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German Pages [248] Year 1968
Matthias Kroeger Rechtfertigung und Gesetz
MATTHIAS K R O E G E R
Rechtfertigung und Gesetz Studien zur Entwicklung der Rechtfertigungslehre beim jungen Luther
VANDENHOECK & RUPRECHT IN G Ö T T I N G E N
Forschungen zut Kirchen- und Dogmengeschichte Band 20
1968 Umschlag: Christel Steigemann. — Gedruckt als Habilitationsschrift mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft auf Empfehlung der Theologischen Fakultät zu Göttingen. — © Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1968. — Printed in Germany. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es nicht gestattet, das Buch oder Teile daraus auf foto- oder akustomechanischem Wege zu vervielfältigen. Gesamtherstellung: Hubert Sc Co. Göttingen 5763
Herrn PROF. HERMANN DÖRRIES
in verehrungsvoller Dankbarkeit gewidmet
Inhalt Abkürzungsverzeichnis
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Einleitung
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1. Teil: Die frühe Rechtfertigungslehre in der Römerbriefvorlesung
41
Kapitel I: Gerechtigkeit aus Glauben oder die Rechtfertigung des Sünders
41
Kapitel II: Gerechtigkeit aus Liebe oder die Erfüllung des Gesetzes
86
Kapitel ΠΙ: Das Problem der Gewißheit und die Einheit der Römerbriefvorlesung 2. Teil: Die Entstehung der klassischen Rechfertigungslehre
118 164
Kapitel IV: Der Wandel im Verständnis von Glaube und Wort . . . 164 Kapitel V: Der Wandel im Verständnis von Gesetz und Gnade . . .
204
Kapitel VI: Zwischen Römer- und Hebräerbriefvorlesung (1516/17)
218
Schluß
239
Register
245
Wiederholt in Abkürzung zitierte Literatur ArefBA I = Luthers Vorlesung über den Römerbrief, Anfänge reformatorischer Bibelauslegung, ed. J. Fidker, 1. Band 1925s Bizer, E., Fides ex auditu 19612 und Nachwort zur 3. (im übrigen text- und seitengleichen) Auflage 1966 Hamel I + II = A. Hamel, Der junge Luther und Augustin I 1934 und II 1935 Holl I = K. Holl, Gesammelte Aufsätze zur Kirchengeschidite I, Luther, 19274·5 Loofs DG4 = F. Loofs, Leitfaden zum Studium der Dogmengeschichte 19064 Scheel II = O. Scheel, Martin Luther, 2. Band 19303·4 Scheel, Die Entwicklung Luthers = O. Scheel, Die Entwicklung Luthers bis zum Abschluß der Vorlesung über den Römerbrief, SVRG 100, 1910, S. 61 ff. Seeberg DG III und IV, 1 = R. Seeberg, Lehrbuch der Dogmengeschichte, III. Band 19304 und IV. Band, 1. Hälfte 19334 Die gesamte übrige Literatur wird jeweils am Ort genügend erkenntlich zitiert. Abkürzungen nadi RGGS.
Einleitung 1. Seit zu Beginn dieses Jahrhunderts Luthers Theologie Gegenstand intensiver wissenschaftlicher Forschung wurde, haben seine Frühentwicklung und die aus der Zeit vor dem Ablaßstreit stammende literarische Hinterlassenschaft im Vordergrund des Interesses gestanden. Mochte die Lutherforschung mit dem Reformationsjubiläum 1884 begonnen haben 1 und seit diesem immerhin die erste Psalmenvorlesung vollständig (1885/86) sowie der IX. Band der Weimarer Lutherausgabe mit den frühesten überhaupt erhaltenen Äußerungen Luthers (1893) veröffentlicht sein — erst als H. Denifle OP seit 1904 sein durch Gelehrsamkeit und haßvolle, entstellende Leidenschaft provozierendes Werk über „Luther und Luthertum" erscheinen ließ, darin auch die ersten Texte der Römer- und Hebräerbriefvorlesung Luthers publizierte, und wenig später (1908) J. Ficker den ganzen Römerbriefkommentar veröffentlichte, wandelte sich die Situation von Grund auf. Denifles fundamentaler Angriff auf die „Lutherlegende" brachte das bis dahin geltende Bild vom Ringen und Leiden des jungen Luther in tiefe Zweifel. In der Folge dessen unterzog vor allem O. Scheel den biographischen Stoff einer kritischen Durchsicht und bestätigte in weitausholender Milieuschilderung und scharfer Quellenkritik die Glaubwürdigkeit von Luthers Erinnerungen. Audi er entdeckte dabei eine Phase im Klosterleben Luthers, in der dieser sich mit den dargebotenen Pflichten und Tröstungen zufriedengab. Denifle hatte mit seiner Kritik der Person Luthers eine Interpretation der frühen Texte verbunden, um zu zeigen, daß Luther noch in der ersten Psalmenvorlesung (Dictata genannt, Herbst 1513 bis Ostern 1515) in gut katholischen Bahnen wandle und erst allmählich gegen Ende derselben, rapide dann in der RömerbriefVorlesung (Ostern 1515 bis Herbst 1516) auf die abschüssige reformatorisdie Bahn geraten sei, indem die Erfahrung seiner unüberwindlichen sittlichen Verkommenheit ihn zur Lehre von der Erbsünde (concupiscentia) und darum zur Lehre von der Rechtfertigung als bloßer Imputation trieb. Daraufhin richtete sich die protestantische Forschung, besonders K. Holl und O. Scheel, auf den Beweis der Kontinuität von Luthers früher Theologie und darauf, daß schon längst vor dem von Denifle an1
G. Ebeling in: RGG» IV Sp. 495 und R. Stupperidi in Arch. f. Kult.gsdi. 1961 S. 377.
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Einleitung
genommenen Zeitpunkt die reformatorisdie Wende Luthers gegeben sei, ob man sie nun vor der ersten Psalmenvorlesung oder seit E. Hirsch (1920) in dieser suchte2. „Es ließe sich mit viel mehr Recht sagen, daß in der Psalmenvorlesung schon der ganze spätere Luther drinsteckt", schreibt Holl gegen Denifle und Grisar (I S. 111 Anm. 2). In dieser Meinung, dem jungen Luther annäherungsweise (diese Einschränkung läßt die zitierte Formulierung Holls durchaus erkennen) die ganze Erkenntnis des späteren Luther und seiner Rechtfertigungslehre beizulegen 3 , bestärkte aber auch das Erscheinen der frühen Vorlesungen: Römerbrief 1908, Galaterbrief 1918, Hebräerbrief 1929. Das Erscheinen der frühen Kollegs — d.h. faktisch am meisten der Römerbriefvorlesung, die K. Holl alsbald in ZThK 1910 durch seinen bekannten Aufsatz auf den Schild hob —, die zum ersten Male erlaubten, den Gang von Luthers Entwicklung über den Thesenanschlag hinaus zurückzuverfolgen, konnte deswegen jene Tendenz, im jungen Luther den ganzen zu finden, nur verstärken. Man war erstaunt, wie früh Luther seine Rechtfertigungslehre schon erfaßt hatte: „Die von J. Ficker veröffentlichte Römervorlesung hat erst ganz enthüllt, wie weit der Reformator schon im Jahre 1515 gekommen war. Das Kernstück seiner Ansdiauung, die Rechtfertigungslehre, ist bereits zu einem Abschluß gelangt. Luther trägt seinen Zuhörern einen fest in sich geschlossenen Gedankenzusammenhang vor, der die katholische Heilslehre restlos durch eine neue ersetzt. Nidits von innerer Unsicherheit ist dabei mehr zu verspüren... Auch der sprachliche Ausdruck ist schon in weitem Umfang fertig geworden", so abermals K. Holl im Jahre 1910 (I S. 111). So stand nun die Römerbriefvorlesung weit jenseits der reformatorischen Wende; ihre Begriffe und Wendungen waren Ausdruck reformatorischer Theologie, wurden demgemäß im gewohnten und aus „Luthers Theologie" bekannten Sinne interpretiert, was in der forschungsgeschichtlichen Situation, bei Neuentdeckung der Texte, sehr verständlich war. Ähnlich sind die Auffassungen anderer Forscher über die Entwicklung Luthers in der Zeit seiner frühen Vorlesungen. Am stärksten ist der Widerspruch noch, wo man Holls These einschränkt, daß Luther in der Römerbrief2 Seit E. Hirsch den Umbruch in den Dictata bei Ps. 30 und sein Schüler E. Vogelsang bei Ps. 70 ansetzte, haben nur wenige für eine Ansetzung vor den Dictata plädiert: Wendorf, Hamel, Prenter, mit Vorbehalt Scheel (Luther II S.572. 667). A. Brandenburg, Gericht und Evangelium 1960 S. 34, meint, daß alle bisher unternommenen Versuche einer zeitlichen oder lokalen Fixierung eines Auffassungswechsels in der ersten Psalmenvorlesung gescheitert sind, ebenso R. Prenter, Der barmherzige Richter, Kopenhagen 1961 S. 123 Anm. 364. — Problem und Datierung des Turmerlebnisses spielen erst seit Denifle eine Rolle. ® Nad» K. Holl arbeitet die Römerbriefvorlesung nur die aus den Dictata bekannten Grundgedanken kräftiger heraus und stößt das Fremdartige entschiedener ab (I S. 203 f.). H. Boehmer gibt die allgemeine Meinung treffend wieder, wenn er meint, in der Römerbriefvorlesung sei die neue religiösej und sittliche Auffassung in den Grundzügen fertig (Der junge Luther 1951 * S. 119 f.).
Einleitung
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Vorlesung bereits die volle Heilsgewißheit lehre. Für J. Ficker ist die Heilsgewißheit in der Römerbriefvorlesung „nicht da und sie ist da. Sie wird abgelehnt, und sie wird postuliert und mehr als nur postuliert" (ArefBA I 1908 Einleitung p. LXXVII), doch noch in derselben Vorlesung werde der hemmende Begriff humilitas zurückgedrängt (p. LXXXIII), der Glaube wachse mit der Liebe aus der Wurzel der neu entstandenen Religion in Eins zusammen (p. LXXVI) und werde, zusammen mit humilitas und tribulatio, zum Ausdruck der persönlichen Heilsgewißheit, sofern diese über sich selbst hinausgehoben und der fiducia entgegengeführt werden (p. LXXXIII). Die endgültige Lösung des Problems werde dann im Zusammenhang der Hebräervorlesung gefunden (p. LXXVII) 4 . Fr. Loofs stellt eine Entwicklung dar: zu Anfang, in den Dictata, habe Luther die iustificatio ex fide zu verstehen begonnen (DG 4 S. 689), sie aber schon bis zu den entscheidenden, auch später festgehaltenen Bestimmungen geführt: iustificari = absolvi; gratia = misericordia; fides = fiducia misericordiae (S. 697). Diese Bestimmungen seien in der Römerbriefvorlesung nur nodi zu größerer Klarheit gediehen: der rechtfertigende Glaube sei da schon fides evangelii, denn promissio und fides sind relativa (S. 702 f.), nur daß die empfindliche Schranke der noch nicht gelehrten Heilsgewißheit bestehen bleibe (S. 707. 711), die dann in der Hebräerbriefvorlesung beseitigt wurde (S. 711. 729), nachdem sich in der Zwischenzeit die früheren, minder klaren Einsichten vertieft haben (S. 712. 721 Anm. 6). O. Scheel arbeitet 1910 (SVRG 100 S. 61 ff.) stark die Hemmungen der Römerbriefvorlesung heraus, die in unausgeglichenen occamistischen Resten bestünden, so daß in der Frage der Heilsgewißheit die theologische Erkenntnis noch nicht erfasse, was religiös doch schon da sei. Auch für Scheel ist Rechtfertigung schon fides evangelii, denn Verheißung und Glaube sind relativa. — In dieser Darstellung erhebt sich sowenig wie bei Loofs ein zweifelnder Gedanke daran, ob eine Änderung im Problem der Heilsgewißheit ohne einschneidende Veränderungen im Glaubensbegriff, der doch in der Römerbriefvorlesung schon ganz als Glaube an die Verheißung verstanden sein soll, möglich ist. Nach R. Seeberg befindet sich Luthers Theologie noch bis gegen Ende der zwanziger Jahre in Entwicklung, aber die entscheidenden Grundgedanken habe er bis 1517 schon erworben, so daß in der Schilderung dieser Entwicklung die Schriften von den Dictata bis zur Hebräervorlesung gleichzeitig und durcheinander gebraucht werden (DG IV, 1 4 S. 75. 82). Schon in der Römerbriefvorlesung sei Sünde ausschließlich Unglaube (S. 93) und in voller Klarheit das Gesetz vom Evangelium unterschieden (S. 87). Die Heilsgewißheit werde bereits gelehrt, wie auch Augustin und die Scholastik sie im Begriff der Hoffnung verstanden (S. 123 Anm. 2). — E. Seeberg sieht schon in den 4 Vgl. noch Ficker in Einleitung zur Hebräerbriefvorlesung ArefBA II 1929 p. XLII, überhaupt unten Kapitel IV Anm. 11.
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Einleitung
Dictata die entscheidende Rechtfertigungslehre in Gericht und Spruch Gottes, die Imputation der Gerechtigkeit Christi und den Glauben gegeben, die aber als Ganzes und Sicheres erst in der Römerbriefvorlesung erfaßt werden, „und erst recht und völlig erst" im Kampf um die Buße, der das Keimhafte zu entwickeln und das Zerstreute zusammenzuschauen genötigt habe (ZKG 1934 S. 236). Ganz anders und einzigartig in dieser Zeit, darum bemerkenswert, ist der Aufriß der Entwicklung Luthers nach der Darstellung O. Ritschls5. Er betrachtet den seit Denifle forcierten Scholastikvergleich in der Lutherforschung mit Zurückhaltung (S. 40 f.), um scharfsichtig für die genetischen Probleme der frühen Anschauungen Luthers zu werden. Diese kommen seiner Meinung nach nicht zu dem ihnen gebührenden Recht, weil man üblicherweise „als bekannt unterstellen zu können" meine, welche Ansichten für Luthers neue reformatorische Theologie charakteristisch gewesen sind (S. 41); man setze voraus und erhebe nicht erst, was reformatorisch und Luthers Meinung in jener frühen Zeit war. Ritsehl schildert Luthers Entwicklung folgendermaßen: Die erste Periode werkgerechten Strebens (die Anfechtungen begännen erst nach Übernahme der Mönchsgelübde, S. 17) weiche nicht gleich, in der Erkenntnis von Rm 1,17, einem theologischen Standpunkt, der die reformatorischen Gedanken in reifer Klarheit erfaßt (S. 12), sondern es folge seit 1508/09 ein Jahrzehnt des Übergangs, in dem Luther unter Voraussetzung der augustinischen Auffassung von Gnade und Justifikation dem seit Augustin im Mittelalter bekannten Demutsideal huldige, bis er in allmählichem Fortschritt der Bibelauslegung und im Kampf mit den Gegnern zur vollen reformatorischen Auffassung durchdringe (S. 13). Dieser vorreformatorischen Phase des Übergangs — vorreformatorisch nennt Ritsch nach Art der alten Lutherforschung die gesamte Theologie vor dem Ablaßstreit — sei eine relativ selbständige Eigenart zuzubilligen (S. 42). Sie wird als theologia crucis durch den Begriff humilitas (WA I, 33,18 humilitas crucis) charakterisiert (S. 48.83). Als vorreformatorische Theologie habe sie nur zukünftiges Heil und Hoffnung gekannt, während in der reformatorischen Periode seit etwa 1519 der Glaube zum gegenwärtigen Besitz im persönlichen Empfangen geworden sei, zu einem Glauben, der sich auf das Wort und die Verheißung stützt (S. 99 f., 106 f.). Hierin sieht Ritsehl eine konsequente Entwicklung, die aus psychologischen Gründen langsam vor sich gehen mußte (S. 100 f.); der reformatorische Ablaßkampf habe dabei auslösende Bedeutung gehabt. Erst jetzt sei Luther zur reformatorischen Größe herangewachsen, die in der Anschauung von Glauben als aktuellem Vertrauen auf Gottes gegenwärtige, nicht mehr nur zukünftige Gabe des Heils bestand (S. 102). Die „bisher schon mehr oder weniger" hervortretende 8 Dogmengesdiichte des Protestantismus II, 1, Leipzig 1912, die im Folgenden zitiert wird, vgl. Kurzfassung in Internationale Wodiensdirift 1910 Sp. 1025 ff.
Einleitung
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Korrelation von Glaube und Verheißung werde nun zum wesentlichen Merkmal (S. 106). Der Entwicklung von vorreformatorischer theologia crucis zu reformatorischem Verständnis von Glaube als gegenwärtigem Heil entspricht nach Ritsehl eine Wandlung im Verständnis der Rechtfertigung. Diese sei nun primär als ideale Veränderung in der Beziehung des Menschen zu Gott durdi Imputation, nicht mehr augustinisch effektiv wie bisher verstanden. Die Veränderung sei notwendig und konsequent, wenn das Heil gegenwärtig werden solle (S. 116), weil sie dann nicht mehr als faktische Gerechtmadiung aufgefaßt werden könne. So trete das ideelle Moment der Imputation an die erste Stelle (S. 117). Durdi die Imputation sei Luther allmählich über Augustin hinausgewachsen. Noch unter Augustins Einfluß habe er diesen occamistischen Begriff herangezogen und beide zunächst so vereinigt, daß die augustinische Auffassung vor der imputativen das Ubergewicht behauptete (S. 121); beide Elemente seien dadurch im Einklang gehalten, daß der Glaube, auf den hin Gott rechtfertigt, augustinisch als Gabe Gottes verstanden sei (S. 122 f.). Stellen aus der Römerbrief Vorlesung und der Güntherdisputation vom September 1516 zeigen für Ritsdil die beginnende Überordnung der imputativen über die effektive Gerechtigkeit (S. 125). — Als Eigentümlichkeit der Auffassung Ritschis ist also die relative Eigentümlichkeit der frühen Theologie und die Betonung des Augustinismus in ihr zu beachten. Allen geschilderten Entwürfen — mit Ausnahme des Ritschlsdien — ist die Annahme gemeinsam, daß die Römerbriefvorlesung schon reformatorisch sei, sofern das sog. Turmerlebnis ihr vorausliege. Auch da, wo man stärker als Holl von weiterer Entwicklung, Entfaltung, Ergänzung und von Konsequenzen auf dem Boden der reformatorischen Erkenntnis spricht, bestimmt dodi die Voraussetzung, daß der reformatorische Umbruch jedenfalls in der Römerbriefvorlesung schon gegeben sei, die Interpretation der Texte so sehr, daß mit aller Selbstverständlichkeit die Frage vernachlässigt wurde, ob denn die vertrauten und längst bekannten Formulierungen, die man nun schon in der Römerbriefvorlesung fand, in dieser auch schon denselben und gewohnten Sinn haben. Zum Beweise des reformatorischen Charakters und als deutlichsten Ausdruck des schon Neuen zitiert man immer wieder den Satz „promissio et fides sunt relativa" β . Aber wenn der bei Zitierung dieses Satzes stets selbstverständlich vorausgesetzte Sinn der beiden in ihm genannten Begriffe wirklich sdion die Rechtfertigungslehre bestimmt — wie soll es dann überhaupt noch eine nennenswerte Entwicklung, die doch andererseits allenthalben angenommen wird, geben? Was soll die Hebräervorlesung nodi • Ficker Einleitung ArefBA I p. LXXV, Holl I S. 119, Loofs DG 4 S. 703, Sdieel, Die Entwicklung Luthers 1910 S. 177, R. Seeberg DG IV, 1 4 S. 121, Schwarz, Fides, Spes und Charitas 1962 S. 279, Bornkamm ARG 1962 S. 6 und Anm. 29, wahrscheinlidi auch Ebeling RGG» IV Sp. 501 f.
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Einleitung
Neues bringen? Und selbst wenn Luther in der Römerbriefvorlesung in einem bestimmten Sinne schon Heilsgewißheit lehrt — dürfte man übersehen, daß dies nodi in einem völlig anderen Sinne als später geschieht, daß also im Sinn und Begriff von Glaube und Verheißung nodi ein beachtlicher Wandel vor sich gehen mußte? Wenn die mit der Rechtfertigungslehre aufs nädiste zusammenhängende Gesetzeslehre und damit auch die Art und Weise, wie Gesetz und Evangelium hier in der Frühzeit behandelt („unterschieden") werden, nach Meinung aller Forscher nodi nicht in Luthers endgültigem Sinne verstanden sind 7 — dürfen dann fides und evangelium schon im gewohnten „reformatorischen", späteren Sinne verstanden werden? Wie soll die promissio reine promissio sein, wenn die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium, in der dodi erst die reine promissio erschlossen wird, nach einhelliger Meinung nodi nicht rein und endgültig vollzogen ist? Es verrät sich hier eine charakteristische Unsicherheit und Ungenauigkeit, angesichts deren K. Holls Mahnung zu erinnern ist: „Man muß sich klarmadien, was eine Unfertigkeit oder ein Schwanken für die ganze Auffassung der inneren Entwicklung Luthers bedeuten würde." (IS. 112.) Wenn die angedeuteten Unterschiede der frühen und späteren Theologie wirklich bestehen, dann müssen diese Unterschiede wesentlicher und nicht nur gradueller Art sein. Dies gilt auch, ja gerade, wenn die Rechtfertigungslehre der Römerbriefvorlesung schon „einen fest in sich geschlossenen Gedankenzusammenhang" bietet. Dennoch ist es fast allgemein üblich, die Entwicklung in Komparativen zu beschreiben („noch nicht so rein unterschieden", „noch ungenau", „später eindeutiger"): die Theologie reife später nur voll aus, es würden „nur noch" Konsequenzen gezogen, die Veränderungen seien bloße Akzentverschiebungen, so als handele es sich nur noch um immer genauere Formulierungen des schon Gefundenen 8 . Woher aber kommt diese Tendenz? Nur die von der Frühdatierung des Turmerlebnisses eingegebene bzw. bestärkte Voraussetzung, dieRömerbrief7 G. Pfeiffer LuJ 1959 S. 54, G. Ebeling RGG S IV Sp. 502 und Luther 1965 S. 120, E. Wolf in Peregrinatio II 1965 S. 30, H. Bornkamm ARG 1962 S. 20. 29. 55. Statt dessen ist die intensive Verwendung des Schemas spiritus/litera bestimmend (vgl. Kapitel III Anm. 13). Dodi bedeutet die anerkannte Feststellung, daß nicht Gesetz und Evangelium, sondern spiritus und litera unterschieden werden, nicht, daß jene erste Unterscheidung begrifflich nicht schon vorkäme (WA III, 96, 23 f.; 258, 8 f.; 281,16 f., 38 f.; 164, 24 f.; 569,5 f.; IV, 9, 28; 134,29); auch Augustin benutzt sie ja, nur unterscheidet er und mit ihm der junge Luther Gesetz und Evangelium im Sinne von spiritus/litera, d. h. evangelium = lex nova; lex spiritualiter intellecta, lex Domini, Novem Testamentum und lex = lex vetus, lex carnaliter (literaliter) intellecta, lex Mosi, Vetus Testamentum. Luther legt alsa Gesetz/Evangelium durch spiritus/litera aus. Nur in diesem Sinne gilt, daß die Frühzeit die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium nicht kenne. 8 H. Boehmer, Der junge Luther 19514 S. 119, G. Ebeling Luther 1965 S. 27, A. Adam, Wort und Dienst, Jahrb. d. theol. Schule Bethel 1963 S. 44. 46. 45, O. Scheel Luther II S. 597 Anm. 1, H. Bornkamm ARG 1962 S. 20 f. 57.
Einleitung
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Vorlesung sei „reformatorisch", hat dazu geführt, die zugegebenen Unterschiede und Vorbehalte im Gesetzes- und Evangeliumsbegriff bei der Interpretation zu vernachlässigen und durch nur graduelle Bestimmungen einzuebnen. Dies Verfahren hat natürlich audi sein Recht, sofern man nach Einheit und Kontinuität fragt, aber man fragt dann eben nach der Einheit und nicht nach den die Entwicklungsstufen differenzierenden Unterschieden; wieweit die Einheit geht, darf nicht (auf Grund der angenommenen „reformatorischen'' Erkenntnis im Turmerlebnis) vorausgesetzt werden. Der behauptete „reformatorische'' Sinn der frühen Rechtfertigungslehre wird problematisch, wenn man sich der eben genannten Fragen im Begriff von Gesetz und Evangelium samt allen Konsequenzen für das Verständnis von Glauben und Gewißheit erinnert und wenn man die beträchtlichen Unterschiede zu Luthers späterer Sprache und Formulierung der Probleme bedenkt. Ein Wandel in der Terminologie ist nicht „nur" Formulierungsfrage, sondern Ausdruck veränderter Anschauung. Auch Luthers spätere Rückblicke und Beschreibungen der frühen Zeit zeigen wesentliche Begriffe und Vorstellungen, die in den frühen Texten keineswegs zu finden sind (darüber gleidi). Diese Diskrepanz zwischen Rückblicken und Frühtexten läßt mithin alle Möglichkeiten offen, daß noch ein erheblicher Wandel im Verständnis entscheidender Begriffe und schon gleichlautender Wendungen (ζ. B. iustificatio sola fide) eingetreten sein kann. Und dieser Sinnwandel entscheidender Begriffe wäre erst festzustellen, ganz ohne Rücksicht auf die Alternative „reformatorisch" — „unreformatorisdi" und die Datierung des sog. Turmerlebnisses. Denn dieses kann über den etwa gar reformatorischen Sinn der Texte nicht entscheiden — ganz abgesehen davon, daß seine Ansetzung in der Forschung kontrovers ist. Was also ohnehin Anfgabe der Forschung geworden wäre, und was diese aus besagten Gründen unterließ, nämlich die bekannt scheinenden Formeln im Gesamtzusammenhang der Frühtheologie Luthers auf ihren möglicherweise noch differierenden Sinn zu befragen — das ist besonders in letzter Zeit auf eine dem bisherigen Verfahren entgegengesetzte und doch merkwürdig verwandte Weise ins Auge gefaßt worden. Die Forscher, die die Spätdatierung des Turmerlebnisses vertreten, weisen betont auf alles hin, was in den Frühtexten nodi nicht enthalten und gemeint ist. So selbstverständlich bisher bei Frühdatierung des Turmerlebnisses die Texte der Römerbriefvorlesung im gewohnten reformatorischen Sinn verstanden wurden, ebenso selbstverständlich wird nun mit der Spätdatierung der noch „katholische" Charakter der frühen Texte angenommen: humilitas und fides werden als Leistung und Bedingung verstanden, ein meritum de congruo wird angenommen, ein im Prinzip unangefochtener scholastisdier iustitia-Begriff noch bis zu den Resolutionen vom Frühjahr 1518 behauptet*. Die Stärke dieser Argumenta• E. Bizer, Fides ex auditu S. 38; 47.49; 153; 28. 51. 99. 101.104. Wortgleidi bezeichnen Bizer (aaO S.21) und Kurz (Die Heilsgewißheit bei Luther 1933 S. 105) den frühen
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Einleitung
tion liegt in dem Hinweis auf den offensichtlich sehr unterschiedlichen Sinn wesentlicher Begriffe und Formeln der Römerbriefvorlesung im Vergleich mit der späteren Theologie seit 1517/18, und es ist das Verdienst solcher Versuche, die so oft geübte Überinterpretation der Frühtexte, die unzweifelhaft einer Revision bedarf, in manchen Fällen nachdrücklich aufgedeckt zu haben. Die allgemeine Beachtung und das Interesse, das diese Versuche gefunden haben, nährt sich im wesentlichen von den Schwächen der bisherigen Interpretation. So hat die Interpretation der Texte stets im Schatten der sehr unterschiedlichen Datierung des sog. Turmerlebnisses gestanden10; sie wurden je nach dessen Ansetzung reformatorisdi oder unreformatorisdi verstanden. Die bisweilen offensichtliche, meist latente Verschlingung der beiden Probleme hat in verwirrendem Maße das Verständnis der frühen Luthertexte präjudiziert. Doch ist es nicht nur Ausdruck einer — angesichts der verwirrenden Anschauungen über Luthers Frühzeit verständlichen — Resignation, sondern einfaches methodisches Erfordernis, solche mit der Ansetzung des Turmerlebnisses gegebenen Vorentscheidungen vorerst auszusetzen und für die Interpretation außer acht zu lassen, damit man erkennen kann, was Luther hier und dort sagt. Ganz unabhängig von der Ansetzung des Turmerlebnisses und der implizierten Alternative „reformatorisch" — „unreformatorisdi" muß interpretierend die Entwicklung der Gedanken Luthers in der ganzen Breite zwischen 1509/13 und 1518/19 aus den Texten erhoben werden. Es genügt aber nicht, jene Scheidung zu postulieren und das negative Urteil aufzustellen, die Ansetzung des Turmerlebnisses könne zum Verständnis der Texte gar nidit beitragen. Vielmehr muß das Methodenproblem des sog. Turmerlebnisses, das in seiner Sadi- und Überlieferungsproblematik begründet ist, positiv dargelegt und geklärt werden. 2.
Die in Luthers Rückblicken enthaltenen chronologischen Angaben über seine durchbrechende theologische Erkenntnis führen zu keiner sicheren Datierung derselben. Aus diesem Grunde hat man die Angaben über Sinn und Inhalt dieser Erkenntnis herangezogen und hat diese in den Rückblicken beschriebene Erkenntnis mit einer der in den frühen Texten vorliegenden Entwicklungsstufen zu identifizieren gesucht; wo sich die Erkenntnis in den Glauben als eine fides humilitate formata. — Mit Ewers, Reiter, Grisar, Stange beginnt die Reihe der Spätdatierer, vgl. aber sdion Th. Harnack, Luthers Theologie II (18861 S. 413—415, 1927* S. 326 f.). 10 Ähnlich O. H. Pesch, Catholica 1966 S. 218. Im Prinzip ist diese Gefahr immer erkannt worden, vgl. G. Ebeling RGG 3 IV Sp. 497 und H. Bornkamm ARG 1962 S. 18. Auch da, wo man statt vom Turmerlebnis lieber von Entwicklung spridit (vgl. den Bericht von G. Pfeiffer LuJ 1959 S. 32 f.), ist diese Gefahr nicht vermieden, sofern der Begriff „reformatorisdi'" und seine wertenden Assoziationen in die Interpretation hineinwirken.
Einleitung
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frühen Texten wiederfände, dort wäre — ein terminus ante quem — das sog. Turmerlebnis vorauszusetzen. In diesem Verfahren liegt der Grund dafür, daß Textinterpretation und das Problem des sog. Turmerlebnisses immer wieder verbunden werden und einander beeinflussen. Aber auch dieser Versuch, das Turmerlebnis zu datieren und somit bestimmte Texte bereits als reformatorisch, d.h. nach dem Turmerlebnis liegend, zu erkennen, hat nicht zu sidieren, allgemein anerkannten Ergebnissen geführt. Um nun einen Aspekt aus dem Problemkreis gleich auszuscheiden und diesen zu vereinfachen, sei dies bemerkt: die Kombination von Textinterpretation und Rückblicken kann nur der Datierung und Deutung des sog. Turmerlebnisses dienen, sofern die als jener Turmerkenntnis gleichzeitig erkannten Texte die kurzen formelhaften Angaben der Rückblicke eindeutig auszulegen vermöchten. Nicht aber können umgekehrt Datierung und Deutung des Turmerlebnisses zur Interpretation der Texte helfen. Denn die jene Turmerkenntnis beschreibenden Rückblicke sind sehr viel kürzer als die erklärenden Vorlesungstexte. Wenn diese ihren Sinn nicht deutlich zu erkennen gäben, so sind die kurzen und formelhaften Rückblicke erst recht mehrdeutig, undeutlich und können keine Interpretationshilfe geben. Nicht einmal als allgemeine Verständnishilfen für das in Luthers Entwicklung verhandelte Problem sind sie notwendig, da die Vorlesungen sich hierüber deutlich genug aussprechen; vielmehr tragen die Rückblicke spätere Urteile und Kategorien an die frühen Texte heran und wirken darum eher nivellierend als differenzierend. Datierung und Verständnis des Turmerlebnisses müssen aus der Textinterpretation, die ganz für sich durchzuführen ist, ausgesdiieden werden. Welches ist nun der Grund für die Tatsache, daß es nicht eindeutig gelingt, die in den Rückblicken beschriebene Erkenntnis in einer der in den frühen Texten vorliegenden Entwicklungsstufen wiederzufinden und so das Turmerlebnis zu datieren? Der gesuchte Grund ist dieser: die Rückblicke, die die Entdeckung beschreiben und mit deren Hilfe man die frühen Texte abtastet, verwenden eine Terminologie, die sowohl späte als auch nichtspezifisdie Formulierungen enthält und die darum den frühen, d. h. dem Turmerlebnis (sei dieses nun 1513/14 oder 1517/18) gleichzeitigen Begriffs- und Anschauungsapparat nicht oder nicht erkennbar aufbewahrt hat. Da ist zunächst der Begriff iustitia passiva. Er ist nach heute· allgemeiner Uberzeugung erst 1524/25 entstanden 11 . Nachweislich benutzt also Luther 11 E. Hirsch, Kaftanfestsdirift 1920 S. 155, dazu. E. Vogelsang, Die Anfänge von Luthers Christologie 1929 S. 58 Anm. 2, K. Holl I S. 131 Anm. 2, O. Scheel, Luther II S. 589 Anm. 3, E. Bizer, Fides ex auditu S.9. G. Ebeling RGG« IV Sp. 498 merkt an, daß der Begriff auf scholastische Terminologie (gratia activa und passiva) -wie auf Luthers frühe Beobachtungen zum hebräischen Sprachgebrauch zurückweist. Den Ausdrude iustificatio passive accepta weist H. A. Oberman nach: HThR 1966 S. 17 Anm. 35, während A. V. Müller die Unterscheidung von iustitia activa und passiva aus Hugo von St. Viktor belegt (Luthers theologische Quellen 1912 S. 139). Sdieels Ableitung der iustitia passiva aus
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in den Rückblicken eine Formulierung, die nur seine späten Gedankenformen wiedergibt, aber weder den gedanklichen Stand von 1513/14 noch den von 1517/18 festhält, mithin nicht historisch getreu anzeigt, in welchen Begriffen und Gedanken er konkret seine Entdeckung in der Frühzeit gemacht hat. Aus diesem Grunde ist die Angabe über die Entdeckung der iustrtia passiva mit keiner der frühen Gedankenstufen evident zur Deckung zu bringen. Jede weitere Mitteilung in den Rückblicken, deren Uberlieferung auch erst mit Anfang der dreißiger Jahre einsetzt, steht darum unter dem Verdadit, ebenfalls Spätformulierungen zu bieten oder jedenfalls die ursprünglichen gedanklichen Konkretionen der frühen Entdeckung nicht festzuhalten. Darum ist auch Luthers Mitteilung, er habe in der reformatorischen Entdeckung Gesetz und Evangelium zu unterscheiden gelernt (TR N r . 5518), als historische Angabe nicht zuverlässig und gegen Zweifel gefeit. Zwar ist nicht auszuschließen, daß die Angabe genau ist, aber ebenso möglich ist, daß Luther hier mit „Gesetz und Evangelium" die seit 1517/18 dominierende Formulierung seines theologischen Themas gibt, ohne die historische Form seiner frühen Gedankenbildung auch nur zu bedenken, wie er es etwa T R N r . 1098 von 1532/33 tut: 20 Jahre habe er nun in hoc vero studio theologiae (sc. mit der Bemühung um die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium) zugebracht. Hier ist deutlich nur das seit dem Doktorat (1512) anhaltende Bemühen um das theologische Problem gemeint. Darum können wir nicht sicher sein, ob jene Mitteilung über die entdeckte Unterscheidung von Gesetz und Evangelium im Turmerlebnis historisch getreu ist. So bleibt drittens die Möglichkeit, sich an die Erkenntnis der geschenkten, nicht aktiven (aristotelischen) und strafenden Gerechtigkeit zu halten und in ihr das Neue zu suchen. Doch ein formal eindeutiges, begriffliches Kriterium für das Verständnis und, sofern man diese Bestimmung in den Frühtexten aufsuchen möchte, für die Datierung des Turmerlebnisses bietet audi sie nicht. Denn es ist unbestritten, daß auch die Scholastik auf ihre Weise die aristotelische, aktive Gerechtigkeit kritisiert. Insbesondere den Begriff der geschenkten Gerechtigkeit kannte die Scholastik ebenso wie Luther aus Augustin, und die Bestimmung als nicht strafende, sondern schenkende bzw. geschenkte Gerechtigkeit hat Luther nodi vor seiner Romreise beim Lomiudicium passivum (Festschrift Brieger 1912 S. 112 f.) hat schon Loofs abgelehnt (ThStKr 1917 S. 367 ff.). Aber audi Loofs eigene Erklärung aus dem sog. Objektivationssdiema wird abgelehnt (vgl. Holl I S. 131 Anm. 2). Loofs hat seine Erklärung auch später festgehalten (ThLZ 1925 Sp. 587). — Prenter (Der barmherzige Richter 1961 S. 28 f. 35 f. 42) beachtet bei der Interpretation der iustitia passiva die terminologisch-begriffliche Formalität des Ausdrucks nicht und gibt diesem daher eine theoretisch mögliche, nur eben nicht erwiesene Bedeutung. Weil er so die Spätformulierung nicht beachtet, kann er fordern, daß man zur Festlegung des Turmerlebnisses von der Präfatio von 1545 ausgehe (S. 9). — Das methodische Problem der Spätformulierungen hat schon Scheel, Luther II S. 580, beachtet.
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barden gelesen 12 . Im formalen und begrifflichen Sinne sind also die iustitiaBestimmungen, mit denen Luther sich später gegen die Scholastik absetzt, schon deren Eigentum. Im begrifflich eindeutigen Sinne ist deswegen das Vorkommen solcher Bestimmungen (seit WA IV, 3 . 1 8 . 1 9 . 1 1 3 ) kein Kriterium des Turmerlebnisses. Man muß „erst richtig interpretieren, wie Luther die geschenkte Gerechtigkeit versteht, wenn man die Formel (sc. von der entdeckten iustitia Dei) zur Erklärung seiner Entdeckung gebraudien will" 1 8 . Die Rückblicke sind somit, weil sie späte und nichtspezifische Formulierungen verwenden, zur Bestimmung der ursprünglichen Form der Erkenntnis nicht brauchbar 14 . Die theologisch-begrifflichen Beschreibungen fallen als Hilfsmittel der Deutung und Datierung des Turmerlebnisses auf Grund der Qualität der Rückblicke ein für allemal aus. Derselbe Einwand, der die späteren Rückblicke als Kriterien ausscheidet, gilt natürlich auch gegenüber einem Maßstab, der etwa aus der Theologie der Jahre 1520/21 genommen wäre. Denn wenn Luther 1520/21 ohne Zweifel reformatorische Theologie lehrt und um diese Zeit dasselbe lehrt wie 1517/18, so ist zwar erwiesen, daß 1518 das Turmerlebnis hinter ihm lag, aber keineswegs, daß jede Theologie, die den Stand von 1517/18 nicht wiedérgibt, deswegen unreformatorisch ist und vor dem Turmerlebnis liegt. Denn auch hier muß mit einem Wandel gerechnet werden, den jener Maßstab nicht erfassen kann. Es ist darum wohl möglich, daß erst die Theologie von 1517/18 reformatorisch ist, aber bewiesen wird es durch so einen Vergleich nicht — worauf es allein ankommt! Die Theologie vor 1518 ist deswegen zunächst aus dem Begriff des Reformatorischen nicht auszuschließen. Will man nun, nachdem die begrifflich formalen Angaben der Rückblicke ausscheiden, das Neue in Luthers Erkenntnis erfassen, so muß es im neuen Verständnis und Inhalt der nicht neuen Begriffe, besonders des nicht neuen Begriffs iustitia gesucht werden. Die hier liegenden Probleme kann man auf folgenden Wegen angehen: Zunächst versucht man durch Interpretation der Frühtexte im Vergleich mit der Scholastik festzustellen, wann ein neues, durch keine Scholastik mehr 12 F.Loofs DG 4 S. 689 und ThLZ 1925 Sp.587; H. Bornkamm ARG 1942 S. 10; H. Denifle 1,2 (Quellenbelege) S. 169 Anm. 2, S. 230 f., S. 274 Anm. 5, S. 275 Anm. 5, vgl. noch R. Seeberg DG III 4 S. 634 und O. Scheel, Die Entwicklung Luthers 1910 S. 119. 15 F. Lau, Luther (Göschen) 1959 S. 49. 14 Der Wert der Rückblicke, den Ebeling in der festgehaltenen gedanklichen Konkretion der Entdeckung sieht (RGGS IV Sp. 497), ist darum für den gedanklichen Ablauf der Szene („Da reumte ich das Abstraktum und Concretum z u s a m m e n . . ü b e r die anschließende Untersuchung der analogen Genetive etc) nicht zu bestreiten, nur die Konkretion der theologischen Gedankenfassung ist nicht gegeben. Auch Ebeling erkennt, daß die formelhaften Charakterisierungen des neuen Verständnisses in den späten Rückblicken nicht gegen Verwechslung mit der augustinischen Auffassung schützen und daß sich daran der begrenzte Wert der späteren Rückblicke zeigt (aaO Sp. 498). Ahnlich R. Prenter, Der barmherzige Richter 1961 S.46, der darauf hinweist, daß der Begriff iustitia donata augustinisdi, daher nicht typisdi für Luther und als begriffliches Kriterium nicht zu brauchen ist.
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gedecktes Verständnis, insbesondere des iustitia-Begriffes, vorliegt; dieses wäre dann das neue luthersche Verständnis. Zweifellos sind auf diesem Wege Differenzen gegenüber den spätmittelalterlichen Autoren und Fortschritte Luthers in seiner frühen Entwicklung festzustellen. Die Entstehungsbedingungen der theologischen Anfänge Luthers aus dem überkommenen Erbe werden auf diese Weise klargelegt 15 . Aber ab wann die Eigentümlichkeiten und Fortschritte im Verständnis gerade die in Luthers Turmerlebnis gemeinte Erkenntnis (deren begriffliche Kriterien wir nicht haben, daher wir nur nach dem inhaltlichen Verständnis fragen) voraussetzen, das ist durch einen Scholastikvergleich nicht zu zeigen. Denn was durch den Scholastikvergleich nicht mehr gedeckt ist, ist deswegen nodi nicht reformatorisdi im Sinne des vorauszusetzenden Turmerlebnisses. So ist z. B. die Schärfe der Aristoteleskritik in den Lombardenanmerkungen bisher durch keine scholastische Analogie belegt, weswegen sie aber noch nicht reformatorisch, sondern nur eben in einer bestimmten Entwicklungsphase Luther eigentümlich ist 1β . Einen zweiten Weg bietet die Frage nach dem Vorgang, in dem das neue Verständnis entstand. Diese Entstehung ist auf zweierlei Art denkbar: a) Luther sieht, daß die Scholastiker den richtigen Begriff der iustitia als schenkender und nicht strafender, aktiver, philosophischer Gerechtigkeit zwar kennen, ihn aber nicht konsequent verwirklichen, d.h. ihn praktisch vernachlässigen: (über iustitia/iudicium) Et hec est disputatio profundissimi theologi Pauli Apostoli nostris hodie theologis, an speculative nescio, practice scio quod ignotissima (WA III, 31, 15 f. von 1516). Luthers Erkenntnis bestand dann darin, daß dieser iustitia-Begriff in einem neuen, d. h. ausschließlichen, den ganzen Gottesbegriff und die Reditfertigungslehre durchdringenden Sinne verstanden werden muß Wenn aber diese Erkenntnis Luthers in dem bloßen Gedanken der notwendig konsequenten Durchsetzung bestand (ohne sich gleich am Anfang in neuem Verständnis anderer wesentlicher Begriffe zu explizieren, was vielmehr erst die bevorstehende Aufgabe war), dann gibt es für uns, obwohl diese Erkenntnis von irgendeinem Zeitpunkt an in Luthers Gedanken und also auch in den Texten vorauszusetzen ist, keinerlei Handhabe, diesen neuen Gedanken und Begriff der iustitia beim 15
E. Wolf, Christentum und Wissenschaft 1934 S. 205. G. Müller K u D 1965 S. 333, vgl. zur Habituskritik L. Grane, Contra Gabrielem 1962 S. 33 und R. Schwarz, Fides, Spes und Caritas beim jungen Luther 1962 S. 40. D a ß etwas Neues nicht darum schon reformatorisch ist, betont audi Ebeling (vgl. O. H . Pesch, Catholica 1966 S. 267 Anm. 92). " Vgl. Fr. Gogarten, Die Verkündigung Jesu Christi 1948 (Buch III: Luther) S. 313: „Aber gerade die Herauslösung aus der ,katholischen Gesamthaltung' ist das Entscheidende. Denn durch sie wird die lutherische Deutung gegenüber der der katholischen Theologie etwas von Grund auf Neues. Sie meint nämlidi nicht wie diese nur die eine der Barmherzigkeit zugewandte Seite der Gerechtigkeit..., sondern sie versteht sie ganz und ohne Einschränkung als schenkende Gnade." 16
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anfänglichen Gebrauch in Luthers Frühtexten zu erkennen. Denn als bloßer Gedanke, daß die iustitia eine geschenkte und Gottes iustitia nicht strafender Art ist, ist er, zumal in exegetischen Texten, nicht neu. Nur der dieser neuen Erkenntnis folgende Niederschlag im gedanklichen und begrifflichen Kontext könnte hier zum Indiz werden. Dies aber ist b) die zweite denkbare Art der Entstehung des neuen Verständnisses: der neue Sinn des Begriffs iustitia muß sich an dem (gegenüber dem alten) unterschiedlichen Gebrauch und einer neuen Bestimmung wesentlicher Funktionsbegriffe des iustitia-Verständnisses zeigen. Wenn wir z.B.wissen, daß Luther das abtractum und concretum zusammenräumte und iustitia wie iustus auf den Begriff fides bezog (TR Nr. 5518), so wäre diese Verbindung ein Kriterium. Wohl ist diese Verbindung in der ersten Psalmenvorlesung wichtig, aber im formalen Sinne ist auch sie, besonders wieder in exegetischen Texten, nicht neu; wohl ist sie beim frühen Luther mehr als üblich betont, doch ist es nur ein quantitatives Mehr. So wie beim fides-Begriff steht es aber auch bei allen anderen Begriffen, die das neue iustitia-Verständnis ausmachen und anzeigen können: gerade die historisch ersten Begriffe und Anschauungen, mit denen Luther den iustitia-Begriff des Turmerlebnisses in seinem Sinne konsequent und darum grundlegend neu verstand und in denen sich die Erkenntnis im Turmerlebnis konkretisierte und explizierte, kennen wir nicht, weil die Rückblicke sie nicht festgehalten haben. Im formalen Sinne ist also keine eindeutig neue Auslegung und Begriffsverbindung festzustellen, und das inhaltliche Verständnis kennen wir nicht. Wieviel mag schon durch die eigentümlich scharfe Aristoteleskritik, durch die vorlutherische theoloçia crucis oder durch den Einfluß des Staupitzschen Gottesbegriffs (vgl. Anm. 22) gegenüber dem aristotelischen Verständnis Luthers iustitia-Begriff verschoben sein, ohne doch einen ganz neuen iustitia-Begriff und das Turmerlebnis vorauszusetzen 18 . Welchen Schluß hat man für die Entstehune des neuen, reformatorischen Verständnisses im sog. Turmerlebnis aus der Tatsache zu ziehen, daß uns weder formal die explizierenden Begriffe noch auch inhaltlich das Verständnis der ursprünglichen Erkenntnis bekannt sind? Wenn Luther wirklich, wie er doch unzweifelhaft berichtet, am Begriff der iustitia dei die für ihn entscheidende Erkenntnis gewann, diese aber keine formal neue Definition war, sondern Einsicht in die notwendig konsequente Durchsetzung einer an sich schon bekannten Bestimmung, dann ist diese Erkenntnis nur ein Punkt, wenn auch ein wichtiger Punkt, in einer längeren Entwicklung, in der es bei jedem weiteren Schritt um die immer genauere 18 Damit fällt audi das Kriterium hin, das E. Hirsdi einst als methodische Bedingung formuliert hatte: neu sei ein Begriff oder eine Ansdiauung dann, wenn sie mit dem Begriff iustitia dei ins Verhältnis gesetzt ist (Kaftanfestsdirift 1920 S. 161 f.).
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Klärung dieser einen Erkenntnis ging 1 ·. Ab wann Luther dies Bewußtsein eines neuen Begriffs („iustitia dei" oder „Gesetz und Evangelium", wie er später sagt) gehabt hat, wissen wir nicht, da wir den Zeitpunkt dieser Erkenntnis nicht kennen. Auch ist nicht zu bestimmen, ob diese Erkenntnis am Anfang oder am Ende der Entwicklung stand20. Wahrscheinlich wohl mitten in der Entwicklung, als bedeutsamer Wendepunkt, der aber Kontinuität und vorausgehende, auf diesen Punkt hinleitende Erkenntnis nidit ausschließt. Denn Luthers theologisches Begreifen trat nicht mit einem Sdilage aus Unkenntnis und Dunkel in Kenntnis und Licht: „Ich wüste wol etwas, oder wüste doch nichts, was es ware", sagt er (TR Nr. 5518). Nicht nur trugen seine noch katholischen Fragen und Frageformen in der undomestizierten, mit keiner extenuatio legis sich begnügenden Leidenschaft der Frage ein reformatorisches Motiv in sidi (Scheel II S. 629), sondern auch sein theologisches Erkennen hielt schon Gedanken fest, ohne die die spätere Gestalt seiner neuen Lehre nicht zu denken ist, sei es daß man an die unerhörten dhristologischen Andeutungen WA IX, 17. 42 f., sei es daß man an die Neuordnung des BußbegrifFs seit den Unterredungen mit Staupitz und an die Erkenntnis erinnert, gerade Anfechtung und Angst seien Weg der suchenden w
Daß Luthers Frühzeit eine Zeit der Entwicklung war, wird in der Forschung zunehmend betont: G. Ebeling RGG» IV Sp. 496, H . Bornkamm ARG 1962 S. 22 f. 54, U. Nembadi ThZ 1963 S. 107.109.112, G. Pfeiffer LuJ 1959 S. 45, H . Hermelink ThR 1943 S. 41, A. Brandenburg, Gericht und Evangelium 1960 S. 18, K. Aland, Der Weg zur Reformation 1965 S. 77 f. 101 f. 110, E. Wolf EKL II Sp. 1165 f., H . A. Oberman bei O. H . Pesch Catholica 1966 S. 267 und Pesdi selbst ebd. S. 276. Zur Charakterisierung werden vorwiegend die Worte verwandt: reformatorisches Werden, Entwicklung, Übergang, Durchgangsstadium, Frühzeit ein Halbdunkel. 20 Nach F. Stracke, Luthers großes Selbstzeugnis 1945 etc. 1926 S. 118 f., ist die Erkenntnis im Turmerlebnis primitiae und steht daher am Anfang der Entwicklung. Die Rechtfertigungslehre schon vor dem Turmerlebnis nimmt an K. Holl I S. 187.195 mit E. Hirsch, Kaftanfestschrift 1920 S. 160.168 und H . Bornkamm ARG 1942 S. 30 sowie im Nachwort bei H.Boehmer, Der junge Luther 1951 4 S. 364.368 (vgl. Lutherforschung Heute 1958 S. 7: das neue Verständnis der iustitia dei ist nidit die grundlegende Entdeckung des Evangeliums, aber auch nicht eine sekundäre und isolierte exegetische Erkenntnis, vielmehr steht in diesem Ringen der sdion gewonnene Glaube an das Evangelium und die Versöhnung durch Christus noch einmal auf dem Spiel und muß sich in dem Feuer dieser Ängste bewähren), vgl. J. v. Walter ZsyTh 1923/24 S. 413. 417 f. 420 f., der die Entdeckung den Sdiluß der Frühentwicklung nennt, weil diese nicht erst den Rechtfertigungsglauben brachte, sondern ihn durch die exegetische Entdeckung von einem schweren Anstoß befreite (ähnlich Die Theologie Luthers 1940 S. 80 f.); vgl. nodi E. Wolf in Christentum und Wiss. 1933 S. 224 f. Sofern C. Stange im Turmerlebnis nicht Luthers Rechtfertigungserkenntnis, sondern sein Verhältnis zum Papst sich klären sieht, stellt auch er die Rechtfertigungserkenntnis vor das Turmerlebnis (Der johanneisdie Typus 1949 S. 30 f. 32 f.). A. Peters nennt das Turmerlebnis den Abschluß der Entwicklung, mit Berufung auf TR N r . 5518 „da riß idi herdurdi" (NZsyTh 1961 S. 210 f.). Inwiefern Luther den „Glauben an das Evangelium" sdion vor dem frühdatierten Turmerlebnis gehabt haben soll, ist bisher unklar geblieben. Eine solche frühe Erkenntnis lehnt Prenter, Der barmherzige Richter 1961 S. 11, ab, betont aber die Bedeutung der bleibenden augustinisdien Elemente.
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Gnade, nicht Ausdruck des strafenden Zorns — was ja nidits weniger heißt, als daß der Grundgedanke der theologia crucis (nämlich ex contrario zu denken und Gott und Welt zu verstehen) von Luther schon übernommen wurde. Rein formal zeigt sich Luthers Anlehnung in diesem wichtigsten Prinzip seiner frühen Theologie an der Verwendung des Ausdrucks antiperistasis i.e. contrarli circumstantia, der sich bei Gerson findet. Auch diese Gedanken mußten sich natürlich erst als einzig bestimmende und darum befreiende durdisetzen, indem die iustitia dei und damit Gottes ganzes Wirken als Ausdruck seiner Gnade sub contrario begriffen wurde. Diese wesentlichen Elemente des neuen Gottesbegriffs fanden sich schon vor dem Turmerlebnis. Dieses bradite nicht die erste Erkenntnis, sondern setzt wesentliche Einsichten, audi im Gottesbegriff, voraus21. Ebensowenig kann man aber auch annehmen, Luther habe gleich mit seiner Entdeckung die sichere Erfassung des neuen Glaubens in allen Konsequenzen gewonnen. Konsequenzen, um die es hier geht, vermögen dem Grundgedanken, der jedesmal ganz auf dem Spiele steht, eine Wendung zu geben, die ihn bis in die Fundamente verändern und neugestalten kann, denn iustitia dei ist keine bloße Definition. NB — wo endet die Grunderkenntnis und wo beginnen die Konsequenzen? Ist ein Fortschritt im Verständnis des Gesetzes bloße Konsequenz oder ein Urelement der mit ihm wesentlich verwandelten Rechtfertigungserkenntnis? Und dodi sehen mit Recht auch Forscher, die die Frühdatierung vertreten, daß in der Zeit der Paulusexegese (1515—1517/18) die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium noch nicht zum Absdiluß gekommen ist (Anm. 7). Oder wenn zur Zeit der Hebräervorlesung fast allgemein eine neue Entwicklungsphase im Glaubensbegriff erkannt wird, sofern der Glaube da zum erstenmal das gesamte Gottes11
Zur Christologie schon E. Hirsch, Kaftanfestsdirift 1920 S. 160.168, zustimmend K. Holl I S. 192. Die frühe theologia crucis in den Lombardenanmerkungen (WA IX, 18,13 ff., 19 ff. poenitentia als crux) beachtet O. Ritsehl, DG des Prot. II, 1 S. 43, vgl. Hamel I S. 23. Gersons Ausdrude antiperistasis du Pin 111,415 bei Luther WA LVI, 387, 3 f., vgl. W. Dreß ZKG 1933 S. 157 und A. Rühl, Der Einfluß der Mystik auf Denken und Entwicklung des jungen Luther, Diss, theol. Marburg 1960 S. 76 f. Audi Gerson nennt die Anfechtung domina magistra (Dreß aaO S. 156, vgl. einen instruktiven Text S. 160 Anm. 85) und kennt überhaupt das „Gerichtsbarmherzigkeitserlebnis' (vgl. bei Dreß aaO S. 127.158). Anfechtung als Weg der Gnade bei Staupitz weist nadi E. Wolf, Staupitz und Luther 1927 S. 228 f. 156 f. 163.165. 205.206. 217. Den Zusammenhang der frühen theologia crucis mit der spätmittelalterlichen Passionsfrömmigkeit betont M. Elze ZThK 1965 S. 395 f. Daß schon vor der Erkenntnis der iustitia dei im Turmerlebnis der Begriff der Strafgereditigkeit eine Milderung erfuhr, bemerkt O. Scheel, Die Entwicklung Luthers 1910 S. 102 f., daß diese durch Staupitz veranlaßt sein dürfte, meint audi R. Seeberg DG IV, 1 S. 71. Uber dessen thomistischen, für Luther „neuen" Gottesbegriff s. E. Wolf, Staupitz und Luther S. 220.250 und L u j 1929 S. 78. Die Zwisdienstellung Staupitzens betont Wolf L u j 1929 S. 60. 75. 83. — Wie nahe die Erkenntnis auf dem Turme und das Vorhergehende zusammenliegen, zeigt sich auch daran, daß Luther im Turmerlebnis den Haß Gottes überwand, während dodi schon Staupitz' Bußunterweisung den Beginn der Buße ab amore iustitia et dei beginnen lehrt (WA 1,525,12).
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Verhältnis zusammenfaßt und ausdrückt (Kap. IV Anm. 11), so ist dies eine bis an die Wurzeln der Erkenntnis reichende Entwicklung. In allen Phasen der Entwicklung handelt es sich also um die Sicherung und Präzisierung der rein und ausschließlidi ex fide gesdienkten iustitia22. Das Turmerlebnis war also nur ein besonders wichtiger Punkt in einer langen Entwicklung28. Was bedeutet das für die methodische Behandlung des Turmerlebnisses? Es bedeutet, daß aus keiner theologischen oder den Rückblicken entnommenen Vermutung abzuleiten ist, welche der Entwicklungsstufen, die alle den iustitia-Begriff immer sicherer auslegen, jene für Luther so entscheidende Erkenntnis birgt und an welcher gedanklichen Konkretion Luther sich des neuen iustitia-Begriffes bewußt wurde; denn die Definition ist nicht neu, und welches Verständnis das neue war, wissen wir nicht. Es könnte früh gewesen sein, wegen der furchtbaren vorhergehenden Belastungen — man beachte, was für eine erschütternde Geschichte audi nach dem Abbau der Lutherlegende z. B. in O. Scheels Darstellung übrigbleibt —, als Luther die Gerechtigkeit in den Dictata aus dem Glauben verstand, der die Sünde demütig bekennt, sodaß das Zunichtewerden im Bekenntnis als der einzige sich an Gott preisgebende Weg des Heils begriffen wurde und somit Gesetz und Evangelium noch eins sind, weil das vernichtende iudicium das Heil ist (iudicium, id est evangelium), womit die Erlösung von der zu leistenden Buße gegeben war. Es könnte aber auch später, um 1517/18, gewesen sein, als der Glaube zum zentralen Begriff im Gottesverhältnis geworden ist, n Sehr gut Hamel I S. 150 ff., besonders 191, dodi vgl. audi Α. Peters NZsyTh 1961 S. 210, daß die neue Erkenntnis nicht im Begriff als solchem liege, sondern als echter Weg des Glaubens ganz ausgesdiritten werden müsse. In den Selbstzeugnissen sei die Entfaltung des neuen Verständnisses nidit dargestellt und der Weg selber nicht ausgesdiritten. !S Wollte man hiergegen einwenden, damit werde die reformatorisdie Wende eingeebnet und zu einem neben anderen Punkten gemadit, so ist zu beachten, daß nur aus kleinen und wenig eindeutigen, sehr verschieden interpretierbaren Hinweisen erschlossen wird, ob die Wende bei Annahme der Frühdatierung vor den Dictata oder bei Ps. 30 oder gar erst bei Ps. 70 liegt. So eindeutig und umbrechend, wie „die reformatorische Grunderkenntnis" und Luthers dramatische Schilderungen es erwarten lassen, ist das Neue also keineswegs aufgetreten. Auch ist für den Grad der Besonderheit dieser Erkenntnis, soweit sie uns in jenen Schilderungen vorliegt, zu bedenken, daß Luther sich in dergleichen starken Ausdrücken auch sonst gelegentlich ausgesprochen hat (C. Stange, Der johanneisdie Typus der Heilslehre Luthers 1949 S. 30 und J. v. Walter, ZsyTh 1923/24 S. 422, vgl. WA I, 525, 16 ff.). Deswegen soll die einzigartige Bedeutung dieser Erkenntnis nicht angetastet werden, dodi es geht zunächst um ihr unscheinbares und undeutliches Auftreten und die Unmöglichkeit, sie theologisch festzustellen. „Und für dies biographisch Ereignishafte fehlt ein entsprechender Anhalt in den Texten der in Frage kommenden Zeit" (G. Ebeling R G G ' IV Sp. 497). Auch die Annahme der Spätdatierung kann sidi auf einen solchen Niederschlag in den Texten nicht stützen; dennoch argumentieren E. Bizer (Fides ex auditu S. 18) und K. Aland (Der Weg zur Reformation 1965 S. 16. 51 f.) gegen die Frühdatierung mit der Forderung von Spuren und der fehlenden inneren Beteiligung in der Textauslegung. G. Pfeiffer (LuJ 1959 S. 53) hat einen Grund dafür vermutet, warum ein solcher Niedersdilag gar nidit erwartet werden kann, ähnliche Erwägungen bei O. Scheel, Die Entwicklung Luthers 1910 S. 114.
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Gesetz und Evangelium endgültig unterschieden waren und die volle Gewißheit des Glaubens aus dem Evangelium möglich wurde. Beidemale sind es einschneidende Veränderungen im Verständnis und sicheren Erfassen der (beidemale nicht mehr aristotelischen) iustitia. Keine Vermutung — und sei sie aus den Rückblicken genommen — kann entscheiden, welche dieser beiden Erkenntnisse das Turmerlebnis bedeutete. Denn die Rückblicke bieten keine Kriterien, und der historische Begriff, d.h. die gedankliche Form, in der Luther zur ersten Zeit seiner Entdeckung den Begriff iustitia dei dachte und sich vorstellte, ist aus keiner theologischen Wahrscheinlichkeit abzuleiten, sondern ist als kontingentes Erkennen und Bewußtwerden ein rein historisches Problem der Biographie und theologischen Entwicklung Luthers. Daß z.B. die Römerbriefvorlesung nicht mehr scholastisch-occamistisch zu verstehen ist, dürfte sicher sein, aber ob deswegen das unscholastische iustitiaVerständnis schon so expliziert ist, wie Luther es sich in der entscheidenden Erkenntnis dachte, ist theologisch nicht zu entscheiden. Nur äußere, historisch-biographische Kriterien können dies entscheiden. Soweit es um theologische Erwägungen geht, muß die ganze Frühzeit für die Ansetzung des reformatorischen Umbruchs offen gehalten werden. Dies ist die unausweichliche Folge der über die Qualität der Überlieferung hier angestellten methodischen Erörterungen. Selbst wenn nun Datierung und genaue Deutung des Turmerlebnisses aus Mangel an den hier geforderten äußeren, biographischen Zeugnissen unmöglich würden, so würde doch aus der Einsicht, daß wir den Sinn der Erkenntnis auf dem Turme wohl allgemein, aber nicht in dem für die historisdie Entscheidung notwendigen genauen Maße kennen, die Textinterpretation von der Suggestion der Turmerlebnisproblematik frei — und das nicht nur aus Resignation, sondern aus methodischer Einsicht — und somit der Weg zu der von jener Voraussetzung erlösten Erforschung der Entwicklung Luthers aus den Frühtexten eröffnet. Mit all dem ist gezeigt worden, warum es nicht gelingen kann, die Angaben der Rückblicke in den Frühtexten wiederzufinden. Damit wird auch das oft geübte Lösungsverfahren hinfällig: nach eigenem Verständnis und Ermessen entscheidet der Interpret, ob und wo das in den Rückblicken Gemeinte (d. h. nach seinem freien Urteil Gemeinte) in den Texten erscheint; er entscheidet ohne jede Kontrollinstanz, denn eine von Luther selbst autorisierte Wiedergabe der historisch ursprünglichen Formulierung der neuen Gedanken gibt es ja nicht. So überbrückt der Forscher mit seinem Urteil die Diskrepanz zwischen den zu interpretierenden Frühtexten und den zu interpretierenden Rückblicken. Je nach dem, ob er den in den Spätformulierungen „gemeinten" theologischen Sachverhalt „der Sache nach" oder „im Grunde", „faktisch", „sinngemäß" oder „inhaltlich" schon gegeben erachtet oder nicht, entscheidet er: „reformatorisch" oder „unreformatorisch", und
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also implizit über die Datierung des Turmerlebnisses. Dabei käme es doch auf eine sichere, jede Konjektur vermeidende Feststellung der ursprünglichen gedanklichen Konkretion der entscheidenden Wende zum Zeitpunkt der ersten Erkenntnis im Turmerlebnis an. Aber weil wir diese nidit kennen, wird der dem jeweiligen theologischen Verständnis des Interpreten entstammende Begriff von „reformatorisch" zum Maßstab der Chronologie. Wollte man dies etwa für notwendig halten, weil jeder Interpret ein (sein) Verständnis von „reformatorisch" zur Auslegung mit ins Spiel bringen muß, so heißt das doch die Unvermeidlichkeit des hermeneutischen Zirkels mit der nur scheinbaren Unvermeidlichkeit eines subjektiven Begriffs von „reformatorisch" und mit der notwendig rein historischen Feststellung des ursprünglichen Verständnisses von iustitia dei verwechseln. Hier liegt die Quelle aller Differenzen. Damit ist eine radikale Unterscheidung zweier Begriffe von „reformatorisch" gefordert. Zunächst der — ich nenne ihn einmal so — historische Begriff, in dem ausschließlich mit Blick auf das Turmerlebnis gefragt wird, wie Luther in der ersten Zeit seiner Entdeckung die iustitia dei verstand und explizierte. Von diesem historischen Begriff werde ein zweiter unterschieden — ich nenne ihn den systematisdoen, in dem zusammengefaßt wird, was Luther später als vollen Ausdruck seiner Theologie in gereifter Fassung vorgetragen hat. Sofern es in diesem Begriff auch um das theologische Wesensproblem des Reformatorischen geht, gehören die verschiedenen Auslegungen, die „Luthers Theologie" erfahren hat, mit in ihn hinein. Bei aller Schwierigkeit, die in der hier postulierten Trennung des historischen und des systematischen Begriffs von „reformatorisch" liegen kann — sie ist notwendig, weil der historisch ursprüngliche Begriff, aus späteren Rückblicken nicht erschließbar, ein rein historisches Problem der theologischen Entwicklung Luthers ist und darum nur formale, äußere Kriterien festlegen können, welche Phase und welche Erkenntnisstufe in der in den Texten vor uns liegenden Entwicklung Luthers jene biographische Bedeutung gehabt hat. Hier erhebt sich der gewichtige Einwand (vgl. schon Anm. 23), ob die Forderung des rein historischen, keinerlei theologische Bedingung stellenden Begriffs von „reformatorisch" das Turmerlebnis nicht zu einer rein biographisch-erlebnismäßigen Kategorie herabdrücke, ohne den theologischen Sinn im methodischen Ansatz festzuhalten und zu verankern. Doch dieser theologische Sinn wird in dem historischen, keine theologischen Bedingungen voraussetzenden Begriff nicht verneint, sondern nur als eigenständig vom theologischen unterschieden. Es gab die theologische Erkenntnis, nur ist uns ihre genaue Fixierung und damit ihre Datierung nach theologisch-inhaltlichen Kriterien verwehrt. Die biographische Bedeutung war mit der theologischen Erkenntnis derart verbunden, daß das Erlebnis in der Wahrheit der theolo-
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gischen Erkenntnis begründet und verwurzelt war, weil — umgekehrt — nach Luthers Meinung das persönliche Erlebnis die Entdeckung einer wirklichen Wahrheit war. Die theologische Erkenntnis hatte ganz unzweifelhaft — das zeigen die reichlichen Erinnerungen Luthers — ihre biographischpsychologische Seite24. Darum ist es trotz aller Bedenken erlaubt, vom Turmerlebnis zu spredien. Bei dieser unlösbaren Verbindung von theologischem und biographischem Sinn des Turmerlebnisses, muß und kann man nun, da es in ihm um zwei methodisch ganz verschieden zu handhabende Kategorien geht, es darauf ankommen lassen, daß der rein biographisch zu ermittelnde Zeitpunkt der Erkenntnis (soweit dies rein quellenmäßig möglich sein wird) in eine Phase der theologischen Entwicklung fällt, die (wie dann die Vorlesung Luthers in der betreffenden Phase zeigen müßte) den Erfordernissen — hier sind in einem sekundären, bestätigenden Sinne die Rückblicke hinzuzuziehen — des historisch reformatorischen Begriffs entspricht. Ja, mehr bzw. weniger noch: diese theologischen Erfordernisse sind, weil nur aus Übersetzung der Spätformulierungen in den Rückblicken genommen, vorerst mehr unsere, der Interpreten, theologische Erwartungen, die historisch als für den jungen Luther und sein Urerlebnis zutreffend noch nicht erwiesen sind. Die Unterscheidung der beiden Begriffe von „reformatorisch" aber schafft, daß a) der historische Begriff unter keiner Erwartung mehr steht, diese oder jene theologische Aussage bereits enthalten zu müssen; vielmehr wird seine Feststellung erst entscheiden, was für Luther damals reformatorisch hieß, und b) daß der präjudizierende systematische Begriff durch Einsicht in seine eigene voraussetzungsvolle Art als Kriterium des (im historischen Sinne) „Reformatorischen" ausgeschieden wird, weil er die Interpretation der Texte unter Erwartungen stellt, die sidi für den ursprünglichen und historisch ersten Sinn des Begriffs methodisch nicht rechtfertigen lassen. So könnte es sein — und in diesem Risiko besteht der Reiz einer voraussetzungsfreien Forschung —, daß die rein biographischen Kriterien das Turmerlebnis in einen Zeitraum verweisen, den man nicht erwartet. „Schon" die Römerbriefvorlesung 25 oder " Daß das Erlebnis überhaupt stattfand und mit der Erkenntnis des iustitia-Begriffes zusammenhängt, der Luther in seiner Frühzeit in große Not brachte, zeigen Luthers eindringliche Erinnerungen (vgl. Scheel Dokumente 21929 Nr. 13. 27. 54. 235. 237.238. 245. 404.449.452.460.474.476.490.491.511.756.765.797.808.828), vgl. Scheel Luther II S. 578. Die persönlich biographische Bedeutung dieses Ereignisses kann nicht durdi den interessanten Nachweis, daß im Spätmittelalter mehrere Bekehrungserlebnisse nachgewiesen sind (Oberman HThR 1966 S. 9), zum bloßen Topos einer Turmerlebnis-Tradition herabgemindert werden. Die Versuche, im Turmerlebnis kein einmaliges Erlebnis, sondern eine Entwicklung zu sehen (darüber referiert G. Pfeiffer LuJ 1959 S. 32 f.), sind als Reaktion auf die früher rein erlebnismäßige Bestimmung der Erkenntnis verständlich, aber als Alternative zu einseitig. Wichtig aber ist die kategoriale Unterscheidung des Erlebnishaften vom Theologischen. 15
Damit sei die erste Psalmvorlesung nicht ausgeschlossen, nur beginnt meine Untersuchung mit der Römerbriefvorlesung, weil die neue Dictataedition noch nicht bis Ps. 70
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„erst" die Theologie von 1518 wäre dann reformatorisch — im Sinne des ersten, historischen Begriffs, je nach dem sich Früh- oder Spätdatierung ergeben. Erst die Unterscheidung der beiden Begriffe und parallel dazu der theologischen von den biographisch-psychologischen Kategorien ermöglicht die Feststellung des Turmerlebnisses und des historisch ersten Begriffs, weil erst sie den von Prämissen durchsetzten Zusammenhang zwischen Chronologie und Interpretation durchbricht, dem keineswegs die Unentrinnbarkeit des hermeneutischen Zirkels eignet. Dieser bestimmt wohl die Interpretation, aber nicht das Verhältnis von Chronologie und Interpretation, welche beide ganz und gar getrennt werden müssen. Daß die Qualität der Rückblicke es nicht einmal hilfsweise erlaubt, hier aus der Not eine Tugend zu machen und beide dodi immer wieder zu verbinden, sollen diese methodischen Uberlegungen gezeigt haben. Die Forderung eines rein biographisch-historischen Begriffs vernachlässigt oder verneint also den theologischen Sinn des Turmerlebnisses nicht, sondern schafft in der Unterscheidung nur eine Kontrolle beider Methoden und läßt es darauf ankommen, daß beider Ergebnisse in Ubereinstimmung gebracht werden können 28 . 3. Was bedeutet das alles konkret für die Interpretation der Frühtexte? Beachtet man, daß Luthers Frühzeit eine Zeit starker theologischer Entwicklung war, von den Lombardenanmerkungen zur ersten Psalmenvorlesung, zur Römer-, Galater- und Hebräervorlesung und weiter über die Schriften des Jahres 1518 zur zweiten Psalmen Vorlesung, und daß jedenfalls die Theologie der Randbemerkungen von der der Römerbriefvorlesung um etliche Schritte entfernt ist, so hat es, will man die Entwicklung erfassen, wenig Sinn, die Theologie der Römerbriefvorlesung in scholastisch-occamistischen Kategorien zu interpretieren. Auch wenn die Theologie der Römerbriefvorlesung im biographischen Sinne des Turmerlebnisses noch vorreformatorisch sein sollte, kann sie in ihrer Eigentümlichkeit — gerade wenn auf vorgedrungen ist und vor allem die textkritische Einleitung nicht vorliegt. Dodi auch die Uneinheitlidikeit der Dictata (Hamel I S. 194 f. und L. Grane S. 312) ließ mich den „fest in sich geschlossenen Gedankenzusammenhang" der Römerbriefvorlesung (Holl) zum sicheren Ausgangspunkt nehmen. Nur in diesem Sinne ist der oft bemerkte Einschnitt zwischen Dictata und Römerbriefvorlesung (H. Boehmer, Der junge Luther 19514 S. 110, K. Holl I S. 111. 203 f. 550, H. Bornkamm in Lutherforschung Heute 1958 S. 18) zu verstehen. Deswegen werden die folgenden Untersuchungen den Zusammenhang mit den Dictata festhalten. M Mit meinem Postulat der Unterscheidung berührt sidi nahe die Überlegung von O. H. Pesch (Catholica 1966 S. 275 f.). Er trennt (nicht ganz konsequent) die Frage des Bewußtseins von der theologischen Entwicklung: Luther habe unbewußt schon lange Neues gelehrt, aber den theologischen und psychologischen Durchbruch erst spät gehabt. Diese Entscheidung ist zwar unbewiesen (vgl. Sdiluß Anm. 3), doch die in den Blick genommene Unterscheidung bejahe ich ganz.
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dem Hintergrunde der Scholastik interpretiert 27 — keinesfalls mehr in scholastischen Begriffen und Analogien erfaßt werden. Man muß nicht, selbst wenn die reformatorische Wende erst 1518 liegt, der Theologie der vorhergehenden Zeit einen Verdienstgedanken, einen aristotelisch-satisfaktorischen iustitia-Begriff, einen als Leistung und fides formata verstandenen Glauben, die Luther alle zur Genüge verneint, beilegen. Der Begriff iustitia kann ja durch die Begriffe Glaube, Gnade, Gesetz etc. als durch seine Interpretatmente auf sehr verschiedenen Stufen und Graden der Klarheit erfaßt sein, deren Nuancierung für die Feststellung einer Entwicklung gerade entscheidend ist. Was man nidit reformatorisch nennt, muß deswegen noch nicht scholastisch, unterreformatorisch, katholisch sein 28 . Wo gibt es denn eine der Römerbriefvorlesung auch nur annähernd vergleichbare Gestalt der Theologie im Rahmen der späten Scholastik oder Frömmigkeitsgeschichte? Trennt man hier nicht vollkommen die Datierung des Turmerlebnisses von der Textinterpretation, folgert man mithin aus der Spätdatierung die noch „katholische", scholastische Art der frühen Theologie, so verstellt man sich gerade die eigentümliche Zwischengestalt dieser frühen Theologie — wie man allerdings ebenso die Eigenart dieser Frühgestalt verwischen würde, wenn man sich durch eine Frühdatierung verleiten ließe, Sprache und Formeln der (somit bereits „reformatorischen") Römerbriefvorlesung im bekannten und späteren „reformatorischen" Sinne zu interpretieren. Es muß bis auf die von der Alternative „reformatorisch-unreformatorisch" freie Interpretation der Texte völlig offen bleiben, ob in die Aussagen der frühen Zeit schon der Sinn späterer Aussagen zu legen ist. Es könnte ja gerade in der Frühzeit unter gleichen oder fast gleichen Formeln sich noch ein ganz anderer Sinn verbergen. Datierung und Problem des Turmerlebnisses müssen konsequent von der Interpretation geschieden werden, damit die Auslegung in jenem Problem unwissend und unentschieden betrieben wird. N u r so wird die Aufgabe der Interpretation gelöst, die Entwicklung differenziert in Stufen zu erfassen. Wie aber vollzieht sich die Erfassung des Entwicklungsstandes? Auf zweierlei Weise: durch genaue Feststellung des von Luther Gemeinten aus dem Zusammenhang und durch Bestimmung alles dessen, was er noch nicht meint und sagt. Dazu hilft der vergleichende Blick auf die späteren Schriften Luthers. 27 Das erscheint mit aller Deutlichkeit in der Arbeit von R. Schwarz (Fides, Spes und Caritas beim jungen Luther 1962), der Luther im Vergleich mit der Scholastik interpretiert. M Solche Stufen des Glaubensbegriffs zwischen der scholastischen fides formata und der endgültigen fides ex verbo promissionis vermag Bizer nicht wahrzunehmen, da er sich eine Definition setzt (Jeder Glaube, der nicht an das Verheißungswort glaubt, ist fides formata, EvTh 1957 S. 70 ff.), nach der die Entwicklung des jungen Luther alternativ beurteilt wird. Sehr deutlich verneint A. Nembach die Alternative reformatorisch/unreformatorisdi (ThZ 1963, besonders S. 111 A n m . 2 8 ) , dürfte dann aber z.B. aus dem unabgeschlossenen Charakter der Römerbrieftheologie nicht schon das Fehlen des Turmerlebnisses und somit dessen Spätdatierung folgern (aaO S. 112).
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Nun ist faktisch die Auslegung der frühen Texte von den späteren Gedanken her, nur eben mit Blick auf die Einheit und Gleichheit der Gedanken, schon immer betrieben worden und hat, wie gezeigt, in der Überraschung, so viel Gleichlautendes schon in der Römerbriefvorlesung zu finden, zu einer Überinterpretation der frühen Texte geführt. Wie sehr dabei das Wissen von der späteren theologischen Entwicklung Luthers zur Uberinterpretation verleitete, kann man besonders aus der Debatte um das Verständnis der Lombardenanmerkungen Luthers ersehen: ob man auf die occamistische Struktur und Voraussetzung der Äußerungen (Scheel) oder auf das bereits Neue (Holl) den Ton legte, einig war man sich in dem allenthalben zitierten Satz Η . v. Schuberts: „Man sieht doch schon, wo die Reise hingeht." 32 Bei aller Hellsiditigkeit — selbst wenn man die Lösung von der occamistisdien Schulung zu beachten hat 33 , so ist doch aus der Theologie der Randbemerkungen schlechterdings nicht zu ersehen, daß die Reise bei der Rechtfertigungslehre Luthers enden würde; die beginnende Eigenständigkeit — zumal wenn sie durch Staupitz mitbedingt sein sollte — konnte an ganz anderer Stelle enden 34 . In keinerlei Sinn läßt sich meines Erachtens, auch mit Kenntnis des späteren Luther, in den Randbemerkungen die beginnende Entwicklung in der dann faktisch genommenen Richtung erkennen. In diesem Sinne erweist sich der vergleichende Blick auf die spätere Theologie Luthers für die Auslegung der Frühtexte als verführend und gefährlich 35 . In einem anderen Sinne kann jedoch der Blick auf die späteren Texte Luthers hilfreich sein. Bei der Feststellung alles dessen, was die Frühtexte noch nicht sagen, vermag der stete Blick auf die späteren Texte Luthers zu helfen, sofern man sie im Kontrastvergleich liest. Mag früher die Kenntnis der späteren Theologie Luthers für das allgemeine theologische Verständnis der in der Frühzeit behandelten Probleme hilfreich gewesen sein (weswegen 32
Vgl. O. Sdieel Luther II S. 656. O.Scheel Luther II S.461 ff.; L.Grane, Contra Gabrielem 1962 S.32ff.; R.Schwarz, Fides, Spes und Charitas 1962 S. 37 ff., vgl. noch A. Gyllenkrok, Rechtfertigung und Heiligung 1962 S. 15. »4 Dasselbe ist ausgedrückt, wenn G. Ebeling sagt, daß die Dictata nur vom späteren Luther her richtig zu erkennen seien (ZThK 1951 S. 181), oder wenn H. Boehmer meint, niemand würde ohne äußere Zeugnisse die Dictata als Luthers Eigentum erkennen (Luthers 1. Vorlesung, BAL phil.-hist. Kl. 75,1,1924, S. 32). — Ober Staupitz' Einwirkung auf Luthers Randbemerkungen vgl. E. Wolf, Staupitz und Luther 1927 S. 249 f. Grane, Contra Gabrielem S. 283, nimmt Staupitz' Einwirkung erst nach den Anmerkungen an. " Sofern dieses rückwärts interpretierende Verfahren faktisdi oft geübt wird, ist auch W. Links teleologische Betrachtung nichts Neues (nur daß sie methodisch reflektiert und kontrolliert ist), durch die er die geistige Konsequenz der Gedanken Luthers nachzeichnen will, wobei aber gerade bei betonter Annahme einer Entwicklung (für die er sich auf K. Bauer und H. J. Iwand beruft) auf die Einheit und geistige Konsequenz dieser Entwicklung, nicht auf ihre unterschiedlichen Phasen der Ton gelegt wird (W. Link, Das Ringen Luthers 1940 S. 75 f.). Insofern kann man hier wohl von einem Verzicht auf genetisdie Betrachtung sprechen (E. Bizer, Fides ex auditu S. 12). M
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überwiegend die Einheit der frühen und späten Auffassung betont wurde) — in der gegenwärtigen forschungsgeschichtlichen Situation, d. h. für die geforderte differenzierende Feststellung der Entwicklungsphasen hilft nur der Kontrastvergleich. Dieser kann dazu beitragen, den vom späteren nodi differierenden Sinn gleichlautender Begriffe und Formeln aufzudecken. Hier liegt nun ein weiteres Problem in dem Verhältnis von Früh- und Spättexten, das sich audi sonst schon, besonders aber in der jüngsten Debatte wieder gemeldet hat. Zwei Beispiele mögen es veranschaulichen. L. Pinomaa fragt in seinem Buch „Der existentielle Charakter der Theologie Luthers" (1940) nadi dem Durchbrudi der existentiellen Auffassung der Theologie Luthers (S. 10), deren Kriterium das Anfechtungsmotiv sei (S. 15 f.). Danach drückt sidi die Existentialität in der Theozentrizität aus, deren Gegensatz die Anthropozentrizität des herkömmlichen katholischen Semipelagianismus sei (S. 19 f.). Demgemäß sei Kennzeichen einer anthropozentrischen Auffassung eine als mensdilidie Disposition verstandene humilitas (S. 20). Eine solche anthropozentrische (semipelagianisdie) Auffassung findet Pinomaa auch bei Luther in den Dictata (S. 21 ff.) und belegt sie mit Stellen wie: Omne Studium nostrum id esse debet, magnificare et aggravare peccata nostra et sic semper magis et magis accusare... (S. 23 Anm. 3); diese accusatio sui sei anthropozentrisch, weil sie eine vom Menschen aus geschehende Wertschätzung seiner selbst darstelle (ebd.), denn das demütige Bekenntnis sei eine disponierende Eigenschaft des Menschen, daher anthropozentrisch und vorreformatorisch (S. 24 f.). Erst bei der Scholie zu Ps. 110/111 und 118/119 trete die theozentrisdie Auffassung der humilitas daneben (S. 25 ff. 136 f.). Zwar sei sie audi jetzt noch — das wird als bedenkliche anthropozentrische Einschränkung verstanden — gleichbedeutend mit confessio peccati, die aber ihre Entstehung nicht mehr menschlichem Tun, sondern der Aktivität Gottes verdanke (S. 28). Nun sieht Pinomaa selber, daß Begriff und Vorstellung der humilitas damit nicht verschwinden, sondern noch lange (Predigt von 1518: S. 34) — und man muß hinzufügen: immer se — bei Luther erhalten bleiben, so daß man doch schließen muß, es könne sich nicht schon an der Benutzung des Begriffs als solchem entscheiden, ob eine theozentrisdie oder anthropozentrische Theologie vorliegt, sondern es müsse der jeweilige Sinn im Kontext darüber entscheiden. Aber Pinomaa versteht den Begriff als solchen wesensmäßig anthropozentrisch, was sich darin zeigt, daß er seinen weiteren Gebrauch eine Doppeldeutigkeit nennt, deren Luther sich nicht bewußt gewesen sei (S. 29) — Ebenso läßt sich gegen die Meinung, " Nachweise bei Holl I S. 132 Anm. 1 und Prenter, Der barmherzige Richter S. 134 f. und Anm.409, vgl. nidit nur das Magnificat WA VII, 538ff., sondern z.B. auch WA 10 I, 1, 46,1 ff.; 95, 6; 133; 291, 7 f.; 347, 20. 3 ' Ebenso Pinomaa, Sieg des Glaubens 1964 S. 17: in den frühen Vorlesungen finde sich reformatorische Reditfertigungslehre, „obwohl (!) diese Vorlesungen von der humilitas erfüllt sind". Infolge dieser angenommenen Diskrepanz muß Pinomaa von einer unbewußten Doppeldeutigkeit in Luthers Sprachgebrauch (Der existentielle Charakter S. 29)
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accusatio sui sei eoipso menschliche Disposition (also semipelagianisdie Anthropozentrizität), einwenden, Luther habe gerade später, als nach Pinomaa die theozentrische Existentialität längst durchgedrungen war, die accusatio sui als die neue Definition der Gerechtigkeit gepriesen: O ignorata diu diffinitio iustitiae! Quid est iustitia? Est accusatio sui. Quid iustus? Accusator sui. Quare? Quia praevenit iudicium dei et idem damnat, quod deus damnat, scilicet seipsum88. Das Problem, das in dem Hinweis auf den späteren Gebrauch des gleichen Begriffs bei Luther liegt, ist also dies: was vermag so ein Verweis auszusagen? Wie weit reicht seine Beweiskraft? Ein anderes Beispiel aus der neuesten Debatte rückt die Frage in ein noch helleres Licht. E. Bizer hat den Juristensatz „qui cedit omnibus bonis, satisfecit" als einen Satz bezeichnet, in dem die Demut in der cessio bonorum die Forderung der Gerechtigkeit erfülle; „man wird an einen Schuldner denken müssen, der seinen ganzen Besitz drangibt und sich selbst in die Sklaverei begibt und damit zwar seine Schulden nicht bezahlen kann, aber doch außer Verfolgung gesetzt wird. Hier ist also der aristotelische, juristische Begriff der Gerechtigkeit eindeutig festgehalten" (Fides ex auditu S. 28). Demgegenüber hat H . Bornkamm betont, daß Luther dies Gleichnis auch später noch verwende, als er den aristotelischen Begriff von Gerechtigkeit ganz sicher schon überwunden hatte, so daß Bizer eine juristische Formulierung mit dem juristischen Sinn, den Luther jedenfalls später nicht mehr unterlegt, verwechsele (ARG 1962 S. 11). Wie weit trägt auch hier der Hinweis, Luther habe einen Begriff, eine Vorstellung oder ein Gleichnis auch später noch verwendet? Der Hinweis zeigt zunächst, daß ein in späteren Jahren noch immer verwendeter Begriff für Luther nicht notwendig und wesentlich einen zu verneinenden (anthropozentrischen, aristotelischen) Sinn gehabt hat. Damit ist natürlich auch nicht gesagt, daß er bereits einen vom späteren Luther bejahten Sinn gehabt haben muß. Es ergibt sich also durch den Spätgebrauch nur dies eindeutig, daß Begriff oder Vorstellung als solche keinen festgelegten Sinn hat und daß aus dem herkömmlichen Sinn, aus der vermuteten inneren Logik oder aus der innewohnenden Anschauung des Begriffs noch nicht auf seinen Sinn bei Luther geschlossen werden darf. Accusatio sui scheint tatund von einem verzögerten Auftreten der neuen Auffassung in volkstümlichen Darlegungen sprechen (S. 34 Anm. 1); muß, „weil es kaum denkbar ist, daß derselbe Mann zu gleicher Zeit zwei voneinander dermaßen abweichende (!) Ansichten hat vertreten können", Umdatierung von Predigten vornehmen (dieselbe Anm. auf S. 35); meint, Luther habe die Notwendigkeit nicht eingesehen, aus dem Durchbruch der theozentrischen Auffassung audi begriffliche Konsequenzen zu ziehen, obwohl ihm während der Römerbriefvorlesung Bedenken über den Begriff kamen (S. 36), er ihn aber andrerseits weiter benutzt (S. 34 f., vgl. noch Kapitel III Anm. 3). 38 WABr 1, 145, 28 ff. (Februar 1518), obwohl dies nach Pinomaa (S. 8 f. 15.19) gerade die Zeit der Resolutionen ist, in denen die theozentrische Existenzialität abschließend zum Durchbruch kommt.
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sächlich anthropozentrisch und legt in der Vorstellung des Begriffs (mit Pinomaa zu reden) Semipelagianismus nahe. Aber seine spätere nachdrückliche Hervorhebung als Inbegriff der neuen ignorata diu diffinitio zu einer Zeit, da die theozentrische Existentialität nach Pinomaa vollständig zum Durchbruch gekommen ist, zeigt, daß der Begriff als solcher in keiner Weise festgelegt ist, sondern vom Interpreten erst aus dem Gesamtzusammenhang bewiesen werden muß, weldien Sinn Luther ihm hier und da beilegt39. Besagt also der Hinweis auf den auch späteren Gebrauch eines Begriffes oder einer Vorstellung bei Luther, daß beide in keinem von ihm verneinten Sinn als solche schon festgelegt sind, daher ihr Sinn allein aus dem Gesamtso Wenn man daher mit Pinomaa die theozentrische Auffassung seit Ps. 111/119 gegeben sieht, so wird es sinnlos, auf den bloßen Gebrauch des Begriffs humilitas hin noch weiter von Konkurrenz, Unausgeglichenheit („dermaßen abweichende Absichten") und Doppeldeutigkeit zu sprechen. — Da Pinomaa nach dem Auftreten der theozentrischen humilitas bei Ps. 111/119 (S. 26 f.) das demütige Bekenntnis nodi immer eine disponierende Eigenschaft des Menschen nennt (WA IV, 454, 27 f. zu Ps. 146/147, S. 25 Anm. 1), so hat er sich von der anthropozentrisch scheinenden Phrase (se agnoscit, agnoscas te) bestimmen lassen. Insofern ist der von Pinomaa (S. 15) als Kriterium abgelehnte „Klang" einer Wendung durchaus in der Argumentation nicht vermieden, sondern öfter benutzt (S. 60. 87. 91.121.130, ebd. fühlbare Züge). — Luthers Entwicklung sieht nach Pinomaa folgendermaßen aus. 1. Abschnitt: Dictata bis zu Ps. 111/119. Er ist sich über den Unterschied zwischen bloß spekulativer und praktischer theologischer Einstellung im klaren (S. 136); die theozentrische humilitas wird erkannt (S. 26 f.). Neben (!) uninteressierte Zuschauerhaltung tritt Erfahrung von Gewissensqualen, aber noch kein Durchbruch zur existentiellen Gewissenshaltung, jedoch gelegentlich schon „recht existentielle Sicht" (S. 136). Man vgl. dazu Hamel I S. 46 ff. — 2. Abschnitt: bis Scholien zu Rm 4, 7. Durchbruch der existentiellen Haltung in allen Problemkreisen mit Ausnahme der Furchtlehre (S. 136); wesentlicher Einschnitt in der Bedeutung des humilitas-Begriffs zu Rm 3 und allmähliche Konsequenzen in weiteren Teilen (S. 32. 36), Umschwung im Synderesis-Begriff zwischen Rm 3,10 und 4, 7 (S. 49, der Wegfall dieses Begriffs verändert — im Laufe der Römerbriefvorlesung! — die Stellung des Menschen Gott gegenüber durchgreifend S. 55), Veränderung im Gewissensbegriff zu Rm 3, 28 (S. 59 f.), im Gesetzesbegriff zu Rm 2,15 (S. 109.117 f.), in der Teufelsanschauung bei Rm 3 (S. 130). — 3. Abschnitt: bis Ende Hebräervorlesung Durchbruch im Furchtproblem (S. 137). Bei Rm 8, 7 und 9, 33 erscheint schon der existenzielle Charakter der Furcht, aber ohne Einwirkung auf Fortbestand der Lehre, die erst ab Scholie zu Hb 2,15 verändert wird (S. 80). Zu Rm 3,17 (S. 92 f.) oder erst Rm 8, 26 (S. 96) erfolgt der Durchbruch zur Existenzialität der Anfechtung, während noch der Anfang der Römerbriefvorlesung Luther ganz in der Haltung eines objektiven Zuschauers zeige, obschon der anthropozentrische Akzent schwächer werde (S. 90) — und obschon die Dictata (WA III, 403, 24 ff.; IV, 95, 7 ff; 305, 8 ff.) die Anfechtung die Quelle aller Theologie nennen, worin Pinomaa aber nur den „Kern" der Anfechtungslehre erkennt (S. 91); denn „Bußpsalmen mit erschütterndem de-profundis-Klang" lege Luther noch „kalt objektiv und verstandesmäßig" „ohne den leisesten Beiklang eigener Erfahrung" aus (S. 87). Entsprechend überrascht dann nach dem Durdibruch der existenziellen Anfechtung bei Rm 8, 26, wo sich geradezu ein Lobgesang der Theozentrizität findet (S. 96), die Feststellung einer stark anthropozentrisch gesehenen Erwählungsanfeditung (S. 97). Im ganzen ist die existenzielle Grundhaltung aber seit Rm 3 voll und klar ausgebildet; der spätere Durdibrudi in der Furchterfahrung wird mit dem Vorlesungsstand begründet, der Luther vorher keine Gelegenheit bot, auf dies Problem einzugehen (S. 140).
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Kroeger, Rechtfertigung
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Zusammenhang der betreffenden Phrase bestimmt werden muß, so bedeutet dieser Hinweis doch noch nicht, daß der spätere Sinn der gleichen Formulierung audi in der Frühzeit schon anzunehmen sei. Darin liegt die ausgesprochene Begrenzung solcher Hinweise auf späteren Gebrauch eines gleichen Begriffs. Gerade die den späteren Formulierungen frappierend ähnlichen Sätze der Römerbriefvorlesung fordern zum Vergleich gleicher Vorstellungen, Sätze und Begriffe in frühen und späten Texten heraus. Daß eine Vorstellung (z.B. iustificare deum) audi später noch vorkommt undwiditig ist 40 , läßt die Frage völlig offen, welche — ob gleidie, ob unterschiedliche — Bedeutung dieser Vorstellung in der Früh- oder Spätzeit zukommt. Der Hinweis auf den späteren Gebrauch begründet also auch hier erst die Notwendigkeit, aus dem Zusammenhang den spezifischen Sinn einer Wendung zu erheben. Bornkamms wiederholte Hinweise, dieser Satz und jene Anschauung werde von Luther auch später wiederholt, könne also nicht unreformatorisch sein, widerlegt daher nicht Bizers Meinung, daß dieser Satz und jene Anschauung in der Römerbriefvorlesung nodi den abweichenden Sinn habe, verlangt aber von Bizer den Nachweis, daß der betreffende Satz im Gesamtzusammenhang der Römerbriefvorlesung den von ihm angenommenen Sinn wirklich habe. Denn Bornkamms Hinweis zeigt, daß z. B. der Satz von der cessio bonorum in seiner juristische Analogien nahelegenden Form und Anschauung auch einem gänzlidi anderen Verständnis bei Luther dienen kann. Daher entsteht für Bizer die Verpflichtung, sich nicht ohne Beweise auf naheliegende kategoriale Analogien zu berufen (wie Bizer tut: „man wird an einen Schuldner denken müssen . . . " ) und so auf einen festgehaltenen aristotelisdien Begriff zu schließen41, sondern den Satz streng im Gesamtzusammenhang der Römerbriefvorlesung (d. h. auch im Zusammenhang mit dem in der Römerbriefvorlesung nachdrücklich und wiederholt als nidit-aristotelisdi beschriebenen iustitia-Begriff) zu interpretieren und so erst den behaupteten Sinn nachzuweisen. Sollte eine Diskrepanz zwischen dem Gebrauch jenes Juristensatzes und der ausdrücklichen Definition von Gerechtigkeit vermutet werden, so wäre diese erst zu belegen; dieser in seiner Auffassung notwendig Vgl. E. Hirsch, Kaftanfestschrift 1920 S. 157 f., der sich auf Holl und Loofs beruft. Inwiefern die unjuristische Weise des Gebrauchs nun doch unwichtig sein soll (Bizer im Nachwort der 3. Auflage S. 195), verstehe ich nicht. Über Bizers Schluß aus der Formel propter fidem et coeptam conformationem auf ein meritum de congruo (S. 153), vgl. K a pitel I Anm. 13 und 24. Gegenüber Bornkamms Nachweis, Luther benutze diese Formel auch später (vgl. Kapitel V Anm. 7), hat Bizer sich mit Recht gegen die zu starke Gleichsetzung von frühem und spätem Luther bei Bornkamm gewehrt (Nachwort S. 199), doch damit seine eigene Interpretation der Formel noch nicht gestützt. Die „gesetzliche" Auslegung wiederholt Bizer (die Buße gehört „auf die Seite des Heils, wofür der Mensch aus der Gnade tätig sein kann") und zieht auch den Schluß aus der Formel als solcher auf ein meritum de congruo (Fides ex auditu S. 47 f. 153) nicht zurück (Nachwort S. 195.199). Hierin kann er also nicht mißverstanden sein. 40
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vorauszusetzenden Diskrepanz zwischen der ausdrücklichen Behauptung der nicht aristotelischen Gerechtigkeit und der faktischen Voraussetzung strafender Gerechtigkeit in der Rechtfertigungslehre hat Bizer aber keine Überlegung gewidmet. — Daß also erst der strenge Zusammenhang eines Begriffs und nicht seine (unbewiesen vorausgesetzte oder aus dem „bekannten reformatorischen" Sinn abgeleitete) innere Logik oder seine vielleicht in manchen Formulierungen sich erhaltende herkömmliche Sinnbestimmung entscheidend sind — das vermag der Hinweis auf späteren Gebrauch eines gleichen Begriffs als methodische Forderung unabweisbar zu begründen. Aus dem vorigen hat sich immer wieder die „an sich" so selbstverständliche Forderung ergeben, den Zusammenhang eines Begriffs oder Gedankens genau zu beachten. Aber was bedeutet diese im Prinzip allenthalben anerkannte Forderung? Worauf macht sie gerade für die Interpretation des jungen Luther aufmerksam? Sie macht darauf aufmerksam, daß Luther in seiner frühen Entwicklung am Schnittpunkt zweier theologischer Zeitalter steht, an dem er seine Gedanken in einem zumeist überkommenen Sprachgewand darstellt. So stellt sich für die Interpretation das Verhältnis Luthers zu dieser überkommenen Sprache. Dabei darf man nicht von vornherein — darin liegt das Hauptproblem für die Interpretation — unterstellen, daß die überkommene, traditionelle Sprache samt ihren Vorstellungen, die Luther aufnimmt, in Spannung zum „eigentlich" von ihm Gemeinten steht. Wohl gibt es eine ganze Reihe von sprachlichen Eigentümlichkeiten in der frühen Theologie Luthers (wir werden gleich einige nennen), die — von der späteren Entwicklung Luthers aus betrachtet — als uneigentlicher und noch ungenauer Ausdruck des „im Grunde" schon Gemeinten erscheinen. Aber es ist gerade die Frage und darf keinesfalls einfach vorausgesetzt werden, ob Luther das später Gemeinte auch hier in der Frühzeit schon meint und nur nicht angemessen und genau auszudrücken vermag. Es könnte ja sein, daß die spätere Meinung noch nicht, vielmehr noch eine andere Meinung anzunehmen ist, sodaß die vermeintlich „uneigentlichen" Vorstellungen und sog. occamistischen Reste ein ganz charakteristischer Ausdruck der Frühtheologie sind. Wenn z.B. in der Frühzeit humilitas und accusatio sui eine wesentlich größere Rolle spielen als später (so sehr sie doch später auch möglich bleiben und daher keinerlei prinzipielle Abweisung dieser Begriffe anzunehmen ist), so ist äußerst fraglich, ob in der 1. Psalmenvorlesung und der folgenden Römerbriefvorlesung die eigentümliche Dominanz dieser Begriffe in irgendeiner Spannung zu der gedachten Rechtfertigung steht; viel wahrscheinlicher ist zunächst, daß das, was später mit dem dann dominierenden Begriff fides erfaßt und ausgedrückt wird, hier in der Frühzeit so überhaupt noch nicht da und gedacht ist, so daß auch der frühe intensive Gebrauch von humilitas 3·
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ein ganz genauer, angemessener Ausdruck für das Gemeinte ist und also keinerlei Spannungen zum Gemeinten vorhanden sind Ebenso steht es mit der anerkannten Tatsache, daß die frühe Theologie die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium noch nicht kennt, sondern nur das augustinische Schema spiritus/litera, und daß dementsprechend in denDictata durchgehend iudicium = evangelium ist (vgl.obenAnm.7). Es muß als höchst fraglich gelten, ob Luther bei Benutzung dieser augustinischen Unterscheidung „im Grunde" schon die spätere von Gesetz und Evangelium meinte, diese aber hier noch nicht auszudrücken vermochte, sie vielmehr erst später so und genauer formulieren konnte, womit also die frühe Unterscheidung als noch nicht so deutlich und genau hingestellt wird. Die beiden Unterscheidungen verhalten sich ja nicht zueinander wie ungenauer und genauer Ausdruck desselben „im Grunde" schon Gemeinten, sondern sind ganz verschieden und in sich präzise. Man kann nicht sagen, Gesetz und Evangelium seien in der Frühzeit noch nicht rein unterschieden, sondern sie sind ausdrücklich gar nicht unterschieden: iudicium est evangelium — welche Identität einen gewaltigen Sinn in sich birgt und keine Unfertigkeit, sondern charakteristische Gedankenform der Frühzeit und konstitutiv für den Stand der theologischen Reflexion ist (vgl. H . J. Iwand, Rechtfertigungslehre und Christusglaube 1961 S. 68 f., in Andeutung Holl I S. 129. 133). Statt Gesetz/Evangelium sind spiritus/litera unterschieden, eine in sich ebenso schlüssige und reine Unterscheidung, es herrscht ein „umfassender Dualismus, der in den verschiedensten Gegensatzpaaren seinen Ausdruck findet (G. Ebeling in ZThK 1951 S. 187). Das Problem der frühen Theologie ist darum erst erfaßt und gelöst, wenn die Interpretation das von Luther benutzte augustinische Schema als genauen und wörtlichen Ausdruck seiner Meinung zu nehmen versteht, und nicht schon die in diesem Schema noch gar nicht enthaltene Meinung Luthers (über Gesetz und Evangelium) voraussetzt. Ähnlich steht es mit dem Glaubensbegriff und dem Problem der Gewißheit. Es muß problematisdi erscheinen, wenn man die allgemein anerkannte Tatsache (vgl. Kapitel IV Anm. 12), daß Luther die Gewißheit erst 1517/18 in der Zeit der Hebräerbriefvorlesung gewinnt, so interpretiert, als habe er hier nur klarer und genauer auszudrücken gelernt, was er auch vorher schon wußte. Sollte es nicht angemessener sein, die eigentümliche Art, in der Luther in der Frühzeit über Gewißheit spricht, als spezifisch und nicht zufällig, sondern als Indiz für sein Verständnis zu nehmen? und also auch den vorausgesetzten Begriff von Glauben nicht nur als ungenauer gegenüber dem von 1517/18, sondern eben charakteristisdi anders zu verstehen, wie auch 42 Humilitas und accusatio sui sind dann die angemessene Formulierung für das in der Frühzeit Gemeinte; was später Glaube heißt, kennte Luther dann hier nodi nicht. Die Terminologie ist bezeichnend, und Bizer hat redit, wenn er diese Eigentümlichkeit beachtet (Fides ex audi tu S. 24 f.). Auch die Bezeichnung der Frühtheologie als Humilitas-Theologie (Ritsehl, Kurz) kann, richtig verstanden, sachliches Indiz für die Frühfassung der Probleme sein.
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„Gesetz und Evangelium" nodi anders verstanden sind? Es muß zunächst jedenfalls versucht werden, die Differenz im Gebrauch des gleichen Begriffs (fides) nicht als Ungenauigkeit und Spannung zum „eigentlich" schon Gemeinten zu verstehen, so als vermöge Luther das Gemeinte nur noch nicht auszudrücken. Dasselbe Problem zeigt sich an einer anderen, in der Forschung ungelösten und mit Recht Verlegenheit bereitenden Frage. Man nimmt bis zur zweiten Hälfte der Römerbriefvorlesung eine synergistische Färbung und Tendenz, einen synergistischen Schein in der Theologie Luthers wahr 4 3 . Diese unbestreitbare, und dabei mit vollem Recht so zurückhaltend formulierte Behauptung 44 muß ein Rätsel bleiben, solange man von vornherein eine Spannung zwischen dem Ansatz (sola fide, sola gratia) und dem konkurrierenden synergistischen Schein postuliert. Eine Spannung läßt sich erst behaupten, wenn man vom späteren Verständnis der Theologie Luthers ausgeht. Könnte es aber für die frühe Fassung seiner Theologie, d.h. seiner Begriffe und Anschauungen, nicht gerade bezeichnend sein, daß sie eine solche synergistische Tendenz (allerdings keinen wirklich verankerten Synergismus) noch erlauben und ermöglichen? Ein letztes Beispiel für die Möglichkeit ganz gleich klingender Formulierungen mit doch spezifisch anderem und eigenem Sinn in der Frühtheologie ist das Problem Augustins in der Frühzeit Luthers. Man liest in der Römerbriefvorlesung den Satz: gratia enim sola vivificai per fidem (WA LVI, 319, 29 f.), möchte ihn wohl für den Ausdruck eines gut lutherischen Gedankens halten, und doch ist es ein reiner Augustinsatz. Es ist bekannt, daß augustinischer Einfluß in luthersch klingenden Formulierungen der Frühzeit zu gewärtigen ist. Die Interpretation hat natürlich darauf zu achten, wieweit damit augustinische Grundgedanken und Konsequenzen in das Gedankengefüge Luthers übernommen werden; auf Umdeutung wäre zu achten. Aber wo die Umdeutung nur durch den geänderten (gedanklichen) Kontext gegeben ist, also nur die augustinischen Konsequenzen beschnitten sind, in sich aber als augustinische Vorstellungen erhalten bleiben, da ist vor allem nach den Gründen zu fragen, aus denen Luther einen solchen augustinischen Satz in seinen Gedankenzusammenhang (so intensiv, wie in der Frühzeit ge4 3 E . Wolf spricht von synergistischem Schein (Staupitz und Luther 1927 S. 102 Anm.) und von synergistischer Färbung (LuJ 1929 S. 59), vgl. noch Kapitel I Anm. 23 und 35 sowie Kapitel II Anm. 47. 4 4 Gelöst auf ihre Weise haben eigentlich nur Kurz und Bizer das Problem, durch die Behauptung eines meritorischen Synergismus unter Voraussetzung des scholastischen iustitia-Begriffes. Unverständlich ist mir, warum B. Lohse (Luth. Rundschau 1962 S. 345 und wieder in: Vierhundertfünfzig Jahre luth. Reformation, Fr. Lau-Festschrift 1967 S. 201 Anm. 28) Prenter kritisiert, der Bizers Meinung so darstellt, als enthalte die frühe humilitas-Vorstellung noch ein Moment des Synergismus. Genau das muß Bizer (freilich ohne Benutzung des Begriffs, vgl. aber die Zusammenstellung unten Kap. I Anm. 24), wenn er von meritum de congruo und aristotelischem iustitia-Begriff spricht, doch meinen!?
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sdiehen) überhaupt. aufnehmen konnte. Mindestens ebenso bemerkenswert wie die vermutliche Diskrepanz zu Luthers Intention ist deswegen die für Luthers frühe Theologie bezeichnende Möglichkeit, solche augustinischen Sätze zu übernehmen. Audi hier bleibt erst zu untersuchen, ob diese A u f nahme nur uneigentlich und „im Grunde" nicht geschieht. Was zeigen diese Beispiele (humilitas, Gesetz/Evangelium, Glaube/Gewißheit, Synergismus, Augustin)? Sie zeigen, daß die Frühanschauungen Luthers zunächst in ihrem ganz eigentümlichen, vom späteren Luther möglicherweise differierenden Sinn ernst genommen werden müssen und nicht als nur uneigentlicher und ungenauer Ausdruck der einen Grunderkenntnis verstanden werden dürfen. Wo immer von uneigentlichem und ungenauem Ausdruck in der Frühtheologie Luthers mit komparativen Begriffen gesprochen wird, da spielt die Voraussetzung des Turmerlebnisses eine verhängnisvolle und suggestive Rolle, als sei eine bestimmte Erkenntnis vorauszusetzen und nicht vielmehr deren Sinn erst zu erheben. Niemand weiß doch, da die Rückblicke es nicht zu erkennen geben, wie Luther seine Erkenntnisse in der Frühzeit gedacht hat. Man würde demnach methodisch illegitimerweise voraussetzen, daß die Anschauungen Luthers in den frühen Jahren die gleichen waren, die sie später sind, wenn man in Dictata und Römerbriefvorlesung von vornherein eine Spannung zwischen Ausdruck und Meinung behauptete. Wohl stehen die späteren Konsequenzen und Weiterführungen in Spannung zu den frühen Formulierungen, aber diese kommenden Ausführungen sind hier noch nicht vorauszusetzen und haben sich vor allem, als sie entstanden, ihre eigene und angemessene Sprache der späteren Jahre Luthers geschaffen. Das ist zu beachten! Die „Meinung" Luthers darf nicht aus späteren Texten oder aus einem Turmerlebnis vorausgesetzt werden, sondern muß erst aus den Texten erhoben werden. Darum sind die frühen Texte mit ihren spezifischen Ausdrücken und Anschauungen wörtlich ernst zu nehmen. Alle die angeführten Beispiele aus der Frühtheologie charakterisieren Luthers eigene Voraussetzungen und sind darum als bezeichnende Möglichkeiten, nicht als uneigentlich aufzufassen. Die Interpretation hat ihre Aufgabe erst dann gelöst, wenn sie die Tatsache, daß solche augustinisch und synergistisch klingenden Sätze in Luthers früher Theologie (im Unterschied zur späteren!) überhaupt aufgenommen werden und möglich sind, aus dem Verständnis der leitenden Begriffe und aus dem Zentrum der wesentlichen Gedanken erklärt, verständlich macht und sie nicht als Spannung zum „Eigentlichen" und als „Rest" abtut. Es muß damit gerechnet werden, daß die überkommene Sprache (humilitas, accusatio sui) zusammen mit dem noch abweichenden Sinn auch später zentraler Begriffe (fides, iustificatio) für Luther in jener frühen Zeit ein angemessener Ausdruck für den Stand seiner Gedanken ist. Nur so erhält auch das Problem der Kontinuität die wesentliche, nicht nur beiläufige Bedeutung. Die Möglichkeit der traditionellen Sprache in Luthers früher Theologie bezeichnet gerade die Situation jener ersten Jahre. Erst
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wenn dies berücksichtigt wird, ist die entscheidende Frage zu lösen: wie das theologische Gefüge aussieht, in dem solche Elemente möglich und bestimmend sind. Das bedeutet: für die Feststellung der theologischen Entwicklung des jungen Luther ist vor allem auf die Herausarbeitung des Eigentümlichen der frühen Vorstellungen und Ausdrucksformen zu achten. Die Begriffe „Vorstellung" und „Ausdrucksform" seien hier in einem prägnanten Sinn verstanden: es soll in ihnen nicht um den „Sinn" oder das „faktisch" und „im Grunde" Gemeinte gehen, sondern um die für eine bestimmte Entwicklungsphase bezeichnenden gedanklichen Formen, in denen sich der Sinn ausdrückt 45 . Die gedankliche Form ist wesentlich für die Feststellung dessen, was schon bewußt und als Konsequenz gedacht, nicht nur „angelegt" ist. Die Interpretation muß deswegen diesen gedanklichen Formen, die den frühen Problemstand anzeigen, genau folgen. Natürlich ist es ebenso legitim, die Einheit der Motive und die Gemeinsamkeit der frühen und späteren Theologie hervorzuheben, aber in diesem Falle fragt man nach der Einheit und gerade nicht nach der Entwicklung und den entstehenden Unterschieden in den einzelnen Phasen. Darum sind komparative Beschreibungen (die spätere Theologie sei genauer und schärfer in den Antithesen, reiner in den Unterscheidungen, klarer und heller, sie bedeute nur eine Akzentverschiebung) zur Erfassung der Entwicklung unangemessen. Die komparative Beschreibung setzt als einheitlichen Maßstab die Erkenntnis aus dem Turmerlebnis voraus, die sich in allen Phasen der Entwicklung genauer expliziere und sicherer bestimme, sie erhebt aber nicht die in allen Phasen verschiedene Konkretion aus den Texten. Der Wandel von spiritus/litera zu Gesetz/Evangelium ist keine komparativ zu beschreibende Entwicklung, sondern ist Wechsel zweier verschiedener Anschauungen. Fragt man nun nach der Rechtfertigungslehre der Römerbriefvorlesung (Frühjahr 1515 46 bis Herbst 1516), so wird man zuerst auf zwei Stellen 45 Ähnlidie Gedanken finde idi bei Kattenbusch: „ . . . daß es mit Bezug auf die Gestaltung einer .Lehre' bei Luther audi eine Entwicklung, dazu frühere und spätere Ausdrudis for men gibt" (Sperrung von Kattenbusdi, ZsyTh 1933 S. 204 Anm. 1) und bei J. Lortz in Trierer Theol. Zeitschrift 1962 S. 132: „Es gibt wenig Theologen, bei denen Denken und sprachlicher Ausdruck des Gedachten so sehr eins sind wie bei Luther. Sein Denken, audi in den theologisch abstrakten Dingen, ist konkret; es schafft sidi einen Wortkörper, mit dem es eine enge Einheit e i n g e h t . . . Wir sind also darauf angewiesen, die Ausdrucksweise selbst zu hören, die Luther geformt hat." Mit alledem meine ich die methodischen Postulate G. Ebelings aufzunehmen: die Interpretation müsse sich primär begrenzten Textkomplexen zuwenden, um Luthers Denkstrukturen zur Geltung zu bringen, nur so könne die geschichtliche Bewegung in Luthers Denken in Hinsicht auf Genesis und spätere Wandlungen seiner Theologie erarbeitet werden (RGG» IV Sp. 496). 4 · Den Beginn der Römerbriefvorlesung zu Ostern 1515 kann man nur auf die aus den handschriftlichen Kriterien bewiesene dreisemestrige Dauer des Kollegs, nicht auf die in diesem Falle richtige Aussage des unzuverlässigen Oldecop stützen.
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aufmerksam, an denen Luther zusammenhängende Ausführungen zum Thema macht: das erstemal zu Rm 3 , 4 . 7 und auch weiterhin in großer Dichte bis zum Ende des dritten Rm-Kapitels, das zweitemal zu Rm 4, 7 über imputatio/reputatio. Wir beginnen mit der Interpretation dieser beiden großen Scholien (Kap. I), die sidi in den ersten Rm-Kapiteln finden. Kapitel II stellt dann die Frage nach Luthers Gesetzesverständnis in dieser Zeit und dessen Verhältnis zur Rechtfertigungslehre. Das Problem der mit der spezifischen Fassung der Rechtfertigungslehre gegebenen Gewißheit und die Frage nach der Einheit der Römerbriefvorlesung, ob also die Darlegungen über die Theologie der ersten Kapitel auch den Sachverhalt der späteren Kapitel decken oder ob ein Wandel festzustellen ist, wird in Kapitel III behandelt, das den ersten Teil beschließt47. Der 2. Teil stellt dann den Wandel der Frühtheologie zur Zeit der Hebräerbriefvorlesung, die Veränderungen in der Rechtfertigungslehre (Kapitel IV) und die entsprechenden Wandlungen im Gesetzesbegrifi (Kapitel V) dar. Kapitel VI untersucht die zwischen Römer- und Hebräerbriefvorlesung liegenden Texte und fragt nach der Vorbereitung des Wandels in dieser Übergangsphase. 47 Alle folgenden Zitierungen mit Seiten- und Zeilen-, dodi ohne Bandangabe beziehen sich auf die Römerbriefvorlesung ( = WA LVI). Die Zitierung wird ebenso die willkürliche Groß- und Kleinschreibung, welche Ficker getreu wiedergegeben hat, wie auch die Unterscheidung von ae, ς, e vernachlässigen.
1. Teil: Die frühe Rechtfertigungslehre in der Römerbriefvorlesung KAPITEL
I
Gerechtigkeit aus Glauben oder die Rechtfertigung des Sünders 1. Auf dreierlei Weise, so führt Luther in der großen Scholie zu Rm 3, 4. 7 aus, wird Gott gerechtfertigt: einmal so, daß in der Bestrafung der menschlichen Ungerechtigkeit Gottes Gerechtigkeit und Wahrheit verherrlicht werde, zweitens so, daß im Vergleich göttlicher Gerechtigkeit und menschlicher Ungerechtigkeit die Gegensätzlichkeit beider leuchtend hervortrete. Dodi von diesen beiden Wegen, Gottes Gerechtigkeit zu erweisen und so zu rechtfertigen, sei im Römerbrief nicht die Rede, denn Paulus spreche nicht von Gottes innerlicher und nur ihm selbst wesentlicher Gerechtigkeit, er spreche vielmehr von der Gerechtigkeit, die Gott an den Menschen wirkt (WA LVI, 220,1—8; 221, 4—14). Gott wirke effective seine Gerechtigkeit, quando impíos iustificat et gratiam infundit sive quando iustus esse in suis verbis creditur. Per tale enim credi iustificat i.e. iustos reputat. Unde haec dicitur iustitia fidei et dei (220, 9—11)1. Dieser gedrängte Satz, der bis in jede Einzelheit und Nuance eine genaue Zusammenfassung der Rechtfertigungslehre der Römerbriefvorlesung darstellt, ist jetzt in allen Teilen genau zu interpretieren, wobei wir uns hüten, die Worte in dem aus „Luthers Theologie" allbekannten Sinne von vornherein festzulegen. In der Auslegung des Verses ut iustificeris in sermonibus tuis (Rm 3, 4) handelt Luther von der Rechtfertigung, und zwar zuerst von der Rechtfertigung Gottes: der Mensch müsse Gott und seinen Reden („sermones" — ich behalte die hier charakteristische pluralische Formulierung bei) recht 1 Parallel steht die aktivisdie Formulierung desselben Satzes: . . . quando verba eius credimus; per tale enim credere nos iustificat i.e. iustos reputat (221,17 f.). Diese aktivische Formulierung hält Loofs (ThStKr 1911 S.470, vgl. ThStKr 1917 S. 361 ff.) für Indiz einer Entwicklung gegenüber der passivisdien, was Sdieel mit Redit ablehnt; er erweist beide Formen als 'identisdi (Briegerfestschrift 1912 S. 105 ff., S. 110 Hinweis auf die handsdiriftlidien Verhältnisse).
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Die frühe Rechtfertigungslehre in der Römerbriefvorlesung
geben und so Gott in seinen (sc. Gottes) Reden rechtfertigen. Dabei wird betont, daß Gott in se ipso nicht erst vom Menschen gerechtfertigt werden müsse und so auch vom Menschen nicht gerichtet werden könne; denn er sei selbst die Gerechtigkeit und das ewige Gesetz, nach welchem gerichtet wird, das aber nicht selbst gerichtet werde (212, 22 f.). Deswegen könne keine Kreatur Gott in sua essentia richten (217,19—21); intrinsece, an sich und in sich, sei Gott und was er sagt, schon immer gerecht und wahr. In der Rechtfertigung kann es also nur darum gehen, daß seine Reden auch bei uns Menschen anerkannt und wahr werden: ut tales fiant in nobis, quales sunt in seipsis (226,12—21). Um zu verstehen, was das bedeutet, muß man sich zuerst klarmachen, was Gott in seinen Reden sagt und was vom Menschen anerkannt werden soll. Die Reden Gottes sagen dem Menschen etwas über sich, was er nicht wissen kann. Denn er erkennt in seinem und der anderen Leute Urteil nur seine eigene Wahrhaftigkeit, Gerechtigkeit und Weisheit, die er nach Meinung der Menschen und vor sich selbst auch wirklich hat. Aber Gott urteilt anders und hat, was er von den Menschen hält, bekannt gemacht: quod omnes sint in peccato. Huic ergo revelationi suae sive sermonibus suis debemus cedere et credere (229, 26—32). Der Mensch muß dies für wahr annehmen und über jeden gelten lassen, er sei ungerecht und ohne Furcht Gottes (247,14 f.). Ideo iudicio dei standum et sermonibus eius credendum, quibus nos iniustos dicit, quia ipse mentiri non potest (231, 11 f.). Dies ist der entscheidende Inhalt der Reden Gottes, die an den Menschen ergehen. Und diese Reden sind nicht etwa nur das erste Wort vor dem eigentlichen Gnadenwort, sondern eben sie sind das Wort, in dessen Glaube der Mensch gerechtfertigt wird. Trotz mancher nur scheinbar differierender Nuancen im Begriff, auf die noch sehr zu achten ist, weil sie den Gesamtzusammenhang dieses Verständnisses von Wort („Reden") erst ganz erhellen 2 , ist dies doch der deutlich hervortretende und allein betonte Sinn der Reden Gottes: deo credimus nos esse in peccatis (228, 18). Und dies ist auch der Sinn der „Worte" in jenem Satz, von dem wir oben ausgingen: quando iustus esse in suis verbis creditur. Per tale enim credi iustificat i.e. iustos reputat (220, 9 f.). Gegen diese Darstellung könnte man nun einwenden, die Reden seien doch auch eloquia, quibus promisisti (sc. deus) gratiam tuam (31,5 f.), und eloquia et promissa D e i . . . de Christo mittendo (223,11 f.); es seien Reden, denen geglaubt wird in evangelio de impletione promissi, ut (sc. deus) verax et iustus habeatur (225, 16 f.), sodaß der Glaube Gott ehrt acceptando ser! Erst hieran wird sidi der Grad der Zustimmung zu dem Satz von E. Bizer bemessen: „Nirgends aber ist das gnädige Wort Gottes Gegenstand des Glaubens" (Fides ex auditu S. 37, vgl. S. 52 Anm. 54. 56. 57). Dodi zunädist, in der Bestimmung von Glaube und Wort, hat Bizer (vgl. aaO S. 34 unten) recht.
Gerechtigkeit aus Glauben oder die Rechtfertigung des Sünders
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mones gratiae et veritatis (228, 20) s . Die Bedeutung dieser Stellen wäre allerdings nicht durch den Hinweis erklärt, daß sie in den Scholien zu Rm 3, 4 ff., welche die Rechtfertigungslehre zusammenhängend darlegen, deutlich in der Minderzahl gegenüber den Stellen und ganzen Passagen sind, die den oben dargelegten Sinn der sermones bzw. verba eindeutig zeigen. Dieser statistische Hinweis wäre nur genügend, wenn man die beiden scheinbar differierenden Bedeutungen des Begriffs „Reden" nebeneinander stehen ließe: Luther kenne neben dem die Sünde offenbarenden Wort „auch" das Gnadenwort, dies letzte nur eben sehr viel weniger betont. Doch das Problem löst sich anders. Der Zusammenhang von Rm 3, 1 ff., in dem der Begriff promissio eine wesentliche Rolle spielt, ist nach Luther dieser: Wenn Gott den Juden eine Verheißung gab, so ist sie durch den Unglauben derer, die sie in ihrem Unglauben nicht empfangen konnten (30, 9), nicht hinfällig geworden. Gott ist wahr geblieben in seiner Verheißung (209, 10—212, 9). Der Begriff Verheißung wird dabei erläutert als Vorherbestimmung (praeordinatio 165, 21; 166, 4), denn darin . . . consistit maximum robur et omnis probatio evangelii, quod sc. testimonium habet veteris legis et prophetarum, tale esse futurum (165,17 ff.). Dabei ist, daß Gott diese promissio bzw. praeordinatio erfüllt, den Juden gegenüber Erweis seiner Wahrheit (denn sie empfingen die Verheißung), den Heiden aber eine Gnade (denn ihnen war keine Verheißung gegeben 138,12.17 ff.; 211, 8 f.). Inhalt der Verheißung und Vorherbestimmung ist, daß Christus kommen werde (Christum exhibuit 211, 10); es sind promissa de Christo (223,12 f.; vgl. 88, 15 f.). Diese genaue Entsprechung von Verheißung bzw. Vorausbestimmung und Christus ist konstitutiv für den Begriff. Was aber bringt der Christus? Wie erfüllt er die Verheißung? Die Verheißung Christi erfüllt sich in der Erkenntnis der Wahrheit, nämlich der Sünde, und im demütigen Glauben an das die Sünde offenbarende Wort: Et in hac humilitate et iudicio regnum Christi prophetatum est futurum esse (231, 14 f.), und diese humilitas besteht in dem sola fide credendum est nos esse peccatores (231, 9 f.). Christus und seine Gerechtigkeit sind uns nötig pro illis (sc. iustitia et sapientia propria) vere destruendis (3,10 f.). Daß der Glaube an die Wahrheit der Sünde gegeben wird, ist der Inhalt der Verheißung Christi, denn dieser Glaube ist der rechtfertigende Glaube. In diesem Sinne wird promissio pointiert gegen den Selbstruhm und gegen die merita nostra gestellt (4, 9 f.; 165,16). Promisisti gratiam tuam, ac per hoc ostendisti peccatum nos habere (31, 6). Beachtet man also den strengen Zusammenhang von promissio und Christus, der im Begriff praeordinatio ausgedrückt ist, so bewahrt man sidi vor dem naheliegenden, doch hier unzutreffenden Schluß von der gewohnten ' Vgl. Holl I S. 133 f. und Bornkamm ARG 1962 S.4, der gegen Bizer einwendet, der Glaube nehme „nicht nur sein (sc. Gottes) Gerichtswort, sondern auch sein Gnadenwort" an.
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Bedeutung der promissio auf den Gnadensinn des Wortes in der Römerbriefvorlesung. Verheißen ist nicht direkt die Gnade, sondern Christus und in ihm die Erkenntnis der Sünde. Die Sünde erkennen zu dürfen, versteht Luther als Gnade: wenn Gott nicht zürnt, ist er nicht gnädig: Maximi enim beneficii indicium est, non sinere peccatores ex sententia agere (WA III, 420, 22 f.). Darum wird so betont, daß die Verheißung des Christus und die Gabe der Sündenoffenbarung in ihm eine Gnade sind. Darum erfüllt sich das verheißene Reich des Christus in hac humilitate et iudicio, in confessio und fides. Der die Wahrheit der Sünde erkennende Glaube ist der verheißene, denn er bringt die Rechtfertigung. Darum ist dieser Glaube der Sinn jener Formulierungen: (eloquia) quibus promisisti gratiam tuam (LVI, 31, 5 f.) und promissio misericordiae et gratiae dei (210, 1 f.). In solch mittelbarer, verhüllter Weise ist der Glaube an die Gnade in dem Glauben an das die Sünde offenbarende Wort enthalten. Für die Interpretation der Begriffe und der Gestalt der Rechtfertigungslehre in der Römerbriefvorlesung kommt alles darauf an, die spezifische Weise der Aussage zu beachten und festzustellen, in welchem Sinne hier von Gnade gesprochen wird: die Verheißung Christi und der Gnade erfüllt sich nicht im Glauben an das offenbare Gnadenwort, sondern im Glauben an die Wahrheit der die Sünde offenbarenden Reden Gottes. Dem entspricht die eigentümliche Form des Rechtfertigungsgedankens: im Glauben an diese Reden wird Gott gerechtfertigt und so erst der Mensch. Es ist bezeichnend, daß Luther die Rechtfertigung des Menschen von der Rechtfertigung (passive) Gottes aus denkt. Und dies, obwohl die eigene Rechtfertigung angesidits der erkannten Ungerechtigkeit und Verlorenheit das ursprünglich treibende Motiv ist! Daß Luther dennoch umgekehrt die menschliche Gerechtigkeit vor Gott gerade in Form der Frage nach Gottes Gerechtigkeit begreift, ist für sein Denken in der Frühzeit charakteristisch und müßte auf dem Hintergrund der Scholien zu Ps. 50, die in der Theologie der Dictata eine so bedeutende Rolle spielen, ausgeführt werden 4 *: Luthers ganze Leidenschaft richtet sich auf das Einswerden des Menschen mit seiner faktischen Wahrheit im Bekenntnis vor Gott und so auf das Übereinstimmen mit Gott in der Wahrheit (concordare), d. h. im Erkennen der Sünde: Qui sese iudicat et confìtetur peccatum, deum iustificat et verificati quia dicit id de se, quod deus dicit de eo. Et ita iam conformis deo est et verax et iustus, sicut deus, cum quo concordat (WA III, 289, 33 ff.). So entdeckt er Gottes Wahrheit und Recht in der Offenbarung der widergöttlichen Art des Menschen und findet Weil die Zitierung von Ps. 50, 6 in Rm 3 , 4 Luther die Gelegenheit gibt, sidi über die in den Dictata an Ps. 50 gewonnene Fragestellung auszusprechen und sie zur Geltung zu bringen, sind die Scholien zu Rm 3, 4 ff. die Stelle, an der Luther mit einzigartiger Ausführlichkeit „seine" Rechtfertigungslehre abhandelt. J. Ficker macht auf die besondere Länge (zum Teil doppelte Behandlung!) gerade im 3. Kapitel aufmerksam, „das nidit weniger als 36 Seiten der Handschrift umfaßt" (ArefBAI Einleitung p. L).
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darum in dieser Rechtfertigung Gottes (passive) und in der Herstellung der Wahrheit zwischen Gott und Mensch allen Sinn: . . . quia omnium devotorum iudicio et experientia teste maxima tentatio est nullam habere tentationem. et omnium summa adversitas nulla adversitas. et tunc maxime deus irascitur, quando non irascitur, secundum eundem Bernhardum. non cum non sentio, sed cum sentio te iratum, maxime propitium confido (WA III, 420, 16 fi., 330, 10 f. und Holl I S. 29). Das ganze Pathos dieses aufschlußreichen Satzes liegt nicht in der Frage nach dem Heil, schon gar nicht in der Frage nach Heilsgewißheit, sondern allein darin, Gott selber nur überhaupt als Wirklichkeit zu gewinnen, und sei es in Zorn und Unheil, d.h. im Bekenntnis der Sünde und in der Rechtfertigung Gottes allein. Denn Luther behauptet — omnium devotorum iudicio et experientia teste —, schlimmer als Gottes Zorn, in dem man doch wenigstens Gott habe, sei es, Gott gar nicht zu haben. Dieses Wiedergewinnen von Gottes Wirklichkeit, das nur im Bekennen der Wahrheit und im Glauben geschieht, ist der erschütternde und leidenschaftliche Sinn dieser frühen Theologie. Darum ist fides iustificans durchweg als confessio und humilitas verstanden. Darum riditet sich Luther ganz auf die Rechtfertigung Gottes und denkt die Frage nacii dem eigenen Heil und Heilsgewißheit nur am Rande mit. Wird so die Rechtfertigung von Gott aus gedacht, dann ist jeder Versuch und jede Hoffnung abgeschnitten, die Rechtfertigung vom Menschen aus ins Werk zu setzen; indem Gott rechtgegeben wird, ist ihm allein die Möglichkeit der Rechtfertigung und das Heil des Menschen bedingungslos überantwortet. In dieser Urerkenntnis der Sünde, die den Weg zur Rechtfertigung und d.h. zur Gnade eröffnet, hat Luther sein Denken begonnen. In der Rechtfertigung (passive) Gottes hat er Gott als den den Menschen rechtfertigenden wiedererkannt und im Glauben, der die Sünde bekennt, ihn wahrgenommen. In dieser Gestalt der Rechtfertigungslehre hat Luther also seine erste Erkenntnis formuliert, und so machte er in seinem Denken Mensch und Gott von der geheimsten Verkehrung in ihrem Verhältnis frei, in der Gott als Mittel zum Zweck des eigenen Heils mißbraucht wird (304, 25 ff.) 4b . Das Resumé über den Inhalt der „Reden" lautet also: Der Glaube glaubt nicht außer an das Gerichtswort „auch" noch an ein Gnadenwort, sondern er ist als Glaube an das die Sünde offenbarende Wort die erfüllte Verheißung der Gnade. Sermones gratiae et veritatis sind nidit Gnadenwort und Gerichtswort, sondern Formel für die Einheit beider, für die an den Heiden 4b Vgl. E. Vogelsang LuJ 1930 S. 95, „daß Luthers Rechtfertigungslehre in ihrer frühesten Gestalt — nodi bevor sie die eigentlich befreiende evangelische Wendung erhielt — eben in diesem Gedanken der confessio verwurzelt ist". Damit ist nur gesagt, daß dies die frühe Gestalt der Rechtfertigungslehre Luthers war, nichts jedoch darüber, ob es die Gestalt der Erkenntnis im Turmerlebnis war. Sofern Loofs dies behauptet und so die behauptete Entdeckung an Rm 1 , 1 7 für einen Irrtum hält, wird er mit Recht kritisiert (Hamel I S.136 A n m . 2 und E.Hirsch, Kaftanfestschrift 1920 S.162).
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Die frühe Rechtfertigungslehre in der Römerbriefvorlesung
aus Gnade, an den Juden als Erweis göttlidier Wahrheit erfüllte Verheißung. Die in Christus erfüllte Gnade und Verheißung gibt sich die Gestalt der offenbarten Sünde und des Glaubens an sie. Der Glaube glaubt — daran ist nun trotz aller scheinbar differierenden Sätze festzuhalten — an das die Sünde offenbarende Wort und ist als soldier schon rechtfertigender Glaube. Er ist die ipsa impletio promissionis (224, 21 f.) 5 . Ist es also nicht möglich, dem Begriff promissio unmittelbar den Sinn „Gnadenwort" zu entnehmen, muß vielmehr die Beziehung der Verheißung auf Christus beachtet werden, wodurdi der Begriff den beschriebenen Sinn sub contrario erst erhält, so muß dies audi für die Stelle beachtet werden, die meist als Beweis für den Sinn von Glaube und Verheißung in der Römerbriefvorlesung herangezogen wird: fides et promissio sunt relativa (45,15, vgl. 46,13 ff.). Die Beziehung des Kontextes erlaubt es auch hier nicht, dem Begriff promissio den naheliegenden direkten Sinn „Gnadenwort" zu geben, auf das sich der Glaube in der Rechtfertigung richte. Es handelt sich an der Stelle um die Vermehrung Israels, die Gott Abraham verhieß und die wegen des Glaubens einiger nicht hinfiel. Sie wurde im geistlichen Samen Abrahams erfüllt (45, 9; 291, 15ff.), d.h. im beschriebenen Glauben der Christenheit (47, 2 f.), und so ergibt sich der Zusammenhang mit der in Christus erfüllten Verheißung und damit wieder der oben festgestellte Sinn des Begriffs. Derselbe Sachverhalt ist im Begriff evangelium gegeben: Igitur Deus iustificatur in sermonibus, i. e. dum creditur ei in evangelio de impletione promissi, ut verax et iustus habeatur. Sermones enim isti sunt verbum evangelii, in quibus iustificatur, dum ei creditur, quod vera in illis dicat, quod futurum sic isto verbo prophetatur (225, 15 ff.). Inhalt und Erfüllung des Evangeliums ist der verheißene Christus, und was er bringt, ist in dieser frühen Gestalt von Luthers theologia crucis und der ihr entsprechenden (aus den Dictata bekannten) diristologia crucis — um es analog so zu formulieren — völlig eindeutig: es ist die Gnade, aber sie nicht anders denn sub specie contraria, im Glauben, der die Sünde bekennt. In diesem Sinne werden wir gerechtfertigt per fidem evangelii (172, 5). Denn evangelium est iudicium ( = confessio)®. 5 Daraus ergibt sich das relative Redit und die Begrenzung der Aussagen bei Bizer wie bei Bornkamm. — D a ß der rechtfertigende Glaube als confessio die offenbarte Sünde glaubt und nichts als diese weiß, verleugnet nicht die Gnade, denn dieser Glaube als confessio ist seit den Dictata sowohl confessio peccati als auch confessio misericordiae (Vogelsang LuJ 1930 S. 91 ff.). D a ß die Gnade allein in dieser Form der confessio das Bewußtsein des Gerechtfertigten erreicht, ist als charakteristische Gedanken- und Aussageform zu beachten (sehr gut A. Gyllenkrok, Rechtfertigung und Heiligung in der frühen evangelischen Theologie Luthers 1952 S. 75 Anm. 3). • In den Dictata ist diese Gleichsetzung bestimmend W A III, 90, 24; 96, 26 f.; 174, 16 ff.; 437, 30; vor allem 462 f. (462, 34 ff. Quare castigado et crucifixio carnis et damnatio omnium, quae sunt in mundo, sunt iudicia dei: quae per iudicium, id est evangelium et gratiam suam, in suis operatur. Et sic fit iustiria); 466, 2 f.; IV, 253, 2 ff.; 2 8 4 , 1 6 f.; 286, 11; 289, 21 fi.; 305, 19 f.; 310, 24; 330, 22 ff. Für die große Bedeutung von iudicium
Gerechtigkeit aus Glauben oder die Rechtfertigung des Sünders
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Daß das Gnadenwort iudicium, Sünde offenbarendes Wort ist, zeigt sich schließlich am Gebrauch der korrespondierenden Verben. Auch da, wo von dem vormals prophezeiten Wort der Verheißung die Rede ist, wird der Glaube an das Wort als Unterwerfung und Hinnehmen, als Aufgeben des eigenen Sinnes beschrieben, als ein Siegen und Durchsetzen des Wortes (213, 4 ff.; 31,6; 212,30 f.; 225,13 ff.; 226, 5 f. und oft). In der doppelten Sdiolie zu Rm 3,22 wird fides Christi beide Male ausschließlich als Unterwerfung, Demut und Gehorsam beschrieben (251 f. und 255 f.). in den Dictata, besonders auch für die Gleichung iudicium-evangelium ist auf Brandenburg, Gericht und Evangelium 1960 S. 22. 32. 33 ff. 39. 42. 86 f. 90.128 f. 147 zu verweisen. In dieser Einheit ist das Evangelium als gnädiger Sinn des Gerichts unterschieden vom strafenden Sinn (seit WA III, 68, 26 ff.: die erste Ankunft Christi ist iudicium benignum et salutare III, 462,2 f.). — Ähnlidi unserem Ergebnis meint O. Ritsehl (DG des Prot. II, 1 S. 87), daß mortificado und vivificatio in der Frühzeit nicht in sukzessivem, sondern in simultanem Verhältnis stehen. Über die charakteristische Gedankenform der Einheit von Evangelium und Gesetz in der Römerbriefvorlesung vgl. unten S. 69 ff. Audi A. Gyllenkrok, Rechtfertigung und Heiligung, betont die Einheit von Heilsund Gerichtsglaube in den Dictata (S. 35 f. 43), möchte aber in der Römerbriefvorlesung eine Wandlung erkennen, sofern der Glaube an die Verheißung statt des Sündenbekenntnisses hervortrete und die Lehre von der iustificatio dei passiva (im Sinne einer strengen Einheit mit der iustificatio nostri active a deo) auftrete (dies allerdings nur in den Scholien zu Rm 3, 4, Gyllenkrok S. 59—64). Den sachlichen Fortschritt, daß nämlich Bekenntnis und Rechtfertigung in den Dictata eine Folge, in der Römerbriefvorlesung dagegen identisch mit dem Glauben seien, behauptet Gyllenkrok in dem unausgesprochenen Gedanken daran, daß in den Dictata das Evangelium noch Gesetz (S. 35 f.) und daher die Gnadenlehre nodi gesetzlich sei (S. 50), sodaß die Rechtfertigung eine bedingte Folge wird, während in der Römerbriefvorlesung nicht mehr das Bekenntnis, sondern der Glaube, nicht mehr das richtende Gesetz, sondern die Verheißung die Reditfertigung bringe (S. 60 f.), sodaß keine Bedingung als Voraussetzung und keine Folge, sondern nur die Identität behauptet werde. Entsprechend sei audi erst in der Römerbriefvorlesung der Gedanke der iustitia Dei qua nos iustificat konsequent durchgeführt (S. 62). Die Thesen über die Dictata lasse ich unentschieden, denn sie sind nicht mein Thema. Aber für die Römerbriefvorlesung hat sich Gyllenkrok von dem stark hervortretenden Begriff evangelium täuschen lassen und die Untersuchung über den Sinn des Begriffs unterlassen. Was schließlich die Form der Identitätsaussage angeht, so ist mir unverständlich, inwiefern diese einen neuen Stand anzeigen soll. Denn nidit anders als in den Dictata (WA III, 291,27 f. per consequens) wird in der Römerbriefvorlesung das Verhältnis als Folge ausgedrückt, sofern die Rechtfertigung propter fidem/humilitatem/confessionem erfolgt (vgl. LVI, 229, 31 ac per hoc, Stellen bei Holl I S. 126 f.), wie aber andrerseits die Identität audi in den Dictata schon gilt (WA III, 409, 33 f. Ergo confiten peccatum et esse iustum idem sunt, vgl. R. Prenter, Der barmherzige Riditer 1961 S. 83 Anm. 208 über fides/iustitia). Der Glaube „ist" die Gerechtigkeit in der Identität der Römerbriefvorlesung in keinem anderen Sinne, er empfängt sie als Imputation und bleibt im bittenden Verhältnis; er ist sie nicht schon selber in irgendeinem gegen das Verhältnis der Folge auszuspielenden Sinne. Merkwürdig darum, wie Gyllenkrok S. 59 einen Satz Luthers, der diesen Sachverhalt ausdrückt (WA III, 191,26 f. si ego non peccatum haberem et peccatorem non agnoscerem, tu non esses iustificator meus nec iustus solus) als nur „irrealen Konditionalsatz* und als von Luther „negierte Annahme" bezeichnet und abtut.
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Die frühe Rechtfertigungslehre in der Römerbriefvorlesung
Das dargelegte Verständnis von Glaube und Wort ist nun an der Christologie zu bewähren. Sieht man die Scholien zu Rm 3,4 ff. (212—233), in denen sich die entscheidenden, weil ausführlichen und zusammenhängenden Darlegungen über den Rechtfertigungsbegriff finden, auf die Erwähnung der Christologie hin durch, so bemerkt man zunächst, daß sie so gut wie ganz fehlt — in diesem entscheidenden, gedanklich so geschlossenen Gedankenkreis! Soll aber die Christologie kein Zweites neben der Rechtfertigungslehre sein, sondern ihr Interpretament und ihre Begründung, so muß in alledem die Christologie mitgedacht sein; es muß erkannt sein, „daß die Christologie das entscheidende Problem dieses Werkes (sc. der Rö) von Luther ist, eben darum, weil sie anscheinend fehlt" (Iwand, Rechtfertigung und Christusglaube, Vorwort). Ebenso stillschweigend wie selbstverständlich mitgedacht kann sie aber nur sein, wenn sie der Rechtfertigung aus fides/confessio/humilitas genau entspricht — als Exemplarchristologie 7 , die dem Rechtfertigungs-, Evangeliums- und Gnadenbegriff genau entspricht: Christus ist Urbild der Demut; im Glauben an ihn geschieht die conformitas des Christen, welche im iudicium das Evangelium ist. (Christus) est potentia Dei et iustitia dei per maximam et profundissimam humilitatem (WA III, 458, 6 f.), denn virtus Christi est et ea, qua ipse potens est in suis, et ea, qua sui fortes et potentes sunt eosque tales facit. Quae potissimum est humilitas (IV, 231, 5—7), denn Filius est iudicium: quia quicumque conformis ei repertus fuerit, ad eum additur (III, 621, 14 f.). So war es in den Dictata. So allein kann es auch hier in der Rechtfertigungslehre vorausgesetzt werden: 'dispersit superbos mente5. Hec est tota potentia, quam fecit (LVI, 230, 4 f.). Die wenigen Andeutungen Rm 212—233 bestätigen es: dieser Christus ist die Erfüllung der Verheißung (223, 9 ff.; 224, 13 ff.; 231,14 ff.), wie denn die tota und perfecta iustitia in der humilitas besteht (199, 29 f.). So ist in dieser Rechtfertigungslehre die Exemplarchristologie vorauszusetzen. Daß der lebendigmachende Glaube nichts anderes als Christi Tod und Auferstehung glaubt (99, 26 f.; 100, 24 ff.; 414, 27 f.), ist an paulinische Formeln angelehnter (Bornkamm ARG 1962 S. 13) Ausdruck einer bis in den Grund durchdachten Exemplar-Christologie (139, 20 f.): wo der Glaube das Leben des gekreuzigten Christus nicht glaubt, glaubt er sein eigenes Leben sub contrario (sub iniustitia, sub tribulatione) nicht (410, 21 f.; 411, 1 ff.) 8 . 7 Exemplar- oder Urbildchristologie ist ein Ausdruck aus der Theologie der Dictata, über ihn sehr gut F. Gogarten, Die Verkündigung Jesu Christi 1948 (Buch III: Luther) S. 317 ff. 8 Die Formeln vom Evangelium de Christo nato, passo, resurrecto (WA LVI, 167 f.) gehören audi hierher (vgl. WA III, 613,13 f. verbum Evangelii de Christo deo occiso), verbergen aber nodi einen Sinn, der jetzt nidit zu erörtern ist, vgl. Kapitel II. Audi später hat Luther gleich formelhaft summierende Zusammenfassungen gegeben, die doch
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Von einem Gegen- oder Nebeneinander der sermones gratiae und der sermones, die die Sünde offenbaren, kann also nicht gesprochen werden, sondern nur von einer beachtenswerten, aussagereichen Form der Identität beider, welche die Rechtfertigungslehre der Römerbriefvorlesung bestimmt. Sie wird in allem weiteren, besonders bei der Frage nach der Gewißheit, weiter erläutert. Nachdem der Sinn der „Reden", des Evangeliums, der promissio, des „Wortes" 8 erklärt ist, muß nodi über die sinnentsprechende Bedeutung des Glaubens einiges gesagt werden. Im Glauben (credimus, per fidem) wird das Urteil Gottes und damit Gott selber vom Menschen als wahr anerkannt und geglaubt und wird der Mensch auch in seinem eigenen Urteil zu dem, was er in Wahrheit und in sich selbst schon immer ist: Sünder. Der Glaube, durch den Gott gerechtfertigt wird, ist der Glaube, in dem der Mensch Sünder wird (228 f.). Glaube und Reden Gottes entsprechen sich genau. Der grundlegende Wandel im Verhältnis des Menschen zu Gott, den Luther Rechtfertigung nennt, geschieht nicht dadurch, daß der Mensch etwas werden soll, was er nicht ist, sondern allein dadurch, daß er das, was er ist (Sünder) und was er nicht ist (Gerechter) für wahr erkennen und so Gott die Ehre geben soll. Der entscheidende Wandel geschieht daher — so kann man durchaus sagen — im Wandel des Selbstverständnisses: tota vis huius mutationis latet in sensu seu aestimatione ac reputatione nostra 10 . Weil das in diesem Glauben erschlossene neue Verhältnis von Gott und Mensch, das Gerechtigkeit heißt, im Selbstverständnis erst wirklich wird, darum kann die bedingungslose Rechtfertigung nicht ohne den vorausgesetzten, „bedingenden" Glauben sein. — Dies alles zeigt eine so sichere Handhabung der Begriffe und Erfassung der Art dieser im reinen Glauben an das Wort geschehenden Gerechtigkeit, daß ein Zweifel an der bis in alle Voraussetzungen konsequenten Einheitlichkeit der Rechtfertigungslehre unmöglich erscheint. Warum aber wird hier von Glauben und nicht von Erkenntnis der Schuld gesprochen? Glaube ist nötig, sagt Luther, weil sich kein Mensch einer solchen Schuld bewußt sei und sie erkennen könne (231, 6—14), so, wie man etwa andere Dinge erkennen kann, bei deren Erkenntnis es keines Glaubens bedarf (35,12). Der Glaube erkennt die invisibilia und credibilia und ist ein niemand abwerten wird: Evangelium ist „eyn rede von Christo, das er gottis ßon und mensch sey fur unß worden, gestorben und aufferstanden, eyn herr ubir alle ding" (WA 10 I, 9, 18, vgl. WADB VII, 6, 18 f.). * Der singularische Gebrauch verbum (vgl. sermo 213,1;221,17 verba hieß bei Fidter ArefBA I Scholien, 60,11 verbo) fügt sich genau ein. Das verbum fordert Unterwerfung (251, 25; 252, 7 ff.; 255, 31 ; 256, 1. 9; 296, 7 ff., vgl. 240,19). Die sermones sind das verbum evangelii (225, 17; 226,1.13). Der singularisdie Gebrauch entsteht, weil Ps. 50, 6 = Rm 3, 4 (in sermonibus tuis) nach der Reudilinsdien Übersetzung durch „in verbo tuo" wiedergegeben wird (260, 3; 227, 2 mit App. z. St.). l « 233, 7 f., vgl. 12,28 f.; 13,19; 15,1. 4
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Die frühe Reditfertigungslehre in der Römerbriefvorlesung
Verstehen in abscondito von Dingen, die ein Mensch aus sich selbst nicht erkennen kann (238, 28 if.). Glaube ist hier nötig, weil die Wahrheit des Geglaubten nicht offensichtlich ist (appareat 231,13). Denn gerade in der Sünde will der Mensch ja das Gute auf seine Weise (180, 30 ff., vgl. 70,1), nämlich sein Leben und Heil. Wie sollte er da die Sünde als Sünde, sein „Gutes" als das Böse vor Gott erkennen? So führt Luther Hb 11,1 an: Fides enim est argumentum non apparentium. Glaube begnügt sich allein mit Gottes Worten (verbis — im dargelegten Sinn als Sünde offenbarende Worte), daher sola fide credendum est nos esse peccatores (231, 6—14). Alioquin homo semper se reputasset veracem, iustum, sapientem, maxime quia coram se et hominibus talis esset. Nunc autem deus revelavit, quid de nobis sentiret ac iudicaret, scil. quod omnes sint in peccato. Huic ergo revelationi suae sive sermonibus suis debemus cedere et credere ac sic iustificare et verificare eos ac per hoc nos ipsos (quod non cognoveramus) secundum eos peccatores confiten (229,26 ff.). Dem dargelegten Verständnis von Glaube und Sünde entspricht schließlich das Verständnis von Sünde, sie ist peccatum incredulitatis. Als Unglaube ist sie einfach Ungehorsam: qui non credit, non obedit, et qui non obedit, iniustus est. Inobedientia enim tota iniustitia et totum peccatum est (186, 22 ff.). Insofern nun der Glaube Gottes Urteil annimmt und Eigensinn wie Stolz gehorsam überwindet, wird Glauben (credere) vielfach mit Weichen des Eigen-Sinns (cedere) oder auch mit Demut (humilitas) und Unterwerfung (subicere) umschrieben: iustificatur (sc. deus) ergo in iis, qui humiliati sensu suo cedunt et huic (sc. sermoni, vgl. Z. 1 in sermonibus, quando sermo eius praevalet) credunt (213, 4 f.). Die immer wiederkehrende Parallelisierung von cedere und credere, beider Verbindung mit confiteri (218,10 f.), das Nebeneinander von fides, humilitas und confessio11 bestätigen den im Zusammenhang dieser Rechtfertigungslehre notwendigen Sinn des Begriffs fides. Auch für spätere Teile der Römerbriefvorlesung, über die noch gesondert (Kap. III) zu handeln ist, gilt dies: fides nihil aliud est quam obedientia spiritus (451, 25 f.) und confessio enim est opus fidei precipuum (419, 21)12. » 212,12 ff.; 213, 4 f.; 218,9—13; 221,16 ff; 226,16; 229,30; 240,17—19; 250,6 f.; 253,18 f.; 62,15, vgl. 99, 4; 408, 25; 416, 7.17; 419,10.12 f.; 419, 21 ff. 12 Die Parallelität von fides und humilitas erlaubt deswegen noch nicht, den Glaubensbegriff in scholastische Kategorien herabzudrücken und so einen eoipso unterreformatorischen Sinn unbewiesen anzunehmen (vgl. die Analogiebildung fides humilitate formata bei A. Kurz, Die Heilsgewißheit bei Luther 1933 S. 105, und E. Bizer, Fides ex auditu S. 21). Bei dem bis zur Identität nahen Verhältnis der Begriffe fides und humilitas scheint es nicht sinnvoll, humilitas im Gegensatz zu fides als Thema der Römerbriefvorlesung anzusehen. Denn rein statistisch tritt fides mit seinen verbalen Äquivalenten weit vor den Begriff humilitas, der sich in den Rö-Sdiolien S. 157—291 nur 58mal findet. Für die begriffsgesdiichtliche Entwicklung von Luthers früher Theologie ist es von Bedeutung, daß fides auch hier schon, obwohl vom späteren Sinn des Begriffs noch wesentlich verschieden, in strenger Beziehung auf das Wort (nur eben ein anderes als später) verstan-
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Es ist eine methodische Notwendigkeit, den rechtfertigenden Glauben entsprechend dem Wort, an das er glaubt, so, wie es geschehen ist, zu verstehen. Will man mit der Interpretation Fuß fassen, so muß man von den Stellen ausgehen, die jenen Begriff ausdrücklich und eindeutig, wenn auch auf den ersten Blick befremdlich, festlegen. Eine solche Stelle ist weit und breit nur die, von der wir ausgingen: . . . iustus esse in suis verbis creditur. Per tale enim credi iustificat, i.e. iustos reputat. Unde haec dicitur iustitia fidei et dei (220, 9 ff., ebenso 221,17 f.). Wohl wird uns noch ein anderer Begriff von Glauben begegnen, der auf einen anderen Problemkreis hin konzipiert ist (Kapitel II). Aber im Gedanken der Rechtfertigung bleibt dies der durchdringende Begriff (Glaube an die Wahrheit der Sünde im demütigen Bekenntnis), weil er allein sich in die ausdrüddidien und ausführlichen Erklärungen über Rechtfertigung und Imputation einfügt. 2. Inwiefern ist nun der so beschriebene Glaube reiner Glaube und kein Werk des Menschen? Der Satz, von dem wir ausgingen und den wir mit allem nodi immer interpretieren, sagt es kurz: Per tale enim credi iustificat i.e. iustos reputat. Unde haec dicitur iustitia fidei et dei (220, 9—11). Reputare soll die freie und durch kein Verdienst begründete Annahme des Menschen bei Gott ausdrücken (41, 4. 22). Es ist nun entscheidend, ob diese Bestimmung des Begriffs reputare in ganzer Strenge audi gegenüber dem Glauben gilt, obwohl doch die Imputation nur gegenüber dem Glauben möglich ist (42, 3). Der Glaube darf nicht im mindesten zur verdienstlichen Bedingung des Menschen werden. Die Möglichkeit, dieses Problem widerspruchslos zu lösen, muß in der Art des Glaubens liegen, sofern er reines Vernehmen des Urteils und ein Gedemütigtwerden sein müßte, nicht aber eine letzte und höchste Anstrengung, auf die hin Gott lohnend seine Gnade gäbe. Er wäre dann in dem Sinn „Bedingung", in dem er es zu allen Zeiten für Luther war (audi wenn er den wird (vgl. Bizer S. 57), wodurch die spätere Form der Rechtfertigungslehre vorgeprägt ist. Auch daß der Begriff fides vor humilitas und confessio in der Römerbriefvorlesung (wohl einfach durch Einfluß des Paulustextes) dominiert, während er in den Dictata nodi mit den im Psalmtext verankerten Begriffen (vgl. die Statistik über humilitas bei A. Kurz, Die Heilsgewißheit S. 121 ff.) konkurriert, ist zu beachten und für die Entwicklung wichtig. Dem entspricht, daß unabhängig, doch übereinstimmend E. Seeberg (Luthers Theologie Bd. II 1937 S. 21), B. Lohse (Ratio und Fides 1957 S. 50) und in Andeutung J . Ficker (ArefBA I Einleitung p. L X X X I I Z. 12 f.) den Rückgang von intellectus/intelligere und das Hervortreten von fides beobachteten ; anders als in den Dictata wird in der Römerbriefvorlesung die Forderung erhoben, den Intellekt gefangenzunehmen (96, 22 f.; 416,5 ff.), sodaß sich der Glaube nicht mehr vor allem auf das Unsichtbare bezieht (damit ist auch das Schwinden der einst sog. neuplatonischen Elemente in den Dictata bezeichnet), sondern auf das dem Menschen Unmögliche (E. Seeberg, Luthers Theologie Bd. II S. 140). 4*
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später deutlich anderes mit dem Begriff verband) : er wäre das Eingeständnis, würdige Voraussetzung, auf die hin Gott gäbe, nicht schaffen zu können, und also bedingungslos Bitte im Eingeständnis des Unvermögens. Ob Luther diese Bestimmung bis in die tiefsten Voraussetzungen seiner Rechtfertigungslehre schon in der Römerbriefvorlesung durchhält oder ob der Glaube doch zur möglichen und erfüllbaren Bedingung des Menschen wird, muß die Auslegung von fides und humilitas nun zeigen13. Wohl nennt Luther den Glauben ein Geschenk14, doch ob dies nicht bloße Beteuerung ist, ob es letztlich ernst gemeint und konsequent gedacht ist15, muß sich erst zeigen. Daß Luther die Verwandlung des Mensdben zwar ein Werk des göttlichen Wortes nennt, dabei doch immer auf den Glauben des Menschen als die Kraft ver13 Daß aus der Formel von der Rechtfertigung propter fidem (humilitatem/confessionem) nicht eoipso auf eine „Bedingung" in einem zu verneinenden Sinne geschlossen werden darf (Bizer S. 47 f. 153 „jedenfalls doch das Gegenteil von sola fide", vgl. oben Einleitung Anm. 41), weil diese Formel audi später noch gebraucht wird, hat H . Bornkamm ARG 1962 S. 16 gezeigt; vgl. K. Holl in N K Z 1924 S. 48, daß Luther die Formel „um des Glaubens willen" bis zuletzt gebraucht, während Melanchthon, bei seinem Imputationsbegriff (NKZ 1923 S. 182), sie bekämpfen muß. Ebenso steht es mit einer Reihe von Stellen, an denen Luther den spätfranziskanischen Topos vom pactum aufnimmt; Gott habe festgesetzt, nur auf Buße und Flehen hin rechtfertigen zu wollen (281,18, vgl. 375, 21; 255, 27 und WA III, 289, 2 f.), was Bizer (Fides ex auditu S. 47 f.) wiederum im Sinne der potestas ordinata verstehen will, die sich zu Bedingungen verbunden hat. Die Vorstellung als solche gibt diese Interpretation jedenfalls nicht zwingend her, denn Luther hat sie auch später verwendet (WA V, 664, 18 f. memor esto pacti initi, quod illum iustificare, te damnare perpetuo promiseris, et salvus eris) ; daß sie in der Römerbriefvorlesung noch im scholastischen Sinne zu verstehen sei, wäre demnach erst zu beweisen. Mit jenem „Beschluß" ist nichts anderes als dies ausgedrückt: natura dei est, prius destruere et annihilare, quicquid in nobis est, antequam sua donet (Rö 375, 18 f., vgl. 450, 19 f.). Es ist Gottes Natur und Art, nicht ein Beschluß ohne allen Grund in der Sache (vgl. Bizer S. 29 „Es beruht also nicht auf einer sachlichen N o t w e n d i g k e i t . . . " ) . Der Unterschied vom traditionellen Sinn in dieser traditionellen Formulierung ist der, daß des skotistischen Gottes eigenste und eigentliche Art in der potestas absoluta gedacht wird, die sich nur uneigentlich als potestas ordinata zu Bedingungen bestimmt, während bei Luther schon hier, wie unten S. 59 f. zu zeigen ist, seine iustitia (hinter der keine eigentliche potestas absoluta mehr gedacht werden kann) es ist, also Gottes eigenster und eigentlicher Wille, die nur auf die „Bedingung" des Glaubens, so wie auch später immer, schenken kann: Gott kann nur geben (potest 217,11; 219, 3; 404,1 f.), wo der Mensch zu empfangen weiß; Gottes Geben ist an die Bedingung des capax fieri (246,21 f.; 219,5) gebunden. Gottes ungebundener „absoluter" Wille ist sein an diese Bedingung „gebundener" Wille; den im occamistischen Sinne unbedingten Willen und sein absolutes potest lehnt Luther ausdrücklich ab (WA I, 227, 4 f.). 14 227, 19; 228,1, vgl. 40,1 f. Dabei ist 240, 21 f. und 284,23 an die Taufe gedacht. In dem Satz: Et ita deus per suum exire nos facit ad nos ipsos introire (229,20 f., vgl. 305, 27 f.), ist mit dem Ausgehen Gottes, das uns den Glauben ermöglicht, wohl an die Inkarnation gedacht (WA I, 200, 32 ff., vgl. R. Schwarz, Fides, Spes und Caritas 1962 S. 306 Anm. 159). 15 Ob konsequent in Luthers Sinne: dem Begriff nach hatten schon Augustin, der Lombarde und Bernhard z.B. dasselbe gesagt, vgl. O. Scheel, Die Entwicklung Luthers . . . SVRG 100,1910, S. 150.
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weist, die alles verwandelt (233, 5—17), könnte den bereits geäußerten Verdacht nahelegen, Glaube im Bekenntnis der Sünde sei schließlich doch das die Rechtfertigung bedingende Werk 1β . Luther beschreibt die Notwendigkeit der nicht bedingenden Voraussetzung in Bildern. Wie der Arzt einem Patienten nicht helfen kann, der sein eigenes Leiden nicht erkennt und den Arzt, der ihn, den angeblich Kranken heilen will, für erst recht krank, d.h. für verrückt hält (217, 8ff.); oder wie der in seiner Kunst erfahrene Meister einen, der sich schon klug und erfahren dünkt, nichts lehren kann, dieser erkenne denn zuvor seine Unerfahrenheit — so auch glauben die Gottlosen nicht, daß sie gottlos sind, erkennen es nicht an. Sie lassen Gott und seine Reden an sich selbst nicht wahr und gerecht werden und rechtfertigen Gott nicht (222, 13 ff.). So kann auch Gott sie nicht rechtfertigen (226, 4 ff., 23 if.). Denn erst Erkenntnis und Bekenntnis der Sünde facit iustitiam dei appetibilem et confessio commendabilem; so erst beginnt der Mensch Gott zu bitten (221, 25 ff.). Allein der Glaube macht den Menschen empfänglich (capax 17 ) für die Wahrheit und Weisheit Gottes, der nur die Armen reich und die Schwachen kräftig macht (218,18 ff.), der nur die Hungernden und Dürstenden und die nicht von ihrer eigenen Gerechtigkeit schon Erfüllten, d.h. Überzeugten, mit seiner Gerechtigkeit erfüllen kann (219, 3 ff.). Erst dieser Glaube erkennt im Besiegtwerden, daß Gott in seinen Worten der Gnade und Wahrheit ihm notwendig (necessarius) ist (228, 20 f.). Mit diesem letzten Satz gewinnt Luther die Antwort auf die Frage, wie der Glaube entstehe. Der sich unterwerfende Glaube entspricht nicht nur den Worten und Reden, an die er glaubt, er ist vielmehr von diesen Worten erst hervorgebracht: iustificat / vincit / (sc. deus) enim in verbo suo, dum nos tales facit, quale est verbum suum, non autem verbum suum in nos mutât, facit autem tales tunc, quando nos verbum suum tale credimus esse, se. iustum, verum. Tunc enim iam similis forma est in verbo et in credente i.e. Veritas et iustitia (227, 2 ff.)18. Der Gedanke, daß das Wort den Hörer in sich hineinverwandelt und ihm seine Kraft mitteilt, ist bereits aus der 1. Psalmen Vorlesung bekannt: die Verwandlung geschieht im Glauben an die Wahrheit des Wortes, weil dann im Glaubenden und im Wort eine gleiche forma, das gleiche Wesen herrscht, nämlich Wahrheit und Gerechtigkeit (WA III, 397, 3—17). Diese Teilhabe am Wesen wird in der Scholie zu 11
E. Bizer, Fides ex auditu S. 33. 38. 47. Nach L. Pinomaa, Der Sieg des Glaubens 1964 S. 17, müßte unentschieden bleiben, ob in den frühen Vorlesungen, die reformatö 1 risdi seien, obwohl (!) sie „von der humilitas erfüllt sind", die Demut eine dispositio sei oder nicht — „weil einfach das zu erforschende Material zu knapp ist". Wenn drei Quartbände (WA III. IV. LVI) nidit genügen, würde schwerlich neues Material etwas entscheiden. 17 219, 5; 246, 22, vgl. 246, 21 superbia, quae reddit incapacissimos. 18 Vgl. noch 62,13 ff.: 329, 28 ff.; 222,12; WA I, 28, 25 ff. und R. Schwarz, Fides, Spes und Caritas S. 301—308.
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Ps. 50 weiter so erklärt, daß, wer sidi richtet und seine Sünde bekennt, Gott rechtfertigt und ihn wahr sein läßt; denn wer das tut, der sagt eben das von sich, was auch Gott von ihm sagt. Und so ist er gleichförmig (conformis) mit Gott, also wahrhaftig und gerecht wie Gott, mit dem er übereinstimmt (concordat WA III, 289, 33 ff.) 1 '. Die Glaubensgerechtigkeit besteht danach in der Wesensgleichheit des Glaubenden und Bekennenden mit Gott: similis forma in verbo et in credente. Schon hier entspricht die similis forma in credente nicht mehr dem scholastischen Begriff des formalen, innewohnenden Wesens einer qualitas animae (WA LVI, 287,17 f.), sondern ist als einwohnende forma gerade Ausdruck der Relation, des Verhältnisses von Glaube und Wort/Gott. Im Verwandeln und Siegen über die Eigengereditigkeit (227, 9 ff.) bringt Gott, so sagt Luther, den Glauben erst hervor (229, 20 ff.) und schafft so das gleiche Wesen im Verhältnis beider. Die konsequente Auffassung dieses Gedankens bewährt Luther in einem weiteren Gedankenschritt. Der Glaube ist begründet in Gottes Offenbarmachen als reines Vernehmen der dem Menschen gesagten Wahrheit (229, 20—32). Jedes Streben ex animo et medullis erweist sich doch schließlich als unvermögende Torheit, den eigenen Kreis zu durchbrechen: „dicentes se sapientes stulti" (sc. facti sunt 157, 13 ff.), denn auch in der Sünde meint der Mensch noch, das Gute, sein Heil zu suchen. Wie sollte er, was er mit allen Kräften als sein Heil erstrebt, d. h. seine Gerechtigkeit und sein ewiges Leben, als Sünde erkennen und preisgeben? Er bleibt angewiesen auf die Offenbarung der Sünde: Nisi credatur fide in haec verba spiritus in hoc psalmo, quod vera sint et nullus iustus coram deo sit, nemo ex seipso id putabit, qui sibi iustus videtur (247,11 ff.). Wäre der Glaube die tiefste Form des sich selbst rechtfertigenden Werkes, so wäre er Glaube an den Glauben, Glaube an sich selbst. Eben dies durchschaut Luther ausdrücklich: Superbus vero, qui hanc humilitatem ignorât et tantam fidei subtilitatem non intelligit, sed se credere putat et omnem fidem possidere perfecte, non potest audire vocem domini (253, 3—6). Indem Luther den Glauben an den Glauben als höchste Form der superbia erkennt und verwirft, kann der Glaube nichts anderes sein als rein hinnehmender, die Wahrheit an sich geschehen lassender Glaube. Dasselbe läßt sich noch an einem anderen Gedanken erkennen, obwohl gerade dieser der größten Verkennung ausgesetzt ist. Es ist der Gedanke der Demut, der in den Dictata mit dem Begriff confessio das Herzstück der Theologie Luthers bildet und der in der Römerbriefvorlesung mit dem Begriff fides auf's nächste, ja bis zur Identität, verbunden ist. Wenn sich zeigen läßt, daß Luther schon in den Dictata humilitas (mit contritio eng verbunden) nicht mehr als feinste Tugend versteht, sondern so, wie er es später genannt hat, „nicht activa contritio, eine gemachte Reu, sondern passiva contritio, das rechte Herzeleid, Leiden und Fühlen des Todes" — sollte sich " Vgl. conformis deo WA III, 291,20, entsprechend consentire WA LVI 368,28; WA 1,207, 30 f.; WABr 1,145, 28 ff.
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dieses Verständnis der humilitas in den Dictata nachweisen lassen20, so dürfte man es für die Römerbriefvorlesung sicher nicht mehr bestreiten. In den Dictata aber läßt sich dies m. E. ganz deutlich zeigen. Luther sagt da, wieder in den Scholien zu Ps. 50, der sich Häßlichste ist für Gott und vor Gott der Sdiönste, und wer sich der Schönste ist, ist vor Gott der Häßlichste. Daraus folgt: Non qui sibi humillimus videtur, sed qui sibi fedissismus et turpissimus videtur, hie est speciosissimus coram deo (WA III, 290, 23—34). „Nicht der sich ganz demütig erscheint" — das könnte nodi Tugend und vorgenommenes Werk sein, etwas, das trotz aller erkannten und bekannten Sünde doch noch vor Gott gelten soll, ein abgezwungener Akt der Demut; dies ist nicht wahre Demut, denn sie kann sich als Demut, die ja Gott gefällt, noch gut und verdienstlich erscheinen. Luther erkennt dies und durchschaut diese letzte Möglichkeit der Selbstrechtfertigung. Solche Demut wäre noch immer ein Schmuck. Nicht also, wer sich demütig erscheint, „sondern wer sich ganz häßlich und schändlich erscheint", der ist vor Gott schön — denn der hat nicht mehr die geheime Möglichkeit, seine Schändlichkeit im Grunde doch noch als vor Gott schmückend zu erachten; der erachtet sich als häßlidi und erkennt das vernichtende Urteil über sich als redit an. Demut kann zweideutig sein, Häßlichkeit ist eindeutig. Demütig zu sein, kann man sidi wohl vornehmen, weil Demut vor Gott schön sei; aber häßlich zu sein, nimmt man sich nicht vor, das erkennt man nur unter Zwang und im sich unterwerfenden Bekenntnis. Dieser Zwang der Wahrheit ist das vincere Gottes in verbo suo, ist die Macht des überführenden Urteils: Ideo ,dispersit superbos mente'. Hec est tota potentia, quam fecit (WA LVI, 230,4 f.) 21 . Nach diesem scheint es, als dürfe die Demut nicht mehr im Sinne eines letzten Versuchs der zu leistenden disposino verstanden werden, daß Luther :o D a ß Luther schon in den Dictata die scholastische Bußterminologie vermeidet, wird demnach nicht zufällig sein (E. Vogelsang, Die Anfänge von Luthers Christologie 1929 S. 122 Anm. 3 und LuJ 1930 S. 94 f., ähnlich O. Scheel, Luther II S. 588 Anm. 2, vgl. E. Hirsch, Kaftanfestschrift 1920 S. 150 Anm. 2); die Bedenken bei Hamel I S. 44 Anm. 1 sprechen nicht dagegen, denn der ständige, unausgesprochene Zusammenhang mit der sakramentalen Buße ist dieser: Luther will, seit er durch den Beichtrat von Staupitz einen neuen Bußbegriff gewann, eben das Problem der sakramentalen Buße auf andere Weise als diese lösen (vgl. die zweite Ablaßthese) — entsprechend der Tatsache, daß die Bußbeichte das Problem des jungen Luther war (Scheel II S. 276. 278) und confessio der entscheidende, auch den Glauben wesentlich bestimmende Begriff der Dictata ist. Daher wird der Begriff iudicium, hundertmale gebraucht, nicht im Bußsakrament konkret (A. Brandenburg, Gericht und Evangelium 1960 S. 132 Anm. 317). « Vgl. noch WA III, 290, 31—291,2; 462, 29 ff.; WA IV, 273,14 ff. Fast wortgleich mit meiner Feststellung betont E. Wolf (LuJ 1929 S. 60), daß Luther die letzte Versuchung der Demut durchschaut habe; ähnlich Wolf, Staupitz und Luther 1927 S. 186 f., humilitas sei kein meritum, weil sie durch das Wort herbeigeführt sei. — Über andere berechtigte Urteile zum Problem des Synergismus s. Anm. 23 und das Folgende im Text. D a ß die Demut unwissend sei (Non qui sibi lumillimus videtur . . . , vgl. nodi S. 61 ff.), ist damit bewiesen. Warum Bizer (Nachwort zur 3. Auflage S. 194) die unwissende Demut für die Frühzeit bestreitet, ist unverständlich.
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Die frühe Rechtfertigungslehre in der Römerbriefvorlesung
vielmehr diese Versuchung der Demut durdisdiaut (253, 3 ff.). Es wäre nun nicht sinnvoll, die in der Forschung bereits zusammengetragenen Belege dafür, daß Demut und Glaube im Bekenntnis der Sünde von Gott gewirkt und passiv vom Menschen erfahren werden, zu wiederholen oder zu vermehren22. Denn all dies ist nidit unzweideutig beweisend, solange die entgegenstehenden Äußerungen Luthers, welche die sog. occamistischen Reste oder den synergistischen Schein in vielen Formulierungenn der Frühzeit unbestritten zeigen (am drastischsten IV, 295, 34; 262, 4 ff. 2S ), nicht wirklich erklärt sind. Ehe die zunächst verwunderliche Möglichkeit dieser synergistisch klingenden oder eben tatsächlich synergistischen Wendungen nidit aus dem inneren Zusammenhang der leitenden Begriffe verständlich gemacht ist und diese synergistischen Formulierungen als disparate und nicht eingeordnete Elemente neben dem vorausgesetzten Glaubensbegriff stehen bleiben, solange sind Zweifel darüber möglich, wie wörtlich oder wie uneigentlidi diese Formulierungen zu nehmen sind. Von hier aus werden audi immer wieder die Versuche unternommen, die Vorlesungen des frühen Luther im Sinne einer disponierenden Humilitastheologie zu deuten. Bis auf die Lösung dieser Frage (unten S. 65 ff.) kann nur festgestellt werden, daß Glaube und Demut als subtilste menschlidie Möglichkeiten durdisdiaut sind und nur durdi die überführende Wahrheit entstehen24. " Vgl. nur WA IV, 6, 40 f.; 7, 29; WA III, 465,1 ff.; WA I, 33,18.ff.; 73, 23 ff. Bemerkt sei, daß Luther ausdrücklich sagt, der bona intentio folge keine Gnade (WA LVI, 502,19 f.). Bekannt ist, daß die Bezeichnung der Demut als Tugend (471,24 f., vgl. WA IX, 107,29) an sich noch nidit im habituellen Sinn des Begriffs verstanden werden muß, weil Luther sie audi später nodi benutzt, audi weil er die passive humilitas nidit erst zu Rm 12,16 entdeckt (471,18 ff., vgl. WA V, 656,24 ff.), sondern schon in den Dictata (WA III, 465, 5; IV, 130,13 ff., vgl. Hamel I S. 65 f. und Pinomaa, Der existentielle Charakter 1940 S. 33 Anm. 4). — Die Stelle WA III, 345, 29 f. nemo per fidem iustificatur nisi prius per humilitatem sese iniustum confiteatur muß jedenfalls nicht im Sinne einer disponierenden, weil dem Glauben vorgeordneten Demut (als sei sie vorreformatorisch und anthropozentrisch, L. Pinomaa, Der exist. Charakter S. 24) verstanden werden; der textbedingte Gedankengang der Stelle veranlaßt die Abfolge in dieser anerkannt singulären Formulierung. D a ß auch sonst prius nicht notwendig in bedingendem Sinne verstanden werden muß, zeigt Hamel I S. 137.139. M Zur Forschung vor allem Hamel I S. 51 ff. 132.139—148, das Problem S. 131 f. 137 f., die Problematik (S. 149—157.190) des konditionalen Charakters wesentlicher Formulierungen S. 134 f. 138.148.151, sodann Gyllenkrok, Rechtfertigung und Heiligung S. 20 ff., R. Prenter, Der barmherzige Richter S. 135 und Anm. 410/411 mit Verweis auf Pinomaa, Der existentielle Charakter S. 21—29. Uber Anfechtung als mystisches Exerzitium vgl. E. Wolf, Staupitz und Luther S. 141 Anm. 4. Zum Problem des Synergismus im Begriff humilitas noch A. Brandenburg, Gericht und Evangelium S. 59 ff., bei dem (S. 66), wie bei Hamel I S. 142, das Problem unentschieden bleibt. 14 Nodi nichts gegen diese vorläufige Feststellung besagt, was Luther über den Grundsatz der Juristen „qui cedit omnibus bonis, satisfecit" meint, welches von der Demut erfüllt wird im Bekenntnis der Sünde und im Glauben, qua homo sensum suum captivat in verbum c r u c i s . . . (Rö 419,11 ff., vgl. 447 ff. und WA 57 Gal 70,1). Dieser Juristensatz ist in Luthers Sinne deutlich nicht so zu verstehen, daß der Schuldner durch Verzicht
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Bevor wir im Folgenden das Augenmerk darauf lenken, was in dieser Gestalt der Rechtfertigungslehre unbeantwortet und ungelöst bleibt, muß nodi einmal zusammenfassend beachtet werden, was alles sdion mit Sicherheit erfaßt ist: Die Fragestellung spiegelt sich in der durchgehenden Zielsetzung und Thematik, die Luther dem Römerbrief gibt: nach der Glosse zu Rm 1,1 ist Christus und seine Gerechtigkeit dem Menschen notwendig — zur Verniditung der eigenen Gerechtigkeit (3, 6 ff.). Das Erkennen und Glaubenmüssen, d. h. das Wirklichwerden der Sünde ist das Problem, das Luther schon aus den Dictata übernimmt. Dasselbe leidenschaftliche Verlangen, die Wahrheit der Rechtfertigung in der Wahrheit der Sünde zu begreifen, zeigt die entsprechende Scholie zu Rm 1,1: der Sinn des Briefes Pauli ist, die Gerechtigkeit und Weisheit des Fleisches zu vernichten und so die Sünde großzumachen, aufzurichten (157, 2 ff.). Wenn Luther also den Sinn des Briefes nicht darin sieht, die Barmherzigkeit aufzurichten, so ist dies kein Zufall oder eine ergänzungsbedürftige Formulierung, sondern es entspricht genau seinem Denken in der RömerbriefVorlesung25: nur das magnificare peccatum macht (als satisfaktorischer Leistung) außer Verfolgung gesetzt wird (so Bizer, Fides ex auditu S. 28), vielmehr erkennt er das Redit der Verfolgung uneingeschränkt an: qui cedit deo . . . libens ac volens it in nihilum et mortem ac damnationem (419,12 f.). Vor allem, Luther begründet die Unmöglichkeit der satisfactio gerade mit der cessio bonorum (WA I, 102,15 ff.). Den Unterschied zwischen Luthers Meinung und dem von Bizer angenommenen Sinn der Stelle kann man durch einen Blick auf fast gleichzeitige Formulierungen bei Staupitz erkennen: „ab ein mensdi aller weldt sunde uff ym hette, gibt er gote ein begirigen willigen todt, er gewindt so vil do mit, das er alle pein, die er tzu dulden umb sein sunde schuldig worden betzale" und „Dann der todt ist das getzaw, das an allen vortzuge das leben wirckt, unnd auß dem, das er ein pein der sunde gewesen, ein volkommen gnugsam vordienst des ewigen lebens wirdt" (De imitanda morte Jesu Christi libellus, 1515, opera ed. Knaake I p. 61 f.). Von einem juristischen, aristotelischen Begriff bei Luther (Bizer, Fides ex auditu S. 28), kann man darum m. E. nicht mehr sprechen. Auch hier ist festzuhalten, daß Luther den Satz noch später benutzt hat (vgl. H . Bornkamm ARG 1962 S. 11), sodaß er an sich keinen satisfaktorischen Sinn voraussetzt, vielmehr der unterschiedliche Gebrauch (im Vergleich mit Staupitz) das Entscheidende ist. Bornkamm (aaO S. 11.26. 28) hat schon darauf hingewiesen, daß Bizer die juristische Formulierung mit dem juristischen Sinn, den Luther nicht unterlegt, verwechsele. — Entsprechend nennt Bizer den Glauben eine Leistung (Fides ex auditu S. 38), Demut und Glauben eine Bedingung der Imputation (S. 49), die demnach nicht gratis erfolge (S. 50), spridit von einem meritum de congruo (vgl. oben Einleitung Anm. 41) und nennt ebenso die Demut eine Haltung, zu der der Glaube führe (S. 29). Bedingung und Leistung vermag ich nicht zu erkennen (vgl. aber Anm. 39 zu Bizer). Inwiefern Bizer dennoch die „gesetzliche" humilitas gottgewirkt nennen kann (S. 22. 33), erläutert er im Nachwort der 3. Auflage S. 199. Zwiespältig ist A. Kurz, der die Demut in Dictata und Römerbriefvorlesung zwar keine mönchische Tugend, dodi Werk und Disposition nennen will (S. 118 f.), der sie ganz aus Gnade gegeben und dennoch ein meritum de congruo nennt (S. 88, vgl. 133 f.). B
Vgl. Hamel II S. 13 „Luther hat hier in der Tat das Thema seiner Auslegung des Römerbriefs nach der negativen Seite hin bestimmt", ebenso M. Lienhard, Rev. Hist.
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den Menschen zum empfangenden (capax) und weist ihn auf die rein zu erbittende und rein zu schenkende Gerechtigkeit. Diesem einzigen Thema Luthers in der frühen Zeit entspricht die Form seiner Reditfertigungslehre, welche des Menschen Rechtfertigung nur in Gottes Rechtfertigung gegeben sieht; ihm allein ist des Menschen Gerechtigkeit übergeben 26 . Ist aber die Rechtfertigung des Menschen nur in Gottes Rechtfertigung, d. h. im eigenen Verdammen möglidi, so ist jede Möglichkeit genommen, Glaube und Demut als Werk oder Tugend zu verstehen, denn die Frage ist nicht mehr, wie der Mensch gerechtfertigt werde (nur das wäre der Sinn jedes „Werkes"), sondern der Mensch wird überwunden zu der Frage, wie Gott gerechtfertigt wird. Dieser Vorstellung entsprechen die Begriffe von Glaube und Wort („Reden") allein in dem dargelegten Sinn, als Bekenntnis der Sünde und deren Offenbarung im Wort. Nur in diesem Glauben sieht Luther hier die Rechtfertigung ermöglicht, d.h. sieht er die Gnade gegeben, die darum nicht „auch" noch, sondern gerade in der Erkenntnis der Sünde gegeben ist. In der Debatte über den Sinn von Glaube und Wort in der Römerbriefvorlesung haben daher sowohl die recht, die darin nur den Glauben an die Sünde (und nicht an das Gnadenwort) und das diese offenbarende Wort erkennen, als audi die Forscher, die in den tiefsten Voraussetzungen gerade dieser Begriffe die Gnade nicht ausgeschlossen, sondern eingeschlossen sehen. Erst diese Form der Reditfertigungslehre ermöglicht ihre spätere Gestalt. Sie ist Voraussetzung, weil sie das reine Hinnehmen und Empfangen im Verhältnis Gottes und des Menschen ermöglicht und so Gottes Gottheit in der freien Rechtfertigung einsetzt. Diese Voraussetzung mußte erst durch das magnificare peccatum in ihrem tiefsten Sinn und Begriff gedacht und freigelegt werden, damit das theologische Denken den rechtfertigenden Gott wieder begreifen und aussagen lernte. Hier ist nun, als Probe auf das Gesagte, der Schlußstein im Bau der Gedanken Luthers einzuführen. Wenn Luther nur in dem demütigen und bekennenden Glauben und in der erkannten Wahrheit der menschlichen Sünde die Rechtfertigung ermöglicht sieht und darum so nachdrücklich diesen Glauben predigt, so ist das nur bei der selbstverständlichen Annahme möglich, daß in dem so verstandenen Glauben tatsächlich die Rechtfertigung geschehen werde. In der sicheren Annahme, daß dem bekennenden Glauben die Rechtfertigung folgen wird, spricht sich die feste Erwartung aus, Gott werde auf Phil. Rei. 1962 S. 308 und sehr deutlich (vor allem für Dictata) Loofs, ThStKr 1917 S. 416 f. Von hier aus erklärt sich die Bedeutung der Lehre von der Alleinwirksamkeit Gottes, deren (mit dem Problem des Synergismus noch nidit ausgeglichene) Anfänge in der Lehre von opus dei und humiliatio gegeben sind (vgl. zur reinen Passivität in der geistlichen Geburt schon WA 111,174,31 und IV, 342,1 ff.); von hier aus wird sie erst verständlich und im Innersten des theologischen Ansatzes zugänglich und verankert. Auch hätte sie, wäre sie hier nidit verankert, bloßes Appendix und Behauptung bleiben müssen, als sie dann als explizite Lehre durch Tauler an Luther kam, vgl. Kapitel II.
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diesen Glauben hin, der doch nichts als Sünde und Verderben offenbart, den Sünder wirklich rechtfertigen und nicht verdammen. In dieser selbstverständlichen Annahme ist die gewisse Gnade vorausgesetzt und damit, im bloßen Bekenntnis der Sünde, ist auch die Gnade als reine Gnade begriffen. So ist es zu dieser Zeit auch schon Luthers ganze Gewißheit, daß Gott den so Glaubenden tatsächlich rechtfertigt: Quia impium esset dubitare vel putare hominem iustificari per fidem. Sed certissime et firmissime oportet hoc credere et scire (39,18 f.). Worin aber ist jene so selbstverständlich gemachte Voraussetzung gegeben? Was veranlaßt Luther zu der Hoffnung, die Rechtfertigung werde im Bekenntnis der Sünde von Gott empfangen? Grund dieser in dem ganzen Gedankenkreis selbstverständlichen Voraussetzung ist der iustitia-Begriff. Die Rechtfertigung kann so erwartet werden, weil Gottes iustitia dieser Erwartung entspricht und sie erst möglich macht. Gottes iustitia ist schenkender Art — so wird kategorisch definiert. Iustitia enim Dei est causa salutis (172, 3). Erst diese Bestimmung, in der die ganze Rechtfertigungslehre der Römerbriefvorlesung gründet, bietet die Möglichkeit für den Gedanken, daß das Bekenntnis der Sünde tatsächlich rechtfertige. Daß die Rechtfertigung Gottes die des Menschen überhaupt zur Folge haben kann, liegt an der iustitia Dei, die nicht strafende, sondern rechtfertigende und schenkende Gerechtigkeit ist: Unde non hic loquitur de iustitia, qua ipse iustus est, sed qua I iustus est et | nos iustificat | et ipse respectu nostri solus iustus | (215, 16 f.) 17 . Für Luthers Gedanken über den Begriff iustitia dei ist die in diesem Satz vorgenommene Korrektur besonders aufschlußreich; er hieß zuerst nur: Unde non hic loquitur de iustitia, qua ipse iustus est, sed qua nos iustificat! Die Einfügungen zeigen dann, daß Luther die Formulierung erst für vollständig und richtig hielt, wenn der Begriff nicht nur die Gerechtigkeit für den Menschen (qua nos iustificat), sondern eben darin auch Gottes eigene Gerechtigkeit aussagt (qua iustus e s t . . . et ipse respectu nostri solus iustus) 28 . 87
Vgl. 172, 4 f. Wieweit hier Neues vorliegt und wieweit Luther sich eines Neuen etwa bewußt ist, kann dabei ganz unentschieden bleiben (vgl. O. H. Pesch in Catholica 1966 S. 276 oben). Hamel I S. 150.155 f. hält den iustitia-Begriff bis zum Ende der Dictata für ungeklärt, wie er auch das entsprechende humilitas-Problem unentschieden gelassen hatte (vgl. oben Anm. 23). tB Die im ersten Satzteil abgelehnte scholastische Bestimmung als „formaler" Gerechtigkeit qua ipse iustus est schließt also in Luthers Begriff nicht eine Aussage über Gottes eigene Gerechtigkeit in seinem Rechtfertigen aus, sondern gibt im Gegenteil im neuen Gottesbegriff die Möglichkeit, die Gott in Wahrheit respectu nostri eigene Gerechtigkeit zu bezeichnen. Dem entspricht, daß mit dieser strengen und ausschließlichen iustitia-Bestimmung natürlich nicht verneint ist, daß Gott auch weiterhin straft und verdirbt — nämlich die Sünde und den Sünder (WA VI, 113, 7 ff.; 127, 37 ff.). Dies hat neuerdings mit Nachdruck und vollem Recht R. Prenter, Der barmherzige Richter S. 26 ff. 75, hervorgehoben (vgl. Holl I S. 20 Anm. 3), was ich aber nicht so verstehen kann, daß auch die strafende Gerechtigkeit weiter existiere, wie im bisherigen Verständnis, nur daß
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Dieser Satz mit seinen Korrekturen zeigt, daß Luther die Überwindung des satisfaktorischen Begriffs von iustitia nidit nur behauptet, sondern tatsächlich bis in den Grund seines Denkens und seiner Rechtfertigungslehre durchgesetzt hat. Wie ganz anders die gleichen Gedanken über Demut und Glaube unter der andauernden Voraussetzung der sdiolastisdien iustitia aussehen, kann man bei Gerson studieren, dessen Gott auf drei Thronen sitzt (indulgens gratia, corrigens misericordia, damnans iustitia du Pin 1,134); daher ist bei Gerson die Möglichkeit gegeben, eine meritorisdie humilitas zu üben, die als Ausdruck des geforderten facere quod in se beschrieben wird: poterit propter sui humiliationem Deo multo esse acceptior, et prae alio in merendi statu major; dummodo tamen conetur non negligere quod in se est, sed pro gratia consolationis laboret sine fictione (du Pin III, 581). Daß auch bei Staupitz williges Sterben, accusatio sui und Anfechtungen die höchste Verdienstlichkeit bedeuten, ist erwiesen29. Für Luther hätten derartige Sätze keinen Sinn, weil Gottes iustitia gar keine Verdienste erfordert und darum solche auch angesidits dieses Gottes und seiner wesensmäßig schenkenden iustitia sinnlos sind, ja das Gegenteil bewirken, den Zorn. Der iustitia-Begriff ist also ein wesentliches Kriterium zur Sinnbestimmung sdieinbar synergistischer Formulierungen, die unter Luthers Voraussetzung nur uneigentlich gemeint sein können, bei Gerson und Staupitz aber unter Voraussetzung der auch strafenden Gerechtigkeit sinnvoll und gefordert sind. Luthers Begriff von iustitia schließt sich daher mit seinem beschriebenen Verständnis von Glaube und Wort zu einem geschlossenen und in sich eindeutigen Gedankenkreis zusammen. Wollte man sagen, Luther halte trotz aller anderslautenden Definitionen den aristotelischen iustitia-Begriff faktisch doch fest, so wäre dies erst am Zusammenhang der wesentlichen Gedanken nachzuweisen. Gerade das aber ist bisher nicht geschehen. Das Verständnis der iustitia dei als schenkender Gerechtigkeit ist sowohl ausdrücklich formuliert als auch in der gedanklichen Durchführung entscheidend. sie nicht im Evangelium (Rm 1,17) offenbart werde (Prenter S. 124 Anm.); dann bliebe der Zwiespalt zwischen strafender und schenkender Gerechtigkeit unvermindert im GottesbegrifF erhalten. Sondern daß Gott auch weiterhin straft, wird Ausdruck seiner Gnade, er straft aus Gnade und Liebe. Der Sinn des Gesetzes ist es, zum Heile zu leiten, aber nicht mehr, die unverletzliche Gerechtigkeit Gottes zu bewachen und sühnend zu rächen. 2i Für Gerson über meritoria valde humilitas, von der ausdrücklich gesagt wird, spes non ex meritis praeveniens praesumptio est, non spes aestimanda (duPin 1,138), und über die Grenzen dieser Auffassung vgl. Dreß ZKG 1933 S. 159 f. — Zu Staupitz vgl. E. Wolf, Staupitz und Luther S. 55—58.116.161 und LuJ 1929 S. 48 f.: „Der Verdienstgedanke durchwirkt alle Äußerungen des frommen Lebens: das Verhältnis des Christen dem Leid, der Anfechtung, dem Tod gegenüber ist durch ihn bestimmt: alles wird zum Mittel einer Heilserwerbung entwertet." In all dem sei der Gottesgedanke Kern und Angel, sofern Gottes iustitia gegenüber seiner misericordia ausdrücklich sichergestellt werden müsse. — Auch bei Augustin ist tribulatio Zeichen der Gnade (Hamel I S. 60), in einem zwiespältigen Sinne, den Hamel I S. 87 präzise beschreibt.
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Das bedeutet natürlich nicht, daß Luther mit alledem die Rechtfertigung hier schon so dächte, wie er es etwa 1520 tat oder dann 1545 in der berühmten praefatio beschrieb. Denn dieser neue Begriff läßt sich sehr verschieden denken und deuten; auf seinem Boden gibt es Schwankungen und mancherlei Stufen und Grade in der Erfassung des Verständnisses und aller Konsequenzen wie auch in dem Vermögen, das neue Verständnis zu formulieren 30 . Daß Gottes Gerechtigkeit schenkende Gerechtigkeit ist, steht hier schon fest, ist auch formal kein neuer Gedanke Luthers; wie dieser aber zu denken ist und dem Menschen gegenwärtig wird, darin steht Luther hier erst am Anfang. Das wird sich gleich zeigen. Wir hatten gesehen, daß Luther den die Sünde aus dem offenbarenden Wort bekennenden Glauben den rechtfertigenden Glauben nennt, weil die selbstverständliche Voraussetzung die ist, daß es Gottes Art und iustitia ist, den bekennenden und sich Gott anheimgebenden Sünder aus Gnaden zu rechtfertigen. Es ist Luthers ganze Gewißheit — deswegen predigt er die Sünde und den Glauben an sie so leidenschaftlich —, daß Gott den so Glaubenden wirklich rechtfertige: Quia impium esset dubitare vel putare hominem iustificari per fidem. Sed certissime et firmiter oportet hoc credere et scire (39,18 f.). Von hier aus läßt sich mit Recht sagen (wie oft seit Holl I S . 134 ff.), die Römerbriefvorlesung lehre zweifellose und gewisse Gnade für den bekennenden Sünder. Andererseits (vgl. Kap. III) bleibt in dieser Reflexionsgestalt der Rechtfertigungslehre völlig offen, wie der Mensch, der in seinem Glauben nichts als die Erkenntnis dieses Glaubens und in ihm darum nur seine Verderbtheit und Verlorenheit sieht, der Gnade gewiß werde. Denn die Gnade ist gerade dem bekennenden Sünder nicht bekannt; gewiß und über allen Zweifel ist nur die aus dem Glauben an das Wort gewonnene Erkenntnis der Sünde. Glaube glaubt die Sünde und ist ihrer gewiß, weil sie ihm im Wort gesagt ist. Denn das „Wort" ist hier noch nicht Gnade zusagendes und verheißendes Wort. Wohl ist die Offenbarung der Sünde und das Vernichten der eigenen Gerechtigkeit in Glaube, Bekenntnis und Demut eine widerfahrende Gnade Gottes, weil nur so die Rechtfertigung möglich ist; wohl ist Christus die Verheißung, die sich in der Demut der ihm Glaubenden (iudicium tropologice) erfüllt — doch in allem ist die Gnade nur verhüllt und mittelbar. Erkennbar, erfahrbar ist die Sünde. Und weil der Mensch in diesem Glauben und der entsprechenden Demut verharren muß, bleiben Gnade und Rechtfertigung in Unwissenheit und — Ungewißheit: nunquam scire possumus, an iustificati simus, an credamus (252, 20 f.), und: ignorant, quando iusti sunt, quia ex deo reputante iusti tantummodo sunt, cuius reputationem nemo novit, sed solum postulare et sperare debet (268, 21 f.). Auch die im Evangelium offenbarte iustitia macht hier nicht gewiß, denn sie ist — Christus, und er ist das Urbild des sub specie contraria Verborgenen. Es gilt deswegen hier Hamel I S. 191 hat dies am deutlichsten gespürt, vgl. noch oben Einleitung.
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nodi einmal zu beachten, daß der Sinn des „Wortes" wohl die Gnade ist, daß aber die Gestalt, die sidi die Gnade gibt, das Gericht und die Offenbarung der Sünde ist. Deswegen bleibt das Wort, an das der rechtfertigende Glaube glaubt, das die Sünde offenbarende Wort; das Gerichtswort ist das Gnadenwort — so wie der rechtfertigende Glaube als confessio und humilitas verstanden bleibt. Er weiß nichts als die Sünde und wird in diesem Glauben von Gott gerechtfertigt, aber er weiß es nicht und bleibt in Ungewißheit, Demut und Flehen. Es ist hier wichtig zu sehen, daß Luther die erste und entscheidende, auch später festgehaltene Voraussetzung seiner Rechtfertigungslehre klar erfaßt — aber audi nur diese erste Voraussetzung. Daß Gott dem Sünder gnädig ist und seinen bekennenden Glauben rechtfertigt, weiß Luther in aller Klarheit, aber wie der Glaubende der Gnade gewiß und wie sie ihm gegenwärtig wird, das weiß er noch nicht zu sagen, daher die Ungewißheit bleibt. Von hier aus wird verständlich, warum mit Recht seit Ficker und Loofs die Heilsgewißheit in der Römerbriefvorlesung (gegen Holl) nicht angenommen wurde. Es wird aber auch verständlich, warum der Streit beider Parteien in dieser Frage nicht gelöst werden konnte: weil die Alternative nicht richtig war. Der geschilderte Sachverhalt zeigt, daß die Gnade dem Glaubenden gewiß gegeben wird (Holl) — aber in Unwissenheit —, daher in Ungewißheit, die Luther später überwindet (Loofs/Ficker), s. unten Kapitel III. Wir stehen hier an einem Punkt, an dem der ganze Unterschied zu Luthers späterem Denken hervortritt: der Unterschied liegt im Verständnis des Glaubens. Dieser ist hier in der Frühzeit durch die Parallelbegriffe confessio/ humilitas diarakterisiert (entsprechend dem „Wort", das die Sünde offenbarte Wort 31 ) und kann daher nicht gewisser, vertrauender Glaube sein, obwohl die Rechtfertigung auf Grund des iustitia-Begriffs als allein aus Gnaden und Glauben bestimmt ist. Wieweit Luther noch von der späteren Gestalt seiner Rechtfertigungslehre entfernt ist, wird sidi uns nun an den Hemmungen und Schwierigkeiten zeigen, die diesem Glaubensbegriff eignen und die Grenzen der Frühgestalt von Luthers Lehre erkennen lassen. Diese Grenzen und Schwierigkeiten gehören zur Erfassung der eigentümlichen Gestalt der frühen Rechtfertigungslehre Luthers. Die Erkenntnis, daß das Erkennen der Sünde im Glauben Gott rechtfertigt und also ihm die Rechtfertigung des Menschen überantwortet, befreit den Menschen von der Notwendigkeit, sidi selber rechtfertigen zu müssen, S1
Es scheint mir nicht sinnvoll, mit Abstufungen und graduellen Bestimmungen das Verhältnis der Römerbriefvorlesung zum späteren Luther zu beschreiben (M. Lienhard, Rev. Hist. Phil. Rei. 1962 S. 310. 311, Wort und Sakrament nähmen hier noch nicht den Platz ein, den sie später hätten, doch kenne auch die Römerbriefvorlesung sdion die Heilsgewißheit). Das andere Verhältnis von Wort und Glaube (weil beide einen anderen Sinn haben), eine andere Struktur des Gedankenzusammenhangs erklärt den Unterschied, nicht ein „mehr" oder „weniger".
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gerade weil es ganze und edite Preisgabe im Bekenntnis der Ungerechtigkeit ist, die nun nidit mehr darauf aus zu sein braucht, sich selber zu rechtfertigen. Keine iustitia Dei verlangt mehr diese Selbstrechtfertigung. Er muß im Bekenntnis der Sünde nur das sein, was er ohnehin ist: Sünder, nicht mehr und nicht weniger. Das ist eine ungeheuere Entlastung. Aber eben dadurch entsteht für den Glauben in der Reflexion auf sich selber eine ungeheure Selbstbelastung, ob er denn auch wirklicher, echter Glaube sei, der in diesem Bekenntnis nichts zurückhält: Nunquam scire possumus, an iustificati simus, an credamus (252, 20 f.). So sehr Luther überzeugt und gewiß ist, daß Gott den Bekennenden und im Bekenntnis ihn Bittenden (221, 31 ff.) rechtfertigt, so unsicher ist er seines Glaubens, auf den sich nun das ganze Gewicht der Zweifel senken muß: Credere enim in Christum est in ipsum toto corde intendere et omnia in ipsum ordinare... si unum verbum non credideris, iam non vivis in verbo dei. Quia in omni verbo totus est Christus et in singulis totus. Ergo in uno negatus totus negatus e s t . . . Quae cum ita sint, in immensum nos oportet humiliari. Quia cum non possimus scire, an in omni verbo dei vivamus . . . Quamquam enim certi simus nos in Christum credere, non tamen certi sumus nos in omnia, quae ipsius sunt (252, 5—25). Es könnte hier wohl scheinen, als wäre der Glaube wegen der Unendlichkeit einer unersdiwingbaren Leistung (der Demut) ungewiß; dann wäre die Ungewißheit in der geheimen Verdienstlichkeit begründet32. Aber Luthers Gedankengang ist gerade anders: die Unleistbarkeit des Glaubens und also die Unmöglidikeit, auf den Glauben als ein Verdienst zu trauen, ist Sinn und Resumé der Scholie (253, 3 ff.). Denn wenn die Rechtfertigung nur dem vorbehaltlosen Glauben an die Unendlichkeit seiner Sünde zuteil wird, so muß dieser Glaube gerade angesichts seiner selbst ungewiß bleiben, weil er in allem Menschlichen, und also auch in sich, das Ungenügende und die Sünde 32 So E. Bizer, Fides ex auditu S. 38, der den Glauben eine Leistung nennt, weswegen er ungewiß werde. — Luthers Forderung, daß der Glaube ganz und umgreifend sein muß, nicht nur Lippenbekenntnis sein darf; daß er fest von Herzen geglaubt und in jedem Werk, im ganzen Leben wahr werden und sich erweisen muß (231,23 f., überhaupt 231,20—233,4; vgl. 447), bedeutet viva confessione passionem et mortem eius (sc. Christi) in semet ipso exprimere (WA 1,123, 27 f., für Dictata s. Hamel I S. 90 fi., vgl. WA III, 358, 6 tota vita te confiteatur). Wie Bizer S. 33 angesichts dieses Sachverhalts, der das Durchdringende und den ganzen Menschen Umfassende ausdrückt, Luthers Formulierung non voce tantum et ficto corde gegen das pleno affectu (393, 25) ausspielt, weil da das sola fide verleugnet und nicht der Glaube allein, sondern auch die aus ihm fließenden Akte (pleno affectu! womit doch gerade nur der wirkliche und ganze Glaube gemeint ist) nötig seien, ist mir unbegreiflich. — Daß der Glaube stets Werke bei sich habe (fides cum operibus suis 332,4), sagt Luther auch später (vgl. R. Seeberg DG IV, 1 S. 297. 310 und Anm. 3); dem entspricht in der Römerbriefvorlesung der Satz: sufficit sine operibus (100, 21). Bizer S. 32 sieht darin den Gegensatz zum nackten Glauben. — Daß die Gerechtigkeit ex fide totaliter sei (173, 8), möchte Bizer im Sinne des scholastischen fides initium, radix et fundamentum festlegen (Fidus ex auditu S. 33). Ähnlich versteht A. Kurz (Die Heilsgewißheit bei Luther S. 155) die Ablehnung des ex fide tantum (d. h. einer fides sine Christo 299,12) im Sinne der vorbereitenden Werke mit meritum de congruo.
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erkennt: wie das vermeinte Wissen Genügen und Selbstgefälligkeit (securitas) bedeutet, so ruft die Ungewißheit unendliche und ganze Demut hervor. Man hat demnach richtig gesagt, daß um der objektiven Gewißheit die subjektive Gewißheit verneint werden müsse, weil nur dann die Demut wirkliche Demut und Glaube bleiben und sein kann 33 . In dieser Spannung besteht das Problem der Römerbriefvorlesung und ihres Glaubensbegriffs: nur die unwissende Demut ist wahr (Non qui sibi humillimus, sed qui sibi fedissimus et turpissimus videtur, hic e s t . . . ) , die unwissende aber kann nie gewiß werden. Wir haben daher in Luthers Darlegung der Ungewißheit den Schlüssel seiner Rechtfertigungslehre in der Römerbriefvorlesung, weil sie deren Schutz, aber auch deren ganzes Problem und Hemmnis ist. Die Ungewißheit begründet erst den echten Glauben, weil sie der Schutz vor jeder Versuchung zur Genügsamkeit, Leistung und Verdienstlichkeit des Glaubens ist; sie erst zeigt die Unmöglichkeit einer Demutstugend, indem sie den Menschen immer weiter in Demut treibt, weil der Glaube nur so wirklicher, in der täglich widerfahrenden Erkenntnis der Sünde sich an Verdammnis oder Rechtfertigung Gottes preisgebender Glaube ist. Darum kann und darf es keine Gewißheit geben, damit der Glaube echt bleibe, sondern nur Hoffen und Furcht, Weinen und Flehen. Wohl gibt Gott dem Zöllner die Gnade, aber Quis . . . huius publicani summam sibi arroget humilitatem? Quare potius agnoscamus nos esse tales, qualis erat Pharisaeus, et gemamus atque odiamus nos ipsos magis quam illum, et non praesumamus s e c u r i . . . (WA I, 65,1 ff.). Seines Glaubens und seiner Demut kann niemand gewiß sein. Eben aus diesem Grunde liegt nun das Mißverständnis, als werde der Glaube hier zu einer Leistung und deswegen ungewiß, charakteristisch nahe genug. Denn die Ungewißheit ist dazu da, den Glauben an seinen reinen Sinn als Glauben an die gänzliche Sündhaftigkeit zu erinnern und so auch den letzten und geheimsten Glauben an den Glauben selbst zu durchschauen und abzulehnen (253, 3 ff.). Gerade darum aber ist.es die eigentümliche und verborgene Tendenz dieser Gedanken, daß der Glaube, der nie gewiß wird, stets vor der Versuchung seiner selbst auf der Flucht sein und sich ins unendliche fort demütigen muß: in immensum oportet humiliari. Soll er rechtfertigen und echter Glaube sein, so muß er non voce tantum et ficto corde, sondern pleno affectu den Menschen zum Sünder machen, weil nur der wirklich und ganz Gedemütigte gerechtfertigt wird. Doch Quis . . . sibi arroget humilitatem? Um als rechtfertigender Glaube rein zu bleiben, drängt er ins unendliche fort und immer weiter, weil die Demut sich nie gewiß, auch nie genug demütig sein kann. Deswegen dürfen Freude und Trost nicht das letzte Wort haben, sagt Luther im Herbst 1516, nach Abschluß der Römerbriefvorlesung, zu Ps. 4, 2 (in tribulatione dilatasti mihi. Miserere mei: et exaudi orationem meam): es sei zu beachten, daß dilatatio nicht am Ende 33
Fr.W.Schmidt ThStKr 1920/21 S.222.
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des Verses stehe, ut sciamus non stare finem in hac vita nobis, sed semper et usque ad mortem misericordiam petere et orare. Alioquin videretur reliquisse tepidis patrocinium et presidium, ut adepta consolatione et „dilatatione" quiescerent a profectu, quasi in ultimo, quod hie possit attingi (WA III, 47, 23 fi.). Dasselbe Mißtrauen, das Luther hier in der betonten Unruhe und Ungewißheit wadihalten muß, ist es, dessentwegen er später Glauben und Halten an das Wort predigt, audi und gerade dann, wenn Glaube wie Reue unvollkommen und ungenügend sind (s. Kapitel IV). Aber hier wird der Glaube nodi rein und rechtfertigend erhalten durch den unendlichen Imperativ unendlicher Demut: in immensum oportet humiliari. Diese unendlich forttreibende, ungewisse, in keiner Gewißheit befestigte Demut ist nun die Quelle des synergistischen Scheins so vieler und wesent-
licher Formulierungen in der Frühzeit. Sie ist der Grund, warum Luther gegenüber überkommenen, tatsächlich synergistisdien Formulierungen hier nodi so wehrlos ist und sie bestehen lassen kann, obwohl die entscheidende innerste Tendenz seiner Gedanken gerade entgegengesetzt ist. Um den Glauben edit zu erhalten, treibt er ihn in die unendliche Demut, deren Unruhe und Ungewißheit das bittende Unvermögen wachhält und die in der unendlichen Forderung der Demut — auf der scharfen Grenze und dem Grat, auf der Kippe zwischen Synergismus und Glaube — vor dem Menschen steht. Dabei darf der Unterschied zum Luther der späteren Jahre gerade hier nidit übertrieben werden, denn auch später werden Glaube und Demut nodi verlangt, weil sie im Gesetz gefordert werden: facite ut sitis intelligentes, curate ut sitis creduli (WA V, 69, 23 f.) oder Quia enim Christus eandem iram expertas, erigamus nos et confidamus nos liberandos esse, sicut Christus liberatus et ereptus est (WA 31 I, 523, 7 ff. von 1532). Wie „synergistisch" würde dies in einem Frühtext scheinen! Die Stelle Ut sic humiliati et impíos ac deo inphrynitos nos confessi mereamur iustificari ex ipso (WA LVI, 247,15 f.) hat auch noch 1519 ihre Parallele: Et rursum, nos dum hoc sacrificio iustitiae, sapientiae, virtutis etc. Deum honoramus et colimus, meremur ab ipso rursus iustificari (WA V, 252, 14 ff.) oder ut agnitione eiusmodi nostri mali gratiam mereamur (V, 661,12, vgl. den genauen Wortlaut III, 284,15—17). Fides opus nostrum (WA IV, 241, 39) kann es auch noch 1520 heißen84. Dennoch hat es seine Gründe, daß bei vergleichbaren Formulierungen doch nur in der Frühzeit der synergistisdie Schein entsteht. Denn Luther weiß zwar hier sdion, wie gezeigt, daß Gott in seiner schenkenden iustitia den 34
fides als opus W A V I , 204, 25 f.; 2 0 6 , 1 4 f.; 2 1 0 , 1 6 , später W A 3 3 , 2 9 , aber dagegen die bekannte Stelle W A 39 I, 90. Wie synergistisdi würde audi der Satz „gib ein ernstlidien fursatz unnd vermügen, nit allein anzuheben frumb sein, sondern vil kecklich darinnen fort geen und V o l b r i n g e n . . . " in der Frühzeit aufgefaßt werden VI, 1 4 , 7 f.). 5
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Kroeger, Rechtfertigung
audi unns mer (WA
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Demütigen rechtfertigt und daß, wer so demütig glaubt, einen diesem Glauben entsprechenden Gott hat (talem deum, qualem credimus85). Aber wie der Mensch in diesen Glauben und in dies Verhältnis des talem/qualem hineinkommt, weiß Luther hier nur durch den Imperativ auszudrücken (weil Glaube nodi confessio/humilitas ist), später aber durch das verheißende und zusagende Evangelium, das den Glauben durch die offenbare (nidit sub specie contraria verhüllte) Verheißung schafft und möglich macht, indem der Glaube als hinnehmender Glaube an die Verheißung von der Unmöglichkeit seiner eigenen reinen und ganzen Demut befreit wird (vgl. Kapitel IV). Aus diesem unendlichen Imperativ entsteht in der Frühzeit — entsprechend der Vorstellung des rechtfertigenden Glaubens als confessio/humilitas — die aktivische Form der Rechtfertigung, in der der Mensch Gott rechtfertigt (iustificatio dei passiva) et per consequens se ipsum (WA III, 291, 27 f., vgl. III, 290,13). Daß gerade an Ps. 50, 6 der für die frühe Theologie so bezeichnende Terminus von der iustificatio dei passiva gebildet wird (WA LVI, 226, 23 ff. und 227,18 f . ) e r k l ä r t sich nur aus der genauen Entsprechung dieses Verses zu Luthers eigenem Denken, das um die Erkenntnis der Sünde und des contrarium immer wieder kreist, um so der Wirklidikeit Gottes, und sei es des zornigen Gottes, habhaft zu werden (vgl. S. 44 f. und S. 70). Mit dieser für die Theologie des frühen Luther konstitutiven Gestalt der Rechtfertigungslehre hängt die aktivische Form des Gedankens (der Mensch rechtfertigt Gott) durch den unendlichen Imperativ der confessio/humilitas zusammen. Diese Form ist, auch wenn sie später gelegentlich vorkommt (doch dann eben in einen anderen Glaubensbegriff eingebettet), für die Frühzeit Luthers ebenso aufschlußreich, wie es die Tatsache ist, daß Begriff und Vorstellung der iustitia passiva, in der der Mensch seine Gerechtigkeit empfängt, nicht vor dem Wandel des Glaubensbegriffs (s. Kapitel IV) feststellbar sind. Der unendliche Imperativ, der in dem Verständnis des Glaubens als humilitas/ confessio begründet ist, ermöglicht und begründet den synergistisdien Schein: Quilibet sibi formet et faciat maximam tribulationem (WA III, 428, 33 f., vgl. 431,19 f.) oder Semper igitur peccatum timendum, semper nos accusandum et iudicandum in conspectu Dei. Quia si nos ipsos iudicamus, non utique a Domino iudicabimur (III, 291,14 ff.) und „ . . . daß du (sc. Gott) auch als 35 WA III, (66, 39); 180, 26; IV, 483, 7; besonders in dem Satz IV, 5 1 1 , 1 3 qualis tu es in dispositione, tale est tibi wird die genaue Entsprechung, nicht der dispositionelle, meritorisdie Sinn deutlich ausgedrückt, aber doch nidit zufällig mit dem Begriff dispositio. Audi Loofs sieht in den frühen Formulierungen der Dictata, die diese Entsprechung ausdrücken, den synergistisdien Sdiein über dem verborgenen Monergismus (ThStKr 1917 S. 385 f.), ähnlich E. Hirsdi in Kaftanfestschrift S. 159 f. M A. Gyllenkrok, Rechtfertigung und Heiligung S. 59—63 hat beobachtet, daß die Lehre von der iustificatio dei passiva nur der Römerbriefvorlesung eigne und auch in dieser nur in den Scholien zu Rm 3, 4 vorkomme. Beides ist, sofern die Formel gemeint ist, richtig, nicht aber der Sdiluß, den Gyllenkrok auf die theologische Isolierung dieser Sdiolie zieht (vgl. Anm. 6).
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balde tröstest und erhebest, als bald der mensch vornympt sich tzu demutigen", „darumb furcht idi mich vor deinem tzorn unnd zuknurße mich selb, das ich deyn gericht zuvorn kumme, dann du hast die natur an dyr, das, wen du erhebest, den n y d e r s t u . . ( W A 1,170,13 ff.; 200, 6 ff.)37. Quelle, Möglichkeit und Begründung des synergistischen Scheins — mehr ist es nicht, aber auch nicht weniger — liegen im Verständnis des Glaubens als Demut, die gerade und nur um der schenkenden iustitia willen gefordert sind (diese Voraussetzung ist in jedem Gedanken solcher Art, auch später immer, selbstverständlich), die aber wahr und durchdringend sein muß, daher unendlich gefordert und ungewiß ist, um nicht verdienstlich zu werden. An dieser unendlichen Forderung entsteht der Schein des Synergismus38. Wenn sich auf diese Weise die anstößig synergistischen Wendungen und ihre Möglichkeit in der Theologie des jungen Luther aus der Art des rechtfertigenden Glaubens selber erklären und ableiten lassen (weil der synergistische Schein gegenüber ihrem ursprünglichen Sinne nach tatsächlich synergistischen Formeln durch seine eigene Tendenz wehrlos ist), dann können sie nicht mehr als Argument gegen diesen Glauben gebraucht werden, als wäre er noch nicht reiner Glaube und als habe er die Gesetzlichkeit noch nicht überwunden. Er ist reiner, d. h. empfangender Glaube, nährt aber, weil er noch als unendlich geforderte humilitas/confessio verstanden ist, den synergistischen Schein, der nicht unüberwundener „Rest" ist, sondern als wesentliche Eigentümlichkeit zur Fassung dieses Glaubensbegriffs hinzugehört, um die reine und wirkliche Demut in Unwissenheit zu ermöglichen. Das synergistische Element ist hier nicht gegen das sola fide gerichtet, sondern ist ein Element zum Schutze des sola fide. Dies ist freilich das Charakteristische und ebenso Bedenkliche dabei, daß dieser Schutz nodi auf solche Weise geschehen muß. Doch erlaubt es diese Begründung und Ableitung des synergistischen Scheins aus dem sola fide jedenfalls nicht mehr, ihn gegen das sola fide und sola gratia auszuspielen, weil er gerade aus dem zum Schutz des Glaubens aufgestellten unendlichen Imperativ entspringt. Für die Römerbriefvorlesung ist damit — aber auch erst damit — sowohl die Unmöglichkeit eines meritorischen Glaubensbegriffs wie audi die Wehrlosigkeit dieses 37 Das Schwanken Luthers im meritum-Begriff der Dictata (Ebeling ZThK 1951 S. 180 mit Verweis auf Hamel 1,186 ff. gegen Vogelsang, Die Anfänge von Luthers Christologie S. 72 A 2) ist in diesem Zusammenhang wahrscheinlich wieder für charakteristisch zu nehmen, nicht für nur unüberwundenen Rest. ,e Daß conformitas keine Möglichkeit des Menschen als imitatio ist (wie denn Luther das iuxta Christum ablehnt und nur das per Christum erlaubt WA LVI, 298 f.), trotz des so exhortativen Charakters bestimmter Passagen, betont auch M. Lienhard, Rev. Hist. Phil. Rei. 1962 S. 314. 309. Über die Akthaftigkeit der Rechtfertigung Iwand, Rechtfertigungslehre und Christusglaube 1930 S. 72 f. Hiermit hängt natürlich die spezifische Fassung des Problems „Gesetz und Evangelium" zusammen, worüber gleich. Zu einem vergleichbaren Ergebnis mit anderer Begründung, der ich nur mit Bedenken zustimme, kommt A. Gyllenkrok, Rechtfertigung und Heiligung S. 34—36.
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Glaubensbegriffs, die einstweilen nur erst durch Unwissenheit und unendlichen Imperativ den Synergismus abzuwehren vermag, erwiesen 89 . Für diese Wehrlosigkeit des frühen Glaubensbegriffes ist die Art bezeichnend, wie dieser synergistische Schein zunächst überwunden wurde: durch allmähliches Abklingen und durch Abstoßen auf Grund äußerer Einflüsse, nicht aber von innen, aus dem eigenen Verständnis und Begriffsgefüge heraus. Die Dictata noch sind voller synergistisch deutbarer Stellen 40 ; in der Römerbriefvorlesung wird nur in der ersten Hälfte des Kollegs von opera praeparatoria gesprochen, die also in der zweiten Hälfte überwunden scheinen, was dem Einfluß Taulers und seiner Lehre von der Alleinwirksamkeit Gottes und der Passivität des Menschen zu verdanken ist. Aber audi dann ist der Gedanke der opera praeparatoria nur fast überwunden; er kommt in der Folgezeit gelegentlich noch vor, weil er noch nicht aus dem Glaubensbegriff selber überwunden ist (über alles dies genauer Kapitel III). Mit diesen Ergebnissen der Interpretation sind nun die Methodenfragen der Einleitung kurz in Verbindung zu bringen. Denn wir befinden uns hier an einer Stelle, an der die Unmöglichkeit, aus theologischen Gründen über Früh- oder Spätdatierung des Turmerlebnisses und d.h. darüber zu entscheiden, ob die hier dargelegte Theologie Luthers bereits im biographischhistorisdien Sinne reformatorisch sei oder nicht, offen zu Tage liegt. Denn einerseits ist deutlich, daß eine Reditfertigung allein aus Gnaden gelehrt wird, daß die Möglichkeit verdienender und rechtfertigender Werke im Begriff der Gerechtigkeit und in dem entsprechenden Verständnis von Glaube s® Es kommt also nicht darauf an, daß es „auch nodi" synergistische Stellen gibt, neben anderen, die die reine Gnade als Glaube und nicht gemachte, sondern widerfahrene humilitas zeigen, sondern darauf, daß die „synergistischen" Stellen überhaupt nodi möglich sind. Eine solche Erklärung aus dem innersten Ansatz müßte aber für die Meinung, die synergistischen Stellen wären konstitutiver Ausdruck für den noch immer festgehaltenen aristotelischen iustitia-Begriff, an den entgegengesetzten nachdrücklichen Behauptungen der Gerechtigkeit aus Glauben und Gnade erst durchgeführt werden; es müßte, sollte diese Meinung glaubhaft sein, gezeigt werden, daß alles, was von Glaube und der schenkenden iustitia gesagt ist, nur uneigentlidi und Ausdruck der nodi scholastischen und tatsächlich synergistischen Meinung Luthers wäre. Die hier vorgeschlagene Erklärung des Problems erklärt lückenlos audi die scheinbar divergierenden Elemente als spezifischen Ausdruck und charakteristische Möglichkeit aus der eigentümlichen Fassung der tragenden Begriffe in der Frühtheologie. Mit allem hier Erklärten glaube ich auch die bei Bizer ganz mit Recht so beachteten und herausgestellten und in der bisherigen Forschung meist vernachlässigten Schwierigkeiten aufgenommen und eingeordnet zu haben (Glaube nur an das Gerichtswort, Ungewißheit, Synergismus, Glaube und Demut als plenus affectus) und nicht als Glaube an das verheißende und gewißmachende Wort. Denn ganz richtig sieht Bizer, daß es im Glauben nicht darum geht, daß er die Gabe empfängt, sondern um das, was er aus dem Menschen macht (Fides ex auditu S. 36) ; deswegen geht es ständig um den plenus affectus. Nur Bizers Erklärung der von ihm mit Redit hervorgehobenen und bezeichnend problematischen Tatbestände vermag ich nach allem nicht für richtig zu halten. 40 Ich nenne nur Vogelsang, Die Anfänge von Luthers Christologie S. 70 ff. 123 ff. 155 f. (Anm. 3), Hamel I S. 131 ff. und Gyllenkrok S. 20 ff.
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und Wort überwunden ist. Der Mensch ist vom aussichtslosen Versuch der Selbstrechtfertigung befreit; es bedarf nur des Bekenntnisses, zu dem der Mensch überwunden wird, in dem er erkennt, was er schon ist. Eine große Entlastung! Andererseits hält das Verständnis von Wort und Glaube, wonach die Rechtfertigung durch Anerkennung des Gerichts geschieht, den Menschen in Unsicherheit und Ungewißheit fest, gerade um den Glauben rein zu erhalten und ihn nicht zum Genügen und so zum Werk werden zu lassen. Die Gnade gibt sich nicht anders als in Gestalt des Gerichts, und der Glaube steht in ständiger Gefahr der Selbstverführung und Selbstbeschwerung in seiner Prüfung und Reflexion, denn kein „Wort" entlastet ihn von sich selbst. Und wo er sich an das Wort hält, treibt es ihn vermöge seines richtenden Sinnes immer nur wieder tiefer hinab. Der Abstand von der späteren Theologie und der weite Weg, den Luther hier noch vor sich hat, ist deutlich zu sehen. Man könnte wohl mancherlei Vermutungen anstellen, ob schon die Erkenntnis dieser Rechtfertigungslehre, nach der der Glaube an die Sünde aus Gottes schenkender iustitia rechtfertigt, für Luther das einschneidende Turmerlebnis gewesen sein könnte, oder ob erst die von aller Doppelgesichtigkeit und Unsicherheit befreite Lehre, nach der erst der Glaube rechtfertigt, der im gewissen Vertrauen das Wort der aus Gottes iustitia gnädigen Zusage ergreift, das völlig befreiende und erlösende Erlebnis seines Lebens gewesen sei. Die eigentümliche Rechtfertigungslehre der Römerbriefvorlesung, die schon soviel Neues bringt, aber — gemessen an der Theologie der späteren Jahre — sehr viel Wesentliches noch nicht weiß, läßt die Entscheidung offen, ob das Turmerlebnis in dieser Zeit um 1515/16 schon zurücklag oder Luther noch bevorstand. Beides ist von theologischen Erwägungen aus denkbar, daher nur als rein biographische Frage entscheidbar. Wie immer die Lösung hier lauten wird: es sollte anerkannt werden, daß die Theologie der Römerbriefvorlesung alle im Rahmen der Scholastik und des Spätmittelalters gegebenen Möglichkeiten bereits hinter sich läßt. Der scholastische iustitia-Begriff ist überwunden. Aber auch, was Luther einst als den einzigartigen und besonderen Trost Gersons empfand, welcher extenuatione legis wirkte: »Ah, es mus nicht alles so hart sundt sein, et ita solatur manente lege" (TR 2457a), ist in einer abgründigen und unausweichlichen Erfahrung des Gesetzes (iudicium) überwunden. Doch gerade hier ist die Art, in der die Gesetzlichkeit in der Römerbriefvorlesung überwunden ist, zu beachten. Sie spiegelt sich in dem eigentümlichen Verhältnis von Gesetz und Evangelium wider. Wir halten uns hier wieder nur an die ersten Kapitel der Römerbriefvorlesung, um der Frage nicht vorzugreifen, ob innerhalb der nächsten Kapitel eine Entwicklung festzustellen ist (s. Kapitel III). Merkwürdig ist das Verhältnis von Gesetz und Evangelium zunächst deswegen, weil es sich im Zusammenhang der Rechtfertigungslehre nicht am Begriff „Gesetz" zeigen läßt; dieser gehört hier in einen anderen Gedankenkreis, worüber ausführlich Kapitel II. In unserem
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Zusammenhang tritt das Problem in ganz anderer Art hervor. Was Luther in der 1. Psalmen Vorlesung so ausdrückt: per tale iudicium salvos fecit (WA III, 522, 25), das ist in der entsprechenden Formulierung der Römerbriefvorlesung aufgenommen: per tale enim credere nos iustificat i.e. iustos reputat (WA LVI, 221,17 f., vgl. 220,10 f.). Das Problem besteht in der Analogie von credere und iudicium 41 . Was rechtfertigt und Heil schafft, ist der Glaube und eben darin, daß Glaube als confessio/humilitas verstanden ist, iudicium, welches die „Reden" Gottes enthüllen. Das Heil ist das Gericht. So liegt der Ton hier auf einer merkwürdigen Einheit, genauer: Identität von Gesetz und Evangelium. Diese Einheit ist nur sinnvoll, wenn man beachtet, daß in einem anderen, bestimmten Sinne die radikale Unterscheidung vorausgesetzt ist, sofern nämlich das Gesetz als ein dem Menschen möglicher Heilsweg ausgeschlossen ist, weil das Bekenntnis diesen Weg preisgegeben hat, und also dies Gesetz vom Evangelium, welches in der Hinnahme des iudicium besteht, wohl unterschieden ist. Sie wären noch nicht unterschieden, wenn das Gesetz als gnädige Hilfe auf dem schweren Heilswege verstanden wäre, sofern es sagt, was zu tun i s t D i e Einheit von Gesetz und Evangelium hier in der Frühzeit (per tale iudicium bzw. credere salvos facit bzw. iustificat) wäre unmöglich, wenn das Gesetz im iudicium als ein vom Menschen zu erfüllendes Gesetz verstanden wäre, wenn also Glaube und Demut nodi leistbare Bedingungen wären. Weil aber das Gesetz (iudicium) Erfüllung nicht im Werk, sondern im Bekenntnis des Unvermögens fordert, darum können sinnvoll Gesetz und Evangelium hier eins sein. Daß in dieser Einheit die Unterscheidung des Gesetzes (als Heilsweg in der menschlichen Erfüllung seiner Forderungen) vom Evangelium vorausgesetzt ist, zeigt sich rein terminologisch daran, daß das Gesetz im Zusammenhang der Rechtfertigung nicht durch lex wiedergegeben wird, sondern durch iudicium (dieser Begriff kommt in der Römerbriefvorlesung, weil ihn der Paulustext nicht bietet, nicht so oft vor, ist aber im Verständnis des Glaubens als confessio und humilitas aufbewahrt). Iudicium und credere/fides ( = confiteri) entsprechen s i c h D e r richtende, nicht der das Werk fordernde Sinn des Gesetzes ist in 41
Der Begriff in der Römerbriefvorlesung 231,11.15; 266, 11; 290,19.23. 25 f.; 291, 8. 14; 422,14, vgl. WA 111,25 Anm. Über seine Wichtigkeit in den Dictata (WA 111,203, 4 ff.) vgl. Brandenburg, Gericht und Evangelium passim und Hamel I S. 43 ff. 65. 71. 82. 142 f. I 42 Über das Gesetz als Form dieser Gnade vgl. R. Seeberg, DG III S. 456 und 0stergaard-Nielsen, Scriptura sacra et viva vox 1958 S. 87. 89. 4S Sofern in den Dictata lex (sc. spiritualis) = iudicium ist, entsprechen sidi audi lex und credere in der Rechtfertigung, dodi gehört das Verhältnis von lex und credere/fides in den Zusammenhang der Gesetzesfrage, sofern es um die Erfüllung des Gesetzes geht, die im Glauben geschehen soll. In der Rechtfertigungslehre entsprechen sich Gesetz und Glaube nur insofern, als Christus die verderbende Macht des Gesetzes vernichtet, indem er das Gesetz als einziger erfüllt (WA LVI, 260,18) und ihm genugtut (329, 5 f.), was seinen Gläubigen zugute kommt (97, 24 ff.; 204,17 ff.; 267,7 der Gedanke des Tausches), als peccatum non imputari per/propter Christum (280, 2 f.; 289, 19 ff. 30 f.; 290,15 ff.) und
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dieser Einheit bestimmend. Wohl finden sidi in anderen Begriffen und Zusammenhängen Ansätze zur Unterscheidung von Gesetz und Evangelium (im Schema spiritus et litera), aber die spätere Lehre von Gesetz und Evangelium ist hier nodi nicht gegeben 44 . Die spätere Lehre unterscheidet anders, aber sie verändert an dem hier vorliegenden Verständnis von „Gesetz und Evangelium" nur eben soviel, wie sie auch beibehält, weil die Unterscheidung schon begründet ist in der Art des Zusammenhangs beider in der Römerbriefvorlesung 45 . Man würde sich deswegen den Blick für die eigentümliche Zwischen- und Anfangsstellung der Römerbriefvorlesung auch in dieser aufschlußreidien Frage verstellen, wollte man die hier schon in einem eigenen Sinne geschehene Unterscheidung von Gesetz und Evangelium in der Identität beider bestreiten 48 . vor allem in dem Satz 53,16 f.: Iustitia sanctorum non est impletio legis, sed sola communicatio impletionis Christi, quam ipse fecit (vgl. 290,15 ff.). Die Vorstellung der iustitia Christi imputata ist in der Römerbriefvorlesung nur einmal gegeben (vgl. Hamel II S. 93, der die eine Stelle 347, 9 f. eine begrifflich vereinzelte Bemerkung nennt, vgl. aber noch 63,12 f. und 1,140, 30), nachdem sie in den Dictata nodi völlig fehlt (Vogelsang, Die Anfänge von Luthers Christologie S. 86 Anm. 2 und Scheel, Luther II S. 590). Es ist daher nicht richtig, wenn Iwand schreibt: „Historisch angesehen ist es mehr diese Form der Imputationslehre (sc. der iustitia aliena amputata) gewesen, die Luthers Frömmigkeit in der Frühzeit theologisch bestimmte, als ihre Modifikation in der Lehre von der nonimputatio" (Rechtfertigungslehre und Christusglaube S. 68). 4 4 Vgl. die übereinstimmenden Urteile oben S. 14 Anm. 7. Mit all dem soll nun gezeigt sein, daß die im späteren Sinne noch nicht vollzogene Unterscheidung von Gesetz und Evangelium keine Minderform der späteren Formulierung ist. Die Überwindung der Gesetzlichkeit ist die Pointe auch dieser frühen Form, sofern das iudicium in nichts als confessio und humilitas besteht. Vielmehr ist die statt der Unterscheidung herrschende Einheit bzw. Gleichung von iudicium und evangelium durch den Glaubensbegriff, durdi die Ungewißheit und die iustificatio dei passiva konstitutiv für eine ganze eigene, eben die frühe Lehre Luthers. All diese Eigentümlichkeiten gehen verloren, wenn man den Unterschied zur späteren Fassung mit graduellen Begriffen beschreibt. — Über die Scholien zu Gesetz und Evangelium bei Rm 10,15, auf die Bornkamm ARG 1962 S. 21 hinweist, wird Kapitel III gehandelt. Über die weitere Entwicklung des Problems bis zur endgültigen Fassung s. Kapitel V und VI. 4 5 Die Notwendigkeit, Gesetz und Evangelium zu unterscheiden, ist auch später in der Zusammengehörigkeit beider begründet, und zwar so sehr, daß Luther sagen kann, in der höchsten Not der Verzweiflung helfe nicht das Evangelium, sondern das Gesetz im 1. Gebot: praecipimur sperare (WA V,95,20ff.; 96,8 f.; 346,8 f., schon Rö 236,24 f., vgl. WA 30 II, 663,37 primum praeceptum est promissio). Dieser Gedanke hat seine Vorgeschichte in Luthers Klosterkämpfen, als er darauf aufmerksam gemacht wurde (vgl. schon Gerson du Pin 1,141 divina iussio ut speres und divina promissio si speres, weiteres bei Dreß Z K G 1933 S. 153—156), Gott selbst habe befohlen zu hoffen (WA 4011,411, 14 ff. und T R Nr. 4362 und Nr. 6017, s. Melanchthons Bericht C R VI, 159 über die Mahnung eines senex, mandatum dei esse, ut singuli homines nobis remitti peccata credamus), vgl. O. Scheel, Luther II S. 259 f. 46 Danach besagt die Einwendung von Bizer, „Gesetz und Evangelium sind hier nicht geschieden*, weil Glaube nur initium, radix und fundamentum sei (Fides ex auditu S. 33), als solche noch nicht viel. Nur möchte Bizer diese Einheit nodi als Gesetzlichkeit verstehen.
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Wenn Luther in einem späteren Rückblick die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium als den Inhalt der berühmten Erkenntnis auf dem Turme nennt (TR 5518), so ist audi dies möglidierweise eine Spätformulierung, die nichts darüber zu erkennen gibt, in welcher Fassung und Gestalt diese Unterscheidung zu seinem Erlebnis wurde; ob also die in der Einheit implizierte Unterscheidung von 1515/16 oder erst die spätere gemeint war, die dem vernichtenden Wort des Gesetzes in scharfer Unterscheidung das verheißende Gnadenwort im Evangelium entgegenstellt. In dem in der Tischrede gemeinten Sinn sind Gesetz und Evangelium hier keinesfalls schon unterschieden. Darum muß das Wort der Gnade noch Wort des Gerichts sein; darum ist es nur die offenbarte Sünde (und nicht die Gnade), die der rechtfertigende Glaube dem Wort glaubte; darum ist Glaube ein Glaube an die Wahrheit der Sünde, er ist Bekenntnis, Demut, und als solcher der Sünde gewiß, aber der gewissen Gnade unwissend und ungewiß, daher ins unendliche demütig und nie genug demütig (Quis sibi arroget humilitatem?) und in dieser unendlichen Forderung synergistisch scheinend. Gesetz (iudicium) und Evangelium (Gnade, Rechtfertigung) sind hier noch eins, weit unterschieden von der späteren Fassung des Gedankens. Dieser doppelgesichtige Sachverhalt an ganz entscheidender Stelle in der Frühtheologie Luthers zeigt die Unmöglichkeit, mit theologischen Gründen über Früh- oder Spätdatierung des Turmerlebnisses zu entscheiden, und darüber, welche Fassung in Luthers theologischer Entwicklung zur erlösenden Erkenntnis wurde. 3. Wir haben bisher gesehen, daß Luthers ganzes Interesse in den ausführlichen Scholien zu Rm 3, 4 ff. sich in der Frage nach der Rechtfertigung Gottes aussprach, was sich in der dargelegten Sinnbestimmung der „Reden" und des Glaubens zeigte. In diesem Abschnitt haben wir nun zu erklären, wie Luther die Rechtfertigung des Menschen denkt, denn: iustificatio Dei in sermonibus suis potius nostri est iustificatio (213,13 f.); iustificatio dei passiva et activa et fides seu credulitas in ipsum sunt idem (227,18 f., vgl. 226, 23 f.). Wir kommen damit zu der großen Scholie über Rm 4, 7, denn Luther gibt die Antwort auf die genannte Frage mit Hilfe des Imputationsbegriffes 47 . Für diesen hat sich aus dem Vorigen schon ergeben, daß seine Bestimmung 47 Vgl. Hamel II S. 86. Auf die Sdiolie zu Rm 4, 7 macht Luther in Vor- und Rückverweisen aufmerksam (Rö347,28 und 22,25 f.), sodaß ihr Inhalt ihn vorher wie nadiher begleitet. Daher darf die Sdiolie nicht isoliert werden, wofür es audi inhaltlidi keine Anhaltspunkte gibt. Aus diesem Grunde ist mir der Versudi von A. Adam unverständlich, der die reformatorische Wende auf den Spätherbst 1515 (Wort und Dienst 1963 S. 31. 36. 39) in diese Sdiolie verlegt und in seiner Besdireibung des Neuen, das hier zu finden sei, kaum Charakteristisches, nidits Neues nennt (S. 38, vgl. 43) und sidi darum mit literarkritisdien Thesen über die Dictata behilft (S. 33 f.).
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als freie und durch kein Verdienst begründete Annahme des Menschen bei Gott (41,4. 22) nicht nur theoretische Definition ist, weil Glaube und Demut um des im streng geschlossenen Gedankenkreis der Rechtfertigungslehre vorausgesetzten iustitia-Begriffes willen gar nicht meritum sein können und dürfen, weil Gottes schenkende iustitia solche gar nicht will. Wir haben gesehen, daß dieser iustitia-Begriff den Reditfertigungsgedanken bis in die tiefsten Voraussetzungen bestimmte und daß ohne ihn der ganze Zusammenhang auseinanderbricht. Betrachten wir zunächst Luthers eigene Darlegungen über den Begriff anhand der großen Sdiolie zu Rm 4,7. Der Grundgedanke ist folgender: Wegen des demütigen Bekenntnisses, welches der Glaube ist, rechnet Gott sowohl die einzelnen Vergehen wie auch die diese einzelnen Vergehen erst hervorbringende eigentliche Grundsünde (concupiscentia, fomes) nicht an; wem durch diese Nichtanrechnung beide vergeben sind, den achtet Gott für gerecht. Die Anrechnung der Gerechtigkeit (reputatio) geschieht durch Nichtanrechnung der Ungerechtigkeit (nonimputatio). Reputare iustitiam ist dasselbe (idem est) wie non-imputare iniustitiam (284,9—21) Der Mensch bleibt in seiner Sünde, was er ist (denn der Glaube, der die Rechtfertigung hervorbringt, deckt die Sünde nur auf, bekennt sie, nimmt sie aber nicht schon weg), dodi Gott läßt ihn bei sich als gerecht gelten. Weil der Glaube die Sünde nur aufdeckt, aber nicht schon wegnimmt, kann die Gerechtigkeit in nichts anderem als im reinen Nichtanrechnen Gottes, im reinen Gelten vor Gott bestehen. Der Sinn dieser in non-imputatio und reputatio bestehenden Gerechtigkeit ist es also, die νοΛ· Gott geltende und den Menschen rechtfertigende Gerechtigkeit nicht als innewohnende Qualität des Menschen verstehen zu müssen (287,17 ff.), sondern immer nur als geschenkte und zugesprochene, weil auch der Glaube, auf den hin Gott seine Gerechtigkeit gibt, d.h. für gerecht erachtet, keine „gerechte" Qualität des Menschen, sondern eben nur die Anerkenntnis der mangelnden Qualität ist 49 . Iustitia ex imputatione ist daher der schärfste 48
Später findet sich nodi computari (WA 39 I, 98,14). Acceptare nur gelegentlich und nicht in fester Terminologie (im Römerbrief z.B.41,4.22; 226,16; 268,6; 279,6; 290,17). Reputare bezieht sich stets auf die Person, imputare auf die Sache (Sünde, Gerechtigkeit); ihr Verhältnis als das einer Folge zu bestimmen (R. Seeberg DG IV, 1 S. 132 Anm.), geht wohl nicht an. 4 * Durch diese Erkenntnis fühlt sich Luther von der ihn in Verzweiflung führenden scholastischen Gnadenauffassung befreit: Ego autem optimos theologos conferens de instantanea infusione gratiae et expulsione peccati intellexi dicta, scilicet quia totum peccatum simul prorsus expelleretur totaque simul gratia infunderetur, ut etiam nonnulli Metaphysicantes potius quam Theologizantes dicunt, gratiam secundum essentiam suam totam i n f u n d í . . . Sic enim sapere, hoc quid est aliud quam desperationem incurrere et infelicem conscientiam inquietare? Sic enim et ego prope de Deo et quicquid est et habet desperavi (WA I, 43 und IV, 665, zur Datierung dieser Predigt vgl. Kapitel VI Anm. 2, vgl. nodi WA LVI, 274,2 ff.). Diese Gedanken bedeuten für Luther sichtlich eine Beruhigung. So bekommt die Aussage W. Brauns, mit dem Imputationsgedanken habe Luther die
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Die frühe Rechtfertigungslehre in der Römerbriefvorlesung
Ausdruck für die Notwendigkeit, vor Gott in Bekenntnis und Bitte bleiben und anhalten zu müssen, denn Iniustitia nascimur, morimur (287, 23), ist aber deswegen audi Ausdruck der Möglichkeit, in Bekenntnis und Bitte vor Gott bleiben und aushalten zu können: Sola autem reputatione miserentis Dei per fidem verbi eius iusti sumus (287, 23 f.). Auf Gottes Urteil allein kommt es an. Denn wo wäre sonst eine Gerechtigkeit, die vor Gott gilt? Mit dieser Existenzfrage ist der forensische Begriff in sein Recht gesetzt 50 . Solches Verständnis der Rechtfertigung ermöglicht dem Menschen, vor Gott aus Gottes reiner Barmherzigkeit für gerecht gelten zu können, ohne es selbst sein zu müssen; denn dies letzte ist unmöglich. Dabei bedeutet Gelten einfadi die Wirklichkeit und Tatsächlichkeit des Gerechtseins extra nos, extrinsece, coram deo. Wie sehr dabei reputare und imputare umgreifender Ausdruck des Gottesverhältnisses sind, zeigt sich besonders am negativen Gebrauch; nicht nur das Gerechtsein der Sünder vor Gott wird als reputari (iustum) bestimmt, sondern audi das Ungerechtsein der Sünder vor Gott als reputari (peccatorem): die Sünder rechnet Gott für ungerecht, d. h. sie sind vor ihm Sünder und Ungerechte (226, 28 f.; 283,17 ff.; 286,18; 37, 8 f.). Imputare und reputare sind Ausdruck des coram deo esse, im positiven wie negativen Sinne. Bei dieser Bestimmung der Gerechtigkeit als Gelten angesichts der bleibenden Sünde, bleibt der Sünder Sünder, aber in dem Bekenntnis der Sünde nicht mehr nur in sich und bei sich, sondern im Eingeständnis auch vor Gott, den er im Bekenntnis rechtfertigt und der ihn um des Bekenntnisses willen, weil dieses den Menschen wieder bittend und empfangend vor Gott bringt, rechtfertigt. Auf diese Weise ist der Mensch simul peccator, an sich, in sich, bei sich, und doch non-peccator, vor Gott, bei Gott (270,10; 268, 27 ff.; 269, 21 ff.). Hier kommt zum erstenmal die berühmte simul-Formel vor 51 . Heilsgewißheit gefunden (Die Bedeutung der Concupiszenz in Luthers Leben und Lehre 1908 S. 66. 80. 83), eine gewisse Berechtigung, sofern jene eine Voraussetzung für diese wurde; doch in der faktischen Entwicklung Luthers war es nicht so (vgl. nur W A LVI, 268, 21 f.). 50 So H. E. Weber, Reformation, Orthodoxie und Rationalismus 1,1 1937 S. 57. 51 Merkwürdigerweise möchte A. Adam die Formel nur in der Reihenfolge simul peccator et iustus, nicht in der Umkehrung der Glieder für richtig halten (Wort und Dienst 1963 S. 41 f.). — D a ß diese Formel durch die Exemplar-Christologie des zugleich verfluchten und gesegneten, zugleich lebendigen und gestorbenen, zugleich traurigen und fröhlichen Christus und vergleichbare allgemeine Formeln und Anschauungen der Dictata (111,527,28; IV, 133,14) vorgebildet ist (E. Seeberg, Luthers Theologie Bd. II S. 8), wird man nicht bezweifeln. Als die klassische Formel erscheint sie zuerst in der Römerbriefvorlesung. Sofern sie den Sinn von Rm 7 wiedergibt (70, 9 zu Rm 7 , 1 6 Ideo simul sum peccator et iustus) und in der Auslegung dieses Kapitels Luther mit Augustin „so gut wie vollständig" übereinstimmt (Hamel II S. 68), könnte man Denifles Hinweise (Luther und Luthertum I* S. 540) auf Augustin vielleicht zur Erklärung und Ableitung der Formel benutzen, insbesondere Sermo 154 cap. VIII MPL 38 col. 837 zu R m 7 , 2 5 Idem carnalis s i m u l . . . und auch D e continentia cap. VIII MPL 40 col. 361 haec igitur duo . . . Aus der Auseinandersetzung mit Rm 7 leitet F. Lau die Formel ab (Luther Göschen 1959 S. 55),
Gerechtigkeit aus Glauben oder die Rechtfertigung des Sünders
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Nun stellt sich die Frage, woher Luthers Imputationsvorstellung stamme. A. Kurz (Die Heilsgewißheit bei Luther 1933 S. 76 ff.) hat vier Quellen für Luthers Benutzung des Begriffs genannt: a) das Erlebnis der bleibenden inneren Sündigkeit, das die Rechtfertigung im reinen Gelten suchen ließ, b) die occamistische Schulung, c) die Augustinlektüre und d) den Gebrauch des Begriffs in der Bibel. Daß der Begriff bei Luther aber vornehmlich aus der occamistischen Theologie abzuleiten sei, ist seit Denifle allgemeine Annahme 62 . Zunächst ist nun, entgegen dem üblichen Urteil, der recht vereinzelte und keineswegs terminologische Gebrauch des Wortes in der occamistischen Theologie bemerkenswert. Schlägt man die Begriffsregister in den Sentenzkommentaren Occams (anno 1495) und Biels (anno 1514) auf, so findet man den Begriff überhaupt nicht angeführt 5S , er ist also kein wesentlicher Begriff, und in den Texten der in Frage kommenden Distinktionen und Quaestionen ist er auffallend selten54"®6. Dagegen bestimmt in seinem spezifischen Sinne seit Scotus der Begriff acceptare die spätscholastische Rechtfertigungslehre. Er ist in seiner ursprünglichen Fassung als reines acceptare — contingenter, libere et misericorditer 57 — ein Begriff der Gotteslehre, sofern er alles de potentia absoluta aus Rm 7 mit Hilfe von Augustin erklärt sie Nygren (ZsyTh 1939 S. 368). Die inhaltliche Bestimmung der Formel bei Luther differiert gegenüber Augustin ebenso wie gegenüber Gersons cum totus homo sit spiritus et caro (Dreß ZKG 1933 S. 145) wie gegenüber dem Lombarden (idem ergo spiritualis est idemque carnalis MPL 191 col. 1427), aus dem Α. V. Müller die Formel ableiten möchte (Luthers Werdegang 1920 S. 137). Müller verweist sodann ebd. Anm. 1 auf Favaroni, auf den sich die Staupitzkonstitutionen in der Einleitung berufen, und Proles, Staupitz' Vorgänger, habe in Perugia, der Lieblingsgründung Favaronis, kaum 10 Jahre nach dessen Tode seine Studien gemacht. (Man könnte hier mit E. Kleineidam in Reformata Reformanda, Jedinfestschrift 1965 I S. 159 noch darauf hinweisen, daß der Promotor des Joh. v. Paltz, Konrad v. Waidenfels, in Perugia Doktor geworden war.) Die Oberlieferung der „Augustinusschule" wird also von Müller für die Formel verantwortlich gemacht. Aber daß Luther gerade in der Auslegung von Rm 7 mit Augustin und manchen Augustinisten so sehr übereinstimmt (Hamel II S. 68), wo die Formel auch bei Luther im Sinne des partim-partim verstanden ist (diese Möglichkeit bei Luther, wenngleich sie nicht den eigentlichen Sinn seiner Formel erschließt, bestreitet zu sehr A. Nygren aaO S. 374), läßt daran zweifeln, ob sie aus Rm 7 mit Hilfe Augustine entstand. Luther entwickelt sie jedenfalls zum erstenmal bei Rm 4, 7 im Sinne der aus keiner Tradition ableitbaren duo toti homines. " Denifle, Luther und Luthertum I 1 S. 601.647, H . Boehmer, Luther im Lichte der neueren Forschung 19174 S. 55, W. Link, Das Ringen L u t h e r s . . . S.273, W. Braun, Die Bedeutung der Concupiszenz 1908 S. 264. H Für Ailly, in dessen Ausgabe (anno 1490) ein Register fehlt, ist Gleiches vorauszusetzen. Auch im Vocabularius von Altenstaig fehlt der Begriff. 54-5« j m Abschnitt über die Rechtfertigung = Buße findet sich der Begriff bei Occam (IV q. 8 + 9 ) 5mal, bei Biel (IV d. 14) 2mal. Bei Ailly fehlt die Qaestion. Nimmt man deswegen als Ersatz bei Ailly I q. 9 (bei Occam und Biel I q. 17), so ist das Ergebnis: Occam keinmal, Biel 2mal, Ailly lmal (dagegen 30mal accept.). 57 Fast wortgleich Occam 1,17 q. 1 KLMS und q. 2 D und Biel 1,17 q. 1 a. 2 conci. 3.
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Die frühe Reditfertigungslehre in der Römerbriefvorlesung
Mögliche beschreibt. Durdi keine Rücksicht auf den Menschen gebunden, auf keine von diesem dargebotene Bedingung oder Eignung hin nimmt Gott an oder verwirft, d.h. bestimmt er zum ewigen Leben oder zur ewigen Strafe58. Nur sein Wille, nichts extra se59, ist Grund der Verurteilung, die einen Gerechten, und der Annahme, die einen Sünder betrefFen kanneo. Und dies geschieht ohne den möglichen Vorwurf des Unrechts für Gott, denn niemandes Schuldner ist er61 ; was immer er tut, ist gut, weil ER es tut82. Stehender Ausdruck dieser ängstlich ausgesparten Freiheit ist die axiomatische Wendung deus non necessitetur, bei Occam nodi eindringlicher als bei Biel es . In dieser Freiheit hat Gott aber eine Heilsordnung gesetzt, nach welcher Annahme und Verwerfung jeweils auf bestimmte Voraussetzungen hin geschehen: (quamvis) de potentia ordinata aliter non posset facere propter leges voluntarie et contingenter a deo ordinatasM. Dem erforderlichen Bußakt, welcheressentialius/principalius ein actus detestandi peccatum ist 65 ,bzw. (sollte nämlich die getane Sünde vergessen oder hinter einem gegenwärtigen Akt der Gottesliebe zurückgetreten sein9®) dem facere quod in se folgt de 68 Occam 1,17q. 1 E: sed deus de potentia sua absoluta potest conferre alicui vitam eternasi . . . quantumcunque nunquam habuerit talem habitum, ebd. secundo aliquis potest esse oditus deo et detestatus sine omni forma detestabili formaliter inhaerente, ebd. L: (forma) quacunque posita in anima potest deus de potentia sua absoluta illam non acceptare. Biel 1,17 q. l a . 2 conci. 1 und ebd. conci. 3 (Quacunque forma supernaturali in anima posita/potest deus earn non acceptare ad vitam eternam. Probatur: quia quacunque forma posita non necessitatur deus ad producendum aliud). 59 Vgl. die Stellen in Anm. 63. Occam III q. 5 a. 2 conci. 1 G deus potest punire eternaliter sine aliquo peccato actuali precedente vel concomitante, patet de pueris non baptisatis damnatis qui puniuntur pena damni. Igitur eodem modo potest conferre vitam eternam sine aliqua gratia vel caritate actuali vel habituali. el Occam III q. 5 a. 2 conci. 4 L und a. 3 ad secundum: Potest aliquem odire sine omni iniquitate in odito: quia nullius debitor est et potest eum existentem in iniquitate non odire ad penam eternam. Ähnlich Biel I d. 17 q. 1 a. 2 conci. 3 F semper (sine sui iniustitia) posset non conferre [sc. vitam sempiternam] : ipse enim est cui nullus dicere potest: cur ita f a d s et quecunque facere potest/faciendo iusta sunt: et iuste sic ea facit. • 2 Occam IV q. 8 + 9 a. 1 E p e c c a t u m . . . nihil aliud dicit nisi aliquem actum . . . ad quem homo obligatur propter cuius commissionem vel omissionem homo obligatur ad penam eternam. deus autem ad nullum actum potest obligari: et ideo eoipso quod deus vult: hoc est iustum fieri, und Biel I d. 17 q. 1 a. 3 dub. 4 corol. 1 Non enim habet aliam regulam cui teneatur se conformare: sed ipsa divina voluntas est regula omnium contingentium. Nec enim quia aliquid rectum est aut iustum: ideo deus vult: sed quia deus vult: ideo iustum et rectum. " Occam I d. 17 q. 1 L 4° und q. 2 E und III q. 5 a. 2 conci. 4 und a. 3 O ad quintum, bei Biel I d. 17 q. 1 a. 2 conci. 3. 44 Occam I d. 17 q. 1 M, für Biel vgl. Anm. 70a. Occam IV q. 8 + 9 a. 2 Μ und a. 5 U ad quartum, bei Biel IV d. 14 q. 1 a. 1 η. 1 A und D . 15.17. 35) stammt jedenfalls nicht aus Tauler. Daß Luther von Tauler im Problem der Gewißheit eine Hilfe erfahren haben sollte, ist (3) vor allem deswegen äußerst unwahrscheinlich, weil Luther Tauler als Theologen der Anfechtung erfahren hat, ihn in diesem Sinne zum erstenmal nennt (378, 13 De ista patientia Dei et sufferentia vide Taulerum) und als solchen im Sinne behielt (vgl. B. Moeller, Tauler und Luther, in: La Mystique Rhénane, Paris 1963 S. 161; ebd. S. 158 Anm. 3 die bisher vollständigste Stellensammlung von Luthers Taulernennungen, dazu aber noch WA V, 473, 35 und I X , 404,14). Entsprechend betont Luther mit Tauler, daß pati in spiritualibus excellentissima virtus est, ut in fide, spe, diaritate, item ariditate, pusillanimitate (WA I X , 100, 32 f.). Nicht in der Gewißheit, sondern im Erleiden hat Tauler Luther bestärkt (vgl. oben S. 116). Ebenso sdiildert die im Anhang des von Luther benutzten Taulerdrucks mitgeteilte Historia Thaulerii diesen ganz in diesem Sinne (besonders Bl. d V I b col. b ff.). Das redit eindeutige Taulerbild Luthers macht es sehr unwahrscheinlich, daß Luther aus Tauler gerade das Gewißheitsproblem löste. Nie hat sich Luther m . W . für die Gewißheit auf die Mystik berufen, er hat Tauler vielmehr, nachdem er seine neue Einstellung zu Gewißheit und Anfechtung fand, gelegentlich kritisiert (WA 37, 114 = 52,179). 4 5 H. Boehmer, Luther im Lichte etc. 1917 4 S. 64 f. 67. In dieser Art der Gewißheitsbegründung stimmt Luther mit Tauler hier überein, in ihr konnte er also auch von ihm bestärkt werden, vgl. den wichtigen Satz WA LVI, 3 9 , 1 8 f. in wörtlidier Übereinstimmung mit Tauler bei A. V. Müller, Luther und Tauler 1918 S. 156 f. und etwa Vetter 7 , 1 4 £f.; 168, 9 ff.: Wer nicht Freude und Jubel in sidi empfindet, der soll sidi fürchten. 11* ·
2. Teil : Die Entstehung der klassischen Rechtfertigungslehre KAPITEL
IV
Der Wandel im Verständnis von Glaube und Wort In den vorigen Kapiteln sind die Eigentümlichkeiten der Frühtheologie Luthers dargestellt worden. Sie treten erst recht hervor, wenn man auf die späteren, durch die Operationes in Psalmos und die größeren Schriften der frühen zwanziger Jahre bekannten Gedanken blickt. Was der Sermon vom Neuen Testament, der Sermon von den guten Werken, der Antilatomus und die Wartburgpostille über das Verständnis der Rechtfertigung und deren wesentliche Begriffe zeigen, soll hier nicht dargelegt werden; es sind die bekannten und schon immer zu Recht spezifisch lutherisch genommenen Anschauungen über Wort und Glaube, Gesetz und Evangelium, Glaube und Gesetz. Alle die frühe Römerbrief-Theologie bezeichnenden Gedankenformen, Problemfassungen, Begriffsbestimmungen sind da verwandelt, die inneren Konkurrenzen überwunden: der Glaube glaubt dem reinen Evangelium, von dem das Gesetz rein unterschieden ist; er glaubt und hält sich an den wörtlich zusagenden Sinn des Evangeliums und wird so aus dem Worte allein gewiß; er ist der eine und genügende Ausdruck des Gottes Verhältnisses des Menschen. Im Glauben ist der Mensch Gott gerecht und erfüllt daher im rechtfertigenden Glauben den Willen Gottes im ersten und darum in allen Geboten. So ist das Gesetz in strenge Entsprechung zum Glauben getreten, indem es vom Evangelium unterschieden und zum reinen Gesetz wurde, das allein den Glauben fordert; Gesetz ist nicht mehr einerseits iudicium/evangelium in der Rechtfertigung, die dementsprechend in humilitas/confessio/fides erfolgt, und andrerseits augustinisch verstandene lex de charitate et volúntate, sondern das eine Gesetz wird im Glauben erfüllt, der in Freude über die im Evangelium empfangene Gnade den ganzen Menschen willig macht zu Gott und seinem Gesetz — aus Glaube in der Liebe. Darum bedeutet Gnade im Rahmen dieser einen Rechtfertigung, die nicht mehr durch einen konkurrierenden Augustinismus (magna pars iustitiae velie esse iustum) eingeschränkt ist, betont und ausschließlich favor, wodurch der sich erhaltende augustinische Gnadenbegrifï (gratia/charitas) als abgeleiteter
Der Wandel im Verständnis von Glaube und Wort
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bestimmt wird und eine sicher begrenzte, beschränkte Stellung im Gesamtzusammenhang erhält. So treten in der Theologie der frühen zwanziger Jahre die entscheidenden Begriffe Gnade/Glaube/Gerechtigkeit/Gesetz in einen lückenlos gefügten Entsprechungszusammenhang — ohne die latente Konkurrenz, wie sie die frühe Auffassung charakterisierte —, womit die innere Konsequenz und der Abschluß der Rechtfertigungslehre erreicht ist. Jene Eigentümlichkeiten der Frühtheologie sind durch die endgültigen Reflexionsformen der lutherschen Gedanken abgelöst. In diesem Kapitel ist nun zu schildern, wie, wann und wodurch es zu dem angedeuteten Wandel in Luthers Theologie kam. 1. Liest man einmal hintereinander — um den Ton und die das jeweilige Interesse verratenden Akzente im Sinn zu behalten und so auch auf leise Veränderungen aufmerksam zu werden — die Vorlesungen über Römer- und Galaterbrief mit den chronologisch zugehörigen kleineren Stücken der Jahre 1516/17 (Bußpsalmen, Sermone, Disputationen), so finden sich mancherlei interessante und wichtige Fortentwicklungen, über die unten zu berichten ist, dodi in alledem nichts so Neuartiges, nichts, das den gesuchten Wandel verriete, der dann in der Hebräerbriefvorlesung unmittelbar entgegentritt. Auch in der Hebräervorlesung sind die ersten Vorzeichen dem Gedankenund Wortgut nach nicht ganz neu, dodi zieht die Nachdrücklichkeit, mit der Bekanntes in neuer Nuancierung in den Vordergrund tritt, das Interesse auf sich. Auch dies wird noch ausführlich (in Kapitel VI) dargelegt werden, daher hier nur kurz: mit auffallendem Nachdruck wird vom Wort und dem Glauben an das Wort, der das Herz rein macht, gesprodien — wobei zum erstenmal das Luther fortan begleitende Zitat Acta 15,9: fide purificans corda erscheint (WA 57 Hebr 147, 2 0 ) W i c h t i g ist dabei die Weise, in der Glaube und Wort gedacht sind: Glaube wird als Wesenseinheit mit dem Wort, welches Christus ist, verstanden (Hebr 151, 14 f.), in welcher Einheit das reine und gute Wort dem Glaubenden teilgibt an seinem Wesen, sodaß dieser audi rein und gut wird; es ist die mystisch modifizierte Gestalt des conformitas-Gedankens. Doch das sind nur Vorboten der dann in der zweiten Scholie zu H b 5, 1 plötzlich vor Augen stehenden Neuerung, die sogleich mit allen wesentlichen Konsequenzen und den sie implizierenden Antithesen erscheint. 1 Die ersten Stellen sind (lt. des ungedruckten Registers von Pinomaa) WA III, 101. 386 und IV, 119.291. In der Zeit der Römer- und Galatervorlesung wird die Stelle nicht zitiert, dann wieder Hebr 147. 161. 170. 207, WA I, 331. 356. 631, WA II, 45. 469. 489, WA IV, 695, W A V, 380. 395.431. — Die Hebräerbriefvorlesung wird im Folgenden stets nach W A 57 zitiert.
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Die Entstehung der klassisdien Rechtfertigungslehre
Es heißt in H b 5,1, daß jeder aus Menschen (ex hominibus) genommene Priester für Mensdien (pro hominibus) eingesetzt werde, um, wie dann die weiteren Verse lauten, mit den Mensdien mitleiden zu können. Daß Luther in seiner Auslegung den Tenor dieses Satzes durchaus verläßt und in eine — obwohl durch das pro hominibus nicht ganz zusammenhangslos — andere Gedankenrichtung ausbricht, zeigt, daß er hier nicht nur exegetisch dem Text nachgeht, sondern eigene Gedanken verfolgt, die ihm aus darzulegenden Gründen bedrängend gegenwärtig waren. Folgendes ist der Inhalt der Sdiolie über H b 5 , 1 (pro hominibus constituitur) : Der Christ dürfe nicht nur an Christi Einsetzung pro hominibus glauben, sondern er müsse glauben, einer von denen zu sein, um derentwillen diese Einsetzung geschehen sei. Man erinnere sich: ebendies hatte Luther bereits zu Rm 8,16 gesagt, schon dort mit Berufung auf jenes Bernhardzitat, das audi hier wieder folgt: der Mensch müsse glauben, daß Gottes Vergeben und Gnade ihm selber geschehe. Dodi nun hier der erste Schritt in den neuen Gedanken: was Bernhard vom testimonium conscientiae sagt, welches der Heilige Geist im Herzen gibt (ganz in diesem Sinne war das Zitat in der Römerbriefvorlesung noch aufgenommen, vgl. oben Kapitel III), das genügt Luther nun nicht mehr; er sucht das testimonium abzugrenzen, zu sichern und zu begründen: es dürfe nidit eines sein, quod nobis ex nobis est (hoc enim Pelagianum est) et gloria in confusione, sed quod conscientia nostra accipit sicut et iustitiam et veritatem etc. (Hebr 169,10—23). Diese kritische Betrachtung des testimonium in confusione zeigt das Motiv der beginnenden Distanzierung von Bernhard und von Luthers eigener bisheriger Anschauung: in der Bedrängnis des Gewissens wird das Zeugnis des Geistes im Herzen selber zweifelhaft und zweideutig, deswegen muß es von außen empfangen werden (accipere). Und nun, da man fragt, woher das Zeugnis kommen soll, greift Luther mit dem unmittelbar folgenden Satz die Sakramentsfrage auf, gibt eine Verhältnisbestimmung von Glaube und Sakrament, eine Kritik der scholastischen Anschauung über Disposition zum Sakrament, und am Ende d i e s e r Überlegungen steht in Klarheit die neue Lösung des Problems der Gewißheit und der neue endgültige Begriff von Glaube vor uns. Die Eigentümlichkeit dieser Gedankenfolge, in der Luther gerade durdi eine Auseinandersetzung mit dem Sakramentsproblem den neuen GlaubensbegrifF gewinnt, ist um so überraschender, als bekanntlich das Sakramentsproblem bei Luther bis zu diesem Zeitpunkt so gut wie keine Rolle spielt 2 . Der genaue Gedankengang ist nun dieser: (daß unser Gewissen Gerechtigkeit und Wahrheit empfangen muß, kommt d a h e r . . . ) Inde fit, ut nullus consequatur gratiam, quia absolvitur aut baptizatur aut communicatur aut inungitur, sed quia credit sic absolvendo, baptizando, communicando, inungendo se consequi gratiam. Denn wahr sei das vulgatissimum et probatissi* Vgl. G. Ebeling ZThK 1951 S. 200 f.
Der Wandel im Verständnis von Glaube und Wort
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mum dictum: Non sacramentum, sed fides sacramenti iustificat, sowie das Wort Augustine : Iustificat non quia fit, sed quia creditur. Dann, nach Abweisung einiger scholastischer Bußlehren, heißt es: rein und würdig zum Sakrament macht hec sola fides — wieder folgt das Zitat Acta 15, 9 —, die sich nicht auf Werke, sondern allein auf das purissimum, piissimum, firmissimum verbum des Christus stützt, der da sagt: Kommt her zu mir a l l e . . . (Mt 11, 28). Diese Worte müsse man sich anmaßen (praesumptione) — der scharfe Ausdruck ist beabsichtigt8 —, wenn man zum Sakrament geht, und wer sich so anmaßend (praesumptione) auf das Wort stütze (niti), werde nicht zuschanden (confundí, Hebr 169, 23—171, 8). Erinnert man sich unserer kurzen Andeutung (ausführlich s. Kap. VI), daß vor dieser Scholie Glaube als Einheit mit Christus und Einheit mit dem Wort verstanden war, welches an seinem Wesen, seiner Weisheit, Gerechtigkeit, Reinheit teilgibt, so wird das Neue in dieser Scholie sichtbar: Die Reinheit und Würdigkeit des Glaubenden besteht nicht in wesensmäßiger Teilhabe an Reinheit und Würde des Wortes in der Einheit mit diesem, sondern im Vertrauen des Unwürdigen auf das entgegentretende, die Gnade zusagende Wort: wer nur glaubt, daß er dort (ibi) die Gnade erlangt, den macht dieser Glaube (haec sola fides) rein und würdig, welcher sich nur darauf stützt, daß Christus, das Wort, gesagt hat: Kommt h e r . . . Vor allem ist wichtig, daß das testimonium aus dem Worte Christi empfangen wird. In praesumptione igitur istorum verborum accedendum est, et sie accedentes non confundentur. Dies ist das testimonium conscientiae und die gloria in confusione. Das Wort, das dem Menschen in confusione gegenübertritt, gibt die Gewißheit, das testimonium4. Für die rein formale Anlage der Scholie ist zu beachten, daß Luther thematisch — dabei über den Zusammenhang des Textes deutlich hinausgrei' WABr 1,145, 38 (vom 15. 2.1518 an Spalatin) Igitur sie de te desperatus et idipsum domino humiliter confessus iam sine scrupulo tibi praesumendum est de misericordia eius und ebd. Z.41f. de se vult praesumi, de nobis omnino desperan, vgl. WA II, 458, 23 f. constanti fiducia praesumendum est tibi. Dieser positive Begriff von praesumptio ist in Luthers Gedanken hier völlig neu und unerhört; er hat in der mittelalterlichen Gewißheitslehre eine gewisse Vorgeschichte, vgl. G. Ljunggren, Zur Gesdiidite der christlichen Heilsgewißheit 1920 S. 163. 248. 262. 265. * Der Glaube wird hier also auf das Wort, nicht auf das Sakrament bezogen (Bizer, Fides ex auditu S. 81 und EvTh 1957 S. 72 Anm. 21), vgl. Anm. 13a. Nur wenn man das nicht beachtet, nimmt man Zwiespältigkeit und Undeutlidikeit wahr (Fides ex auditu S. 81.113). Wo in dieser Scholie audi nur ein Schatten von fides formata stecken sollte (Fides ex auditu S. 81. 91), vermöchte ich nicht zu erkennen; denn „der Glaube als die Reinheit des Herzens" (EvTh 1957 S. 72 Anm. 21) im bisherigen Sinne der geforderten Reinheit toto affectu ist nadi dem beschriebenen Inhalt der Sdiolie gerade nicht mehr gefordert, wofür Bizer auch keinerlei Begründung gibt. Doch audi nach Bizer ist die alte Sakramentsanschauung (deren Interpretation durch Bizer EvTh 1957 S. 65 ff. ich nicht einsehe, man vgl. die in diesem Punkt Bizer genau entgegengesetzte Anschauung von R. Müller-Streisand EvTh 1962 S. 613) in der Hebräerbriefvorlesung an mehreren Stellen durdibrodien, das Denken kreise in anderer Weise als bisher um das Sakrament
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fend 5 — das Problem der Gewißheit aufgreift, sich dabei zunächst von Bernhard und damit von seinem bisher eigenen Ansatz zur Lösung des Problems abzusetzen beginnt e , und es dann im Rahmen der Sakramentslehre, von der im Text wieder nicht die Rede ist, löst. Indem Gewißheit und Glaube auf Gott in purissimo, piissimo, firmissimo verbo Christi dicentis gestützt werden, ist Glaube zum erstenmal in Luthers theologischer Entwicklung im strengen und vollen Sinne als fester und gewisser Glaube an das mir zusagende Wort beschrieben. Uberraschend dabei — oder jedenfalls für die Genesis des Begriffs von Glauben ausschlaggebend und das endgültige Verständnis hervorbringend — ist die Begründung im Sakramentsproblem! Nicht wird umgekehrt, wie man erwarten möchte, aus dem sicheren Verständnis von Glaube der reformatorische Begriff von Sakrament entworfen, sondern: aus der Notwendigkeit, Sakrament zu verstehen, entsteht der entscheidende und letztliche durchdringende Begriff von Glaube. Vom Sakramentsproblem aus wird der Glaubensbegriff entworfen. Damit ist wohl der ganze Problemkreis der Sakramentsfrage noch nicht ausgeführt; wozu es nötig sei und daß es als ein vergewisserndes Zeichen zum verheißenden Wort hinzutritt u. v. a. mehr, weiß oder sagt wenigstens Luther hier noch nidit. Doch der feste Glaube an das gewisse Wort ist hier wie an keiner Stelle zuvor entdeckt, und zwar angesichts des Sakramentsproblems. Denn — und damit weisen wir auf den chronologischen Aspekt des bisher Gesagten — der unserer Scholie zu Hb 5, 1 bereits gleichzeitige Ablaßhandel und das in ihm mit allen Konsequenzen seelsorgerlicher Fragen sich aufdrängende Problem des Beichtsakraments und wie es zu brauchen sei, waren der Anlaß zu diesen Überlegungen Luthers, wie wir gleich zeigen werden. (was seit der ersten Auswertung der neuveröffentlichten Hebräerbriefvorlesung durch Vogelsang anerkannt ist); alle Stichworte der späteren Abendmahlslehre fänden sich schon (Glaube an das W o r t im Abendmahl, ein charakteristisch neuer Glaubensbegriff, EvTh 1957 S. 69. 70 f. und Fides ex auditu S. 91). 5 Dessen Gedankenkreis war mit der Glosse ausreichend beschrieben: pro non contra sicut iudex hominibus (Hebr 2 7 , 5 , ähnlich die 1. Scholie z. St. Hebr 1 6 5 , 1 5 ff.). 6 Das Bernhardzitat benutzt Luther auch später vor Cajetan, um gegenüber der scholastischen Lehre von der notwendigen Ungewißheit mit Bernhard und Augustin die N o t wendigkeit (necesse est) von Glaube und Gewißheit zu behaupten ( W A II, 15 f.). Auf diese beiden, nicht aber auf die Mystik (so K. Bauer, Die Wittenberger Universitätstheologie 1928 S. 1) bezieht sich Luther, wenn er beweisen will, daß seine Theologie der Gewißheit nicht neu sei ( W A II, 1 3 , 1 0 ) . — Die Kritik Luthers an einem testimonium, quod nobis ex nobis est (hoc enim Pelagianum est) et gloria in confusione in unserer Scholie mödite ich verstehen als die Kritik an der Gewißheitsbegründung durch Selbstbeobachtung: habe ich einen obex gesetzt, d.h. ein propositum actúale peccandi mortaliter, und bin damit unwürdig? ( W A VI, 88) ; denn diese Frage führt nach der seelsorgerlichen Kasuistik in das Problem des consensus interpretativus, und in diesem Punkt (Ad haec) scio, nullam esse temeritatem periculosiorem quam velie discernere inter veniale et mortale peccatum, praesertim in hora commotionis et t e n t a t i o n i s . . . ita ut, an consenserit nec ne, ipse incertus sit ( W A V, 111, 27 ff.).
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Die theologische Bedeutung der Scholie besteht darin, daß mit der Entdeckung des „Wortes" der Glaube von der in den ersten Kapiteln beschriebenen, ihn immer bedrohenden Selbstbelastung befreit wird. Was in der 30. Ablaßthese steht (nullus securus est de veritate suae contritionis), ist in der Römerbriefvorlesung wie hier Luthers Voraussetzung. Aber man beachte den Wandel der Konsequenzen, die damals und jetzt gezogen werden. Früher mußte Luther das Ungeniigen des menschlichen Glaubens, die Unvollkommenheit der humilitas und confessio, mit der Aufforderung zur unendlichen Demut (in immensum oportet humiliari) beantworten, die nie Gewißheit kannte, sondern nur im Blick auf Christus sidi zwischen Furcht und Hoffnung erhielt; nur Furcht und Leiden waren Zeichen der Gnade, und diese galt nur dem, der im Christo conforman sich selbst im Bekenntnis an das Gericht preisgab — und dies non voce tantum et ficto corde, sed pleno affectu (WA LVI, 393, 25 f.); war dem demütigen und sich preisgebenden Glauben die Gnade verheißen, so doch nur dem echt und wirklich demütigen Glauben, der sich seiner nie gewiß werden durfte. Nun aber zieht Luther eine ganz andere Konsequenz und beantwortet die bleibende Ungewißheit der eigenen, ungenügenden Buße mit dem Hinweis auf das gewißmachende Wort: Kommt h e r . . . (Mt 11, 28). Die ganze Belastung des Selbstzweifels ist in diesem Hinweis fortgenommen: die Menschen dürfen nicht herzutreten arundine illa nixi, quod confessi sunt . . . , sondern si credant et confidant sese graciam ibi consecuturos, hec sola fides facit eos puros et dignos, que nititur in purissimo, piissimo, firmissimo verbo Christi dicentis . . . Der ungewisse Glaube wird nicht mehr unendlich gedemütigt, sondern er vermag, auf das Wort gestützt (niti), gegen sich selber und gegen seine Bedenken der Unvollkommenheit piena fide zu glauben. Diese Möglichkeit gab es vor dieser Scholie nie. Der Glaube braucht nun die Gnade nicht mehr an der Gegenwart des Widerspiels, an Zorn und Tod und tribulatio abzulesen, sondern hat in Zorn und Tod und tribulatio, in confusione das gewisse Wort, das unverhüllt und wörtlich ihm selber die Gnade zusagt. Dort in der Römervorlesung wie auch hier kommt alles auf den Glauben an und darauf, daß er nie eine erfüllbare Leistung des Menschen werde. Aber dort hatte der Glaube die unendliche Last des sich selbst wegwerfenden Zweifels zu tragen, und er konnte die unendliche Aufgabe, ganzer und bis auf den Grund demütiger Glaube zu sein, so wie auch die unendliche Versuchung zur geheimen Verdienstlidikeit, als genüge er, satis digne confessus, nur in unendlicher Demut und im behaupteten Unwissen und Ungewißheit überwinden. Hier jedoch ist er als freier, gewisser Glaube, gerade angesichts aller Zweifel an sich selbst, im Wort begründet und ermöglicht. Hier wird er angesichts des Widerspiels und aus der Einsicht in die Gegensätzlichkeit von Gott und Welt nicht mehr nur gelehrt und gefordert, sondern er wird durch das unverhüllte, mir zusagende Wort ermöglicht.
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Dem entspricht eine Verschiebung in der Christologie. Christus war Urbild der Christen, seine Auferstehung darum Begründung der Hoffnung aller Christen, aber als solche nie Begründung der reinen und ganzen Gewißheit, denn gerade er wies zum Trost allein auf das contrarium hin. Nun aber ist Christus gestorben pro nostra (tarnen) erigenda fiducia (Hebr 224, 4, vgl. noch unten S. 194 f.) 7 . In all dem sind Motiv und Problemstellung, aus denen der Wandel in der Gewißheitsbegründung hervorging, sowohl für den theologischen Gedanken selbst als auch für Luthers eigene Art aufschlußreich. Es war nicht das subjektive Bedürfnis der eigenen Gewißheit, das Luther zu dieser neuen Lösung des Problems trieb, wiewohl dies Bedürfnis ihn genug umgetrieben haben mag. Daß die Heiligen Gottes Ehre mehr suchen als ihre eigene Seligkeit, ist ihm seit der Römerbriefvorlesung wesentliches Element seiner Gedanken; denn das Drängen nach eigenem Heil verstand er als decouvrierende Ichsucht: „meine" Gewißheit „meines" Heils: ,mea, mea', spricht die vox carnis, tolle hoc ,mea' et die: gloria tibi, Domine, et sal vus eris (WA LVI, 386, 15 f.). Die neue Auffassung von der Gewißheit aus dem Wort aber ist durch den Zwang entstanden, dem Menschen die Gewißheit zu geben, wann und wie er würdig sei, vor die Heiligkeit im Sakrament zu treten (II, 13, 23 ff. 31 ff. und I, 332, 29 f.). Hier half nicht abschreckende Ungewißheit und un7 Der Wandel in der Christologie ist immer wieder bemerkt worden. Nach H . Bornkamm wird Christus in der Zeit der Hebräervorlesung betont als sacramentum verstanden (Das Wort Gottes bei Luther 1933 S. 19 f.). Nach E. Wolf tritt in der Hebräervorlesung der Gedanke der exemplarischen, eben darin aber als sacramentum und mysterium wirksamen Heilsursädilidikeit Christi stärker heraus als bisher (Peregrinado I 2 1962 S. 74), ähnlich H . Thimme, Christi Bedeutung für Luthers Glauben 1933 S. 57.161. Sehr glücklich formuliert W. Pannenberg den Wandel: „Nicht die Gleichförmigkeit des Angefochtenen mit Christus, sondern umgekehrt die Dahingabe Christi zur Gleichförmigkeit mit dem Angefochtenen (folgt Verweis auf Hebr 224, 5 ff.) ist der Grund des Trostes" (KuD 1957 S. 126), vgl. R. Prenter, Spiritus Creator 1954 S.211 f. über den Wandel von Conformitaschristologie zu „Gedanken an den im Glauben mit den Mächten des Verderbens kämpfenden lebendigen Christus", sodann H . Beintker über den Wechsel in der christologisdien Exegese einer Psalmstelle (Zur Datierung und Einordnung eines neueren Lutherfragments WZ Greifswald 1, 1951/2, N r . 2/3 S. 75), R. Schwarz ZThK 1966 S.347f., E.Hirsch, Das Wesen des reformatorischen Christentums 1963 S.89f. und eine rückschauende Selbstkorrektur Luthers zur Christologie WA 10 1,1, 163,12 f. Audi B. Lohse (LuJ 1960 S. 51 ff.) beschäftigt sidi mit dem Wandel der Christologie zur Zeit des Ablaßstreits. Daß zu dieser Zeit die Gedanken und Elemente der Satisfaktionschristologie stärker hervortreten, hängt m.E. damit zusammen, daß a) das Problem der satisfactio für den Glaubens- und Gottesbegriff durdi die Büß- und Ablaßfrage gestellt war und von Luther im Rahmen dieser Vorstellung beantwortet werden mußte, und daß b) Luther im allgemeinen Eingehen auf diese Vorstellung dem Gedanken des von der Kirche verwalteten Schatzes der Verdienste der Heiligen seine These vom Schatz der merita Christi entgegenstellte, womit wieder das Satisfaktionsproblem aufgenommen war. D a ß aber die Exemplarchristologie in der dem neuen Glaubensbegriff entsprechenden Wendung gerade in dieser Zeit ebenso stark erhalten blieb und an den sdiönsten und tiefsten Stellen Luthers Gedanken bestimmt, ließe sidi unschwer zeigen.
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endliche Demut, wiewohl Luther sich audi damit bescheiden mußte, solange er es nicht besser wußte, wie wir gleich sehen werden. Hier half nur die Ermöglichung des notwendigen Mutes, vor den Altar zu treten, um dort die Gnade zu empfangen. Nicht das eigene Bedürfnis trieb also Luther zu neuen Gedanken, sondern die Notwendigkeit, die Gnade im Sakrament den Menschen ohne falsche securitas zu ermöglichen. Denn nur als Sakramentsproblem hat Luther, wie die Scholie zeigt, das Gewißheitsproblem angepackt und gelöst. Daher: gerade in der bekannten Unreinheit, die sich aber auf das Wort verläßt, ist der Mensch würdig. In praesumptione igitur istorum verborum accedendum est, et sie accedentes non confunduntur. Vergleicht man hiermit eine Stelle in den Dictata zum gleichen Problem, so wird die ganze Veränderung sichtbar. Was zum Frieden dient, ist verborgen, heißt es da in der Scholie zu Ps. 88/89, daher Quilibet sibi formet et faciat maximam tribulationem . . . Es trete kein Priester zum Altar, Nemo ullo modo accedat sacerdos ad altare, nisi multis tribulationibus sit onustus et multis miseriis refertus (WA III, 428, 30 ff.) 8 . Diese Art, Gewißheit zu begründen, war, wie wir im 3. Kapitel sahen, noch für die ganze Römerbriefvorlesung charakteristisch. Tribulatio ersetzte als Gewähr die Gewißheit, die erst hier — so gewiß sie dort vorausgesetzt und gemeint war, weil gerade unter dem Widerspiel der tribulatio die Gnade verborgen und „gewiß" gedacht war — ermöglicht, gewiß und gegenwärtig wird. Daß erst hier Glaube und Gewißheit in der Entdeckung des Wortes begründet sind, sodaß Luther von nun an die Gewißheit vor Gott in allem fordert ·, kann keinem Zweifel unterliegen10. 8 Dementsprechend hatte Luther im Gegensatz zur Definition des Lombarden, daß die Hoffnung aus den merita komme, seine Weise, Gnade und Hoffnung in abscondito zu begreifen und zu begründen, formuliert: Spes non venit ex meritis, sed ex passionibus merita destruentibus (WA 1,225,15; diese Formulierung geht zurück auf Rm 5: WA I, 84 und V, 163. Passiones sind die Form, in der Gottes bonitas erkannt wird, welche die Hoffnung begründet WA 1,70; 428, 30 ff.). Das hat sich nun geändert. Man vergleiche, wie Luther in den Operationes Ps. 5 über die Hoffnung spridit. ' Erst jetzt bildet sich der Standpunkt, von dem aus Luther alle gravamina gegenüber der scholastischen Theologie in deren Lehre von der Ungewißheit konvergieren sieht, wenn er 1520 von den Frevlern spridit (impii), die da lehren non debere hominem esse certum de remissione peccatorum, seu gratia sacramentorum, qua impietate orbem totum dementant (WA VI, 529 f.). Wurden die Scholastiker früher kritisiert, weil sie certitudo und securitas verbreiteten, so jetzt, weil sie sie verneinen. Erst jetzt wird möglich, was Luther später den Sinn der Reformation nannte: conscientias liberare et certificare fide (TR N r . 3323). 10 Wenn darum Bizer (Fides ex auditu S. 172), Gyllenkrok (Rechtfertigung und Heiligung 1962 S. 50. 72 ff.), Rost (Luth. Rundblick 1963 S. 11) den Einschnitt 1517/18 als Entdeckung des Wortes beschreiben, der erst den gewissen Glauben ermöglicht, so kann ich darin nur zustimmen; dies Ergebnis hatte idi vor der Kenntnis dieser Literatur. Über die weiteren Elemente dieser Erkenntnis und über die aus deren Beurteilung resultierende chronologische Differenz in der Datierung des Umschwungs (weil etwa Bizer seine Chronologie am Auftreten des iustitia-Begriffes bildet), ist hier nidit zu sprechen.
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Es ist erstaunlich, wie viele Forscher in und seit der Zeit der Hebräervorlesung eine neue Phase in der Entwicklung von Luthers Glaubensbegriff erkennen11 und dementsprechend in dieser Zeit die endgültige Lösung der Gewißheitsfrage ansetzen 12a , die einen Wandel auch im Geistbegriff mit sich bringt 12b . Überraschend ist diese Tatsache, weil sie sich in ihrer Bedeutung für die Beurteilung der theologischen Entwicklung des jungen Luther keineswegs in einem ebenso anerkannten Bilde der frühen (Römerbrief-)Theologie 1 1 H . Bornkamm A R G 1962 S. 29 und Nachwort zu H . Boehmer, Der junge Luther 1951 S. 361 (Luther habe seit der Hebräervorlesung die alles umfassende Funktion des Glaubens schärfer auszudrücken gelernt); E . Wolf, Christentum und Wiss. 1933 S. 211 (das Wesentliche an der Hebräervorlesung sei der durch sie deutliche Einblick in das Werden von Luthers Glaubensbegriff); E. Hirsch, Lutherstudien I 1954 S. 169 (von 1517/ 18 an komme Luthers Verständnis des Glaubens als des ganzen Gottesverhältnisses zur Reife) und Hirsch/Rückert Hebräervorlesung S. 261 App (Die Hauptaufgabe für Luthers Denken 1517/18 sei die begriffliche Herausarbeitung des sola fide); E . Vogelsang, Die Bedeutung der neuveröffentlichten Hebräervorlesung Luthers 1930 S. 15 f. (Zum erstenmal trete hier der Glaube als der alles zur Einheit zusammenfassende vollgültige Ausdruck des Gottesverhältnisses hervor, das existentielle „für midi" sei hier entdeckt), vgl. noch Löfgren K u D 1959 S. 164. Was also communis opinio ist, hatte K . Holl schon vor E r scheinen der Hebräervorlesung als seine Erwartung ausgesprochen (E. Seeberg, Luthers Theologie I I 1937 S. 174 und H . Bornkamm ZsyTh 1928 S. 453 Anm. 1). Auch nach O. Ritsdil, der die Hebräervorlesung noch nicht kannte, läßt sich im eigentlidien Sinne von fides iustificans vor 1518 nicht sprechen ( D G des Prot. I I , 1 S. 140 f.). Trotz seiner Einschränkungen spricht audi E. Bizer (EvTh 1957 S. 71) von einem charakteristisch neuen Glaubensbegriff in der Hebräervorlesung. W. v. Loewenidi (Luthers theologia crucis 4 1954 4
S. 105—108) betont ebenso wie W. Pannenberg ( K u D 1957 S. 125 f.) die Verschiebung vom Glauben an das Unsichtbare zum Glauben an die Verheißung (ähnlich sdion O. Ritsehl!), dodi sehen beide hierin eine bloße Akzentverschiebung. 12 " Die entdeckte Gewißheit setzen in diese Zeit E . Vogelsang, Die Bedeutung etc. S. 16 f.; W. Eiert, Morphologie des Luthertums I 1931 S. 78 Anm.; E . Hirsch, Lutherstudien I 1954 S. 169; G. Rost, Luth. Rundblick 1963 S. 11; W. Braun, Die Bedeutung der Konkupiszenz etc. 1908 S. 21. 62; ähnlich A. Gyllenkrok, Rechtfertigung und Heiligung 1962 S. 72. Vor Veröffentlichung der Hebräervorlesung hatte H . v. Schubert/Meissinger (Zu Luthers Vorlesungstätigkeit S A H phil. hist. Kl. 1920, 9 S. 31) das J a h r 1518 als die Vollendung des Umschwungs durch die reformatorisdie Entdeckung der Heilsgewißheit genannt und hatte O. Ritsdil den Einschnitt auf 1519 verlegt ( D G des Prot. I I , 1 S. 99—106). Zu E. Seeberg, F. Loofs, O. Sdieel, J . Ficker vgl. Einleitung und K a pitel I I I . 1 2 b Entsprechend der Veränderung im Verständnis von Gewißheit, Wort und Glaube wird seit 1517/18 ein Wandel im Geistbegriff festgestellt (vgl. H . Gerdes L u J 1958 S. 50. 55). Zwar halte ich das Schema einer frühen, in der Verwendung des Geistbegriffes negativen und einer späteren positiven (seit etwa 1517/18) Zeit im Blick auf den augustinisdien Geistbegriff in der Römerbriefvorlesung nicht für ganz treffend. Dodi erwiesen scheint mir, daß die Sätze über das notwendige Spüren des Geistes (vgl. den Gegensatz W A I X , 100, 28 f. und V I I , 557, 31 f . ; 10 1 , 1 , 3 7 2 , 1 0 ff.), über sein Aufrichten der Gewissen und Trösten der Herzen (Gerdes aaO S. 51 ff, mit Belegen vor allem aus der Postille) früher nicht möglich sind. Diese Veränderung ist vom Glaubensbegriff her entstanden und verständlich (nicht umgekehrt); durch ihre Datierung auf 1517/18 wird eine neue Akzentuierung seit 1522 (so R . Prenter) nicht berührt.
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niedergeschlagen hat, die demnach jenen Begriff von Glaube, Wort und Verheißung (Evangelium) mit allen Konsequenzen im Gesamtgefüge noch nicht gekannt haben kann. Erst auf dem Hintergrunde unserer Darstellung der Römerbrieftheologie gewinnen deshalb die allgemein bekannten Wandlungen, die wir hier referieren, ihre Bedeutung. Wenn sich der Glaubensbegriff wirklich so verändert, daß er zum erstenmal der allein gültige und vollkommene Ausdruck des Gottesverhältnisses ist und wenn er jetzt erst die Begründung der Gewißheit aus dem Worte erfährt und so mit dem Glaubensbegriff sich andere wesentliche Begriffe verändern (Wort, Gesetz und Evangelium), dann kann es sich nicht nur um eine Umakzentuierung handeln, sondern es muß, gewiß auf dem Boden einer Kontinuität, etwas Neues sein. Blickt man auf den Unterschied der Phasen und die theologische Entwicklung Luthers, so ist ein neuer Glaubensbegriff nicht „nur" Vollendung des Gewesenen (warum ermöglichte er dann bisher die Gewißheit nicht?), sondern etwas im Verständnis und Verhältnis der leitenden Begriffe wesentlich Neues, wie es der Wandel von spiritus/litera zu Gesetz/Evangelium (dazu unten) exemplarisch anzeigt. Erst wenn man dies sieht, wird die ganze Bedeutung des für diese Zeit allgemein anerkannten Wandels wirklich angemessen eingeschätzt. Wie sehr Luther in dieser Zeit mit dem Problem von Glaube und Wort rang und wie tatsächlich die Entdeckung von Glaube und Wort sein Erlebnis war, zeigt sich an seiner Entdeckung — man muß es schon so nennen! — des Sprudies Mt 16, 19. Er beschreibt sie selber in einer nicht genauer datierten Predigt vom Jahre 1518: Torsit diu animum meum haec auctoritas: ,Quodcunque liga veris super etc.' et meditabar semper: Ey ßo mag der Bapst mit uns thuenn, was ehr will. Der Willkürsinn dieser Stelle wurde überwunden durch die Erkenntnis der strengen Korrespondenz beider Satzteile, daß, was der Priester löst, auch wirklich gelöst sei: . . . und sage dir nomine eius seine gnade zcu. Denn wesentlich ist nur, ut confidamus in haec verba sacerdotis, non in nobismetipsis seu nostra contritione. Der Mensch vertraue in Christum per iudicium sacerdotis, der spricht: Biß gutter dinge und freue dich, Gott ist dein freundtt. Iam consolatur conscientia, tune ille non dubitet, sed firmissime haereat in hoc verbo (WA IV, 657,17 f. 23 f. 34; 658, 4 ff. 14 f. 33 f.). Der Zusammenhang von Glaube, Wort und Sakrament tritt hier wieder deutlich hervor. Im (Absolutions-)Wort liegt die dignitas sacerdotii (IV, 659, 9). Als Problem des Bußsakraments hat Luther das Wort, das gegen allen Zweifel an der Wahrheit der eigenen Reue fest zusprechende Wort des Priesters, entdeckt: tu firmiter Christi verbis per os sacerdotis eloquentis adhaereto, et optime se res habebit, und: Ita salus nostra in verbo est et non in verbo, sed quia Christus in verbo est annexus, eß muß nicht Pampeln. Sacramentum ist ein felß in Christum gegrundtt (WA IV, 657, 23 f.; 658, 26 ff.).
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Die Entdeckung des Worts ist also die Entdeckung des Sakraments und Beichtamts gewesen, weil die Absolution des Priesters das Sakrament der Buße ausmacht (IV, 659, 9 und II, 717,1 f.). Seither gibt es die Sakramente als Trost: quia in sacramentis gratiae habemus promissionem Christi (Hebr 192, 8) 1Sa . Aus dieser konkreten Entstehungssituation des Sakramentsproblems in Luthers Theologie erklärt es sich auch, daß Luther bis 152/21 die Beichte als drittes Sakrament mitführt (und durch Luther ist sie auch von vornherein bei Melandithon wichtig). Von hier aus, weil Luther das Wort in dem Zuspruch des Priesters entdeckte, wird auch die Bedeutung des mündlichen Worts in Luthers Denken zu einem guten Teil verständlich (die andere wesentliche Voraussetzung s. WA III, 255 ff. 456 f.). Wenn man sich dazu noch der Bedeutung erinnert, die fortan Mt 16,19 in Luthers Theologie hat, so wird man die Entdeckung dieser Stelle nach der angeführten autobiographischen Bemerkung Luthers (IV, 658, 4 f.) nicht unterschätzen18b. Es kann kaum lange nach jener Scholie zu Hb 5,1, in der Mt 16 noch nicht zitiert ist, gewesen sein, denn in der Scholie zu Hb 7 , 1 2 (Hebr 192, 9 ff.) ist diese Auffassung schon vorgetragen 14 . 13a Vgl. noch W. Jetter, Die Taufe beim jungen Luther 1954 S. 308 und 195 Anm. 3 mit Belegen, vgl. auch E. Vogelsang, Der angefochtene Christus bei Luther 1932 S. 85 und F. Gerke ThBl 1934 Sp. 193 ff. Wenn die Entstehung des Absolutionswortes die Entdeckung des Sakraments bedeutet, so läßt sich dodi nicht das Wort als Sakrament bestimmen, sondern nur umgekehrt das Sakrament vom Wort aus (dem fügt sich auch die singulare Stelle WA I X , 440 ein, vgl. G. Ebeling, Evang. Evgl.auslegung S. 425 und E. Bizer EvTh 1957 S. 69 Anm.: weil das Absolutionswort Sakrament ist, ita verba Christi sunt sacramenta, per que operatur salutem nostram). 13b Für die Bedeutung von M t 16,19 (kommt seit H e b r 192,9 ff. und W A I, 390 oft vor, vgl. Pinomaa Register) sei nodi verwiesen auf den Sermon vom Sakrament der Buße (WA 11,715.717), auf Acta Augustana (II, 13, 31 ff.; 19, 28 ff.; 20,18 ff.), von da aus aber auch auf die weitere Bedeutung von M t 16,18 in der Leipziger Disputation, der Resol. Luth. s. prop. X I I I und der Leipziger Predigt W A II, 248 f., vgl. G. Ebeling, Evang. Evangl.auslegung S. 256. — Die neue Erkenntnis von M t 16,19 (Torsit diu animum meum haec auctoritas . . . et meditabar semper) wird nodi deutlicher, wenn man Luthers Auslegung über diesen Text von 1516 vergleicht: Christus habe der Kirche die Binde- und Lösegewalt gegen die Häresie gegeben, damit sidi niemand ab hac unitate et ordine potestatis und aus dem Gehorsam entziehe (WA I, 69,11 ff.). 14 Audi die 7. Ablaßthese legt diese Datierung (auf ca. Oktober 1517) nahe, weil sie — wie ihre Erklärung in den Resolutionen zeigt (WA 1,539 ff., vgl. unten S. 192 f.) — die Erkenntnis des Priesteramts der Kirdie in diesem Sakramentsverständnis aus M t 16,19 bereits voraussetzt. Noch 1522 hat Luther die Entdeckung des Sakraments auf 1517 datiert: H a b ich dodi selbs wol drey iar midi geerbeytet, ehe idi auß des Bapsts gesetzenn meyn gewissen erloßet hab (auf die Sakramentsfrage und Captivitas babylonica 1520 bezogen, WA 10 II, 25). — Die Entdeckung von M t 16,19 mit allen Konsequenzen im Begriff von Wort und Glaube ist in einer Predigt enthalten (WA 1,130 ff.), die laut ed. princeps am 2. Februar 1518 gehalten wurde, aber von Lösdier zu den Dekalogpredigten 1516/17 gestellt worden ist (unter Zustimmung von Vogelsang Z K G 1931 S. 134); Löschers Zuteilungen sind, wie seine mehrfachen Umdatierungen zeigen, nur erschlossen und unsicher.
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Alles dies über Wort und Gewißheit ist — ausgenommen die Anwendung auf Mt 16,19 — in der Scholie zu Hb 5,1 nicht nur angelegt, sondern bereits in den Konsequenzen ausgesprochen. Die besondere Bedeutung dieser von uns so betonten Sdxolie zeigt sich nun an der wörtlichen Übernahme ganzer Teile unserer Sdiolie in fast alle Schriften vom Frühjahr 1518. Diese Hervorhebung und Aussonderung der Scholie durch Luther selbst, der sich immer wieder an sie wandte und aus ihr abschrieb, zeigt in selten deutlichem, weil einmal durch literarisdie Benutzung beweisbarem Maße, welche Bedeutung ihr audi in Luthers Bewußtsein zukam1S. Da ist zunächst der Spruch: Non sacramentum, sed fides sacramenti iustificat, sowie das verwandte Augustinzitat: Iustificat non quia fit, sed quia creditur (Hebr 170, 2—4); beide dienen zum Beleg für ein Verhältnis von Glaube und Sakrament, in dem allein die Gewißheit der Gnade im Glauben deren Verleihung im Sakrament möglich macht. Inde fit, ut nullus consequatur gratiam, quia absolvitur aut baptizatur aut communicatur aut inungitur, sed quia credit sic absolvendo, baptizando, communicando, inungendo se consequi gratiam (Hebr 169, 23 ff.). Diese Bestimmungen erscheinen zum erstenmal in unserer Scholie, und daß sie, die den Glauben aus den Wort zum wesentlichen Bestimmungselement des Sakraments erklären, von nun an in Gebrauch bleiben, zeigt die Bedeutung der Scholie. Der Gedanke mit den beiden Belegen (Sprichwort und Augustinzitat) findet sich in den Schriften vom Frühjahr 1518: Asterisci WA I, 286,15 ff., im Sermo de poenitentia I, 324,15 ff., in den Resolutionen I, 544,40 f. und ebd. 595, 6 f., in den undatierten Thesen aus dem Jahre 1518 I, 631,7 f. Dies sind nur Zitate des Sprichworts und der Augustinstelle. Für bewußte Erinnerung an unsere Scholie beweisend sind erst die wörtlichen Übernahmen, auf die die Ausgaben im Apparat z. St. aufmerksam machen. Was Luther in der Scholie vom gefährlichen Irrtum im Sakramentsbegriff, was er über die Theorie vom obex sagt, wie er vor dem Vertrauen auf Buße und Beichte warnt, und daß allein der Glaube rein und würdig macht zum Sakrament, die Zitierung von Mt 11, 28 und die Anspielung auf 1. Kor 11, 29 — alles dies findet sich wörtlich wieder in der vom Herausgeber sog. kurzen Erklärung der 10 Gebote WA I, 255, 24 ff. (256,1) sowie in deren lateinischer Bearbeitung Instructio pro confessione peccatorum I, 264, 9 ff., aus der Sdion Ficker (Aref BA Hebr p. XLIII) und Bizer (Fides ex auditu S. 67 f., dodi wegen der üblichen Vordatierung zur Behauptung verleitet, der Reuige müsse hier an seine Reue glauben, was Luther so ausdrücklich wie möglidi ablehnt WA 1,131,11 ff., was Bizer sogar selbst zitiert!) haben das Neue und Besondere dieser Predigt bemerkt. 15 Die literarisdie Abhängigkeit jener Stücke hatte sdion Brieger ZKG 1890 S. 145 ff. bemerkt, ohne die Hebräervorlesung und damit den Ursprung des Textes zu kennen. Sowohl Ficker wie Hirsch/Rückert haben die Parallelen natürlich notiert. Auf die Bedeutung unserer Sdiolie hat sdion Vogelsang hingewiesen. (Die Bedeutung der neuveröffentliditen Hebräervorlesung 1930 S. 20).
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Fastenzeit 1518 1β , sodann im gleichzeitigen17 Sermo de digna praeparatione WA I, 330, 36—331, 14. Einzelne Formulierungen aus dieser Passage der Scholie auch im Sermo de poenitentia WA I, 324, 8 ff., wo wir audi das Sprichwort und das Augustinzitat fanden. Uberblickt man diese Reihe der Übernahmen, so ergibt sich, daß in den Schriften vom Frühjahr 1518 die Gedanken, zum guten Teil sogar die wörtlichen Formulierungen der Scholie, eine auffallende Rolle spielen. Im Sermo de digna praeparatione, im Sermo de poenitentia, in der Instructio und der Vaterunserauslegung finden sich wörtliche Auszüge, in den Asterisci, den Resolutionen und im Sermo de poenitentia Anführungen des erstmals in der Scholie genannten Sprichworts und Augustinzitats. Das Verfahren, den Scholientext aus der Vorlesung herauszunehmen und wörtlich an eine andere Schrift anzuhängen, erweist ihre Bedeutung in Luthers Erinnerung und Bewußtsein. Sie ist also nicht nur die erste Stelle, an der Luther sich zum Problem mit dem neuen Begriff von fides äußert, sie ist audi in ihrer weiteren Verwendung durch Luther als gültiger Ausdruck seines neu erworbenen Verständnisses autorisiert. Im Vorigen wurde schon auf den Zusammenhang der Scholie mit dem Ablaßhandel und dem in diesem für Luther entstehenden Beichtproblem hingewiesen. Fragen wir nun nach der zeitlichen Einordnung und dem dadurch sich zeigenden zeitgeschichtlichen Hintergrund unserer Stelle. Das Dessauer Manuskript der Hebräervorlesungsnachschrift läßt durch in ihr eingetragene Markierungen die wahrscheinliche Verteilung der Kollegstunden über H b 1—5 im Sommersemester 1517 erkennen; es sind 42 Stunden 18 . Unsere Scholie zu H b 5, 1 fällt danach in die 38. und die folgenden Stunden. Bei insgesamt 42 Stunden eines zweistündigen Kollegs handelt es sich demnach um die fünftletzte Stunde in der drittletzten Woche des Semesters. Nimmt man entsprechend dem Ferienplan den Beginn des Semesters für 18 Daß der Text aus der Scholie in diesen beiden Schriften, die mit tabellarischen Aufzählungen zur Beichte anleiten, sekundär angefügt ist, hängt damit zusammen, daß beide schon in den Fasten 1517 entstanden und den Anhang aus der Scholie erst im Frühjahr 1518 erhielten; Brieger (ZKG 1890 S. 130. 148) hat dies gezeigt. D a ß der Text der Scholie nur Anhang ist, zeigt sich auch daran, daß er nicht in allen Formen angeführt wird. Die Rezension der Schrift, die den Zusatz der Scholie führt, weist Brieger aaO S. 148 dem Frühjahr 1518 zu. 17 Auch wenn man die Chronologie unserer Schriften mit Zurückhaltung betrachtet, weil die Ansetzung in die Fastenzeit nur — allerdings plausibel — erschlossen ist, wird dadurch die Bedeutung, die Luther der Scholie durch isolierende Behandlung zuerkennt, nicht fraglich. Je später man die Schriften ansetzt, um so erstaunlicher würde ihre für Luther bleibende Bedeutung. Doch durch die Benutzung und Einfügung der Scholie gehören die genannten Schriften auch unter chronologischem Gesichtspunkt zusammen, in die Fasten 1518, vgl. Briegers Datierung in der vorigen Anm. 18 WA 57 Hebr Einleitung p. X I X .
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Montag, den 20. 4. 1517 19 , an, den Beginn des folgenden Wintersemesters (entsprechend dessen Beginn am 27.10. im Jahre 1516, was gegen die Ferienordnung war 20 ) für Montag, den 26. 10. 1517, so bleiben nach Abzug der Pfingst- und Herbstferien21 genau 21 Wochen für die Vorlesungen (42 Kollegstunden!), in denen aber einige Tage ausfielen, die in den Ferien (wie der Beginn der Galatervorlesung zeigt) oder sonst eingeholt werden konnten. Demnach fällt die fünftletzte Stunde ungefähr auf (Montag) den 5. oder (auf den zweiten Vorlesungstag der Woche, vielleicht Freitag) den 9. 10. 1517, in welcher unsere Scholie über Hb 5,1 diktiert wurde; die Vorbereitung fand aber schon vorher statt — ein Grund, unsere Datierungen nur als ungefähre Angaben zu nehmen22. — Jene vorbereitende Sdiolie zu Hb 3,12.13 über 19
Für Montag und Freitag als Vorlesungstag plädiert Ficker aaO, f ü r Montag bis Mittwoch bzw. Montag/Dienstag spricht H . v. Schubert (und K. Meissunger), Zu Luthers Vorlesungstätigkeit S. 21 f. Warum Hirsch/Rückert, Hebr. Ausgabe Einleitung p. X X V I I die Vorlesung Dienstag (21. 4.) beginnen lassen, ist nicht ersichtlich. 20 Das WS 1516/17 mit der Galatervorlesung begann Luther am 27. Oktober 1516 (v. Schubert-Meissinger a a O S. 8), obwohl nach den Statuten vom 22.10. — 3.11. Ferien waren (vgl. W. Friedensburg, Geschichte der Universität Wittenberg 1917 S. 40 und Th. Muther, Die Wittenberger Universitäts- und Fakultätsstatuten vom Jahre 1508, 1867 S. 14. — Die Ausgabe der ältesten Statuten von Nikolaus Müller, aus denen Friedensburg a a O S. 24 ff. zitiert, ist nach O . Scheel Luther II S. 341 Anm. 5 nie im H a n d e l erschienen und mir daher unerreichbar). 21 Es entfallen Mo 1. 6. Fr. 5. 6.1517 f ü r Pfingstferien. Für Herbstferien Mo 13. 7. bis Fr 14. 8. 1517. Es bleiben mithin die Montage 20. 27. April, 4. 11.18. 25. Mai, 8.15. 22. 29. Juni, 6. Juli, 17. 24. 31. August, 7.14. 21. 28. September, 5 . 1 2 . 1 9 . Oktober sowie die entsprechenden zweiten Vorlesungstage dieser Wochen. An den Freitagen 4 . 1 1 . 1 8 . September waren Disputationen (C. E. Foerstermann, Liber Decanorum Lpz. 1838 S. 20 f.) ; ob Luther, wenn Freitag sein zweiter Vorlesungstag war, an diesen Tagen und Fr. 28. August als Augustinstag las, bleibt offen (auch ob Montag, der 21. September nicht entfiel, weil da Promotionsakt f ü r alle drei Disputanten war, vgl. Foerstemann aaO). War sein zweiter Vorlesungstag ein Dienstag, so entfiel der 8. September als Tag der J u n g f r a u ; war es ein Mittwoch, so entfiel der 30. September als Tag des Hieronymus; war es ein Donnerstag, so entfiel der 2. Juli wiederum als Tag der Jungfrau. — O b Luther schließlich in der letzten Vorlesungswoche nodi eine zweite Stunde las (offizieller Ferienbeginn Donnerstag 22. Oktober), ist ebenfalls unsicher. 22 Dies empfiehlt sich audi im Blick auf die Glosse Hebr 26, 7 f. (zu H b 4,16), die schon unsere Scholie im Sinn haben könnte. D a aber die Sdiolie zu H b 5 , 1 andrerseits im Text keinen besonderen Anlaß hatte, diese Gedanken vorzutragen ( H b 3 , 1 2 ff. und 4, 2 hätten mindestens ebenso die Gelegenheit geboten), so ist anzunehmen, daß die vorgetragenen Gedanken nicht schon vorher da waren, sondern erst gleichzeitig oder ganz kurz zuvor entstanden. Solch entstehende Gedanken unmittelbar aufzunehmen, war die Hebräervorlesung besonders geeignet, weil nach Ficker für eine Reihe von Abschnitten kein vollständiges Kollegmanuskript Luthers anzunehmen ist (Hebr Einleitung p. X X I I I ) ; dodi hat es ein solches von Luthers eigener H a n d nach dem Zeugnis von J. Wigand (zit. bei Hirsch/ Rückert Einleitung p. X X V ) jedenfalls gegeben. D a ß Luther in manchen Stunden etliches mehr als das Diktierte gesagt hat, ergibt sidi aus der geringen Zahl der Diktatzeilen gerade in der 38. bis 40. Stunde über H b 5 , 1 . D a ß dies Mehrere den aktuellen Vorfällen galt, wird man vermuten dürfen. So darf es nicht verwundern, d a ß die Scholie selbst nichts über ihren Anlaß, die Instructio (vgl. unten), sagt. 12 5763 Ktoeger, Rechtfertigung
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Wort und Glaube fällt nach Fideers Wiedergabe der Markierungen in die 25.—27. Stunde, die also in der Wodie nach Montag, dem 25. 8. stattfanden; das ist die zweite Woche nach den Herbstferien23. Um diese Daten in die Vorgeschichte der Ablaßthesen einzuordnen, vergegenwärtigen wir den chronologischen Rahmen: Tetzel stand wahrscheinlich seit dem 22. 1. 1517, an welchem Tage er wohl in Halle seinen Eid leistete, im Dienste Albrechts von Mainz für den St.-Peters-Ablaßz4. Am 24. 1. ist er — ob zur Ablaßpredigt? — in Eisleben25, sodann, bis zum 14. Februar, aber (jedenfalls durch seine Begleitmannschaft vertreten) wohl noch länger, in Leipzig26, am 22. 3. wahrscheinlich in Halle 27 , endlich am Karfreitag (dem 10. April) — und dieser Termin um die Festtage macht die Wanderung der Wittenberger in den immerhin 40 km entfernten Ort 28 erklärlich — in Jüterbog2", im Juni zu Magdeburg und Halle 30 . Am 16. September befiehlt Joachim von Brandenburg die Zulassung Tetzeis in seinen Landen, der dorthin zieht und bereits am 5. Oktober 1517 — Wochen vor Luthers Thesenanschlag — in Berlin ist und einen Dispens ausfertigt31. Dem entspricht bei Luther, der während des ganzen Jahres bis zum 31. Oktober in keinem der erhaltenen Briefe die Ablaßfrage berührt, folgende Phase: eine möglicherweise schon auf den Tetzelablaß bezogene Predigt vom 24. Februar 1517 32 , die aber nicht jene Wirksamkeit Tetzeis in 23 In diesen Ferien war Luther am 6. August in Himmelspforte mit Staupitz zusammen. H. Volz, Martin Luthers Thesenanschlag und dessen Vorgeschichte 1959 S. 77, weist auf eine TR Luthers hin, nach der es nicht unmöglich ist (auch die theologischen Voraussetzungen Staupitzens in diesem Punkt würden es gestatten, vgl. E. Wolf, Staupitz und Luther 1927 S. 230), daß Staupitz Luther in seiner kritischen Haltung zur Ablaßfrage bestärkte: Doctor Staupitius me incitabat contra papam, TR Nr. 4707. « Volz aaO S. 58. Volz aaO S. 11. 63. !e Volz aaO S. 12 und N. Paulus, Johann Tetzel 1899 S. 36. 27 28 Volz aaO S. 13 und 66 (Anm. 26). Volz aaO S. 63. ! · Paulus aaO S. 41 und Volz aaO S. 13. — Der von Luther behauptete Auftritt Tetzeis in Zerbst wird audi von Sdieuerl, ohne Zeitangabe, berichtet (Volz aaO S. 67). Für Mansfeld (undatiert) s. Volz aaO S. 61. 30 31 Paulus aaO S. 38 und Volz aaO S. 74. 66. Paulus aaO S. 42 f. 32 WA 1,141, 22 fi. (Volz aaO S. 13 f.). — Die ersten Äußerungen über den Ablaß WA III, 416,22; 424,17; 425,1, vgl. IV, 239, 11 ff., dann WA LVI, 289,12; 417,24 ff.; 503, 22 ff. Beachtenswert ist, daß Luther den ursprünglichen Sinn des Begriffs indulgentiae nodi im aktiven Sprachgebraudi hat WA LVI, 112,18; 262,13.17; WA 1,190, 9 nach I. Cor. 7, 6 Vulgata und Bernhard (WA LVI, 332, 25 und 370,3, daher die Doppeldeutigkeit 418, 25). Damit gleichzeitig die Predigten vom 27. Juli 1516 WA I, 65 ff. (über deren Datierung Kapitel V Anm. 20) und vom 31. Oktober 1516 WA I, 94 ff.; hierher gehören evtl. audi die Scholien WA 31 1,475, 31; 476,9 (vgl. aber Kapitel VI Anm. 2). Ob die Stellen WA I, 424,1—10. 32; 426,15; 509,36 ursprünglich sind und zu den vorgenannten Exordialpredigten parallel, oder der Bearbeitung 1518 entstammen, ist ungewiß. Dann folgt die im Text genannte Predigt vom 24. Februar 1517, zwei weitere Erwähnungen WA IX, 126, 7; 144, 7; 152, 32 kurz vor Ostern 1517 (WA IX, 142,24 f.), Ende Oktober 1517 die Thesen und der Brief an Albrecht. (Die Predigt WA 1,130 ff. ist vom 2. Februar 1518, vgl. Anm. 14).
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Jüterbog (vom 10. 4.) betrifft, welche in Luthers Erinnerung so fatale Folgen an seinen Wittenberger Pfarrkindern zeigte und Luthers unmittelbares Interesse am Tetzelablaß begründete. Als Luther aber Ende April seine Hebräerbriefvorlesung begann, hatte Tetzel jedenfalls in Jüterbog schon gepredigt, wovon Luther bald im Beichtstuhl die Folgen zu spüren bekam. Auch daß Luther sich in dieser Zeit mit der Ablaßtheorie beschäftigte, berechtigt dazu, von einem bestimmten Zeitpunkt ab die Hebräervorlesung vor dem Hintergrunde der Überlegungen über Ablaß und Buße zu lesen und zu interpretieren; manches in ihr ist mit Bewußtsein zu diesem Problem hin gesprochen. Denn in dieser Zeit scheint sich Luther sehr mit der nach seiner Meinung ganz unsicheren Ablaßtheorie beschäftigt zu haben33, auch auf äußeren Anlaß hin: fui ego a multis tum familiaribus tum ignotis facie rogatus multis literis et colloquiis, quid mihi de ista verborum novitate (ne dicam licentia) videretur34. Er las viel 35 und beriet sich mit Rechtskundigen36. Obwohl er zweifellos im Sinne jener ersten Predigt vor Ablaß in weiteren Predigten öfter warnte37, zögerte er doch, mit diesen Gedanken schriftlich in die weitere Öffentlichkeit zu treten. Dazu vermodite ihn erst die Lektüre der Instructio Summaria der brandenburgisdien Kommissare. Wann er sie in die Hand bekam, weiß man nicht38; ob es Wochen oder 1—2 Monate vor dem „Thesenanschlag" war, ist ungewiß. Jedenfalls fällt jene erste Sdiolie über Wort und Glaube zu Hb 3,12.13 in die Zeit der Anfragen, Studien und Beratungen über das Problem, die Scholie zu Hb 5,1 über Sakrament, Glaube und Gewißheit vom Anfang Oktober 1517 in die Zeit, da Luther die 33
34 Volz aaO S. 14 f. mit Anm. 35. 40. WABr 1,138, 4 ff. und Yolz aaO S. 74. Luther las die kirchenrechtlichen Quellen, besonders oft zitiert er die Extravagante (WA 1,308,23; 312,3; 311,9; 581,35; WA II, 10, 37). Dazu zwei Glossenwerke (WA I, 568, 36 und 581, 37; O. Clemen, Bonner Ausgabe I, 71 und 88, vermutet Bernhard de Botono und Joh. Andrea), Kommentare von Innozenz IV (WA I, 566, 3), Panormitanus (I, 568, 24), dagegen von vielen ihm vorgehaltenen Gegnern (I, 568, 3 ff.) wohl nur deren Anführer Thomas und Bonaventura (I, 568, 13 f), Angelus' Summe (Stellen in ZKG 1937 S. 595), vielleicht Palz (Volz aaO S. 74 — hat Luther Palz nachweislich zitiert und benutzt?), Gerson (I, 545, 37; 550, 17), doch schon diesen wie auch Augustin, der oft zitiert wird, wohl mehr aus Erinnerung benutzt als zum Zwecke gelesen. Einzelnes, Ungenaues, Anonymes WA 1,298,11; 574,31; 578, 7 f.; 582,15; 568, 39 ff.; 569, 4 ff. 8 f. 10 ff. 15 ff. Die Diskussion über die Indulgenzenfrage hat Luther herausfordern wollen (WA 11,21, 18 ff.). 34 Volz aaO S. 73 f. Der Besuch bei Staupitz (Anm. 23) fällt in diese Zeit. " Volz aaO S. 69 (Anm. 30) und S. 72 (Anm. 32). 18 Es ist sehr unwahrscheinlich, daß Luthers Erzählung in Wider Hans Worst 1541 zu diesem Punkt einen bestimmten datierbaren Vorgang meint: Da gieng ein Büchlein aus, gar herrlich unter des Bisschoffs zu Magdeburg wapen . . . (WA 51, 539). Denn als Luther die (in Leipzig gedruckte und speziell für die Magdeburger Kirchenprovinz geltende: vgl. H . Volz in: 450 Jahre lutherische Reformation, Fr. Lau-Festsdirift 1967 S. 395) Instructio erhielt, neigte sich jedenfalls Tetzeis Tätigkeit in dieser Gegend ihrem Ende zu, zu welchem Zeitpunkt die Instructio schwerlich „ausging*. Man wird darunter einfach zu verstehen haben, daß Luther sie „da" in die H a n d bekam. 95
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Instructio Summaria kennenlernte und durch sie zum Einschreiten veranlaßt wurde. Das unerwartete, durch den Text nicht nahegelegte Erscheinen der Sakramentsfrage in dieser Scholie setzt einen äußeren Anlaß voraus. Der neue Glaubensbegriff ist also als Antwort aus akutem Anlaß gebildet; er ist nicht Ergebnis einer allmählichen Entwicklung. Nun möchte es scheinen, als verneine die Begründung, die Luther für sein Auftreten im Brief an Erzbischof Albrecht vom 31. Oktober gibt, einen solchen Zusammenhang gerade; denn dort wird die sich ausbreitende Sorglosigkeit und Sicherheit, nicht aber die fehlende Gewißheit als Motiv der Auflehnung angegeben 89 . Doch gerade dies ist der Punkt, der den engen Zusammenhang mit der Scholie deutlich macht. Denn nur aus der für Luther anstößigen und sorglosen Sicherheit erklärt sich, warum er das Problem in unserer Scholie in Auseinandersetzung mit dem Sakramentsbegriff löst: die im Verkauf der Ablaßbriefe liegende Mechanisierung des Sakraments als opus operatum schaffte die Sorglosigkeit derer, die meinten, sich nun nicht mehr ändern zu müssen. Und genau das ist es, was Luther in unserer Scholie kritisiert: perniciosissimus error est dicere sacramenta nove legis ita esse efficacia signa gratiae, ut non requirant ullam in suscipiente dispositionem, nisi ut non ponant obicem . . . Ita quoque magnus est error eorum, qui ad sacramentum eucharistie accedunt arundine illa nixi, quod confessi sunt, quod non sibi conscii sunt peccati mortalis vel premiserunt orationes suas et praeparatoria (Hebr 170, 5—171, l) 4 0 . Der Zusammenhang mit dem Buß3β WABr I, 111, 17 ff. doleo falsissimas intelligentias populi . . si literas indulgentiarum redemerint, securi sint de salute sua, ebd. Ζ. 27 Non enim fit homo per ullum munus episcopi securus de salute und ebd. Ζ. 33 f. faciunt populum securum et sine timore. Verständlicherweise hat Luther seine eigene Lösung des Problems in dem Brief an Albredit nidit dargelegt, vielmehr nur negativ auf Mißbraudi und falsche securitas hingewiesen. Doch auch dies in einem positiven Sinne nicht ohne Recht, denn die Furcht gehört zum Glauben, audi zum gewissen Glauben. Aus dem Brief an Spalatin 1518 war schon zitiert worden, vgl. noch einmal WABr 1,145, 41 de se vult praesumi, de nobis omnino desperari, ebd. Z. 45 Sic Job verebatur omnia opera sua, Ζ. 46 f. Igitur tantum bene operaberis, quantum de misericordia dei praesumpseris et de opere tuo desperaveris. WA IV, 655, 33 ff. Sic etiam homo est granum Dei, cor et conscientiam sdiutt ehr tzschwisdien ein, oben timor premit, unden fides sustinet, ut credat, der ober stein trugktt, läufft, will alles vorterben in grund, und als vili an ihm löge, deturbaret nos ad inferos: verum fides in imo firmissime sustinet, do leufft conscientia dohehr und wirt alßo reyn, und wird Gott ein pffankuchen darauß, und die schönsten hostia . . . Ich will dich sdienttlich angreiffen, das midi ein ander scheiden sali. Aber mitten im rollen und leiden, will ich dir ein blick machen, das du mir im herczen holt werdst (Es ist dieselbe Predigt, in der Luther über die Entdeckung von Mt 16, 19 berichtet und von Glauben an das Wort spricht). Man beachte, wie sidi dieses auch früher verwandte Gleichnis vom Christen, der zwischen zwei Mühlsteinen zerrieben wird (oben S. 125) gewandelt hat und daß der untere Stein der feste Glaube ist, der Gott im Herzen hold wird, — ein Element, das früher fehlte. So bleiben wohl Furdit und Glaube unlöslich zusammen, aber nicht so, daß der Mensch zwischen ihnen den Weg der affektlosen, gewissen Ungewißheit geht. 40
Ein gedanklich und in der Formulierung verwandtes Gersonzitat bei Hirsch/Rückert S. 174 z. St. . . Plane industria nostra et praeparatio, quales agere convenienter possumus,
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problem in der Ablaßtheorie, die das Thema im Brief an Albredit darstellt, ist unverkennbar. Noch ist aber nicht ersichtlich, warum Luther sich erst an der Instructio so erregte, wie er es ausdrücklich bezeugt; denn dergleichen müßte ihm seit der Wirksamkeit Tetzeis zu Jüterbog in Gedanken gewesen sein. Im Brief an Albrecht beklagt Luther nicht den Ablaß an sich, sondern falsissimas intelligentias populi ex illis (sc. praedicatorum exclamationibus) conceptas, quas vulgo undique iactant, videlicet, quod credunt infelices animae, si literas indulgentiarum redemerint, securi sint de salute sua . . . Dieses MißVerständnis im Volk wurde nun auch, wie Luther in jenem Brief hervorhebt, in der offiziellen Instructio sanktioniert 41 , welche dem Ablaß die größte aller Gnaden (qua quidem gratia maius nihil dici potest) in der plenaria remissio omnium peccatorum zuschreibt, durch die der homo peccator et divina gratia privatus per illam perfectam remissionem et Dei gratiam denuo consequitur 42 , was Luther im Brief an Albrecht so wiedergibt: die Gnade des Ablasses sei ein Geschenk, quo reconciliatur homo deo. (Die dabei von den Verfassern der Instructio vorausgesetzte, aber doch nur vorausgesetzte und nicht als entscheidend mit Nadidruck betonte Bedingung der confessio und contritio, sowie die vorausgesetzte Theorie vom erweiterten Jubelablaß, nach welcher beim Jubiläum ein erweiterter Ablaßbegriff, der nicht nur Freiheit von Strafe, sondern auch von Schuld einbegreift, anzunehmen ist 48 , konnte Luther bei seiner Klage als faktisch unbeaditet unberücksichtigt lassen, weil es ihm nidit um die Ablaßtheorie, sondern um die Wirkung ging.) Die in der Instructio gebilligte Zweideutigkeit 44 , weldie zur Irrlehre wurde, hat Luther demnach zum Einsdireiten veranlaßt 45 . Das Mißrequiruntur; eis tarnen si innitimur, fallimur et cadimus, aut, tanquam si quis báculo arundineo sustentetur, vaccilamus. Auf Gerson beruft sieh Luther in diesem Punkt auch sonst (WA I, 596 und VI, 166). 4 1 Weswegen Luther, nachdem er zwei Sätze aus der Instructio zitiert hat, vorschlägt, sie zu unterdrücken und eine alia praedicandi forma zu erlassen (WABr I, 112, 55 ff.). 4 1 W.Köhler, Dokumente zum Ablaßstreit 1934 2 S. 110. u Paulus aaO S.93. Demnach hat Luther, als er im Brief an Albrecht (WABr I, 111, 24) den Ablaß eine Freiheit ab omni poena et culpa nannte, redit gehabt (vgl. Paulus aaO S. 91 f.). 4 4 Paulus aaO S.92 interpretiert die Instructio: „Was also in der Beschreibung der ersten Hauptgnade gesagt wird, ist nidit auf den Ablaß, sondern auf die der Gewinnung des Ablasses vorhergehende Reue und Beichte zu beziehen." D a s soll ein Mensch nidit mißverstehen! Ober das faktisch sidi vollziehende Miß Verständnis solch korrekter Ablaßpredigt vgl. Th. Kolde, Das religiöse Leben in Erfurt beim Ausgange des Mittelalters 1898 ( S V R G N r . 63) S.45 Anm.31 und R. Seeberg D G III S . 3 1 6 f . 4 5 Ähnlich Volz aaO S. 15. — Eine gefährdende Verzerrung des einzig möglichen Sinnes des Bußsakraments scheint Luther audi in dem Satz quod non sit necessaria contritio iis, qui animas vel confessionalia redimunt (WABr I, 112, 51 f.) gesehen zu haben, obwohl er wußte, daß sich dies nur auf den Erwerb für Dritte bezog, weil dieser Satz auf die Q u a r t a principalis gratia (est) pro animabus in purgatorio existentibus bezogen ist (Köhler, Doku-
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Verständnis, als versöhne der Erwerb des Ablasses mit Gott, und die Unklarheit im Verhältnis von Buße und Ablaß waren es, die Luther zur Formulierung seiner Gegenmeinung führten. Hier zeigt sich nodi einmal, daß tatsächlich die (nach Erweis des Briefes an Albredit vom 31. Oktober 1517) in der Instructio anstößigen Stellen der Anlaß für die Scholie zu H b 5,1 waren, deren Formulierungen genau das Gegenbild entwerfen: 1) nicht der Ablaß bringt die Gnade, sondern der Glaube (ut nullus consequatur gratiam, quia absolvitur . . . sed quia credit sic absolvendo . . . se consequi gratiam), und 2) die Bestimmung des Verhältnisses von Buße, Ablaß, Beichtsakrament darf nicht im Vertrauen auf genügende Buße zur Sorglosigkeit verführen (geschweige denn die Möglichkeit geben, Gnade ohne Buße — und sei es für Dritte — zu erwerben; doch dies wird erst unter anderem Gesichtspunkt, nämlich für den Begriff der Gnade, wichtig), sondern muß statt Glaube an die eigene Buße vielmehr praesumptio und Glaube an das die Gnade zusagende Wort sein. Was Luther schon in der Römerbriefvorlesung als unmöglichen Glauben an den eigenen Glauben ( = Buße) durchschaute, lehnt er hier als Glauben an die genügende Buße ab, um soldien Glauben scharf gegen den Glauben an das Wort und so gegen die erst hier ermöglichte Gewißheit abzusetzen. Was in der für die Römerbriefvorlesung entscheidenden Pointierung Glaube an das die Sünde offenbarende Wort war, ist hier und erst hier Glaube an die Verheißung des Wortes Christi: Venite ad me omnes . . . In allen diesen Wandlungen ist dodi ein Grundgedanke unverändert geblieben, durdi den Luther von seiner ersten Äußerung zum Problem an weit jenseits der Fragestellungen und Voraussetzungen seiner Gegner stand: es ist der mit dem Problem der Satisfaktion gegebene Begriff von Gerechtigkeit. Das Problem der Satisfaktion, welche Bindeglied zwischen Büß- und Ablaßtheorie ist, erscheint von Anfang an mit völliger Sicherheit und Selbstverständlichkeit gelöst. Die 36. Ablaßthese spricht es mit ganzer Ruhe und Souveränität aus: Quilibet christianus vere compunctus habet remissionem plenariam a pena et culpa, etiam sine Uteris veniarum sibi debitam. Die Ablehnung der Unterscheidung von Sdiuld und Strafe, und daß Vergebung reine und ungeteilte Vergebung sei, wird hier schon als selbstverständlich vorausgesetzt. Im Sermon von Ablaß und Gnade vom März 1518 wird es erneut gesagt, die Begründung sicher gehandhabt: Das sag ich, das man auß keyner schrifft beweren kann, dass gotlidi gerechtigkeyt etwas peyn adder gnugthuung begere adder fordere von dem sunder, dann alleyn seyne hertzlidie und ware rew adder bekerung, mit vorsatz, hynfurder dass creutz Christi tzu tragenn unnd die obgenanten werck (auch von niemant auffgesetzt) tzu üben (WA I, 244,15 ff.), und: Es ist eyn großer yrthum, das yemand meyne, er wolle gnugthun vor seyne sund, so doch got die selben mente aaO S. 116). Daß er diesen Gedanken dennoch als Einbruchsstelle eines Unglauben erzeugenden Irrtums ansah, hat seinen tiefsten Grund natürlich in dem hier vorausgesetzten Begriff von Gnade, dazu Kapitel V.
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altzeit umbsunst auß unschetzlicher gnad vortzeyhet, nichts darfur begerend, dann hynfurder woll leben (245, 21 ff.). Vor Gott gibt es nur ungeteilte Gnade, keine Satisfaktion, weil die göttliche Gerechtigkeit nicht fordert, sondern umsonst aus unschätzlidier Gnad verzeiht46. Der durch den Ablaßkampf bedingte Wandel ist tiefgreifend und reicht bis an die Wurzeln der Theologie Luthers, weil Glaube, Wort und Evangelium neu begriffen wurden. Aber die Voraussetzung der hier gelösten Probleme ist von Anfang an der sichere Begriff von iustitia dei als der dem Menschen rein und ohne satisfaktorische Bedingung geschenkten Gerechtigkeit. Diese von allem Anfang an im Ablaßhandel sicher erkannte und bewährte Voraussetzung wurde im neuen Verständnis von Glaube, Wort und Gesetz erneut reflektiert und rein erhalten, sicherer verstanden und zugänglich gemacht. Formal ist der Begriff hier nicht neu, aber er wird neu ausgelegt und durch die durchdringenden und endgültigen Bestimmungen von Glaube und Wort sicherer erfaßt. Davon ist nun zu reden. 2. Wir kehren zum Text der Scholie, zu ihren Problemen und Auswirkungen zurück. Es müßte sich folgerichtig zeigen, daß seit der Scholie zu Hb 5,1 ein neues Verständnis der wesentlichen Begriffe anhebt und allmählich sich auszubreiten beginnt. Doch wird man nicht erwarten, daß Luther das neue Verständnis gleich in allen Konsequenzen zur Geltung bringt, zumal er in nichts das Bewußtsein haben mußte, Falsches aufzugeben, so daß man keine bruchhafte Veränderung erwarten darf. Am eigentlichen Thema, wo Luther thematisch über Buße, Glauben, Rechtfertigung spricht, erscheint das Neue unmittelbar und z. T. in wörtlicher Übernahme aus unserer Scholie. Doch 49 Daß poena und culpa gemeinsam vergeben werden (These 36, vgl. sdion WA 1,141, 18 f.), zeigt mit ganzer Konsequenz den vorausgesetzten iustitia-Begriff an. Dementsprediend müssen die Thesen von Tetzel-Wimpina gegenüber Luther gerade die Forderung der satisfactio hervorheben (was selbst Bizer, Fides ex auditu S. 98, betont, vgl. den Text der Extravagante!). Auf den Sermon von Ablaß und Gnade, dessen eindeutige Sätze eben zitiert wurden, beruft sidi Luther zustimmend 1522 (WA VIII, 280); eine Änderung der entsdieidenden vorausgesetzten Anschauung hat nicht mehr stattgefunden. Luther hat also tatsädilidi das Problem der Gerechtigkeit im Ablaßstreit gesehen (Bizer aaO), aber die Ablehnung der Satisfaktions- und Strafgerechtigkeit ist vom ersten Augenblick an klar und sicher gegeben. Daß Luther also die Ablehnung der satisfaktorischen Gerechtigkeit (nec remittat nisi requisita satisfactione WA I, 658) erst spät, im August 1518 in der Antwort an Prierias ausgesprochen habe (Bizer, Fides ex auditu S. 115), ebenso daß er noch in den Resolutionen nidit die Voraussetzungen, sondern nur die Konsequenzen des scholastischen Begriffs von Gerechtigkeit bestreite (Bizer aaO S. 104), vermag idi nicht zu erkennen — wie sollte er unter Beibehaltung der prinzipiell satisfaktorischen iustitia audi nur die Konsequenzen bestreiten? An den Resolutionen findet Luther im Jahre 1520 ausdrücklich nur hinsichtlich seiner zu vorsiditigen Beurteilung des Papstes etwas zu widerrufen (WA VI, 497). Daß er in ihnen nur mit Sdiriftbeweisen kämpft und darauf hinweist, es gäbe keine Schriftstelle, die die Strafgereditigkeit lehre, ist nidit Verlegenheit oder Unsicherheit (Bizer aaO S. 99.10, vgl. 108), sondern Methode.
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sonst ist, auch in der Hebräervorlesung, die neue Wendung nur in Spuren zu erkennen. In solchen Spuren immerhin, und diese haben wir nun aufzudecken, haben das in jener Scholie Begonnene in den es explizierenden Folgen aufzusuchen und die beginnende Entwicklung in den ersten Schritten zu verfolgen. Wir hatten schon angedeutet, daß in den ersten Kapiteln der Hebräervorlesung das Verständnis des Glaubens als Einheit und Einssein mit Christus nodi im Vordergrund steht: Christianus per unionem immortalis Christi (que fit per fidem in illum) eciam moriendo mortem superat (Hebr 129, 22). Die fides Christi überwindet Tod und Hölle (132,1 ff.), schafft die Werke, Geduld und Demut im Menschen (114, 2 ff.). In diesem Glauben wird der Mensdi in das Bild Christi verwandelt und ihm gleich (124,12—125, 6). In diesem Sinne heißt es über den Glauben an Gott: sola fides coniungit (sc. deo 19, 5), und in diesem Sinne wird der Begriff adhaerere häufig verwendet 47 . Entsprechend war schon seit den Dictata Glaube als Glaube an das Wort verstanden, das den Menschen sich ähnlich (conformis, similis) macht. Auch diese Vorstellung findet sich in der Hebräervorlesung 48 . In der Scholie zu H b 3,12 f. (147,19—148, 9) haben sich die beiden Sinne von Glaube (als Einheit mit Christus und als Glaube an das den Menschen sich zur similis forma verwandelnde Wort) vereinigt in dem Gedanken: Christus ist das Wort, an das geglaubt wird (Hebr 151,14 f.). Diesen Gedanken von der wesensverwandelnden Einheit im Glauben brauchte Luther nach der Scholie zu H b 5 , 1 nicht aufzugeben, man findet ihn auch weiterhin (in der Hebräervorlesung 188,1 f.; 209, 22); wie wichtig er bleibt, erkennt man daran, daß der Gedanke der unio mit Christus ständige Voraussetzung des Imputationsbegriffs bei Luther ist. Aber es ist nötig, dieses Verständnis des in das Wesen des Wortes verwandelnden und so Einheit und Gemeinschaft stiftenden Glaubens im Unterschied zu dem neuen, bei H b 5,1 erst entstehenden Sinn deutlich zu sehen 4e. Denn nur als ein dem Wort gegenübertretender, sich auf das (aus den „Sprüchen" der Schrift oder dem Zuspruch des Priesters) entgegenkommende, zugesagte Wort verlassender Glaube wird er in confusione, in tribulatione, in conscientia überhaupt erst erhalten, wird er gegründet und gewiß, sodaß erst aus ihm der Glaube als Gemeinschaft und Einheit mit Christus möglich wird und in tentatione Bestand hat. Glaube als Wesenseinheit mit Christus wird zweifelhaft in confusione, wenn er nicht aus dem begegnenden und gegenübertretenden Wort 47
Hebr 124,12; 143, 3; 148,1; 150, 6 f.; 151, 7. 9; 195, 2. Hebr 147, 20 ff.; 151 ; vgl. 156, 20 ff. fides mixtura seu temperatura verbi et cordium. 4Í Richtig betont R. Otto, daß der doppelte Fides-Begriff — einerseits die Einheit als adhaerere, ei similem fieri; conformari und andrerseits confidere deo, der promissio trauen — zwar nicht im Sinne eines fundamentalen Gegensatzes übertrieben werden, daß aber audi die Unterschiede und die charakteristisch verschiedenen Termini nicht vorschnell und unvorsichtig verschliffen werden dürfen (Die Anschauung vom heiligen Geist bei Luther 1898 S. 37). 48
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bestätigt wird. Daher der Gegensatz (testimonium) non ex nobis . . . sed quod conscientia nostra accipit (Hebr 169, 20 ff.). Damit bekommt das als Einheit mit Christus verstandene adhaerere eine neue Sinnmöglichkeit, die nicht immer hervortritt, doch von nun an mindestens stets im Hintergrunde steht: firmissime haereat in hoc verbo 50 , als Festhalten und Hangen, Sidi-Klammern an das zusagende Wort. Hier ist der feste Glaube an das gewisse Wort zum Schlüsselbegriff geworden, der jeden anderen Begriff und dessen Sinn erst begründet. Die vom Wort in der Wesenseinheit mitgeteilte Qualität, d.h. das augustinische oder mystische Element des Glaubensbegriffs wird dem neuen Begriff unter- und eingeordnet. Der neue Begriff verweist das in der Römervorlesung konkurrierende, 1516/17 und am Anfang der Hebräervorlesung dominierende Verständnis von Glaube als verwandelnder Wesenseinheit (vgl. Kapitel V) auf den zweiten Platz. Darin liegt das Neue an dieser Stelle. Den nunmehr bestimmenden Glaubensbegriff, der die ganze neue Wirklichkeit des vor Gott Gerechten ausdrückt und nicht mehr nur Erkenntnis der bleibenden Sünde ist, welche nicht angeredinet wird, zeigt die Art, in der Luther die Reinheit des Menschen im Glauben bestimmt. Es wurde eben schon gesagt, daß Luther die Anschauung von der Wesensmitteilung des Wortes nidit aufgibt; daß der Mensch dabei auf die innewohnende Reinheit nicht vertrauen darf (und sei sie aus Wort und Gnade empfangen), weil sonst der donator über den dona vergessen wäre, weiß Luther schon lange. Aber es kommt hier auf den Wandel der Vorstellung an, mit der Luther in der Konsequenz des neuen Begriffs von Glaube und Wort die notwendige Reinheit und Würdigkeit zum Sakrament begreift. Man bedenke nur, ob Luther mit der Vorstellung von Glaube als Einheit mit Christus und Wort das Beicht- und Bußproblem hätte lösen können? Niemals! Erst der den Menschen extra se versetzende Wortglaube vermochte das. Extra se — das bedeutet hier, den Glauben zu haben im Absehen vom eigenen Zustand und dem genügenden oder ungenügenden affectus: quidquid sit de tua contritione, und dem zusagenden, mir extra me begegnenden Wort zu vertrauen. — Auch dieser Glaube als Vertrauen auf das zusagende Wort ist natürlich eine Änderung und Erneuerung des Menschen, jedoch eine, die ihn nicht zuerst in sich, sondern vor allem in dem Verhältnis betrifft, in das ihn der Glaube stellt. In sich muß er dann dieses Verhältnis bewähren, denn dieses duldet gewisse Dinge im Menschen nicht. So kann der Glaube als Wesensverwandlung erst verstanden werden, wenn er als strenger Glaube extra se an das Wort in confusione et tentatione begründet ist. Das zeigt sich in den Schriften vom Frühjahr 1518, die das Verständnis von Glaube als Einheit nicht kennen. Im Sermo de digna praeparatione 5 0 WA IV, 657,35 (nach Vogelsang ZGK 1931 S.133 vom Jahre 1518), vgl. Hebr 185, 2 f., WA VI, 529 promittenti fideliter adhaeseris u. sehr oft.
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cordis drückt Luther diesen Sachverhalt durch die Paradoxie aus: Optima dispositio est non nisi ea, qua pessime es dispositus, und das bedeute, quod quando sentis te miserrimum et egenum gratia, iam eoipso capax es gratie et idoneus maxime (WA I, 330, 24 ff.). Optima dispositio, die den Mensdien aus sich heraus, von sich weg zum Bedürfen (egere) treibt und ihn so capax, empfänglich macht, d. h. verstehen lehrt, was in der Gnade ihm angeboten wird. Würdig des Sakraments (und also Gottes) ist aber dieser Glaube, sofern er gerade in dieser Un Würdigkeit gewiß ist, würdig zu sein: crede firmiter quod non indignus accesseris (I, 333, 23). So ein Glaube, der gerade in der Unwürde die geforderte Würde sieht, weil sie egena und capax ist, kann nur Glaube an die Gewißheit der im Wort zugesagten Gnade sein, und als soldier Glaube ist er fides purificans corda, Acta 15, 9 (I, 331, 5—17). In diesem Sinne heißt es: . . . und laß deinen glauben dein reinigkeit sein, so bistu gewiß (I, 256,14 f.), nidit also durch die vom Glauben vermittelte Reinheit und gratia sanans; dazu vgl. noch unten über den Gnadenbegriff. Damit wird dem Glauben der Platz eingeräumt, den er in der Römerbriefvorlesung noch mit der chantas teilen mußte (vgl. Kapitel V); er ist umfassender Ausdruck des Verhältnisses von Gott und Mensdi geworden (vgl. noch einmal Anm. 11) und ist nicht mehr nur demütige Erkenntnis der erkannten und bleibenden Sünde, sondern er ist selber schon die ganze neue Wirklichkeit des vor Gott Gerechten. Er ist in einem neuen umfassenden Sinne fides iustificans und gratia iustificans; die plenitudo fidei, von der gesagt wird, sie sei schon selbst gratia iustificans (Hebr 191, 24), ist certitudo fidei aus dem Wort (58, 9 f.) 51 . Die hier behauptete, umfassende Identität drückt Luther so aus: fides eis (sc. rebus sperandis) substantiam tribuit, magis autem non eis tribuit substantiam, sed est ipsa eorum essentia (228, 4—6). In diesem Gegensatz, den Luther als Definition von Glaube bereits erwägt, aber hier noch nidit endgültig annimmt, zeichnet sich eine bisher nicht dagewesene Konzentration auf den Glauben als genügenden Ausdruck alles dessen ab, was über Gott und Mensch in der Rechtfertigung zu sagen ist: non tribuit, sed est ipsa. Die Wichtigkeit dieses Wandels im Glaubensbegriff spiegelt sich rein exegetisch in der neu entstehenden Auslegung von H b 11,1 (est autem fides sperandarum substantia rerum), die Luther gegenüber der Tradition (formal im Anschluß an Chrysostomus) gewonnen 52 und im Galaterkommentar von 51 Als Formulierung sind die im Text angeführten Ausdrücke nicht ganz neu (WA IV, 127,18, WA 57 Gal 80, 4 f., WA 31 I, 466). D a ß der spezifische Ausdruck fides iustificans erst seit 1518 möglich wird, meint O. Ritsehl (DG des Prot. II, 1 S. 140 f.). Die Differenz der jetzt entstehenden fides iustificans zur früheren Auffassung ließe sich am besten durch Darlegung der Entwicklung zeigen, die der Imputationsbegriff genommen hat, was aber hier nicht möglich ist. 82 Vgl. Fidkers Apparat zu S. 226. 227.
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1519 mit Nachdruck hervorgehoben hat 53 . Nodi in der Vorlesung zu Gl 5,19 (1517 Frühjahr) hatte Luther das hieronymianisdie Verständnis von substantia als possessio aufgenommen (WA 57 Gal 104, 27 ff.), hatte dann zu H b 3,14 in der Glosse zwar substantia mit fides identifiziert (Hebr 20, 1. 16 f.), dodi in der Sdiolie Hieronymus wieder aufgenommen und festgestellt: .substancia' secundum scripturae consuetudinem significat facultatem seu possessionem rerum; Chrystomus' Lösung (substancia seu essentia) wird in der gleichen Sdiolie angeführt, aber die volle Identität nodi abgelehnt, denn fides sei nur ein initium (Hebr 152,1 ff. 14 f.). Zu H b 11,1 stellt Luther dann die Chrysostomus-Lösung als Möglichkeit neben andere, die er aufzählt, um aber doch noch einmal Hieronymus zu folgen (Hebr 227,13 ff.). Damit stellt diese Sdiolie einen Übergang zur späteren, seit 1519 durch Melanchthons sprachliche Beobachtungen bestärkten Bejahung der ChrystomusLösung dar. Diese wird schon hier durch den bereits zitierten bedeutungsvollen Satz: (fides) non eis tribuit substantiam, sed est ipsa eorum essentia, gewichtig54. An dieser Stelle muß, damit das Maß des Neuen richtig gesetzt werde, auf die trotz aller Untersdiiede vorhandene Ubereinstimmung mit der Theologie der Römerbrief-Zeit hingewiesen werden; denn gerade an dieser Stelle des größten Unterschieds liegt auch eine wesentliche Gemeinsamkeit. Hier wie dort geht es um den festen Glauben an das Wort, in dem die Rechtfertigung geschieht: in der Römerbriefvorlesung um das Wort, das die Sünde offenbart, dessen demütig glaubende Anerkennung Gott rechtfertigt; hier um das die Gnade zusagende Wort. Hier wie dort geht es um die Zweifellosigkeit der eigenen Sünde und Unwürde, und hier wie dort um die aus dem iustitiaBegriff abgeleitete Voraussetzung, daß Gott allein in diesem glaubenden Bekenntnis den Mensdien rechtfertigt. Unverändert hat sich demgemäß seit 65
WA II, 595, 20 ff. zu Gl 5, 22. Die bisherige Deutung substantia = facultas und possessio (audi Hebr 152,1 ff. nodi festgehalten) wird hier abgelehnt. Luther hatte gelernt, daß substantia als Übersetzung von hypostatis im Sinne von subsistentia . . . vel etiam promissio verstanden werden muß, vgl. O. Ritsdll DG des Prot. II, 1 S. 105; Hirsdi/Rückert S. 260 f. App. 54 Die Bewegung und Tendenz, in der sidi die Auslegung von Hebr 11,1 hier befindet, obwohl die Hieronymus-Version substantia = facultas/possessio nidit aufgegeben ist, erkennt man vom Gal. Komm. 1519 und der weiteren Übersetzung des Begriffs (NT 1522 „gewisse Zuversicht") her, wodurch man berechtigt wird, die Gleichung substantia = essentia, obwohl sie noch nicht gegen die anderen bevorzugt wird, besonders zu beachten, weil in ihr sich das Ringen um den neuen Glaubensbegriff spiegelt (so überzeugend Hirsch/Rückert S. 260 f. App). Die Hieronymusübersetzung, die hier als dritte und akzeptierte Lösung angeführt wird (Hebr 228,11, über die Gründe für deren Übernahme vgl. WA III, 419 f.), ist in der Tat nicht neu (vgl. WA LVI, 409,11 f.), weswegen R. Schwarz (Fides, Spes und Caritas 1962 S. 311 f. und Anm. 175) hier nichts Neues, nur die Bestätigung Luthers durch Hieronymus erkennt. Es zeigt sich wieder, daß der Vergleich mit der Tradition die innere Bewegung und Entwicklung Luthers nicht zu erfassen vermag.
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der Römerbriefvorlesung der Gedanke erhalten, daß nur die Allmacht Gottes und die Ohnmacht wie Unfreiheit des menschlichen Willens die sichere Ermöglichung und Durchsetzung des Heils gewähren, weil der Mensch an jedem Hindernis scheitern würde: Ego sane de me confiteor, schreibt Luther in De servo arbitrio, Si qua fieri posset, nollem mihi dari liberum arbitrium, aut quippiam in manu mea relinqui, quo ad salutem conari possem . . . quod etiam si nulla pericula, nullae adversitates, nulli daemones essent, cogerer tamen perpetuo in incertum laborare et aerem pugnis verberare; ñeque enim conscientia mea, si in aeternum viverem et operarer, unquam certa et secura fieret, quantum facere deberet, quo satis Deo fieret... At nunc cum Deus salutem meam extra meum arbitrium tollens in suum receperit, et non meo opere aut cursu, sed sua gratia et misericordia promiserit me servare, securus et certus sum, quod lile fidelis sit et mihi non mentietur, tum potens et magnus, ut nulli daemones, nullae adversitates eum frangere aut me illi rapere poterunt (WA XVIII, 783, 17 if.). Ebenso heißt es in der Römerbriefvorlesung: Quia si propositum Dei non esset et in nostro arbitrio et nostris operibus staret salus, contingenter staret. Quam contingentiam quam facile, non dico omnia illa mala simul, sed unum illorum impediret ac perverteret (WA LVI, 381, 24 ff.). Um nichts hat sich, was Luther 1525 schreibt, gegenüber diesem Satz der Römerbriefvorlesung verschoben. Es ist die selbstverständliche Voraussetzung, daß Heil und Rechtfertigung ausschließlich von Gott geschaffen werden, ut ostendat, quia non meritis . . . sal vet (LVI, 381, 29— 382,11). Dies alles ist gemeinsame und unantastbare Grundlage der Theologie Luthers in der Römerbriefvorlesung wie seit 1517/18. Neu aber ist, daß der rechtfertigende Glaube nicht mehr vor allem Glaube und Bekenntnis der Sünde ist, sondern gewisser Glaube an das zusagende Wort, daß der Unwürdige als solcher wirklich würdig ist, die Gnade gewiß erlangt und so die Rechtfertigung in einem frohen und wissenden Gewissen gegenwärtig wird, während sie in der Römerbriefvorlesung gerade dem echt demütigen Glauben ungewiß, d.h. ungekannt und unbewußt war, weil die echte Demut von sich nicht weiß. Jetzt aber heißt es: piena fide, certissime, crede firmiter — tete gratiam consecuturum, non indignus accesseris. Ja, Luther geht im gleichzeitigen Sermon de poenitentia so weit zu sagen, der Glaube sei wichtiger als die Buße: Quare plus est a confitente requirendum, an credat esse absolvi, quam an sit vere contritus (WA I, 324, 2 f.). Wenn man sidi angesichts dieses Satzes der einzigartigen Bedeutung erinnert, welche der Buße und dem Bekenntnis der Sünde in der ersten Zeit zukamen, und daß der Glaube (auch als fides Christi) solche confessio und ein Zunichtewerden omni affectu (auch im Christo fieri conformis) war, und wenn man sich auch erinnert, daß aus dem festen Gedankenkreis confessio-humilitas-fides-iustitia die Lehre von der iustificatio dei passiva ihre Gestalt und Gewalt, ihre ursprunglegende und reinigende Wirkung im theologischen Denken Luthers hatte, so erkennt man bei aller Gemeinsamkeit dieser unaufgegebenen Voraussetzungen den ein-
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schneidenden Wandel, der sich hier am Glaubensbegriff vollzogen hat. Denn der Glaube ist, selbst wenn Luther hin und wieder auf die frühen Formulierungen zurückgreifen kann, nicht mehr nur Glaube an die Wahrheit der offenbarten Sünde, nicht mehr nur Demut und Buße, sondern er ist praesumptio istorum verborum. Daher kann Luther nun die Begriffe Buße und Glaube in deutlicher Unterscheidung gegeneinander stellen; es kommt auf den Glauben und nicht auf die Buße an: crede fortiter te absolutum, et absolutus vere eris, quia ille (sc. deus) non mentitur, quicquid sit de tua contritione (WA I, 323, 27 f., vgl. I, 594 f.). Ja, Luther geht noch weiter und konstruiert, um den Glauben an das gnädige Wort mit aller Schärfe vor die Buße zu stellen, per impossibile den Gedanken: quod confessus non sit contritus, denn: Si tarnen credat sese absolutum, verissime est absolutus (WA I, 323, 32 ff.). Das hätte er in der frühen Zeit nie und nimmer sagen können! Natürlich ist nicht gemeint, der Mensch sei vom Ernst der ganzen Buße entbunden — darin besteht nicht der geringste Unterschied gegenüber der Römerbriefvorlesung; damals wie jetzt liegt die Erkenntnis zugrunde, daß Glaube und Buße als etwas Menschliches bruchhaft und unvollkommen sind. Der Unterschied liegt in den Konsequenzen: in der RömerbriefVorlesung mußte der Glaube, weil er unvollkommen ist, unendlich demütig und ungewiß bleiben, um seine Unvollkommenheit stets in Demut zu bewahrheiten, jetzt aber muß er sich gegen die eigene ungenügende Buße an das gewißmachende Wort halten 65 . Der aus dem Wort gewisse Glaube wird von der stets ungewissen Reue unterschieden M. Das ist durch die Entdeckung des gewiß zusprechenden Worts im Bußsakrament möglich geworden. War darum früher der rechtfertigende Glaube mit confessio und humilitas eins (iudicium est evangelium), so wird nun die Unterscheidung von Buße ( = iudicium) und Glaube an die im Wort zugesagte Huld (evangelium) wesentlich. Waren iudicium und evangelium wie Buße und Glaube eins, so werden sie nun, wie Buße und Glaube, als Gesetz und Evangelium unterschieden (worüber nodi zu sprechen ist). Damit ist dem Glauben, der zuvor mit confessio und humilitas eins war und mit ihnen in die unendliche Demut und Ungewißheit trieb (in immensum), jene unendliche Entlastung zuteil geworden, von der sdion gesprochen wurde: quicquid sit de tua contritione. Sehr gut schreibt A. Hamel (I S. 157), erst mit dem Glauben sei die untragbare Verantwortung für das Vorhandensein der humilitas vom Menschen genommen. Hier ist, mit der Unterscheidung von confessio und fides, der bisher stets waltende Schein des Synergis56 Der Glaube ist audi jetzt menschlich und Stückwerk, er ist, wie Luther bald sagt, ein donum, und seine dona gibt Gott partitive (WA VIII, 106 f.). Aber die ungeteilte Gewißheit des ungeteilten favor dei gilt audi dem halben Glauben, solange er von sich weg auf das Wort schaut und Glaube bleibt, deswegen: Fides autem et verbum Christi sunt verissima, certissima, sufficientissima (WA I, 324, 4 £f.). 5 ® Fortan stehen Reue und Glaube als unterschiedene Teile der einen Rechtfertigung zusammen, vgl. R. Seeberg DG IV, 1 S. 172 und Anm. 3.
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mus überwunden, weil nicht mehr die unendliche Forderung der Demut, sondern der aus dem Wort mögliche Glaube die Lösung des Problems der erkannten, ewig ungenügenden Demut ist. Man kann diesen Wandel an der neuen Wendung erkennen, in der der alte Gedanke, daß allein confessio, humilitas und oratio die Rechtfertigung bringen, wiederkehrt und aufgenommen wird: Omnis homo mendax etc. sola vero ista confessione humili et oratione nobis ignoscuntur et fiunt meritoria. Unde et iussit nobis, ut oremus „Dimitte nobis debita nostra". Quocirca dum volumus omnia pure confiteri, nihil aliud facimus, quam quod misericordiae dei nihil volumus relinquere ignoscendum, nec confidere in eum sed in confessionem nostram cupimus, ac per hoc volumus securi esse nec iudicium eius timere, quum tamen ei sit beneplacitum super timentes eum et in eis qui sperant super misericordiam eius (WA I, 323, 2 if.). Die Ablehnung des Vertrauens auf die eigene humilis confessio (securitas), die Luther schon der Römerbriefvorlesung durchschaut hatte, ist geblieben, doch neu ist die Ablehnung des Dranges zur pura confessio, der ein notwendiges Element der frühen Theologie war, weil diese unendlich weiterdrängen mußte — zur pura confessio, in immensum oportet humiliari. All dies wird hier aufgenommen, kommt aber zur Ruhe und Gewißheit, da nicht mehr echte Demut und pura confessio, sondern der Glaube an die Absolution die Lösung darstellt und im Mittelpunkt der Gedanken steht — quicquid sit de tua contritione Wenn Luther also in der Römerbriefvorlesung schon von der Gewißheit ausging, daß Gott allein den Sünder aus Gnaden rechtfertigt, so ist er nun bei der dem einzelnen Menschen gegebenen Gewißheit angekommen, daß Gott in seiner Barmherzigkeit „mich" armen Menschen wirklich rechtfertigt. Die plena fides, das certissime und firmiter credere, die früher gefordert und angesichts des Widerspiels von Sünde, Hölle und tribulatio gelehrt waren, sind hier möglich geworden. Nicht mehr nur, wer dem Wort von der Sünde nicht glaubt, macht Gott zum Lügner (so war es in der Römerbriefvorlesung), sondern vor allem, wer der ausgesprochenen Absolution nicht glaubt, macht Gott zum Lügner: crede fortiter te absolutum, et absolutus vere eris, quia ille non mentitur, quicquid sit de tua contritione. Nam sic non crederes sententiae pronuntiatae super te a deo, qui mentiri non potest, ac sic te veracem et ipsum mendacem faceres (WA I, 323, 27 ff.). Die sen57 Damit bestätigt sich noch einmal in der Rückschau Bizers kritische Bemerkung, daß der Glaube in der Römerbriefvorlesung nodi nicht rein empfangender Glaube war, sondern mit der Forderung des totus affectus belastet. Das war in der Tat ein in der Fassung des Glaubensbegriffs begründeter kritischer Sachverhalt, der sich freilich nicht in Bizers Sinne auslegen ließ. Das für die Frühzeit charakteristische Problem der humilitas ist hier überwunden. Audi das mit dem notwendig unendlichen, demütig-ungewissen Drang zur pura confessio gegebene Problem der Affekte, tritt nun zurück, seit statt der Buße omni affectu der Glaube an das Wort in den Mittelpunkt tritt. „Die auffallend gehäufte und pointierte Verwendung des Begriffs ,Affekt' in der ersten Psalmenvorlesung" (G. Metzger, Gelebter Glaube 1964 S. 218) ist jetzt kein Problem mehr.
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tentia pronuntiata ist hier gleich die gnädige Zusage der Vergebung, sie war — in der gleichen Formulierung — früher Urteil und Offenbarung der Sünde (sententia lata WA III, 25 Anmerkung, Herbst 1516). Jetzt kommt es auf den Glauben an die Gnade an (WA I, 594, 37 ff.), während in der Römerbriefvorlesung die confessio das opus praecipuum des Glaubens war (WA LVI, 419,21). An all dem wird der einschneidende Wandel sichtbar, der hier in Luthers Theologie vor sich ging58. So gewiß Luther die Heilsgewißheit und den letzten Sinn von Glaube erst am Wort gefunden hat, es ist nun doch zu beachten, daß diese Gewißheit auch jetzt keine Sicherheit ist®9, damit auch hier die eindeutige Fortentwicklung Luthers nicht zu einem falschen Gegensatz der Früh- und Spätzeit hochgespielt werde. Die Gewißheit kennt die Anfechtung und Versuchung so sehr, daß Luther diese Gewißheit als Erkenntnis des Heilssinnes der Verzweiflung auch weiterhin beschreiben kann: Ego ipse non semel offensus sum usque ad profundum et abyssum desperationis, ut optarem nusquam esse me creatum hominem, antequam scirem, quam salutaris ilia esset desperado et quam gratiae propinqua (WA XVIII, 719). Dies ist der entdeckende Gedanke in Luthers früher Theologie seit den Dictata gewesen, daß Gott mit der Welt nicht gleich und eins, sondern ihr verquer und gegenüber ist, in einem abgründigen Widerverhältnis steht, daß seine Gnade unter Zorn, die Gerechtigkeit unter Sünde, darum Gerechtigkeit nur im Bekenntnis der Ungerechtigkeit, da aber audi wirklidi zu finden sei; daß darum Gewißheit die größte Versuchung, Angst und Unfriede die einzigen gewissen Zeichen der Gnade seien. So sehr Luther später vom festen Vertrauen auf Gott und seine Gnade spricht — das Nichtwissen jener frühen Zeit ist tief in diesem Vertrauen der späteren Zeit aufbewahrt, sodaß der Glaube nur über den Abgrund hinweg aus dem Worte möglidi ist. Diesen 58 Man könnte hier auch an die von F. Frey (Luthers Glaubensbegriff 1939 S. 25) formulierte Antithese erinnern, daß jetzt iustificatio nostra (sc. passiva) Gottes Herrlichkeit ausmache (WA V, 509, 6), während in der Römerbriefvorlesung umgekehrt Gottes Herrlichkeit und Gerechtigkeit im Bekenntnis unserer Sünde bestand (iustificatio dei passiva). Kapitel I wurde schon gezeigt, inwiefern die frühe Form der Rechtfertigungslehre spezifisch für den Stand der Gedanken war. Zwar sind solche Gegenüberstellungen mit größter Vorsicht zu behandeln, aber daß sie wesentlich neue Pointierungen andeuten, möchte ich ebensowenig bestreiten. Zweifellos bleibt der Gedanke des iustificare deum (WA V, 494, 22; 663, 33 ff.; 664,17 ff.; 623, 30 f.; WA 10 I, 2,127,24 ff.) audi später erhalten (Bornkamm ARG 1962 S. 7 mit Verweis auf WA 40 II, 369 ff., über den möglichen Anlaß des Gebrauchs vgl. G. Pfeiffer LuJ 1959 S. 42 f.), doch gehört dieser Glaube an die Wahrheit der Sünde nur noch zur Rechtfertigung, ist nicht mehr als solcher schon der rechtfertigende Glaube; die Gewißheit aus dem Evangelium macht hier erst das entscheidende Element aus. 5 * Daß Furcht auch im Glauben erhalten bleibt, wurde gezeigt (Anm. 39). Über Eccl. 9,1 und seine sich wandelnde Funktion und darüber, daß auch in der Gewißheit die Ungewißheit der Perseveranz und Prädestination erhalten bleibt, wurde schon gesprochen (Kapitel III).
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bedrohlichen Sinn behält der Glaube in Luthers Denken dem Pietismus und allen anderen Vertraulichkeiten voraus (vgl. Anm. 66). Gerade vor dem bleibenden Unheimlichen Gottes, vor dem Dunkel der ungewissen Prädestination und Perseveranz, bleibt die Angewiesenheit auf das Wort und seine Gewißheit, weil die Gnade nicht selbstverständlich wird. D a ß der Sinn der Verzweiflung das Heil und daß die Verzweiflung gratiae propinqua ist, ist in der frühen wie späten Zeit Grundgedanke. Doch wie grundlegend er verwandelt wird, zeigt Luther in den Resolutionen, Conclusio V I I : Q u a n d o deus incipit hominem iustificare, prius eum damnat, et quem vult aedificare destruit, quem vult sanare percutit, quem vivificare occidit. Dann folgen zum Beleg 1. Sam. 2, 6 f. und Deut. 32, 39 (beides sind seit den Dictata klassische Stellen für Gottes Handeln sub contrario, vgl. den ungedruckten Index von Pinomaa, WA I, 540, 8 ff.). In diesem Anfang des göttlichen Handelns (quando deus incipit) (tunc) adeo ignorât homo sui iustificationem, ut sese proximum putet damnationi, nec infusionem (id est remissionem 540, 5 f.), sed effusionem irae dei super se hanc putet esse (540, 30 ff.). So weit nimmt Luther noch ganz die Rechtfertigungslehre der Römerbriefvorlesung auf: im Zorn ist die Gnade, doch der also Begnadete weiß es nicht. Aber dann bietet die Fortführung des Gedankens das Neue: stante autem hac misera suae conscientiae confusione, non habet pacem ñeque consolationem, nisi ad potestatem ecclesiae conf u g i a t . . . (540, 34 ff.), und die potestas ecclesiae besteht in dem lösenden Spruch Mt 16, 19, den Luther in dieser VII. conclusio 6mal (!) zitiert. Der Glaube darf seinen Frieden in keiner Erfahrung suchen, sondern nur im Wort (I, 541, 6 ff. u. ö.). Denn die Gnade (Vergebung) vor dem Wort, die Gott schon im Zunichtemachen meint, ist sub forma irae a b s c o n d i t a . . . ut homo incertior sit de gratia, cum fuerit ipsa praesens (in Gestalt des Gerichts), quam cum est absens . . . Donec autem nobis incerta est, nec remissio quidem est, dum nondum nobis remissio est, immo periret homo peius nisi fieret certa, quia non crederet sibi remissionem factam (I, 5 4 1 , 1 5 bis 24). Dies sind völllig neue Gedanken, mit denen Luther die Theologie der Römerbriefvorlesung weit hinter sich läßt. Von der gratia sub forma irae abscondita bis hin zum Nichtwissen dieser doch unanzweifelbaren Gnade kann Luther seine früheren Gedanken völlig aufnehmen; doch in der Frühzeit endeten seine Gedanken hier: Verwerfung, Furcht und Nichtwissen waren die einzigen sicheren Zeichen der Gnade. Der Kreis der Gedanken, der noch in der Römerbriefvorlesung die ganze Theologie ausmachte, ist hier zum wesentlichen, aber bloßen Anfang geworden (Quando deus incipit I, 540, 8 und In ista autem conturbatione incipit salus 540, 18 f.), dem die nunmehr entscheidende und eigentliche Lösung in der Gewißheit des Wortes erst folgt: in der Verzweiflung, in hac misera suae conscientiae confusione hat der Glaube nun das Wort, das ihm die Gnade
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gewiß macht 6 0 . Dieses Wort hatte er in der frühen Theologie der Römerbriefvorlesung noch nicht. Den hier schlechterdings entscheidenden Satz: Donee autem nobis incerta est, nec remissio quidem est, dum nondum nobis remissio est (I, 541, 22 f.), d.h. erst die gewisse und gewußte Gnade ist wirkliche Gnade 8 1 , konnte Luther früher noch nicht sagen. Doch nun, nach der Entdeckung des Wortes und mit ihm des gewissen Glaubens ist die Forderung der Gewißheit zureichender Ausdruck aller wesentlichen theologischen Aussagen. Die Verneinung der Gewißheit, die der scholastischen Theologie eigen ist, wird nun eine Zerstörung (funditus extinguunt) des sacramentum baptismi genannt, in quo stat prima gloria conscientiae nostrae, und eine Verleugnung der promissio divina baptisato f a c t a (WA V I , 529, 36 ff. 13 ff.). Führt man sich angesichts solcher Gedanken noch einmal einen Satz wie diesen vor Augen: Q u a r e non sufficit, quod sis baptizatus et a peccatis absolutus, . . . sed per tribulationes illud accipiendum est (WA III, 299, 31 f.), so ermißt man die ganze Weite der Entwicklung. Aus dieser Entwicklung ist dann im Laufe der Jahre eine Reihe bezeichnender und wesentlicher Umformulierungen hervorgegangen. So heißt es von nun an, man solle die Anfechtungen meiden und das K r e u z nicht suchen (E. Vogelsang, Der angefochtene Christus bei Luther 1932 S. 9). War die Prädestinationsanfechtung früher, weil sie dem Leiden Christi gleichförmig machte, ein Zeichen der Erwählung, so wird sie jetzt in den Operationes ohne Einschränkung auf den Teufel zurückgeführt, Luther verbietet die 6 0 Was in der frühen Theologie den ganzen Gedankenkreis ausmachte (vgl. W A I V , 113, 25 f. sicut omnia nostra a confessione inceperunt, ita in confessione terminentur), ist hier zum bloßen A n f a n g geworden, weil eine wesentliche E r g ä n z u n g hinzutritt: über confessio und humilitas hinaus, die im Sinne der frühen Theologie schon den ganzen rechtfertigenden Glauben ausmachten, ist nun der neue gewisse Glaμbe aus dem Wort hinzugekommen. D a r u m ist die G n a d e des Gerichts, die in der frühen Theologie als iudicium das evangelium w a r , hier nur erst prima gratia (WA I, 5 4 2 , 1 0 f.). Was in der Römerbriefvorlesung stehender Ausdrude für den Glauben des Christen w a r , das gemere (vgl. K a p i t e l I I I A n m . 7), das ist hier zu einer der gewissen Rechtfertigung nur erst vorausgehenden Ungewißheit in conturbatione geworden ( 1 , 5 4 0 , 1 8 ) und zur prope-desperatio ( 1 , 5 4 0 , 3 1 ; 5 5 8 , 3 4 — 4 0 ; 6 6 1 , 2 7 ; 6 6 4 , 7 ) . Was früher Zustand der G n a d e w a r : prope-desperatio und das esse propinquus gratiae, gehört hier zu dem den Menschen vernichtenden A n f a n g . Deswegen mußte früher, wenn von Gewißheit gesprochen wurde, auf signa hingewiesen werden. J e t z t aber werden diese Zeichen abgelehnt (WA II, 688, 8 f.): der Mensch tröstet sich nicht mehr seiner Angst im Blick auf Christus, an dem er als dem exemplar die Angst als Zeichen der G n a d e erkennt, sondern der G l a u b e tröstet sich des Wortes, er ist selber das Zeichen: N u l l u m nosse signum est optimum signum, sed sola fide et spe niti. Fides enim ostendit nobis bona et est bonum signum super nos ( W A V, 117, 36 fi.). Oder aber — und dieser Gebrauch hat sich mit der frühen Sakramentsdefinition Luthers verbunden — die S a k r a mente sind „Zeichen" der G n a d e : Porro ut huic nostrae redemption! nihil usque quaque deesset, destinavit pientissimus Christus, ut signa quoque veri huius aeternique testamenti visibilia exhiberentur, quibus fidutiam... (folgt über absolutio, eucharistia, baptismus W A I V , 6 3 2 , 2 5 — 3 3 ) . Ü b e r den Trost der Sakramente vgl. A n m . 13a. 8 1 Unbegreiflich ist angesichts dieser Aussagen, wie Bizer (Fides ex auditu S . 145) sagen kann, die heimliche Vergebung sei hier die eigentliche!
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vorwitzige Bekümmernis um sie (G. Rost, Luth. Rundblick 1963 S. 9 Anm. 33, Verweis auf WA V, 172, 3 ff.) und lenkt von ihr mit dem Hinweis auf die Gebote des Glaubens und der Liebe ab: laß indessen die Gnadenwahl dahinten (WA 10 III, 108,12 ff.; 112,1 ff.). War früher die resignatio als Zeichen der Gewißheit gefordert und wurde so der Prädestinationszweifel gelöst, wurde daher audi die resignatio den meisten zugemutet (WA LVI, 391,19), so meint Luther nun, der höchste Grad dieser Anfechtung komme nur selten vor, und verwirft die resignatio (TR Nr. 403.5070.5296. 5375ο)e2. Die Notwendigkeit von tribulationes und passiones wird weiterhin behauptet, doch nicht mehr im Gewißheitsproblem (WAV, 108, 39 f.; 176 f.). Hierher gehört auch die terminologische Verschiebung im Gebrauch der Begriffe tribulatio und tentatio, die Frey und Bühler übereinstimmend beobachten: tribulatio komme beim jungen Luther viel häufiger vor als der ihm später so geläufige Begriff tenatio; das Jahr 1519 stelle den „entscheidenden Umschwung" in der Geschichte des Begriffs dar, tentatio werde nun in den Operationes, obwohl der Begriff tribulatio nicht verschwinde, zum eigentlichen Stich wort: die tentatio wolle aus dem Glauben reißen, setzt also eine feste Gewißheit voraus, die früher nicht gegeben war (F. Frey, Luthers Glaubensbegriff 1939 S. 23 und P. Bühler, Die Anfechtung bei Martin Luther 1942 S. 80 f. 82. 84. 85 f. 86—88). Hatte Luther früher gesagt: Quilibet sibi formet et faciat maximam tribulationem (WA III, 428, 33 f.), und: Diligenter obsecro intende et affectum taliter pereuntium tibi forma et indue (III, 431,19 f.), und: Quandocunque non es sie affectus, sicut iam inferno ardens et damnatus, vel ut iam moriens, non poteris . . . Quia quando non es in inferno vel morte, confidenter potes timere iram dei et nondum sperare eius misericordiam (III, 433, 24 ff.) — hatte Luther zu diesem allem aufgefordert, weil nur in diesem contrarium die Gnade zu finden sei, so lautet der Rat jetzt genau umgekehrt: Tod und Hölle gar nicht anzuschauen, weil man ihnen nur unterliege, sondern „den tod yn dem leben, die sund yn der gnadenn, die hell ym hymmell ansehen", d. h. „den todt nit yn yhm selbs, noch yn dir odder deyner natur, noch yn denen, die durch gottis zorn getodtet seyn, die der todt ubir wunden hatt, ansehen odder betrachten . . . , Sondern deyn äugen, deyns hertzen gedanken unnd alle deyne syn gewaltiglich keren von dem selben bild, und den todt starck und emsig ansehen nur yn denen, die yn gottis gnaden gestorben und den todt ubir wunden haben, furnemlich yn Christo . . . " (WA II, 688 f.). Also hier soll man Tod und Hölle nicht mehr suchen, sondern „sie fallen lassen unnd nichts mit yhn handeln" (II, 688, 36), und das geschieht auf die besagte Weise, indem man sie 6! Vgl. R. Schäfer in ZThK 1966 S. 375 mit Verweis auf Vogelsang, Der angefoditene Christus S. 83 ff.; in diesem Sinne wohl, als selten, kann Luther die resignatio gelegentlich noch bejahen (z.B. WA 10 III, 345,12). Zur Ablehnung der resignatio vgl. noch Kapitel III Anm. 6.
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nur im Leben und in Christus anschaut — eine Illustration zur Verschiebung in der Christologie. Dies alles zeigt einen Wandel und wahrlich nicht nur eine Akzentverschiebung an. Aber auch dies Neue macht man sich nur richtig klar, wenn man bedenkt, wie groß jene erste Erkenntnis in der Frühtheologie schon war, die hier nun wieder einschneidend verändert wird. Den instruktivsten Vergleichspunkt im Hinblick auf die Rechtfertigungslehre der Römerbriefvorlesung bietet, wie gezeigt, die VII. Conclusio der Resolutionen, sofern die Grundlagen jener frühen Theologie seit den ersten Römerbriefkapiteln über die späteren Kapitel bis 1516/17 erhalten bleiben und nun endlich ihre entscheidende Ergänzung finden, welche seit jener Scholie zu Hb 5,1 möglich ist. Diese Verwandlung geschah durch die Entdeckung des zusagenden Worts im Bußsakrament, veranlaßt durch die im Ablaßstreit entstehende Problematik. Das wörtliche und offenbare Wort ist der absconsio entnommen. Es ist nicht mehr nur Lehre von Gnade und Heil unter Zorn und Tod und als solches unicum solatium in tentationibus, die Lehre vom Trost in abscondito. Schon in den Dictata beschrieb Luther den Glauben mit dem Satz: Tantum habes quantum credis (WA III, 180, 26), aber erst seit dem Ablaßstreit, seit jener Scholie zu Hb 5, 1 und der Entdeckung von Mt 16,19, kann es heißen: Tantum enim habebis pacis, quantum credideris verbo promittentis: quodcunque solveris etc. (WA I, 541, 7 f.). Erst jetzt kann das Wort ausschließlich als Wort der Verheißung bezeichnet werden: Neque enim d e u s . . . aliter cum hominibus unquam egit aut agit quam verbo promissionis (WA VI, 516, 30 f.). Damit wird — das ist nun abschließend darzulegen — eine ganz neue, scharfe und reine Unterscheidung von Gesetz und Evangelium vollzogen. Das Wort, dem der Glaube die Zusage und gnädige Aufforderung „Venite ad me omnes" glaubt, kann nicht mehr evangelium als iudicium sein, denn es ist nicht mehr evangelium impletum et opere perfectum, sondern reines zusagendes Wort und darum reines Evangelium, das vom Gesetz genau unterschieden ist. Dieser wörtlich zusagende Sinn zwingt jeden gesetzlichen Sinn aus dem Wort des Evangeliums hinaus, weil es für den Glaubenden, der seiner Buße nidit trauen kann, das unzweideutig in seiner wörtlichen Verheißung wahre, ihn von sich und seiner ungenügenden Buße entlastendes Wort ist. Wie der Glaube an dieses reine Wort des Evangeliums von der mit Recht im Gesetz geforderten Buße scharf unterschieden und gegen diese gestellt wird, so muß auch das Evangelium, um die Gewißheit des Glaubens, auf die jetzt alles ankommt, zu ermöglichen, vom Gesetz unterschieden, aus der früheren Einheit mit ihm ausgeschieden werden. Durch den aus dem Bußsakrament geforderten neuen Begriif von Glaube und Wort ist die Unterscheidung des Evangeliums vom Gesetz veranlaßt und begründet. Dabei ist es für die Entstehung dieser Unterscheidung (die Luther begrifflich aus Paulus und Augustin natürlich längst bekannt war) aufsdilußreich, 13·
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und es erhellt den später von Luther wiederholten Gedanken, die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium sei keine bloße Lehre, sondern eine im Leben zu lernende und zu übende Kunst — daß sie nicht als Lehre, sondern aus der Frage nach Gewißheit und Gnade am Bußsakrament entstanden ist. Die unendliche Buße und Demut ist weiterhin unabdingbar gefordert, aber von ihr wird der Glaube scharf unterschieden, der — quicquid sit de tua contritione — dem Evangelium glaubt und sich nicht auf die teuflische Frage des Gesetzes einläßt, ob er digne confessus sei®3. Von hier aus, von jetzt an wird das Evangelium als rein schenkendes Wort vom Gesetz unterschieden, welches aus der Einheit mit dem Evangelium ausgeschieden und in seinem rein fordernden Sinn erschlossen wird. Somit vollzieht sich hier der Wandel von spiritus/litera, was die Einheit von Gesetz und Evangelium voraussetzt (im Sinne von: iudicium id est evangelium) und beide von litera unterschieden sein läßt, zum Schema Gesetz/Evangelium; über die Umbildung des augustinischen Schemas im Galaterkommentar 1519 vgl. K. Bornkamm, Luthers Auslegung des Galaterbriefes von 1519 und 1531 (1963) S. 38—44. Dabei ist ebenso wichtig, daß mit diesem Wandel doch das mit dem Schema spiritus/litera bezeichnete Sachproblem durchaus nicht verschwindet: wie der Mensch nämlich aus dem Unglauben (esse in litera) zur Erfahrung des geistlichen Wortes, d.h. zunächst des Gesetzes, kommt; WA VII, 656, 28 f. zeigt den fortbestehenden Problemzusammenhang beider Schemata gut: der Mensch müsse das Gesetz hören und sich den Buchstaben töten lassen, d.h. durch die Erfahrung des Gesetzes wird der Buchstabe, das esse in litera, überwunden. — Als Hilfsformulierung im Problem der Schriftauslegung wird das Schema spiritus/ litera nodi im antirömischen, dann im antischwärmerischen Sinn verwendet, um dann zurückzutreten (nach G. Ebeling RGG 3 II Sp. 1294)64. Man muß dies alles wohl eine einschneidende Veränderung in der Auffassung der frühen theologia crucis nennen, obwohl Luther diesen Ausdruck erst jetzt, im Frühjahr 1518, geprägt hat 65 . Gerettet wird nur der Demütige 83
Vgl. W A I, 323, 23 ff.; 542, 30 ff.; 594, 37 ff.; W A IV, 658, 28 ff. ®4 Audi bisher ist gelegentlich schon beachtet worden, daß in der Zeit der Hebräervorlesung eine neue Phase für das Verständnis von Gesetz und Evangelium beginnt (H. Bornkamm ARG 1962 S. 29: Luther habe gelernt, die Antithese von Gesetz und Evangelium viel reicher auszusprechen und schärfer zu akzentuieren). Man muß audi hier wieder fragen, was am Hebräerbrief Luther zu einer neuen Erfassung von Glaube und von Gesetz/ Evangelium hätte bringen können, wenn nicht schon der Galaterbrief, dessen Thema diese Begriffe sind, es tat. Es ist also nicht der Hebräerbrief, sondern ein ihm gleichzeitiges äußeres Ereignis, das diese Wandlungen hervorrief — wie gezeigt. — Genaueres über den durch die Unterscheidung vom Evangelium veränderten Gesetzesbegriff vgl. Kapitel V. «5 Hebr 79, 20; W A I, 290, 39 f.; 354, 21 f. 28; 362, 21 f.; 363,26; 613, 22 f.; 6 1 4 , 2 2 f f . ; WA V, 300,1, vgl. 176, 32, vgl. E. Vogelsang, Der angefochtene Christus bei Luther S. 20 A n m . 6 5 . Zur Vorgeschichte vgl. WA III, 646, 20; IV, 87, 36 f.; 174,19 f.; WA LVI, 371, 26 f. und Unbekannte Fragmente, ed. Vogelsang S. 31, 3; 3 8 , 1 0 f.; 48, 10; 6 6 , 1 ; 77, 23.
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und Zunichtegewordene; aber nicht schon in der Tiefe seiner erkannten und anerkannten Sünde ist er gerechtfertigt (weil Gott ihm etwa diesen demütigen Glauben, ohne daß er es wüßte und gewiß wäre, zur Gerechtigkeit rechnete — so früher), sondern erst wenn er dem Wort der Gnade glaubt und es festhält: Donee autem nobis incerta est, nec remissio quidem est, dum nondum nobis remissio est. Es sind zwei Worte geworden, Gesetz und Evangelium, die Gott beide als seinen Heilswillen in seinem einen Wort ausspricht. Es ist nicht mehr das eine evangelium impletum als iudicium, das schon Gnade ist, sofern es demütigt und so den Menschen vor Gott hinzwingt; so bleibt die Rechtfertigung ungewiß, sie wird nicht Wirklichkeit und Gegenwart für den Glaubenden. Vielmehr offenbart jetzt das vernichtende Gesetz seinen gnädigen Sinn im zweiten Wort, dem Evangelium; dieses macht gewiß, was es zuvor in der Einheit nicht konnte. Darum kann Luther jetzt einen Satz sprechen, der früher undenkbar war: solange du dir deine Armut in die Augen bildest, kannst Du nicht glauben (WA 10 III, 424, 30 f.). In dieser einschneidenden Umprägung hatte Luther doch nichts aufzugeben. Das in der frühen theologia crucis beschriebene Verhältnis Gottes zur Welt sub specie contraria ist das stärkste diakritische Element in seiner Theologie geblieben, gegenüber der scholastischen Theologie (darum in der Zeit des Kampfes stark hervorgehoben und betont — Resolutiones WA I, 557, Heidelberger Disputation und Operationes zu Ps. 4. 5. 22) und gegenüber den Schwärmern ββ . Darum wird die theologia crucis seit dem gleichnamigen Buch von W. v. Loewenich (vgl. dort S. 7 f. 54. 227) mit Recht nicht nur als Frühgestalt, sondern als Grunderkenntnis und bleibendes Element von Luthers Theologie überhaupt bezeichnet®7. Aber die Frühgestalt 66 Vgl. den Rat Luthers an Melanchthon, die Zwickauer Propheten zu erkennen, WABr II, 425, 22 ff. Die Höllenfahrt (basanos) ist unicus diristianorum et certus spirituum discretor (Z. 26 f.). N o n sic loquitur Maiestas (ut vocant) i m m e d i a t e . . . Ideo enim per homines loquitur, quod loquentem ipsum ferre omnes non possumus. N a m et virginem turbavit angelus . . . Et quid plura? Quasi maiestas possit cum vetere homine loqui familiariter, et non prius occidere atque exsiccare (Z. 30 ff.). Ebenso vermißt Luther bei Karlstadt, Münzer, Zwingli die tentatio (E. Wolf, Staupitz und Luther 1927 S. 164 f.). 67 W. v. Loewenich betont, daß die theologia crucis in der Frühzeit am stärksten ausgeprägt sei (S. 10 Anm. 4), daß das Verhältnis von Offenbarung und Verborgenheit Gottes sich zwischen Frühzeit und späteren Jahren (De servo arbitrio) wandle, nämlich früh simultan und später sukzessiv sei (S. 22. 31. 35. 37. 40 f., wörtlich gleich O. Ritsehl, D G des Prot. 11,1 S. 87); im Nachwort einer Neuausgabe (1954 4 ) und in einem Forsdiungsberidit (in „Theologie und Liturgie" 1952 S. 161) hat v. Loewenich die Unterscheidung von deus absconditus und revelatus noch verschärft und seine eigene frühere Darstellung als zu harmonistisdi korrigiert. Für den Fides-Begriff gesteht v. Loewenich eine ähnliche Verschiebung zu (vgl. oben Anm. 11), hat aber hierbei stärker als beim absconditas-Begriff vor der Annahme eines Gegensatzes warnen wollen. Doch treten in v. Loewenichs Darstellung die Unterschiede der einzelnen Phasen betonter hervor als in der systematisch angelegten Studie von H. Bandt, der ausdrücklich keine Entwicklung, keine Änderung, nur Erweiterung der ursprünglichen Lehre annehmen will, obwohl er die besagten Unterschiede an-
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hat eine einschneidende Veränderung in der das Gesamtgefüge umstrukturierenden Ergänzung erfahren, welche uns die VII. Conclusio der Resolutionen anzeigte: zur theologica crucis tritt das offenbare Wort, welches die Gewißheit in confusione begründet. Erst hier ist die ungewisse Unruhe der frühen Theologie zu ihrer endgültigen Gestalt überwunden. 3. Die bisher dargelegte und für den Herbst/Winter 1517/18 angenommene Wendung in Luthers Begriff von Glaube und Wort erfährt nun aus einem Gedankenkreis, der in der Forschung bisher ganz unabhängig von unserem Problem behandelt wurde, eine genaue Bestätigung. Sie kommt aus der Entwicklung von Luthers Hermeneutik. Nach G. Ebeling (ZThK 1951 S. 176.178) wurde Luthers Hermeneutik in den Jahren 1516—1519 ausgebildet und in gewissem Sinne abgeschlossen, sofern im Galater-Kommentar 1519 erstmals der vierfache Schriftsinn radikal preisgegeben ist. Liest man die nähere Begründung in G. Ebelings „Evangelischer Evangelienauslegung" (1942) nach, so erfährt man, daß seit der Römerbriefvorlesung 68 erkennt (Luthers Lehre vom verborgenen Gott 1958 S. 21 f. 24. 83 u. ö.). Nach unseren Ergebnissen aber hat die absconditas seit Begründung der Gewißheit und deren Unterscheidung von der ungewissen praedestinatio/absconditas (vgl. zu Eccl. 9,1) eine wesentliche Veränderung erfahren. Weil es früh eine wirkliche Gewißheit des Heils nicht gab, konnten absconditas und revelado (im Christus exemplar) identisch sein (vgl. die Bemerkung von E. Metzke Kapitel III Anm. 15). Die darum in der Römerbriefvorlesung noch mögliche Lösung des Problems der praedestinatio durch die resignatio (WA LVI, 391, 12 ff. Veruntamen sicut seipsos ita pure conformant voluntad dei, sic est impossibile, ut in inferno m a n e a n t . . . ergo . . . ergo salvus) gibt es später nicht mehr, weil das Heil, wenn überhaupt, in Gewißheit und nicht mehr in der Hölle besteht; das Heil wird jetzt, wie die Rechtfertigungsgewißheit, von der Prädestinations«ngewißheit und vom Unheil unterschieden. Es gibt nun die Unterscheidung: Gott in seinem Wort, bei dem er behaftet werden will, und der deus ipse, deus nudus bzw. absconditus (WA XVIII, 685ff.; 40 II, 329,9ff.; 386, 11 ff.). Gewißheit und Heil sind von dem bleibend drohenden und ungewissen Geheimnis Gottes unterschieden. Die Betonung der Verborgenheit Gottes wird darum in De servo arbitrio nur im Rahmen der betonten Unterscheidung von deus praedicatus und deus absconditus vollzogen. N u r innerhalb dieser Unterscheidung, die es in der Frühzeit nicht gab und die darum den späteren vom jungen Luther seit 1517/18 unterscheidet, vollziehen sich alle weiteren Akzentverschiebungen des alternden Luther (Genesisvorlesung u. a.); seine späte Warnung vor dem deus absconditus setzt diese Unterscheidung voraus und betont die Gewißheit aus dem Wort. ,e Dem geht ein innerer Zerbrach der traditionellen Hermeneutik durch prinzipielle Überlegungen in den Dictata voran (ZThK 1951 S. 230). Auch in Luthers eigenem Bewußtsein ist die Römervorlesung hinsichtlich der Hermeneutik ein Einschnitt (Tr N r . 335 Post per epistolam ad Romanos veni ad cognitionem aliquam Christi. Ibi videbam allegorias non esse, quid Christus significaret, sed quid Christus esset. Antea allegorisabam etiam cloacam et omnia . . . vgl. Römerbriefvorlesung 291,1 ff.; 43, 3.17 f.; 336 ff.; 406 ff.; 414,19, doch schon WA III, 368, 391. 553 und IV, 13. 58), vgl. J. Hilburg, Luther und das Wort Gottes in seiner Exegese und Theologie, Diss, theol. Marburg 1948 S. 91. 95 mit Anm. 1, daß die Vereinigung der drei geistlichen Sinne in einen ab 1516 fortschreite.
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Luthers Verhältnis zum vierfachen Schriftsinn im Wandel begriffen ist, daß aber dieser in der Galater-Vorlesung 1516/17 (bei Gl 4, 24), trotz prinzipieller Umdeutung, doch noch eine beschränkte Rolle spieltM. Dagegen zeigt die nach der Hebräerbriefvorlesung liegende Druckfassung des Galaterkommentars 1519 (und erst recht dann die folgenden Operationes) eine vollständige Verwerfung des vierfachen Schriftsinnes. Entscheidend für unseren Zusammenhang ist die Begründung: der vierfache Sdiriftsinn sei ein Spiel, scripturas pro libidine lacerare et incertas(!) facere (WA II, 550, 29 f.). Sobald Glaube und Gewißheit der Rechtfertigung von der Gewißheit des Wortes abhängen, muß dies Wort jenseits jeder Willkür und Unsicherheit wörtlich begriffen werden70. Ohne Folgen ist dabei die konservative Geste Luthers zum vierfachen Schriftsinn hin (etsi non reprobem II, 550, 34) in eben dem Satz, der mit allen zur Verfügung stehenden Gründen die Unmöglichkeit der traditionellen Hermeneutik ausspricht; schon vorher hatte Luther tropologia, allegoria, anagogia aut cuiuscunque tandem mysterii doctrina zur lex literae gerechnet (II, 499, 34 f.). Die Ablehnung des vierfachen Sinnes wird zunächst mit Berufung auf Apostel und Väter begründet, die jene vierfache Unterscheidung, zumal die die Anagoge überhaupt nicht kennen; hierin sind sich noch Vorlesung (WA 57 Gal 96, 6 ff.) Ähnlich urteilt K. Bauer, daß in der Römerbriefvorlesung die Allegorie wesentlich zurücktrete und im Prinzip aufgegeben sei; den grundsätzlichen Wandel erkennt audi Bauer erst in den Operationes (Die Wittenberger Universitätstheologie 1928 S. 23.147). Über die Lösung dieses Zwiespalts s. weiter im Text. " G. Ebeling, Evangelische Evangelienauslegung 1942 S. 283. — Mit Recht verwendet Ebeling die Nachschrift der Gal.Vorlesung als volle Quelle. Denn es ist unmöglich, diese als blo£ studentische Nachschrift abzuqualifizieren, wie es oft geschieht (vgl. Holl III S. 134; R. Prenter, Der barmherzige Richter 1961 S. 47 Anm.; A. Kurz, Die Heilsgewißheit bei Luther 1933 S. 186). Die Nachschriften gehen bekanntlich auf ausdrücklich zum Nadischreiben berechnetes, langsames und wörtliches Diktat zurück. Die für Nachschriften doch ganz ungewöhnliche Übereinstimmung bei Römer- und Hebräerbriefvorlesung (die Glosse des Gal nun audi doppelt, ZKG 66, 1954/55 S. 72 ff.), deren Differenzen sich in einem relativ schmalen kritischen Apparat erfassen lassen, zeigt die Zuverlässigkeit deutlich. Was die Nachschrift festhält, ist zwar kurz, doch authentisch Luthers Meinung bis in die Formulierung hinein und genau das, was Luther festgehalten wissen wollte (abzüglich akustischer Unsicherheit beim Diktat). 70 G. Ebeling, Evang. Evangelienauslegung S. 390: „Von der Schrift her und nicht von uns her [vgl. jene Hebr-Scholie: Non enim testimonium conscientiae eiusmodi... quod nobis ex nobis est (hoc enim Pelagianum est) . . . sed quod conscientia nostra accipit Hebr 169,20 ff.] bekommt das Verstehen in der Einheit von Gewissen und Schrift, statt ein bloßes Meinen zu sein, den Charakter der Gewißheit, welche notwendig zum rechten Verstehen gehört". 71 Vgl. J. Hilberg, Luther und das Wort Gottes S. 6.92 f. 95. G. Ebeling, Evang. Evangelienauslegung S. 382: „Verstehen durch Glauben ist ebenfalls keineswegs ein wissenschaftlicher Kontrolle entzogenes, nur dem Charisma des Einzelnen gelingendes pneumatisches Eindringen in die verschlossenen Geheimnisse der Schrift", vgl. ebd. S. 427 oben. Es wurde schon bemerkt, daß audi nach K. Bauer (Die Wittenberger Universitätstheologie S. 147) der entscheidende hermeneutisdie Wandel in den Operationes vollzogen ist.
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und Kommentar einig (WA I I , 551, 4 ff.)· Dodi dann tritt im Druck 1519 zu diesem noch ein neues und, wie mir scheint, aufschlußreiches Argument: (der vierfache Sinn) nec grammatica satis ratione iuvatur (II, 550, 35). Die Schrift ist wörtlich nach grammatischen Regeln auszulegen, und ihr wörtlicher (literaler) Sinn ist in sich schon der geistliche; so wird in den Operationes der richtige grammatische Sinn schon der theologische: Sed primo grammatica videamus, verum ea theologica ( W A V , 27, 8; vgl. 656, 37 f.) 7 1 . Jene Stelle im Galater-Kommentar 1519 (WA I I , 550, 35) ist meines Wissens die erste, an der Luther das geistliche Schriftverständnis mit der Forderung grammatischer Auslegung in Verbindung bringt und mit ihr begründet 7 2 . Schriftauslegung darf nicht ludus . . . pro libidine sein, sondern muß den Sinn der sicher und wörtlich sagenden Schrift ergreifen, wie Luther es 1525 ausdrückt: (sensus literalis) qui solus tota est fidei et theologiae diristianae substantia, qui in tribulatione et tentatione solus subsistit . . . Allegoria (d. h. hier der geistliche Sinn allgemein) vero sapiens ab humana coniectura et opinione, cui siquis innitatur, báculo arundineo innitetur 73 . Deswegen ist der seit Augustins De doctrina Christiana allgemein geltende Satz, daß im Streit nur der wörtliche Sinn der Schrift gelte, hier in einem umfassenderen und nun erst ausschließlichen Sinn aufgenommen, der wörtliche Sinn pro stabilienda fidei doctrina (WA I I , 550, 33 f.) ist die unzweifelhafte (Drohung und) Zusage; nur dies ist Lehre der Schrift 74 . So nah die Galater-Vorlesung 1516/17 in der Tendenz dem Druck von 1519 ist, entscheidend ist die auch gegenüber der Vorlesung abschließende Schärfe in der Preisgabe des vierfachen Schriftsinnes 75 und ihre Motivierung im Kommentar von 1519. Deutlich wird der Bruch auch am Gebrauch des Begriffs „mystisch". In der Römerbriefvorlesung wird mysticum positiv und etwa sinngleich mit spirituale gebraucht ( W A L V I , 58, 4; 3 2 6 , 1 4 ; 6 0 , 5 ; 7 2 Es ist eine ganz andere Frage, daß Luther schon seit den Dictata in der Beobachtung des biblischen Sprachgebrauchs etwas Ähnliches tut (vgl. E . Hirsch, Kaftanfestsdirift 1920 S. 161 Anm. 2). E r tut dies m. E . in der Hebräerbriefvorlesung in keinem neuen Sinne, etwa erst durch die Methode der Humanisten veranlaßt (wie Vogelsang andeutet, Die Bedeutung der neuveröffentlichten Hebr.-Vorlesung S. 7 — 1 0 , vgl. G. Ebeling Z T h K 1951 S. 176). Eine andere Frage ist, welchem Einfluß und Motiv die von früh an geübte Sprachbeobachtung Luthers entstammt: man könnte an Erfurter Humanisten denken (vgl. jetzt E. Kleineidam in Jedinfestsdirift I S. 146 f. 148); Crotus scheint Luther immerhin gut gekannt zu haben (vgl. das Urteil in Hutteni opera ed. Böcking I p. 339). Man kann sidi aber audi an Staupitz' R a t erinnern, Luther solle ein guter textualis und localis werden (Seckendorf I, 8, zit. bei Köstlin, Luthers Theologie 2 S. 22), und auch Biel forderte, man solle in wesentlichen Fragen den modus loquendi der Schrift und der Heiligen nachahmen (L. Grane, Contra Gabrielem 1962 S. 65).
W A X I V , 560, 14 ff., zit. bei Holl I S. 551 Anm. 3. Schriftauslegung ist deswegen nicht (wie G. Ebeling, Evgl. Evangelienauslegung S. 288 treffend Luthers Ablehnung der alexandrinischen Hermeneutik interpretiert) ein Akt des Menschen, der „hinter" die Schrift kommen will, sondern ein Akt der Schrift, die „vor den Menschen tritt" — genauso begegnet das zusprechende Wort dem Menschen in confusione. 7 5 G. Ebeling, Evang. Evgl.auslegung S. 285. 289. 73 74
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65, 4, vgl. WA 1,101,16). Ebenso sind in der Galatervorlesung mysticum seu spirituale nodi identisch (WA 57 Gal 96, 5). An der entsprechenden Stelle im Kommentar von 1519 wird mysticum aber gegen spirituale gestellt, als abgelehnter Begriff im Munde der Gegner (WA II, 551, 18. 23. 31, vgl. 499, 35 f.). Hiernach fällt der Bruch zwischen Vorlesung und Druck. In den Dekalogpredigten, erschienen Juli 1518, ist er aber bereits geschehen : Aliud enim est mysticum et aliud spirituale (WA I, 461, 25 ff.). Fragt man sich nun, worin die abschließende und radikale Verwerfung des vierfachen Schriftsinnes in Galaterkommentar und Operationes begründet sei 76 , nachdem doch schon Römer- und Galatervorlesung die prinzipielle Umdeutung zeigen, so läßt sich die Antwort, erst Galaterkommentar und Operationes bestimmen den wörtlichen Sinn der Schrift als den einzig erlaubten und ihn schon als den geistlichen, nunmehr noch näher präzisieren, mit Hilfe der aus der Scholie zu H b 5 , 1 gewonnenen Ergebnisse und der Beobachtungen zum frühen Wortverständnis Luthers (Kapitel III). Der paulinische Text veranlaßt Luther zwar seit 1515 zum faktischen Verzicht auf Allegorie, dodi die Konzentration auf den einen geistlichen Sinn (gegen den vierfachen Sinn) geschieht noch mit Hilfe des augustinisdien Schemas spritus/litera (WA LVI, 336 f. und 57 Gal 96, 15 if.) und verläßt somit das vorausgesetzte, korrespondierende Schema verbum internum/externum noch nicht. Dies geschieht erst, als Luther die Gewißheit der Sakramentswürdigkeit auf das Wort stützt (praesumptione igitur istorum v e r b o r u m . . . ) und in dem gewissen Glauben das Wort neu und wörtlich nimmt. Es ist als litera nicht mehr bloßes, totes, beschreibendes Wort (solum verbum, doctrinaliter et ostensive) im Gegensatz zum evangelium impletum et opere perfectum (WA III, 463, 18 ff. 28), sondern wörtliches gültiges, zusagendes Wort. Schon als dieses wörtliche Wort ist es nun das geistliche (WA V, 27. 656 und VII, 650 f.) und kann darum, weil es als geistliches nur sagendes, wörtliches Wort sein muß, nicht mehr evangelium impletum (im Gegensatz zum „bloßen" verbum) sein. Darum ist es auch nicht mehr eins mit dem Gesetz; denn als vollzogenes Evangelium (impletum et opere perfectum) konnte und mußte es zweideutig sein, als Gnade wie Gericht aussehen. Als Wort muß es nunmehr eindeutig werden und sich in seine zwei Sinne als Evangelium und Gesetz unterscheiden. Erst hier, im Wandel der Hermeneutik und in der aus der Worthaftigkeit, dem neuen „Wort"Verständnis folgenden Unterscheidung von Evangelium und Gesetz, ist der endgültige Begriff von Glaube und Verheißung möglich, den es in den Dictata und der Römerbriefvorlesung aufgrund des dort vorausgesetzten „Wort"Verständnisses noch nicht geben konnte. Mit der Römerbriefvorlesung setzt also gegenüber den Dictata kein prinzipieller Wandel ein. Die Vernachlässigung 76 W. Maurer zeigt, aus welchen Gründen die Kritik des Hieronymus und Orígenes, den Repräsentanten der nun abgelehnten Tradition, nicht schon jetzt, sondern erst in der Wartburgzeit zum Absdiluß kommt (Melandithon-Studien 1964 S. 72 f.).
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des vierfachen Schriftsinnes und die Reflexion darauf ist, durdi den Paulustext veranlaßt, neu, aber die entscheidende Konzentration auf den einen geistlichen Sinn (spiritus gegen litera) hält die Grundlagen der Dictata fest und bringt im Vergleich mit dem Wandel von 1517/18 noch nichts Neues (wenngleich auch die nicht prinzipielle Veränderung gegenüber den Dictata als Phase der Vorbereitung und des Ubergangs nicht ohne Bedeutung ist, vgl. Kapitel VI). Grundsätzlich und eindeutig wird der Wandel in der Hermeneutik erst seit dem in der unscheinbaren Scholie zu Hb 5 , 1 angezeigten Vorgang , seit in dem einen, schon bisher behaupteten geistlichen Sinn das Wortverständnis neu und dem wörtlichen, geistlichen Wortsinn das Schema des vierfachen Wortsinnes zur Willkür wird. Im Verständnis und Verhältnis von Wort und Geist liegt das Neue im Galater-Kommentar von 1519 und den Operationes, liegt die abschließende Wandlung der Hermeneutik Luthers77. Daß Luther Gewißheit begründen und das „Wort" beim Worte nehmen mußte, das brachte die Wendung hervor. Seither gibt es die Forderung, der Christ müsse feste und gewisse Sprüche haben, an die er sich gegen alle Anfechtung halten kann. Diese Forderung der Gewißheit ist es, die die neue Hermeneutik hervorgebracht hat. Damit wird auch das Theologoumenon vom „inneren Wort", das innerhalb des frühen Wortverständnisses bei Luther noch möglich war (vgl. Kapitel III), ausgeschieden. Luther unterzieht es einer grundsätzlichen Kritik 78 . 77 Die Übereinstimmung von K. Bauer und G. Ebeling wurde schon erwähnt; ähnlich Hamel I S. 40 Anm. 2. Auch H . Bornkamm bestätigt dieses Ergebnis, indem er zeigt, daß Luther seit 1518 die Klarheit der Schrift verteidigt (doch nach Bornkamm nicht, weil er dies erst jetzt erkenne, sondern weil ihm erst jetzt das Problem entstehe, Das Wort Gottes bei Luther 1933 S. 24). — Nadidem um der Gewißheit willen die jeder Willkür entzogene Wörtlidikeit und Gültigkeit des „Wortes" entdeckt ist (WA V, 295,4 simplex verbi praedicatio, WA VII, 650 f. Verteidigung des wörtlidien Sinnes, WA 10 1,1,169, 3 der einfältige Sinn der Schrift), weitet sich die Reflexion auf das Problem der „Schrift". Widitig wird dabei besonders die Leipziger Disputation (Holl I S. 545.552, E. Wolf EKL II Sp. 1170, J. Hilburg, Luther und das Wort Gottes S. 93), vgl. aber schon WA I, 647, 22 ff.; das „sola scriptura" steht zuerst in der assertio omnium articulorum WA VII, 96 f. (daß Karlstadt und Melandithon sich schon früher prinzipiell äußern, bleibe hier außer acht); die neue Hermeneutik drückt sich bald in Ablehnung der päpstlichen und kirchlichen Herrschaft über die Bibel und in der Überantwortung der Sdirift an den Laien aus (K. Bauer, Die Wittenberger Universitätstheologie S. 28 f.). — Die Verschiebungen von 1522 (R. Prenter, vgl. LuJ 1958 S. 55) und 1525 (R. Seeberg D G IV, 1 S. 380 f., zu E. Seeberg vgl. ThR 1943 S. 25 f.; R. Otto, Die Anschauung vom Heiligen Geiste bei Luther 1898 S. 62. 64, vgl. den Hinweis von W. v. Loewenidi, Luthers theologia crucis 4 1954 S. 107) setzen den Wandel von 1517/18 voraus. 78
Die mit dem Schema spiritus/litera verbundene augustinische Lehre vom inneren Wort ist unbrauchbar geworden, weil Gott nur nodi durch das äußere Wort sprechen will (WA IX, 624, 32 ff. — sehr wichtig! vgl. 632,14—17 das Wort „wirth wunderlich über dich kommen, (nicht in dich) kummen", vgl. nodi die nächste Auslegung der Stelle von 1522 WA X I I , 460, 23 ff.); von hier aus ist dann die berühmte Stelle WA XVIII, 136 möglich geworden: Gott handelt äußerlich durchs mündlich Wort des Evangeliums und durch leibliche Zeichen, innerlich durdi Geist und Glauben, dodi so, daß die äußerlichen
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Den nun beschriebenen Einschnitt in Luthers hermeneutischer Entwicklung nennt Ebeling (ZThK 1951 S. 178) eine zweite hermeneutisdie Wandlung, der eine erste in den Dictata voraus geht. Was Ebeling die zweite Wandlung nennt, kommt erst, wenn man den dargestellten Hintergrund vor Augen hat, in seiner ganzen Bedeutung zur Geltung. „Zweite Wandlung" ist genauer Ausdruck für die Unschichtung, die alle wesentlichen Begriffe Luthers in dieser Zeit erfahren haben. Stücke sollen und müssen vorhergehen; daß nicht nur das äußerliche, sondern audi das mündlidie Wort wie auch die Sakramente in der hier beschriebenen Entwicklung entdeckt wurden, ist bereits gezeigt. — Die ausdrückliche Kritik an der Vorstellung vom verbum internum lautet: Sie haben wohl sdiarf disputiert von dem inwendigen Wort des Herzens im Menschen, welches da innen bleibt, daher der Mensch nach Gottes Bilde geschaffen sei (WA 10 1,1,188,18 ff.). Diese Lehre vom innern Wort, die bis 1517 aus Augustin Luthers eigene Lehre war, findet sidi von nun an bei Karlstadt, Franck, Denk und anderen, vgl. R. Seeberg D G IV, 1 S. 192 f. 197 f. 380; H . Bornkamm, Das Wort Gottes bei Luther 1933 S. 16 f. G. Rupp hat gezeigt, daß weniger der Geistbegriff als die Lehre vom innern Wort die Theologie der Schwärmer bestimmt (ARG 1958 S. 13). — Die augustinische und mit ihr die franziskanische Korrespondenz von innerem und äußerem Wirken Gottes lebt fort in der bei Luther konstitutiven Doppelung von äußerem Wortwirken und inwendigem Lehren und Wirken des Geistes; insofern kann man sagen, daß die aus der augustinisdien Wortlehre stammenden Elemente der franziskanischen Sakramentstheologie Luthers Wortverständnis beeinflußt haben (R. Seeberg D G IV, 1 S. 380. 385). Nie aber spricht Luther jetzt vom inneren Wort, vgl. das Material bei R. H . Grützmacher, Wort und Geist 1902 S. 8 ff. Nur vom inneren, ans äußere gebundenen Lehren spricht auch die Stelle vom Jahre 1519 (WA II, 112, 35 ff.), die R. Seeberg aaO als einzige für das angebliche Fortleben der Vorstellung vom inneren Wort bei Luther anführt.
KAPITEL V
Der Wandel im Verständnis von Gesetz und Gnade In diesem kurzen Kapitel sind die Konsequenzen aus dem dargelegten Wandel für die Begriffe Gesetz und Gnade darzulegen. 1. Der neue Begriff von Glaube muß ein neues Verhältnis von Glaube und Gesetz mit sich bringen. Inwiefern? In der Römerbriefvorlesung war der Glaube als confessio — nur als soldier war er auf das Wort (sermones) bezogen — die aufdeckende Erkenntnis der Sünde, die als concupiscentia verstanden wurde und, vom Glauben zwar erkannt, unverändert da blieb, obwohl doch im Glauben die Sünde (des Unglaubens) aufgehoben war; hieran zeigte sich die Konkurrenz zweier Sündenbegriffe. Der Glaube war als Erkenntnis der bleibenden Sünde nicht schon vertrauender Glaube an die wirklich geschehende Rechtfertigung (denn er blieb im demütigen Unwissen, im Wissen allein der Sünde) und darum nicht dankbare, mutige Freydigkeit, die des Menschen Herz verwandelt und es froh und willig macht zu Gott und seinem Willen — dies alles blieb in der Römervorlesung dem Geist als in einem zweiten Akt überlassen. So war der Glaube in seiner Gott rechtfertigenden Erkenntnis der Sünde wohl rechtfertigender Glaube, aber er war nicht Erfüllung des Gesetzes, weil a) das in der Römervorlesung augustinisch verstandene Gesetz nicht vom Glauben und seiner Erkenntnis sprach, den Glauben nicht forderte und der Glaube darum in Erkenntnis der Sünde dem augustinisch verstandenen Gesetzesbegriff nicht entsprechen, das Gesetz also nicht erfüllen konnte. Der Glaube war aber b) auch darum nicht Erfüllung des Gesetzes, weil er (in Luthers damals einzig möglichem Sinne als confessio) das, was das Gesetz forderte, nämlich Liebe und freien Willen und willige Tat, nicht leisten konnte; das vermochten nur charitas/spiritus. Diese Diskrepanz von Glaube/Rechtfertigung und Gesetz konnte erst aufhören, wenn Glaube und Gesetz ihren Sinn verändern und in ein Verhältnis genauer Entsprechung treten, sodaß das Gesetz den Glauben als seinen Sinn in sich aufnimmt, der Glaube zum ganzen Ausdruck des im Gesetz von Gott Geforderten wird und er darum auch selbst tut, was das Gesetz verlangt:
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die willige und freie Tat. Dies ist in und seit der Wende vom Herbst 1517 geschehen. a) Die Veränderung im Begriff des Gesetzes, dessen Sinn nun der Glaube wird, scheint durch das Gewißheitsproblem und durch die durchschlagende Ausrichtung des ganzen Gefüges auf den neuen Glaubensbegriff, was sich in der Unterscheidung des Gesetzes vom Evangelium und so auch in einem neuen Gesetzesbegriff zeigt, hergeführt worden zu sein. Luther fordert von nun an, der Christ müsse bei jedem Werk gewiß sein, daß es Gott gefalle: orationes und studia müssen im Glauben geschehen (hier schließt Luther gleich die erste Polemik gegen die scholastische Lehre von der Ungewißheit und gegen deren Auslegung von Eccl. 9, 1 an, Hebr216, 3—18). Oportet enim, christianum hominem credere, sese in omnibus piacere deo (WA V, 394, 12 ff., vgl. V, 124 f. debet esse securus). Nicht weil man des Heils gewiß sein möchte, sondern weil man in allem Werk des göttlichen Gefallens gewiß sein muß, ist die Gewißheit nötig und von nun an im Gesetz gefordert und verankert. Dies ist das Ergebnis der im Herbst 1517 entdeckten Notwendigkeit, Gewißheit zu begründen 1 . Damit ist der Glaube zum Sinn und Inhalt des Gesetzes geworden. Das zeigt sich vor allem darin, daß er nun das Werk des ersten Gebotes ist: Unnd dieszer glaub, trew, zuvorsicht des hertzen grundlich ist warhafftige erfullunge dieses ersten gebottis, on welchen szonst kein werk ist, das diessem gebot muge gnugthun. Und wie disz gebot das aller erst, höchst, best ist, ausz welchem die andern alle fliessen, in yhm gan und nach yhm gericht und gemessigt werden, alszo ist auch sein werk (das ist der glaub odder zuvorsicht zu gottis hulden zu aller zeit) das aller erst, höchst, beste, ausz welchem alle andere flissen, ghan, bleyben, gericht unnd gemessiget werden müssen, unnd andere werk kegen diessem sein eben, als ob die andern gebot weren on das erste und kein got were (WA VI, 209, 33 ff.). Beachtet man noch den gleichsinnigen Satz WA II, 717, 30 ff: dann ist unß d o c h . . . gepoten yn gottis gnaden zu glauben und hoffen, das unßer sund sein unß vorgeben . . . Es ist keyn grosser sund, dann das man nit gleubt den artickel „vorgebung der sund", wie wir beten ym teglichen glauben, und diße sund heist die sund yn den heiligen geyst, die alle andere sund sterckt und unvorgeblich macht zu ewigen zeyten. Drumb sihe, wie eynen gnedigen gott und vatter wir haben, der unß nit allein sund vorgebung zu sagt, ßondern auch gepeut bey der aller schweresten sund, wir sollen glauben, sie seyn vorgeben, und 1 D a ß Luther die Gewißheit nidit sucht, aber dann gezwungen wird, sie zu begründen, weil der Mensch angesichts des Sakraments gewiß sein muß, ohne Sünde d. h. im Glauben zu sein (biographisch, vgl. den geschilderten Anlaß der Scholie zu H b 5, 1), sodaß die Gewißheit nun im Gesetz gefordert wird (theologisch) — für diese Begründung der Gewißheit — im Unterschied zur Begründung aus dem Trostmotiv, das seit Melanththon in der protestantischen Theologie üblich geworden ist — hat allein K. Holl, allerdings wieder in eigentümlicher Verschiebung, Verständnis gehabt (I S. 113 f.).
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unß mit dem selben gepott dringt zum fröhlichen gewissen" — so erkennt man, daß, was einst tröstender Rat an Luther war (Gott will und befiehlt den Glauben an die Vergebung, vgl. Kapitel I Anm.45), hier zum bestimmenden Gesetzesverständnis geworden ist. Maior enim scripturae totius pars hoc agit, ut opus domini (idest fidem) commendet... quasi dicat: hoc erit opus, cultus dei, si audias seu credas, idest fides est vere latria et primi mandati primum opus (WA V, 394, 29 ff.). War in der Römerbriefvorlesung die Liebe des Gesetzes Erfüllung (plenitudo legis) (was natürlich dem Nächsten gegenüber auch weiterhin gilt), so ist in den Operationes der Glaube zur plenitudo omnium legum geworden (WA V, 59,19 f.). Im vollen und ausschließlichen Sinne gilt nun der Glaube als conservatio mandatorum dei (WA VI, 541, 7). Er ist zum Sinne des Gesetzes geworden, er ist der Wille Gottes21. Doch ist, außer den in Kapitel IV besprochenen allgemeinen Gründen, auch Folgendes für die Wandlung im Gesetzesbegriff zu bedenken: es hatte in der Römerbriefvorlesung zweierlei, in Rechtfertigungs- und Gesetzeslehre konkurrierende Gesetzesbegriffe gegeben, nämlich einen als indicium, welches den Menschen vernichtet, und der sich in fides/confessio erfüllte, und einen anderen, augustinischen Begriff der lex, die Charitas und affectus fordert und in der willigen Tat durch charitas/spiritus/gratia erfüllt wird. Indem nun der erste Begriff durch die Unterscheidung vom Evangelium seinen fordernden Sinn erschließt (vgl. oben S. 196) und die geforderte Erfüllung, in genauer Entsprechung zum Evangelium, im Glauben geschieht, wird es das eine Gesetz, welches in zweierlei Brauch den vernichtenden Sinn (iudicium) und den Tat fordernden, augustinischen Sinn in sich aufnimmt. Damit ist der Zwiespalt im GesetzesbegrifF überwunden: das eine Gesetz vernichtet wegen Nichterfüllung (d.h. wegen Unglauben) und fordert Erfüllung (im Glauben). b) Dem entspricht nunmehr auch die Einheit itti Sündenbegriff: Unglaube ist die Sünde des ersten Gebots: Quia qui verbo Dei non credit, Deum facit mendacem et negat eius veritatem et peccat contra primum praeceptum (bezogen auf das verbum Dei promittens WA VI, 89, 3 f.). Er ist Inbegriff der Sünde und des Vergehens wider das Gesetz. Nulla enim peccata eum îa Über Charitas und fides als plenitudo legis vgl. das Nähere Anm. 8. — Außer in kurzen Andeutungen über Glaube und Werke (vgl. weiter im Text) spricht die Hebräerbriefvorlesung über das Verhältnis von Glaube und Gesetz nicht, da es nidit ihr Thema ist. In der Folgezeit ist zuerst in den Operationes — über den Gal.Kommentar 1519 s. gleich im Text — das Problem Glaube/Gesetz deutlich durchgeführt (WA V, 95, 20 ff.; 96, 8 f.; 169, 34 ff.; 171,11 ff.; 172, 14 ff. 34 f.; 346, 7 ff.), vgl. insbesondere Op. in Ps. 13/14 W A V , 394 ff. (Vorformen H e b r 2 1 6 und Gal 97 f.), abgeschlossen ca. April 1520, war Vorlage für den Sermon von den guten Werken (der das neue Verhältnis Glaube/Gesetz besonders deutlich zeigt, vgl. nächste Anmerkung) und für die Schrift Von der Freiheit eines Christenmenschen, beide 1520 (vgl. W. Maurer, Von der Freiheit eines Christenmenschen 1949 S. 11 ff.).
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possunt damnare nisi sola incredulitas (VI, 529,13). Der Unglaube ist nun die Sünde in der Rechtfertigungslehre und in der Gesetzeslehre; die Konkupiszenz ist nicht mehr die Sünde in der Gesetzeslehre, sondern sie ist selbst nur noch Folge und Ausdruck des Unglaubens2". c) Auch im Begriff des Glaubens tritt die Veränderung ein, die ihn das sein läßt, was das Gesetz zur Erfüllung fordert und was in der Römerbriefvorlesung der Charitas zugeschrieben war. Obwohl Luther auch weiterhin nach dem bisherigen Schema die Willigkeit dem Geist zuschreibt, der dem Glauben unlöslich verbunden ist und ihm folgt, kann er doch jetzt — diese neue Möglichkeit ist entscheidend und für den Wandel bezeichnend — die Willigkeit dem Glauben selber zuschreiben, der der Verheißung traut und so den Menschen von seiner Trägheit zum Gesetz heilt und ihn willig macht, das Gute wirklich und nicht nur heuchlerisch zu wollen: Facit autem haec propositio domini cor animosum, hilare et spontaneum ad omnia bona opera facienda (WA V, 459, 27 f.). — Wie sehr das bisher konkurrierende und eigenständige augustinische Schema und sein Sinn des Gesetzes (als spontanea voluntas zur willigen Tat) in dem neuen Glaubensbegriff aufgehoben, erfüllt und eingeordnet ist, erkennt man daran, daß der in der Römerbriefvorlesung noch so bezeichnende Satz Velie esse iustum magna pars iustitiae (WA LVI, 254.280) jetzt unmöglich geworden ist (zuletzt I, 665, 26). d) Damit ist dem Glauben auch ein neues Verhältnis zu den Werken gegeben: omnino fidem astruens operis caput et summam (Hebr234,13), ut causa operum bonorum sit fides placendi deo (WA V, 397,16). Der ganze Unterschied zu Luthers früher Theologie tritt hier wieder hervor. Da hatte er gelehrt, die Werke seien gut durch die begleitende Furcht, durch Demut und Weinen, in dem sie geschähen (WA LVI, 289,9 ff.; 428, 6 ff.; WA I 37, 29 f.; 38, 2 ff.; 119,11 ff.). Nun aber ist es der gewisse Glaube in gottis hulde Zuversicht, der das Werk gut macht, weil er willig macht und weil in diesem Glauben die Person mit allen Werken gefällt. Es zeigt sich noch einmal, wie anders der Glaubensbegriff der Römerbriefvorlesung angelegt war. So ist nun Luthers Verständnis von Gesetz aus der augustinischen zu seiner eigenen Fassung gebracht. Die ehemalige Konkurrenz ist überwunden. Nun erst, da der Glaube selbst als solcher die Erfüllung des Gesetzes ist, weil auch das Gesetz nichts anderes mehr als den Glauben verlangt, und also Gottes Wille und Gesetz erfüllt ist, wenn der Mensch glaubt und rechtfertig ist® — nun erst entsprechen sich Rechtfertigung und Gesetz, wie sie îb WADB VII, 6, 32 ff. und 10 III, 28,2 ff., für später vgl. 39 1,296, 5 f. incredulitas fons omnium peccatorum, und 391,84,10—23; 116,17 ff. ist sogar die Gleidiung pecc. orig. = concupiscentia abgelehnt und nur die Gleichung mit incredulitas erlaubt. ' Genau diese These, daß erst seit 1517/18 Glaube und Gesetz in ein neues Verhältnis treten, finde idi — nadi Absdiluß meiner Niederschrift — bei E. Hirsdi in ThLZ 1929 Sp. 362, ähnlidi Hirsdi/Rückert S. 275 App. Daß man diese neue Einheit von Glaube und Gesetz (d. h. die Überwindung der früheren Konkurrenz) aus der Sdiolie zu Hb 11,8
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müssen, wenn das grunddurchdringende sola fide die Einheit der Theologie in allen ihren Elementen geschaffen hat. Der Sinn des Gesetzes macht den Sinn der Rechtfertigungslehre eindeutig.
Was als Wandel des Gesetzesbegriffs in der Hebräerbriefvorlesung nur in den wenigen genannten Andeutungen über Glaube und Werk erscheint und erst in den Operationes klar ausgeführt wird, läßt sich am Vergleich des gedruckten Galater-Kommentars von 1519 mit der dem Druck zugrunde liegenden Vorlesung von 1516/17 vorsichtig ablesen. Zwischen beiden liegt die Wende 4 . In der Vorlesung lautet die erste Scholie zu Gl 2 , 1 6 so: der Glaube an Werke als Erfüllung des Gesetzes ist nicht möglich, da nur die Liebe des Gesetzes Erfüllung (plenitudo) ist (nach Rm 13,10), die Liebe aber dem natürlichen gnadlosen Menschen unerreichbar bleibt. Nach einer Berufung auf Augustins De spiritu et litera heißt es dann, es seien nur opera, cum non fiant volúntate seu spiritu nostro (Gal 5 68, 12 ff.; 3 ff.). — Im Kommentar von 1519 folgt nach einer Einleitung über innere und äußere Gerechtig(Hebr 236,4 ff.) genügend ablesen und begründen kann, glaube idi nicht. Ebensowenig genügt zum Erweis der frühen Diskrepanz der Hinweis auf W LVI, 238 f. (worin Hirsdi/Rückert nur Holl I S. 120 folgen) und WA I, 400, 8 ff., daher es verständlich ist, wenn R. Schwarz, Fides, Spes und Caritas S. 313 Anm. 180, auf Grund dieser (im Kommentar von Hirsch/ Rückert notwendig und ausdrücklich zu kurzen, ungenügenden) Andeutungen über die These von der früheren Konkurrenz und nunmehrigen Einheit sich nicht überzeugt sieht. Das Verhältnis von Glaube und Liebe birgt als solches natürlich keine Diskrepanz, die inseparabilitas der Tugenden und des ganzen Mensdien coram Deo ist Luther ebenso selbstverständlich wie gegenüber der Spätscholastik neu. Aber Gesetzes- und Rechtfertigungsverständnis, die je in sich ganz auf die Einheit und Unbedingtheit des Menschen abgestellt sind, kongruieren noch nicht. Das hat Schwarz bei seinem Vergleich gar nidit in den Blick bekommen können. Schwarz' Ergebnisse werden, soweit sie den Scholastikvergleich betreffen, hierdurch gar nicht in Frage gestellt und lassen sich mit unserem Ergebnis durchaus vereinen. Die These von Hirsch/Rückert ist darum doch richtig, ebenso der Verweis auf WA VI, 209, 24 ff. 33 ff. = Clemen I, 234, 21 ff. 31 ff., weil es um das verwandelte Gesetzes Verständnis geht; Gedanke und Formulierung dieser Stelle sind in der frühen Theologie Luthers undenkbar und — tatsächlich ungedacht. 4 Dieser Methode des Vergleichs hat sich schon G. Ebeling (Evangelische Evangelienauslegung S. 283 f. 285 ff.) bedient, ebenfalls Bizer (Fides ex auditu S. 150 ff.), mit unterschiedlichem Ergebnis. Skeptisch und ablehnend H . Bornkamm in A R G 1962 S. 25 ff., der nur einen organischen Fortgang innerhalb eines schon in den früheren Kämpfen errungenen festen Besitzes elementarer Wahrheiten zugestehen möchte (aaO S. 30 f.). Für den Vergleich ist Bornkamms Bedenken insoweit recht zu geben, als es sich nicht um gleichwertige Texte handelt, sodaß aus Zufägungen im Kommentar 1519 nur bedingt Schlüsse gezogen werden dürfen, weil solche Zufügungen 1516/17 schon in Luthers Kollegheft gestanden haben können, nur eben nicht diktiert wurden (Bornkamm a a O S. 27). Wohl aber darf aus Veränderungen auf einen Wandel geschlossen werden, denn mindere Textqualität ist den Nachschriften keineswegs zuzuschreiben (vgl. Kapitel IV Anm. 69). 5 Der Kommentar 1519 wird fortan mit (WA) II, die Vorlesung 1516/17 als Gal (WA 57) zitiert.
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keit, über rechtfertigenden Glauben und die ihm folgende Liebe, die das Herz fröhlich (hilaris) macht (II, 489,21 if.; 490,9 ff.), die Auslegung des Textes: höre zuerst, daß Jesus Heil und Barmherzigkeit bedeutet, und glaube dies fest, so bist du gerechtfertigt, ohne allen Zweifel®. Kein Zweifel an Buße und contritio darf diesen Glauben verdrängen. Und dann zur Gesetzeserfüllung: allein der Glaube erfüllt das Gesetz. Quia impletio legis est iustitia, sed haec non est operum, immo fidei... Prior est iustitia plenitudoque legis, antequam fiant opera, cum haec ex illa fluant (II, 491, 23 ff.; 492, 17 ff.) 7 . Man erkennt in dieser Umformung die Anspielung auf Rm 13, 10, wo nicht mehr die Liebe (wie eben noch in der Vorlesung), sondern der Glaube pienitudo legis ist8, und die neue Tendenz, die den Glauben in einem neuen Sinne zur universalis iustitia macht, als die er wohl schon in der Vorlesung bezeichnet war (Gal 70, 5), was aber nun auch im Verhältnis von Glaube und Gesetz ausgedrückt wird! Daß dann die Aussagen über voluntas und Charitas in lege, die in der früheren Vorlesung noch die Auffassung • Die Glosse der Vorlesung zu dieser Stelle (Gal 6 , 1 9 f.) wird im Druck wörtlich aufgenommen (II, 457, 38 f.), aber dann in einem erst f ü r den neuen Begriff charakteristischen Sinne mit Polemik gegen die scholastische Lehre von der Ungewißheit erweitert und thematisch in den Mittelpunkt der Überlegung gerückt (WA II, 458,20 ff. 29 ff., vgl. 491, 28 ff.). Solche wesentlichen, bisher fehlenden Gedanken dürfen als Änderungen, nicht als Zufügungen verstanden werden. Das Neue an dieser Stelle betonen schon Boehmer, v. Schubert (vgl. Kapitel I I I Anm. 54) und Gottschick. 7 Den Vergleich der beiden Fassungen nimmt auch Bizer vor (Fides ex auditu S. 154 ff.). D a ß Glaube und Gesetz in einem neuen Sinne ins Verhältnis treten (Bizer S. 158 f.), stimmt mit meinem Ergebnis zusammen. Aber deswegen in der Vorlesung noch ein meritum de congruo (wegen des Satzes Deus propter fidem et coeptam conformationem non imputât, den Luther dodi später ungezählte Male wiederholt: W A D B VII, 8 , 2 0 f.; W A VII, 343, 37 ff.; 39 I, 83, 14 f., vgl. Einleitung Anm. 41 und Kapitel I Anm. 13) und einen aristotelischen Gerechtigkeitsbegriff anzunehmen (reddit quod debet, was ja im Drude 11, 503, 34 ff. übernommen ist, vgl. WADB V I I , 10, 31 f.), die im Kommentar 1519 dann aufgegeben seien (Bizer S. 153.156), scheint mir unmöglich. Der Abschnitt über cessio bonorum ist unverändert in den Kommentar übernommen (Bizer S. 158 f.), und die von Bizer f ü r charakteristisch angesehenen Änderungen kann ich nicht als solche erkennen: der Satz quod iustus per fidem nemini det, quod suum est ex seipso, sed ex alio sc. Christo (schon W A LVI, 97, 24 ff.; 204, 8 ff.; 247,1 ff.) ist mit dem späteren Bilde vom fröhlichen Wechsel identisch (vgl. H . Bornkamm A R G 1962 S. 28 f.). Interessant und einleuchtend ist, was Bizer über den „Namen" im Kommentar 1519 und die Herleitung aus Reuchlins de verbo mirifico sagt (Fides ex auditu S. 157). 8 D a ß plenitudo legis f r ü h als dilectio/diaritas, jetzt als fides bestimmt wird, darf nicht in einen falschen Gegensatz gerückt werden, denn im Blick auf die Nächstenliebe kann die frühe Bestimmung noch weiter gelten und daß der Glaube das Gesetz erfüllt, sofern in der Rechtfertigung der Geist gegeben wird und sofern der Glaube an Christus, qui solus est impletor omnium legum, hängt und an dieser Erfüllung teilbekommt, sagt Luther schon in der Römerbriefvorlesung (vgl. WA 57 1 , 1 5 7 , 1 0 f., worauf R. Schwarz, Fides, Spes und Caritas S. 253 f. aufmerksam macht). Doch ist die Umformulierung Indikator f ü r einen ganzen sich wandelnden Sachkomplex: Luther nimmt, abweichend vom paulinischen Text (Rm 13,10 Charitas plenitudo legis) die Gleichung plenitudo legis = fides vor. Diese ist nun wesentlicher Gedanke des Glaubens- und Gesetzesbegriffs.
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Kroeger, Rechtfertigung
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bestimmten, auch hier noch folgen (II, 492, 23 ff.), zeigt die neue, nun nicht mehr dominierende, sondern dem Begriff fides unter- und eingeordnete Funktion der alten Begriffe. Durch die Voranstellung des Glaubens und durch Begründung alles Folgenden im Begriff fides als der notwendigen und festen Gewißheit von Heil und Gottes Barmherzigkeit in Christo (die es in der Vorlesung noch nicht gab) sind Gnade und Glaube in einem neuen Sinn festgelegt. Fides, inquam, in nomen domini est intelligentia legis, finis legis et prorsus omnia in omnibus (II, 491, 9 f.). Der Glaube ist zum zusammenfassenden und durchdringenden Begriff audi der Gesetzeslehre geworden, fides omnia in omnibus. Derselbe Wandel zeigt sich in der Auslegung von Gl 3,10. Die Glosse der Vorlesung legt den Text „ut faciat ea" so aus: Non autem ,facit' ea, qui invitus est (Gal 22, 28). Diese augustinische Interpretation ist auch der Sinn der Sdiolie: sine gratia lex non potest impleri, eciamsi fiant opera legis; cuius ratio est, quia talia opera necessario fiunt vel timore damni vel amore commodi et nullo modo amore Dei. Si ergo timore damni fiunt, patet, quod fiunt sine volúntate, immo contraria et aversante volúntate; quo stante necessario peccat, qui operatur, quoniam intus contra legem operatur volúntate renitente (Gal 79, 7 ff.), denn: sine quo tamen odio et concupiscentia nemo esse potest ullo modo, nisi per gratiam sanetur (Gal 80, 15 ff.). Diese augustinische Begrifflichkeit klingt in der Auslegung des Kommentars von 1519 nur eben an®, statt dessen ist der Glaube zu dem Begriff geworden, mit dem das Problem gelöst wird: quicunque extra fidem sunt, operantur quidem opera legis, sed legem non implent (II, 513, 32 f.). Vere itaque peccatum et maledictum opus est cuiuscunque legis, si extra fidem, id est extra puritatem cordis, innocentiam, iustitiam, fiat (II, 514, 22 f.) eos qui operantur opera legis non facere quae scripta sunt in lege, in qua nimirum fides scribitur. Haec sola facit omnia legis (II, 514, 35 f.) 10 . Diese Bestimmung des Glaubens als Erfüllung des Gesetzes tritt dabei nicht in ein gegensätzliches, sondern in ein ergänzendes und in der Ergänzung neu pointierendes Verhältnis zu dem bisherigen Verständnis des Satzes, nach dem die Einheit mit Christus im Glauben teilgibt an der Erfüllung des Gesetzes. Dieser auch bisher schon Luther vertraute Gedanke bleibt also erhalten und bestimmt im Galater-Kommentar 11 , nicht so sehr in den Operationes, die Vorstellung. Überhaupt übernimmt Luther sehr vieles — er hat vom Bisherigen nichts zu widerrufen und abzulehnen —, ja, das allermeiste in kaum verändernder Paraphrase. Um so beachtenswerter ist, wie der Begriff fides in den Vordergrund drängt, ohne daß in der betreffenden Passage die bisher zugrundeliegende Vorstellung geändert • simulant potius, dum sine gratia nec cor nec corpus mundare possunt (II, 514,4 f.). Im Gal. Komm. 1531 z. St. ist dies noch deutlicher ausgedrückt: .Facere* est 1. credere et sie per fidem legem facere (WA 40 I, 400, 11 f., vgl. überhaupt 396 ff.). 11 WA II, 561, 25 ff.; 562, 6 ff. 10
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würde 12 . Sie wird nur an den Begriff fides gebunden und ihm untergeordnet. Zu Gl 2 , 1 9 war in der Vorlesung (Gal 72, 28 — 74, 4) von der lex spiritus die Rede, einmal wurde bei einem Zitat aus Rm 8 (lex spiritus vitae in Christo liberavit me) die Verbindung zum Begriff fides (Gal 73,15) hergestellt. Der Kommentar übernimmt dies, meist wörtlich, dodi unter intensiver Verwendung des Begriffs fides: in der Vorlesung kommt hier der Begriff in 33 Textzeilen einmal vor, im Kommentar (II, 498, 22 — 500, 9) in 65 Textzeilen 14mal. Lex spiritus in der Vorlesung heißt nun lex spiritus et fidei (II, 498, 22; 499,26) 1 S , gratia fidei der Vorlesung (Gal 21, 6) wird im Kommentar zur bloßen fides (II, 510,7 ff.). Bei der Phrase dilectio fidei (II, 499, 7) verfährt Luther so: das Augustinzitat mit der Wendung dilectio iustitiae wird übernommen, doch interpretiert: sed fides earn impetrat (II, 499, 30). Das sind insgesamt schwerlich Zufälligkeiten. Audi sind nicht alle neue Formulierungen, vielmehr kennt Luther sie seit der Römerbriefvorlesung, aber die Entschiedenheit ist zu beachten, mit der er den Begriff hier zur Geltung bringt. Nicht immer — weil die Vorlage bei der Umarbeitung Luther festhält — ist im Zusammenhang der Gesetzesfrage der neue Sinn des Begriffes fides zu sehen (denn daß der Glaube an Christus den Geist gibt, ist nicht neu), neu ist die Konzentration auf den Begriff fides. Die alte Verbindung fides ,(Christi)/spiritus/diaritas bleibt im neuen Zusammenhang verändert erhalten. Der vorliegende Umschwung ist kein Bruch, in dem Luther sich von seiner theologischen Vergangenheit abzusetzen hätte (sonst wäre die Übereinstimmung zwischen Vorlesung und Kommentar nicht so groß), sondern ein Wandel mit wesentlichen Elementen der Kontinuität. 2. In Kürze ist nun zu zeigen, inwiefern durch den Wandel im Begriff von Glaube, Wort und Gesetz auch im Gnadenbegriff eine Verschiebung eingetreten ist. Diese kann nidit in einem ganz neuen Begriff bestehen. Wenn Luther 1521 im Antilatomus definiert: Gratiam accipio hic proprie pro favore dei, sicut debet, non pro qualitate animi, ut nostri recentiores docuerunt (WA VIII, 106,10 f.), so ist diese Bestimmung rein formal der Spätscholastik (recentiores) gegenüber nicht neu, da audi diese den favor als 18 Das ergibt für die hier behandelte Frage (Glaube/Liebe erfüllen das Gesetz) eine gewisse Unausgeglichenheit des Kommentars. Dieselbe Diskrepanz zwischen den augustinisdien und Luthers eigenen, nun durchdringenden Vorstellungen drückt H. Bornkamm so aus: im Kommentar 1519 übe das augustinische Schema spiritus/litera nodi immer eine Funktion innerhalb der Rechtfertigungsproblematik aus, um dann ganz dem daneben sich schon entwickelnden Gegensatz von Gesetz und Evangelium zuzufallen (ARG 1962 S. 55). Ist diese Unausgeglidienheit der Grund für Luthers kritisches Urteil über den Kommentar (TR Nr. 1963)? l s Dies hat audi E. Bizer gesehen (Fides ex auditu S. 159 ff.)· Die Übereinstimmung in der Beobachtung des Tatbestandes ist nidit unwesentlich. Doch überinterpretiert Bizer m. E. wieder in seinem Sinne.
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gratuita dei voluntas von gratia als qualitas absoluta informans animam unterscheidet 14 ; und daß auch die Rechtfertigungslehre der Römerbriefvorlesung diese Bestimmung voraussetzt, soll sich gleich noch einmal zeigen. Die Verschiebung im Gnadenbegriff kann sich demnach nur in der unterschiedlichen Bedeutung und Verankerung dieses Gnadenverständnisses im Gesamtzusammenhang der wesentlichen Anschauungen von Glaube und Gesetz zeigen. Es ist Kapitel I gezeigt worden, daß in der Römerbriefvorlesung einerseits in der Rechtfertigung dem Glauben die Gnade nur verhüllt in iudicium und humilitas/confessio und unwissend als reputatio, nur in Hoffnung zuteil wird und daß sich (wegen des vorausgesetzten Verständnisses von „Wort" und von Gesetz/Evangelium) diese Gnade in keinem gewissen Wort als reines Evangelium aussprechen kann, weswegen sie unbetont, doch gerade im iudicium aus der iustitia dei immer vorausgesetzt war; dabei setzte der Imputationsbegriff die Gnade als misericordia (favor) voraus (vgl. Kapitel II Anm. 37). Es hatte sich aber auch gezeigt (Kapitel II), daß andererseits im Zusammenhang der Gesetzeslehre der augustinische Gnadenbegriff, der den starken sanativen Einschlag der Römerbriefvorlesung ausmachte, kraft der augustinisdien Gesetzesvorstellung gegenüber dem Gnadenbegriff der Rechtfertigung (in der, wo Gnade gemeint, stets nur confessio/humilitas/ iudicium genannt war) unverhältnismäßig großes Gewicht zukam. Gegenüber diesen frühen Anschauungen hat sich zweierlei verändert: a) Im neuen Verständnis von Wort und Glaube ist jetzt die Gewißheit der Rechtfertigung und der Gnade erschlossen; diese ist Sinn und Inhalt des Wortes und der Zusage des Evangeliums, auf das sich der Mensch verlassen kann und soll. So tritt in dem durdi das neue „Wort"verständnis ermöglichten Begriff von Evangelium/promissio sowie durch die große Bedeutung des neuen Glaubensbegriffs die Gnade als offenbare, nicht mehr sub contrario verhüllte, sondern gewisse Huld (favor) Gottes in den Kreis der wesentlichen, die Rechtfertigungslehre tragenden Begriffe. Der Begriff als solcher ist nicht verändert, aber, weil die Gnade im Wort offenbar und gegenwärtig und weil das Problem der Gewißheit jetzt in den Mittelpunkt gerückt wird, darum hat er neuen Sinn. Er wird erst jetzt intensiver gebraucht 15 . Mit der 14 Occam IV q. 8 + 9 a. 3 0, vgl. Biel II d. 26 q. un. a. 1 + 2. Auf Luthers Definition im Antilatomus (s. Text) hatte Jac. Latomus in seiner Antireplik spöttisch gemeint, quasi hoc esset probandum, aut alicui dubium, quod gratia dicitur favor (Opera omnia, Lovanii 1550, fol. 58a/59a). Vielleicht hat Luther die strenge Gleidiung gratia = favor wirklich unter philologischer Beihilfe Melanchthons — nicht anders als bei der Übersetzung von H b 11,1 — vollzogen (vgl. R. Schäfer, Christologie und Sittlichkeit 1961 S. 65 f. Anm.). 15 In den Dictata ist er selten, z.B. WA IV, 6, 30 und III, 480, 25 f.; 541,1 f., vgl. 110,7, während der Römer- und Galaterbriefvorlesung kommt er m. W. überhaupt nicht vor.
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Betonung der geforderten Gewißheit hat er eine neue, entscheidende Bedeutung erhalten. b) Entsprechend hat auch der Begriff des Gesetzes eine völlige Umformung erfahren und damit der ihm vorausgesetzte Gnadenbegriff. Der Glaube erfüllt das Gesetz, sofern im Glauben als Zuversicht „in gottis hulde" die ganze Person und alle Werke Gott Wohlgefallen. Aber der Glaube erfüllt das Gesetz auch, sofern er durch die Zusage des Evangeliums freydig und willig wird, das Gesetz in allen Geboten dem Nächsten gegenüber (d. h. in der Liebe) zu erfüllen. War in der frühen Anschauung die Erneuerung des Willens als infusio gratiae/spiritus/charitatis mit dem rechtfertigenden Glauben zwar unlöslich verbunden (WA LVI, 220, 9), doch so, daß Luther „die Verwandlung des Willens aus einer zweiten Einwirkung hervorgehen läßt" und nicht schon aus dem Glauben selbst (Holl I S. 120), so wird nun dem neuen Glauben, der nicht nur Bekenntnis der bleibenden Sünde, sondern schon selber die neue Gerechtigkeit im Menschen ist, die Veränderung zugeschrieben: er ist „eyn gotlich werck ynn uns, das uns wandelt und new gepirt aus Gott" (WADB VII, 10, 6 f.), er „dringt durch und endert den gantzen menschen" (WA VII, 553, 34). Luther kann dem Glauben an das Wort selber und nicht mehr nur der vom Glauben unterschiedenen (nicht freilidi getrennten!) Liebe die Willigkeit zuschreiben: . . . zu dem kommet Christus (das ist durdi das Evangelium) und spricht: hab fride . . . sich alles was ich than hab, das hab ich dir than, so wirdt das hertz frölich. Ja ein sollich frölich hertz brengt mit sich der glaub, das er alle werck willig thut die er thun soll (WA 10 III, 93, 20 ff., vgl. oben S. 207 das Zitat aus WA V, 459, 27 f.). Somit ist in beiderlei Sinn, in dem das Gesetz das Gute verlangt (in der Gewißheit des göttlichen Wohlgefallens und in der Willigkeit zum Gesetz), das Verständnis der Gnade als favor dei durchgedrungen. Durch die Übereinstimmung von Rechtfertigungs- und Gesetzeslehre kraft des beide bestimmenden Glaubensbegriffs setzt Luther den primären und theologisch allein legitimen Begriff von Gnade (sicut debet WA VIII, 106) als favor dei ins Zentrum. Entscheidend für die Einheit seiner Theologie ist, daß Luther diese Bestimmung des Gnadenbegriffs in Rechtfertigungs- und Gesetzeslehre wie im Glaubensbegriff geben kann. Dadurch ist jeder andere Gnadenbegriff (der augustinische = spiritus/charitas, der scholastische = gratia infusa, der mystische =unio/adhaesio) als abgeleitet bestimmt: gnade eygentlidi heyst, Gottis hulde odder gunst, die er zu uns tregt bey sich selbst, aus wilcher er geneygt wird, Christum, den geyst mit seynen gaben ynn uns zu gissen (WADB VII, 8,10 ff.). Darum beeinträchtigt es die Einheitlichkeit des Begriffs nidit, wenn Luther weiterhin die alte augustinische Vorstellung vom Geist, der dem Glauben folgt und als Liebe das Herz willig macht, beibehält: Daher kompt, das alleyn der glawbe rechtfertig macht und das gesetz erfüllet, denn er bringet den geyst aus Christus verdienst, der geyst aber macht eyn lustig
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und frey hertz, wie das gesetz fodert (WADB VII, 6, 20 ff.) 1β . Widitig ist nur, daß Luther denselben Sachverhalt auch ohne den augustinischen Geistbegriii ausdrücken kann: Ad hanc fidem (quae huic promissioni fideliter nititur) mox sequetur sua sponte dulcissimus affectus cordis, quo dilatetur et impinguatur spiritus hominis et in Christum rapiatur; fiatque penitus alius et novus homo 17 . Der folgende Satz zeigt, daß mit dem Glaubensbegriff alles Notwendige sich zureichend ausdrücken läßt: Glawb ist eyn lebendige erwegene Zuversicht auff Gottis gnade, so gewis, das er tausend mal druber sturbe. Und solch Zuversicht und erkenntnis gotlicher gnaden, macht frolich, trotzig und lustig gegen Gott, und alle Creaturn, wilchs der heylig geyst thut ym glawben (WADB VII, 10,16 ff.). Die Beziehung auf den Geistbegriff klappt nur nadi und fügt dem Gesagten nichts mehr hinzu. Man erkennt aber auch, wie wichtig die Beziehung auf den Geistbegriff für Luther war, weil er sie nachträgt. Die Wandlung, die dadurch eingetreten ist, daß dem Glauben nun zugeschrieben werden kann, was früher nur des Geistes war, ist längst erkannt worden 18 . Sie ist nur in der Konsequenz für die Beurteilung der frühen Reflexionsgestalt im Römerbrief nicht genügend beachtet und darum in ihrer Bedeutung für die theologische Entwicklung des jungen Luther nicht gewürdigt worden. Auch im Gesetzesbegriff ist Gnade nun als favor, nicht mehr als gratia sanans verstanden. Der Gnadenbegriff ist jetzt erst ganz personalisiert; die augustinischen Elemente hat der Begriff spiritus in sich vereinigt. Kein neuer Begriff, sondern neue Funktion und Bedeutung, dem Wandel von Glaube, Wort und Gesetz entsprechend, machen die Verschiebung im Gnadenbegriff aus. 16 So kann der augustinische Begriff durchaus erhalten bleiben (Hebr 57,25 f. und WA VI, 27,13), aber die spezifische Gleichung ist alleine fides = gratia iustificans (Hebr 191,24); sogar medicina/mederi werden nun gelegentlich nidit auf gratia sanans, sondern auf die promissiones für verschreckte Gewissen gedeutet (WA I, 333, 37 ff. und 543, 27 ff.). 17 Zit. bei R. Otto, Die Anschauung vom heiligen Geiste bei Luther 1898 S. 36 f., mit falscher Stellenangabe. 18 Vgl. R. Otto aaO S. 27 f. (mit Verweis auf Loofs ThStKr 1884, vgl. besonders S. 652 und Eichhorn ThStKr 1887) 33. 35—37. 40! 43! K. Holl I S. 120. 82 f.; H. E. Weber, Reformation, Orthodoxie und Rationalismus 1,1 1937 S. 79 f. und M. Schloenbach, Heiligung als Fortschreiten und Wachstum des Glaubens in Luthers Theologie 1963 S. 17 f. — Die Datierung dieser Neufassung des Verhältnisses von Glaube und Geist bei Schloenbach auf 1520/21 ist nur ungefähre, unbelegte Analogiedatierung und sollte auf 1519/20 lauten, denn: mit diesem Wandel, der das augustinische Element dem eigenen, sich durchsetzenden und nunmehr durchdringenden Glaubensbegriff einordnet, verbindet sich ein Wandel im profectio-Begriff, den L. Pinomaa und M. Schloemann unabhängig voneinander festgestellt haben und der auf 1519/20 datiert wird (Kapitel II Anm. 15). Dieser Wandel läßt sich naturgemäß erst 1519/20 beobachten, obwohl er seit 1517/18 beginnt, da die Texte, die dies auf breiter Basis und genügend deutlich zeigen können (vgl. Tabelle bei Pinomaa aaO), nämlich Gal. Kommentar und Operationes, erst seit 1519 entstehen.
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Diese Verschiebung sei abschließend an zwei Punkten aufgewiesen. Im Jahre 1521 macht Luther nach Rm 5,15 die wichtige Unterscheidung von gratia und donum. Sie findet sich zuerst im Antilatomus und geht wohl von da in die Römerbrief-Vorrede des Septembertestaments von 1522 über19. In der Römerbriefvorlesung hatte Luther die Stelle noch ganz augustinisch verstanden: gratia dei que est in Christo et donum quod a deo patre accipit ad hominibus dandum (WA LVI, 53, 12 f); beide würden nur „quasi" unterscheiden (318,12), um anzuzeigen, daß die Gnade ein Geschenk sei (318,14 f.), welches Christus per meritum et gratiam suam personalem vom Vater für die Menschen empfing und quod diffundit Christus a patre in suos credentes. Das augustinisdie Verständnis von Gnade, entsprechend (respondenter) von Sünde als Konkupiszenz und von iustitia veranlaßt die Identifizierung von gratia und donum: .Gratia Dei' autem et ,donum' idem sunt sc. ipsa iustitia gratis donata per Christum (318, 25 ff., über alles s. Kapitel II). Nun aber, nach der Wandlung, wird die Gnade weit von den Gaben unterschieden (longe . . . grâtia a donis secernenda WA VIII, 107,11). Quia fides est donum et bonum internum oppositum peccato, quod expurgat... At gratia dei est externum bonum, favor dei, opposita irae (106, 20—22) . . . qui sub gratia, totus sub tota gratia est, quia (ira et) gratia personas respiciunt. Quem enim deus in gratiam recipit, totum recipit, et cui favet, in totum favet (107,1 f.). So thut doch die gnade so viel, das wyr gantz und fur voll rechtfertig fur Gott gerechnet werden, denn seyne gnade teylet und stucket sich nicht, wie die gaben thun, sondern nympt uns gantz und gar auff ynn die hulde (WADB VII, 8,18 ff.). Das donum also, das in der Römerbriefvorlesung gratia (sanans) hieß (so waren die Begriffe ununterschieden), den Menschen veränderte und die Sünde der Konkupiszenz ausu
R. Hermann, Luthers These .Gerecht und Sünder zugleich' 1930 S. 83 ff. und M. Sdiloenbach, Glaube als Geschenk Gottes 1962 S. 8 ff. — Die Unterscheidung entsteht erst, als Luther auf der neuen Grundlage das Problem der Rechtfertigung trotz bleibender Sünde denken mußte: Gnade ist ungeteilt, doch die Gabe im Menschen (Glaube) ist geteilt und unvollkommen. So findet sich die Unterscheidung in Conclusio VII der Resolutionen erst angedeutet: einerseits remissio dei als gratia, andrerseits remissio sacerd o t i in der Gewißheit der gratia praesens durch fides = donum (WA I, 542, 7 f.). Sofern hier alles um favor (gratia) und fides (donum) geht (I, 540—542), ist hier die gewandelte Voraussetzung, aus der dann die strenge Unterscheidung erwuchs, gegeben. — Ob Luther in der Rm-Vorrede des Septembertestaments die Unterscheidung noch im gleichen Sinne wie im Antilatomus benutzt, ist hier nicht so wichtig. Nach F. Loofs D G 4 S. 766 würde hier schon der Glaube mit der Huld Gottes gemeinsam von der Gabe Christi und des Geistes unterschieden, welche Unterscheidung Luther später vorwiegend gebraucht. Der entscheidende Abschnitt (WADB VII, 8,10 ff. Gnade und gäbe sind des unterscheyds, das gnade eygentlich heyst, Gottis hulde odder g u n s t . . . ) benutzt den Glaubensbegriff nicht und läßt somit offen, ob der Glaube zur Gabe gerechnet wird; doch gleich der nächste Absatz nennt „Christo glewben und des geystis anfang* gemeinsam als Grund der (davon unterschiedenen) Gunst und Gnade Gottes. — Später benutzt Luther unsere Unterscheidung nur noch WA 40 II, 421, vgl. WA XXI, 458, 23 ff.?
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trieb, das heißt jetzt fides; sie ist das gotlich werck ynn uns, das uns wandelt und new gepirt aus Gott (WADB VII, 10, 6 f.). Der dadurch freigewordene gratia-Begriff, der bisher im augustinisdien Sinne festgelegt war, wird nun streng als favor dei interpretiert, sicut debet (WA VIII, 106,10), und vom donum der fides unterschieden. Die starke terminologische Verschiebung zeigt den Wandel der Begriffe. Ähnlich zeigt sich der veränderte Gebrauch des Gnaden- und Infusionsbegriffs wie auch besonders der Vorstellung von gratia prima im Vergleich mit einer frühen Ablaßpredigt (WA I, 65 ff.) 2 0 . In dieser spricht Luther von einer duplex gratia: remissionis (sc. poenae temporalis) und infusionis. Durch die erste nihil minuitur concupiscentia et morbus naturae, nec augetur dilectio nec ulla virtus interior, während die zweite eine interior illuminatio mentis et inflammatio voluntatis ist. Haec est necessaria pro concupiscentiae extirpatione, usque dum perfecte extirpetur (vgl. WA LVI, 391, 22. 27). Diese vollkommene extirpatio erfahren nur wenige, qui plenarie absolvuntur, immo remissio plenaria non confertur nisi digne contritis atque confessis (an dieser Forderung entsteht später def Wandel, wenn der Glaube gegen das Ungenügen seiner Buße dem Wort glauben kann WA I, 321, 38). Der digna contritio und confessio ist aber niemand gewiß (I, 65, 24 — 66, 10 Seit F. Hermann (ZKG 1907 S. 370 ff.) diese Predigt unter der Überschrift Tractatus de indulgentiis handschriftlich fand und G. Krüger (ThStKr 1917 S. 507 ff.) sie neu herausgab (ich zitiere nach WA mit stillschweigender Verbesserung), gilt sie (vgl. H. Volz, Martin Luthers Thesenansdilag und dessen Vorgeschichte 1959 S. 18.84.91) als Gutachten vom Oktober 1517, das mit den Thesen an Albrecht und Hieronymus ging. Dodi auch W. Köhler (Dokumente z. Ablaßstreit 1934 2 S. 94) und J . Ficker (Luther 1517, SVRG 130, 1918 S. 22.39 f.) haben sie weiterhin als Predigt vom Juli 1516 behandelt. Wie sollte sie auch, wenn sie primär Traktat wäre, als Predigt unter jenes bestimmte Datum kommen, während der umgekehrte Weg erklärlich ist (auch Volz aaO S. 18 stellt die Möglichkeit in Rechnung, daß eine Predigt zugrunde liegt). Die Angabe des Sonntags scheint primär, nur die Zuweisung auf 1516 ( = zu den Dekalogpredigten) stammt von Loescher. Darum bleibt theoretisch auch der X . Sonntag nach Trinitatis 1517 möglich. Auch in diesem Falle liegt die Predigt vor jener Wende vom Herbst 1517 und läßt sich zum Vergleich heranziehen. Doch sind die starken Entsprechungen zur Begrifflichkeit der Römerbriefvorlesung ein starkes Argument für die traditionelle Datierung auf 1516 (mit Fideer und Köhler). Vielleicht spricht audi das in ihr zugegeben unsichere Urteil Luthers über die Ablaßfrage für frühe Ansatzung. Daß für jenen Tag vom Jahre 1516 sdion zwei (sehr kurze) Predigten vorliegen, hindert die frühe Datierung nidit, da mehrfache Predigt an einem Tage nachgewiesen ist (KöstlinKawerau I 5 S. 117) und Luther im Oktober gleichen Jahres ohnehin über starke Predigtbeanspruchung klagt (WABr I, 72, 7). Zudem bezeugt Luther selber, schon vor dem 3. Oktober 1516 über Ablaß gesprochen zu haben (WA I, 98,17). Eine Predigt vom Juli 1516 konnte gut noch im Herbst 1517 benutzt werden; die Predigt vom 1. Mai 1515 war nodi im September 1516 in Umlauf (WABr 1,41 Anm. und 51,5 mit Anm. S. 52) und zeigt, daß eine Predigt gut über ein Jahr aktuell bleiben konnte. — Auf welchen Ablaß sich diese Predigt, wenn sie vom Juli 1516 ist, bezieht, bleibe offen (nadi J . Ficker, Luther 1517 S. 8 f. und Nik. Müller, Die Wittenberger Bewegung 1521 und 1522 (1911) S. 25 Anm. 1 wurden 1516 für Kursachsen die Ablaßgnaden erweitert, nach Volz aaO S. 11 und S. 58 Anm. 9 ist Tetzel mit einem Ablaß von April bis Juni in der Meißner Diözese).
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25 ff.; 68,19 f. 31). Die darum so viel von Ablässen reden, bedenken nicht morbum et radicem peccati (vgl. 67, 7) . . . non solliciti (sc. sunt) assiduo gemitu pro gratia destructrice; schwerlich gibt es ,per modum suffragii' gratiam perfectissimi amoris dei ac suspirium ad deum. Einer stirbt in Sünde, quia non diligit quod vult deus ex toto corde, sed invitus facit, non est voluntas eius in lege domini (67,10 — 30). Der Erlaß äußerlicher Strafe durch die Kirche (labor poenitentiae et satisfactionis) hilft nicht, quia non ideo habes intus gratiam nec ideo p r o f i c i s . . . Ideo iam curandum, ut proficias et non stertas segnis quasi securus et purus (67, 31 — 68, 5). Darum lautet die conclusio der ganzen Predigt: die Ablässe dürfen nicht causa securitatis et pigritiae et damnum interioris gratiae werden. Sed sedulo agamus, ut morbus naturae perfecte s a n e t u r . . . assidue sanantem gratiam eis quaeramus (69, 4 fi.). Infusio und Heilung des radicale peccatum (welches als Konkupiszenz, nicht als Unglaube verstanden wird 67, 7; 68,12 f. 21) sind Sinn und Ziel jeder Frage nadi Gnade. N u r um gratia sanans geht es, um innere Heilung und Fortschritt, um gemere und suspirium, die Gewißheit kommt nur verneint und als pigritia in Sicht (68, 31; 69, 5 ist securus statt sanctus zu lesen), ohne Gewißheit ist das unendliche proficere (sedulo agamus, assidue quaeramus, gemere, quis certus est). Man versteht hier, warum durch die entstehende Gewißheit auch das Problem der profectio einen Wandel erfahren mußte (vgl. Kapitel II Anm. 15). Die Veränderung durch den Wandel von 1517 wird nun beim Vergleich mit der VII. Conclusio aus den Resolutionen sichtbar: gratia infusa — in der Predigt gratia sanans, unterschieden von remissio — wird nun in der Conclusio gerade als remissio verstanden (I, 540, 5 f.; 541,15 f.). Darum ist duplex gratia in der Conclusio nicht mehr remissio und infusio (die vielmehr nun identisch sind), sondern ungewußte remissio dei (gratia infusa genannt WA I, 540, 5 f. 26 f. 31) und gewißmachende remissio sacerdotis (als pax donum dei=fides remissionis genannt 1,542, 7 f.; 541,22—29). In der Predigt gab es das unendliche proficere und die Ungewißheit, in der Conclusio verwirklicht sich die Gnade erst in der Gewißheit der gratia praesens (I, 542, 8 f. und I, 541, 22 f. Donee autem nobis incerta est, nec remissio quidem est ). Dementsprechend ändert sich der Begriff prima gratia: in der Predigt (I, 68, 23 f., vgl. WA LVI, 379, 10 ff. und 1,116, 36 ff., vgl. Kapitel II Anm. 16) bedeutet er die erste gratia sanans, in Conclusio VII ist er die Gnade der ersten, ungewußten remissio, die sich erst in pax und fides erfüllt (I, 542,10; 541, 22 f., vgl. W A V , 164 und Kapitel IV Anm. 60). Man kann hier am Vergleich der Begriffe den ganzen Wandel erkennen, in dem nidits vom Vorigen aufgegeben, doch alles anders gestellt und charakteristisch neu benannt ist.
KAPITEL
VI
Zwischen Römer- und Hebräerbriefvorlesung (1516/17) Nachdem die Theologie der Römerbriefvorlesung (Kapitel I—III) und audi der Wandel, den diese Frühtheologie seit dem Herbst 1517 in allen wesentlichen Begriffen erfahren hat, beschrieben sind (Kapitel IV und V), bleibt nun die Zeitspanne zu untersuchen, die zwischen Römer- und Hebräerbriefvorlesung liegt. Haben sich in dieser Zwischenzeit, vor der von uns so hervorgehobenen Sdiolie zu H b 5 , 1 keine Veränderungen zugetragen, die jenen Umschwung vorbereiteten? In der Tat finden sich Vorbereitungen und Ubergänge zu jener einschneidenden Wandlung vom Herbst 1517. Es haben sich in dieser Phase von Luthers Entwicklung Veränderungen und Akzentverschiebungen vollzogen, deren allmähliche und darum so schwer genau zu bestimmende Art das eigentümliche Problem für die Interpretation der Texte in dieser Phase ist. Die Tatsache einer allmählichen Entwicklung ist für die Art und Weise, wie die Entwicklung des jungen Luther hier vor sich ging, von wesentlicher Bedeutung. Denn es ist seit der Einleitung (S. 14) immer wieder darauf aufmerksam gemacht und inzwischen nun durch die Ergebnisse der Interpretation bewiesen worden, daß die Entwicklung Luthers von der Römerbriefvorlesung zu der Theologie von 1517/18 mit komparativen Beschreibungen und als Akzentverschiebung nicht angemessen erfaßt werden kann, weil der Wandel zwischen den Schemata spiritus/litera und Gesetz/Evangelium, der Wandel zwischen der entsprechenden frühen und späteren „Wort"auffassung (Hermeneutik), der Wandel von der in der Frühzeit dem Begriff von Glauben eigentümlichen Ungewißheit und dem Synergismus zu der später für den Glauben spezifischen Gewißheit aus dem Wort, die jeden synergistischen Schein ausschließt — weil dieser Wandel nicht allmähliche Veränderung und bloße Verschiebung innerhalb gleichbleibender Anschauungen ist, sondern eine wesentliche und für das Verständnis aller entscheidende Veränderung darstellt. Es sind früh und spät ganz verschiedene und spezifisch anders gedachte, je in sich eindeutige und klare Vorstellungen, die nicht graduell, sondern generiseli verschieden sind. Natürlich läßt sich mit ebensoviel Recht auf gleidibleibende Motive und darum auf die Einheit der frühen und späteren Theologie Luthers hinweisen. Diese Betrachtung, mit Betonung der Kontinuität in der Entwicklung, ist in der bisherigen Forschung vor-
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wiegend geübt worden; auch sie hat ihr Recht. Aber man beachtet dann nicht genügend die entstehende Andersartigkeit, auf die es zur Erfassung der Konturen in den einzelnen Phasen ankommt. Die Veränderung und Entwicklung der Theologie des jungen Luther ist darum solange nicht angemessen erfaßt, solange sie nur komparativ beschrieben und als Akzentverschiebung dargestellt wird. Ein Vergleich zwischen Römerbriefvorlesung und Operationes macht dies ganz deutlich. Dennoch — und darin liegt für dieses Kapitel das Problem — gibt es auf dem Wege zu diesem strukturellen Wandel Vorbereitungen, Ubergänge, allmähliche Entwicklungen, die an einzelnen Begriffen sichtbar werden. Wollte man diese Phase der allmählich vorbereitenden Veränderungen aus dem Bilde der Entwicklung des jungen Luther streichen, so wäre das Bild ungenau und falsch. Es entstünde der Eindruck, als sei jener Wandel vom Herbst 1517 bruchhaft und ohne Vorbereitung, ohne wesentliche Elemente der Kontinuität vor sich gegangen. Die allmählichen begrifflichen Veränderungen schaffen, wie sich zeigen wird, die Voraussetzungen, den begrifflichen Apparat, mit dem dann die neuen Gedanken nach der Wende von 1517 ausgedrückt werden. Sie stellen die Weichen und sind der Grund dafür, daß die Umformung von 1517 so und nicht anders ausfiel. Diese allgemeinen Behauptungen müssen noch genau belegt werden. Doch sei, um sie verständlich zu machen, einiges vorweggenommen. Die allmähliche, doch hier, in der Übergangsphase, eben noch nicht grundsätzliche Änderung wird z.B. am Gesetzesbegriff deutlich, für den Luther schon in der Scholie zu Rm 10, 15 (vgl. Kapitel III) die paulinische Antithese von Gesetz/ Evangelium benutzt hatte, ohne doch im Kontext die augustinische Gesetzeslehre und deren Antithese spiritus/litera zu überwinden. Nach der Römerbriefvorlesung begann Luther noch über den Galaterbrief zu lesen, sodaß sich einfach mit dem Eindruck der paulinischen Texte auch die paulinischen Elemente der Gesetzeslehre in Fortführung des in der Römerbriefvorlesung Begonnenen verstärken, was sich in allmählichen, gegenüber der Römerbriefvorlesung graduellen, Nuancenveränderungen in den Begriffen zeigt (was vorerst nur als allgemeiner Eindruck zu behaupten und ungenau zu erfassen ist), ohne daß doch der in der Gesetzesfrage herrschende Augustinismus überwunden bzw. der luthersch-paulinischen Auffassung eingefügt und unterordnet würde. Besonders zwei Predigten vom Dezember 1516 gebrauchen die Antithese Gesetz/Evangelium in eigentümlich deutlicher und doch gehemmter Fassung. Es scheint tatsächlich, als genüge Luther in dieser Übergangsphase das alte Schema nicht mehr und als dränge er über es hinaus, ohne doch das neue zu erreichen. Das Augustinische bleibt, aber das Paulinische tritt stärker hervor. Man muß sich, um dies zu verstehen, Luther einmal alleine mit dem aufgeschlagenen Paulustext denken, diesen lesend, bedenkend, aufnehmend. Luther hat seine Exegesen offensichtlich auch selbständig und allein, nicht nur zwischen einer Reihe von Kommentaren und
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augustinischen Schriften erarbeitet. So dringen paulinische Gedankenformen und Vostellungselemente ein, ohne doch das augustinisdie Gefüge der Gesetzeslehre zu ersetzen. Entsprechend wird audi Evangelium, trotz der vorhandenen, aber noch nicht durchdringenden und bestimmenden Unterscheidung vom Gesetz, nodi nicht im Wandel der Hermeneutik als äußeres, wörtliches, geistliches Wort verstanden; das verbum internum wird in dieser Zeit nodi gelehrt — wiederum in charakteristischer vorläufiger Veränderung, wie wir sehen werden. Ähnlich steht es mit dem Glaubensbegriff, der in den meisten einzelnen Elementen, auch als fiducia sehr betont, eigentlich schon da ist, ohne doch den die spätere Rechtfertigungslehre erst konstituierenden Gesamtzusammenhang von Wort, Evangelium, Gesetz zu gewinnen und so zum späteren Sinn vorzudringen. In der Rechtfertigungslehre der Römerbriefvorlesung war Glaube humilitas, wurde dann in der zweiten Vorlesungshälfte aus mehreren Gründen (s. Kapitel III) wiederholt mit fiducia gleichgesetzt. Dieser positive Begriff, wie wir es nannten (Kapitel III S. 153), bleibt nun auch hier betont im Gebrauch, sodaß man wirklich sagen kann, der Glaubensbegriff sei in dieser Übergangszeit aus seiner frühen Fassung unterwegs zur späteren Fassung. Wieder sind es jene Predigten vom Dezember 1516, die schon in wesentlichen Elementen das Spätere (wie schon bei Rm 8,16) vorwegzunehmen scheinen1. Aber das Nebeneinander des positiven Begriffs von Glaube und der intensiven Verwendung des humilitas-Begriffs (Kapitel III Anm. 3), der auch später wesentliches Element des Glaubens bleibt, ohne ihn aber als fides verbi zu bestimmen, ist als charakteristisch für die Übergangsphase anzusehen. Ähnliches wird sich am Evangeliumsbegriff zeigen. So tritt das Neue schon hervor — dodi eben nur „auch", in einzelnen Elementen und nur stellenweise, nodi nicht durchdringend und bestimmend. Die Theologie Luthers befindet sidi auf dem Absprang zu ihrer endgültigen, 1 Darum sind die Predigten vom Dezember 1516 von mehreren Forschern so sehr beachtet worden (vgl. Anm. 13), vor allem von A. Kurz, der sogar den reformatorisdien Durchbruch in dieser Zeit ansetzt (Die Heilsgewißheit bei Luther 1933 S. 172 ff.); K u r z ' Berufung auf Fic&er ArefBA I und wiederum Fickers Zitierungen aus K u r z im Apparat WA L V I lassen eine prinzipielle Obereinstimmung beider vermuten, wie denn beide die neue Gewißheit im 2. Teil der Römerbriefvorlesung entdeckt und über die Galater- bis hin zur Hebräerbriefvorlesung vollendet sehen, vgl. Kapitel I I I Anm. 45. Ähnliches andeutend H . Hermelink in Christi. Welt 1933 Sp. 965 (vgl. schon ebd. 1924 Sp. 107): die Gewinnung der reformatorischen Vollerkenntnis vom Glauben sei nicht vor 1516 anzusetzen, folgt Verweis auf Kurz, ebenso Hermelink in Handbuch der K G I I I (1931) S. 78; im gleichen Sinne F. Frey, wohl ein Schüler Hermelinks, der in der Römervorlesung den Wandel der Wortlehre und das Ringen um Heilsgewißheit behauptet und in Galaterund Hebräervorlesung den Durchbruch im Glauben und die Gewinnung der reformatorischen Grundlage folgen sieht, so daß die Operationes nur noch den Obergang in die Reifezeit bilden (Luthers Glaubensbegrifi 1939 S. 38. 53—58. 21, zustimmend Hermelink T h R 1943 S. 48 f.). Für R . Müller-Streisand, Luthers Weg von der Reformation zur Restauration 1964 S. 165, bedeutet die Predigt vom 27. Dez. 1516 den Umschwung in der timor-Frage, vgl. noch Hunzinger K a p . I I I Anm. 54.
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neuen Gestalt. Erst wenn die Begriffe Glaube, Gesetz, Evangelium, zu einem festen, neuen Gedankenkreis zusammentreten, entsteht das neue Gesamtgefüge, das jeden Begriff in seinem neuen Sinne eindeutig macht und festlegt, ihn somit in seiner neuen Bedeutung konstitutiv werden läßt und daher auch das bisher in der Gesetzeslehre konkurrierende, in der Ubergangsphase nicht mehr allein bestimmende augustinische Element endgültig einordnet und begrenzt. Auch andere Ergebnisse bereiten sich vor. Der meist erst dem Galaterkommentar von 1519 und den ihm folgenden Operationes zugeschriebene Bruch mit der traditionellen Teilung in Glossen und Scholien entsteht deutlich (vgl. Anm. 2). Möglicherweise tritt audi schon das Sakramentsproblem durch Biels Collectorium, welches Luther wohl zur Vorbereitung einer Disputation erneut studierte, stärker in seinen Gesichtskreis, wie eine Gruppe von Anmerkungen zeigen kann; auch in den Scholen zu Ps. 23—25 aus dieser Zeit (WA 311) wird der Sakramentsbegriff wiederholt gebraucht (vgl. Anm. 6). Auf eine Theorie von E. Hirsch, wie sidi durch Luthers Predigttätigkeit und den Umgang mit Texten der synoptischen Evangelien seit 1516 der Wandel der Christologie vorbereitet haben könnte (Das Wesen des reformatorischen Christentums 1963 S. 89 f.), sei hingewiesen. Als Ubergangsphase ist also die Zeit zwischen Römer- und Hebräerbriefvorlesung zu verstehen, ohne daß dadurch der strukturelle Unterschied der frühen und späteren Theologie, welcher am Ende dieser Entwicklung aus Anlaß der Bußfrage im Ablaßstreit seit der Scholie zu H b 5, 1 zutage tritt, verwischt wäre. Auch in Luthers eigenem Bewußtsein war es eine Zeit unabgeschlossener, weiterdrängender theologischer Entwicklung: fui et ego (sc. in hac opinione, imo errore), sed et nunc quoque pugno contra istum errorem, sed nondum expugnavi (WABr I, 35 vom 8. April 1516). So sind jetzt die in diesen Zwischenzeitraum fallenden Texte auf unser Problem hin abzuhören: die nach Abschluß der Römerbriefvorlesung versuchte Psalmenneubearbeitung, der bestimmte Stücke der Scholien zu Ps. 1 und 4 am Anfang der Dictata und auch die Bußpsalmen (gedruckt Frühjahr 1517) entstammen; sodann die Galatervorlesung vom Winter 1516/17, die Disputationen und Predigten dieser Zeit 2 , schließlich die ersten Kapitel der 1 Es sind im wesentlichen die chronologisch ganz sicheren Einleitungen zur Dekalogauslegung, außerdem WA I, 53 ff. 58 ff. sowie IV, 666 ff. 670 ff. (Datierung nach E. Vogelsang ZKG 1931 S. 124.133). Die Predigt WA I, 37 ff. (nach Vogelsang aaO S. 123 f. auf 1517/18 zu setzen) möchte ich bestimmt für 1515 (in welchem Jahr der 27. Dez. noch frei ist, Vogelsang aaO S. 122 f.) in Anspruch nehmen (vgl. Denifle I 2 S. 432 f. 438 f. 443 Anm. 1); die inhaltlichen Kriterien verlangen eindeutig (gegen Vogelsang) Gleichzeitigkeit mit der Römerbriefvorlesung; frühere Datierung auf 1514 ist nach einem textkritischen Hinweis nicht möglich (WA LVI, 20 App zu Z. 5). Über die Predigt WA 1,130 ff. = IV, 636 ff. vgl. Kapitel IV Anm. 14. — N u r mit großer Zurückhaltung werden wegen der unsicheren Chronologie das sog. Vatikanische Fragment (ed. E. Vogelsang 1940, nach
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Hebräervorlesung (bis einschließlich Kap. 4). Was alles schon da und was noch nicht gegeben ist, worin die Hemmungen der Begriffe hier, im Vergleich mit der Zeit seit Herbst 1517 (vgl. Kapitel IV und V) bestehen — dies alles an jeder Stelle auszuführen, wäre sehr langwierig. Darum ist die Erörterung dieser Übergangszeit erst hier an den Sdiluß, hinter die Darlegung der Wandlung gestellt, damit das neue Verständnis der Begriffe dem Leser schon im Sinne sei, die beschriebene Entdeckung des Wortes und des Glaubens rückwärts erhellendes Licht auf die Texte der Zwischenzeit werfe und so trotz einzelner, ganz den späteren gleichscheinender, Passagen und trotz aller schon weiterweisenden Formulierungen doch deutlich werde, daß jene endgültige Lösung und Begründung der Probleme in der Konsequenz vom neuen Wort- und Glaubensverständnis hier noch nicht erreicht ist. Ob in der folgenden Darlegung die schwer faßbaren allmählichen Veränderungen und Nuancenverschiebungen schon ganz richtig getroffen sind, ist mir nicht gewiß. H . Beintker WZ Greifswald 1, 1951/2, N r . 2/3 S. 77 Abschrift einer für die vor 1518 geplante Drucklegung verfaßten Auslegung, dagegen nach S. Raeder, Die Benutzung des masoret. Textes bei Luther in der Zeit zwischen der ersten und zweiten Psalmenvorlesung 1967 S. 25, jedenfalls zum Teil schon vor 31.Oktober 1516) und die Scholien zu Ps.23—25 in WA 31 I (nach Raeder aaO S. 82 f. wegen intensiverer Hebräischkenntnisse, doch m.E. auch aus inneren Gründen, später als das Vatik. Fragment) benutzt, da der Gebrauch der inneren Kriterien bei Schilderung der inneren Entwicklung Luthers einen Zirkel darstellen würde. Es handelt sich in dieser Phase, sowohl vor wie nach dem Wandel von 1517/18, um Ubergangstexte, die Mischformen zeigen (Galaterkommentar von 1519, ähnlich die Decern praecepta Wittemb. habita 1518 WA I, 398 ff., welche bearbeitet sind und daher hier gar nicht benutzt werden). Rein formal zeigt sich das an der beginnenden Auflösung der Glossen- und Scholienteilung. Die Psalmenbearbeitung vom Herbst 1516 scheint die Teilung schon zu vermeiden (so audi H . Boehmer, Luthers erste Vorlesung BAL phil. hist. Kl. 75,1,1924 S. 36 und Der junge Luther 1951 4 S. 112, ebenso J. Hilburg, Luther und das Wort Gottes in seiner Exegese und Theologie, Diss, theol. Marburg 1948 S. 3, anders H . Beintker aaO S. 78, der erst für Ί517 die neue Form ansetzt), vgl. die Bußpsalmen 1517! Im Vatik. Fragment ist die Teilung wohl vorhanden, doch bemerkenswert, daß die Glossen ihrerseits schon fast scholienartigen Charakter haben (vgl. E. Vogelsang, Unbekannte Fragmente 1940 S. 24). Da der Bußpsalmendruck die Unterscheidung nicht, die folgende Hebräervorlesung dagegen wohl benutzt, darf man vielleicht wirklich schließen, daß Luther für die Öffentlichkeit ohne, im Kolleg dagegen (auch beim Vortrag der Operationes?) mit Glossen vortrug (so J. Hilburg aaO S. 3; daß die Methode nicht schroff gewechselt hat, zeigt E. Vogelsang aaO S. 24). — Die Briefe dieser Zeit ergeben nichts Neues, nur die bisherige Darlegung bestätigende Andeutungen (Tunc enim magis irascitur, quando non irascitur WABr I, 60,13 f.). Einige persönliche Bemerkungen erbringen hier nichts (WABr I, 60,16 ff., vgl. 152, 26 f.; 72,12 f.; 73, 37 f.); WABr 1,57,18 f. periculum est vita sine pace, quia est sine Christo meint nicht die Heilsgewißheit, sondern Eintracht im Kloster. Bei der berühmten Stelle aus dem Brief an Spenlein vom April 1516 über fiducia standi coram deo ist zu beachten, daß eine solche fiducia hier nur abgelehnt wird: sie ist der error, in dem Luther und Spenlein einst waren. Uber K. Alands Verwendung der Briefe s. Sdiluß Anm. 1.
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In der Neubearbeitung der Scholien zu Ps. 4, 2 (in tribulatione dilatasti mihi) heißt es, dilatasti sei ein genauer Ausdruck für die Art des Trostes: Forte propter vicissitudinem et imperfectionem, quia in hac vita semper est vicissitudo harum dilatationum, et longa est nulla nec stabilis(!). Sic autem erit in futuro, ubi erit perpetua (WA III, 45, 13 ff.) s . Und auf die Frage Cur dilatavit te Dominus? unde sequitur? aut qua consequentia hoc et non aliud sequitur? lautet die Antwort: Quia tribulatus sum. Deus enim cum eis in tribulatione... Dilatatus es, quia tribulatus es, und dann folgt eine in Analogie zu Rm 5, 4 f. gebildete Reihe, welche endet: Tribulatio (sc. infert) consolationem (III, 46,1 ff.). Es braucht nicht noch einmal erörtert zu werden, daß hier die Gewißheit, weil aus tribulatio und nicht aus dem Wort begründet, nicht stabilis, nicht longa sein kann. Das Schwanken zwischen Gewißheit und Furcht in der behaupteten vicissitudo ist nicht theologisches Schwanken und Ringen um Gewißheit in einer Ubergangsphase Luthers, sondern Einsicht in die theologisch erkannte Notwendigkeit beider, was sich natürlich für Luther biographisch, doch nicht anders als später, als Schwankung auswirken kann. Auch wenn das Schwanken des Herzens und die Sicherheit des göttlichen ego adero behauptet wird (Anm.3), so ist daraus nicht die Lehre von der Gewißheit des Glaubens entbunden. An der tribulatio wird das ex deo esse erkannt, denn tribulatus e s . . . quia secundum deum iustus es (III, 46,4 f.). Voraus geht der schon zu Rm 5 geäußerte Gedanke, daß Gott den Menschen gleich nach der Rechtfertigung in tribulatio stürzt 4 . Diesen Wechsel von Freude und Leid (dilatatio/miseria) gibt es im Leben, ne ex dilatatione iam velut certus sis et torpeas, que est pessima tentatio 5 . Darum endet, meint Luther, der Psalmvers auch nicht mit dem Wort dilatatio, ut sciamus non stare finem in hac vita nobis, sed semper et usque ad mortem misericordiam petere et orare. Consolatio ist nicht das letzte Wort, weil es kein quiescere a profectu gibt (WA III, 47, 23 ff.). Die Unruhe in Furcht und Gebet bleibt erhalten. Qui lugent et sunt in tribulatione, die werden wohl getröstet (WA III, 48, 30 ff.) — doch wie? Auf Grund der tribulatio als Zeichen der Gnade und nur für kurze Zeit. Dann geht es wieder unendlich weiter in vicissitudo von dilatatio und miseria, sine quiescere a profectu, wie einst in den ersten Römerbrief-Kapiteln: ein unendliches humiliari in immensum. Die späteren Römerbrief-Kapitel haben also keinen Wandel gebracht. » Analog in einer Predigt vom 28. Oktober 1515/16 (?) WA IV, 668, 21 ff. Quanto quis amicior, tanto inimicior erit. Ubi ergo consolatio, ubi quies cordis? Amovit omnia et dicit: ,In medio cum estis inimicorum, ego adero': hoc fundamentum, haec petra. Aspiciamus ergo hominis cor non alia (sc. causa?), quia cecidit, non enim stabile est aut unquam erit. Der Text sei angeführt, gerade weil er über das Bisherige hinauszuführen scheint, vgl. weiter im Text. 4 WA III, 46, 5 ff., WA LVI, 305,10 ff. ' WA III, 46, 37 ff., vgl. WA LVI, 305, 22 f. Sine probatione huiusmodi... spes confunderen immo non esset spes, sed praesumptio.
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Die Quaestio de viribus et volúntate vom September 1516 nimmt genau die Vorstellungen der ersten Römerbrief-Kapitel auf: die Gerechtigkeit ist verborgen, offenbar (manifestum) ist nur die Sünde (WA 1,148, 35 f.), immer noch ist der Heilige conscienter peccator, ignoranter vero iustus, weil die Gerechtigkeit ex sola imputatione dei kommt (1,149,1. 8 ff.), und in der Gesetzeslehre sind die augustinischen Bestimmungen nodi ganz gegenwärtig (I, 146, 14 ff.; 147,13 ff.; 149, 20). Zwar ist die ganze Quaestio wahrscheinlich nur Zusammenstellung eines Schülers aus dem Römerbriefmaterial, aber auch dann ist zu beachten, daß Luher die in den ersten Römerbriefkapiteln gelehrte Ungewißheit (Unwissenheit) in der Rechtfertigung noch immer behaupten und disputieren läßt 6 ; auch im Vatik. Fragment (ed. Vogelsang 85,10 ff.) wiederholt er selbst seine Vorstellungen aus dem Römerbrief. Reichlich Stoff zum Problem findet sich in den Bußpsalmen 7 . Damit der Mensch schreie und sich sehne nach Gottes Trost, „also seyn alle gottis straffe gar fruntlich geordnet zu seliger trostung" (WA 1,160, 27 f.). Die Strafen sind gleichzeitig Vorbereitung und selbst schon Trost; der Trost besteht im Wissen, daß Gott seine Güte und Freundschaft unter Zorn und Strafe verbirgt (160, 30 f.). Darum behalten die Heiligen in Hölle und Leiden eyn gunst gegen got und sorgen sich mehr um Gottes Lob denn um ihre Verdammnis. Das ist der edelste Gedanke, den die Heiligen im Leiden haben (162, 3—15). Dieses Wissen über die Verborgenheit von Gottes Güte und Freundschaft und Zorn und Strafe ist ein fröhliches Gewissen in Gottes Barmherzigkeit, welches alle Widerstürme und Anfechtung widerstreitet (171, 20 f.). Dies ist eine der schönsten und stärksten Stellen, die unübersehbar den „positiven" Begriff von Glauben zeigt 8 — nur man beachte » Zur Kritik der Disputation vgl. E. Hirsch ThStKr 1918 S. 108 ff. — Den Augustinismus dieser Zeit (der aber auch jetzt in der Rechtfertigung coram deo nicht durchdringt, WA 1,104, 6 ff!, sondern nur im Gesetzesproblem herrscht) betont audi L. Grane, über dessen Verständnis ich aber hier nicht rechte (Contra Gabrielem 1962 S. 322 Anm. 7, S. 338 Anm. 1 sowie S. 3 7 0 . 3 7 4 . 3 7 5 . 3 7 6 ) ; an O. Ritschis Betonung des Augustinismus und an seine These, daß in dieser Zeit die erste Lösung von Augustin einsetze (vgl. Einleitung S. 13), sei erinnert. Uber den Augustinismus in dieser Zeit in Wittenberg und bei Karlstadt vgl. K. Bauer, Die Wittenberger Universitätstheologie 1928 S. 44 f. 46. — In den Rahmen der so stark mit Augustin arbeitenden Disputationen 1516/17 gehören die Randbemerkungen zu Gabriel Biel (ed. Degering, in: Festgabe der Kommission zur Herausgabe der Werke Martin L u t h e r s . . . Weimar 1933, vgl. L. Grane aaO S. 348 f. 368); unter ihnen findet sich eine Gruppe zum Sakramentsproblem im 4. Sentenzenbuch, die aber hier nur nebenbei, im Zusammenhang mit den anderen, für die Disputation ins Auge gefaßten Themen entstanden sind. In den Scholien WA 31 I (464,7; 4 6 9 , 3 . 1 2 ; 4 7 0 , 2 ) wird daher auf das Sakramentsproblem schon wiederholt angespielt. 7 Sehr unterschiedliche Beurteilung derselben WABr I, 9 0 , 1 2 f.; 93, 5 ff.; 9 6 , 1 4 f. 8 Vgl. außer WA 1,171, 20 f. nodi 165, 21 fester Glaube, 172,15 f., einfältiger Glaube und festes Vertrauen, Zuversicht, 173, 25 ff. 30 ff, über den Sachverhalt im Römerbrief s. Kapitel III Anm. 44. — Auch in den Scholien W A 31 I finden sich viele, auf die endgültige Entdeckung der Gewißheit zustrebende Stellen (z. B. 468, 8 ff. 35 ff. ; 469, 22 ff. ; 470,
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den Kontext und frage, wie der Begriff im Gesamtzusammenhang begründet ist 9 . Noch immer wird das Gute nicht offenbar, sondern bleibt verborgen (183, 29 f.; 184, 22 f.). Das führt die Heiligen auf den Weg des Kreuzes: „Senck dich yn unvorstand, so gebe ich dyr mein vorstand, unvorstand ist der rechte vorstand, nit wißen wo hynn du geest, das ist recht wissen wo du hyn geest" (171, 30 ff.). So weiß der Mensch auf diesem Wege nichts, hat in wahrer Reue nichts vor Augen denn seine Sünd und elend Gewissen (185, 37 f.), wie denn der wahre christförmige Mensch stets inwendig voll Untrosts und betrübten Geistes ist (216, 28 f.). Entsprechend wird noch immer die Simultaneität von Trost und Tod, Gericht und Heil festgehalten (simul, eoipso Unbekannte Fragmente S. 40,19 f.; 41, 8 f., vgl. 56, 5 f.), noch immer gilt: crux operatur confidentiam et securitatem (ebd. 56,12). So also wird noch immer das gute und getröstete Gewissen gegeben, von dem Luther mit Nachdruck spricht, und das kann auch nicht anders sein, solange das entgegentretende, zusagende Wort nicht entdeckt ist. Wo Luther aber das Gewissen im Wort begründet, da geschieht es auf eine für den Stand des Problems bezeichnende Weise, mit dem Hinweis auf das innere Wort: „... und alßo mir ein gut gewissen machst, das idi hoer deyn heimlich eynrunen, dir seynd vorgeben dein sund" (1,189, 37 f.). Dieses Einraunen Gottes ist, gleich jenem testimonium spiritus von Rm 8,16, das innerliche Werk Gottes (190,11 f.). In ihm wird das trostlich fröhlich gewissen und zuvorsicht gegen gott begründet. Ob die Gewißheit aus der Kontrarität (aus Zorn und tribulatio) oder vom Geist eingegeben oder von Gott geraunt wird, ist immer dasselbe, denn auch der Geist ist nur sub cruce verhüllt (WA LVI, 133,16). Das unzweifelhafte, der absconsio entnommene testimonium aus dem gewiß zusagenden Wort ist hier nicht entdeckt. Doch muß zu dem eynrunen (nodi 1,190,1, vgl. yn mein hertze spreche 216, 37) noch Genaueres gesagt werden. Das innere Wort ist hier in mystischer Vorstellung als inneres gesprochenes Wort vorgestellt, nicht mehr im augustinisdien Schema als inneres verbum impletum sive opere perfectum. In dieser Form steht der Topos nahe bei den Formulierungen über das innere Lehren Gottes oder des Geistes (vgl. Kapitel IV Anm. 78). So ist es zu 23 ff. 38), und in den Bielanmerkungen (Degering a a O S. 29) liest man sogar die Kritik: Vides deesse promissionum scientiam et fidei notitiam (— ob gleichzeitig mit den anderen Eintragungen oder Nachtrag beim Studium des Sakramentsproblems im Ablaßstreit?). Man erkennt, wie hier die Weichen für den endgültigen Umschwung gestellt werden. Genaue Feststellung der Entwicklung, d . h . Entscheidung, wie nah diese Äußerungen an den Herbst 1517 herangerückt werden dürfen, wäre nur durch sichere Datierung der Texte möglich. 9 Vgl. das Urteil v o n K. Bauer (Die Wittenberger Universitätstheologie S. 148 Anm. 2 und S. 149), daß in den Bußpsalmen der neue Glaubensbegriff noch nicht gegeben sei, daß aber nur eine schmale Grenze noch bestehe, die den Luther des Jahres 1517 v o n dem des Jahres 1518 trenne. 15
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Kroeger, Rechtfertigung
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erklären, daß jene beiden Stellen (1,190,1 und 216, 37) unverändert in der zweiten Bußpsalmenbearbeitung von 1525 wiederkehren (WA XVIII, 503, 14 und 526, 20 f.). Verändert aber hat sich die Bedeutung und Ermöglichung dieser Stellen. In der Predigt vom März 1521 in die annunciationis Mariae sagt Luther: „Aber in dem engel ist anzeyg das amt eines rechten predigers. Goth will die Junckfrau nicht schwanger machen, den er schickt das worth furhin zw irr. Er hette woll sunst heimblich ir mugen zusprechen und ins herze geben, das sie gefuelet hette: Dw solt eyn kindt geberen. Er wils nicht thuen. Er hab den forhin durch ein leypliche Styme irr zwspredin laßsen . . ( W A IX, 624, 30 ff.). Das innere Lehren, das Luther auch später noch behauptet, ist also seither an das äußere Wort gebunden (und so auch in den Bußpsalmen 1525 zu denken). Diesen Sinn kann aber die Stelle in den Bußpsalmen 1517 noch nicht haben, nur Gottes inneres Einraunen spricht die Vergebung zu 10 . Die Zweifelhaftigkeit und Zweideutigkeit des testimonium in confusione hat Luther erst bei Hb 5,1 entdeckt bzw. ausgesprochen und im Wort überwunden. Daher bleiben hier trotz aller behaupteten und gelehrten Zuversicht nur Furcht, Bitten und Demut der Christen, denn sie fühlen und wissen nur das Gericht und die Sünde (191,13 ff.). Für solche Menschen ist Christus Heil und Trost (187, 32 ff.; 191,23 ff.). Die Bereitung der Auserwählten geschieht durch das Wort des Evangeliums, in dem Gnade und Zorn offenbart wird (201,11 ff.), in dem auch steht, was Gott den Menschen aus Gnade getan hat (204, 15 f.). So ist im rechten Menschen immer nur Furcht vor dem Gericht Gottes, und neben derselben Furcht Hoffnung zu der Gnade, „alßo steet forcht und hoffnung mit eynander, und gleich wie das gericht gottis wircket die furcht, alßo wirckt die furcht das geschrey, geschrey aber erlanget die gnade" (207,26 ff.). Es spricht sich hier deutlich aus, mit welcher Gewißheit Luther dem hoffenden, bittenden und fürchtenden Geschrei die Gnade zuschreibt, und daß in Gewißheit dieser Gnade, die Gott dem Bedürftigen gibt, ein fröhliches Gewissen gegeben ist. Aber man höre aus diesen für die ganze Zeit der Römerbriefvorlesung und noch hier charakteristischen Wendungen — Geschrei und Jammern zwischen Furcht und Hoffnung 11 — den Unterschied zu der 1517/18 am Ab10 Daß entsprechend in der Vaterunserauslegung von 1517 die Auslegung des Amen (II, 126—128) mit der neuen Gewißheit, der herzlichen Zuversicht und dem Glauben (II, 127, 4. 20 f.), mit der Betonung von Wort und Zusage (II, 127,16 f. 23 f. 38—40; 128,1) der Bearbeitung von 1519 nodi fehlen, hat E. Bizer gezeigt (Fides ex auditu S. 145 f., vgl. 139—142). Andrerseits zeigt der Vergleich des „Vaterunsers vor sich und hinter sich" von 1519 (WA VI, 21 f.) mit der Fassung von 1516 (ZKG 48 N F 11, 1929, 198 ff. ed. Clemen), daß das Problem in der Obergangszeit schon stark da ist: Luther bittet um die Sicherheit unseres Gewissens, und wenn wir diese erlangt haben, so folgt zur Befestigung mancherlei Versuchung und Anfechtung (WA VI, 2 2 , 1 ff. 6 ff. und schon wörtlich gleich 1516 ZKG aaO). Die Bitte um Gewißheit ist nötig, weil zu dieser Zeit der Trost longa est nulla nec stabilis (WA III,, 45,15 f. zu Ps. 4,2 von 1516, vgl. oben S. 223). 11 klagen WA 1,168,34; 170,31; 178,25 ff. 34; 198, 8 ff.; 201,16, vgl. Kapitel III Anm. 7.
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laßstreit erreichten Gewißheit heraus; dort die Gewißheit eben der Gnade, auf deren Zusage im Wort der Mensch sich selbst, seinem ungenügenden Glauben und aller Welt gegenüber trotzt, hier in den Bußpsalmen aber gibt es vor der Welt und vor einem selbst nur eins, zuschanden werden und die Sünde erkennen: Inwendig fur yren ä u g e n . . . Auch außwendig vor den leuten . . . (166,10 f.; vgl. 185, 37 f.). Darüber bringen hier auch die Anklänge an Mt 4,4 oder Ps. 130, 5 (und auf sein Wort hab ich mich verlassen!) nicht hinweg. Der wahrhaft christförmige Mensdi — so interpretiert sich noch einmal der Hinweis auf die Exemplar-Christologie und den in Christus gegebenen Trost in abscondito — ist stets inwendig voll Untrosts und betrübten Geistes (216,28 f.), mag auch die Gnade in das Herz sprechen: dir sind vergeben deine Sünden (216, 36 f.), um vor Verzweiflung zu bewahren. Das buchstäblich letzte Wort dieser ersten Bußpsalmenbearbeitung heißt: ynn demutiger furcht nach gnade und barmhertzickeyt sich ernstlich sehnen (220, 23). Das entscheidende, die Entwicklung beleuchtende Material zur Frage bieten die Sermone vom Winter 1516/17, Exordialpredigten zur Dekalogauslegung, in denen Luther zum 1. Gebot (De fiducia in Deum) zu predigen hatte (WA I, 74 ff.); dies nodi gleichzeitig zu den letzten Römerbrief-Kapiteln, sodaß auch von daher noch eine Bestärkung im positiven Gebrauch von fides/confidere kam. Schon zuvor in einer Predigt (wohl Ostern 1516) hatte Luther gesagt: in nomine eius (sc. sic oportuit pati Christum) praedicari poenitentiam et remissionem peccatorum, hoc est evangelium. Gleich danach wieder, im erläuternden Kontext (über Richter 14,14!): omnis persecutio operatur in nobis consolationem . . . Sic nascitur gaudium de tristitia, pax conscientiae de persecutione corporis (WA I, 59, 33 ff.; 60, 2 ff.). Nicht in, sondern an Verfolgung und Trauer entstehen Freude und Trost, weil an ihnen das ex Deo esse erkannt wird. Die anfangs zitierte Wendung: remissio peccatorum, hoc est evangelium, ist in jedem Wort formelhaft und sagt nicht, wie sie zu verstehen sei. Das 1. Gebot verlangt, ut pura fide, firma spe, vera diaritate in unum solum Deum confidamus (WA I, 74,12), kein Gut außer ihm zu haben (74, 13 f.). Dieses alleinige auf Gott Vertrauen kennt und lehrt Luther in Reinheit und mit Nachdruck, weil Gott und Welt sich ausschließen. In allem Glück, nicht erst im Unglück, fragen und weinen die Heiligen nach Gott, während wir Gottlosen uns über das Glück freuen (I, 74 f.). So sucht Luther für die rudes motiva ad confidendum in Deum (I, 75, 6 f.) und findet sie im beneficium naturae nobis datae (75, 7 f.), welches Gott gibt, um Vertrauen zu lehren, und wieder nimmt, um es zu prüfen (75, 34 f.), denn er will per stultitiam praedicationis salvos facere credentes (75, 38 f.). So gibt es drei Stufen im Christsein: Anfänger, die durch Wunder und Zeichen an Gott glauben, Fortgeschrittene, die dem bloßen Wort (nudo verbo) glauben ohne begleitendes und bestätigendes Werk; Vollkommene, die nicht einmal 15*
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des Wortes mehr bedürfen, sondern zu allem Folgen, Glauben und Hingeben ultra signa et verba bereit sind (87 f.). Das Wort dient dem Durchdringen in das Unsichtbare auf der Stufe des Fortgeschrittenen, ist aber nicht letzter Grund des Glaubens. Denn es geht darum, die Widersätzlichkeit von Gott und Welt im Glauben zu erfassen und zu durchschauen: Sicut enim coelum nubibus obducitur, nihilominus creditur et cogitatur sol in sua claritate manere. Ita cum Deus sit suavitas ipsa, bonitas, misericordia, cum inducitur ira vel tribulatio quae deum abscondit, oportet scire, quoniam non per haec deus mutatur a volúntate et bonitate sua. Et sic secure se quis potest inferre in tribulationem et mortem, certissime sciens, quod sub transeunte morte et tribulatione latet et invenitur vita et pax stabilis quae Deus est (90, 2 ff.). Wieder wird die bleibende Gnade unter der Verhüllung gelehrt, bei der der Mensch certissime sciens vita et pax stabilis findet. Aber die Ermöglichung dieses Glaubens in aller Zweifelhaftigkeit, in confusione ist nodi nicht gegeben, weshalb es der motiva und exempla bedarf (I, 75, 6 f. und 90, 11). Um zu diesem Glauben zu leiten, hat Jesus die oratio dominica gelehrt, quae pienissime continet tribulationes nostras et est cruce refertissima, während wir es nur tempore felicitatis beten (90,8 ff.). Die Anrede schon („Pater") schafft jene scala illa duplicis confessionis (sc. peccati et laudis), qua cor attenditur et ad contritionem sui certissimam, ut sit idoneum orare sequentia (90, 23 ff.). Es ist wieder eine Stelle, an der die ungeheure Selbstbelastung des Glaubens und der confessio wie am Anfang der Römerbriefvorlesung zutage tritt: Daß Buße kein actus elici tus und extortus ist, sondern gerade in Betroffenheit und Überführtwerden durch die Anrede „Pater" entsteht (vere Tu Pater, sed non ego filius vel filia. Fecisti enim me, dedisti vitam, sensum et omnia bona . . . Sed heu! quomodo ego his omnibus sum abusus 90, 21 ff.), das ist der sichere Sinn und Tenor der ganzen Stelle, hinter den Luther nicht mehr zurückfallen kann. Aber gerade wenn Gott in seiner Art (90, 3 f.!) dem Demütigen und Sünder Gnade gibt, so dodi nur dem wirklichen Sünder und Demütigen. Darum muß die Frage nach der contritio sui certissima entstehen (90, 24 f.) 12 . Es kann also an einer solchen Stelle nicht darum gehen, ihren überzeugenden Sinn zu mindern, sondern nur darum, sie auf den kritischen Punkt hin zu befragen, der dann im Ablaßstreit überwunden wurde, als per impossibile der Glaube auch ohne die Reue im festen Vertrauen auf die lösende Zusage des Priesters rechtfertigt. Die Reflexion auf genügende fides und contritio (contritio sui certissima) ist da unnötig, der Glaube entlastet und als reiner Glaube möglich geworden, der er in Luthers Einsicht schon hier ist. In unserer Predigt vom Oktober 1516 ist jene Möglichkeit noch nicht erschlossen. 12 Warum es diese Frage zu dieser Zeit nodi geben muß (WA I, 6 6 , 1 7 ff. 23 ff. 25 ff.; 68, 2 ff.; 69, 4 f., die einzige Gewißheit in dieser unendlidien Ungewißheit der humilitas und confessio ist die resignatio I, 7 2 , 1 6 ff.), wurde gezeigt, auch daß sie ab 1517 gelöst ist.
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Deswegen bleibt es das einzige Thema: omnia relinquere et credere, hoc est crucem Christi ferre (101, 21). Darum sind crux et omnium relictio et fides so schwierig (difficillima res), weil der Glaube den rerum affectum mortificat, ut omnia relinquat, während er nur durch Unsichtbares und Unerfahrbares gehalten wird (102, 10 ff.). Solange nodi aliquid in affectu des Menschen bleibt, ist er unruhig; aber quies conscientiae hat, wer affectu rerum relicto alia bona in fide schmeckt (102,19 ff.). Daher, gepriesen das Kreuz! Tantum ergo crescit et decrescit, quantum ille affectus crescit et decrescit (1,102,12 f.). Nichts macht deutlicher als diese Korrespondenz von fides und affectus, daß der Glaube hier unendliche confessio und humilitas ist, aber gerade nodi nidit gegen das erkannte Ungenügen des reuigen und demütigen Affekts dem Wort die Gnade glaubt, aus diesem entsteht und wächst, und noch nicht als Glaube vom geforderten Affekt der Buße und Demut wie das Evangelium vom Gesetz unterschieden ist. Die Predigt vom 7. Dezember 1516, zusammen mit der bald darauf folgenden vom 21. Dezember, enthält die eigentümlichsten und weitgehendsten Aussagen in dieser Zeit, die nur in jener Scholie zu Rm 10,15 (WA LVI, 424—26) eine entsprechende Vorform hat 13 . Über Mt 11, 5 (Pauperes evangelizantur — De evangelio WA 1,104, 28 f.) heißt es: den Armen wird gepredigt bonum, pax, gratia, misericordia, denn das Evangelium ist nicht praecepta vivendi in nova lege, sondern ganz eigentlich (proprie) Evangelium. So hat es ein duplex officium 14 : Das alte Gesetz auszulegen in seinem geistlichen Sinn, womit es erst recht tötet, weil so das Gesetz noch unerfüllbarer wird. Macht es so den Menschen verzweifelt und gedemütigt, so kommt es in seinem zweiten, eigentlichen (proprium et verum) officium und verkündet dem verzweifelten Gewissen Hilfe und Heilung: Kommt her zu mir alle (Mt 11, 28), und: vergeben sind deine Sünden (Mt 9, 2). Das Gesetz ist in Christus erfüllt, der Mensdi muß nur diesem im Glauben adhaerere et conforman. So macht das Evangelium froh, gratiam nunciando (WA I, 105). Wichtiger als die Feststellung, daß auch hier die für den Begriff von ls
A. Kurz (Die Heilsgewißheit bei Luther 1933 S. 172 ff.) hat darum mit seinem nachdrücklichen Hinweis auf diese Predigten vom Dezember 1516 sehr recht gehabt, nur wollte er sie in ein unmögliches Ergebnis zwingen. Ihre besondere Bedeutung bestätigt audi der im ganzen ablehnende Rezensent Kurz* R. Jelke in Theol. Lit. Bl. 1934 Sp. 52, ebenso O. Ritsdll (DG des Prot. II, 1 S. 66—68) und R. Seeberg, der sie an wesentlicher Stelle benutzt (DG IV, 1 S. 86 f.). Vielleicht am stärksten außer Kurz hat diese Adventspredigten von 1516 E. Hirsch hervorgehoben, nach dessen Meinung Luther hier zur letzten vollen Klarheit über Gesetz und Evangelium durchgedrungen und damit zur Erkenntnis des das Gewissen erlösenden Evangeliums gekommen ist (Lutherstudien I S. 160 Anm. 2). 14 Ganz ähnlich in der Predigt vom 21. Dezember 1516: Dem doppelten Amt des Evangeliums entspricht die conformitas imaginis Filii Dei, welche includit utrumque illud opus (sc. alienum und proprium WA 1,112, 33 f.; 113,3). Etwa gleichzeitig mit nicht so präzisen Formulierungen in der Galatervorlesung (WA 57, 60) und von dort aus im Kommentar WA II, 466, 3 ff. Auch in den Bußpsalmen wird dasselbe duplex officium angedeutet WA I, 201,10 ff.
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Glauben entscheidende Konsequenz jener Hebräerbrief-Scholie noch nicht gezogen und darum der Glaube als conforman, noch nicht als niti in verbo und praesumptio istorum verborum verstanden wird (s. u.), ist aber wieder die Beachtung dessen, was in dieser Predigt schon alles gesagt ist. Wichtig aber ist zur genauen Erfassung des von Luther Gemeinten nun vor allem, wie es gesagt wird. Luther bestimmt das Verhältnis von Evangelium und Gesetz als zweierlei Amt des einen Evangeliums. Diese eigentümliche Definition — darum auch deutlicher als die nur paulinische Formeln reproduzierende Scholie bei Rm 10,15 — ist die bedeutsame und charakteristische Ausdrucksform in dieser Übergangszeit (Anm. 14). Auch deren Bedeutung wird allerdings erst ganz klar, wenn man sich der anfänglichen Identität von Gesetz (iudicium) und Evangelium in den Dictata und auch in den Voraussetzungen des Glaubensbegriffs der Römerbriefvorlesung erinnert. Von dieser Identität an ergibt sich nun aus verschiedenen Teilelementen analoger Begriffsbestimmungen ein allmähliches Auseinandertreten beider, über die Unterscheidung zweier Ämter des einen Evangeliums hier in unserer Predigt bis hin zur endgültigen Unterscheidung von Gesetz und Evangelium seit 1517/18 als zweierlei Brauch und Sinn des einen göttlichen Wortes. In diesem Sinne kann Luther auch später noch die Formel vom duplex officium evangelii gebrauchen (P. Althaus, Die Theologie Martin Luthers 1962 S. 228 f.), aber sie hat da, unter der Voraussetzung der Unterscheidung von Gesetz und Evangelium, einen anderen Sinn, denn sie nimmt nicht deren Stelle ein, wie hier in der Frühzeit. Daß das Gesetz im Dezember 1516 noch eine Funktion des Evangeliums ist, scheint angesichts der übrigert Bestimmung des proprium officium evangelii fast nur noch eine Formulierungsfrage, ist aber Indiz für den noch bevorstehenden, letzten Schritt im Glaubensbegriff; erst dieser bringt die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium. Demgegenüber sind hier — es ist allerdings nur um einen kleinen Schritt davon — Gesetz und Evangelium noch zwei Ämter des einen Evangeliums (1,108,13 f.; 126, 7 ff.!!), weil die augustinischen Schemata ungebrochen danebenstehen (1,106, 7 ff.) und die Alternative opera/verba (bloßes Wort, 1,106, 19. 23) unverändert erhalten ist. Doch greifen wir noch weiter zurück. Denn es ist für die Erkenntnis der Entwicklung Luthers wichtig, möglichst genau zu sehen, wann und wie sich die Unterscheidung vorbereitete und die beiden Begriffe Gesetz/Evangelium aus ihrer anfänglichen Identität allmählich auseinandertreten. Es besteht im allgemeinen Ubereinstimmung darüber, daß die frühe Zeit in der Frage Gesetz/Evangelium eine Ubergangszeit ist, in der eine Unterscheidung nur im augustinischen Schema spiritus/litera gegeben ist, in welchem evangelium und lex nova/spiritualis identisch sind, und daß dann dieses Schema allmählich durch das genuin lutherische abgelöst wird: eindeutig in den Operationes in Psalmos, während der Galaterkommentar von
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1519 noch konkurrierend das alte Schema zeigt (denn er ist Bearbeitung der älteren Vorlesung, deren übernommener Stoff die Darlegung und Entwicklung der neuen Anschauung hemmte)15. Doch wann und von welchen Bestimmungselementen aus beginnt die Differenzierung? Uber die Einheit von Gesetz (iudicium) und Evangelium ist genug gesagt. Diese feste Identität von evangelium/spiritus/gratia und lex nova/spiritualis in humilitas/confessio/fides, die sich in der Antithetik von NT/AT, entsprechend in spiritus/litera, ausdrückt (vgl. Ebeling ZThK 1951 S. 211), wird auch da nicht gelöst, wo dem AT genügender Sinn zugesprochen wird (Sic lex quoque placuit usque ad Christum WA IV, 234, 21) und auch in seinem Bereich die Möglichkeit erkannt wird, es geistlich zu verstehen oder, wie die Pharisäer taten, es zu verderben (WA III, 96, 26 f.), so wie auch unter dem Evangelium Gesetzlichkeit möglich ist (III, 451, 22 ff.; IV, 51, 31 ff.). Doch gab es im AT (tempus legis) evangelium/spiritus nur verhüllt; es gab nur eine absconditas simplex, nicht die absconditas sub contrario des Glaubens, sodaß das AT wirklich als altes erscheint (alles ZThK 1951 S. 215 f.). Doch wird hier die spätere Unterscheidung vorbereitet, sofern eine lex spiritualis vetus und eine lex spiritualis nova unterschieden sind: Unde notandum quod lex vetus spiritualiter intellecta non est nisi crucifixio carnis. Quia pellis ideo vocatur (wegen Ps. 103/104, 3 Extendens coelum sicut pellem), quod sit vacua carne et doceat carnem evacuandam suis concupiscentiis pinguibus et crassis. Ideo non nisi Ihesum crucifixum prenunciat. Sed lex nova est salus et liberatio spiritus. Et sic veteri conveniunt omnia, que ad destruetionem veteris hominis pertinent, nove autem omnia, que ad constructionem novi hominis (IV, 174,17 ff.). Hier wird, gelöst von der Parallele AT/NT, innerhalb der spiritualis lex eine Unterscheidung von „Gesetz und Evangelium" (crucifixio-liberatio) und so auch das Verständnis des Gesetzes als bloß vernichtenden vorbereitet — allerdings nicht durchgeführt; denn destruetio veteris hominis und constructio novi hominis können wohl unterschieden gedacht werden, sind aber im Vollzuge als evangelium impletum ( = iudicium) noch in der Römerbriefvorlesung identisch: 15 In dieser Entwicklungsskizze sind zusammengezogen und etwas ergänzt die bereits zitierten Hinweise von G. Ebeling, E. Wolf, G. Pfeiffer (Einleitung Anm. 7 und Kapitel III Anm. 13), H. Bornkamm ARG 1962 S. 20.29.55 und von Fr. Loofs, der erst der Hebräerbriefvorlesung die endgültige Unterscheidung von Gesetz und Evangelium zuschreibt, obwohl auch er die Predigten vom Dezember 1516 beachtet (DG4 S. 712. 721 Anm. 6). Man bringt sich freilich um jedes genauere Verständnis der Entwicklung, wenn man die von Luther verwendeten Termini nur uneigentlich nimmt: „Wenn Luther das Evangelium nova lex oder lex Christi nennt, so geschieht das nur aus formellen Gründen im Gegensatz zur vetus lex, ebenso wie Augustin von einer lex fidei im Gegensatz zur lex operum spricht" (Hamel II S. 51). Gerade die Parallele zu Augustin belehrt hier eindeutig; die Terminologie ist nicht nur formell, sondern charakteristisch.
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Consummari idem simul et angustari, simul perfici et velut m i n u i . . . (WA LVI, 409 f.). Das augustinische Schema erlaubt die Unterscheidung nicht. Aber gerade die frühe Einheit von iudicium/evangelium ist schon in den Dictata in mehrerem zwingend so angelegt, daß sie ständig auf den neuen Sinn der Unterscheidung von Gesetz und Evangelium hintreibt, nämlich darin, daß bei allen aus Widerspiel und Kontrarität gedachten Gedanken (cum sentio te ira tum, maxime propitium confido WA III, 420, 19 f.; cum damnat, maxime salvat IV, 87, 23) natürlich nicht Zorn und Tod selber sdion Leben und Heil sein können, sondern nur eröffnen. Daher stets, bis in die Predigten vom Winter 1516/17 hinein, das Schwanken zwischen dem einen Gedanken, crux und tribulatio sind Gnade, Leben und Heil (denn tunc maxime irascitur, quando non irascitur), und dem anderen, daß sie auf diese nur vorbereiten und empfänglich machen. Gerade das Gewißheitsproblem erhält diesen Gedanken in der Zwiespältigkeit: der Mensch soll in Zorn und Tod den Trost der Gnade haben, um nicht zu verzweifeln, aber er wird der Gnade nur an Zorn, Tod und tribulatio als Zeichen des ex deo esse gewiß. So treibt dieser Zwiespalt fort und fort zur Unterscheidung des Todes und Zornes als Gnade selbst, von Tod und Zorn als bloße Bereitung auf die Gnade1®. Hierin liegt ein von Anfang an zur Unterscheidung von Gesetz und Evangelium drängendes Moment. Den schärfsten Ausdruck f ü r diese Notwendigkeit der Unterscheidung muß man in Luthers Lehre vom opus alienum und opus proprium sehen. Besagt diese zunächst nur etwas über den gnädigen Sinn des Gerichts aus, sofern ein iudicium benignitatis vom iudicium severitatis oder irae unterschieden wird, so wird diese Unterscheidung an sich schon zum stärksten weiterweisenden Gedanken. Für die Römerbriefvorlesung ist die Einheit von Gnade (iustificatio) und Gericht (iudicium/confessio), von Evangelium und iudicium dadurch belegt, daß der rechtfertigende Glaube als confessio und humilitas (credere, cedere, obedire, subicere) und als Glaube an die sündenoffenbarenden Reden (sermones) verstanden ist; so sind promissio und evangelium auf Christus bezogen, dessen Reich sich in humilitas (also im Zunichtewerden als promissio, vgl. 16 D a ß der Glaube Heil ist oder erst bringt, wird natürlich später ebenso gesagt, doch geben der neue Glaubensbegriff und die Gewißheit dieser Unterscheidung einen anderen Sinn. So zeigt sich die Tatsache, daß in der Frühzeit das Gericht schon Heil ist, weil darin Gott wieder anwesend und gegenwärtig wird und es darum unwichtig ist, ob er in Heil oder Hölle gegenwärtig wird, besonders daran, daß nie gesagt wird und gesagt werden kann (was aber nadi 1517 die entscheidende Frage ist), wie nadi der Bereitung des Gerichts/Gesetzes der eigentliche Empfang des Heils aussieht, geschieht und gewiß wird. Es bleibt bei der Bereitung und also bei der Hoffnung, der auch die Rechtfertigung nur in Unwissenheit, d.h. in Hoffnung gegenwärtig wird. Solange darum die Rechtfertigung ungewiß bleibt, weil von Gott nur zugerechnet, aber nie gespürt und gewußt, bleibt die Doppeldeutigkeit von Heil-sein und Aufs-Heil-bereiten erhalten. Das Problem dieses simultanen Verhältnisses von Heil und Gericht empfindet besonders H. Thimme, Christi Bedeutung für Luthers Glauben 1933 S. 65 Anm. und S. 27 Anm.
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WA LVI, 410,18) erfüllt, denn sie ist der rechtfertigende Glaube. Darum steht unverändert das Schema spiritus/literadaneben(336—338;406—410); die Gleichung NT/spiritus und AT/litera gilt trotz beginnender Differenzierung (Bornkamm ARG 1962 S. 21) noch immer (438; 114,15 ff.). Für die Entwicklung aber ist die verstärkte Einwirkung des paulinischen Sprachgebrauchs wichtig und der aus ihm übernommene usus legis theologicus, der den Menschen der Sünde überführt und deswegen nicht schon als solcher (wie im Begriff judicium) das Heil ist, vielmehr die bloße Aufdeckung des Unheils (253 f.; 293,29ff.; 359, 22 f.) 17 . So drängt die intensivere Benutzung des usus legis theologicus auf die Unterscheidung vom Evangelium hin, obwohl sich dieser übernommene paulinische Gebrauch (Rm 3, 20 und 4,15 f.) noch immer fast lückenlos an Luthers eigene (augustinische) Differenzierung aus den Dictata anschließen läßt; auch wo das precipere legis und das offerre und exhibere evangelii unterschieden werden, geschieht es im augustinischen Sinne als differentia veteris et novae legis (338). Erst die zweite Römerbriefhälfte — insbesondere zu Rm 10,15 (worauf H . Bornkamm verweist ARG 1962 S. 21, vgl. aber zu Rm 10, 4 E. Wolf Peregrinatio II S. 32) — bringt dann die vom paulinischen Gesetzesbegriff nähergebrachte Unterscheidung von Gesetz und Evangelium sowie entsprechend die vom „positiven" Glaubensbegriff (s. Kapitel III S. 153) und der Formulierung des Gewißheitsproblems unterstützte Verstärkung des Evangeliumsbegriffs. Daß diese Begriffe schon hier auf ihren späteren Sinn vorausweisen, aber doch im eigenen Gedanken und Kontext den Rahmen der frühen Theologie nicht verlassen, wurde gezeigt. Auch in der Predigt vom 7. 12. 1516 (WA 1,105) ist in der Rede vom duplex officium evangelii die konsequente Unterscheidung noch nicht vollzogen; die Formulierung ist Indiz der unveränderten Schematik (WA LVI, 338). Dennoch ist Luther hier in der Unterscheidung beider Ämter in unmittelbarer Nähe jener Hebräerbriefscholie: das Evangelium ist weder gratia sanans noch iudicium (verbum impletum), sondern Sündenvergebung: Mt 11, 28 wird wie dort zitiert, zum erstenmal auch Mt 9, 2 (confide mi fili...). Die nodi folgenden Predigten bringen nichts Neues, bestätigen nur den noch vorläufigen Begriff von Evangelium. Liest man im Sermo vom 21. Dezember 1516: Inde enim Evangelium dicitur bonum, iucundum, suave, amicum, quod qui audiat non possit non gaudere (1,113, 3 ff.), so ist an einem solchen Satz zunächst kaum mehr zu erkennen, daß es nodi des Gegensatzes, der Anfechtung und Erprobung dieses Gedankens im Ablaßstreit an der Sakramentsfrage bedurfte, um in einem kleinen Gedankensdiritt das 17 So audi E. Hirsch, Lutherstudien Bd. I S. 149. Erste Ansätze weist für die Dictata (dodi nur uneigentlich) Hamel I S. 129 nach. Sollte hier eine Berechtigung für die Annahme L. Pinomaas liegen, am (seit) Anfang der Römerbriefvorlesung dringe Luther zu einer existentiellen Erfahrung des Gesetzes (sc. im usus theologicus) als Anfechtungsmacht vor (Der existentielle Charakter S. 108 ff.)?
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Wort als die begründende und der Anfechtung trotzende Größe zu entdecken: daß Luther erst die fiducia et securitas ac blanda consolatio der kleinmütigen und sündigen Gewissen (1,117, 8 f.) vor der Heiligkeit des Sakraments gewiß machen und sie von dem kirchlichen Bußinstitut und dessen statuierter Ungewißheit befreien mußte. Nur der weitere Kontext zeigt hier noch an, daß solche Bestimmungen nidit im späteren, endgültigen Sinne gemeint sind. So heißt es, der Sünder wolle dem Evangelium (!) die Sünde nicht glauben (109, 32 ff.), denn das Evangelium noch immer nihil aliud (!) est quam revelatio et interpretatio veteris legis (126, 7 ff.). Entsprechendes liest man in den Scholien WA 31 I, 465, 25 f., daß das Evangelium verwunde, und in den „Unbekannten Fragmenten", Christi evangelium difficilia, displicentia, adversaria carni imponit (ed. Vogelsang S. 77, 31 f.) und wieder den die Simultaneität von Gericht und Heil festhaltenden Satz Inaestimabilis dei misericordia, ut . . . fidutiam nostri tolleret, dedit legem (ebd. S. 81, 27). Diesem Evangeliumsbegriff entsprechend lehrt die doctrina fidei nodi Weinen und Klagen (WA 1,118, 37 f.), die Werke werden nicht im Glauben gut, sondern im Weinen (119,12 ff.) 18 , summa turbatio ist noch immer summa pax (129,3 f.) 19 und securitas ist eine Versuchung, die allein iugi suspirio et assiduo gemitu (136, 4—17) — das ist die den Heiligen zukommende Weise — überwunden. Daher findet sich auch in einer Predigt vom Frühjahr 1517 (1,138 ff.) noch der den Offenbarungsbegriff der Frühzeit charakterisierende Satz: Deus abscondit sua ut revelet (138,13 f.) 20 . Erinnert man sich des an diesen Begriffen seit 1517/18 wahrnehmbaren Wandels, so zeugt die selbstverständliche Handhabung der eben beschriebenen Bestimmungen dafür, daß der sie verändernde Wandel im Verständnis von Glaube und Gewißheit noch nicht stattgefunden hat. Die diesen Predigten vom Winter 1516/17 gleichzeitige Galatervorlesung läßt sich kurz behandeln. Die Gedanken, mit denen Luther die Gesetzeslehre bewältigt, sind alle schon in der Römerbriefvorlesung enthalten: Christus hat stellvertretend das Gesetz erfüllt, daher allen denen, die ihm glauben und anhangen, mit ihm einswerden und ihm sich gleichbilden, Gnade und Gerechtigkeit angerechnet und mitgeteilt werden, sodaß sie willig das Gesetz erfüllen. Christus ist, wie schon in der Römerbriefvorlesung, exemplar und causa 21 . Ebenso wie in der Römerbriefvorlesung (WA LVI, 274; 337, 22 f.) wird die Untersdieidung von impletio legis und impletio secundum intentionem praecipientis abgelehnt (Gal 80, 6 ff., vgl. 105, 21 ff.) und die 18
Vgl. Kapitel IV S. 207. Vergleicht man den Kontext dieser Stelle mit den gleichen Gedanken WA VI, 223, 31 ff., so erscheint bemerkenswert, daß alle Antithesen erhalten bleiben, nur eine (summa turbatio summa pax) nicht: der Friede ist nun in Gewißheit und nicht mehr nur sub contrario/in abscondito da. 20 Vgl. H. Bandt, Luthers Lehre vom verborgenen Gott 1958 S. 24. 21 Gal 54, 6 f., WA LVI, 51,21; 296,22; 377, 4 ff., vgl. schon WA IV, 243,14. w
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Einheit und Gesetzhaftigkeit des ganzen Gesetzes behauptet, das als ganzes, auch und gerade im Dekalog und nicht nur in den leges ceremoniales und figúrales, töte und von welchem Christus also den Menschen befreie 22 . Daß das Gesetz und die Liebe sich ganz auf den Nächsten richten, ist ebenfalls nicht neu2®. In einem jenen Dezemberpredigten ganz analogen Aufbau unterscheidet die Scholie zu Gl 1,11 (wieder veranlaßt durch den Text) zwischen Gesetz und Evangelium, wobei Rm 10,15 zitiert wird 24 , um dann die Frage, warum Christus in evangelio multa docuit, zu beantworten, ohne doch die präzisen Formulierungen der Predigt über duplex officium aufzunehmen (Gal 59 f.). Der augustinisdie Einschlag in der Gesetzeslehre und die dem entsprechenden Wandlungen, die dem Glaubensbegriff in diesem Problemkreis nodi bevorstehen und im Kommentar von 1519 sichtbar werden, sind Kapitel V behandelt. Für die Lösung des Problems lex/litera und spiritus/gratia ist es hier noch immer charakteristisch, daß trotz Unterscheidung von Gesetz und Evangelium (Scholie zu Gl 1,11) im Rahmen der augustinisdien Vorstellungen das Evangelium als spiritualis et viva lex (Gal 7, 7, vgl. gleichzeitige Predigt 1,108,13) interpretiert wird 25 . Auf die Vaterunserauslegung aus den Fasten 1517 und deren Unterschiede von der zweiten Bearbeitung 1519 in der Betonung von Wort und Gewißheit ist sdion hingewiesen worden (Anm. 10). So bleiben nun noch die ersten Kapitel der Hebräerbriefvorlesung zu untersuchen. Was Luther hier denkt, ist nicht neu; es sind ganz bekannte Gedanken, die nur in beachtlicher Intensität und bestimmter begrifflicher Kombination erscheinen und die darum als die gedankliche Situation fest" WA LVI, 67,19 ff., Gal 17, 28 f.; 69, I f f . ; 80, 22 ff., dazu WABr I, 70, 5 ff. und 90,15 ff. IS Gal 4 0 , 6 ; 63, 25 ff.; 97, 27ff. In der Durchführung des Gesetzesthemas übernommene oder eigene, plastische und bereichernde Neuformulierungen sind: Lex spiritualis ist ipsa viva voluntas experimentalisque vita (Gal 73,17), Ita iustus non debet bene vivere et bene facere, sed bene vivit et facit, denn tria et Septem non debent esse decern, sed sunt decern (Gal 105, 23 ff.), lex naturae, lex scripturae und lex gratiae sind eins (Gal 101, 3 ff.), Unterscheidung von fides und mores (Gal 56,15 ff.). M Daraus kann vielleicht geschlossen werden, daß Luther an jener Sdiolie zu R m 10,15 die Unterscheidung in dem zu dieser Zeit möglidien Sinne bewußt begann; denn sie blieb ihm im Zusammenhang jener Stelle, die an sich doch jene Unterscheidung nicht nahelegte, im Gedächtnis (vgl. W A II, 466,13). ω Audi L. Pinomaa nennt die Lehre vom Gesetz in der Gal 1516/17 katholisdi (Der Zorn Gottes in der Theologie Luthers 1938 S. 36), doch folge ich seiner Sinnbestimmung dieses Urteils nidit. — Wollte einem das Gegensatzpaar fides/litera (Gal 38, 21 f.) auffallen (W. Jetter, Die Taufe beim jungen Luther 1954 S. 267 Anm. 9), so ist zu bedenken, d a ß es sich sdion in der Römerbriefvorlesung findet und auch dort sogleidi im augustinisdien Sinne umgebogen wird, weil der Glaube den das Gesetz erfüllenden Geist (gratia/ Charitas) bringt (Rö 248,10 f. und 256, 29 ff.). Nichts läßt in dieser, vom Gl-Text nahegelegten Gegenüberstellung vermuten, daß der augustinische Sinn nicht mehr vorauszusetzen sei.
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zuhalten sind, in der Luther seinen neuen Begriff von Glauben und Wort seit Hb 5, 1 gewann und in der er auf das neue Verständnis von Glauben stieß. Zunächst ist in den ersten Kapiteln, besonders seit Hb 3,12. 13 mit ganz ungewöhnlichem Nachdruck vom „Wort", wie dann in der ganzen Hebräervorlesung und der Folgezeit, die Rede 28 . Wesentlich ist dabei die Art, wie sich hier mit dem „Wort" der Glaubensbegriff verbindet. Glaube ist als Einheit mit dem Wort verstanden, welches dem Glaubenden an seinem Wesen teilgibt: Fides enim verbi purificat, quia sicut verbum Dei est purissimum et optimum, ita facit eum, qui adheret ei, similem sui purum et bonum (Hebr 147, 20 ff., vgl. 148,2 adherenti et credenti); denn das verbum ist vivum et omnia vivificans, imo Deus ipse (148,13 f.). Unter dem Gesichtspunkt der Einheit werden Glaube und Wort verstanden. Sodann wird eine Gleichung vollzogen: Christus ist das Wort, sodaß auch der Glaube an Christus als Einheit mit diesem verstanden wird: fides Christi est ómnis virtus et incredulitas omne vicium . . . Quia per fidem fit homo similis verbo Dei, verbum autem est filius dei. Ita autem efficitur, ut sit filius Dei omnis, qui credit in e u m . . . ac per hoc sine omni peccato plenusque omni virtute (Hebr 151,13 ff.) 27 . Dieser Gedanke der Einheit ist hier in Luthers Theologie nicht neu 28 . Er tritt vor allem in dem die Galatervorlesung bestimmenden Glaubensbegriff stark hervor und ist dort durch das thematische Gesetzesproblem gegeben: Christus ist solus impletor legis 29 , und allen, die in Gemeinschaft und M
Hebr 10,16.24; 15,14; 108,17; 109,1; 139,7.13 ff.; 143, 2 f. 4; 147—151 (zu H b 3,12 f.); 157,1 ff.; 31, 20 f.; 58,9; 62, 5 f.; 159,16.20; 162,1 ff.; 198,1 f.; 208,24; 209,2; 222, 7; 296, 6; 25,16 f. Was hier über das Wort gesagt ist, ist meist nidit neu, doch weder in der Römer- nodi in der Galatervorlesung stehen diese Gedanken so oft, stark und betont im Vordergrund. 27 S. nodi über unio Hebr 129, 22 f.; 151,7.10; 157,1 ff.; 188, I f f . , vgl. E. Seeberg, Luthers Theologie Bd. II 1937 S. 180 f., sodann WA I, 28, 32 ff. Efficimur autem verbum vel verbo similes, i. e. veraces, sicut ipse homo vel homini similis, i. e. peccatori et mendaci, sed non peccator et mendax, sicut nos non Deus efficimur nec ventas, sed divini et veraces vel divinae consortes naturae, quando assumimus verbum et per fidem ei adhaeremus. Zur Gleichung Wort = Christus in dieser Zeit vgl. in den Anmerkungen zu Biel: über Christi persona nur als unita verbo sprechen (Degering S. 7), vgl. dazu WA I, 24, 9 f. hoc verbum non aliter mittitur foras nisi unitum carni seu humanitati. Daß diese Gedanken später keineswegs ausgeschieden werden, sondern z. T. wörtlich erhalten bleiben, braucht nur gesagt zu werden (z.B. WA IV, 695, 34 ff.). 28 Vgl. E. Seeberg, Luthers Theologie Bd. II 1937 S. 57 ff. Hier wäre audi daran zu erinnern, daß Luther nicht erst seit Tauler und der Theologia deutsch 1515/16 Mystik kannte, sondern durdi Augustin und den Areopagiten, durch Bernhard, Bonaventura, Gerson schon sehr viel früher, worauf besonders A. Rühl Ton legt (Der Einfluß der Mystik auf Denken und Entwicklung des jungen Luther, Diss, theol. Marburg 1960). Dodi weist E. Vogelsang (Die Anfänge von Luthers Christologie 1929 S. 75 Anm.) nach, daß der Begriff unio in der Frühzeit nur ganz selten vorkommt. *» Gal 19,17 f.; 23, 5 f.; 37,10; 60,1 ; 72,11 ff.; 84, 3 f.; 97,17.
Zwischen Römer- und Hebräerbriefvorlesung (1516/17)
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Einheit mit ihm sind, wird seine Gerechtigkeit angeredinet 30 . Diese Gemeinschaft wird im Glauben geschaffen, daher — durch das Gesetzesproblem bedingt — der Glaube ganz vorwiegend im Sinne dieser Einheit und Einswerdung mit Christus verstanden wird: cum per fidem efficiatur unum cum Christo (Gal 69, 25) S1 . In diesem Sinne der Einheit mit Christus wird daher vom rechtfertigenden Glauben gesprochen (fides . . . i u s t i f i c a t . . . in Christo Gal 80, 26 f.), überhaupt von fides Christi; in diesem Sinne gilt: salus esse credatur per solum Christum (Gal 63, 11). So sind die Gedanken über Einheit mit Christus und Wort (die beide identisch sind) in der Hebräervorlesung nicht neu. Aber beachtenswert ist dennoch — einfach als genaue Beschreibung dieser Phase und der gedanklichen Zusammenhänge, in denen dann die Sdiolie zu H b 5 , 1 entsteht —, daß die Einheit hier weder als conformitas Christi ( = verbi) noch als consensus mit dem Wort verstanden wird (vgl. III, 289, 33 ff.; LVI, 227, 2 ff.) — was sachlich keine Alternative wäre, aber als Vorstellung dort benutzt wird, hier dagegen nicht —, sondern als Wesenseinheit (der puritas und bonitas) verstanden wird, wie auch schon in der Galatervorlesung. Das kann in dieser Zeit (seit Herbst 1516 also) wohl nur dem Einfluß der Mystik, insbesondere der um diese Zeit Luther bekannt werdenden Theologia Deutsch, zuzuschreiben sein32. Derselbe Einfluß der Mystik zeigt sich in den ersten Hebräerbriefkapiteln darin, daß die Einheit mit Christus hier nicht mehr so verstanden ist, daß sie erst die Mitteilung der reinigenden gratia sanans zur Folge hätte, sondern so, daß diese Gemeinschaft im Glauben schon selber reinigt als Teilhabe an Christus, dem purissimum et optimum verbum, fide purificans corda (Hebr 147, 20 f.). Als Einheit mit Wort und Christus im Sinne von conformitas und consensus war die Teilhabe bisher verstanden. Indem diese Vorstellung in die mystische Vorstellung der Wesenseinheit aufgenommen wurde, hat die Anschauung von der Wesenseinheit mit Wort und Christus in den ersten Hebräerbriefkapiteln eine ganz eigene, mystisch anklingende Bedeutung erhalten. So hat eine Verschiebung von der augustinischen Vorstellung (gratia sanans), die aber auch später nicht ausgeschlossen bleibt, zur mystischen Vorstellung der Reinheit im Menschen stattgefunden. Sollte der Einfluß der Mystik auf solche Weise angemessen verstanden sein, so wäre erklärt, (a) warum Luther die dominierende Bestimmung des Glaubens als Einheit mit Christus nicht nur im Zusammenhang des Gesetzes30
Gal 17,16 f.; 1 8 , 2 ; 69, 21 ff.; 70, 5 ff.; 74, 9 ff.; 97,17, vgl. Christus für uns Gal 6, 20; 6 0 , 1 ; 9 7 , 1 6 f. 31 Gal 70, 5 ff.; 74, 9 ff., im gleichen Sinn nachdrücklich in den gleichzeitigen Predigten WA 1,105, 25 f.; 116,15 f.; 117, 5 f. 32 ThD Kapitel 8. 14. 24 = S. 28. 50. 84 Pfeiffer «1923 (das in dieser Frage deutlichste Kapitel 27 der ThD = S. 104 Pfeiffer 5 hat Luther in dieser Zeit noch nicht gekannt); auch Tauler kennt natürlich den Gedanken der Einheit im Glauben. Zum mystischen Einschlag in Luthers Glaubensbegriff (als Einheit) vgl. R. Seeberg D G IV, 1 S. 137.149.155—157.
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problems der Galatervorlesung, sondern darüber hinaus so stark in den ersten Hebräerbriefkapiteln beibehält, (b) warum Luther im Unterschied zu Tauler, den er stets als den Mann der Anfechtung preist, die Theologia Deutsch als das Buch nennt, aus dem er, nächst der Bibel und Augustin, „erlernet hab und will, was got, Christus, mensch und alle ding seyn" (WA I, 378, 22 f. von 1518), und (c) worin u.a. die Minderung des augustinischen Einflusses in dieser Übergangsphase begründet ist. Der Unterschied der vorbereitenden Scholie bei Hb 3,12.13 über Wort und Glaube zu dem dann bei Hb 5,1 gegebenen Verständnis zeigt sich am unterschiedlichen Gebrauch von Acta 15, 9. Eben noch (zu Hb 3,12 f.) war Glaube Einheit, die am Wesen der Reinheit teilgab, nun (zu Hb 5,1) besteht die Reinheit des Glaubens zum erstenmal in der erkannten und bekannten Unreinheit, die rein und würdig macht zum Sakrament, sofern sie dem Wort (nicht in teilnehmender Einheit, sondern im zusagenden Gegenüber) die angebotene Gnade und Aufforderung Venite ad me omnes glaubt. Die Reinheit ist nicht mehr Einheit mit Christus und dem Wort — diese Nuance wird keineswegs ausgeschlossen (WA IV, 695, 34 fi.), aber sie erhält als Folge eine sichere und begrenzte Bedeutung, die selber durch den gewissen Glauben in confusione erst möglich wird und erhalten bleibt —, sondern ist praesumptio istorum verborum. Denn das bisherige Verständnis von Glaube und Wort als Einheit erreicht den Sinn jenes seit der Wandlung schlechthin entscheidenden Satzes auf keine Weise: Neque enim deus... aliter cum hominibus unquam egit aut agit quam verbo promissionis (WA VI, 516, 30 f.). Das Verhältnis von Gesetz und Evangelium steht in der Sdiolie zu Hb 2, 3 (wie schon im Dezember 1516) unmittelbar vor der endgültigen Unterscheidung. Der Glaube ist das eine, innere Werk des Evangeliums, das aus der Einheit mit Christus fließt, wie die Werke aus dem Glauben. Dem Gesetz entsprechen nur die vielen äußeren Werke (d. h. es ist noch als litera verstanden), dem Evangelium das eine Werk des Glaubens. Ideo evangelium neglegitur per incredulitatem cordis, lex autem per inobedientiam operum (Hebr 113 f.). Noch ist Her Glaube nicht das eine vom Gesetz geforderte Werk; die augustinische Unterscheidung ist nodi immer vorausgesetzt.
Schluß Die wesentlichen theologischen Gedanken beim jungen Luther, mit denen sich unsere Arbeit beschäftigte, waren diese: das Verständnis der „Reden", das Verständnis von evangelium und promissio, von Christologie und Einheit von Gesetz und Evangelium sowie von Glaube als confessio und humilitas in der Rechtfertigung, die als Rechtfertigung Gottes gedacht war. Daraus folgte die konstitutive Ungewißheit des Glaubens, die weiterhin den Schein des Synergismus wesensmäßig begründete; auf die Begründung und Begrenzung dieses synergistischen Scheins, mit deren Hilfe unangemessene Alternativen in dieser Frage gegenstandslos werden sollen, sei noch einmal besonders hingewiesen. Kapitel I sdiloß mit der Untersuchung über die augustinische Herkunft des Konkupiszenz(= Sünden)- und Imputationsbegriffs. Kapitel II zeigte den augustinisdien Gesetzesbegriff, der die Konkurrenz zur Rechtfertigungsauffassung in Luthers Denken brachte und so den doppelten iustitia-Begriff schuf, der seinerseits die opera praeparatoria im Zusammenhang der zweiten, augustinisch verstandenen Gerechtigkeit (magis ac magis iustificari/salvari) erklärte. Kapitel III zeigte, daß in der Frage der Gewißheit wie im Problem Gesetz und Evangelium während der Römerbriefvorlesung kein Wandel stattfindet und daß die spezifische Ungewißheit des frühen Glaubensbegriffs der frühen Lehre vom äußeren und inneren Wort — diese wurde ausführlich dargelegt — entspricht. Die der Römerbriefvorlesung folgende Übergangszeit bis zur Hebräerbriefvorlesung wurde in Kapitel VI behandelt. Im Herbst 1517 trat dann seit der Scholie zu Hb 5,1 (Anfang Oktober 1517) der Wandel im Verständnis von Glaube und Wort ein, der sich während der Folgezeit auch in den anderen wesentlichen Begriffen durchsetzte (Unterscheidung von Gesetz und Evangelium, von Buße und Glaube, die neue Hermeneutik, Kapitel IV und V). Der Ursprung des Wandels bei der Scholie zu Hb 5,1 und deren Datierung ist deswegen betonenswert, weil damit aus dem Ablaßstreit und einer bestimmten, akuten Fragestellung der konkrete Anlaß und das Motiv des Wandels in Luthers Denken deutlich wird. Sieht man die theologische Entwicklung Luthers in der Zeit der frühen Vorlesungen auf die beschriebene Weise vor sich, so sind in ihr zwei Einschnitte, parallel zu den beiden Wandlungen in der Hermeneutik, festzustellen: 1. Deutlich war schon in der Römerbriefvorlesung der nicht mehr scholastische, vielmehr antiaristotelische iustitia-Begriff der Rechtfertigungslehre.
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Auf dem Grunde dieses Begriffs war die Rechtfertigung allein aus Gnaden gedacht — die Formel sola gratia hatte stets nur den augustinischen Sinn, weil die Gnade in der Rechtfertigung nur in jener verhüllten, verschränkten Form gegeben war, im iudicium, sodaß sie nie gewiß werden konnte, der Trost im Kreuz lag, der Zorn Zeichen der Gnade war, die Rechtfertigung also nie erfahren und gegenwärtig, weil sie nur in Gottes unbekannter Imputation lag und das „Wort" sie noch nicht zusagte. Daß dies alles zusammen mit den historisch bisher nicht ableitbaren entscheidenden Zügen der Dictatatheologie (Konzentration auf das Schema spiritus/litera und die tropologische Exegese) und auf dem Hintergrunde von Luthers eigener, zwischen Occamismus und verzweifelnder Bußerfahrung liegender Vergangenheit, als tief eingreifende Neuerung betrachtet werden muß, von der Luther auch ein deutliches Bewußtsein hatte (WA LVI, 273 f.; 371, 20 f.; 449, 1 f.; WA LVII Gal 69, 15 ff.; WA I, 43, 5 ff.; WA III, 31, 3 fi. 14 ff.; WABr I, 35, 22 f.), sollte nicht bestritten werden. Die Eigenständigkeit der frühen Theologie, die in der Römerbriefvorlesung vor uns liegt und von jeder vergleichbaren spätmittelalterlichen Möglichkeit schon geschieden ist, muß anerkannt werden. Ego ipse non semel offensus sum usque ad profundum et abyssum desperationis, ut optarem nunquam esse me creatum hominem, antequam scirem, quam salutaris ilia esset desperatio et quam gratiae propinqua (WA XVIII, 719). Damit ist die frühe Theologie beschrieben, desperatio als Ausdruck der Gnade; im Brief an Spenlein vom 8. April 1516 beschreibt Luther fast mit dem gleichen Ausdruck (fiducialis desperatio) seine damaligen Gedanken. 2. Gleichzeitig aber mußte auf die Beschränkungen und Hemmungen der frühen Theologie hingewiesen werden, die durch die Schwermut des frühen Glaubensbegriffs bedingt waren (konkurrierender Gesetzesbegriff, Ungewißheit, Quis sibi arroget tantam humilitatem, daher der synergistische Schein, der kein bloßes Relikt, sondern wesentliches Moment war und sich aus der Ungewißheit, der Einheit von Glaube und confessio, dem Augustinismus im Gesetzesbegriff und aus dem lehrhaften und fordernden Sinn der Tropologie nährte). All dies wurde erst 1517/18 mit dem neuen Verständnis von Glaube und Wort überwunden. Allgemein wird angenommen, daß die Jahre 1517/19 eine in Luthers Entwicklung folgenreiche und umbruchsschwere Zeit waren. Erst jetzt gewann mit der Heilsgewißheit der Glaube seine volle, sichere Gestalt und wurde zu dem das gesamte Gottesverhältnis beschreibenden Begriff; erst hier wurden Gesetz, Rechtfertigung, Glaube, Sünde in einen festen und ausgeglichenen Gedankenzusammenhang gebracht, wurde die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium ermöglicht und der Glaube von der Selbstbelastung des geforderten totus affectus befreit und auf das Wort verwiesen. Der Glaubende war nun nicht mehr nur unwissend proximus und propinquus gratiae, sondern deren Gegenwart in gottis hulde Zuversicht gewiß. Diese spezifisch neuen Problem- und Begriffsfassungen
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sind gegenüber der frühen Theologie nicht nur allgemeine und allmähliche Akzentverschiebungen, denn die Wandlungen rühren an die Grundlagen der Theologie Luthers und sind nicht „nur" als Konsequenzen wie durch Addition und Subtraktion aus Vorgegebenem gezogen. Es ist ein tiefer Einschnitt, der in einer allmählichen Entwicklung vorbereitet wurde (Kap. VI); er ergreift durch die neue Formulierung der Rechtfertigungsbegriffe die iustitia Dei neu. So ist es — entsprechend der in der Hermeneutik festgestellten Entwicklung (Ebeling ZThK 1951 S. 178) — angemessen, hier von einer zweiten Wandlung zu sprechen. Über die Chronologie jener ersten Wandlung, die in der Römerbriefvorlesung schon vor uns liegt, kann hier nichts gesagt werden, da die wesentlichen Begriffe dieser neuen Frühtheologie auf die erste Psalmenvorlesung (Dictata) zurückweisen, diese aber ist hier nicht mein Thema. Zu der chronologischen Ansetzung der zweiten Wandlung ist Kapitel IV mit der Datierung der Scholie zu Hb 5, 1 das Nötige gesagt. E. Bizer und K. Aland 1 1 Für die Spätdatierung haben sich noch mehrere Forscher ausgesprochen (vgl. die A u f zählung bei O . H . Pesdi Catholica 1966), alle ohne genauere chronologische Angaben; H . Pohlmann setzt den Umbruch erst in das Spätjahr 1520 (Hat Luther Paulus entdeckt 1959). N u r K. Aland macht — wenn man von Grisars Datierung auf 1519 einmal absieht — genauere Angaben; er setzt den Einschnitt nach Luthers Brief vom 15. 2. 1518 (dieser Brief enthalte nodi die alte Definition: O ignorata diu diffinitio iustitiae! Quid est iustitia? Est accusatio sui) und vor den 28. 3. 1518 (an welchem Tage nach der D a tierung Alands der Sermo de duplici iustitia gehalten sei, Der Weg zur Reformation 1965 S. 37.102.104, die Datierung des Sermons S. 103 f.). N u n hat Aland bewußt auf eine theologische Interpretation der Frühtexte verzichtet; er will rein historisch argumentieren (S. 5 ff.), kommentarlos will er im II. Kapitel über die frühen Briefe berichten (S. 35). Nach diesem Verzicht auf die Erörterung der theologischen Voraussetzungen bleiben aber alle theologischen Argumente Alands unbewiesen. Ohne weitere Erörterungen nimmt er den vorreformatorischen Sinn der frühen Briefäußerungen an und legt ihn nur durch Fragen nahe (S. 17.19. 35. 36), zieht aus nicht Gesagtem in diesem Sinne Schlüsse (S. 37); ebenso wird aus der Briefstelle (confiteor enim tibi, quod vita mea in dies appropinquitur inferno, quia quottidie peior fio et miserior) das gleiche geschlossen, obgleich Luther auch später ganz ähnlich über sich urteilt (Holl I S. 402 mit Anm. 3 und 4). Das Postulat der nicht theologischen, rein historischen Argumentation in dieser Frage kann ich nur unterstützen, doch dann darf nicht ein ungeklärter theologischer Begriff von „reformatorisch" zum Maßstab genommen werden (ähnlich O. H . Pesch Catholica 1966 S. 237 Anm. 13 und andeutungsweise Bizer Nachwort S. 190). — Was die Definition im Brief Luthers vom 15. 2. 1518 angeht, verstehe ich nicht, daß Luther erst ganz kurz, nachdem er die neue und diu ignorata diffinitio preist, das neue Verständnis gefunden haben soll. Hier gilt besonders, daß eine Bestimmung von Gerechtigkeit, die Luther auch später verwendet, nicht unbesehen, sondern nur ausrücklidi auf ihren differierenden Sinn untersucht, für vorreformatorisch gelten kann. Auf diese Untersudiung verzichtet Aland aber in methodischer Beschränkung seines Entwurfs (S. 7.108). In der Bußpsalmenbearbeitung von 1525 bleibt aber eine ähnliche Bestimmung der Gerechtigkeit erhalten, was Aland (S. 100 f.) unerklärlich findet. D a ß zwischen den Bußpsalmenbearbeitungen von 1517 und 1525 ein Wandel liegt, ist gerade auch meine Annahme, und aus dem Parallelabdrudc einiger Stücke bei Aland S. 88 ff. läßt sich manches zur Illustration des Wandels ersehen. N u r daß dieser Wandel mit dem Turmerlebnis gleichzusetzen sei, ist unbewiesen. Damit ist nichts gegen
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weichen von meinem Ergebnis ab. Doch besteht kein Anlaß, die chronologische Differenz gegenüber Bizer zu betonen (zumal nach Fides ex auditu S. 122 das Neue sich in der Hebräerbriefvorlesung und den Resolutionen vorbereitet und Bizers Datierungen sehr schwanken 2 ), da sie auf Grund von theologischen Kriterien entstanden ist, die aus methodischen Gründen (s. Einleitung) nicht annehmbar sind 8 . Alands Spätdatierung selber gesagt, denn die untersuche idi hier nicht; nur die Methode, aus undiskutiert vorausgesetzten theologischen Begriffen jenes Datum erschließen zu wollen, ist, soweit sie angewandt wird — Aland beginnt nämlich außerdem mit der längst notwendigen Sichtung der biographisdien Materialien —, nicht annehmbar. 2 Nach Bizers Vorwort ist der Wandel auf Frühjahr oder Sommer 1518 zu setzen (S. 115 wird schon der Winter 1517 nahegelegt), obwohl erst die Acta Augustana vom Oktober 1518 die sichere Erkenntnis zeigen. Das hängt u.a. mit der unsicheren Beurteilung der Resolutionen zusammen, die noch nicht die Voraussetzung, nur die Konsequenz der aristotelischen Gerechtigkeit bestreiten (S. 104) und noch den alten, der humilatio entsprechenden iustitia-Begriff zeigen (S. 114), sodaß Luther hier nodi keinen völlig neuen Boden, sondern nur wichtige Ansätze gefunden habe (S. 114. 118). Andrerseits wird den Resolutionen (wegen des Zusammenhangs von Rm 1,17 und Bußsakrament S. 108?) der Durchbruch zugeschrieben (S. 172. 177, vgl. 173 f.). Aber wiederum in der Schrift „Ein Freiheit des Sermons" vom Juni 1518 habe Luther die Erkenntnis noch nicht gehabt (S. 100 f.). Danach ergibt sich als Termin eher Sommer/Herbst als Frühjahr/Sommer 1518? 3 Bizer geht bei seiner Datierung u.a. von der Zitierung des Verses Rm 1,17 aus, ein verzweifeltes Kriterium. So erklärt es sich wohl, warum er die Sermone vom Frühjahr 1518 (WA I, 247 ff. 257 ff. 317 ff. 325 ff.) überhaupt nicht benutzt und berührt; denn iustitia-Begriff und Rm 1,17 spielen in ihnen keine Rolle, sodaß auch die Gleichsetzung von iustitia und fides sich nicht findet, die Bizer in den Acta Augustana so beachtet (Fides ex auditu S. 118 „der Glaube ist selbst die Gerechtigkeit — nicht erst das, was aus dem Glauben folgt oder notwendig dazugehört"). Dodi daß der Glaube in dieser Identifizierung zum alleinigen Inbegriff der Gerechtigkeit vor Gott im beschriebenen neuen Sinn (Glaube und Gesetz!) wird, ist bereits zu H b 11,1, nachgewiesen (Hebr 228, 5 f. non tribuit, sed est ipsa), vgl. WA I, 286, 16 f. Fides autem est gratia. Und schon für die Römerbriefvorlesung kann idi Bizers Auffassung, der Glaube sei dort nicht schon, sondern bringe erst die Gerechtigkeit (Fides ex auditu S. 31 f.), nidit zustimmen (Kap. I Anm. 6). Audi sonst findet sich alles, was Bizer als Kriterium des neuen Verständnisses fordert und in den Acta Augustana als neu ansieht, schon früher: Glaube als reiner Glaube an das Wort (Fides ex auditu S. 118) wurde reichlich in den Sermonen vom Frühjahr 1518 belegt (oben S. 169.190) und steht schon ausdrücklich in der Sdiolie zu H b 5,1 (in praesumptione igitur istorum verborum accedendum est); daß, wer zum Sakrament kommt, nidit zweifeln dürfe, sondern in gewisser Zuversicht trauen müsse (Fides et auditu S. 119), steht fast wörtlich schon WA I, 332, 29 f.; 331, 5 ff. 20ff.; daß keine Disposition, sondern allein der Glaube zum Sakrament würdig mache (Fides ex auditu S. 119) ist Pointe der ganzen Sdiolie zu H b 5 , 1 (nidit arundine illa nixi, quod confessi sunt, sondern in praesumptione istorum verborum e t c . . . si credant et c o n f i d a n t . . . hec sola fides facit eos puros et dignos) und seither reidilidi in den Schriften vom Frühjahr 1518. Die strafende Gerechtigkeit ist im Sermon von Ablaß und Gnade (Frühjahr 1518) eindeutig abgelehnt. Luther sagt ausdrücklich — ich zitiere es noch einmal —, das man auß keyner sdirifft beweren kann, dass gotlich gerechtigkeyt etwas peyn adder gnugthuung begere adder fordere von dem sunder (WA I, 244,16 ff., vgl. 245, 21 ff.), womit so wörtlich wie möglidi gesagt ist, die göttliche Gerechtigkeit sei nidit von der Art und solchen Wesens, daß sie Strafe und Genugtuung begehre. Wie kann dann in dieser Zeit die Voraussetzung der
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Beide Einschnitte, die wir nun kennengelernt haben, besitzen ihr eigenes theologisches Gewicht. Damit erledigt sich ein gegenüber unserer anfangs erhobenen Forderung, das Turmerlebnis als rein biographisches Problem zu behandeln, möglicher Einwand: ob nicht jene Forderung das Turmerlebnis zu einer rein biographisch-psychologischen Kategorie erniedrige. Das Ergebnis unserer Untersuchung stillt dies Bedenken: beide festgestellten Einschnitte genügen der Bedingung des Turmerlebnisses, eine wesentliche neue theologische Erkenntnis in sich zu bergen. Daß Gerechtigkeit geschenkt, aber nur im Zunichtewerden gegeben wird, ist eine große Erkenntnis, die von der Prätention einer zu leistenden Gerechtigkeit befreit. Eine nicht weniger große Entdeckung ist jedoch, daß sie im zugesagten Wort wirklich, gegenwärtig und in der Anfechtung gewiß wird (sensus literalis, qui in tribulatione et tenatione solus subsistit), weil erst so der Glaube von sich selbst erlöst und das Wort des nunmehr erst „reinen", vom Gesetz unterschiedenen Evangeliums verwiesen und d. h. erst dort ermöglicht wird. Beide Einschnitte haben ihr volles theologisches und möglicherweise biographisches Gewicht. Aber welcher von beiden das Turmerlebnis war, d.h. welchen Luther zur Zeit des Geschehens als so entlastend und durchbrechend empfand, ist damit noch nicht gesagt. Von beiden läßt es sich mit gutem Grunde denken, in beiden wird die iustitia Dei (Rechtfertigung) auf eine vorher nicht dagewesene Weise begriffen. H a t Luther die „passive" Gerechtigkeit begriffen, als der Glaube (confessio, humilitas) in Zweifel über sich selbst in unendliche Ungewißheit trieb, oder als er gegen sich selbst dem Wort glauben durfte? Beides ist denkbar. Betrachtet man die Stellen, an denen die neue iustitia Dei in den Dictata von der Forschung angenommen wird (Ps. 30 und 70), so ist hier der Umschwung um nichts schärfer als seit der Scholie zu H b 5, 1 im Herbst 1517. strafenden Gerechtigkeit noch beibehalten sein? Luthers Satz ist das genaue Gegenteil der Thesen von Wimpina/Tetzel (vgl. Bizer, Fides ex auditu S. 98); die Gegner haben den prinzipiellen Gegensatz im iustitia-Begriff erkannt. Auch in der 36. Ablaßthese ist die strafende Gerechtigkeit abgelehnt, sofern die Freiheit von pena et culpa für den Bußfertigen behauptet wird. D a ß die Schriften vom Frühjahr 1518 in engstem Zusammenhang mit der Scholie zu H b 5,1 stehen, ist oben (S. 175 f.) ausführlich gezeigt. Dazwischen gibt es keine Quellen, aber die Kontinuität der Darlegungen zwischen Scholie zu H b 5 , 1 und dem Frühjahr 1518 könnte sich schwerlich deutlicher beweisen lassen, als es durch die Übernahme jener Scholie in die Schriften vom Frühjahr 1518 geschehen ist. D a ß Luther bis in die Resolutionen hinein die strafende Gerechtigkeit lehren soll, ist mir darum unbegreiflich. Aus dieser sachlichen Diskrepanz resultiert die chronologische Differenz Bizers. Auch Aland meint, Luther sei 1517 schon weiter gewesen, als es nach dem Buche von Bizer scheine (Der Weg zur Reformation S. 99). Bizers Interpretation setzt sich also auch bei Vertretern der Spätdatierung nicht ganz durch. — Daß die primär exegetische Lösung des iustitia-Problems Luther erst 1518 bewußt geworden ist, meint O . H . P e s c h (Catholica 1966 S. 275 f.). Dies scheint mir unbewiesen, ist aber unwichtig gegenüber der von Pesch zugegebenen Tatsache, daß Luther faktisch (dies scheint mir zunächst richtiger als „unbewußt") schon früher ein neues iustitia-Verständnis geübt habe. 16*
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Sdiluß
Die Entscheidung über das Datum des Turmerlebnisses bleibt als biographische Frage zu lösen. Das Turmerlebnis hatte wohl einen theologischen Sinn — wahrscheinlich dodi im Sinne einer der beiden beschriebenen Wandlungen —, aber die Qualität der Rückblicke verwehrt uns eine Entscheidung auf dieser Ebene; sie haben uns keine historisch konkreten Angaben über die theologisch-gedankliche Konkretion jener Erkenntnis aufbewahrt, sodaß es aus theologischen Gründen hierüber nur unverbindliche Meinungen geben kann 4 . Die Forderung unserer Einleitung, die ganze Frühzeit für die Ansetzung des Turmerlebnisses offenzuhalten, einen historischen und systematischen Begriff von „reformatorisch" zu unterscheiden und so die Interpretation von jedem Vorurteil und von jeder insgeheim verführenden Erwartung zu befreien, muß sich nun am Ergebnis der Interpretation gerechtfertigt haben. Was mit ihr erreicht werden sollte, ist geschehen: daß nicht unter Voraussetzung der Frühdatierung bestimmte Wendungen der Römerbriefvorlesung, die einen ganz bestimmten Sinn haben (fides et promissio sunt relativa), „reformatorisch" gedeutet und in diesem Sinne zu repräsentativen Äußerungen der Frühtheologie erhoben werden; ebenso daß nicht unter Voraussetzung der Spätdatierung die Römerbrieftheologie „katholisch" oder „scholastisch" interpretiert wird. Wird somit die Deutung der frühen Texte vom chronologischen, doch implizit suggestiv theologischen Problem des Turmerlebnisses freigehalten, so ergibt sich, scheint mir, eine gewisse Aussicht auf Verständigung über die Interpretationsprobleme beim jungen Luther. 4 Darum wird hier Bizers Spätdatierung des Turmerlebnisses nur insofern abgelehnt, als sie sich auf theologische Argumente stützt. Der von Bizer beschriebene Wandel ist unleugbar, dodi unbewiesen ist, ob er das Turmerlebnis darstellt. Über K. Aland vgl. Anm. 1.
Register Augustinimus 12f., 80—85, 91 und A. 8, 97, 100, 106, 108 f.; s. Gnade und Gereditmadiung. Christologie 48, 98, 136, 143 und A. 30, 151 f., 155, 170, 194 f. Entwicklung, Betonung der 22 f., 38 f., 172 f. —, nicht komparativ 14, 62 A. 31, 71 A. 44, 127, 180, 218 f. —, Schemata der 10—13, 33 A. 39, 119. — zwischen Kömer- und Hebr.-Vorlesung 218 ft. Evangelium s. Gesetz und Verheißung. Fortschritt 92—95. Gereditmadiung 86 f., 95, 103 f., 105. Gesetz s. Rechtfertigung. —, augustinisch 90, 99, von Liebe erfüllt 100 A. 25, 102. —.doppelter Begriff 70 A. 43, 101 f., 109 A. 35; s. Rechtfertigung. — und Evangelium, früh nicht unterschieden 14 und A. 7, 36, 39, 46 f., 69—71, 126—128, 158—162; s. Verheißung. .später unterschieden 189, 195f. , Übergang 230—233. —, neu 197, 204—207, vom Glauben erfüllt 102 A.27, 104 A.29", 206 A.2", 209 A.8. Gewißheit, früh 61—64, 118—124, 134—(136 A.20!) 163 — später 151, 169, 172, 189—191. Glaube, früh 45, 49—51, 62—66, 105 f., 152—156, 161 f. —.später 169, 172, 184—186, 188—191, 207f. Gnade (augustinisch) 90—92, 94, 97—101, 109 f., 211—214; s. Verheißung. Hermeneutik s. Wortlehre. Holl, Karl 103 A. 28, 137 f. A. 23. imputatio 70 A. 43, 72—74, 186 A. 51. —, hist. Ableitung 75—85. iustitia 17—19, 20 f., 29, 58—61, 69, 182 f., 240 f., 243 f. Liebe s. Gesetz und Gnade (augustinisch) 97, 99! profectus s. Fortschritt, promissio s. Verheißung. Rechtfertigung, und Gesetz 102—104, 164 f., 204—207. — früh 41, 44 f., 58, 66. —.doppelter Begriff 95—97, 104, 107, 111—114, besonders 109 A. 35. —, später s. Glaube, Gewißheit, Gesetz u. Evangelium später. Sprache Luthers, eigentlich zu nehmen 13 f., 15, 29—39, 44 f., 101 A. 26. Sünde 50. 87—90, 108, 206 f. Synergismus 37, 51—56, 64—68, 112 f., 115 f., 133, 140, 155, 161 A. 53. —.seine Uberwindung 169, 189f.
246
Register
Turmerlebnis (27!), Einwirkung auf Interpretation 13—16. —.methodische Behandlung 16—28, 68, 72; s. iustitia. Verborgenheit ( = sub contrario), früh 125, 132 und A. 15, 135, 136, 152, 156. —, später 195, 197 A. 67. Verheißung, früh 42—44, 46, s. 101 A.26 und Gnade 100 f., 109 f. —, später 211—217. Werke, vorbereitende 113—117. —, Glaube und 207. Wort, früh („Reden") 42—47. —.später 167 f., 171 A. 10, 195. Wortlehre, früh 124—134, 148 A. 38, 156, 160. —, später 198—203.
WILHELM MAURER
Der junge Melanchthon Zwischen Humanismus und Reformation. Band I: Der Humanist. 1967.247 Seiten, Leinen 27,— DM. Band II : Der Theologe. 1968. Etwa 580 Seiten, Leinen etwa 56,— DM. Vorzugspreis beim Bezug beider Bände, zusammen etwa 74,— DM „Diese Biographie des jungen Melanchthon stellt den Ertrag einer jahrzentelangen Beschäftigung des Erlanger Kirchenhistorikers mit dem Praeceptor Germaniae dar. Im vorliegenden Band sind nicht nur Jugend und Studium beschrieben, sondern es wird in grundsätzlichen Kapiteln gezeigt, wie die humanistischen Gedanken auch im Werk des älteren Melanchthon weitergewirkt haben . . . Man kann im zweiten Band bestimmt interessante Aufschlüsse über die Anfänge von Melanchthons Theologie und ihr Verhältnis zu Luther finden." Nachr. d. Ev.-Luth. Kirche in Bayern
RUDOLF HERMANN
Gesammelte und nachgelassene Werke Hrsg. von H. Beintker, J.Haar, G.Krause u. E. Erdmann. Band I: Luthers Theologie. 1967. 252 Seiten, Ln. 22,—DM. Band III: Bibel und Homiletik. 1969. Etwa 350 Seiten, Ln. etwa 32,— DM Als theologischer Lehrer hat Hermann einen weitreichenden Einfluß ausgeübt. Sein Schüler Joachim Iwand schrieb : ,,Ihm verdanke ich, wie mancher andere . . ., daß wir diesen Eingang in Luthers Theologie fanden."
HOLSTEN FAGERBERG
Theologie der lutherischen Bekenntnisschriften 1965. 332 Seiten, kart. 28,— DM, Leinen 32,— DM „Es ist dem Buch nachzurühmen, daß die Ausführung das Programm einer stärker historisch ausgerichteten Darstellung der Theologie der Bekenntnisschriften erfüllt. Die Bekenntnisschriften werden durchgängig im Zusammenhang mit den gleichzeitigen Schriften Luthers und Melanchthons und unter Berücksichtigung der neueren Forschung interpretiert." Luth. Monatshefte
V A N D E N H O E C K & R U P R E C H T IN G Ö T T I N G E N UND Z Ü R I C H
FORSCHUNGEN
ZUR
KIRCHEN-
UND
DOGMENGESCHICHTE
Band 1 : VILMOS VAJTA, Die Theologie des Gottesdienstes bei Luther. 3. Auflagt 1959. 394 Seiten, broscb. 22,80 DM Band 4: W. PANNENBERG, Die Prädestinationslehre des Duns Skotus im Zusammenhang der scholastischen Lehrentwicklung. 1954. 149 S„ brosch. 12,40 DM Band 5: GOTTHARD NYGREN, Das Prädestinationsproblem in der Theologie Augustins. 1956. 307 Seiten, brosch. 19,80 DM Band 7: WERNER KRUSCHE, Das Wirken des Heiligen Geistes nach Calvin. 1957. 255 Seiten, Leinen 26,— DM Band 8: BERNHARD LOHSE, Ratio und Fides. Eine Untersuchung über die ratio in der Theologie Luthers. 1957. 141 Seiten, brosch. 13,50 DM Band 9: MARTIN ELZE, Tatian und seine Theologie. 1960. 137 S., brosch. 14,80 DM Band 10: DAVID LÖFGREN, Die Theologie der Schöpfung bei Luther. 1960. 335 Seiten, brosch. 27,— DM, Leinen 30 — DM Band 11: HELLMUT LIEBERG, Amt und Ordination bei Luther und Melanchthon. 1963. 394 Seiten, brosch. 28 — DM Band 12: BERNHARD LOHSE, Mönchtum und Reformation. Luthers Auseinandersetzung mit dem Mönchsideal im Mittelalter. 1962. 379 Seiten, brosch. 34,— DM Band 13: OLE MODALSLI, Das Gericht nach den Werken. Ein Beitrag zu Luthers Lehre vom Gesetz. 1963. 241 Seiten, brosch. 25,— DM Band 14: GUNTHER METZGER, Gelebter Glaube. Die Formierung reformatorischen Denkens in Luthers erster Psalmenvorlesung, dargestellt am Begriff des Affekts. 1964. 233 Seiten, brosch. 28 — DM Band 15: ADOLF-MARTIN RITTER, Das Konzil von Konstantinopel und sein Symbol. Studien zur Geschichte und Theologie des II. ökumenischen Konzils von Konstantinopel 381. 1965. 316 Seiten, brosch. 36,— DM Band 16: EKKEHARD MÜHLENBERG, Die Unendlichkeit Gottes bei Gregor von Nyssa. Gregors Kritik am Gottesbegriff der klassischen Metaphysik. 1966. 216 Seiten, brosch. 28,— DM Band 17: KJELL OVE NILSSON, Simul. Das Miteinander von Götdichem und Menschlichem in Luthers Theologie. 1966. 457 Seiten, brosch. 48,— DM Band 18: FRIEDRICH BEISSER, Ciaritas scripturae bei Martin Luther. 1966. 199 Seiten, brosch. 22,— DM Band 19: HANS-MARTIN BARTH, Der Teufel und Jesus Christus in der Theologie Martin Luthers. 1967. 222 Seiten, brosch. 29,80 DM Band 21: HELMUT ROSCHER, Papst Innozenz III. und die Kreuzzüge. 1969. Etwa 340 Seiten, brosch. etwa 38,— DM
VANDENHOECK
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