heraus kan.“342

Während der auf die Petrusrede zurückgehende Glaubensartikel des Konzilsdekrets von Luther gerühmt wurde, vollzog er bei den für ihn rechtfertigungstheologisch problematischen „Jakobusklauseln“ nicht nur den oben bereits angeschnittenen negativen Erklärungsansatz, sondern auch einen positiven, indem er sie als „situations- und zielgruppenbezogene reine Liebesgebote“343 interpretierte.344 Bei seinen Ausführungen deutete der Reformator eine weitere institutionenkritische Urteilsvariante an. In ekklesiologischer Frontstellung lehnte er die traditionell-kirchliche Argumentationsstrategie ab, welche aus der schwindenden Verbindlichkeit der apostolischen Speiseklauseln die Modifi kationsmacht der institutionalisierten Kirchenleitung über die christlichen Lehren herleitete,345 und machte entsprechend dem positiven Deutungsansatz für den Fortfall der Speiseklauseln die Veränderung von Zeit, Situation und Zielgruppe verantwortlich. Eine Rücksichtnahme auf die Judenchristen sei hinfällig geworden, so dass Luther jetzt gegen den Machtanspruch von Konzil und Papst urteilte: „Darumb hat Gott ynn keim Concilio dem Babst nachgelassen, das dis geendert sey worden. So bestehet yhe nicht, das sie es macht haben zu endern. Wer hat es denn gethan? Der gemeine man. Denn es ist von yhm selbs hin gefallen, da es nymmer ergerlich gewesen ist, auch nicht mehr not den Juden damit zu dienen, hat man es frey lassen anstehen.“346

Als Resümee seines konzilstheologischen Popularisierungsversuches vom Juni 1524 gilt es zu notieren: Das Apostelkonzil blieb für Luther ebenso wie in den vorangehenden Predigten ambivalent, auch wenn eine weitere Radikalisierung im Blick auf die negative Konzilsdeutung unterblieb. Diese Ambivalenz war, so darf aufgrund des Selbstverständnisses Luthers vermutet werden, am Vorbild des Apostel Paulus orientiert, wie im Predigtdruck von 1525 anklingt: „Zun

342

AaO. 588,29–34 (Sermon, 1526). Brockmann, Luther und das Apostelkonzil, 312. 344 WA 15; 598,34–600,31 (Sermon, 1526). 345 AaO. 591,32–592,24. 346 AaO. 594,33–595,24 (Sermon, 1526). Brockmann, Luther und das Apostelkonzil, 313 differenziert nicht zu Unrecht zwei Deutungsansätze bezüglich der „Jakobusklauseln“ bei Luther, die konkurrieren und rechtfertigungstheologisch motiviert sind: „Luthers Aversion gegen die Speiseklauseln als Relikte des „Gesetzes“ (Ansatz 1); und sein Bestreben, die prinzipielle Einheit des Konzilsresultats zu wahren, weil davon die Glaubwürdigkeit namentlich des Hauptbeteiligten Petrus als Protagonisten der wahren Rechtfertigungslehre und damit die Brauchbarkeit der ganzen Perikope als Schlüsselzeugnis für die reformatorische Soteriologie abhängt (Ansatz 2).“ 343

394 VI. Die Popularisierung und Problematisierung der Konzilsthematik in den 1520er Jahren zeytten prediget er [d. h. Paulus] für das Conncilium, Zun zeytten darwider.“347 Vom rechtfertigungstheologischen Konfl ikt her wertete Luther das Konzil positiv, da sich in ihm die Glaubenslehre gegen die Gesetzeslehre durchgesetzt habe. Andererseits hob er jetzt – anders als früher – weder das Wirken des Heiligen Geistes noch die Bindung an die Heilige Schrift gesondert hervor. Dieses dürfte durch die Verschiebung des Fokus von der allgemeinen Kontrastierung der altkirchlichen Konzilien mit den päpstlichen Konzilien hin zu einer exegetisch genaueren Analyse und Interpretation der jeweiligen Konzilsbeschlüsse als gesetzliche, dem Glauben abträgliche Zusätze verursacht sein. Aus dieser Perspektive beurteilte Luther das Apostelkonzil als defi zitären Beginn der konziliaren Verfallsgeschichte und widerlegte die von der Papstkirche behauptete Glaubensvergewisserung durch die formale und institutionelle Autorität „Konzil“ als unglaubwürdig. Obwohl Luther die konziliare Anwendung auf die protestantischen Gemeindeorganisationsfragen nicht explizierte, war durch seine Ausführungen auf der Kanzel deutlich geworden: Ein aus dem Apostelkonzil abgeleiteter konziliar-synodaler Reformweg war aufgrund des intendierten Gesetzescharakters problematisch und für die Freiheit des Gewissens höchst gefährlich.

3.3. Nuancierungen des Apostelkonzils nach 1524 Mit seiner Predigt über das Apostelkonzil hatte Luther die für ihn relevante Konzilsinterpretation differenziert popularisiert und gleichzeitig auf der Kanzel zu einem gewissen Abschluss geführt. War in den Predigten nach 1524 ein Rückgang des Konzilsthemas insgesamt zu beobachten, traf dies auch auf das Paradigma „Apostelkonzil“ zu. Während er 1525 bis 1527 kein einziges Mal das Apostelkonzil in einer Predigt erwähnte, erneuerte er in der Kanzelrede vom 27. Juni 1528 über Joh 16,12–16348 unter Bezug auf das Apostelkonzil und Nicäa seine Meinung vom konzilsgeschichtlichen Verfallsprozess.349 Eine etwas positivere Bewertung des Apostelkonzils trug er in seiner Predigt vom 17. Mai 1529 vor,350 in der er, wie oben bereits angedeutet,351 die Thematik des Heiligen Geistes im Konzil bedachte und im Rahmen der rechtfertigungstheologischen Beschlussfassung analysierte. Jetzt kontrastierte er erneut das Apostelkonzil als „fein“ und „erst Concilium“ von den übrigen Konzilien, weil 347

WA 15; 601,15 (Sermon, 1525). WA 28; (31–42) 50–53,24 (Wochenpredigt, 27. 6. 1528). 349 AaO. 52,15–20. Über das Konzil von Nicäa urteilte Luther laut Roths Nachschrift, aaO. 52,19 f.: Nicenum concilium non fuit purum, deitas Christi ist drinn erhalten, es war ein Pfaffen hadder. 350 WA 29; 358,22–365 (Predigt am Pfi ngstmontag, 17. 5. 1529). 351 Siehe oben, Kapitel VI § 16.2.2. 348

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in ihm – anders als in den späteren Konzilien – das Gesetz aufgehoben und der Glaube beschlossen wurde.352 Während Luther in seinen Predigten nach 1524 somit keine neuen Erkenntnisse zum Apostelkonzil und seiner Konzilstheorie mitteilte, modifi zierte er seine auf der Kanzel in rechtfertigungstheologischer Perspektive ventilierten exegetischen Aussagen auf dem Katheder. In seiner vom 11. November bis 13. Dezember 1527 gehaltenen Vorlesung über den Brief an Titus353 nahm er in der Erläuterung der Beschneidungsproblematik („ex circumcisione“) auf das Apostelkonzil Bezug.354 Auch übertrug er das in Gal 5,9 erwähnte Sprichwort vom Sauerteig auf das Apostelkonzil: Durch die menschlichen Beschlüsse der „Jakobusklauseln“ habe das ganze Konzil seine Reinheit eingebüßt.355 Das Jerusalemer Apostelkonzil diente auch in Luthers Vorlesung über den 1. Timotheusbrief, die er vom 13. Januar bis 30. März 1528 hielt,356 als Beispiel für die Gesetzesproblematik.357 Abgesehen von der exegetischen und homiletischen Vortragstätigkeit rezipierte Luther in deutlich stringenterer und ausgefeilterer Gedankenführung das Apostelkonzil als Exempel für die Durchsetzung der Rechtfertigungslehre in seiner Streitschrift „Ein Bericht an einen guten Freund von beider Gestalt des Sakraments aufs Bischofs zu Meißen Mandat“358 , die im September 1528 als Antwort auf ein im März 1528 vom Meißener Bischof erlassenes Mandat gegen beiderlei Gestalt im Abendmahl publiziert wurde. In Variation der in seiner Predigt zum Apostelkonzil verhandelten fundamentaltheologischen Streitthematik zwischen dem allein seligmachenden Glauben, dem „rechte[n] heubtstuck 352 WA 29; 364,8–16 (Rörer): Ex hoc fundamento videtis, qualia fuerint concilia et futura. 1. erat fein, vide qui concluserint: Nempe legem abrogandam et non imponendam. Das war das erst concilium. Alia omnia non habuerunt hunc intellectum nec usi et postea yhe lenger yhe erger. Ordinandum hoc decreverunt ipsi, ut illa ecclesia sic ornetur, sic vestiat sacerdos. Ideo omnia concilia erga primum comparantur invicem ut ignis et aqua, deus et diabolus. Primum abrogat legem et fidem statuit et econtra. Concilia dei vocata quae diaboli. Opus spiritus sancti sanctificare homines non fit per legem, sed spiritus sanctus datur eis cum suis donis, ut hoc fassen. – Siehe auch aaO. 364,26–33 (Nürnberger Handschrift). 353 Siehe „Annotationes Lutheri in epistolam Pauli ad Titum“, WA 25; (1) 6–69,25. – Zu Luthers Vorlesungstätigkeit trotz der in Wittenberg ausgebrochenen Pest und der nach Jena evakuierten Universität im Jahr 1527 vgl. J. Wolff, Art. C.I.8. Vorlesungen (LuH, 322–328), 325. 354 WA 25; 31,7–14. Der Theologieprofessor erwähnte den durch die Bewertung der Beschneidung entstandenen Streit auf dem Konzil und hob das dortige Engagement von Petrus, Paulus und Barnabas gegen die Beschneidung hervor. Dass die Apostel die gesetzliche Lehre von der Beschneidung letztlich nicht verhindern konnten, äußerte Luther in aaO. 31,24 f. 355 WA 25; 34,15–20. Mit Bezug auf I Kor 8,4 betonte Luther, dass Paulus später das Dekret über das Götzenopferfleisch aufgehoben habe (aaO. 34,20 f.). 356 Siehe WA 26; (1) 4–120. 357 AaO. 68,5–8. Vgl. Oftestad, Evangelium, 32. – Erwähnung fand das Apostelkonzil auch in Luthers Vorlesung über den Propheten Sachaja von 1527: WA 23; 540,9–13. 358 WA 26; (555) 560–618. Vgl. Brecht, Luther 2, 338 f.; Köstlin/Kawerau, Luther 2, 142 f.

396 VI. Die Popularisierung und Problematisierung der Konzilsthematik in den 1520er Jahren Christlicher lere“,359 und den Werken des Gesetzes richteten sich seine an der lukanischen Erzählstruktur orientierten Ausführungen gegen die Gesetzesforderungen der Papstkirche und gegen die von den „Nicklas Bischoffe[n]“360 aufgrund der „Jakobusklauseln“ propagierten Argumentationsstrategie, ohne allerdings neue Akzente zu setzen.361 In Applikation des Apostelkonzils auf die kirchentrennende Rechtfertigungsproblematik und unter Hinzuziehung von Leseanweisungen notierte Luther: „Also hastu, das der Bapstesel und die teuffels kirche aus diesem 15. Capitel [Act 15] nicht bringen kan die gewalt und recht, auffsetze [d. h. Gesetze] zu machen uber die gewissen, sondern das es gewaltiglich widder sölch yhre tyranney streit, das sie den glauben und gewissen sollen frey lassen, Wöllen sie aber aufflegen, das sie der liebe aufflegen, welche tregt, duldet und leidet alles, Aber on sölchen auffsetzen hat des Bapst esels Gott, der teuffel, nicht gnug, Die gewissen wil er gefangen haben und den glauben verrücken, falsch vertrawen auff werck anrichten und also das Euangelion dempffen, Gottes gnade lestern und den heiligen geist schenden, odder wie es S. Petrus nennet ym Concilio, Gott versuchen, Lies nu das Capitel und hab wol acht auff den handel und auff den heubtartickel, so wirstu fi nden, das ich dir hiemit recht gesagt habe.“362

4. Variationen der homiletischen Konzilsprogrammatik nach 1524 Um die Untersuchung der Predigten auf die Konzilsthematik hin abzurunden, sei ein kurzer Überblick über die Predigten nach 1524 geboten und als Resultat evaluiert: Was für das Zurückweichen des Paradigmas „Apostelkonzil“ auf der Kanzel beobachtet wurde, bestätigt sich für die übrige Konzilsthematik bei einer kritischen Analyse der Predigten. Nicht nur nahm die Problematisierung des Konzils in den Jahren nach 1524 signifi kant ab. Auch an den Stellen, an denen Luther auf das Konzilsthema zu sprechen kam, erneute und variierte er lediglich die bereits zuvor entwickelten konzilskritischen Aspekte. So widerlegte er wiederholt auf der Kanzel die altgläubige Meinung von der Irrtumsfreiheit der Konzilien,363 monierte die kontroverstheologischen Vorwürfe gegen seine Infragestellung der kirchlichen Autoritäten,364 polemisierte 359

WA 26; 572,11. AaO. 571,15 u. ö. Wie Luther den Papst polemisch als Esel bezeichnete, so charakterisierte er die katholischen Kirchenfürsten als „Niklasbischöfe“, die Bischöfe zu sein scheinen, obgleich sie es nicht sind. Kulturgeschichtlich stand hinter dem Begriff „Niklasbischof “ der Brauch, dass ein Kind am Nikolaustag in das Bischofskostüm schlüpfen und St. Nikolaus spielen durfte. 361 AaO. 571,15–574,18. 362 AaO. 573,36–574,7. 363 WA 17,1; 7,27–30 (Predigt am Sonntag nach Epiphanias, 8. 1. 1525); aaO. 268,22–24 (Predigt am Pfi ngsttage, nachmittags, 4. 6. 1525); WA 28; 262,2–4 (Rörers Nachschrift) par. 262,12 f. (Poachs Bearbeitung 1557/1566) (Wochenpredigt, 12. 12. 1528). 364 WA 27; 83,7–12 (Predigt am Sonntag Judika, nachmittags, 29. 3. 1528); aaO. 132,14 f. (Predigt am Himmelfahrtstag, 21. 5. 1528); WA 28; 102,34–36 (Crucigers Bearbeitung) 360

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gegen die (päpstlichen) Konzilien als die das Wort Gottes verdunkelnde Institutionen des menschlichen Gesetzes und der Werkgerechtigkeit,365 diskreditierte ihre doktrinale Entscheidungskompetenz 366 und kritisierte die das eigene Urteilsvermögen und Seelenheil suspendierende Konzils- und Kirchengläubigkeit.367 Zu diesen grundsätzlichen Aspekten traten vereinzelt kritische Aussagen über die Zusammensetzung eines Konzils,368 das Wirken des Heiligen Geistes im Konzil 369 sowie über die Papstkonzilien, ohne sie namentlich auf der Kanzel genauer zu bezeichnen.370 Ebenfalls blieb Luther bei seiner Skepsis bezüglich des kirchlichen oder politischen Konzilsbegehrens371 und erneuerte 1529 die These von der bewussten Konzilsverhinderung seitens des Papstes.372 Dass er den 2. Speyrer Reichstag als „Concilium“ titulierte, dürfte mit den dort zu verhandelnden Themen zusammengehangen haben.373 (Wochenpredigt, 22. 8. 1528); WA 29; 522,19–523,2 (Predigt am 13. Sonntag nach Trinitatis, 22. 8. 1528). 365 WA 16; 249,21–25 (Predigt über Ex 12, 21. 5. 1525); WA 17,1; 8,1–5 (1525); aaO. 53,11–15 (Predigt am Dienstag vor Petri Stuhlfeier, 21. 2. 1525); aaO. 230,3 f. (Predigt am Freitag nach Jubilate, 12. 5. 1525); WA 20; 320,5 f. (Predigt am ersten Osterfeiertag, nachmittags, 1. 4. 1526); aaO. 421,22–26 (Predigt am Trinitatisfest, 27. 5. 1526); WA 27; 83,13–16 (1528); aaO. 286,16–287,1. 287,15–18 (Predigt am 8. Sonntag nach Trinitatis, 2. 8. 1528); aaO. 306,26–29 (Predigt am 10. Sonntag nach Trinitatis, 16. 8. 1528); WA 28; 25,3–8 (Sermon von Christus Brüdern und Schwestern, Wochenpredigt zwischen 10.6. und 9. 12. 1528); aaO. 103,15–17 (Rörer) (1528); WA 29; 15,30–32 (1529); aaO. 79,5–8 par. 75,11–13 (Predigt an Oculi, 28. 2. 1529); aaO. 355,2–5 par. 355,20–22 (Predigt am Pfi ngsttag, nachmittags, 16. 5. 1529). 366 WA 17,1; 230,20–25 (Predigt über den 26. Psalm am Freitag nach Jubilate, 12. 5. 1525, Aurifabers Bearbeitung); WA 27; 283,36–284,22. 285,1 f. (1528); WA 29; 49,9–11 (Predigt an Septuagesimä, nachmittags, 24. 1. 1529); aaO. 76,1–3 par. 75,15–76,11 (1529); aaO. 639,8–11 (Predigt am 4. Adventssonntag, 19. 12. 1529). 367 WA 15; 796,13–797,2 par. 796,35–38 (Predigt am Stephanustag, 26. 12. 1524); WA 20; 300,25 f. (Predigt an Judica, 18. 3. 1526); aaO. 509,7–10. 509,28–31 (Predigt am 18. Sonntag nach Trinitatis, 30. 9. 1526); WA 27; 305,23–306,2 (Predigt am 10. Sonntag nach Trinitatis, 16. 8. 1528); WA 28; 260,9–11 (Rörer) (Wochenpredigt, 12. 12. 1528); WA 29; 13,8–11 (Predigt am 1. Sonntag nach Epiphanias, nachmittags, 10. 1. 1529); aaO. 79,5–8 (Predigt an Oculi, 28. 2. 1529). 368 WA 28; 262,18–23 (Poachs Bearbeitung, 1566) (1528). 369 WA 17,1; 55,10–13 (Predigt am Dienstag vor Petri Stuhlfeier, 21. 2. 1525); WA 20; 396,33–35 (Predigt am Pfi ngstsonntag, 20. 5. 1526); WA 28; 53,19–24 (Rörer) (1528); aaO. 757,29–34 (Aurifabers Bearbeitung) (Predigt über Dtn 9, 19. 12. 1529); WA 29; 356,7 f. (1529); aaO. 364,8 (Predigt am Pfi ngstmontag, 17. 5. 1529). 370 WA 17,1; 135,21 f. (Predigt an Oculi, 19. 3. 1525); WA 27; 283,14–16. 287,12–15 (1528). 371 WA 20; 300,25 f. (Predigt an Judica, 18. 3. 1526); WA 27; 283,12 f. par. 283,29–33 (1528). 372 WA 28; 301,6–9 (Rörer) par. 301,25–29 (Poachs Bearbeitung 1557/66) (Wochenpredigt, 13. 2. 1529). 373 WA 29; 344,18 f. (Predigt am Sonntag Exaudi, 9. 5. 1529, Nürnberger Handschrift); aaO. 347,32 (Predigt am Pfi ngsttage, 16. 5. 1529, Nürnberger Handschrift).

398 VI. Die Popularisierung und Problematisierung der Konzilsthematik in den 1520er Jahren Neu war einzig die dogmengeschichtliche Unterrichtung der Gemeinde über die christologischen Streitigkeiten in der Alten Kirche und die damit verbundenen Hinweise auf die Konzilien von Ephesus und Chalcedon. In seiner Predigt vom Ostermontag, dem 2. April 1526, über Gen 22,18374 skizzierte Luther die „Trennungschristologie“ des Nestorius, gegen die das Konzil von Ephesus urteilte,375 und wiederholte am Osterdienstag 1526 die Erwähnung des konziliaren Ketzerurteils über Nestorius.376 Als zweiten Ketzer führte Luther Eutyches an, gegen den das 4. Hauptkonzil, das Konzil von Chalcedon, gehalten wurde und kritisierte dessen Christologie.377 Die für Luther untypische konkrete Erwähnung der beiden altkirchlichen Konzilien auf der Kanzel diente der christologischen Positionsbestimmung der Zweinaturenlehre, die im sich verschärfenden Abendmahlsstreit eine zentrale Rolle spielen sollte.378 Abgesehen von dieser Konkretion kamen keine neuen Akzente zur Konzilsproblematik hinzu. Die Luther seit 1525 beschäftigenden Auseinandersetzungen wie der Bauernkrieg, die Bekämpfung der Schwärmer oder der Abendmahlsstreit nötigten zur Behandlung anderer Themen auf der Kanzel, die mit der Konzilsthematik keine Berührungspunkte haben sollten.

374 WA 20; 336,20–348,5 (Predigt am Ostermontag, nachmittags, 2. 4. 1526). Bezüglich der Datierung siehe aaO. 321–323. 375 WA 20; 344,5–11: Nestor, ein Patriarch oder Bischoff in der keiserlichen stadt Constantinopel, zur zeit des Keisers Theodosii des jüngern, wieder den das Concilium zu Epheso eben das jar, da Augustinus gestorben, nach Christi geburt 437 jar, gehalten worden, offentlich gelerhet hat, Gott oder Jesus Christus, Gottes Son, sey nicht geborn aus Marien der junckfrawen, gestorben und auferstanden. Denn Gott sey ein Geist, der nicht kan geborn werden, leiden oder sterben, sondern alleine der Mensche, Marien son. 376 WA 20; 359,34–360,1 (Predigt am Osterdienstag, nachmittags, 3. 4. 1526): Denn wir ehren und betten nicht alleine die schlechte blosse menschheit in Christo an [. . .], sonder die gottheit und menschheit, das ist, gott und mensch zu gleich, als den rechten scho(e)pfer himels und der erden in einer person zusamen vereiniget. Wie denn das Concilium zu Epheso fur 1115 iaren wider Nestorium den ketzer auch schliesset und setzet. 377 WA 20; 344,30–35: Der ander ketzer Eutyches, welcher ist gewesen ein Apt zu Constantinopel, wieder welchen das vierde heupt Concilium zu Calcedon in Ponto oder Asia im vierden jar des Keisers Marciani gehalten worden, nach Christi geburt im 455. Der lerete auch offentlich, das der Mensche Jesus Christus von Marien geborn ist nicht der Schepfer himels und der erden, den man anbetten sol. 378 Zur Zweinaturenlehre bei Luther vgl. aus der Fülle der Sekundärliteratur zur Christologie u. a. Beutel, In dem Anfang, 311–320; N. Slenczka, Art. C.II.4. Christus (LuH, 381– 392), 385–392; R. Schwarz, Gott ist Mensch. Zur Lehre von der Person Christi bei den Ockhamisten und bei Luther (ZThK 63, 1966, 289–351); M. Lienhard, Martin Luthers christologisches Zeugnis. Entwicklung und Grundzüge seiner Christologie, Göttingen 1980; Ders., Luthers Christuszeugnis (LWML, 77–92. 748–755).

§ 17 Die Durchführung der lutherischen Reformation ohne Konzil Dem signifi kanten Rückgang der Konzilsthematik auf der Kanzel korrespondierte bei Luther eine deutliche Reduzierung des Themas in Schriften und Briefen in der zweiten Hälfte der 1520er Jahre sowohl hinsichtlich des Konzils als kirchenpolitischem Instrument zur Verhinderung der kirchlichen Spaltung als auch als kirchenorganisatorische Institution zur Einführung kirchlicher Reformen oder gar der Reformation.379 Während sich Luther vom Konzilsinstitut in produktiver Hinsicht verabschiedet hatte, fand der Konzilsgedanke in zweifacher Weise in reformatorisch gesinnten Kreisen Anwendung. Zum einen nutzten ihn, wie in § 15 geschildert, die reformatorischen Reichsstände in Form eines allgemeinen, christlichen Konzils oder einer konziliaren Nationalversammlung weiterhin als politische Forderung. Zum anderen fand er in abgewandelt-reformatorischer Form jetzt Rückhalt bei weltlichen Obrigkeiten zur Einführung der Reformation. So berief Landgraf Philipp von Hessen eine aus weltlichen und geistlichen Abgeordneten zusammengesetzte „Synode“ auf den 21. Oktober 1526 nach Homberg.380 Bereits zuvor hatte dem Vorbild der zwei „Züricher Disputationen“ folgend das 379 Darüber hinaus kritisierte Luther erneut die durch die Versammlungen der Konzilien entstandenen menschlichen Gesetze als „Fallstricke des Glaubens“ (u. a. WA 18; 417,28–33 [„Sendbrief an die Christen in Livland“, 1525]; aaO. 650,35–651,1 [„De servo arbitrio“, 1525]; WA 23; 67,5–11 [„Daß diese Worte Christi ‚Das ist mein leib‘ noch fest stehen“, 1527]; aaO. 418,33–419,17 [„Tröstung an die Christen zu Halle“, 1527]) oder problematisierte die Konzilien als kirchliche Autoritäten gegenüber der Heiligen Schrift und Jesus Christus (u. a. WA 18; 640,5–9. 660,17–24; WA 23; 67,11–16. 67,22–25; aaO. 414,6–8). 380 Zur Homberger Synode vgl. Die Homberger Synode von 1526. Die Reformation in Hessen, hg. vom Zweigverein Homberg/Efze im Verein für hessische Geschichte und Landeskunde, Kassel 2003; G. Müller, Franz Lambert von Avignon und die Reformation in Hessen (VHKH 24,4), Marburg 1958, 33–49; Ders., Die Synode als Fundament der evangelischen Kirche in Hessen. Homberg 1526–1976 ( JHKGV 27, 1976, 129–146); W. Schmitt, Die Synode zu Homberg und ihre Vorgeschichte. FS zur 400-Jahrfeier der Homberger Synode (1526–1926), Homberg 1926; G. Schneider-Ludorff, Die Homberger Synode und die Reformatio ecclesiarum Hassiae. Beobachtungen zum Wandel Philipps von Hessen vom spätmittelalterlichen Landesherren zum protestantischen Fürsten ( JHKGV 54, 2003, 89– 101); Dies., Der fürstliche Reformator. Theologische Aspekte im Wirken Philipps von Hessen von der Homberger Synode bis zum Interim (AKThG 20), Leipzig 2006, 45–59; W. Sohm, Urkundliche Quellen zur hessischen Reformationsgeschichte Bd. 1: Territorium und Reformation in der hessischen Geschichte 1526–1555 (VHKH 11), Marburg 21957, 23–28.

400 VI. Die Popularisierung und Problematisierung der Konzilsthematik in den 1520er Jahren synodenähnliche Institut der obrigkeitlichen Versammlung oder Disputation in einzelnen Städten der Einführung der Reformation gedient.381 In diesem bewusst knapp gehaltenen Paragraphen gilt es nun zu fragen, wie Luther auf diese „demokratisch“ wirkenden Einrichtungen reagierte und inwiefern er den synodalen Strukturen für die Einführung und Umsetzung der Reformation positive Seiten abgewinnen konnte.

1. Die Gestaltung des Kirchenwesens seit 1525 Gegenüber Nikolaus Hausmann hatte Luther noch vor dem Bauernkrieg dem konziliaren oder synodalen Weg, aber auch anderen restriktiven Gesetzesmaßnahmen zur Vereinheitlichung und Ordnung des reformatorischen Gemeindewesens eine deutliche Absage erteilt. Im folgenden Jahr wandelte sich Luthers Ansicht grundlegend.382 Mit den Erfahrungen des Bauernkrieges, den Unklarheiten bezüglich des Kirchengutes und der Pfarrbesoldung in evangelischen Gebieten, der wachsenden Vielfältigkeit und Uneinheitlichkeit der Lehre und des Gottesdienstes sowie zahlreichen innerkirchlichen Notständen war die Dringlichkeit einer ordnenden Instanz der reformatorischen Gemeindeangelegenheiten auf territorialer Ebene in Luthers Blick getreten.383 Aufgrund dieser veränderten Sichtweise enthält folgende Fragestellung kirchenordnende Relevanz: Inwiefern thematisierte Luther jetzt das konziliar-synodale Konzept als eine kirchenleitende Ordnungsmöglichkeit in Kursachsen und darüber hinaus?

1.1. Die kursächsische Reformation Es ist hinlänglich bekannt und vielfach untersucht, wie Luther und seine Mitstreiter nach 1525 die Reformation in Kursachsen aufgrund der einschneidendkatastrophalen Erfahrungen in geordnete Bahnen zu lenken suchten, so dass 381 Vgl. zur Veranstaltungsform der „städtischen Disputation“ in der Reformationszeit mit ihren rechtlichen Implikationen, die eine Mischung aus traditioneller Provinzialsynode und mittelalterlicher Universitätsdisputation darstellte: B. Moeller, Zwinglis Disputationen. Studien zu den Anfängen der Kirchenbildung und des Synodalwesens im Protestantismus. 1. Teil (ZSRG.K 56, 1970, 275–324). 2. Teil (ZSRG.K 60, 1974, 213–364); Ders., Zu den städtischen Disputationen der frühen Reformation (in: K.-H. Kästner [Hg.], FS für Martin Heckel zum siebzigsten Geburtstag, Tübingen 1999, 179–195). 382 Hierauf weist u. a. Holl, Kirchenregiment, 362 hin. 383 Siehe WAB 3; 582,5–11 (Luther an Nikolaus Hausmann, [Wittenberg, 27. 9. 1525]): Scio reformatione parochiarum opus esse & institutis vniformibus ceremoniis, iamque hoc saxum voluo, & principem sollicitabo. Video frustra conari nos, nisi pastores prouideantur. Agitur, sicut cum Leuitis olim, ministrari sibi volunt, alere nullum volunt. nec nostra hodie constituta est parochia; quid de aliis fiet, quarum querelis quottidie obruor?

§ 17 Die Durchführung der lutherischen Reformation ohne Konzil

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hier auf eine eingehende Behandlung der Thematik verzichtet werden kann. 384 War es Luther 1522 um die Verteidigung der evangelischen Freiheit und ihrer Entfaltung im Gegenüber zum römischen Gesetzesgehorsam gegangen, sah er sich 1525/26 gegen den schwärmerischen und anderweitigen Missbrauch der Freiheit zu wehren genötigt und empfahl in theologisch reflektierter Weise situativ-regulative Maßnahmen. Um dem Konsolidierungsprozess des evangelischen Gemeindewesens Orientierung zu bieten, agierte Luther auf zweierlei Weise: Zum einen setzte er als anerkannte evangelische Autoritätsperson seine literarische Produktion zur Gestaltung des gottesdienstlichen und christlichen Lebens fort und autorisierte durch Briefe, Gutachten und Reisen gemeindlichreformatorische Entwicklungen.385 Hier sei an die Ausarbeitung der wirkmächtigen deutschsprachigen Liturgie von 1525 sowie deren Publikation unter dem Titel „Deutsche Messe und Ordnung Gottesdiensts“386 Anfang des Jahres 1526 ebenso erinnert wie an die Erstellung der Katechismen im Jahre 1529.387 Zum anderen nahm Luther entsprechend seiner seit der Adelsschrift entfalteten Obrigkeitslehre und Notrechtsargumentation 388 seinen Landesherrn, den seit Friedrichs III. Tod am 5. Mai 1525 allein regierenden reformfreudigen Kurfürsten Johann, genannt der Beständige,389 in die Pfl icht zur Erhaltung der Kir384 Aus der vielfältigen Literatur zur „zweiten Etappe der Gottesdienst- und Gemeindereform“ (Schwarz, Luther, 161) und dem sich durch die Visitationspraxis entwickelnden landesherrlichen Kirchenregiment vgl. u. a. Bornkamm, Luther in der Mitte seines Lebens, 425–442; K. A. H. Burkhardt, Geschichte der sächsischen Kirchen- und Schulvisitationen von 1524 bis 1545, Leipzig 1879 (Nachdruck Aalen 1981); K. Eger, Grundsätze evangelischer Kirchenverfassung bei Luther (ThStKr 106, 1934/35, 77–123); EKO 1; 32–49; R. Hermann, Die Kirchenvisitationen im ernestinischen Thürigen vor 1528 (BThKG 1, 1929/30, 167–230; 3, 1933/34, 1–69); Holl, Luther und das landesherrliche Kirchenregiment, 326–380; Junghans, Freiheit und Ordnung, 100–104; H.-W. Krumwiede, Zur Entstehung des landesherrlichen Kirchenregiments in Kursachsen und in Braunschweig-Wolfenbüttel (SKGNS 16), Göttingen 1967; Müller, Kirche, 62–84; Schwarz, Luther, 161– 166. 385 Siehe z. B. „Ein Ratschlag, wie in der christlichen Gemeine eine beständige Ordnung solle vorgenommen werden. Oder: Bedenken, wie jetziger Zeit Aufruhr zu stillen wäre“ (1526) (WA 19; [436] 440–446). 386 WA 19; (44) 72–113. 667–669 = Cl 3; 294–309. Zu Luthers Gottesdienstreform von 1525/26 vgl. F. Schulz, Der Gottesdienst bei Luther (LWML, 297–302. 811–825); D. Wendebourg, Den falschen Weg Roms zu Ende gegangen? Zur gegenwärtigen Diskussion über Martin Luthers Gottesdienstreform und ihr Verhältnis zu den Traditionen der Alten Kirche (ZThK 94, 1997, 437–467 = Dies., Die eine Christenheit auf Erden. Aufsätze zur Kirchenund Ökumenegeschichte, Tübingen 2000, 164–194). 387 Siehe WA 30,1 und BSLK 499–733. Vgl. auch J. Schilling, Art. C.I.5. Katechismen (LuH, 305–312). 388 Siehe hierzu u. a. WA 11; (229) 245–281 („Von weltlicher Obrigkeit“). 389 Über die Kirchenpolitik Johanns und seine seit der Übernahme der Kurwürde intensivere Beziehung zu Luther vgl. Gößner, Luther und Sachsen, 182 f.; Wartenberg, Luthers Beziehungen, 549–554. 918–921.

402 VI. Die Popularisierung und Problematisierung der Konzilsthematik in den 1520er Jahren che.390 Da sich die Diözesanbischöfe der Zuwendung zum Evangelium verweigerten und die Schwierigkeiten der personalen und materialen Versorgung der Pfarren und Schulen auf gemeindlicher Ebene nicht mehr lösbar waren, griff Luther den vor allem von Nikolaus Hausmann eingebrachten Vorschlag obrigkeitlicher Gemeindevisitationen auf, welchen er im November 1525 dem sächsischen Kurfürsten unterbreitete.391 Nachdem der Kurfürst Anfang 1526 örtlich begrenzte Visitationen hatte durchführen lassen, die aber zu keiner durchgreifenden Besserung der fi nanziellen Notlage der Pfarrer geführt hatten,392 wandte sich Luther im November 1526 erneut an Johann den Beständigen und legte ihm unter Hinweis auf seine christliche Pfl icht für die Erziehung der Jugend ein gemeindliches Visitationskonzept vor.393 Diesen obrigkeitlich-bischöfl ichen Weg der Visitationen, den Luther durch das Amt der Visitation als Aufgabe des Ortsbischofs 1522 in „Wider den falsch genannten geistlichen Stand des Papsts und der Bischöfe“ theologisch bestimmt 394 und in „De instituendis ministris Ecclesiae“ als Aufgabe des Kirchenregimentes vorgeprägt 395 hatte, sollte er in der folgenden Zeit nicht nur theoretisch weiterentwickeln, sondern auch praktisch mitgestalten.396 Mit der Indienstnahme des Landesherrn für den kirchenordnenden Prozess der Reformation, dem auf Seiten des Kurfürsten ein religiöses wie landesherrliches Interesse an den Kirchenangelegenheiten korrespondierte, welches durch den die Reformation begünstigenden Reichsabschied von 1526 verstärkt wur-

390 WAB 3; 594–596 Nr. 937 (Luther an Kurfürst Johann Wittenberg, 31. 10. 1525). In diesem Brief bat Luther seinen Kurfürsten, als weltliche Obrigkeit im Anschluss an die Universitätsreform sich der ökonomischen Notlage der Pfarren anzunehmen und als Gottes „trewes wergzeug“ (aaO. 595,47) die fi nanzielle Unterstützung der Geistlichen sicherzustellen. Der Kurfürst ersuchte Luther darauf hin um ein Gutachten, wie die Notlage durch eine kurfürstliche Ordnung abzustellen sei. Siehe WAB 3;613 f. Nr. 944 (Kurfürst Johann an Luther, Torgau, 7. 11. 1525). 391 WAB 3; 628 f. Nr. 950 (Luther an Kurfürst Johann, Wittenberg, 30. 11. 1525). – Zur Beruhigung der Gemeinden und Beseitigung der Schwärmer hatte Herzog Johann Friedrich Luther im Juni 1524 bereits um eine Visitations- und Predigtreise nach Thüringen gebeten. Siehe WAB 3; 310,44–52 Nr. 754 (Herzog Johann Friedrich von Sachsen an Luther, Weimar, 24. 6. 1524). Anfang des Jahres 1525 unternahm Jakob Strauß, Prediger in Eisenach von 1523 bis 1525, erste Visitationsversuche in Thüringen. Vgl. EKO 1; 33. 392 Vgl. StA 3; 403. 393 WAB 4; 133–135 Nr. 1052 (Luther an Kurfürst Johann, Wittenberg, 22. 11. 1526). Der Kurfürst antwortete umgehend und beauftragte Gregor Brück als kursächsischen Verhandlungspartner mit den Wittenberger Theologen hinsichtlich der Umsetzung der Visitationsidee. Siehe WAB 4; 136–138 Nr. 1054 (Kurfürst Johann an Luther, Weimar, 26. 11. 1526). 394 Siehe WA 10,2; 143,29–144,4. 395 Siehe WA 12; 194,4–20. 396 Über die Vorgeschichte der kursächsischen Visitationen vgl. u. a. Krumwiede, Entstehung, 60–71.

§ 17 Die Durchführung der lutherischen Reformation ohne Konzil

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de, begann die Phase der sogenannten „Fürstenreformation“397 und des „territorialen Ausbaus der Reformation“.398 Luthers Gedanken einer die ortsgemeindlichen Verhältnisse strukturierenden, einen starren kirchlichen Dirigismus aber vermeidenden Besuchspraxis griff der Kurfürst auf und schuf durch die vom kursächsischen Kanzler Gregor Brück ausgearbeiteten und auf den 16. Juni 1527 datierten „Instruction und befelch dorauf die visitatores abgefertiget sein“ die kursächsische Rechtsgrundlage für das Visitationswerk.399 Im Juli 1527 begann unter Mitwirkung von Melanchthon die Visitation in Thüringen,400 der die Visitation im Kurkreis unter Mitarbeit von Luther folgte.401 Die Notwendigkeit einer die reformatorische Lehre und kirchliche Praxis zusammenfassenden Richtschnur für die Geistlichen und Gemeindepfarrer erkennend, erarbeitete Melanchthon die „Articuli de quibus egerunt per Visitatores in regione Saxoniae“402 , welche übersetzt, erweitert, durch ein autorisierendes Vorwort von Luther ergänzt und im Kreis der kursächsischen Theologen und Räte korrigiert, unter dem Titel „Unterricht der Visitatoren an die Pfarrherrn im Kurfürstentum Sachsen“403 1528 erschienen. 397 Diesen in der Reformationsgeschichtsforschung vielfach problematisierten Begriff, der weder im starren Gegensatz zur Stadtreformation noch in nationalprotestantischer Perspektive des 19. Jahrhunderts zu lesen ist, hat – um Impulse der sozialhistorischen Forschung erweitert – erst kürzlich wieder Schneider-Ludorff, Der fürstliche Reformator, 13–16 akzentuiert. Vgl. auch B. Hamm, Reformation „von unten“ und Reformation „von oben“. Zur Problematik reformationshistorischer Klassifi zierungen (in: H. R. Guggisberg und G. G. Krodel [Hg.], Die Reformation in Deutschland und Europa. Interpretationen und Debatten [Sonderband ARG], Gütersloh 1993, 256–293); E. Schubert, Fürstenreformation. Die Realität hinter einem Vereinbarungsbegriff (in: E. Bünz, S. Rhein und G. Wartenberg [Hg.], Glaube und Macht. Theologie, Politik und Kunst im Jahrhundert der Reformation, [SStLSA 5], Leipzig 2005, 23–47); M. Schulze, Fürsten und Reformation. Geistliche Reformpolitik weltlicher Fürsten vor der Reformation (SuR.NR 2), Tübingen 1991. 398 Schwarz, Luther, 156. 399 Siehe EKO 1; 142–148. Zur Analyse der „Instruktion“ vgl. Krumwiede, Entstehung, 71–91, der die These von Holl, Kirchenregiment, 373 kritisch reflektiert, mit der „Instruktion“ sei „das landesherrliche Kirchenregiment da“, und die kurfürstliche Anweisung in ekklesiologisch endzeitlicher Perspektive interpretiert: „Einrichtung, Sicherung und Besetzung der Predigtstühle ist somit die eigentliche, eschatologische Intention der Visitationsinstruktion. Diese Fürsorge für die Kanzeln aber ist nicht ohne Hilfe des Kurfürsten möglich, weil es die Not fordert“ (Krumwiede, Entstehung, 91). Vgl. Wolgast, Theologie, 66. 400 Vgl. EKO 1; 47. Bei der Visitation im zweiten Thüringer Hauptlandkreis mit den Hauptorten Eisenach, Gotha und Weimar wirkten außerdem Christoph von der Planitz, Friedrich Mecum und Justus Menius mit. 401 Neben Luther wirkten als Visitatoren in der von Oktober 1528 bis Ostern 1529 vorgenommenen Visitation Hans Metzsch, Dr. Benedikt Pauli und Hans von Taubenheim. Vgl. EKO 1; 41–45. 402 CR 26; (1) 7–28 mit 95 f. 403 CR 26; (29) 41–96 = EKO 1; (36–40) 149–174 = WA 26; (175) 195–240 = StA 3; (402) 406–462. – Vgl. G. Hoffmann, Zur Entstehungsgeschichte der Augustana. Der „Unterricht der Visitatoren“ als Vorlage des Bekenntnisses (ZSTh 15, 1938, 419–490); Krum-

404 VI. Die Popularisierung und Problematisierung der Konzilsthematik in den 1520er Jahren Durch die Visitationstätigkeit wurde die einst dem Diözesanbischof zustehende kirchenleitende Maßnahme zu einer obrigkeitlich-kirchenordnenden Angelegenheit und zu einer Station auf dem Weg zum „landesherrlichen Kirchenregiment“.404 Allerdings blieben die Maßnahmen am Gemeindeprinzip orientiert und auf dieses hin angelegt, ohne dass eine einheitlich übergemeindliche Kirchenverfassung konstituiert wurde.405 Das Amt der Visitatoren und das sich aus Luthers Vorstellung von den Ortsbischöfen entwickelnde Amt der Superintendenten sollte den Gemeinden und der Festigung des Wortes Gottes dienen. Über eine kirchenordnende Provinzialsynode oder ein kursächsisches Konzil äußerte sich Luther aber nicht. Gleichzeitig fand in jenen Jahren der synodale Gedanke im Kurfürstentum keine durchsetzungsfähigen Befürworter. Als Ergebnis der überblicksartigen Untersuchung gilt für Kursachsen festzuhalten: Aufgrund von Luthers massiver Konzilskritik und seiner realistischen Einschätzung, dass eine kirchenordnende Tätigkeit der Geistlichen und Visitatoren nur im Zusammenspiel mit der territorial-politischen Gewalt der weltlichen Obrigkeit gelingen konnte, wurde der konziliar-synodale Weg einer kirchenregimentlichen Tätigkeit in der Regierungszeit Johanns des Beständigen nicht weiter beschritten. Auch wenn seit 1544 synodale Elemente vornehmlich im albertinischen Sachsen – wahrscheinlich durch die Leipziger Theologen angeregt – in lutherische Kirchenordnungen Eingang fi nden sollten,406 was allerdings den räumlichen und zeitlichen Horizont der Untersuchung übersteigt, waren mit der Indienstnahme des Landesherrn für die Durchführung der Reformation im ernestinischen Sachsen 1526/27 die Weichen in Richtung einer in den 1530er Jahren ausgestalteten konsistorialen Kirchenordnung gestellt.407

1.2. Stellungnahme zu synodalen Reformationsentscheiden Es ist bekannt, dass über Kursachsen hinaus in Städten und Territorien verschiedene Wege der Entscheidungsfi ndung zur Einführung der Reformation beschritten wurden, deren lohnenswerte Darstellung den Rahmen der auf Luthers Stellungnahmen konzentrierten Untersuchung sprengen würde. Angedeutet seien hier lediglich ein paar selbstverständlich erweiterungswürdige Aspekte. wiede, Entstehung, 91–109; C. S. Meyer, Melanchthon’s Visitationarticles of 1528 ( JEH 23, 1972, 309–322). 404 Einen lehrreichen Überblick über die Anfänge des landesherrlichen „Ius reformandi“ samt die Thematik vertiefender Literatur bietet B. Ch. Schneider, Ius Reformandi. Die Entwicklung eines Staatskirchenrechts von seinen Anfängen bis zum Ende des Alten Reiches ( JusEcc 68), Tübingen 2001, 51–121. 405 Vgl. Schwarz, Luther, 164. 406 Vgl. EKO 1; 71–73. 407 Vgl. aaO. 55–58.

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Vielfach kam es zu einer von der weltlichen Obrigkeit einberufenen oder angeregten Versammlung, auf der analog einem Gerichtsentscheid ein Urteil für oder gegen die Reformation gefällt wurde. Dieser Veranstaltungstyp, dessen populärste Form in den 1520er Jahren die sogenannte Disputation bildete, bestand häufig aus weltlichen und geistlichen Vertretern der jeweiligen Kommune oder des Territoriums und verknüpfte die reformatorischen Vorstellungen von einer mit Laien und Geistlichen beschickten Synode, eines Provinzial- oder Diözesankonzils mit den weltlichen Veranstaltungsformen der kommunalen Ratsversammlung, des städtischen Ausschusses oder eines Landtages. Den organisatorisch und juristisch neu geschaffenen Instituten stand in der Regel der Stadtrat oder ein Fürst vor.408 Die Frage, wie Luther auf jene synodenähnlichen oder konziliaren Entscheidungen für die Reformation reagierte, ist sowohl aufgrund der terminologischen und kirchenrechtlichen Unschärfe der jeweiligen Veranstaltungsformen als auch aufgrund der geringen Äußerungen Luthers hierzu nur vage zu beantworten. Vor dem Abendmahlsstreit mit Huldrych Zwingli charakterisierte Luther die sogenannte „Erste Zürcher Disputation“, welche am 29. Januar 1523 im Zürcher Rathaus stattfand,409 analog der von Zwingli gewählten Terminologie, welcher bewusst den Begriff „Konzil“ vermied,410 als eine „disputatio publica“,411 während Hans von der Planitz seinem Kurfürsten im Februar 1523 von einem Konzil berichtete.412 408 Zur Typisierung dieser Institute und ihren kirchenrechtlichen und organisatorischen Koordinaten vgl. M. Hollerbach, Das Religionsgespräch als Mittel der konfessionellen und politischen Auseinandersetzung im Deutschland des 16. Jahrhunderts (EHS.G 165), Frankfurt am Main/Bern 1982, 30–81; Moeller, Zwinglis Disputationen 2, 213–364; E. Wolgast, Formen landesfürstlicher Reformation in Deutschland (in: L. Grane und K. Horby [Hg.], Die dänische Reformation vor ihrem internationalen Hintergrund [FKDG 46], Göttingen 1990, 57–90). 409 Vgl. hierzu U. Gäbler, Huldrych Zwingli. Eine Einführung in sein Leben und sein Werk. Mit einem Nachwort und Literaturangaben von M. Sallmann, Zürich 32004, 61–68; G. W. Locher, Die Zwinglische Reformation im Rahmen der europäischen Kirchengeschichte, Göttingen/Zürich 1979, 110–115; Moeller, Zwinglis Disputationen 1, 275–285 u. ö.; H. A. Oberman, Werden und Wertung der Reformation. Vom Wegestreit zum Glaubenskampf (Spätscholastik und Reformation Bd. 2), Tübingen 1977, 237–303, charakterisiert die Disputation arbeitshypothetisch als „Klerikersynode“ (aaO. 269), um sie dann als „erste evangelische Generalsynode“ (aaO. 292 f.) zu spezifi zieren. 410 Zum Konzilsgedanken bei Zwingli, der vornehmlich in seiner reformatorischen Frühzeit 1521–23 dem Konzil von Nicäa und der Provinzsynode von Gangra (340) höchste Achtung zollte, eine Gleichgewichtung von ökumenischen und partikularen Konzilien vornahm und Nicäa und Gangra als Vorbilder für ein wahres, allein am Wort Gottes orientiertes Konzil ansah vgl. B. Müller, Zwingli und das Konzil von Gangra (Zwing. 33, 2006, 29–50); F. Schmidt-Clausing, Zwinglis Stellung zum Konzil (Zwing. 11, 1962, 479–498). 411 WAB 3; 24,12 f. Nr. 578 (Luther an Spalatin, [Wittenberg, 2. Hälfte Januar 1523]): Turegi in Helvetiis instituit Zwinglius disputationem publicam, impetrantibus Helvetiis. – Indirekt auch in WA 12; 86,30–87,2. 412 Wülcker/Virck; 375,5–8 Nr. 154 (Planitz an Kurfürst Friedrich, Nürnberg, 16. 2. 1523): E. cfl. G. ubersende ich hieneben undertheniglich eczlich neu zeitung aus Schweicz,

406 VI. Die Popularisierung und Problematisierung der Konzilsthematik in den 1520er Jahren Ein ähnliches Novum bildete die in der Forschung unter dem Namen Homberger Synode bekannt gewordene Einrichtung, die vom 21. bis 23. Oktober 1526 unter dem Vorsitz des Hessischen Landgrafen tagte. Weil sie sowohl von Geistlichen als auch Weltlichen besucht wurde, konnte sie als Territorialkonzil oder Landtag, als Disputation oder Religionsgespräch gelten.413 Als synodalen Beschluss der dreitägigen Versammlung, auf der vom einstigen FranziskanerObservanten und jetzigen theologischen Berater des Landgrafen, Franz Lambert von Avignon, 158 reformatorische Thesen – die sogenannten „Paradoxa“ – vorgetragen worden waren, wurde die Erstellung einer Kirchenordnung für Hessen beschlossen. Die anschließend von Lambert ausgearbeitete und vom Landgrafen bestätigte „Reformatio ecclesiarum Hassiae“414 war die erste reformatorische Kirchenordnung, die darauf zielte, das kirchliche Leben eines gesamten Territoriums zu regeln, und entfaltete u. a. den reformatorischen Konzilsgedanken in Form einer jährlich abzuhaltenden „Provinzialsynode“, deren Legitimation von der Gemeinde ausging, eine Zusammensetzung aus Pfarrern und Gemeindeabgeordneten vorsah und die Entscheidungsgrundlage im Wort Gottes vorschrieb.415 Luther, der sich über die Homberger Synode nachweislich nicht äußerte, erhielt von Philipp von Hessen die neue Kirchenordnung zur Begutachtung im Dezember 1526 zugesandt. In seiner Stellungnahme ging der Wittenberger Theologe nicht auf den Inhalt der Ordnung und somit auch nicht auf ihren synodalen Charakter ein, sondern riet von ihrer Drucklegung und Umsetzung zum jetzigen Zeitpunkt ab.416 Als Begründung machte er erneut seine bereits 1522 in Wittenberg betonte kritische Haltung gegenüber menschlichen Gesetzessammlungen geltend und wandte sich gegen die umfangreiche Festlegung jenes abstrakten Kirchenrechts. Statt einen „hauffen gesetze mit so mechtigen worten“ vorzunehmen,417 empfahl Luther schrittweise zu verfahren: Zunächst sollten reformatorisch gesinnte Pfarrer in den Gemeinden und Lehrer in den Schulen eingesetzt werden, die sich auf behutsame Neuerungen – durch die wie die von Zcurgh [d. h. Zürich] haben mit iren pristern ein concilium gehalten. Als man hie saget, ßo sollen bei 400 geistlichen bei einander gewest sein. – Im folgenden Brief, aaO. 375,30–376,10 Nr. 155 (Planitz an Kurfürst Friedrich, Nürnberg, 24. 2. 1523) spricht Planitz von einer „disputation“. 413 In seinem Bericht an den Kaiser bezeichnete Philipp von Hessen später das Homberger Treffen als „Provinzialsynodus“ und „Versammlung der Landschaft“ und ließ damit den rechtlichen Charakter offen. Vgl. Müller, Franz Lambert, 35; Moeller, Zwinglis Disputationen 2, 283–289. 414 Siehe EKO 8,1; (10–15) 43–65. 415 Den synodalen Aspekt der „Reformatio“, auch in Bezug auf die Homberger Synode, arbeitete zuletzt Schneider-Ludorff, Reformator, 50–52 umsichtig heraus. 416 WAB 4; 157 f. Nr. 1071 (Luther an Philipp von Hessen, Wittenberg, 7. 1. 1527). Der Rat lautete, aaO. 157,10–12: Ist das mein trewer vnd vntertheniger Rad, das E. f. g. nicht gestatte, noch zur Zeit diese ordnunge auszulassen durch den druck. 417 AaO. 157,13 f.

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Verkündigung des Evangeliums – einließen und sie in ihren Gemeinden in Übereinstimmung mit den Pfarrkollegen umsetzten.418 Darüber hinaus signalisierte er, die Erfahrung werde zeigen, „das dieser ordnung viel stuck wurden sich endern mussen, ettliche der oberkeit alleine bleiben“.419 Da Luther mit diesem Aspekt dem Landesherrn und nicht einer Provinzialsynode das kirchenleitende Handeln zubilligte, nutzte Philipp die Empfehlung und führte die Kirchenordnung in der vorliegenden Form nicht ein, sondern verfügte selbständig ein Reformprogramm.420 Folglich verhinderte Luther mit seinem Votum im Jahr 1527 die direkte Umsetzung der von Lambert aus Straßburg vermittelten synodalen Gedanken und bestritt damit den demokratisch ausgerichteten, auf gemeindliche Autonomie zielenden kirchlichen Entscheidungsprozess. Wie bereits in Kursachsen empfahl Luther von seinem Obrigkeitsverständnis her in Hessen ein monarchisch strukturiertes, den Landesherrn in die Pfl icht nehmendes Kirchenregiment. Wenige Jahre später fand trotz Luthers Votum die synodal(-presbyteriale) Struktur – nun unter dem Einfluss Martin Bucers – skuzessive Eingang in die hessischen Kirchenordnungen. 1531 wurde die Synode als Zusammenkunft der hessischen Superintendenten mit ihren Pfarrern institutionalisiert.421 In der „Kirchendienerordnung“ von 1537 kam es zum Ausbau des synodalen Elements. So wurde z. B. die aus Superintendenten und Vertretern der Pfarrerschaft zusammengesetze Generalsynode an den Aufenthaltsort des hessischen Hofs gebunden und das Institut der Bezirkssynode ausgebaut.422 1539 wurde schließlich das Ältestenamt in der „Ziegenhainer Zuchtordnung“ fi xiert.423 Folglich entwickelten sich das synodale Verständnis und die synodale Ordnung in den reformatorischen Kirchentümern unterschiedlich.

2. Wortreformation statt Konzilsreformation Am Ende dieses Kapitels sei zusammenfassend notiert, wie Luther über die Reformation in Bezug auf den Konzilsgedanken urteilte. Zu der Verwendung des 418 AaO. 158,17–25. Bezüglich der Einführung von Gesetzen argumentierte Luther, aaO. 158,25–29: Denn ich wol weis, habs auch wol erfaren, das, wenn gesetze zu frue fur dem brauch vnd vbunge gestellet werden, sellten wol geraten. Die leute sind nicht darnach geschickt, wie die meinen, so da sitzen bey sich selbs, vnd malens mit worten vnd gedancken ab, wie es gehen solle. Furschreiben vnd nachthun ist weyt von einander. 419 AaO. 158,30 f. 420 Vgl. Müller, Franz Lambert, 43–49; Schneider-Ludorff, Reformation, 54–60. 421 EKO 8,1; 71–74 (Kirchendienerordnung 1531). Vgl. hierzu Sohm, Quellen, 111 Anm. 2. 422 EKO 8,1; 92–100, bes. 99: „Von jarlichen synodis ader versamlung der pfarhern.“ Vgl. Sohm, Quellen, 155 f. 423 EKO 8,1; 101–112, bes. 102 f.

408 VI. Die Popularisierung und Problematisierung der Konzilsthematik in den 1520er Jahren Begriffes „Reformation“ durch Luther war bereits in § 2 festgestellt worden, dass der Wittenberger Theologe seit seinen reformatorischen Anfängen in schriftlichen Äußerungen immer wieder eine unmittelbare oder mittelbare Beziehung von „reformatio“ und „concilium“ hergestellt hatte.424 In der Tat war bei Luther der Reformationsbegriff zwar nicht ausschließlich,425 aber doch schwerpunktmäßig mit dem Konzilsbegriff verbunden. Mit dieser Verbindung knüpfte Luther an die spätmittelalterlichen konziliaren Kirchenreformvorstellungen an, welche die Hauptaufgabe eines allgemeinen Konzils in der „reformatio ecclesiae“ im Sinne der Reinigung von Missständen und Wiederherstellung der ursprünglichen Norm betont hatten,426 formte sie aber entsprechend seinen theologischen Erkenntnissen sowohl formal als auch material grundlegend um. Weil ihm im Streit um die autoritative Norm der Kirche, welcher zum Bruch mit der Papstkirche geführt hatte, nicht nur ein päpstliches Konzil, sondern pauschal jedes Konzil – selbst als evangelische Reforminstitution – suspekt geworden war, schied für den evangelischen Theologen das Konzil als Reforminstanz aus. Die Erneuerung des Glaubens und die Besserung der Christenheit konnte nicht durch menschliche Gesetze und Beschlüsse verordnet und herbeigeführt werden, sondern vollzog sich allein durch die Verkündigung und Predigt des Evangeliums, für deren praktische Durchführung die weltliche Obrigkeit Sorge zu tragen hatte. Trotzdem brachte Luther auch weiterhin den Begriff „Reformation“ mit dem Konzilsbegriff in Verbindung, nun freilich in kontrastierender Weise. Während von seinen Gegnern vielerorts das allgemeine Konzil als Reforminstanz angerufen oder gegen die evangelischen Neuerungen mit dem Hinweis auf die kirchenleitende Autorität als Schiedsinstanz propagiert wurde, konnte Luther sein Wirken durch den Begriff „Reformation“ deuten, ohne sich dabei explizit als Reformator zu titulieren.427 Im September 1528 erinnerte Luther in der Schrift „Ein Bericht an einen guten Freund“428 an die historische Verknüpfung von Reformationsforderung und Konzilsbegehren und beklagte, dass trotz der Chance zur Realisierung der Kirchenreformen die einstigen Reformprotagonisten keine Besserung der Christenheit vollziehen wollten.429 424 Z. B. WA 1; 627,27–31. Siehe oben, Kapitel II § 2.1.3. Über die Verwendung des Wortes „Reformation“ in Luthers Selbstverständnis vgl. Lohse, Was heißt Reformation, 5– 18; E. Mülhaupt, Was Luther selber von Reformation hielt (in: Ders., Luther im 20. Jahrhundert, 231–245); M. Schmidt, Luthers Schau der Geschichte (LuJ 30, 1963, 17–69). 425 Beispielsweise forderte er eine Reformation der Schulen und Universitäten, siehe u. a. WA 6; 457,29. 458,38; WA 8; 546,10; WA 19; 445,17. 426 Vgl. z. B. Wolgast, Reform, 321 f. 427 Vgl. Lohse, Luthers Selbsteinschätzung, 162–166. 428 WA 26; (555) 560–618. 429 WA 26; 617,32–37: Denn es ist fast yederman, ehe denn Luther kam, den geistlichen umb yhr grewlichs wesen und misbrauch beide, ynn leren und leben, feind gewest und hat nach einer reformation und Concilion geschrien. Jtzt aber wöallen sie gar nichts faren lassen oder bessern, kein unrecht bekennen noch endern, sondern noch dazu stercken und mehr

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Kurz zuvor hatte er mit großem Selbstbewusstsein und zehn Jahre nach seinem ersten öffentlichkeitswirksamen Auftreten den angestoßenen kirchlichen Erneuerungsprozess in der Vorrede zu „Von Priesterehe des würdigen Herrn Licentiaten Stephan Klingebeil“430 als Durchführung eines Konzils und einer Reformation gewürdigt: „Ich meine ia, ich hab ein Concilium angericht und eine reformation gemacht, das den Papisten die ohren klingen“.431

Den in drei Punkten zusammengefassten Reformmaßnahmen – (1) Wiedereinführung der Heiligen Schrift als alleinige Lehrnorm, (2) Erfolgreiche Kritik am Ablasswesen, (3) Abstellung der Wallfahrten und weiterer die Gesetzesfrömmigkeit fördernder Formen432 – fügte Luther positiv eine Darstellung dessen an, wie und wodurch er die christliche Gemeinde reformiert hatte, und resümierte: „Summa: Es ist des Luthers reformation“.433 machen, Und sölchs mit mörden, brennen, fahen, iagen, rauben, verfolgen die unschuldigen [. . .]. 430 WA 26; (528) 530–533. 431 AaO. 530,5–11: ICh mus mich ein mal rhümen, denn ich habe mich lange nicht gerhümet. Man hat lange nach eym Concilio geschrien, dadurch die kirche reformiert würde. Ich meine ia, ich hab ein Concilium angericht und eine reformation gemacht, das den Papisten die ohren klingen, und das hertze bersten wil für grosser bosheit, Denn ich halts für war, das, wenn gleich der Bapst solt ein gemein Concilium halten, Es würde nicht so viel darynnen ausgericht werden. 432 AaO. 530,12–24: Erstlich hab ich die Papisten ynn die bücher geiagt, und sonderlich ynn die schrifft, und den Heiden Aristotelem und die Summisten sampt den Sophisten mit yhrem Sententiarum vom platz getrieben, das sie widder auff der Cantzel noch ynn schulen so regiern und leren, wie sie zuvor gethan haben, Welchs ich acht, das kein Concilium hette vermocht. Zum andern hab ich ia das grosse geprenge und iar marckt des verfürischen ablas stiller gemacht, welches kein Concilium hette dürffen anrhüren. Zum dritten, den walfarten und feldteuffeln fast die strassen gelegt. So hoffe ich auch, der Klöster und Stiffte solle hinfurt eine masse werden. Und viel ander grosse stücke mehr, welche die papisten mussen faren, fallen und ligen lassen, Dar über sie nicht unbillich so toben und wüten, Undack solten sie auch haben, wo sie mir on ursach feind weren. Ich habs redlich verdienet. Gott sey lob, Amen. 433 AaO. 530,25–531,27: Widderumb hab ich auff unser seiten von Gotts gnaden so viel ausgericht, das Gott lob itzt ein knab odder medlin von funffzehen iaren mehr weis ynn Christlicher lere, denn zuvor alle hohe schulen und Doctores gewust haben, Denn es ist ia der rechte Catechismus bey unserm heuffl in widder auff der ban, nemlich das Vater unser, der Glaube, die Zehen gebot, Was die busse, tauffe, gebet, Creutz, leben, sterben und das sacrament des altars sey, Und uber das, was die ehe, die welltlich öberkeit, was vater und mutter, weib und kind, man und son, knecht und magd, Und ynn summa alle stende der wellt hab ich zu gutem gewissen und ordnung bracht, das ein iglicher weis, wie er lebt und wie er ynn seinem stande Gott dienen solle, Und ist nicht geringe frucht, fride und tugent erfolget bey denen, die es angenomen, Welcher stück keines noch nie kein stifft, kloster, hohe schule odder pfarre recht geleret haben, wie das am tage mit yhren büchern und predigen zubezeugen ist. [. . .] Summa: Es ist des Luthers reformation [. . .]. – Zur Bezeichnung seines Wirkens als Reformation siehe u. a. WA 10,2; 139,35. 140,1; WA 38; 271,9; WA 40,3; 323,13; WA 51; 526,31.

410 VI. Die Popularisierung und Problematisierung der Konzilsthematik in den 1520er Jahren Die Gegenüberstellung von Konzil und Reformation setzte Luther auch in den 1530er Jahren, die im folgenden Kapitel in den Mittelpunkt der Untersuchung gerückt werden, fort. So formulierte Luther 1534 in „Ein Brief von seinem Buch der Winckelmessen“: 434 „Aber sie [d. h. die Anhänger des Papstes] wollen ungereformirt sein (wie sie sagen) von einem solchen Bettler [d. h. Bettelmönch]. Noch hat der selbe Bettler (ich mus mich ein wenig rhümen, doch heimlich, das sie es ja nicht erfaren) sie zimlich gereformirt, Ich hab, Gott lob, mehr reformirt mit meinem Evangelio, denn sie villeicht mit funff Concilijs hetten gethan.“435

Dass die Reformation oder Besserung der Christenheit nicht durch ein Konzil, sondern allein durch Gottes Wort und Sakrament durchgeführt worden und in gewisser Weise abgeschlossen sei,436 hob Luther u. a. in seinen Schmalkaldischen Artikeln von 1537437 und in der Schrift „Wider Hans Worst“ von 1541438 hervor. Die einst miteinander aufs engste verbundenen Begriffe „Konzil“ (Ort oder Institution) und „Reformation“ (Inhalt) waren mittels seiner Interpretation der Reformation als einer Reformation durch das Wort statt durch ein äußeres Konzil zu Gegensätzen avanciert, deren Widersprüchlichkeit Luther auch in Zukunft nicht ernsthaft aufzulösen gedachte. Als Instrument der grundstürzenden Glaubens- und Kirchenreform hatte das Konzil seine Funktion im lutherischen Einflussbereich verloren und sollte es in den protestantischen Kirchen auch über die 1520er Jahre hinaus nicht ernsthaft zurückerlangen.

434

WA 38; (257) 262–272. AaO. 270,34–271,4. 436 Zu den Kontroversen um die Autorität der Heiligen Schrift als Lehrnorm zwischen Luther, den übrigen Reformatoren und den altgläubigen Kontroverstheologen vgl. Mühlenberg, Scriptura, 183–209. 437 BSLK11 411,20–26. Siehe auch WA 50; 516,4–13. 438 Siehe WA 51; 528,29–529,26. 435

VII.

Die Konzilsthematik im Horizont von Politik und Kirche (1530–1546) Mit dem Jahr 1529 erlangte die Konzilsidee im Reich eine neue politische Dynamik. Die evangelischen Reichsstände appellierten zur Klärung der Glaubensfrage an den Kaiser und an ein künftiges Konzil. Die altgläubigen Stände plädierten für ein Konzil zur Wiederherstellung der Glaubenseinheit im Reich und zur Rückführung der Protestanten unter die Obödienz der römischen Kirche. Und Kaiser Karl V. entfaltete, nachdem er seine politischen Differenzen mit Papst Clemens VII. dezimiert hatte, eine eigenständige Konzilspolitik hinsichtlich der Glaubensproblematik und der Türkenpolitik. Schließlich signalisierte auch der Papst, trotz erheblicher Vorbehalte gegen die Institution „Konzil“, ein zaghaftes Entgegenkommen in der Konzilsthematik. Somit hatte die politische Entwicklung in der ersten Hälfte der 1530er Jahre die reichsständischen Konzilsbegehren der 1520er Jahre zu einem Zentralthema der politischen Agenda erhoben und ihnen europaweite Bedeutung verliehen. Gleichzeitig wurde im Rahmen des Auseinanderbrechens der Glaubenseinheit im Reich und den sich nach Bekenntnissen formierenden politischen Bündnissen der dissimulierende Konzilsbegriff zunehmend „konfessionell“ ausdifferenziert und religionspolitisch akzentuiert. Entscheidenden Anteil an diesem Prozess hatten die päpstliche Konzilsinitiative von 1533 sowie die neu einsetzenden Konzilsbemühungen des Farnese-Papstes Paul III. von 1535, welche die politischen und publizistischen Konzilsdiskurse intensivierten und die Konzilspolitik der konfessionellen Bündnisse – allen voran des Schmalkaldischen Bundes – profi lierten. Obwohl Luther die Institution „Konzil“ in den 1520er Jahren als menschliche und nicht göttliche Einrichtung mit der Begründung abgelehnt hatte, dass in ihr lediglich neue Gesetze beschlossen würden, die dem Glauben und der Freiheit eines Christenmenschen hinderlich seien, und er folglich Pläne für eine evangelische Indienstnahme des Konzils oder der Synode als kirchliche Reformations- und Ordnungsinstanz bestritten hatte, wurde er jetzt mit der für ihn eigentlich „erledigten“ Thematik von außen konfrontiert. Nun waren es die sächsischen Kurfürsten, die aufgrund der neuen reichspolitischen Bündnis- und Bekenntnissituation auf die römischen Konzilsaktionen reagieren mussten und hierfür den Wittenberger Reformator um Rat fragten. Es gilt daher in einem ersten Untersuchungsschritt zu eruieren, wie Luther die politischen Konzilsbe-

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VII. Die Konzilsthematik im Horizont von Politik und Kirche (1530–1546)

gehren und projektierten päpstlichen Konzilsinitiativen in der ersten Hälfte der 1530er Jahren generell und situativ im Horizont von Politik und Kirche bewertete und in welcher Weise er sie mit seiner Konzilstheologie verknüpfte (§ 18). Durch die päpstlichen Konzilsbemühungen in der ersten Hälfte der 1530er Jahre vorgewarnt, trat mit der 1536 erfolgten päpstlichen Einberufung des Konzils nach Mantua zum 23. Mai 1537 der für die protestantischen Reichsstände gefürchtete Ernstfall ein. Jetzt war eine Antwort auf die delikate Zentralfrage zu fi nden, wie sich die Protestanten zu diesem Konzil verhalten sollten, da sie auf der einen Seite ein Konzil als Entscheidungsinstanz in der Konfessionsfrage politisch forderten, auf der anderen Seite aber ein Konzil unter der Oberhoheit des Papstes nicht anerkennen konnten. Sollte eine Konzilsbeschickung in Betracht gezogen oder dem Projekt eine grundsätzliche Absage erteilt werden? Die Entscheidung über das protestantische Vorgehen fiel auf dem Schmalkaldener Bundestag vom Februar 1537, der nicht zuletzt wegen der Konzilsfrage zu einem der bedeutendsten Treffen des Bundes wurde. In die Vorbereitungen zur evangelischen Bündnisantwort wurden Luther und seine Wittenberger Kollegen erneut mit der zur Tagespolitik avancierten Problematik betraut und um Argumentationshilfen für die kursächsische Konzilspolitik gebeten. Folglich gilt es in einem zweiten kontextualisierenden Untersuchungsschritt zu fragen, wie Luther auf die Konzilsausschreibung durch den Papst reagierte, welche Argumente zur Konzilsfrage von ihm vorgetragen wurden und in welcher Weise er den kursächsischen Konzilsdiskurs stimulierte (§ 19). Weil in dem unmittelbaren Zusammenhang auch Luthers „Schmalkaldische Artikel“ entstanden, sind hier deren Entstehungsgeschichte nachzuzeichnen und die für Luthers Konzilsverständnis in den Artikeln getroffenen Aussagen zu interpretieren. Dass Luther schließlich 1537 und 1538 eine eigene publizistische Großoffensive gegen das mehrfach vom Papst verschobene Konzil initiierte, ist abschließend in dieser umfangreichen Untersuchung zur päpstlichen Konzilsinitiative darzustellen. Den profi liertesten Beitrag zur Konzilsthematik im Horizont von Politik und Kirche lieferte der Reformator 1539 in seiner mittels kirchen- und konzilsgeschichtlicher Studien grundierten Schrift „Von den Konziliis und Kirchen“. Inwiefern Luther in diesem Werk, das im Folgenden als „Konzilsschrift“ bezeichnet wird, sein Konzilsverständnis historisch, ekklesiologisch und kirchenpraktisch entfaltete, sich von den päpstlichen Konzilsvorstellungen abgrenzte und mit der evangelischen Kirchenlehre verknüpfte, muss in einem eigenen Paragraphen analysiert werden (§ 20). Dort soll auch die in der Forschung bisweilen geäußerte These diskutiert werden, nach der in Luthers Haltung zum Konzil – einerseits forderte er ein Konzil, andererseits lehnte er es ab – Widersprüche und Ambivalenzen aufzuspüren seien. Politisch trat nach dem Scheitern der Reichsreligionsgespräche im Jahr 1541 erneut die Konzilsthematik in den Mittelpunkt der kaiserlichen und konfessio-

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nellen Religionspolitik. Auf verschiedenen Reichstagen der ersten Hälfte der 1540er Jahre wurden zur Behebung der Glaubensspaltung drei konziliare Wege diskutiert und manifestiert: Generalkonzil, Nationalkonzil oder Reichsversammlung. Welchen Weg der Wittenberger Theologe bevorzugte und wie er sich zur kaiserlichen Politik, die zwischen militärischem Eingreifen und diplomatischem Ausgleich oszillierte, positionierte, gilt es ebenso im Kontext zu untersuchen, wie Luthers publizistische Reaktionen auf die päpstliche Konzilsbulle, die ein Generalkonzil nach Trient im Jahr 1545 einberief. Dass er hierfür auf die protestantische Konzilsformel eines „freien, christlichen Konzils in deutschen Landen“ zurückgriff, muss eigene Beachtung fi nden (§ 21). Abschließend sind Luthers konzilspraktische und theologische Überlegungen zum Trienter Konzil, welches zwei Monate vor Luthers Tod am 13. Dezember 1545 eröffnet wurde, und mit dessen realem Zustandekommen der Reformator nie gerechnet hatte, analysierend zusammenzufassen.

§ 18 Das politische Konzilsbegehren und seine Bewertung in der ersten Hälfte der 1530er Jahre Weil Luther – wie bereits angedeutet – in der ersten Hälfte der 1530er Jahre erneut mit der Konzilsthematik durch die reichs-, bündnis- und territorialpolitische Entwicklung konfrontiert und zu umfangreichen Stellungnahmen herausgefordert wurde, ist zu untersuchen, in welcher Weise der Reformator in die verschiedenen konzilspolitischen Diskurse involviert war, wie er auf sie reagierte und inwieweit er sie beeinflusste. Im Rahmen dieser Untersuchung ist darüber hinaus jene für Luthers Konzilsidee brisante Problematik zu bedenken, inwiefern er bei seiner ablehnenden Konzilshaltung blieb oder aufgrund der veränderten politischen Situation Nuancierungen und Neubestimmungen seiner theologisch-kirchenpraktischen Position vollzog. Von der Lutherforschung wurden diese Fragen bisher lediglich sporadisch behandelt, so dass eine im Folgenden vorzunehmende Erschließung neue Erkenntnisse über Luthers konzilspolitische Positionierung erwarten lässt. Daher müssen die nun stärker unter politischen Gesichtspunkten zu betrachtenden konzilstheoretischen Argumentationsstränge in den Blick genommen und ihre theologischen Grundierungen aufgezeigt werden. Um diese Aufgabe lösen zu können, sind die für Luthers Haltung ausschlaggebenden politischen Konzilsdiskurse mit Schwerpunkt in der kursächsischen Perspektive zu skizzieren und die Mitwirkung der übrigen Wittenberger Theologen zu reflektieren. Die in den 1530er Jahren verstärkt einsetzende gutachterliche Tätigkeit, welche nicht nur für die kursächsische Landespolitik, sondern auch für die Schmalkaldener Bündnispolitik bestimmt war, wurde von Luther zunehmend in Gemeinschaft mit Philipp Melanchthon, Johannes Bugenhagen und weiteren Wittenberger Theologen ausgeübt. Da den gutachterlichen Kollektivstellungnahmen in der Regel Diskussionen innerhalb der Wittenberger Gelehrten- und Theologengemeinschaft vorangingen, deren Ergebnisse durch die Mitwirkung und Zustimmung der als Autorität wahrgenommenen Person Luthers ihre äußere Legitimität erhielten, sind diese Prozesse bei der Entwicklung von Luthers Position zu beachten.1 1 Die methodische Problematik, inwiefern die Wittenberger Kollektivgutachten mit Luthers Einzelmeinung in Übereinstimmung zu bringen sind, wird in Zustimmung zu Wolgast, Theologie, 14–17 entschieden. Danach identifi zierte sich Luther mit den Gemeinschaftsgutachten nicht nur mittels Unterschrift und stimmte bei teilweise unterschiedlichen

§ 18 Konzilsbegehren und seine Bewertung in der ersten Hälfte der 1530er Jahre

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Weil die Untersuchung der jeweils beteiligten Wittenberger Theologen und Politiker in der Konzilsfrage eine eigene umfangreiche Studie erfordert, muss die einleitend begründete Fokussierung auf Luther auch jetzt gewahrt bleiben. Denn zum einen liegen bereits vereinzelt Forschungsarbeiten zur Stellungnahme der kursächsischen Theologen und Politiker vor,2 zum anderen fehlt bislang eine Luthers Konzilshaltung in dieser Phase explizit herausarbeitende Studie.3

1. Die Konzilspolitik und ihre Beurteilung seit dem Speyrer Reichstag 1529 Das Ende des 2. Speyrer Reichstages bedeutete auch das Ende der schon längst nicht mehr vorhandenen Einheit des Reiches in der Glaubensfrage. War die Reichseinheit bis dahin unter anderem durch die dissimulierende Konzilsformel scheinbar aufrecht erhalten worden, trat mit der vom Habsburger Erzherzog Ferdinand betriebenen und für die evangelischen Stände unannehmbaren Auf hebung des 1. Speyrer Reichsabschieds und der erneuten Einschärfung des Wormser Edikts jener Bruch ein, der zur Formierung der ‚Religionsparteien‘ führen sollte. Ein gemeinsames, reichsständisches Vorgehen in der Konzilspolitik sollte von nun an nicht mehr möglich sein. Die altgläubige Ständemehrheit wiederholte im Speyrer Reichsabschied als Entscheidungszielpunkt der Religionsfrage und Wiederherstellung der Glaubenseinheit ihre Forderung nach einem christlichen Generalkonzil in einer Stadt der deutschen Nation4 und setzte auch künftig auf die Einberufung eines allgemeinen oder nationalen Konzils zur Eindämmung der protestantischen Ketzerei. Inwiefern die protestantische Religionspartei ihrerseits das Konzilsbegehren nutzbar machte und Argumentationsansätzen der Situationsanalyse und Handlungsanleitung zu, sondern verlieh ihnen auch durch seine Unterstützung im kursächsischen Wahrnehmungshorizont Autorität. Die bisweilen abweichende Argumentation insbesondere zu Melanchthon wird, wenn es erkenntnisleitend ist, in der Analyse gesondert hervorgehoben. Vgl. hierzu auch Kohnle, Wittenberger Autorität, 189–200 bes. 196. 2 Zu den kursächsischen Konzilsdiskursen und Stellungnahmen der Theologen und Politiker vgl. Stupperich, Kirche, 202–206; Ders., Reformatoren, 20–63; E. Wolgast, Das Konzil in den Erörterungen der kursächsischen Theologen und Politiker 1533–1537 (ARG 73, 1982, 122–152); Ders., Johann Friedrich von Sachsen und das Konzil (in: V. Leppin, G. Schmidt und S. Wefers [Hg.], Johann Friedrich I. – der lutherische Kurfürst [SVRG 204], Gütersloh 2006, 281–294). Zur Konzilspolitik des Schmalkaldischen Bundes vgl. G. Wilhelm, Die Konzilspolitik des Schmalkaldischen Bundes in den Jahren 1533–1539, Diss. masch. Jena 1939. Zur Ausweitung auf die protestantische Publizistik vgl. Brockmann, Konzilsfrage, 260–301. 3 Die Studie von M. U. Edwards Jr., Luther’s last battles. Politics and polemics, 1531–46, Leiden 1983, 68–96, bes. 75–81 bietet wie die zuvor genannten Arbeiten hilfreiche Anhaltspunkte, schließt sich in der Darstellung aber überwiegend Jedin, Geschichte 1, 1949 und Tecklenburg Johns, Konzilsidee, 1966 an. 4 DRTA.JR 7,2; 1299,6–22.

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welchen Einfluss Luther auf die politische Konzilsidee ausübte, soll im Folgenden untersucht werden.

1.1. Die evangelische Konzilsforderung 1529 Wie bereits in § 15 erwähnt, waren die interimistischen Bedingungen der Reichstagsmehrheit für die Evangelischen derart untragbar, dass sie unter Berufung auf ihre in der Glaubensfrage allein gegenüber Gott zu verantwortenden Rechenschaftspfl icht 5 Verwahrung gegen den Abschied einlegten. In dieser „Protestation“6 knüpften sie ihrerseits an das nicht näher spezifi zierte „gemaine und freie christliche concilion oder nacionalversamlung“7 als Interimsendpunkt an und untermauerten ihre Rechtsposition in einem eigenständigen juristischen Akt, der das Konzil erneut thematisierte und, da er wenig bekannt sein dürfte, hier etwas ausführlicher darzustellen ist. Nachdem die Protestation gegen den das Wormser Edikt restituierenden Reichsabschied vom Reichsstatthalter Ferdinand zurückgewiesen,8 der Abschied am 22. April 1529 von der altgläubigen Ständemehrheit unterzeichnet9 und ein Gewaltverzicht von beiden Parteien bekundet worden war,10 versammelten sich die Räte der protestierenden Fürsten am 25. April zu einem offi ziellen Akt in der Herberge des sächsischen Kanzlers. Im Auftrag ihrer Herren, Kurfürst Johann von Sachsen, Markgraf Georg von Brandenburg-Ansbach, Landgraf Philipp von Hessen, Fürst Wolfgang von Anhalt sowie den Herzögen von Braunschweig-Lüneburg, appellierten die Räte vor Zeugen und den zwei kaiserlichen Notaren Leonhard Stetner und Pankraz Salzmann: 11 5

DRTA.JR 7,2; 1277,29–34. Siehe die in Speyer erfolgten evangelischen Protestationen: DRTA.JR 7,2; (1260) 1262,5–1265,4 Nr. 137 (Die erste Protestation der evangelischen Fürsten, 19. 4. 1529); aaO. (1273) 1274,28–1288,7 Nr. 143 (Die erweiterte Protestation, 20. 4. 1529). Zur Rechtsform der Protestation vgl. J. Böhmer, Protestari und protestatio, protestierende Obrigkeiten und protestantische Christen. Zur Würdigung von Sinn und Auswirkung der Protestation(en) des Speierer Reichstags von 1529 (ARG 31, 1934, 1–22); H. Conrad, Ein Notariatsinstrument als rechtliche Form des Protestes und der Appellation in Glaubensfragen auf dem zweiten Reichstag von Speyer (1529) (in: FS für Alexander Knur, hg. von W. Flume und R. Hamm, München 1972, 55–64); K. Schlaich, Die ‚protestatio‘ beim Reichstag in Speyer 1529 in verfassungsrechtlicher Sicht (ZEvKR 25, 1980, 1–19). Die Funktion der Protestation stellt erhellend dar: H.-J. Becker, Protestatio, Protest. Funktion und Funktionswandel eines rechtlichen Instruments (ZHF 4, 1978, 385–412). 7 DRTA.JR 7,2; 1287,8. Siehe auch aaO. 1275,17–21. 1278,14–28. 8 Vgl. Kühn, Geschichte, 188–192. 9 DRTA.JR 7,2; (1296) 1298,12–1314 Nr. 148 (Der Abschied, 22. 4. 1529). 10 AaO. 1342,24–1343,15 Nr. 164 (Friedenszusage der Reichstagsmehrheit, 24. 4. 1529); aaO. 1343,16–1344,8 Nr. 165 (Friedenszusage der Protestierenden, 24. 4. 1529). 11 Die Appellation fi ndet sich abgedruckt in DRTA.JR 7,2; (1345) 1346,17–1356,7 Nr. 167 (Appellationsinstrument, 25. 4. 1529). Vgl. hierzu Becker, Appellation, 258 f.; Kühn, Geschichte, 237 f. 6

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„zu und fur die ro. ksl. und christliche maiestat, unsern allergnedigisten hern, und darzu an und fur das schirstkunftig [d. h. baldigste] frei christlich gemein concilium und versamblung der heiligen christenhait, fur unser nationalzusamenkomen und darzu einen jeden dieser sachen bequemen unparteischen und christlichen richter“.12

Im Rahmen des hochoffiziellen Appellationsaktes, der sich gegen den Mehrheitsbeschluss des Reichstages, den „iudex a quo“, wendete und an den Kaiser und das künftige Konzil als „iudex ad quem“ richtete, traten nach der Fürstenappellation die Vertreter der protestierenden Reichsstädte13 vor und beurkundeten ihren Beitritt zum Notariatsinstrument.14 Den Inhalt dieser von langer Hand vorbereiteten und für die Öffentlichkeit bestimmten Appellation15 bildete die doppelbödige Absicherung gegen das Inkrafttreten des Speyrer Reichsabschiedes in den protestantischen Territorien. Gegen den Mehrheitsbeschluss des Reichstages beriefen sich die Protestanten auf den Kaiser als höhere Rechtsinstanz. Weil aber zu befürchten stand, dass Karl V. die Appellation nicht annehmen oder gegen sie entscheiden werde (was im Oktober 1529 tatsächlich geschah),16 richteten sie ihr Augenmerk gleichzeitig auf die Institution eines künftigen Konzils. Dieses Konzil bestimmten sie näherhin als freies, christliches, allgemeines Konzil und Versammlung der heiligen Christenheit, wodurch sie einerseits an die Konzilsformel der vorangehenden Reichstage anknüpften, andererseits die zum evangelischen Konzilsverständnis ausgestaltete reformatorische Konzilsidee von Luther aus dem Jahr 1520 hochoffi ziell rezipierten. Gleichzeitig hatten sich die Protestanten durch die Charakterisierung des Konzils eine politische Hintertür aufgehalten: Sollte ein Konzil tatsächlich einberufen werden, konnten sie dieses Konzil, falls es z. B. vom Papst initiiert wurde, als nichtfreie Institution ablehnen. Es stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage, inwiefern das Appellationsinstrument der protestierenden Stände in Luthers Konzilsappellation von 12

DRTA.JR 7,2; 1353,17–21. Nach aaO. 1354,7–9 zählten hierzu die Botschaften der Reichsstädte Straßburg, Nürnberg, Ulm, Konstanz, Lindau, Memmingen, Kempten, Nördlingen, Heilbronn, Reutlingen, Isny, Sankt Gallen, Weißenburg und Windsheim. 14 AaO. 1354,6–30. 15 Erst im Juni 1529 konnten die kursächsischen Kanzler Gregor Brück und Christian Beyer das umfangreiche Appellationsinstrument fertig stellen und an die Mitappellanten versenden. Nürnberg ließ die Appellation noch im Juli drucken. Vgl. DRTA.JR 7,1; 853 f. Anm. 3. 16 Am 12. September 1529 überreichte eine Gesandtschaft der Protestierenden Karl V. in Piacenza verschiedene Dokumente, unter denen auch die Speyrer Protestation war (DRTA. JR 8,1; 144,3–11). Als nach einem Monat die ablehnende Antwort des Kaisers den wartenden Gesandten zugestellt wurde und sie nun versuchten, das Speyrer Appellationsinstrument am 13. Oktober dem Kaiser zu überreichen, wurden sie abgewiesen und verhaftet. Karl V. stellte sich hinter den Reichsabschied und signalisierte mit der Arrestation, dass er zur Gewaltanwendung gegen die Protestierenden bereit sei. Siehe die Berichte aaO. 134–177. 318–378. Vgl. Müller, Kurie, 82 f. 13

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1518 und 1520 sein Vorbild hatte.17 Weil die Appellation ein übliches Rechtsmittel darstellte und nicht auf Luthers Inanspruchnahme beschränkt war, Luther sich außerdem gegen den Papst wandte, während die Evangelischen gegen den Beschluss des Reichstages appellierten und Kaiser und Konzil anriefen, diente, soweit dies zu rekonstruieren ist, Luthers Appellation nicht als Vorbild. Die einzige inhaltlich gewichtige Übereinstimmung fi ndet sich in der Verwendung der reformatorischen Konzilsformel. Auf die Konzilsberufung der evangelischen Politiker ging Luther – wie bereits mitgeteilt – in seiner Reaktion auf den Speyrer Reichstag nicht ein, sondern hielt eine Umsetzung des Konzilsgedankens für nicht realisierbar.18

1.2. Das evangelische Konzilsbegehren in Augsburg 1530 Ein Jahr später fand die Konzilsberufung der evangelischen Stände und die Erinnerung an die Speyrer Konzilsappellation erneut Eingang in ein Reichstagsdokument: in die für die protestantische Bekenntnis- und Bündnisbildung grundlegende „Confessio Augustana“. Bekanntlich hatte Kaiser Karl V. zur Abwehr der Türkengefahr und zur Überwindung der Glaubensspaltung einen Reichstag nach Augsburg einberufen,19 auf dem er seit 1521 erstmals wieder persönlich zugegen war.20 Unter den evangelischen Politikern und Theologen 17

So die Behauptung von Becker, Appellation, 259. Siehe oben, Kapitel VI § 15.3. Kanzler Brück berichtete Beyer am 12. Juni 1529 von einem Gespräch mit Luther, in dem er ihn über die Vorkommnisse in Speyer informierte, erwähnte aber nicht Luthers Reaktion. Siehe DRTA.JR 7,1; 854,20–22. 19 Siehe K. E. Förstemann (Hg.), Urkundenbuch zu der Geschichte des Reichstages zu Augsburg im Jahre 1530. Nach den Originalen und nach gleichzeitigen Handschriften. Bd. 1: Von dem Ausgange des kaiserlichen Ausschreibens bis zu der Uebergabe der Augsburgischen Confession, (Halle 1833) Nachdruck Osnabrück 1966, (1) 2–9 Nr. 1. Hinsichtlich der Glaubensfrage formulierte das kaiserliche Reichstagsausschreiben vom 21. Januar 1530, aaO. 7 f.: Furter wie der irrung und zwispalt halben in dem hailigen glauben und der Christlichen Religion gehandelt und beschlossen werden mug und solle: und damit solchs desterbesser und hailsamlicher gescheen muge die zwitrachten hinzulegen: widerwillen zulassen: vergangne Irsal unserm seligmacher zuergeben: und vleis anzukeren: alle ains yeglichen gutbeduncken: opinion und maynung zwischen uns selbs in liebe und gutligkait zuhoren: zuverstehen: und zuerwegen: die zu ainer ainigen Christlichen warhait zubrengen und zuuergleichen. alles so zu beiden tailen nit recht ist ausgelegt oder gehandelt abzuthun: durch uns alle ain ainige und ware Religion anzunemen und zuhalten: und wie wir alle unter ainem Christo sein und streiten: also alle in ainer gemainschaft kirchen und ainigkait zuleben. 20 Über den Augsburger Reichstag, die langwierigen Religionsverhandlungen sowie die Diskussion der Konzilsthematik vgl. aus der vielseitigen Forschungsliteratur u. a. R. Decot (Hg.), Vermittlungsversuche auf dem Augsburger Reichstag 1530. Melanchthon – Brenz – Vehus (VIEG.B 26), Stuttgart 1989; E. Honée, Der Libell des Hieronymus Vehus zum Augsburger Reichstag 1530. Untersuchung und Texte zur katholischen Concordia-Politik (RGST 125), Münster 1988; H. Immenkötter, Um die Einheit im Glauben. Die Unionsverhandlungen des Augsburger Reichstages im August und September 1530 (KLK 33), Münster 2 1974; H. Immenkötter und G. Wenz (Hg.), Im Schatten der Confessio Augustana. Die 18

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hatte der versöhnliche Ton des Ausschreibungstextes entgegen der bisherigen kaiserlichen Politik die Erwartung geweckt, der Kaiser werde die differenten Glaubensmeinungen in „Liebe und Gütigkeit“ anhören und um der Einigkeit willen vergleichend verhandeln.21 Daher erarbeiteten auf Anraten von Kurfürst Johann die kursächsischen Theologen, allen voran Melanchthon, in einem vielgestaltigen, hier nicht weiter zu vertiefenden Prozess jenen berühmten Bekenntnistext, der die Auffassungen von Kursachsen, Hessen, Brandenburg-Ansbach, Braunschweig-Lüneburg, Anhalt sowie den Reichsstädten Nürnberg und Reutlingen über Glaube und Zeremonien darstellte und am 25. Juni 1530 nach Verlesung durch den kursächsischen Kanzler Christian Beyer in einer lateinischen und deutschen Fassung dem Kaiser übergeben wurde.22 Aufgrund der sich für die protestantischen Stände scheinbar günstig entwickelnden Situation gemäß der den Reichstag eröffnenden kaiserlichen Proposition vom 20. Juni 23 war kurz zuvor die ursprünglich von Melanchthon formuReligionsverhandlungen des Augsburger Reichstages 1530 im historischen Kontext (RGST 136), Münster 1997; E. Iserloh (Hg.), Confessio Augustana und Confutatio. Der Augsburger Reichstag 1530 und die Einheit der Kirche. Internationales Symposion der Geschichte zur Herausgabe des Corpus Catholicorum in Augsburg vom 3.–7. September 1979 (RGST 118), Münster 1980; Kohnle, Reichstag, 381–394; Müller, Beziehungen, 380–385. 852– 854; H. Neuhaus, Der Augsburger Reichstag des Jahres 1530. Ein Forschungsbericht (ZHF 9, 1982, 167–211); W. Reinhard (Hg.), Bekenntnis und Geschichte. Die Confessio Augustana im historischen Zusammenhang (Schriften der Philosophischen Fakultäten der Universität Augsburg 20), München 1981; H. Scheible, Die Gravamina, Melanchthon und Luther während des Augsburger Reichstags 1530 (in: Ders., Melanchthon und die Reformation. Forschungsbeiträge, hg. von G. May und R. Decot [VIEG.B 41], Mainz 1996, 198–220); J. von Walter, Der Reichstag zu Augsburg 1530 (LuJ 12, 1930, 1–90). 21 Siehe das Schreiben des sächsischen Kurfürsten an die Wittenberger Theologen: WAB 5; (263) 264–266 Nr. 1538 (Kurfürst Johann an Luther, Jonas, Bugenhagen und Melanchthon, Torgau, 14. 3. 1530). Hierin äußerte Johann, dass der Reichstag vielleicht anstatt „eins Concilii ader Nationalversamblung“ gehalten werde (aaO. 264,23 f.), und bat seine Theologen, schnellstmöglich zu einer Konferenz über Glauben und Kirchenbräuche nach Torgau zu kommen. 22 Siehe BSLK11 (31) 44–137. Zur Confessio Augustana und ihrer Rezeption vgl. über die voranstehende Literatur hinaus u. a. BSLK11 XV–XXI; B. Dittrich, Das Traditionsverständnis in der Confessio Augustana und in der Confutatio (EThSt 51), Leipzig 1983; G. Ebeling, Der Lauf des Evangeliums und der Lauf der Welt. Die Confessio Augustana einst und jetzt (in: Ders., Lutherstudien 3, 339–365); L. Grane, Die Confessio Augustana. Einführung in die Hauptgedanken der lutherischen Reformation (UTB 1400), Göttingen 51996; W.-D. Hauschild, Die Geltung der Confessio Augustana im deutschen Protestantismus zwischen 1530 und 1980 (aus lutherischer Sicht) (ZThK 104, 2007, 172–206); W. Maurer, Historischer Kommentar zur Confessio Augustana. 2 Bde., Gütersloh 1976–1978; H. Meyer und H. Schütte (Hg.), Confessio Augustana. Bekenntnis des einen Glaubens. Gemeinsame Untersuchungen lutherischer und katholischer Theologen, Paderborn/Frankfurt am Main 1980; G. Wenz, Theologie der Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche. Eine historische und systematische Einführung in das Konkordienbuch Bd. 1, Berlin/New York 1996, 349–513. 23 Förstemann, Urkundenbuch 1, 295–309 Nr. 102 (Vortrag, mit welchem der Kaiser Karl V. durch den Pfalzgrafen Friedrich den Reichstag eröffnete).

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lierte Vorrede zur CA 24 durch eine neue, selbstbewusste Vorrede ersetzt worden, welche als diplomatisches Meisterwerk gelten kann.25 Der kursächsische Altkanzler Gregor Brück hob in ihr den Gehorsam und Friedenswillen der Protestanten hervor 26 und spitzte in kluger Interpretation die reichspolitischen Entwicklungen der Jahre 1526 bis 1529 auf das gemeinsame Anliegen eines Konzils zu.27 Wie der Kaiser selbst seinen Willen bekundet habe, sich beim Papst für die Einberufung eines Konzils einzusetzen, so begehrten auch die protestantischen Stände ein allgemeines Konzil, sollte auf dem Reichstag keine Einigung in der Glaubensfrage erzielt werden. Brück kleidete dieses quasi kaiserlich-protestantische Gemeinschaftsbegehren unter Anspielung auf die Speyrer Appellation in die zusichernden Worte: Wir „erbieten [uns hiermit] gegen Euer Kaiserlichen Majestat [. . .] in aller Untertänigkeit und zum Uberfluß, in beruhrtem Fall ferner auf ein solch gemein, frei, christlich Concilium, darauf auf allen Reichstagen, so Euer Kaiserliche Majestat bei ihrer Regierung im Reich gehalten, durch Kurfursten, Fursten und Stände aus hohen und tapfern Bewegungen geschlossen, an welches auch zusambt Euer Kaiserlichen Majestat wir uns von wegen dieser großwichtigsten Sachen in rechtlicher Weis und Form verschiener Zeit berufen und appelliert haben“.28

Auch in den folgenden, zum Teil mühsamen Reichstagsverhandlungen bezüglich der Glaubensfrage bildeten das allgemeine Konzil und die Erneuerung der protestantischen Konzilsappellation 29 eine immer wieder vorgetragene Perspektive. Streitpunkt war – wie bereits auf den Reichstagen zuvor – nicht das Konzil an sich, sondern die Gestaltung der Interimszeit und die Bedingungen für die Einberufung des Konzils.30 24

Zu Melanchthons Vorredenentwürfen siehe BSLK11 35–43. Die neue Vorrede siehe CR 2, 130–139 Nr. 739; BSLK11 44–49. Wenn Becker, Appellation, 259 behauptet, Melanchthon habe die Vorrede zu der dem Kaiser überreichten Fassung formuliert, so ist dies schlichtweg falsch. 26 BSLK11 44–47,11. 27 AaO. 47,12–49,14. 28 AaO. 48,23–49,3. Nach der Berufung auf die Speyrer Appellation formulierte Brück, aaO. 49,3–12: der [d. h. der Appellation] wir hiemit nochmals anhängig bleiben und uns durch diese oder nachfolgende Handlung (es werden dann diese zwiespaltigen Sachen endlich in Lieb und Gutigkeit, lauts Euer Kaiserlichen Majestat Ausschreibens gehort, erwogen, beigelegt und zu einer christlichen Einigkeit vergleicht) nicht zu begeben wissen; davon wir hiemit offentlich bezeugen und protestieren. – Vgl. Grane, Confessio Augustana, 23 f.; Maurer, Kommentar 1, 58–60. 29 WAB 5; 515,8 f. Nr. 1667 (Melanchthon an Luther, [Augsburg,] 30. 7. 1530). 30 Karl V. drohte Anfang Juli den Protestanten damit, bis zu einem Konzil alle kirchlichen Neuerungen rückgängig zu machen und gegebenenfalls mit Gewalt vorzugehen, sollten sie ihn als Richter in der Glaubensfrage nicht akzeptieren. Siehe WAB 5; 437,11–438,28 Nr. 1622 (Kurfürst Johann an Luther, Augsburg, 4. 7. 1530); aaO. 446,9–11 Nr. 1629 (Melanchthon an Luther, [Augsburg,] 8. 7. 1530); aaO. 461,11 f. Nr. 1636 (Melanchthon an Luther, [Augsburg,] 10. 7. 1530). Dem Kaiser wurde am 14. Juli vom Fürstenrat angetragen, er möge auf die Einberufung eines Konzils hinwirken. Bis dahin solle nichts unternommen werden, was den Frieden im Reich gefährde. Siehe aaO. 484,3–6 Nr. 1651 (Melanchthon an Luther, [Augs25

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Luther, der seit dem 24. April auf der Veste Coburg weilte und aus sicherer Entfernung das Reichstagsgeschehen verfolgen musste,31 hatte in seiner im April 1530 verfassten Schrift „Vermahnung an die Geistlichen versammelt auf dem Reichstag zu Augsburg“32 öffentlich einen positiven Ausgang des Reichstages angemahnt und sich gegen die politische Strategie ausgesprochen, „alle welt“ mit Reichstagen und Konzilien zu vertrösten und hinzuhalten.33 Nach der Übergabe des Bekenntnisses schrieb er am 13. Juli an Melanchthon hinsichtlich der Konzilsperspektive: „Doch da jene trügerischen Teufel [d. h. die Anhänger des Papstes] ihr Spiel mit der Verheißung eines Konzils treiben, möchte auch ich zugleich mit ihnen spielen, indem ich von ihren Drohungen an das Konzil appelliere, welches doch nichts ist und niemals gehalten werden wird, damit wir inzwischen Frieden hätten.“34

Erneut geht aus dieser Äußerung hervor, dass Luther die Einberufung eines Konzils für völlig unrealistisch hielt. Das Operieren mit dem Konzilsbegehren wertete er als politisches Spiel und beurteilte die protestantische Konzilsappellation als taktisches Manöver, durch das der Frieden zwischenzeitlich gewahrt bleiben könne. Eine Einigung in der Lehre hielt Luther für grundsätzlich unmöglich 35 und lehnte den Kaiser als Richter in Glaubensfragen ab, sollte er

burg,] 15.7.[1530]). Dass der Kaiser ein Konzil zu den Bedingungen der römischen Kirche einberufen wolle und dass die Evangelischen in der Zwischenzeit den Papisten alles restituieren müssten, meldete Melanchthon erneut am 8. September an Luther, aaO. 611,1–5 Nr. 1715 (Melanchthon [ Jonas?] an Luther, [Augsburg, 8. 9. 1530]). Hierzu vgl. K. E. Förstemann (Hg.), Urkundenbuch zu der Geschichte des Reichstages zu Augsburg im Jahre 1530. Nach den Originalen und nach gleichzeitigen Handschriften. Bd. 2: Von der Uebergabe der Augsburgischen Confessionbis zu dem Schlusse des Reichstages, (Halle 1835) Neudruck Osnabrück 1966, 391–394 Nr. 179 (Erklärung des Kaisers Karl V. an die Euangelischen, 7. 9. 1530); Kohnle, Reichstag, 386. 31 Über Luthers Aufenthalt und Tätigkeit auf der Veste Coburg vgl. Brecht, Luther 2, 356–395; H. von Schubert, Luther auf der Koburg (LuJ 12, 1930, 109–161). 32 WA 30,2; (237) 268–356 = Cl 4; 104–143 = StA 4; (318) 322–387. 33 WA 30,2; 269,28–34: Solt aber dieser Reichstag (da Gott gnediglich fur sey) on ende zurgehen und nicht etwas redlichs ausgericht werden, Und alle welt nu lange zeit her mit Reichstagen und Concilijs vertröstet und auffgezogen [d. h. hingehalten], und alle hoffnung gefeilet [d. h. getäuscht] und umbsonst gewest, ist zubesorgen [d. h. zu befürchten], es würde ein verzweiueln daraus komen, und jederman würde des vertröstens und harrens allzu müde werden, und das vergebliche lange gaffen ungedult und böse blut machen [d. h. Ärger verursachen] [. . .]. 34 WAB 5; 470,12–15 Nr. 1642 (Luther an Melanchthon, Veste Koburg, 13. 7. 1530): Tamen quando sic ludunt promissione Concilii fallaces isti diaboli, luderem et ipse simul cum eis, appellans a minis eorum ad illud nihili et nunquam futurum Concilium, ut interim pacem haberemus. 35 AaO. 470,2–4. Siehe auch WAB 5; 458,6–12 Nr. 1635 (Luther an Justus Jonas in Augsburg, Veste Coburg, 9. 7. 1530); aaO. 480, 23–26 Nr. 1648 (Luther an Jonas, Spalatin, Melanchthon und Agricola in Augsburg, Veste Coburg, 15. 7. 1530).

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VII. Die Konzilsthematik im Horizont von Politik und Kirche (1530–1546)

entgegen dem Reichstagsausschreiben über die lutherische Lehre urteilen wollen.36 Luthers größter Wunsch war nun die Wahrung des Friedens im Reich und eine adäquate evangelische Friedenspolitik.37 Von daher ordnete er jetzt die Konzilsappellation in den Prozess der Friedensbemühungen als unterstützendes Mittel ein und interpretierte sie als entscheidungsaufschiebendes politisches Instrument zur Vermeidung von Gewaltanwendung. Wie Luther bereits vermutet hatte, brachte der Augsburger Reichstag keine Einigung in der Glaubensfrage, sondern verschärfte trotz intensiver theologischer und politischer Vermittlungsbemühungen den Gegensatz zwischen den altgläubigen und evangelischen Ständen.38 Hinsichtlich der Konsensformel „Konzil“, welche die Ausgleichsbemühungen wie ein roter Faden durchzogen hatte, war das evangelische Lager zu der Überzeugung gelangt, dass die Gegenseite von einem päpstlichen und somit unfreien Konzil als Entscheidungsinstanz ausgehe. Deutlich verbalisierte Justus Jonas dies in seinem Gutachten vom 14. September 1530 und wies darauf hin, dass es nicht irgendein Konzil akzeptieren wird, sondern nur ein freies, christliches, welches auf der Grundlage der Heiligen Schrift richte.39 Ein gemeinsamer Appell an ein künftiges Konzil als Urteilsinstanz war folglich illusorisch. Im Reichsabschied, dessen erste Fassung am 22. September 1530 verkündet wurde,40 setzte sich der Kaiser schließlich zusammen mit den altgläubigen Reichsständen gegen die Protestanten durch. In ihm wurde die Widerlegung der CA – gemeint war die Confutatio – als rechtmäßig bezeichnet und den CAUnterzeichnern eine Bedenkzeit bis zum 15. April 1531 eingeräumt, sich in den umstrittenen Punkten der Reichstagsmehrheit anzuschließen. Außerdem wurde der Druck und Verkauf von Schriften bezüglich der Glaubensthematik untersagt, verboten, Untertanen fremder Territorien zum neuen Glauben zu bekehren, und befohlen, den katholischen Untertanen in protestantischen Terri36 AaO. 470,5 f. Siehe auch aaO. 454,27–455,71 Nr. 1633 (Luther an Kurfürst Johann, Veste Coburg, 9. 7. 1530). 37 Siehe z. B. aaO. 458,9–12. 20–24; WA 30,2; 400,22–27 (Brief an den Kardinal Erzbischof zu Mainz, aaO. [391] 397–412). 38 Zu den Vermittlungsbemühungen vgl. H. Immenkötter, Reichstag und Konzil. Zur Deutung der Religionsgespräche des Augsburger Reichstags 1530 (in: G. Müller [Hg.], Die Religionsgespräche der Reformationszeit [SVRG 191] Gütersloh 1980, 7–19); G. Müller, Zwischen Konfl ikt und Verständigung. Bemerkungen zu den Sonderverhandlungen während des Augsburger Reichstages 1530 (in: Ders., Religionsgespräche, 21–33). 39 Förstemann, Urkundenbuch 2, 426: Auch so ist es vnns nytt zu thun, dy sache anders zu eynem Concilio zustellenn, dan wy vnser wort allzeitt gelautet, namlich zu eynem freien Christlichen Concilio, das ist, wilches von dissen sachenn nytt ex consuetudine, nytt ex traditionibus humanis, sonder nach der heiligen schrifte vrteil vnnd richte [. . .]. 40 AaO. 474–478 Nr. 206 (Erster Reichsabschied in Bezug auf den Glauben, 22. 9. 1530). Vgl. E. Honée, Zur Vorgeschichte des ersten Augsburger Reichsabschieds. Kardinal Lorenzo Campeggio und der Ausgang der Glaubensverhandlungen mit den Protestanten im Jahre 1530 (NAKG 54, 1973/74, 1–63); Kohnle, Reichstag, 388 f.

§ 18 Konzilsbegehren und seine Bewertung in der ersten Hälfte der 1530er Jahre

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torien ihre herkömmliche Religionsausübung zu gestatten. Im Gegenzug sicherte der Kaiser zu, sich um die Einberufung eines „gemein Christlich Concilion“ innerhalb von sechs Monaten beim Papst und den christlichen Königen zu bemühen, in der Hoffnung, „dardurch dj gemeinen Cristenheit Irer geistlichen vnd Zeitlichen sachen halben In bestendige gute Ainigkeit vnd friden zebringen.“41 In dem ausgearbeiteten, u. a. durch die Berufung auf das Wormser Edikt verschärften Reichsabschied vom 19. November wurden darüber hinaus alle in der Glaubensfrage diesem entgegenstehende Reichsabschiede sowie alle Eingaben und Appellationen für nichtig erklärt.42 Somit war das protestantische Berufungsmittel der Konzilsappellation erneut vom Kaiser abgelehnt worden. Am 22. September verweigerten die Evangelischen dem Abschied ihre Zustimmung, ohne das in Aussicht gestellte Konzil zu erwähnen,43 griffen aber einen Tag später in ihrem dem Kaiser unterbreiteten Friedensangebot die nun als genuin protestantisch zu bezeichnende Formulierung von einem allgemeinen, freien, christlichen Konzil erneut auf.44 Dieses Konzilsbegehren wiederholten die Räte der protestantischen Fürsten in ihrer Antwort vom 12. November, wiesen aber den über den Reichsabschied von 1529 weit hinausgehenden Abschied in seiner Gesamtheit zurück.45 Aufgrund des für sie unerfreulichen Reichstagsausganges sahen sich die evangelischen Stände gezwungen, die Frage nach dem Widerstandsrecht gegen den Kaiser zu klären und ihre Bündnispolitik erneut zu aktivieren. Als Vorsorgemaßnahme gegen die Drohungen des Abschiedes schlossen sich die Anhänger des protestantischen Bekenntnisses im Winter 1530/31 im Verteidigungsbündnis zusammen, das als Schmalkaldischer Bund bekannt und reichspolitisch von großer Bedeutung werden sollte.46 41

Förstemann, Urkundenbuch 2, 478. Dem Abschied vom 19. November (Walch 2 16, 1596–1616 Nr. 1155) war eine Entwurffassung vom 13. Oktober vorausgegangen, siehe Förstemann, Urkundenbuch 2, 715– 725 Nr. 249 (Reichsabschied vom 13. 10. 1530). Kohnle, Reichstag, 393 f. betont umsichtig, dass in dem Abschied reichsrechtlich der Zustand von 1521 restituiert wurde. Vgl. auch Luttenberger, Glaubenseinheit, 26–31. 43 Förstemann, Urkundenbuch 2, 478–481 Nr. 207 (Des Kanzlers Dr. Brück Antwort, dem Kaiser auf diesen Abschied im Namen der evangelischen Fürsten gegeben, 22. 9. 1530). 44 AaO. 612 f. Nr. 213 (Artikel eines friedlichen Anstandes, 23. 9. 1530). 45 AaO. 822–824 Nr. 298 (Endliche Antwort der Botschaften und Räthe der euangelischen Fürsten und ihrer Verwandten auf die kaiserliche Antwort, 12. 11. 1530). 46 Zum Schmalkaldischen Bund und dessen Entstehungsgeschichte vgl. u. a. Th. A. Jr. Brady, Phases and Strategies of the Smalcaldic League (ARG 74, 1983, 162–181); E. Fabian, Die Entstehung des Schmalkaldischen Bundes und seiner Verfassung 1524/29–1531/35. Brück, Philipp von Hessen und Jakob Sturm. Darstellung und Quellen mit einer Brück-Bibliographie (SKRG 1), Tübingen 21962; Der Schmalkaldische Bund und die Stadt Schmalkalden, hg. vom Verein für Schmalkaldische Geschichte und Landeskunde, Schmalkalden 1996; G. Haug-Moritz, Der Schmalkaldische Bund 1530–1541/42. Eine Studie zu den 42

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Von der Konzilsthematik, wiewohl nach außen weiterhin vertreten, rückte man intern ab, nachdem dem sächsischen Kurfürsten Johann im Rahmen des Reichstages die unüberwindbare Differenz zur altgläubigen Konzilsauffassung und der kaiserlichen Konzilspolitik deutlich geworden war. Denn eine die protestantischen und die altgläubigen Lehren gleichermaßen neutral beurteilende Entscheidungsinstanz bildete nach Johanns Urteil das vom Kaiser in Aussicht gestellte Konzil nicht.47 Obwohl Luther die Meinung des Kurfürsten in der Konzilsthematik nicht nachweisbar beeinflusste, hatte sich Luthers Konzilsskepsis durchgesetzt.

1.3. Die kaiserlichen Konzilsinitiativen und ihre Bewertung Auch nach dem Augsburger Reichstag blieb das Konzilsthema bei den europäischen Herrschern auf der Tagesordnung. Jetzt war es Karl V., der seine im Reichsabschied 1530 manifestierte Konzilspolitik intensivierte und wiederholt an den Papst und die Kurie mit der Bitte um Einberufung eines Konzils zur „Reform der Laien“, zur Bekämpfung der Glaubensspaltung in Deutschland und zur geeinten Türkenabwehr herantrat.48 Aufgrund seines papalen Konzilsverständnisses wollte und konnte der Kaiser kein Konzil ohne den Papst einbegenossenschaftlichen Strukturelementen der politischen Ordnung des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation (SSWL 44), Leinfelden-Echterdingen 2002; Dies., Kursachsens schmalkaldische Bundespolitik im Spannungsfeld von Glaube und Macht (in: Bünz, Glaube und Macht, 133–147); Dies. und G. Schmidt, Art. Schmalkaldischer Bund (TRE 30, 1999, 221–228); G. Schlütter-Schindler, Der Schmalkaldische Bund und das Problem der causa religionis (EHS.G 283), Frankfurt am Main/Bern u. a. 1986; O. Winckelmann, Der Schmalkaldische Bund 1530–1532 und der Nürnberger Religionsfriede, Straßburg 1892. 47 Förstemann, Urkundenbuch 2, 745 Nr. 254 (Kurfürst Johann von Sachsen an seine Räthe in Augsburg, 15. 10. 1530): So ist ferner allemal Inn solchenn vnnd dergleichenn vntherhandlungen diß gespurth, das das Ienige, was die warhait auf vnnserm teil belanget, zu eins Concilij entschiedt gestelt solt werdenn, vnnd so angesehen wurdet, welcher gestalt kay. e. Mt. ein Concilium anzustellenn gneigt wirdet befundenn, Das es allain der Mißbrauche vnnd Reformacion halbenn an haubt vnnd gliedern, Aber gar nit der Doctorin halbenn vnnd von derselbenn grundtlich zutractirenn gemacht sol werdenn. Aus welchem vnnd dergleichenn wol abzunhemen ist, was damit gesucht wurdet, vnnd diß haben wir euch hierumb nit wollenn vnangezaigt lassenn. 48 Weil die kaiserliche Konzilspolitik, welche 1530 zur Entfaltung kam, einer eigenen, der Differenzierung vom Kaiser als Institution und Person umsichtig Rechnung tragenden Untersuchung bedarf, deren grundlegende Linien bereits instruktiv von Müller, Kurie, 113–134 u. ö.; Ders., Vorgeschichte, 83–108 gezeichnet wurden, wird auf eine Vertiefung des Themas hier verzichtet. Wenn auch durch Müller korrigiert, bietet H. Jedin, Die Päpste und das Konzil in der Politik Karls V. (in: Ders., Kirche des Glaubens – Kirche der Geschichte. Ausgewählte Aufsätze und Vorträge. Bd. 2: Konzil und Kirchenreform, Freiburg/ Basel/Wien 1966, 148–159) nach wie vor zentrale Beobachtungen. Vgl. u. a. Jedin, Geschichte 1, 202 f. u. ö.; W. Reinhard, Die kirchenpolitischen Vorstellungen Kaiser Karls V., ihre Grundlagen und ihr Wandel (in: Iserloh, Confessio Augustana, 62–100); Winckelmann, Bund, 67–78.

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rufen, so dass er das Konzilsinstrument – anders als von den Protestanten gefordert – an die Autorität des Papstes band und seinen eigenen Handlungsspielraum in dieser Angelegenheit begrenzte. Da Papst Clemens VII. weiterhin ablehnend auf die kaiserlichen Konzilsanfragen reagierte,49 drohte ein allgemeines Konzil, obgleich politisches Dauerthema im Religionsstreit, auf lange Sicht ein unerfüllbarer Wunsch zu bleiben. Luther kleidete die kuriale Blockadepolitik im August 1531 in den Ausspruch, der Papst verweigere dem Kaiser „äußerst hartnäckig“ ein Konzil.50 Damit schien sich Luthers kritisches Urteil über die Realisierbarkeit des Konzilsbegehrens zu bestätigen, welches er zeitgleich auf der Kanzel theologisch popularisierte.51 Seiner Gemeinde erklärte er in zwei Predigten, es sei sinnlos und schüre nur Zwietracht, in der Glaubenslehre auf eine Entscheidung eines Konzils zu warten.52 Dies begründete Luther mit der von ihm schon früher getätigten Aussage, dass man zur Beurteilung der evangelischen Glaubenslehre keines Konzils bedürfe.53 Denn die Taufe und der Glaube an das Evangelium beruhten auf göttlicher Kraft und seien von der christlichen Kirche längst beschlossen sowie durch den Glauben aller getauften Christen bestätigt worden.54 In Anwendung seiner ekklesiologischen Differenzierung zwischen der äußeren und inneren Kirche kontrastierte Luther darüber hinaus die Versammlung eines Konzils, in der über äußere Fragen verhandelt werde,55 mit dem inneren, den Glauben weckenden „geistlich Concilium“,56 welches er mit der christlichen Kirche identifi zierte. Der Zusammenkunft von Bischöfen und Kardinälen, welche als Konzil tituliert würde, sprach Luther radikal ab, christliche Kir49 Zur defensiven Konzilspolitik Clemens VII., der u. a. seine Absetzung in einem Konzil befürchtete und gegenüber den europäischen Herrschern eine Konzilseinberufung an Bedingungen knüpfte, vgl. Jedin, Geschichte 1, 178 f. 194–196. 212–215 u. ö.; Müller, Kurie, passim (siehe z. B. Registereinträge zu „Konzile, Verhandlungen unter Clemens VII.“); Pastor, Päpste 4/2, 582–584; DRTA.JR 10,1; 99 f. 50 WAB 6; 173,19 f. Nr. 1860 (Luther an Nikolaus von Amsdorf in Magdeburg, Wittenberg, 26. 8. 1531): Papa negat Caesari obstinatissime concilium. 51 WA 33; 440–462 (9. Predigt über Joh 6–8 am Sonnabend nach Bartholomei, [26. 8. 1531]); aaO. 462–478 (10. Predigt über Joh 6–8 am Sonnabend nach Egidii, [2. 9. 1531]). 52 AaO. 454,3–9; aaO. 462,37–463,2 (Druck parallel zur Handschrift). 53 AaO. 459,5–11 (Druck). 54 AaO. 458,30–34; 459,8–11; aaO. 476,31–477,9 (Druck). 55 AaO. 458,38–459,5 (Handschrift): Man kan ein Concilium versamlen und halten darzu, das man ordene, wie man fasten und beten moge und wie man sich kleide und wie die rechten artickel des glaubens confi rmiret und bekennet werden, oder von andern sachen urtteile, wie im concilio Niceno geschehen ist. – Vom Drucker wurde die positive Konzilsaussage ins Negative korrigiert und somit ins Gegenteil gewendet, da er Luthers Aussage höchstwahrscheinlich nicht verstanden hatte, aaO. 458,38 f.: Man darff kein Concilium versamlen und halten [. . .]. 56 AaO. 458,34–37: Diese beschliessung gehet nicht zu mit einer eusserlichen zusamen kunfft, sondern ist ein geistlich Concilium und man darff dazu keines convents. – Siehe auch aaO. 459,15 f. (Druck).

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che zu sein,57 und bestätigte somit ekklesiologisch die Negierung eines päpstlichen Konzils.

1.4. Das Konzilsthema und der Nürnberger Anstand von 1532 Kaiser Karl V., der aufgrund der Bedrohung durch die Türken und der ausstehenden Anerkennung seines Bruders Ferdinand als römischer König 58 auf die politische Kraft der protestantischen Stände nicht verzichten konnte, schlug, nachdem er von dem Nichtzustandekommen eines Konzils unter Clemens VII. überzeugt war und jetzt selbst den Zeitpunkt für die Einberufung einer allgemeinen Kirchenversammlung als äußerst ungünstig erkannt hatte,59 einen Sonderweg mit den Evangelischen ein. Am 24. Juli 1532 verständigte er sich mit den protestantischen Reichsständen im Nürnberger Anstand auf einen befristeten Religionsfrieden.60 In diesem die territoriale Expansion der Reformation befördernden und die Protestanten politisch mit den Altgläubigen ins Gleichgewicht bringenden Dokument wurde als Interimszielpunkt erneut ein allgemeines, freies, christliches Konzil, „wie sollichs uff dem reichstag zu Nurmberg beschlossen“ wurde,61 oder – bei Konzilsverzögerung – eine Reichsversammlung genannt.62 57

AaO. 459,40–460,11 (Druck). Zur Problematik der Königsanerkennung vgl. A. Kohler, Antihabsburgische Politik in der Epoche Karls V. Die reichsständische Opposition gegen die Wahl Ferdinands I. zum römischen König und gegen die Anerkennung seines Königtums (1524–1534) (SHKBA 19), Göttingen 1982. 59 Vgl. Müller, Kurie, 200. 209 f. u. ö. 60 DRTA.JR 10,3; 1511–1517 Nr. 549 (Nürnberger Anstand, 24. 7. 1532). Karl V. bestätigte den Nürnberger Friedensschluss in Regensburg, aaO. (1519) 1520–1522 Nr. 557 (Bestätigung des Kaisers, 31.7./2. 8. 1532), und erließ am folgenden Tag das Friedensmandat für das gesamte Reich, aaO. 1525–1527 Nr. 559 (Mandat Karls V., 3. 8. 1532). Der in Regensburg parallel zu den Sonderverhandlungen mit den Protestanten in Schweinfurt und Nürnberg tagende Reichstag, auf dem sich die protestantischen Fürsten lediglich durch Gesandtschaften vertreten ließen, billigte den Nürnberger Anstand zwar nicht, konnte ihn aber auch nicht verhindern. Zum Regensburger Reichstag von 1532 und zum Nürnberger Anstand siehe die ergänzungsbedürftige Dokumentation DRTA.JR 10,1–3. Vgl. u. a. auch CT 4; LXXI–LXXX; Kohnle, Reichstag, 395–406; Luttenberger, Glaubenseinheit, 164–184; Müller, Nuntiaturen Aleanders, 236–254; Ders., Beziehungen, 388–392; Ders., Kurie, 189–222; Winckelmann, Bund, 175–264; Wolgast, Theologie, 203–224. 61 DRTA.JR 10,3; 1513,39 f. Mit Kohnle, Reichstag, 404 Anm. 289 spielte die Ergänzung der Konzilsformel auf den Reichsabschied von 1523 an (DRTA.JR 3; 746,15 „ein frei cristlich concilium an bequeme malstat Teutscher nation“), dem im Reichsabschied von 1524 das Adjektiv „gemein“ hinzugefügt wurde (DRTA.JR 4; 604,13: „eins gemeinen freien universals conilii der ganzen Christenheit“). Im Nürnberger Anstand fehlte allerdings der für die reichsständischen Konzilsforderungen der 1520er Jahre wichtige Hinweis auf den deutschen Konzilsort. 62 DRTA.JR 10,3; 1513,40–42: oder, so das [Konzil] sein furgang nit haben wurde, bis die gemeine stendt des Reichs uff ein gelegen malstat wider berueft und beschrieben wurden 58

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Diese Konzilsformel war in den langwierigen Verhandlungen zwischen den kaiserlichen Unterhändlern, den Kurfürsten Albrecht von Mainz und Ludwig von der Pfalz, und den protestantischen Ständen,63 welche vom 30. März bis 9. Mai in Schweinfurt 64 und vom 3. bis 27. Juni in Nürnberg stattfanden, kontrovers diskutiert worden und hatte die Protestanten zu einer Präzisierung ihrer Konzilsvorstellung gedrängt. Das freie, allgemeine, christliche Konzil sollte vom Kaiser in Metz, Köln, Mainz, Straßburg oder einem anderen Ort in der deutschen Nation ausgeschrieben werden.65 Verhandlungsgegenstand sollte „ain cristliche reformation“ der Lehre, des Lebenswandels und der Bräuche durch Gottes reines Wort und das Evangelium sein ohne Berücksichtigung früherer Konzilsbeschlüsse und menschlicher Satzungen.66 Diese Konzilsdefi nition wurde von den kaiserlichen Unterhändlern als Überschreitung ihres Kompetenzbereiches abgelehnt 67 und in den Ausschussverhandlungen in den Kompromissvorschlag eines allgemeinen, freien, christli[. . .]. – Die altgläubigen Reichsstände suchten auf dem Regensburger Reichstag den Augsburger Abschied durchzusetzen und den Kaiser auf die Einberufung eines Konzils zu verpfl ichten. Sollte der Papst weiterhin das Konzil blockieren, müsse der Kaiser selbständig das Konzil einberufen. 63 Vgl. die Aufl istung der protestantischen Stände, welche nicht nur die Schmalkaldischen Bundesmitglieder umfasste, DRTA.JR 10,1; 134 f. Anm. 35 sowie die Nennung der neun Fürsten und 24 Städte im Anstand DRTA.JR 10,3; 1512,5–14. 64 Spalatin, der als theologischer Berater und Prediger des Kurprinzen, Herzog Johann Friedrich von Sachsen, nach Schweinfurt gereist war, gewann durch seine Predigttätigkeit die Schweinfurter Bevölkerung für die Reformation. Vgl. hierzu und zur Mitwirkung Spalatins an den Friedensverhandlungen in Schweinfurt und Nürnberg Höss, Spalatin, 355– 364. 65 Die Näherbestimmung des Konzilsortes war keine Erfi ndung der protestantischen Stände, sondern schloss sich an den Reichsabschied von Nürnberg 1523 (DRTA.JR 3; 746,15 f.: „Strassburg, Meinz, Coln, Metz oder an andere ort“) an und griff wörtlich die vom Großen Ständeausschuss auf dem 2. Speyrer Reichstag erarbeiteten Vorschläge auf (DRTA. JR 7,2; 1141,31–33), die in den Reichsabschied eingegangen waren (DRTA.JR 7,2; 1299,20– 22). 66 Am 9. April 1532 überreichten die protestantischen Unterhändler ihren Forderungskatalog den kaiserlichen Vermittlern (DRTA.JR 10,3; 1269–1278). Darin wurde gefordert, die CA und Apologie mögen in den evangelischen Territorien als Summe der Lehre gelten und die geänderten Zeremonien und Gewohnheiten beibehalten bleiben, „bis zu aynem freien, gemainen, unvordingten [d. h. unvoreingenommenen], christlichen concilion in deuczscher nation, an der orten ainem, so in vorigen des Reichs abschieden benant sein, nemlich Mecz, Collnn, Maincz, Straßburgk oder ainer andern gelegenen malstat bemelter deuczscher nation, zu halten und durch die ksl. Mt. auszuschreiben und daryn ain cristliche reformation ungotlicher läre, wandels und breuche halben vermitelst Gottes rainen wort und seinen hl. ewanghelion ane [d. h. ohne] jemandes schucz und furwendung ainicher voriger concilien determination ader [d. h. oder] andern menschen saczungen, herkomens, gewonhaiten oder breuche der kirchen, die wider Gottes wort, auch daryn nit gegrundt weren, durch verleyhung der gnaden des Allemechtigen furczunehmen und aufczurichten“, aaO. 1271,34–44. Vgl. Wolgast, Theologie, 208. 67 DRTA.JR 10,3; 1280,39–55 Nr. 349 (Gutachten der kaiserlichen Unterhändler zu den Gegenvorschlägen der Protestanten, Schweinfurt, 11. 4. 1532).

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chen Konzils nach Maßgabe des 2. Nürnberger Reichstages umgewandelt.68 Die Mehrheit der evangelischen Reichsstände – allen voran Philipp von Hessen – lehnte den Vorschlag als unzumutbare Einschränkung ab und insistierte stattdessen auf der einst von Luther propagierten Näherbestimmung des Konzils als eines schriftorientierten. Hieran entzündete sich ein innerevangelischer Streit um Sinn und Zweck der Festlegung der protestantischen Konzilsdefi nition.69 Luther, der von seinem Kurfürsten um gutachterliche Stellungnahme zu den Schweinfurter Verhandlungsthemen gebeten worden war, äußerte sich auch zum Streit um die Konzilsformel. Aber statt der protestantischen Konzilsdefinition argumentativ beizupfl ichten, widersprach er den protestantischen Fürsten! Bereits im Gutachten vor dem 16. Mai hatte er sich für eine friedliche Einigung als Verhandlungsziel ausgesprochen und Unverständnis für die zögerliche Haltung der protestantischen Stände gezeigt.70 Dieses deutliche und unnachgiebige Eintreten für die Umsetzung des Friedens, welches auf Kritik und Ablehnung in den eigenen Reihen stieß, war Luthers unbedingtem Friedenswillen geschuldet. Denn die Verwirklichung des Friedens hatte für Luther axiomatische Bedeutung und bildete für ihn ein Geschenk Gottes, dem sich die Politiker nicht verschließen durften. Außerdem diente der anzustrebende Religionsfrieden der Ausbreitung des Evangeliums.71 Auf dieser für Luthers politisches und soziales Denken zentralen Friedenslinie – welche in der Forschung bisweilen verkannt wird72 – bewegte sich auch das 68 DRTA.JR 10,3; 1326,27–1327,42 Nr. 390 (Bericht über die weiterführenden Verhandlungen im Ausschuss, Schweinfurt, 4. 5. 1532). 69 Vgl. hierzu Wolgast, Theologie, 213 f. 220 f. 70 WAB 6; (307) 308–311 Nr. 1933 (Luther an Kurfürst Johann, [Wittenberg,] vor 16. 5. 1532). Hauptgegenstand des Bedenkens war die Ausdehnung des Religionsfriedens auf die Stände, die sich künftig der Confessio Augustana anschließen würden. Hiervon riet Luther ab und betonte, aaO. 310,64–68: Ich befi nde aus den Händeln, daß beide Kurfursten, Mainz und Pfalz, furwahr gnug getan haben, und mehr denn ich gehofft hätte, daß nu hinfurter uns gebuhren will, unserm Herr Gott, der uns so gnädiglich grußet, treulich zu danken, und uns fursehen, daß wir uns selbs nicht im Licht stehen und solchen Frieden abschlagen. – Über Luthers Friedensrat vgl. Dörries, Widerstandsrecht, 231–235. 71 Bereits im Februar 1532 hatte Luther gegenüber seinem Kurfürsten die Notwendigkeit der Friedensbewahrung betont, WAB 6; 261,39–44 Nr. 1903 (Luther an Kurfürst Johann, [Wittenberg, 12. 2. 1532?]): [S]o spricht und lehret auch St. Paulus Röm. 12, daß wir Christen sollen, so viel an uns ist, mit jedermann Friede halten. Das ist ja so viel gesagt, daß wir unser Recht umb Friede willen sollen lassen, auf daß es uns nicht mangel. Denn es liegt mehr am Frieden denn am Recht, ja die Rechte sind umb Friedes willen gestellet. – Über die zentrale Bedeutung des Friedens, der einen Fixpunkt im politisch-sozialen Denken Luthers bildete, für ihn „das grösseste gut auff erden“ bedeutete (WA 30,2; 538,19) und dessen Einhaltung und Sicherung er zur zentralen Pfl icht der weltlichen Obrigkeit zählte, vgl. vornehmlich für Luthers Position im Jahr 1532 u. a. Brecht, Luther 2, 408 f.; Müller, Beziehungen, 389 f.; Wolgast, Theologie, 53–55. 203–205 u. ö. 72 Beispielsweise rückt Leppin, Luther, 305–308 die Widerstandsrechtsproblematik gegen den Kaiser und Luthers Haltung hierzu um 1530 in den Mittelpunkt seiner Darstellung, während Luthers Friedensengagement im Jahr 1532 leider ebenso unberücksichtigt bleibt

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Ende Mai zusammen mit Bugenhagen angefertigte Gutachten.73 Hierin empfahlen die Wittenberger Theologen die Annahme der Formulierung der Vermittler und betonten, dass der protestantische Konzilszusatz nicht notwendig sei.74 Sie gaben zu bedenken, dass auch die Gegner das reine Wort Gottes für sich beanspruchen und eine Konzilsentscheidung der „Nationes“ gegen die Evangelischen mit diesem legitimieren würden.75 Ein Missbrauch des Konzils war für sie bei einer protestantischen Näherbestimmung daher keineswegs ausgeschlossen. Im Hintergrund dieser nachgiebigen Konzilshaltung, die Luthers um Frieden bemühte Position untermauerte, stand nicht nur seine kritische Einschätzung einer Konzilsrealisierung, sondern auch seine Überzeugung, der künftigen geschichtlichen Entwicklung nicht selbsttätig vorgreifen zu wollen. Folglich riet er jetzt entgegen der Meinung der Mehrheit der protestantischen Reichsstände zu einer „flexiblen Politik und, wenn notwendig, zum Nachgeben“.76 Das Votum Luthers und Bugenhagens sorgte bei Philipp von Hessen für Empörung und stieß bei den protestantischen Städtevertretern auf Ablehnung.77 Trotz des innerevangelischen Streites um die Konzilsdefi nition und um die Frage, ob für die sich künftig der CA anschließenden Stände der Religionsfrieden gelten möge,78 folgten der erkrankte Kurfürst Johann und sein ihn in den Verhandlungen vertretender Sohn, Herzog Johann Friedrich,79 den Wittenberger Ratschlägen.80 wie sein positionelles und letztlich erfolgreiches Einwirken auf die Schweinfurt-Nürnberger Verhandlungen. 73 WAB 6; 313–315 Nr. 1935 (Luther und Bugenhagen an Kurfürst Johann, [Wittenberg, nach 21. 5. 1532]). 74 AaO. 314,62–315,66: Vom Concilio ist muglich etwas zu caviern; so ist ohn Zweifel gnugsam caviert durch diese Wort: „Ein frei christlich Concilium.“ Sollen die Wort nicht helfen, so wird der Zusatz auch wenig helfen: „nach dem reinen Gottes Wort“ [. . .]. 75 AaO. 315,66–68. 76 Wolgast, Theologie, 214. 77 Vgl. aaO. 214 f. 78 Der Hauptstreitpunkt handelte um die Problematik der „inclusio futurorum“, d. h. die von den Protestanten in den Verhandlungen vorgetragene Forderung, der Religionsfriede müsse für alle Reichsstände, die sich auf die CA eingelassen haben oder sich einlassen werden, gelten. Vgl. G. Haug-Moritz, Zwischen Kooperation und Konfrontation – der Schmalkaldische Bund und seine Führungsmächte (in: Der Schmalkaldische Bund, 89–99); Wolgast, Theologie, 208–213. 79 Als am 16. August 1532 Kurfürst Johann starb, übernahm der Kurprinz, Johann Friedrich I., die Regierung und setzte sowohl die reformatorische Kirchenpolitik mit dem Auf bau des evangelischen Kirchenwesens in Kursachen als auch anfänglich die defensive Bündnispolitik seines Vaters fort. Zu Luther pflegte er zeitlebens ein enges Vertrauensverhältnis. Vgl. Edwards, Last battles, 63–66; Gößner, Luther und Sachsen, 183; V. Leppin, G. Schmidt und S. Wefers (Hg.), Johann Friedrich I. – der lutherische Kurfürst (SVRG 204), Gütersloh 2006; Wartenberg, Luthers Beziehungen, 554–561. 921–924. 80 Ein drittes Gutachten fertigte Luther zusammen mit Jonas an: WAB 6; 328–330 Nr. 1944 (Luther und Jonas an Kurfürst Johann, [Wittenberg,] 29. 6. 1532). Vgl. Wolgast, Theologie, 215–217.

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VII. Die Konzilsthematik im Horizont von Politik und Kirche (1530–1546)

Im Nürnberger Anstand fand schließlich die vermittelnd-dissimulierende und von Luther unterstützte Konzilsformel Eingang, die erneut half, die protestantisch-katholischen Differenzen im Konzilsverständnis zu verschleiern. Hinsichtlich des Konzilsthemas kam Luthers friedensbewahrendem Pragmatismus eine größere Weitsicht zu als jener auf die protestantische Positionsbewahrung zielenden hessischen und oberdeutschen Konzilsdefi nition. Für Luther und seinen Kurfürsten war der erwünschte Frieden erreicht und die Konzilsdiskussion erledigt.

2. Die protestantische Debatte um eine Konzilsteilnahme im Jahr 1533 Eine neue Phase im politischen und öffentlichen Konzilsdiskurs wurde mit der päpstlichen Konzilsinitiative von 1533 eingeleitet. Plötzlich schien das bisher für irreal gehaltene Konzilsprojekt konkretere Formen anzunehmen. Der konziliare Formelkompromiss samt evangelischer Konzilsappellation drohte zu einem Bumerang für die Protestanten zu werden. Luther, die Wittenberger Theologen und allen voran der sächsische Kurfürst Johann Friedrich I. mitsamt seinen Schmalkaldischen Bundesgenossen standen jetzt vor der politisch und theologisch hoch brisanten Frage, wie sie auf ein vom Papst angekündigtes Konzil reagieren sollten. Bisher waren die reichsrechtlichen Verabredungen, die den protestantischen Ständen einen gewissen Schutz geboten hatten, bis zu einem Konzil terminiert gewesen.81

2.1. Die päpstliche Konzilsinitiative von 1533 Entstanden war die päpstliche Initiative bei der Zusammenkunft von Karl V. und Clemens VII. im Winter 1532/33 in Bologna. Dort gab der Papst trotz erheblicher Bedenken dem Drängen des Kaisers nach und versprach, ein Konzil einzuberufen.82 Clemens und Karl informierten die deutschen Kurfürsten und Reichskreise Anfang Januar in separaten Briefen über die Verhandlungen bezüglich eines Konzilsplanes.83 Gemeinsam beschlossen Kaiser und Papst, Son81 Als Dokumentation dieser Problematik siehe WAB 6; 480–491 Nr. 2028 (Luther bzw. Melanchthon mit Luther, Jonas und Bugenhagen an Kurfürst Johann Friedrich, [Wittenberg, 16.6. oder bald danach, bzw. sicher bald danach und vor dem 30. 6. 1533]); Walch 2 16, 1856–1887. 82 Zu den kirchenpolitisch bedeutsamen Gesprächen zwischen Kaiser und Papst in Bologna, der dort verhandelten Konzilsthematik und den damit verbundenen, differenten politischen Interessen vgl. Brockmann, Konzilsfrage, 247 f.; CT 4; LXXXI–LXXXIX; Jedin, Geschichte 1, 225–227; Müller, Kurie, 229–237; Pastor, Päpste 4/2, 466–473. 83 Die auf Anraten Aleanders entstandenen Schreiben sind in deutscher Übersetzung abgedruckt bei Walch 2 16, 1856–1860 Nr. 1210 (Kaiser Karl V. an die Kurfürsten und Reichskreise, Bologna, 8. 1. 1533); aaO. 1860–1862 Nr. 1211 (Clemens VII. an den schwäbischen

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dergesandte zu den europäischen Herrschern, insbesondere zu den Königen von Frankreich und England, sowie nach Deutschland zu senden, um das Konzilsvorhaben darzustellen und die Konzilsbereitschaft der Fürsten einzuholen. Mit der Vorankündigung des Konzils und der Sondierung der Lage in der deutschen Nation beauftragte der Papst Graf Ugo Rangoni, Bischof von Reggio, der vom kaiserlichen Orator Lambert von Briaerde, Ratspräsident von Mecheln, begleitet wurde.84 Dem päpstlichen Nuntius wurde eine von Aleander auf den 27. Februar 1533 ausgearbeitete Konzilsinstruktion mitgegeben, in der Clemens VII. den deutschen Herrschern folgende acht Bedingungen zur Konzilseinberufung auferlegte: 85 1. Das künftige Universalkonzil werde ein freies Konzil sein, das nach dem seit den ersten allgemeinen Konzilien gewohnten Brauch der Kirche einberufen und abgehalten werde.86 2. Die Konzilsteilnehmer sollen sich verpfl ichten, den getroffenen Entscheidungen zu gehorchen. 3. Wer an der Teilnahme verhindert sei, solle sich durch Bevollmächtigte vertreten lassen. 4. Bis zum Konzil dürfe in Deutschland keine religiöse Neuerung vorgenommen werden. 5. Man solle sich auf einen geeigneten Versammlungsort einigen. Der Papst schlage die Städte Mantua, Bologna oder Piacenza vor. 6. Sollten sich etliche Fürsten und Glieder der Christenheit „ohne einen vernünftigen Grund“87 dem Konzil verweigern, werde der Papst das Konzil dennoch durchführen.

Kreis, Bologna, 10. 1. 1533). Die Briefe waren rein politischer Natur und verfolgten das Ziel, die Reichsstände in Deutschland hinsichtlich ihrer Konzilsforderung zu beruhigen. Während sich Karl V. der Einlösung seiner den Reichsständen gegebenen Konzilszusage rühmen konnte, erklärte Clemens VII. seine Bereitschaft, am Zustandekommen des allgemeinen Konzils mitzuwirken. Konkrete Maßnahmen waren mit dieser beschwichtigenden Absichtserklärung nicht verbunden. Vgl. Jedin, Geschichte 1, 226; Müller, Kurie, 232 f. 84 Offi ziell sollte den deutschen Fürsten durch das gemeinsame Auftreten von Nuntius und Orator ein einträchtiges Miteinander von Papst und Kaiser in der Konzilsfrage signalisiert werden. Tatsächlich aber hatte Karl V. seinem Gesandten in einer Geheiminstruktion befohlen, den Nuntius zu überwachen und eine mögliche kuriale Sabotage des Konzilsplanes zu vereiteln. Denn nach wie vor hegten Karl V. und seine Berater ein berechtigtes Misstrauen gegen die Ernsthaftigkeit der päpstlichen Konzilsinitiative. Vgl. Müller, Kurie, 234. 85 Siehe den Text der kurialen Instruktion in CT 4; LXXXVII f. Eine Ausgabe nach der lateinischen Abschrift Spalatins ist abgedruckt in WAB 6; 480 f. und eine deutsche Übertragung bei Walch 2 16, 1869 f. 86 Weil der 1. Artikel für Luthers Argumentation von Bedeutung werden sollte, sei er hier zitiert, WAB 6; 480: Inprimis quod universale hoc concilium, quod indicendum et celebrandum proponitur, liberum sit et iuxta morem ecclesiae consuetum atque multis ante seculis ab inicio usque universalium conciliorum ad haec tempora observatorum celebretur. 87 WAB 6; 481.

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7. Wer das Konzil verhindern, seine Beschlüsse nicht anerkennen oder anderweitig gegen den Papst vorgehen wolle, solle vom Papst mit Hilfe der „gutwilligen“ Fürsten zur Verantwortung gezogen werden. 8. Sollten die deutschen Fürsten die vorangehenden Bedingungen akzeptieren, werde der Papst das Konzil innerhalb von sechs Monaten ausschreiben und binnen eines Jahres eröffnen.88 Zuerst suchten die Gesandten den römischen König Ferdinand in Wien auf und reisten, nachdem sie von ihm eine positive Antwort erhalten hatten, nach Dresden, wo Herzog Georg den von ihm selbst immer wieder angemahnten Konzilsplan begeistert aufnahm.89 Von dort zogen sie unter Zusicherung des kurfürstlichen Geleits nach Weimar und verhandelten am 3. und 4. Juni 1533 im Beisein von Spalatin mit dem seit Sommer 1532 regierenden sächsischen Kurfürsten, Johann Friedrich dem Großmütigen, den die Konzilsfrage seitdem sowohl persönlich als auch in seiner Eigenschaft als Mithauptmann des Schmalkaldischen Bundes nicht mehr loslassen sollte.90

2.2. Die kursächsische Konzilsantwort im Juni 1533 Der Kurfürst, der Rangoni und Briaerde freundlich empfing und die acht Artikel interessiert aufnahm, begrüßte das Konzilsprojekt, betonte aber in diplomatischer, gleichwohl unmissverständlicher Sprache, dass er hierunter ein „divinum, generale, liberum et Christianum concilium“91 verstehe, wie es kaiserliche Majestät der deutschen Nation zugesichert habe. Unter Bezug auf Joh 12,48 betonte er außerdem den protestantischen Grundsatz, im Konzil habe als Urteilsmaßstab Gottes Wort zu gelten. Da er sich aber bereits zwecks einer einheitlichen Antwort auf die Konzilsschreiben des Papstes und des Kaisers vom Januar mit seinen Augsburger Konfessionsverwandten für Ende Juni verabredet habe, werde er dort auch das Anliegen des Nuntius vortragen. Daher sei seine jetzige Stellungnahme lediglich vorläufig. Somit signalisierte der Kurfürst,

88 Zur Reise des Nuntius Rangoni vgl. S. Ehses, Eine Konzils-Rundreise durch Deutschland im Jahre 1533 (PastB 14, 1901/02, 29–34); Müller, Kurie, 238–246; CT 4; LXXXVII–CII. 89 Vgl. Müller, Kurie, 238 f. 90 Vgl. G. Mentz, Johann Friedrich der Großmütige 1503–1554. Bd. 2: Vom Regierungsantritt bis zum Beginn des Schmalkaldischen Krieges (Beiträge zur neueren Geschichte Thüringens 1), Jena 1908, 17 f.; Wolgast, Johann Friedrich, 281 f. – Zur Führungsrolle Kurfürst Johann Friedrichs im Schmalkaldischen Bund und zur kursächsischen Bundespolitik vgl. Haug-Moritz, Bund, 345–351 u. ö.; Dies., Kursachsens schmalkaldische Bundespolitik, 133–147; Dies., Johann Friedrich I. und der Schmalkaldische Bund (in: Leppin, Johann Friedrich I., 85–100). 91 CT 4; XCII,11 f.

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ohne auf die einzelnen Artikel einzugehen, in der Sache keinerlei Entgegenkommen.92 Während die Gesandten am 5. Juni zu Erzbischof Albrecht von Mainz nach Halle weiterreisten und sich anschließend über Wittenberg ziehend93 gen Berlin wandten, bat der Kurfürst seine Wittenberger Theologen zur Vorbereitung der schmalkaldischen Bundesantwort in der Konzilsthematik um Gutachten und beriet mit ihnen am 16. Juni 1533 persönlich in Wittenberg die Sachlage.94 Im Rahmen der gutachterlichen Tätigkeit und der kurfürstlichen Konzilskonferenz, über deren Verlauf nichts Näheres bekannt ist, rückte für Luther das von ihm längst abgeschriebene Konzilsthema plötzlich wieder auf die kirchenpolitische Tagesordnung. Von nun an bis zu seinem Tod sollte ihn die Konzilsproblematik nicht mehr loslassen. Der Lutherforschung, die in der Regel eine seit 1520 ungebrochen positive Linie in Luthers Konzilsverständnis zeichnete, entging dabei die spektakuläre Wende, die Luthers Konzilsverhalten durch die realpolitische Konzilsanfrage erfuhr. Denn während die theologisch relevanten Entscheidungen hinsichtlich seines Konzilsverständnisses – wie gesehen – längst gefallen waren, entschied sich Luthers politischer Konzilskurs erst im Juni 1533 in Wittenberg. Diesen Kurs, den er in den folgenden Jahren lediglich ausgestaltete, sollte er nicht mehr verlassen.

2.3. Lutherischer Konzilspragmatismus Über Luthers Position, die im Diskurs mit den Wittenberger Theologen geschärft und beeinflusst worden war, informieren ein Brief an Nikolaus Hausmann vom 16. Juni, zwei von ihm eigenständig verfasste Bedenken ohne Datumsangabe95 sowie ein drittes von Melanchthon verfasstes, von Bugenhagen 92 Siehe CT 4; XCII f.; Walch 2 16, 1870–1872 Nr. 1213 (Antwort des Kurfürsten Johann Friedrich, 4. 6. 1533). Wolgast, Johann Friedrich, 282 behauptet, der Kurfürst habe die Legaten zum Bundestag nach Schmalkalden eingeladen, welches aus der untersuchten Quelle aber nicht hervorgeht. 93 In Wittenberg, wo die Legaten am 14. und 15. Juni Station machten, wurden sie freundlich begrüßt. Ein Gespräch mit Luther, Melanchthon und anderen Theologen fand nicht statt. Siehe WAB 6; 479,11–15 Nr. 2027 (Luther an Nikolaus Hausmann in Dessau, [Wittenberg,] 16. 6. 1533). 94 WAB 6; 479,3–7. 95 WAB 6; 483–485 (1. Gutachten); aaO. 485–487 (2. Gutachten). Eine genaue chronologische Einordnung der Gutachten ist aufgrund fehlender Anhaltspunkte nicht möglich. Sicher ist eine Abfassung der Gutachten um den 16. Juni, möglich aber auch ein differenzierter Verfassungszeitraum. Da ein Gutachten von Melanchthon (MBWT 5; 427–430 Nr. 1333), das die explizite Zustimmung von Luther und Spalatin fand, auf den 10. Juni datiert ist (MBW 2, 99 f.), könnte Luthers erstes Gutachten ebenfalls zu diesem Zeitpunkt entstanden sein. Ähnlich Walch 2 16, 1872, der als Abfassungszeitraum allerdings den 4. bis 10. Juni annimmt. Das zweite Gutachten könnte Luther, da jetzt neue Aspekte vorgetragen wurden und der Konzilsdiskurs fortgeschritten zu sein schienen, nach Beratungen mit Melanchthon

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und Jonas unterstütztes und von Luther ergänztes Gutachten.96 Weil auch Melanchthon sich mit zwei selbständigen Gutachten am Diskurs beteiligte,97 dessen erstes vom 10. Juni Luther ausdrücklich gebilligt hatte,98 ist eine gegenseitige Abhängigkeit der Einzelgutachten wahrscheinlich. Weil aber jeder Versuch, die Abhängigkeiten aufzudecken, rein spekulativ bleiben muss, wird aus methodischen Gründen hierauf verzichtet und Luthers Argumentation schwerpunktartig dargestellt. Ohne diplomatische Floskeln bot Luther im Brief an Hausmann seine Interpretation des kurialen Konzilsprojektes. Er erwähnte die päpstlichen Artikel zur Konzilseinberufung, problematisierte das allein nach päpstlichem Gutdünken und nach der Gewohnheit der früheren Konzilien ausgerichtete Verfahren und folgerte, dass „wir“ in einem solchen Konzil nur „verdammt und verbrannt werden“ sollten. Die hinterlistige Absicht des Papstes durchschauend würden „wir“ – Luther meinte nicht nur sich selbst, sondern die den Kurfürsten eingeschlossene Wittenberger Beratergemeinschaft – dem Papst eine Antwort geben, die „seiner und unserer würdig“ sei.99 Wie diese Antwort aussehen würde, schrieb er nicht, deutete sie aber durch das in deutscher Sprache wiedergegebene Sprichwort an: „Es sind doch buben in der haut, vnd bleibens auch!“100 Damit war eine raffi nierte, den Papst mit seinen eigenen Mitteln schlagende taktische Argumentationslinie vorprogrammiert. und den übrigen Wittenberger Theologen kurz vor dem 16. Juni oder kurz nach der Konferenz mit dem Kurfürsten am 16. Juni für diesen formuliert haben. Möglicherweise war dieses zweite Gutachten auch deshalb veranlasst worden, weil dem kurfürstlichen Hof die Argumentation der ersten Stellungnahme zu „materialarm“ war (so Müller, Beziehungen, 392). Wolgast, Konzil, 124 Anm. 11 erwägt als Abfassungstermin darüber hinaus einen Zeitraum nach dem 30. Juni, der auf Besprechungen der Konzilsfrage zielte, welche durch den Schmalkaldener Bundesabschied angeregt wurden. Diese Vermutung desavouiert Wolgast aber sogleich mit dem Hinweis, es sei fraglich, ob die Besprechungen überhaupt stattgefunden hätten. 96 WAB 6; 487 f. (3. Gutachten); MBWT 5; 433–436 Nr. 1335 (Luther, Jonas, Bugenhagen und Melanchthon an Kurfürst Johann Friedrich, [Wittenberg, 16./17.? 6. 1533]). Dieses Kollektivgutachten dürfte in der Tat am 16. oder 17. Juni nach der Unterredung mit dem Kurfürsten entstanden sein. 97 MBWT 5; 427–430 Nr. 1333 (Melanchthon u. a., Gutachten, [Wittenberg,] 10. 6. 1533) sowie MBWT 5; 430–433 Nr. 1334 (Melanchthon, Gutachten, [Wittenberg, 16.? 6. 1533]) = CR 2, 654–656 Nr. 1117 mit CR 3, 1286. Von Aurifaber überarbeitet abgedruckt auch in: WAT 6; 311 Nr. 6996. – Stupperich, Reformatoren, 27 f. konzentriert sich in seiner defi zitären Darstellung nur auf Melanchthons Einzelgutachten, ohne die übrigen Gutachten überhaupt zu erwähnen. 98 Siehe MBWT 5, 427,2. 99 WAB 6; 479,5–9: & simul tractandum de responso dando Apostolicis nuntiis & Cesariis, per quos papa nobis obtulit articulos quosdam de Concilio celebrando, scilicet quod agatur in eo secundum suum placitum & more priorum Conciliorum, Hoc est, in quo damnemur & comburamur, Sed verbis lubricis & tali pontifice dignis. Reddemus autem ei verba & ipso & nobis digna. 100 AaO. 479,10 f.

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Bereits im ersten Gutachten hatte Luther diese Strategie umgesetzt. Er konzentrierte sich dort – wie im Brief angedeutet – auf die im Eröffnungsartikel der päpstlichen Instruktion grundgelegte Defi nition und den Modus des Konzils, weil sich an ihnen die Beurteilung des projektierten Konzils entscheide. Positiv versicherte er einleitend, wenn der Papst „ein Concilium nach Gottes wort und nicht nach seiner gewonheit“ halte und sich darauf verpfl ichte, würden die Protestanten selbstverständlich zum Konzil kommen, ihm gehorchen und es exquerieren helfen.101 Nun enthalte aber der erste Artikel einen argumentativen Widerspruch und brumme wie ein halber Engel und halber Teufel im Dunkeln: „Es solle ein frey Concilium sein sicut ab initio.“102 Beziehe der Papst dieses auf die ersten Konzilien der Kirche, insbesondere auf das Apostelkonzil in Jerusalem, müsse im neuen Konzil Gottes Wort als Urteilsnorm gelten, weil – so Luther unter Ausblendung jeglicher noch 1524 formulierten Kritik am Apostelkonzil103 – die Apostel sich an Gottes Wort und Werken orientiert hätten.104 Dem widerspreche aber die päpstliche Ansage über das Konzilsverfahren „nach gewonheit der kirchen von alters her bis auff diese zeit.“105 Folglich beziehe der Papst auch die letzten Konzilien wie das Konstanzer, Basler, „Pisaner“ und 5. Laterankonzil in diese Aussage mit ein.106 Das kuriale Ansinnen werde demnach sein, „uns“107 die Konzilsakten jener Kirchenversammlungen vorzulesen,108 womit Luther andeutete, dass sie sich auf diese für ihn unannehmbaren, menschlichen Konzilsbeschlüsse verpfl ichten und damit die evangelischen Glaubenslehren aufgeben müssten. Deshalb resümierte er: „Und weil das die meynung ist, darff man keins Concilien, Denn es ist lengst gehalten vnd nicht allein beschlossen, Sondern nu lenger denn xii iar wider vns exequirt mit bannen, fewr, wasser, schwerd vnd aller macht vnd list“.109

101

AaO. 483,3–484,10. AaO. 484,11–13. 103 Siehe oben, Kapitel VI § 16.3. 104 WAB 6; 484,13–16. 105 AaO. 484,17 f. 106 AaO. 484,18–20: Hiemit begreifft er auch die letzten Concilia als Constatien, Basilien, Pisanum vnd das aller schendlichste Lateranen, das letzte zu Rom vnter Leone gehalten, Welches aller wellt ein spott und schimpff war. – Hier liegt die bis dahin umfangreichste Aufzählung der jüngsten Konzilien aus der Feder Luthers vor, bei der er allerdings das Konzil von Ferrara-Florenz (1438–1439) nicht erwähnte. Weil er in dem im nächsten Abschnitt vorzustellenden Vorwort von 1533 das Konzil von Pisa mit dem von Ferrara-Florenz verwechselte, dürfte auch hier eine Verwechslung vorliegen. Daher ist – von der Forschung nicht wahrgenommen – zu konstatieren: Luther meinte in seiner papstkritischen Aufzählung nicht das Konzil von Pisa 1511 geschweige denn von 1409, sondern das Konzil von FerraraFlorenz! Außerdem sei daran erinnert, dass Luther hier seine schon früher vorgenommene scharfe Kritik am 5. Laterankonzil wiederholte. Siehe oben, Kapitel IV § 8.1. 107 Selbstredend bezeichnet Luther mit dem Pronomen „uns“ die Protestanten. 108 WAB 6; 484,21–23. 109 AaO. 484,23–26. 102

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Nach der entschiedenen Ablehnung jenes Konzilsprojektes übertrug er den ausgewiesenen Widerspruch110 zwischen einem nach Gottes Wort und einem gegen Gottes Wort gehaltenen Konzil von der theologischen in die politische Sphäre. Mit seinem hinterlistigen Verhalten brüskiere der Papst den Kaiser und die Reichsstände, da er durch seinen ersten Artikel das kaiserliche und protestantische Konzilsbegehren verspotte.111 Auch kritisierte Luther die vom Papst gebrauchte, missverständliche Bezeichnung des Konzils als ein „frey Concilium“. Frei sei nicht das Konzil, sondern nur der Papst in seiner Willkürherrschaft über das Konzil.112 Einen weiteren Widerspruch deckte Luther im zweiten Artikel auf, in dem der Papst die Konzilsteilnehmer verpfl ichtete, sich vor Beginn der Kirchenversammlung den Konzilsbeschlüssen zu unterwerfen. Diese Bedingung verstoße gegen die vom Papst selbst gepflegte Gewohnheit und Praxis früherer Konzilien und unterstreiche die päpstliche Willkür.113 Schließlich kulminierte Luthers Gutachten im zentralen Kontroverspunkt: der Stellung und Rolle des Papstes im Konzil. Der Papst müsse Religionspartei und dürfe nicht Richter im Konzil sein, zumal das Konzil gerade wegen des Papstes und seiner Praxis von der ganzen Christenheit gefordert werde und er mit seiner Lehre zum Verhandlungsgegenstand zähle.114 Daher gelte: „Das wort Gottes sol zwisschen Bapst sampt seinen Concilien vnd vns richten“.115 Im zweiten Gutachten zog Luther die im ersten Bedenken entwickelte, auf die Widersprüchlichkeit des Eingangsartikels zielende Argumentationslinie aus und fügte einen neuen, gegenüber Hausmann angedeuteten und von den übrigen Wittenberger Theologen ebenfalls vertretenen Ratschlag an: Alle päpstlichen Artikel116 sollten einerseits „getrost“ akzeptiert werden. Damit behielten die Protestanten in der Öffentlichkeit das Ansehen und die Ehre („den glimpf “) und stünden politisch nicht als Konzilsblockierer im Reich und im Ausland da. 110 Es versteht sich von selbst, dass der von Luther monierte Widerspruch für die Kurie aufgrund des katholischen Traditionsprinzips keinen Gegensatz bedeutete. 111 AaO. 484,26–36. 112 AaO. 484,36–40: Denn ein solch Concilium ist von vns nicht begert, auch den reichstagen nicht zugesagt noch beschlossen, Dennoch nennet ers, der lugener, Ein frey Concilium, verstehet frey fur sich allein, das er darin wil thun, wie bis her gewonet vnd gethon ist, frey vnd vnuerhindert. 113 AaO. 484,41–485,49. 114 AaO. 485, 50–58. Luther korrigierte hier aufgebracht und protestierend den Papst, es gehe nicht um Streitigkeiten „in Germania“, sondern um „Controuersien der gantzen Christenheit des wort Gottes halben widder den Bapst vnd seine lere.“ (aaO. 485,54 f.). 115 AaO. 485,52 f. 116 AaO. 485,4. 487,61 sprach Luther nicht von acht, sondern von sechzehn Artikeln. Warum er die Artikel verdoppelte, begründete er nicht. Entweder ironisierte er die Anzahl bewusst oder rechnete die acht Artikel der Instruktion mit den acht Punkten zusammen, in denen der Nuntius die Artikel dem Kurfürsten in Weimar vorstellte (CT 4; XC,40XCI,46).

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Durch die unerwartete Reaktion auf seine „hinterlistigen“ Artikel117 würden die Lutherischen darüber hinaus den Papst mundtot machen und den öffentlichen „unglimpff “ auf ihn schieben.118 Andererseits müsse gegen den ersten Artikel protestiert werden, da er gegen die Beschlüsse früherer Reichstage und des Kaisers verstoße, die „ein frey Christlich Concilium“ und keine Fortsetzung der bisherigen päpstlichen Konzilien gefordert hätten.119 Innerhalb seiner Argumentation berief sich Luther auch auf das Konstanzer Konzil, welches ein „kostlich treffl ich Concilium nach voriger weise“120 gewesen sei, und wies auf die angeblich durch den Papst mit seinem Konzil angerichteten blutigen Konfl ikte zwischen den Böhmen und Deutschen hin.121 Diesen historisch ungenauen Sachverhalt wandte er auf den Papst an und beschuldigte ihn der Destabilisierung und Kriegstreiberei im Reich, indem er mutmaßte, dass der Papst, „der leidige bluthund vnd Morder“,122 durch das neue Konzil ein Blutbad unter den Deutschen anrichten wolle.123 Am Ende des Argumentationsganges stellte Luther klar: Eine Zustimmung zum ersten Punkt der päpstlichen Konzilsbedingungen sei für die Protestanten kategorisch ausgeschlossen. Andernfalls gäben sie ihre Identität und Lehre auf.124 Nach diesen Klarstellungen werde es der Papst nicht zu einem Konzil kommen lassen. Melanchthon empfahl über Luther hinaus, die protestantischen Stände sollten, um sich nicht dem Verdacht der Verhinderung einer unparteiischen Lehrüberprüfung auszusetzen, dem Papst das Angebot unterbreiten, das Konzil zu besuchen, wenn eine vorherige Verpfl ichtung auf den ersten Artikel unterbliebe.125 Außerdem riet er, den Kaiser in die Verantwortung für das Konzil zu 117 WAB 6; 485,6–13: Denn sie [die Artikel] sind nicht aüs notturfft der sachen, sondern auff schalckeit dargestellet, das sie vrsach haben mugen, auff vns allen vnglimpff zu schieben vnd zu schreien: „Sihe da, die Lutherisschen wollen nichts thun, nichts weichen, nichts leiden, Sie wollen nicht bewilligen ynn gehorsam des Concilii, Sie wollen die malstat nicht haben, Sie wollen nicht helffen exequirn, Sie wollen alles haben nach yhrem gefallen, Sie wollen selbs das Concilium sein. Wes ist nu die schuld, das kein Concilium wird? Der Bapst thetts gern, etc.“ 118 AaO. 485,15 f. 119 AaO. 486,17–30. 120 AaO. 486,36 f. 121 AaO. 486,31–47. Auf die kriegerische Auseinandersetzung zwischen Böhmen und Deutschen als Folge des Konstanzer Konzils wies Luther wiederholt hin. Siehe u. a. WA 50; 24,6–8/26–28. 122 WAB 6; 486, 51. 123 AaO. 486,47–51. 124 AaO. 486,52–57: Wo wir ynn solchen ersten artickel wurden willigen, so haben wir schon vnser Confession vnd Apologia widderruffen vnd verleugnet vnd alle vnser lere vnd thun bisher getrieben geschendet vnd vernichtet, dazu den Bapst ynn allen seinen greweln bestettigt vnd angenomen, vnd müste vnser ding eitel yrthum vnd des Bapsts eitel warheit heissen vnd bleiben. Da sey aber Gott fur! 125 Siehe MBWT 5; 431,4–433,29. In seinen Gutachten vom 10. Juni (MBWT 5; 427– 430) und 16.[?] Juni 1533 (MBWT 5; 430–433; CR 2, 654–656) argumentierte Melanchthon: Weil man sich auf ein Konzil berufen habe, könne man es nun nicht ablehnen.

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nehmen und ihn zu bitten, er möge dafür Sorge tragen, dass im Reich ein freies Konzil einberufen werde.126 Für den um Ausgleich bemühten Melanchthon war die Realisierung eines Konzils nicht nur eine taktische, sondern eine wirkliche Option. Luther erneuerte in seinen beiden Voten seine radikale Ablehnung der päpstlichen Konzilien als gegen das Wort Gottes streitende Institutionen und konfrontierte sie mit dem evangelischen Konzilsverständnis. Hierfür vollzog er einen in der Forschung bisher nicht beachteten Schritt: Erstmals seit 1520 griff er die einst von ihm selbst geprägte Formel eines freien, christlichen Konzils wieder auf. Allerdings zog er keine Kontinuitätslinie zu der in der Adelsschrift und in seiner zweiten Konzilsappellation geprägten Konzilsformel, sondern entlehnte sie jetzt dem politischen Begehren der protestantischen Reichsstände. Über diese politische Initiative gelangte die Formel wieder in Luthers Argumentationshorizont. Dass es für ihn jetzt eigentlich nur um die politisch-taktische Konzilsabwehr ging, wird durch die Beobachtung bestätigt, dass er eine Einberufung eines freien, christlichen Konzils – anders als Melanchthon127 – nicht forderte. Auch die im ersten Votum gegebene Zusicherung, an einem nach dem Wort Gottes ausgerichteten Konzil teilzunehmen, schien eher der Argumentationsstrategie geschuldet denn einem realen Anliegen Luthers zu diesem Zeitpunkt zu entsprechen. Schon im zweiten Votum wurde dieser Gedanke nicht weiter verfolgt, sondern die auch von Melanchthon vorgeschlagene Doppelstrategie verbalisiert: taktisch-öffentlichkeitswirksame Akzeptanz der päpstlichen Artikel und gleichzeitiger Protest gegen die päpstliche Konzilsinitiative.128 Die Hinterlist des Papstes müsse aber abgewehrt werden. Eine Klärung des ersten Artikels bezüglich der Termini „frei“ und „herkömmlich“ sei geboten, damit ausgeschlossen werde, dass der Papst, der sich als Partei und Richter aufführe, nach Kirchenrecht und Tradition urteile. Im Konzil müsse nach Gottes Wort entschieden werden. Außerdem solle eine vorherige Unterwerfung unter die Konzilsbeschlüsse abgelehnt werden, da vermutlich die Tradition über Gottes Wort gestellt werde. Der Kaiser solle um eine Reform der Missstände ersucht werden. Anstatt mit dem Papst zu verhandeln, sollten die Fürsten mit dem Kaiser über die Gelegenheit und den Konzilsort verhandeln. 126 MBWT 5; 433,30–35: Zw letzt halt ich, solt gut seyn, das man kayserliche maiestet mit vleyß vermanet, das sie wolt bedencken dis, wie ym reich bewogen wer, eyn frey concilium zw halden, das auch die hohe not der gantzen christenheyt foddert. Darumb seyn maiestet die sach dahin arbeytten wolle, das diese hendel ordenlich und nach notturft verhort wurden, so ehr anders etwas guts zw schaffen gedenckt. – In MBWT 5; 429,67–430,95 empfahl Melanchthon konkreter, der Kaiser solle um eine Reform der Missstände ersucht werden. Anstatt mit dem Papst zu verhandeln, sollten die Fürsten mit dem Kaiser über die Angelegenheit und den Konzilsort verhandeln. 127 Anders als für Melanchthon war für Luther dieser Gedanke irrelevant, wie er z. B. in der eigenhändigen Ergänzung des von Melanchthon aufgesetzten Kollektivgutachtens notierte, WAB 6; 488,49 f.: Machen sie dann oder machen sie nicht ein concilium, so kompt tag vnd kompt auch rat. 128 Siehe aaO. 487,58–69.

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In Anlehnung an die Empfehlungen von Luther und Melanchthon einigten sich die Wittenberger Theologen in ihrem Kollektivgutachten, das – vermutlich nach dem Zusammentreffen mit dem Kurfürsten am 16. Juni in Wittenberg verfasst – auf die von Johann Friedrich entworfenen Vorschläge reagierte,129 auf ihre Position gegenüber der Konzilsanfrage. Sie rieten davon ab, in einem Antwortschreiben an den Papst sich auf einen bestimmten (altkirchlichen) Konzilsmodus festzulegen130 oder Gegenartikel zu formulieren.131 Stattdessen sollte, wie von Melanchthon vorgeschlagen, dem Kaiser die Verantwortung dafür übertragen werden, dass auf dem Konzil frei diskutiert und nach Gottes Wort geurteilt werde.132 Aus propagandistischen Gründen wiesen sie die Idee eines hier erstmals erwähnten protestantischen „Gegenkonzils“ zurück.133 Dieses spektakuläre Vorhaben, welches Johann Friedrich akzentuiert haben dürfte, zumal er es Ende 1536 erneut ins Gespräch brachte,134 wurde außerdem mit dem Hinweis auf die innerprotestantischen Uneinigkeiten abgewiesen. Bevor ein solches Projekt erwogen werde, müsse überlegt werden, wie unter den evangelischen Ständen Einigkeit hergestellt werden könne.135 Die für Luther bereits festgestellte politisch-taktierende Pragmatik kulminierte in dem pointierten Rat, den er handschriftlich unter das Kollektivgutachten setzte: „Ich hallts auch fur das beste, das man jtzt nicht weiter handel, denn was notig vnd glympfl ich ist, Vnd kein vrsache dem Bapst oder keiser gebe, vnglimpff auff vns zu schieben.“136

129 Der Beobachtung von Wolgast, Konzil, 126, dieses Gutachten hätte zu einem Entwurf der Antwort der evangelischen Stände Stellung bezogen, ist zuzustimmen (siehe WAB 6; 488,27 f. u. ö.). Weil sich das Gutachten aber nicht auf den Entwurf Spalatins an den Bundestag bezog (vgl. Wolgast, Konzil, 126 Anm. 20), dürfte es naheliegend sein, dass das Kollektivgutachten auf einen vom Kurfürsten in Wittenberg vorgelegten Entwurf antwortete. 130 WAB 6; 487,4–12. 131 AaO. 487,13–488,36. Ausdrücklich begrüßten sie, dass auf die Konzilsdefi nition als freies, christliches Konzil im kurfürstlichen Entwurf eingegangen wurde. 132 AaO. 488,27–35. Siehe CR 2, 656. 133 WAB 6; 488,37–40: Vom gegen Concilio. Das ist noch zur zeit ein vnnötig Ding, vnd wurde fur ein grossen trutz angesehen vnd bei andern konigen vnd potentaten billich allerlei bedenken gebern, als sucht man dadurch vrsach, die leut zu erregen. 134 Siehe unten, Kapitel VII § 19.1.3. Vgl. auch Wolgast, Konzil, 146 f.; Ders., Johann Friedrich, 286–288. 135 WAB 6; 488,41–45. 136 AaO. 488,46–48. – Aufgrund des Konzilspragmatismus konnte Luther im Oktober 1533 den lutherischen Fürsten Johann und Joachim von Anhalt raten, sich bei einer anstehenden Begegnung mit Erzbischof Albrecht von Brandenburg und Herzog Georg von Sachsen in Dessau mit „des Concilii Namen ein wenig“ zu schützen, „weil man sich dahin in aller Welt“ berufe. Siehe WAB 6; 536,9–11 Nr. 2056 (Luther an die Fürsten Johann und Joachim von Anhalt, [Wittenberg,] 15. 10. 1533).

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Die offi zielle Antwort des Schmalkaldischen Bundes, die am 30. Juni 1533 auf dem Schmalkaldener Bundestag 137 verabschiedet wurde, fiel deutlich ablehnender aus, als die Wittenberger Theologen empfohlen hatten.138 Entgegen Luthers Rat, die gestellten Bedingungen aus taktischen Gründen zu akzeptieren, wurden alle Artikel vorbehaltlos zurückgewiesen und wurde der Kaiser gebeten, ein freies, christliches Konzil im Reich zu initiieren. Trotzdem fanden durch den Einfluss des Kurfürsten wichtige Gedanken Luthers und Melanchthons Eingang in die Antwort, so dass die Wittenberger Konzilsgutachten, im Gegensatz zu späteren Stellungnahmen, die Ständeantwort an Rangoni und Briaerde zumindest etwas beeinflusst hatten.139 Das päpstliche Konzilsprojekt scheiterte aber letztlich nicht an der Antwort der Evangelischen, sondern an der Uneinigkeit der Anhänger Roms und am französischen König Franz I. Im März 1534 gab der Papst seinen Entschluss bekannt, das angekündigte Konzil auf bessere und ruhigere Zeiten zu verschieben.140

2.4. Kehrtwende in der Konzilsbeurteilung? Um die ablehnende Konzilsentscheidung der evangelischen Stände vor der Öffentlichkeit zu rechtfertigen, besorgte Spalatin auf Veranlassung des sächsischen Kurfürsten noch im August 1533 eine lateinische und eine deutsche Publikation der Akten und Gutachten.141 Den Sammeldrucken wurde jeweils eine anonyme Vorrede vorangestellt, die im Juli angefertigt worden war. Die lateinische Vorrede stammte aus der Feder Melanchthons, der in ihr in unpolemischer Weise u. a. sein Konzilsverständnis als Fortsetzung der altkirchlichen Konzilspraxis 137 Zum Bundestag von 1533, zu dem auch die protestantischen Nichtbundesmitglieder wie Markgraf Georg von Brandenburg-Ansbach und Nürnberg eingeladen worden waren (so Mentz, Johann Friedrich 2, 18), vgl. Haug-Moritz, Bund, passim. 138 Siehe das umfangreiche Antwortschreiben: CT 4; XCVII–CI, deutsch: Walch 2 16, 1879–1887 Nr. 1216. – Auch andere protestantische Theologen hatten sich zur Konzilsanfrage geäußert, wie Urbanus Rhegius für Ernst von Lüneburg, Martin Bucer für den Straßburger Rat oder Andreas Osiander für den Nürnberger Rat. Diese Stellungnahmen wären eine eigene Studie wert. Vgl. Wolgast, Konzil, 128 f.; WAB 6; 483 Anm. 8. 139 Über den hier nicht näher darzustellenden Konzilsdiskurs, die Einflussnahme des sächsischen Kurfürsten auf die Bundesberatungen und die Interpretation der Ständeantwort vgl. Müller, Kurie, 244 f.; Wolgast, Konzil, 126 f.; Ders., Johann Friedrich, 282 f. Melanchthon beklagte sich bei Joachim Camerarius, dass der Entwurf einer Antwort auf die Vorbedingungen für ein Konzil in Schmalkalden wie gewöhnlich „verhunzt“ werde. Siehe MBWT 5; 462 f. Nr. 1347 (Melanchthon an Joachim Camerarius in Nürnberg, [Wittenberg,] 20.7 [1533]). 140 Vgl. Müller, Kurie, 246–260; Pastor, Päpste 4/2, 539. 141 Vgl. zu den Drucken und ihren Verfassernachweisen: H. Volz, Eine Flugschrift aus dem Jahre 1533 mit einer Vorrede Martin Luthers (ThStKr 105, 1933, 78–96); WAB 6; 489 (Beilage). WAB 13; 216 (Ergänzungen). Bibliographische Angaben bei Brockmann, Konzilsidee, 498. 666 f.

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beschrieb.142 Das gänzlich anders aufgebaute Vorwort der deutschen Ausgabe entwarf, wie von Hans Volz eindeutig nachgewiesen, Luther.143 Dieses Vorwort ist aus drei Gründen bemerkenswert: Zum einen bildete die Vorrede den Auftakt zu verschiedenen Lutherschriften zur Konzilsthematik. Zum anderen bewertete der Wittenberger Theologe, was in der Forschung bisher nirgends beachtet wurde, das Konstanzer Konzil im Gegenüber zum Papst erstmals seit 1519 wieder positiv. Und drittens verbalisierte Luther in dieser Vorrede entgegen seiner bisherigen briefl ichen und gutachterlichen Haltung eine explizit konzilsfreundliche Position, welche vermuten lässt, dass Luther mit dieser Publikation eine Kehrtwende in seiner Konzilsbeurteilung vollzog. Inwiefern diese These haltbar ist, muss daher näher untersucht werden. In seiner Vorrede hielt der Reformator das Zustandekommen eines „gemeinen Christlichen Conciliums“144 für möglich145 und betonte die konzilsfreundliche, um die christliche Wahrheit bemühte Haltung der protestantischen Fürsten. Seine Ausführung begann er mit dem von fast „allen fromen Christen“146 vorgetragenen Wunsch, zur Besserung der in den Kirchen eingerissenen Ärgernissen und Missbräuchen sowie zur Schlichtung der sich daraus ergebenden Streitigkeiten und zur christlichen Vereinigung ein Konzil einzuberufen.147 Dies allgemeine Konzilsbegehren, so mutmaßten etliche Personen,148 unterbinde aber der Papst, weil er die „Reformation der kirchen“149 aus Furcht verhindern möchte. Das schon 1520 von Luther gegen den Papst als Konzilsverhinderer vorgetragene Furchtmotiv150 grundierte er jetzt am Beispiel des Konstanzer Konzils und argumentierte in einer für den Reformator unüblichen konziliaristischen Beweisführung: Weil das Konstanzer Konzil die Primatstellung des Papstes bestritten und die Päpste als Untertanen behandelt habe, hätten die Päpste seitdem 142 MBWT 5; 471–474 Nr. 1354 (Melanchthon an den Leser. Vorrede, [Wittenberg, August] 1533) = CR 2, 667–670. Auf die altkirchliche Konzilspraxis ging Melanchthon auch in einer Disputationsübung zum Abstimmungsmodus im Konzil ein. Siehe CR 10, 701–703 Nr. 7 (An soli Episcopi in Synodo habeant vocem decisivam; an vero etiam Principes et alii? Proposita D. Valentino Hartung Onolsbacensi, 1533) und CR 12, 495–497 Nr. XXXIV. 143 Vgl. Volz, Flugschrift, 87–89. Die Vorrede war von Walch 2 16, 1862 f. u. a. ohne nähere Angabe von Gründen unter Hinweis auf ZLThK 37 (1876), 360 Luther abgesprochen worden. Abgedruckt ist das Vorwort bei Volz, Flugschrift, 93–97 (Handschrift); WAB 6; 489–491 (Druck). 144 WAB 6; 489,2. 145 AaO. 490,36. 146 AaO. 489,2. 147 AaO. 489,1–490,5. 148 AaO. 490,5 f. Um die ‚Neutralität‘ des Gutachtens zu wahren, vermied es Luther, die folgende Beweisführung als eigene Meinung auszugeben, sondern berief sich stattdessen auf die im 15. und 16. Jahrhundert in antikurialen Kreisen verbreitete Meinung von der päpstlichen Konzilsfurcht. 149 AaO. 490,8. 150 Siehe oben, Kapitel IV § 9.1.2.

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für ihre Vormachtstellung gegenüber dem Konzil gestritten.151 So habe Papst Eugen IV. das Basler Konzil aufgehoben und es nach Pisa – gemeint war Ferrara-Florenz152 – einberufen, wo zur Stärkung und Festigung der päpstlichen „oberkeit“ mehrere Beschlüsse gefasst worden seien.153 In antipäpstlicher Frontstellung beendete Luther seine Beweiskette mit der Feststellung: Von den „rechten Heubtstucken des Christlichen glaubens noch von den misbreuchen vnd ergernissen“ sei im Konzil hingegen nicht gehandelt worden, welches – so Luthers bekannte Lehre von der individuellen Urteilsfähigkeit – einem jeden frommen Christen zu beurteilen und zu beachten befohlen sei.154 Nachdem der Nachweis der päpstlichen Konzilsverhinderung erbracht war, wandte sich Luther an Karl V., „unsern lieben fromen keiser“,155 und lobte dessen Konzilseinsatz. Jegliche polemische Angriffe gegen die päpstlichen Konzilsartikel vermeidend, rief Luther die Christenheit sodann zur Unterstützung des Kaisers (aber nicht des Papstes) im Gebet auf und übertrug den Gebetswunsch und den Wunsch nach fleißiger Arbeit gegen den „Feind der Wahrheit“ auf das Konzilsanliegen.156 Abschließend formulierte er als Ziel der Publikation, auch andere christliche Herren und Leute sollten, wie der Kurfürst von Sachsen mit seinen Konfessionsverwandten in den Antworten auf das päpstliche Konzilsprojekt, ihr Herz für das Konzil gewinnen,157 und resümierte: „Vnd wir also alle semptlich mit eintrechtigem gebet zu erlangen vns bemühen, damit wir wirdig werden, doch noch ein mal ein recht Christlich Concilium zu sehen.“158

Die hier geschilderte konzilsfreundliche Haltung Luthers fügt sich, bei einer kritischen Betrachtung des Vorwortes, in den apologetischen Zusammenhang der politischen Konzilsantwort des Kurfürsten und des Schmalkaldischen Bundes. Für Luther ging es weder um die Frage der Realisierbarkeit eines Konzils noch um den protestantischen Konzilsmodus, was am auffälligen Fehlen der reformatorischen Näherbestimmung des Konzils als „freies“ Konzil deutlich 151

AaO. 490,8–13. Vgl. Volz, Flugschrift, 94 Anm. 4. 153 WAB 6; 490,13–23. Als Beschlüsse erwähnte Luther aus dem in der Leipziger Disputation 1519 eine Rolle spielenden Unionsdekret mit den Griechen, „Laetentur caeli“, die Entscheidung über den Papstprimat (COD3 528,15–30 = DH 1307), das Fegefeuer (COD3 527,30–42 = DH 1304) und die Konsekration von ungesäuertem Brot (COD3 527,22–29 = DH 1303). 154 WAB 6; 490,23–26. 155 Ähnlich positiv hatte sich Luther über Karl V. 1531 geäußert. Siehe WA 30,3; 291,34– 38. 292,15–22. 297,21–29. 331,24. 362,25 f. 388,13 f.; WAT 2; 182 Nr. 1687; aaO. 603 Nr. 2695a/b. 156 WAB 6; 490,36–39: Denn ob gleich ein Christlich Concilium wird, darffs dennoch vleissigs betens vnd trewer arbeit wider den feind der warheit, der nicht gern lesst die heubt stück des glaübens vnd die misbreuche, so da wider streben, handeln. 157 AaO. 490,40–491,44. 158 AaO. 491,44–47. 152

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wird, sondern allein um den Nachweis der Konzilsbefürwortung seitens der protestantischen Stände. Das auf positive Propaganda angelegte protestantische Konzilsbegehren wurde mit der auch später angewandten Strategie verbunden, den Papst gegen den Kaiser auszuspielen und den Kaiser öffentlich für die eigene Position zu vereinnahmen.159 Hinzu kam, dass die Vorrede wahrscheinlich vom Kurfürsten veranlasst und mit Auflagen (Vermeidung jeglicher Polemik) verbunden war. Auf diesem Hintergrund ist die zuvor formulierte Hypothese von der Kehrtwende in Luthers Konzilsbeurteilung nicht haltbar. Stattdessen ist hervorzuheben, dass der Reformator hier praktizierte, was er zuvor in seinen Gutachten gefordert hatte: einen öffentlichkeitswirksamen Konzilspragmatismus. Dieses Taktieren war nötig, um die Position des Papstes zu erschüttern und die öffentliche Meinung auf die Seite der Evangelischen zu ziehen. Und es war möglich, ohne dass Luther seine längst aufgegebene Erwartung eines Konzils zur „concordia“ und „reformatio“ der Kirche revidieren musste.160 Wirklich neu in dieser Schrift war Luthers positive Bewertung des noch im Juni verteufelten Konstanzer Konzils und dessen historisch genauere Einzeichnung in die Auseinandersetzung zwischen Konziliarismus und Papalismus. Ob Luther über dieses grundlegendere Wissen um die Konstanzer Kirchenversammlung schon früher verfügte oder ob er es im Zusammenhang mit der Konzilsdiskussion im Juni und Juli 1533 erlangte, kann aufgrund fehlender Quellen nicht mehr beantwortet werden. Sicher ist jedenfalls, dass er den Bezug auf Konstanz erstmals zur Veranschaulichung des päpstlichen Primatsanspruchs und der kurialen Konzilsscheu dienstbar machte, indem er den hier bewusst als Fremdmeinung charakterisierten konziliaristischen Argumentationsfaden aufgriff.161 Eine vertiefende Auseinandersetzung mit dem Konstanzer Konzil durch Luther erfolgte erst im Sommer 1535 in Form der Zirkulardisputation „De concilio Constantiensi“.162 In den in Latein und Deutsch publizierten Thesen wiederholte er seine massive Kritik am Konstanzer Konzil, welches er in der 159 In der Tat war die Strategie, den Kaiser als Verbündeten gegen den Papst zu gewinnen, ein zentrales Anliegen kursächsischer Politik. 160 Siehe WAT 3; 325 f. Nr. 3463b, in der er seine einstige Konzilserwartung dahingehend präzisierte, dass er nicht zur Bestätigung der evangelischen Lehre, sondern zur äußeren Einheit und Reformation ein Konzil erhofft hatte (aaO. 326,1–4). 161 Den bekannten Begründungszusammenhang zwischen der päpstlichen Konzilsverhinderung und der päpstlichen Konzilsfurcht aufgrund der Konstanzer Geschehnisse verbalisierte Luther auch in seiner Anfang des Jahres 1535 verfassten „Vorrede zu Eine wahrhaftige Historia, geschehen zu Staßfurt“ (WA 38; [326] 328–335), 331,23–25. 162 WA 39,1; (9) 13–39. Luther erwähnte in seinem Vorwort, dass er zufällig auf die Geschichte des Konstanzer Konzils gestoßen sei (aaO. 13,2 f.), nannte aber weder den konkreten Anlass noch die Quelle. Möglicherweise machte eine Gesandtschaft der böhmischen Brüder, die Luther im April 1535 aufsuchte, im Rahmen des Streites mit Herzog Georg über das Abendmahl in beider Gestalt auf die Verhandlung dieses Themas in den Konstanzer Konzils-

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Vorrede als „Obstantiense Concilium“163 mit der Begründung bezeichnete: „Obstantia aber heisst widderstand, denn hie haben sie nicht allein mit der that wider Christum und seine Kirche gehandelt, Sondern rühmen sichs dazu, und bestetigen, das Christus wohl müge setzen, was er will.“164 Näherhin machte Luther seinen Widerspruch an der konziliaren Bekämpfung der Lehre „de utraque specie Sacramenti“ fest und wertete den Konzilsbeschluss historisch als Beweis für die widerchristlichen Fehlentscheidungen der katholischen Konzilien der jüngeren Vergangenheit überhaupt.165 Diese Disputation bildete auf dem Hintergrund der politischen Konzilsdiskurse den Auftakt für eine wachsende Beschäftigung Luthers mit der Historie und den Dekreten der jüngeren historischen Konzilien, durch die er deutliche Argumente gegen die ohne Bindung an Gottes Wort herrschende päpstliche Dominanz und Willkürherrschaft der Konzilien suchte. Zum Abschluss der Untersuchung der päpstlichen Konzilsinitiative von 1533 muss hier noch auf eine gänzlich andere Reaktion auf Clemens’ Konzilsprojekt aufmerksam gemacht werden, welche in der Forschung vielfach Luther zugeschrieben wird. Nachdem im Sommer 1534 im Reich bekannt geworden war, dass die päpstliche Konzilsinitiative gescheitert war, verfasste ein anonymer Autor eine kleine lateinische Satire, die in deutscher Übersetzung 1535 mehrfach publiziert wurde und den programmatischen Titel trug: „Ausschreibung eines heiligen freien christlichen Concilii“.166 In die literarische Form eines „Himmelsbriefes“ gekleidet, berief nach beißender Papstkritik der Heilige Geist als fi ngierter Autor selbst das vom Kaiser geforderte allgemeine Konzil zur „Reformation unserer Kirche“167 ein. In Nachahmung der juristischen Ausschreibungsform und unter notarieller Bestätigung des vom Erzengel Gabriel, des „öbersten Secretario und Ertzcantzler des Heiligen Göttlichen Reichs“,168 ausgefertigten Mandats verpackte der Autor seine massive Kritik an der päpstlichen Handlungsweise und betonte die Notwendigkeit der Abhaltung eines freien, allgemeinen, christlichen Konzils.169

akten aufmerksam. Vgl. Edwards, Last battles, 77 f.; zur Dispuation allgemein Schwarz, Disputationen, 336. 163 WA 39,1; 13,11. 164 AaO. 13,11–14. 165 Auf Luthers in den Disputationsthesen geäußerte Kritik an der kirchlichen Gewohnheit des Kelchentzuges beim Abendmahl und der daraus abgeleiteten Gesetzgebung im Konstanzer Konzil (WA 39,1; 37,40–38,5) verweist prägnant Schwarz, Grundlage, 69 f. 166 WA 38; (280) 284–289. Der von den Bearbeitern Otto Clemen und Oskar Brenner vermutete ursprüngliche Titel dürfte gelautet haben „Convocatio concilii liberi Christiani“. Vgl. aaO. 280. Zur Schrift Benzing 368 f. Nr. 3127–3131. 167 WA 38; 288,2 f.: de reformatione Ecclesiae nostrae. 168 AaO. 288,26 f. 169 AaO. 285,32. 287,28.34. 288,17.19 u. ö. Anders als die deutsche Fassung spricht der lateinische Text nur vom Generalkonzil, nicht aber vom „freien“ Konzil.

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Seit 1557 wurde Luther als Verfasser dieser Satire gehandelt, so dass die lateinische und deutsche Schrift auch Eingang in die Weimarer Ausgabe fand. Allerdings stellte Theodor Kolde Luthers Verfasserschaft grundsätzlich in Frage,170 dem nach kritischer Prüfung zuzustimmen ist.171 Folglich nahm Luther erst 1535 wieder zur Konzilsthematik explizit Stellung.

3. Intensivierung der Konzilsbemühungen durch Papst Paul III. seit 1534 Neue Dynamik erhielt die Konzilsthematik mit dem Amtsantritt von Papst Paul III. im Oktober 1534.172 Anfang des Jahres 1535 entsandte er Nuntien nach Spanien, Frankreich und Deutschland, welche die europäischen Fürsten über die Ernsthaftigkeit des Konzilsvorhabens des Papstes informieren und den Konzilsort ermitteln sollten. Für Deutschland wurde Pietro Paolo Vergerio, seit 1533 Nuntius in Wien,173 am 10. Februar beauftragt, der u. a. Markgraf Georg von Brandenburg-Ansbach Anfang August aufsuchte.174 170 Vgl. Th. Kolde, Über die Echtheit des Luther zugeschriebenen Schriftchens Convocatio concilii liberi christiani etc (ZKG 15, 1894, 94–97). Ihm schließen sich z. B. Brockmann, Konzilsfrage, 466 f.; Köstlin/Kawerau, Luther 2, 361; Tecklenburg Johns, Konzilsidee, 35 Anm. 65 und H.-U. Delius in: StA 5; 448 an, während z. B. WA 38; 280–284 und Brecht, Luther 3, 175 für Luther als Verfasser plädieren. 171 Eine Satire aus der Feder Luthers hätte unter seinem Namen Verbreitung gefunden oder zumindest Spuren in seinen Korrespondenzen, Tischreden oder Schriften hinterlassen. Außerdem befasste sich Luther 1534 nachweislich nicht mit der Konzilsthematik. Thematisch stellt sich zusätzlich die Frage, warum sich Luther für die Einberufung eines Konzils „zur Reformation unserer Kirche“ einsetzen sollte, wenn er von der Notwendigkeit eines Konzils nicht überzeugt war. Schließlich weicht der Wortschatz von der bei Luther in jenen Jahren üblichen Ausdrucksweise ab. Zu weiteren Gründen vgl. Kolde, Echtheit, 96 f. Es ist anzunehmen, dass die Satire im lateinischen Original ursprünglich in antirömisch-humanistischen Kreisen entstand, die deutsche Übertragung aber in protestantischen Kreisen (Betonung des freien, christlichen Konzils!) erfolgte. 172 Am 25. September 1534 war Clemens VII. gestorben. In dem am 11. Oktober 1534 zusammentretenden Konklave wurde bereits einen Tag später Kardinal Alexandro Farnese zum Papst gewählt, der als Paul III. noch im Oktober betonte, dass die Berufung eines allgemeinen Konzils zu seinen vornehmlichen Aufgaben zähle. Vgl. L. von Pastor, Geschichte der Päpste seit dem Ausgang des Mittelalters. Bd. 5: Geschichte Papst Pauls III. (1534–1549), Freiburg im Breisgau 51923, 7–33. 173 Zu Vergerio vgl. G. Müller, Pier Paolo Vergerio in päpstlichen Diensten 1532–1536 (ZKG 77, 1966, 341–348); U. Rozzo (Hg.), Pier Paolo Vergerio il giovane, un polemista attraverso l’Europa del Cinquecento. Convegno internazionale di studi, Cividale del Friuli, 15–16 ottobre 1998 (Libri e biblioteche 8), Udine 2000; A. J. Schutte, Pier Paolo Vergerio. The making of an italian reformer (Travaux d’humanisme et renaissance 160), Genève 1977; E. Stöve, Art. Vergerio, Pietro Paolo d.J. (TRE 34, 2002, 690–694). 174 Über Vergerios Reise vgl. WAB 7; 317 f. (Beilage); CT 4; CXI–CXIX; A. Hauser, Pietro Paolo Vergerios protestantische Zeit, Diss. phil. Tübingen 1980, 39–47; Jedin, Geschichte 1, 235–242; Pastor, Päpste 5, 33–56; Schutte, Vergerio, 80–97; Wolgast, Konzil, 129–131.

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VII. Die Konzilsthematik im Horizont von Politik und Kirche (1530–1546)

Georg, der Kurfürst Johann Friedrich am 5. August 1535 über den Besuch informierte, regte an, zur Abstimmung der protestantischen Konzilspolitik eine Tagung der evangelischen Stände einzuberufen.175 Der Kurfürst hingegen zeigte wenig Interesse an einer neuen Beratung der Thematik, signalisierte, beim Standpunkt von 1533 bleiben zu wollen, und erbat sich von Altkanzler Brück und Luther Gutachten.176 Da Luther nicht nur durch seine bereits 1533 ausgeübte Gutachtertätigkeit in die Konzilsthematik involviert war, sondern unabhängig davon dem Nuntius, der sich im Jahre 1549 zur evangelischen Lehre bekennen sollte, persönlich begegnete und mit ihm das Konzilsthema diskutierte, ist dieses in der Forschung zwar bekannte, aber kaum interpretierte Treffen für die Gesamtthematik fruchtbar zu machen. Außerdem stellt sich erneut die Frage, in welcher Form Luther auf die Intensivierung der päpstlichen Konzilsbemühungen reagierte und theologisch argumentierte.

3.1. Die Konzilszusage gegenüber dem Nuntius 1535 Luther bestätigte in seiner Stellungnahme vom 20. August die kurfürstliche Politik und empfahl dem Kurfürsten, bei der Konzilsantwort des Schmalkaldischen Bundes vom Jahr 1533 zu bleiben.177 Eine Diskussion über den Konzilsort empfand er als zwecklos, da er bezweifelte, dass es dem Papst mit der Einberufung des Konzils überhaupt ernst sei. Kuriale Schritte zu einem Konzil, „das da frei und christlich heißen müßte“,178 hielt Luther für gänzlich ausgeschlossen.179 Über das weitere Vorgehen des kursächsischen Hofes in der Konzilsthematik und über Vergerios Reise wusste Luther bis Ende Oktober nichts zu berichten.180 An den Verhandlungen des Kurfürsten mit Vergerio in Prag und an der Antwort des Schmalkaldischen Bundes vom 21. Dezember 1535, in der Papst und Kurie polemisch angegriffen wurden und der kuriale Konzilsvorschlag vorbehaltlos abgeschlagen wurde, war Luther nicht beteiligt worden.181 175 Siehe CR 2, 896–899 Nr. 1294 (Markgraf Georg an Kurfürst Johann Friedrich, 5. 8. 1535). 176 WAB 7; 237 f. Nr. 2225 (Luther an Kurfürst Johann Friedrich, [Wittenberg,] 20. 8. 1535). 177 AaO. 238,3–8. 178 AaO. 238,15. 179 AaO. 238,8–18. 180 WAB 7; 245,11 f. Nr. 2231 (Luther an Melanchthon in Jena, [Wittenberg,] 29. 8. 1535); aaO. 316,8–10 Nr. 2267 (Luther an Justus Jonas, [Wittenberg,] 28. 10. 1535): Miror, ubi sit aut quo ierit Legatus Papae, de quo tantum est silentium, ac de toto Concilio. 181 Vgl. Wolgast, Konzil, 130 f. Zu der von Melanchthon formulierten Antwort des Schmalkaldischen Bundes an den päpstlichen Nuntius siehe CR 2, 1018–1022 Nr. 1379 = CT 4; CXVI–CXIX = MBWT 6; (533) 534–539 Nr. 1677 und die deutsche Fassung:

§ 18 Konzilsbegehren und seine Bewertung in der ersten Hälfte der 1530er Jahre

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Dennoch sollte Luther die päpstliche Konzilspolitik beeinflussen. Am 6. November 1535 erreichte der päpstliche Nuntius auf seiner Konzilsreise Wittenberg, wo er am nächsten Morgen in einer bedeutenden Privataudienz mit Luther zusammentraf.182 Der im kurfürstlichen Schloss einquartierte Repräsentant des Papstes hatte den Ketzer bei seiner Ankunft zu einem Abendessen „im Bade“ eingeladen, welches Luther ablehnte. Stattdessen erschien er zusammen mit Bugenhangen am nächsten Morgen zum Frühstück.183 Die einmalige Gelegenheit, nach 17 Jahren einen päpstlichen Nuntius wieder zu sprechen, nutzte Luther zu einer ironisch-karikierenden Selbstinszenierung par excellence: Er bestellte seinen Barbier, Meister Heinrich, am frühen Morgen zu sich und erklärte ihm in einem humorvoll geschilderten Gespräch sein Vorhaben. Er lasse sich rasieren und schmücken, damit er jugendlich erscheine und dem Nuntius Furcht einflöße. Dieser solle denken, Luther sei noch jung, so dass von ihm noch viel zu erwarten sei. Nach der Rasur zog er sein bestes Kleid an, legte eine Goldkette um den Hals und steckte sich mehrere Ringe an die Finger.184 Zusammen mit Bugenhagen bestieg er sodann eine Kutsche und scherzte angeblich bei der Abfahrt zum Schloss: „Siehe, da fahren der deutsche Pabst und Cardinal Pomeranus, das sind Gottes Gezeuge und Werke“.185 Während seiner Begegnung mit dem Vertreter des Papstes spielte Luther bewusst die durch die antilutherische Propaganda verbreitete Rolle des grobianischen, mit einer Nonne verheirateten Deutschen.186 Nach verschiedenen Gesprächsgängen187 kam der Nuntius zum eigentlichen Gegenstand seiner Reise, dem Konzilsanliegen des Papstes. Luther kritisierte sogleich die päpstlichen Walch 2 16, 1904–1907 Nr. 1223; MBWT 6; (539) 540–544 (Antwortschreiben des Schmalkaldischen Bundes, Schmalkalden, 21. 12. 1535). Erneut wurde die Forderung nach einem freien, christlichen Konzil gegenüber einem päpstlichen Konzil erhoben, auf eine Gleichberechtigung der protestantischen Stände gedrungen und die Heilige Schrift als Norm in strittigen Fragen hervorgehoben. Vgl. außerdem Pastor, Päpste 5, 49 f.; Jedin, Geschichte 1, 241; Wolgast, Johann Friedrich, 284. 182 Über die Begegnung liegen aus Luthers Feder vor: WAB 7; 322,5–11 Nr. 2270 (Luther an Justus Jonas, [Wittenberg,] 10. 11. 1535); WAT 5; 633–635 Nr. 6384. Aus der Feder des Nuntius stammt der zeitnahe Bericht: NBD 1,1; (538) 539–547 Nr. 218 (Vergerio an Ricalcati, Dresden, 13. 11. 1535). Vgl. CR 2, 982–989 Nr. 1364 (Spalatins Bedenken, 30. 11. 1535); Brecht, Luther 3, 175–177; Köstlin/Kawerau, Luther 2, 371–376; Schutte, Vergerio, 93–96. Jedin, Geschichte 1, 240 irrt, wenn er den 13. November als Termin des Wittenberger Treffens annimmt. 183 WAB 7; 322,7 f. Vergerio behauptete in seinem Bericht, die Begegnung sei durch den Wittenberger Hauptmann Hans Metzsch herbeigeführt worden. NBD 1,1; 540,23–31. 184 Vgl. den Dialog zwischen Friseur und Luther WAT 5; 633,29–634,5. In der Tat erzielte Luthers Aufmachung beim Nuntius den erwünschten Eindruck, siehe NBD 1,1; 540,23–542,12. 547,7–15. 185 Die Schilderung fi ndet sich in Walch 2 16, 1891 Nr. 1219. 186 WAB 7; 322,9–11. 187 Hierzu zählte auch die Thematik der evangelischen Ordination, die in Wittenberg durch kurfürstlichen Erlass vom 12. Mai 1535 eingeführt worden war und durch Bugenhagen vollzogen wurde, vgl. Krarup, Ordination, 207 f.

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VII. Die Konzilsthematik im Horizont von Politik und Kirche (1530–1546)

Konzilien als unnütz, da in ihnen nicht vom seligmachenden Glauben und der Rechtfertigung, sondern nur von äußeren Dingen gehandelt werde.188 Weil aber die Protestanten durch den Heiligen Geist der Dinge gewiss seien, benötigten „wir“ kein Konzil. Hingegen betonte der Reformator, dass „ihr und andere bedauernswerte Menschen“ ein Konzil nötig hätten, weil „euer Glaube irrig und unsicher“ sei.189 Wie in der vorliegenden Untersuchung vielfach hervorgehoben, hatte sich Luther nicht nur schon längst vom Modus eines päpstlichen Konzils distanziert, sondern von der Institution „Konzil“ im Ganzen verabschiedet und sie für die evangelische Lehre als unnötig hervorgehoben. Diese Position bestätigte er jetzt gegenüber dem Vertreter des Papstes. Neu in Luthers Konzilsargumentation war der Nachsatz! An prominenter Stelle erläuterte Luther den Grund, warum er ein Konzil überhaupt unterstützen könne. Ein allgemeines Konzil, auch das päpstliche Konzil, betrachtete er als internationales Forum für die Verbreitung der wahren, d. h. lutherischen Lehre! Durch den Auftritt der Protestanten auf einem Konzil könne die Wahrheit und der evangelische Glaube bezeugt und Menschen für die wahre Lehre gewonnen werden. Woher diese „missionarische“ Konzilsargumentation stammte, ob Luther selbst sie entwickelt oder von anderer Seite rezipiert hatte, kann nicht mehr beantwortet werden. Schon 1533 tauchte der „missionarische“ Konzilsgedanke bei Urbanus Rhegius in seinem Gutachten über die acht Artikel für Ernst von Lüneburg auf.190 Jetzt verbalisierte Luther ihn. Ende November fand er laut Spalatin auch bei Kurfürst Johann Friedrich Erwähnung.191 Dieser Grundgedanke, der von nun an zum festen und einzig theologischen Konzilsargument der Wittenberger Theologen werden sollte, fand sich – von der Forschung bisher übersehen – bereits 1535 bei Luther! 192 Auf den Nuntius wirkte Luthers Position derart anmaßend und arrogant, dass es zu einem heftigen Wortwechsel kam. Im Verlauf des Disputs ließ sich der 188

WAT 5; 634,11–18. AaO. 634,18–21: Praeterea nos per Spiritum Sanctum harum rerum certi sumus, ideo concilio nobis non est opus; vos aliique miseri homines, qui vestra doctrina impia seducuntur, opus habetis concilio, vestra enim fides irrita et incerta est. 190 Beispielsweise machte Urbanus Rhegius in seinem Gutachten über die acht Artikel für Ernst von Lüneburg auf die sich durch ein Konzil bietende ‚missionarische‘ Gelegenheit aufmerksam, vor einem internationalen Forum die evangelische Lehre zu bekennen und möglicherweise neue Anhänger zu gewinnen. Vgl. Wolgast, Konzil, 128. 191 CR 2, 988 f. – Ein Jahr später, im Winter 1536/37, sollte sich der Kurfürst von dieser Haltung distanzieren, siehe das Johann Friedrich zugewiesene Schreiben (unten, Kapitel VII § 19.2.2.), CR 3, 137: So ist auch je keine Hoffnung vorhanden, daß unser Widertheil durch Besuchung des Concilii und Unterreden von seinen papistischen und antichristlichen Irrthum abgewandt würdet. 192 Zu korrigieren ist daher Wolgast, Konzil, 128, der behauptet, dass der „Missionsgedanke [. . .] für die Wittenberger erst 1536 in den Gesichtskreis ihrer Überlegungen trat“. 189

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sichtlich erregte und um die Wahrheit des Evangeliums kämpfende Luther die spektakuläre Aussage abtrotzen, er werde zum Konzil kommen, auch wenn er verbrannt werde.193 Hinsichtlich der Wahl des Konzilsortes zeigte er nach wie vor Desinteresse.194 Bei seiner Abreise am Mittag des 7. November versicherte sich der Nuntius noch einmal Luthers überraschender Konzilszusage.195 Der bedeutendste protestantische Theologe hatte somit seine Teilnahme an einem päpstlichen Konzil angekündigt. Hinter diesem Akt vermutete der Nuntius die politische Konzilslinie des Kurfürsten, so dass die Begegnung für ihn erfolgreich schien. Der Nuntius sollte sich aber täuschen. Die Konzilszusage Luthers war lediglich seine Privatmeinung und zählte nicht zur offi ziellen kursächsischen Linie.196 Luthers Motive, warum er die Bereitschaft signalisierte, ein Konzil zu besuchen, dürften einer affektiven und einer kognitiven Ursache geschuldet sein. Sicherlich war die Aussage einer spontan-affektiven Trotzreaktion entsprungen. Hinter ihr stand aber ganz auf der Linie seiner konzilspragmatischen Position eine wohlüberlegte Strategie: Durch die Zusage, ein päpstliches Konzil zu besuchen, erschien Luther in der öffentlichen Meinung positiv als Konzilsbefürworter und nicht als erwarteter Konzilsblockierer. Kam ihm somit der öffentliche „Glimpf “ zu, irritierte er gleichzeitig die eine protestantische Konzilsverweigerung erhoffende Kurie. Auch in späteren Diskursen sollte Luther auf die Zusage gegenüber dem Nuntius verweisen, indem er sie öffentlichkeitswirksam und konzilspragmatisch instrumentalisierte.197

3.2. Die Disputation „De potestate concilii“ (1536) Die Intensivierung der päpstlichen Konzilspolitik und die zunehmende innerprotestantische Diskussion zur Frage nach einer Konzilsteilnahme, die durch Luthers eigenmächtige Zusage neue Impulse erfahren hatte, erforderte nun auch eine innerprotestantische Klärung der dogmatischen Grundfragen hinsichtlich der Autorität und Gewalt eines Konzils überhaupt und insbesondere eines päpstlichen Konzils. Ein wesentlicher Beitrag zum theologisch-akademischen Konzilsdiskurs ging von Luther aus, welcher in den ersten Monaten des Jahres 1536 „über das Ver193

WAT 5; 634,22 f.: Ego volente Deo, etiamsi combureretis me, apparebo. AaO. 634,23–32. 195 AaO. 634,39–635,2: Legatus autem equum ascendebat et peregrinari volebat. Martinum Lutherum sic allocutus est: Vide, ut sis instructus ad concilium. – Respondet Martinus Lutherus: Etiam, Domine, cum isto meo collo et capite. 196 Nach Spalatins Bericht nahm der Kurfürst in der Begegnung mit dem Nuntius in Prag am 30. November 1535 auf die Teilnahmezusage Luthers nicht direkt Bezug. Er begrüßte die Disputation des Nuntius mit Luther und bemerkte, dass Luthers Bedenken und Meinungen „recht, gut und ehrlich“ wären. Siehe CR 2, 988. 197 Siehe WA 50; 53,3–8. 194

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VII. Die Konzilsthematik im Horizont von Politik und Kirche (1530–1546)

mögen und die Gewalt eines Konzils“ disputieren ließ.198 Mit seiner theologischen Übungsdisputation, deren genaues Datum unbekannt ist, die aber vor dem 10. April stattgefunden haben muss,199 trug er zur kritischen Reflexion der päpstlichen Konzilsinstitution bei, auf deren Linie sich auch seine 1539 verfasste Schrift „Von den Konziliis und Kirchen“ bewegen sollte. Von der Disputation, an der neben Bugenhagen auch Robert Barnes, Kaplan des englischen Königs Heinrich VIII., teilnahm, sind drei Nachschriften überliefert.200 Verbreitung fanden die auf Latein formulierten 30 Disputationsthesen in deutscher Übersetzung noch im selben Jahr.201 Sie bündelten erstmals in zusammenfassender Form die bereits früher von Luther verstreut vorgetragenen theologischen Konzilsgedanken. Da die Thesen weitestgehend bekannte Positionen Luthers wiedergeben, sollen sie hier nur kurz skizziert werden. Interessant sind sie insofern, als sie in komprimierter Weise die Eckpfeiler des altgläubigen Konzilsverständnisses – unfehlbare Autorität der Konzilien, Geistunmittelbarkeit, Repräsentativität und Mehrheitsprinzip – destruierten.202 Seine Thesenreihe begann Luther mit der entscheidenden Frage nach der kirchlichen „autoritas“ oder Gewalt. Keine Autorität stehe nach Christus über oder neben den Aposteln und Propheten.203 Alle Nachfolger (sie werden von 198 Die Thesen (lateinisch und deutsch) und die Disputation sind abgedruckt: WA 39,1; (181) 184–187 (Thesen). 188–197 (Disputation); LDStA 3; 681–685 (Thesen). Eine Aufzeichnung Bugenhagens über die Disputation fi ndet sich darüber hinaus in WA 59; (698– 702) 712–716. Vgl. zur Interpretation der Thesen in ihrem ekklesiologischen Zusammenhang Beyer, Ekklesiologie, 112 f. Der Dispuation war u. a. die in der Lutherforschung berühmte „Disputatio de homine“ (WA 39,1; [174] 175–177 = StA 5; [126] 129–133; vgl. hierzu Ebeling, Lutherstudien 2/1–3, 1977–1989; W. Härle, Die Entfaltung der Rechtfertigungslehre Luthers in den Disputationen von 1535 bis 1537 [LuJ 71, 2004, 211–228]) vorausgegangen. Vgl. WA 39,2; XV; Schwarz, Disputationen, 336. 199 Die vage Datierung in WA 39,1; 181 auf den 10. Oktober 1536 wurde durch WA 39,2; XV sowie bei Ebeling, Lutherstudien 2/1, 7 Anm. 25 auf „vor den 10. April“ (bis zu diesem Datum hielt sich der in die Disputation eingreifende englische Gesandte Robert Barnes in Wittenberg auf ) korrigiert und ist somit keine Folge der päpstlichen Konzilsausschreibung nach Mantua, die, wie noch gezeigt wird (siehe Kapitel VII § 19.1), am 2. Juni 1536 erfolgte. Dies übersah Wilfried Härle in seiner kürzlich erschienenen Einleitung zu LDStA 3; 681– 685, der sich nur an WA 39,1; 181 orientiert (LDStA 3; XXXVII). 200 Vgl. WA 39,1; 184; WA 59; 698 f. – Über den Aufenthalt des englischen Gesandten Barnes in Wittenberg und die Verhandlungen mit den Schmalkaldenern zwischen Januar und April 1536 vgl. F. Prüser, England und die Schmalkaldener 1535–1540 (QFRG 11), Leipzig 1929, 38–64. 201 Eine Übersetzung der Disputationsthesen ins Deutsche, die vielleicht Luther angefertigt hatte, erschien 1536 in zwei verschiedenen Druckausgaben. 1537 wurden sie innerhalb der von Cochläus angefertigten polemischen Widerlegung abgedruckt und 1538 in einer deutschen Übersetzung von Spalatin zusammen mit Thesen von Melanchthon herausgegeben. Vgl. WA 39,1; 183. Zur Teilnahme von Barnes vgl. aaO. 191 Anm. 1. 202 Siehe oben, Kapitel V § 13.2. 203 WA 39,1; 184,4–6: Nulla autoritas post Christum est Apostolis et Prophetis aequanda. – Die Zeilenangaben folgen dem lateinischen Text.

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Luther in den Thesen nicht näher charakterisiert) seien lediglich als Jünger der Apostel zu betrachten 204 und verfügten entgegen den Aposteln 205 über keine besondere Verheißung des Heiligen Geistes für ihre eigene Person.206 Aufgrund der fehlenden Zusage und Autorität der apostolischen Nachfolger lehnte Luther daher die apostolische Sukzession als formale Autoritätsübertragung strikt ab.207 Stattdessen sollten die Aposteljünger in ihren Lehren, Satzungen und Ordnungen inhaltlich der apostolischen Autorität und Gottes Wort nachfolgen.208 Sollten sich die vermeintlichen Nachkömmlinge nicht an die apostolischen Grundlagen halten, seien sie Ketzer und Antichristen.209 Aus dieser Argumentation folgerte Luther für ein Konzil oder die Bischofsversammlung, dass sie ebenso irren könnten „als andere menschen, so im ampt oder privat one ampt seyen.“210 Dass sie bisweilen nicht irrten, geschehe gerade nicht durch die Autorität ihrer Versammlung, sondern durch Zufall oder durch Verdienst eines frommen Menschen, wie das Beispiel von Paphnutius in Nicäa zeige.211 Pneumatologisch profi liert band Luther die Rede vom Heiligen Geist an die biblische Verheißung und überprüfte darauf hin die altgläubige These von der Geistunmittelbarkeit des Konzils. Das Ergebnis stellte er in These 15, der kompositorischen Mitte der Disputation, vor. Der Heilige Geist sei einer Bischofsversammlung oder einem Konzil nirgendwo in der Bibel verheißen und somit 204

AaO. 184,7 f.: Caeteri omnes successores tantum Discipuli illorum debent haberi. Die apostolische Autorität skizziert Luther aaO. 184,10–16. 206 AaO. 184,18–20. In der Disputation bestätigte Luther den Einwand, dass alle Christen die Verheißung des Heiligen Geistes hätten, folglich auch die apostolischen Sukzessoren und Vorsteher der Kirche, mit dem Hinweis auf die lebenslängliche Geistverheißung durch die Taufe, die keine promissionalen Unterschiede zwischen den Christen zulasse. Siehe aaO. 188,16–21. 207 AaO. 185,1–3. 208 AaO. 185,5–20. Luther wies in der Diskussion eine über die Taufe hinausgehende besondere apostolische Verheißung der Amtsträger zurück und betonte, dass die Papisten nur dann Sukzessoren seien, wenn sie lehrten und täten, was Christus, Paulus und die Apostel gelehrt und getan hätten. Vgl. aaO. 188,21–189,7. 209 AaO. 185,23–27: Quod si fundamentum Apostolorum non sequuntur successores, nec observant, Haeretici sunt vel Antichristi, ut extra fundamentum perditi. 210 AaO. 185,28–31. Die Zitation folgt hier der deutschen Übersetzung. – Gegen diese These wandte der Opponent ein, wer im Namen Christi versammelt sei, könne nicht irren. Ein Konzil und die Bischöfe seien im Namen Christi versammelt. Also könnten das Konzil und die Bischöfe nicht irren, was er durch das Schriftargument Mt 18,20 untermauerte. Hiergegen wandte der Respondent ein, sich auf Christi Namen zu berufen und sich in Christi Namen zu versammeln, sei zu unterscheiden. Denn wer sich in Christi Namen versammle, müsse christusgemäß und nicht evangeliumswidrig handeln. Im Konstanzer Konzil habe man aber im eigenen Namen gehandelt und nicht in Christi Namen. Aus der weiteren Argumentation folgerte der Respondent, aaO. 190,4–7: Hoc ergo concilium est congregatum in nomine Christi, quod revera in nomine Christi congregatur. Concilium autem illorum est quaedam larva. Deus igitur id non respicit. – Zum gesamten Argumentationsgang vgl. aaO. 189,18–190,34; WA 59; 712,27–713,11. 211 WA 39,1; 185,32–186,4. 205

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nicht automatisch einem Konzil inhärent.212 Luther folgerte, dass die Altgläubigen mit ihrer Behauptung, sie seien im Heiligen Geist „recht ordentlich“ versammelt, daher falsch lägen und Gotteslästerung betrieben.213 Nur diejenigen könnten im Heiligen Geist versammelt sein, die der apostolischen Lehre folgten und aus dem christlichen Glauben handelten.214 Sodann wandte sich Luther dem Repräsentationsgedanken zu, welchen er in ekklesiologischer Zuspitzung hier erstmals seit 1518 reflektierte.215 Er gestand auch jetzt zu, dass ein Konzil „die gemeine Christenheyt“ (ecclesia universalis) repräsentiere, schränkte es aber dahingehend ein, dass ein Konzil nicht wesenhaft Kirche sei, sondern nur öfter einmal die Kirche darstelle.216 Vergleichbar sei dieses mit einem Gemälde eines Menschen, das einen Menschen lediglich abbilde.217 Die Geschichte hätte bewiesen, dass die Konzilien häufig nur die repräsentierende Kirche, selten aber die wahre Kirche abgebildet hätten.218 Somit wandte Luther die bekannte ekklesiologische Differenzierung von repräsentierender (äußerlich-leiblicher) und wahrer, wesenhafter (innerlich-geistlicher) Kirche auf die Konzilien an und ordnete alle Konzilien der äußerlichen Kirche zu, während nur ein geringer Teil auch zur wahren Kirche gezählt wurde. Sollte ein Konzil aber die wahre Kirche („vera Ecclesia“) sein, geschehe dies nicht aus Kraft der Repräsentation, sondern „auß zufelliger ursach“ (per accidens).219 Mit den Ausdrücken „per accidens“ oder „casu“ signalisierte Luther, dass etwas von außen zum Konzil als repräsentierendem Abbild der Kirche hinzutreten müsse, welches der Institution „Konzil“ nicht wesenhaft zu eigen sei. Entsprechend seiner ekklesiologischen Grundanschauung waren dies das Einwirken des Heiligen Geistes und die Heilige Schrift. Aus dieser Qualifi zierung folgerte Luther hinsichtlich der Anerkennung konziliarer Beschlüsse, dass niemand die Dekrete der repräsentierenden Kirche, d. h. der Konzilien, glauben müsse, es sei denn, sie orientierten sich an der Bibel. 212 WA 39,1; 186,5–8: Non enim est ulla promissione Spiritus sanctus alligatus ad Episcoporum vel Concilii congregationem, nec hoc possunt probare. – Die dritte Person Plural (possunt) meint die Altgläubigen. 213 AaO. 186,10–16. 214 AaO. 186,18–22. 215 Im Jahr 1518 hatte Luther gegenüber Prierias noch die konziliaristische These von der Repräsentanz der (wahren) Kirche im Konzil vertreten (WA 1; 656,36 f.). Siehe oben, Kapitel II § 2.2.4. 216 WA 39,1; 186,24–28: Hoc recte dicunt, quod representent Ecclesiam universalem, Non enim necessario sunt Ecclesia, sed saepius representant Ecclesiam tantum. – Siehe hierzu die Disputation: aaO. 192,24–193,3. 217 AaO. 186,29–32. 218 AaO. 187,3–10: Testantur historiae, saepius Concilia fuisse Ecclesiam tantum repraesentantem, raro veram Ecclesiam. – Imo Concilium est semper repraesentans Ecclesia, per se loquendo, Sed per accidens est Ecclesia vera. 219 AaO. 187,9–11: Auß zufelliger ursach aber ists etwon [d. h. bisweilen] ein rechte ware Christliche versamlung oder kirche. – Siehe auch aaO. 186,33–36: Quod si aliquid amplius sunt (id est vera Ecclesia), hoc fit casu (ut dictum est), non virtute repraesentantis Ecclesiae.

§ 18 Konzilsbegehren und seine Bewertung in der ersten Hälfte der 1530er Jahre

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Erst durch die Schriftgemäßheit würden sie als Teil der wahren Kirche ausgezeichnet.220 Die meisten Dekrete entstammten aber der repräsentierenden Kirche. Ihre Beschlüsse könnten befolgt werden, wenn sie nicht gottlos seien.221 Mit dieser Aussage verdeutlichte Luther seinen freiheitlichen Umgang mit Konzilsdekreten, deren Einhaltung er nicht grundsätzlich ablehnte, wohl aber an die bekannten Kriterien Schriftprinzip und allgemeine Überprüf barkeit band. Zum Schluss ging Luther gegen das konziliare Mehrheitsprinzip mittels der bekannten Aussage vom Widerspruch gegen ein Konzil durch einen einzelnen Menschen vor, sollte dieser bessere Vernunft- oder Schriftgründe für sich haben.222 Obwohl die These auch bei den Altgläubigen verbreitet sei, würden sie diese Rede in Wirklichkeit verleugnen und verdammen.223 Diese Beobachtung veranschaulichte er am Beispiel zweier Konzilien: Während im Konzil von Nicäa ein einzelner Mensch, Paphnutius, dem Konzil widerstand und erhört wurde, widerstanden in Konstanz „zwei Paphnutii, ausgerüstet mit der Schrift“, dem Konzil. Diese wurden nicht gelobt, sondern verbrannt.224 Mit seiner letzten Argumentationskette suchte Luther sowohl die Unglaubwürdigkeit der Altgläubigen in ihrer Konzilskonzeption zu beweisen als auch das Konstanzer Konzil konkret zu verurteilen. Aus dem Vorangehenden wird deutlich, dass die Frage nach der konziliaren potestas in Abgrenzung zur altgläubigen Konzilstheologie entwickelt wurde, während das reformatorische Konzilsverständnis nur ansatzweise formuliert und keineswegs ausgestaltet war. Auffällig ist in diesem Zusammenhang eine von der Lutherforschung bisher nicht bemerkte Beobachtung: Die Rede vom freien, christlichen Konzil als realer protestantischer Konzilsoption fehlt in den Thesen gänzlich! Dies ist umso erstaunlicher, als gerade die Disputation Luther die Möglichkeit bot, das evangelische Konzilsverständnis zu entfalten. Weil er aber von der Notwendigkeit einer evangelischen Konzilslehre nach wie vor wenig überzeugt war, ließ er es beim Aufscheinen einzelner evangelisch-konzilstheoretischer Aspekte in der nachfolgenden Diskussion bewenden. Mit seinen Disputationsthesen zielte Luther somit nicht auf eine protestantische Lehrentfaltung, sondern auf die argumentative Widerlegung der katholischen Konzilsautorität und auf die Außerkraftsetzung der institutionell-kirchlichen Ansprüche der Kurie. Damit griff Luther auf dem Hintergrund einer christologisch fundierten Ekklesiologie die Wurzel des katholischen Konzilsverständnisses an und lieferte mit seiner theologischen Infragestellung der Konzilsautorität einen grundlegenden Beitrag zur protestantisch-akademischen Konzilsdiskussion. 220 221 222 223 224

AaO. 187,12–16. AaO. 187,17–20. AaO. 187,21–24. Siehe hierzu oben, Kapitel II § 3.6. AaO. 187,26–31. AaO. 187,33–40.

§ 19 Die lutherische Reaktion auf das Konzilsausschreiben von 1536 nach Mantua Neuen Zündstoff erhielt die Konzilsthematik durch ein Ereignis, welches die römische Kurie von langer Hand vorbereitet hatte. Am 2. Juni 1536 schrieb Papst Paul III. in der Bulle „Ad dominici gregis curam“225 ein ökumenisches, universales und allgemeines Konzil 226 für den 23. Mai 1537 nach Mantua aus, an dem alle Bischöfe, Äbte und Prälaten der Kirche sowie der Kaiser mit den weltlichen Fürsten persönlich teilnehmen sollten.227 Gemäß den traditionellen Aufgaben eines Konzils sollte es der Bekämpfung der Häresie, der Reform der christlichen Sitten und der Herstellung eines Friedens unter den Gläubigen dienen sowie darüber hinaus die Vereinigung zu einem Kreuzzug gegen die Türken fördern.228 Jetzt standen vornehmlich die evangelischen Reichsstände vor der problematischen Entscheidung, wie sie mit der päpstlichen Konzilseinladung realpolitisch umzugehen gedachten. Weil alle reichsrechtlichen Regelungen in der Religionsfrage, insbesondere der Nürnberger Religionsfriede, nur bis zum Konzil in Geltung standen, bedrohte das ausgeschriebene Konzil elementar den rechtlichen Bestand der protestantischen Stände mitsamt ihrer evangelischen Lehre. 225 Die Bulle ist dokumentiert in: CT 4; 2–6 Nr. 2 und als Auszug abgedruckt in: Urkunden und Aktenstücke zur Geschichte von Martin Luthers Schmalkaldischen Artikeln (1536– 1574). Unter Mitarbeit von H. Ulbrich hg. von H. Volz (KIT 179), Berlin 1957, 15–17 Nr. 1. Siehe auch eine deutsche Fassung bei Walch 2 16, 1907–1913 Nr. 1224. Vgl. zur Entstehungsgeschichte der am 2. Juni 1536 publizierten und am 4. Juni promulgierten Bulle Jedin, Geschichte 1, 251 f.; Pastor, Päpste 5, 56–58; Schutte, Vergerio, 97–104. 226 UA, 16,41. – In der Ausschreibungsbulle wurde entgegen der kurialen Konzilsinstruktion von 1533 sowohl auf die Bestimmung der allgemeinen Kirchenversammlung als ein ‚freies‘ Konzil verzichtet, als auch der Hinweis auf den traditionell-römischen Konzilsmodus vermieden. Ebenfalls fehlte die nähere Charakterisierung der geanannten Häresie. Hierdurch sollte den Protestanten eine Konzilsverhinderung erschwert werden. 227 AaO. 16,46–17,62. 228 AaO. 16,25–36: nunc auctore Domino indicere et exinde in loco et tempore per nos inferius declarando celebrare ac demum ad optatum fi nem perducere omnino decernimus sperantes et cum Dei auxilio nobis promittentes, per hoc tam sanctum et salutare remedium non solum omnes haereses et errores ex agro Domini extirpandos et Christiani populi mores corrigendos, sed et universalem inter fideles pacem componendam et facta sub vexillo salutiferae crucis contra infideles generali expeditione regna et terras nostras ab illis occupatas recuperandas captivosque innumerabiles liberandos et infideles ipsos ad sanctam religionem nostram favente Domino convertendos. – AaO. 17,63–68.

§ 19 Die lutherische Reaktion auf das Konzilsausschreiben von 1536 nach Mantua

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Da folglich damit zu rechnen war, dass auch die Mitglieder des Schmalkaldischen Bundes zum Konzil geladen würden, gerieten die evangelischen Stände jetzt unter Zugzwang. Sollten sie die Einladungsbulle annehmen und dem Papst damit das Recht zur Konzilsausschreibung zugestehen? Sodann stellte sich die Frage nach dem Konzilsmodus. Bildete das projektierte Konzil das geforderte freie, christliche Konzil? Und schließlich galt zu klären, ob die Protestanten das ausgeschriebene Konzil besuchen sollten, obwohl in der Einladungsbulle eine Stadt im päpstlichen Einflussbereich als Konzilsort genannt war.229 Während jede fundierte Überblicksdarstellung der Reformationsgeschichte auf die politische Dimension der Konzilsausschreibung hinweist,230 fi ndet sich eine differenzierte Analyse von Luthers Handeln in der Konzilsangelegenheit höchst selten,231 obwohl die Konzilsthematik einen wesentlichen Bestandteil seiner kirchenpolitischen Äußerungen jener Zeit bildete. Erneut wurden Luther und die Wittenberger Theologen vom Kurfürsten mit Gutachten zu dieser äußerst brisanten Problematik betraut, die zur Meinungsbildung im politisch-kursächsischen Konzilsdiskurs von 1536/37 beitrugen. Zusätzlich erhielt Luther auf dem Hintergrund des ausgeschriebenen Konzils den kurfürstlichen Sonderauftrag, Lehrartikel abzufassen, welche für den Schmalkaldener Bundestag im Februar 1537 bestimmt waren und als „Schmalkaldische Artikel“ bekannt werden sollten. Unabhängig von den Auftragsarbeiten agierte Luther zur öffentlichen Urteilsschärfung bezüglich des vom Papst annoncierten Konzils durch kommentierende Publikationen historischer Dokumente und päpstlicher Schriften sowie polemische Traktate, welche den quantitativen Höhepunkt der Veröffentlichungen zur Konzilsthematik bei Luther bilden. Und schließlich verknüpfte er in seinen Predigten wiederholt den politischen mit dem theologischen Konzilsdiskurs. Welche Position Luther in diesen differenzierten Äußerungsformen von 1536 bis 1538 einnahm und inwiefern er neue Aspekte und Argumente akzentuierte, ist unter Berücksichtigung des historischen Kontextes hier erstmals zusammenhängend zu analysieren. Dass sich zur Konzilsfrage stärker als bisher auch zahlreiche andere protestantische Theologen äußerten, Gutachten für ihre Obrigkeiten anfertigten und den Konzilsdiskurs in ihren Territorien und Gemeinden vorantrieben, muss aufgrund des auf Luther konzentrierten 229 Die in der Forschung als singularische ‚Konzilsfrage‘ eingebürgerte Bezeichnung für diesen Fragenkomplex müsste korrekter Weise pluralisch als ‚Konzilsfragen‘ benannt werden. 230 Hier sei exemplarisch verwiesen auf: M. Greschat, Christentumsgeschichte II. Von der Reformation bis zur Gegenwart (Grundkurs Theologie 4), Stuttgart/Berlin/Köln 1997, 51 f.; W.-D. Hauschild, Lehrbuch der Kirchen- und Dogmengeschichte. Bd. 2: Reformation und Neuzeit, Gütersloh 1999, 124 f.; zur Mühlen, Reformation und Gegenreformation 2, 29–32; Wallmann, Kirchengeschichte, 79–81. 231 Vgl. Brecht, Luther 3, 179–193; Edwards, Last battles, 79–93; Schwarz, Luther, 203–208.

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VII. Die Konzilsthematik im Horizont von Politik und Kirche (1530–1546)

Gegenstandes der Analyse ebenso wie eine Untersuchung der einzelnen protestantischen und katholischen Reichsstände zur Konzilsfrage weiteren Studien zur Konzilsthematik vorbehalten bleiben.232

1. Stellungnahmen der Wittenberger zu der Konzilsausschreibung Pauls III. Kurz nachdem der sächsische Kurfürst über die Konzilsausschreibung durch Markgraf Georg informiert worden war,233 ersuchte er die Wittenberger Theologen und Juristen um gutachterliche Stellungnahme, was „berurts concilii und der insinuacion halben zu thun“.234 Mit dieser am 24. Juli 1536 von Gregor Brück den Wittenberger Universitätstheologen und -juristen mündlich vorgetragenen Bitte leitete Kurfürst Johann Friedrich eine neue Phase des kursächsischen Konzilsdiskurses ein, an dem er sich selbst intensiv und gegenüber seinen Theologen zum Teil kontrovers beteiligte. Weil dieser Konzilsdiskurs bereits mehrfach untersucht wurde,235 kann hier auf eine minutiöse Analyse des umfangreichen Beratungsprozesses verzichtet und eine Zusammenfassung der wesentlichen Stationen geboten werden.236 Genauer zu klären ist hingegen, 232 Ansätze fi nden sich hierzu bei Wolgast, Konzil, 143–146 u. ö. Aus der Fülle der katholischen Stimmen zur Konzilsthematik sei hier exemplarisch auf die vom sächsischen Rat Georg von Karlowitz verfasste Denkschrift an Landgraf Philipp vom 2. Februar 1537 verwiesen. Siehe Ch. G. Neudecker (Hg.), Urkunden aus der Reformationszeit, Cassel 1836, 300–310. Vgl. G. Wartenberg, Die Leipziger Religionsgespräche von 1534 und 1539. Ihre Bedeutung für die sächsisch-albertinische Innenpolitik und für das Wirken Georgs von Karlowitz (in: Müller, Religionsgespräche, 35–41). 233 Vgl. UA, 17 f. Nr. 2 (Markgraf Georg von Brandenburg an Kurfürst Johann Friedrich, Ansbach, 6. 7. 1536). 234 MBWT 7; 180,75 Nr. 1765 (Ein Rat [Gregor Brück] des Kurfürsten Johann Friedrich von Sachsen: mündlicher Auftrag an die Theologen und Juristen der Universität Wittenberg, Wittenberg, 24. 7. 1536). Vgl. WAB 7; 478 f. 235 Eine erste kritische Analyse legte H. Virck, Zu den Beratungen der Protestanten über die Konzilsbulle vom 4. Juni 1536 (ZKG 13, 1892, 487–512) vor. Weitere Untersuchungen, die überwiegend im Rahmen der entstehungsgeschichtlichen Erforschung von Luthers Schmalkaldischen Artikeln entstanden, vgl. u. a. Brecht, Luther 3, 179–185; J. Bauer, Die Schmalkaldischen Artikel – Theologische Brisanz und politische Integration (in: Der Schmalkaldische Bund, 65–88); E. Bizer, Zum geschichtlichen Verständnis von Luthers Schmalkaldischen Artikeln (ZKG 67, 1955/56, 61–91); Ders., Die Wittenberger Theologen und das Konzil 1537. Ein ungedrucktes Gutachten (ARG 47, 1956, 77–101); Ders., Noch einmal: Die Schmalkaldischen Artikel (ZKG 68, 1957, 287–294); H. Volz, Luthers Schmalkaldische Artikel (ZKG 68, 1957, 259–286); Ders., Zur Entstehungsgeschichte von Luthers Schmalkaldischen Artikeln (ZKG 74, 1963, 316–320); Wolgast, Konzil 131–146; Ders., Johann Friedrich, 284–290. Vgl. jetzt auch das profunde Werk von Werner Führer, Die Schmalkaldischen Artikel (KSLuth 2), Tübingen 2009. In ihm skizziert Führer u. a. die Vorgänge um die Konzilsausschreibung, aaO. 7–13, welche die Ergebnisse der vorliegenden Studie bestätigen. 236 Nach der Korrektur der in CR 3 dokumentierten Schriftstücke durch Virck, Bera-

§ 19 Die lutherische Reaktion auf das Konzilsausschreiben von 1536 nach Mantua

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welche Rolle Luther in dem Beratungsprozess spielte und wie er auf das Konzilsausschreiben reagierte.

1.1. Die Wittenberger Empfehlungen im Sommer 1536 Luther, der Ende Mai 1536 die „Wittenberger Konkordie“ in der Abendmahlsfrage mit den oberdeutschen Städten ausgehandelt hatte und im Sommer 1536 mit deren Anerkennung durch die oberdeutschen Reichsstädte befasst war,237 wurde über das für die Konzilspolitik bedeutende Ereignis in der zweiten Julihälfte von mehreren Seiten unterrichtet.238 Da er sich in seiner unmittelbar anschließenden Korrespondenz allerdings kaum zum Konzilsausschreiben äußerte, dürfte ihn der Vorgang nicht sonderlich beschäftigt haben. Lediglich Mitte August berichtete er Justus Jonas, dass er den lateinischen Originaltext der päpstlichen Konzilsbulle noch nicht kenne, da Melanchthon ihn bisher nicht weitergereicht habe.239 Hingegen hätte er die in Wittenberg gedruckte deutsche Übersetzung der Bulle kurz zuvor eingesehen. Sein Urteil lautete nach einem

tungen, 487–507 und aufgrund der Chronologie bei Wolgast, Konzil, 131 f. Anm. 53 ergeben sich als wesentliche Stationen im kurfürstlichen Beratungsprozess: 24. 7. 1536 Wittenberger Vortrag von Brück über die zu beratenden Konzilsfragen (MBWT 7; 178–181 Nr. 1765; MBW 2, 262) – 26.7. Gutachten Johann Friedrichs bezüglich des Konzils (CR 3, 99–104 Nr. 1449) – 6.8. Erstes Wittenberger Konzilsgutachten (CR 3, 119–125 Nr. 1456 = MBWT 7; 189–195 Nr. 1769; MBW 2, 263 f.) – 30.8. Erneuter Vortrag Brücks vor den Wittenberger Theologen (CR 3, 146–156 Nr. 1456) – 30./31.8. Anfertigung der Protestation durch Melanchthon nach einem Entwurf von Brück (CR 3, 157 f. Nr. 1465 = MBWT 7; 209–211 Nr. 1777; MBW 2, 267) – Anfang Dezember nach einer Reise Melanchthons Wiederaufnahme der Beratungen durch einen neuen Vortag Brücks (WAB 7; 613,4–6) – Anfang Dezember „Gedenkzettel“ von Johann Friedrich (CR 3, 139–144 Nr. 1462 = UA, 22–26 Nr. 4) – 6.12. Zweites Wittenberger Konzilsgutachten (CR 3, 126–131 Nr. 1458 = MBWT 7; [291] 292–296 Nr. 1818; MBW 2, 284) – 11.12. Erneuerung des kurfürstlichen Befehls nach Zusammenfassung der Glaubensartikel (WAB 7; 612–614 Nr. 3116 = MBWT 7; [301] 302 f. Nr. 1822; MBW 2, 286) – Mitte bis Ende Dezember Abfassung der Schmalkaldischen Artikel durch Luther – Januar 1537 Bedenken des Kurfürsten über die Artikel und das Konzil (CR 3, 136–138 Nr. 1461). 237 Zur Entstehungsgeschichte und zum Abschluss der Wittenberger Konkordie siehe M. Bucer, Deutsche Schriften Bd. 6,1: Wittenberger Konkordie (1536) – Schriften zur Wittenberger Konkordie (1534–1537), bearb. von R. Stupperich, M. de Kroon und H. Rudolph (Martini Buceri opera omnia Series I), Gütersloh 1988 sowie den Überblick mit weiterführender Literatur bei Brecht, Luther 3, 48–67; M. Greschat, Martin Bucer. Ein Reformator und seine Zeit 1491–1551, München 1990, 142–152; Schwarz, Luther, 196–200. 238 Von der Informationsveranstaltung durch Brück am 24. Juli abgesehen, erwähnten die päpstliche Konzilsausschreibung auch Wolfgang Capito am 20. Juli (WAB 7; 467,51–468,56 Nr. 3048, Capito an Luther, Straßburg, 20. 7. 1536) und Martin Bucer am 22. Juli (WAB 7; 472,35 f. Nr. 3050, Bucer an Luther, Straßburg, 22. 7. 1536). 239 WAB 7; 503,1–5 Nr. 3067 (Luther an Justus Jonas in Naumburg, [Wittenberg,] 17. 8. 1536).

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polemischen Rundumschlag gegen die 26 Kardinäle, welche das Dokument unterzeichnet hatten, nüchtern: „In dieser Bulle sind wir bereits verdammt.“240 Inwiefern Luther kurz zuvor das am 6. August 1536 ausgearbeitete Gutachten der Wittenberger Theologen und Juristen zu den Diskussionspunkten, die der kursächsische Altkanzler Brück am 24. Juli und der Kurfürst am 26. Juli vorgelegt hatten, beeinflusste, kann nicht mehr präzise rekonstruiert werden.241 Sicher ist, dass er zusammen mit Schurf an den Beratungen teilnahm und sich durch Unterschrift mit dem von Caspar Cruciger notierten und von Melanchthon korrigierten Dokument identifi zierte.242 Das an Brück adressierte Kollektivgutachten antwortete auf fünf vorgelegte Fragen in streng juristischer Weise.243 Die Wittenberger Gelehrten empfahlen dem Kurfürsten eindringlich, die evangelischen Fürsten und Stände sollten einen mit der Konzilseinladung beauftragten päpstlichen Legaten, wenn er zu ihnen gesandt werde, unbedingt anhören.244 Weil nicht feststehe, ob die Protestanten wie andere Stände zum Konzil voziert oder als Partei zitiert würden, müsse eine pauschale Ablehnung unterbleiben, um nicht von vornherein als Konzilsboykotteure (contumaces) dazustehen. Folglich griffen die Gelehrten die insbesondere von Luther seit 1533 geprägte Strategie des Konzilspragmatismus auf und wandten sie auf die jetzige Fragestellung an. Eine negative Außenwirkung durch ein starres Verhalten der evangelischen Stände bereits im Vorfeld der Einladungsübergabe galt es zu vermei240 AaO. 503,5–504,10: Sed Germanicam hic excusam heri vidi, vidi et intellexi quoque, non cardinales illas virtutes, de quibus Seneca et alii philosophi docent, sed Cardinales, imo Cardines, Capitales, imo ipsa capita Satanae. Sie sind und heißen billig Cardinales omnibus nominibus. Nam in ea bulla nos iam sumus damnati; sed alia coram. 241 Als Grundlage für das Gutachten dienten der mündliche Vortrag Brücks am 24. Juli (MBWT 7; 178–181), die von Brück verfassten vier Verhandlungspunkte (Virck, Beratungen, 507 f.), das Bedenken des Kurfürsten vom 26. Juli (CR 3, 99–104 Nr. 1449) und die Verhandlungsakten über die Konzilsfrage von 1533 und 1535. Ob die päpstliche Konzilsbulle den Beratungen zugrunde lag, die dem Kurfürsten in Abschrift durch Markgraf Georg zugeschickt wurde, kann nicht mit letzter Sicherheit beantwortet werden. Weder fi nden sich im Gutachten Anklänge an die Bulle noch kannte der an den Beratungen teilnehmende Luther den Text. Es dürfte daher wahrscheinlich sein, dass der Text den Beratungen nicht zugrunde lag. 242 Das Gutachten trug die Unterschriften von Luther, Bugenhagen, Cruciger, Schurf, Melchior Kling, seit 1536 Professor für kanonisches Recht in Wittenberg, und Melanchthon. 243 Die zu Beginn des Gutachtens aufgeführten fünf Fragen (MBWT 7; 189,1–190,18) lauteten sinngemäß: 1. Ist der mit der Konzilseinladung beauftragte päpstliche Legat in Kursachsen zu empfangen und das Konzilsausschreiben anzuhören? – 2. Ist bei einer Vozierung des Kurfürsten zur konziliaren Beratung eine Protestation gegen die Konzilsausschreibung durch den Papst nötig? Und ist bei Annahme der Einladung bereits eine Unterwerfung unter den Papst vollzogen? – 3. Wie ist im Falle einer Konzilszitation zu verfahren? – 4. Widersprechen die Wiener Artikel der Konzilshandlung? – 5. Ist eine Botschaft über die päpstliche Konzilseinladung an den Kaiser zu senden? 244 Zum ersten Fragenkomplex siehe aaO. 190,18–192,81.

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den. Daher schlugen die Gutachter vor, sich über Verfahrensmängel erst nach Beginn der Konzilsverhandlungen zu beklagen. Gegen die kurfürstliche Vorstellung, eine Annahme des Konzilsausschreibens komme der Akzeptanz des Papstes gleich,245 wandten die Gutachter ein, dass die Annahme der Einladung keineswegs eine Anerkennung des Papstes bedeute. Dem Papst billigten sie das bereits bei den altkirchlichen Konzilien angewandte Recht zu, im Auftrag der Kirche Konzilien ausschreiben zu können. Dies schränkten sie aber sogleich mit der Bemerkung ein, dass der Papst „in causis fidei“ nicht zum Richter gemacht werde.246 Richter sei das Konzil, welches den Papst absetzen könne, wie das Beispiel des Konzilsausschreibens durch Johannes XXIII. und dessen Absetzung im Konstanzer Konzil beweise.247 Sollten die protestantischen Stände nicht zitiert, sondern wie die übrigen Stände gleichberechtigt voziert werden, biete die Konzilsvokation für die Protestanten eindeutig Vorteile.248 Es mutet wie ein Widerspruch in Luthers Konzilsvorstellung an, wenn er das Recht zur Konzilsausschreibung jetzt dem Papst zugestand, obgleich er den Papst weiterhin als Antichrist und Widersacher des Evangeliums aufs Schärfste verurteilte.249 Bei der kritischen Beurteilung dieses möglichen Antagonismus ist zu beachten, dass sich Luther anders als Melanchthon bis dahin nicht eingehender mit der juristischen Frage nach der Legitimität der Konzilseinberufung beschäftigt hatte und sie vermutlich auch für nebensächlich hielt. Daher konnte er problemlos die politische Argumentation mittragen, dass eine Konzilsausschreibung durch den Kaiser nicht auf weltweite Anerkennung stoßen werde, und dem Papst die formale Einberufungskompetenz zubilligen, ohne sich ihm zu unterwerfen. Von seiner antipäpstlichen und konzilspragmatischen Linie musste Luther keineswegs abrücken. Im Gutachten wurde sodann betont, sollte die Einladung gleichberechtigt erfolgen, dürften die evangelischen Stände das Konzil nicht einfach rekusieren, sondern könnten an die bekannten Konzilserwartungen und an das geforderte freie, unparteiische Konzilsverfahren erinnern und gegen die päpstliche Gewalt protestieren.250 Wenn die evangelischen Stände hingegen als angeklagte Partei vor das Forum des Konzils zitiert werden, sollten sie dennoch die Einladung 245 246 247

Siehe CR 3, 99. MBWT 7; 191,72–75. Vgl. Mansi 27, 537 f. (Papst Johannes XXIII., Bulla convocationis concilii, 9. 12.

1413). 248 MBWT 7; 191,77–80: Dweil denn diese vocatio, so unser gnedigster herr wie andere stende vocirt wurde, vorteil und kein nachteil bringet und der bapst damit nicht zu richter gemacht wird, bedencken wir, das gut sey, das der legat gehort werde. 249 Siehe z. B. WAT 3; 318 Nr. 3443 oder die im Winter 1535/36 verfasste Vorrede Luthers zu Robert Barnes „Vitae Romanorum pontificum“ WA 50; (1) 3–5. In ihr betonte er, dass er selbst einst den Papst „a priori“ angegriffen habe, d. h. durch die Heilige Schrift. Jetzt freue ihn, dass den Papst andere „a posteriori“ angriffen, d. h. aus der Geschichte, und zu identischen Ergebnissen kämen. 250 Vgl. zu diesem zweiten Aspekt MBWT 7; 192,82–102.

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annehmen und nur gegen den Papst als Richter protestieren.251 Sollten sie aber als Ketzer ohne Aussicht auf Verhör zitiert werden, müsse Klage gegen das Verfahren erhoben und die Einladung abgewiesen werden.252 Wie die päpstliche Konzilseinladung, so sei auch der Konzilsort kein Grund zur Rekusation des Konzils. Hingegen müsse auf die Prozessbedingungen geachtet und für diese protestiert werden.253 Das vorgeschlagene Verfahren widerspreche nicht dem Wiener Vertrag, welchen Johann Friedrich mit König Ferdinand im November 1535 abgeschlossen hatte.254 Schließlich rieten die Wittenberger, den Kaiser an das zugesagte Konzilsverfahren zu erinnern, eile nicht.255 Die gutachterlichen Empfehlungen widersprachen der Haltung des Kurfürsten, der das angekündigte Konzil grundsätzlich ablehnte und jegliche Teilnahme verweigerte, weil es durch den Papst ausgeschrieben war und unter dessen antichristlicher Herrschaft stehen werde.256 Daher war er sowohl mit den Einzelargumenten unzufrieden als auch mit dem juristischen Gesamtcharakter des Bedenkens. Die führenden Theologen mahnte er durch Brück am 30. August bei einer Zusammenkunft in Luthers Haus, sorgfältiger Stellung zu dem bedeutenden Werk zu beziehen und theologisch statt juristisch zu argumentieren.257 Brück erteilte im Namen des Kurfürsten den Theologen nun allein den Auftrag, zu folgenden vier Punkten erneut eine Expertise anzufertigen: 1. Prüfung der Einladungsbulle betreffs des Konzilsmodus, 2. Protestation oder andere Maßnahmen gegenüber der Konzilseinladung, 3. Zusammenstellung möglicher 251

Zum dritten Thema vgl. aaO. 192,102–194,155. AaO. 193,144–146: Denn so die citatio also lautet, das die sachen nicht solten gehort werden, kondten wir mit fugen uns derhalben beklagen und hetten ursach, diese citation nicht anzunemen. 253 AaO. 193,146–194,155. 254 AaO. 194,155–176. – Der am 22. November 1535 zwischen König Ferdinand und Kurfürst Johann Friedrich geschlossene Vertrag enthielt die Aussage, nach Bewilligung eines Konzils in Mantua durch die Reichsfürsten werde der sächsische Kurfürst das ausgeschriebene Konzil persönlich besuchen. Mit dieser Zusage hatte der Kurfürst die gesamtprotestantische Solidargemeinschaft zugunsten der sächsischen Territorialinteressen aufgekündigt. Allerdings wies der Kurfürst die Verpfl ichtung zurück, den Konzilsbeschlüssen gehorchen zu müssen. Vgl. hierzu Wolgast, Konzil, 130 Anm. 48 und zum Wiener Vertrag insgesamt Mentz, Johann Friedrich 2, 60–68; Schlütter-Schindler, Schmalkaldische Bund, 148– 154; O. Winckelmann, Über die Bedeutung der Verträge von Kadan und Wien (1534– 1535) für die deutschen Protestanten (ZKG 11, 1890, 212–252). 255 MBWT 7; 194,176–195,181. 256 Siehe seine Position in dem Bedenken vom 26. Juli (CR 3, 100), in welchem der Kurfürst die Ablehnung mit dem ungeklärten Verfahrensmodus im Konzil begründete und gegen den päpstlichen Konzilscharakter votierte. Dem Papst gehe es nur um seinen Vorteil und die Erhaltung seines antichristlichen Reiches sowie die Unterdrückung des Evangeliums und des göttlichen Wortes. Vgl. Wolgast, Johann Friedrich, 285. 257 CR 3, 147: Denen [den Theologen] hab ich, als aus E.Cf.G. Befehl dieß angezeigt, als hätten E.Cf.G. des Rathschlags halben allerlei Bedenken. Denn E.Cf.G. hielten es dafür, daß sie, die Theologi, die Juristen darin hätten walten lassen; wäre auch mit dem Fleiß nicht gemacht, als das große Werk wohl erfordert, dieweil E.Cf.G. bedenken, (daß es) allen Einungsverwandten müßt überschickt und zu erkennen gegeben werden. 252

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Konzessionspunkte bei einem unerwartet freien und unparteiischen Konzil, 4. Militärische Gegenwehr bei kaiserlicher Exekution der von den Protestanten abgelehnten Konzilsdekrete.258 Die versammelten Theologen versprachen die Erstellung des Gutachtens und verabredeten, da mit dem Eintreffen der päpstlichen Konzilsgesandtschaft in Kursachsen vorerst nicht zu rechnen war, hiermit bis zu Melanchthons Rückkehr zu warten.259 Bevor Melanchthon für zwei Monate gen Süddeutschland reiste, fertigte er eine lateinische Übersetzung einer zuvor abgefassten Protestation gegen die Konzilsausschreibung an.260 Luther, der sich bezüglich des Konzils weiterhin bedeckt hielt, blieb bei seiner bereits 1533 und 1535 vertretenen pessimistisch-abwartenden Haltung zur Konzilseinberufung. Ende September 1536 teilte er Nikolaus Hausmann mit, das Konzil scheine ihm mehr vorgespielt denn wirklich betrieben zu werden.261 Außerdem wusste er zu berichten, dass der englische König den Papst zurückgewiesen und eine Konzilsteilnahme verweigert habe.262 Weil die weltlichen Herrscher uneinig seien, folgerte Luther, werde das Konzil zur Fabel werden „oder wenigstens nicht zur festgelegten Zeit zu Stande kommen“.263 Mit dieser Einschätzung sollte Luther Recht behalten. Durch den kaiserlichen Kriegszug gegen Frankreich im Sommer 1536 und die Entschleunigung der Reise des mit der Zustellung der Konzilsbulle im Reich beauftragen Nuntius Peter van der Vorst, Bischofs von Acqui,264 verzögerte sich unabhängig von der Haltung der protestantischen Fürsten der Prozess der Konzilseinladung.

1.2. Edition von Hus-Briefen als Einflussnahme auf den politischen Konzilsdiskurs Im Herbst 1536 trat Luther vor die gelehrte Öffentlichkeit mittels einer von ihm in jenen Jahren häufig praktizierten literarischen Form. Der Wittenberger Reformator ergriff nun die publizistische Gelegenheit zur Einflussnahme auf den zeitgenössischen Konzilsdiskurs und das geplante Konzil, indem er drei bzw. vier Hus-Briefe herausgab, die jener 1414 und 1415 aus seiner Konstanzer 258

Siehe CR 3, 154–156. Vgl. Virck, Beratungen, 493. CR 3, 156. 260 AaO. 157–159 Nr. 1465 = MBWT 7; 209–211 Nr. 1777 (Lateinische Übersetzung [für Kurfürst Johann Friedrich von Sachsen, Wittenberg, 30./31. 8. 1536]). Die Übersetzung fußte auf einer deutschen Fassung, welche die Juristen im Zusammenhang mit dem Gutachten vom 6.8. angefertigt hatten. Am 1. oder 2. September brach Melanchthon von Wittenberg aus zu seiner Reise auf, von der er um den 1. November zurückkehrte. 261 WAB 7; 546,16 f. Nr. 3082 (Luther an Nikolaus Hausmann in Dessau, [Torgau,] 20. 9. 1536): Concilium mihi verius simulari quam agi videtur. 262 AaO. 546,19–25. 263 AaO. 546,25–27: Ita Monarchis dissidentibus Concilium fabula fiet, aut saltem termino prefi xo non fiet. Elapso autem termino, quis alium statuet? 264 Vgl. Pastor, Päpste 5, 58–60. 259

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VII. Die Konzilsthematik im Horizont von Politik und Kirche (1530–1546)

Gefangenschaft an seine Landsleute, die Böhmen, geschrieben hatte.265 Diese Briefe, die Johann Agricola bereits 1529 besaß und welche jetzt von Luther mit einer lateinischen Vorrede versehen aus aktuellem Anlass unter dem Titel „Tres epistolae Ioannis Hussii“ publiziert wurden,266 dienten der historischen Exemplifi zierung. Unzweideutig skizzierte Luther in seinem Vorwort seine Publikationsabsicht: Die Herausgabe von Hus’ Gefangenschaftsbriefen 267 ziele als Mahnung auf das angekündigte Konzil, dessen Ausschreibung Luther dem stetigen Bemühen von Kaiser Karl V. positiv zurechnete.268 Die historischen Dokumente sollten an den Irrweg des Konstanzer Konzils erinnern, ein Beispiel für die Unterdrückung der Wahrheit geben und das angekündigte Konzil mahnen, nicht erneut päpstliche Fehlentwicklungen zu unterstützen und Spaltungen der Nationen wie einst zwischen Böhmen und Deutschen zu manifestieren.269 Die Könige, Fürsten und Bischöfe forderte Luther auf, im Konzil wachsam zu sein und in Glaubensdingen den teufl ischen Machenschaften der Papisten nicht wie in Konstanz zu folgen.270 Mit dieser Mahnrede lag Luthers erste öffentliche Stellungnahme zur Konzilsausschreibung nach Mantua vor, durch welche er den zeitgenössischen Konzilsoptimismus dämpfen und darauf aufmerksam machen wollte, dass das einberufene Konzil in der Tradition des Konstanzer Konzils stehen werde. Weil bereits Ende November eine deutsche Übersetzung von Luthers Publikation in Nürnberg kursierte, durch die das tagesaktuelle Bedürfnis an der Hussache greif bar wurde,271 besorgte Agricola im Januar 1537 eine verbesserte deutsche Übersetzung der Sammlung. Gleichzeitig übersetzte er oder Luther selbst 265 WA 50; (16) 23–34. (676–688). Die lateinische Vorrede ist abgedruckt aaO. 23–25, die vier „Epistolae, quas conscripsit magister Ioannes Hussius in carcere Constantiae ad Bohemos“ aaO. 25,19–31,25 und die geschichtliche Einordnung aaO. 31,26–34,6. Eine genaue Datierung der Abfassung der Vorrede ist nicht möglich. Als terminus ad quem ergibt sich der 29. November 1536, da an diesem Tag eine Übersetzung der „Tres epistolae“ in Nürnberg herauskam. Vgl. aaO. 18. 266 WA 50; 17 f. 267 In einer auf den 14. Januar 1537 datierten Tischrede urteilte Luther über die Trostbriefe, WAT 3; 374,21 f.: summum spiritum, patientiam et orationem spirabant [. . .]. 268 WA 50; 23,2–5: Has epistolas Iohannis Hussi Boemica lingua scriptas curavi mihi Latinas reddi, ut quam primum aederem, preasertim hoc anno, quo indictum est urgente Carolo optimo Caesare generale Concilium [. . .]. – Der kursächsischen Politik entsprechend und seiner eigenen Pragmatik folgend lobte Luther den Kaiser für seine Konzilsbemühungen, während er die päpstliche Konzilsausschreibung nicht näher charakterisierte. 269 AaO. 23,4–24,12. 270 AaO. 24,12–25,1: Quare nunc non fuerit tutum istorum monstrorum furijs permittere religionis causam, Sed ipsis iam Regibus et Principibus una cum Episcopis vigilandum est, ne similia vel peiora sequantur istud nunc indictum Concilium. – Im Schlusssatz transformierte Luther seine Mahnung ins Spirituelle, aaO. 25,5–7: Christus donet spiritum orandi nobis & ijs, qui Concilium gubernaturi sunt, quaerendi, quae Dei, & obliuiscendi vel contemnendi, quae ipsorum sunt. AMEN. 271 AaO. 18. 21.

§ 19 Die lutherische Reaktion auf das Konzilsausschreiben von 1536 nach Mantua

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die an die internationale Gelehrtengemeinschaft gerichtete Vorrede ins Deutsche.272 Ein Nachwort zu der deutschen Fassung der Briefe fertigte zum gleichen Zeitpunkt Luther an. Die deutsche Publikation erschien 1537 in Wittenberg.273 In diesem mehrseitigen Epilog verstärkte Luther seine Kritik am Umgang des Konstanzer Konzils mit Hus und betonte durch verschiedene Beispielerzählungen die Gelehrtheit und Gottesfurcht des zu Unrecht als Ketzer verbrannten Gottesmannes.274 Abschließend wiederholte er seine Mahnung an die „geistlosen“ (d. h. geistlichen) Herren,275 das ausgeschriebene Konzil nicht in Analogie zum Konstanzer Konzil abzuhalten.276

272 Während Otto Clemen die deutsche Vorrede der Übersetzungstätigkeit von Agricola zuschrieb, der am 19. Dezember mit seiner Familie von Eisleben nach Wittenberg „geflohen“ war (hierzu siehe WAB 7; 616 f. Nr. 3120 [ Johann Agricola an Luther, (Eisleben,) 18. 12. 1536]; G. Kawerau, Johann Agricola von Eisleben. Ein Beitrag zur Reformationsgeschichte, [Berlin 1881] Nachdruck Hildesheim/New York 1977, 168–173; J. Rogge, Johann Agricolas Lutherverständnis. Unter besonderer Berücksichtigung des Antinomismus [ThA 14], Berlin 1960, 132–135; UA, 31 f. Anm. 4. 9) und sich dort dem erkrankten Luther zur Verfügung stellte, vermutete Oskar Brenner Luther selbst als Übersetzer. Vgl. WA 50; 17–20. Eine Klärung des Dissenses ist aufgrund mangelnder Quellen kaum möglich, so dass beide Personen als Übersetzer in Frage kommen. Die deutsche Übersetzung ist abgedruckt: aaO. 23,12– 25,18. 273 Siehe aaO. 34,7–39. Wann Luther das Nachwort verfasste, ist ebenfalls nicht genau zu ermitteln. Am geeignetsten erscheint mir in Korrektur zu WA 50; 18 f. die Zeit zwischen dem Ende der Wittenberger Theologenkonferenz am 3. Januar 1537 und Luthers Abreise nach Schmalkalden am 31. Januar. Da Luther in einer Tischrede am 14. Januar auf Agricolas Übersetzungstätigkeit der lateinischen Husbriefe einging (WAT 3; 374,20 f. Nr. 3522), dürfte dieser Zeitraum besonders im Blick auf den nahenden Schmalkaldener Bundestag publikationsgünstig gewesen sein. – Aufgrund der Konzilsausschreibung durch Papst Paul III. verstärkte Johann Agricola 1537 seine Veröffentlichungstätigkeit von Hussitica. So erschien eine Abhandlung über die communio sanctorum, den Konstanzer Konzilsbeschluss und ein Bekenntnis Hus’ sowie eine von Agricola verfasste „Tragedia“, in der er den Ketzerprozess in einem fünfaktigen Drama beschrieb. Vgl. Kawerau, Agricola, 118–121. 274 Luther erzählt in diesem Epilog die für seine Husdeutung bedeutungsvolle Begebenheit aus seiner Erfurter Klosterzeit von vor 30 Jahren: Als junger Theologe habe er in der Bibliothek Hus’ „Sermones“ gefunden und diese begierig gelesen. AaO. 37,31–38,4: Da fand ich warlich so viel, das ich mich dafur entsatzte, warumb doch solcher man verbrand were, der so Christlich und gewaltig die schrifft furen kundte. Aber weil sein name so grewlich verdampt war, das ich dazu mal dachte, die wende würden schwartz und die sonne den schein verlieren, wer des namen Hus wol gedechte, Schlug ich das buch zu und gieng mit verwundtem hertzen davon, Tröstet mich aber mit solchen gedancken: vielleicht hat er solchs geschrieben, ehe denn er ist ketzer worden, Denn ich des Costentzer Concilij geschicht noch nicht wüste. – Zu Luthers zeitgleicher Husdeutung siehe auch WAT 3; 374 f. Nr. 3522. Vgl. Delius, Luther und Huß, 22; Edwards, Last battles, 79–81; Lohse, Luther und Huß, 78 f. 275 WA 50; 39,3 f. 276 AaO. 39,3–14.

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VII. Die Konzilsthematik im Horizont von Politik und Kirche (1530–1546)

1.3. Wittenberger Konzilspragmatik versus kurfürstliche Konzilspolitik Die Anwesenheit des Kurfürsten Johann Friedrich in Wittenberg Anfang Dezember 1536 und ein Vortrag Brücks veranlassten die Wittenberger Theologen, erneut über das Konzil zu beraten und das für Ende August zugesagte theologische Gutachten endlich abzufassen.277 Zwischenzeitlich hatte Johann Friedrich über die protestantische Konzilspolitik mit seinen Bundesgenossen korrespondiert, zum Thema eine Bundesversammlung nach Schmalkalden angekündigt 278 und – angeregt durch Konzilsgutachten der hessischen Gelehrten 279 – seine Konzilsvorstellungen in einem Bedenken gebündelt.280 Dies enthielt weitere Fragen und eine noch näher darzustellende Anweisung an Luther.281 Außerdem entwickelte der Kurfürst jetzt die bereits 1533 angedeutete reformationsgeschichtlich beachtenswerte Konzeption eines evangelischen Gegenkonzils, die von der Ausschreibung des „gemein, frei christlich Conciliums“282 durch Luther „samt seinen Nebenbischoffen und Ecclesiastes, als den Pfarrherrn“283, über die Einladung des Kaisers und der Bestimmung des Konzilsortes Augsburg bis hin zur Aufstellung einer Konzilsarmee reichte.284 Den „Gedenkzettel“ und den von Brück in Modifi kation zum Augustreferat mündlich vorgetragenen Fragenkatalog 285 diskutierten die Wittenberger Theologen am 5. Dezember. Ihre Ergebnisse entfalteten sie in dem von Melanchthon am 5. oder 6. Dezember abgefassten Kollektivgutachten.286 Dieses gliederten sie 277 Über die vermutlich am 5. Dezember 1536 stattgefundene Beratung, an der Luther, Melanchthon, Cruciger, Jonas, Bugenhagen und Amsdorf teilnahmen, informiert eine durch Volz dokumentierte Aufzeichnung aus der Feder Bugenhagens. Siehe Volz, Entstehungsgeschichte, 316–320. Vgl. UA, 26 Anm. 3. 27 Anm. 7; WAB 7; 604 f.; Wolgast, Konzil, 135 f. 278 Vgl. Mentz, Johann Friedrich 2, 106–108; Virck, Beratungen, 494 f. 279 Zu den hessischen Gutachten siehe Ch. G. Neudecker (Hg.), Merkwürdige Aktenstücke aus dem Zeitalter der Reformation, Nürnberg 1838, 121–142 Nr. 30 (Ein Bedenken von hessischen Theologen über die Veranstaltung eines Concilium). Vgl. E. Braune, Die Stellung der hessischen Geistlichen zu den kirchenpolitischen Fragen der Reformationszeit, Marburg 1932, 63–79;Wilhelm, Konzilspolitik, 79–83; Wolgast, Konzil, 144 f. 280 CR 3, 139–144 Nr. 1462; UA, 22–26 Nr. 4 (Des Kurfürsten Johann Friedrich Bedenken über das bevorstehende Konzil, [Wittenberg, Anfang Dezember 1536]). 281 Siehe hierzu unten, Kapitel VII § 19.2.1. 282 CR 3, 141. 283 Ebd. 284 AaO. 141–144. Zum Gegenkonzil vgl. Mentz, Johann Friedrich 2, 108 f.; Wolgast, Konzil, 146–151; Ders., Johann Friedrich, 286–288. 285 Zu diesen angefragten Punkten zählte die mit einer möglichen Zitation zusammenhängende Grundfrage: Sollten die evangelischen Reichsstände bei einer Konzilszitation protestieren und eine Erklärung publizieren oder ein protestantisches Gegenkonzil einberufen? Wie sollte bei einer gewaltsamen Exekution der Konzilsbeschlüsse durch den Kaiser reagiert werden? Und welche dogmatischen Lehren wären unaufgebbar und bei welchen könnten Konzessionen gemacht werden? 286 CR 3, 126–131 Nr. 1458 = MBWT 7; (291) 292–296 Nr. 1818. In Auszügen bei

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in zwei Teile, von denen der erste die kurfürstlichen Fragen bezüglich des Konzils beantwortete. Die dort getroffenen juristisch-prozeduralen Ausführungen knüpften an die im August mit den Rechtsgelehrten ausgearbeitete Linie an und enthielten – entgegen den kurfürstlichen Einwänden – die erneute Empfehlung, eine öffentliche Protestation an Kaiser und Regenten zur Einhaltung eines gerechten Konzilsmodus und Prozesses zu richten.287 Damit war die vom Kurfürsten verfolgte zügige Rekusation abgewiesen. Während die Frage nach den unumstößlichen und verhandelbaren protestantischen Lehrartikeln einem gesonderten Gutachten zugewiesen wurde,288 ließen die Theologen die Frage nach der Konzilsteilnahme offen, betonten aber, dass eine Abordnung mit der Konzilsprotestation zum Konzil entsandt werden müsse.289 Die dezente Zurückhaltung in dieser Angelegenheit, die im Augustgutachten noch positiver beantwortet worden war, resultierte aus den kurfürstlichen Einwänden und einer zwischen den Theologen umstrittenen Bewertung.290 Einig waren sie sich in der Ablehnung eines Gegenkonzils, da durch dieses ein Schisma mit unabsehbaren gewaltsamen Konsequenzen entstehen werde. Überdies müssten die Evangelischen vor der Konzilsausschreibung zuerst untereinander einig sein, da sie sich andernfalls zum öffentlichen Gespött machten. Stattdessen sollte zuvor der modus procedendi des ausgeschriebenen Konzils abgewartet und jegliche Diskussion über das Gegenkonzil vertagt werden.291 Mit dieser realistischen Einschätzung, zu der Luthers generelle Einwände gegen ein evangelisches Konzil beigetragen haben dürften, wiederholten die Wittenberger Theologen ihren bereits 1533 geäußerten Widerspruch gegen den kurfürstlichen Lieblingsgedanken und signalisierten somit erneut ihre zur kurfürstlichen Konzilspolitik differente Position, die diplomatisch-taktische Züge trug. Hinsichtlich der Frage nach dem Widerstand schlossen sich die Wittenberger Theologen hingegen der kurfürstlichen Position an. Im zweiten Teil ihres Gutachtens begründeten sie das Recht zum Widerstand respektive „gegenwehr“292 Scheible, Widerstandsrecht, 89–92 Nr. 20. Vgl. Virck, Beratungen, 496 f. Die Theologenkonferenz wird von der Forschung auf den 5. oder 6. Dezember datiert, wobei mit Volz, Entstehungsgeschichte, 317 Anm. 6 dem 5. Dezember der Vorzug zu geben ist. Zur Forschungsdiskussion vgl. MBW 2, 284. 287 MBWT 7; 292,1–15. 288 AaO. 292,15–293,21. Vgl. hierzu unten, Kapitel VII § 19.2.1. 289 AaO. 293,21–24: Ob auch uff diesen fall besondere botschafft zum concilio zu schicken, achten wir, konne man mit der zeit hernach bedencken; wiewol wir dafur halten, so das concilium angehet, das man der protestation halben wird schicken mussen. 290 Dass die Beschickung des Konzils mit den möglichen Gefährdungen intensiv von den Theologen diskutiert wurde, deutet Bugenhagen in seiner Aufzeichnung an: Volz, Entstehungsgeschichte, 318. 291 MBWT 7; 293,24–48. 292 AaO. 293,48. In der Forschung wurde das Wittenberger Kollektivgutachten vielfach

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VII. Die Konzilsthematik im Horizont von Politik und Kirche (1530–1546)

erstmals mit der cura religionis, d. h. der Schutzpfl icht der Fürsten für die christlichen Untertanen sowie für die Lehre und die äußere Religionsausübung.293 Die vornehmste Fürstenpfl icht sei notfalls auch gegen den kaiserlichen Oberherrn anzuwenden. Sollte der Kaiser im Rahmen des Konzils gegen die Protestanten einschreiten oder sich in die Religionsproblematik richterlich einmischen, verstoße er einerseits gegen das geltende Recht des Appellationsverfahrens, da die Evangelischen an ein Konzil appelliert hätten, und maße sich andererseits ihm nicht zustehende Rechte der Religion an. Folglich begehe der Kaiser, so die gutachterliche Rechtsargumentation, gegen die protestantische Konzilsappellation und den verhandelten Frieden „notoria iniuria“, so dass Widerstand rechtens sei.294 Für den Fall, dass die allgemeine Kirchenversammlung den Kaiser mit der Exekution der Konzilsentscheide beauftragt habe, empfahlen die Gutachter, die Rechtsverbindlichkeit der Beschlüsse und die Legitimität des projektierten Konzils als Instanz überhaupt zu bestreiten.295 Sollte der Papst den Prozessmodus normgerecht umsetzen, aber das Konzil mit seinem Urteil dennoch „offentliche idolatria und abgotterey und offentliche iniurien“296 bestätigen, seien die Fürsten aufgrund der Schutzpfl icht zum Widerstand gegen die widergöttlichen Konzilsentscheide verpfl ichtet.297 Nach der Zurückweisung eines eventuellen konziliaren Priestereheverbots298 resümierten die Theologen: „Das ist allein angezogen, damit des klarer sey, das fursten und alle oberkeiten schuldig sind, offentliche gewalt und unzucht, als ehezerreissung, zu weren. Und viel mehr sind sie schuldig, offentliche abgotterey zu weren lauts des andern gebots.“299

als Diskussionsbeitrag zum Widerstandsrecht analysiert, welches durch die Konzilsausschreibung Pauls III. neu belebt wurde. Vgl. Dörries, Widerstandsrecht, 237; K. Müller, Luthers Äußerungen über das Recht des bewaffneten Widerstands gegen den Kaiser (SBAW.PPH 1915, 8), München 1915; Scheible, Widerstandsrecht, 89–92; Wolgast, Theologie, 224– 230. 293 MBWT 7; 294,67–72. 80–82; 295,90 f. Wolgast, Theologie, 226 weist darauf hin, dass mit der von Melanchthon stammenden Begründung „der Institutionalisierung der reformatorischen Bewegung und der Tatsache des evangelischen Territoriums im Gegensatz zu Luthers bisheriger Haltung Rechnung getragen“ wurden. Theologisch leiteten die Gutachter die cura religionis der Fürsten u. a. aus dem 2. Gebot ab (MBWT 7; 294,82 f.). Vgl. J. Heckel, Cura religionis, ius in sacra, ius circa sacra, Darmstadt 21962, 6–14. 294 MBWT 7; 295,96–111. Nähere Ausführungen über die Appellation und den Frieden stellten sie den Fürsten anheim. Mit der Appellation spielten die Gutachter auf die protestantische Konzilsappellation von Speyer und mit dem Frieden auf den Nürnberger Anstand an. 295 AaO. 295,111–124. Zur Bestreitung verwiesen sie auf den ungerechten Konzilsmodus, prozedurale Fehler und Missachtung der Heiligen Schrift als Urteilsinstanz. 296 AaO. 296,126. 297 AaO. 295,124–296,134. 298 Das Verbot der Priesterehe per Konzilsbeschluss wurde als Verstoß gegen das weltliche Recht gewertet. Siehe aaO. 296,135–148. 299 AaO. 296,148–151.

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Luther, der sich der von Melanchthon formulierten gutachterlichen Argumentation anschloss, unterschrieb das Kollektivgutachten mit den Worten: „Ich, Martinus Luther, wil auch dazu thun mit beten, auch (wo es seyn sol) mit der faust“.300 Diese ungewöhnliche Aussage Luthers, die dazu führte, dass der Satz in einzelnen Lutherausgaben getilgt wurde,301 bezog sich auf den direkt vorangehenden Passus. Luther signalisierte, dass er für die öffentliche Abwehr der Abgötterei nicht nur mit Schriften, sondern auch durch Taten streiten werde.302 Das Theologengutachten nahm der Kurfürst an,303 ohne es zu seiner eigenen Meinung zu machen. In der Konzilspolitik agierte er nun auf folgende Weise: Mit Philipp von Hessen traf er sich zur Vorbereitung des Bundestages vom 21. bis 24. Dezember in Eisenach, wo der politische Konzilskurs des Schmalkaldischen Bundes diskutiert, militärische Bündnispläne angedeutet und die Verhandlungsgegenstände des auf den 7. Februar ausgeschriebenen Bundestages festgelegt wurden. Dem Einladungsschreiben fügten die beiden Hauptleute des Bundes eine Liste von Fragen zur Konzilsproblematik bei, welche die Reichsstände mit ihren Gelehrten zur Vorbereitung des Bundestages beraten und gutachterlich beantworten sollten.304 Außerdem wurden die Stände gebeten, ihre bedeutendsten Theologen zum Schmalkaldener Treffen mitzunehmen.305 Zur inhaltlichen Vorbereitung der Bundestagung und eines möglichen Konzils forderte der Kurfürst Luther erneut auf, theologische Artikel abzufassen, in denen die für ihn sowohl unaufgebbaren als auch verhandelbaren Lehrsätze zusammengestellt sein sollten.

300

AaO. 296,152 f. Wolgast, Theologie, 228. 302 Ausführlicher befassten sich mit der Interpretation des Luthersatzes, der zum Konzilsthema keine zusätzlichen Informationen enthält, WAB 7; 605 und Wolgast, Theologie, 228. 303 WAB 7; 613,4–8 Nr. 3116; MBWT 7; 302,7–11 Nr. 1822 (Kurfürst Johann Friedrich an Luther, Jonas, Bugenhagen, Melanchthon und Cruciger in Wittenberg, Torgau, 11. 12. 1536). 304 Eine Zusammenstellung der Artikel fi ndet sich bei O. Meinardus, Die Verhandlungen des Schmalkaldischen Bundes vom 14.–18. Febr. 1539 in Frankfurt a. M. (FDG 22, 1882, 605–654), 633–636. Vgl. hierzu die kritischen Anmerkungen von Virck, Beratungen, 504 f. 305 Vgl. Bizer, Verständnis, 66 f.; Mentz, Johann Friedrich 2, 110–112; Volz, Artikel, 272 f.; Wolgast, Theologie, 228 f. Das Einladungsschreiben zum Bundestag ist gekürzt abgedruckt bei UA, 79–82 Nr. 1 (Ausschreiben des Kurfürsten Johann Friedrich von Sachsen und des Landgrafen Philipp von Hessen an die Bundesverwandten, Eisenach, 24. 12. 1536). Die politisch-theologischen Gutachten der protestantischen Stände zur Konzilsproblematik hätten eine hier nicht zu leistende Untersuchung verdient. 301

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VII. Die Konzilsthematik im Horizont von Politik und Kirche (1530–1546)

2. Die Schmalkaldischen Artikel (1536/38) Im Rahmen des kursächsischen Konzilsdiskurses von 1536/37 verfasste Luther auf Veranlassung von Kurfürst Johann Friedrich jene bedeutenden Lehrartikel, die seit ca. 1554 die Bezeichnung „Schmalkaldische Artikel“306 führen. Weil die Artikel, die Luther 1538 für den Druck überarbeitet und erweitert hatte, seit 1553 offi ziellen Bekenntnischarakter in den ernestinischen Gebieten erhielten und nach Eingang in verschiedene Kirchenordnungen 1580 schließlich Aufnahme in das Konkordienbuch fanden,307 muss diese konfessorisch-wirkmächtige Lutherarbeit in ihrer mit der Konzilsthematik verbundenen Entstehungssituation näher beleuchtet werden. Obgleich die Artikel aufgrund ihrer Bedeutung als lutherische Bekenntnisschrift vielfach untersucht sind 308 sowie ihre Entstehungsgeschichte relativ gut dokumentiert 309 und durch die Mitte der 1950er Jahre geführte Forschungskontroverse zwischen Ernst Bizer und Hans Volz präzise analysiert ist,310 müs306 Siehe WA 50; (160) 192–254 = BSLK11 (XXIV) 405–468 = Cl 4; 292–320 = StA 5; (327) 344–447. 307 Über die Entwicklung von Luthers „Privatarbeit“ zur evangelisch-lutherischen Bekenntnisschrift vgl. K. Breuer, Art. Schmalkaldische Artikel (TRE 30, 1999, 214–221), 218 f.; Führer, Artikel, 417–432; W.-D. Hauschild, Corpus Doctrinae und Bekenntnisschriften. Zur Vorgeschichte des Konkordienbuches (in: M. Brecht und R. Schwarz [Hg.], Bekenntnis und Einheit der Kirche. Studien zum Konkordienbuch, Stuttgart 1980, 235– 252); R. Schwarz, Lehrnorm und Lehrkontinuität. Das Selbstverständnis der lutherischen Bekenntnisschriften (in: Brecht, Bekenntnis, 253–270); UA, 3 f. 188–229 (Die Entwicklung der Schmalkaldischen Artikel zur Bekenntnisschrift); H. Volz, Luthers Schmalkaldische Artikel und Melanchthons Tractatus de potestate papae. Ihre Geschichte von der Entstehung bis zum Ende des 16. Jahrhunderts, Gotha 1931. 308 Aus den jüngeren Untersuchungen, die u. a. die ökumenische Bedeutung der Artikel in den Mittelpunkt rücken, sei stellvertretend verwiesen auf B. Lohse, Die ökumenische Bedeutung von Luthers Schmalkaldischen Artikeln (in: W.-D. Hauschild, C. Nicolaisen und D. Wendebourg [Hg.], Kirchengemeinschaft – Anspruch und Wirklichkeit. FS für Georg Kretschmar, Stuttgart 1986, 165–175); W. R. Russell, The Smalcald Articles. Luther’s Theological Testament (LuthQ NS 5, 1981, 277–296); Wenz, Theologie 1, 526–549. Hinzuweisen sei auch hier auf das neue Standardwerk von Führer, Artikel, 2009. 309 Siehe die Dokumentensammlung von UA. 310 Die Kontroverse wurde ausgelöst durch die 2. Aufl age der „Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche“ im Jahr 1952, in der Hans Volz seine 1930 verfasste Einleitung unverändert abgedruckt hatte, wogegen sich Bizer, Verständnis (ZKG 67, 1955/56, 61–91) wehrte und gleichzeitig Ders., Wittenberger Theologen (ARG 47, 1956, 77–101) publizierte. Dem widersprach Volz, Artikel (ZKG 68, 1957, 259–286) sowie UA, wogegen Bizer, Noch einmal (ZKG 68, 1957, 287–294) entgegnete. Neue Dokumente präsentierte schließlich Volz, Entstehungsgeschichte (ZKG 74, 1963, 316–320) und Ders., Ein unbekannter Brief des Urbanus Rhegius aus dem Jahre 1537 ( JGNKG 65, 1967, 270 f.). Der wissenschaftliche Disput, der um Genese und Funktion der Schmalkaldischen Artikel geführt wurde, konnte bis heute nicht abschließend entschieden werden. Weitere Studien befassten sich mit der Entstehungsgeschichte der Artikel, von denen Wolgast, Konzil, 137–141 u. ö. eher Bizer zuneigte, während Brecht, Luther 3, 179–185 und Haug-Moritz, Bund, 108– 111 die Position von Volz stärkten. Darüber hinaus äußerten sich u. a. auch Bauer, Artikel

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sen sowohl ihre Genese als auch die Artikel auf ihre von Luther intendierte Funktion für den Konzilsdiskurs hin befragt und auf dem Hintergrund des Bundestages von Schmalkalden reflektiert werden. Methodisch werden die Artikel in der Version von 1536 auf Anklänge an ein mögliches Konzil hin untersucht.311 Hierbei ist Helmar Junghans’ Votum in seiner luziden Einleitung zu den Schmalkaldischen Artikeln in der „Martin Luther Studienausgabe“ zu berücksichtigen, in dem er betonte: „Sowohl die Entstehung der ‚Schmalkaldischen Artikel‘ als auch ihre Verwendung im Rahmen der kursächsischen Kirchenpolitik sind mehrschichtig und wandeln sich, so daß sich ihre Intention nicht eindeutig umschreiben läßt, teilweise sogar strittig ist.“312

2.1. Der kurfürstliche Auftrag Vor dem 3. September 1536 hatte der Kurfürst Luther aufgefordert, er möge ihm sein Herz „der Religion halben als vor sein testament“ eröffnen.313 Altkanzler Brück, der die kurfürstliche Bitte Luther überbracht hatte, meldete seinem Landesherrn, Luther sei allem Anschein nach bereits tätig.314 Nähere Einzelheiten über diesen Sonderauftrag nannten weder Brück in seinem Brief an den Kurfürsten noch Luther, über dessen Reaktion zudem nichts Näheres bekannt ist. Diese Bitte, die Brück von den Ausführungen über die Konzilsthematik im selben Schreiben eigentümlich abhob, dürfte ihren Grund in der Sorge des Kurfürsten vor Luthers Tod gehabt haben. Dessen Gesundheitszustand im Frühjahr 1536315 hatte Johann Friedrich mit einem möglichen Ableben des Reformators konfrontiert, durch den er theologisch und frömmigkeitspraktisch (in: Der Schmalkaldische Bund, 65–88); K. Hagen, The historical context of the Smalcald Articles (CTQ 51, 1987, 245–253). Einen ausgewogenen Überblick bietet Helmar Junghans in seiner Einleitung StA 5; 327–343. Weiterführende Literatur vgl. Breuer, Artikel, 219– 221; BSLK11 1226–1228; StA 5; 341–343; WA 60; 131–134. 311 Zu der im Rahmen dieser Studie nicht vorzunehmenden Analyse und Interpretation des dogmatischen Gehaltes der Schmalkaldischen Artikel vgl. u. a. F. Lau, Luthers Schmalkaldische Artikel als Einführung in seine Theologie (ZThK 18, 1937, 289–307); K. Schwarzwäller, Rechtfertigung und Ekklesiologie in den Schmalkaldischen Artikeln. Eine dogmatische Studie (KuD 35, 1989, 84–105); Führer, Artikel, 73–401. 312 StA 5; 327. 313 CR 3, 147; UA, 19,12 f. 314 Die Passage aus dem Brief Brücks an Friedrich vom 3. September (CR 3, 146–156) lautete nach UA, 19,7–13: So hab ich [Brück] doctori Martino den credencz brieff, so mhir E. churf. g. negst zugestelt, auch vberantwordt vnd darauff E. churf. g. beuhelich mit ime geredt, Der hadt sich alles gehorsams erbotten. Mich dunkt auch, er sey schon in guther arbeidt, E. churf. g. sein hercz der Religion halben als vor sein testament zueroffenen. – Gegen Bizer, Noch einmal, 287 f., der den Testamentscharakter problematisiert. 315 Siehe WAB 7; 372,16 f. Nr. 2298 (Luther an Nikolaus Hausmann in Dessau, [Wittenberg,] 11. 3. 1536); aaO. 405,17–20 Nr. 3018 (Luther an Johann Brießmann in Königsberg, [Wittenberg,] 1. 5. 1536). Vgl. zu Luthers Krankheiten: E. Mülhaupt, Luthers Kampf mit

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VII. Die Konzilsthematik im Horizont von Politik und Kirche (1530–1546)

persönlich tief geprägt worden war, und die Frage aufwerfen lassen, wie ein Fortbestehen der reformatorischen Kirche ohne den als Leitfigur wahrgenommenen Luther möglich sei.316 Da eine vergleichbare theologische Autorität in der evangelischen Bewegung nicht vorhanden war und außerdem die innerevangelischen Spannungen u. a. im Abendmahlsverständnis trotz der „Wittenberger Konkordie“ nicht zur Ruhe kamen, erschien es notwendig, von Luther ein Bekenntnis für die Nachwelt und für eine mögliche Lehrfi xierung zu erbitten.317 Diese kurfürstlichen Überlegungen wurden Luther spätestens Ende August mitgeteilt. Ein unmittelbarer Zusammenhang mit der Konzilsthematik schien hier noch nicht zu bestehen.318 Denn zeitgleich mit dem Sonderauftrag an Luther richtete Brück das kurfürstliche Begehren, zweierlei Arten von Lehrartikeln – solche, die als unveränderlich zu behaupten seien, und solche, die Verhandlungsspielraum signalisierten – für ein eventuell bibelorientiertes Konzil aufzustellen, an alle Wittenberger Theologen.319 Anfang Dezember verknüpfte der Kurfürst in dem „Gedenkzettel“320 den von seinen Theologen bisher nicht erfüllten Wunsch nach Abfassung der konder Krankheit (in: Ders., Luther im 20. Jahrhundert, 61–67); H.-J. Neumann, Luthers Leiden. Die Krankheitsgeschichte des Reformators, Berlin 1995. 316 Die außerordentliche Wertschätzung, die Luther auch 1536 seitens seines Kurfürsten genoss, sollte bei jenem u. a. von Leppin, Luther, passim (z. B. „Der Reformator am Rande der Reformation“) unterstützten Forschungstrend berücksichtigt bleiben, welcher Luther seit 1525 zur marginalen Figur im Reformationsprozess stilisiert. Auch wenn es in den 1530er Jahren zu Spannungen zwischen dem kurfürstlichen Hof und Luther kam, Luther aufgrund der über ihn verhängten Reichsacht und zunehmend gesundheitlichen Problemen in seinem örtlichen Aktionsradius beschränkt war und mit einer wachsenden innerprotestantischen Gegnerschaft zu kämpfen hatte, blieb Luther die zentrale protestantische Lehrautorität, dessen theologische Einwände und Urteile gehört wurden. 317 Vgl. Volz, Artikel, 260–262; UA, 19 f. Anm. 7; Helmar Junghans in StA 5; 327 f. Möglicherweise orientierte sich der Kurfürst hierbei an dem testamentarischen Bekenntnis von Luther aus dem Jahr 1528, welches dieser an die große Schrift „Vom Abendmahl Christi“ (WA 26; [241] 261–509 = Cl 3; 352–516 = StA 4; [13] 25–258) angefügt hatte. Siehe Luthers Einleitung WA 26; 499,1/15–500,9/26; StA 4; 245,4–246,4. Vgl. G. Wenz, „Das ist mein Glaube . . .“ (WA 26,509,19). Luthers Großes Bekenntnis von 1528 (WA 26,499–509), in: Ders., Lutherische Identität Bd. 1: Studien zum Erbe der Wittenberger Reformation, Hannover 2000, 9–34. 318 In dem Schreiben an seinen Landesherrn informierte Gregor Brück zuerst über einen an Bugenhagen übergebenen Auftrag und darauf über den übermittelten, aber nicht mehr erhaltenen ‚Credenzbrief ‘ an Luther. Erst danach folgte die ausführliche Berichterstattung über die Konzilsberatungen. Siehe CR 3, 146 f.; UA, 18,1–20,16. 319 CR 3, 155 f.; UA, 21,17–39. Weil Brück zum einen den Sonderauftrag an Luther seinen umfangreichen Ausführungen über das Konzil unverbunden voranstellte, zum anderen während der Skizzierung der kurfürstlichen Konzilspolitik nicht noch einmal den Auftrag Luthers erwähnte und zum dritten für den Fall eines freien Konzils von allen Wittenberger Theologen Artikel forderte, ist eine auf das Konzil konzentrierte Perspektive des Sonderauftrages nicht nachvollziehbar. 320 Hierzu siehe oben, Kapitel VII § 19.1.3. Über die Funktion des „Gedenkzettels“, dessen Inhalt den Theologen höchstwahrscheinlich mitgeteilt wurde, sowie über die Witten-

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ziliaren Lehrartikel mit dem nur an Luther gerichteten Sonderauftrag, sein theologisches Testament abzufassen, so dass er die beiden Aufträge jetzt allein in Luthers Verantwortung stellte.321 Dem Reformator empfahl er, die von ihm gelehrten, gepredigten und geschriebenen Artikel niederzuschreiben, von denen jener sowohl vor einem Konzil als auch in seiner Todesstunde und vor dem Gericht Gottes nicht abrücken wolle.322 Außerdem möge Luther die Artikel kenntlich machen, in denen er „vmb Christlicher lieb willen, doch ausserhalben vorleczung gottes vnd seines worts, die nicht notigk weren, etwas konte ader mochte nachgegeben werden.“323 Dieser hier vom Kurfürsten zusammengefasste doppelte Abfassungsauftrag, einerseits ein gutachterliches Lehrdokument für das Konzil herzustellen, andererseits ein persönliches Glaubensbekenntnis vorzulegen, sollten den von Luther ausgearbeiteten Schmalkaldischen Artikeln ihren zwischen privater Bekenntnisschrift und offi ziellem Lehrdokument oszillierenden Charakter geben.324 Weil die sich in den Artikeln widerspiegelnde Mehrdimensionalität bereits in den kurfürstlichen Überlegungen vorgeprägt war und eine Gestaltungsfreiheit gegenüber der jeweiligen kirchenpolitischen Situation ermöglichte, war es unvermeidlich, dass in der Forschung – bei monokausaler Betrachtungsweise – Differenzen auftreten mussten.325 berger Konzilsberatungen und Diskurse informieren die vorliegenden Quellen nur unvollständig. 321 Vgl. Volz, Artikel, 264. Bizer, Verständnis, 66; Ders., Noch einmal, passim ist nach einer Quellenkonsultation zu widersprechen, wenn er die kurfürstlichen Absichten zur Abfassung der Artikel ausschließlich mit der Verhandlungsgrundlage für ein Konzil oder Gegenkonzil erklärte, den an Luther gerichteten über das Konzil hinausgehenden Testamentsoder Bekenntnisauftrag aber nicht anerkennen wollte. 322 UA, 23,11–18: So wil demnach [CR 3, 140: dennoch] hoch von noten sein, das doctor Marthinus sein grundt vnd meynung mit gotlicher schriefft vorfertige, worauf er in allen Artickeln, Die er bishere geleret, geprediget vnd geschrieben, vff ainem Concilio, auch in seinem leczten abeschied von dieser welt fur gottes allemechtigen gericht gedenkt zuberuhen vnd zupleiben vnd dorinnen an vorleczung gotlicher Maiestet, Es betreff gleich leib ader guet, friden ader vnfriden, nit zuweichen. – Die Wiedergabe richtet sich in diesem Abschnitt nach der präziseren Edition von UA, 22–26 und nicht nach CR 3, 139–144. 323 UA, 23,19–22. 324 Vgl. WA 50; 161. Dass Luther die Artikel als sein persönliches Zeugnis und theologisches Vermächtnis ansah, verdeutlicht die Schlussbemerkung im Manuskript, die auch in die Druckfassung von 1538 Eingang fand, WA 50; 252,10–16: Dis sind die Artikel darauff ich stehen mus, und stehen wil, bis inn meinen tod, ob Gott wil, Und weis darinne nichts zu endern noch nachzugeben, Wil aber imand etwas nachgeben, das thue er auff sein gewissen. – Siehe auch UA, 68,15–18. Durch dieses persönliche Bekenntnis wurden die Artikel keineswegs privatisiert, sondern als öffentliches Lehrdokument authentifi ziert. Zuzustimmen ist Führer, Artikel, 23–25, der die doppelte Ausrichtung der Artikel als Gattungsmerkmal der Schmalkaldischen Artikel interpretiert. 325 Somit dienten die Artikel nicht allein als Grundlage für eventuelle Konzilsverhandlungen, sondern konnten darüber hinaus auch als lutherischer Bekenntnistext rezipiert werden und einer „innerevangelischen Normierung“ dienen. Vgl. StA 5; 328. Für die Bewertung von Luthers Artikeln siehe auch Bauer, Artikel, 86–88.

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Der Kurfürst legte sodann das weitere Verfahren dar: Die Artikel müssten bis zum 25. Januar 1537 fertiggestellt und den Wittenberger Theologen zur Begutachtung vorgelegt sein. Diese hätten ehrlich und ohne Rücksichtnahme auf die Autorität Luthers ihre Meinung zu äußern und mögliche Abweichungen begründet anzuzeigen. Darauf hin sollten die Artikel in lateinischer und deutscher Sprache ausgefertigt und von den anwesenden Theologen einmütig unterschrieben werden.326 Schließlich müssten die Artikel auf dem nächsten Bundestag allen Religionsverwandten vorgelegt und beraten werden, worin „man aintrechtigklich vnd ain mutigk zupleiben willens“327 entschlossen sei.328 Dass sie auch für das vom Kurfürsten projektierte Gegenkonzil als Bekenntnisvoraussetzung dienen sollten, hob der Kurfürst ausdrücklich hervor.329 Da die Theologen in ihrem Dezembergutachten zur Konzilsthematik diesen Punkt ausgespart hatten,330 richtete sich Johann Friedrich nach Erhalt des Gutachtens jetzt in einem Brief vom 11. Dezember direkt an die Wittenberger Theologen.331 Hierin erteilte er Luther nun offi ziell den Befehl, er möge die erbetenen Punkte und Artikel „der cristlichen lere und religion hal[ben]“ anfertigen.332 Nachdem der Kurfürst noch einmal das Verfahren mit dem erweiterten Wunsch, Nikolaus von Amsdorf, Johann Agricola und andere Prediger und Gelehrte des Kurfürstentums zur Begutachtung der Artikel hinzuzuzie-

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Siehe UA, 23,25–24,47. AaO. 25,62 f. 328 Siehe aaO. 24,48–25,64. Inwiefern der kurfürstliche „Gedenkzettel“ den Theologen schriftlich vorlag oder durch den Vortrag Brücks vermittelt worden war, ist nicht mehr eindeutig zu klären. Jedenfalls war Luther durch Brück von dem erneuten Auftrag informiert worden. 329 AaO. 25,62–67; Wan man sich nu der Artickel, Darauff man aintrechtigklich vnd ain mutigk zupleiben willens, entschlossen, Als dan zu got dem Almechtigen zuuerhoffen ist, So solt weiter darauf daruon geredt werden, Mit was form, beschaidenheit [d. h. Bestimmung], maß vnd gestalt von vnserm teil ain gemain, frey, Christlich Concilium auszuschreiben sein solt. – Über die Idee des protestantischen Gegenkonzils siehe oben, Kapitel VII § 19.1.3. Diesen Aspekt übersieht Führer, Artikel, 12 f. 330 Siehe MBWT 7; 292,15–293,21. 331 MBWT 7; (301) 302 f. Nr. 1822; WAB 7; (612) 613 f. Nr. 3116; UA, 26–29 Nr. 5 (Kurfürst Johann Friedrich an Luther, Jonas, Bugenhagen, Melanchthon und Cruciger in Wittenberg, Torgau, 11. 12. 1536). 332 MBWT 7; 302,11–22: Weil dan der r[atschlag]k der cristlichen lere und religion hal[ben, wie] weit und in welchen artickeln und stucken vo[n friden]s und einigkeit wegen zu weichen und nachzugeben sein mochte ader nit, noch gestelt werden sal, so ist unser genedigs begeren, ir, doctor Martinus, wollet die selbigen punckt und artickel vor die handt nhemen und euer bedencken allenthalben stellen, was und wie weith, das es kegen goth zuvorantwortten und mit guten gewissen umb cristlicher liebe willen zu erhaltung fridens und einigkeit in der cristenheit, nachzulassen und zu weichen, auch worauf des bapstumb halben und seiner gewalt und angemasten vicariat Christi auff die artikel, so formals von euch geleret, geschrieben und geprediget, endtlich zu beruhen und zu vorharren sein wil ader nit. – Siehe auch UA, 27,16–30; WAB 7; 613,8–19. 327

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hen, skizziert hatte,333 betonte er, diese Sache sei mit höchstem Fleiß und mit Geheimhaltung zu behandeln.334 Spätestens unmittelbar nach dieser schriftlichen Aufforderung ging Luther an die Niederschrift der Artikel.335 Bereits am 15. Dezember lud er die Wittenberger Theologen sowie Amsdorf aus Magdeburg, Agricola aus Eisleben und Spalatin aus Altenburg ohne nähere Erläuterungen über den Grund der Zusammenkunft, aber mit dem Hinweis auf strikte Geheimhaltung und Rückerstattung der Reisekosten durch den Kurfürsten für den 28. Dezember nach Wittenberg ein.336 Auf eine Begebenheit muss im Zusammenhang mit dem kurfürstlichen Auftrag noch aufmerksam gemacht werden, da sie einen Eindruck von Luthers sonst kaum bekannter Auseinandersetzung mit der Konzilsthematik Anfang Dezember 1536 vermittelt. In dem Briefentwurf des Kurfürsten vom 11. Dezember richtete sich eine nicht in die Ausfertigung übertragene Passage an Luther.337 Der Kurfürst knüpfte dort an eine Unterredung mit dem Reformator während seines Wittenberger Aufenthalts Anfang Dezember an, in der Luther geäußert hatte, eine Schrift über die Konzilsthematik anfertigen zu wollen.338 333 Bauer, Artikel, 81 f. bringt die vom Kurfürsten ausdrücklich genannten Theologen Amsdorf und Agricola mit den Lehrstreitigkeiten innerhalb der kursächsischen Theologenschaft in Verbindung, welche unter den Stichworten „Cordatus-Streit“ oder „Visitationsartikel-Streit“ bekannt wurden. Aus dieser Beobachtung folgert Bauer, dass der Kurfürst offensichtlich alle „Fraktionen“ der führenden Theologen vertreten wissen wollte. M. E. scheint es aber eher wahrscheinlich, dass der Kurfürst die prominentesten und einflussreichsten Theologen seines Kurfürstentums versammeln wollte, zu denen Amsdorf und Agricola zählten. Zum Cordatus-Streit vgl. Führer, Artikel, 32–40. 334 MBWT 7; 302,22–303,44. Der von Wolgast, Konzil, 139 erhobene Einwand, dass durch das signalisierte abschließende Eingreifen des Kurfürsten „der Charakter eines persönlichen Lehrtestaments Luthers“ nicht mehr gegeben war, muss anders gewichtet werden. Luther erhielt gerade für die Theologenzusammenkunft die kurfürstlichen Vollmachten der Einberufung und Durchführung und somit die gesamte Autorität. Mögliche Einwände seitens der beratenden Theologen sollten dem Kurfürsten zwar angezeigt werden, bedeuteten aber keineswegs, dass er sie in Luthers Text eintragen lassen wollte. Vielmehr zielte der Beratungsprozess der Artikel auf einen Konsens, der durch Unterschrift angezeigt werden sollte. 335 Siehe auch WAT 3; 361 f. Nr. 3502; UA, 29 f. Nr. 1 (Tischrede vom 12. 12. 1536). Vgl. WA 50; 173. 336 WAB 7; 614 f. Nr. 3117 (Luther an Johann Agricola in Eisleben, [Wittenberg,] 15. 12. 1536); aaO. 615 Nr. 3118 (Luther an Spalatin in Altenburg, [Wittenberg, 15.[?]12. 1536]). Der Brief an Nikolaus von Amsdorf fehlt, vgl. UA, 30 Nr. 2a sowie zu den übrigen Briefen aaO. 31–33. 337 Den Originalentwurf, welcher durch Mäusefraß stark beschädigt wurde, rekonstruierten Clemen in WAB 7; 614 Anm. 7 und UA, 28,57–29,65. Nach letzterem richtet sich die Zitation. 338 AaO. 28,57–29,62: Wo auch ir Doctor Martinus vor euch selbst hiriber ethwas zustellen vnd zuuorfertigen auf das Concilium bedacht, wie wir dan negst [d. h. kürzlich] von [euch ver]marckt, Das stehet in euerm gefallen, V[nd zweife]ln nit, ir werdet diese dinge alle, [1/4 Zeile fehlt w]ichtigk sein dohin zurichten wissen, [. . .].

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VII. Die Konzilsthematik im Horizont von Politik und Kirche (1530–1546)

Dieses vom offi ziellen Auftrag zu unterscheidende Vorhaben, zu welchem ihn Johann Friedrich explizit ermutigte, stellt den ersten Beleg für Luthers Überlegungen hinsichtlich einer ausführlichen Konzilsschrift dar. Obgleich das Projekt nicht näher erläutert und aufgrund von Luthers desolatem Gesundheitszustand 1536/37 nicht realisiert wurde, dürften hier die ersten Anklänge an die später realisierte Schrift „Von den Konziliis und Kirchen“ zu fi nden sein. Folglich hatte Luther spätestens im Dezember 1536 den Gedanken erwogen, sich umfangreicher zur aktuellen Diskussion über das Konzil zu äußern, und – wie an der Publikation der Hus-Briefe verdeutlicht – begonnen, Material über historische Konzilien zu sammeln.339 In diesem Zusammenhang riet der Kurfürst Luther, er möge in seiner Schrift das Konzil und den Papst „ethwas herter“ angreifen.340 Mit diesem allerdings nicht an Luther abgesandten Votum suchte der Kursachse seinen Theologen von einer umsichtigen diplomatischen Rücksichtnahme abzubringen und für den von Luther bekannten polemischen Schreibstil gegen Papst und Konzil zu gewinnen.341

2.2. Das Konzilsthema in den Artikeln und in der Vorbereitung des Bundestages Trotz seiner am 18. Dezember beginnenden Herzschmerzen, welche ihn zwangen, seine Arbeiten einzuschränken 342 und Cruciger sowie Agricola die restlichen Artikel zu diktieren – die Schreibertätigkeit des letzteren wurde von der Forschung bisher übersehen –,343 konnte Luther zu Beginn der geheimen The339 Siehe z. B. WAT 3; 361,10–14; UA, 29,1–5. Luther erhielt hiernach am Abend des 12. Dezember von Bugenhagen ein umfangreiches Buch über das Konstanzer Konzil, welches er noch abends „continua lectione“ studierte. Hierbei handelte es sich um eine in Augsburg Anfang Dezember 1536 hergestellte Neuaufl age der 1483 von Ulrich von Richenthal verfassten Chronik „Das Concilium, so zu Constantz gehalten ist worden“. Vgl. Schäfer, Luther, 474 f. Nr. 57; WA 50; 19. Luther erwähnt es u. a. WA 50; 38,7 f. 340 UA, 29,62–65: Ob Ir aber das Conc[ilium vnd den b]abst in dem selbigen schreiben, so ir [itzo] z[u]thun willens, ethwas herter ant[zugreifen] vormeynet, Das stellen wir zu ew[erm be]dencken. 341 Vgl. StA 5; 329. Zur Einbettung der polemischen Fähigkeit Luthers in die Politik des Schmalkaldischen Bundes durch Philipp von Hessen und Johann Friedrich von Sachsen vgl. Edwards, Last battles, 163–202 u. ö. 342 Die am 18. und 19. Dezember auftretenden Herzattacken, die Luther an der Arbeit hindern und ihn bis Mitte Januar schwächen sollten, dürften dem Reformator den testamentarischen Charakter seiner Artikel und dessen Verantwortung vor Gottes Richterthron ins Bewusstsein gerufen haben. Über die Krankeit vgl. WAT 3; 369 Nr. 3510a-3511; aaO. Anm. 3; WA 48; 554,29 f. Nr. 3511; WAT 5; 475 Nr. 6079; UA, 33–35 Nr. 3. 343 In dem überlieferten und mittlerweile digitalisierten Originalmanuskript (Universitätsbibliothek Heidelberg, Cod. Pal. Germ. Nr. 423; http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/ cpg423 [eingesehen am 28. 12. 2008]) lassen sich unterschiedliche Schreiber ausmachen. Während Luther bis zu seiner am 18. Dezember einsetzenden Herzkrankheit die ersten vier

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ologenkonferenz in seinem Haus am 28. oder 29. Dezember das geforderte Werk vorlegen.344 Formal hatte er seine Schrift in drei Teile gegliedert, die in Entsprechung und Ergänzung des landesherrlichen Auftrages die theologischen Vergleichspunkte gegenüber den Altgläubigen markierten, welche im Konzil thematisiert würden. Während der erste Teil die Artikel enthielt, über die zwischen den Parteien kein Streit herrsche (dies hatte der Kurfürst nicht explizit angefordert),345 führte der zweite Teil Artikel an, in denen nicht nachgegeben werden könne.346 Der dritte Teil nannte jene Punkte, über die mit gelehrten und gewissenhaften Menschen eine Verständigung möglich sei.347 Zwar hatte Luther durch die äußere Gliederung die Konzilssituation anvisiert, aber die Punkte nicht ausschließlich auf eine konziliare Auseinandersetzung mit den Altgläubigen fokussiert, sondern auch, wie die Einleitung zum dritten Teil zeigt, mit Blick auf die innerprotestantischen Differenzen abgefasst.348 Inhaltlich handelte der erste Teil von den „hohen artikeln der Gottlichen Maiestet“,349 d. h. der Trinität und der Menschwerdung des Sohnes Gottes. Im Artikel ausführlich und detailliert behandelt hatte, stammten ab dem Artikel „Vom Evangelio“ (Blatt 17r unten) die übrigen, kürzeren Artikel von zwei sich abwechselnden Schreibern, von denen eine Handschrift Caspar Cruciger zugeschrieben werden konnte. Vgl. WA 50; 188–191; aaO. 60; 134–139; StA 5; 335–338; UA, 35 Anm. 1; R. Wetzel, Caspar Cruciger als ein Schreiber der „Schmalkaldischen Artikel“ (LuJ 54, 1987, 84–93). Weil Veit Dietrich mit Führer, Artikel, 362 als Schreiber ausscheidet, ist folgende These wahrscheinlich: Der von der Forschung bisher noch nicht identifi zierte zweite Schreiber, der auf Luthers Diktat hin die Artikel „Von der Weihe vnd Vocation“, „Vonn der priester ehe“ und „Von der kirchen“ verfasste (UA, 65,8–67,2; StA 5; 432,8–436,10), war kein geringerer als Johann Agricola! Da Agricola seit dem 20./21. Dezember mit seiner Familie in Luthers Haus wohnte und sich erboten hatte, Luther zu Diensten zu gehen, legt sich seine Schreibertätigkeit nahe. Entgegen der Behauptung von WA 60; 135, die Schreiber gehörten „auf keinen Fall dem Freundeskreis des Reformators“ an, muss daran erinnert werden, dass Luther in seinen Einladungsschreiben zur Theologenkonferenz auf höchste Geheimhaltung gedrängt hatte. Folglich wird ein Eingeweihter – Agricola – mit der Aufgabe beauftragt worden sein. Bestätigt wird diese These durch einen Handschriftenvergleich mit G. Mentz, Handschriften der Reformationszeit, Bonn 1912, 14. 344 Die vorgelegte handschriftliche Urfassung ist rekonstruiert bei UA, 35–69,7 Nr. 4 und textkritisch redigiert in StA 5; 350–442,8 (Handschrift). Die Heidelberger Originalhandschrift hatten bereits die Herausgeber von WA 50; 192–253,4 parallel zur Druckfassung von 1538 ediert. 345 UA, 37,23–25 (= StA 5; 354,8–10): Diese artickel sind ynn keinem zanck noch streit, weil wir zu beiden teilen die selbigen (gleuben vnd) bekennen. Darumb nicht von noten, itzt dauon weiter zu handeln. – Der erste Teil der Artikel siehe UA, 37,4–22 = StA 5; 352,1– 354,7. 346 UA, 37,26–49,14 = StA 5; 354,11–388,7. 347 UA, 49,15–19: Folgende stuck oder artickel mugen [wyr] mit gelerten, vernunfftigen oder vnter vns selbs handeln. [. . .] Denn der Bapst vnd sein reich achten der selben nicht viel. Denn Conscientia ist bey yhn nichts, sondern gelt, ehr vnd gewalt. – Siehe auch StA 5; 388,8–11. Die Artikel folgen UA, 49,20–68,14 = StA 5; 388,12–440,12. 348 UA, 49,16. 349 AaO. 37,5.

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VII. Die Konzilsthematik im Horizont von Politik und Kirche (1530–1546)

zweiten Teil, den er explizit in die apologetische Situation vor dem Forum des Konzils eintrug, formulierte Luther Lehrsätze über das Amt und Werk Christi sowie die Erlösung, welche er in vier Artikel unterteilte. Vom christologisch-rechtfertigungstheologischen Haupt- und Grundartikel ausgehend, kritisierte er im zweiten Artikel die Messe mit ihren Folgemissständen. Über sie urteilte der Reformator mit Blick auf mögliche Konzilsverhandlungen: „Dieser artickel von der Messe wirds gantz vnd gar sein ynn Concilio, Denn wo es muglich were, das sie vns alle andere artickel nachgeben, So konnen sie doch diesen artickel nicht nachgeben“. 350

Die Ernsthaftigkeit dieses zentralen Kontroverspunktes untermauerte Luther mit dem Hinweis auf Kardinal Campeggio, der während der Augsburger Verhandlungen 1530 bekannt hatte, lieber sterben zu wollen, als „die Messe“ fahren zu lassen.351 Gleiches bekannte Luther, wenn er unterstrich, eher sein Leben zu lassen, als einem „Messeknecht“ mit seinem Werk über Christus zu dulden.352 Hieraus folgerte er in unmissverständlicher Deutlichkeit und jegliche Ausgleichsbemühungen an diesem Punkt ausschlagend: „Also sind vnd bleiben wir ewiglich gescheiden vnd widernander. Sie [d. h. die Papstanhänger] fulens wol, wo die messe fellet, so ligt das Bapstum. Ehe sie das lassen geschehen, so todten sie vns alle.“353

Nach einem Artikel über Klöster und Stifte sowie einem äußerst scharfen Artikel gegen das Papsttum und dessen Primatsanspruch resümierte Luther hinsichtlich des Konzilsverfahrens: „An diesen vier artickeln werden sie gnug zu verdammen haben ym Concilio. Denn sie nicht das geringst geliedlin von der artickel einem vns lassen konnen noch wollen. Des mussen wir gewis sein [. . .].“354

Sodann vollzog Luther eine Bewertung, die in der Forschung bisher kaum beachtet worden ist: Er charakterisierte eigenhändig das zeitgenössisch ausgeschriebene Konzil, über dessen Art und Weise er keinen Zweifel ließ. Es handelte sich nicht um ein Verhör durch Kaiser und weltliche Obrigkeiten, welches er mit Hinweis auf die Augsburger Verhandlungen von 1530 entsprechend seiner kaiserfreundlichen Pragmatik würdigte,355 sondern um ein päpstliches Kon350

AaO. 40,20–23. Die Aussage des römischen Nuntius Lorenzo Campeggio während der Augsburger Ausgleichsverhandlungen erwähnte Luther darüber hinaus in WA 30,3; 311,23–26 = Cl 4; 221,4–7; WA 30,3; 352,12–14/25–28; aaO. 362,29–31; WAT 3; 361,21–362,3 Nr. 3502; aaO. 577,24 f. Nr. 3732. 352 UA, 40,23–28. 353 AaO. 40,28–41,3. 354 AaO. 48,33–49,1. 355 AaO. 49,5–8: Denn ym Concilio werden wir nicht fur dem keiser oder weltlicher 351

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zil mit dem Papst als Richter über die protestantische Lehre, das er durch die Worte skizzierte: Vor „dem Bapst vnd dem Teuffel(s) selbs werden wir da stehen, der nichts gedenckt zu horen, Sondern schlechts [d. h. kurzerhand] verdammen, morden vnd zur abgotterey zu zwingen. Darumb mussen wir hie nicht seine fusse kussen oder sagen, Ihr seyd mein gnediger herr, Sondern (mit Sachar) wie ynn Zacharia der Engel zum Teuffel sprach [Sach 3,2], Straffe dich Gott, Satan. (Pfu dein mal an.)“356

Mit dieser knappen, aber klaren und polemischen Beurteilung des Konzils und dessen Verhandlungen wiederholte Luther seine Einschätzung, dass es auf einem Konzil zu keiner Einigung mit der Papstkirche kommen werde, sondern die Verdammungsurteile gegen die Evangelischen lediglich erneuert würden. Die versammelten Theologen berieten aufgrund von Luthers weiterhin schlechtem Gesundheitszustand an mehreren Tagen über die Artikel, zu denen auch der dritte Teil mit seinen fünfzehn Artikeln zählte.357 Sie wurden geringfügig verändert und durch den Satz „Vom Anrufen der Heiligen“ ergänzt,358 während Luther drei weitere, von Melanchthon eingebrachte Artikel ablehnte,359 die einerseits auf Ausgleich mit der römischen Kirche zielten („Vom hochwirdigen Sacrament“, „Von den adiaphoris vnd gemeinen stucken“),360 andererseits an die protestantischen Fürsten gerichtet waren („Von der Ordination vnd weihe“).361 Dass die Artikel unter den anwesenden Theologen besonders in der Beurteilung der Rolle des Papstes heftig umstritten waren, veranschaulicht Melanchthons Vorbehalt, den er bei seiner Unterschrift mit den Worten formulierte:

oberkeit (wie zu Augspurg), der gantz ein gnedigs ausschreiben thet vnd ynn der gute lies die sachen verhoren [. . .], [stehen]. 356 AaO. 49,8–14. Über die „adoratio“ des Papstes durch Niederknieen und Fußkuss der Gläubigen bei einer Papstaudienz vgl. BSLK11 433 Anm. 2; StA 5; 389 Anm. 455. Luther kritisierte diese Praxis häufiger, indem er 1520 den Papst mit dem Füße waschenden Christus kontrastierte, WA 6; 435,25–436,3. Siehe u. a. WA 9; 703; WA 50; 78,3 f. 87,24–88,2. 357 Der dritte Teil handelte von der Sünde, vom Gesetz, von der Buße, vom Evangelium, von der Taufe, vom Sakrament des Altars, von den Schlüsseln, von der Beichte, vom Bann, von der Weihe und Berufung ins geistliche Amt, von der Priesterehe, von der Kirche, von der Gerechtigkeit vor Gott und den guten Werken, von Klostergelübden und zum Schluss von Menschensatzungen. Siehe UA, 49,20–68,14. 358 AaO. 70 f. Nr. 6 (Der auf der Wittenberger Theologenkonferenz in Luthers Manuskript eingefügte Artikel: „Von den Heiligen anruffenn“). 359 CR 3, 234–236 Nr. 1515; MBWT 7; 319 f. Nr. 1831; UA, 71–73 Nr. 7 (Die drei von Luther auf der Wittenberger Theologenkonferenz abgelehnten zusätzlichen Artikel). Zu den Hintergründen vgl. aaO. 71 Anm. 1. 360 UA, 72,9–30. 73,46–52. 361 AaO. 73,31–45. Über die von Melanchthon vorgetragene Ergänzung hinsichtlich einer Vereinheitlichung der gesamtprotestantischen Ordinationspraxis sowie deren positive Rezeption durch den Kurfürsten vgl. Krarup, Ordination, 234–239. Zu möglichen Kontroversen auf der Theologenkonferenz vgl. Führer, Artikel, 41–44.

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VII. Die Konzilsthematik im Horizont von Politik und Kirche (1530–1546)

„Vom Bapst aber halt ich, so ehr das Euangelium wolte zulassen, das yhm vmb fridens vnd gemeiner Einikeit willen der jenigen Christen, so auch vnter yhm sind vnd kunfftig sein mochten, sein Superioritet vber die Bischoue, die ehr hatte iure humano, auch von vns zuzulassen (vnd zugeben) sey.“362

Diese kontroverse Haltung gegenüber Luther in der Papstfrage, die der Kurfürst zugunsten Luthers entschied,363 sollte Melanchthon wenige Wochen später in Schmalkalden ausgearbeitet haben und wirkmächtig vortragen.364 Nach der Beratung, die bis zum 2. oder 3. Januar dauerte, wurden die Artikel von Spalatin in Reinschrift gebracht,365 von den anwesenden acht Theologen Luther, Jonas, Bugenhagen, Cruciger, Amsdorf, Spalatin, Melanchthon und Agricola unterzeichnet 366 und mit einem Geleitbrief von Luther am 3. Januar 1537 durch Spalatin dem Kurfürsten zugesandt.367 Dieser zeigte sich in seinem eigenhändig formulierten Dankesbrief außerordentlich erfreut über Luthers so „christlich, rein vnd lauter“368 angefertigtes Werk.369 Gegenüber Brück entfaltete der Kurfürst am 9. Januar 370 ohne explizite Betonung des Konzils den Plan, möglichst zahlreiche kursächsische Prediger zur Rezeption und Anerkennung von Luthers Artikeln zu bewegen, einerseits, um die Bundesgenossen in Schmalkalden zu beeindrucken und zu einer einheitlichen Linie in den Lehrfragen zu bewegen,371 andererseits, um eine dauerhafte Verpfl ichtung der kursächsischen Prediger auf die lutherische Lehre zu gewähr362 UA, 75,8–14. Siehe auch StA 5; 444,1–4; MBWT 7; 322 f. Nr. 1833 (Sondervotum, Wittenberg, 2./3. 1. 1537). 363 WAB 8; 5,59–6,70 Nr. 3125 siehe auch UA, 86,76–87,92 (Kurfürst Johann Friedrich an Luther, [Torgau oder Lochau], 7. 1. 1537). Johann Friedrich würdigte zwar Melanchthons Friedensabsicht, wies aber Zugeständnisse in der Frage des Papstprimats aus theologischen und sicherheitspolitischen Gründen entschieden zurück. 364 Siehe unten, Kapitel VII § 19.2.3. 365 Vgl. UA, 73 f. Nr. 8 (Spalatins Abschrift der Lutherischen Artikel); StA 5; 335; WA 50; 188–190. 366 Die Unterschriftenliste siehe bei StA 5; 442,9–444,5; WA 50; 253,5–16; UA, 75 Nr. 9. Zur Rechnung über die Reisekosten zur Wittenberger Theologenkonferenz für Amsdorf, Spalatin und Johann Agricola vgl. aaO. 77 f. Nr. 11. 367 WAB 8; 2 f. Nr. 3124 = UA, 76 f. Nr. 10 (Luther an Kurfürst Johann Friedrich, [Wittenberg,] 3. 1. 1537). 368 WAB 8; 4,8 siehe auch UA, 84,10 f. 369 Der gesamte, umfängliche Dankesbrief vom 7. Januar ist abgedruckt: WAB 8; 4–6 Nr. 3125; UA, 83–87 Nr. 3. Den Brief erwähnte Luther – entgegen Clemen (WAB 8; 4 Vorbemerkung) – lobend in einer auf den 14. Januar datierten Tischrede (WAT 3; 383,6–11 Nr. 3537). Vgl. Volz, Artikel, 269–271. 370 Vgl. Virck, Beratungen, 510–512. Genauer, aber nicht vollständig abgedruckt bei: UA, 87–91 Nr. 4 (Kurfürst Johann Friedrich an Kanzler Gregor Brück, Lochau, 9. 1. 1537). 371 AaO. 88,19–89,40. Die Begründung für die Unterschriftenaktion, die – außer bei dem Torgauer Pfarrer Gabriel Zwilling – aus unbekannten Gründen nicht durchgeführt wurde, lautete, aaO. 89,37–40: Dan wir bedenken, das solchs bey den andern gelerten ain ansehen wurde haben, Solten auch souiel ehe (des Radschlags vnd) der Artickel mit eynigk werden etc.

§ 19 Die lutherische Reaktion auf das Konzilsausschreiben von 1536 nach Mantua

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leisten.372 In einem auf Januar 1537 zu datierenden Bedenken, das mit großer Sicherheit vom Kurfürsten stammt,373 verbalisierte er dann – höchstwahrscheinlich unter Bezugnahme auf Luthers Artikel – seine Vorstellung über den Konzilsbesuch: Da die evangelische Lehre nun auf Gottes Wort gegründet stehe, sei ein Konzilsbesuch der Protestanten zu verhindern.374 Außerdem wies er das „missionarische“ Argument einer Konzilsbeschickung zurück und betonte, dass ein Besuch des Konzils sowohl für Fürsten und Theologen als auch für die Bewahrung des evangelischen Glaubens zu gefährlich sei.375 Während der Kurfürst seine Konzilspolitik weiterhin aktiv betrieb und den Bundestag von Schmalkalden vorbereitete,376 zu dem er am 31. Dezember aus Wittenberg Luther, Melanchthon und Bugenhagen eingeladen hatte,377 äußerte sich Luther bis zu seiner Abreise nach Schmalkalden am 30. Januar 378 zur tagesaktuellen Konzilsfrage nachweislich auf zweifache Weise: 379 372 AaO. 91,77–83: In sunderhait auch bedenken wir, das die vnderschreibung der pfarrer vnd Prediger darczu dinstlich sey, Das, wan got der almechtige doctor Marthinum von dieser welt forderte, welchs in seinem gotlichen willen stehet, dieselben pfarrer vnd Prediger, so sich vnderschrieben, es bey den Artikeln musten pleiben lassen, vnd kain sunderlichs ader aigens nach irer meynung vnd guetdunken machen. – Während in dem Brief an Brück das Konzilsvorhaben nicht weiter erwähnt wurde, rückte der Kurfürst den Bekenntnisaspekt deutlicher als bisher in den Vordergrund. M. E. wird hieraus deutlich, dass es dem Kurfürsten in erster Linie um eine Verständigung auf eine gemeinsame lutherische Lehrgrundlage – zuerst in Kursachen und sodann im Schmalkaldischen Bund – ging, deren äußerer Anlass das Konzil bildete. Vgl. Volz, Artikel, 267. 272; Wolgast, Konzil, 140 f. Über das kursächsische Vorhaben vgl. Führer, Artikel, 51–54. 373 Im Anschluss an Mentz, Johann Friedrich 2, 113 Anm. 1; Virck, Beratungen, 501 f.; Volz, Artikel, 271 Anm. 42; Wolgast, Konzil, 142 Anm. 108 und gegen Bizer, Theologen, 79 f. dürfte der Kurfürst dieses in CR 3; 136–138 Nr. 1461 und im Auszug bei UA, 91 f. Nr. 5 edierte Bedenken zur Vorbereitung des Bundestages im Januar oder Februar 1537 angefertigt haben. 374 CR 3, 136 f.: weil denn dem also: so ist je einmal gewiß, nachdem unsre Lehre auf Gottes Wort gegründet, auch also, daß es die Pforten der Höllen nicht mögen umstoßen, so bedürfen wir uns demnach zu dem Concilio, der Meinung, daß wir in unsrer Lehre einigen Zweifel hätten, und von dem Concilio eines andern wollten unterwiesen werden, nicht begeben. Darum, so wir deß aus Gottes Wort gewiß seyn, mag uns wenig Unglimpfs zugemessen werden, da wir das Concilium nicht besuchen, sondern recusiren. 375 AaO. 137 f. 376 Hierzu zählte ein zweites, im Januar angefertigtes kurfürstliches Bedenken, welches Bizer, Verständnis, 67 missverständlich als „sächsisches Gutachten“ titulierte. Dieses ging nicht auf Luthers Artikel ein, sondern konzentrierte sich auf die Konzilspolitik. Siehe CR 3, 258–265 Nr. 1521. 377 WAB 7; 620 f. Nr. 3122; MBWT 7; 306 f. Nr. 1825; UA, 82 f. Nr. 2 (Kurfürst Johann Friedrich an Luther, Bugenhangen und Melanchthon in Wittenberg, Zeitz, 31. 12. 1536). Als Zweck der Schmalkaldener Zusammenkunft nannte Johann Friedrich „die geferliche ansetzung des Concilij durch den itzigen Babst, gegen Mantua benenth“ und weitere Sachen, „die Relligion belangendt“ (aaO. 82,8–11). 378 Vgl. UA, 96 Anm. 1. Zur Reise, die Luther zusammen mit Melanchthon und Bugenhagen über Torgau, Grimma, Altenburg, Eisenberg, Weimar, Arnstadt und Waltershausen führte, vgl. ebd.; Brecht, Luther 3, 183; Köstlin/Kawerau, Luther 2, 384. 379 Bizer, Theologen, 80–101 teilt ein umfangreiches Gutachten zur Konzilsfrage mit,

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VII. Die Konzilsthematik im Horizont von Politik und Kirche (1530–1546)

Zum einen verfasste er das oben bereits erwähnte Nachwort zur deutschen Ausgabe der Gefangenschaftsbriefe von Jan Hus.380 Zum anderen bewertete er in seiner Predigt vom 28. Januar 1537 das ausgeschriebene Konzil als „spiegelgefechten“.381 In der Predigt rief er die Gemeinde auf, dafür zu beten, dass Gott einmal ein „fein Christlich Concilium“ schicken möge, damit der Kirche geholfen werde und auch andere Regionen das Evangelium hören und zur Wahrheit kommen könnten.382 Die hier erstmals in der Gemeindeöffentlichkeit geäußerte „missionarische“ Konzilsbegründung, die Luther bereits 1535 gegenüber dem päpstlichen Nuntius verbalisiert hatte, blieb auch jetzt das einzig positive Argument für die Abhaltung eines an der Bibel orientierten Konzils. Denn sogleich kontrastierte er diesen Wunsch mit seiner pessimistischen Weltdeutung und betonte, da die Welt zu böse und der Teufel zu gerissen sei, werde jenes christliche Konzil nicht zustande kommen. Stattdessen werde das ausgeschriebene Konzil wie die früheren Konzilien von Rom und Florenz nur „kinderwerk“ ausrichten und weltliche Dinge beschließen, aber nicht über die zentralen kirchlichen Inhalte wie den Glauben, das christliche Leben und die zu predigende Schrift handeln. Es sei besser, dass ein solches Konzil nicht zusammenkomme, da dort nur die evangelische Lehre unterdrückt und „wir“ niedergehauen würden.383 Sodann erneuerte Luther die Begründung für das Nichtzustandekommen des künftigen Konzils mit dem Gedanken von der päpstlichen Konzilsfurcht, den er mit der reinen Lehre, welche bei „uns herrsche“, fundierte, und kündigte ein kluges und listiges Vorgehen in der Konzilspolitik an. Seine Hörer beruhigte er mit der Aussage, dass die Protestanten keine andere Lehre annehmen würden, und forderte die Gemeinde um Fürbitte für die Schmalkaldener Zusammenwelches er den Wittenberger Theologen zuschreibt. Der oder die Autoren des „Wittenbergensium Consilium“ sind unbekannt und können aufgrund terminologischer und inhaltlicher Unterschiede und Widersprüche zu den Wittenberger Theologengutachten von 1536 nicht Luther und Melanchthon zugeordnet werden. Daher ist es wahrscheinlich, dass das kursächsische Gutachten, welches auf die ersten neun Eisenacher Fragen des Kurfürsten und Landgrafen antwortet, nicht aus Wittenberg stammte. Vgl. Wolgast, Konzil, 143. 380 Siehe oben, Kapitel VII § 19.1.2. 381 WA 45; 8–10 (Predigt am 4. Sonntag nach Epiphaniä, 28. 1. 1537). Über das ausgeschriebene Konzil urteilte er, aaO. 9,30–32: Admoneo vos, cum illuc profecturi et acturi, was Gott geben wil, cum Concilium ausgeschrieben [nach Mantua], quamquam halt pro spiegelfechten. Sed ghe sein weg. 382 AaO. 9,32–34. 383 AaO. 9,34–10,3: Mundus, timeo, ist zu bos und Teufel zu seer eingerissen, quod tale Concilium non fiat. Si sol falsch werden ut prius Romae et Florentiae, ubi nihil ordinatum, wie lang kappen [etc.] et tantum kinderwerk und anlassen sthen notigen sach de fide, vita Christiana, scriptura praedicanda. Si tale Concilium futurum, ubi nihil concluderetur quam herrlich und weltlich ding, melius, ut nihil etc. tum nihil aliud ageretur, quam ut opprimeretur doctrina et nos occideremur. Si vero gut, Last uns hertzlich nach schreien non solum propter nos, sed alia regna, ubi wheret mit feuer und schwerd, ut causa ein mal zu verhor etc.

§ 19 Die lutherische Reaktion auf das Konzilsausschreiben von 1536 nach Mantua

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kunft auf.384 In diesen wenigen Sätzen, die durch Rörer überliefert wurden, skizzierte Luther in nuce seine theologische Haltung zum angekündigten Konzil, die in Kontinuität zu den bisherigen Aussagen stand und in der Folgezeit lediglich entfaltet wurde.

2.3. Der Schmalkaldener Bundestag 1537 Der Bundestag von Schmalkalden,385 zu dem neben den Bündnismitgliedern auch 13 weitere evangelische Obrigkeiten wie Brandenburg-Ansbach, Nürnberg und Nordhausen zwecks einer gemeinsamen Antwort aller evangelischen Reichsstände auf die Konzilsausschreibung eingeladen worden waren und der mit „Beobachtern“ aus Frankreich und Dänemark beschickt war, bildete eine der bedeutendsten Zusammenkünfte des Bundes. Gleichzeitig, und mit der Konzilsthematik aufs engste verbunden, sollte sie – nach Meinung von Kurfürst Johann Friedrich – einer einheitlichen Verpfl ichtung auf die lutherischen Bekenntnisartikel dienen. Bevor allerdings das Scheitern dieses kurfürstlichen Planes skizziert wird, muss zuvor auf die zentralen Vorgänge und Luthers Empfehlungen hinsichtlich einer politischen Antwort auf das päpstliche Konzilsausschreiben eingegangen werden. Während der Anreise erfuhr Luther, dass der päpstliche Nuntius Peter van der Vorst von Johann Friedrich nach Schmalkalden geladen worden war.386 Vor den Bundesverwandten sollte der päpstliche Legat, der zur Konzilseinberufung an die deutschen Fürsten entsandt war, das Konzilsanliegen vortragen und die Antwort des Bundes erhalten.387 Höchstwahrscheinlich vom Kurfürsten selbst 384

AaO. 10,3–11. Siehe auch aaO. 10,11–37. Zu den gutachterlichen und instruktiven Vorbereitungen auf die Konzilsfrage seitens der protestantischen Stände vgl. Bizer, Verständnis, 75–80. Die in der Literatur allgemein als „Bundestag“ bezeichnete Zusammenkunft von 1537 (z. B. Wolgast, Johann Friedrich, 288) klassifi ziert Haug-Moritz, Bund, 601 f. als „Religionsvergleichungstag“. Da beim Schmalkaldener Treffen aber nicht nur Vergleichsgespräche mit dem kaiserlichen Emissär geführt wurden, sondern die Tagung als „gemeine zusammenkunft“ von Kursachsen und Hessen ausgeschrieben wurde, soll im Folgenden weiterhin vom „Bundestag“ gesprochen werden. Über die Zusammenkunft und ihre Verhandlungsgegenstände vgl. aaO. 108–111. passim; S. Westphal, Die Entwicklung des Schmalkaldischen Bundes im Spiegel seiner Bundesabschiede (in: Der Schmalkaldische Bund, 19–63), 28 f. 386 WAB 8; 22,4–10 Nr. 3131 (Luther an Justus Jonas [in Wittenberg], Altenburg, 1. 2. 1537). Auch Melanchthon wusste davon zu berichten, dass der päpstliche Nuntius, der auf dem Weg zum Kurfürsten war, von diesem nach Schmalkalden geschickt wurde. Siehe MBWT 7; 333,3–7 Nr. 1841 (Melanchthon an Justus Jonas [in Torgau], 1. 2. 1537). Am 4. Februar suchte der Nuntius in Weimar vergeblich eine Audienz beim Kurfürsten zu erlangen, welcher ihn erneut aufforderte, nach Schmalkalden zu kommen. Siehe MBWT 7; 334,2–4 Nr. 1843 (Melanchthon an Justus Jonas [in Torgau], [Weimar,] 5. 2. 1537). 387 Mit der Einladung nach Schmalkalden verdeutlichte der Kurfürst, dass eine Reaktion auf die Konzilsausschreibung nicht eine separate territorialherrschaftliche Sache, sondern eine Bundesangelegenheit sei, die von allen Konfessionsverwandten beraten werden müsse. 385

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war an Luther die tagesaktuelle Frage ergangen, welche Antwort dem Nuntius zwecks Konzilsbeschickung zu geben sei. Eine ähnliche Anfrage war auch Melanchthon zugegangen.388 Luther formulierte nach seiner Ankunft in Schmalkalden in den verhandlungsfrei bleibenden Tagen am 8. und 9. Februar eine umfangreiche Stellungnahme, die argumentativ an die Gutachten von 1536 anknüpfte, seine persönliche Bewertung der Konzilseinladungsbulle vom August 1536 bestätigte und seinen Konzilspragmatismus erneut auf blitzen ließ.389 Wiederum setzte er mit dem Motiv der päpstlichen Konzilsfurcht ein und betonte die lediglich auf öffentliches Ansehen ausgerichtete kuriale Konzilseinberufung.390 Durch die Bulle „De reformatione“, die Luther an dieser Stelle erstmals erwähnte und über welche er vermutlich in Schmalkalden oder kurz zuvor informiert worden war,391 werde die bereits in der Konzilsausschreibung angedeutete alleinige Absicht offenbar: die Ausrottung der lutherischen Ketzerei.392

Gleichzeitig demonstrierte er gegenüber dem Nuntius protestantische Geschlossenheit und Macht. Zu van der Vorsts Reise vgl. Pastor, Päpste 5, 60 f. 388 CR 3, 131–134 Nr. 1459; MBWT 7; (338) 339–343 Nr. 1847 (Melanchthons Gutachten [für Kurfürst Johann Friedrich von Sachsen in Schmalkalden, Schmalkalden, ca. Mitte Februar 1537]). Mit MBW 2, 295 könnte das Bedenken sowohl vor der Eröffnung als auch während der Beratungen des Konzilsausschusses entstanden sein. 389 WAB 8; 35–39 Nr. 3134 (Luthers Bedenken über die Beschickung des Konzils, [Schmalkalden, 8. oder 9. 2. 1537?]). 390 AaO. 35,6–10: Mir ist kein zweiuel, der Bapst oder die seinen furchten sich vnd wolten dis Concilium lieber gehindert sehen, doch das sie mit glympff rhümen kundten, Es hette an yhnen nichts gemengelt, weil sie es ausgeschrieben, boten gesand vnd die stende ruffen lassen, wie sie solchs wol wurden auffmutzen [d. h. hervorheben]. 391 Die Reformbulle war unter dem Namen „Sublimis deus“ (CT 4; 451,29–453,5) auf den 23. August 1535 datiert und am 27. August veröffentlicht worden. Sie betonte die Reform der Stadt Rom, der Kurie und deren kurialen Beamtenapparat und instituierte eine Kommission, welche den Auftrag erhielt, „alle Mißbräuche, Vergehen und Verirrungen auf geistlichem wie weltlichem Gebiet auszurotten, Ungehorsame und Widerspenstige mit den schärfsten Strafen zu belegen und, wenn nötig, unter Beihilfe des weltlichen Armes gegen sie vorzugehen.“ (Pastor, Päpste 5, 107). Zur Kurienreform Pauls III. vgl. aaO. 96–153. In Deutschland wurde die Bulle unter dem Titel „De reformatione curiae“ (MBWT 7; 341,45) bekannt, mit Datum des 23. Septembers 1536 versehen, mit der Konzilseinberufungsbulle in Verbindung gebracht und publiziert. Das fehlerhafte Datum, welches von den Zeitgenossen rezipiert wurde und durch die deutsche Fassung von Walch 2 16, 1913–1916 Nr. 1225 Verbreitung fand, fi ndet sich teilweise bis heute in der Forschung (siehe die fehlerhafte Angabe in WAB 8; 38 Anm. 5; MBWT 7; 341 Anm. 45–47). Zur zeitgenössischen Rezeption der Bulle vgl. Wolgast, Konzil, 136 Anm. 76. – Für die Evangelischen enttarnte folgende Passage die kuriale Konzilsabsicht, CT 4; 452,2 f.: affectibus urgentissimis et gravissimis, statum illius ecclesiae et Apostolicae Sedis, ac pestiferae Lutheranae et aliarum haeresum extirpationem cernentibus. – Da sich weder Luther noch Melanchthon oder Bugenhagen in ihren Äußerungen zur Konzilsfrage vor Schmalkalden auf diese zentrale Begründung beriefen, dürften sie erst im direkten Umfeld des Schmalkaldener Bundestages mit der Reformbulle konfrontiert worden sein (siehe MBWT 7; 341,45–47; O. Vogt [Hg.], Dr. Johannes Bugenhagens Briefwechsel. Mit einem Vorwort und Nachträgen von E. Wolgast unter Mitarbeit

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Gegen dieses rechtlose konziliare Verfahren, das die Protestanten ohne ein unparteiisches Verhör verurteilen sollte, wies Luther auf den fehlerhaften und einseitigen Informationsstand des Papstes und der meisten Herrscher hin, der durch die altgläubige Bücherzensur und Gegenpropaganda möglich geworden sei. Durch ein Verhör bestehe immerhin die Möglichkeit, die Konzilsteilnehmer über die evangelische Lehre aufzuklären.393 Während sich die Ausschreibung des Konzils auf die Bekämpfung der Evangelischen konzentriere, würden die kirchlichen Missbräuche, „die auch on des Luthers sachen wol eins Concilion durfften“,394 mit keiner Silbe erwähnt, da sich die Kurie vor kirchlichen Änderungen fürchte.395 Den päpstlichen Konzilsaktionismus bewertete Luther als reine Abschreckungsstrategie, welche die Protestanten zur Konzilsweigerung bewegen sollte, um sie sodann öffentlichkeitswirksam als Konzilsboykotteure erscheinen zu lassen.396 In theologischer Zuspitzung interpretierte Luther die von der Kurie signalisierte papistische Konzilsentscheidung für ein Blutvergießen, Verfolgung der Protestanten, Gotteslästerung und Verderben der Christenheit als Angriff des Teufels, dem zu widerstehen sei.397 Obgleich Luther hier den Gedanken des politischen Widerstandes gegen den Papst nicht weiter entfaltete, hob er hervor, dass die vom Papst signalisierte Brutalität Ursache genug sei, dass „man sie lengst hette angriffen vnd zurissen“ müssen.398 Folglich stimmte Luther in der Situationsanalyse und der Bewertung der Konzilseinladung mit seinem Kurfürsten überein, kam aber in der Frage nach der Rekusation wie zuvor zu einem anderen Ergebnis: Da die Protestanten gegenüber dem Papst in einem mehrfachen Vorteil gegenüber dem „spottisch, lecherlich Concilium“399 seien (mangelnder Konzilsbesuch der weltlichen Potentaten, fehlende Durchsetzungskraft des kirchlichen Bannes, geringe Autorität eines Konzils, Abschreckung durch das Konstanzer Konzil),400 müsse man keine Furcht vor der Konzilsausschreibung haben, son392

von H. Volz, Hildesheim 1966, 676 Nr. 9 = UA, 108,11 f. [Bugenhagen an Jonas in Wittenberg, Schmalkalden, 13. 2. 1537]). 392 WAB 8; 36,12–17. 393 AaO. 36,19–40. 394 AaO. 36,46 f. 395 AaO. 36,40–48. 396 AaO. 37,50–54. 397 AaO. 37,56–69. 398 AaO. 37,71 f. 399 AaO. 37,79 f. 400 AaO. 37,71–82. Über die einst von ihm selbst destruierte Autorität des Konzils formulierte Luther jetzt, aaO. 37,75–78: Auch nü Concilium ynn solch geschrey komen, das es yrren muge vnd offt geyrret hat, damit es seine macht vnd ansehen verloren hat, das sie [d. h. die Papisten] gar eine hohe scheinbarliche gerechtigkeit mussen erzeigen, damit es wider zu ehren kome [. . .]. – Mit dieser Formulierung deutete Luther die Möglichkeit an, dass der Papst Zugeständnisse im Konzilsmodus und in der Konzilsmaterie zu machen bereit sei, die aber nicht realisiert würden.

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dern könne entspannt abwarten, bis die Papisten sich selbst blamieren werden.401 Auf die zentrale Frage antwortete Luther daher: Dem päpstlichen Legaten solle man keine abschlägige Antwort erteilen, aber auch keine verpfl ichtenden Versprechungen machen.402 Mit dieser Empfehlung lehnte sich Luther an die noch 1533 vom Kurfürsten praktizierte dilatorische Antwortstrategie an. Weil aber Johann Friedrich und seine Verbündeten ihre Konzilspolitik verschärft hatten und auf eine ablehnende Antwort drängten, mahnte Luther sie jetzt, sich in Geduld zu üben und Gott wirken zu lassen, statt übereilte Beschlüsse zu fassen, die nur auf Gründen der Vernunft und menschlichen Erkenntnissen beruhten.403 Der auf eine Entschleunigung des evangelisch-politischen Konzilsdiskurses zielenden Ermahnung fügte Luther eine politische Einschätzung über die Realisierung des Konzils an. Sollten die Evangelischen das Konzil nicht ablehnen, werde es aufgrund der Streitigkeiten mit den Franzosen und der Bedrohung durch die Türken nicht zustande kommen.404 Folglich lautete Luthers Resümee: „Summa, Sie konnen kein Concilium leiden, auch yhrs eigen teils nicht, wo sie es nicht sollen machen, wie sie wollen.“405 Diese die Konzilswerbung nicht rekusierende Empfehlung unterstützte auch Melanchthon in seinem Gutachten, der allerdings die Frage der Konzilsbeschickung, auf welche Luther nicht eingegangen war, deutlich positiver hervorhob und mit dem Rechtsinstrument der Protestation verknüpfte.406 Weil die gutachterlichen Positionen der Wittenberger Theologen wie schon im Dezember 1536 auch jetzt konträr zur intransigenten Haltung des Kurfürsten waren, setzte dieser sich über ihre Bedenken hinweg und entschied zusammen mit den übrigen Reichsständen auf dem Bundestag für eine Rekusation der Konzilseinladung. Der Dissens zwischen den Politikern und den Theologen blieb in dieser Angelegenheit bestehen. Noch Jahre später bezeichnete Luther die Schmalkaldische Antwort als unklug.407 Die Tagung wurde am 10. Februar 1537 durch eine programmatische Rede des kursächsischen Kanzlers Brück eröffnet.408 Als zentralen Verhandlungs-

401

AaO. 37,84 f. AaO. 38,86 f.: Vnd dem Legaten (so seine hoffart begeren würde) kein abschlegliche antwort geben, doch auch nicht mich vorstricken [d. h. sich verpfl ichten]. 403 Hiermit berief er sich wie häufig in tagesaktuellen Fragen auch jetzt auf umsichtiges Abwarten und Gottesgeduld. 404 AaO. 38,97–106. 405 AaO. 38,106–108. 406 Siehe MBWT 7; (338) 339–343 Nr. 1847. Auch Bugenhagen empfahl, dem Nuntius eine dilatorische Antwort zu geben. Vogt, Briefwechsel, 675–677. 407 WAT 4; 384 f. Nr. 4575; WAT 5; 635 Nr. 6387. 408 Über die Eröffnung des Bundestages am Samstag, dem 10. Februar, um 12 Uhr vgl. die in Auszügen mitgeteilten Texte und Anmerkungen bei UA, 145–148. 402

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punkt nannte er das Konzilsausschreiben des Papstes und formulierte die Frage, „ob dasselbige ainen andern verstand hette oder ghaben mochte dann wie es mit den buchstaben melde, nämlich die ketzereien ußruten und das sich nichtz guts zu disem concilio zu versehen“.409

Zur Beantwortung der Frage nach dem Konzilsbesuch wurde ein Ständeausschuss eingesetzt, der schließlich zu dem Ergebnis kam, das ausgeschriebene Konzil zu rekusieren, da es u. a. den Konzilsvereinbarungen des Nürnberger Reichstages von 1523 widerspreche.410 Im Verlauf des Beratungsprozesses suchte am 15. Februar der kaiserliche Vertreter, Reichsvizekanzler Matthias Held, der zu Verhandlungen über reichspolitische Themen nach Schmalkalden gereist war,411 vor den versammelten evangelischen Obrigkeiten u. a. für das ausgeschriebene Konzil zu werben.412 Die am 23. Februar auch den in Schmalkalden anwesenden Theologen mitgeteilte ablehnende Antwort der Bundesstände und der protestantischen Nichtbundesstände in der Konzilsfrage413 wurde am 24. Februar Held überreicht. In dem ausführlichen Begründungsschreiben wurde u. a. moniert: der päpstliche Konzilsmodus, die bereits im Ausschreiben vollzogene Verurteilung der Protestanten, die Anmaßung des Papstes als Richter und der in Italien liegende Konzilsort.414 409 Zitiert aus dem Konstanzer Bericht nach Bizer, Verständnis, 80. Zu den Verhandlungen der Politiker über die Konzilsfrage vgl. UA, 148–167. Siehe auch O. Winckelmann (Hg.), Politische Correspondenz der Stadt Straßburg im Zeitalter der Reformation. Bd. 2: 1531–1539, Straßburg 1887, 414–429 Nr. 439 (Aufzeichnungen [Mathis Pfarrers] über den Convent zu Schmalkalden [7. 2.–6. 3. 1537]). 410 Vgl. Wolgast, Johann Friedrich, 288. 411 Über Helds doppelten Auftrag in Schmalkalden, einerseits die kaiserliche Antwort auf die protestantischen „Beschwerden“ gegen das Reichskammergericht vom Herbst 1536 zu übermitteln, andererseits für den Konzilsbesuch in Mantua zu werben, vgl. G. Heide, Die Verhandlungen des kaiserlichen Vizekanzlers Held mit den deutschen Ständen 1537–1538 (HPBl 102, 1888, 713–738); Meinardus, Verhandlungen, 612–621; Haug-Moritz, Bund, 118–120. 292 f. passim; Ocker, Church robbers, 177–183; W. Rosenberg, Der Kaiser und die Protestanten in den Jahren 1537–1539 (SVRG 77), Halle an der Saale 1903, 1–25. 81–84. Siehe auch die zeitgenössische Berichterstattung: Winckelmann, Politische Correspondenz 2, 418–427. 412 CT 4; 71 f. Nr. 48; Walch 2 16, 2000–2003 Nr. 1233. 413 Die Theologen, die an den politischen Ausschusssitzungen nicht beteiligt waren, gaben nach dem Memminger Bericht zur Antwort, UA, 134 f. Anm. 14: Wiewoll sie bisher fur vnd fur der meinung gewessen, das man das Concilium nit solte simpliciter abschlachen (wie dann die fursten in irer antwurtt gethan), doch so sie jetztt der fursten vnd gesandten beweglichen vrsachen gehertt haben, so lassen sie es inen auch wolgefallen, mit anzaig, wo sie ye auf das Concilium zukomen bewilligten, hetten sie sich schon eingelassen in den gantzen proceß des Concilii etc. – Lediglich Melanchthon kritisierte deutlich die Antwort der Politiker, fügte sich aber schließlich der politischen Meinung. 414 Siehe die deutsche Fassung bei Walch 2 16, 2003–2010 Nr. 1234, die lateinische Übersetzung durch Melanchthon, die das Datum 3. März 1537 trägt: CR 3, 301–308 Nr. 1540b =

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VII. Die Konzilsthematik im Horizont von Politik und Kirche (1530–1546)

Während dem kaiserlichen Botschafter trotz der konfrontativ-antipäpstlichen Antwort die gebührende Ehre zuteil wurde, wurde der päpstliche Nuntius, der erst am 24. Februar in Schmalkalden eingetroffen war und sich weigerte, vor dem Ständekonvent zu erscheinen,415 am folgenden Tag durch den Kurfürsten brüsk – Melanchthon nannte es „pöbelhaft“416 – abgefertigt.417 Diese politische Handlung mit Symbolcharakter entsprach ganz der bereits in den früheren öffentlichen Stellungnahmen zur Konzilsfrage seitens der Protestanten genutzten instrumentalisierenden Differenzierung zwischen Kaiser und Papst. Denn auch jetzt betrachteten die versammelten Stände den kaiserlichen Vertreter und nicht den päpstlichen Legaten als Verhandlungspartner in der Konzilsangelegenheit.418 Dieses verdeutlichten sie dadurch, dass dem Nuntius am 2. März die zuvor an Matthias Held ergangene schriftliche Antwort zusammen mit der ungeöffneten Konzilsbulle und den übrigen kurialen Breven durch Brück überreicht wurde.419 Der politisch gedemütigte päpstliche Vertreter reiste darauf hin am 3. März ab.420 Die förmliche Rekusation des ausgeschriebenen Konzils wurde sodann für den Druck in lateinischer und deutscher Sprache vorbereitet.421 CT 4; 73–78 Nr. 50. – Die darauf hin von Held ergangene Gegenantwort: Walch 2 16, 2011– 2014 Nr. 1235, sowie die Schmalkaldische Antwort vom 28. Februar aaO. 2014–2023 Nr. 1236. Vgl. Jedin, Geschichte 1, 258 f. 415 Zum Aufenthalt des päpstlichen Nuntius in Schmalkalden siehe u. a. seinen Bericht vom 2. März 1537 in: CT 4; 89–92 Nr. 55. Vgl. auch Jedin, Geschichte 1, 256–260; Pastor, Päpste 5, 65 f.; Wolgast, Johann Friedrich, 289. 416 CR 3, 297 = MBWT 7; 371,29 (Melanchthon an Justus Jonas [in Wittenberg, Schmalkalden oder unterwegs,] 3.5.[1537]. 417 In der kurfürstlichen Sonderaudienz trug der Nuntius seine Konzilswerbung vor und übergab dem Kurfürsten die mitgeführten Schriftstücke. Dieser legte ein Exemplar der Konzilsbulle und zwei Breven, von denen eines an ihn als Kurfürsten und das andere an ihn als Hauptmann des sächsischen Reichskreises gerichtet war, kommentarlos auf einen vor ihm stehenden Tisch. Diese Handlung deutete der Nuntius später als stillschweigende Annahme. Danach teilte Johann Friedrich van der Vorst mit, er habe ihm nichts weiter mitzuteilen, stand lachend auf und verließ mit seinen Räten den Raum, in dem er die Schriften zurück ließ. Die kurfürstlichen Räte kehrten zum wartenden Nuntius zurück, entschuldigten ihren Herrscher, welcher zu einem dringenden Termin gerufen sei, und empfahlen die Rücknahme der Breven, welches der Nuntius aber verweigerte. Die übrigen Fürsten lehnten eine Audienz grundsätzlich ab. Vgl. Pastor, Päpste 5, 65; Wolgast, Johann Friedrich, 289. Jedin, Geschichte 1, 256 bewertete das kurfürstliche Verhalten als „die größte Demütigung, der jemals ein Vertreter des Papstes in Deutschland ausgesetzt wurde.“ 418 Tatsächlich war aber auch van der Vorst eine Verhandlung in der Konzilsfrage streng untersagt. Seine Aufgabe bestand ausschließlich im Vollzug des Rechtsaktes der Konzilszitation. Vgl. Jedin, Geschichte 1, 257. 419 Vgl. CT 4; 106–108 Nr. 67. 420 Vgl. Jedin, Geschichte 1, 260. 421 Abgedruckt in: CR 3, 313–325 Nr. 1543b. Im Bundesabschied vom 6. März wurde die Konzilsthematik an erster Stelle behandelt. Siehe J. Bauer und D. Blaha (Hg.), Die Schmalkaldischen Abschiede seit 1537 (in: Der Schmalkaldische Bund, 143–222), 146–163 bes. 146–149, welche ohne Begründung den 4. März als Termin des Bundesabschiedes angeben.

§ 19 Die lutherische Reaktion auf das Konzilsausschreiben von 1536 nach Mantua

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Deutlich komplizierter, von der Kirchengeschichtsforschung aus dem überlieferten Quellenmaterial aber mehrfach untersucht und kontrovers interpretiert, gestaltete sich das Verfahren bezüglich Luthers Schmalkaldischer Artikel während der Tagung.422 Dieses Verfahren soll hier nicht erneut diskutiert, sondern, soweit möglich, in seinen wesentlichen Stationen und auf die Konzilsthematik konzentriert nachgezeichnet werden. In seiner Eröffnungsrede hatte Brück den zahlreich anwesenden Theologen423 den allgemeinen Auftrag erteilt, Beharrungs- und Konzessionspunkte für den Fall zusammenzustellen, dass wider Erwarten ein christliches Konzil zustande kommen sollte.424 Melanchthon, welcher fürchtete, dass durch Luthers Artikel einerseits jegliche interkonfessionellen Ausgleichsbemühungen mit den Papisten von vornherein obsolet werden würden und andererseits die theologischen Konfl ikte zwischen den Bündnismitgliedern erneut aufflammen könnten,425 unterrichtete den hessischen Landgrafen am Abend des 10. Februar, dass Luther für alle Bundesmitglieder bestimmte Sätze aufgestellt habe, welche im Artikel über das Abendmahl „etwas heftig gestalt“ seien.426 Statt die gegenüber dem Tatsächlich wurde das Dokument am 4. März zwar abgefasst, aber erst am 6. März offi ziell akzeptiert. Siehe Winckelmann, Politische Correspondenz 2, 427 f. 422 Siehe die Zusammenstellung in: UA, 96–175. Zum Schicksal der „Schmalkaldischen Artikel“ in Schmalkalden vgl. u. a. Bauer, Artikel, 85–88; Brecht, Luther 3, 184 f.; Breuer, Artikel, 216 f.; Bizer, Verständnis,73–92; Ders., Noch einmal, 290–294; Führer, Artikel, 44–59; StA 5; 330–332; Volz, Artikel, 273–284. 423 Unter den entsandten Theologen befanden sich u. a. Adam Krafft, Urbanus Rhegius, Erhard Schnepf, Ambrosius Blarer, Nikolaus von Amsdorf, Andreas Osiander, Veit Dietrich, Johannes Brenz, Martin Bucer. Eine nach Auftraggebern gegliederte Liste fi ndet sich bei UA, 109 Anm. 7. 424 AaO. 148, 30–37: Die solten die zu Augspurg vbergebne Confession sampt der Appologj fur sich nemmen vnd daruon reden, Ob gott gnad verlichen wurde, das verhoffenlich etwas guts vnd fruchtpars vff dem Concilio mochte gehandelt vnd der gegenthail dahin zupringen sein, das sy gottes wort by inen offentlich vnd vnuerhindert predigen vnd darnach leben liessen, was dogegen wir vnsers thails nachgeben, ouch mit gwißne handlen oder lassen möchten etc. – Während Volz, Artikel, 278 diese Anweisung Brücks als diplomatische Verklausulierung für die Einspielung von Luthers Artikeln versteht, kann Wolgast, Konzil, 141 hier keinerlei Anspielung auf die Artikel erkennen. In der Tat wird hier eindeutig auf die CA und ihre Apologie abgehoben, aber von neu aufzustellenden Artikeln nicht gesprochen. Dennoch konnte mit Volz die vage Umschreibung überhaupt erst die Möglichkeit eröffnen, die Schmalkaldischen Artikel durch die kursächsischen Teilnehmer in die Theologenverhandlungen einzubringen. 425 Cruciger hatte bereits im Janur Veit Dietrich mitgeteilt (siehe Wetzel, Cruciger, 85– 87), dass sich Luther hinsichtlich der Messe und der Gewalt des Papstes heftiger als früher geäußert habe und sich Melanchthon deshalb vor den Auseinandersetzungen mit den Oberdeutschen in Schmalkalden sorge. Durch Luthers Artikel drohte für Melanchthon der innerprotestantische Friede in Gefahr zu geraten. Vgl. StA 5; 330; UA, 92–95. 426 MBWT 7; 336 f. Nr. 1845; UA, 103–107 Nr. 2 (Landgraf Philipp von Hessen an den Straßburger Städteboten Jakob Sturm in Schmalkalden, Schmalkalden, 10. 2. 1537). Die entscheidende und interpretationsbedürftige Passage in dem Schreiben lautete: „wie Luther gestalt die ar[tikel] ganz gemein vnd da nichts weichen[s] oder nochlassens noch hindersich gehens den Papisten zu gut in stehe“ (aaO. 104,5–7). Während Bizer, Verständnis, 75 „ganz

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Papst ganz und gar unversöhnlichen Artikel Luthers anzunehmen, empfahl Melanchthon, sollten die Bundesstände die Confessio Augustana und die Wittenberger Konkordie erneuern.427 Der Landgraf informierte noch am gleichen Abend den Straßburger Städtevertreter Jakob Sturm und nachrichtlich die Augsburger und Ulmer Gesandten.428 Am nächsten Morgen wurde auf der Beratung der Städte Melanchthons Wunsch ventiliert, die Frage des Nachgebens oder Beharrens in theologischen Lehrpunkten bezüglich des Konzils nicht weiter zu verfolgen.429 Dies wurde den Fürsten mitgeteilt und führte bereits am Mittag des 11. Februar zur Preisgabe dieses von Kursachsen protegierten Konferenzpunktes, zumal die Ständevertreter ein Konzil überhaupt nicht beschicken wollten.430 Der Kurfürst musste akzeptieren, dass mit einer Nichtberatung neuer Lehrartikel auch Luthers Schrift als mögliche Bekenntnisurkunde nicht mehr durchsetzbar war.431 Klärungsbedürftig erschien nun aber die Frage nach der Stellung der Protestanten zum päpstlichen Primat. Diese Thematik war in der auf interkonfessionellen Ausgleich angelegten CA einst nicht geklärt worden, bedurfte aber jetzt aufgrund der päpstlichen Konzilspolitik einer dringenden Entscheidung. Um die Kompetenz der zahlreich angereisten Theologen zu nutzen, wurde ihnen der Auftrag erteilt, in Ergänzung zur CA, die als gemeinsames Bekenntnis in den Mittelpunkt gerückt war, eine Schrift über die päpstliche Gewalt anzufertigen.432 Außerdem sollten sie die CA durch Argumente der Heiligen Schrift, der Kirchenväter und der altkirchlichen Konzilien ergänzen und als Lehrgrundlage für ein mögliches Konzil vorbereiten.433 Gleichzeitig erneuerten die Fürsten ihr Bekenntnis zur CA und zur Wittenberger Konkordie, so dass nun die CA diejenige Funktion erhielt, welche der Kurfürst ursprünglich Luthers Schmalkaldischen Artikeln zugedacht hatte. gemein“ mit „ganz allgemein als Bekenntnis“ interpretierte und nur auf Luther bezog, verstand UA, 104 Anm. 4 die Wendung als Zielbestimmung im Sinne von „für alle [Bundesgenossen] bestimmt“. In der Tat wusste der Landgraf über die Existenz von Luthers Artikeln, deutete sie aber nicht als neue Lehrgrundlage, sondern als kursächsisches Einzelgutachten. Zum Abendsmahlsartikel formulierte Philipp von Hessen, aaO. 105,12–17: Er [Melanchthon] sagt aber, das ein Articul, souil das Sacrament des Nachtmals betrift, etwas heftig gestalt, das ‚das brot sej der leib des herren‘, Welchs doch Luther am irsten nit so gestalt, Sondern noch inhalt der Concordien, das mit dem brode der leib des herren geben wurde, Vnd solchs hab geursacht Pomeranus, dan er sej ein heftiger man vnd ein grober Pommer. 427 AaO. 106,27–29: Doch mochten die Stende alwegen sagen, sie hetten die Confession vnd die Concordia angenommen. Da wolten sie bej pleiben. 428 AaO. 107,41 f. 429 UA, 148–151 Nr. 3a (Die Beratung der Städteboten am Sonntagvormittag, 11. 2. 1537). Vgl. Volz, Artikel, 278 Anm. 70. 430 AaO. 151–154 Nr. b a (Bundesversammlung am Sonntagmittag, 11. 2. 1537). 431 Vgl. Volz, Artikel, 278 f. 432 Hierzu UA, 155,8–11 Nr. 3b b (Brücks weitere Rede und die Zustimmung der Städte betreffs der Theologen). 433 AaO. 156,52–62.

§ 19 Die lutherische Reaktion auf das Konzilsausschreiben von 1536 nach Mantua

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Die Beratungen der Theologen434 wurden durch Luthers schwere Erkrankung getrübt.435 Die konstituierende Ausschusssitzung in Luthers Herberge, an welcher auch der erkrankte Reformator teilnahm, verhandelte die ersten neun Artikel der CA und erhielt von Luther die Zusage, die CA als theologische Grundlage mittragen zu wollen.436 Die Abfassung der Schrift über die päpstliche Gewalt wurde Melanchthon übertragen, welcher das Werk „Tractatus de potestate et primatu papae“ anfertigte.437 Nach einem Beratungsprozess, in dem auch die übrigen Artikel der CA verhandelt wurden, unterzeichneten die anwesenden Theologen, aber nicht der erkrankte Luther, in der Schlusssitzung am 24. Februar den „Tractatus“ sowie die CA und die „Apologie der CA“, welche Melanchthon mit einer Präambel versehen hatte,438 und leiteten sie den Reichsständen weiter, die sie offi ziell annahmen und im Bundesabschied vom 6. März explizit erwähnten.439 Der Versuch Bugenhagens und Amsdorfs, am 17. Februar in Abwesenheit von Luther dessen Artikel zur offi ziellen Annahme zu befördern, scheiterte an Luthers Krankheit und an den von Melanchthon und anderen geäußerten Überlegungen, dass bei einer Festlegung auf die lutherische Lehre die durch die Konkordie soeben überwundenen innerprotestantischen Differenzen erneut zum Ausbruch kommen dürften. Daher lautete das Urteil über die Lutherschrift, von der immerhin Abschriften angefertigt wurden: Luther habe „fur sein person ettliche artickell gestellt, die er berait zu vertigung seiner leer auff das Concilium zuschickhen“ sei.440 In der Schlusssitzung legte vermutlich Bugenhagen erneut Luthers Artikel vor, die aufgrund des schlechten Gesundheitszustandes jetzt als dessen theologisches Vermächtnis gelten konnten und von 25 Theologen durch Unterschrift freiwillig rezipiert wurden.441 Eine bundesständige Akzeption und somit eine 434 Die Theologen wählten zur effektiveren Arbeitsweise einen 13-köpfi gen Ausschuss, welcher zur Ausarbeitung der Artikel über die päpstliche Gewalt am 12. Februar einen fünfköpfigen Unterausschuss bestellte. Über die Verhandlungen der Theologen in Schmalkalden, die hier nicht näher dargestellt werden sollen, da sie zur Konzilsthematik nichts austragen, vgl. UA, 107–116. 167–175. 435 Über Luthers Erkrankung in Schmalkalden, die den Reformator abgesehen von zwei Predigten am 11. und 18. Februar (WA 45; [XVI] 11–24; aaO. [XVIII] 25–47) an der aktiven Mitarbeit in den Verhandlungen hinderte und zu einem Politikum für die anwesenden evangelischen Stände und die Vertreter des Papstes wurde, vgl. Brecht, Luther 3, 185–189; Neumann, Luthers Leiden, 121–129. 436 Vgl. UA, 170 Nr. 5c (Die Ausschusssitzung am 12.2. 1537, nachmittags). 437 CR 3, 271–286 Nr. 1529; BSLK11 469–496. 438 CR 3, 286 f. Nr. 1530 = BSLK11 496,16–498 = UA, 120–124 Nr. 13. 126 f. Nr. 15 = MBWT 7; 348–350 Nr. 1852. 439 Siehe Bauer/Blaha, Abschiede, 149; UA, 139 Nr. 22. 440 UA, 171,98–100. Bei den Beratungen zum Abendmahlsartikel der CA am 23. Febraur wurde auch Luthers diesbezüglicher Artikel hinzugezogen, vgl. StA 5; 331. 441 WA 50; 253,18–254,21 = BSLK11 464,7–467,9 = StA 5; 444,7–446,11; UA, 124–126

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offi zielle Anerkennung als gemeinsame Bekenntnisgrundlage des Bündnisses wurde den Artikeln aber nicht gewährt. Am 26. Februar besuchte der Kurfürst den schwerkranken Luther kurz vor dessen Abreise aus Schmalkalden. Nach Friedrich Myconius’ Bericht antwortete der anwesende Melanchthon auf die Frage nach der Unterzeichnung der Artikel, alle hätten die CA und den Artikel über das Sakrament unterschrieben. Luther nahm diese Aussage erleichtert auf. Dass der Reformator aber die Antwort auf seine Artikel bezogen haben soll, wie in der Forschung fast durchgängig behauptet, kann anhand der Quellen nicht belegt werden.442 1538 erläuterte Luther in seiner die Konzilsthematik verhandelnden Vorrede zu den Schmalkaldischen Artikeln, seine Artikel seien „von den unsern“ einträchtig bekannt und beschlossen worden.443 In der Tat waren die Artikel auf der Wittenberger Theologenkonferenz im Winter 1536/37 und darüber hinaus durch insgesamt 44 Unterschriften akzeptiert worden. Damit waren die Lehrartikel – obwohl in Schmalkalden weder von allen anwesenden Theologen noch von den Politikern als Dokument rezipiert – zu einem die Unterzeichner verpfl ichtenden lutherischen Bekenntnis avanciert. 1543 interpretierte Kurfürst Johann Friedrich die Artikel als „Schmalkaldische vorgleichung“ und gab ihnen somit offizielles Gewicht.444 Die geschichtliche Entwicklung sollte den politischen Konzilsdiskurs des Schmalkaldischen Bundes schon bald in den Hintergrund drängen und in historiographischer Perspektive schließlich ganz vergessen lassen. Die aus der Konzilsdiskussion erwachsenen Schmalkaldischen Artikel sowie der „Tractatus de potestate et primatu papae“ aber erlangten als Bestandteil des lutherischen Konkordienbuches von 1580 bleibende theologiegeschichtliche Bedeutung.

Nr. 14. Martin Bucer und weitere oberdeutsche Theologen verweigerten den lutherischen Lehrartikeln ihre Zustimmung. 442 Siehe Myconius’ Bericht WAT 3; 392,21–26 Nr. 3543B= UA, 130,22–28. Vgl. z. B. WA 50; 177; BSLK11 XXIV–XXVII. Differenziert urteilt Helmar Junghans in StA 5; 332. Die gängige fehlerhafte Forschungsmeinung kritisiert m. E. zu Recht Führer, Artikel, 57 f. 443 BSLK11 408,11–409,1 = StA 5; 345,2–6 = WA 50; 193,5–11: Die sind auch von den unsern angenomen und eintrechtiglich bekennet und beschlossen, Das man sie solte (wo der Bapst mit den seinen ein mal so küne wolt werden, on liegen und triegen, mit ernst und warhafftig, ein recht frey Concilium zu halten, wie er wol schuldig were) offentlich uberantworten und unsers glaubens bekenntnis fürbringen. – Dass Luther sich mit „beschlossen“ auf einen Beschluss des Schmalkaldischen Bundes bezog und folglich irrte, dürfte, zumal er nicht den Ort der Unterzeichnung nannte, eine forschungsgeschichtliche Fehlinterpretation sein. 444 Siehe WAB 10; 438,10–22 Nr. 3931 (Kurfürst Johann Friedrich an Luther, Torgau, 27. 10. 1543).

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3. Beiträge zum Konzilsdiskurs aus den Jahren 1537 und 1538 In der Zeit nach dem Bundestag blieb das Konzilsthema nicht nur unter protestantischen Gelehrten Tagesgespräch, sondern sorgte ebenso bei altgläubigen Politikern und Theologen für Diskussionen und kontroverstheologische Publikationen.445 Während Melanchthon weitere Vermittlungsbemühungen unternahm, indem er z. B. Ende April 1537 in Leipzig mit Julius Pflug, dem Humanisten und einflussreichen Berater Herzog Georgs von Sachsen, über das Konzil diskutierte,446 ging Kurfürst Johann Friedrich an die Erledigung der ihm in Schmalkalden aufgetragenen Aufgaben. In diesem Zusammenhang wandte er sich am 14. April an Luther und die übrigen Wittenberger Theologen und Juristen mit der Bitte, einen Ratschlag über den Konzilsartikel aus dem Bundesabschied vom 6. März anzufertigen.447 Das neuerliche Gutachten, das auf eine Verteidigung der Rekusation des ausgeschriebenen Konzils zielte, sollte Argumente und Handlungsvorschläge für den Kurfürsten bereitstellen, falls das Konzil wie angekündigt am 23. Mai zusammentrete. Diesem Wunsch kam der Wittenberger Beraterkreis – soweit bekannt ist – nicht nach.448 Möglicherweise verzögerten die Theologen die Abfassung der Stellungnahme aufgrund ihrer konzilspolitischen Differenzen mit dem kurfürstlichen Hof.449 Am wahrscheinlichsten ist aber, dass die Nachrichten von der Prorogation des Konzils durch Paul III. am 20. April, die Ende Mai in Wit445 Über die Konzilsdiskurse in der katholisch-romtreuen Publizistik, welche vor allem durch die Kontroverstheologen Georg Witzel und Johannes Cochläus geprägt waren, vgl. Brockmann, Konzilsfrage, 301–320. 446 MBWT 7; 440,15–17 Nr. 1896 (Melanchthon an Veit Dietrich in Nürnberg, Leipzig, 27.4.[1537]); aaO. 441,7–10 Nr. 1897 (Melanchthon an Joachim Camerarius [in Tübingen], Leipzig, 30. 4. 1537). 447 WA 8; 68 Nr. 3147 = MBWT 7; 422 f. Nr. 1888 (Kurfürst Johann Friedrich an Luther, Jonas, Bugenhagen, Cruciger und Melanchthon, gleichlautend an die Juristen in Wittenberg, Torgau, 14. 4. 1537). Sein Vorgehen begründete er mit der in Schmalkalden getroffenen Verabredung, alle protestantischen Stände mögen ihre Gelehrten um gutachterliche Stellungnahmen zur Konzilsthematik ersuchen. 448 Ein solches Gutachten ist nicht bekannt. Vgl. Mentz, Johann Friedrich 2, 125. Mit ihrer aufschiebenden Haltung traten die Theologen gegenüber dem Kurfürsten selbstbewusst und eigenständig auf und unterliefen die kurfürstliche Funktionalisierung durch stillen Protest. Diese Beobachtung ergänzt die hilfreiche Zusammenfassung von Wolgast, Theologen, 298, der über die vom Kurfürsten angeregten Gutachten notierte: „Immer wieder wird das Bemühen sichtbar, die Theologen auf die bereits gefaßten Entscheidungen zu verpfl ichten, ihre Zustimmung dazu zu gewinnen und sie für die Durchsetzung der kurfürstlichen Konzeption bei den anderen evangelischen Ständen zu benutzen. Der ursprüngliche Zweck der Wittenberger Voten, die Gewissensberatung, wird von Johann Friedrich zunehmend in die Funktion der Gewissensentlastung umgewandelt [. . .].“ 449 Melanchthon lobte das Vorhaben von Joachim II. von Brandenburg, das angekündigte Konzil zu besuchen, und beklagte die Ablehnung der Konzilsbeschickung durch den Schmalkaldischen Bund gegenüber Veit Dietrich. Siehe MBWT 7; 450,12–451,22 Nr. 1905 (Melanchthon an Veit Dietrich in Nürnberg, [Wittenberg, 24.]5. [1537]).

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tenberg eintrafen,450 das Interesse des Kurfürsten an neuerlichen Beratungen über die Konzilsfrage schwinden ließen und das Gutachten somit obsolet machten.451 Luther, der am 14. März wieder in Wittenberg war und sich von seiner Krankheit langsam erholte, belastete sich nicht weiter mit den Gegensätzen zur kurfürstlichen Konzilshaltung, sondern startete seinerseits eine polemische und satirische Medienoffensive gegen das ausgeschriebene Konzil und den ausschreibenden Papst. Diese auf Luthers Konzilsäußerungen hin kaum untersuchten Stellungnahmen sind im Folgenden hinsichtlich des Konzilsthemas zu analysieren und auf mögliche neue Konzilsinterpretationen hin zu befragen.452

3.1. Konzilskritische und papstpolemische Publikationsoffensive In radikalisierter Deutlichkeit griff Luther nun selbst in die Konzilsvorbereitungen ein und suchte durch seine Publikationsoffensive die wahren Absichten des Papstes und seines Konzils öffentlichkeitswirksam zu dechiffrieren und zu destruieren. Seine bevorzugte mediale Gestalt bildete – wie zuvor bei der Edition der Gefangenschaftsbriefe von Hus praktiziert – die durch eine Vorrede eingeleitete und kommentierte Dokumentation von historischen Texten und päpstlichen Breven, die durch Satiren und Bildmaterial antipäpstlichen und konzilskritischen Inhalts flankiert wurden.453 Ob Luther zu dieser Offensive 450 Siehe MBWT 7; 452,10–14 Nr. 1906 (Melanchthon an Veit Dietrich in Nürnberg, [Wittenberg,] 29.5.[1537]); MBWT 7; 453,17–20 Nr. 1907 (Melanchthon an Hieronymus Baumgartner in Nürnberg, [Wittenberg,] 30.5.[1537]). 451 Vgl. Wilhelm, Konzilspolitik, 123 f. 452 Von den durch Clemen und Brenner abgefassten Einleitungen in WA 50 abgesehen, untersuchten die „papstkritische Publizistik“ der Jahre 1537 bis 1538 am differenziertesten lediglich Brecht, Luther 3, 189–193; Edwards, Last battles, 81–93; Köstlin/Kawerau, Luther 2, 396–399. Einer Publikation widmete sich ausführlicher A. Schnyder, Legendenpolemik und Legendenkritik in der Reformation: ‚Die Lügende von St. Johanne Chrysostomo‘ bei Luther und Cochläus. Ein Beitrag zur Rezeption des Legendars ‚Der Heiligen Leben‘ (ARG 70, 1979, 122–140). Bäumer, Papst, 92 f.; Brockmann, Konzilsfrage, 260–301 passim; Schwarz, Luther, 208 gingen nur summarisch auf die verschiedenen Lutherschriften ein. 453 Den Auftakt zur Neuaufl age der Bildpolemik gegen das Papsttum bildete ein in der Cranachschule angefertigter Titelholzschnitt zu der von Luther 1538 herausgegebenen Schrift „Ratschlag eines Ausschusses etlicher Kardinäle Papst Paulo III. auf seinen Befehl geschrieben“ (WA 50; [284] 288–308): Drei Kleriker säubern mit Fuchsschwänzen den Innenraum einer Kirche, in der auf dem Altar das Triptychon von einem Papst mit zwei ihn umgebenden Teufeln dargestellt ist. Ebenso hatte Luther den Einblattholzschnitt „Spottwappen des Papstes“ aus demselben Jahr angeregt. Vgl. hierzu E. Starke, Luthers Beziehungen zu Kunst und Künstlern (LWML, 531–548. 905–916), 546 f. 985–988. – Zur Zusammenarbeit Luthers mit der Cranachwerkstatt bezüglich der Spottbilder vgl. Ch. Weimer, Luther, Cranach und die Bilder. Gesetz und Evangelium – Schlüssel zum reformatorischen Bildgebrauch (AzTh 89), Stuttgart 1999, 67–69. F. Strecker, Art. B.IV.3. Bildende Kunst (LuH, 244–249), 247 f. Zur kommunikativen Bedeutung der Bilder und Druckgraphiken bei Lu-

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durch die antipäpstliche Haltung der protestantischen Politiker – insbesondere seines Kurfürsten – ermutigt oder aus Sorge vor einem das Evangelium bedrohenden Erstarken des „Antichrists“ im Zusammenhang des Konzilsprojektes getrieben wurde, kann letztlich nicht beantwortet werden. Vermutlich dürfte ein Zusammenspiel verschiedener Faktoren und Beweggründe, zu denen nicht zuletzt apologetische und apokalyptische Motive zählten, zu der massiven Papstund Konzilspolemik geführt haben, die insbesondere in der scharfen Kritik an der angemaßten Suprematsgewalt des Papstes eine Fortsetzung der entsprechenden Ausführungen in den Schmalkaldischen Artikeln darstellten und letztlich generell auf die Institution Papsttum zielten. Insgesamt läutete Luther mit seinen polemischen Angriffen eine neue Phase in der Auseinandersetzung mit dem Papsttum ein, die letztlich durch das ausgeschriebene Konzil bedingt war.454 Den Auftakt der Offensive bildete im März oder April 1537 Luthers Vorrede zu Johann Kymäus’ Buch „Ein alt christlich Konzilium zu Gangra gehalten“.455 In dem Luther zugesandten, von ihm aber kaum intensiv studierten Buch hatte sich der Homberger Pfarrer mit dem altkirchlichen Provinzialkonzil aus dem 4. Jahrhundert befasst,456 dessen Konzilsakten kommentiert ins Deutsche übertragen und Parallelen vom konziliaren Verhandlungsgegenstand zu den Wiedertäufern gezogen.457 Die Vorrede nutzte Luther nun zum Angriff auf die Papstkonzilien, indem er das „Gangrense Concilium“, welches nur ein „klein National Concilium“ darstellte, als „recht Concilium“ rühmte und für „unserm Euangelio nützlich und hülffl ich“ bewertete.458 Aus diesem Konzil könne man ther und in der Reformation sowie ihrer methodischen Reflexion vgl. z. B. den Sammelband von B. Tolkemitt und R. Wohlfeil (Hg.), Historische Bildkunde. Probleme – Wege – Beispiele (ZHF.B 12), Berlin 1991; M. Schilling, Bildpublizistik der frühen Neuzeit. Aufgaben und Leistungen des illustrierten Flugblatts in Deutschland bis um 1700 (Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur 29), Tübingen 1990; Ders. und W. Harms (Hg.), Das illustrierte Flugblatt der frühen Neuzeit. Traditionen, Wirkungen, Kontexte, Stuttgart 2008; F.-H. Beyer, Eigenart und Wirkung des reformatorisch-polemischen Flugblatts im Zusammenhang der Publizistik der Reformationszeit (Mikrokosmos 39), Frankfurt am Main/Berlin/Bern/Wien 1994. 454 Vgl. Kirchner, Papsttum, 452 f. 455 Die Vorrede ist abgedruckt: WA 50; (45) 46 f. 456 Über das Konzil von Gangra, der Hauptstadt der kleinasiatischen Provinz Paphlagonien, bei der um das Jahr 340/341 (so die jüngere Forschung) 13 Bischöfe zusammen kamen, um über enthusiastische Anhänger des Eustathius zu urteilen, vgl. T. D. Barnes, The date of the council of Gangra ( JThS 40, 1989, 121–124); Hefele, Conciliengeschichte 1, 777–792; Müller, Zwingli, 29–31. Die in das Decretum Gratiani eingegangenen Kanones enthielten antiasketische Aussagen und verteidigten die Priesterehe. Zu den Konzilsdekreten siehe Mansi 2, 1095–1122. 457 Vgl. Müller, Zwingli, 46–48; WA 50; 45. Kymäus, der sich in Hessen intensiv mit der Bekämpfung der Wiedertäufer befasst hatte, war zusammen mit Antonius Corvinus im November 1535 vom hessischen Landgrafen zum Verhör der gefangenen Täuferführer nach Münster geschickt worden. 458 AaO. 46,4–10.

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lernen, „wie diese rechte geistreiche Bisschove zu den rechten sachen greiffen.“459 In den Papstkonzilien hingegen würden nicht die rechten Sachen, sondern Rangstreitigkeiten ausgetragen und „Gaukelwerk“ betrieben.460 Und anstatt sich an den rechten Konzilien und Kirchenvätern zu orientieren, ließen „die aller heiligsten Papisten [. . .] da wider jren starcken fortz“461 von der päpstlichen Oberhoheit über die Konzilien, die weltlichen Stände und die ganze Christenheit sowie von ihrer Irrtumslosigkeit fahren.462 Die Erwähnung der Konzilskanones von Gangra im geistlichen Recht baute Luther zu einem polemischen Rundumschlag gegen das römische Kirchenrecht aus und kündigte an, ähnliche papstkritische Schriften publizieren zu wollen.463 Kurze Zeit später verwirklichte er dieses Vorhaben, indem er die Schrift „Die Lügend von St. Johanne Chrysostomo“464 herausgab, welche er durch eine polemische Widmungsvorrede, sarkastische Randglossen und ein Nachwort kommentierte und mit tagesaktuellem Konzilsbezug goutierte.465 Gewidmet hatte Luther die romanhaft entfaltete apokryphe Heiligenlegende466 Papst Paul III., dessen Kardinälen, Erzbischöfen, Prälaten und weiteren zum Konzil nach Mantua kommenden Personen.467 Um jeglicher Kritik vorzubauen, die von katholischer Seite gegen die einstige protestantische Konzilsforderung und jetzige Konzilsablehnung erhoben werden konnte, reklamierte Luther für seine Person als „verdampter, verfluchter, 459

AaO. 46,11. AaO. 46,11–22. 461 AaO. 46,23–47,2. 462 AaO. 47,2–13. 463 AaO. 47,9 f. 14–23. Schäfer, Luther, 93 f. ist zu korrigieren, welcher die Notiz über die Erwähnung von Gangra im geistlichen Recht als Beweis für Luthers sorgsame und genaue Kenntnis im „Ius canonicum“ interpretierte. Stattdessen dürfte Luther die Information durch einen ersten Lektüreeindruck des Buchs von Kymäus erworben haben, das – dies dürfte Schäfer entgangen sein – eine Übersetzung der Konzilsakten enthielt. Dies wird durch den Befund bestätigt, dass Luther erstmals 1539 selbständig das Konzil von Gangra als Beweis dafür anführte, dass das weltliche Leben der Christen besser als das monastische Leben sei. Siehe WA 50; 609,16–20. 464 WA 50; (48) 52–64. Luthers hier vorgenommene Identifi zierung der Heiligenlegende als „Lügende“ führte im Protestantismus zur Abneigung gegen jegliche Form von legendarischer Literatur, obgleich der Reformator Märtyrerlegenden als nützlich zu lesen empfohlen hatte. Vgl. Schnyder, Legendenpolemik, 122–140. 465 Das Pamphlet muss vor dem 6. Mai 1537 entstanden sein, da es unter diesem Datum bereits in einer Streitschrift von Cochläus erwähnt wird. Vgl. WA 50; 49. 466 Zur Entwicklung der Prosapassional-Version (Der Heiligen Leben. Winterteil), die jene Chrysostomuslegende enthielt, vgl. D. Walz, Art. Johannes Chrysostomus (EdM 7, 1993, 583–586). 467 WA 50; 52,1–6. Die Konzilsausschreibung ironisierte Luther mit den Worten, aaO. 52,18–22: Denn es ist fur mich auch komen die Bulla, darinnen jr durch ewr aller heiligest heubt den Bapst habt ein Concilium gen Mantua ausgeschrieben, fur war (als nicht leichtlich jemand anders dencken kan) mit grossem ernst und eiver, den armen gewissen zuraten und helffen, wie jr denn bis her allzeit gethan [. . .]. 460

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unreiner, stinckender ketzer“468 sein beharrliches Interesse am Konzil und kokettierte mit seinem Vorhaben, persönlich das Konzil zu besuchen. Er erinnerte an seine Konzilsappellation vor fast 19 Jahren, welche er bis heute „als der recht Principal [d. h. Anstifter] adherirt und zu prosequirn willens“ sei,469 und erklärte seine Bereitschaft, das ausgeschriebene Konzil von Rechts wegen annehmen zu müssen, „aus nott, wie am tage ist“.470 Daher wolle er persönlich und leiblich das ausgeschriebene Konzil besuchen.471 Dieses habe er auch „Bepstlicher heiligkeit Aratori“472 Vergerio in Wittenberg mündlich zugesagt, „unangesehen, das ewr Gott das verzerend feur ist, durch welchen jr pflegt die ketzer zu uber winden.“473 Aufgrund von Krankheit und Geldmangel könne er das Konzil allerdings nicht leiblich aufsuchen, sondern komme, wie er kommen könne: „Wils nicht sein zu fus, ros oder wagen, So sey es zu Papyr und tinten.“474 Als Vorboten sende er jenen Chrysostomus,475 welcher den Konzilsvätern deren päpstlichen Lügen und Abgötterei, die sie durch „Gnaden und Ablas“ bestätigt hätten, vor Augen führen solle.476 Weitere Klageschriften kündigte Luther für das bevorstehende Konzil an, durch deren Auf klärung das konziliare Forum eigentlich zu einem antipäpstlichen Tribunal mutieren müsste.477 Allerdings war dies von der tatsächlichen Handlung des projektierten Konzils keineswegs zu erwarten, über das er orakelte: Alle päpstlichen Lügen würden dort buchstabengetreu bestätigt und es würden diejenigen verdammt werden, die den Lügen nicht glauben wollten.478 Dass zu diesen Lügen die Irrtumslosigkeit der Konzilsväter ebenso zählte wie der Primatsanspruch des römischen Bischofs über die gesamte Christenheit, unterstrich der Reformator abschlie468

AaO. 52,9. AaO. 53,2 f. Die Nachahmung des Kanzleistils war reine Parodie. 470 AaO. 53,3 f. – Dem „gemein Concilium“ als Adressat der „Konzilsappellation“ stellte Luther das ausgeschriebene Konzil gegenüber. Obwohl Luther diese Kontrastierung nur andeutete, stand hinter der Wendung „aus nott“ die für den aufmerksamen Leser eindeutige Botschaft, dass jenes ausgeschriebene Konzil nie und nimmer das geforderte allgemeine christliche Konzil sei. Weil es aber kein anderes Konzil gebe, begnügte sich Luther quasi aus Not mit diesem Konzil. 471 AaO. 53,4 f. 472 AaO. 53,6 f. Die Wortverdrehung „Oratori“ in „Aratori“ war ein weiteres Stilmittel von Luthers Ironie. 473 AaO. 53,7 f. 474 AaO. 53,15 f. 475 Luther ließ es sich nicht nehmen, mit der Übersetzung des Namens zu spielen, aaO. 53,18–20: darumb das er Chrysostomus, das ist gulden mund heisst. Denn ewr heiligkeit hören gern schöne süsse güldene wort und vorrede. 476 AaO. 53,22–27. – Zur Glossierung der Heiligenlegende und ihrer von Luther intendierten literarischen Funktion vgl. die weiterführenden Ausführungen von Schnyder, Legendenpolemik, 129–134. 477 WA 50; 53,27–54,7. Vgl. Schnyder, Legendenpolemik, 128 f. 478 WA 50; 63,20–24. 469

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ßend.479 Durch diese Einschätzung suchte Luther gleichzeitig die protestantische Leserschaft in ihrer Haltung zu stabilisieren und zu bestärken. Weil die Papstanhänger auch in Zukunft ihre Lügen pflegen werden, sei eine Gefährdung der eigenen Position durch eine Veränderung der gegnerischen Position nicht zu befürchten. Abschließend wiederholte Luther seine Absicht, sollte das Konzil zustande kommen – wovon er aber nicht ausging –, wolle er den Konzilsbesuchern weitere „Auf klärungsschriften“ zukommen lassen.480 Durch Nachdrucke in Straßburg und Augsburg fand diese Flugschrift eine zügige, aber im Vergleich zu den Flugschriftenproduktionen der 1520er Jahre bescheidene Verbreitung.481 Unter den Altgläubigen erregte sie besonders die Aufmerksamkeit des Kontroverstheologen Johannes Cochläus, der sich auf antiprotestantische Propaganda zur Konzilsthematik konzentriert hatte und noch im selben Jahr mit einer Entgegnungsschrift auf die vorgestellte Lutherschrift reagierte.482 Seine Angriffe gegen das „verlogene“ Papsttum setzte Luther im Mai483 mit einer Kommentierung der sogenannten „Konstantinischen Schenkung“ fort, die er – obgleich als Fälschung schon längst bekannt und dem Reformator seit 1520 vertraut484 – ins Deutsche übersetzte und als einen Hauptbeweis für das antichristliche und lügenhafte Wesen des Papsttums brandmarkte.485 Bildete das 479

AaO. 63,20–34. AaO. 63,34–64,6: Das ist doch ja die aller grössest bescheisserey, die auff erden komen ist, und hat auch sollen und müssen die letzt zeit sein fur dem jüngsten tage. Da von ich weiter reden will schrifftlich (so mir Gott zeit und krafft verleihet) mit den heiligen Vetern zu Mantua, wo sie das Concilium da auch nicht erlogen haben. Denn das Platten reich ist aus lügen komen, auff lügen gebawet, Es mus nichts thun, denn liegen mit worten, wercken, und allen krefften. 481 Vgl. Benzing 382 Nr. 3239–3241, der insgesamt drei Ausgaben, alle aus dem Jahre 1537, anführt. 482 Sie erschien 1537 in Leipzig unter dem Titel „Bericht der warheit, auff die unwaren Lügend S. Joannis Chrysostomi, welche M. Luther an das Concilium zu Mantua hat lassen außgehen“. Zu dieser Schrift vgl. Bäumer, Cochlaeus, 44 f.; Schnyder, Legendenpolemik, 134–139; Spahn, Cochläus, 261 f. 483 In Präzisierung von WA 50; 65 f. ist zu konstatieren: Luther wird seine Schrift im Mai und nicht im Juni 1537 angefertigt haben, da Ende Mai bereits Gerüchte von der Verschiebung des Konzils in Wittenberg kursierten. Wenn Luther bereits bei der Abfassung der Schrift über die Konzilsverschiebung informiert gewesen wäre, hätte er sie als Bestätigung seiner These von der päpstlichen Konzilsfurcht in seinen Kommentar eingeflochten. 484 Ulrich von Hutten gab Anfang 1520 die Schrift von Laurentius Valla „Contra donationis Constantini privilegium declamation“ mit einer Widmungsvorrede an den Papst versehen heraus. Bereits am 24. Februar 1520 hatte Luther diese Ausgabe gelesen und betonte gegenüber Spalatin, dass hierdurch der Beweis für das antichristliche Wesen des Papstes erbracht sei (WAB 2; 48,20–49,30 Nr. 257). Jetzt griff Luther auf diese Ausgabe zurück. Vgl. WA 50; 65 f.; Schäfer, Luther, 70 f.; W. Setz, Lorenzo Vallas Schrift gegen die konstantinische Schenkung. De falso credita et ementita Constantini donatione; Zur Interpretation und Wirkungsgeschichte (BDHIR 44), Tübingen 1975, 151–170. 485 Vgl. Mantey, Zwei Schwerter, 195. Dass die historischen Kenntnisse durch gute Bücher fehlerhaft seien, und ein Mangel an quellenorientierter wissenschaftlicher Sekundärlite480

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ausgeschriebene Konzil jener Schrift „Einer aus den hohen Artikeln des päpstlichen Glaubens, genannt Donatio Constantini“486 erneut den Hintergrund für die polemischen Angriffe gegen den Papstprimat, war eine Notiz für Luthers Konzilsvorstellung von bestätigender Bedeutung: Er betonte, dass in einem „[c]hristlichen freyen Concilio“ die Artikel über den Papst verhandelt werden müssten, verwarf aber sogleich jegliche Hoffnung auf jenen Konzilsmodus mit der irrealen Feststellung, „wenn wirs werd weren fur Gott, und sie es verdienet hetten, das Gott diese gnade geben wolt, damit sie sich erkenneten und solche unaussprechliche büberey büssen und bessern müsten.“487 Mit dieser Äußerung unterstrich Luther seine Strategie: positive Aussagen über ein christliches und freies Konzil in der Öffentlichkeit, so dass er nicht als Konzilsboykotteur dastand, bei gleichzeitiger Formulierung negativer Realisierungschancen aufgrund des antichristlichen Papstregimes. Wie bereits erwähnt, verschob Paul III. aufgrund von Differenzen mit Herzog Federigo Gonzaga von Mantua bezüglich des Sicherheitskonzeptes das Konzil auf den 1. November 1537. Die Prorogationsbulle vom 20. April488 wird Wittenberg im Sommer erreicht haben, wo sie unter den Titel „Pauli divina providentia papae tertii bulla prorogationis sacrosancti generalis conitii“489 in die antipäpstliche Medienoffensive sogleich eingereiht und mit einer anonymen Vorrede und Randglossen versehen veröffentlicht wurde. Obwohl Luther nicht als Autor angeführt ist und somit ein letzter Beweis für seine Verfasserschaft fehlt, dürfte der Reformator diese in Nürnberg nachgedruckte Schrift kommentiert haben.490 Mit der Verschiebung sah Luther seine These von der päpstlichen Konzilsfurcht bestätigt und betonte, weil die Papstgewalt auf der Tagesordnung des Konzils stehe, weiche der Papst aus. Die Differenzen mit dem Fürsten von Mantua bezüglich des Sicherheitskonzeptes seien nur vorgetäuscht. Der wahre Grund sei die päpstliche Abneigung gegen die ausstehende Reformation des Papsttums.491 Es folgten weitere Erzeugnisse im Rahmen der antipäpstlichen Publikationsinitiative: So gab Luther die mit Randglossen und einem Nachwort versehenen Flugschriften „Ioannis Nannis de monarchia papae disputatio“492 und „Bulla ratur vorliege, beklagte Luther in seiner „Donatio Constantini“, WA 50; 77,19–21: Ach wolt Gott, das etwa ein müssiger und gelerter Historicus solche Exempel zu samen trüge, wie offt die Bepste nach den Keiserlichen und Königlichen kronen gegriffen haben. – Vgl. Flachmann, Buch, 14 f. 486 WA 50; (65) 69–89. 487 AaO. 88,3–7. 488 CT 4; 111 f. Nr. 69. 489 WA 50; (90) 92–95. Siehe auch WAT 6; 310,15–24; WA 48; 679,5–8. 490 Vgl. WA 50; 91. 491 AaO. 92,1–93,3. Zynisch urteilte Luther aaO. 93 (Randglosse): O beatum Ducem, qui tam opportune Papam liberat a timore Concilij, quod eum facturum Papa (Ah Deus) non sciebat nec sperabat! 492 WA 50; (96) 98–105.

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papae Pauli tertii de indulgentiis contra Turcam“493 zur päpstlichen Türkenpolitik heraus und steuerte ein Vorwort zur umfangreichen Briefausgabe von Jan Hus bei.494 Mit der Konzilsthematik befasste sich ausführlicher die in die Gattung der Teufelsbriefe einzuordnende satirische Flugschrift „Beelzebub an die Heilige päpstliche Kirche“495 , die wahrscheinlich aus Luthers Feder stammte.496 Der im Feldlager gegen die „newen Galileer, genand die Lutherischen ketzer“497 weilende Teufelsfürst Beelzebub äußerte sich in seinem an den Papst und alle Glieder der päpstlichen Kirche gerichteten Brief entsetzt über die kurialen Reformbemühungen und das projektierte Konzil.498 Weil aber der Legat Batus Belial aus Rom kommend berichtet habe, dass eine solche Reformation überhaupt nicht ernst gemeint sei, sondern der Papst hierdurch lediglich „den Königen und aller welt eine nasen drehen und den Deudschen narren pferddreck fur feigen jnns maul gauckeln“ wolle, sei er höchst zufrieden.499 Jeglicher Reformversuch müsse unterbleiben und weiterhin müsse gegen den Galiläer und die Lutherischen gestritten werden. Sobald er, der Teufelsfürst, in Rom zurück sei, wolle er mit dem Papst ins Konzil nach Mantua ziehen, um den Galiläer mit seinen Lutherischen auszurotten und zu vertilgen, zumal der Geist des Galiläers, der sogenannte Heilige Geist, nicht kommen werde.500 In dieser auf Verspottung des Gegners und Unterrichtung über die päpstlichen Konzilsabsichten zielenden Satire summierte Luther seine zentralen Vorwürfe gegen das päpstliche Konzil. Eine ähnliche Polemik bildete die Flugschrift „Eine Frage des ganzen heiligen Ordens der Kartenspieler vom Karnöffel an das Concilium Mantua“501 aus dem Jahr 1537. Um das in Mantua tagende Konzil nicht mit unnützen Dingen zu belasten, sollte die Frage geklärt werden, warum im sogenannten Karnöffelspiel die niedrigere Karte die höhere steche, d. h. der Papst den Kaiser übertrumpfe.502 Weil kaum Anhaltspunkte für eine Verfasserschaft Luthers vorliegen, ist Luther als Autor höchst zweifelhaft.503 Trotzdem reiht sich dieses Pamphlet in die protestantische Konzilspolemik ein, 493

WA 50; (111) 113–116. WA 50; (121) 123–125. 495 WA 50; (126) 128–130. 496 Während Jedin, Geschichte 1, 271 ohne Begründung den Witzenhausener Pfarrer und hessischen Landgrafenberater Antonius Corvinus als Verfasser annimmt, welcher sich aber an der konzilskritischen Publikationsoffensive mit eigenen Schriften beteiligte, halten z. B. WA 50; 126 f. und Brecht, Luther 3, 190 den Wittenberger Theologen für den Autor. Brockmann, Konzilsfrage, 469 bleibt unentschieden. 497 WA 50; 128,8. 498 AaO. 129,1–16. 499 AaO. 129,18–26. 500 AaO. 130,1–13. 501 WA 50; (131) 132–134. 502 AaO. 132,8–133,6. 503 AaO. 131. 494

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an der sich über Luther hinaus weitere Personen beteiligten und die durch die als Flugschrift publizierte Konzilsabsage von König Heinrich VIII. aus England ihre politische Bestätigung fand.504

3.2. Die Reaktion auf die kurialen Konzilsverschiebungen Während der Schmalkaldische Bund mit dem englischen König Sondierungsverhandlungen über ein Bündnis führte und hierbei im November 1537 ein gemeinsames Vorgehen in der Konzilspolitik vorschlug,505 erfuhren die Wittenberger Theologen erst Ende Januar 1538 von der Verschiebung des Konzils in das venezianische Vicenza, wo es am 1. Mai 1538 einberufen werden sollte.506 Luther, der sich erneut in seiner Meinung bestätigt fand, bemerkte am 29. Januar in einer ersten Reaktion auf die neue Ortswahl: „Den ist man gen Mantua nicht kummen, civitatem imperialem, so wirdt man sub Venetos viel weniger ziehen.“507 Bereits am 8. Oktober 1537 hatte Papst Paul III. im Konsistorium beschlossen, das Konzil nach Vicenza zu verschieben.508 Auf dem Bundestag in Braunschweig Mitte April 1538 bekräftigten die Schmalkaldischen Bundesgenossen ihre Konzilsablehnung und wiesen die neue Konzilsausschreibung aus denselben Gründen wie 1537 zurück.509

504 MBWT 7; 526,35–39 Nr. 1948 (Melanchthon an Friedrich Myconius in Gotha, [Leipzig,] 6. 10. 1537). Zur Schrift vgl. Brockmann, Konzilsfrage, 276–279. 540 f. mit weiterführender Literatur zur englischen Konzilspolitik. 505 Weil die Übermittlung der hochoffi ziellen schmalkaldischen Rechtfertigungsschrift bezüglich der Konzilsablehnung durch einen einfachen Hamburger Schiffer den englischen König äußerst verstimmt hatte, schlugen Kurfürst Johann Friedrich und Landgraf Philipp in einem von Melanchthon entworfenen Beschwichtigungsschreiben an Heinrich VIII. u. a. vor, gemeinsame Beratungen über die künftige Konzilspolitik zu führen, und übersandten ihm nun offi ziell ihre Konzilsablehnung vom Frühjahr 1537. Siehe CR 3; 448–451 Nr. 1629 = MBWT 7; 558 f. Nr. 1964 (Entwurf, [Wittenberg, vor 14. 11. 1537]). Vgl. Wilhelm, Konzilspolitik, 125 f. Zu den Verhandlungen der Schmalkaldener mit dem König von England in der Konzilsfrage vgl. aaO. 126–131; Prüser, England, 111 f. 506 Melanchthon wusste Ende Januar zu berichten, dass in Leipzig eine päpstliche Bulle über das Konzil gedruckt wurde (MBWT 8; 36,28 f. Nr. 1985 [Melanchthon an Justus Jonas (in Zerbst, Wittenberg, Ende Januar 1538)]) und erhielt von Veit Dietrich die präzisere Information, dass das Konzil nun nach Vicenza einberufen sei (MBWT 8; 41,24 f. Nr. 1989 [Veit Dietrich an Melanchthon, Nürnberg, 2. 2. 1538]). Am 5. Februar leitete Melanchthon diese Information weiter. Siehe MBWT 8; 44,35–37 Nr. 1991 (Melanchthon an Johannes Heß [in Breslau, Wittenberg,] 5. 2. 1538). Schon am 29. Januar wurde die Konzilsverschiebung nach Vicenza in einer Tischrede von Luther thematisiert (WAT 3; 558 f. Nr. 3716) und in den folgenden Tagen häufiger diskutiert. Siehe WAT 3; 562 f. Nr. 3720; aaO. 577 f. Nr. 3732. Fehlerhaft Delius in seiner Vorrede StA 5; 450. 507 WAT 3; 558,19 f. 508 Vgl. Jedin, Geschichte, 269; Pastor, Päpste 5, 76. Die zweite Prorogationsbulle ist abgedruckt in: CT 4; 136 f. Nr. 92. Ein Leipziger Druck ist allerdings nicht nachweisbar. 509 Siehe die Mitteilung an Heinrich VIII., MBWT 8; 95,41–96,61 Nr. 2019 (Me-

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Über die Realisierung dieses Konzils trafen bis zum Sommer widersprüchliche Nachrichten in Wittenberg ein: Luther wusste Ende März zu berichten, dass in der Nachbarstadt Padua vom Konzil in Vicenza nichts bekannt sei, und folgerte daraus: „Es ist den buben nicht ernst.“510 Am 10. Juni meldete Melanchthon, dass das Konzil durch die Kardinäle Lorenzo Campeggio, Jacopo Sadoleto und Hieronymus Aleander feierlich eröffnet sei,511 relativierte aber sodann diese Meldung.512 Vor dem 18. August verbreitete sich in Wittenberg die Nachricht von der erneuten Prorogation des Konzils,513 über welche Luther sich erst am 16. September briefl ich äußerte514 und die er im Wortlaut erst Mitte Dezember zu Gesicht bekam.515 Tatsächlich hatte Paul III. bereits am 25. April 1538 das von ihm wenig engagiert betriebene Konzil auf unbestimmte Zeit vertagt 516 und ließ in einer auf den 28. Juni datierten Bulle nach Rücksprache mit Karl V. das Vicentiner Konzil auf den 6. April 1539 verschieben.517 Die Nachrichten vom Konzilsaufschub nutzte Luther für die Fortsetzung seiner konzilskritischen Publikationsoffensive. Anfang März 1538 gab er unter dem Titel „Ratschlag eines Ausschusses etlicher Kardinäle, Papst Paulo III. auf seinen Befehl geschrieben und überantwortet“ die deutsche Übersetzung einer kurialen Denkschrift mit Glossen und einer Vorrede versehen heraus,518 die am 9. März 1537 dem Papst zur Kirchenreform von reformorientierten Kardinälen übergeben worden war.519 Sein Vorwort eröffnete Luther mit der Bemerkung: lanchthons [lateinische Übersetzung für Kurfürst Johann Friedrich von Sachsen in Braunschweig, 14./15. 4. 1538]). 510 WAT 3; 626,8–12 Nr. 3800. Als politisches Argument gegen den Besuch des neuen Konzilsorts, der zu Venedig gehörte, führte Luther die Konfl ikte europäischer Fürsten mit Venedig an. Siehe auch Luthers zusammenfassendes Urteil über das päpstliche Konzilsprojekt am 21. Mai 1538 aaO. 679–682 Nr. 3877. 511 MBWT 8; 144,71–73 Nr. 2051 (Melanchthon an Joachim Camerarius, [Wittenberg,] 10. 6. 1538). Die genannten Kardinäle eröffneten keineswegs das Konzil, sondern dienten als Konzilslegaten der Vorbereitung (vgl. CT 4; 156 f. Nr. 109). Melanchthon bezieht sich hier auf den feierlichen Einzug der Legaten in die Stadt Vicenza am 12. Mai 1538, bei dem sie durch fünf Bischöfe begleitet wurden. Vgl. Pastor, Päpste 5, 82 f. 512 MBWT 8; 157,16–19 Nr. 2058 (Melanchthon an Sebastian Heller [in Ansbach, Wittenberg, Juni/Juli] 1538). 513 MBWT 8; 182,13–19 Nr. 2075 (Melanchthon an Veit Dietrich in Nürnberg, [Wittenberg,] 18.8.[1538]; aaO. 183,20 f. Nr. 2076 (NN an NN [in Wien oder Prag?, Wittenberg, ca. 18. 8. 1538]. 514 WAB 8; 292,29 f. Nr. 3259 (Luther an Jakob Propst in Bremen, [Wittenberg,] 15. 9. 1538). 515 WAT 4; 194–196 Nr. 4198 (18. 12. 1538). 516 CT 4; 161 f. Nr. 117. Im Auszug abgedruckt bei UA, 177 f. Nr. 2 (Papst Pauls III. Bulle „Romanus Pontifex“ über den vorläufigen Konzilsaufschub). 517 Die Konzilsbulle siehe CT 4; 167 f. Nr. 125. Vgl. zur Verzögerung der Konzilseinberufung Jedin, Geschichte 1, 270–275; Pastor, Päpste 5, 77–87. 518 WA 50; (284) 288–308. 519 Vgl. WA 50; 284 f. Über die Schrift war bereits Ende Januar im Hause Luther gesprochen worden. Siehe WAT 3; 568–570 Nr. 3726. Siehe auch WAB 8; 200,14 f. (Luther an

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„Es schleppet sich der Bapst mit dem armen Concilio, wie die Katze mit jren jungen. Inn Deudschland wil ers nicht halten, zu Mantua kan ers (wie er für gibt) nicht halten, jtzt sols zu Vincentz werden, da es nicht sein kann, und sie es auch nicht meinen [d. h. vorhaben]. [. . .] Also kan der Bapst keinen ort fi nden, da er gern ein Concilium hette. Wenn mein rat etwas gelten möcht, wolt ich schier raten, das man die heiligen Leute mit dem Concilio zu frieden liesse.“520

Die dreimalige Konzilsverschleppung521 begründete Luther mit der Abneigung des Papstes vor jeglicher Kirchenreform 522 und vor dessen Sorge, die das Papsttum stabilisierende Irrtumslosigkeit preisgeben zu müssen.523 Sollte ein Konzil zustande kommen, werde es wie das 5. Laterankonzil nur eine Selbstinszenierung des Papstes und keine echte Reformation der Kirche bringen.524 Diese Botschaft variierte Luther in seinem Vorwort und polemisierte über die angemaßte Primatsgewalt des Papstes mit den Worten: „Solt nu solcher aller dreck jnn einem freien Concilio gerüttelt werden, welch ein stanck solt sich da erheben? Des fürchten sie sich und suchen die aller wünderlichsten rencke und hoffen doch, man solle es nicht mercken.“525 Wie die 1535 veröffentlichte Papstbulle zur Kurienreform interpretierte Luther auch die nachstehende Denkschrift zur Reformation der Kirche als Konzilsersatz.526 Um die päpstlichen Reformäußerungen der substanzlosen Lüge zu überführen, griff Luther im April oder Mai 1538 auf die Aktenstücke der Reichstagsverhandlungen von 1523 in Nürnberg mit dem päpstlichen Legaten zurück, in denen Papst Hadrian VI. kirchliche Missstände eingestanden hatte. Jetzt publizierte er die bereits 1523 gedruckten Akten in deutscher und lateinischer Sprache erneut und versah sie mit Vorrede, Nachwort und Marginalglossen.527 Das Nikolaus Hausmann in Dessau, [Wittenberg,] 23. 2. 1538). Zur Denkschrift und deren Publikation, die auf einer kurialen Indiskretion beruhte, vgl. Pastor, Päpste 5, 117–128. 520 WA 50; 288,2–10. 521 Luther spricht davon, dass die Kurie das Konzil dreimal verschoben hätte (siehe aaO. 290,5 f.). Weil die dritte Prorogationsbulle aber erst im April 1538 und somit nach Luthers Schrift abgefasst wurde, dürfte der Reformator die Absage der Konzilsinitiative von 1535 mitgezählt haben. 522 AaO. 288,10–16: Sie können doch keines leiden, und werden auch keines machen, Es sey denn, das sie drinnen thun mögen, was sie wollen. Was zeihet man sie denn? Sie können sich nicht lassen Reformirn, Und wollens auch nicht thun, das weis man für war. Und sie besorgen doch, wo es zum Concilio keme, sie müssten fedder geben oder har lassen, auch jren eigen Schutzhern, als Keisern, Königen, Fürsten etc. wie sie im Costnitzer Concilio sich verbrand und wol sind gewar worden. 523 AaO. 288,17–28. 524 AaO. 288,29–289,5. 525 AaO. 290,3–5. 526 AaO. 290,18–22: Also haben sie jtzt aber ein ranck [d. h. Kniff ] erdacht, von der gantzen kirchen reformation, wie dis büchlin fuchsschwentzelt, Auff das, so man solcher lügen gleubt, hinfurt keins Concilium not sey. Denn wie zuvor durch jene Reformation der Bepstliche Hof Reformirt ist, So ist nu hie mit diesem Büchlin die gantze Kirche Reformirt. 527 WA 50; (352) 355–363. Zum lateinischen Druck „Legatio Adriani papae VI. ad conventum Nurembergensem anno 1522 missa“ verfasste Luther Vorrede, Nachwort und Mar-

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VII. Die Konzilsthematik im Horizont von Politik und Kirche (1530–1546)

reservierte Verhalten der Reichsstände damals stellte er als Vorbild für das zeitgenössische Handeln dar und wetterte erneut gegen die kurialen Reformvorhaben und zweifelhaften Konzilspläne.528 Als historisches Beweisdokument gegen den päpstlichen Primat gab Luther im April einen Brief des Kirchenvaters Hieronymus heraus.529 Die bedeutendste und populärste Publikation von Luther zur tagesaktuellen Konzilsthematik aus dem Jahr 1538 bildeten zweifelsohne seine Schmalkaldischen Artikel, die er mit einem Vorwort versehen und überarbeitet im Sommer herausgab.530 Obgleich der Abfassungszeitraum nicht genau rekonstruiert werden kann und aus den erhaltenen Kommunikationsmedien nicht hervorgeht, wann Luther die Nachricht von der erneuten Prorogation des Konzils vom 25. April erhielt und welchen Wert er Melanchthons Information von der angeblichen Konzilseröffnung beilegte, dürfte er zwischen Ende Mai und Mitte Juni die Veröffentlichung vorbereitet haben,531 da am 29. Juni die ersten ginalglossen (aaO. 355–360). Dem deutschen Druck „Was auf dem Reichstag zu Nürnberg wegen päpstlicher Heiligkeit [. . .]“ gab er nur eine Vorrede und wenige Randglossen bei (aaO. 361–363). Über die Verhandlungen von 1523 siehe oben, Kapitel VI § 15.1. 528 AaO. 355,19–356,2. 356,15–19. 361,23–28: So hören sie auch noch nicht auff mit unverschampten stinckenden Lügen, geben für, den Römischen hof und die gantze Kirche zu reformirn, auch ein Concilium zu halten, Treiben als mit der gantzen Christenheit jhr gespey [d. h. Spott] und gehey [d. h. Gefoppe], als werens eitel geuckelmenner oder puppen, die schlecht nichts mercken künden, wie gar falsche buberey sie furgeben. 529 WA 50; (338) 339–343. Der Brief fi ndet sich u. a. in: CorpIC, Decr. Grat., I dist. 93 c.24 (Friedberg 1,327–329). Auf Hieronymus als Kronzeugen gegen den päpstlichen Primat nahm Luther u. a. in einer Tischrede vom 10. April Bezug: WAT 3; 643,11–18 Nr. 3829. Vgl. Schäfer, Luther, 183. 318. 530 Vgl. UA, 178 Anm. 1, wo die wesentlichsten inhaltlichen Änderungen verzeichnet sind. Die Vorrede ist abgedruckt bei aaO. 178–183 Nr. 1 = WA 50; 192–196 = StA 5; 344– 349 = BSLK11 407–414. Die Zitation richtet sich nach der WA. Vgl. Führer, Artikel, 59–66, der das Konzil als beherrschendes Thema der Vorrede zu Recht hervorhebt. Die von Führer aaO. 63–65 vorgenommene Interpretation der Konzilsthematik mit Hilfe der Schrift „Von den Konziliis und Kirchen“ mag systematisch-theologisch gerechtfertigt sein, übersieht aber die Entwicklungsnuancen in Luthers Konzilsverständnis. 531 Ein Indiz zum Abfassungszeitraum gibt Luther in seiner Vorrede, die er mit den Worten beginnt, WA 50; 192,5–10: DA der Bapst Paulus des namens der Dritte ein Concilium ausschreib im vergangenem jar auff die Pfi ngsten zu Mantua zu halten und hernach von Mantua wegruckt, das man noch nicht weis, wo hin ers legen wil oder kann [. . .]. – In der Vorrede erwähnt Luther lediglich die Vertagung und Verlegung des Konzils von Mantua, nicht aber die Konzilsverschiebung nach Vicenza, von der er spätestens seit dem 29. Januar 1538 wusste. Wird die Auslassung des neuen Konzilsortes Luthers Unkenntnis zugerechnet, so hätte die Vorrede spätestens vor dem 29. Januar 1538 abgefasst werden müssen. Da sich aber dann u. a. die Frage stellt, warum Luther für den Druck derart viel Zeit benötigte, und eine Abfassung Ende Mai bis Mitte Juni sich zur zweiten Satzhälfte des Zitates besser reimt, ist anzunehmen, dass Luther bewusst auf die Erwähnung von Vicenza verzichtete. Allerdings stellt sich hier das Problem, wann der Reformator von der erneuten Prorogation des Konzils informiert wurde, welches Paul III. ohne Orts- und Zeitangabe verschoben hatte, und ob die Information noch vor dem 10. Juni erfolgte. Hinweise zur Problemlösung fi nden sich in den konsultierten Briefen und Tischreden keine, so dass in Erweiterung des Abfassungszeitraums von UA, 178 Anm. 1 auch Ende Mai angenommen werden kann.

§ 19 Die lutherische Reaktion auf das Konzilsausschreiben von 1536 nach Mantua

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Exemplare zum Verkauf angeboten wurden.532 Durch seine Vorrede reihte er die Publikation in seine konzilskritische Propaganda und in seine Reaktion auf die Konzilsverschiebung ein. In den einleitenden Sätzen erklärte er die Abfassung der Artikel mit der protestantischen Konzilsvorbereitung für das einst nach Mantua ausgeschriebene Konzil und spezifi zierte die Absicht (ohne Erwähnung des Schmalkaldener Bundestages vom Februar 1537),533 sie auf einem „recht frey Concilium“ öffentlich zu verantworten und als protestantisches Glaubensbekenntnis vorzutragen.534 Erneut verschwieg der Reformator dabei nicht seine Meinung über das Nichtzustandekommen des politisch gewünschten freien Konzils, welches der Papst „on liegen und triegen, mit ernst und warhafftig“ einberufen müsste,535 und nannte als Grund die kuriale Konzilsfurcht. Sodann brachte Luther einen bis dahin von ihm nicht geäußerten Aspekt ein: Mit dem Verhalten brüskiere und enttäusche der Papst insbesondere seine eigenen Anhänger, die auf ein solches Konzil gehofft hätten, aber nun erkennen müssten, „das der Bapst lieber wolt die gantze Christenheit verloren und alle Seelen verdampt sehen, ehe er sich der die seinen wolt ein wenig reformieren und seiner Tyranney eine mas setzten lassen.“536 Tatsächlich beruhten diese antipäpstlich gewendeten Aussagen auf Nachrichten über den Unmut katholischer Herrscher bezüglich der Konzilsverschiebung und der mangelnden Konzilsfreiheit.537 Weil das Konzil nun nicht zustande komme, charakterisierte er die Artikel entsprechend des kurfürstlichen Entstehungsauftrages als sein Zeugnis und Bekenntnis für die Nachgeborenen und äußerte sein öffentliches Bedauern über die Konzilsverschleppung.538 In diesem Zusammenhang tätigte er in Fortsetzung seiner 1535 gegenüber dem päpstlichen Nuntius getroffenen These die für sein Konzilsverständnis zentrale Aussage: Für die evangelischen Kirchen sei ein Konzil nicht nötig, da sie „nu durch Gottes gnaden mit dem reinen wort und rechtem brauch der Sacrament, mit erkentnis allerley Stenden und rechten wercken also erleucht und beschickt“ seien.539 Hingegen sei ein „recht Concilium“ als notwendiges Hilfsmittel 540 für die verwaisten und leeren Pfarren in den zahlreichen Bistümern zu unterstützen, um den dortigen „armen Leuten“ das

532

Vgl. UA, 183 Anm. 1. Siehe oben, Kapitel VII § 19.2.3. 534 WA 50; 192,5–193,11. 535 AaO. 193,7–10. 536 AaO. 193,11–21. 537 WAT 3; 680,5–7. Zur negativen Stimmung unter den katholischen Fürsten nach der zweiten Prorogation vgl. Jedin, Geschichte 1, 270 f. 538 WA 50; 193,22–194,8. Vgl. Führer, Artikel, 61. 539 WA 50; 195,17–23. 540 AaO. 195,15–17: Möchte ich fur war wol gern ein recht Concilium sehen, damit doch vil sachen und Leuten geholffen würde. 533

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VII. Die Konzilsthematik im Horizont von Politik und Kirche (1530–1546)

Evangelium zu vermitteln.541 Aufgrund des pastoralen Notstandes in den katholischen Gemeinden halte er das Konzil als Reforminstitution für dringend erforderlich. Mit dieser auf den Glauben der Menschen zielenden Konzentration griff Luther auf Gedanken zurück, die er als junger Theologieprofessor um 1515 optimistisch in seiner Synodalpredigt verbalisiert hatte,542 nun aber eher pessimistisch beurteilte. Da der Papst und seine Anhänger derart leichtsinnig mit dem Konzilsthema umgingen und keine Reformen umsetzten, fürchte Luther in apokalyptischer Perspektive, Gott „möcht ein mal ein Engel Concilium lassen gehen uber Deudsch Land, das uns alle jnn grund verderbet wie Sodom und Gomorra, weil wir sein so freuelich [d. h. frevelhaft] mit dem Concilio spotten.“543

Neben den kirchlichen Missbräuchen prangerte Luther auch die Missstände im ethischen Verhalten der weltlichen Stände an und zählte sie zu den Verhandlungsthemen eines Konzils. Über die eklatanten Missstände resümierte Luther, „das mans mit zehen Concilijs und zwenzig reichstagen nicht wider wird zu recht bringen“ werde.544 Erst nachdem die christlichen Hauptstücke des geistlichen und weltlichen Standes, über welche die vorgelegten Artikel handelten, im Konzil umgesetzt seien, könnten auch zeremonielle Fragen diskutiert werden.545 Abschließend wandelte Luther den Konzilsgedanken eschatologisch und schloss seine Vorrede in Gebetsform: „Ah lieber HErr Jhesu Christi halt du selber Concilium und erlöse die deinen durch deine herrliche zu kunftt. Es ist mit dem Pabst und den seinen verloren. Sie wollen dein nicht.“546

Mit diesen Aussagen hatte Luther einerseits seine papstkritische Konzilshaltung erneuert und mittels der Differenzierung des freien Konzils öffentlich bekräftigt, dass er keineswegs als Konzilsboykotteur zu verurteilen sei, andererseits seine in der ersten Hälfte der 1520er Jahre entwickelte Position an prominenter Stelle wiederholt, dass die evangelischen Kirchen kein Konzil mehr bedürften. Einen Rückgriff auf die konziliaristischen Reformforderungen bildete der über den „missionarischen“ Aspekt hinausgehende Gedanke von der Notwendigkeit eines Konzils zur Reform der altgläubigen Gemeinden. 541

AaO. 195,24–30. Siehe oben, Kapitel II § 1.2. 543 WA 50; 195,30–33. 544 AaO. 195,34–196,7. 545 AaO. 196,8–20. 546 AaO. 196,32–35. Die Bitte führte Luther auf die eigene Situation gerichtet fort, aaO. 196,35–39: So hilff du uns armen und elenden, die wir zu dir seufftzen und dich suchen mit ernst, nach der gnade die du uns gegeben hast, durch deinen heiligen Geist, der mit dir und dem Vater lebet und regirt ewiglich gelobt, AMEN. 542

§ 19 Die lutherische Reaktion auf das Konzilsausschreiben von 1536 nach Mantua

505

Dass die katholische Kontroverspublizistik die Konzilsangriffe Luthers nicht duldete, veranschaulicht die im Herbst von Johannes Cochläus publizierte Gegenschrift „Ein nötig vnd Christlich Bedencken auff des Luthers Artickeln, die man Gemeynem Concilio fürtragen sol“.547 Auch die Kontroverstheologen Georg Witzel und Johannes Hoffmeister, Augustiner-Eremit in Colmar, belebten mittels Publikationen den antilutherischen Konzilsdiskurs, worauf der Reformator aber bewusst nicht reagierte.548 Seine bekannte Meinung über die päpstlichen Konzilien, insbesondere über das Konstanzer Konzil, und über die konziliaren Realisierungschancen äußerte Luther im weiteren Verlauf des Jahres 1538 wiederholt bei Tisch und in Predigten.549 Anders als Melanchthon, der in einem Tischgespräch für ein von der weltlichen Obrigkeit einberufenes Nationalkonzil plädierte,550 konnte Luther zwar die kaiserliche Konzilsinitiative öffentlich loben,551 hielt aber weitergehende Konzilsaktionen für zwecklos. Eine Beobachtung ist aus der Vielzahl der Äußerungen zum Konzilsthema am Ende dieses Abschnittes noch erwähnenswert: Mit wachsender Häufigkeit verwendete Luther im Verlauf des Konzilsdiskurses im Jahr 1538 den protestantischen Begriff vom freien, christlichen Konzil und wandte ihn – ähnlich wie den Begriff des Evangeliums – als wirkmächtiges Wort gegen den Papst.552 Die die gesamte Konzilsthematik in den Schatten stellende christologische Perspektive blieb für Luther grundlegend und unaufgebbar: „Aber wen gleich hundert tausendt Concilia gehalten wurden, so ist mein Herr Christus noch grosser den die“.553

547 Die Schmalkaldischen Artikel, welche der eifrige Kontroverstheologe und Luthergegner Cochläus bereits am 10. Juli in Händen hielt, denunzierte er beim päpstlichen Nuntius Giovanni Morone und Kardinal Gasparo Contarini. Siehe UA, 184 f. Zur Gegenschrift vgl. H. Volz (Hg.), Drei Schriften gegen Luthers Schmalkaldische Artikel von Cochläus, Witzel und Hoffmeister (1538 und 1539) (CCath 18), Münster 1932. 548 Vgl. UA, 185 f.; Volz, Schriften, 1932. Siehe Luthers mündliche Kritik an Cochläus und Witzel WAT 4; 101 f. Nr. 4051. aaO. 103 f. Nr. 4055. 549 Siehe z. B. WAT 3; 679–682 Nr. 3877 (21. 5. 1538); aaO. 694 f. Nr. 3900 (27. 6. 1538); WAT 4; 46 f. Nr. 3972 (23. 8. 1538); aaO. 49 Nr. 3974 (24. 8. 1538); aaO. 83 f. Nr. 4024 (29?.9. 1538); aaO. 112 f. Nr. 4071 (16. 10. 1538); aaO. 131–133 Nr. 4094 (10. 11. 1538); aaO. 194–196 Nr. 4198 (18. 12. 1538); aaO. 204 f. Nr. 4306 (12. 8. 1538). In den Predigten thematisierte Luther das Konzil vielfach u. a. WA 47; 167,15–18; aaO. 177,31–35; aaO. 240,38–41; aaO. 256,36–40; aaO. 258,39. 550 WAT 3; 694,20–24. 551 Siehe WA 47; 127,10–128,4 (Predigt über Joh 3,20 vom 28. 9. 1538). 552 AaO. 127,19 f.: Aber das wortt (ein Frey Christlich concilium) das ist des Bapsts gifft und todt. 553 WA 47; 250,29–31.

§ 20 Die reformatorische Schrift „Von den Konziliis und Kirchen“ (1539) Der bekannteste, umfassendste und stringenteste Beitrag zum theologischen und kirchlichen Konzilsdiskurs aus Luthers Feder bildete seine 1539 publizierte Schrift „Von den Konziliis und Kirchen“.554 Dieses voluminöse Werk, welches der Reformator schon seit mehreren Jahren zu schreiben beabsichtigt hatte, bündelte in wohlüberlegter und differenzierter Weise seine über Jahre gereiften Aussagen über die Autorität der Konzilien und formulierte Grenzen und Chancen eines Konzils aus lutherischer Sicht. Während sich Luther in den zwei ersten Teilen der dreiteilig aufgebauten Schrift dem Konzilsthema in historischer und theologischer Perspektive widmete,555 entfaltete er in einem eher lose angefügten dritten Teil seine Lehre von der Kirche.556 Von der Forschung wurde „Von den Konziliis und Kirchen“ vielfach als die Hauptquelle für Luthers Konzilsverständnis rezipiert.557 Bei genauerer Betrachtung der Forschungsliteratur erstaunt aber, dass die von Luther in seiner Schrift geäußerten Konzilsaspekte zwar häufig dargestellt und untersucht, aber kaum kontextualisierend interpretiert wurden,558 während die dortigen Kirchenväterbezüge jüngst die Aufmerksamkeit der Wissenschaftler wecken konnten.559 Das Hauptinteresse der theologiegeschichtlich-systematisch interessierten For554 WA 50; (488) 509–653 = StA 5; (448) 456–617; Walch 2 16, (2144) 2145–2303; MüErg 7, 7–136 (162). 555 Der erste Teil umfasst die Seiten WA 50; 509–547,11 = StA 5; 456–499,8 und der zweite Teil WA 50; 547,12–624,3 = StA 5; 499,9–584. 556 WA 50; 624,4–653 = StA 5; 585–617. 557 Vgl. z. B. Beyer, Ekklesiologie, 113 f.; Ebneter, Konzil, 40–46; Pelikan, Luthers Stellung, 42. 558 Insbesondere die Studie von Tecklenburg Johns, Konzilsidee, 23–25 u. ö. orientiert sich grundlegend an der Konzilsschrift, wobei sie aber den unmittelbaren historischen und theologischen Kontext unberücksichtigt lässt und Veränderungen in Luthers Konzilsverständnis nicht wahrzunehmen vermag. Das Konzilsthema verhandeln differenzierter Brecht, Luther 3, 194–198; Edwards, Last battles, 93–96; G. Kuhaupt, Veröffentlichte Kirchenpolitik. Kirche im publizistischen Streit zur Zeit der Religionsgespräche (1538–1541) (FKG 69), Göttingen 1998, 61–69; Köstlin/Kawerau, Luther 2, 404–408; Pelikan, Luthers Stellung, 40–62. Die Konzilsthematik berücksichtigt darüber hinaus Adolf Sperl in der theologischen Einleitung von MüErg 7, 139–146, Ferdinand Cohrs und Oskar Brenner in ihrer überarbeitungsbedürftigen Einleitung zu WA 50; 488–509 sowie die defi zitäre Einleitung von Hans-Ulrich Delius in StA 5; 448–455. 559 Vgl. Th. Bell, Die Eichen und Tannen als Lehrmeister. Bernhard von Clairvaux in

§ 20 Die reformatorische Schrift „Von den Konziliis und Kirchen“ (1539)

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schung richtet sich nach wie vor auf die ekklesiologischen Ausführungen der Konzilsschrift, welche als relativ gut erforscht gelten können und deshalb hier nicht näher analysiert werden.560 Im Rahmen der vorliegenden Studie ist der Untersuchungsfokus folglich auf den ersten und zweiten Teil der Konzilsschrift zu richten und nach den Abfassungsmotiven, den Grundgedanken und den konzilstheologischen Intentionen zu fragen. Es stellt sich erneut die Frage, warum sich Luther mit der Konzilsthematik befasste und sogar Konzilsforderungen erheben konnte, obwohl er das Zustandekommen eines Konzils weder erwartete noch ihm eine Bedeutung für die evangelische Lehrentwicklung zuwies. Drängte ihn die (kirchen)politische Situation hierzu oder waren theologische Gründe leitend? Wie zuvor müssen diese Fragen aus dem historischen Kontext betrachtet und muss die Schrift innerhalb der zeitgenössischen Religionsdiskurse eingeordnet werden. Um Dubletten zum Vorangehenden zu vermeiden, werden schwerpunktmäßig die über die bereits bekannten Argumente hinausgehenden konzilstheologischen Erwägungen analysiert und interpretiert.

1. Abfassungsmotive Den Plan für eine umfangreiche Kirchen- und Konzilsschrift hatte Luther schon länger gefasst.561 Doch erst 1538 nahm das mehreren Wandlungen unterworfene Buchprojekt konkretere Gestalt an und fand Mitte März 1539 seinen Abschluss.562 Ob sich Luther bereits im Sommer 1538 an die Abfassung des Werkes begab, wie Ferdinand Cohrs, Oskar Brenner und Hans-Ulrich Delius behaupten, ist möglich, aber nicht unbedingt zwingend.563 Sicher ist, dass sich Luther Luthers Schrift „Von den Konziliis und Kirchen“ (CistC 107, 2000, 335–350); zur Mühlen, Auctoritas patrum, 141–152. 560 Aus der Fülle ekklesiologischer Untersuchungen, welche die Aspekte von Luthers Kirchenverständnis aus seiner Konzilsschrift herausarbeiten, sei exemplarisch verwiesen auf die Tagungsberichte von C. A. Aurelius, Notae ecclesiae in Luther’s Later Writings (LuJ 71, 2004, 244 f.); M. Schloemann, Luthers Ekklesiologie: „Von den Konziliis und Kirchen“ (LuJ 52, 1985, 278–282) sowie die Veröffentlichungen von Abraham, Evangelium und Kirchengestalt, 22–45; K. Exalto, Luthers kerkopvatting in zijn „Von den Konziliis und Kirchen“ (Theologia reformata 26, 1983, 177–193); Kantzenbach, Strukturen, 48–77; U. Kühn, Kirche (HST 10), Gütersloh 21990, 21–38; Neebe, Apostolische Kirche, 78–80 u. ö.; L. Pusztai, Luthers Verständnis der notae ecclesiae nach der Schrift: „Von den Konziliis und Kirchen“ 1539, Halle an der Saale 1944. 561 Vgl. Brecht, Luther 3, 194; StA 5; 448. 562 WAB 8; 391,23–25 Nr. 3310 = MBWT 8; 345,23–25 Nr. 2162 (Luther an Melanchthon in Frankfurt am Main, [Wittenberg,] 14. 3. 1539). Zur Verbreitung und Rezeption vgl. Kuhaupt, Kirchenpolitik, 63–65. 563 Die Behauptung von einer teilweisen Abfassung im Sommer 1538 stützten Cohrs und Brenner (WA 50; 501) sowie ihnen darin folgend Delius (StA 5; 450) auf die Erwähnung der dritten Konzilsausschreibung im Text (WA 50; 510,8: Denn er [d. h. der Papst] schreibt nu zum

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VII. Die Konzilsthematik im Horizont von Politik und Kirche (1530–1546)

Ende 1538 mit der Thematik eingehender befasste und in den ersten Monaten des Jahres 1539 die Schrift niederschrieb.564 Sein in jenen Monaten gefestigter Gesundheitszustand ermöglichte es Luther, die Studie konzentriert und zügig anzufertigen.565 Die Motive, welche ihn zur Abfassung der Schrift bewogen, sind aufgrund des Facettenreichtums des Werkes wie auch der historischen Umstände mehrdritten mal aus das Concilium), die sie mit Luthers Notiz von der dreimaligen Konzilsverschiebung in WA 50; 290,5 f. (März 1538) in Verbindung bringen. Allerdings stellt sich die nicht berücksichtigte Folgefrage, wie die Bemerkung in der Vorrede zu den Schmalkaldischen Artikeln vom Juni 1538 zu werten ist, in welcher Luther von einer Konzilsverschiebung auf unbestimmte Zeit spricht (aaO. 192,9 f.). Weil erst die 4. Konzilsprorogation vom 28. Juni 1538 das Konzil erneut konkret terminierte und lokalisierte, dürfte es wahrscheinlicher sein, dass sich der Reformator auf diese – nach seiner Zählung dritten Konzilsausschreibung – bezog! Da Luther die neue Konzilsausschreibung nach Vicenza (WA 50; 511,27 f.) erst im Dezember 1538 im Wortlaut einsehen konnte, ist die These vom Abfassungsbeginn der Konzilsschrift im Sommer 1538 nicht zwingend notwendig. F. Cohrs, Zur Chronologie und Entstehungsgeschichte von Luthers Genesisvorlesung und seiner Schrift „Von den Konziliis und Kirchen“. Ein Beitrag zur Bedeutung der Tischredenüberlieferung für die Lutherforschung, aufgrund der neuesten Tischredenforschung (in: Lutherstudien zur 4. Jahrhundertfeier der Reformation, hg. von den Mitarbeitern der Weimarer Lutherausgabe, Weimar 1917, 159–169), 168 meinte in WAT 3; 679,33 f. Nr. 3877 (21. 5. 1538) und WAT 4; 49 Nr. 3974 (24. 8. 1538) Anhaltspunkte für den Abfassungsbeginn der Schrift fi nden zu können. Allerdings können m. E. diese zu jener Zeit keineswegs singulären Konzilsaussagen die These vom Abfassungsbeginn im Sommer 1538 ebenfalls nicht untermauern helfen. Bei der Annahme, dass nach Lektürestudien und Vorarbeiten die Schrift im Ganzen Anfang 1539 entstand, entfällt die nicht eindeutig zu beantwortende Frage, warum Luther die Anfertigung seiner Schrift unterbrach. Der angedeutete Lösungsvorschlag von Cohrs und Brenner (WA 50; 505), Luther habe aufgrund mangelnder Kenntnisse des Konzils von Chalcedon u. a. die Abfassung aufgeschoben, kann nicht überzeugen. Dienlicher wäre hier ein Hinweis auf Luthers verschiedene Krankheiten, die ihm z. B. vom 7. Juli bis 13. Oktober das Predigen in der Stadtkirche unmöglich machten (vgl. Neumann, Luthers Leiden, 131). Dass Cohrs und Brenners These von dem Abfassungsbeginn im Sommer 1538 in der Regel ungeprüft übernommen wurde, veranschaulichen z. B. Kuhaupt, Kirchenpolitik, 62; Neebe, Apostolische Kirche, 78 Anm. 185. 564 Die intensive Beschäftigung mit der Konzilsthematik spiegelt sich Anfang 1539 auch in den Tischreden wider, welche Urteile und Formulierungen von Luthers Studien wiedergeben. Siehe WAT 4; 457 Nr. 4732 (27. 1. 1539); aaO. 457 f. Nr. 4733 (Ende Januar 1539); aaO. 458 f. Nr. 4734 (Anfang Februar 1539); aaO. 231–233 Nr. 4338 (3. 2. 1539); aaO. 258– 260 Nr. 4360 (24. 2. 1539); aaO. 268 f. Nr. 4374 (1. 3. 1539); aaO. 290 Nr. 4389 (11. 3. 1539). Vgl. Cohrs, Chronologie, 166 f. 565 Nach einem Schwindelanfall am 11. Januar 1539 scheint Luther von Mitte Januar bis Ende März 1539 verhältnismäßig beschwerdefrei gewesen zu sein, obgleich er weiterhin geschwächt blieb. Vgl. Neumann, Luthers Leiden, 131. Seine Predigttätigkeit reduzierte Luther von Ende Januar bis Mitte März, wodurch er Zeit zur schriftlichen Ausfertigung fand. Siehe die vier Predigten in der Zeit zwischen dem 27.1. und 22. 3. 1539: WA 47; 659–685. Aufgrund eines akuten Versorgungsengpasses der theologischen Lehre an der Universität, die durch die Abwesenheit von Melanchthon, Bugenhagen und Jonas sowie Luthers Krankheiten bedingt war, mutete sich Luther Anfang März die Aufnahme seiner länger unterbrochenen Genesis-Vorlesung zu. Siehe WAB 8; 379,41–44 Nr. 3305 = MBWT 8; 328,38– 329,42 Nr. 2153 (Luther an Melanchthon in Frankfurt am Main, [Wittenberg,] 2. 3. 1539).

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schichtig und ineinander verwoben. Weil diese Mehrdimensionalität schwierig zu beschreiben ist, fanden in den Einleitungen der kritischen Ausgaben verallgemeinernde Umschreibungen Eingang, die das Bild der Forschung prägen sollten, obwohl präzisere Bestimmungen möglich sind.566 Nach wie vor war das Konzilsthema tagesaktuell, obwohl die internationale Politik mittlerweile deutlicher als zuvor auf Distanz zur päpstlichen Konzilsinitiative gegangen war und die geplante Konzilsversammlung am 6. April 1539 kaum mehr unterstützte.567 Der Ruf nach einem allgemeinen Konzil zur Reform der Kirche und zur Überwindung der Kirchenspaltung blieb aber bestehen und wurde, wie aus den Tischreden Luthers vom Winter 1538/39 hervorgeht, auch in Wittenberg nachhaltig diskutiert. Dabei rückte Luther zunehmend die Frage nach dem wahren Wesen der Kirche in den Vordergrund und kontrastierte es mit der Papstkirche.568 Aus diesen Andeutungen ergibt sich folgende, von der Forschung bisher übersehene These: Die päpstliche Konzilsausschreibung bildete zwar den zeitgenössischen Bezugsrahmen für Luthers Konzilsschrift, der eigentliche Anstoß zur Realisierung des lang geplanten und immer wieder hinausgeschobenen Projektes ging aber von anderen Ereignissen und Diskursen aus!

1.1. Leipziger Religionsgespräch und Frankfurter Bundestag Den kirchenpolitischen Anlass für die Abfassung boten zwei Konferenzen, welche im Januar und Februar 1539 ohne unmittelbare Beteiligung Luthers stattfanden. Zum einen kamen am 1. Januar führende evangelische und reformkatholische Theologen und Politiker zu einem Religionsgespräch in Leipzig zu-

566 Die folgende Formulierung von Cohrs und Brenner (WA 50; 501) wurde von Delius (StA 5; 450) fast wörtlich übernommen: „Die ganze Lage und noch mehr die Stimmung der Evangelischen drängt um Ende 1538 Anfang 1539 zur Abfassung. Die katholische Partei hatte sich mehr zusammengeschlossen, schien erstarkt und gerüstet zum Kampf. Der Nürnberger Religionsfriede war verletzt; der Zusammenstoß schien unvermeidlich. Da machte auch mancher Evangelische doch den Seinen Vorwürfe, daß sie die gefährliche Situation mit verschuldet, und wünschte, daß man zu Schmalkalden nicht abgelehnt hätte, das Konzil zu beschicken. Ein auf klärendes, belehrendes Wort war nötig, zu zeigen, weshalb die Beschickung dieses Konzils nicht den Frieden hätte schützen können. Luther mußte, was er lange erwogen und vorbereitet hatte, nun hinaussenden.“ 567 Durch die Auseinandersetzung zwischen dem französischen König Franz I. und Kaiser Karl V. sowie durch die eigenständige kaiserliche Unionspolitik zeichnete sich im Herbst 1538 ab, dass eine Konzilsbeschickung durch den Kaiser und den französischen König kaum mehr zu erwarten war. Damit schien auch das päpstliche Projekt hinfällig. Vgl. W. Friedensburg, Kaiser Karl V. und Papst Paul III. (1534–1549) (SVRG 153), Leipzig 1932, 22–36; Jedin, Geschichte 1, 277 f.; A. Korte, Die Konzilspolitik Karls V. in den Jahren 1538–1543 (SVRG 22/85), Halle an der Saale 1905. 568 Siehe WAT 4; 194–196 Nr. 4198 (18. 12. 1538).

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sammen,569 zum anderen trafen sich am 12. Februar die Schmalkaldischen Bundesgenossen in Frankfurt am Main zur Klärung ihrer Kriegspolitik 570 und anschließend zu Friedensverhandlungen mit dem kaiserlichen Unterhändler Johann von Weeze, die am 19. April 1539 zum „Frankfurter Anstand“ führen sollten.571 Da zuvor durch die Gründung eines katholischen Gegenbundes, des sogenannten Nürnberger Bundes oder der Katholischen Liga, am 10. Juni 1538 dem expandierenden Schmalkaldischen Bund ein Gegengewicht entstanden 572 und durch verschiedene antiprotestantische Maßnahmen die Kriegsgefahr im Verlauf des Jahres 1538 gewachsen war, herrschte auf reichspolitischer Ebene gegenseitiges Misstrauen und höchste Anspannung.573 Zur Vermeidung eines drohenden Religionskrieges regte der brandenburgische Kurfürst Joachim II. bereits im Sommer 1538 an, eine Verständigung in der Glaubensfrage mit den Protestanten mittels Religionsgesprächen zu erzielen.574 Diese Idee integrierten 569 Zum Leipziger Religionsgespräch, an dem von kursächsischer Seite Melanchthon und Kanzler Gregor Brück, von hessischer Seite Bucer und Kanzler Johann Feige und von albertinischer Seite Georg von Karlowitz, Witzel und Ludwig Fachs teilnahmen, siehe die zeitgenössischen Berichte von Brück und Bucer: CR 3, 621–629 Nr. 1762–1764 (Brück an Kurfürst Johann Friedrich, Leipzig, 1.–3. 1. 1539) und Lenz 1, 63–68 Nr. 23 (Bericht Bucers an Landgraf Philipp). Vgl. M. Ditsche, Das „Richtscheit der apostolischen Kirche“ beim Leipziger Religionsgespräch von 1539 (in: E. Iserloh und K. Repgen [Hg.], Reformata Reformanda. Festgabe für Hubert Jedin [RGST.S 1], Münster 1965, 466–475); Fuchs, Konfession, 388–409; Greschat, Bucer, 177–179; Hollerbach, Religionsgespräch, 120–123; Kuhaupt, Kirchenpolitik, 58–61; Wartenberg, Religionsgespräche, 39–41. 570 Zum Frankfurter Bundestag, der aufgrund der wachsenden Kriegsgefahr einberufen worden war, über einen möglichen Präventivkrieg diskutierte und sich zugunsten von Friedensbemühungen entschied, vgl. Haug-Moritz, Bund, passim; Meinardus, Verhandlungen, 622–627. 636–654; Mentz, Johann Friedrich 2, 181 f. Der Bundesabschied vom 23. April 1539 ist dokumentiert in: ADRG 1,2; 1078–1094 Nr. 391. Die ekklesiologischen Aspekte und „Appelle zur Verteidigung der ‚Kirche‘ im Umfeld der Frankfurter Verhandlungen von Februar bis April 1539“ untersucht Kuhaupt, Kirchenpolitik, 47–57. 571 Über die Friedensverhandlungen und den Frankfurter Anstand vgl. P. Fuchtel, Der Frankfurter Anstand vom Jahre 1539 (ARG 28, 1931, 144–206); Mentz, Johann Friedrich 2, 184–191; R. Wohlfeil, Art. Frankfurter Anstand (TRE 11, 1983, 342–346). Siehe ADRG 1,2; 1071–1078 Nr. 390 (Frankfurter Abschied, Frankfurt am Main 19. 4. 1539). 572 Eine umfassende Studie zum Nürnberger Bund ist ein eklatantes Forschungsdesiderat! Zur Entstehung und Zielsetzung des Bundes vgl. H. Baumgarten, Karl V. und der katholische Bund vom Jahre 1538 (DZGW 6, 1891, 273–300); Luttenberger, Glaubenseinheit, 41–43; G. Komatsu, Landfriedensbünde im 16. Jahrhundert. Ein typologischer Vergleich, Diss.masch. Göttingen 2001, 81–108. 573 Zu diesen Maßnahmen zählten u. a. antiprotestantische Entscheidungen des Reichskammergerichts, wie z. B. die Verhängung der Reichsacht über die Stadt Minden, seit 1537 Schmalkaldisches Bundesmitglied, am 9. Oktober 1538. Vgl. G. Hölscher, Die Geschichte der Mindener Reichsacht 1538–1541 (ZGNKG 9, 1904, 192–202). 574 Vgl. zur kurbrandenburgischen Friedensinitative 1538/39 H. Landwehr, Joachims II. Stellung zur Konzilsfrage. 1. Bis zum Frankfurter Anstand (FBPG 6, 1893, 529–560); Luttenberger, Glaubenseinheit, 185–199. Zur kurialen Perspektive jener auf eine Art Nationalkonzil zulaufenden Verständigungsbemühungen, die der Kaiser aber nicht akzeptierte und

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Karl V. und Ferdinand I. in ihre politischen Bemühungen und reduzierten hierdurch ihre konzilspolitischen Interessen. Um Religionsgespräche führen und dem habsburgischen Wunsch nach Türkenhilfe nachkommen zu können, forderten die Schmalkaldener ihrerseits einen endgültigen Friedensabschluss, diskutierten aber weiterhin die Widerstandsproblematik, mit der sich auch Luther befasste.575 Während die Thematik eines allgemeinen Konzils bei den Schmalkaldenern in den Hintergrund trat, stieß der Gedanke eines Nationalkonzils in Gestalt eines Religionsgespräches auf Sympathie und wurde im Frankfurter Anstand konkret festgeschrieben.576 Neben der äußerst angespannten reichspolitischen Situation, die Luther im Februar 1539 veranlasste, eine zum Friedensgebet auffordernde „Vermahnung an alle Pfarrherrn“ zu entwerfen,577 und einer vagen Aussicht auf Reichseinigungsgespräche wurde in Leipzig auf territorialer Ebene die Idee des Religionsgespräches bereits realisiert. Die konziliaristisch und humanistisch gesinnten Reformkatholiken, welche im albertinischen Sachsen unter der Führung von Kanzler Georg von Karlowitz zu einer einflussreichen Gruppe herangewachsen waren,578 hofften bei dem sich abzeichnenden Lebensende des kinderlosen altgläubigen Herzogs Georg eine Kirchenreform für Sachsen auf der Grundlage der altkirchlichen Konzilien und Kirchenväter unter Umgehung des Papstes zu etablieren.579 Weil auch Melanchthon und Bucer die Kirche der ersten Jahrhunderte in hohem Ansehen hielten, schien der altkirchliche Ansatz gleichzeitig für reichspolitisch relevante Reunionsbemühungen mit den Protestanten geeignet. So trugen Witzel und Karlowitz in Leipzig ihren Vorschlag vor, sich in Kontroversfragen nach dem Konsens der Kirchenväter und Konzilien zu richten und sich in der angestrebten sächsischen Kirchenreformation an dem Maßstab der „apostolischen Kirche“ der ersten Jahrhunderte zu orientieren.580 Weil aber keine Einigung hinsichtlich der zeitlichen Dauer des apostolischen Maßstabes erdurch eine Suspension – wie im Frankfurter Anstand geschehen – ersetzt wissen wollte vgl. Müller, Nuntiaturen Aleanders, 254–276. 575 Zur Widerstands- und Präventivkriegsdiskussion 1538/39 vgl. Müller, Beziehungen, 395 f.; Wolgast, Theologie, 239–253. 576 Geplant war ein Religionsvergleich in Nürnberg zwischen den Anhängern der päpstlichen Kirche und denen der CA-Verwandten für Anfang August 1539: ADRG 1,2; 1074,22– 1075,33. 577 WA 50; (478) 485–487. 578 Zum Kreis reformkatholischer Räte am Dresdener Hof zählten neben Karlowitz auch Simon Pistoris, Julius Pflug, Ludwig Fachs, Georg von Breitenbach, Melchior von Ossa und Georg Witzel. In dieser Gruppe wurde versucht, erasmische Ausgleichsideen in politische Strategien umzuwandeln und an die konfessionsübergreifende humanistische Gelehrtenkultur anzuknüpfen. Vgl. Fuchs, Konfession, 388 f. 579 Vgl. Fuchs, Konfession, 397–402; Wartenberg, Religionsgespräche, 38 f. 580 CR 3, 624–629 Nr. 1764 (Brück an Kurfürst Johann Friedrich, Leipzig, 3. 1. 1539). Vgl. Merkt, Prinzip, 28–30; Ditsche, Richtscheit, 466–475.

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zielt werden konnte – Karlowitz und Witzel plädierten für die Grenze im 8. und 9. Jahrhundert, Melanchthon und Bucer für eine möglichst frühe Grenzziehung –, reisten die kursächsischen Vertreter Melanchthon und Brück ab.581 Durch ihr ablehnendes Verhalten galten die kursächsischen Teilnehmer den Reformkatholiken als „Verdammer der kirchlichen Antiquitet“,582 womit der Vorwurf der „novitas“, gegen den sich die Evangelischen immer wieder zur Wehr gesetzt hatten, bestätigt schien.583 Die zentrale Frage nach der normativen Grundlage des Kirchenwesens war durch die reformkatholische Vermittlungsinitiative aufgeworfen und eine Klärung des Verhältnisses zur altkirchlichen Tradition für die Protestanten dringlicher denn je.

1.2. Grundlagenbestimmung des protestantischen Kirchenwesens Angesichts des Scheiterns des Leipziger Neujahrsgespräches, aufgrund der wachsenden Gefahr eines Religionskrieges und der eventuellen Möglichkeit eines kaiserlichen Religionsgespräches musste nun lutherischerseits eine öffentliche Positionsbestimmung zur normativen Grundlage des protestantischen Kirchenwesens nachgeliefert werden, welche auch die Frage nach den altkirchlichen Autoritäten als Maßstab der zu vergleichenden Religionsdinge zu klären hatte. Schon im April 1537 hatte Luther zum Beweis, dass er es mit der „rechten Christlichen Kirchen“584 halte, die Schrift „Die drei Symbola oder Bekenntnis des Glaubens Christi“ abgefasst, welche 1538 publiziert wurde.585 In ihr bekannte er sich zu den Glaubensgrundlagen der Alten Kirche und hob durch den kommentierenden Abdruck des Apostolicums, des Athanasiums und des Nicänums die Kontinuitäten der reformatorischen Kirche zur Alten Kirche hervor.586 In unmittelbarer Vorbereitung der Leipziger Konferenz hatte auch Melanchthon einen Entwurf zur evangelischen Kirchenlehre erstellt, den er im Frühjahr 1539 zu seiner auf Latein abgefassten Kirchenschrift „De ecclesia“587 581 Vgl. CR 3, 621–629; Lenz 1, 63–68. Nach der Abreise der kursächsischen Vertreter erarbeiteten Bucer und Witzel den sogenannten Leipziger Reformationsentwurf, der zur Grundlage der Reichsreligionsgespräche werden sollte. Siehe ARCEG 6; (1) 2–17 Nr. 1 = MBDS 9,1; (13) 23–51 = CT 12; 259–271 Nr. 19. 582 Witzel erhob diesen Vorwurf in der Vorrede zu seiner Schrift „Typus Ecclesiae prioris“, Köln 1559. Zitiert nach Ditsche, Richtscheit, 475. 583 Vgl. ebd. 584 WA 50; 262,8 f. 585 AaO. (255) 262–283. 586 Die Bedeutung der Alten Kirche hatte Luther u. a. im Kampf gegen die Wiedertäufer hervorgehoben. Vgl. aaO. 255 f. 587 Die Schrift, deren vollständiger Titel lautet „De ecclesia et de autoritate verbi Dei“, ist abgedruckt: CR 23, (585) 595–642 (Edition von 1560); MSA 1, (323) 324–386; vgl. CR 15, 733–782. Das Werk, welches Melanchthon Herzog Albrecht von Preußen gewidmet hatte (MBWT 8; 460–462 Nr. 2227) und das sich am 24. Juni 1539 im Druck befand (aaO. 463,6–

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ausarbeitete. Luther, der dem Entwurf Ende Dezember 1538 sachlich zustimmte,588 wurde wahrscheinlich durch diese Schrift und die ihm von Brück oder Melanchthon mündlich überbrachten Informationen über den Leipziger Disput angeregt, sich auf Deutsch in den altkirchlichen Autoritäts- und Kontinuitätsdiskurs mit klärenden Worten einzuschalten, ihn mit der immer noch virulenten Konzilsthematik zu kombinieren und Konturen seines Kirchenverständnisses zu präsentieren. Gleichzeitig konnte er den Vorwurf der altkirchlichen Ignoranz zurückweisen und die von derselben Gruppe sächsischer Reformkatholiken erhobene Konzilsforderung problematisieren.589 Diese veränderte vielschichtige Diskurslage war es, die Luther zur Abfassung seiner Schrift drängte. Denn anders als von der Forschung bisweilen angenommen, suchte der Reformator nicht die Weigerung der Konzilsbeschickung, welche die protestantischen Politiker in Schmalkalden 1537 – immerhin im Widerspruch zu Luthers konzilspragmatischer Haltung – getroffen hatten, theologisch-apologetisch zu legitimieren und gegenüber innerprotestantischen Kritikern zu rechtfertigen.590 Auch die Widerlegung des päpstlichen Konzilsprojekts, gegen welches Luther bereits polemisch mittels seiner Publikationsoffensive vorgegangen war, bildete zwar den Rahmen, aber nicht das erkenntnisleitende Interesse seiner Schrift.591 Vielmehr stand die theologisch differenzierte und historisch grundierte Auseinandersetzung mit dem Konzils- und Kirchenthema auf dem Hintergrund des altkirchlichen Autoritäts- und Kontinuitätsdiskurses im Mittelpunkt seiner Darstellung. Die reichspolitisch unübersichtliche Situation zwischen Kriegsangst und Friedenshoffnung mit der Aussicht auf ergebnisoffene Religionsgespräche erforderte darüber hinaus ein eindeutiges Wort zum protestantischen Konzils- und Kirchenverständnis und eine profi lierte Klärung der Frage nach Wesen und Funktion von Konzil und Kirche. Dass Luther seine Schrift auch als Beitrag für die Frankfurter Friedensverhandlungen verstanden wissen wollte, über deren Verlauf er durch Melanchthon, Myconius und Bucer informiert wurde, ist mehr als wahrscheinlich.592 8 Nr. 2228 [Melanchthon an Herzog Albrecht von Preußen, (Wittenberg,) 24. 6. 1539]), sollte eine Hilfe zur Urteilsbildung über Kirche, Synoden und Kirchenväter darstellen. Vgl. hierzu Kuhaupt, Kirchenpolitik, 77–87. 588 WAB 8; (343) 344 f. Nr. 3285 = MBWT 8; 279 f. Nr. 2132 (Luther an Melanchthon in Torgau, [Wittenberg,] 28. 12. 1538). 589 Ein allgemeines Konzil in deutschen Landen als Ort für die Religionsgespräche war u. a. eine zentrale Forderung der sächsischen Reformkatholiken. Während des Leipziger Religionsgespräches wurde sie von Karlowitz vorgetragen. Siehe CR 3, 625 f. 590 Vgl. z. B. Delius in StA 5; 450. 591 Vgl. z. B. WA 50; 501. 592 Siehe WAB 8; 378–381 Nr. 3305 = MBWT 8; 327–329 Nr. 2153 (Luther an Melanchthon in Frankfurt am Main, [Wittenberg,] 2. 3. 1539); WAB 8; 383–386 Nr. 3307 = MBWT 8; 329–332 Nr. 2154 (Melanchthon an Luther, Frankfurt am Main, 3. 3. 1539); WAB 8; 386–389 Nr. 3308 (Friedrich Myconius an Luther, Frankfurt am Main, 3. 3. 1539); WAB 8; 389 f. Nr. 3309 (Bucer an Luther, Frankfurt am Main, 3. 3. 1539); WAB 8; 391 f.

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Möglicherweise war bezüglich der Fundierung der evangelischen Kirchenthematik sogar eine gemeinsame Publikationsstrategie zwischen Melanchthon und Luther verabredet worden, bei der sich Melanchthon stärker den Kirchenvätern zuwandte und die internationale Gelehrtengemeinschaft in lateinischer Sprache ansprechen wollte, während sich Luther auf die altkirchlichen Konzilien konzentrierte und für die deutschsprachige Leserschaft inklusive Fürsten und Herrscher schrieb.593

1.3. Kirchenhistorische Vorlagen Die vermutlich entscheidende Anregung für die zügige Anfertigung seiner Schrift erhielt Luther durch die zweibändige Konziliengeschichte des Franziskanermönchs Peter Crabbe, die im September 1538 in Köln erschienen war.594 Den ersten Band erwarb der Reformator im Januar 1539, wie er am 27. Januar seinen Freunden erfreut mitteilen konnte.595 Durch dieses Buch bekam Luther erstmals einen umfassenden Einblick in die altkirchlichen Konzilien und ein vertiefendes Wissen über die verschiedenen Konzilien, was er sowohl in den Tischrunden 596 als auch in seiner Konzilsschrift würdigte.597 Mit Genugtuung Nr. 3310 = MBWT 8; 344 f. Nr. 2162 (Luther an Melanchthon in Frankfurt am Main, [Wittenberg,] 14. 3. 1539); WAB 8; 392–394 Nr. 3311 = MBWT 8; 339–342 Nr. 2160 (Melanchthon an Luther mit Nachschrift Bucers, [Frankfurt am Main,] 14. 3. 1539); WAB 8; 397 f. Nr. 3314 = MBWT 8; 368 f. Nr. 2168 (Luther an Melanchthon in Frankfurt am Main, [Wittenberg,] 26. 3. 1539); WAB 8; 400–402 Nr. 3317 = MBWT 8; 397 f. Nr. 2180 (Melanchthon an Luther, [Frankfurt am Main,] 4. 4. 1539); WAB 8; 413–417 Nr. 3324 (Bucer an Luther, Frankfurt am Main, 19. 4. 1539). 593 Auch wenn für diese These bisher keine konkreten Anhaltspunkte in den Quellen gefunden werden konnten, sind Ausarbeitung und Abfassungsart der beiden Kirchenschriften nicht zufällig. Um die europäischen Gelehrten anzusprechen, plante Justus Jonas bereits im März 1539 eine lateinische Übersetzung von Luthers Schrift ( JJBW 1, 313 Nr. 414 [ Jonas an Georg Forchheim, 20. 3. 1539]), welche allerdings erst 1557 gedruckt wurde. Vgl. WA 50; 506. 594 Vgl. Delius, Zu Luthers historischen Quellen, 81–83; Schäfer, Luther, 144–147; WA 50; 502–504. Die Schrift erschien bei Peter Quentel in Köln unter dem Titel: Concilia omnia, tam generalia, quam particularia, ab Apostolorum temporibus in hunc usque diem sanctissimis patribus celebrata et quorum acta litteris mandata ex vetustissimis diversarum regionum bibliothecis haberi potuere. – Die erste Überblickssammlung von Konzilsakten hatte Jakob Merlin 1523 in Paris besorgt, welche in Köln 1530 und Paris 1536 erweitert nachgedruckt worden war. Vgl. Hefele, Conciliengeschichte 1, 74 f. Vermutlich hatte Luther Merlins Aktensammlung nicht vorliegen. Wahrscheinlich war sie ihm darüber hinaus auch nicht bekannt. Vgl. Schäfer, Luther, 99. 595 WAT 4; 457,1–26 (27. 1. 1539). 596 AaO. 457–459. 597 WA 50; 514,26–29: ES haben etlich jar daher sich viel unter den Papisten bemühet mit den Concilijs und Vetern, bis sie zulezt haben alle Concilia in ein Buch zusamenbracht, welche erbeit mir nicht ubel gefellet, nachdem ich die Concilia zuvor nicht bey einander gesehen.

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nahm Luther zur Kenntnis, dass dieses Buch den Papst eigentlich verteidigen wollte, aber in den abgedruckten Dekreten zahlreiche Widersprüche gegen den Papstprimat enthalten waren.598 Unter Zurateziehung dieser Schrift intensivierte Luther jetzt seine kirchenhistorischen Studien über die altkirchliche Konziliengeschichte in einer Art und Weise, wie er sie zuletzt 1519 im Umfeld der Leipziger Disputation betrieben hatte. Wie damals gegenüber Dungersheim 599 griff Luther erneut auf die „Historia Ecclesiastica“ von Eusebius-Rufi nus,600 die „Historia ecclesiastica tripartita“ von Cassiodor,601 Platinas „De vita et moribus summorum pontificum historia“,602 die Kirchenväter – allen voran Augustin und Cyprian, aber auch Athanasius und Hilarius 603 – sowie auf das „Corpus Iuris Canonici“ zurück.604 Hinzu kam das Geschichtswerk „Summa historialis seu Chronicon“ von Antoninus Florentinus 605 und möglicherweise die Werke von Johannes Carion606 und Johannes Nauclerus 607. Hinter diesen intensiv betriebenen altkirchlichen Studien stand Luthers im Kampf gegen das Papsttum bereits erfolgreich erprobte Strategie, mittels historischer Ereignisse oder Texte den wissenschaftlich-seriösen Nachweis für die Widersprüchlichkeit und Unglaubwürdigkeit der Papstkirche und ihrer Grundlagen zu erbringen. Weil Luther bereits seit 1536 die Sammlung historischen Materials gegen Papst und Konzil intensiviert hatte, kam ihm die Crabbesche Konziliengeschichte wie gerufen. Jetzt konnte sich der Reformator eingehender und kompetenter als bisher mit der Geschichte der altkirchlichen Konzilien und ihren Dekreten auseinandersetzen, sie in den theologisch und kirchenpolitisch hochaktuellen Autoritäts- und Kontinuitätsdiskurs integrieren und zur Unterstützung seines Konzils- und Kirchenverständnis profi lieren. Folglich realisierte er in seiner Konzilsschrift nun selbst die von ihm eingeforderte Funktion der 598 WAT 4; 457,27–29: Doctor Martinus Lutherus habens in manu Librum Conciliorum magno labore compositum dixit: Totus hic liber vult defendere papam, cum tamen infi niti canones sint contra papam. 599 Siehe oben, Kapitel III § 5.3. 600 Zitiert wird Eusebius-Rufi nus von Luther WA 50; 540,9–14. 553,27. 592,30 f. 601 Auf Cassiodor bezog sich Luther nachweislich: aaO. 552,14 f. 554,23–25. 573,26–28. 582,8 f. 585.9–11. 586,16 f. 588,29–589,12. 592,31 f. 602,15. – Zur Erwähnung von Theodoret, der als einziger synoptischer Autor der zusammengesetzen „Tripartita“ von Luther eigens aufgeführt (aaO. 553,26) und in aaO. 592,31 mit Cassiodors Werk parallel genannt wird, vgl. Wallraff, Rezeption, 235. 602 Platina nennt er in WA 50; 591,7. 593,15. 603 AaO. 552,13. 604 Vgl. die Nachweise der jeweiligen Belege in den Quellenwerken bei Delius, Zu Luthers historischen Quellen, 71–125; StA 5; 456–617 (Anmerkungen). 605 Über die u. a. in Nürnberg 1484 und Leiden 1512 im Druck erschienene Chronik und ihre Verwendung bei Luther vgl. Delius, Zu Luthers historische Quellen, 76–78. 606 Zur „Chronika“ von Carion vgl. aaO. 80 f. 607 Zu Nauclerus „Chronicon“ vgl. aaO. 95 f.

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Geschichtsschreibung, durch geschichtliche Belehrung „unerschrocken die wahrheit“ aufzudecken.608

2. Die dreiteilige Periodisierung der Konziliengeschichte Der Analyse sei eine im Verlauf der Gesamtdarstellung gelegentlich aufscheinende Differenzierung seiner Geschichtsvorstellung vorangestellt, welche für Luthers Beurteilung der Konziliengeschichte insofern von Bedeutung ist, als sie eine genauere Periodisierung ermöglicht. Während der Abfassung seiner Konzilsschrift gliederte Luther in einer Tischrede vom 24. Februar 1539 die Konzilien in drei „tempora“ oder Perioden: 609 Die erste Periode rechnete er von der Zeit der Apostel bis zur Zeit Gregors I. Sie charakterisierte Luther als eine Epoche, in der die Kirche noch etwas reiner gewesen sei, obwohl sie viel Menschliches habe erdulden müssen, was aber – so der Reformator – noch tolerierbar gewesen sei.610 Die zweite Periode reichte für Luther von Gregor I. bis Karl dem Großen. In ihr sei der Papst ein geistlicher Herr gewesen, der allerlei Aberglauben eingeführt habe.611 Die dritte und letzte Periode begann für Luther in der Zeit Karls des Großen. Über sie urteilte der Theologe, dass diese Zeit am schädlichsten gewesen sei, da der Papst beide Schwerter ergriffen habe. Hierdurch sei er ein irdischer Gott und Herr der Welt geworden.612 Diese Bemerkungen unterstreichen Luthers bereits an anderer Stelle hervorgehobene verfallsgeschichtliche Konzeption der Geschichte der institutionellen Kirche, welche er durch den Wachstumsprozess des Papsttums verursacht fand. Weil die zunehmende Machtanhäufung des Papstes die Kirche in einen Prozess fortschreitender Depravation von der ursprünglichen Reinheit des Christentums verwickelte und auch die Konziliengeschichte erfasste, war letztere dem geschichtlichen Verfallsprozess mit unterworfen. Dieses Geschichtsmodell prägte nicht zuletzt seine Darstellung in „Von den Konziliis und Kirchen“, in

608 Siehe die für Luthers Verständnis von Geschichtsschreibung bedeutende „Vorrede zu Historia Galeatii Capellae“ von 1538, in: WA 50; (381) 383–385. Die zitierte Wendung siehe aaO. 385,2. 609 WAT 4; 255 Nr. 4357. 610 AaO. 255,13–16/ 28–30. 611 AaO. 255,16–18/ 30–31. 612 AaO. 255,18–20/ 31–34. Die lateinische Mitschrift wurde durch die deutsche Bearbeitung mit den Worten ergänzt, aaO. 255,34–37: Darum wenn man Achtung hat auf die Canones der dritten Zeit, so muß man sagen, es sey Alles teufl isch; denn sie haben nach ihrem Gefallen, wie sie es nur gelüstet hat, Ordnung und Gesetz gemacht, also, daß Niemand hat dürfen dawider mucken, noch etwas reden.

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welcher er alle Konzilien am Maßstab der schriftfundierten Reinheit und Klarheit der frühen Christenheit prüfte.613

3. Kritik an der normierenden Autorität von Konzilien und Kirchenvätern Bevor Luther der Frage der Norm altkirchlicher Konzilien und Kirchenväter für die Kirche nachging, eröffnete er seine Schrift mit teils polemischen, teils sachlichen Beurteilungen der päpstlichen Konzilseinberufung. Angesprochen wurden in der Einleitung einerseits der Kaiser und die europäischen Herrscher,614 andererseits die vermittelnden Reformkatholiken.615 An diese mit dem Papst unzufriedenen und eine Kirchenreform anstrebenden weltlichen Obrigkeiten und altgläubigen Reformer wandte sich Luther mit seinem ersten Schriftteil, indem er sie vor die Alternative zwischen Papsttum und evangelischer Kirche stellte und sie argumentativ für die lutherische Position zu gewinnen suchte.616 Gleichzeitig dürfte er sich hierdurch eine ekklesiologische Orientierung und Stabilisierung derjenigen evangelischen Leser erhofft haben, welche mit den katholischen Reformtheologen sympathisierten.

3.1. Päpstliche Konzils- und Reformverweigerung Mittels der humoresken Alltagsszene vom Anlocken und Necken der Hunde mit Brot ließ Luther gleich zu Beginn wissen, dass der Papst mit seinem Konzilsprojekt Kaiser und Reich wie Hunde zum Narren halte.617 Mit wenigen Sätzen meinte Luther die päpstlichen Konzilsbemühungen zu demaskieren, indem er unter Anspielung auf die kurialen Konzilsvorbereitungen betonte,618 dass vor dem Konzil der Papst Legaten in die Länder sende, um Könige und Fürsten auf die päpstliche Lehre zu vereidigen und jegliche Reformationsbemühung zu unterbinden. Somit seien die Entscheidungen des ausgeschriebenen

613

Zu Luther Vorstellung der Kirchengeschichte als Verfallsprozess siehe oben, Kapitel III

§ 5.3. 614

WA 50; 510,23. Die Wiedergabe richtet sich in der Regel nach WA 50. AaO. 514,29–515,3. 515,24–31. Seinen fi ktiven reformkatholischen Dialogpartner redet Luther u. a. mit „Lieber“ an (aaO. 515,31). 616 Kuhaupt, Konzilspolitik, 65 formulierte vorsichtig, Luther habe sich „mit den Ausführungen des ersten Teils [. . .] implizit auch gegen die kirchenpolitischen Kräfte, die einen Vergleichsweg auf der Basis der Konzilsentscheidungen“ suchten, gewandt. M. E. sprach Luther diese Reformkräfte explizit an. 617 WA 50; 509–510,7. Zur Funktion des Humors in Luthers Streitschriften vgl. Stolt, Rhetorik, 153–157. 618 Siehe oben, Kapitel VII § 18.2.1. 615

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Konzils bereits kurial präjudiziert.619 Diese von Luther in seinen Schriften von 1537 und 1538 wiederholt getroffenen Aussagen fasste er in dem Urteil zusammen: „Sie [d. h. Papst und Bischöfe] würden und kündten kein Concilium halten“.620 Nach der einleitenden Beurteilung appellierte Luther an Kaiser, Könige und Fürsten, sich diese teufl isch-närrischen Umgangsformen des Papstes nicht gefallen zu lassen, erinnerte an die kriegerischen Erfahrungen der gekrönten Vorfahren mit dem Papst und spielte wiederholt auf die Gravaminadebatten an. Gleichzeitig warnte er die beratungsresistenten Herrscher, Christus werde auch ohne sie die Christenheit erhalten.621 Im Kontrast zu den obrigkeitlichen Papstanhängern bezeichnete sich Luther und die übrigen Protestanten als „arme schwache Christen“,622 welche Gott und die Heilige Schrift auf ihrer Seite hätten, während der Papst mit den Seinen durch den Teufel regiert würde.623 Wie zuvor in verschiedenen Schriften thematisierte Luther die Konzils- und Reformationsscheu der Papstkirche, prangerte die seelsorgliche Not in den altgläubigen Pfarreien an624 und kritisierte den päpstlichen Anspruch, Kirche ohne Christus sein zu wollen. Die von der päpstlichen Konzilsfurcht bis zum antichristlichen Kirchenwesen gespannte Linie transformierte Luther in das Zwischenergebnis: Weil der Papst „kein recht Concilium uns“ geben und eine Reformation nicht „leiden“ wolle, sondern mit den Seinen die Kirche zu Grunde richte, schließe er sich selbst aus der Kirche aus.625 Folglich habe der Papst „der Kirchen das valete [d. h. den Abschied] gegeben.“626 Im Gegensatz dazu erhob Luther den ekklesiologischen Fundamentalanspruch, „wir sind die Kirche oder in der Kirchen“,627 und forderte aufgrund der zahlreichen Missbräuche in der Kirche ein Konzil oder eine Reformation. Fragwürdig ist nun allerdings, warum Luther die im Vorwort zu den Schmalkaldischen Artikeln getroffene Unterscheidung zwischen der Konzilsablehnung für die reformatorischen Kirchen und dem Konzilsbedürfnis der noch zu refor619

WA 50; 510,8–22. AaO. 510,18. 621 AaO. 510,23–511,10. 622 AaO. 511,11. 623 AaO. 511,11–26. 624 AaO. 512,28–34. – Die pastorale Not aufgrund vakanter Pfarrstellen äußerte Luther auch in WA 50; 195,24–26; aaO. 618,4–6; WAT 4; 67,17 f./68,5 f. 625 WA 50; 514,6–8. – Mit dem Personalpronomen „uns“ bezeichnete Luther in erster Linie die Evangelischen, konnte aber auch die reformwilligen altgläubigen Leser mit einbeziehen. 626 AaO. 514,10. 627 AaO. 514,12. Eine theologische Klärung des „undeudsch[en]“ (aaO. 624,19) und „blinden undeudliche[n] wort[es] Kirche“ (aaO. 625,5) tätigte Luther in diesem einleitenden Teil nicht, sondern sparte sich diese für den dritten Teil auf. Hier differenzierte er nur zwischen dem päpstlichen und dem evangelischen Anspruch, Kirche sein zu wollen, welcher jeweils der anderen Konfessionspartei abgesprochen wurde (aaO. 513,17–30). 620

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mierenden Papstkirche hier nicht vornahm.628 Abgesehen von der argumentativen Stringenz dürfte die Erklärung in der von der Forschung bisher vernachlässigten Adressatenfrage liegen: Seine hier getroffene Konzilsforderung war an die Adresse der reformwilligen Altgläubigen gerichtet, die er von der evangelischen Position überzeugen wollte! Um der These von der Konzilsnotwendigkeit zusätzliches Gewicht zu verleihen, ging Luther sogar soweit, den 1536 vom sächsischen Kurfürsten entfalteten Gedanken eines protestantischen und papstfreien Konzils anzudeuten, den der Reformator bisher strikt abgelehnt hatte.629 Allerdings entwickelte er ihn nicht näher, sondern wandte sich kritisch dem Programm einer auf dem Boden der Kirchenväter und Konzilien vorzunehmenden Reformation zu.

3.2. Argumente gegen die Konzilien und Kirchenväter als Reformgrundlage Zwar würdigte Luther den Gedanken einer Reformation der Kirche nach der „Concilien oder Veter weise“,630 schloss aber entsprechend seiner Erfahrung und aufgrund des päpstlichen Selbstverständnisses ein Eingehen des Papstes auf das Reformprogramm kategorisch aus.631 In direkter Anrede an die Reformkatholiken urteilte der Wittenberger Theologe, weil der Papst sich selbst über Gott und Engel erhebe und sich erst recht nicht durch Konzilien und Kirchenväter korrigieren und reformieren lasse, seien alle Diskussionen über eine derartige Reform Zeitverschwendung.632 Weil das Reformanliegen dieser papstkritischen Gruppierung aber die normativen Grundlagen des evangelischen Kirchenwesens hinterfragte, überprüfte Luther ausführlich, wie tragfähig das Kriterium der Alten Kirche als möglicher Maßstab einer Reformation sei. Damit knüpfte Luther an die Diskussion um die „auctoritas patrum“ und – dies ist eigens zu erwähnen – um die „auctoritas conciliorum“ aus den Anfangsjahren seines reformatorischen Wirkens an, die im Umfeld der Leipziger Disputation ihren Höhepunkt erreicht hatte.633 Wie damals befasste er sich erneut mit den historischen Quellenwerken, um aus ihnen jetzt einerseits die Widersprüchlichkeit der altkirchlichen Normen als 628

WA 50; 195,17–30 und Kapitel VII § 19.3.2. AaO. 514,20–23: Wie? Wenn wir untergengliche Kirche wider die bleibenden Herrn, on den Bapst und on jren willen, selbs ein Concilium hielten und eine Reformation furnemen, die den Bleibenden Jungkern seer untergenglich anzusehen were, Und sie dieselb doch leiden müsten? 630 AaO. 515,1. 631 AaO. 515,1–13. 632 AaO. 515,14–516,14. 633 Siehe oben, Kapitel III. Auf die Kirchenväter als Norm einer Reformation konzentriert sich die Untersuchung von zur Mühlen, Auctoritas patrum, 144–152. 629

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Maßstab einer Reform beweisen und andererseits die Grundlagen für das protestantische Konzils- und Kirchenverständnis gewinnen zu können. In der für ihn typischen Vorgehensweise näherte sich Luther zuerst mittels einer Unterscheidung. Er differenzierte innerhalb der Reformkreise jene, die antiprotestantisch eingestellt seien und das altkirchliche Reformationsvorhaben nur als Vorwand gegen die Evangelischen anzuführen gedachten, von denen, die eine ehrliche Kirchenreformation anstrebten.634 Gegen die erste Gruppe argumentierte er teils ironisch, teils belehrend, als „recht arme schwache Christen“ hätten „wir“635 wie Kinder mit dem Glauben und dem Einhalten der Gebote Gottes derart viel zu tun, dass geistliche, konziliaristische oder patristische Gesetze und Werke nicht zusätzlich eingehalten werden könnten.636 Gegenüber der zweiten Gruppe signalisierte Luther, dass er nicht wisse, wie ein derartiges Reformprojekt überhaupt realisiert werden könne, weil Konzilsentscheidungen und Kirchenvätermeinungen häufig voneinander abwichen und sich widersprächen. Um überhaupt eine normative Anwendbarkeit bei dieser altkirchlichen Vielstimmigkeit zu erzielen, müssten zuvor Auswahl- und Vereinheitlichungskriterien diskutiert und aufgestellt werden.637 Zur Untermauerung dieses grundlegenden Problems eines einheitlichen Maßstabes verwies Luther auf die von ihm selbst betriebenen Kirchenväterstudien,638 den missglückten Versuch der Kirchenväter- und Konzilienkompilation in Gratians Rechtssammlung,639 die als gelungener beurteilte Sentenzensammlung von Petrus Lombardus 640 sowie die kritischen Urteile Bernhards von Clairvaux641 und Augustins zu den unterschiedlichen altkirchlichen Aussagen.642 Hinsichtlich der Autorität der Konzilien hob Luther die Haupt- oder Universalkonzilien hervor und schloss sich Augustins Meinung an, „das man solcher grossen heubt Concilien ordnung billich halten“ solle und sie als nützlich zu achten habe.643 Diese achtenswerten Hauptkonzilien begrenzte Luther unter Verweis auf das „Decretum Gratiani“ auf die vier ökumenischen Konzilien644 634

WA 50; 516,15–20. AaO. 517,3. 636 AaO. 516,21–519,11. 637 AaO. 520,11–21. Den von Karlowitz beim Leipziger Religionsgespräch erwähnten Begriff des „Richtscheits“ oder Maßstabs nannte Luther zwar nicht, spielte aber mit diesen Ausführungen auf jene Vorstellung an. 638 AaO. 519,13–31. Mit diesen Zeilen erinnert Luther an seine frühe exegetisch-professorale Arbeit, die er mit Hilfe der Väterkommentare durchführte. So habe er den Hebräerbrief durch die Glossen des Chrysostomus, den Titus- und Galaterbrief durch Hieronymus, die Genesis durch Ambrosius und Augustin und den Psalter durch alle verfügbaren Kommentare erschlossen. Zu Luthers früher Vorlesungstätigkeit siehe oben, Kapitel II § 1.1. 639 AaO. 520,22–28. 640 AaO. 543,13–17. 641 AaO. 519,32–520,10. Vgl. hierzu Bell, Lehrmeister, 335–350. 642 WA 50; 521,7–525,30. 643 AaO. 522,1–4. 644 Über die Beurteilung der „Universal oder heubt Concilien“ siehe aaO. 521,29–524,11. 635

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– Nicäa, Konstantinopel, Ephesus und Chalcedon – und unterschied sie von „Particularia oder kleine Concilia“ einzelner Länder und Bischöfe.645 Einen nicht unbedeutenden Nebengedanken knüpfte Luther hieran an: Die Konzilien des Papstes bezögen sich anders als die einstigen Hauptkonzilien nicht auf die gesamte Christenheit, so dass sie nicht Universal-, sondern Partikularkonzilien des römischen Reiches seit Kaiser Karl dem Großen seien.646 Neben der Skizzierung der abgestuften Autorität der Konzilien hob Luther mit Augustin die Irrtumsfähigkeit 647 und Lehrpartikularität 648 der vielstimmigen Kirchenvätermeinungen hervor und argumentierte mit dem Kirchenvater gegen ein Übermaß an Sondervorschriften und Gesetzesbestimmungen für die irrtumslose „auctoritas scripturae“. Augustin ordne die kirchlichen Aussagen nicht der Bibel gleich, sondern unterwerfe sie ausnahmslos der verlässlichen und gewissen Autorität der Heiligen Schrift! 649 Nach dem sich auf Augustin berufenden Argumentationsgang, der auf die Betonung des Schriftprinzips zielte, wandte sich Luther in einem zweiten Arbeitsgang den Konzilsbeschlüssen zu und untersuchte sie auf ihre Praktikabilität im christlichen Leben und kirchliche Akzeptanz bei seinen Gegnern. Dabei dienten ihm die in der Christenheit als Vorbilder aller Konzilien geltenden zwei Konzilien, das Apostelkonzil und das Konzil von Nicäa, als Beispiel.650 Zuerst erinnerte er an die Speiseklauseln des im Heiligen Geist versammelten Jerusalemer Apostelkonzils, kein Götzenopfer, Blut und Ersticktes zu essen (Act 15,28), welche heute niemand mehr beachte.651 Der Vorwurf, Luther halte keiZur Parallelisierung der vier ökumenischen Konzilien mit den vier Evangelien siehe CorpIC, Decr. Grat., I dist. 15 c.2 (Friedberg 1, 35 f.); WAT 4; 314,17 f.24. – Luther nahm nach eigener Berechnung eine Datierung der altkirchlichen Konzilien vor, siehe WA 50; 522,8–15. Hierzu vgl. StA 5; 470 Anm. 209. 645 WA 50; 522,23–25. 646 AaO. 524,5–11. 647 AaO. 524,15 f. 648 AaO. 525,4 f. 546,14–28. 649 AaO. 525,31–35: Was wollen wir nu machen? Sollen wir die Kirchen wider bringen in der Veter und Concilien lere oder weise, So stehet hie S. Augustinus und macht uns jrre, lest uns kein ende fi nden unser meinung, weil er schlecht wil, weder Vetern, Bisschoven, Concilien, sie seien wie heilig und gelert sie können sein, noch jm selbs vertrauet haben, sondern weiset uns zur Schrifft. 650 Luther kündigte seine Untersuchung an, aaO. 526,11–16: Wolan, wir wollen S. Augustin, Bernhard und wer der gleichen schreiben, hindansetzen und selbs die Concilia und Veter furnemen und sehen, ob wir unser leben kündten nach jnen richten, Wollen aber die allerbesten fur uns nehmen, damit wirs nicht zu lang machen, Sonderlich die ersten zwey heubt Concilia, so S. Augustinus lobet, Nemlich das zu Nicea und Constantinopel, wiewol er sie nicht gesehen hat, wie droben gesagt ist. – Den Einstieg macht Luther aber mit dem Apostelkonzil, während er das Konzil von Konstantinopel – wiewohl angekündigt – als weiteres Beispiel nicht bemühte. Vermutlich schien ihm die z. T. ausartende und weitere Themen anschneidende Beweisführung durch das Apostelkonzil und Nicaä hinreichend. 651 Zum Apostelkonzil aaO. 526,16–531,16. Vgl. hierzu Brockmann, Luther und das Apostelkonzil, 314 f.

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ne Konzilsbeschlüsse, sei auf seine Gegner zu übertragen652 und aus der gegnerischen Inkonsequenz gegenüber dem bedeutendsten Konzil zu bilanzieren, man müsse überhaupt keine Konzilsbeschlüsse einhalten.653 Als zweites Beispiel führte der Reformator Entscheidungen des Konzils von Nicäa an, welche nicht mehr gelehrt würden oder umstritten seien.654 Hierdurch suchte Luther zu belegen, dass Konzilsentscheidungen verschiedenartigen Veränderungen unterworfen und als Werk und Lehre der Menschen fehlbar sein konnten. Am Ende dieses teilweise äußerst polemischen Argumentationsganges resümierte Luther einen bereits in der Alten Kirche angelegten Autoritätenkonfl ikt 655 und problematisierte die Partikularität 656 der „auctoritas patrum et conciliorum“, welche die Frage nach der übergeordneten Autorität aufwerfen ließen: „Und summa, thu sie alle zusamen, beide, Veter und Concilia, so kanstu doch nicht die gantze Lere Christlichen glaubens aus jnen klauben, ob du ewig dran klaubst, Und wo die Heilige Schrifft nicht gethan und gehalten hette, were die Kirche der Concilij und Veter halben nicht lange blieben.“657

Aus diesem Beweis resultierte für Luther unzweideutig, dass allein die Heilige Schrift die normative Grundlage und das Wahrheitskriterium für die altkirchlichen Konzilien und Kirchenväter bildet. Konzilien und Kirchenväter könnten nur Interpreten der Heiligen Schrift sein. Somit war die Frage nach dem altkirchlichen Reformprogramm und dem altkirchlichen Maßstab eindeutig zugunsten der Bibel beantwortet und den Reformversuchen auf der Grundlage der Alten Kirche mit Hilfe der Vernunft und der Geschichte eine begründete Absage erteilt. Trotzdem war hiermit nicht das weitere Problem gelöst, welche Bedeutung die altkirchlichen Konzilien und Kirchenväter für das evangelische Kirchenwesen überhaupt haben und welches Aufgabenprofi l den zeitgenössischen Konzilien zugewiesen werden könne. Mit dieser Thematik befasste sich Luther nun im zweiten Teil seines Traktates, in dem er den theologischen Sinn und die 652 WA 50; 527,13–18: Wolan, fahe nu an, wer da wil und kan, und bringe die Christenheit zum gehorsam dieses Concilij, So wil ich fast [d. h. sehr] gerne nachvolgen, Wo nicht, so wil ich des geschreies uberhaben [d. h. verschont] sein, Concilia, Concilia, du heltest keine Concilia, noch Veter, oder wil widerumb schreien, du heltest selber kein Concilia, noch Veter, weil du dis höhest Concilium und die höhesten Veter, die Apostel, selbs verachtest. 653 AaO. 528,1–3. 654 AaO. 531,16–542,17. Hierzu zählte u. a. die Vorschrift, Christen aufgrund ihrer Beteiligung am Krieg mit Bußstrafen zu belegen. Siehe aaO. 532,10–12. Außerdem erinnerte Luther wie bei früheren Gelegenheiten an Paphnutius, der den Bischöfen im Konzil von Nicäa widerstanden habe. Siehe aaO. 539,10–20. 655 AaO. 542,18–21: Aber indes wir also klauben aus den Vetern oder Concilien, jene, was jnen gefelt, wir, was uns gefelt, und nicht können eines werden, weil die Veter selbs nicht eines sind, so wenig als die Concilia, Lieber, wer predigt dieweil den armen seelen, die von solchem klauben und zancken nicht wissen? 656 AaO. 546,14–28. 657 AaO. 546,29–547,3.

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hermeneutische Grundlage der Konzilien und Kirchenväter zu eruieren suchte.658

4. Die Entfaltung der „Konzilshermeneutik“ anhand der altkirchlichen Konzilien Zur Beantwortung der Frage nach der Konzilsbedeutung setzte der Reformator historisch an und entfaltete analog seiner Vernunft- und Schrifthermeneutik659 eine eigene „Konzilshermeneutik“.660 Diese besagte, statt sich auf den Wortlaut der Konzilsbeschlüsse zu fi xieren, müssten die theologiegeschichtlichen Ursachen und Motive des Konzils erschlossen werden.661 Erst durch die Anwendung dieser kritischen und historischen Methode könne das vertiefte Verständnis eines Konzils aufgedeckt werden. Die Grundlage für dieses hermeneutische Postulat bildete einerseits Luthers Axiom vom erkenntnisleitenden Charakter von Geschichtswissen, andererseits seine Überzeugung von der menschlich-historischen Entwicklung konziliarer oder patristischer Entscheidungen, die entgegen der altgläubigen Konzilsinterpretation für ihn nur selten geistgewirkt waren. Um die Konzilsdekrete theologisch verstehen zu können, mussten sie historisch kontextualisiert, aus der jeweiligen kirchenpolitischen Situation heraus analysiert und aufgrund ihrer Ursachen und Motive hin interpretiert werden. Dieser eigenständige Ansatz war für den Umgang mit der Konziliengeschichte derart singulär, dass er nach dem Urteil des Konzilsforschers Hermann-Josef Sieben „ein bemerkenswertes Novum“ in der Gesamtgeschichte der Konzilsidee bildete.662 Bei der Umsetzung konzentrierte sich Luther auf die „Ursachen“ der vier Hauptkonzilien, welche er im ersten Teil seiner Schrift aufgrund der Anwen658 AaO. 547,8–11: Darumb müssen wir anders von den Concilien und Vetern reden, und nicht die buchstaben, sondern den verstand [d. h. Sinn] ansehen. Und das sey gnug zum ersten teil dieses büchlins, das wir auch odem holen. 659 AaO. 547,17–548,24. 660 Der Begriff wurde von Sieben, Die katholische Konzilsidee, 14. 32–43 für Luthers Interpretationsmetheode der Konzilien entwickelt und von Brockmann, Luther und das Apostelkonzil, 316 übernommen. 661 WA 50; 547,17–19: Und neme fur mich den spruch S. Hilarij de Trinitate. Ex causis dicendi sumenda est intelligentia dictorum. Das ist, wer eine rede verstehen wil, der mus sehen, warumb oder aus was ursachen es geredet sey. – Luther bezog sich auf Hilarius, De Trinitate 9,2 (PL 10, 282 = CChr.SL 62A, 373,33–35). Vgl. auch WA 2; 193,21–23; WA 39,1; 237,18 f. 662 Sieben, Die katholische Konzilsidee, 43, der fortsetzte: „Wir sehen in ihr – zusammen mit seiner Auslegung von Apg 15 – seinen eigentlichen Beitrag zur Entwicklung der Konzilsidee, mehr jedenfalls als in den inhaltlichen Aspekten [. . .].“ Tatsächlich ist dieser methodische Ansatz unbestritten von großer Relevanz, doch wurde er beispielsweise durch die von Luther 1520 erhobene Wendung vom „freien, christlichen Konzil“ an wirkungsgeschichtlicher Bedeutung bei Weitem übertroffen.

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dung der kaiserlichen Einberufungs- und Synodalgewalt als solche defi niert sowie von den übrigen Konzilien unterschieden hatte663 und deren Darstellung entscheidend dazu beitrug, dass nur die vier ersten ökumenischen Konzilien im Protestantismus Anerkennung fanden. Als Hauptthemen der Konzilien von Nicäa (325),664 Konstantinopel (381),665 Ephesus (431) 666 und Chalcedon (451) 667 notierte Luther: „Nicenum handelt allein, das Christus warhafftiger Gott sey. Das zu Constantinopel, das der Heilige geist Gott sey. Das zu Epheso, das Christus nicht zwo, sondern eine person sey. Das zu Calcedon, das Christus nicht eine, sondern zwo natur habe, als Gottheit und Menscheit.“668

Gleichzeitig kündigte er an: „Das sind die vier grosse heubt Concilia, und haben nichts mehr, denn diese vier [Lehr]stück[e], wie wir hören werden.“669

4.1. Die Unterscheidung in Haupt- und Nebenartikel In der umfangreichen Analyse der altkirchlichen Hauptkonzilien widmete sich Luther der Reihe nach den einzelnen Konzilien und suchte die Ursachen und Gründe für diese Kirchenversammlungen zu erforschen.670 Das Konzil von Ni663 WA 50; 522,26–29: Die grossen Concilia odder die Universalia haben solchen namen daher, das die Bisschove von dem Monarcha, dem grossen heubt oder universal, sind aus allen Landen zusammenberufft. – Diese falsche begriffl iche Herleitung (die ökumenischen Konzilien versammelten die Bischöfe aller Kirchenprovinzen) hatte Luther in den Dienst der Sache gestellt. Vgl. StA 5; 471 Anm. 218. Zur kaiserlichen Synodalgewalt in der Alten Kirche vgl. A. Kartaschow, Die Entstehung der kaiserlichen Synodalgewalt unter Konstantin dem Großen, ihre theologische Begründung und ihre kirchliche Rezeption (in: Kirche und Kosmos. Orthodoxes und evangelisches Christentum. Studienheft 2, hg. vom Kirchlichen Außenamt der EKD, Witten 1950, 137–152); E. Wolf, Zur Entstehung der kaiserlichen Synodalgewalt, zu ihrer theologischen Begründung und kirchlichen Rezeption. Ein Korreferat (in: Kirche und Kosmos 2, 153–168); A. M. Ritter, Die Einberufung des Konzils in seinem geschichtlich-lehrmäßigen Zusammenhang (in: Ders., Charisma und Caritas. Aufsätze zur Geschichte der Alten Kirche, hg. von A. Dörfler-Dierken u. a., Göttingen 1993, 181–193); H. Ch. Brennecke, Bischofsversammlung und Reichssynode. Das Synodalwesen im Umbruch der konstantinischen Zeit (in: Ders., Ecclesia est in re publica. Studien zur Kirchenund Theologiegeschichte im Kontext des Imperium Romanum, hg. von U. Heil u. a. [AKG 100], Berlin/New York 2007, 25–48). 664 Die ausführlichste Darstellung widmete Luther dem Konzil von Nicäa, WA 50; 548,24–575,9. 665 AaO. 575,10–581,14. 666 AaO. 581,15–592,15. 667 AaO. 592,16–604,9. 668 AaO. 546,15–19. Siehe auch WAT 4; 268,16–18. 669 WA 50; 546,19 f. 670 Um den Untersuchungsrahmen nicht zu sprengen, muss auf die Referierung von Luthers Analyse und Interpretation der altkirchlichen Konzilien verzichtet werden. Zur Analyse vgl. Mostert, Verständnis, 355–357. Tecklenburg Johns, Konzilsidee, 43–80 berück-

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cäa lokalisierte er theologiegeschichtlich innerhalb der arianischen Streitigkeiten671 und hob als Ursache für die Kirchenversammlung die Verteidigung des „alten Arickel[s] des glaubens“ von der Gottheit Christi gegen Arius heraus.672 Die im Konzil dann profi lierte Glaubenslehre von Jesus Christus als wahrem Gott führte Luther in mehreren, teilweise kreisenden Argumentationsschritten auf die Apostel und die Heilige Schrift zurück und entwickelte anhand der schriftgemäßen Lehrrückbindung und des Nicänischen Vorbilds generelle Urteilskriterien: So sprach Luther in scharfer Abgrenzung zur päpstlichen Konzilsauffassung allen Konzilien die Macht und das Recht ab, neue Glaubensartikel aufzustellen oder alte Artikel zu ändern.673 Stattdessen fokussierte er den Vermittlungsvorgang der Glaubensartikel: Sie könnten nicht auf der Erde durch die Konzilien heimlich wachsen, sondern müssten vom Himmel durch den Heiligen Geist öffentlich gegeben und offenbart sein.674 Als Offenbarung der kirchlichen Glaubenslehre verwies Luther auf den Pfi ngsttag, an dem der Heilige Geist „öffentlich vom Himel kam und Christum durch die Schrifft als einen rechten Gott verkleret, wie er verheissen hatte den Aposteln“.675 Die christologische Lehre gehöre seitdem zum Kernbestand der Kirche und sei im Konzil von Nicäa nicht erfunden oder neu aufgestellt, sondern lediglich verteidigt worden.676 Den Nicänischen Beschluss über die Verteidigung der schrift- und geistgebundenen Glaubenslehre transformierte Luther sodann zum Bewertungsmaßstab eines Konzils generell, indem er zwischen der Konzilsveranstaltung an sich, in der nur Menschen versammelt seien, und dem dort beratenden Verhandlungsgegenstand sowie dem konziliaren Entscheid differenzierte.677 Weil in Nicäa die Entscheidung gegen Arius auf der Grundlage der Heiligen Schrift und in Kontinuität zur apostolischen Lehre getroffen wurde, sei es der Glaubensartikel von der Gottheit Christi, der die Ursache des Konzils gewesen sei und das Hauptstück des Konzils bilde, „ja es ist das Concilium gantz und gar“.678 Von diesem Hauptgegenstand oder „Concilium substantialiter“679 unterschied Luther anhand der Geschichte des Konzils von Nicäa weitere, nicht ursächliche sichtigt in ihrer systematisch angelegten Darstellung über die vier ökumenischen Reichskonzilien zwar auch „Von den Konziliis und Kirchen“, bietet aber keine auf diese Schrift konzentrierte Analyse. 671 WA 50; 548,24–551,10. 672 AaO. 551,11–15. 673 AaO. 551,25–28. 674 AaO. 551,28–32. 675 AaO. 551,34–36. 676 AaO. 551,32–34. 552,1. 677 AaO. 552,4–6. 678 AaO. 552,18. 679 AaO. 564,29–35: Es ist nu offt gesagt, Das man die Concilia solle ansehen und auch halten nach dem Heuptartickel, der die ursache zum Concilio gegeben hat, denn das und da ist das Concilium substantialiter, der recht cörper oder leib des Concilij, Nach dem sich alles

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Verhandlungsgegenstände, die das äußerliche und zeitliche Kirchenregiment betrafen,680 nachrangig entschieden wurden und keine Glaubensrelevanz und Predigtfähigkeit enthielten.681 Diese als zeit- und situationsbedingten Nebenartikel oder „neben hendelchen“682 zu charakterisierenden menschlichen Gesetzesentscheide – oder polemisch gewendet: „eitel recht Pfaffengezenck“683 – seien für die Historie interessant, müssten aber von den Glaubensartikeln strikt geschieden bleiben.684 Mit der Unterscheidung zwischen den dogmatischen Artikeln und den das zeitliche und äußerliche Leben sowie das veränderbare Kirchenwesen betreffenden Artikeln hatte Luther das erkenntnisleitende Kriterium für die Beurteilung aller Konzilien aufgestellt, welches er bei der weiteren Darstellung entfaltete und bestätigt fand.685 Zur Veranschaulichung des hermeneutischen Verfahrens – Analyse der Konzilsursache686 und daraus resultierender Unterscheidung zwischen Hauptgegenstand und Nebensachen – schaltete Luther innerhalb seiner Darstellung über das Konzil von Nicäa einen Exkurs über das Apostelkonzil ein.687 Jetzt löste er die im ersten Teil seiner Schrift aufgeworfene Problematik über die in der Kirche nicht mehr in Geltung stehenden Konzilsbeschlüsse zu den Speiseklauseln auf und erklärte diese Entscheidungen zu zeitbedingten Nebensachen.688 Damit

ander richten und schicken sol, wie ein kleid sich nach dem leibe schickt, der es tregt oder anhat, Wo nicht, so zeucht mans ab und wirffts von sich, so ists nicht mehr ein kleid. 680 WA 50; 552,20–553,2. 681 AaO. 553,2–4: Wer kan solche stücke fur Artickel des glaubens halten? Und was kan man davon in der Kirchen dem Volck predigen? Was gehet die Kirche odder Volck solchs an? 682 AaO. 565,1. 683 AaO. 552,25. 684 AaO. 554,3–5: Werens aber Artickel des glaubens oder Gottes gebot gewesen, so weren sie auch blieben, wie der Artickel von der Gottheit Christi. – In diesem Zusammenhang zählte Luther zahlreiche Konzilsentscheide auf, wie z. B. die Festlegung des Osterfestes, aaO. 554,6–25. 685 AaO. 559,31–560,1: Also haben wir, das dis Concilium hat furnemlich gehandelt diesen Artickel, das Christus rechter Gott sey, Darumb es auch zusamengefoddert ist, darumb es auch ein Concilium ist und heist. Daneben haben sie etlich zufellige, leibliche, eusserliche, zeitliche stücke gehandelt, die billich weltlich zu achten sind, nicht den Artickeln des glaubens zu vergleichen, auch nicht als ein ewiges recht zu halten (Denn sie sind vergangen und verfallen), Sondern das Concilium hat müssen solche leibliche stücke, als zu jrer zeit zufellig und notturfftig, auch mit müssen verrichten, Die uns zu unser zeit nichts mehr angehen, dazu auch nicht müglich noch nützlich zu halten. – Siehe auch aaO. 564,29–565,5. u. ö. 686 AaO. 560,8–10: Und warumb wolten wir dasselb Concilium nicht auch besehen, wie es zu verstehen sey aus den ursachen, die es haben erzwungen? 687 Zum Exkurs siehe aaO. 560,4–568,27. Vgl. Brockmann, Apostelkonzil, 44–48; Ders., Luther und das Apostelkonzil, 314–320; Oftestad, Evangelium, 50–54; Sieben, Die katholische Konzilsidee, 23–32. 688 WA 50; 560,4–8: Also hat auch das Concilium der Apostel zu Jerusalem nach dem heubtstücke etlich zufellige, eusserliche Artickel als von dem blut, ersticktem, Götzenopffer

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entfaltete er konsequenter als in seiner Predigt vom Juni 1524 689 die Unterscheidung zwischen dem rechtfertigungstheologischen Hauptartikel, der in der Petrusrede (Act 15,7b-11) vorgetragen wurde, und den als Nebenartikel gewerteten Speiseklauseln. Während der Glaubensartikel von der allein seligmachenden Gnade Jesu Christi, der in der Suspendierung der Heidenchristen von der Gesetzesobservanz mündete, den Anlass für die Konzilszusammenkunft bildete,690 problematisierte Luther die der christlichen Gesetzesfreiheit entgegenstehenden „Jakobusklauseln“.691 In konsequenter Anwendung seiner hermeneutischen Methode erklärte er jetzt die von Jakobus eingetragenen Vorschriften aus ihrem historischen Zusammenhang und bewertete diese Nebenbestimmungen nicht wie noch 1524 als „Gesetz oder Gesetzes last“,692 sondern als hilfreiche Interpretamente für die Judenchristen zur Annahme des rechtfertigungstheologischen Grundartikels.693 Hatte Luther 1524 vom exegetischen Ansatz her den anfänglichen Irrtum der Konzilsteilnehmermehrheit betont und die theologischen Differenzen zwischen Petrus und Jakobus trennscharf hervorgehoben, wodurch er seine These von der allgemeinen Unzuverlässigkeit der Konzilien bestätigt fand, favorisierte er nun die harmonisierende Darstellung des Jerusalemer Konzils. Anders als in den die Defi zite herausstellenden altkirchlichen Konzilsinterpretationen der 1520er Jahre beurteilte er 1539 das erste Konzil der Christenheit vom rechtfertigungstheologischen Hauptartikel her positiv und vollzog somit – analog zum Konzil von Nicäa – eine konzilstheoretische Perspektivänderung, die in der Unterscheidung von Glaubens- und Nebenartikeln ihren Grund hatte.694 müssen, als zu jrer zeit notturfft, entrichten, Aber nicht der meinung, das ein ewigs recht wie ein Artickel des glaubens in der Kirchen bleiben solt, denn es ist gefallen. 689 Siehe oben, Kapitel VI § 16 3.2. 690 WA 50; 560,11–563,26. 691 AaO. 563,27–31: Was wollen wir aber hie in diesem Concilio der Apostel sagen, da S. Jacob die vier stück auszeucht, Blut, erstickts, götzenopffer und hurerey? Ist nicht das Concilium wider sich selbs und der Heilige Geist mit jm selbs uneins? Denn die zwo rede sind offenberlich und greiffl ich widdernander, die last des gesetzs Mosi nicht auffl aden, und gleichwol auffl aden. 692 AaO. 565,12 f. 693 AaO. 565,6–567,8. Die Beurteilung mündete in die Feststellung, aaO. 567,9–11: Also sind die zween Artickel S. Peter und S. Jacob widernander und doch nicht widernander, S. Peters ist vom glauben, S. Jacobs ist von der liebe. 694 Brockmann, Luther und das Apostelkonzil, 318 f. mutmaßt, dass zur Ausprägung der „konzilshermeneutischen Methode“ Act 15 beigetragen habe, indem Luther den in der Predigt von 1524 zwischen dem dogmatischen Hauptartikel und anders gearteten Nebenbestimmungen aufgeworfenen Deutungsansatz 1539 zur Methode ausgebaut habe. Inwiefern Luther die Beschäftigung mit dem Apostelkonzil zu dieser Einsicht führte oder ob Luther nicht vielmehr durch sein ausführliches Studium des Konzils von Nicäa auf die hermeneutische Differenzierung gewiesen wurde, lässt sich nur vage beantworten. Der exkursartige Einschub des Apostelkonzils im zweiten Teil unterstützte und illustrierte m. E. nur die anhand des Konzils von Nicäa entwickelte Unterscheidung der Beschlüsse in Haupt- und Nebendinge.

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Methodisch analog setzte Luther die Untersuchung mit den übrigen drei altkirchlichen Hauptkonzilien fort, benannte ihre Anlässe und Ursachen und hob die für den christlichen Glauben zentralen Artikel von den peripheren Gesetzgebungen ab.695 Insgesamt geriet die umfangreiche und detailreiche Analyse der altkirchlichen Konzilisentscheide zu einer höchst beachtenswerten Darstellung von Luthers Christologie und Trinitätslehre.696

4.2. Die negative Wirkung der Konzilien: Radikalisierung der Ketzerei Am Ende seiner altkirchlichen Konzilsuntersuchung zeigte sich Luther derart ärgerlich und empört über die Streitereien, das Durcheinander und die Unordnung des von ihm zuletzt behandelten Konzils von Chalcedon, dass er seine Darstellung abbrach und den Leser ohne genaue Literaturangabe auf die eigenständige Lektüre der Konzilsgeschichte verwies.697 Das Konzil von Chalcedon kommentierte er mit einem Wort Gregors von Nazianz 698 : „Wenn man die warheit sagen sol, so halt ich, das man aller Bisschove Concilia fl iehen solle, Denn ich kein gut ende der Concilien gesehen habe, auch nicht des bösen abschaffung, sondern ehrsucht, zanck umbs forgehen [d. h. Vorrang] etc., das mich wundert, wie es zugehet, das sie umb solcher wort willen nicht haben lengest den ergesten Ketzer aus jm gemacht.“699

Das pessimistische Urteil Gregors sah Luther in der Wirkungsgeschichte bestätigt. So seien beispielsweise die arianischen Ketzer trotz Bekämpfung in Nicäa aus dem Konzil gestärkt hervor gegangen. Ebenso sei es mit den übrigen konziliar bekämpften Ketzereien geschehen.700 Den Höhepunkt der negativen Folgewirkung eines Konzils machte Luther im Konstanzer Konzil aus: Obwohl dort der Papst dem Konzil unterworfen, abgesetzt und seine „Tyranney und Simoney hart verdampt“ worden sei,701 habe der Papst sich erholt und sei anschließend mit seinen Teufeln mächtiger als zuvor aufgetreten, habe Krieg und Verderben über die Menschheit verbreitet und Leib und Seele umgebracht.702 695 Anders als die Konzilien von Nicäa und Konstantinopel übte Luther an den Konzilien von Ephesus und Chalcedon aufgrund der ausbleibenden Bekämpfung des Mönchswesens als guten Werks Kritik. Siehe WA 50; 618,17–30. 622,21–23. 696 Hierauf weist u. a. Mostert, Verständnis, 355–357 hin. 697 WA 50; 604,10. Es ist möglich, dass Luther hiermit auf die Konziliengeschichte von Crabbe anspielte. 698 AaO. 604,10–14. 699 AaO. 604,14–18. Siehe Gregor von Nazianz, Epist. 130 (an Procopius), PG 37,226. Vgl. auch WAT 5; 562,33–563,2. Im zeitgenössischen Konzilsdiskurs wurde das Diktum von Gregor häufiger angeführt. Vgl. Brockmann, Konzilsfrage, 286 Anm. 191. 700 WA 50; 604,27–34. 701 AaO. 605,1 f. 702 AaO. 605,2–9. Das Erstarken des Papsttums in Folge des Konstanzer Konzils kritisierte Luther u. a. WAT 5; 470 Nr. 6065.

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Mit den polemischen, gegen die „causa reformationis“ des Konzils gerichteten Worten, „[d]as ist die Reformatio des Costentzer Concilij“,703 schloss er seine pessimistische Konzilsbeurteilung.

4.3. Die positive Funktion der Konzilien: Verteidigung der biblischen Glaubenslehre Die Analyse der Ursachen und der Hauptgegenstände der altkirchlichen Konzilien ergab für Luther, dass in Nicäa die Gottheit Christi gegen Arius, in Konstantinopel die Gottheit des Heiligen Geistes gegen Macedonius, in Ephesus die Personeneinheit Christi gegen Nestorius und in Chalcedon die Zweinaturenlehre gegen Eutyches verteidigt worden sei.704 Diese christologischen und trinitätstheologischen Hauptartikel bildeten für Luther keine neuen Glaubenslehren, sondern verteidigten und bekräftigten lediglich die in der Heiligen Schrift enthaltenden Glaubensaussagen. Diese Ergebnisse generalisierte Luther: „Auff diese weise mus man nu auch alle andere Concilia verstehen, sie seien gros oder klein, und wenn jr viel tausent weren, das sie nichts neues, weder im glauben noch guten wercken setzen, sondern als der höheste Richter und der grössest Bisschoff unter Christo den alten glauben und alte, gute werck verteidigen nach der Heiligen schrifft, on das sie auch daneben von zeitlichen, vergenglichen, wandelbarn sachen zu jrer zeit notturfft handeln, welchs doch auch mus geschehen, ausser den Concilien in allen Pfarrhen und Schulen.“705

Bezüglich einer sachgemäßen Konzilskonzeption resümierte der Reformator, dass einem Konzil keine eigenständige und schöpferische Autonomie zur Entwicklung neuer Dogmen und Normen zukomme, sondern es nur die offenbarte christliche Botschaft auf der Grundlage der Heiligen Schrift als einziger Norm und Quelle verteidigen und bestätigen könne. Wie das Apostelkonzil und die altkirchlichen Konzilien bewiesen, hätten die Konzilien nur insofern Autorität, als sie sich von der Christusbotschaft und apostolischen Lehre der Heiligen Schrift leiten ließen und diese gegen antichristliche Einflüsse in der christlichen Kirche abgrenzten. Die für die päpstliche und konziliaristische Konzilslehre gleichermaßen zentrale Funktion des Konzils, neue Dogmen und Lebensordnungen für die Kirche verbindlich aufstellen und ihnen heilsrelevanten Gesetzescharakter verleihen zu können, schloss Luther defi nitiv und kategorisch als widergöttlich aus.706

703 704 705 706

WA 50; 605,13 f. AaO. 605,15–20. AaO. 606,3–9. AaO. 606,10–33.

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5. Die Macht und die Aufgaben eines Konzils Da die vom Papst und den Katholiken den Konzilien zugewiesene Autorität und die damit verbundenen Aufgaben somit hinfällig waren, stellte sich für Luther jetzt die Hauptfrage, „darumb ich dis büchlin schreibe. Was ist denn nu ein Concilium, odder was ist sein werck?“707 Die Antwort bildeten zehn aus der altkirchlichen Konziliengeschichte abgeleitete Thesen, welche in jeweils zwei Bezugspaaren je eine Abgrenzung zur altgläubigen Konzilslehre und eine positive Aufgabenbestimmung der konziliaren Macht und Autorität enthielten. Generell zählen sie zu den prägnantesten und innovativsten Äußerungen Luthers zur Konzilsthematik! Um die Artikel in ihrer pointierten Aussagekraft zur Geltung zu bringen, seien sie hier thetisch referiert: 1. Ein Konzil hat keine Macht, neue Glaubensartikel aufzustellen.708 2. Ein Konzil muss neue Glaubensartikel abwehren und verdammen.709 3. Ein Konzil hat keine Macht, neue, gute Werke aufzustellen.710 4. Ein Konzil muss der Liebe widerstreitende, schlechte Werke abwehren.711 5. Ein Konzil hat keine Macht, den Christen neue Zeremonien als heilsnotwendig zu befehlen.712 6. Ein Konzil muss neue Zeremonien der Bibel entsprechend verurteilen.713 7. Ein Konzil hat keine Macht, in das weltliche Regiment einzugreifen.714 8. Ein Konzil muss willkürliche Eingriffe in das weltliche Regiment abwehren.715

707

WA 50; 606,34 f. AaO. 607,7–11: Erstlich keine macht, neue Artickel des glaubens zu stellen, unangesehen, das der Heilige Geist drinnen ist, Denn auch der Apostel Concilium zu Jerusalem, Act. 16. [sic!], nichts neues im glauben setzet, Sondern, wie S. Petrus schleust, das auch alle jre vorfaren gegleubt haben diesen Artickel, Man müsse on Gesetze, allein durch die gnade Christi selig werden. 709 AaO. 607,12–17: Zum andern hat ein Concilium macht und ists auch schuldig zu thun, neue Artickel des glaubens zu dempfen und verdamnen, nach der heiligen Schrifft und altem glauben, gleich wie das Concilium zu Nicea verdampt den neuen Artickel Arij, das zu Constantinopel den neuen Artickel Macedonij, Das zu Epheso den neuen Artickel Nestorij, Das zu Calcedon den neuen Artickel Eutyches. 710 AaO. 607,18–26. Luther verwies bei dieser reformatorischen Grundlehre auf die zentralen Bestimmungen der Bibel und betonte als Grundmotiv aller guten Werke die Liebe. 711 AaO. 607,27–613,18. Zur Erläuterung der These unterschied Luther zweierlei böse Werke: diejenigen, die offensichtlich und vom Gesetz her böse seien wie Mord, Ehebruch usw., und diejenigen, die von der Papstkirche als gute Werke bezeichnet wurden wie z. B. das Heiligkeitsstreben im Mönchtum, aber für den Glauben und Gott böse Werke bildeten. 712 AaO. 613,19–26. 713 AaO. 613,27–30. 714 AaO. 613,31–33. 715 AaO. 613,34–36. 708

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9. Ein Konzil hat keine Macht, Dekrete zu verfassen, durch welche die Macht der kirchlichen Hierarchie vermehrt werden würde.716 10. Ein Konzil kann Zeremonien, die um der kirchlichen Ordnung willen nötig sind wie z. B. Ort und Zeit von Gottesdiensten, festsetzen.717 Luther bestätigte den möglichen Einwand, durch diese Aufgabenbeschreibung werde den Konzilien weniger Macht und Autorität über die Kirche eingeräumt als den Pfarrern und Pädagogen über ihre Schüler,718 indem er auf die glaubensvermittelnde Bedeutung der Pfarrer und Schulmeister für die christliche Gemeinde verwies.719 Diese Feststellung baute Luther zu der These aus, im „Kinderglauben“,720 im Vaterunser oder in den Zehn Geboten werde jeweils mehr Glaubenssubstanz vermittelt und gelehrt als in allen Konzilien zusammen,721 denn die Funktion der Konzilien sei nicht das Lehren des christlichen Glaubens, sondern das Abwehren neuer Glaubensartikel zugunsten der biblischen Lehre.722 Die vom Reformator den Konzilien zugewiesene Aufgabe des Anathematisierens von Irrlehren band er, um menschlichem Missbrauch vorzubeugen, nicht an das richterliche Gutdünken der Konzilsteilnehmer, sondern an den Rechtsauftrag der „heilige[n] Christliche[n] Kirche“, insofern sie die „heilige Schrifft predigt, gleubt und bekennet“.723

6. Die Entfaltung des evangelischen Konzilsverständnisses Aus dem Richteramt mit seiner den christlichen Glauben zu verteidigenden Aufgabe leitete Luther seine Defi nition der Institution „Konzil“ ab, welche ein Novum in den bisherigen Konzilsdiskursen und eine konsequente Weiterentwicklung seiner eigenen Konzilstheorie darstellte: „So ist nu ein Concilium nicht anders, denn ein Consistorium, Hofegericht, Camergericht oder desgleichen, Darinnen die Richter nach verhör der Part das urteil sprechen, doch mit solcher demut: Von rechts wegen“.724

716

AaO. 614,1–7. AaO. 614,8–27. 718 AaO. 614,28–31. 719 AaO. 614,31–35: Antwort ich: Meinstu denn auch, das ein Pfarrher oder Schulmeister so geringe Ampt sind, das sie nicht möchten etwa sein den Concilijs zu vergleichen? Wenn keine Pfarrher oder Bisschove weren, wo wolt man ein Concilium samlen? Wenn keine Schulen weren, wo wolt man Pfarrher nehmen? 720 Mit der Bezeichnung „Kinderglaube“ bezeichnete Luther das zum Katechismus gehörige apostolische Glaubensbekenntnis. Siehe aaO. 592,10. 615,3 f. 624,14 f. u. ö. 721 AaO. 615,3–5. 722 AaO. 615,5 f.: Dazu leren sie nicht, sondern wehren, das nichts neues wider die alten lere gepredigt werde. – Siehe auch aaO. 618,8–18. 723 AaO. 615,13–27. 724 AaO. 615,28–30. 717

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Der politisch-juristischen Sphäre des Rechts im deutschen Reich entsprechend erklärte Luther die Institution „Konzil“ zum Gericht, in dem Gottes Wort als Recht herrsche und Gottes Kirche das Reich bilde, dem die Konzilsrichter zu dienen hätten.725 Diese paradigmatische Defi nition ermöglichte Luther nun sowohl theoretische als auch praktische Perspektivierungen seiner Konzilsinterpretation, welche er in struktureller, theologischer und kirchenpolitischer Dimension entfaltete.

6.1. Pfarrer und Schulmeister als „kleine, doch ewige und nützliche Concilia“ Zur Dauer des Konzils stellte Luther fest, dass ein Konzil nicht ständig tagen könne, sondern zeitlich begrenzt sein müsse. Nur in der Not, wenn die christliche Glaubenslehre durch Irrlehrer bedroht sei und die Ortsbischöfe und Pfarrer mit der Problematik überfordert seien, sei die Gemeinschaft der Bischöfe zur Verteidigung des Glaubens einzuberufen.726 Den hier pronancierten Notstandsaspekt als Grund für die Konzilseinberufung hatte Luther bekanntlich schon 1520 in seiner Adelsschrift als Begründung für das Eingreifen der weltlichen Obrigkeit in die kirchlichen Angelegenheiten profi liert, um die kirchlichen Missstände zu beseitigen und die Christenheit zu bessern.727 Erneut wies Luther der weltlichen Obrigkeit die Kompetenz zu, Bedingungen zur Verbreitung und Verteidigung des christlichen Glaubens zu schaffen, akzentuierte diese aber nun gemeindeorientiert im Blick auf die Pfarrer und Lehrer.728 Weil die Konzilien nicht ständig tagen und den Glauben nicht wecken könnten, hätte ein „jglicher Pfarrher und Schulmeister“ die beständige Aufgabe, den Glauben gegen Angriffe zu verteidigen und gemeindebauend und -erhaltend die Jugend zum Glauben zu führen sowie die christlichen Glaubensinhalte zu lehren.729 Diese Aspekte gipfelten im Loblied auf die das Evangelium „treibenden“730 Pfarrer und Schulmeister: 725

WA 50; 615,31–616,7. Zur Verdeutlichung dieser notständischen Gemeinschaftsaufgabe führte Luther drei Beispiele an: Als historisches Beispiel entfaltete er die Problematik hinsichtlich des Ketzers Arius in Alexandrien, als Alltagsbeispiel die gemeinschaftliche Löschaktion bei einem Hausbrand und als politisches Beispiel die Reichsordnung mit dem Reichstag als höchster Schiedsinstanz. Siehe aaO. 616,8–617,8. 727 Siehe oben, Kapitel IV § 8.4.2. 728 AaO. 617,25–28. 729 In metaphorisch kunstvollen Aussagen, die zu den Spitzensätzen pastoraler Wertschätzung bei Luther zählen, verglich er die Konzilien mit den Pfarrern und Lehrern. AaO. 617,11–20: Darumb sind Pfarrher und Schulmeister die nidrigen, aber teglich, bleibende, ewige Richter, die on unterlas Anathematisiern, das ist, dem Teuffel und seinem toben weren. Ein Concilium als ein grosser Richter mus alte grosse schelcke [d. h. böse, arglistige Menschen] from machen oder tödten, kan aber kein andere zeugen, Ein Pfarrher und Schulmeister haben mit kleinen, Jungen schelcken zu thun und zeugen [d. h. erziehen] jmer neue 726

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„O, sie haben ein köstlich Ampt und werck, Und sind die edelsten kleinot der Kirchen, Sie erhalten die Kirchen. Darumb sollten alle Herrn dazu thun, das man Pfarrher und Schulen erhielte, Denn wo wir die Concilia ja nicht haben können, So sind die Pfarrhen und Schulen, wiewol kleine, doch ewige und nützliche Concilia.“731 730

6.2. Die Verteidigung des christlichen Glaubens als einziger Konzilsgrund Wiederholt unterstrich der Reformator, was das Recht, die Macht, das Amt und Werk eines Konzils sei und woran man „rechte oder falsche Concilia“ unterscheiden könne.732 Die falschen Konzilien würden neue Glaubensartikel gegen die alten Glaubensartikel beschließen und neue gute Werke gegen die alten guten Werke setzen.733 Hingegen zeichne ein rechtes Konzil allein die Verteidigung des christlichen Glaubens in Zeiten der kirchlichen Not und Anfechtung aus und habe als einzigen Verhandlungsgegenstand die Glaubensthematik zu traktieren.734 Alle übrigen möglichen Diskussionsgegenstände wie Kirchenund Lebensordnungen, Rechtsthemen und Fragen der Liturgie seien nicht Sache eines Konzils, sondern wie z. B. die Zeremonien, welche der kirchlichen Zucht und Ordnung dienten und entgegen der Meinung des Papstes „ganz und gar eusserlich, leiblich, vergenglich, wandelbar ding“ seien,735 dem Kompetenzbereich der Pfarrer und Schulmeister zuzuordnen.736

6.3. Die Konzilsklage gegen den Papst wegen Missachtung der Rechtfertigungslehre Die konzilstheoretischen Entfaltungen spitzte Luther schließlich kirchenpolitisch zu und landete einen konzilspraktischen Überraschungscoup: Der Papst Leute zu Bisschoven und zu Concilien, wo es not ist. Ein Concilium heuet die grossen este [d. h. Äste] abe an den beumen oder rottet die bösen beume gar aus, Aber ein Pfarrher und Schulmeister pfl antzen und zeugen eitel [d. h. bloße] junge beumlin und wurtzstreuchlin [d. h. Gewürzsträucher] in den garten. 730 AaO. 623,30. 731 AaO. 617,20–24. Entfaltet hatte Luther die Notwendigkeit von Schulen für die das Evangeliumsverständnis fördernde Bildung und deren Unterstützung durch die weltliche Obrigkeit u. a. bereits 1524 in seiner Schrift „An die Ratherren aller Städte deutsches Lands, daß sie christliche Schulen aufrichten und halten sollen“ (WA 15; [9] 27–53 = Cl 2; 442– 464). Vgl. hierzu M. Wriedt, Art. B.IV.1. Bildung (LuH, 231–236). 732 WA 50; 618,8–11. Die Unterscheidung in wahre und falsche Konzilien war 1521 bezüglich der konziliaren Bibelorientierung bereits von Melanchthon vollzogen worden, siehe MSA 1; 146,27–31; WA 8; 299,12–15. 733 WA 50; 618,11–30. 734 AaO. 618,36 f. 735 AaO. 619,18–25. 736 AaO. 618,37–18.

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und seine Anhänger seien als Irrlehrer anzuklagen und vor das Gerichtsforum eines Konzils zu ziehen! Diese Überlegung, die Luther 1520 bereits in seiner Adelsschrift im Blick auf die den Papst verurteilende Gemeindeversammlung angedeutet hatte,737 baute er jetzt auf dem historisch abgeleiteten und theologisch grundierten Hintergrund als optionale Forderung aus, welche er allerdings – aufgrund der geringen Erfolgsaussichten – im Irrealis formulierte. Die gegenwärtige Situation der Christenheit charakterisierte Luther als Notstand, welcher die Einberufung eines Konzils rechtfertige.738 Ursache für die Konzilsdringlichkeit bildete der Umgang des Papstes und seiner Anhänger mit dem „Artickel S. Peters“. Weil der Papst den rechtfertigungstheologischen Grundartikel des Glaubens der Christenheit vorenthalte, ihn verachte und verketzere, sei der Ernstfall der Häresie gegeben.739 Zur Verteidigung des von Luther als Herzstück der christlichen Glaubenslehre hervorgehobenen Rechtfertigungsartikels rief er darum die gesamte Christenheit auf, ein Konzil gegen die päpstliche Irrlehre einzuberufen und analog zu den altkirchlichen Konzilien für die Erneuerung des christlichen Glaubensartikels zu kämpfen.740 Mit der theologisch fundierten und argumentativ raffi nierten Konzilsbegründung knüpfte Luther an die nach wie vor vorhandenen zeitgenössischen Konzilsbegehren in Politik und Kirche an und verlieh ihnen souverän eine bisher von ihm im Konzilsdiskurs nicht vorgetragene theoretische Tiefenschärfe. Mittels des Kernstücks der evangelischen Lehre, die er als alte, christliche Lehre identifi ziert hatte, machte Luther den anklagenden Papst nun zum öffentlichen Angeklagten. Ein zeitgenössisches Konzil hatte für Luther folglich nur Sinn, wenn in ihm die Irrlehren des Papstes anathematisiert würden,741 so dass er den kurialen Einberufungsgrund für ein Konzil – Ausrottung der protestantischen Ketzerei – schlichtweg ins Gegenteil verkehrte.

6.4. Gestaltungsvorschläge für das (utopische) antipäpstliche Konzil In für ihn erstaunlich konkreter Weise entwickelte der Reformator sodann für dieses den Papst verklagende „statlich, scharff, gewaltig Concilium“ skizzen737

Siehe Kapitel IV § 9.2.1. WA 50; 619,26 f.: Demnach hetten wir jtzt zu unser zeit wol sachen, die mehr denn wichtig und werd gnug weren, ein Concilium zu samlen [. . .]. 739 AaO. 619,26–620,4. Siehe besonders aaO. 620,4–8: Denn das wir (wie S. Petrus zeugt) allein durch die gnade Christi selig müssen werden, wie die gantze Christenheit von anfang der welt, alle Patriarchen, Propheten, Könige, Heiligen etc. worden sind, das heist er Ketzerey und hat von anfang denselben Artickel jmer fur und fur verdampt, kan auch nicht auf hören. 740 AaO. 620,9–11: Hie ruffen wir und schreien umb ein Concilium und bitten die gantze Christenheit umb rat und hülfe wider diesen ertz Kirchenbörner [d. h. Kirchenverbrenner] und Christenmörder, das wir diesen Artickel S. Petri möchten widerkriegen. 741 Siehe aaO. 621,18–33. 738

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hafte Gestaltungsvorschläge: 742 Die weltlichen Obrigkeiten, Kaiser und Könige, sollten aufgrund ihrer Christenpfl icht entsprechend den vier Hauptkonzilien ein Konzil einberufen und den Papst, falls er sich weigerte, zur Teilnahme zwingen.743 An Umfang und Zeit sollte die Konferenz, um arbeitsfähig sein zu können, klar begrenzt sein.744 Von allen Ländern müssten bibelgelehrte Persönlichkeiten angefordert werden, „die auch Gottes ehre, den Christlichen glauben, die Kirche, der seelen heil und der welt friede mit ernst und von hertzen meineten“.745 Unter ihnen sollten nicht nur Theologen und Geistliche, sondern auch weltliche Personen, d. h. Laien, sein, deren Gesamtzahl wie in Nicäa auf ungefähr 300 auserlesene Personen beschränkt werden müsste.746 Eine weitere Konkretisierung führte Luther nicht durch, sondern hob noch einmal den zentralen Verhandlungsgegenstand, die Anklage wegen Unterdrückung des alten, rechten, christlichen Glaubens der Kirche gegen den Papst, hervor.747 Wie bereits zu Beginn der Ausführungen über die aktuelle Notwendigkeit eines den Papst anklagenden Konzils sprachlich signalisiert, hielt Luther die Praktikabilität eines solchen Konzilsunternehmens in Kontinuität seiner seit 1520/21 vertretenden Position für utopisch. Zweck seiner hier vorgetragenen Konzilskonkretion war es allein, die in Deutschland verbreiteten Konzilsforderungen in evangeliumsorientierte und antipapistische Bahnen zu lenken. Andernfalls solle man überhaupt kein Konzil begehren.748

6.5. Konzilspolitischer Vorschlag: Ein Provinzialkonzil in deutschen Landen Eine bescheidenere, aber keineswegs weniger brisante kirchenpolitische Überlegung äußerte Luther am Ende seiner Ausführungen über die Konzilien. Für den wahrscheinlichen Fall, dass ein allgemeines Konzil nicht realisierbar sei, sollten Kaiser Karl V. und die deutschen Fürsten ein Provinzialkonzil in deut742

AaO. 621,34–622,1. AaO. 622,1–3. 623,10–12 744 AaO. 622,3–10. 745 AaO. 622,10–13. 746 AaO. 622,14–23. In diesem Zusammenhang erwähnte Luther als Vorbild eines schriftverständigen Laien den 1528 verstorbenen bambergischen Kanzler und späteren markgräflichen Rat Johann Freiherr von Schwarzenberg. Zu dessen einflussreichen Wirken auf dem 2. Nürnberger Reichstag siehe oben, Kapitel V § 13.1.2. Vgl. auch Tecklenburg Johns, Konzilsidee, 38 f. 747 WA 50; 622,24–623,4. 748 AaO. 623,5–8: Ja, sprichstu, solch Concilium ist nimermehr zu hoffen. Das dencke ich selber auch wol, Aber wenn man denn wil davon reden und Concilium begern oder wündschen, So müste man ein solchs wündschen, oder lasse es gar faren und wündsche keins, schweige mutterstille. 743

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VII. Die Konzilsthematik im Horizont von Politik und Kirche (1530–1546)

schen Landen einberufen.749 Die mögliche Gefahr eines Schismas wertete Luther bei gemeinsamer Kraftanstrengung und Gottes Mitwirken als gering, während er die positiven Effekte würdigte, welche ein evangeliumsorientiertes und antipäpstliches Konzilsurteil in Politik und Öffentlichkeit hervorrufe. Denn sollte Deutschland sich für ein derartiges Konzil entscheiden, werde die Versammlung als „grosse[r] Prediger“ mit einer starken Stimme das Evangelium in ferne Länder tragen.750 Weil der Vorschlag eines Provinzialkonzils einen neuen Aspekt in seinen konzilspolitischen Äußerungen bildete und die in der Forschung vertretene These von den unausgeglichenen Ambivalenzen innerhalb seines Konzilsverständnisses zu bestätigen scheint,751 muss nach dem Grund gefragt werden, warum Luther diese Überlegung verbalisierte, obwohl er ein Konzil weder erwartete noch für wirklich sinnvoll erachtete und kirchenpolitisch für unrealisierbar hielt. Da Luther den Vorschlag am Ende seines zweiten Traktatteils formulierte und ihm somit ein gewisses Achtergewicht verlieh, dürfte er ihn bewusst eingespielt haben. Die Idee eines Nationalkonzils, welches Luther entsprechend der zeitgenössisch-terminologischen Unschärfe als Provinzialkonzil titulieren konnte, war zur Klärung der Glaubensfrage seit den 1520er Jahren innerhalb der Reichsstände immer wieder diskutiert und 1524 – wie gesehen – beinahe realisiert worden.752 Auch in den 1530er und 1540er Jahren riss die kirchen- und reichspolitische Debatte um einen „nationalen Religionskonvent“ nicht ab, der entweder als Vorstufe für ein allgemeines Konzil oder als Ersatz für ein solches gewertet wurde und aufgrund des dissimulierenden Begriffs mittels unterschiedlicher Bezeichnungen die Diskussion prägte.753 Eine spezifische Form dieser nationalen Versammlung sollten die Religionsgespräche bilden, deren genaue Gestalt zwar keineswegs festgelegt war, deren Realisierung auf Reichsebene aber in den Frankfurter Verhandlungen 1539 diskutiert und seitens der Protestanten protegiert wurde. Wie oben erwähnt, fand das Religionsgespräch Eingang in den Frankfurter Anstand.754 Weil sich im Vorfeld der Frankfurter Verhandlungen auch die protestantischen Fürsten zunehmend offen für eine konziliare Nationalversammlung als zweiten Verständigungsschritt – nach der Bestätigung des Nürnberger Anstan749 WA 50; 623,17–19: Und ob andere Monarchen nicht wolten thun zum heubt Concilio, so kündte dennoch Keiser Carolus und die Deudschen Fürsten wol ein Provintial halten in Deudschen Landen [. . .]. 750 AaO. 623,19–26. 751 Für die Konzilsschrift im Allgemeinen behauptete z. B. Pelikan, Luthers Stellung, 42, dass der Reformator fortfahre, ein Konzil zu verlangen. 752 Siehe oben, Kapitel VI § 15.2. 753 Vgl. die Hinweise auf die Begriffsdifferenzen bei Brockmann, Konzilsfrage, 290–301; Laubach, Nationalversammlung, passim. 754 Siehe oben, Kapitel VII § 20.1.1.

§ 20 Die reformatorische Schrift „Von den Konziliis und Kirchen“ (1539)

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des von 1532 – zeigten, welche ohne Beteiligung des Papstes und der romtreuen europäischen Höfe im eigenen Einflussbereich stattfi nden sollte,755 dürfte Luthers Vorschlag wie 1533 vordergründig pragmatischen Interessen geschuldet gewesen sein. Erstens unterstützte er mit seinem Vorschlag die kursächsische Religionspolitik, indem er den Kaiser und die deutschen Fürsten zum evangeliumsfreundlichen Handeln ermahnte, zweitens unterbreitete er der sächsischen Gruppe humanistisch-konziliaristischer Reformkatholiken ein Angebot, das zumindest ihr Interesse fi nden konnte, und drittens zeigte er entsprechend seiner konzilspragmatischen Haltung der Öffentlichkeit, dass er keineswegs als Konzilsboykotteur zu gelten habe. Die intendierte kirchenpolitische Dimension legt es nahe, dass Luther den Vorschlag eines Provinzialkonzils wie auch seine übrigen Ausführungen zum einen als Beitrag für die Frankfurter Friedensverhandlungen verstanden wissen wollte. Obgleich es anhand der Quellen bisher nicht belegbar ist, dürfte es wahrscheinlich sein, dass Exemplare oder Teilexemplare der um den 20. März gedruckten Konzilsschrift die Verhandlungsteilnehmer noch in Frankfurt erreichten.756 Zum anderen suchte Luther mit diesem Vorstoß die humanistischreformfreudigen Kräfte im Herzogtum Sachsen und darüber hinaus für den evangelischen Glauben zu gewinnen, indem er sie mit jenem anschlussfähigen Gedanken lockte. Wenn auch diese Überlegungen die kirchenpolitische Dimension des Vorschlages erklären, wird die ureigenste Motivation erst aus Luthers theologischem Gesamtverständnis deutlich: Das eigentliche Motiv für den provinzialkonziliaren Vorschlag bildete der „missionarische“ Gedanke! Die Chance, die ein nationales Konzil als öffentliches Forum für die Verkündigung des Evangeliums und der Wahrheit bot, wollte und durfte Luther nicht ungenutzt lassen, obgleich er ihre Realisierung weiterhin skeptisch beurteilte.

755 Allerdings gelangte der von Philipp von Hessen eingebrachte (NBD 1,4; 493 f. Nr. 37 [Philipp von Hessen an kurbrandenburgischen Gesandten Hans von Schlieben, 8. 12. 1538]) und von Kurfürst Johann Friedrich von Sachsen wiederholte Gedanke einer „nationalversamblung und freuntlich gesprech“ (NBD 1,4; 496,10 f. Nr. 38 [Kurfürst Johann Friedrich und Philipp von Hessen an Kurbrandenburg, 14. 12. 1538]) als Klärungsgremium der Glaubensfrage zu keiner ausgestalteten protestantischen Projektinitiative. Zwar betonten die Politiker im Dezember 1538 bezüglich der Reichsfriedensproblematik, dass sie einen Frieden wünschten, der nicht durch „widerruffen oder abschaffen eines concilii, nationalversamblung oder reichstags“ aufgehoben werden sollte (NBD 1,4; 494,3. 496,6 f.), sie vermieden aber bewusst eine klare Aussage über Form und Art des zur Religionsvergleichung zu wählenden Verfahrens. Vgl. Hollerbach, Religionsgespräch, 114 f.; Laubach, Nationalversammlung, 27 f.; Luttenberger, Glaubenseinheit, 86 Anm. 263. 756 Vgl. Kuhaupt, Kirchenpolitik, 63.

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VII. Die Konzilsthematik im Horizont von Politik und Kirche (1530–1546)

6.6. Ziel der Konzilsschrift Dass Luther das Zustandekommen eines Provinzialkonzils für kaum möglich erachtete, machte er am Ende seines zweiten Traktatteils unmissverständlich deutlich.757 Statt die Hoffnungen auf die Utopie eines Konzils zu setzen, empfahl der Reformator, den Handlungsfokus auf die ortsgemeindliche Einrichtung und Realisierung von evangelischen Pfarrämtern und Schulen zu richten. Entsprechend seiner in der ersten Hälfte der 1520er Jahre entwickelten gemeindepraktischen und amtstheologischen Überlegungen sollte die Obrigkeit dafür sorgen, dass Pfarren und Schulen als „die Kleinen Concilia und die Jungen Concilia“ eingerichtet, erhalten und gefördert werden. Denn durch ihr Wirken werde die biblische Rechtfertigungsbotschaft gegen die neuen Glaubensartikel und „guten Werke“ des Papstes am effektivsten getrieben und erhalten.758 Die Hervorhebung der gemeindedienenden Amtsfunktion von Pfarrern und Pädagogen bildete den Übergang zum dritten Teil seiner Schrift, in welchem Luther seine reformatorische Ekklesiologie vom Apostolicum her entwickelte und die Kirche als „Gemeinschaft der Heiligen“ oder „gemeine“ und Volk heiliger Christenleute interpretierte.759 Mit der umfangreichen Schrift „Von den Konziliis und Kirchen“ hatte Luther ein mehrdimensionales Manifest seiner Kirchen- und Konzilslehre vorgelegt, in welchem er neben der skeptischen Beurteilung des päpstlichen Konzilsvorhabens die altkirchlichen Väter und Konzilien sowohl als Reformationsgrundlage und kirchliche Norm zugunsten der Autorität der Bibel desavouierte, als auch ihre Aufgaben als Interpreten der Heiligen Schrift positiv hervor hob. Anhand der altkirchlichen Konzilsvorbilder entfaltete Luther das Wesen eines christlichen Konzils, welches er als notsituative, glaubensverteidigende sowie bibel- und geistgebundende Gerichtsinstitution der christlichen Kirche ohne Eigenautorität defi nierte. Hiermit hatte Luther sein umfangreichstes und profiliertestes Urteil zum Reform-, Kontinuitäts- und Konzilsdiskurs gesprochen, welches auf die protestantischen Fürsten Eindruck machte760 und für die evan757

WA 50; 623,27. AaO. 623,27–32. 759 AaO. 624,15–625,15. 760 Am 1. April hatte Justus Jonas Fürst Joachim von Anhalt einen ersten Teildruck der Schrift „de conciliis et ecclesia“ geschickt, siehe JJBW 1, 313 Nr. 415 ( Jonas an Fürst Joachim von Anhalt, 1. 4. 1539). Umgehend antwortete der Fürst mit den lobenden Worten, JJBW 1, 316 f. Nr. 419 (Fürst Joachim von Anhalt an Jonas, 3. 4. 1539): Den anfangk des buchs de ecclesia hab ich vberlessen, gefellet mir als einem eynfeldigen gantz wol, dan es meines bedunckens des ortes gesucht, do es ein sitzet [d. h. einsetzt], vnd wirdt ir [d. h. der Reformkatholiken] hertze genunksamlich, so nit blintheit do were, getroffen, auch das auf vnserem teil nichtes anders dan Gottes ehere, selligkeit der selen vnd rechter wolstant der christlichen kirchen gesucht, klar an tag gegeben, als ich dan achte noch weiter schicklich gescheen wirdt. Der almechtige vorleihe, das solchs zur besserung vnser aller, einigkeit der kirchen vnd Gottes lob vnd eher zuforderst gereichen moge. 758

§ 20 Die reformatorische Schrift „Von den Konziliis und Kirchen“ (1539)

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gelische Lehrbildung – besonders durch den ekklesiologischen Teil761 – in den folgenden Jahren prägend werden sollte. Abschließend sei auf ein für Luthers Konzilsverständnis wesentliches Motiv hingewiesen, welches den Grund für die von der Forschung öfter thematisierten Ambivalenzen in Luthers Haltung zur Konzilsinstitution darstellte. Wie u. a. in den Ausführungen zum Provinzialkonzil deutlich wurde, war es die theologisch-ekklesiologische Perspektive, welche den Reformator bisweilen zur Konzilsforderung veranlasste! Denn in zweierlei Hinsicht konnte er ein Konzil positiv-produktiv hervorheben: Einerseits enthielt ein freies, christliches Konzil die „missionarische“ Möglichkeit, als nationales oder internationales Verkündigungsforum die evangelische Botschaft öffentlich zu bezeugen und somit das Wort Gottes glaubensstiftend zu predigen, andererseits die ekklesiologisch-juristische Chance, die „antichristlichen“ Machenschaften der Papstkirche aufzudecken und den Papst samt seiner Amtsgewalt vor der Christenheit anzuklagen und zu verurteilen. Diese doppelte Indienstnahme des Konzils, die für Luther eine wünschenswerte Theorie bildete, war es, die in der Forschung den Eindruck von unausgeglichenen Ambivalenzen in Luthers Konzilsverständnis hinterließ.

761 Der dritte Teil wurde 1540 in Nürnberg auszugsweise (WA 50; 624,4–634,33. 641,16– 653,15) unter dem Titel „Von der Kirchen, was, wer und wo sie sei und woran man sie erkennen soll“ publiziert. Vgl. zu der Teilausgabe Kuhaupt, Kirchenpolitik, 68 f.; WA 50; 507.

§ 21 Wunsch und Wirklichkeit eines freien, christlichen Konzils in deutschen Landen Dass Luther 1539 mit „Von den Konziliis und Kirchen“ einen Schlussstrich unter das Thema Konzil gezogen hatte, wie bisweilen in der Forschung behauptet wird,762 ist eine unhaltbare These. Denn auch nach seiner ausführlichen theologischen Stellungnahme griff er das Konzilsthema – nicht nur in polemischer Verdichtung – auf und bezog Position zu den reichspolitischen Entwicklungen, welche die Konzilsfrage erneut zum Politikum gemacht hatten.763 Wiederholt wurde jetzt die Forderung nach einem Konzil in Reichsabschieden der ersten Hälfte der 1540er Jahre ventiliert und mit dem für Papst und Kurie unannehmbaren, von den Schmalkaldischen Bundesgenossen aber zunehmend unterstützten Gedanken eines Nationalkonzils verknüpft. Bezüglich dieser Entwicklung ist zu fragen, wie sich Luther insbesondere zu dem nationalkonziliaren Begehren verhielt, das er selbst in seiner Konzilsschrift als Provinzialkonzil tituliert und postuliert hatte. Sollte er diesem Konzilstyp nun, da er zu einer protestantischen Forderung avanciert war, seine Unterstützung zusagen und wenn ja, mit welchen Gründen? Schließlich ging Luther noch einmal ausführlich Anfang des Jahres 1545 auf die aktuelle Konzilsthematik ein, welche er in den politischen Kontext einordnete und in polemischer Schärfe gegen den Papst wandte. Weil trotz erheblicher Differenzen in der Konzilspolitik zwischen Papst Paul III. und Kaiser Karl V. der Papst nach einem erneut suspendierten Konzilsversuch im Jahr 1542 im November 1544 seinen Konzilsplan wieder aufgegriffen und für den 15. März 1545 ein Generalkonzil nach Trient einberufen hatte, fanden Luthers Äuße762 Vgl. z. B. M. N. Dreher, Obrigkeit und kirchliche Ordnung beim späten Luther (LuJ 71, 2004, 73–101), 85. 763 Die These von der abschließenden Stellungnahme in der Konzilsschrift dürfte ein Grund dafür sein, dass die Konzilsäußerungen des „alten Luther“ selten ausführlicher beachtet wurden. So fügt z. B. Tecklenburg Johns, Konzilsidee, passim zwar bisweilen Lutherzitate aus jenen Jahren in ihre Darstellung ein, ohne diese aber eigens zu thematisieren oder zu kontextualisieren. Gleiches gilt u. a. für Immenkötter, Konzilsbegriff, 133–137; Ebneter, Konzil, 46–48; Sieben, Die katholische Konzilsidee, 23. 51, die sich lediglich auf Luthers 1545 getätigte Äußerungen konzentrieren. Die kontextualisierende Behandlung der Konzilsthematik durch den alten Luther wird – wenn auch in unterschiedlicher Qualität – immerhin berücksichtigt bei: Brecht, Luther 3, 215–228 passim; Edwards, Last battles, 163 f. 182–200; E. Iserloh, Luther and the council of Trent (CHR 69, 1983, 563–576); Meinhold, Konzil, 226–231; Schwarz, Luther, 213 f.; Stupperich, Reformatoren, 34–36.

§ 21 Wunsch und Wirklichkeit eines freien, christlichen Konzils in deutschen Landen

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rungen weit über das protestantische Lager hinaus Beachtung. Unter dem Titel „Wider das Papsttum zu Rom, vom Teufel gestiftet“764 veröffentlichte Luther Ende März 1545 eine Streitschrift, welche zugleich als Auftakt des protestantisch-publizistischen Kampfes gegen das Trienter Konzil gewertet werden kann. In ihr interpretierte Luther über seine bereits bekannten Konzilsüberlegungen hinausgehend die Wendung „gemein, frey, Christlich Concilium in Deudschen landen“765, die wie eine Relecture seiner 1520 vorgetragenen Konzeption anmutet,766 so dass die Konzilsaussagen Luthers noch einmal kritisch auf ihren hier profi lierten Charakter geprüft werden müssen. Damit verbunden ist eine abschließende Antwort auf die Frage zu geben, ob und inwiefern die Rede vom „freien, christlichen Konzil in deutschen Landen“ Luthers Konzilsverständnis bestimmte. War sie lediglich ein unrealistischer Wunsch oder enthielt die Redewendung für den Reformator das Potential zur realisierbaren Wirklichkeit? Wie Luther wenige Monate vor seinem Tod auf die Vorbereitungen und die Eröffnung des Trienter Konzils am 13. Dezember 1545 reagierte, welches weltgeschichtliche Bedeutung erlangen und das römisch-katholische Kirchensystem auf Dauer stabilisieren sollte, sei abschließend notiert.

1. Das Konzilsthema in den 1540er Jahren Das im Frankfurter Anstand zwischen dem Schmalkaldischen Bund und den kaiserlichen Verhandlungsführern als „ein gut Christenlich und endlich vergleichung“767 verabredete papstfreie Religionsgespräch, welches für Anfang August 1539 in Nürnberg geplant war, stieß auf erheblichen Widerstand seitens der altgläubigen Fürsten und der römischen Kurie. Letztere fürchtete ein sich hinter dem Religionsgespräch verbergendes Nationalkonzil und hintertrieb – wie bereits 1524 im Vorfeld der Speyrer Nationalversammlung erfolgreich praktiziert – das Vorhaben, indem es die Ratifi zierung des Anstandes beim Kaiser verhinderte. Aufgrund des Protests ließ Karl V. auch den vorgesehenen Termin trotz des Einspruchs der evangelischen Stände verstreichen. Erst nachdem ein Waffenstillstand mit den Türken abgelaufen war und Nachrichten von Kriegsvorbereitungen des Erzfeindes Frankreich den Kaiser erreichten, griff er 764

WA 54; (195) 206–299. AaO. 208,6 f. 766 Es stellt sich daher die Frage, wie sich die bereits 1520/21 vollzogene Abstandnahme zum Gedanken eines freien, christlichen Konzils zur erneuten Traktierung durch Luther im Jahre 1544 verhält. Allein schon aufgrund der Notwendigkeit dieser Fragestellung muss betont werden, dass die u. a. von Wolff, Programmschriften, 274 zu „Von den Konziliis und Kirchen“ formulierte allgemein verbreitete Forschungsmeinung zu korrigieren ist: „Etwa ein Jahrzehnt später gibt Luther den Gedanken eines freien und allgemeinen Konzils, den er seit der Adelsschrift von 1520 verfolgt hatte, endgültig auf.“ 767 ADRG 1,2; 1074,28 f. 765

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im Herbst 1539 den Verhandlungsfaden mit den Protestanten wieder auf und betrat den von einigen „konfessionsneutralen“ Reichsständen768 propagierten Weg, mittels Anstandsverlängerungen und „Religionskonventen“ eine Einigung mit den Protestanten vor und unabhängig von einem Konzil zu erreichen.769 Die Wittenberger Theologen äußerten sich in einem von Melanchthon am 18. Januar 1540 angefertigten, umfangreichen Gutachten skeptisch über den Erfolg eines solchen Vereinigungsunternehmens, misstrauten der Aufrichtigkeit der Gegenseite und erblickten nur eine einzige Möglichkeit für eine Einigung in der Religionsfrage: die Annahme der evangelischen Lehre durch die Altgläubigen.770 Hingegen verfolgten Philipp von Hessen und Martin Bucer, von der Möglichkeit einer vermittelnden Reunion überzeugt, eine die protestantische Glaubenssubstanz bewahrende, aber der Gegenpartei Konzessionen machende Position. Trotz dieser innerprotestantischen Differenzen und der lutherischen Skepsis über Sinn und Zweck der Vergleichsverhandlungen beteiligten sich die kursächsischen Theologen auf Anraten ihres Kurfürsten an den Religionskonventen.771 Wie die protestantische Seite waren auch die altgläubigen Reichsstände in ihrer Haltung zu einem Religionsvergleich gespalten. Während u. a. die Führer des Nürnberger Bundes ein päpstliches Konzil für notwendig erachteten und auf der kompromisslosen Unterwerfung der Protestanten beharrten, unterstützten beispielsweise der Erzbischof von Mainz, Albrecht von Brandenburg, und der Bischof von Freising, Philipp von der Pfalz, die reformorientierte Vermittlungsposition, ohne allerdings dem Religionskonvent die Autorität eines National konzils zugestehen zu wollen.772

768 Zu den sogenannten „konfessionsneutralen“ Ständen zählten Kurpfalz, Jülich und Kurbrandenburg. Vgl. Luttenberger, Glaubenseinheit, passim. 769 Vgl. Hollerbach, Religionsgespräch, 123–125. 770 WAB 9; 19–35 Nr. 3436 (Luther, Jonas, Bugenhagen, Cruciger, Melanchthon an Kurfürst Johann Friedrich, [Wittenberg, 18. 1. 1540]). In diesem Gutachten wurde betont, dass lediglich in den Adiaphora wie der Anzahl der Gottesdienste, Feste, Heiligenfeste usw. Verhandlungsspielraum bestehe, in der Lehre und den äußeren Dingen wie beispielsweise dem rechten Gebrauch der Sakramente und den Privatmessen eine Einigung nur durch Annahme des evangelischen Bekenntnisses seitens der Gegenpartei möglich sei. Im Begleitbrief zum Gutachten urteilte Luther WAB 9; 18,7–12 Nr. 3435 (Luther an Kurfürst Johann Friedrich, [Wittenberg,] 18. 1. 1540): Denn es ist doch on das mit den papisten verzweiuelt ding, gleich als mit yhrem Gott, dem teuffel, auch, Sie sind verstockt vnd sundigen wissentlich wider die erkante warheit, das ist ynn den heiligen geist, das da weder zu beten noch zu hoffen ist, Sie konnen sich nicht bekeren, noch Gott die ehre geben, das sie yhre sunde bekenneten, Sondern wollen recht haben, Darumb kan yhnen Gott nicht helffen. 771 Luther war eine Reise aufgrund der gegen ihn verhängten Reichsacht weiterhin untersagt. 772 Vgl. Hollerbach, Religionsgespräch, 127–129.

§ 21 Wunsch und Wirklichkeit eines freien, christlichen Konzils in deutschen Landen

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Die in Hagenau (1540), Worms (1540/41) und Regensburg (1541) 773 stattfi ndenden, sogenannten Reichsreligionsgespräche scheiterten letztlich trotz intensiver politischer und theologischer Bemühungen an den sich manifestierenden konfessionellen Differenzen und der Unnachgiebigkeit der jeweiligen Parteien, so dass die Gefahr eines Religionskrieges weiterhin bestehen blieb. War der Konzilsgedanke vor, in und nach den Gesprächen sowie zur Charakterisierung der Konvente in seiner konfessionellen Vielfalt beständig thematisiert worden,774 knüpften, da sich das Scheitern der kaiserlichen Reunionspolitik auf dem Regensburger Reichstag (1541) abzeichnete, Kaiser und Reichsstände verhandlungsstrategisch erneut an den dissimulierenden Begriff eines allgemeinen Konzils oder eines Nationalkonzils als Interimsendpunkt an.

1.1. Das Nationalkonzil als Alternative zum Generalkonzil Im Umfeld der Religionsgespräche war es vornehmlich Martin Bucer, der Philipp von Hessen von einem papstfreien, deutschen Nationalkonzil als Kontrastprogramm zum päpstlichen Generalkonzil zu überzeugen suchte und dies publizistisch in die Diskussion eintrug,775 während die schmalkaldischen Politiker keine Eigeninitiative bezüglich dieses Projektes entwickelten. Dennoch bildete der von Bucer angeregte Konzilstyp neben der protestantischen Hauptforderung nach einem allgemeinen, freien und christlichen Konzil in deutschen Landen eine in Anlehnung an den Nürnberger Reichsabschied von 1524 erneut 773 Eine die Geschichte und Verhandlungen der Religionsgespräche erschließende wertvolle Quellensammlung liegt, von Klaus Ganzer und Karl-Heinz zur Mühlen herausgegeben, vor: ADRG 1,1–1,2 (Das Hagenauer Religionsgespräch [1540]); ADRG 2,1–2,2 (Das Wormser Religionsgespräch [1540/41]); ADRG 3,1–3,2 (Das Regensburger Religionsgespräch [1541]). Zu den Religionsgesprächen vgl. u. a. C. Augustijn, Die Religionsgespräche der vierziger Jahre (in: Müller, Religionsgespräche, 43–53); Ders., Das Wormser Buch. Der letzte ökumenische Konsensversuch Dezember 1540 (BPf KG 62, 1995, 7–47); L. Cardauns, Zur Geschichte der kirchlichen Unions- und Reformbestrebungen von 1538 bis 1542 (BPHIR 5), Rom 1910; I. Dingel, Art. Religionsgespräche IV. Altgläubig-protestantisch und innerprotestantisch (TRE 28, 1997, 654–681), 658–660; Hollerbach, Religionsgespräch, 123–161; A. Lexutt, Rechtfertigung im Gespräch. Das Rechtfertigungsverständnis in den Religionsgesprächen von Hagenau, Worms und Regensburg 1540/41 (FKDG 64), Göttingen 1996; V. Pfnür, Die Einigung bei den Religionsgesprächen von Worms und Regensburg 1540/41 eine Täuschung? (in: Müller, Religionsgespräche, 55–88); R. Stupperich, Der Humanismus und die Wiedervereinigung der Konfessionen (SVRG 160), Leipzig 1936. 774 Vgl. die Registerverweise zum Stichwort Konzil in ADRG 1,2; 1319; ADRG 2,2; 1389. Dass das Stichwort Konzil im Register von ADRG 3,2 nicht mehr aufgenommen ist, stellt eine bedauerliche Schwäche dieses dritten Bandes dar. 775 Siehe Lenz 1; 68–80 Nr. 24 (Bucer an den Landgrafen Philipp von Hessen, Straßburg, 28. 5. 1539); aaO. 90–94 Nr. 27 (Bucer an den Landgrafen, Straßburg, 7. 7. 1539); aaO. 125– 130 Nr. 43 (Bucer an den Landgrafen, [Straßburg,] 14. 1. 1540). Bereits 1533 hatte Bucer in seiner Schrift „Furbereytung zum Concilio“ (MBDS 5; [259] 270–360) auf das Nationalkonzil als Alternative hingewiesen. Siehe aaO. 358,26–28.

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aufgreif bare verhandlungspolitische Option,776 die insbesondere von den um Vermittlung bemühten Ständen verfolgt werden sollte,777 während der Kaiser die Idee einer konziliaren Nationalversammlung im Umfeld der Religionsgespräche bewusst vermied.778 Trotzdem konnte das für den 28. Oktober 1540 nach Worms ausgeschriebene „guetlichen, unverbundtlichen Tractat und Gesprech“779 für kurze Zeit im protestantischen Lager und namentlich bei Luther die Hoffnung auf ein papstfreies Nationalkonzil auf keimen lassen. So zeigte sich Luther, der von Melanchthon und Cruciger, die seit dem 31. Oktober 1540 in Worms weilten,780 unterrichtet wurde,781 in seinem Schreiben an Melanchthon vom 21. November 782 beeindruckt von der großen Teilnehmerzahl und äußerte sich erstaunt über die kaiserliche Unterstützung, die dem Wormser Religionskonvent zuteil wurde. Vielleicht, so mutmaßte der Reformator, handle der Kaiser jetzt erneut so, wie er 1521 gehandelt habe. Damals habe er ihn nach Worms ohne päpstliche Gewalt zitiert und vor das Konzil gestellt, welches ein solches gewesen sei, ohne den Namen zu tragen. Es sei daher möglich, dass der Kaiser die protestantische Forderung nach einem Nationalkonzil aufgreife und den Wormser Konvent zu einem solchen mache, ohne den bei den Römern verhassten Namen des Konzils zu erwähnen und ohne die päpstliche Autorität hinzuzuziehen.783 Für den Fall, dass Gott das Herz des Kaisers für den evangelischen Glauben bewege, müsse ernsthaft gebetet werden, damit der Kaiser das Projekt durchführe.784 Die Interpretation der Wormser 776 Beispielsweise erinnerten Kurfürst Johann Friedrich und Landgraf Philipp von Hessen den Kaiser zur Beilegung der Religionsstreitigkeiten an die auf zahlreichen Reichstagen vorgetragene Forderung nach einem „freien, gemeinen, christlichen Concilio oder Versammlung, in deutscher Nation“, welches sie als „gemeine oder Nationalversammlung“ profi lierten. Siehe Walch 2 17, 358–363 Nr. 1302 (Kurfürst Johann Friedrich von Sachsen und Landgraf Philipp von Hessen an Kaiser Karl V., 9. 5. 1540). Zitat aaO. 360. 777 Vgl. Luttenberger, Glaubenseinheit, 200 Anm. 371. 778 Zur Religionspolitik Karls V. bezüglich eines Nationalkonzils als Vorbereitung eines Generalkonzils oder als Alternative eines solchen vgl. Laubach, Nationalkonzil, 25–27. 779 ADRG 2,1; 15,25 f. Nr. 1 (Ausschreiben Karls V. für das Wormser Religionsgespräch, Utrecht, 15. 8. 1540). 780 Einen Überblick über Melanchthons Wirken während des Wormser Religionsgespräches bietet Scheible, Melanchthon, 128–131. 781 In seiner Reaktion dürfte sich Luther auf folgende Briefe bezogen haben: WAB 9; 254–261 Nr. 3547 = MBWT 9; 442–444 Nr. 2540 (Melanchthon an Luther, Jonas und Bugen hagen, Worms, 4. 11. 1540); WAB 9; 261 f. Beilage 2 (Cruciger an Ambrosius Berndt und Georg Rörer, Worms, 4. 11. 1540); WAB 9; 262–264 Nr. 3548 (Cruciger an Luther, [Worms,] 6. 11. 1540). 782 WAB 9; 271–273 Nr. 3554 = MBWT 9; 473–476 Nr. 2560 (Luther an Melanchthon, [Wittenberg,] 21. 11. 1540). 783 AaO. 271,3–272,9: Et suspicari quidem incipio, rem fore praeter spem nostram et talem, qualis fuit, me agente Wormatiae, anno XXI, ubi concilium fuit sine nomine concilii, et sine Papae auctoritate illuc vocatus tentabar. Quid, si iterum Caesar omittens odiosum Romanis nomen concilii et re ipsa tamen et suo nomine, tandem nostris clamoribus motus, indixerit nationale concilium, sine nomine concilii et sine auctoritate Papae? 784 AaO. 272,10 f.

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Versammlung als „Concilium pro[v]incialis“ äußerte Luther noch am 27. November gegenüber Anton Lauterbach.785 Andererseits schärfte er Melanchthon ein, den Papst, weil dieser der Feind und Widerspieler der Protestanten sei, keinesfalls als konziliaren Vorsitzenden und Richter im Religionsgespräch anzuerkennen. Bezüglich eventueller Konzessionen an die Gegenseite betonte Luther, könnten die Evangelischen um des Friedens willen alles anbieten, was in ihrer Hand liege, aber nichts, was der Verfügungsgewalt Gottes unterstehe. Möglicherweise hätten die protestantischen Theologen in Worms auch lediglich die Aufgabe, Gottes Sache zu bekennen.786 Nach dem Erhalt neuer Nachrichten aus Worms787 wechselte die vage Hoffnung auf die Verwirklichung eines Nationalkonzils, die auf einer Fehldiagnose der kaiserlichen Intention beruhte, in Luthers Klage um, er erwarte weder vom Kaiser noch von König Ferdinand irgendetwas Gutes und Friedensdienliches.788 Das Thema Nationalkonzil vertiefte Luther – anders als der sich in den Religionsgesprächen engagierende Bucer – seit Ende November 1540 nicht mehr, sondern verstärkte seine skeptische Position hinsichtlich des Erfolgs jeglicher Einigungsbemühung.

1.2. Das „missionarische“ Motiv des protestantischen Konzilsbegehrens Kurz vor dem Regensburger Reichstag und dem dortigen Religionsgespräch sorgte Luther mit seiner Streitschrift „Wider Hans Worst“789 für Aufsehen.790 In diesem im Februar 1541 fertig gestellten und Ende März publizierten Werk griff er Herzog Heinrich II. von Braunschweig-Wolfenbüttel an, welcher zum Hauptmann der Katholischen Liga für Norddeutschland aufgestiegen war und sich zum erbitterten Feind der Protestanten entwickelt hatte.791 Aus einer Publi785 WAB 9; 280,9–17 Nr. 3558 (Luther an Anton Lauterbach in Pirna, [Wittenberg,] 27. 11. 1540). 786 WAB 9; 272,11–273,48. 787 WAB 9; 269 f. Nr. 3552 = MBWT 9; 454 f. Nr. 2547 (Melanchthon an Luther, [Worms,] 14. 11. 1540); MBWT 9; 453 f. Nr. 2546 (Melanchthon an Paul Eber [in Wittenberg, Worms,] 14. 11. 1540); aaO. 458 f. Nr. 2549 (Melanchthon an Paul Eber [in Wittenberg, Worms,] 15. 11. 1540). 788 WAB 9; 278,11–17. 789 WA 51; (461) 469–572 = Cl 4; 321–378. 790 Zur Entstehungsgeschichte und zum Inhalt der Schrift vgl. u. a. Brecht, Luther 3, 219–222; Edwards, Last Battles, 143. 149–155; Kuhaupt, Kirchenpolitik, 294–302. 791 Der seit 1538 schwelende Streit zwischen Heinrich II. von Braunschweig-Wolfenbüttel und den Schmalkaldischen Bundesgenossen, bei dem es u. a. um die protestantischen Städte Goslar und Braunschweig ging, wurde 1540/41 mittels eines äußerst polemischen Streitschriftenkrieges ausgetragen, zu dem u. a. die Zerstörung der Stadt Einbeck – Mitglied des Schmalkaldischen Bundes seit 1532 – durch einen Brand vom 25. 7. 1540, für den der Braunschweiger Herzog verantwortlich gemacht wurde, ebenso Agitationsmaterial lieferte

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kation des Herzogs, die sich gegen den sächsischen Kurfürsten richtete,792 griff Luther den Schimpfnamen „Hans Worst“ auf und gab ihn öffentlich an den Herzog zurück. In seiner polemischen Schrift entfaltete Luther erneut ausführlich seine reformatorische Ekklesiologie anhand der Kennzeichen der Kirche793 und suchte gegen die altgläubigen Vorwürfe zu beweisen, dass nicht die Evangelischen von der „rechten alten Kirchen“794 abgewichen seien, sondern sich die „Papisten“ durch ihre umfangreichen Neuerungen von der christlichen Kirche getrennt hätten und zur neuen, falschen Kirche des Teufels mutiert seien.795 Die Protestanten bildeten hingegen die rechte alte Kirche mit „der gantzen heiligen Christlichen Kirchen ein Cörper und eine gemeine der Heiligen.“796 Im Rahmen dieser Ausführungen kontrastierte Luther das katholische Konzilsbegehren zur Kirchenreform mit dem evangelischen Konzilsmotiv. Dabei fiel sein Urteil aufgrund des polemischen Gesamtcharakters der Schrift schärfer als in früheren Bewertungen zur konziliaren Reformthematik aus. So spottete er über die schwankende Konzilshaltung der „Papisten“ ebenso wie über deren Konzilsfurcht und Konzilssuspension und fragte ironisch, warum die Papstkirche durch ein Konzil reformiert werden müsse, wenn sie heilig sei.797 wie die Doppelehe von Philipp von Hessen (vgl. zur Doppelehe des hessischen Landgrafen die feinsinnige Interpretation von Ebeling, Luthers Seelsorge, 78–103). Der Streit eskalierte in der Fehde vom Sommer 1542, durch welchen die Schmalkaldener den Herzog vertrieben, das Herzogtum okkupierten und die Reformation einführten. Der militärische und fi nanzielle Unterstützung bei seinen katholischen Verbündeten suchende Herzog Heinrich kehrte 1545 gestärkt in sein Herzogtum zurück, musste sich aber in der Schlacht bei Kloster Höckelheim am 21. 10. 1545 den Schmalkaldenern erneut geschlagen geben, wobei er in Gefangenschaft geriet. Siehe zur ersten Militäraktion des Schmalkaldischen Bundes im Jahr 1542 sowie für den Kriegszug im Jahr 1545 die ausgewählten Dokumente bei Walch 2 17, 1236– 1435. Luther reagierte erfreut auf die Gefangennahme Heinrichs in seiner Schrift „An Kurfürsten zu Sachsen und Landgrafen zu Hessen von dem gefangenen Herzog zu Braunschweig“ (1545), in: WA 54; (374) 389–411. Vgl. u. a. die Haltung Kursachsens und Luthers in diesem Streit berücksichtigend Edwards, Last Battles, 143–162; Haug-Moritz, Bundespolitik, 145 f.; Dies., Widerstand als „Gegenwehr“. Die schmalkaldische Konzeption der „Gegenwehr“ und der „gegenwehrliche Krieg“ des Jahres 1542 (in: R. von Friedeburg [Hg.], Widerstandsrecht in der frühen Neuzeit. Erträge und Perspektiven der Forschung im deutsch-britischen Vergleich, Berlin 2001, 141–161); Kuhaupt, Kirchenpolitik, 264–289; Kunst, Evangelischer Glaube, 375–397; Wolgast, Theologie, 275–284. 792 In der „Duplik wider des Kurfürsten von Sachsen andern Abdruck“ von Anfang November 1540 hatte Herzog Heinrich u. a. bemerkt, dass er „dem von Sachsen (welchen Martinus Luther, sein lieber, andächtiger, ‚Hans Wurst‘ nennet), zu seinen Schriften kein Ursach gegeben“. Zitat nach WA 51; 462. 793 WA 51; 479,20–485,24. 794 AaO. 479,17 795 Siehe aaO. 485,25–487,23. u. ö. 796 AaO. 487,18–20. 797 AaO. 528,29–529,17: Und was habt jr selbs gethan, das jr jtzt ein Concilium begert, jtzt verheissen, jtzt verzogen, jtzt versagt? Jst ewr Kirche heilig, Wie furcht sie sich denn fur einem Concilio? Was darff sie reformirens oder Concilij? Darff sie eins Conciliums, wie ist sie heilig? Woltet jr ewr heiligkeit auch reformiren?

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Für die protestantische Seite betonte Luther hingegen: „Wir fur uns haben nie keins Concilium begert, unser Kirchen zu reformirn. Denn Gott, der heilige Geist, hat durch sein heiliges Wort unser Kirche lengest geheiliget“.798

Durch die Ausrottung der päpstlichen Missstände und menschlichen Zusätze seien in der evangelischen Kirche das Wort, die Taufe, das Abendmahl, die Schlüssel und alles, was zur rechten Kirche gehöre, rein und heilig geworden.799 Folglich knüpfte er mit seinen ekklesiologischen Wesensäußerungen an die Kennzeichen der wahren Kirche an und unterstrich die von ihm seit den 1520er Jahren verfolgte Linie der Reformation durch das Wort statt durch ein Konzil.800 Für Luther diente das Konzilsbegehren, welches die Protestanten immer wieder äußerten, ausschließlich dem einen Zweck: Damit „unsere Kirchen verhöret, und unser lere frey ans liecht komen möchte, da mit ewr Hurerey im Bapstumb erkand, verdampt und jederman, der da durch verfüret, zu der rechten heiligen Kirchen mit uns und sampt uns bekeret und gemehret möcht werden.“801

Erneut rückte der Theologe den „missionarischen“ Aspekt als protestantisches Motiv eines Konzilsbegehrens in den Vordergrund, räumte aber sogleich ein, dass die lichtscheuen Gegner ein derartiges gerichtliches Verhörforum aus Angst vor der Wahrheit verhindern würden.802 Durch sein öffentliches Kontroversvotum signalisierte Luther vor dem Regensburger Religionsgespräch, dass er weder von dem Zustandekommen eines Konzils noch von dem eingeschlagenen kirchenpolitischen Ausgleichsweg, der in dem vornehmlich von Johannes Gropper und Martin Bucer ausgearbeiteten geheimen Vergleichsentwurf, dem „Wormser Buch“, seinen literarischen Niederschlag fand,803 überzeugt war. Angesichts des polemischen Stils und des lutherischen Wahrheitsanspruches wirkte „Wider Hans Worst“ für den reformka-

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AaO. 529,17 f. AaO. 529,18–26. Vgl. zum theologischen Gesamtzusammenhang Schwarz, Grundlage, 41–78. 800 Siehe oben, Kapitel VI § 17.2. 801 WA 51; 529,27–30. 802 AaO. 529,30–530,17: Aber da habt jr und ewr Gott der Teufel nicht den schnuppen, Sondern ir Fleddermeuse, Maulwörffe, Uhuhen, Nachtraben und nacht Eulen, die jr das Liecht nicht leiden kündt, weret mit aller macht und mit aller schalckheit, das uns ja nicht dazu kome, das die warheit jm liecht verhoret und gehandelt werde. 803 Zum „Wormser Buch“ siehe MBDS 9,1. Über den Entwurf, den Luther von Kurfürst Joachim II. von Brandenburg zur geheimen Begutachtung zugeschickt erhalten hatte und über dessen Autoren der Reformator noch nicht informiert war, urteilte er, es seien gutgemeinte, aber unmögliche Vorschläge. Siehe WAB 9; 332–334 Nr. 3578 (Luther an Kurfürst Joachim II. von Brandenburg, [Wittenberg,] 21.(?) 2. 1541). 799

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tholischen Vermittlungstheologen Georg Witzel als ein Hindernis auf dem Weg zu einer kirchlichen Einigung und für den Frieden in Deutschland.804

1.3. Der politische Streit um das Konzil Obgleich im Regensburger Kolloquium, welchem das zum „Regensburger Buch“ weiterentwickelte „Wormser Buch“ zu Grunde lag,805 das Konzil selbst zum Kontroversthema avanciert war und es – ähnlich wie einst im Umfeld der Leipziger Disputation – bezüglich der konziliaren Unfehlbarkeit zu unversöhnlichen Diskrepanzen kam, so dass der Gesprächsgang abgebrochen und vertagt werden musste,806 trat die Forderung nach einem allgemeinen Konzil auf politischer Ebene erneut in den Vordergrund. Nachdem nur wenige Lehrartikel verglichen worden waren, eine theologische Einigung nicht zustande gekommen und auch jegliche vermittlungspolitische Initiative gescheitert war, wurde von den altgläubigen Fürsten die Institution des Konzils als Schiedsgericht in den Mittelpunkt gerückt und als Interimsendpunkt in jener politisch verfahrenen Situation erhofft.807 Welche politische Brisanz das erneut aufgegriffene Konzilsthema besaß, verdeutlicht die Diskussion zur kaiserlichen Vorlage des Reichsabschieds, durch den die Phase der Religionsgespräche beendet wurde. Während der päpstliche Legat, Kardinal Gasparo Contarini, dem Kaiser Mitte Juni mitteilte, der Papst werde die Suspension des Generalkonzils auf heben und dasselbe zügig einberufen,808 wurde im Abschiedsentwurf bei Nichtzustandekommen des allgemeinen Konzils auf ein Nationalkonzil oder eine Reichsversammlung verwiesen.809 804

Vgl. WA 51; 464 Anm. 2; Kuhaupt, Kirchenpolitik, 300. Das „Regensburger Buch“ fi ndet sich in lateinisch-deutscher Parallelausgabe textkritisch dokumentiert jetzt in: ADRG 3,1; 268–391 Nr. 150 f. Zu den von Melanchthon entworfenen protestantischen Gegenartikeln siehe aaO. 392–437 Nr. 152 f. Zum politischen Kräftemessen auf dem Regensburger Reichstag vgl. A. P. Luttenberger, Kaiser, Kurie und Reichstag. Kardinallegat Contarini in Regensburg 1541 (in: E. Meuthen [Hg.], Reichstage und Kirche. Kolloquium der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. München, 9. März 1990 [SHKBA 42], Göttingen 1991, 89–136). 806 Als Kollokutoren nahmen von protestantischer Seite Bucer, Melanchthon und Johann Pistorius, von altgläubiger Seite Gropper, Julius Pflug und Johannes Eck an dem am 27. April 1541 durch den Kaiser eröffneten Gespräch teil. Zum Präsidenten war Pfalzgraf Friedrich II. ernannt worden, dem der kaiserliche Orator Nikolaus Perrenot de Granvella zur Seite stand. Zum Streit um die konziliare Fallibilität, der sich an der Frage der Auslegungsautorität der Kirche (Art. 9, ADRG 3,1, 310–321) am 3. und 4. Mai entzündet hatte, siehe ADRG 3,1; 230,23–25. Vgl. auch Brockmann, Konzilsfrage, 294–296. 807 Vgl. Hollerbach, Religionsgespräch, 159 f. 808 Vgl. Jedin, Geschichte 1, 311 f. 809 ADRG 3,2; 695,7–14: Darumb in alwege die hoch und unvermeidenlich notdurft erfordert, solcher geferlichait zeitlich zu begegnen, auf das dann hierin kain zeit verloren. So hat demnach ir kay Mt. fur guet angesehen und bedacht, das der verordenten theologen handlung auf ain gemain concilium zu remittiern, wie dann der bäbstlichen hailigkait legat 805

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Gegen das Nationalkonzil, welches aus kurialer Sichtweise keinerlei Berechtigung besaß, für die gesamte Kirche verbindliche Lehrentscheide zu treffen, protestierte der päpstliche Legat gegenüber Kaiser und Reichsständen massiv, aber erfolglos.810 Die protestantischen Stände, die auf das Nationalkonzil nicht eingingen, kritisierten ihrerseits den Abschiedsentwurf, indem sie ein „rechtgeschaffen frey christlich concilium in teutscher nation“ anmahnten, in welchem die Religionsstreitigkeiten nach Gottes Wort erörtert und eine „christliche reformation“ erfolgen sollte.811 Entschiedenen Protest legten sie gegen den Papst als Richter und Vorsitzenden im Konzil ein.812 In der endgültigen Fassung des Abschiedes vom 29. Juli 1541 wurde das Generalkonzil auf einen Ort im deutschen Reich festgelegt, dem Papst zur Einberufung des Generalkonzils eine 18-monatige Frist zugestanden und bei Verstreichen dieser Zeit die Einberufung eines Nationalkonzils oder Reichstages reichsrechtlich festgeschrieben.813 Mit diesem Dokument trat nach dem Scheitern der kaiserlichen Reunionspolitik814 eine neue Phase in der kaiserlichen, reichsständischen und päpstlichen Konzilspolitik ein, welche die vorhandenen Fronten verschärfte, wechselseitig altgläubige und protestantische Forderungen berücksichtigte, mit der politischen Entwicklung der europäischen Großwetterlage verknüpfte und sich in der Streitfrage nach einem geeigneten Konzilsort verdichtete. Insbesondere zwischen Papst und Kaiser traten in der Konzilspolitik gravierende und bleibende Spannungen auf.815 Während zum Beispiel der Kaiser Trient als Ort des Generalkonzils in die Verhandlungen mit dem Papst einbrachte, suchte dieser jenen auf dem Boden des deutschen Reiches gelegenen Ort zugunsten von Mantua, Ferrara, Bologna oder Piacenza zu verhindern.816 Nach einem hier nicht näher darzustellenden diplomatischen Ringen setzten die altgläubigen Reichsstände auf dem Reichstag zu Speyer (1542) schließlich irer kay Mt., das sölch concilium in kurtzem durch die bäbstlich hailigkait außgeschriben werden, vergwissung gethan. Wo aber das nit furgang haben, das doch ain nationalconcili gehalten und im f hal, wo der kains fuegclich gehalten werden möchte, das dann ain gemaine reichsversamblung gehalten werden solle. 810 Siehe ADRG 3,2; 707 Nr. 230 (Erklärung Kardinal Gasparo Contarinis zur Frage des Nationalkonzils, [Regensburg, 26. 7. 1541]). Zur Thematik des Nationalkonzils vgl. Laubach, Nationalversammlung, 29–31. 811 ADRG 3,2; 700,26–33 Nr. 226 (Stellungnahme der protestantischen Stände zur Vorlage Kaiser Karls V., [Regensburg, 25. 7. 1541]). 812 AaO. 701,1–5. 813 Siehe den Auszug in: CR 4, 625–630 Nr. 2353 (Abschied des Reichstages zu Regensburg, 29. 7. 1541). 814 Über das Scheitern der kaiserlichen Reunionspolitik vgl. Luttenberger, Glaubenseinheit, 250–256. 815 Zur Religionspolitik Karls V. sowie zur politischen Dimension der Konzilsfrage zwischen 1541 und 1544 vgl. Friedensburg, Kaiser, 48–69; Hollerbach, Religionsgespräch, 161–164; Jedin, Päpste, 154–156. 816 Vgl. Jedin, Geschichte 1, 356–361; Pastor, Päpste 5, 460–464.

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Trient als Konzilsort durch,817 so dass Paul III. am 29. Juni 1542 ein allgemeines Konzil nach Trient für den 1. November 1542 ausschrieb.818 Dieser erneute Konzilsversuch scheiterte u. a. am Krieg zwischen Frankreich und dem Habsburger Kaiser und wurde schließlich am 6. Juli 1543 vom Papst suspendiert.819 Ähnlich wie die protestantischen Politiker insgesamt schenkte Luther diesem Konzilsprojekt keine Beachtung.820 Reichspolitisch standen die Religionsfrage und mit ihr die Konzilsthematik erneut im Frühjahr 1544 auf dem Reichstag zu Speyer zur Debatte.821 Dort betonte der Kaiser, welcher durch den Sieg über Herzog Wilhelm V. von JülichKleve-Berg im Sommer 1543 gestärkt war, aber die protestantischen Reichsstände zur Unterstützung gegen die Türken und im Kampf gegen Frankreich benötigte, im Abschied vom 10. Juni822 die Religionsangelegenheit durch „christliche reformation und erörterung eyns gemeynen, christlichen, freyen concilii in teutscher nation“ voranzutreiben.823 Da aber unklar sei, wann ein Generalkonzil zustande kommen werde, solle die „christliche vergleichung und erörterung der streittigen religion“824 auf dem folgenden Reichstag im Winter 1544/45 verhandelt werden, für den Vergleichsvorschläge unter der Bezeichnung „christliche reformation“ als Verhandlungsgrundlage von den Theologen der Reichsstände auszuarbeiten seien.825 Somit wählte der Kaiser von den drei diskutierten Lösungswegen – Generalkonzil, Nationalkonzil und Reichstag 826 – das Forum des Reichstages zur Überwindung der Konfessionsspaltung, bediente sich der protestantischen Konzilsformel und verzichtete, auf die Autorität des Papstes hinzuweisen. Weil den 817 Vgl. Jedin, Geschichte 1, 361–364; Pastor, Päpste 5, 464–468; S. Schweinzer, Das Ringen um Konzil und Kirchenreform: Die Mission des Nuntius Giovanni Morone auf dem Speyrer Reichstag 1542 (in: Meuthen, Reichstage und Kirche, 137–189). Zum Speyrer Reichstag von 1542 siehe die umfassende Dokumentation in: DRTA.JR 12,1–2. 818 Siehe CT 4; 226–231 Nr. 184. Die Berufungsbulle „Initio nostri huius Pontificatus“ war bereits am 22. Mai im Konsistorium verlesen und am 11. Juni ausgefertigt worden. Vgl. Pastor, Päpste 5, 469. 819 Zur Dokumentation dieses Konzilsversuchs siehe CT 4; 231–355. Vgl. Jedin, Geschichte 1, 364–392; Pastor, Päpste 5, 469–495. Die Konzilssuspension ist abgedruckt: CT 4; 352–355 Nr. 270. 820 Weder in seiner Korrespondenz noch in den nachgewiesenen Tischreden und öffentlichen Publikationen thematisierte Luther die päpstliche Konzilsausschreibung von 1542. Entweder war ihm das Projekt nicht bekannt, was kaum möglich sein dürfte, oder Luther hielt es für ein Vorhaben, das keines Kommentars würdig war. 821 Luther äußerte sich zu den Verhandlungen in Speyer kritisch u. a. in WAT 5; 636–368 Nr. 6388. – Zum Speyrer Reichstag von 1544 siehe die von Erwein Eltz bearbeiteten vier Bände der Reichstagsakten: DRTA.JR 15,1–4. Vgl. Luttenberger, Glaubenseinheit, 257– 290. 822 DRTA.JR 15,4; 2244–2285 Nr. 565 (Abschied des Reichstages, Speyer, 10. 6. 1544). 823 AaO. 2270,990–992. 824 AaO. 2270,972 f. 825 AaO. 2271,997–1014 (§ 80 des Abschieds). 826 AaO. 2271,1015–1023 (§ 81).

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Protestanten darüber hinaus interimistische Friedenszusagen und weitere Zugeständnisse gemacht worden waren, wirkte dieses Dokument wie eine Kehrtwende in der kaiserlichen Religionspolitik827 und schien die protestantischen Stände vordergründig konzilspolitisch zu beruhigen.

2. Die päpstliche Konzilseinberufung nach Trient 1545 Vor allem die Zugeständnisse in der Konzilsfrage, die kaiserliche Inanspruchnahme der Konzilseinberufungskompetenz und die taktische Ausklammerung des Papstes aus der Religionsthematik sollte die Kurie gegen Kaiser und Reichsabschied alarmieren. In einem scharfen Tadelsbreve vom 30. Juli 1544 kritisierten Papst und Kardinäle das kaiserliche Vorhaben als Eingriff in die Rechte des Papstes, interpretierten den projektierten Reichstag als jenes verhasste Nationalkonzil und forderten vom Kaiser die Rücknahme des Abschieds.828 In einer milderen Fassung wurde das Tadelsbreve schließlich offi ziell verschickt.829 Dass der kaiserliche Reichsabschied nur einen politischen Schachzug zur Beruhigung der Protestanten darstellte, um sie als potentielle Gegner im Kampf gegen Frankreich auszuschalten, sollte sich kurze Zeit später im Frieden von Crépy erweisen, der zwischen den verfeindeten Monarchen Karl V. und Franz I. am 19. September 1544 besiegelt wurde.830 Der Friedensabschluss wurde durch ein Geheimabkommen ergänzt, in dem sich der unterlegene französische König verpfl ichtete, ein Konzil zu beschicken, die Mithilfe bei der Ausrottung der protestantischen Ketzerei zusicherte und die Verwendung der Türkenhilfe auch gegen die Protestanten einzusetzen bewilligte.831 Karl V. arbeitete somit im Geheimen auf einen Religionskrieg hin, dem ein Generalkonzil folgen sollte, während er offi ziell noch seine nach außen protestantenfreundliche Religionspolitik fortsetzte. Durch den Frieden von Crépy sah Paul III. jetzt die lang erhoffte konzilspolitische Chance, welche die partikulare Klärung der kirchlichen Angelegenheiten durch ein deutsches Nationalkonzil verhindern musste. Weil die früheren Konzilsversuche vornehmlich durch Frankreich gehindert worden waren, dieses 827 Zur Bewertung vgl. Hollerbach, Religionsgespräch, 163; Luttenberger, Glaubenseinheit, 289 f. 828 Vgl. Friedensburg, Kaiser, 66 f.; Jedin, Geschichte 1, 398–401; Pastor, Päpste 5, 500–507; WA 54; 195 f. 829 CT 4; 364–373 Nr. 276 (Papst Paul III. an Kaiser Karl V., Rom, 24. 8. 1544). 830 Zu dem in dem Dorf Crépy in der Nähe von Laon geschlossenen Friedensvertrag, dessen Datierung aufgrund der Ausstellung und Zusendung der Verhandlungsdokumente in der Literatur auch mit dem 14. oder 18. September angegeben wird, vgl. Brandi, Kaiser 1, 446–448. 831 Vgl. A. Hasenclever, Die Geheimartikel zum Frieden von Crépy vom 19. September 1544 (ZKG 45, 1927, 418–426).

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aber jetzt geschwächt war, konnte eine französische Zustimmung erhofft werden. Der Kaiser war mit seinem Geheimvertrag von Crépy dem Papst zuvorgekommen, so dass Franz I. seinerseits den Papst um eine Einberufung des Konzils bat, welches er mit der Bitte um päpstliche Unterstützung im Kampf gegen Heinrich VIII. von England verknüpfte. Da auch Karl V. den Wunsch signalisierte, das Konzil möge nach Trient einberufen werden, wurde am 14. November im päpstlichen Konsistorium die Einberufung des Konzils beschlossen. Trient wurde als Ort festgelegt und als Termin der 15. März 1545 gewählt. Die Konzilsausschreibungsbulle „Laetare Jerusalem“832 wurde am 30. November publiziert und den europäischen Fürsten zugestellt.833 Eine erste Beurteilung des neu ausgeschriebenen Konzils trafen die Wittenberger Theologen in ihrem Kollektivgutachten vom 14. Januar 1545, welches, von Melanchthon verfasst, auf die von Bucer zur Vorbereitung des Wormser Reichstags angefertigte „christliche Reformation“ antwortete. Schon zuvor hatte Melanchthon auf Anweisung des Kurfürsten und in Übereinstimmung mit seinen Kollegen die sogenannte „Wittenberger Reformation“ ausgearbeitet, die in Erfüllung des Reichsabschieds vom Juni 1544 als kursächsischer Vorschlag für die Religionsverhandlungen auf dem Reichstag gedacht und auch von Luther unterzeichnet worden war.834 Im Gutachten bezüglich „Bucers Reformation“, auf die hier nicht weiter einzugehen ist,835 äußerten die Wittenberger Theologen ihr Befremden über die kaiserliche Unterstützung des ausgeschriebenen Trienter Konzils und mutmaßten, dass der Kaiser die Religionsproblematik von der Tagesordnung des Reichstages nehmen und dem Konzil überlassen werde.836 Das Konzil, von dessen Zustandekommen die Gutachter nicht überzeugt waren, werde, sollte es dennoch zusammentreten, zentrale christliche Glaubensartikel wie die Rechtfertigungslehre verdammen.837 Als Gegenmaßnahme empfahlen die Theologen dem Kurfürsten, dass der Kaiser an seine Zusage eines freien, christlichen Konzils zu erinnern sei838 und man ihn bitten möge, ein rechtes, christliches Verfahren zum Verhör der Protestanten mit unparteiischen Richtern einzuberufen.839 Unter dem Eindruck des 832

CT 4; 385–388 Nr. 283 (Ausschreibungsbulle, Rom, 19. 11. 1544). Vgl. Jedin, Geschichte 1, 402–405; Pastor, Päpste 5, 511 f. 834 Siehe hierzu CR 5, 578–606 Nr. 3114 (deutsche Fassung) = EKO 1; 209–222. CR 5, 607–643 Nr. 3115 (lateinische Fassung). Die „Wittenberger Reformation“ sandte die Theologengemeinschaft zusammen mit ihrem Bedenken zu „Bucers Reformation“ an den sächsischen Kurfürsten. Siehe CR 5; 577 f. Nr. 3113 = WAB 11; 13–15 Nr. 4067 (Luther, Bugenhagen, Cruciger, Major und Melanchthon [Verfasser] an Kurfürst Johann Friedrich, Wittenberg, 14. 1. 1545). 835 Vgl. Greschat, Bucer, 206. Die kritische Ausgabe von „Bucers Reformation“ ist für die MBDS in Vorbereitung. 836 WAB 11; 16,12–18. 837 AaO. 16,28–17,34. 18,110–114. 838 AaO. 18,103–109. 839 AaO. 18,114–19,117. 833

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Trienter Konzils verwiesen die Unterzeichner somit wie zu Beginn der 1520er Jahre auf den überparteilichen Prozessweg, über dessen Gestalt – Reichstag, Reichsversammlung oder Nationalkonzil – sie anders als der in der Sache des Nationalkonzils deutlich aktivere Bucer 840 keine weiteren Äußerungen trafen. Wie bereits in dem von Luther unterstützten Gutachten angeklungen, blieben die Fronten auch hinsichtlich des Konzils verhärtet. Die Konzilsausschreibung konnte zwar die Zusammenkunft des Wormser Reichstages von 1545 nicht verhindern, auf welchem die Klärung der Religionsfrage in Aussicht gestellt worden war. Doch sollte der Reichstag in Bezug auf die Religionsthematik nicht zuletzt am Streit um das einberufene Generalkonzil und die Konzilsautorität scheitern.841

3. Stellungnahme in „Wider das Papsttum zu Rom, vom Teufel gestiftet“ (1545) In dieser sich zuspitzenden politischen Situation, welche durch die Konzilsausschreibung nach Trient heraufgeführt worden war, zumal alle Friedensabkommen interimistisch bis zum Konzil verabredet waren, trat Luther mit einer Schrift an die Öffentlichkeit, welche unter dem Titel „Wider das Papsttum zu Rom, vom Teufel gestiftet“842 die Aufmerksamkeit auf sich zog.843 Luther hatte dieses von beißender Polemik gegen den Papst durchzogene Werk auf Anregung seines Landesherrn angefertigt, dem einerseits das päpstliche Tadelsbreve in der ersten Version zugespielt worden war, der andererseits die Ausschreibung des päpstlichen Konzils nach Trient bekämpft wissen wollte.844 Im Februar 1545 begann Luther seine Schrift niederzuschreiben, in der er das ausgeschriebene Konzil kritisierte und polemischer als bisher den Papst als Erzfeind Christi angriff. Ähnlich wie einst in der Adelsschrift bekämpfte er das Papsttum anhand der Problemstellung hinsichtlich der Oberhoheit des Papstes über Kaiser und 840

Vgl. Greschat, Bucer, 206 f. Vgl. zur Analyse der Vorgänge auf dem Wormser Reichstag: Luttenberger, Glaubenseinheit, 291–344. Zur Politik der Schmalkaldener im Jahre 1545 vgl. A. Hasenclever, Die Politik der Schmalkaldener vor Ausbruch des schmalkaldischen Krieges (HS 23), (Berlin 1901) Nachdruck Vaduz 1965. 842 WA 54; (195) 206–299. 843 Zur Entstehung und Interpretation dieser polemischen Schrift vgl. Brecht, Luther 3, 353–356; Brockmann, Konzilsfrage, 581 f.; R. Decot, Die Entstehung des Papsttums. Martin Luthers historische Sicht in seiner Schrift „Wider das Papsttum zu Rom, vom Teufel gestiftet“ (1545) (in: R. Melville u. a. [Hg.], Deutschland und Europa in der Neuzeit. FS für Karl Ormar Freiherr von Aretin zum 65. Geburtstag, 1. Halbbd. [VIEG 134/1], Stuttgart 1988, 133–154); Ebneter, Luther, 46 f.; Edwards, Last battles, 182–200; Kirchner, Papsttum, 454 f.; Pastor, Päpste 5, 516 f.; Stupperich, Reformatoren, 35 f. 844 Über die Entstehungsgeschichte informiert ausführlich Otto Clemen in WA 54; 198– 200. 841

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VII. Die Konzilsthematik im Horizont von Politik und Kirche (1530–1546)

Konzilien sowie der Unabsetzbarkeit des Papstes. Ende März lag das gedruckte Buch vor. Weil dieses Werk – wie von der Forschung zu Recht beschrieben845 – Luthers letzte große Äußerung zum Konzilsthema bildete, muss diese Schrift auf die abschließende Entfaltung des Konzilsproblems hin untersucht werden. Da Luther in ihr zahlreiche bekannte Gedankengänge wiederholte, seien diese kurz nachvollzogen und die innovativen Aspekte hervorgehoben.

3.1. Das päpstliche Konzil versus reichsständische Konzilsforderung Die Einleitung nutzte Luther zur Vorstellung der Dokumente, auf die sich seine Schrift bezog. So erwähnte er zwei päpstliche Breven an Kaiser Karl V. – das scharfe Tadelsbreve und die mildere offi zielle Fassung – und nannte als deren Inhalt die Betonung der uneingeschränkten Inanspruchnahme der alleinigen päpstlichen Konzilsgewalt: Der „hellischt“ Papst äußere sich in diesem Breve zornig und betone, dass es weder dem Kaiser noch irgendjemandem gebühre, ein Konzil oder Nationalkonzil einzuberufen. Dies sei ausschließlich Aufgabe des Papstes, wie alles in der Kirche durch den Papst bestimmt werde.846 Ebenso berief sich Luther auf die Konzilsbulle, durch die der Papst das Konzil erneut nach Trient einberufen wolle. Über die Konzilsteilnehmer ließ der Reformator keinen Zweifel: Es werde niemand dorthin kommen als allein die päpstlichen Anhänger und Schmeichler.847 Luther näherte sich sodann der Konzilsproblematik in zwei Schritten. Im ersten wandte er sich an den Leser, welchen er als Christen oder als einen mit natürlicher Vernunft begabten Menschen charakterisierte, und erläuterte die Art des vom Papst ausgeschriebenen Konzils. Das Konzil sei ein rein päpstliches Konzil, in dem zuvor alle Entscheidungen und Gesetze durch den Papst festgelegt seien, so dass Luther das ausgeschriebene Konzil in derben Worten als reines „gauckelspiel“848 oder Bluff bewertete.849 Nach der Enttarnung des anberaumten Trienter Konzils als päpstlich-dämonisches Konzil richtete Luther im zweiten Schritt seine Aufmerksamkeit auf die reichsständische Konzilsforderung. Im 845

Vgl. z. B. Meinhold, Das Konzil im Jahrhundert der Reformation, 227–230. WA 54; 206,3–12. 847 AaO. 206,12–16. 848 AaO. 206,25. 207,22–30: So thut auch dieser schendlicher Lecker [d. h. Laffe] Paulus Tertius, schreibt nu schier zum fünfften mal aus ein Concilium, das, wer die wort höret, mus dencken, Es sey sein ernst, Aber ehe wir uns umbsehen, so hat er uns pferds dreck ins maul gegeuckelt, Denn er will ein solch Concilium geben, dar uber er möge seine macht uben, und mit füssen tretten alles was drinnen gesetzt wird. Für solch Concilium danck jm der leidige Teuffel, und kom auch nicht hinein denn der leidige Teuffel, dazu seine mutter, seine schwester und seine hurnkinder, Bapst, Cardinel und was mehr der Hellischen grundsuppen [d. h. Hefe, Auswurf ] zu Rom ist. 849 AaO. 206,17–207,30. 846

§ 21 Wunsch und Wirklichkeit eines freien, christlichen Konzils in deutschen Landen

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Reichstag zu Worms 1521 seien einerseits die Gravamina gegen den Papst zusammengetragen,850 andererseits die Bitte an den Kaiser herangetragen worden, er möge beim Papst erreichen, dass „ein gemein, frey, Christlich Concilium in Deudschen landen“ angesetzt oder ein „National Concilium“ gehalten werde.851 Dieses Anliegen habe der Kaiser bisher mit viel Engagement vorgetragen, während der Papst es nicht realisieren wolle. Auch wenn Luther das Konzilsbegehren historisch ungenau einordnete – die offi zielle Konzilsforderung war erst auf dem Nürnberger Reichstag von 1523 und die Idee des Nationalkonzils erst 1524 zur offi ziellen Reichstagslinie erhoben worden852 –, zielte seine Darstellung nicht auf geschichtliche Genauigkeit, sondern auf die seit 24 Jahren im „geschrey“ gebliebenen drei Attribute: „Frey, Christlich Concilium, in Deudschen landen.“853

3.2. Der Grund der päpstlichen Konzilsfurcht: Das Konstanzer Konzil An den drei Wörten „Frey“, „Christlich“ und „Deudsch“, die der Reformator aus dem politischen Horizont entlehnt und nicht auf seine eigene Konzilsforderung von 1520 zurückgeführt hatte, entwickelte er seine Widerlegung der päpstlichen Konzilskonzeption. Zuerst betonte Luther, dass dem Papst diese Wörter aufs Äußerste verhasst seien, und führte sodann als historische Ursache das Konstanzer Konzil an. Dieses sei in deutschen Landen abgehalten worden und habe neben der Verbrennung von Hus und Hieronymus von Prag sowie der Absetzung von drei Päpsten das Dekret „Haec sancta“ beschlossen.854 Der Inhalt dieses Konstanzer Konzilsbeschlusses bilde den Grund für die päpstliche Konzilsfurcht, denn in ihm werde bestimmt, dass „ein Concilium uber den Bapst sey, und nicht der Bapst uber das Concilium. Und Concilium hette macht, den Bapst zu richten, urteilen, straffen, setzen und absetzen, Nicht widerumb der Bapst, das Concilium zu richten, urteilen oder endern“.855 Den Beschluss über die Konzilssuperiorität erklärte Luther historisch durch die Notsituation aufgrund des Papstschismas und würdigte seine Bedeutung innerhalb der Absetzungsgeschichte der schismatischen Päpste.856 Dass Luther das Konzilsdekret lediglich als geschichtliches Dokument zur Erklärung der päpstlichen Konzilsfurcht einsetzte und nicht als Sieg der konziliaristischen Partei interpretierte, unterstreicht noch einmal, wie sehr er zur konziliaristischen Konzeption, innerhalb der dieses Dekret als Kronzeuge galt, 850 851 852 853 854 855 856

AaO. 207,31–208,5. AaO. 208,5–9. Siehe oben, Kapitel VI § 15.1. und § 15.2. WA 54; 208,9 f. AaO. 208,11–19. AaO. 208,20–23. AaO. 208,23–210,26.

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auf Distanz gegangen war. Sein Interesse galt allein dem historischen Beweis, dass die Päpste aufgrund der Negativerfahrung von Konstanz ein Konzil in deutschen Landen generell zu vermeiden suchten.

3.3. Die Konzilsattribute In den weiteren Schritten entfaltete Luther jetzt, nachdem er den Leser über die Konzilsverhinderungsmotive des Papstes informiert hatte, die Attribute, durch welche die Reichsfürsten und Stände das geforderte Konzil charakterisierten. Dieses literarische Vorgehen bildete insofern ein Novum in der Beschreibung seines Konzilsverständnisses, als er nun – 25 Jahre später – eine Defi nition der 1520 von ihm selbst in seiner Adelsschrift 857 zur Charakterisierung des wahren Konzils vorgetragenen Attribute gab. Die Vorstellung der Attribute mündete in Luthers Beurteilung, das kaiserliche und reichsständische Konzilsbegehren werde in Rom als „ein genötigt, gefangen, gezwungen, unchristlich, ketzerisch, fehrlich, sorglich [d. h. Sorgen erregendes] Concilium“858 charakterisiert. 3.3.1. „Frei“ „Frei“ in deutscher Sprache oder „liberum“ in lateinischer Sprache interpretierte er mit den Worten: „das im Concilio die Zungen und Ohren frey sein sollen, das ein jederman, sonderlich die verordent werden zu reden, hören und handeln aller seits, frey mügen sagen, klagen und antworten, was zur sachen dienet, die Kirchen zu bessern, ergernis und misbreuch auszureuten.“859

Neben der konziliaren Meinungsfreiheit in der Verhandlungsform unterstrich Luther, dass Gottes Wort oder die Heilige Schrift frei und ohne Fesseln zu ihrem Recht kommen und als Grundlage dienen müssen, nach welcher man alles ausrichten und beurteilen müsse. Insbesondere für diese Aufgabe müssten gute Theologen und ausgewiesene Bibelexperten im Konzil sein.860 „Das heisst frey, da das Concilium frey, und die Schrifft, das ist, der heilige Geist frey sind.“861 Dieses doppelte Freiheitsverständnis, einerseits das freie Arbeiten des Konzils, andererseits die Freiheit der Heiligen Schrift, kontrastierte Luther mit dem päpstlichen Freiheitsverständnis. Der Papst interpretiere „frei“ derart, dass er und seine Anhänger in ihren Entscheidungen gegenüber dem Konzil frei seien. 857 858 859 860 861

Siehe oben, Kapitel IV § 9.2. WA 54; 217,20 f. AaO. 211,15–20. AaO. 211,20–24. AaO. 211,25 f.

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Dieses päpstliche Freiheitsverständnis degradiere das Konzil zum „Jaherr“ des Papstes.862 Folglich sei auf Römisch „frei“ als dasjenige zu verstehen, was auf Deutsch „gefangen“ heiße.863 3.3.2. „Christlich“ Dieses Attribut defi nierte Luther hinsichtlich des Konzils mit den Worten, „da man von Christlichen sachen und durch Christliche Leute nach der Schrifft handeln solt“.864 Christlich bedeute im Blick auf ein Konzil, dass dieses schriftorientiert und nicht vom Papst und dem päpstlichen Recht geprägt sei. So müssten die Themen wie Ablass,865 Fegefeuer, Messe, Abgötterei, Glauben und gute Werke im Konzil allein auf der Grundlage der Schrift diskutiert, beraten und entschieden werden.866 Was ein christliches Konzil darüber hinaus bedeute, gestaltete Luther nicht aus, sondern konzentrierte sich auf die Abgrenzung zum päpstlichen Konzil mit seinen Beschlüssen, die er als unchristlich und ketzerisch titulierte.867 In diesem Zusammenhang wiederholte Luther auch seine früher vorgetragene Meinung, dass der Heilige Geist, welcher als Garant der Konzilien gelte, das unheilige, päpstliche Konzil nicht besuchen werde.868 3.3.3. „In Deudschen landen“ Anders als bei den vorangehenden Attributen gab Luther keine nähere Defi nition, sondern ging sogleich auf die sicherheitspolitische Dimension und deren Verknüpfung mit dem Konzil ein. So unterstellte Luther dem Papst Kriegstreiberei, durch welche er Kaiser Karl V., König Ferdinand sowie die deutschen Fürsten gegeneinander auf bringen wolle, um – aufgrund des fi ktiv drohenden Krieges – das Konzil suspendieren zu können.869 Folglich schiebe der Papst die Schuld für die Konzilsverhinderung dem Kaiser und den Reichsständen zu, die in Deutschland keinen Frieden halten könnten. In möglicherweise bewusster Verkennung der tatsächlichen Kriegsgefahr urteilte Luther, dass eine Kriegsbedrohung im Reich nicht vorhanden sei.870 Analog zur päpstlichen Reichspolitik unterstellte Luther auch im Konfl ikt zwischen Frankreich und dem Kaiser, dass der Papst, um das Konzil zu verhin862

AaO. 212,7. AaO. 212,11 f. 864 AaO. 212,24 f. 865 Dazu formulierte Luther, aaO. 214,2–4: Item, das Ablas ein lauter bescheisserey sey, damit der Hellische Vater alle welt generret und umbs gelt betrogen hat. 866 AaO. 212,28–213,8. 867 AaO. 213,9–214,10. 868 Zum Heiligen Geist siehe aaO. 214,11–215,25. 869 AaO. 215,26–34. 870 AaO. 215,34–38. 863

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dern, den Krieg vorantreibe und schüre.871 Dem insgesamt positiv dargestellten Kaiser flüstere der hinterlistige Papst ein: „Wenn du friede schaffest, so wollen wir ein Concilium halten, das wird und sol geschehen, wenn wir auff hören arma zu movieren, welchs so nimermehr geschehen.“872 Für Luther trug folglich der Papst die Schuld am bewaffneten Konfl ikt zwischen dem Kaiser und Frankreich, während der Reformator den Friedensschluss von Crépy auffällig unerwähnt ließ.

3.4. Die kaiserliche Synodalgewalt Schließlich betonte Luther zwei weitere Aspekte bezüglich der Konzilsproblematik. Zum einen lehnte er die Vorstellung ab, dass die römische Kirche durch ein Konzil überhaupt reformiert werden könne. Hieraus würde die Papstkirche – wie im Konstanzer Konzil – nur gestärkt hervorgehen,873 so dass Konzilien zur Kirchenreform unnütz seien.874 Außerdem unterstrich Luther in wiederholter Deutlichkeit die bereits bekannte Aussage, dass die Protestanten selbst keines Konzils bedürften.875 Zum anderen griff Luther eine Passage aus dem Tadelsbreve auf, in dem der Papst den Kaiser auf seinen Jurisdiktionsprimat hinwies und Karl die Auswahl der Teilnehmer untersagte.876 Gegen dieses Verbot führte Luther den zuvor in seiner Konzilsschrift entfalteten Gedanken der kaiserlichen Synodalgewalt an, welche die Kaiser in den „vier höhesten Concilien“ Nicäa, Konstantinopel, Ephesus und Chalcedon besessen hätten.877 Aufgrund der historischen Vorbilder, die um weitere von Kaisern einberufene Konzilien ergänzt werden konnten, welche „wol rechte Christliche Concilia“ gewesen seien,878 stehe dem Papst nicht das Recht zu, Karl V. die Teilnehmerauswahl und die Konzilseinberufung zu verweigern.879 Mit der Synodalgewalt des Kaisers begründete Luther schließlich auch das einen Religionsfrieden ermöglichende Projekt eines Nationalkonzils. Dieses habe der Kaiser beim Speyrer Reichstag (1544) als Ersatz für ein allgemeines Konzil zugesagt, was der Papst hingegen zu verhindern suche.880 Zwar lobte 871

WA 54; 216,13–28. AaO. 217,4–6. 873 Siehe hierzu oben, Kapitel VII § 20.4.2. 874 AaO. 220,19–21: Da ist doch keine hoffnung, einiges gutes zu erlangen, Man mus anders hie zu thun, mit Concilien ist nichts ausgericht, wie wir sehen. 875 AaO. 220,25–28. 876 AaO. 220,33–35. 877 AaO. 221,9–17. 878 AaO. 221,29–32. 879 AaO. 222,1–8. 880 AaO. 224,8–20. 227,11–15. 872

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Luther die kaiserliche Absicht des Nationalkonzils, schenkte ihm aber keine weitergehende, realistische Bedeutung im Kampf gegen das Papsttum.

3.5. Resümierende Konzilsbetrachtung in „Wider das Papsttum zu Rom“ Abschließend betrachtet, unterstrichen auch die weiteren, mit der Entwicklung des Papsttums zusammenhängenden Konzilsaussagen in Luthers Werk881 seine bleibende, konzilskritische Linie. Insgesamt ist auffällig, dass Luther die protestantische Forderung nach einem freien, christlichen Konzil als kaiserliche und reichsständische Formel interpretierte, sie aber nicht als eigenes Begehren betonte oder als dringende und einzige Notwendigkeit postulierte! Sinn und Zweck der Formelauslegung lagen nicht in der theologischen Grundierung des evangelischen Konzilsverständnisses, welches immerhin anklang, sondern in der öffentlichen Auf klärung über das päpstliche Konzilsvorhaben. Die Ausführungen über die Konzilsthematik dienten wie die gesamte Schrift dem propagandistischen Ziel, Kaiser und Reichsstände an ihre Beschlüsse zu erinnern und gegen den Papst einzunehmen.882 Hieraus erklärt sich auch der Umstand, dass die bündnis- und konfessionspolitischen Differenzen der Reichsstände von Luther übergangen wurden und der Kaiser – trotz gegenteiliger persönlicher Meinung – positiv herausgestrichen wurde. Erneut wird bei der kritischen Analyse deutlich, dass Luther ein Konzil für die eigene Lehre und evangelische Kirche nicht für nötig erachtete und von einer solchen Institution auch hinsichtlich einer Reformation der römischen Kirche nicht überzeugt war. Allerdings schloss er das Konzil in der Gestalt eines freien, christlichen Konzils in deutschen Landen nicht gänzlich aus, sondern entfaltete die theoretische Konzeption jenes Begehrens, welches er 1520 in die Diskussion eingeführt hatte. Wenn ein Konzil stattfi nden solle, müsse es, um überhaupt ein christliches Konzil sein zu können, nach jener Konzilsart gestaltet sein, über dem Papst stehen und zur Verurteilung des Papstes führen. Gleichwohl erfüllte die protestantische Konzilskonzeption in dieser Schrift die zentrale Funktion, das Kontrastprogramm im Kampf gegen die päpstliche Konzeption zu bilden, während es Luthers ureigenes Anliegen zur Kirchenreform schon längst nicht mehr darstellte. Das freie, christliche Konzil war, wie strukturell bereits bezüglich der Schrift „Von den Konziliis und Kirchen“ her-

881

So z. B. aaO. 228,22. 228,31–229,2 (Suprematsanspruch des Papstes). Diese Strategie kann als publizistische Umsetzung jener im Kollektivgutachten von Januar 1545 dem Kurfürsten vorgetragenen Linie betrachtet werden. Siehe WAB 11; 18,103– 109. 882

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ausgearbeitet,883 lediglich ein theoretisch wünschenswertes Projekt, das aber für Luther in der kirchlichenpolitischen Wirklichkeit unrealisierbar blieb.

4. Die letzten Äußerungen über das Trienter Konzil Hatte Luther seine Meinung über das Trienter Konzilsprojekt und den Papst literarisch pointiert und sinnenfällig in Form eines polemischen Einblattdrukkes illustriert,884 blieb die Bekämpfung des Konzilsvorhabens ein gesamtprotestantisches Anliegen, welches sich literarisch in verschiedenen Publikationen – vornehmlich aus der Feder von Martin Bucer – niederschlug.885 Auch auf der politischen Ebene spitzte sich das Ringen um eine friedliche Lösung im eskalierenden religionspolitischen Streit zu. In den Verhandlungen zwischen König Ferdinand I. und den protestantischen Ständen in der Religionsfrage im Frühjahr auf dem Wormser Reichstag bildete das päpstliche Konzil eine Schlüsselrolle.886 Während die Protestanten auf eine Lösung der Konfessionsspaltung auf nationaler Ebene durch Umsetzung der Speyrer Friedensbestimmungen drängten und die katholischen Reichsstände für eine Vertagung auf das Generalkonzil plädierten, verfolgte der Kaiser eine doppelte, abwartende Strategie, die ihm den Freiraum für Kriegsvorbereitungen gegen die Protestanten ermöglichte. Zum einen ließ er – wie von den Wittenberger Theologen im Januar vorausgesagt – seinen Bruder König Ferdinand bei Beratungsbeginn am 24. März 1545 anweisen, die Religionsthematik auf das Konzil zu verschieben, zum anderen setzte er seine in Speyer 1544 begonnene Verhandlungslinie fort, zumal er der Konzilsinitiative des Papstes wenig Ernsthaftigkeit zubilligte.887 Hierdurch 883

Siehe oben, Kapitel VII § 20.6. Auf der linken Hälfte eines von Luther initiierten Einblattdruckes wird unter der Überschrift „Papa dat concilivm in Germania“ der Papst auf einer Sau reitend dargestellt. In der linken Hand hält der Papst der Sau einen Kothaufen hin, welcher die Aufmerksamkeit des Schweins erregt. Ein Vierzeiler erläutert die Abbildung: „Saw du must dich lassen reiten:/ Und wol sporen zu beiden seiten./ Du wilt han ein Concilium/ Ja dafür hab dir mein merdrum“ (WA 54; 368). Siehe zur Interpretation: H. Grisar und F. Heege (Hg.), Luthers Kampf bilder. Band 4: Die „Abbildung des Papsttums“ und andere Kampf bilder in Flugblättern 1538–1545, Freiburg im Breisgau 1923, 28–32; WA 54; 354. Vgl. Brockmann, Konzilsfrage, 257; Starke, Kunst, 547. 885 Vgl. die Hinweise bei Brockmann, Konzilsfrage, 257. Die kritische Ausgabe der „Schriften im Zusammenhang mit dem Konzil 1545–1546“ wird von der Heidelberger Bucer-Forschungsstelle als MBDS 15 vorbereitet. 886 Zum Reichstag zu Worms 1545, dessen Beratungen für die Entwicklung der Reichsverfassung und des Reichsrechts von Bedeutung waren, da auf ihm neben den Verhandlungen mit den Protestanten die Fragen zu Reichsmatrikel, Reichsmünzordnung und Reichspolizeiordnung behandelt wurden, siehe DRTA.JR 16,1–2. 887 Vgl. DRTA.JR 16,1; 64–66. 69–74; Jedin, Geschichte 1, 405–407; Hollerbach, Religionsgespräch, 164–169. 884

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setzte er einerseits den Papst unter Druck, da dieser ein Nationalkonzil stets gefürchtet hatte. Andererseits hielt er bei Nichtzustandekommen des Generalkonzils eine Alternative bereit.888 Obwohl sich Luther von den politischen Beratungen des Reichstages wenig versprach und sich deshalb auffällig zurückhielt, kam er in seiner Korrespondenz bisweilen auf die konziliaren und reichspolitischen Entwicklungen zu sprechen. So wusste er im April zu berichten, dass in Worms die Verhandlungen nur zögerlich vorankämen und das für März terminierte Trienter Konzil eher Rückschritte denn Fortschritte mache.889 Anfang Mai sah sich der Wittenberger Theologe, nachdem er von der Konzilsverschiebung auf Ende September 1545 erfahren hatte, in seiner Grundhaltung bestätigt, dass der Papst kein Konzil leiden möge und es nicht durchführen werde.890 Meldungen, dass in Trient einige kirchliche Würdenträger versammelt seien, wies er Anfang Mai als Gerücht zurück,891 wusste aber am 17. Juli zu berichten, dass in Trient 23 Bischöfe und drei Kardinäle zum Müßiggang versammelt seien.892 Am 3. Juni äußerte er gegenüber Nikolaus von Amsdorf, um Reichstage und Konzilien kümmere er sich nicht.893 Und am 9. Juli hatte er vom Reichstag, auf dem seit dem 16. Mai Karl V. persönlich zugegen war, zu berichten,894 der Kaiser dränge darauf, dass die Protestanten in das Konzil einwilligten. Weil diese eine Zusage aber verweigerten, sei der Kaiser gegen die „unsrigen“ sehr verstimmt. Hingegen betone der Papst, dass „wir Ketzer seien“ und uns kein Ort im Konzil zustehe.895 Diese Widersprüchlichkeit interpretierte Luther als „Weisheit des Satans“ und das Konzil als teufl isch.896 Auch unterstrich Luther erneut, zuerst müsse der Papst anerkennen, dass das Konzil über ihm sei, und er habe sodann zu hören, dass das Konzil gegen ihn sei. Erst hiernach könnten überhaupt weitere Fragen disputiert werden.897 888

Vgl. Luttenberger, Glaubenseinheit, 303. WAB 11; 70,6 f. Nr. 4090 (Luther an König Christian III. von Dänemark, [Wittenberg,] 14. 4. 1545). 890 WAB 11; 83,13–84,18 Nr. 4099 (Luther an Herzog Albrecht von Preußen, [Wittenberg,] 2. 5. 1545); aaO. 88,11–17 Nr. 4103 (Luther an Kurfürst Johann Friedrich, [Wittenberg,] 7. 5. 1545). 891 AaO. 88,18–21. Tatsächlich waren die päpstlichen Konzilslegaten Giovan Maria Ciocchi del Monte und Marcello Cervini am 13. März feierlich in Trient eingezogen. Vgl. Jedin, Geschichte 1, 408 f.; Pastor, Päpste 5, 514. 892 WAB 11; 144,10–16 Nr. 4137 (Luther an Nikolaus von Amsdorf in Zeitz, [Wittenberg,] 17. 7. 1545). 893 WAB 11; 115,11 f. Nr. 4123 (Luther an Nikolaus von Amsdorf in Zeitz, [Wittenberg,] 3. 6. 1545): De Comitijs & Conciliis nihil curo, nihil credo, nihil spero, Nihil cogito. Vanitas vanitatum. 894 WAB 11; 131 f. Nr. 4132 (Luther an Nikolaus von Amsdorf in Zeitz, [Wittenberg,] 9. 7. 1545). 895 AaO. 131,4–8. 896 AaO. 131,9–132,18. 897 AaO. 132,18–23. 889

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Diese skizzenhaften Bemerkungen verdeutlichen, dass sich Luther in seiner kritischen Konzilsbewertung bezüglich der mangelnden Aufrichtigkeit von Kaiser und Papst bestätigt fand und auch die Frage der protestantischen Konzilsbeschickung entschieden zurückwies.898 Die Gefahr eines kriegerischen Vorgehens des Kaisers gegen die Protestanten sah Luther jetzt heraufziehen.899 Entsprechend seiner zweigleisigen Strategie hatte Karl V. am Ende des Wormser Reichstages im Reichsabschied vom 4. August 1545 den Protestanten ein Religionsgespräch versprochen, welches im Vorfeld des für den 6. Januar 1546 terminierten Reichstages in Regensburg stattfi nden sollte.900 In einem Kollektivgutachten aus der zweiten Novemberhälfte äußerte sich Luther zusammen mit seinen Wittenberger Kollegen gegenüber Kurfürst Johann Friedrich skeptisch bis ablehnend bezüglich des Religionsgespräches.901 Sie beurteilten es als kaiserliches Scheinmanöver, das von dessen militärischen Vorbereitungen ablenken sollte.902 Komme es aber wider Erwarten zustande, werde es dort keine Verständigung geben, da der Kaiser seine hartnäckigen Löwener und Kölner Theologen zu schicken beabsichtige.903 Inhaltlich werde es außerdem in dem auf dem Religionsgespräch von 1541 umstrittenen Artikel über die Autorität der Konzilien keinen Fortschritt geben, da die Gegenseite auf ihrer Lehre von der Irrtumslosigkeit der Konzilien beharren werde.904 An den Vorbereitungen des Regensburger Kolloquiums nahm Luther noch Anteil, indem er sich beispielsweise anstelle des erkrankten Melanchthons für dessen Schüler Georg Major einsetzte.905 Den ergebnislosen Ausgang erlebte Luther aber nicht mehr.906 Zum Trienter Konzil wiederholte das Kollektivgutachten die von Luther bekannten Aussagen, dass man sich vor dem Konzil nicht fürchten brauche, da der Papst kein Konzil leiden wolle. Sollte das Konzil in der Tat zusammentreten und etwas beschließen, würden sich die Beschlüsse selbst lächerlich machen.907 Die weitere Entwicklung überließen die Theologen der Wirkmächtigkeit Got898

WAT 5; Nr. 6311; aaO. Nr. 6388. WAB 11; 132,24 f.: Pax quaeritur apud Turcam a Caesare, Ferdinando & Gallo & putatur Caesar contra nos moturus arma. 900 DRTA.JR 16,2; 1659 f. Nr. 341. Das Religionsgespräch war laut Reichsabschied für Ende November geplant. 901 WAB 11; 219–222 Nr. 4171 (Luther, Bugenhagen, Cruciger, Major, Melanchthon an Kurfürst Johann Friedrich, [Wittenberg zwischen 19. und 29. 11. 1545). 902 AaO. 221,9–13. 903 AaO. 221,17–26. 904 AaO. 221,27–34. 905 WAB 11; 254–256 Nr. 4184 (Luther an Kurfürst Johann Friedrich, [Wittenberg,] 9. 1. 1546). Siehe auch Majors Bericht: aaO. 270–272 Nr. 4192 (Georg Major an Luther, Bugenhagen, Cruciger und Melanchthon, Regensburg, 28. 1. 1546). 906 Vgl. zum Regensburger Kolloquium u. a. Dingel, Religionsgespräche, 660 f.; Hollerbach, Religionsgespräch, 170–185. 907 WAB 11; 222,53–56: Man darff sich auch vor dem Concilio so hoch nicht besorgen, Denn der Bapst leidet selb kein Concilium, Daruber ob gleich ein vermeint Concilium etwas schliessen wurde, So werden solche grobe Artikel darin sein, das es zu spott wird. 899

§ 21 Wunsch und Wirklichkeit eines freien, christlichen Konzils in deutschen Landen

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tes: „Doch ist alles in Gottes hand, der wolle aller Regenten vnd Lehrer hertzen zu seinem lob vnd der Christenheit seligkeit leiten. Amen.“908 Dass das Konzil entgegen der Einschätzung von Luther am 13. Dezember 1545 feierlich eröffnet worden war,909 erfuhr der durch Krankheit geschwächte Luther vermutlich im Januar 1546. Von Eisleben aus schrieb er an Fürst Georg von Anhalt am 29. Januar, dass das Konzil begonnen habe, und urteilte, es werde langsam arbeiten und zu keinem Ergebnis gelangen.910 Stattdessen betete er, „der Herr erhebe sich und zerstreue seine Feinde. Amen, Amen, Amen.“911 Dass ihn die Konzilsthematik auch während seines Aufenthalts in Eisleben beschäftigte, bei dem es bekanntlich um die Einigungsverhandlungen zwischen den Mansfelder Grafen ging,912 berichtete der mitgereiste Justus Jonas. So äußerte Luther die Absicht, seine Schrift „Wider das Papsttum zu Rom“ den Konzilsteilnehmern in deutscher und lateinischer Fassung nach Trient zu schicken.913 Da allerdings der Tod des Reformators dieses Vorhaben vereitelte, bat Jonas den Nürnberger Theologen Veit Dietrich, den Willen des Verstorbenen umzusetzen, indem dieser das Werk in der von Jonas angefertigten lateinischen Fassung in Straßburg oder Nürnberg neu drucken und nach Trient zum Konzil senden möge.914 Noch ein letztes Mal sollte Luther nach der Überlieferung von Jonas und Michael Coelius das Trienter Konzil kritisieren.915 Am Abend vor seinem Tode, der ihn in der Nacht vom 17. auf den 18. Februar unter gewaltiger Anteilnahme seiner Freunde ereilte, sprach er die geradezu testamentarischen Worte: „D. Jonas und M. Celi und jhr andern, betet für unsern Herrn Gott und sein Euangelium, das jm wolgehe, Denn das Concilium zu Trent und der leydige Bapst zürnen hart mit jhm.“916 908

AaO. 222,56–58. Über die Entwicklung des Trienter Konzils vom ersten Zusammentreffen der Konzilslegaten bis zur Eröffnung im Trienter Dom vgl. Jedin, Geschichte 1, 411–462; Pastor, Päpste 5, 513–535; Schatz, Konzilien, 176 f. 910 WAB 11; 273,14–17 Nr. 4193 (Luther an Fürst Georg von Anhalt, Eisleben, 29. 1. 1546): Credo enim Cel. T. audisse Concilium esse per Papam apertum (vt vocant), id est inchoatum. Sed medium erit tardum et fi nis nullus, tamen vt Romanae Syrenes vexent populum, sicut est moris, styli, naturae et inueteratae iam olim nequitiae in ista Babylone. 911 AaO. 273,18: Exurgat Dominus et dissipet inimicos suos, Amen, Amen, Amen. 912 Vgl. Brecht, Luther 3, 362–367; A. Sames, Luthers Beziehungen zu den Mansfelder Grafen (LWML, 591–600), 597–600; Schwarz, Luther, 229. 913 JJBW 2, 186 Nr. 789 ( Jonas an Veit Dietrich, Halle, 9. 3. 1546): Reverendus d. doctor constituerat illum librum denuo excusum auctiorem latine edere et mittere duo, latinum et germanicum, exemplaria Tridentum peculiari tabellario, vel alias certo tabellario. Sed praeventus est morte. 914 Ebd. Vgl. auch WA 54; 202. 915 Siehe WA 54; (478) 487–496. Zu Luthers Sterben vgl. Brecht, Luther 3, 368–370; Neumann, Luthers Leiden, 144–148; Ch. Schubart, Die Berichte über Luthers Tod und Begräbnis. Texte und Untersuchungen, Weimar 1917. 916 WA 54; 490,18–20. 909

VIII.

Luther und das Konzil: Ein Resümee Mit Beginn seines reformatorisch-öffentlichen Auftretens in den Jahren 1517/1518 sollte für Luther das Thema „Konzil“ – obgleich nicht im Zentrum seiner Theologie stehend – wesentliche Bedeutung erlangen und ihn zeitlebens in unterschiedlicher Intensität beschäftigten. Um das Zusammenwirken der verschiedenen Facetten, die anhand der vorangehend analysierten Konturen historisch-chronologisch und teilweise systematisch entfaltet wurden, aufzuzeigen, seien die wesentlichen Aspekte der Thematik in chronologischer Reihenfolge resümierend dargestellt und thetisch zugespitzt. Konziliaristisch geprägt im Sinne der spätmittelalterlich-kanonistischen Parteibildung war der junge Wittenberger Theologieprofessor nicht. Auch lassen sich vor 1518 keine besonderen Neigungen zu historischen Konzilien oder zur Konzilsidee erkennen. Zwar waren Luther aufgrund seiner exegetischen und dogmatischen Studien einzelne frühchristliche Kirchenversammlungen wie das sogenannte Apostelkonzil und das Konzil von Nicäa bekannt, welche aber in dieser theologischen Entwicklungsphase keinen unmittelbar nachweisbaren Eindruck auf ihn machten. Konziliares Ideengut wurde ihm vermutlich durch seine Beschäftigung mit Gabriel Biel, Johannes Gerson, Petrus von Ailly und Nikolaus von Tudeschi vermittelt, das er aber vor 1518 theologisch nicht profilierte. Die spätmittelalterliche Kontroverse zwischen Konziliarismus und Papalismus war für Luther kein Thema. Unmittelbare konzilspraktische Erfahrungen sind vom jungen Luther nicht überliefert. Allerdings suchte er durch seine als Auftragsarbeit angefertigte Synodalpredigt, die um 1515 entstand, kirchenpraktischen Einfluss auf eine Diözesansynode zu nehmen und den versammelten Geistlichen die Wurzel der beklagenswerten kirchlichen Missstände vor Augen zu führen. Verantwortlich für die Misere der zeitgenössischen Kirche war für ihn einzig der Mangel am Wort der Wahrheit, dem Evangelium. Abhilfe leisten konnte nur eine Neubesinnung auf das Wort Gottes, das er der Synode und ihren Teilnehmern durch seine Predigt einschärfte. Folglich werden für den jungen Luther zwei Tendenzen sichtbar: Während er konziliaristisches Gedankengut in seine sich entwickelnde Theologie vorerst nicht integrierte, nutzte er das synodale Forum als Ort für die praktische Verbreitung und Umsetzung seiner substantiellen Reformvorschläge. Erst durch den Ablassstreit und die zunehmende Kontroversdiskussion mit

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seinen Gegnern um die Autorität des Papstes sowie durch die Eröffnung des kurialen Ketzerverfahrens begann Luther im Verlauf des Jahres 1518 das Konzil stärker zu betonen und es als Approbationsorgan kirchlicher Lehren, Entscheidungsinstanz in Glaubensdingen und Forum für kirchliche Reformen dem Papsttum überzuordnen. In Abgrenzung zu Silvester Prierias’ papaler Ekklesiologie wurde Luther auf Nikolaus von Tudeschis Ausführungen über die Irrtumsfähigkeit von Papst und Konzil aufmerksam und führte sie in eigenständiger Anverwandlung gegen die päpstliche Unfehlbarkeitsbehauptung des italienischen Thomisten an. Obwohl hierdurch die kirchlichen Autoritäten erste Relativierungen erfuhren, die sich aber noch im Rahmen des kirchlich-kanonistischen Diskursrahmens bewegten, spitzte Luther seine ekklesiologischen Aussagen dahingehend zu, dass er die Kirche der Kraft nach nur in Christus kenne, der Repräsentation nach aber nur in einem Konzil. Angeregt durch die Auseinandersetzung mit Johannes Eck und Prierias hatte Luther im Sommer 1518 konziliaristische Argumentationen und Positionen aufgenommen, ohne aber aus ihnen ein ekklesiologisches System zu formen. Entgegen den Intentionen Luthers, dem es in seiner sich verdichtenden Worttheologie um eine christologisch fundierte Ekklesiologie ging, identifi zierten seine Gegner den Wittenberger Mönch als einen Konziliaristen und suchten ihn mittels antikonziliaristisch-papaler Argumente abzuqualifi zieren und zu bekämpfen. Diese Strategie verfolgten sowohl Prierias in seinen Stellungnahmen als auch Cajetan in seinem Augsburger Verhör, worauf hin Luther seine Aussagen zur Konzilssuperiorität gegenüber dem Papstprimat verstärkte. Eine neue Station in der Entwicklung von Luthers Konzilsverständnis wurde im Herbst 1518 erreicht. Nachdem der Wittenberger Theologe dem von Cajetan geforderten Widerruf seiner Lehren nicht entsprochen hatte, musste Luther jetzt mit dem römischen Bannspruch rechnen. Um im kurialen Prozess nicht handlungsunfähig zu werden, nutzte er Ende November die vom Papst zwar verbotene, aber u. a. von der Universität Paris kurz zuvor praktizierte Berufungsinstanz der Konzilsappellation. Durch dieses Rechtsmittel suchte Luther den Prozess gegen ihn vom Papst und der Kurie an die übergeordnete Instanz eines allgemeinen Konzils zu delegieren und einen Aufschub in der für ihn gefährlichen Situation zu erzielen. Mit diesem Schritt übertrug er dem Konzil die Entscheidungsgewalt in seiner Sache, wodurch er sich nun auch auf kirchenrechtlichem Gebiet konziliarer Ausdrucksformen bediente. Dass er allerdings das Zustandekommen eines allgemeinen Konzils für augenblicklich nicht realisierbar hielt, äußerte er 1518 ebenfalls. Auch traf er keinerlei nähere Aussagen über die Art und Gestalt des geforderten Konzils. Letzteres hatte seinen Grund darin, dass Luthers (reformatorisches) Konzilsverständnis zu diesem Zeitpunkt noch nicht ausgeprägt war und er durch seine konziliaren Argumentationen und Aktionen eine an den Reformkonzilien des 15. Jahrhunderts orientierte Konzilsidee ventilierte. Insofern können für 1518

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formale und materiale Kontinuitäten zum spätmittelalterlichen Konzilsverständnis bei Luther nachgewiesen werden, die allerdings keineswegs Selbstzweck waren, sondern der Sache dienten. Im Streit um die päpstliche Gewalt nutzte der Wittenberger Professor somit vorgegebene konziliaristische Positionen und Praktiken, die er aber selbständig umwandelte und zur Plausibilisierung für seine gegenüber der kirchlichen Tradition neue Theologie gebrauchte. Die Entwicklung von Luthers Konzilsvorstellung wurde im Jahr 1519 durch die Leipziger Disputation elementar beschleunigt und grundsätzlicher als zuvor ihren spätmittelalterlichen Formen entwunden. Im Rahmen der Disputationsvorbereitungen hatte Eck insbesondere die von Luther in seinen „Resolutiones“ zu den Ablassthesen (1518) vertretene Aussage von der altkirchlichen Relativität der römischen Kirche herangezogen und die päpstliche Suprematsgewalt verteidigt. Hierdurch sah sich Luther wiederum zur Verschärfung seiner Kritik an der päpstlichen Gewalt genötigt, die er als Folge der kirchenrechtlichen Bestimmungen der römischen Päpste interpretierte und gegen die er die frühe Kirchengeschichte, die Heilige Schrift und das Konzil von Nicäa als normgebende Autoritäten anführte und innerhalb seines verfallstheoretischen Geschichtsverständnisses analysierte. Um die altkirchlichen Garanten gegenüber den jüngeren papstkirchlichen Verunklarungen theologisch und geschichtlich zu profi lieren, studierte Luther neben den Kirchenvätern auch verschiedene altkirchliche Konzilsbeschlüsse. Bei diesem Studium historischer Quellen gewann Luther nicht nur ein differenziertes Bild von den altkirchlichen Konzilien, sondern sprach ihnen auch die gesamte Christenheit betreffende autoritative Bedeutung zu, die er im Kampf gegen den nur einen Teil der Christenheit betreffenden römischen Kirchenprimat argumentativ nutzbar machte. Es ist bekannt, dass die Konzilien in der Leipziger Disputation im Streit um die kirchlichen Autoritäten eine zentrale Rolle spielten. Während sich Eck darauf konzentrierte, Luther als hussitischen Ketzer zu entlarven, hoffte Luther seinerseits den Primatsanspruch mit Hilfe der altkirchlichen Konzilien als widerchristlich zu plausibilisieren. Im komplexen Disputationsverlauf lenkte Eck Luther auf die Verurteilung hussitischer Lehren durch das Konstanzer Konzil, dessen Entscheidungen jener hingegen als irrtümlich markierte. Eck nahm dieses zum Anlass, Luther nicht nur der böhmischen Ketzerei zu verdächtigen, sondern ihm auch die Leugnung der Konstanzer Konzilsautorität zu unterstellen. Tatsächlich zog Luther hieraus eine bedeutsame Konsequenz und formulierte, dass Konzilien nicht nur irren könnten, sondern wie in Konstanz bisweilen auch geirrt hätten. Obwohl er diese für die römische Kirche ketzerische Aussage sogleich einschränkte, war damit jetzt nicht nur die Papstautorität relativiert, sondern auch die Autorität der Konzilien grundsätzlich problematisiert.

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Zwar suchte Luther seinerseits die Konzilsentscheidungen und -autoritäten von Nicäa gegenüber Konstanz positiv hervorzuheben, doch wollte sich Eck auf eine innerkonziliare Autoritätsdifferenzierung nicht einlassen. Mit seiner Problematisierung der Konzilien hatte Luther deren souveräne Autorität erschüttert und sie in Frage gestellt. Ihre Bedeutung als kirchliche Entscheidungsinstitution wollte er aber nicht in Abrede stellen. Nach Leipzig verschärfte Luther seine konzilskritische Haltung, indem er anhand der Konzilien von Nicäa und Konstanz zwischen rechtmäßigen und irrigen Generalkonzilien unterschied. Als Kriterium für die konziliare Rechtmäßigkeit betonte er nun stärker als zuvor die Heilige Schrift, wies die eigentlich nur kirchlichen Norminstanzen zustehende Urteilsfähigkeit auch christlichen Einzelpersonen zu und löste sich insgesamt von der autoritativen Bindung an die jüngeren Konzilsbeschlüsse. Somit trieb er die Entwicklung seines schriftorientierten Konzilsverständnisses voran, das er im Jahre 1520 zur Reife bringen sollte. Parallel zu seiner auf die päpstlichen Konzilien bezogenen Kritik begann Luther ein Konzil für kirchenpraktische Reformen zu fordern. Schwerpunkte für das konziliare Begehren bildeten die Zulassung des Laienkelchs beim Abendmahl und die Wiedereinführung der Priesterehe. Mit diesem Begehren, welches in der Laienkelchfrage zu erheblichen politischen Verwicklungen mit dem Herzogtum Sachsen führte und den Auftakt der Zensurmaßnahmen gegen Luther bildete, knüpfte er erneut an spätmittelalterlich-konziliare Traditionen und an seine bereits durch die oben genannte Synodalpredigt veranschaulichte Indienstnahme eines allgemeinen Konzils zur Umsetzung kirchenreformerischer Maßnahmen an. Gleichzeitig hoffte er, mit seinem Anliegen weiterhin auf dem Boden der Kirche zu stehen und innerkirchliche Reformen vorantreiben zu können. Weil Luther im Verlauf des Jahres 1520 erkannte, dass einerseits vom Papsttum, welches er zunehmend als antichristliche Institution interpretierte, keine Reform der Kirche zu erwarten war, dieses sich vielmehr eingemauert hatte, andererseits die Christenheit aber im Glauben und Leben durch das Evangelium gebessert werden musste, wandte er sich in der akuten Notsituation an die weltliche Obrigkeit. In seiner Adelsschrift (1520) forderte er jetzt Kaiser, Fürsten und politische Mandatsträger auf, die Besserung der Kirche voranzutreiben und auf ein Reformkonzil hinzuarbeiten. Gleichzeitig knüpfte er mit seinen Reformvorschlägen und dem Konzilsbegehren an die (kirchen)politischen Gravamina an und erreichte durch seine Romkritik eine breite politisch-öffentliche Zustimmung. Bezüglich des Konzilsverständnisses kam in der Adelsschrift erstmals Luthers gereifte reformatorische Konzilskonzeption zum Vorschein, die er im Kontrast zur päpstlichen Konzilslehre thematisierte und der er im Begriff des „freien, christlichen Konzils“ ihren Ausdruck gab. „Frei“ bedeutete hierbei einerseits

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für das Konzil, frei vom Papst mit seinen Bestimmungen zu sein, andererseits für die Konzilsteilnehmer, ihre Meinung frei äußern zu dürfen. „Christlich“ war das Konzil, wenn es sich nach der Heiligen Schrift richtete, sich vom Heiligen Geist leiten ließ und sich als christliche Gemeindeversammlung verstand. Dass das Konzil in Rezeption des evangelischen Kirchenverständnisses von Luther auch als gemeindliches Gerichtsforum gegen den Papst interpretiert wurde, war ein Gedanke, den er 1520 zwar erwähnte, aber ausführlicher erst 1539 in seiner Schrift „Von den Konziliis und Kirchen“ entfalten sollte. Mit diesen grundlegenden Erkenntnissen, die Luther allerdings nicht in einer kompakten Darstellung 1520 entfaltete, waren die bisherigen kirchlichen Konzilsvorstellungen überwunden. Für Luther war ein Konzil eine menschliche Veranstaltungsform, deren Legitimität nicht schon an sich durch göttliche Autorität vorgegeben war, sondern die erst durch die Ausrichtung an der Heiligen Schrift dazu wurde, indem sie ihre Autorität durch das Wort Gottes empfi ng. Dieses veränderte, schriftorientierte Konzilsverständnis ermöglichte Luther einerseits die vehemente Verurteilung und Bestreitung der päpstlichen Konzilien mitsamt ihrer Autorität und eröffnete ihm andererseits die Indienstnahme der Konzilsinstitution für mögliche Kirchenreformen. Einen Entwicklungsschub auf Luthers reformatorischem Weg stellte die Bannandrohungsbulle dar. Hiergegen wiederholte er als bewusst öffentlichkeitswirksame und juristische Maßnahme noch einmal im November 1520 seine Konzilsappellation, die er jetzt an ein „freies, christliches Konzil“ richtete. Danach traten bei Luther seine konziliaren Forderungen auffällig zurück, während sich im Gegenzug sein Schriftprinzip manifestierte. Diese Entwicklung fand im Wormser Reichstag von 1521 schließlich ihren geschichtlich greif baren Ausdruck. Aufgrund der Erfahrung, dass dieses konzilsähnliche Gremium keineswegs zu einer Prüfung seiner Lehre durch Schriftund Vernunftgründe bereit sei, wandte sich Luther von der konziliaren Instanz – auch von einem freien, christlichen Konzil (!) – als realem Entscheidungsgremium über seine reformatorische Lehre endgültig ab. Auf dem Reichstag spielte gleichzeitig das durch Luthers Adelsschrift popularisierte Konzilsbegehren eine zentrale Rolle, welches der päpstliche Nuntius Aleander in antilutherischer Taktik umformte sowie mit Hilfe von Luthers kritischem Konzilsverständnis problematisierte und politisierte. Denn dass die in Leipzig begonnene Auseinandersetzung um die Autorität der Konzilien und insbesondere um das Konstanzer Konzil, welches bei Kaiser und Reich in hohem Ansehen stand, auch vor dem Wormser Forum fortgesetzt und dazu instrumentalisiert wurde, verschiedene humanistisch-fürstliche Sympathien gegen Luther zu wenden, dürfte in der Forschung kaum bekannt gewesen sein. Schließlich wurden Luthers Konzilskritik und Konzilsappellation sogar als zentraler Beweis für seine Ketzerei ins Wormser Edikt aufgenommen und als Argumente für die Reichsacht angeführt. Damit hatte das Konzilsthema für Lu-

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ther reichsrechtliche Konsequenzen! In Worms hatte die Konzilsthematik nun die höchste politische Ebene erreicht. Es ist eine Ironie der Geschichte, dass in dem Augenblick, in dem der von der römischen Kirche gebannte und von Kaiser und Reich geächtete Theologe dem Konzil keine positive Gestaltungskraft im Reformationsprozess mehr zuwies, die Reichsstände das Konzilsthema aufgriffen und zur einheitswahrenden Klärung der Glaubensfrage anführten. Hierbei übernahmen die sich herausbildenden evangelischen Reichsstände vermehrt den reformatorisch-lutherischen Konzilsbegriff eines „freien, christlichen Konzils“, den sie um die Forderung „in deutschen Landen“ ergänzten. Luther selbst hielt sich in seinem politischen Urteil über die Indienstnahme eines Konzils auffällig zurück. Sein Hauptanliegen galt seit Sommer 1521 der kirchlichen Reform oder Reformation, die er jetzt nicht mehr durch ein allgemeines Konzil oder andere traditionell-kirchliche Strukturen durchgeführt, sondern allein durch Gottes Wort herbeigeführt wissen wollte. Ihre Umsetzung übertrug Luther der Verantwortung der christlichen Ortsgemeinde und ihrer Pfarrer. Auch die während der ersten Hälfte der 1520er Jahren akut werdende – auf die regionale und territoriale Ebene zielende – kirchenorganisatorische Frage wollte Luther nicht durch eine Synode oder ein Provinzialkonzil geklärt wissen. Er begründete diesen Schritt damit, dass durch ein Konzil nur neue menschliche Gesetze eingeführt würden, die dem Evangelium die Freiheit raubten. An dieser Auffassung, durch die er u. a. die hessisch-synodalen Reformationsversuche von 1526/27 vereitelte, sollte Luther lebenslang festhalten. Die kirchenordnende Gestalt und lehramtliche Autorität wies er den Superintendenten und dem Instrument der Visitation zu, für deren administrative Umsetzung er den Landesherrn in Dienst nahm, während er den synodalen Elementen – anders als z. B. in Hessen unter dem Einfluss von Bucer in den 1530er Jahren – keinen Raum zubilligte. In seinen Predigten vermittelte Luther der Gemeinde seine kritische Konzilshaltung und wehrte sich gegen die von zahlreichen altgläubigen Bedenkenträgern geäußerte Meinung, nur ein allgemeines Konzil dürfe die entscheidenden Reformschritte umsetzen. Außerdem grundierte er seine kritische und ablehnende Konzilshaltung exegetisch durch das Apostelkonzil und das Konzil von Nicäa, so dass er in dieser Phase die menschlichen Defi zite der altkirchlichen Konzilien betonte. Durch die reichspolitische Forderung nach einem Konzil wurde die von Luther selbst längst aufgegebene Thematik weiterhin verfolgt, und das Konzil als dissimulierender Begriff in die Diskurse um Bündnis und Bekenntnis integriert. Eine neue Phase der politischen Auseinandersetzung begann mit den päpstlichen Konzilsinitiativen, die jetzt vornehmlich die protestantischen Reichsstände zu einem konkreten Verhalten drängten und die die Klärung der Konzilsfra-

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ge nötig werden ließen. Luther, der mit seinen Wittenberger Kollegen um gutachterliche Stellungnahmen durch seinen Landesherrn gebeten wurde, entfaltete zusammen mit Melanchthon eine Strategie, die einerseits einen protestantischen Konzilsboykott, der in der „konfessionsneutralen“ Öffentlichkeit negativ gewertet werden musste, zu vermeiden suchte und andererseits die Konzilsleitung durch den Papst ausschloss. Eine Minderung oder Einschränkung der reformatorischen Lehre durch das Konzil musste vermieden werden, wie es Luther differenziert in seinen Schmalkaldischen Artikeln (1537/38) entfaltete. Neben dem pragmatischen Umgang mit dem Konzilsthema konnte er ein allgemeines Konzil auch als „missionarisches“ Forum werten und es für die Bezeugung und Verbreitung der evangelischen Glaubenslehre akzeptieren. In allen bisweilen ambivalent anmutenden Äußerungen zur Konzilsthematik blieb das entscheidende Kriterium für Luther seine christologisch begründete Ekklesiologie. Im Gegenüber zum Papst, dessen Konzilsausschreibung nach Mantua eine intensive Beschäftigung mit dem Konzilsthema verlangte und Luther zu antipäpstlich-polemischen Schriften veranlasste, entwickelte er in seiner Schrift „Von den Konziliis und Kirchen“ (1539) konkreter als 1520 ein kritisches Konzilsverständnis. Für Luther stand aufgrund seiner Beweisführung durch die jetzt wieder positiv gewerteten altkirchlichen Konzilien fest, dass ein Konzil keine neuen Glaubens- und Sittenlehren aufstellen dürfe, sondern die biblisch bezeugte Wahrheit des christlichen Glaubens verteidigen müsse. Somit schrieb er einem Konzil die produktive Rolle des Gerichtes oder des Konsistoriums zu, durch das Probleme und Irrlehren in der Kirche abgewehrt werden müssten. An seiner realen Konzilserwartung ließ er aber keinen Zweifel: Statt auf ein Konzil zu hoffen, sollten die Pfarrer und Schulmeister als die wahren Konzilien der Christenheit von der Obrigkeit und der Gemeinde unterstützt werden. Auch die Aussagen, die Luther im Umfeld der Konzilsausschreibung nach Trient 1545 tätigte, trugen noch einmal deutlich polemische Züge und unterstützten jetzt publizistisch und stärker als zuvor das politisch-protestantische Konzilsbegehren, indem Luther beispielsweise die einst von ihm selbst in die Diskussion eingebrachte Formel des „freien, christlichen Konzils“ in seiner Schrift „Wider das Papsttum zu Rom“ (1545) entfaltete. Für den Wittenberger Reformator war das nach Trient einberufene Konzil ein zutiefst antichristliches Konzil, welches, so urteilte er, keinerlei Bedeutung für die evangelische Christenheit haben werde. Dass dieses päpstliche Konzil tatsächlich eröffnet wurde, nahm Luther kurz vor seinem Lebensende noch wahr. Dass aber dieses Trienter Konzil die römische Kirche zu einer römisch-katholischen Konfessionskirche formen sollte, indem es Antworten auf die Herausforderungen Luthers und der Reformation zu fi nden suchte, erlebte Luther nicht mehr. Luthers kritische Einstellung zur Institution des Konzils und seine Ableh-

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nung eines päpstlichen Konzils wurzelten in seiner christologisch fundierten Ekklesiologie und rechtfertigungstheologisch zentrierten Theologie. Von dort her entfaltete er seine wirkmächtige Konzeption eines „freien, christlichen Konzils“, die in ihrem Wesen aus der grundlegenden Ausrichtung an der Heiligen Schrift und dem Einwirken des Heiligen Geistes bestand. Ein Konzil hatte für den Reformator in Abgrenzung zum spätmittelalterlich-päpstlichen Konzilsverständnis seine funktionale Berechtigung dann, wenn es der kirchlichen Wahrheitsfi ndung und Lehrvergewisserung in Orientierung am biblischen Christuszeugnis und der Verteidigung der schriftgebundenen Lehre diente. Dieses von Luther entwickelte reformatorische Konzilsverständnis sollte nicht nur zu einer politischen Grundforderung der protestantischen Stände, sondern auch zu einer theologischen Leitformel der evangelischen Bewegung werden. Obwohl sich Luther seit 1521 skeptisch zu konziliaren Elementen im evangelischen Kirchenwesen äußerte und er synodale Strukturen anfangs erfolgreich verhinderte, blieb seine reformatorische Konzilskonzeption präsent und bildete die theologische Grundlage für die Transformation und Indienstnahme von Bezirks- und Diözesansynoden als Versammlungen der Superintendenten und Pfarrer in verschiedenen lutherischen Kirchentümern.1 Folglich boten Luthers vordergründig ambivalente Äußerungen zur Synode bzw. zum Konzil sowohl Ansatzpunkte für konziliar-synodal skeptische Positionen, als auch für konziliar-synodal positive Konkretionen. Eine Stärkung des synodalen Elements durch eine von Luthers Konkretionen graduell zu unterscheidende Entwicklung vollzog sich in den reformierten Kirchen, in denen synodal-(presbyteriale) Strukturen u. a. durch Hyldrych Zwingli, Martin Bucer und später Johannes Calvin kirchenordnende und kirchenleitende Funktionen erhielten. Diesen Konzeptionen lagen eigenständige Konzilskonzeptionen zugrunde, deren Genese und Darstellung eine separate Studie erfordern würde. Im Grundsatz stimmten aber auch sie mit Luthers Konzilsverständnis überein: autoritative Orientierung an der Heiligen Schrift, Wirken des Heiligen Geistes in der gemeindlichen Versammlung und Freiheit von päpstlicher Vormundschaft. Die notwendige Diskussion um eine evangelische Lehre vom Konzil wird sowohl im innerprotestantischen Diskurs als auch im ökumenischen Dialog umso erfolgreicher sein, je reflektierter sie Luthers kritisch-produktive Impulse theologisch rezipiert und ihnen vom Wort Gottes her ekklesiologisches Gewicht verleiht.

1 Beispielsweise kam es im Herzogtum Preußen 1525 zur Einführung von Diözesansynoden für Lehr- und Ordnungsfragen (EKO 4; 35). Auch in Pommern wurden seit 1541/1545 Synoden praktiziert, die 1569 in der Kirchenordnung Eingang fanden (EKO 4; 381 f.; 484–492). Zur Entstehung und Entwicklung von Konsistorialverfassung und Synodalverfassung vgl. z. B. Närger, Synodalwahlsystem, 13–39.

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Register Im Personenregister wurden mit Ausnahme Martin Luthers die historischen Personen und die Autoren, deren Publikationen im vorliegenden Werk diskutiert werden, aufgenommen. Das Sachregister, welches in Kombination mit dem Inhaltsverzeichnis zu lesen ist, verzichtet auf die Wiedergabe nahezu durchgängig aufscheinender Begriffe wie Christus, Kirche, Konzil, Papst oder Wort Gottes.

Bibelstellen Gen 2,18 Gen 16 Gen 16,12 Gen 22,18 Gen 31 f

353 384, 389 384 398 385

Ps 21,17 [22,17] Ps 25,4 [26,4] Ps 39,11 [40,11] Ps 67,31 [68,31] Ps 74,22 Ps 81,8 [82,8] Ps 83,2 [84,2] Ps 88,8 [89,8] Ps 90,5–8 [91,5–8] Ps 110,1 [111,1] Ps 116,11

26 26 26 26 236 27 27 26 f 26 26 f 106

Sach Sach 3,2

395 477

Mt 5,34 Mt 5–7 Mt 7,15 Mt 7,15–20 Mt 7,21 Mt 10,32 Mt 16 Mt 16,18 Mt 17,5

134 376 344 f, 348, 376 374, 381 374 290 73 150, 153 351

Mt 18,15–17 Mt 18,17 Mt 18,20 Mt 19,6 Mt 20,26 Mt 24,4 Mt 28,20

217 f 218 451 200 348 348 55, 144

Mk 16,16

344

Lk 1,52 Lk 2,41–52 Lk 2,42–52 Lk 22,25 Lk 22,32

381 380 387 144 55

Joh 5,19 Joh 6 Joh 10,1–11 Joh 10,3 Joh 10,3–5 Joh 10,5.8 Joh 10,9 Joh 10,27 Joh 12,48 Joh 14,23–27 Joh 16,5–14 Joh 16,12 Joh 16,12 f Joh 16,12–16

143 151 375 f 391 376 348 381 348 432 382 381 381 381 394

614

Register

Joh 16,13 Joh 18,9 Joh 21

55, 381 309 73

Act Act 1,15–26 Act 2 Act 5,29 Act 5,38 f Act 5,41 Act 6 Act 6,1–6 Act 15

Act 15,5–7 Act 15,6 Act 15,7–11 Act 15,7b-11 Act 15,28 Act 15,29 Act 16 Act 16 f

179 387 382 202, 306 314 28 373, 387 387 13, 28, 156, 218, 260 f, 266, 357, 381, 386 f, 389 f, 392, 396, 523, 527 387 218, 226 388 527 521 392 530 389

Röm 12 Röm 13 Röm 14 Röm 14,1 f Röm 14,5 Röm 15,20

428 131 28 28 357 28

I Kor 2,15 I Kor 7,23 I Kor 8,4 I Kor 14 I Kor 14,30 I Kor 15,25

377 225 395 309 266, 307, 344 144

II Kor 10,8

221

Gal 1,1 Gal 1,8 Gal 1,10 Gal 2 Gal 2,11–13 Gal 2,14 Gal 5,1 Gal 5,9

306 58, 228, 260, 265 f 342 87 388 86 f, 106, 266 225 395

Eph 4,16

143

I Thess 5,21

47, 58, 153, 260, 306, 348

I Tim I Tim 3,2 I Tim 4,1–3

395 199 198 f

Tit Tit 1,5–7 Tit 1,6 f

395 263 199

I Petr 2,9 I Petr 2,13.15

209 131

I Joh 4,1 I Joh 5,4 f

260 32

Hebr 5,1 f

106

Jak 1,18

34

Apk 1,5 f Apk 1,9 Apk 5,10

209 327 209

Personen Accolti, Pietro 235 Adam, Alfred 203 Adelmann, Bernhard 77 Adelmann, Konrad 77 Adolf, Bischof von Merseburg 121, 140, 188, 193, 198 Agricola, Johann 140, 244, 253, 462 f, 472–475, 478 Ailly, Petrus von, Kardinal 37, 73 f, 87, 386, 565 Albertus Magnus 55 Alboin 308 Albrecht von Brandenburg-Ansbach, Herzog von Preußen 352, 513 Albrecht von Brandenburg, Erzbischof und Kurfürst von Mainz 41, 52 f, 301, 427, 433, 439, 542 Albrecht von Mansfeld, Graf 305 f Aleander, Hieronymus 239, 272–278, 280–290, 293 f, 301 f, 305, 312 f, 315 f, 318–321, 323, 430 f, 500, 569 Almain, Jacobus 29, 74, 85 Alveldt, Augustin von 193, 197 f, 205, 346 Ambrosius 147, 362, 520 Amsdorf, Nikolaus von 39, 140, 165, 288, 303, 307, 369, 464, 472 f, 478, 487, 489, 561 Anastasius, Bischof von Antiochia 134 Angelus de Clavasio 253 Anonymus von Kremsmünster 214 Antoninus von Florenz 111 Apels, Johann 363 Aquilano, Giambattista Flavio 78 Aristoteles 39, 155, 409 Arius 280, 307, 525, 529 f, 532 Athanasius 26, 304, 515 Auer, Johannes 90 Augustin, Aurelius 39, 58 f, 129 f, 134,

146, 149–153, 155 f, 160, 174, 177, 185, 231, 259–261, 295, 306, 362, 398, 515, 520 f Aurifaber 434 Balan, Petrus 274 Barnabas 385, 388 f, 391 f, 395 Barnes, Robert 450, 459 Barnim, Herzog von Pommern 140 Bauer, Joachim 473, 486 Bauer, Karl 203, 206 Bäumer, Remigius 13, 27, 52 f, 64–66, 93, 98, 102, 104 f, 110, 112 f, 120 Bayer, Christian 251 Becker, Hans-Jürgen 14, 248, 301, 418, 420 Beckmann, Otto 97 Behr, Christoph 101, 108, 246 Bei der Wieden, Susanne 372, 376 Benetus, Cyprian 29 Benzing, Josef 275, 280, 496 Bergomensis, Jacobus Philippus (Foresti von Bergamo) 131 Bernhard von Clairvaux 520 f Bernold von Konstanz 308 Beutel, Albrecht 58, 203 Beyer, Christian 417–419 Beyer, Leonhard 76 Biel, Gabriel 37, 49, 67, 565 Bizer, Ernst 114, 468 f, 471, 479, 487 Blaha, Dagmar 486 Blarer, Ambrosius 487 Bock, Hans 303 Böcking, Eduard 280 Bonaventura 47, 297 Bonifatius VIII., Papst 66, 147 Bornkamm, Heinrich 366 Borth, Wilhelm 120, 289, 292, 295, 301 Brandmüller, Walter 13, 104

616

Register

Brandt, Reinhard 2 Brecht, Martin 45, 68, 100, 243, 468, 498 Breitenbach, Georg von 511 Brenner, Oskar 325, 364, 366, 444, 463, 507–509 Brenz, Johannes 487 Briaerde, Lambert von 431 f, 440 Brieger, Theodor 31, 274 Brockmann, Thomas 15, 65, 104, 162, 380, 387, 390, 393, 498, 523, 527 Brück, Gregor 274, 282 f, 369, 402 f, 417 f, 420, 446, 456–458, 460, 464, 469 f, 472, 478 f, 484, 486 f, 510, 512 f Bubenheimer, Ulrich 98 Bucer, Martin 15, 225, 407, 440, 457, 487, 490, 510–513, 542 f, 545, 547 f, 552 f, 560, 570, 572 Buckwalter, Stephen E. 197 Bugenhagen, Johannes (Pomeranus) 414, 429, 433, 447, 450, 458, 464 f, 470, 474, 478 f, 482, 484, 488 f, 508 Cahera, Gallus 356 Cajetan (Thomas de Vio), Kardinal 24, 29, 45, 68–86, 88–91, 95–100, 107, 110, 112, 114, 125, 170, 235, 252, 292, 296, 566 Calvin, Johannes 572 Camerarius, Joachim 440 Campeggio, Lorenzo, Kardinal 364, 476, 500 Capito, Wolfgang 166, 457 Caracciolo, Marino 273, 289, 312 Carion, Johannes 515 Cassiodor 130, 309, 515 Catharinus, Ambrosius 267, 346 Cellarius, Johann 166 Cervini, Marcello 561 Chieregati, Francesco 321, 360 Chrysostomus 495, 520 Cleen, Dietrich von 303 Clemen, Otto 30, 167 f, 203, 444, 463, 473, 478 Clemens V., Papst 59 f, 158 Clemens VI., Papst 45, 75, 79, 81 Clemens VII., Papst 280, 282, 322, 364, 411, 425 f, 430 f, 444 f

Cochläus, Johannes 307, 309 f, 450, 491, 494, 496, 505 Coelius, Michael 563 Cohrs, Ferdinand 507–509 Contarini, Gasparo, Kardinal 505, 548 Corvinus, Antonius 493, 498 Crabbe, Peter 514, 528 Cranach, Lukas 314 Croy, Wilhelm von 277 Cruciger, Capar 244, 375, 458, 464, 474 f, 478, 487, 544 Cuspinian, Johannes 291 Cyprian, Bischof von Karthago 129–131, 134, 144, 160, 171, 362, 515 Cyrill 135 Damasus I., Papst 135 Decius, Philippus 29 Delius, Hans-Ulrich 130, 308, 507, 509 Delius, Walter 77, 228 Dietrich, Veit 475, 487, 491, 499, 563 Dölsch, Johannes 39, 240 f Dungersheim, Hieronymus 129–131, 189, 515 Duns Scotus 297 Durand, Guillaume, Bischof von Mende 33 Ebeling, Gerhard 79, 294, 297, 450 Ebneter, Albrecht 9, 139, 325, 364 Eck, Johannes 5, 44, 46, 52, 68, 115 f, 121–129, 133, 138–162, 164–169, 171, 174–179, 187, 205, 223, 228–233, 235, 238–243, 245, 253, 266, 282, 293 f, 320, 548, 566–568 Ecken, Johann von der 289 f, 292–294, 297–299, 307, 324 Edwards Jr., Mark U. 415 Ehses, Stephan 7, 97, 248 Eltz, Erwein 550 Emser, Hieronymus 164, 175, 178 f, 188, 253, 308, 344, 346, 361, 371 Erasmus von Rotterdam 241, 310 Ernst I., Herzog von Lüneburg 440, 448 Euagrios von Antiochia 172 Eugen IV., Papst 49, 75 f, 83, 145, 218, 442 Eulogius von Alexandria 134

Personen

Eusebius von Caesarea 130, 135, 515 Eustathius von Antiochia 136 Eustathius von Sebaste 493 Eutyches 398, 529 f Faber, Johannes 279 f Fabisch, Peter 14, 113 Fabri, Johann, Bischof von Wien 351, 361 Fachs, Ludwig 510 f Feige, Johann 510 Feilitzsch, Fabian von 119, 244, 251, 269 Feilitzsch, Philipp von 77, 79, 288, 314 Ferdinand I., Erzherzog von Österreich, römischer König 365, 415 f, 426, 432, 460, 511, 545, 557, 560 Ferreri, Zacharias 29, 73 Florentinus, Antonius 515 Franz I., König von Frankreich 84, 440, 509, 551 f Fregosos, Baptist 111 Friedrich II., Kurfürst von der Pfalz 548 Friedrich III. (der Weise), Kurfürst von Sachsen 57, 70–72, 77, 98–100, 110, 117 f, 120, 188, 222, 235, 240, 243, 252, 257, 274, 278 f, 281, 303, 314– 316, 318, 324, 342, 359–361, 363, 384, 401 Fröschel, Sebastian 164 Fuchs, Thomas 139, 148 Führer, Werner 456, 471 f, 475, 490, 502 Fürstenberg, Philipp 294 Gamaliel 314 Ganzer, Klaus 543 Gattinara, Mercurino Arborio di 280, 289 Georg, Fürst von Anhalt 563 Georg, Herzog von Sachsen 122–124, 140–142, 153, 164, 178, 187–189, 239, 266, 278, 282, 303, 318, 334, 343, 359, 367, 432, 439, 443, 491, 511 Georg, Markgraf von BrandenburgAnsbach 416, 440, 445 f, 456, 458 Georg von Wertheim 303 Gerson, Johannes 37, 65, 68, 73 f, 82, 84 f, 95, 149, 156, 565 Ghinucci, Hieronymus 53

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Glapion, Jean 274, 286, 289 Göde, Hennig 251 Goertz, Harald 210 Gonzaga, Federigo, Herzog 497 Gozzadini, Johannes 29 Grane, Leif 117, 133, 139 Granvella, Nikolaus Perrenot de 548 Grass, Hans 186 Gratian 63, 195, 520 Greffenstein, Johannes 311 Gregor I., Papst 126, 133 f, 170, 362, 516 Gregor VII., Papst 308 Gregor IX., Papst 61 f, 87, 134 Gregor von Armini 155 f Gregor von Nazianz 148, 528 Greiffenklau, Richard von, Erzbischof und Kurfürst von Trier 120, 302, 307, 313 Gropper, Johannes 547 f Grunenberg, Johann 109, 188 Günther, Franz 175 Haar, Johann 31 Habermas, Jürgen 41 Hadrian VI., Papst 321, 359 f, 501 Härle, Wilfried 450 Haug-Moritz, Gabriele 468, 481 Hauschild, Wolf-Dieter 2 Hausmann, Nikolaus 352, 356, 400, 402, 433 f, 436, 461 Heckel, Johannes 10, 27 Heinrich, Meister 447 Heinrich II., Herzog von BraunschweigWolfenbüttel 545 f Heinrich VIII., König von England 344 f, 450, 499, 552 Held, Matthias 485 f Hendrix, Scott H. 110–114 Hennig, Gerhard 69, 75, 78 Hieronymus 58 f, 63, 172, 260, 295, 362, 502, 520 Hieronymus de Croaria 148, 153 Hieronymus von Prag 229–232, 236, 283 f, 555 Hilarius 362, 515, 523 Hirschfeld, Bernhard von 288 Hispanus, Johannes 235 Hochstraten, Jakob von 127

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Register

Hoffmeister, Johannes 505 Hofmann, Karl 272, 275, 280, 284 Holl, Karl 7, 210, 223, 403 Honorius II., Papst 147 Horst, Ulrich 56 Huber, Wolfgang 2 Hungold von Einsiedel 244 Hus, Jan 42, 147 f, 151, 155, 161, 164, 169, 173 f, 177, 187, 193, 228–233, 236 f, 266 f, 282–285, 293, 298, 305 f, 309, 311, 317, 462 f, 480, 492, 498, 555 Immenkötter, Herbert 13 Innozenz I., Papst 146 Isenburg, Diether von, Erzbischof und Kurfürst von Mainz 98 Iserloh, Erwin 14, 39, 98, 110, 113 Jacobazzi, Dominicus 29 Jakobus 86, 156, 388 f, 392, 527 Jedin, Hubert 8, 234, 280, 325, 415, 424, 447, 486, 498 Joachim I., Fürst von Anhalt 439, 538 Joachim I., Kurfürst von Brandenburg 142, 175, 300, 303, 307, 318 Joachim II., Kurfürst von Brandenburg 491, 510, 547 Johann (der Beständige), Kurfürst von Sachsen 207, 240, 278, 288, 401 f, 404, 416, 419, 424, 429 Johann Friedrich I. (der Großmütige), Kurfürst von Sachsen 402, 427, 429 f, 432, 439, 446, 448, 456 f, 460, 464, 468 f, 472, 474, 478 f, 481, 484, 486, 490 f, 499, 537, 544, 562 Johann VII. von Schleinitz, Bischof von Meißen 188 f Johann, Fürst von Anhalt 439 Johannes 59 Johannes XXIII., Papst 9, 459 Jonas, Justus 288, 303, 351, 422, 429, 434, 457, 464, 478, 508, 514, 538, 563 Joseph 307 Judas 310 Julius I., Papst 135, 146 Julius II., Papst 50, 66, 73 f, 94 f, 238, 242, 246, 250 Junghans, Helmar 469, 490

Justinian II., Kaiser 146 Kähler, Ernst 126 Kalkoff, Paul 53, 234, 274 f, 279 f, 290, 316 Kantzenbach, Friedrich Wilhelm 9 Karl der Große, Kaiser 516, 521 Karl III., Herzog von Savoyen 389 Karl V., Kaiser 120, 198, 220, 239, 241, 248, 273, 275, 280, 285, 288, 299 f, 314–318, 320, 359, 366, 411, 417 f, 420, 424, 426, 430 f, 442, 462, 500, 509, 511, 535 f, 540 f, 544, 549, 551 f, 554, 557 f, 561 f Karlowitz, Georg von 456, 510–513, 520 Karlstadt, Andreas Bodenstein von 39, 90, 98, 121–126, 140–142, 147 f, 167 f, 223, 240–242, 250, 333, 339 f, 342, 356 Kastning, Wieland 132 Kling, Melchior 458 Klochtzer, Valentin 244 Kluege, Thomas 244 Knaake, Joachim Karl Friedrich 31 Kochel, Johann 140 Köhler, Walther 7, 50 f, 126, 129, 152, 169, 191, 203, 223, 272, 308 Kohlmeyer, Ernst 203, 222–224 Kohls, Ernst-Wilhelm 310 Kohnle, Armin 52, 241, 423, 426 Kolde, Theodor 6 f, 31, 92, 130, 234, 250, 271, 280, 445 Kolumbe, Greta 34 Konstantin, Kaiser 127, 219, 220 Krafft, Adam 487 Krarup, Martin 210, 357 Krumwiede, Hans-Walter 403 Kuhaupt, Georg 517 Kunigunder, Gallus 90 Kymäus, Johann 493 f Lambert, Franz (von Avignon) 406 f Lang, Johann 41, 122, 205, 251 Lang, Matthäus, Kardinal und Erzbischof von Salzburg 277 Lange, Johann (von Löwenberg) 142 Langenmantel, Christoph 77 Latomus, Jacobus ( Jacques Masson) 328

Personen

Lauterbach, Anton 545 Leo I., Papst 146 Leo X., Papst 43, 46, 51–53, 71, 74, 84 f, 91, 95, 97, 99, 105, 107, 117, 119, 127, 184, 234, 242 f, 246 f, 249, 252, 282, 435 Leppin, Volker 11, 428, 470 Link, Wenzeslaus 44, 77, 97, 109 f, 224, 368 f Lohse, Bernhard 26, 57, 113 f, 133, 185, 295 Lombardus, Petrus 25 f, 37, 128, 151, 520 Löscher, Valentin Ernst 129 Ludolphy, Ingetraut 100 Ludwig V., Kurfürst von der Pfalz 427 Lüpke, Johannes von 30, 35 Lutz, Heinrich 300, 312 Macedonius 529 f Maior, Johannes 29, 85, 218 Major, Georg 562 Maler, Matthes 374 Marcellus I., Papst 146 Marcian, Kaiser 398 Margarethe von Braunschweig-Lüneburg 185 Maria 49, 87, 307, 380, 398 Martin V., Papst 94 Mascov, Georg 30 f Matthias, Apostel 387 Maximilian I., Kaiser 71, 118, 182, 274, 275, 277 Mecum, Friedrich 403 Medici, Giulio de, Kardinal (→ Clemens VII.) 282, 312 Medici, Rafael de, Nuntius 276, 279 Meinhold, Peter 9 Melanchthon, Philipp 15, 37, 68, 131, 140, 165–167, 191, 196, 206, 210, 244 f, 253, 328, 333–339, 369, 403, 414 f, 419–421, 433 f, 437–441, 446, 450, 457–459, 461, 464, 466 f, 477– 482, 484–491, 499 f, 502, 505, 508, 510–514, 533, 542, 544 f, 548, 552, 562, 571 Menius, Justus 403 Merlin, Jakob 514 Metzsch, Hans 403, 447

619

Mies, Jakob von 187 Miltitz, Karl von 53, 117–119, 122, 242 f, 302 Montanus 336 Monte, Giovan Maria Ciocchi del 561 Mörke, Olaf 17 Morone, Giovanni 505 Mosellanus, Petrus 141, 165 Müller, Gerhard 29, 364, 424, 434 Müntzer, Thomas 356, 366 Myconius, Friedrich 490, 513 Nauclerus, Johannes 131, 515 Nestorius 280, 398, 529 f Nikolaus von Kues 150 Nörr, Knut-Wolfgang 87 Oberman, Heiko Augustinus 53, 56, 405 Ockham, Wilhelm von 37, 66, 87, 152, 220, 336 Oekolampad, Johannes 165 Oftestad, Bernt Torvild 390 Ölhafen, Sixtus 291, 299 Osiander, Andreas 352, 440, 487 Ossa, Melchior von 511 Pack, Otto von 367 Paläologus, Johannes, Kaiser von Konstantinopel 283 Panormitanus → Nikolaus von Tudeschi Paphnutius 308 f, 378, 451, 453, 522 Papiß, Hieronymus 101 Pappenheim, Ulrich von 288 Paschalis II., Papst 134 Paul III., Papst 411, 445, 454, 456, 463, 466, 482, 491, 494, 497, 499 f, 502, 540, 550 f, 554 Pauli, Benedikt 403 Paulus 58 f, 87 f, 106, 109, 155 f, 174, 198, 225, 228, 231, 236, 265 f, 306, 309, 341, 353, 385, 388 f, 391–395, 428, 451 Paulus, Nikolaus 42, 316 Pelikan, Jaroslav 9, 139, 536 Perusco, Marius de 53 Petrus 55, 58, 73, 86–88, 106, 126, 132, 134, 147, 155–157, 214, 218, 226, 236, 260 f, 279, 343, 385, 388 f, 391–393, 395 f, 527, 530, 534

620

Register

Petzensteiner, Johann 288 Peutinger, Konrad 77, 293, 298, 303, 310–312 Pfeffi nger, Degenhart 57 Pflug, Cäsar 140 Pflug, Julius 165, 491, 511, 548 Philipp von der Pfalz, Bischof von Freising 542 Philipp, Landgraf von Hessen 399, 406 f, 416, 428 f, 456, 467, 474, 488, 499, 537, 542–544, 546 Pirkheimer, Wilibald 125 f Pisanis, Bernardus 147 Pistoris, Simon 141, 511 Pistorius, Johann 548 Pius II., Papst 94, 188, 196, 238, 242, 246, 248, 250 Planitz, Christoph von der 403 Planitz, Hans von der 140, 321, 350, 359 f, 363, 405 f Platina, Bartholomeus 130, 196, 515 Pockmann, Johann 244 Poggius, Johannes Franciscus 29 Poliander, Johannes 387 Preuss, Hans 295 Prierias (Silvester Mazzolini) 51–62, 64– 68, 73, 83 f, 89, 95, 114, 176, 206, 208, 214, 308, 452, 566 Quentel, Peter 514 Ramminger, Melchior 374 Rangoni, Ugo, Bischof von Reggio 431 f, 440 Rhegius, Urbanus 440, 448, 487 Richard von St. Victor 150 Richenthal, Ulrich von 474 Rörer, Georg 40, 371 f, 381 f, 384, 389 f, 481 Roth, Stephan 374–376, 382, 384 f, 387, 389–392, 394 Rubeanus, Crotus 206 Rufi nus 130, 135, 515 Rühel, Johann 77–79 Sabellicus, Marc Antonius 131 Sadoleto, Jacopo 500 Salzmann, Pankraz 416

Schäfer, Ernst 7, 62, 129, 131, 494 Schaumberg, Silvester von 206 Scheurl, Christoph 44, 78, 97, 111, 125 Schmiedberg, Heinrich 244 Schmoll, Heike 40 Schneider-Ludorff, Gury 403, 406 Schnepf, Erhard 487 Schott, Hans 288 Schubert, Hans von 138, 272 Schulz, Hieronymus, Bischof von Brandenburg 45, 303 Schumann, Valentin 189 Schurf, Hieronymus 41, 62, 197, 251, 290, 303, 307, 309, 360, 458 Schwarz, Reinhard 53, 203, 290 Schwarzenberg, Johann Freiherr von 321, 535 Seils, Martin 9 Selge, Kurt-Victor 10 f, 38, 42, 56, 64 f, 82 f, 86 f, 96, 105 f, 117, 127, 138, 148, 293–296 Seneca 458 Seydeller, Jakob 244 Sickingen, Franz von 206, 314 f Sieben, Hermann Josef 13, 64, 325, 523 Siegmund, Herzog von Tirol 90 Siegmund, Kaiser 188, 229–231, 284, 300, 317, 320 Silvester I., Papst 126 f Sixtus IV., Papst 48, 81 Skalweit, Stephan 290 Sokrates 130, 309 Sozomenos 130, 309 Spalatin, Georg 57 f, 71, 77 f, 81–83, 85, 90 f, 96–100, 109–111, 119, 127–129, 134, 166–168, 173, 185, 190, 204 f, 207, 210 f, 234, 241, 243, 248, 252 f, 257, 284, 286, 291, 306, 313 f, 318, 327, 365, 427, 431–433, 439 f, 448– 450, 473, 478, 496 Spengler, Lazarus 245, 298 Stadion, Christoph von, Bischof von Augsburg 303 Stange, Carl 7, 51 Staupitz, Johann von 46, 77–79, 97, 101, 127, 311 Stehelin, Wolfgang 251 Steinbeiß, Wenzel 90

Personen

Stephan I., Papst 171 Stetner, Leonhard 416 Strauß, Jakob 402 Stupperich, Robert 7 f, 93, 434 Sturm, Jakob 488 Sturm, Kaspar 288 Suaven, Peter von 288 Taubenheim, Hans von 244, 403 Tecklenburg Johns, Christa 9 f, 16, 17, 51, 61 f, 93, 105, 113 f, 222, 248, 308 f, 354, 415, 506, 524, 540 Tetzel, Johann 42–46, 52–53, 89, 114 Theodoret, Bischof von Kyrrhos 130, 515 Theodosius der Jüngere, Kaiser 398 Thomas de Vio → Cajetan Thomas von Aquin 47, 54 f, 59, 81, 297 Thomas, Jules 85, 90, 98 Thun, Friedrich 288, 314 Torquemada, Juan de 49, 54, 73, 95 Treu, Martin 40 Trutebul, Ludwig 374 Trutfetter, Jodocus 59 Tudeschi, Nikolaus von (Panormitanus), Erzbischof von Palermo 37, 61–64, 66 f, 87 f, 95, 114, 134, 149, 152, 161, 172, 177, 265, 295, 565 f Tunstal, Cuthbert 275–277 Ugoni, Matthias 29 Ulrich von Hutten 206, 276, 279, 282, 496 Urban IV., Papst 158 Urbanus von Serralonga 77, 96 Usingen, Bartholomäus Arnoldi von 379 Utzmair, Bartholomäus 90 Valla, Laurentius 496 Vallombrosa, Angelo 29 Vehus, Hieronymus 303 f, 306, 310–312 Vergerio, Pietro Paolo 445–447, 495

621

Verpoortenn, Albert Meno 30 Virck, Hans 456 Viterbo, Ägidius von 253 Voigt, Johann 211 Volkmar, Christoph 188 f Volta, Gabriel della (Venetus) 52 Volz, Hans 39, 441, 464 f, 468, 487 Vorst, Peter van der, Bischof von Acqui 461, 481 f, 486 Walch, Johann Georg 42, 245, 433, 441, 482 Weeze, Johann von 510 Werlich, Hans (Hans von Erfurt) 276 Wessobrunn, Kaspar von 123 Wieck, Johann von der 203 Wilhelm V., Herzog von Jülich-KleveBerg 550 Wimpfeling, Jakob 277 Wimpina, Konrad 42 Winkelmann, Friedrich 308 Witzel, Georg 491, 505, 510–512, 548 Wohlfeil, Rainer 41, 289, 301, 316 Wohlmuth, Josef 323 Wolff, Jens 541 Wolfgang, Fürst von Anhalt 416 Wolgast, Eike 14, 414, 433 f, 439, 448, 457, 466, 468, 473, 487, 491 Wolter, Hans 300 Wrede, Adolf 321 Wyclif, John 42, 143, 147 f, 161, 193, 233, 285, 293, 298 Zachäus 304 Zack, Johannes 178 Zinngießer, Johannes 123 Zschoch, Helmut 328 Zütphen, Heinrich von 366 zur Mühlen, Karl-Heinz 519, 543 Zwilling, Gabriel 339, 344, 478 Zwingli, Huldrych 405, 572

Orte und Länder Afrika 129, 134 Ägypten 135 Alexandrien 135, 532 Allstedt 356 Altenburg 118 f, 344, 355, 473, 479 Altenstein 315 Anhalt 419 Antwerpen 239, 328 Arnstadt 479 Augsburg 57, 69 f, 72, 76 f, 89–91, 96–98, 100, 107, 122, 276, 280, 293, 296, 366, 368, 374, 390, 418, 464, 474, 487, 496 Avignon 111 Babylon 563 Bamberg 244 Basel 83, 231 Berlin 433 Böhmen 188 Bologna 430 f, 549 Borna 342, 355 Brandenburg 23, 30 f, 45, 239, 244, 542 Brandenburg-Ansbach 419, 481 Braunschweig 499, 545 Braunschweig-Lüneburg 419 Bremen 366 Chalcedon 398, 529, 558 Coburg 421 Colmar 505 Crépy 551 Dänemark 481 Dessau 439 Deutschland 57, 70, 72, 118, 120, 228, 235 f, 272, 276 f, 431, 436, 445, 458, 482, 501, 504, 535 f, 548, 555 f, 557, 559, 570

Dresden 432 Eilenburg 244 f Einbeck 545 Eisenach 402 f, 467 Eisenberg 479 Eisleben 243 f, 463, 473, 563 England 431, 499 Ephesus 398, 529, 558 Erfurt 37 f, 62, 141, 288, 378 f Famagosta 29 Ferrara 49, 442, 549 Florenz 442 Frankfurt am Main 120, 294, 303, 314, 510, 537 Frankfurt an der Oder 42 Frankreich 335, 372, 431, 445, 461, 481, 541, 550 f, 557 f Friedberg 314 Gangra 405, 493, 494 Geyer 244 Goslar 545 Gotha 403 Griechenland 126 Grimma 479 Hagenau 543 Halberstadt 244 Halle 433 Heilbronn 417 Hessen 406 f, 419, 481, 493, 570 Homberg 399 Ingolstadt 44 Isny 417 Italien 485

624

Register

Jena 395 Jerusalem 135, 385, 387, 389, 435, 526, 530 Jülich 542 Jüterbog 87, 175 Kapernaum 304 Karthago 171 Kempten 417 Köln 127, 248, 253, 274, 321, 350, 427, 514 Konstantinopel 135, 146, 177, 398, 529, 558 Konstanz 98, 101, 151, 165, 170, 173, 228, 230–232, 266, 283 f, 294, 298, 300, 308, 317, 321, 351, 392, 417, 443, 453, 462, 556, 567 f Kurpfalz 542 Kursachsen 101, 318, 355 f, 358, 365, 400, 404, 407, 419, 429, 458, 461, 479, 481, 488, 546 Laon 551 Leiden 515 Leipzig 67, 111, 121–124, 137 f, 140, 144, 148, 160–163, 166, 169, 171, 175 f, 179, 189, 231, 239, 244, 266, 282, 288, 334, 491, 496, 499, 509, 511, 568 f Leisnig 349 Leitmeritz 178 Leitzkau 30 f Lichtenburg 242 Lindau 417 Löwen 239, 253, 273, 332 Lüttich 239, 273 Lyon 298 Magdeburg 42, 473 Mainz 127, 321, 350, 427 Mantua 412, 431, 450, 454, 460, 462, 479 f, 485, 494, 496, 498, 501–503, 549, 571 Meißen 239, 244 Memmingen 417 Merseburg 239, 244 Metz 321, 350, 427 Minden 510 Münster 493

Naumburg 244 Neuendorf 244 Nicäa 129, 144–146, 160, 177, 226, 394, 405, 451, 525, 527–529, 535, 558, 568 Niederlande 372 Nordhausen 481 Nördlingen 417 Nürnberg 44, 76, 91, 111, 298, 321, 343, 350, 352, 363–365, 369, 417, 419, 426 f, 440, 462, 481, 497, 501, 511, 515, 541, 563 Oppenheim 314 Orlamünde an der Saale 356 Padua 500 Palermo 62, 134 Palo 282 Paphlagonien 493 Paris 141, 332, 335, 337, 514 Patmos 327 Piacenza 417, 431, 549 Pisa 73, 94, 442 Polen 94, 98 Polling 123 Pommern 572 Pontus 398 Prag 178, 446 Preußen 352, 572 Prierio 52 Regensburg 426, 543, 562 Reutlingen 417, 419 Rom 46, 52–54, 57, 69, 71, 99, 110 f, 118, 135 f, 172, 191, 203–205, 208, 223, 235, 238, 253, 259, 269, 272, 274, 276, 278 f, 280, 281 f, 286, 364, 435, 440, 480, 482, 498, 554, 556 Sachsen 239 f, 404, 511, 537, 568 Salzburg 119, 120, 278 Sankt Gallen 417 Schmalkalden 440, 463 f, 469, 478 f, 481 f, 485–487, 489–491, 509, 513 Schweinfurt 426 f Schweiz 405 Sizilien 134 Skandinavien 372

Orte und Länder

Spanien 445 Speyer 322, 364–366, 368, 416, 418, 466, 550, 560 Stolpen 188, 190 f Straßburg 321, 350, 365, 407, 417, 427, 496, 563 Tabor 187 Theben 179 Thüringen 402 f Torgau 355, 419, 479 Trient 413, 540, 549–554, 561, 563, 571 Trier 120, 127 Tübingen 17 Ulm 417 Venedig 94, 111, 500 Vicenza 499–502, 508 Waltershausen 479

625

Wartburg 315 Weimar 76, 288, 378 f, 403, 432, 436, 479, 481 Weißenburg 417 Wien 432, 445 Windesheim 417 Wittenberg 23, 25, 31, 39, 42, 76, 97– 101, 110 f, 140, 148, 166, 241, 244 f, 251, 253, 288, 314, 327, 334, 339, 341 f, 352 f, 361, 371 f, 375, 381, 395, 406, 433, 439, 447, 450, 457 f, 461, 463 f, 473, 479 f, 491 f, 495–497, 500, 509 Worms, 256, 257, 271–273, 275–280, 285–288, 295 f, 308 f, 313, 315 f, 319– 325, 345, 360, 366, 543–545, 561, 570 Zeitz 240, 244 f Ziesar 31 Zürich 406 Zwickau 244, 355 f

Sachen Abendmahl 184 f, 190, 194, 262, 316, 339, 347, 351 f, 395, 443 f, 470, 487, 547, 568 Abendmahlslehre 310 Abendmahlssakrament 194 Abendmahlsstreit 398, 405 Aberglaube 204, 516 Ablass 18, 23, 39–41, 43–45, 54, 57, 60 f, 75, 81, 121 f, 142, 158 f, 176, 237, 262, 264, 557 Ablassbulle 81, 118 Ablassfrage 61, 69, 119, 123 Ablasskritik 42, 91 Ablasslehre 40, 43, 51, 75, 125 Ablasspraxis 40, 57, 107 Ablassstreit 18, 39 f, 42, 107, 122, 263, 565 Ablasstheologie 91 Ablassthesen 42, 81, 111, 121 f, 126, 138, 567 Acht → Reichsacht Achtmandat (kaiserliches) 275, 301, 315, 318 allgemeines Priestertum → Priestertum Alte Kirche 1, 115, 117, 126 f, 132 f, 135, 160, 165, 171, 218, 305, 308, 337 f, 358, 398, 512, 519, 522, 524, 546 Ältestenamt 407 Amt 209, 224, 347 – bischöfl iches 262 f – der Wortverkündigung 341 – geistliches 376, 477 – kirchliches 6 – weltliches 210, 226 Amtsführung 66, 112 Amtsgewalt – kirchliche 57, 539 – päpstliche 95

Amtsverständnis der römischen Kirche 376 Amtskirche (römische) 346 Antichrist 109, 128, 198, 211, 214, 221, 243, 247, 257, 262, 337, 346, 451, 459, 493 Aposteldekret 389, 392 Apostelkonvent (Act 6) 373, 387 Apostelkonzil (Act 15) 15, 28, 37, 86, 156, 226, 260, 266, 268, 329 f, 337 f, 357, 373, 383, 385–396, 435, 521, 526 f, 529, 565, 570 – Fallibilität des 380 – Verhandlungen des 392 Apostolicum → Glaubensbekenntnis Archidiakonatssynode 31 Augsburger Bekenntnis → Confessio Augustana Augsburger Reichstag → Reichstag Augustiner-Eremit(en) 141, 339, 505 Augustiner-Eremitenorden 52 f, 235 Autorität 45, 56, 60, 81, 87, 104 f, 113, 136, 155, 259, 265, 279, 323 f, 354 f, 375, 450, 473, 522, 531, 568 – apostolische 38, 131, 451 – der Bannandrohungsbulle 239 – der Bibel 538 – der Bischöfe 351 – der Christenheit 106, 299 – der christlichen Kirche 303 – der ersten Kirche 160, 390 – der Heiligen Schrift 47, 56, 59, 65, 68, 87, 117, 133, 138, 149, 157, 172, 259, 410, 521, 569 – der Kanones 59, 107 – der Kirche 138, 158, 307 – der Kirchenväter 65, 261, 517 – der kirchlichen Institution / Instanzen 41, 303

628

Register

– der Konzilsentscheide / -dekrete 60, 137, 382 – der römischen Kirche / Kurie 134, 240 – des Evangeliums 374 – des Konstanzer Konzils → Konzil von Konstanz – des Konzils / der Konzilien 2, 4, 18 f, 45, 51, 64, 70, 88 f, 93–95, 112 f, 134, 138, 144, 150, 152, 154 f, 158, 161– 163, 165–167, 169–172, 174, 178, 183, 192, 196 f, 235, 265–267, 269, 293 f, 299 f, 322, 330, 336, 351, 378, 386, 394, 449–451, 483, 506, 517, 520 f, 529 f, 562, 567, 569 – des Konzils von Nicäa → Konzil von Nicäa – des Panormitanus 63, 265 – des Papstamtes 40, 83 – des Papstes 38, 41–43, 48, 51, 58, 69, 73, 95, 98, 106, 114, 134 f, 146, 150, 171, 281, 425, 550, 566 – des Papsttums 69, 105, 149 – des Wortes Gottes 108, 177, 181 – eines Nationalkonzils 542 – eines Schiedsgerichts 123 – göttliche 89, 569 – kirchliche 24, 40, 42, 44, 54, 57, 60, 80, 89, 147, 162, 262, 297, 313, 329, 341, – kirchenleitende 408 – konziliare 264, 530 – lehramtliche 570 – Luthers 355, 414, 472 – päpstliche 46, 48,162, 272, 544 – patristische 59 – theologische 470 – von Papst und Konzil 38 Autoritäten 13, 44, 69, 82, 87, 160, 229, 255, 296, 379, 396, 566 f – der römischen Kirche 4 – kirchliche 18, 29, 40, 47, 52, 58, 62, 65, 68 f, 89, 142, 149 f, 172–174, 177, 228 f, 258, 260, 267, 272, 296 f, 331, 335 f, 340 f, 343, 345, 353, 379 – menschliche 261, 310 – papstkirchliche 374 Autoritätenkanon (kirchlicher) 24

Basler Konzil → Konzil von Basel Bauernkrieg 358, 366 f, 398, 400 Bekenntnis 171, 295, 323, 411, 471, 488, 503 – evangelisches 542 – Hus’ 463 – lutherisches 490 – Luthers 293, 410 – öffentliches 119 – protestantisches 411, 423 – Bündnis und 570 – zum Konzil 89 – zur römischen Kirche 119 Bekenntnisbildung 418 Bekenntnispolitik 20, 367 Bekenntnisschrift 468, 471 Bekenntnissituation 296, 411 Bezirkssynode 407, 572 Bibel 17, 40, 88, 155, 229, 259 f, 265, 304, 311, 313, 328 f, 363, 451 f, 480, 521 f, 530, 538 Bischofsamt 262 Böhmen 51, 147–149, 153, 167, 178 f, 188, 190–194, 197, 204, 236 f, 262, 282, 356 f, 437, 462 Braunschweiger Bundestag → Bundestag Bücherzensur 483 Bündnis 490 – konfessionelles 411 – politisches 322, 411 – und Bekenntnis 570 Bündnispläne (militärische) 467 Bündnispolitik 14, 20, 423 – defensive 429 – evangelische 367, 423 – kursächsische 432 – Schmalkaldener 414 Bundesstände 485, 488 Bundestag (des Schmalkaldischen Bundes) – von Schmalkalden (1533) 433, 439 f – von Schmalkalden (1537) 412, 455, 463, 467, 469, 472, 474, 479, 481 f, 484, 491, 503 – von Braunschweig (1538) 499 – von Frankfurt (1539) 509 f Buße 82, 122, 142, 160, 171, 185, 477 Bußlehre 41, 125

Sachen

Bußstrafen 41, 552 Bußsakrament 75 f, 81, 237 Bußleistung 201 Causa Lutheri 4, 14, 52 f, 57, 71 f, 92, 287 Chalcedonense → Konzil von Chalcedon Christologie 398, 528 concilium → Konzil Confessio Augustana 418 f, 421, 427–429, 437, 487–490 Confutatio 422 Corpus Iuris Canonici 128, 130, 253, 515 Dekalog 207 deutsche Nation 215, 222 f, 236, 277, 284, 292, 316 f, 320 f, 350, 361, 364, 415, 427, 431 f, 544, 549 f deutsches Reich 4, 183, 318, 532, 549 Diözesansynode 1, 30 f, 32, 33, 35, 36, 565, 572 – Brandenburger 31 – Freisinger 33 – mittelalterliche 2 Dominikaner 29, 42, 46, 49, 52 f, 57 f, 61, 73 f, 76, 82, 85, 95, 141, 280 Dominikanerorden 73 Ekklesiologie 6, 26, 52, 56, 67, 227, 230, 346, 453, 566, 572 – Ecks 143 – Luthers 68, 143, 267, 571 f – papale 56, 58, 67, 74, 76, 566 – reformatorische 68, 346, 538, 546 Engel 177, 194, 199, 228 f, 265, 344, 353, 435, 477, 504, 519 Erbsünde 39 Evangelium 34–36, 65, 79, 90, 106, 112 f, 126, 133–136, 178 f, 209, 211, 225, 233, 252, 260, 262 f, 296, 307, 315, 321, 331 f, 334, 337 f, 340, 342–345, 347 f, 350, 352 f, 356, 358, 361 f, 371, 374–377, 379, 381, 384 f, 389, 391 f, 402, 407 f, 425, 427 f, 449, 459 f, 477, 480, 493, 504 f, 532, 536 f, 565, 568, 570 Evangelien 34, 157, 170, 521 Exkommunikation 75, 79, 83, 94, 100 – Luthers 273

629

Fallibilität 61, 388 – der Menschen 87 – des Apostelkonzils 380 – des Konzils / der Konzilien 27, 56, 63 f, 152, 158, 164, 299 – konziliare 64, 548 – päpstliche 105 f – von Konzilsentscheidungen 298 Fegefeuer 48, 75 f, 122, 142, 157, 193, 283, 442, 557 Fehlbarkeit 64 – des Konzils / der Konzilien 28, 139, 170 f, 174 – päpstliche 105 Florentiner Konzil → Konzil von Florenz Frankfurter Anstand (1539) 510 f, 536, 541 Frankfurter Bundestag → Bundestag Freiheit 214, 224–226, 248, 401, 570 – christliche 47, 59, 174, 194, 225, 264, 338, 351, 358 – der griechischen Priester 197 – der Heiligen Schrift 556 – der Kirche 236 – des allgemeinen Konzils 223 – des Geistes 261 – des Gewissens 390, 394 – des Glaubens 342 – eines Christenmenschen 225, 296, 411 – evangelische 401 – von päpstlicher Vormundschaft 572 – zur Priesterehe 200 Freiheitsbegriff – Luthers 225 – paulinischer 225 Frieden 32, 420–422, 428–430, 454, 466, 509, 537, 545, 548, 557 Frieden von Crépy 551 Friedenspolitik – evangelische 422 – reichsständische 319 Fürstenreformation 403 Geist – böser 230 – der Eintracht 227

630

Register

– des Textes 259 – eigener 259, 266 – göttlicher / Gottes Geist 154, 331, 337, 398 – Heiliger → Heiliger Geist – menschlicher 259, 331, 337 Geistbegabtheit / Geistbegabung des Konzils 337, 382 Geistlehre (konziliare) 380 Geistlicher 34, 210, 345, 350, 366, 379, 402–406, 408, 421, 535, 565 Geistlichkeit 34, 158, 211, 277 f, 381 Geistmissbrauch / Missbrauch des Geistes 330 f Geistunmittelbarkeit 323, 382, 450 f Geistwirkung (konziliare) 383 Gemeinde 199, 207, 217, 248, 342, 346, 348 f, 356, 358, 362, 373 f, 376, 378 f, 398, 402, 404, 406 f, 425, 455, 480, 570 f – altgläubige 504 – christliche 19, 199, 217, 251, 270, 329, 348 f, 361, 371, 379, 387 f, 409, 531 – evangelische 349 – katholische 504 – Leisniger 348 f – Wittenberger 341 Gemeindepfarrer 403 Gemeindereformation (synodale) 355 Gemeindeversammlung 217, 224, 226, 534, 569 Generalkonzil 33, 43, 61, 63 f, 66 f, 103, 158, 176 f, 194, 220, 227, 281, 364, 413, 444, 540, 543 f, 548–551, 553, 560 f, 568 – christliches 415 – rechtmäßiges 176 – römisch-katholisches 9 Generalsynode 405, 407 Gesetz 34 f, 259, 304, 342, 351, 358, 378, 382, 390, 392 f, 395 f, 406 f, 411, 477, 516, 527, 530, 554 – der Menschen 378 – des Papstes 292 – geistliches 233, 317, 520 – göttliches 200, 233, 297, 343 – Gottes 218 – kaiserliches 204, 236, 275, 317

– konziliaristisches 520 – menschliches 225 f, 233, 264, 269, 321, 331, 345, 390, 397, 399, 408, 570 – Moses 388, 527 – päpstliches 200, 218, 226, 321, 341, 376 – patristisches 520 – tyrannisches 200 – unchristliches 388 – Werke des 396 Gesetzesfreiheit (christliche) 527 Gesetzlichkeit 338, 342, 345, 358 Gewissen 79 f, 107, 194, 199 f, 226, 243, 252, 292, 294, 296 f, 299, 303, 338, 342, 344, 355, 378, 390, 394, 396, 471 – armes 494 – blödes 221 – eigenes 80 – elendes 198 – freies 226 – gebundenes 307 – gefangenes 271, 341 – gläubiges 351 – gutes 369, 409, 472 – irrendes 297 – Luthers 304 Gewissensbegriff 79, 296 – Luthers 79 – moralischer 297 – scholastischer 297 Gewissensfreiheit 296 Gewissensprüfung 304 Glaube 4, 27, 34–36, 43, 48, 55, 76, 79, 87, 95, 107, 126, 131, 149, 154–156, 158 f, 162, 169, 207, 209, 234, 248, 264, 281, 290, 301, 305–307, 309, 329, 342, 347, 354 f, 357 f, 366, 371, 374, 376–379, 388, 390–392, 394–396, 399, 408 f, 411, 419, 422, 425, 442, 448, 480, 504, 512, 520, 525–527, 529 f, 532, 534, 557, 568 – alter 530 – christlicher 108, 185, 223, 246, 291, 377, 442, 452, 522, 528, 531–533, 535, 571 – evangelischer 351, 448, 479, 537, 544 – fester 81, 221 – katholischer 247, 300

Sachen

– neuer 422 – päpstlicher 497 – rechter 182 – rechtfertigender 338 – seligmachender 395, 448 – wahrer 65 Glaubensartikel 47 f, 149, 155 f, 162, 165, 171, 305 f, 329, 393, 457, 525–527, 530 f, 533 f, 538, 552 Glaubensbekenntnis 132, 148, 347, 471, 490, 503, 531 – Apostolicum 346, 512, 538 – Athanasium 512 – Nicänum / von Nicäa-Konstantinopel 330, 512 Glaubensdinge 45, 63, 69, 77, 87–89, 96, 98, 105, 114, 154, 158, 162, 174, 259, 298, 301, 354, 381, 462, 566 Glaubenseinheit 411, 415 Glaubensentscheidung 158, 162 Glaubensfrage(n) 20, 44, 64 f, 68, 83, 86 f, 113, 131, 246, 264, 270, 275, 278, 280, 298, 319, 321, 337, 354, 359 f, 364, 367, 411, 415 f, 418, 420–423, 510, 536 f, 570 Glaubensfreiheit 225 Glaubensgewissheit 75, 78 f, 81, 323 Glaubenslehre 55, 65, 76, 86, 160, 305, 353, 380, 385, 392, 394, 425, 525, 529 – biblische 529 – christliche 532, 534 – evangelische 425, 435, 571 – kirchliche 529 – neue 364, 374, 529, 571 – rechte 269 – reformatorische 206, 371, 375, 379 – wahre 391 Glaubensregel 56 Glaubensrichter 101, 270, 309 Glaubensspaltung 4, 413, 418, 424 Glaubensstreit / Glaubensstreitigkeiten 14, 92, 269, 324 f, 364, 384 Gottesdienst 54, 327, 348, 356 f, 400 f, 531, 542 Gottesdienstgestaltung 326 Gottesdienstreform 342, 356, 401 Gottesdienstwesen 358

631

Gravamina 205, 227, 274, 277 f, 287, 292, 320, 364, 555, 568 Hagenauer Religionsgespräch (1540) → Religionsgespräch Heilige Schrift → Schrift Heiliger Geist 55 f, 64, 101–104, 108, 112, 150, 154, 157, 159, 162, 173, 213, 230, 246, 294, 303, 330–332, 347, 380–383, 385, 388, 390–392, 394, 396 f, 444, 448, 451 f, 498, 504, 521, 524 f, 527, 529 f, 542, 547, 556 f, 569, 572 Heiliges Römisches Reich deutscher Nation 29, 222, 238, 256, 275 f, 283, 288, 521 Hochmittelalter 1 Homberger Synode → Synode Immaculata Conceptio 37, 49, 61, 264 Infallibilität 64, 87, 267, 389 – der ecclesia universalis 55 – der Kirche 55 – der kirchlichen Entscheide 388 – der Konzilien 64 – von Konzilsentscheidungen 138 Irrtumsfähigkeit 155, 158, 164, 191, 521 – der ersten Christengemeinde 388 – der kirchlichen Autoritäten 336 – des Konzil / der Konzilien 13, 55, 60, 63 f, 93, 149, 152 f, 158, 161, 176, 183, 298 f, 303 – des Papstes 63, 106, 161 – in Glaubensartikeln 171 – kirchlicher Einrichtungen / Institutionen 27, 65 – menschlicher Autoritäten 353 – von Papst und Konzil 61, 63 f, 66, 87, 566 Irrtumsfreiheit – der Heiligen Schrift 58 – der Konzilien 396 – eines Konzil 156 – konziliare 382 Irrtumslosigkeit 55 f, 330, 494, 501 – der ecclesia universalis 55 – der kirchlichen Autoritäten 297 – der Konzilsväter 495

632

Register

– des Konzils 59, 156, 171, 337, 562 – in Glaubensdingen 158 Jakobusklauseln 392 f, 395 f, 527 Jerusalemer Apostelkonzil → Apostelkonzil Katholische Liga → Nürnberger Bund Kirche – Afrikas 129 – allgemeine 65, 144, 148–150, 172, 182 – alte 546 – apostolische 511 – äußere / äußerliche 346, 425, 452 – bischöfl iche 301 – Christi 248 – christliche 112, 132, 186, 190, 228, 283, 294, 298, 303–305, 317, 350, 361 f, 379, 425, 512, 529, 531, 538, 546 – evangelische 2, 503 f, 517, 547, 559 – falsche 546 – frühe 391 – Gottes 532 – griechische 145, 183, 199, 283 – heilige 547 – innere 346, 425, 452 – institutionelle 516 – irdische 144 – Jerusalemer 135, 144 – junge 388 – katholische 103–105, 183, 186, 248, 294 – mittelalterliche 87 – orientalische 149, 178 – orthodoxe 1 – päpstliche 498, 511 – protestantische 2, 410 – rechte 547 – reformatorische 470, 512, 518 – reformierte 572 – repräsentative 64 f, 452 f – römische 4 f, 49, 54–57, 65, 69, 75, 103, 119, 125, 126 f, 129–132, 134, 142–148, 152, 161, 164, 172, 177, 182, 190, 194, 207–209, 213, 239, 255, 297, 339, 346, 348, 362, 376, 411, 421, 477, 558 f, 567, 570 f – römisch-katholische 2

– sichtbare 19 – streitende 104, 143 f – universale 54 f, 65, 144, 172, 175 f – wahre 452 f, 547 Kirchenbann 237, 275 Kirchenbegriff 6–8, 10, 19, 218, 250 – katholischer 10 – neuer 132 – reformatorischer 10, 198, 217 – römischer 163 Kirchengemeinschaft 71 Kirchengeschichte 1, 17, 40, 129, 131 f, 135, 144, 217, 219, 309, 345, 517, 567 Kirchengut 400 Kirchenkonzil 386 Kirchenkritik 36, 305 Kirchenlehre 67, 91, 374, 377, 379, 390, 412, 512 – römische 75, 161 Kirchenleitung 393 Kirchenordnung 406 f, 468, 533, 572 – evangelische 342 – hessische 407 – konsistoriale 404 – reformatorische 406 Kirchenpolitik – antilutherische 189 – kursächsische 401, 469 – reformatorische 429 Kirchenrecht 86, 126, 144, 253, 406, 438, 494 Kirchenreform 36, 181, 207, 211–216, 219 f, 233, 261, 263, 268, 272, 276, 278, 281, 408, 410, 500 f, 511, 517, 546, 558 f, 569 Kirchenreformation 511, 520 Kirchenreformbewegung 38 Kirchenreforminstanz 4, 16 Kirchenregiment (landesherrliches) 7, 401–404, 407, 526 Kirchensatzung 390 Kirchenschatz 81, 237 Kirchenspaltung 322, 509 Kirchenstruktur (spätmittelalterliche) 161 Kirchensynode (regionale) 356 Kirchensystem – päpstliches 255

Sachen

– römisches 375 – römisch-katholisches 541 – spätmittelalterliches 127 – spätmittelalterlich-römisches 126 Kirchentheorie (reformatorische) 113 Kirchenväter 40, 47, 58, 65, 69, 79, 117, 128, 130, 132, 137, 144, 146, 153, 157, 160, 183, 199, 228, 258, 259–261, 304, 328, 335, 338, 344, 362, 381, 488, 494, 502, 506, 511, 513–515, 517, 519– 522, 567 Kirchenverfassung 404 Kirchenversammlung 1, 27, 181, 372, 426, 435 f, 443, 454, 466, 524 f, 565 Kirchenwesen 339, 356, 400, 512, 526 – antichristliches 518 – evangelisches 324, 346, 348, 358, 429, 519, 522, 572 – protestantisches 512 – reformatorisches 326 – römisches 375 Kanonistik 54 f, 141 Ketzerrecht 273 Klerikersynode 405 Konstantinische Schenkung 496 Konvent (synodenähnlicher) 23, 30 Konzil (historisch): – afrikanisches 129, 133 f, 144, 169, 178 Konzilien von Karthago (255–256) 171 – von Karthago (256) 171 Konzil von Nicäa / Nicänisches Konzil (325) 25, 28, 37, 116, 127–130, 134– 136, 139, 144–146, 156, 160, 165, 169 f, 174–179, 204, 218, 220, 226, 268, 308 f, 329 f, 337 f, 345, 378, 394, 405, 451, 453, 521 f, 524–530, 535, 558, 565, 567 f, 570 – Autorität des 129, 131, 145, 345, 568 – Beschluss des / Konzilsbeschluss 127, 135, 146, 160, 177, 525 – Dekret(e) des 129, 135 f, 144–146 – Geschichte des 525 – Kanon 129, 131 – Konzilsväter 131 Konzil von Rimini (359) 154 Konzil von Konstantinopel (381) 135, 177, 521, 524, 528–530, 558

633

3. Konzil von Karthago (397) 133, 144, 174, 177 – Beschluss / Kanon 133, 144, 169 4. Konzil von Karthago (um 400) 136 Konzil von Ephesus (431) 177, 398, 521, 524, 528–530, 558 Konzil von Ephesus (449) 154 Konzil von Chalcedon (451) 133 f, 160, 177 f, 398, 508, 521, 524, 528–530, 558 2. Konzil von Konstantinopel (553) 177 3. Konzil von Konstantinopel (680–681) 177 2. Trullanum (Konzil von Konstantinopel, 691–692) 146, 177 Konzil von Nicäa (787) 177 Konzil von Aachen (860) 154 Konzil von Meaux (845) 63 1. Laterankonzil (1123) 195 2. Laterankonzil (1139) 195 4. Laterankonzil (1215) 33, 151, 158, 310, 328 Konzil von Lyon (1245) 158, 337 Konzil von Vienne (1311–1312) 33, 60, 158, 334, 337 Konzil von Ferrara-Florenz (1438–1439) 75 f, 435, 442 Konzil von Ferrara (1438) 49, 83, 102 Konzil von Florenz (1439) 73, 75 f, 83, 88, 145, 157, 283 f, 480 – Bulle / Entscheidung 73, 75, 283 Konzil von Pisa (1409) 435 Konzil von Basel / Basler Konzil (1431– 1449) 3, 12, 30, 33, 37, 49, 51, 61 f, 67, 73, 82–85, 88, 95, 103, 105, 147, 150, 170, 174, 183, 188, 190, 194, 207, 212, 218, 231, 264, 279, 284, 300, 320, 435, 442 Konzil von Konstanz / Costnitzer Concilio (1414–1418) 3, 12, 18, 37, 51, 85, 94, 105, 116, 137, 139, 149–153, 155–161, 164–168, 170–175, 177- 179, 183, 186 f, 193, 204, 212, 221, 227– 233, 236 f, 265–268, 282, 284–286, 294, 298, 300, 302, 305 f, 309, 311, 313, 317, 320, 323, 337, 341, 373, 392, 435, 437, 441, 443 f, 451, 453, 459,

634

Register

462 f, 474, 483, 501, 505, 528, 555 f, 558, 567–569 – Geschichte des 148, 443 – Autorität des 151, 156, 161, 165, 167, 567 f – Entscheidung(en) 73, 152, 154, 161 – Konzilsväter 154 – Artikel 155 – Dekret »Haec sancta« 102, 104 f, 114, 232, 555 – Dekret »Frequens« 105 – Beschluss des 194, 284, 317, 463, 555 – irrtümliches Handeln des 230 – Luthers Kritik am 229, 231, 282, 323 f, 443 – politische Bewertung des 317 – Tradition des 320, 462 – Verteidigung des 230 – Abwertung des 231 – Verdammungsurteil des 169 – Verhandlungsgegenstände des 232 – Irrtumsthese des 232 Konzil von Pisa (1511) 7, 28 f, 31, 50 f, 73, 94, 181, 435 5. Laterankonzil (1512–1517) 7, 12, 28, 31, 43, 50 f, 74, 84 f, 136 f, 170 f, 173 f, 189, 191 f, 265, 435, 501 – Beschlüsse des 192 Konzil von Trient / Tridentinum (1545– 1563) 8, 413, 540 f, 551–554, 560–563, 571 Zweites Vatikanisches Konzil (1962– 1965) 6, 9, 12 Konziliarismus 3, 10, 12, 25, 38, 54, 56, 67, 73 f, 83–85, 94, 112–114, 162, 443, 566 Konzilsautorität 10, 23, 49, 64, 67, 80, 82, 84, 88, 115, 129, 131, 138 f, 143, 145, 152 f, 157 f, 162, 174, 179, 195, 228, 293, 299, 302, 323, 351, 354, 380 f, 381, 453, 553, 567 Konzilsfreiheit 503 Konzilspolitik 415, 457, 480, 499, 540, 549 – Clemens’ VII. 425 – der konfessionellen Bündnisse 411 – des Schmalkaldischen Bundes 415, 484 – englische 499

– europäische 14 – kaiserliche 20, 424, 549 – Karls V. 411, 424 – kurfürstliche 464 f, 467, 470, 479 – kuriale 20 – kursächsische 412 – päpstliche 14, 447, 449, 488, 549 – protestantische 446, 464 – reichsständische 549 Konzilssuperiorität 84, 86, 89, 104 f, 555, 566 Konzilstheologie 10, 323 – altgläubige 453 – Luthers 412 – reformatorische 373 Laie 19, 32, 36, 125, 141, 176, 186 f, 192, 194 f, 209 f, 213, 220, 222 f, 226, 236, 262, 265, 269, 311, 321, 324, 365, 405, 424, 535 Laienfrömmigkeit 184 Laienkelch 51, 184, 186–195, 200, 237, 262, 339, 568 Laienstand 209, 216, 283 Landeskirche (evangelische) 2 Landfrieden 274 Lehramt 75, 293, 348 Leipziger Religionsgespräch (1539) → Religionsgespräch Lokalkonzil 63, 171 Meinungsfreiheit (konziliare) 556 Messe 141, 304, 332, 339 f, 343, 352, 357 f, 401, 476, 487, 557 Mittelalter 1, 14, 32, 137, 218, 308 Mönchtum 530 Mose 382, 388, 392, 527 Nationalkonzil 227, 322, 364–367, 413, 493, 505, 510 f, 536, 540–545, 548– 551, 553–555, 558 f, 561 – deutsches 222, 364, 551 – papstfreies 544 – papstfreies, deutsches 543 Nationalsynode 2 – mittelalterliche 2 Neuzeit 1, 14, 218 Nicänisches Konzil → Konzil von Nicäa

Sachen

Nicänum → Glaubensbekenntnis Notrecht 219 f Nürnberger Anstand (1532) 426, 430, 466, 536 Nürnberger Bund / Katholische Liga 510, 542, 545 Öffentlichkeit 41, 109 f, 111, 114, 119, 127, 168, 250, 252, 275, 302, 417, 436, 440, 497, 536 f, 553 – allgemeine 243 – gebildete 141 – gelehrte 40 f, 83, 125, 141, 461 – gemeindliche 373 – konfessionsneutrale 571 – konzilsfreundliche 93 – lateinkundige 333 Ordination 6, 136, 347, 356, 477 – Bischofsordination 156 – evangelische 447 Ordinationspraxis 477 orthodoxe Kirche 1 Ortsgemeinde 349, 570 Ostkirche (griechische) 144–146, 148 Papalismus 3, 25, 46, 67, 443, 566 Papst – Amt des 55 f, 65, 73, 103, 218 – und Konzil(ien) 38, 48, 61, 63–66, 68, 87, 104, 174, 212, 266, 269, 271, 295 f, 323, 376 f, 474, 515, 566 Papstamt 40, 46, 74, 83, 164 Papstautorität 46, 48, 67, 84, 94, 334, 567 Papstkirche 137, 144, 253, 255, 258, 263, 327, 340, 342, 346, 361, 391, 394, 396, 408, 477, 509, 515, 518 f, 530, 539, 546, 558 Papstsuperiorität 86, 88 Papsttum 1, 18, 23, 128, 131, 142, 144, 177, 184, 203, 208, 215, 255, 257, 291, 345, 391, 476, 492 f, 496, 501, 515– 517, 553, 559, 566, 569 – antichristliches 267, 292 – Autorität des 69, 105, 149 – Entwicklung des 559 – Erstarken des 3, 528 – Gefahr des 211 – ius divinum des 144, 177

635

– Krise des 3 – Luthers Kritik am 5, 211, 215 – Missstand des 217 – Primat des 206 – Reformation des 497 Partikularkirche 144, 173 Pfarrer 199 f, 226, 357, 406 f, 479, 531– 533, 538, 570–572 – fi nanzielle Notlage der 402 – Homberger 493 – Ordination von 347 – Torgauer 478 – Witzenhausener 498 Pfarramt 199, 348, 538 Pfarrerschaft 407 Prediger 348, 350, 357, 361, 472, 479, 536 – kursächsische 478 – Luther als 38, 247, 341, 371, 373, 375, 378, 383 f – lutherischer 175 Predigerwahl 348 Predigtamt 341 f, 348 f, 376, 379 Priesterehe 184, 192, 195–198, 200, 226, 308 f, 338, 343, 409, 466, 477, 493, 568 Priestertum (allgemeines) der Glaubenden / Getauften 200, 210, 217, 219 f, 223, 226 f, 269, 283, 340, 349 Privatmesse 339 f, 542 Provinzialkonzil 33, 63, 227, 364, 493, 535–540, 570 Provinzialsynode 1, 32 f, 36, 92, 327, 400, 404, 406 f Provinzsynode von Gangra (340) 405 Prozessrecht 102 Quinisextum (Synode) → 2. Trullanum Recht – geistliches 90 f, 126, 199, 201, 206, 253, 382, 494 – göttliches 103, 106, 134–137, 142 f, 145, 149, 155 f, 161 f, 167–169, 173, 206, 298, 307, 349 – kanonisches 38, 41, 63, 126, 160, 199, 204, 218, 253, 297, 322, 348, 458 – kirchliches 80

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Register

– menschliches 103, 126, 134, 147, 161, 168, 179, 201, 307 – natürliches 103 – päpstliches 218, 345, 557 – römisches 127 – weltliches 80, 90, 466 Rechtfertigung 35, 448 Rechtfertigungslehre 11, 56, 79, 325, 387, 393, 533, 552 Rechtfertigungsgewissheit 75 Rechtfertigungsglauben 89 Rechtfertigungsprozess 142 Rechtfertigungsproblematik 396 Rechtfertigungsartikel 534 Rechtfertigungsbotschaft (biblische) 538 Reform (der Kirche) 33, 36, 74, 181, 205, 208 Reformation / reformatio 1, 3 f, 9, 14, 32, 34, 39, 51, 69, 92, 104, 139, 184, 209, 216, 227, 263, 279, 355 f, 372, 399, 402 f, 404 f, 407–410, 426 f, 443, 470, 493, 498, 501, 518 f, 546 f, 570 f – beider Stände 32 – Bucers 552 – causa reformationis 232, 529 – christliche 427, 549 f – der Kirche / reformatio ecclesiae 39, 181, 408, 441, 444 f, 447, 501, 519, 559 – der Schulen 425 – der Universitäten 425 – des Konstanzer Konzils 529 – des Papsttums 497 – des Wortes 36 – Durchführung der 358, 404 – Einführung der 263, 399 f, 404 – evangeliumsgemäße 182 – in Kursachsen 355, 400 – lokale 19 – lutherische 399 – Luthers 287, 409 – Prozess der 4, 18, 206, 402 – rechtmäßige 34 – Konzil und 326, 410 – territoriale 19 – Verlauf der / Reformationsverlauf 120, 141 – Vorabend der 33, 195 – Wittenberger 552

Reformationsbegriff (Luthers) 32, 182, 408 Reformationsentscheide (synodale) 404 Reformationsgeschehen 182, 252 Reformationsgeschichte 5, 78, 138, 270 f, 455 Reformationsort (Konzil als) 234 Reformationsprozess 19, 206, 318, 470, 570 Reformationszeit 2, 4 f, 8, 12, 14 f, 17, 21, 141, 157, 195, 368, 386, 400 Reformsynode 278 Reichsacht / Acht 274 f, 279, 301, 305, 316, 318 f, 327, 363, 366, 470, 510, 542, 569 Reichskammergericht 274 f, 455, 510 Reichsrecht 560 Reichsregiment (Nürnberger) 222, 274, 321, 343, 350, 359–361, 363 Reichstag 120, 227, 235, 248 f, 252, 256, 272–280, 284 f, 287, 289–291, 303 f, 316, 319, 324 f, 363, 365–369, 413, 417–421, 424, 437, 504, 532, 537, 544, 549–553, 561 – Augsburger Reichstag (1518) 57, 70 f, 74 – Wormser Reichstag (1521) 19, 88, 222, 255–258, 267 f, 270–280, 285, 287–291, 304, 316 f, 319 f, 323–325, 359 f, 367, 555, 569 – Nürnberger Reichstage (1522–1524) 321 – 2. Nürnberger Reichstag (1523) 319, 321 f, 359 f, 363 f, 380, 384, 426, 428, 485, 502, 535, 555 – 3. Nürnberger Reichstag (1524) 322, 364 f – Augsburger Reichstag (1525/26) 368 – 1. Speyrer Reichstag (1526) 368 f – Regensburger Reichstag (1527) 368 – 2. Speyrer Reichstag (1529) 369, 383, 397, 415, 417 f, 427 – Augsburger Reichstag (1530) 418– 422, 424 – Regensburger Reichstag (1532) 426 f – Regensburger Reichstag (1541) 543, 545, 548 f – Speyrer Reichstag (1542) 549 f

Sachen

– Speyrer Reichstag (1544) 550, 558 – Wormser Reichstag (1545) 552 f, 560– 562 – Regensburger Reichstag (1546) 562 Regensburger Religionsgespräch (1541) → Religionsgespräch Regensburger Kolloquium (1546) → Religionsgespräch Religionsfrieden 426, 428 f, 558 Religionsgespräch 406, 412, 509–513, 536, 541, 543–545, 548, 562 – kaiserliches 512 – papstfreies 541 – Leipziger Religionsgespräch (1539) 509 f, 513, 520 – Hagenauer Religionsgespräch (1540) 543 – Wormser Religionsgespräch (1540/41) 543 f – Regensburger Religionsgespräch (1541) 543, 545, 547, 562 – Regensburger Kolloquium (1546) 562 Repräsentanz (Konzil als) – der Kirche 66, 68, 137, 452 – der Universalkirche 63, 66, 176 – der Gesamtchristenheit 113 Repräsentation 566 – der (christlichen) Kirche 112, 173 – der Gesamtchristenheit 113 – Kraft der 452 Repräsentationsgedanke 66, 103 f, 176, 346, 452 Sakrament 81, 185–187, 194, 247, 262, 283 f, 316, 343, 347, 395, 410, 444, 477, 490, 503, 542 Sakrament des Altars / Altarsakrament 339, 409, 477 Sakrament des Nachtmahls 488 Sakramentslehre – mittelalterliche 185 – Luthers 185 Schatz – der Ablässe 81 – der Kirche 44, 78, 122 – der Verdienste Christi 45, 75 Schmalkaldener Bundestag (1533) → Bundestag

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Schmalkaldener Bundestag (1537) → Bundestag Schmalkaldischer Bund 411 f, 423, 432, 442, 474, 479, 481, 490 f, 499, 510, 541, 545 – Konzilsantwort des (1533) 440, 446 – Konzilsantwort des (1535) 446 – Konzilsdiskurs des 490 – Konzilskurs des 467 – Konzilspolitik des 415 – Militäraktion des 546 – Mitglieder des 455 Schmalkaldische Bundesmitglieder 427, 481, 487, 510 Schmalkaldische Bundesgenossen 430, 464, 478, 488, 499, 510, 540, 545 Schmalkaldener 450, 499, 511, 546, 553 Schrift / Heilige Schrift 19, 35 f, 40, 43, 46 f, 56–59, 63, 68 f, 75, 79–83, 86–89, 106–108, 113, 126 f, 129, 131, 133, 137, 143 f, 149–155, 157, 160–162, 165, 170, 173 f, 176–178, 183, 185, 191, 205, 217–219, 228 f, 233, 241, 255, 257–261, 264–266, 268 f, 271, 274, 292 f, 298, 306 f, 310–313, 321, 323, 329–331, 335–337, 343, 345, 348, 350, 353, 355, 362, 374, 377, 379, 381, 394, 399, 409, 422, 452 f, 459, 466, 480, 522, 525, 529, 538, 556, 567–569, 572 – Autorität der 65, 117, 138, 149, 172, 410, 521 – Feind der 247 – Freiheit der 556 – göttliche 149, 247 – Gründe der 88 – Grundlage der 78, 175, 226, 241, 422, 525, 529, 557 – Irrtumsfreiheit der 58 – Klarheit der 269 – Norm der 13, 58, 114, 447, 518 – Normativität der 154 – Primat der 177, 328, 337 – Urteil der 133, 259 – und Erfahrung 295 – und Vernunft 59 – Zeugnis der 106 Schriftargumente 43, 451, 488 Schriftauslegung 259, 296, 306, 336

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Register

Schriftautorität 133, 174, 229, 258, 264, 298 Schriftbeweise 132, 292, 295 f, 301, 329 Schrifterkenntnis 107, 158, 266 Schriftgründe 59, 88, 149, 234, 453, 569 Schrifthermeneutik 150, 157, 294, 523 Schriftprimat 268, 324, 329 Schriftprinzip 133, 142, 160, 162, 258– 260, 268, 306, 310, 313, 323, 325, 335, 453, 521, 569 Schriftverständnis 142, 158, 215, 259, 269 Schriftzeugnis 66, 172, 268, 294–296, 327 Spätmittelalter 3, 10, 12, 18, 23, 32 f, 181, 200 Stadtreformation 403 Sünde 49, 237, 304, 477, 542 Superintendent 403, 407, 570, 572 Superiorität – des Generalkonzils 63 – des Konzils 85 f, 104 f, 113 f – des Papstes 73, 82 – von Papst oder Konzil 84 Synodalgewalt (kaiserliche) 524, 558 Synodalpredigt 29, 201, 504, 565 Synodalrede 30, 112, 183 Synodalstatuten 33 Synodalverfassung 572 Synode 1 f, 10, 18, 20, 25 f, 28, 30–37, 63, 92, 146, 154, 321, 326, 341, 373, 386, 405, 407, 411, 513, 565, 570, 572 – der evangelischen Landeskirchen 2 – evangelische 358 – Institution der 18, 23 – von Aachen (860) 154 – von Chalcedon (451) 177 – von Ephesus (449) 154 – von Homberg (1526) → Homberger Synode 399, 406 – von Meldensi (Meaux) 63 – von Rimini (359) 154 Synodenpraxis (orthodoxe) 2 Synodenteilnehmer 35 Taufe 185, 209, 341, 347, 425, 451, 477, 547 Teufel 199, 215, 221, 224, 229, 241, 285,

317, 343, 346, 382 f, 385, 396, 421, 435, 477, 480, 483, 492, 518, 528, 532, 541 f, 546 f, 553 f Theologie 39, 62, 310 – Cajetans 75 – des Hochmittelalters 1 – Luthers 5, 10, 26, 39, 56, 333 f, 351, 372, 565, 567, 572 – lutherische 9 – mittelalterliche 80 – reformatorische 23, 32, 139, 149, 327, 333 – (spät)scholastische 34, 39 f, 52, 55 f, 261, 362 – Prierias’ 68 – wissenschaftliche 279 Tradition 88, 127, 357, 387, 422, 438 – altkirchliche 146, 160, 512 – de Torquemadas und Cajetans 95 – der Alten Kirche 160 – der Kirche 65, 146, 292, 307 – des Konstanzer Konzils 320, 462 – kanonistische 67, 113 – kirchlich anerkannte 67 – kirchliche 160, 162, 293, 567 – kirchlich-theologische 296 – konziliare 23, 387, 568 – konziliaristische 200, 224, 277 – konzilstheoretische 18 – Konzilstradition 102 – nationalkirchliche 224 – römische 321, 330 – spätmittelalterliche 235 Traditionsprinzip 142, 260, 268, 323, 330, 380, 436 Trienter Konzil → Konzil von Trient Trinität 475 Trinitätslehre 528 Unfehlbarkeit 175 – konziliare 64, 156, 548 Unfreiheit 232, 358 Unglaube 353 Universalkirche 66 Universität 84, 86, 114, 124, 141, 150 f, 155 f, 172, 206, 240, 332, 334 f, 360, 408 – Basel 79

Sachen

– – – – – –

Erfurt 141, 288 Freiburg 79 Köln 205 f, 236 Leipzig 92, 121–123, 141, 239 Löwen 79, 205 f, 236 Paris 73, 79, 82, 84, 86, 97 f, 104, 141, 335, 566 – Wittenberg 100, 118, 127, 140, 240, 279, 363, 395, 456, 508 Vaterunser 347, 409, 531 Vernunft 79, 88, 265, 295, 362, 484, 522 – praktische 297 – natürliche 554 – Urteil der 47 Vernunftgründe 59, 87 f, 149, 172, 175, 234, 296, 301, 304, 310, 453, 569 Vernunftargument 268, 295 f

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Vernunftschlüsse 310 Vernunfthermeneutik 523 Versammlung (kirchliche) 30 Visitation 355, 402 f, 570 Wesen der Kirche 2, 346 Widerstandsrecht 106, 296, 423, 466 Wiedergeburt 35 Wormser Edikt (1521) 19, 256, 282, 314– 322, 343, 360, 363–369, 415 f, 423, 569 Wormser Religionsgespräch (1540/41) → Religionsgespräch Zehn Gebote 52, 409, 531 Zensur 152, 154, 205, 327 Zölibat 195–197, 199, 308 f, 353, 355