Allein aus Glauben: Zur Entwicklung der Rechtfertigungslehre in der konkordistischen und frühen nachkonkordistischen Theologie 9783666562068, 3525562063, 9783525562062


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Allein aus Glauben: Zur Entwicklung der Rechtfertigungslehre in der konkordistischen und frühen nachkonkordistischen Theologie
 9783666562068, 3525562063, 9783525562062

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V&R

FRIEDERIKE NÜSSEL

Allein aus Glauben Zur Entwicklung der Rechtfertigungslehre in der konkordistischen und frühen nachkonkordistischen Theologie

VANDENHOECK & RUPRECHT IN GÖTTINGEN

Forschungen zur systematischen und ökumenischen Theologie Herausgegeben von Reinhard Slenczka und Gunther Wenz Band 95

Die Deutsche Bibliothek -

CIP-Einheitsaufnahme

Nüssel, Friederike: Allein aus Glauben: zur Entwicklung der Rechtfertigungslehre in der konkordistischen und frühen nachkonkordistischen Theologie / Friederike Nüssel. Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht, 2000 (Forschungen zur systematischen und ökumenischen Theologie: Bd. 95) Zugl.: München, Univ., Habil.-Schr. ISBN 3-525-56206-3

Als Habilitationsschrift auf Empfehlung der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft.

© 2000 Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen. http://www.vandenhoeck-ruprecht.de Printed in Germany. - Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitimg in elektronischen Systemen. Satz: Satzspiegel, Nörten-Hardenberg Druck und Bindung: Hubert & Co., Göttingen

Vorwort Die vorliegende Studie über die Entwicklung der Rechtfertigungslehre in der konkordistischen und frühen nachkonkordistischen Theologie ist von der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Ludwig-MaximiliansUniversität München im Sommersemester 1998 als Habilitationsschrift angenommen worden. Sie ist für den Druck nur geringfügig überarbeitet und um einige Hinweise auf neueste Literatur ergänzt worden. Die Untersuchung ist in einer Zeit zum Abschluß gebracht worden, in der die Rechtfertigungslehre anhand der vom Lutherischen Weltbund und vom Päpstlichen Einheitsrat veröffentlichten „Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre" verstärkt Gegenstand der ökumenischen und der innerevangelischen Auseinandersetzung geworden ist. Zwar ist die Arbeit auf diese Diskussion nicht direkt bezogen, aber sie kann doch insofern als ein Beitrag verstanden werden, als sie der innerevangelischen Selbstaufklärung über das theologische Interesse und die Probleme bei der dogmatischen Durchführung der Rechtfertigungslehre in der frühen lutherischen Dogmatik dienen möchte. Für die Begleitung bei der Entstehung dieser Arbeit gilt mein herzlicher Dank Herrn Prof. Dr. Gunther Wenz, der mir als seiner Assistentin nicht nur den Freiraum gewährt hat, um in den Bibliotheken in München und andernorts das nötige Quellenstudium zu betreiben, sondern auch das Erstgutachten übernommen hat. Für die Anregung zu der vorliegenden Arbeit und viele mir sehr wichtige Gespräche zum Thema Rechtfertigungslehre danke ich herzlich meinem Doktorvater Prof. Dr. Wolfhart Pannenberg, D.D. mult., F.B.A., der auch das Zweitgutachten erstellt hat. Den Herausgebern der „Forschungen zur systematischen und ökumenischen Theologie" Prof. Dr. Reinhard Slenczka und Prof. Dr. Gunther Wenz danke ich für die Aufnahme der Arbeit in ihre Reihe, Frau Renate Hartog für die freundliche und geduldige Betreuung bei der Drucklegung der Arbeit. Herrn Dr. Martin Laube und Frau Sabine Sans bin ich für kritische Rückfragen und Ratschläge dankbar, letzterer auch für ihre umfangreiche und sorgfältige Hilfe beim Korrekturlesen. Frau Katrin Wirth danke ich für die Erstellung des Personenregisters. Schließlich danke ich meinem Mann, der mich während der Abfassung der Arbeit und des Habilitationsverfahrens stets tatkräftig unterstützt hat. Ihm ist dieses Buch gewidmet. München, Ostern 2000

Friederike Nüssel

Inhalt Einleitung

11

KAPITEL I

Die Voraussetzungen für die Ausbildung eines einheitlichen Begriffs der Rechtfertigung in der konkordistischen Theologie

.

20

1. Die Theologie Oslanders als Anlaß für die Durchsetzung des forensisch-imputativen Rechtfertigungsbegriffs in der Konkordienformel 2. Melanchthons Ausbildung der forensisch-imputativen Rechtfertigungslehre und sein theologisches Anliegen

23

3. Luther im Gegenüber zu Melanchthon 4. Johannes Brenz 5. Zusammenfassung

48 61 68

a) Die Loci von 1521 b) Die Apologie der Confessio Augustana c) Römerbriefkommentar von 1532 und späte Loci

31

32 33 42

KAPITEL II

Die Rechtfertigungslehre als Imputationstheorie bei Matthias Flacius Illyricus 1. Der 2. Die 3. Die 4. Die

Imputationsbegriff Genese des Glaubensaktes Erbsündenlehre des Flacius Ursachen der Rechtfertigung

71 73 80 92 105

KAPITEL III

Die Aufnahme der imputativen Rechtfertigungslehre in der frühen lutherischen Dogmatik im Gefolge Melanchthons 1. Die Einordnung der Rechtfertigungslehre in die Abfolge der theologischen Loci 2. Die Analyse der imputativen Rechtfertigung allein aus Glauben durch die Bestimmung der Rechtfertigungsursachen a) Die exegetische Auseinandersetzung mit der tridentinischen Rechtfertigungslehre

112 113 120 121

8

Inhalt

b ) D i e Zurechnung der Gerechtigkeit Christi als Form der Rechtfertigung c) D e r G l a u b e als Instrumentalursache der Rechtfertigung d ) D a s Verdienst Christi als G e g e n s t a n d der Zurechnung e) Z u s a m m e n f a s s u n g

127 133 139 146

3. Rechtfertigung und Wiedergeburt 4. Wiedergeburt und Taufe 5. Rechtfertigung und sittliche Erneuerung 6. Zusammenfassung

152 159 168 174

KAPITEL I V

Christologie und Rechtfertigungslehre in der Tübinger Sicht

. .

1. Die Neuorganisation der theologischen Loci in der Tübinger Dogmatik a ) D i e Konzentration auf die Christologie b ) D i e Verortung der Rechtfertigungslehre

2. Die Entfaltung der Rechtfertigungslehre in der Tübinger Dogmatik 3. Die Lehre von der Person Christi a ) D i e Entwicklung der Lehre von der Idiomenkommunikation in den Tübinger Dogmatiken b) D i e Allgegenwart Christi nach seiner menschlichen N a t u r im Stand der Erniedrigung

4. Zusammenfassung KAPITEL

178 179 179 195

198 207 207 223

234

V

Christusgemeinschaft und Rechtfertigung 1. Die Voraussetzungen der unio-Lehre in der reformatorischen und konkordistischen Theologie 2. Die Entstehung eines eigenständigen Lehrstücks von der mystischen Einwohnung Christi in der lutherischen Dogmatik 3. Unterschiedliche Deutungen der mystischen Vereinigung mit Christus

239 239 247 252

a) D i e Vereinigung mit Christus a u f g r u n d der besonderen substantiellen N ä h e G o t t e s bei den Gläubigen 252 b ) D i e Erkenntnis der mystischen Vereinigung der Glaubenden aus der Analogie zur Person Christi 256 c) D i e G e m e i n s c h a f t der G l a u b e n d e n mit Christus durch die P r ä s e n z Christi in seinem Personsein 267

4. Die weitere Entwicklung der unio-Lehre in der lutherischen Schuldogmatik 5. Zum Verhältnis von Christusgemeinschaft und Rechtfertigung . 6. Christusgemeinschaft und Taufe

279 292 294

Inhalt

9

KAPITEL V I

Die Rechtfertigungslehre im Zusammenhang der Heilsordnung

.

300

1. Die Einführung der analytischen Methode innerhalb der lutherischen Theologie 2. Die schuldogmatische Durchführung der analytischen Methode und ihre Bedeutung für die Entfaltung der Rechtfertigungslehre 3. Die Rechtfertigungslehre als Fundamentalartikel des Glaubens 4. Auswertung

312 323 332

Zusammenfassung und Ausblick

337

Literaturverzeichnis

348

Personenregister

363

300

Einleitung Die vorliegende Untersuchung ist der Entwicklung der Rechtfertigungslehre in der konkordistischen und frühen nachkonkordistischen Dogmat i l im konfessionellen Zeitalter2 gewidmet. Sie konzentriert sich auf die 1 Gemeint ist damit insgesamt diejenige Epoche evangelisch-lutherischer Theologie, die man im Rekurs auf den in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts dargelegten wissenschaftlichen Begriff der (lutherischen) Orthodoxie (vgl. dazu Markus Matthias, Artikel .Orthodoxie I. Lutherische Orthodoxie', in: TRE 25, 464,47-465,17) und im Rückgang auf Ernst Troeltschs Unterscheidung zwischen Alt- und Neuprotestantismus bis vor einiger Zeit als ,altprotestantische' bzw. ,altlutherische Orthodoxie' bezeichnet hat. Zur möglichen Periodisierung der lutherischen Orthodoxie in Frühorthodoxie (1555-1600), Hochorthodoxie (1600-1675) und Spätorthodoxie (1675-1740) vgl. M. Matthias, TRE 25, 465 f. in Abweichung von der älteren Einteilung bei Franz Lau, Artikel ,Altprotestantische Orthodoxie', in: RGG 3 IV, 1719. Die Rede von der ,altprotestantischen' oder , altlutherischen Orthodoxie' wird aber inzwischen mit Recht kritisiert (vgl. exemplarisch den Artikel , Lutherische Orthodoxie' von Jörg Baur und Walter Sparn in: EKL 3, 953, 959, bes. 954). Um die belastete Terminologie zu vermeiden, wird in dieser Arbeit von konkordistischer und früher nachkonkordistischer Theologie bzw. Dogmatik gesprochen. Unter konkordistischer Dogmatik wird dabei die im Umfeld bzw. unter dem direkten Einfluß der Konkordienformel stehende Theologie verstanden, von der sich die daran anschließende frühe nachkonkordistische Theologie durch ihre ausdrückliche Reflexion auf den Theologiebegriff und die theologische Methode formal unterscheidet, in materialer Hinsicht aber das konkordistische Erbe fortschreibt. Die Orientierung an der Konkordienformel in der zeitlichen Abgrenzung und terminologischen Bestimmung steht im Einklang mit der neueren Forschung. Denn hier setzt sich nach Auskunft von Joachim Mehlhausen „hinsichtlich der zeitlichen Eingrenzung der altlutherischen Orthodoxie die Auffassung durch, daß mit dem Erscheinen des Konkordienbuches (1580) die klassische Periode der altlutherischen Orthodoxie beginnt." (Vgl. J. Mehlhausens Beitrag in dem von Georg Strecker herausgegebenen Band: Theologie im 20. Jahrhundert. Stand und Aufgaben, Tübingen 1983, 249.) Man wird zwar mit Johannes Wallmann die Frage stellen müssen, ob „die Bedeutung der Konkordienformel und des Konkordienbuchs heute nicht in mancherlei Hinsicht überschätzt" wird (vgl. ders., Lutherische Konfessionalisierung - ein Überblick, 51, bes. 51-53). Aber man wird nicht bestreiten können, daß Gesamtdarstellungen lutherischer Theologie in Loci und Kompendien verstärkt im zeitlichen Umfeld der Konkordienformel entstehen und daß sich der weitere Verlauf lutherischer Lehrbildung an der Konkordienformel orientiert bzw. an ihr gemessen wird. Eine Besprechung der im Rahmen der theologiegeschichtlichen Eingrenzung und Charakterisierung unserer Epoche außerdem diskutierten Begriffe wie , Spätreformation' und ,Reformorthodoxie' findet sich in der Sammelrezension von Thomas Kaufmann, ThLZ 121 (1996), 1008f., Anm. 1 und 2. Walter Sparn hat überzeugend darauf hingewiesen, daß durch „die neuere Erforschung des 17. Jahrhunderts . . . die Unterscheidung einer ,Reformorthodoxie'" unnötig geworden ist, weil sich gezeigt hat, „daß die lutherische Orthodoxie nicht weniger als vom Willen zur Traditionalität durchweg auch vom Willen zur Reform beseelt war" (W. Sparn, Die Krise der Frömmigkeit und ihr theologischer Reflex im nachreformatorischen Luthertum, 55).

12

Einleitung

Frage, wie die Rechtfertigungslehre im Anschluß an die wesentlich von Melanchthon geprägte lutherische Bekenntnistradition3 und die aus seinen theologischen Loci übernommene formale Konzeption der dogmatischen Lehrbücher entfaltet worden ist. Dies geschieht mit dem Ziel, das spezifische Anliegen, aber auch die mit der Ausdifferenzierung des Artikels von der Rechtfertigung verbundenen dogmatischen Probleme der lutherischen Rechtfertigungslehre des späten 16. und des frühen 1 Z.Jahrhunderts zu bestimmen und die in der damaligen Dogmatik erkennbare Reflexion dieser Schwierigkeiten zu eruieren. Die Erforschung und Neubewertung der lutherischen Theologie des konfessionellen Zeitalters gehört erst seit jüngster Zeit wieder zu den verstärkt wahrgenommenen Aufgaben innerhalb der historischen und systematischen Theologie. 4 Nachdem die erste, im 19. Jahrhundert einsetzende Forschungswelle weitgehend zu einer kritischen Bewertung der sogenannten altprotestantischen Orthodoxie5 gelangt ist, haben die vor dem zweiten Weltkrieg entstandenen grundlegenden Arbeiten von Hans Emil Weber6 und Otto Ritsehl7 die Kenntnis der lutherischen Dogmatik des 16. und 17. Jahrhunderts und ihrer Entwicklung zwar material entscheidend 1 Wenn die Epoche der lutherischen Theologie zwischen dem Entstehen der Konkordienformel bzw. deren unmittelbarer Vorgeschichte und dem Anbruch der Frühaufklärung zu Beginn des 18. Jahrhunderts hier mit Jörg Baur, Walter Sparn, Martin Heckel u.a. als konfessionelles Zeitalter benannt wird, so geschieht dies in dem Bewußtsein, daß diese Bezeichnung ihrerseits eine Klärung des Konfessionalisierungsparadigmas auf der Basis einer umfassenden Erforschung des entsprechenden Vorgangs voraussetzt, die hier in keiner Weise nachgezeichnet geschweige denn diskutiert werden kann. Daß dagegen „Epochenvorschläge wie , Barocktheologie' . . . nur noch tiefer in die wohl bei keinem Zeitalter der Kirchengeschichte so beharrlich etablierte theologiegeschichtlich enggeführte Generalperspektive hineinzuführen" drohen, wie Thomas Kaufmann, ThLZ 121 (1996), 1009 vermerkt, leuchtet ein. 3 Siehe dazu neben den älteren Theologien zu den lutherischen Bekenntnisschriften von Edmund Schlink, Holsten Fagerberg u. a. jetzt: Gunther Wenz, Theologie der Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche, 2 Bände, Berlin/New York 1996/98. 4 Die Notwendigkeit „der Erforschung der Kirchen- und Theologiegeschichte des späten 16. und des 17. Jahrhunderts" führt eindrücklich Johannes Wallmann, Lutherische Konfessionalisierung - ein Überblick, 47 f. vor Augen: „Es wäre schön, wenn wir . . . einmal so weit kämen, daß wir Forschungslücken hätten. Vorläufig ragen auf einem weiten Feld einige, wenige Gebäude hervor, an denen immer wieder herumgebaut wird. Dazwischen: keine Lücken, sondern Niemandsland." 5 Siehe zur altlutherischen Orthodoxie den Forschungsbericht bis 1933 von Hans Leube, Orthodoxie und Pietismus (AGP 13), Bielefeld 1975, 19-35. Vgl. auch die lebendige Darstellung von Jörg Baur, Die Vernunft zwischen Ontologie und Evangelium, Gütersloh 1962, 7-21. 6 Siehe zu Hans Emil Webers Werk über Reformation, Orthodoxie und Rationalismus die Besprechung von Johannes Wallmann, Lutherische Konfessionalisierung - ein Uberblick, 43 f. 7 Vgl. zu Otto Ritschis Dogmengeschichte des Protestantismus die Besprechung von Johannes Wallmann, Lutherische Konfessionalisierung - ein Überblick, 40-43.

Einleitung

13

verbessert, aber dennoch die theologische Reserve gegenüber dieser Epoche nicht aufheben können bzw. in mancher Hinsicht sogar noch verstärkt. Seither sind immer wieder zentrale Forschungsbeiträge zu Themen der lutherischen Dogmatik des 16. und 17. Jahrhunderts erschienen, so vor allem von Jörg Baur8, Theodor Mahlmann9 und Walter Sparn10. Während in diesen Arbeiten dogmatische Fragestellungen im Vordergrund stehen, konzentriert sich die gegenwärtige Forschung zur Theologie des konfessionellen Zeitalters vor allem auf den Zusammenhang von Dogmatik und Frömmigkeit unter verstärkter Bezugnahme auf die Erbauungsliteratur dieser Epoche. Dies geschieht in der Einsicht, daß weder die Frage der Konfessionalisierung 11 noch auch die Lehrbildung der konfessionellen Theologie als solche angemessen erschlossen und bewertet werden können, solange der Kontext ihrer spezifischen Frömmigkeit vernachlässigt wird. 12 Dabei soll zugleich das Vorurteil gegen die altprotestantische Theologie abgebaut werden, wonach die Orthodoxie, „vor allem an der Reinheit der Lehre interessiert, sich in innerkonfessionellen Streitigkeiten und Polemik erschöpfte und den Gläubigen durch ihre weltfremden Lehren bereits entfremdet hatte, ehe sie - längst verknöchert und erstarrt - von dem auf die praxis pietatis drängenden Pietismus abgelöst wurde."13 In diesem Zusammenhang erscheint es not8

Vgl. J. Baur, Die Vernunft zwischen Ontologie und Evangelium, Gütersloh 1962; ders., Salus Christiana, Gütersloh 1968, sowie die Aufsatzsammlung zur lutherischen Christologie: ders., Luther und seine klassischen Erben, Tübingen 1993. ' Theodor Mahlmann, Das neue Dogma der lutherischen Christologie. Problem und Geschichte seiner Begründung, Gütersloh 1969. 10 Walter Sparn, Die Wiederkehr der Metaphysik. Die ontologische Frage in der lutherischen Theologie des frühen 17. Jahrhunderts (CThM 4), Stuttgart 1976. 11 Vgl. dazu die Beiträge in dem von Hans-Christoph Rublack herausgegebenen Sammelband: Die lutherische Konfessionalisierung in Deutschland. Wissenschaftliches Symposion des Vereins für Reformationsgeschichte 1988 (SVRG 197), Gütersloh 1992. Zur Forschungslage siehe dort besonders Johannes Wallmann, Lutherische Konfessionalisierung ein Uberblick, 33-53. Siehe daneben auch den von Heinz Schilling herausgegebenen Band: Die reformierte Konfessionalisierung in Deutschland - das Problem der „zweiten Reformation" (SVRG 195), Gütersloh 1986, sowie den von Wolfgang Reinhard und Heinz Schilling herausgegebenen Band: Die katholische Konfessionalisierung (SVRG 198), Gütersloh 1998. Vgl. dazu die Sammelrezension von Thomas Kaufmann, Die Konfessionalisierung von Kirche und Gesellschaft. Sammelbericht über eine Forschungsdebatte, in: ThLZ 121 (1996), Heft 11: 1008-1025 und Heft 12: 1112-1121. 12 Vgl. etwa Walter Sparn, Krise, 54-82. Spam versucht in diesem Beitrag, „die bewegte Entwicklung der lutherischen Theologie in den beiden Generationen um 1600, speziell die ihrer sich jetzt besondernden dogmatischen Disziplin, in Zusammenhang zu bringen mit der Entwicklung der lutherischen Frömmigkeit der nachreformatorischen Zeit" (а. а. O., 54). Seine These ist dabei, „daß in der Tat die sich konfessionalisierende lutherische Dogmatik eine konfessionell spezifische Fortentwicklung der reformatorischen Frömmigkeit spiegelt." (А. а. O., 55) 13 So Norbert Haag, Predigt und Gesellschaft, Mainz 1992, 1. Haag entspricht dabei

14

Einleitung

wendig, „die Polarisierung von dogmatischer Literatur und Konfessionsbewußtsein einerseits, Erbauungsliteratur und Frömmigkeit andererseits"14 aufzuheben. Zu dieser Polarisierung hat in jüngerer Zeit Winfried Zellers These von der Frömmigkeitskrise des ausgehenden Reformationsjahrhunderts 15 indirekt beigetragen.16 Wenn in dieser Arbeit dennoch das Augenmerk hauptsächlich auf die dogmatische Literatur zur Rechtfertigungslehre gerichtet wird, so geschieht dies in dem Bewußtsein, daß die Dogmatik „nur eine unter einer Reihe von möglichen und mit Bedacht zu wählenden Sprech- und Schreibgattungen" darstellt 17 und daß für die adäquate Erfassung und Bestimmung des frömmigkeitsgeschichtlichen Kontextes der Dogmatik des konfessionellen Zeitalters die Erbauungsliteratur zentrale Bedeutung hat. Dabei scheint sich in den Resultaten der neueren Forschung „die sowohl von Eiert als auch von Leube formulierte Einschätzung der Orthodoxie als einer alle Lebensgebiete umfassenden Kultur" zu bestätigen, so daß „zwischen Theologie und Alltag ein Verhältnis von Reziprozität und Interdependenz" anzunehmen ist.18 Für die in dieser Arbeit zu untersuchende Frage nach der Entwicklung der Rechtfertigungslehre im konfessionellen Zeitalter ist die Beschränkung auf die dogmatische Literatur aus verschiedenen Gründen dennoch sinnvoll. Zunächst gilt es zu bedenken, daß eine eingehende Untersuchung der Frage, wie die Rechtfertigung in der Erbauungsliteratur zur Sprache gebracht wird, das im Rahmen dieser Arbeit erschließbare Textquantum weit überschreiten würde. Zweitens zeigt ein erster Blick in die Erbauungsliteratur, daß sich die terminologische Explikation der Rechtfertigungslehre in der Dogmatik um die Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert zunehmend abzuheben scheint von der erbaulichen Beschreibung des als Rechtfertigung bezeichneten Vorgangs. 19 In der theologischen Reflexion auf die Rechtfertigung

dem Forschungsanliegen seines Lehrers Hans-Christoph Rublack, der als Historiker um eine komplexe, interdisziplinär ausgerichtete Erforschung des konfessionellen Zeitalters bemüht ist. Vgl. dazu ders., Zur Problemlage der Forschung zur lutherischen Orthodoxie in Deutschland, 13-32. 14 Sparn, Krise, 54. 15 Vgl. dazu Winfried Zeller, Protestantische Frömmigkeit im 17. Jahrhundert, in: ders., Theologie und Frömmigkeit. Gesammelte Aufsätze, 85-116, bes. 87 und 90 ff., sowie ders., Die „alternde Welt" und die „Morgenröte im Aufgang" - Zum Begriff der „Frömmigkeitskrise" in der Kirchengeschichte, in: ders., Theologie und Frömmigkeit. Gesammelte Aufsätze, Bd. 2, 1-13, bes. 7. 16 Vgl. dazu Sparn, Krise, 54 f. 17 Sparn, Krise, 55. 18 Zu diesem Ergebnis kommt Sabine Holtz durch ihre Untersuchung lutherischer Predigten, vgl. dies., Theologie und Alltag. Lehre und Leben in den Predigten der Tübinger Theologen 1550-1750, 372. и In den 1606 erschienenen Meditationes sacrae von Johann Gerhard etwa spielt weder

Einleitung

15

werden dabei Probleme verhandelt, die sich gegenüber der Frömmigkeitsebene verselbständigt haben und als solche eine systematisch-theologische Rekonstruktion erfordern. 20 Schließlich ist noch ein weiterer Gesichtspunkt zu bedenken, der für die Frage nach der Entwicklung der Rechtfertigungslehre innerhalb der frühen lutherischen Dogmatik ebenfalls eine Konzentration auf die dogmatische Lehrentwicklung nahelegt. In jüngster Zeit wird das Rechtfertigungsthema innerhalb der evangelischen Theologie im Kontext der Debatte um die vom Päpstlichen Rat zur Förderung der Einheit der Christen und vom Lutherischen Weltbund ausgearbeitete und in der Gemeinsamen offiziellen Feststellung am 31.10.1999 in Augsburg unterzeichnete g e meinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre' heftig diskutiert. Diese Diskussion bezieht sich zum einen auf den in der Gemeinsamen Erklärung formulierten Stellenwert der Rechtfertigungslehre, zum anderen auf das dort entwickelte Verständnis der Rechtfertigung, und bewegt sich damit wie die Gemeinsame Erklärung auf der Ebene theologischer Lehre. In diesem Zusammenhang sollte die Frage nach der Ausbildung der Rechtfertigungslehre im konfessionellen Zeitalter schon deswegen nicht ausgeblendet werden, weil ohne diese Epoche evangelisch-theologischer Lehrbildung auch die heutige Diskussion kaum denkbar wäre. Die Beschäftigung mit der Entwicklung der lutherischen Rechtfertigungslehre im konfessionellem Zeitalter kann so der Selbstaufklärung der eigenen Voraussetzungen und damit auch der theologischen Urteilsbildung in Sachen Rechtfertigungslehre dienen. Eine neuere Untersuchung zur lutherischen Rechtfertigungslehre in der Dogmatik des späten 16. und des 17. Jahrhunderts fehlt derzeit. Zuletzt hat Jörg Baur in seinem Buch Salus Christiana von 1968 die Rechtfertigungslehre in der Geschichte des christlichen Heilsverständnisses ausgehend von der Alten Kirche bis hin zur Aufklärungstheologie der Terminus Rechtfertigung' noch die dogmatische Bestimmung der Rechtfertigung als Zurechnung der Gerechtigkeit, Sündenvergebung und Aufnahme in die Gotteskindschaft eine Rolle. Auch in Balthasar Mentzers Handbüchlein taucht der Begriff der Rechtfertigung nur am Rande auf und wird unter Verzicht auf die übliche Terminologie beschrieben, vgl. Mentzer, Katholisches Handbüchlein, 3. Ausgabe Hamburg 1693, Frage 88, 56: „Es besteht also unsere Rechtfertigung allein in dem Glauben und Vertrauen auf Christum (Röm. 3,24; Gal. 2,16; Eph. 2,8)." 20 Die relative Selbständigkeit, in der sich die dogmatische Ausdifferenzierung der Rechtfertigungslehre gegenüber der Frömmigkeitsebene entwickeln kann, ist dabei möglicherweise dadurch bedingt, daß der Prozeß der lutherischen Konfessionalisierung, wie Walter Sparn geltend macht, wesentlich von der lutherischen Abendmahlsfiömmigkeit und damit nicht von einer davon abtrennbaren eigenständigen Rechtfertigungsfrömmigkeit ausgeht. Die lutherische Abendmahlsfrömmigkeit verschafft sich nach innen zuerst in der Christologie ihren eigentümlichen Ausdruck (Sparn, Krise, 56 ff.), während sie sich nach außen durch die Erwählungslehre behauptet (Sparn, Krise, 62 ff.).

16

Einleitung

exemplarisch an zentralen Positionen rekonstruiert. Die Dogmatik der lutherischen Orthodoxie wird hier aber im Anschluß an die Darstellung der Position Luthers 21 vorwiegend anhand von Johann Andreas Quenstedt und Balthasar Meisner in den Blick genommen, ohne daß Baur auf die Lehrentwicklung detaillierter eingehen kann. Dies geschieht jeweils unter einer übergreifenden Perspektive in den älteren Werken von Otto Ritsehl und Hans Emil Weber. Während Otto Ritsehl in seiner Dogmengeschichte des Protestantismus die protestantische Lehr- und Gedankenbildung nach den sie bestimmenden vier Instanzen 22 der Schrift, der Fundamentalartikel, der altkirchlichen Tradition und der Vernunft zu rekonstruieren beabsichtigt 23 , geht es Hans Emil Weber in seinem umfangreichen, aber leider unabgeschlossenen Werk über Reformation, Orthodoxie und Rationalismus darum, an „dem inneren Entwicklungsgang der altprotestantischen Dogmatik, der von der Reformation zur Orthodoxie und von der Orthodoxie zum Rationalismus treibt, . . . die Aufgabe evangelischer Dogmatik als einer Theologie des Wortes zu verfolgen." 24 Anders als bei Otto Ritsehl steht bei ihm die Frage nach der Entwicklung der Rechtfertigungslehre im Zentrum der gesamten Untersuchung, in die dennoch alle Bereiche des entstehenden Systems der Orthodoxie einbezogen werden. Weber versucht zu zeigen, daß die in der melanchthonischen Rechtfertigungslehre erkennbare Verschiebung zur forensischen Deutung gegenüber Luther im Zuge des ebenfalls von Melanchthon angestifteten Systemdrangs schließlich dem Rationalismus verfällt. 25 Auf diese Weise wird die „Rechtfertigungslehre . . . das Schicksal der Orthodoxie." 26 Die Schwierigkeit der Weberschen Analyse besteht dabei zum einen in der seine gesamte Untersuchung durchziehenden These, daß die Lebendigkeit der ursprünglichen reformatorischen Einsicht, wie sie in Luthers Schriften und noch in der „ursprüngliche(n) Aneignung der reformatorischen Erkenntnis" 27 bei den Reformatoren zu erkennen sei, durch das Streben nach der systematischen Lehrform verloren gehe. Unter dieser Voraussetzung kann er die gesamte Lehrentwicklung der sogenannten altprotestantischen Orthodoxie nur kritisch

21

Vgl. dazu J. Baur, Salus Christiana, 54-67. Otto Ritsehl, Dogmengeschichte des Protestantismus, Bd. 1, Prolegomena Kapitel III, 46 vermeidet angesichts der im 19. Jahrhundert geführten Debatte um die Prinzipien des Protestantismus ausdrücklich die Rede von Prinzipien. 23 Vgl. O. Ritsehl, Dogmengeschichte, Bd. 1, 46 f. 24 Weber, Reformation, Orthodoxie und Rationalismus, Bd. 1/1, Vorwort VIII. Vgl. zu Webers Kritik an O. Ritsehl а. а. О., IX. 25 Vgl. dazu Weber, Reformation, Bd. II, XVIIf. 26 Weber, Reformation 1/1, 64. 27 So die Überschrift der ersten Kapitels in Webers Darstellung, vgl. Reformation 1/1, 1-64. 22

Einleitung

17

wahrnehmen. Die zweite, damit verbundene Schwierigkeit ist darin zu sehen, daß Weber die innerhalb der lutherischen Theologie aufkommenden Ansätze zur Überwindung der von ihm notierten Erstarrung der forensischen Rechtfertigungslehre nicht hinreichend würdigt. Diese Ansätze sind in besonderer Weise in der Weiterbildung der lutherischen Christologie und in der Entstehung der Lehre von der mystischen Vereinigung zu sehen. Gegenüber den breit angelegten, durch die Fülle der einbezogenen theologischen Lehrstücke und Einzelfragen aber auch schwer überschaubaren Werken von Otto Ritsehl und Hans Emil Weber soll in dieser Arbeit die Entwicklung der lutherischen Rechtfertigungslehre anhand grundlegender Positionen problemgeschichtlich rekonstruiert werden. Auszugehen ist von der Frage nach den Voraussetzungen für die Ausbildung der Rechtfertigungslehre in den lutherischen Dogmatiken. Diese sind, wie im ersten Kapitel zu zeigen ist, zunächst in der Abgrenzung der Lutheraner gegen das osiandrische Rechtfertigungsverständnis zu sehen, die im dritten Artikel der Konkordienformel durch die Rezeption der melanchthonischen Rechtfertigungslehre vorgenommen wird. Im Anschluß daran ist zu überlegen, welches Anliegen Melanchthon selbst mit seiner forensisch-imputativen Rechtfertigungslehre verfolgt und inwieweit er sich mit der Ausbildung derselben von Luthers Verständnis der Rechtfertigung entfernt. Ein Blick auf die Rechtfertigungslehre bei Johannes Brenz, der zwar in seiner Abendmahlstheologie und in seiner Christologie die Eigenart des lutherischen Denkens konstruktiv fortschreibt, rechtfertigungstheologisch aber nicht zu einer schlüssigen Position gelangt, mag dabei erklären, daß die melanchthonische Lehre in der Konkordienformel so ungehindert Eingang finden konnte. Weshalb Melanchthon gerade mit seiner Rechtfertigungslehre die konkordistische Theologie entscheidend bestimmt hat, bedarf angesichts der Tatsache, daß er durch seine Haltung in der Abendmahlsfrage und insbesondere im adiaphoristischen Streit keineswegs unumstritten war, weiterer Erklärung. Zum einen ist in diesem Zusammenhang von zentraler Bedeutung, daß Melanchthon seine Theologie systematisch in Loci zusammengefaßt und auf diese Weise die theologische Ausbildung an den Universitäten befördert hat. Zum anderen aber liegt ein entscheidender Grund für die Aufnahme seiner Rechtfertigungstheologie in die weitere dogmatische Lehrentwicklung darin, daß der führende Theologe unter den sogenannten Gnesiolutheranern die melanchthonische Rechtfertigungslehre rezipiert und durch eine eingehende Reflexion auf den Imputationsbegriff theoretisch ausdifferenziert. Das zweite Kapitel dieser Arbeit ist deshalb der Rechtfertigungslehre von Matthias Flacius Illyricus gewidmet. Die Rezeption der melanchthonisch-flacianischen Rechtfertigungslehre in der frühen lutherischen Dogmatik im Umfeld der Konkordienformel

18

Einleitung

und in der Folgezeit bis hin zur Umstrukturierung der lutherischen Dogmatik durch die Rezeption der analytischen Methode 28 ist Gegenstand des dritten Kapitels. Hier kommen vornehmlich diejenigen theologischen Autoren zur Sprache, die die Konzeption der theologischen Loci von Melanchthon ohne grundlegendere Eingriffe übernehmen und im Locus über die Rechtfertigung die flacianische Rechtfertigungsanalyse durchführen. Aus der Darstellung wird sich ergeben, daß die dogmatischen Schwierigkeiten, die schon mit der melanchthonischen Rechtfertigungslehre verbunden sind, nunmehr verschärft hervortreten und neuen Klärungsbedarf im Blick auf das Verständnis der Wiedergeburt und das Verhältnis von Rechtfertigung und sittlicher Erneuerung hervorbringen. Die beiden folgenden Kapitel beschäftigen sich mit der Frage, inwieweit innerhalb der lutherischen Lehrbildung Ansätze zu finden sind, die nicht nur eine Wahrnehmung der genannten Schwierigkeit erkennen lassen, sondern auch das Potential zu deren Uberwindung enthalten. Den Ausgangspunkt bildet dabei die Tatsache, daß in den dogmatischen Lehrbüchern der Tübinger Theologen Jakob Heerbrand, Matthias Hafenreffer und Theodor Thumm die Loci-Konzeption Melanchthons abgewandelt wird. Die Umstrukturierung des dogmatischen Stoffs betrifft vor allem die Stellung der Christologie und damit verbunden die Entfaltung der Lehre von der Heilsvermittlung. Welche Bedeutung dies für die Verortung und Bestimmung der Rechtfertigungslehre hat und in welcher Weise die hier erkennbaren Verschiebungen in der Ausbildung der Tübinger Christologie gründen, ist im vierten Kapitel dieser Arbeit zu

28 Will man die nachreformatorische Theologie des Luthertums bis hin zu ihrem Übergang in die Aufklärungstheologie nur unter Berücksichtigung der theologischen Methodik in verschiedene Phasen einteilen, so bietet es sich an, den Beginn der ersten Phase mit der Rezeption der melanchthonischen Loci der tertia aetas anzusetzen. Man könnte diese Phase als frühe lutherische Dogmatik bezeichnen, weil sich hier die systematische Darstellungsweise in Form von Loci etabliert. Eine zweite Phase ließe sich ansetzen mit der Rezeption der analytischen Methode, die bei Balthasar Meisner und Georg Calixt um 1620 einsetzt, bei Johannes Hülsemann um 1640 zum Durchbruch gelangt und fortan die dogmatische Lehrbildung bis hin zum Übergang in die Aufklärung bestimmt. Diese Phase ist im Unterschied zur frühen lutherischen Dogmatik durch eine eigenständige Reflexion auf das Wesen der Theologie und damit einhergehend durch eine zunehmende Ausdifferenzierung der theologischen Disziplinen gekennzeichnet Man könnte sie als die Phase der lutherischen Schuldogmatik bezeichnen. Mit dieser Begrifflichkeit ließe sich die herkömmliche Unterscheidung von Früh-, Hoch- und Spätorthodoxie vermeiden, die durch die negativen Konnotationen bezüglich der toten und erstarrten Orthodoxie belastet ist. Ohne damit schon eine neue Sprachregelung für den allgemeinen Gebrauch empfehlen zu wollen, erscheint mir die Unterscheidung zwischen früher lutherischer Dogmatik und lutherischer Schuldogmatik in dieser Arbeit als Parallele zur Unterscheidung zwischen konkordistischer und früher nachkonkordistischer Theologie brauchbar. Die hier vorgetragene problemgeschichtliche Analyse der Rechtfertigungslehre ist jedoch argumentativ von dieser Terminologie in keiner Weise abhängig.

Einleitung

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untersuchen. Demgegenüber wird im fünften Kapitel die Entstehung der Lehre von der mystischen Vereinigung der Glaubenden mit Gott bzw. mit Christus verfolgt. Die Deutung der mystischen Vereinigung fällt dabei keineswegs einheitlich aus, sondern variiert in dem Maße, wie auch die christologischen Voraussetzungen sich unterscheiden, und impliziert jeweils unterschiedliche Verhältnisbestimmungen zwischen mystischer Vereinigung und Rechtfertigung. Dabei erweist sich das auf dem Boden der Tübinger Christologie entwickelte und gegen den Weigelianismus geltend gemachte Verständnis der spirituellen Vereinigung mit Christus als diejenige Version, die am ehesten dazu angetan ist, die forensischimputative Rechtfertigungslehre ihrer Schwierigkeiten zu entheben und die Zurechnungsvorstellung in den Zusammenhang zurückzuführen, in dem sie bei Luther zu stehen kam. Im letzten Kapitel dieser Arbeit ist sodann zu zeigen, daß die in der Tübinger Christologie und insbesondere in der Lehre von der mystischen Vereinigung enthaltenen Ansätze zur Interpretation der Rechtfertigung von der analytisch konzipierten Schuldogmatik nicht weitergeführt werden. Mit der Einbindung der Lehre von den Fundamentalartikeln in die Grundlegung der Dogmatik und der Bestimmung der Rechtfertigungslehre als Fundamentalartikel des christlichen Glaubens entsteht der Schuldogmatik zudem die Schwierigkeit, daß sie in der Durchführung der analytischen Methode die fundamentale Bedeutung der Rechtfertigung nicht angemessen zur Geltung bringen kann, was wiederum in der inhaltlichen Bestimmung der Rechtfertigung selbst begründet ist. Inwiefern sich darin die Krise der forensisch-imputativen Rechtfertigungslehre manifestiert, und wie damit im Rekurs auf die bereits im 17. Jahrhundert angedeuteten Lösungsmöglichkeiten umgegangen werden könnte, ist zum Schluß in einem Ausblick zu erwägen.

KAPITEL I

Die Voraussetzungen für die Ausbildung eines einheitlichen Begriffs der Rechtfertigung in der konkordistischen Theologie In seiner didaktisch-polemischen Theologie - „dieser vollständigsten Rüstkammer lutherischer Polemik" 1 - definiert der wohl bedeutendste Vertreter der lutherischen Schuldogmatik, Johann Andreas Quenstedt, 1685 die Rechtfertigung als den äußeren, gerichtlichen und gnädigen Akt der Heiligen Trinität, durch den Gott den sündigen Menschen umsonst aufgrund des im Glauben angenommenen Verdienstes Christi durch die Vergebung der Sünden für gerecht erklärt zum Lob ihrer herrlichen Gnade und Gerechtigkeit und zum Heil der Gerechtfertigten. 2 Mit dieser Definition trifft er genau das Aussageinteresse der Konkordienformel von 1577, durch die gut hundert Jahre zuvor die binnenlutherischen Streitigkeiten nach Luthers Tod beigelegt worden waren 3 und die aufgrund ihrer Ubereinstimmung „mit der Heiligen Schrift, den ökumenischen Symbolen, dem ganzen reineren Altertum und jenem ersten und nicht im geringsten veränderten Augsburgischen Bekenntnis" in der Folgezeit etwa von Leonhard Hutter als Ausdruck theologischer Orthodoxie gewertet wurde. 4 Die Entsprechung zwischen der Quenstedtschen Rechtfertigungslehre und den Bekenntnisaussagen im dritten Artikel der Konkordienformel über die Gerechtigkeit des Glaubens 5 betrifft vor allem das forensisch-

1

So A. Tholuck, D e r Geist der lutherischen Theologen, 218. Siehe J. A. Quenstedt, Theologia didactico-polemica sive Systema theologicum (1685) 111,8/1, These 22, 756: „Definitio justificationis haec est; justificatio est actus SS. Trinitatis extemus, judidalis, gratiosus, quo hominem peccatorem gratis, propter Christi meritum fide apprehensum remissis peccatis, justum reputat, in gloriosae gratiae ac justitiae suae laudem & justificatorum salutem." Diese Definition ist das Ergebnis seines durch die Kausalmethode aufgeschlüsselten Rechtfertigungsartikels. 3 Zur Konkordienformel, ihrer Entstehung und ihrer Theologie vgl. Wenz, Theologie der Bekenntnisschriften, Bd. 2, §§ 12-13, 467 ff. 4 Zum Orthodoxiebegriff der sogenannten altprotestantischen Orthodoxie vgl. den Artikel ,Orthodoxie', in: T R E 25, 4 6 4 - 5 0 7 , dort vor allem den Abschnitt „Orthodoxie, Genese und Struktur" von Jörg Baur, 4 9 8 - 5 0 7 , Zitat ebd. 504 aus dem Titel von L. Hutters Concordia. Quenstedt selbst geht infolge des seit 1677 als innerkirchliche Fraktion installierten Calixtinismus mit dem Epitheton „orthodox" wieder sparsamer um als etwa noch Abraham Calov, vgl. Baur, а. а. O., 505. 2

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Vgl. FC III, Epitome und Solida Declaratio, BSLK 7 8 1 - 7 8 6 und 9 1 3 - 9 3 6 .

Die Voraussetzungen

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imputative Verständnis der Rechtfertigung.6 Wie die Konkordienformel, so bestimmt nämlich auch Quenstedt die Rechtfertigung als ein Urteil Gottes, durch welches Gott den sündigen Menschen für gerecht erklärt, indem er ihm die Sünden um Christi willen vergibt und ihm die Gerechtigkeit Christi zurechnet.7 Dabei lehnt Quenstedt mit dem Imputationsbegriff die römisch-katholische Rede von einer Infusion der Gnade und die damit verbundene Vorstellung einer durch die Rechtfertigung vermittelten inneren Veränderung des Menschen ab.8 Außerdem richtet sich seine Polemik gegen Hugo Grotius und die Anabaptisten und Schwenckfeldianer9, die nach Quenstedts Referat die Rechtfertigung als Gerechtmachung interpretieren. Im Unterschied dazu ist der dritte Artikel der Konkordienformel neben der tridentinischen Rechtfertigungslehre10 - vornehmlich auf die innerlutherische Auseinandersetzung mit Andreas Oslander bezogen 11 , in der Hans Emil Weber die entscheidende Krise für die „theologische Verarbeitung der reformatorischen Wahrheit" gesehen hat12. Die eigentliche 6

Siehe Quenstedt, Systema 111,8/1, These 3, 737: „Verba haec [seil, das hebräische und griechische „verbum iustificandi", vgl. ebd. These 2] nunquam & nusquam in universa Scriptura S. etiam extra negotium justificationis hominis peccatoris coram Deo, justificationem per infusionem novarum qualitatum significant, sed quotiesque de Deo justificante impium coram tribunali suo usurpantur, significationem forensem habent." Vgl. damit SD 111,1 f., BSLK 913 f.; SD ΙΙΙ,11 ff., BSLK 917 ff. Siehe zur Einstufung der Rechtfertigungslehre der Konkordienformel als forensisch-imputativ exemplarisch Wenz, Geschichte der Versöhnungslehre, Bd. 1, 70 f. sowie Pannenberg, Systematische Theologie, Bd. 3, 242. 7 Vgl. Quenstedts oben zitierte Definition der Rechtfertigung mit BSLK 782, 30-39: „Credimus igitur, docemus et confitemur hoc ipsum nostram esse coram Deo iustitiam, quod Dominus nobis peccata remittit ex mera gratia absque ullo respectu praecedentium, praesentium aut consequentium nostrorum operum, dignitatis aut meriti. Ille enim donat atque imputat nobis iustitiam obedientiae Christi; propter earn iustitiam a Deo in gratiam reeipimur et iusti reputamur." (Kursive Hervorhebungen von Vf.) Dabei wird im Rekurs auf Prov 17 und Rom 8 „das Wort Rechtfertigen" durch „absolvieren, das ist, von Sünden ledigsprechen" interpretiert, vgl. BSLK 783, 16-19 und SD III, 17, BSLK 919. Quenstedt bestimmt in seiner Entfaltung des Rechtfertigungsartikels die Sündenvergebung und Zurechnung der Gerechtigkeit Christi als „formalis ratio justificationis . . . privative" (а. а. O., These 13, Nota, 744), die Imputation der Gerechtigkeit und des Gehorsams Christi hingegen als „formalis ratio justificationis . . . positive" (a.a.O., These 13, Nota II, 748). Dafür ist das Verdienst des Gehorsams Christi als die „Causa impulsiva externa & meritoria" (a.a.O., These 7, 741) und die Gnade Gottes als „Causa impulsiva interna justificationis" (а. а. O., These 6, 740) vorausgesetzt. 8 Vgl. Quenstedt, Systema 111,8/2, Quaestio I, Thesis, 759 und die Antithesis zur päpstlichen Position ebd., 760. 9 Vgl. Quenstedt, Systema 111,8/2, Antithesis 760 f. 10 Vgl. dazu die Verwerfung der Gegenlehren 3 und 7-11 in FC III, Epitome, BSLK 785 f. 11 Siehe dazu Martin Stupperich, Zur Vorgeschichte des Rechtfertigungsartikels in der Konkordienformel, 175-194, sowie Wenz, Theologie der Bekenntnisschriften, Bd. 2, 585 ff. 12 Vgl. H.E. Weber, Reformation 1/1, 256.

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Die Voraussetzungen

Aufgabe dieses Artikels innerhalb der Konkordienformel besteht dabei nach dem Urteil von Martin Stupperich darin, trotz der differierenden Einstellungen zu Oslander „das bei allen Parteien gleichermaßen zentrale Interesse an einer einheitlichen Basis für den Kampf gegen die sich reformierende altgläubige Kirche zu befriedigen." 13 Im Blick auf dieses Ziel mußte auf der einen Seite dem scharfen Widerspruch der Wittenberger und der Gnesiolutheraner gegen Oslanders Lehre Rechnung getragen werden. Auf der anderen Seite mußte diese Stellungnahme gegen die osiandrische Lehre so ausfallen, daß sich auch die Württemberger mit ihrer vermittelnden Haltung gegenüber Oslander der Bekenntnisaussage anschließen konnten.14 Auch wenn man den osiandrischen Streit, der den Hintergrund für die Entstehung des dritten Artikels der Konkordienformel bildet, als „Geschichte einer Kette von Fehlverständnissen" beurteilt, „die auf einem Kernbestand grundsätzlichen Nichtverstehens auf beiden Seiten beruht" 15 , war er doch für die Entwicklung der Rechtfertigungslehre folgenreich, weil er die Lutheraner in Abgrenzung zur Lehre Oslanders zu einer einheitlichen Bekenntnisaussage über die Gerechtigkeit des Glaubens und die Rechtfertigungslehre zwang. Trotz der unterschiedlichen Haltungen zu Oslander kam es dabei zu keiner eingehenden Diskussion über die im Hintergrund stehenden Differenzen in der Rechtfertigungsauffassung zwischen wittenbergischen, gnesiolutherischen und württembergischen Theologen. 16 Im folgenden soll gezeigt werden, inwiefern die Theologie Oslanders zur Festschreibung der zuvor bereits von Melanchthon ausgeprägten forensisch-imputativen Rechtfertigungslehre Anlaß geben konnte. Daran anschließend ist nach dem leitenden Interesse zu fragen, welches Melanchthon bei der Entfaltung seiner imputativen Deutung der Rechtfertigung verfolgte. Um die weitere Entwicklung der Rechtfertigungslehre im Umfeld und nach der Konkordienformel darstellen und einschätzen zu können, ist schließlich Luthers Auffassung der Rechtfertigung im Gegenüber zu Melanchthon skizzenartig darzustellen, die Johannes Brenz in begrenzter Weise fortführt.

M . Stupperich, Vorgeschichte, 191. Vgl. zu dieser Konfliktsituation M. Stupperich, Vorgeschichte, 175.191 u. ö. Siehe auch ders., Lehrentscheidung und theologische Schematisierung. Die Sonderrolle Württembergs im Osiandrischen Streit und ihre Konsequenzen für die Formulierung des dritten Artikels der Solida Declaratio, 171-195, hier: 171. 15 M . Stupperich, Vorgeschichte, 175. 16 Dies ist möglicherweise darauf zurückzuführen, daß Brenz als führender T h e o l o g e der Württemberger seine Einstellung zur osiandrischen Position nicht auf den Begriff bringen konnte. Brenz selbst gab nämlich in der Debatte über die Haltung der Württemberger in zwei Briefen an Melanchthon und Justus J o n a s zu, „Oslander im Grunde nicht richtig verstanden zu haben". (Vgl. M . Stupperich, Lehrentscheidung, 176) 13 14

Die Theologie Oslanders

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1. Die Theologie Oslanders als Anlaß für die Durchsetzung des forensisch-imputativen Rechtfertigungsbegriffs in der Konkordienformel Der osiandrische Streit wurde ausgelöst durch Oslanders Disputation über die Rechtfertigung vom 24.10.1550, in der er grundlegende Kritik an Melanchthons Auffassung von der forensischen Imputation der Gerechtigkeit Christi und dessen Lehre von der Einwohnung der Gerechtigkeit Christi äußerte.17 Dagegen vertrat Oslander die These, daß Rechtfertigung Lebendigmachung18 und Gerechtmachung19 bedeute und sich durch die Einwohnung20 der wesentlichen Gerechtigkeit21 Christi im Glauben22 vollziehe. Dabei dachte er die Einwohnung Christi in Analogie zur sakramentalen Vereinigung Christi als eine fleischliche Vereinigung23 und bezog die Zurechnung der Gerechtigkeit auf die Teilhabe an der wesentlichen Gerechtigkeit Christi in der Vereinigung des Glaubenden

17 Vgl. Andreas Oslander, Disputatio de iustificatione, Königsberg 1550, in: Gesamtausgabe, Bd. 9, 426 ff. These 6 wendet sich dann gegen die forensisch-imputative Deutung der Rechtfertigung, vgl. а. а. O., 428: „Transfertur tarnen saepe ad aliam significationem, in qua idem valet, quod iustum existimare, confiteri, testari vel pronunciare." Vgl. auch Thesen 73 ff., 444. Siehe dazu M. Stupperich, Oslander in Preußen, 110 ff., sowie E. Hirsch, Die Theologie des Andreas Oslander, 172 ff. Zum osiandrischen Streit insgesamt vgl. Bernhard Lohse, Dogma und Bekenntnis in der Reformation, H D T h G 2, 125-129. Außerdem: O. Ritsehl, Dogmengeschichte, Bd. 2, 455 ff. 18

Siehe A. Oslander, Disputatio de iustificatione 1550, Thesen 2-4, in: Gesamtausgabe, Bd. 9, 428: „Nihil enim iustificat, quod non et vivificet. Nihilque vicissim vivificat, quod non simul etiam iustificet. . . . Ita ut recte dicamur iustificari fide, quia iustus fide vivit. . . . Iustificare enim propria et primaria institutione significat ex impio iustum facere, hoc est mortuum ad vitam revocare.". 19 Vgl. A. Oslander, Vom einigen Mittler, in: Gesamtausgabe, Bd. 10, 144-147, wo Oslander die doppelte Bedeutung von .rechtfertigen' im Sinne von ,gerecht erklären' und , gerecht machen' auf die Schrift zurückführt und - unter ständiger Berufung auf Luther die Lehre seiner Gegner scharf kritisiert, die nur eine Gerechtsprechung lehren. 20 Vgl. zur Einwohnung Christi Oslander, Disputatio de iustificatione, These 38 f., in: Gesamtausgabe, Bd. 9, 436. 21 Siehe dazu Oslander, Disputatio de iustificatione, These 52 ff., in: Gesamtausgabe, Bd. 9, 438 ff. 22 Vgl. zum Glauben bei Oslander, Disputatio de iustificatione, These 10-21, in: Gesamtausgabe, Bd. 9, 428-432. 23 Vgl. Oslander, Disputatio de iustificatione, Thesen 71 ff., in: Gesamtausgabe, Bd. 9, 444, mit den Thesen 33, 36, 37 zur fleischlichen Vereinigung, а. а. O., 434 ff.: „Unde cum eo [Christo; Vf.] sumus una саго, membra scilicet corporis eius, caro de carne eius et os ex ossibus eius. . . . Porro hoc semen Dei in credentibus et electis manet. Unde et filii Dei ac divinae naturae consortes efficimur. Qui enim Deo adhaeret, fit unus spiritus cum eo. . . . Nunquam tarnen cum Deo unus spiritus fieremus, nisi prius cum Christo una caro essemus."

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mit Christus 24 . Nach dem Urteil von Hans Emil Weber ist Oslanders Ablehnung der Wittenberger Imputationslehre aus seinem ethischen Interesse „an einem wirklichen Gerechtwerden" heraus zu verstehen.25 Die Vorstellung einer bloßen Zurechnung der Gerechtigkeit Christi erschien ihm aber außerdem angesichts der trinitarischen Besinnung darauf, daß Gottes Leben Liebe ist, „vom Gottesgedanken aus eine innere Unmöglichkeit"26 zu sein: „Dan Gott ist nicht so ungerecht noch ein solcher liebhaber der Ungerechtigkeit, das er den fur gerecht halt, in dem gantz und gar von der waren gerechtigkeit nichts ist".27 Weshalb Oslander die Imputations-Vorstellung für unvereinbar hielt mit dem Gottesgedanken, hängt nach der Auffassung von Martin Stupperich entscheidend mit Oslanders eigentümlicher Auffassung der Trinitäts-und Gotteslehre zusammen.28 Wie aus der Schrift „Vom einigen Mittler" von 1551 deutlich werde, basiere nämlich Oslanders theologisches Denken insgesamt auf der Uberzeugung, „daß Gott ein einziges, vollkommenes, unzertrennbares Wesen ist, das überall da ganz anwesend ist, wo auch nur eine einzige Eigenschaft oder Auswirkung seiner Person ausdrücklich als gegenwärtig bezeichnet ist. Dieses Prinzip beherrscht die gesamte Lehre Oslanders: Die absolute Göttlichkeit Gottes und die Regel der grundsätzlichen Unteilbarkeit seines Wesens dürfen nicht verletzt werden." 29 Als Grundgedanke von Oslanders Theologie fungiere mithin der scholastische Satz: „In Deum non cadit accidens".30 Trifft diese Sicht von Martin Stupperich zu 31 , dann ist dieser Satz für die gesamte soteriologische Konzeption Oslanders deshalb so folgenreich,

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Vgl. Oslander, Disputatio de iustificatione, These 75, in: Gesamtausgabe, Bd. 9, 444: „Iusticia enim Christi nobis quidem imputatur, sed non nisi, quum in nobis est". 25 Vgl. Weber, Reformation 1/1, 258. 26 Ebd. 27 Vgl. die 1551 erschienene deutsche Ubersetzung der Schrift über die Rechtfertigung, hier von These 74, Disputatio de iustificatione, in: Gesamtausgabe, Bd. 9, 445. 28 Vgl. M. Stupperich, Oslander in Preußen, 197 und bes. 200-203. 29 Siehe M. Stupperich, Lehrentscheidung, 177. Vgl. auch ders., Oslander in Preußen, 200 ff. 30 Siehe M. Stupperich, Lehrentscheidung, 177; vgl. auch ders., Oslander in Preussen, 200: „Hauptprinzip des theologischen Denkens bei Oslander . . . ist die These, daß Gott ein einziges, vollkommenes, unzertrennbares Wesen ist; für dieses gilt der Satz: ,in Deum non cadit accidens'. Folglich ist Gott überall da ganz anwesend, wo auch nur eine einzige Eigenschaft oder Auswirkung seiner Person ausdrücklich als gegenwärtig bezeichnet ist. Auf diesem Prinzip ist die gesamte Lehre Oslanders konsequent aufgebaut". 31 M. Stupperich verweist in seiner Studie über Oslander in Preußen zum Beleg seiner These allerdings nicht auf Osiander-Zitate. Vielmehr gibt er а. а. O., 197, Anm. 17 zu, daß der lateinische Satz kein Zitat aus Oslanders Schrift vom einigen Mittler ist, „sondern der der osiandrischen Aussage zugrundeliegende philosophische Gedanke". Welches Gewicht die von Stupperich geltend gemachte scholastische Grundthese in Oslanders Theologie wirklich hat, ist hier nicht zu entscheiden.

Die Theologie Oslanders

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weil Oslander auf dieser Basis die Lehre von der untrennbaren Vereinigung Gottes „mit der Kreatürlichkeit des Menschen" in Jesus Christus im Sinne der realen Idiomenkommunikation faktisch ausschloß 32 und stattdessen die Schwäche der christologischen Konzeption Melanchthons in verschärfter Weise fortschrieb33. So wird jedenfalls verständlich, weshalb Oslander die Gerechtigkeit Christi nach seiner menschlichen Natur strikt von der Gerechtigkeit seiner göttlichen Natur unterschied34 und der menschlichen Gerechtigkeit Christi eine andere soteriologische Funktion zuschrieb als der göttlichen Gerechtigkeit Christi. Während nämlich die göttliche Gerechtigkeit Christi im Glauben empfangen werde und den Glaubenden tatsächlich gerecht mache 35 , habe Christus nach seiner menschlichen Gerechtigkeit die Sündenvergebung nur ermöglicht, indem er Gott durch sein Verdienst versöhnte 36 . Der im Sinne der Satisfaktionslehre Anselms 37 gedeutete Kreuzestod Christi ist mithin nach Oslander nur die vor 1500 Jahren geschehene Bedingung für Gottes Sündenvergebung38, bleibt aber „ohne die Einwohnung der wesentlichen Gerechtigkeit Gottes für den einzelnen

32

Vgl. M. Stupperich, Lehrentscheidung, 178. Eine ausführliche Darstellung der Christologie Oslanders als Hintergrund seiner Rechtfertigungslehre bietet Mahlmann, Das neue Dogma der lutherischen Christologie. Problem und Geschichte seiner Begründung, Gütersloh 1969, 93 ff. Dabei zeigt Mahlmann, wie Oslander die Schwäche der melanchthonischen Christologie im Blick auf die Lehre von der Idiomenkommunikation dadurch verdeutlicht, daß er sie in in verschärfter Weise übernimmt. Für Oslander wird dabei „die Personeinheit gerade zur Begründung, Gottestun und Menschentun auseinanderzunehmen und je für sich, nach ihrer Herkunft, nicht nach ihrem Woraufhin, dem Dasein Gottes als Jesus von Nazareth, zu würdigen" (a.a.O., 95). 34 Vgl. dazu Mahlmann, а. а. O., 97, mit dem entsprechenden Zitat aus Oslanders Schrift vom einigen Mittler. 35 Vgl. Oslander, Disputatio de iustificatione, These 19 und 21, in: Gesamtausgabe, Bd. 9, 432. Siehe dazu auch M. Stupperich, Lehrentscheidung, 184. 36 Vgl. dazu Mahlmann, Dogma, 107. 37 Vgl. Anselm von Canterbury, Cur Deus homo?, Darmstadt 4 1956 und dazu Wenz, Geschichte der Versöhnungslehre, Bd. 1, 42-55. 38 A. Oslander, Vom einigen Mittler, in: Gesamtausgabe, Bd. 10, 110: „Es ist aber offenbar, das alles dasjenig, das Christus als der getreue mitler von unsernwegen durch erfullung des gesetzes und durch sein leiden und sterben mit Gott, seinem himlischen vater, gehandelt hat, das ist fur funfzehenhundert jaren und lenger geschehen, da wir noch nicht geporen gewest sein. Darumb kan es, eigentlich zu reden, nicht unser rechtfertigung gewest sein, noch genennet werden, sonder nur unser erlösung und gnugthuung fur uns und unser sünde. Dann wer gerechtfertigt sol werden, der mus glauben; sol er aber glauben, so mus er schon geporen sein und leben. Darumb hat Christus uns, die wir itzo leben, und andere vor uns durch erfullung des gesetzes und sein leiden und sterben nicht gerechtfertigt; aber erlöset sein wir dardurch von Gotts zorn, todt und helle. Dann man kan ein menschen wol erlösen und befreien, der auch noch nicht geboren ist. . . . Aber man kan keinen gerecht und from machen, ehe dann er geporen wird." 33

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Menschen wertlos". 39 Soll der Mensch vor Gott bestehen können, muß er vielmehr durch die Einwohnung der wesentlichen Gerechtigkeit Gottes „,vergottet' werden, denn Gott kann neben seinen eigenen göttlichen Maßstäben keine anderen anerkennen." 40 Unter dieser Voraussetzung war für Oslander „die Imputationslehre der Wittenberger, die Gott z u mutet', einen Sünder aus reiner Gnade für gerecht zu erklären, ein Gedanke, der der Göttlichkeit Gottes widerspricht und daher irreal ist."41 Außerdem mußte er aus dem Grundsatz seiner Gotteslehre heraus auch die melanchthonische „Zweiteilung der Gerechtigkeit in zugerechnete Gerechtigkeit des Glaubens und davon gesonderte angefangene Gerechtigkeit des neuen Gehorsams" 42 ablehnen. Die Einwohnung der wesentlichen Gerechtigkeit Gottes wird nach Oslander vermittelt durch die Predigt des Wortes Gottes 4 3 , wobei wegen der Unzertrennbarkeit des göttlichen Wesens auch schon die unvollständige Verkündigung beim Hörer bewirken kann, daß „die ganze ungeteilte Trinität" im Menschen wohnt, „sofern dieser das Wort durch den Glauben ergreift". 44 Indem sich mit der Annahme des Wortes die volle Einwohnung Gottes und seiner Gerechtigkeit im Menschen realisiert, kommt der im aktiven Gehorsam der Gesetzeserfüllung manifesten Gerechtigkeit der menschlichen Natur Christi nach Oslander keine Funktion für die individuelle Vermittlung der Gerechtigkeit Christi zu. Vielmehr ergreifen wir nach Oslander im Glauben allein die göttliche Gerechtigkeit 45 und werden durch die Einwohnung dieser Gerechtigkeit gerecht. 46

39 M. Stupperich, Lehrentscheidung, 177 f. Vgl. auch ders., Oslander in Preussen, 200. Siehe A. Oslander, Vom einigen Mittler, in: Gesamtausgabe, Bd. 10, 110-112. 40 Vgl. M. Stupperich, Lehrentscheidung, 177. 41 M. Stupperich, Oslander in Preussen, 200. Vgl. auch ders., Lehrentscheidung, 178: „die Zurechnung der Gerechtigkeit im Sinne der Wittenberger Theologen ist für Oslander ein unmöglicher Weg, denn sie mutet Gott zu, einen Sünder aus reiner Gnade für gerecht zu erklären, ein Weg, der der Göttlichkeit Gottes widerspricht. Nur durch die Einwohnung der wesentlichen Gerechtigkeit Gottes selbst kann der Mensch vor Gott gerechtfertigt sein." 42 M. Stupperich, Lehrentscheidung, 184. 43 Vgl. dazu A. Oslander, Vom einigen Mittler, in: Gesamtausgabe, Bd. 10, 112-132. 44 Vgl. M. Stupperich, Lehrentscheidung, 178. 45 Vgl. A. Oslander, Vom einigen Mittler, in: Gesamtausgabe, Bd. 10, 240,19 ff.: „Und wan wir gleich dise gewaltige zeugnus nicht hetten, so solt dannoch das allein zeugnus gnug sein, das Christus nach seiner göttlichen Natur unser Gerechtigkeit ist, dieweil die heilige schrifft die gerechtigkeit, die wir durch den glauben empfangen un im glauben haben beyde im alten und neuen testament klerlich und bestendigklich Gottes Gerechtigkeit nennet." 46 Vgl. dazu A. Oslander, Disputatio de iustificatione, These 20 und bes. These 21, in: Gesamtausgabe, Bd. 9, 432: „Cum enim duplex iustitia sit, Dei scilicet et hominum, fide non hanc humanam, sed illam Dei iustitiam apprehendimus." In der Schrift ,Vom einigen Mittler' wehrt sich Oslander zwar gegen die entsprechenden Vorwürfe seiner Gegner, doch bezieht er nach wie vor die Einwohnung nur auf die göttliche Natur, während das Werk

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Infolge dieser seiner Lehre von der Einwohnung der wesentlichen Gerechtigkeit Gottes in den Glaubenden kann Oslander der reformatorischen Überzeugung, daß der Mensch auch nach Wiedergeburt und Rechtfertigung Sünder bleibt, nicht Rechnung tragen. Denn die Gerechtigkeit Gottes bewirkt nach Oslander, „daß die Sünde ständig geringer werde, bis sie im Tode völlig verschwinde. Im Vergleich zur Gerechtigkeit sieht Oslander die Sünde wie ein unreines Tröpfchen in einem reinen Meer. Wesentlich ist nur die Einwohnung der Gerechtigkeit als einer bleibenden göttlichen Qualität, die allein die Errettung des Menschen vom Tode verbürgen kann. Die Vorstellung einer bloßen Zurechnung der Gerechtigkeit stößt den Menschen in die Ungewißheit über sein Seelenheil, mehr noch, überliefert ihn dem Reich des Teufels." 47 Aus dieser Skizze der theologischen Grundüberzeugungen Oslanders dürfte deutlich geworden sein, daß Oslanders Kritik an der imputativen Deutung der Rechtfertigung auf einer eigentümlichen Christologie und Versöhnungslehre basiert und ein Sündenverständnis impliziert, welches den Einsichten der lutherischen Reformation grundlegend widerspricht. Insofern wundert es nicht, daß sich im osiandrischen Streit philippistische und gnesiolutherische Theologen vereint um die Widerlegung der osiandrischen Theologie bemühten. Dennoch fällt die Auseinandersetzung mit Oslanders Theologie im dritten Artikel der Konkordienformel sehr zurückhaltend aus. Oslander wird weder namentlich erwähnt, noch wird seine Theologie sachgemäß erörtert. Die Bezugnahme auf Oslander wird vor allem in der Ausgangsfrage, „nach welcher Natur Christus unser Gerechtigkeit sei"48, deutlich und in der Ablehnung der These, „daß Christus allein nach der Gottheit unser Gerechtigkeit sei, wenn er durch den Glauben in uns wohnet, gegen welcher durch den Glauben einwohnender Gottheit aller Menschen Sünde wie ein Tropf Wasser gegen dem großen Meer geachtet sei."49 Auch vermeidet die Konkordienformel, das Christi nach seiner menschlichen Natur die unabdingbare Voraussetzung für die Einwohnung ist, vgl. Gesamtausgabe Bd. 10, 138,8-18: „Es sol aber niemandt hie gedencken, das wan wir sagen, das Wort, das ist die göttlich natur in Christo, sey unser leben, das wir darumb wolten die menschliche natur absundern und ausschliessen, als hette sie nichts darzu, das wir durch sein göttliche natur lebendig werden. Das sey ferne von uns! Und obwol etliche uns desselben schuld geben, so werden sie es doch nimmermehr beweisen, sonder mit iren lügen in schänden stehen. Dann gleich wie die Rede den safft und geist, darvon sie grun und fruchtbar wirt, aus dem weinstock nicht empfangen kan, sie sey dann mit dem stamme und holtz des Weinstocks ein leib, also auch wir können kein göttlich leben, gerechtigkeit, heiligkeit noch andere göttliche krafft in keinen wege aus dem Gütlichen wesen empfahen noch erlangen, wir sein dan zuvor durch den glauben und tauff in den herren Jhesum Christum eingeleibt". 47 48 49

M. Stupperich, Oslander in Preussen, 200. Ep 111,1, BSLK 781,30 f. Ep 111,2, BSLK 781,36-782,5 und die Verwerfung BSLK 785, 6 f. Vgl. dazu die oben

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Die Voraussetzungen

eigentlich zentrale Thema des Konflikts mit Oslander zu benennen, welches nicht primär in der Frage bestand, ob Christus nur nach seiner göttlichen Natur unsere Gerechtigkeit sei, sondern darin, ob die Rechtfertigung als Imputation der Gerechtigkeit Christi zu verstehen sei oder aber als Gerechtmachung durch die Einwohnung der wesentlichen Gerechtigkeit Gottes, wie Oslander behauptet hatte. Obwohl sich die gesamten Ausführungen des dritten Artikels der Konkordienformel faktisch gegen ein solches effektives Verständnis der Rechtfertigung richten und sich demgegenüber für die Wittenberger Imputationstheorie einsetzen, wird über den eigentlichen Anlaß dieser Ausführungen geschwiegen. Das hat seinen Grund darin, daß die Württemberger Theologen unter der Führung von Johannes Brenz eine ausdrückliche Verurteilung der Lehre Oslanders entschieden ablehnten. 50 Die Haltung der Württemberger wurde dabei erstmalig 1552 in der Antwort auf die von Herzog Albrecht von Preußen angeforderte Stellungnahme und in der nachfolgenden Deklaration fixiert. 51 In ihrer Stellungnahme bemühten sich die Württemberger um „eine brüderliche Vereinigung der streitenden Parteien", benannten in diesem Interesse das Vereinigende zwischen Oslander und seinen Gegnern in drei Sätzen und erklärten den ganzen Streit zu einem Wortstreit. 52 In der weiteren Debatte um das Württemberger responsum und die Deklaration gab Brenz in zwei Briefen an Melanchthon und Justus Jonas zu, „Oslander im Grunde nicht richtig verstanden zu haben", so daß er einen Vergleich einer Verdammung vorziehe. 53 In dieser Haltung verharrte Brenz hartnäckig und brachte damit sogar das Wormser Kolloquium von 1557 zum Scheitern. 54 Dagegen waren Philippisten und Flacianer bzw. Gnesiolutheraner trotz ihrer sonstigen Differenzen in ihrem Drängen auf eine Verurteilung Oslanders einig. 55 Wortführer der Königsberger Gegner Oslanders und „Verfechter des antiosiandrischen Standpunkts Wittenbergs" war Joachim Mörlin mit seiner Konfutationsschrift „Von der rechtfertigung des glaubens . . . " , die sich gegen Oslanders Schrift „Vom einigen Mittler" richtete. 56 Dabei vertrat Mörlin „bis in die Einzelheiten hinein die von Melanchthon geprägte Wittenberger Theologie", obwohl „er den Akt der angegebenen Zitate aus Oslanders Disputation über die Gerechtigkeit und aus seiner Schrift vom einigen Mittler. 50 Siehe dazu M. Stupperich, Lehrentscheidung, 171 ff. 51 Vgl. M. Stupperich, Lehrentscheidung, 174. 52 Vgl. M. Stupperich, Lehrentscheidung, 174 f. 53 M. Stupperich, Lehrentscheidung, 176. 54 Vgl. M. Stupperich, Lehrentscheidung, 171.173. 55 Vgl. M. Stupperich, Lehrentscheidung, 171 f. und Lohse, Dogma und Bekenntnis in der Reformation, 128. 56 Vgl. M. Stupperich, Lehrentscheidung, 172.179.

Die Theologie Oslanders

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Einwohnung anders als Melanchthon nicht als etwas Nachfolgendes, sondern als etwas unmittelbar mit der Gerechterklärung Einhergehendes" ansah. 57 Der gnesiolutherische Standpunkt wurde von Matthias Illyricus Flacius vertreten, der mit seiner „Verlegung des Bekenntnis Osiandri von der Rechtfertigung" 1552 und der Schrift „De iustificatione hominis coram Deo . . . " 1554 Stellung bezog. Darüber hinaus versuchte Flacius aber durch die Neuausgabe eines Teils der von Oslander unter Mitwirkung von Brenz 1533 verfaßten Markgräfischen und Nürnberger Kirchenordnung zu zeigen, daß Oslander sich in seinem Verständnis der Glaubensgerechtigkeit zwar ursprünglich einmal mit Brenz in Übereinstimmung befunden hatte, daß sich die Anhänger Oslanders aber inzwischen zu unrecht auf Brenz als Gewährsmann für die osiandrische Rechtfertigungslehre beriefen.58 Melanchthon griff zuerst 1552 mit einer „Antwort auf das buch herrn Andreae Osiandri von der rechtfertigung des menschen" 59 in die Auseinandersetzung mit Oslander ein. Diese Schrift wirkte weit über den osiandrischen Streit hinaus und steht auch im Hintergrund der Abfassung von FC III. 60 Obwohl Melanchthon - wohl als einziger - die abweichende Gotteslehre Oslanders als die eigentliche Basis seiner Theologie erkannte 61 , hielt er „seine Erkenntnisse weitgehend geheim", um „eine Ausweitung des Streits auf weitere Themenbereiche auf jeden Fall" zu verhindern. 62 Stattdessen betonte er gegen Oslander, die Gerechtigkeit habe zwei Seiten, nämlich die Gnade der Sündenvergebung und die Gnade der Gabe im Sinne der Wiedergeburt, die beide auf dem Verdienst Christi beruhten und allein durch den Glauben an den ganzen Christus angeeignet würden. 63 Wegen der Sünde des Menschen, die auch nach der Wiedergeburt weiterbestehe, sei dabei die wesentliche Einwohnung der Gerechtigkeit Gottes im Menschen in diesem Leben unmöglich und erst im kommenden Leben zu erwarten. „Der Gegensatz zwischen Oslander und seinen Gegnern bestand" mithin nicht darin, „daß diese die Lehre 57

Vgl. M. Stupperich, Artikel ,Mörlin, Joachim', in: T R E 23, 193-196, hier: 195. So die Vorrede von Flacius. D e n Auschnitt „aus der Marggravischen und Norimbergischen Ordnung anno 33. ausgangen/ welche Oslander mit rat und beisein Brentii geschrieben hat" findet man unter dem Titel „Brentii und Osiandri meinung vom ampt Christi und der rechtfertigung des Sünders. Mit einer vorrede M. Flac. Illyr." in einem Sammelband im Anschluß an die „Historia welcher gestalt sich die osiandrische schwermerey im Lande zu Preussen erhaben/ und wie dieselbige verhandelt ist/ mit allen actis/ beschrieben durch Joachim Mörlin . . . 1554". Vgl. zu Flacius auch O. Ritsehl, Dogmengeschichte, Bd.2, 468 ff. 58

59 60 61 62 63

CR 7, 892-902 und StA VI, 452-461. M. Stupperich, Lehrentscheidung, 181 f. Dies belegt ein Brief an Justus Jonas vom Januar 1552, vgl. CR 7, 927 f. M. Stupperich, Lehrentscheidung, 181. Vgl. dazu M. Stupperich, Lehrentscheidung, 182.184 f.

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Die Voraussetzungen

von der Einwohnung Christi in den Glaubenden überhaupt ablehnten, sondern darin, daß sie das Folgeverhältnis von Einwohnung Christi und Zurechnung des Glaubens zur Gerechtigkeit umkehrten, indem sie die Einwohnung Christi (und des trinitarischen Gottes) in den Glaubenden als Folge und nicht wie Oslander als Grundlage der Gerechtsprechung betrachteten." 64 Unter der Voraussetzung, daß die Rechtfertigung als Einwohnung der Gerechtigkeit Gottes in diesem Leben unmöglich ist65 und der Gerechtsprechung erst im zukünftigen Leben folge, gelangte Melanchthon schließlich zu dem Vorwurf, Oslander beraube die Menschen des Trostes, der im Vertrauen auf die durch Christus verheißene Barmherzigkeit Gottes bestehe.66 Dieser Vorwurf ist zwar auf der Basis der Wittenberger Theologie einsichtig, verkennt aber sowohl das Anliegen als auch die Grundlage der Theologie Oslanders. Der absichtliche Verzicht, die Lehrvoraussetzungen Oslanders bis ins Letzte aufzudecken, bedeutete dabei eine Verfälschung der osiandrischen Position, die schließlich dazu führte, daß die Argumente, gegen die sich der dritte Artikel der Konkordienformel (SD III) wendet, gar nicht mehr als Argumente Oslanders gelten können. 67 Eine adäquate Kritik der osiandrischen Rechtfertigungslehre wäre dagegen nur unter Berücksichtigung der Gottes- und Trinitätslehre Oslanders möglich gewesen. Hätte Melanchthon die Debatte in diese Richtung gelenkt, indem er seine Erkenntnisse über die Voraussetzungen der osiandrischen Theologie öffentlich bekannt gemacht hätte, so hätte man einerseits einen differenzierteren Begriff der Einwohnung Christi entwickeln können, andererseits aber das Verhältnis von Einwohnung Christi und forensisch-imputativer Rechtfertigung reflektieren müssen. Dabei wären die Differenzen zwischen Wittenberg und Württemberg vermutlich in einer Weise hervorgetreten, die die Konkordie erheblich verzögert, wenn nicht sogar inhaltlich unmöglich gemacht hätten. Indem Melanchthon darauf verzichtete, die osiandrische Theologie in ihrer Komplexität zur Diskussion zu bringen, hat er bereits den Weg eingeschlagen, den auch die Konkordisten in Sachen Oslander weiterverfolgten. Sie ließen die Rechtfertigungslehre nicht zum binnenlutherischen Streitthema werden und hatten damit anders als bei der Christologie - anhaltenden Erfolg. Gerade weil die Position Oslanders zwischen Wittenberg und Württemberg theologisch nicht in komplexer Weise ausdiskutiert wurde, ist der osiandrische Streit für die Entwicklungsgeschichte der Rechtfertigungslehre höchst folgenreich geworden. Denn anstelle einer ausdrücklichen Bestimmung und Ver-

64 65 66 67

W. Pannenberg, Systematische Theologie, Bd. 3, 255. M. Stupperich, Lehrentscheidung, 183. M. Stupperich, Lehrentscheidung, 182. Vgl. dazu M. Stupperich, Lehrentscheidung, 183.

Melanchthons Rechtfertigungslehre

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urteilung der problematischen Thesen Oslanders wurde in vermittelnder Absicht das forensisch-imputative Verständnis der Rechtfertigung im Bekenntnis der Konkordienformel fixiert, welches Melanchthon im Zuge der Abfassung der Apologie entwickelt hatte.

2. Melanchthons Ausbildung der forensisch-imputativen Rechtfertigungslehre und sein theologisches Anliegen Die Entwicklung der Rechtfertigungslehre Philipp Melanchthons 68 wird zwar in der Forschung sehr unterschiedlich gedeutet und bewertet, aber dennoch kann als unbestritten gelten, daß sowohl seine Auslegung des reformatorischen Zentralartikels in der Apologie der Confessio Augustana als auch seine Erklärung der Rechtfertigung in den verschiedenen Ausgaben der Loci nach 1521 bis hin zu seinen Äußerungen im osiandrischen Streit die nachreformatorische Entwicklung der Rechtfertigungslehre entscheidend geprägt haben. 69 Durch die zentrale Rolle bei den Verhandlungen des Augsburger Reichtstages 153070 bedingt, wächst Melanchthon in der Folgezeit „die entscheidende Rolle in der Verteidigung und mithin in der weiteren Ausgestaltung der Rechtfertigungslehre" zu; „während man Luther verehrt, gilt Melanchthon mehr und mehr als der eigentliche Lehrer", wobei er selbst durch die „Auseinandersetzung mit Freund und Feind zur geschlossenen, logisch und methodisch gleich durchsichtigen Lehre" gelangt. So „wird er, zumindest an diesem einen, aber zentralen Punkt, zum Praeceptor des evangelischen Deutschland". 71 Um den Einfluß Melanchthons auf die weitere Ausbildung der Rechtfertigungslehre einschätzen zu können, ist im folgenden nicht nur nach seinem Rechtfertigungsverständnis, sondern vor allem nach dem leitenden Interesse zu fragen, das die Entwicklung seiner Rechtfertigungslehre bestimmt.

68

Zu Melanchthon siehe Heinz Scheible, Artikel .Melanchthon, Philipp (1497-1560)' in: TRE 22, 371-410, zur Rechtfertigungslehre bes. 392 f.; Wilhelm Maurer, Artikel .Melanchthon, Philipp' in RGG 3 4, 834-841; Hans Emil Weber, Reformation 1/1, 65ff.; Albrecht Peters, Rechtfertigung, 63-89; Otto Ritsehl, Dogmengeschichte, Bd. 2, 226-322. 69 Vgl. dazu u.a. Martin Greschat, Melanchthon neben Luther, 164f. u.ö. sowie Bengt Hägglund, Rechtfertigung - Wiedergeburt - Erneuerung in der nachreformatorischen Theologie, KuD 5 (1959), 319. 70 Vgl. dazu Wenz, Theologie der Bekenntnisschriften, Bd. 1, 389 ff. 71 Greschat, a.a.O., 109.

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Die Voraussetzungen

a) Die Loci von 1521 In den Loci von 152 1 72 bestimmt Melanchthon bekanntlich ausschließlich die „beneficia Christi" als Thema seiner Erörterung und lehnt trinitarische und christologische Spekulationen ausdrücklich ab. 73 Dabei spielt der „Terminus Rechtfertigung (iustißcatio) ... innerhalb des übergreifenden Gnadentraktates neben dem schon präziser durchreflektierten Glaubensbegriff in den Loci communes von 1521 lediglich eine untergeordnete Rolle-, er ist noch nicht denkerisch durchdrungen und begrifflich fixiert."74 Nach dem Schema des Bußgeschehens wird die Rechtfertigung als der Vollzug der Abtötung durch das Gesetz und der Wiederaufrichtung durch das Gnadenwort des Christusevangeliums dargestellt. 75 Inhalt der Rechtfertigung ist die Sündenvergebung und die Anrechnung des Glaubens zur Gerechtigkeit. 76 Sie vollzieht sich, wie Melanchthon im Anschluß an Jes 53 darlegt, in der durch Christus selbst erschlossenen Erkenntnis Christi im Glauben 77 und wird insofern dem Glauben zuteil 78 . Dabei wird auch „der declaratorische Sinn der göttlichen Sündenvergebung . . . gelegentlich schon einmal hervorgehoben. Andrerseits soll freilich der heilige Geist, obwohl er bereits als donum in gratia von Gottes Gnadengunst selbst unterschieden wird, noch ipsa cordis justificatio sein. Und über das durch ihn und seine neuen Affekte erneuerte Herz läßt Melanchthon Gottes rechtfertigendes Urteil ergehen." 79 Von einer foren-

72 Siehe StA I I / l , 15 ff. Vgl. dazu Scheible, T R E 22, 372 f.; O. Ritsehl, Dogmengeschichte, Bd. 2, 238 ff. 73 Vgl. dazu StA I I / 1 , 20 f. 74 Peters, Rechtfertigung, 64. Vgl. auch O. Ritsehl, Dogmengeschichte, Bd. 2, 238: „So schlicht und klar von vornherein Melanchthons Lehre vom christlichen Glauben gewesen und trotz einiger späterer Modificationen im ganzen auch geblieben ist, so unbestimmt und wenig entwickelt war zunächst noch sein Begriff von der Rechtfertigung." 75 StA I I / 1 , 106: „Iustificamur igitur, cum mortificati per legem resuscitamur verbo gratiae, quae in Christo promissa est, seu evangelio condonante peccata et illi fide adhaeremus, nihil dubitantes, quin Christi iustitia sit nostra iustitia, quin Christi satisfactio sit expiatio nostri, quin Christi resurrectio nostra sit." Vgl. dazu Peters, Rechtfertigung, 64. 76 Siehe Peters, Rechtfertigung, 64, und O. Ritsehl, Dogmengeschichte, Bd. 2, 240. 77 Siehe StA I I / 1 , 128, 11 ff.: „non . . . operibus nostris, non egregiis voluntatis nostrae conatibus, non consiliis nostris, sed ipse Christus cognitione sui iustificabit multos. Ecce cognitio Christi iustificatio est, cognitio autem sola fides est." 78 StA I I / l , 127,20 ff., mit Bezug auf Gal 2,20: „non autem ait: in meis bonis operibus nunc vivo, sed in fide misericordiae dei vivo. Porro, quod ea opera, quae iustificationem sequuntur, pro peccatis non imputantur, fides facit. Qua de re paulo post agetur. Ergo cum fidei iustificatio tribuitur, misericordiae dei tribuitur, humanis conatibus, operibus, mentis adimitur. Initium ac profectus misericordiae debent, ut universae vitae iustitia non alia sit nisi fides." 79 О. Ritsehl, a . a . O . , 240. Vgl. dazu StA I I / l , 36f. Siehe besonders a . a . O . , 37, 36f.: „De corde iudicat deus, non de externo opere." Angesichts der Tatsache, daß der erste Teil der Loci von 1521 vor allem von dem „Interesse an dem ursprünglichen Ziel, der

Melanchthons Rechtfertigungslehre

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sisch-imputativen Rechtfertigung ist mithin in den frühen Loci noch nicht die Rede. 80 Obwohl Melanchthon in den Annotationen zum Johannesevangelium „Fortschritte in der Richtung auf eine durchgreifende Verwertung des Imputationsgedankens" gemacht hat 81 , bestimmt er auch im Artikel von der Rechtfertigung in der Confessio Augustana die Rechtfertigung nicht als Imputation der Gerechtigkeit Christi. Stattdessen heißt es, „daß wir Vergebung der Sunde bekommen und vor Gott gerecht werden aus Gnaden umb Christus willen durch den Glauben, so wir glauben, daß Christus fur uns gelitten habe und daß uns umb seinen willen die Sunde vergeben, Gerechtigkeit und ewiges Leben geschenkt wird." 82 Grund der Rechtfertigung ist mithin die Satisfaktionsleistung Christi 83 , die durch den Glauben ergriffen wird 84 . Der Imputationsgedanke wird dabei auf den Glauben bezogen. „Dann diesen Glauben will Gott fur Gerechtigkeit vor ihme halten und zurechnen." 85 b) Die Apologie der Confessio Augustana Welche immensen Schwierigkeiten Melanchthon die Verteidigung der Rechtfertigungslehre in seiner Apologie der Confessio Augustana 86 bereitete, läßt sich schon an der komplexen Entstehungsgeschichte der Apologie zur Confessio Augustana 87 ablesen. Denn die zahlreichen Veränderungen, die Melanchthon zwischen dem ersten Entwurf vom Herbst Überwindung der Affekte", gekennzeichnet ist, spricht E. Bizer, Theologie der Verheißung, 82 sogar von einer „effektiven Rechtfertigungslehre". Im Unterschied zu den Loci von 1521, die nach Bizer die sorgfältige Unterscheidung von Gesetz und Evangelium rechtfertigungstheologisch nicht voll umsetzen, habe Melanchthon aber schon in der Matthäusvorlesung von 1519 auch rechtfertigungstheologisch den Durchbruch zur Theologie der Verheißung vollzogen, vgl. a . a . O . , 123ff. Damit ist aber, wie die Ausführungen von Bizer zeigen, nicht schon die imputative Deutung der Rechtfertigung verbunden. Vielmehr erscheint wie später in der CA der Glaube als Anfang und Quelle des Heils und als das neue Leben, vgl. a . a . O . , 125. 80 Der Imputationsbegriff taucht nur beiläufig im Anschluß an Rom 4,5 oder Gen 15,6 auf, vgl. StA II/1, 106. 81 So O. Ritsehl, a . a . O . , 241. 82 BSLK 56. 83 Dies zeigt sich deutlich im lateinischen Text, BSLK 56, 7 f., in dem das „propter Christum" erläutert wird durch „qui sua morte pro nostris peccatis satisfecit". 84 Das ist der Sinn der Formulierung: „gratis iustificentur propter Christum per fidem, cum credunt se in gratiam reeipi et peccata remitti propter Christum .. ."(BSLK 56,4-7) 85 „Hanc fidem imputat Deus pro iustitia coram ipso."(BSLK 56, 9 f.) 86 Vgl. dazu Wenz, Theologie der Bekenntnisschriften, Bd. 2, 41 ff. und zur Darstellung der gegnerischen Position a . a . O . , 142ff., bes. 152-159. 87 Zur Rechtfertigungslehre der Confessio Augustana vgl. Leif Grane, Die Confessio Augustana, 45-54; Greschat, a . a . O . , 110-115; Wenz, Theologie der Bekenntnisschriften, Bd. 2, 126-142.

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Die Voraussetzungen

1530 und der endgültigen lateinischen Fassung vom Herbst 1531 88 an der Apologie vorgenommen hat, betreffen vor allem den Artikel über die Rechtfertigung. Einen entscheidenden Beitrag zum Verständnis der Entstehungsgeschichte von AC IV hat unlängst Christian Peters mit seinen Untersuchungen zur Textgeschichte der Apologie geleistet. 89 Wie Peters in seiner Analyse zeigt, besteht das zentrale Anliegen Melanchthons, welches die gesamte Entstehungsgeschichte der Apologie bestimmt, darin, in jeder Hinsicht sicherzustellen, daß nicht die Liebe, sondern allein der Glaube rechtfertigt. 90 Nur wo die Einsicht in das sola fide der Rechtfertigung in voller Klarheit gegeben ist, kann sich nach Melanchthons Überzeugung uneingeschränktes Vertrauen auf Gott einstellen. Durch eine entsprechende Entfaltung der Rechtfertigungslehre die Bedingung der Möglichkeit für die Heilsgewißheit des Christen theologisch zu klären 91 , ist mithin als das leitende Interesse der Theologie Melanchthons anzusehen, in welchem er Luther ganz und gar entsprach. Daß nicht die Liebe, sondern allein der Glaube rechtfertigt, ist schon das Thema einer Thesenreihe, die Melanchthon auf dem Augsburger Reichstag im Anschluß an ein Gespräch mit dem kaiserlichen Prediger Aegidius vom 1./2. Juli 1530 verfaßt hat. 92 Eben diesem Thema widmet Melanchthon im April/Mai 1531 eine eigene Disputation 93 , deren Inhalt wiederum den für die weitere Entwicklung der Rechtfertigungslehre Melanchthons wesentlichen Briefwechsel zwischen Melanchthon, Brenz und Luther im Sommer 1531 mitbestimmt 94 . Dieser Briefwechsel wurde eingeleitet durch einen leider verlorengegangenen Brief von Brenz 95 , in

88

Daß die lateinische Oktavausgabe der Apologie vom Herbst 1531 und nicht die Quartausgabe vom April/Mai 1531, die in der Jubiläumsausgabe der Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche von 1930 abgedruckt ist, als die von Melanchthon selbst autorisierte Fassung der Apologie zu gelten hat, zeigt Christian Peters, Apologia Confessionis Augustanae. Untersuchungen zur Textgeschichte einer lutherischen Bekenntnisschrift (1531-1584), Stuttgart 1997. 89 Vgl. Christian Peters, Apologia Confessionis Augustanae. Siehe aber auch Greschat, a.a.O., 115 ff., 120 ff., 133 ff. 90 Siehe dazu Wenz, Theologie der Bekenntnisschriften, Bd. 2, 37 ff., 42 ff. 91 Vgl. dazu Heinz Scheible, Artikel ,Melanchthon' in: TRE 22, 392,32 f. 92 In diesen Thesen, die faktisch einen Kommentar zu CA IV bieten, geht es um die Begründung, „cur dicamus, quod fides iustificet, et non dicamus, quod Charitas iustificat", vgl. dazu Wenz, Theologie der Bekenntnisschriften, Bd. 2, 41,176 ff. 93 Die Disputation trägt den Titel „Quare fide iustificemur, non dilectione", vgl. CR 12, 446-449. Siehe dazu die Zusammenfassung der Argumentation bei Greschat, а. а. О., 116 f. 94 Vgl. dazu Wenz, Theologie der Bekenntnisschriften, Bd. 2, 43 und Greschat, а. а. O., 133, bes. 115 f. mit Verweis auf O. Ritsehl, Der doppelte Rechtfertigungsbegriff in der Apologie der Augsburgischen Konfession, ZThK 20 (1910), 337 und Dogmengeschichte, Bd. 2, 252. Nach Greschat handelt es sich bei der Disputation vermutlich um die Thesen, die Melanchthon am 8. April 1531 in einem Brief an Brenz erwähnt. 95 Vgl. dazu M. Brecht, Die frühe Theologie des Johannes Brenz, 241 f.

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welchem dieser seine Rechtfertigungsauffassung dargelegt haben muß, wie der Antwortbrief von Melanchthon vom 12. Mai 1531 erschließen läßt. Gegen die stark an Augustin angelehnten Ausführungen von Brenz betont Melanchthon hier wie in den Disputationsthesen mit aller Deutlichkeit, daß nicht die Liebe als Erfüllung des Gesetzes, sondern allein der Glaube rechtfertige, weil und insofern er Christus ergreife.96 Wie dieser Brief ferner erkennen läßt, geht es Melanchthon mit der Betonung des sola fide 97 der Rechtfertigung um eine konsequente Auslegung der Rechtfertigung „propter Christum".98 Das „propter Christum" wiederum ist für ihn darum der unhintergehbare und ausschließliche Grund der Rechtfertigung, weil alle menschlichen Versuche der Gesetzeserfüllung nicht diejenige Gerechtigkeit zu erreichen vermögen, die von Gott gefordert ist.99 Ohne die ausschließliche Konzentration auf Christus kann es nach Melanchthon darum keinen Frieden für das Gewissen und keine Heils-

96 CR 2, 501 f.: „Ideo non dilectio, quae est impletio legis, iustificat, sed sola fides, non quia est perfectio quaedam in nobis, sed tantum, quia apprehendit Christum, iusti sumus, non propter dilectionem, non propter legis impletionem, non propter novitatem nostram, etsi sint dona Spiritus Sancti, sed propter Christum, et hunc tantum fide apprehendimus." Vgl. dazu die ersten beiden Artikel der „Articuli de quibus non convenit nobis cum adversariis" vom 17. September 1530, C R 2, 337: „1. D e iustificatione, quod coram Deo iustificemur fide in Christum non propter nostra opera seu merita, praecedentia aut sequentia, sed per gratiam. 2. Quod etsi bona opera sunt necessario facienda, tarnen non sunt meritoria graciae ac iustitiae, sed fides apprehendit gratiam." Vgl. auch Melanchthons Brief an Brenz vom 19. Februar 1531, wo ebenfalls „die angemessene Wahrung des sola fide" als zentrales Anliegen der Apologie bekannt wird (Greschat, а. а. O., 115). 97 Vgl. dazu auch die Disputation ,Quare fide iustificemur non dilectione', deren Argumentation Greschat, a . a . O . , 116f. darstellt. 98 Melanchthons Argumentation gegen Brenz setzt ein mit der Forderung: „Sed tu reiice oculos ab ista renovatione et a lege in totum ad promissionem et Christum, et sentias, quod propter Christum iusti, hoc est, accepti coram Deo simus et pacem conscientiae inveniamus, et non propter illam renovationem [seil, impletione legis, Vf.]. Nam haec ipsa novitas non sufficit."(CR 2, 501) Daraus folgert Melanchthon in zwei „ideo"-Sätzen, daß wir allein durch den Glauben gerecht sind, „quia apprehendit Christum, propter quem sumus accepti", und daß „non dilectio, quae est impletio legis, iustificat, sed sola fides"(CR 2, 501). 99

Vgl. die Aussage „Nam haec ipsa novitas non sufficit", die durch die These begründet wird, daß wir „propter Christum" und nicht „propter illam renovationem" gerecht werden, CR 2, 501. Siehe ähnlich Apol IV,2, BSLK 158,26-159,7: „Cum autem in hac controversia praeeipuus locus doctrinae christianae agitetur, qui recte intellectus illustrat et amplificat honorem Christi et affert necessariam et uberrimam consolationem piis conscientiis, rogamus, ut Caes. Maiest. de rebus tantis clementer audiat." Vgl. zum Anliegen Melanchthons auch R. Stupperich, Die Rechtfertigungslehre bei Luther und Melanchthon 1530-1536, 80: Entscheidend ist für Melanchthon, „daß die Rechtfertigung durch den Glauben und nicht propter dilectionem erfolge. . . . Der Zurechnungsgrund ist die satisfactio Christi und nicht die Gesetzeserfüllung und die inchoata justitia. Melanchthon bezieht die Rechtfertigung zurück auf die Versöhnung: da liegen die fundamenta causae."

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Die Voraussetzungen

gewißheit geben. 100 In dem Augustinismus von Brenz deutet sich für ihn dagegen „die gefährliche Möglichkeit an, daß die gegnerische Rechtfertigungslehre auch im eigenen Lager vorherrschend sein könnte."101 Insofern wurde Melanchthon auch durch den Briefwechsel mit Brenz dazu veranlaßt, sein theologisches Anliegen durch die Änderungen in der Oktavausgabe der Apologie vom Herbst 1531 noch stärker zu profilieren. 102 Wie die Rechtfertigungslehre der Apologie 103 insgesamt zu charakterisieren ist, hängt entscheidend von der Interpretation dreier Stellen ab, in denen Melanchthon den Begriff der Rechtfertigung erläutert. Es handelt sich um Apol IV,72 104 ; IV,252 und IV,305-307 105 . Vor allem die erste dieser Stellen, die in „das eigentliche Herzstück . . . des Rechtfertigungsartikels der Apologie" 106 gehört und an der Melanchthon dem Terminus ,iustificari' eine effektive und eine pronuntiatorische Bedeutung zuordnet, stand im Zentrum der Diskussion um die Rechtfertigungslehre der Apologie, die Friedrich Loofs in seinem Aufsatz über die Bedeutung der

100

Vgl. dazu CR 2, 502: „Quando haberet conscientia pacem et certam spem, si deberet sentire, quod tunc demum iusti reputemur, cum ilia novitas in nobis perfecta esset?" Vgl. auch CAvar (1540) Art. 4, in: StA VI, 15,11-16.24-30, wo Melanchthon unter Bezug auf Rom 4,16 die Bedingungslosigkeit der Sündenvergebung betont, „cum sciemus eam non pendere ex condicione nostrae dignitatis, sed donari propter Christum. Haec est firma et necessaria consolatio piis et perterrefactis mentibus.". 101 Greschat, a . a . O . , 133. 102 Siehe dazu Melanchthons Brief an Brenz vom 7. Juni 1531 in CR 2, 504. Vgl. auch Greschat, a . a . O . , 133ff., bes. 136f., sowie Martin Brecht, Die frühe Theologie des Johannes Brenz, 241-247. юз vgl. z u Gliederung und Gedankengang von Apol IV Wenz, Theologie der Bekenntnisschriften, Bd. 2, 144-146. 104 AC IV,72, BSLK 174, 34-44: „hoc defendimus, quod proprie ac vere fide propter Christum iusti reputemur, seu accepti Deo simus. Et quia iustificari significat ex iniustis iustos effici seu regenerari, significat et iustos pronuntiari seu reputari. Utroque enim modo loquitur scriptura. Ideo primum volumus hoc ostendere, quod sola fides ex iniusto iustum efficiat, hoc est, accipiat remissionem peccatorum." Siehe zu den Streitigkeiten über die Auslegung dieser Stelle Wenz, Theologie der Bekenntnisschriften, Bd. 2, 127 ff., bes. 131 die mit der Ubersetzung vorgeschlagene Deutung des „significat et iustos pronuntiari seu reputari. Utroque enim modo loquitur scriptura" als Apposition. Dem entspricht auch Apol IV,77, BSLK 175, 33-39: „Sola fide in Christum, non per dilectionem, non propter dilectionem aut opera consequimur remissionem peccatorum, etsi dilectio sequitur fidem. Igitur sola fide iustificamur, intelligendo iustificationem, ex iniusto iustum effici seu regenerari." Daneben war strittig, ob und in welcher Weise Apol IV,72 als Disposition für die weitere Argumentation des Artikels zu verstehen ist, vgl. dazu Wenz, Theologie der Bekenntnisschriften, Bd. 2, 128 ff., der in Übereinstimmung mit O. Ritsehl (vgl. ders., Der doppelte Rechtfertigungsbegriff, 328) § 72 der Apologie nicht als Disposition f ü r die weiteren Abschnitte deutet (Wenz, a . a . O . , 131). 105 Siehe zur Auslegung von § 252 und §§ 305-307 von Apol IV Wenz, Theologie der Bekenntnisschriften, Bd. 2, 133-136. 106 Wenz, Theologie der Bekenntnisschriften, Bd. 2, 145 bestimmt als dieses Herzstück des Rechtfertigungsartikels Apol IV, 1-182.

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Rechtfertigungslehre der Apologie für die Symbolik der lutherischen Kirchen 1884 in Gang gesetzt hat107. Diese Debatte hielt über mehrere Jahrzehnte an108 und setzt sich in den verschiedenen Auslegungen der lutherischen Bekenntnischriften bis heute fort 109 . Dabei ging und geht es um die Frage, ob Melanchthon in der Apologie ein rein forensisch-imputatives und synthetisches Verständnis der Rechtfertigung vertritt110, oder ob effektives und forensisches Moment der Rechtfertigung als zusammengehörig 111 gedacht sind. 112 Für die zweite ίο? Vg]_ р. Loofs, Die Bedeutung der Rechtfertigungslehre der Apologie f ü r die Symbolik der lutherischen Kirchen, in: ThStKr 57 I (1884), 613, 688. Eine Auflistung der im Anschluß an Friedrich Loofs erschienenen Schriften zur Deutung der Rechtfertigungslehre in der Apologie findet sich bei V. Pfnür, Einig in der Rechtfertigungslehre?, 155 Anm. 95. 108

Während Kattenbusch die Debatte 1910 in seiner Rezension des Buches von Johannes Kunze über die Rechtfertigungslehre in der Apologie (vgl. Johannes Kunze, Die Rechtfertigungslehre in der Apologie, Gütersloh 1908 und Kattenbusch, T h L Z 1910, 110) „allmählich ermüdend" fand, hielt sie Otto Ritsehl im gleichen J a h r „für keineswegs unfruchtbar, sondern für dringend notwendig" (vgl. O. Ritsehl, Der doppelte Rechtfertigungsbegriff, 293). ι« Vgl. bes. F. Brunstäd, Theologie der lutherischen Bekenntnisschriften, Gütersloh 1951; H . Fagerberg, Die Theologie der lutherischen Bekenntnisschriften von 1529 bis 1537, Göttingen 1965; E. Schlink, Theologie der lutherischen Bekenntnisschriften, München 1940, 1948. Einen vermittelnden Interpretationsansatz vertritt jetzt Wenz, Theologie der Bekenntnisschriften, Bd. 2, § 10, bes. 126-142, der ebd. Anm. 95-97 die Positionen der genannten Ausleger der Bekenntnisschriften zusammenfaßt. 110 Diese Position nimmt neben Lauri Haikola (vgl. ders., Melanchthons und Luthers Lehre von der Rechtfertigung, in: Luther und Melanchthon, 89-103) auch Friedrich Brunstäd ein, indem er die analytische Rechtfertigungslehre als römische Lehre qualifiziert, nachdem er zuvor die Streitfrage folgendermaßen bestimmt hat: „Der Streit geht nicht darum, ob Gerechterklärung oder Gerechtmachen, sondern ob Gerechtmachen durch Gerechterklärung oder Gerechterklärung auf Grund von Gerechtmachung, d. h. um das sogenannte synthetische oder analytische Verständnis der Rechtfertigung. Synthetisch: es wird dem Menschen zugesprochen, was er nicht ist und hat; analytisch: es wird anerkannt und bestätigt, was und daß er ist und hat. Nun kann kein Zweifel sein, daß der Grundgegensatz Luthers gegen Rom und die römische Lehre das synthetische Verständnis der Rechtfertigung ist." (Vgl. ders., Theologie der lutherischen Bekenntnisschriften, 76.) 111 D a f ü r plädiert u. a. Greschat, а. а. O., 114 mit Verweis auf C R 27, 282. Während die „Einheit von imputativer und effektiver Rechtfertigung" von Melanchthon im Augsburger Bekenntnis noch ganz selbstverständlich behauptet worden sei (Greschat, a . a . O . , 114), habe Melanchthon aber, „von der gesamten Struktur seines theologischen Denkens her, bei dieser Antwort nicht stehenbleiben" können, sondern mußte zu einer Position fortschreiten, „die das sola fide so fassen kann, daß die Gerechtmachung nicht verloren geht und dennoch die These der Gegner ausgeschlossen bleibt" (Greschat, a . a . O . , 115). Diese Sichtweise hat bereits Η . E. Weber, Reformation 1/1, 65 ff. vertreten. Während er in der Apologie noch analytisches und synthetisches Moment der Rechtfertigung verbunden findet (а. а. O., 94-96), sieht er in der Folgeentwicklung eine Vereinseitigung der imputativen Rechtfertigung (а. а. O., 96 ff., bes. 109). Wilhelm Maurer spricht hingegen sogar noch im Blick auf die reife Theologie Melanchthons von einem „Nebeneinander von imputativer und effektiver Rechtfertigung", vgl. ders., R G G 3 4, 839. ш

Mit dieser Formulierung des Problems wird die oben in Anm. 110 wiedergegebene

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Die Voraussetzungen

Interpretation plädierte Loofs in dem genannten Aufsatz, mit dem er insgesamt zeigen wollte, „daß die Rechtfertigungslehre der älteren Symbole zwar in vieler Hinsicht anders ist als die von der Formula Concordiae formulierte, daß sie aber dieser gegenüber keineswegs als unklar, unreif und unentwickelt bezeichnet werden kann, im Gegenteil die reformatorischen Grundanschauungen weit klarer hervortreten läßt als die Formula Concordiae.""3 Trotz möglicher Kritik an der Argumentation im einzelnen besteht dabei das bleibende Verdienst von Loofs darin, die Aufmerksamkeit auf die rechtfertigungstheologische Differenz zwischen FC und Apol gerichtet und damit zugleich die herkömmliche Bestimmung des Gegensatzes zwischen evangelischer und römisch-katholischer Rechtfertigungslehre114 hinterfragt zu haben. Inhaltlich läßt sich die bereits von Loofs geäußerte Einsicht teilen, daß in der Apologie die Rechtfertigung durchaus eine „innere Erneuerung des Menschen" 115 im Sinne der Wiedergeburt bedeutet 116 , und daß Melanchthon dementsprechend hier keine rein forensisch-imputative Rechtfertigungslehre vertreten hat 117 . Obwohl „in der Apologie das iustum Problembestimmung von Brunstäd bestritten. D a ß Gerechtmachung und Gerechterklärung nicht einfach in ein einseitiges Folgeverhältnis zu setzen sind, hat bereits Schlink, Theologie der lutherischen Bekenntnisschriften, 140 f., 167 f., mit guten Gründen bestritten. Von daher geht es nicht einfach um die Alternative zwischen synthetischer oder analytischer Deutung der Gerechterklärung, sondern um die Frage, ob und in welcher Weise das effektive Moment in den Konstitutionszusammenhang der Rechtfertigung gehört. Indem Brunstäd sich für „Gerechtmachung durch Gerechterklärung"(a. а. O., 76) entscheidet, schließt er das effektive Moment aus dem Konstitutionszusammenhang der Rechtfertigung aus und bestimmt es als Folge derselben. Hilfreicher ist darum die Bestimmung des Auslegungsproblems von Apol IV,72, die Wenz, Theologie der Bekenntnisschriften, Bd. 2, 128 im Anschluß an V. Pfnür, a . a . O . , 157 vornimmt. 113

Siehe Loofs, a . a . O . , 619. Siehe dazu Loofs, а. а. O., 619 ff., 638; zu Loofs eigener Bestimmung des Gegensatzes siehe 648 f. 115 Hägglund, a . a . O . , 319. Etwas vorsichtiger formuliert Greschat mit Bezug auf die Disputationsthesen, a . a . O . , 117: „Natürlich will Melanchthon . . . nicht die Wirklichkeit der Erneuerung bestreiten. Sie gehört ihm vielmehr untrennbar zum Glauben hinzu." 116 Siehe neben Apol IV,72 auch Apol IV,62 ff.: „Haec fides in illis pavoribus erigens et consolans accipit remissionem peccatorum, iustificat et vivificat. Nam ilia consolatio est nova et spiritualis vita."(BSLK 172,43-47) Vgl. auch Apol IV,76-78 (BSLK 175,31-39). Zum Verhältnis von Rechtfertigung und Wiedergeburt in der Apologie vgl. Loofs, а. а. O., 635-649, bes. 637. Loofs versteht allerdings im Unterschied zu den späteren Auslegern wie Hägglund oder Greschat, die den Zusammenhang von Rechtfertigung und Wiedergeburt in der Apologie hervorheben, unter Wiedergeburt nicht nur die innere, sondern auch die äußere, sittliche Erneuerung. 114

1,7

Vgl. dazu Loofs, а. а. O., 657, 669 ff. Loofs bewertet die Tatsache, daß in der Apologie noch nicht von einer stellvertretenden Imputation des aktiven Gehorsams Christi gesprochen wird (so Loofs, а. а. O., 657), allerdings deshalb positiv, weil er darin den Sinn der Rechtfertigung als Neukonstitution der Sittlichkeit des Menschen und damit indirekt den tertius usus legis als Forderung nach der Ubereinstimmung mit der sittlichen Weltordnung

Melanchthons Rechtfertigungslehre

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reputare stärker" hervortritt 118 , bezieht Melanchthon in der Apologie wie in der CA den Imputationsgedanken eindeutig auf den Glauben 119 , der gerecht macht und für gerecht erklärt wird, weil er sich ganz und gar auf die ihm verheißene fremde Gerechtigkeit Christi verläßt. 120 In der Ausführung dieser These geht es Melanchthon zentral darum zu zeigen, daß die vom Menschen zusätzlich zu leistenden „Werke aus der Rechtfertigung rundweg ausgeschlossen" sind 121 , weil die Rechtfertigung allein aus Glauben bereits alles umfaßt 122 . „Was die Gegner mit dem iustum efficere . . . meinen, liegt im Glauben selbst vollgültig beschlossen: weil Gott diesen Glauben durch sein Urteil als die völlige, unüberbietbare Gerechtigkeit anerkennt." 123 Auf dieser Basis hebt Melanchthon insbesondere im zweiten Teil der Apologie „die unlösbare Einheit" von Rechtfertigung und Erneuerung hervor. 124 Sie ist Melanchthon „so selbstverständlich, daß er sich über ihre logische Verbindung zumeist nicht näher äußert" 125 . Denn der Glaube ist unsere Gerechtigkeit vor Gott und damit die Rechtfertigung. 126 Entscheidend für das Rechtfertigungsverständnis der Confessio Augustana und der Apologie ist dabei, daß der Glaube nicht „als Habitus des Menschen . . . , als Wurzel guter Werke" 127 bzw. als Qualität 128

bestätigt findet. Das dabei erkennbare Anliegen von Loofs, die Rechtfertigungslehre der Apologie hinsichtlich ihrer Bedeutung f ü r die Sittlichkeit des Menschen auszulegen, entspricht aber nicht dem oben dargelegten Leitgedanken, daß nicht die Liebe, sondern allein der Glaube rechtfertige, unter dem Melanchthon die Rechtfertigungslehre der Apologie entwickelt hat. 118 Weber, Reformation 1/1, 94. 119 Dies hat bereits Loofs, а. а. O., 657 beobachtet. Vgl. zur Verwendung des Imputationsbegriffs bes. Apol IV,305-309 (BSLK 219,43-220,7): „Iustificare vero hoc loco [Röm 5,1] forensi consuetudine significat reum absolvere et pronuntiare iustum, sed propter alienam iustitiam, videlicet Christi, quae aliena iustitia communicatur nobis per fidem. . . . quia iustitia Chrsiti donatur nobis per fidem, ideo fides est iustitia in nobis imputative, id est, est id, quo efficimur accepti Deo propter imputationem et ordinationem, sicut Paulus ait: Fides imputatur ad iustitiam. Etsi propter morosos quosdam τεχνολογικώς loquendum est: Fides recte est iustitia, quia est oboedientia erga evangelium. Constat enim oboedientiam erga edictum superioris vere esse speciem distributivae iustitiae. Et haec oboedientia erga evangelium imputatur pro iustitia adeo, ut tantum propter hanc, quia hac apprehendimus propritiatorem Christum, placeant bona opera seu oboedientia erga legem." ι» Vgl ähnlich Wenz, Theologie der Bekenntnisschriften, Bd. 2, 137 f. 121

Greschat, a . a . O . , 125. Greschat, a . a . O . , 125 f. 123 Greschat, a . a . O . , 126f. mit Bezug auf O. Ritsehl, Der doppelte Rechtfertigungsbegriff, ZThK 20 (1910), 314 ff. ш Greschat, a . a . O . , 127. m Greschat, a . a . O . , 129. 126 Vgl. BSLK 219, 51 ff. Siehe auch Greschat, a . a . O . , 130. 127 Vgl. dazu den Brief an Brenz C R 2, 501: „Ideo sola fide sumus iusti, non quia sit radix, ut tu scribis, sed quia apprehendit Christum, . . . sola fides, non quia est perfectio 122

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Die Voraussetzungen

verstanden wird. Diesem möglichen Mißverständnis, als bezöge sich die Rechtfertigung auf eine qualitative Veränderung des Menschen durch den Glauben, versucht Melanchthon in seiner Arbeit an der Apologie durch eine konsequente Bestimmung des Glaubens als einer Relation entgegenzuwirken. 129 Im Zuge dessen wird auch die Rechtfertigung des Menschen immer entschiedener als exklusives Gnadenhandeln Gottes gedacht, „das sich dem Sünder als synthetisches Urteil darstellt."130 Martin Greschat ist darum im Verein mit anderen Auslegern der Auffassung, daß die Abfassung der Apologie selbst bereits das Ubergangsstadium zur systematischen Ausbildung der forensisch-imputativen Rechtfertigungslehre darstellt131, und daß Melanchthon bereits dort nur unter der Vor-

quaedam in nobis, sed tantum, quia apprehendit Christum . . . " Siehe auch Greschat, а. а. О., 118 mit Bezug auf Vorformen der Apologie. 128 Vgl. O. Ritsehl, Dogmengeschichte, Bd. 2, 247 f. 129 Vgl. Greschat, a . a . O . , 118 f. 130 Greschat, а. а. O., 119, vgl. 127. Die Ausarbeitung der forensisch-synthetischen Rechtfertigungslehre ist auch das Ziel, welches Melanchthon mit der Oktavausgabe der Apologie vom Herbst 1531 verfolgt, vgl. dazu Greschat, a . a . O . , 136f. 131 Vgl. Greschat, а. а. O., 118 f. So schon Loofs, а. а. O., 635 im Anschluß an Herrlinger, Die Theologie Melanchthons, Gotha 1879, 10. Vgl. auch O. Ritsehl, Dogmengeschichte, Bd. 2, 246 f., 253. Die auch von M. van Rhijn vorgetragene Auffassung, wonach die Rechtfertigungslehre der Apologie als „ein Durchgangsstadium auf dem Weg zu Melanchthons endgültiger Formulierung dieses Lehrstücks" zu beurteilen sei, hält Robert Stupperich zwar für zu einfach (vgl. а. а. O., 80). Aber auch er meint, „daß Melanchthon in der Apologie eine Anschauung entwickelte, die gewissermaßen in der Mitte zwischen der früher von ihm befolgten und der endgültigen Auffassung steht. In der Apologie ist keineswegs die Rechtfertigung auf die Sündenvergebung beschränkt, sondern sie schließt auch die fortwirkende Gnade Gottes im justus effici ein." (R. Stupperich, а. а. O., 82) Anders als R. Stupperich scheint Haikola eine wirkliche Wende in Melanchthons Rechtfertigungsverständnis nicht anzunehmen. Die berühmten Stellen wie vor allem Apol IV,72, wo neben dem „iustum pronuntiare" auch von „iustum effici, regenerari und vivificari" gesprochen wird, sind ihm kein Erweis dafür, daß Melanchthon „zu gewissen Zeiten eine ,effektive' Rechtfertigung, eine reale ethische Verwandlung des Menschen gelehrt" hat, vgl. Haikola, Melanchthons und Luthers Lehre von der Rechtfertigung, in: Luther und Melanchthon, 95 f. Bei näherem Zusehen zeige sich nämlich, „daß sich Melanchthon dies keineswegs so vorstellt, als sei die im Glauben geschehene ethische Verwandlung der Grund der Gerechterklärung. Wenn Melanchthon die effektiven Termini benutzt, so zielt er dabei auf den religiösen Trost (consolatio) ab, den unmittelbar nach der Anfechtung durch das Gesetz der Glaube schenkt, wenn er die Sündenvergebung ergreift. Im plötzlichen Übergang von der conscientia perterrefacta zur conscientia consolata, der in dem Augenblick erfolgt, in dem der Glaube Mut faßt und zum Evangelium Zuflucht nimmt, vollzieht sich natürlich eine tatsächliche Veränderung im .Affekt' des Menschen, und man kann infolgedessen von einem Übergang vom T o d zum Leben reden. Diese Veränderung ist aber nicht der Grund der Gerechterklärung und Sündenvergebung, sondern deren unmittelbare Folge. Nicht irgendeine novitas auf unserer Seite, sondern Christi Verdienst allein und die darauf gegründete Sündenvergebung sind der Grund für unsere Rechtfertigung coram Deo." (Haikola, а. а. О., 96) Melanchthon lehre zwar „eine tatsächliche Erneuerung und Wiedergeburt des Menschen", verstehe diese aber als eine logische Folge der Sündenvergebung. Das

Melanchthons Rechtfertigungslehre

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aussetzung „einer streng forensisch-synthetischen Fassung der Rechtfertigung . . . das ,effici' und ,reputari' nebeneinander und nahezu synonym verwenden" kann. 132 Dennoch möchte Greschat die Apologie aber nur in formaler Hinsicht „als ein Ubergangsstadium" bezeichnen. 133 Denn „die Änderung der Gestalt" bedeute „nirgends eine Änderung von Melanchthons Anliegen"134. Darin weiß sich Greschat mit Hans Emil Weber einig, „der gerade an diesem Punkt die Kontinuität und zugleich den Wandel im theologischen Denken des Praeceptors hervorhebt". 135 Die Apologie wird dabei von Hans Emil Weber als „Knotenpunkt" in der Entwicklungsgeschichte der Rechtfertigungslehre dargestellt. 136 Denn Weber sieht die Darstellung der Rechtfertigung in der Apologie gekennzeichnet durch eine Fülle von Spannungen, die „die Problematik der Lehre" ausmachen 137 und in der Folgezeit zur „Vereinseitigung und Erstarrung" 138 der Rechtfertigungslehre führen. „Und die Ansätze dazu, die sich immer stärker durchsetzen, finden sich auch in der Apologie. So birgt sie tatsächlich schon die Wende von der Reformation zur Orthodoxie in sich."139 Die „Grundspannung, die die ganze Erörterung durchzieht", erblickt Weber darin, daß der Glaube die Rechtfertigung als „eine Wirklichkeit im persönlichen Leben" empfängt, daß es aber zu seinem Wesen gehört, vom Menschen fort allein auf Gott zu sehen.140 Bei dieser „Spannung zwischen der ,subjektiven' Beschreibung der Rechtfertigung und der , objektiven' Blickrichtung auf Gottes Urteil und seine Verheißung" 141 wird nach Weber „die orthodoxe Vereinseitigung mit dem Drängen auf das Objektive einsetzen".142 In der Apologie sind nach Weber „das Objektive und das Subjektive" zwar noch unmittelbar geeint 143 , doch wird bereits hier der Unterschied der beiden Perspektiven deutlich in der Doppelheit der Rechtfertigung als Ereignis und als Stand. „Wird die Rechtfertigung als Ereignis gefaßt, so muß das , Erleben' im effektive Moment der Rechtfertigung ist mithin eine Folge des forensischen Momentes (ebd.). 132 Greschat, a.a.O., 127. Dem entspricht auch, daß Melanchthon seit 1531 die Rechtfertigung als Urteil Gottes definiert, so Scheible, TRE 22, 392. Vgl. auch Greschat, а. а. O., 133 ff. 133 Greschat, a.a.O., 119. 134 Ebd. 135 Greschat, a.a.O., 119, A.47 mit Verweis auf Weber, Reformation 1/1, 67ff., 70f., 8 Iff. 136 Vgl. Weber, Reformation 1/1, 65. 137 Weber, а. а. O., 70 oben. 138 Weber, а. а. O., 70 unten. 139 Weber, a.a.O., 71. 140 Ebd. 141 Weber, а. а. O., 74. 142 Weber, a.a.O., 71. 143 Weber, а. а. O., 74.

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Die Voraussetzungen

Blickpunkt stehen; erhebt sich aus dem Leben die Frage nach dem Urteil Gottes, so muß dessen Objektivität das Augenmerk nach sich ziehen." 144 Daß die zweite Perspektive bereits für Melanchthon selbst nach der Apologie noch stärker in den Vordergrund rückt, macht sich im Römerbriefkommentar und in den nachfolgenden Ausgaben der Loci bemerkbar. c) Römerbriefkommentar

von 1532 und späte Loci

Während in der Apologie die Rechtfertigung als Gerechtwerden und als Wiedergeburt beschrieben werden kann und also forensische und effektive Seite der Rechtfertigung noch nicht auseinandergetreten sind, beschreibt Melanchthon die Rechtfertigung im Römerbriefkommentar von 15 3 2 145 auschließlich als forensische Zurechnung der Gerechtigkeit Christi 146 und ordnet ihr die drei Momente der Sündenvergebung, der Gerechtsprechung und der Gabe des ewigen Lebens zu 147 . Wie damit bereits aus der einleitenden Darstellung der paulinischen Argumentation deutlich wird, ist im Römerbriefkommentar „die Auffassung vom justus effici verschwunden. Melanchthon hält sich nunmehr ausschließlich an die imputatio, mit der die acceptatio gleichgesetzt wird. Der Glaube erscheint als Vertrauen auf die Barmherzigkeit Gottes, der um Christi willen den Sünder annimmt und ihm seine Sünden vergibt. Justificatio ist also ausschließlich eine imputatio und justificare ein justum reputare. Die Versöhnung mit Gott beruht auf der Gerechtigkeit Christi. Durch ihn empfangen wir die Rechtfertigung, von der dann die Erneuerung durch den Heiligen Geist unterschieden wird." 148 In ähnlicher Weise 144

Weber, а. а. O., 77. Siehe StA V, 25 ff. Vgl. zu Entstehung und Inhalt des Römerbriefkommentars Greschat, a.a.O., 137ff. 146 Hägglund, a.a.O., 319. 147 Vgl. StA V, 30-56, bes. 39,7 ff.: „,Iustificari' proprie significat iustum reputari, h. e. acceptum reputari. Sic intelligitur relative, sicut in foro usurpatur Hebraica consuetudine iustificari pro eo, quod est iustum pronuntiari, ut si quis dicat: Populus Romanus iustificavit Scipionem accusatum a tribuno plebis, h. e. iustum pronuntiavit, absolvit, approbabit. Quamquam autem novos motus exsistere in his, qui reconciliantur, necesse est, tarnen iustificari non significat proprie habere novas virtutes. Sed relative intelligatur de voluntate Dei pro eo, quod est approbari seu acceptari a Deo." Im folgenden unterscheidet er drei „membra . . . in sententia de iustificatione", nämlich „remissio peccatorum, iustificatio et donatio vitae aeternae" (а. а. O., 42), wobei grundsätzlich gilt: „nec iusti sumus propter nostras virtutes, sed iusti reputamur Deo remittente peccata" (a.a.O., 43,32-34). Die Gerechtsprechung durch Sündenvergebung schließt dabei die Gabe des ewigen Lebens ein: „Necesse est igitur docere, quod conscientia statuere debeat, quod propter Christum per misericordiam certo consecuturi simus vitam aeternam." 145

148

R. Stupperich, а. а. O., 83. Stupperich zitiert an dieser Stelle zustimmend H.E. Weber, der in Reformation 1/1, 61 ff. betont, Melanchthon wolle unbedingt „jedes Mißverständnis

Melanchthons Rechtfertigungslehre

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diagnostizierte bereits Otto Ritsehl, daß Melanchthon sich seit 1532 bemühe, die Entstehung des Rechtfertigungsglaubens aus der ideellen Imputation des Erlösungswerkes Christi von der materialen Bedeutung dieses Geschehens als einer innerlichen Veränderung und Erneuerung sorgfältig zu unterscheiden. 149 Dementsprechend nenne Melanchthon die „Herstellung des Glaubens in den Herzen . . . nicht auch mehr justificatio."150 Rechtfertigung bedeute nun vielmehr die Nichtanrechnung der Sünde und damit die Versöhnung und Annahme durch Gott. Sie habe relativen Charakter, insofern sie die ideelle Beziehung zu Gott darstelle, „die als solche nur auf göttlicher Anrechnung beruht und dadurch allein auch Geltung vor Gott hat." 151 Iustificare werde nicht mehr synonym mit iustum effici verwendet und habe mithin rein forensischen Sinn.152 Das heißt, daß die Gerechtigkeit, die durch Gottes Gerechtsprechung „zugleich gesetzt und festgestellt wird", lediglich Imputation der Gerechtigkeit ist.153 Mit diesem Verständnis der im Evangelium zugesprochenen Gerechtigkeit ist zwar keineswegs die effektive bzw. lebendigmachende Funktion des Glaubens bestritten, doch wird die Rechtfertigung wie ein eigener Vorgang neben der Lebendigmachung beschrieben. 154 „Seit dem Römercommentar von 1532 sind sich Melanchthons Anschauungen von der Rechtfertigung im wesentlichen gleich geblieben. So wird die justificatio im Sinne von justum reputare gemäß der forensischen Ausdrucksweise immer wieder auch als ein justum pronuntiare hingestellt."155 So heißt es in den Loci von 1535, die Rechtfertigung bezeichne die Vergebung der Sünden und die Versöhnung bzw. die Annahme der vermeiden, als könnte das neue Leben irgendwie Gottes Urteil bestimmen. Das Vertrauen auf Christus ist imputative legis impletio ac justitia." 149 Vgl. O. Ritsehl, Dogmengeschichte, Bd. 2, 273, 268. 150 O. Ritsehl, а. а. O., 253. 151 O. Ritsehl, а. а. O., 254. 152 O. Ritsehl, a . a . O . , 2 5 5 f . 153 So O. Ritsehl, a . a . O . , 256. Dies wird prägnanter Weise deutlich in StA V, 53,14f.: „Signifieat igitur ,iustitia' in evangelio relative imputationem iustitiae, qua per misericordiam accepti sumus, non propter dignitatem nostrarum virtutum, sicut saepe in Psalmis usurpatur ,iustitia'". Vgl. auch ebd., 53,31 f. Trotz der damit offenkundigen Differenz zur Rechtfertigungslehre der Apologie sieht Ritsehl, а. а. O., 253 zwischen Apologie und Römerbriefkommentar von 1532 keinen Bruch. „Die Grundanschauung ist vielmehr nach wie vor dieselbe. D o c h wird nun bloß noch unter den Gesichtspunkten der poenitentia und des neuen Lebens gezeigt, wie der Mensch gläubig wird und den heiligen Geist als die Kraft zu allem ihm erreichbaren Guthandeln gewinnt." 154 Siehe die Auslegung von Rom 1,17 in StA V, 66,12 ff.: „Duo enim tribuit fidei, videlicet iustificationem et vivificationem. Fide iusti pronuntiamur et fide vivificamur, quia fides, dum consolatur corda et erigit eonscientias, dum credit peccata remitti et Deum esse placatum propter Christum, affert pacem, gaudium et vitam animis". 155 O. Ritsehl, а. а. O., 259.

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Die Voraussetzungen

Person zum ewigen Leben156, wobei der Imputationsbegriff anders als im Römerbriefkommentar von 1532 in dem entsprechenden Locus über Gnade und Rechtfertigung nicht verwendet wird. In inhaltlicher Ubereinstimmung mit der Apologie beschreibt Melanchthon die individuelle Heilsvermittlung bei den Erwachsenen157 als den Vorgang, in welchem der durch die Erkenntnis der Sünde erschreckte Verstand einsehen muß, daß ihm die Sünden umsonst um Christi willen durch Barmherzigkeit vergeben werden und nicht aufgrund der Würdigkeit seiner Reue, seiner Liebe oder anderer Werke. Wenn sich sein Verstand auf diese Weise durch den Glauben erhebe, würden ihm Sündenvergebung und Versöhnung zuteil. 158 Der entscheidende Unterschied zwischen der Apologie und der Definition der Rechtfertigung in den Loci von 1535 liegt, wie schon Loofs festgestellt hat, darin, daß 1535 „jeder Zusammenhang zwischen justificatio und regeneratio zerrissen" ist. 159 Dem entspricht nach Loofs, „daß Melanchthon hier in den locis von 1535, in denen auch . . .

156

Vgl. CR 21, 421: „Iustificatio significat remissionem peccatorum et reconciliationem seu acceptationem personae ad vitam aeternam." 157 Die Frage, „quomodo Deus moveat infantium pectora et sanctificet eos, cum per baptismum ei offerunter", wird von Melanchthon an anderer Stelle behandelt, so C R 21, 421. 158 C R 21, 421: „Nunc de adultis loquimur, qui docendi sunt ex Evangelio, et qui ex verbo de voluntate Dei statuere debent. Mens perterrefacta agnitione peccatorum statuere debet, remitti sibi peccata gratis propter Christum per misericordiam, non propter dignitatem contritionis, dilectionis aut aliorum operum. Cum hoc modo fide se mens erigit, donantur remissio peccatorum et reconciliatio." Siehe auch CR 21, 427: „Haec est igitur nostra de iustificatione sententia: Quanquam necessaria sit nostra poenitentia seu contritio, tarnen consequimur iustificationem, id est, remissionem peccatorum et reconciliationem non propter dignitatem nostrae poenitentiae, sed fide propter Christum gratis." Vgl. ferner C R 21, 415 f. Vgl. dazu Haikola, а. а. O., 95: „Die Rechtfertigung, wie sie sich bei Melanchthon in ihrer abgeschlossenen Form darstellt, ist ein streng juristisches Geschehen, einer Gerichtsverhandlung vergleichbar. Rein systematisch gesehen kann man Melanchthons Betrachtungsweise folgendermaßen darstellen: Das Gesetz klagt den Sünder in der vorausgehenden Buße an, erschreckt sein Gewissen und bringt ihn zur Verzweiflung über sein eigenes Schicksal. Der Heilige Geist erweckt durchs Evangelium einen anfänglichen Glauben (initium fidei), der um Vergebung bittet. Christi fremde Gerechtigkeit wird dem Sünder zugerechnet und auf Grund dieser zugerechneten Gerechtigkeit erklärt (pronuntiat) Gott den Sünder gerecht. Die Sünde wird ihm nicht zugerechnet (non-imputatio), er bekommt die Sündenvergebung, wird von Gott angenommen, adoptiert und mit ihm versöhnt - um hier ein und dieselbe Sache mit Melanchthons variierender Terminologie zu beschreiben." 159 Loofs, а. а. O., 633. Die Wiedergeburt verdankt sich der Gabe des Geistes, die gleichzeitig mit der Rechtfertigung geschieht, aber darin zugleich von der Rechtfertigung unterschieden ist, vgl. dazu CR 21, 421, 427 f. Vgl ähnlich R. Stupperich, а. а. O., 80: „Während Melanchthon in der AC die justificatio noch dahin versteht, daß aus dem injustus ein justus wird („effici sive regenerari"), fehlt diese an Luther sich anschließende Deutung bei dem späteren Melanchthon ganz." Stupperich vertritt dabei die These, daß Melanchthon sich von der Sprache Luthers immer mehr entfernte, je „weniger er mit der römischen Seite seine Auffassung zu konfrontieren brauchte" (ebd.).

Melanchthons Rechtfertigungslehre

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die Bezeichnung des Wortes justificare als eines verbum forense sich einstellt, und ebenso schon in den Vorlesungen von 1533 pronuntiari justum als eigentlich technische Umschreibung für justificari gebraucht" 160 . Diese Deutung der Rechtfertigung wird 1551 Gegenstand der Kritik von Andreas Oslander. Die daran anschließende Auseinandersetzung Melanchthons mit Oslanders Position bestärkt Melanchthon in seinem forensisch-imputativen Verständnis der Rechtfertigung. Gegen Oslanders Lehre von der wesentlichen Einwohnung der Gerechtigkeit Christi als Grund der Rechtfertigung sieht sich Melanchthon genötigt zu betonen, daß die Rechtfertigung weder die Einwohnung Gottes noch eine irgendwie schon vorhandene Erneuerung voraussetze 161 , sondern allein auf der Zurechnung der Gerechtigkeit um Christi willen durch Gottes Barmherzigkeit beruhe, die allerdings im Glauben ergriffen werden müsse.162 In diesem Zusammenhang spielt für Melanchthon also der Imputationsbegriff wieder eine entscheidende Rolle.163 Schließlich belegt die Tatsache, daß die letzte Ausgabe der Loci von 1559 im Locus über Gnade und Rechtfertigung kaum Veränderungen gegenüber den Loci von 1535 enthält, daß sich Melanchthons Deutung der Rechtfertigung seit dem Römerbriefkommentar nicht mehr wesentlich verändert hat. Auch hier wird die Rechtfertigung unter Berufung auf Paulus als Sündenvergebung und Versöhnung oder Annahme der Person zum ewigen Leben im forensischen Sinne bestimmt.164 Wie in den früheren Schriften legt Melanchthon dabei allen Wert darauf, daß die Rechtfertigung um Christi willen und nicht aufgrund von Werken wie der Reue oder der Liebe geschehe.165 Somit ist für die Rechtfertigung allein aus Glauben die Anschauung Christi als des ewigen Gottessohnes, 140

Loofs, а. а. O., 634. Vgl. ähnlich Pannenberg, Systematische Theologie, Bd. 3, 253. Vgl. dazu Hägglund, a . a . O . , 319. 162 Die Lehre Oslanders stimmt nach Melanchthons Urteil überein „cum doctioribus Papisticis, qui dicunt, hominem esse iustum novitate, i. e. illa obedientia, quam efficit Spiritus S. in hominibus dilectione et omnibus virtutibus."(CR 7, 783) Dagegen macht Melanchthon geltend: „sumus iusti, id est, accepti non propter nostram novitatem, sed imputata nobis iustitia propter mediatorem . . . non sumus iusti fide propter qualitatis ipsius dignitatem, sed sumus iusti imputatione iusticiae propter Christum per misericordiam. Sed hanc imputationem oportet apprehendi et applicari nobis fide."(CR 7, 783 f.). 161

163 Dies ist auch der Fall in einem Brief Melanchthons an David Chytraeus vom 15. August 1556, in dem Melanchthon die Rechtfertigung wie folgt definiert: „Iudico veram esse definitionem iustificationis: iustificatio est acceptio remissionis peccatorum, hoc est, reconciliationis et imputationis iustitiae et acceptionis ad vitam aeternam, propter meritum filii D e i per fidem, qua simul fit liberatio ex morte aeterna et vivificatio per filium Dei, δια του λόγου, et sanctificatio per spiritum sanctum."(CR 8, 824) 164 StA I I / 2 , 395, 10-13: „Iustificatio significat remissionem peccatorum et reconciliationem seu acceptationem personae ad vitam aeternam. N a m Hebraeis iustificare est forense verbum". Siehe auch a . a . O . , 396, 16-19. 165 StA I I / 2 , 394, 16 f.; 396, 2 4 - 2 7 .

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Die Voraussetzungen

der für uns gekreuzigt und auferstanden ist, konstitutiv. 166 Das Heilswerk Christi wird dabei von Melanchthon nicht nur in der Confessio Augustana und in der Apologie, sondern durchgängig auch in den verschiedenen Ausgaben der Loci 167 als Satisfaktionsleistung Christi durch den aktiven und passiven Gehorsam interpretiert 168 , die den Grund der Rechtfertigung bzw. der Sündenvergebung und Zurechnung der Gerechtigkeit darstellt. 169 Damit übernimmt Melanchthon in Grundzügen die Satisfaktionslehre Anselms von Canterbury, wonach die Wiederaufnahme des gefallenen Menschen in die Gottesgemeinschaft nur durch das stellvertretend für die sündige Menschheit erbrachte Verdienst des aktiven und passiven Gehorsams Christi geschehen kann, welches Gott die Sündenvergebung ermöglicht. D a ß das Versöhnungsgeschehen dennoch insgesamt von Gott selbst ausgeht, der seinen Sohn sendet, wurde dabei schon von Anselm nicht in Abrede gestellt. Gott wird in der Satisfaktionstheorie mithin nicht schlichtweg als Objekt im Versöhnungsgeschehen, sondern lediglich als Empfänger der Versöhnungstat gedacht, die aufgrund der Gerechtigkeit Gottes notwendig ist. Der entscheidende Unterschied zwischen der Satisfaktionslehre Anselms und ihrer Aufnahme in der reformatorischen Theologie insbesondere bei Melanchthon besteht darin, daß Melanchthon als Subjekt des im Leiden und Sterben vollbrachten passiven Gehorsams nicht wie Anselm nur die menschliche Natur Christi, sondern die gottmenschliche Person des Mittlers Jesus Christus bestimmte. 170 Sein Interesse galt dabei - in Ubereinstimmung mit Luther - der Betonung der in der Inkarnation begründeten Personeinheit des Erlösers. Indem er aber bei seiner Entfaltung der Lehre von der Idiomenkommunikation „die getrennte Be-

166

Vgl. StA II/2, 396, 28 ff. und 397, 27 ff. Vgl. die Loci von 1521 StA I I / l , 106,5ff.; 142,13-15.18-20. Siehe dazu die Loci von 1559, StA II/1, 208,20-23. Auffallend ist, daß sich in den Loci nirgends eine ausführliche Beschreibung des Versöhnungswerkes Christi als solchem findet. Stattdessen konzentrieren sich die späteren Loci wie bereits die Loci von 1521 auf die individuelle Heilsvermittlung, wie sie durch das Gesetz als Aufweis der Sünden und durch das Evangelium als dem bedingungslosen Zuspruch der Gnade Gottes begründet ist. Bereits in den Loci von 1533, die eine Vorform der Loci von 1535 darstellen, weicht Melanchthon dabei zwar von dem Konzept der ersten Loci ab, indem er nun Gotteslehre, Trinitätslehre und Schöpfungslehre in die Darstellung mit einbezieht (vgl. CR 21, 254). Doch geschieht dies nicht in spekulativer Absicht, sondern allein in dem Interesse an einer der Heilsgewißheit des Glaubens entsprechenden Grundlegung der nachfolgenden Soteriologie. „Nam Christiana doctrina maxime requirit, ut certam et firmam sententiam de deo et de voluntate dei, quantum scriptura patefacit, teneamus. Fides enim non est dubitatio, sed est firma et certa notitia et constanter assentiri verbo dei." (CR 21, 255) 167

168 169 170

Vgl. dazu Wenz, Geschichte der Versöhnungslehre, Bd. 1, 70.75. Vgl. R. Stupperich, а. а. O., 80. Vgl. Wenz, Geschichte der Versöhnungslehre, Bd. 1, 76.

Melanchthons Rechtfertigungslehre

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trachtung beider Naturen" Christi nicht aufgab 171 , was sich insbesondere in der Abendmahlslehre zeigte172, und entsprechend für ein dialektisches und nicht für ein reales Verständnis der Idiomenkommunikation plädierte, erreichte er nicht Luthers Verständnis der innigsten Personeinheit des Erlösers 173 . Von daher läßt sich vermuten, daß bei Melanchthon der stellvertretende Gehorsam Christi in Gesetzeserfüllung, Leiden und Sterben zwar als Voraussetzung der Sündenvergebung begriffen wird, aber nicht zugleich auch als Manifestation und Bewährung der in der Inkarnation konstituierten Personeinheit Christi als der wunderbaren „Vereinigung, in der sich Gott und Mensch in keiner Weise mehr äußerlich bleiben"174. Dem entspricht es, daß bei Melanchthon das Heilswerk Christi primär als zurechenbares Verdienst beschrieben wird. Daß die Heilstat Christi aber nicht nur als stellvertretender Gehorsam, sondern als in der Menschwerdung Gottes begründete Realisierung der Gemeinschaft Gottes und des Menschen die Versöhnung des Menschen mit Gott stiftet, kommt bei Melanchthon nicht in der gleichen Weise wie bei Luther in den Blick. Zu dem Verständnis des Werkes Christi als Verdienst des aktiven und passiven Gehorsams paßt nun Melanchthons nach 1531 entwickelte forensisch-synthetische Deutung der Rechtfertigung als Imputation der Gerechtigkeit Christi noch besser als seine Einbindung des effektiven Moments, die sich noch in der Apologie findet. Wird nämlich das Versöhnungswerk Christi als Verdienst des aktiven und passiven Gehorsam beschrieben, dann kann es dem Menschen nur extra se als fremde Gerechtigkeit zugerechnet werden. Dieses Verständnis der Rechtfertigung als Zurechnung der fremden Gerechtigkeit Christi wirft allerdings die Frage auf, „wie der Inhalt des göttlichen Urteils beim Glaubenden selber Realität wird". 175 Von dieser Schwierigkeit war Melanchthons Entfaltung 171 Vgl. dazu Wenz, Theologie der Bekenntnisschriften, Bd. 2, 688 mit Bezug auf Mahlmann, Dogma, 69.71. 172 Vgl. zur Christologie Melanchthons Mahlmann, Dogma, 62 ff. 173 Zu Luthers Christologie vgl. R. Schwarz, Gott ist Mensch. Zur Lehre von der Person Christi bei den Ockhamisten und bei Luther, ZThK 63 (1966), 289- 351. 174 So bestimmt J. Baur die zentrale Aussage der lutherischen Christologie in dem Aufsatz , Lutherische Christologie im Streit um die neue Bestimmung von Gott und Mensch', in: Luther und seine klassischen Erben, 149. m Pannenberg, Systematische Theologie, Bd. 3, 256 mit Bezug auf Johann Andreas Quenstedts korrekte Durchführung des Imputationsgedankens". Vgl. auch Appold, Abraham Calov's Doctrine of Vocatio, 162: „the notion that justification takes place when God, recognizing the vicarious effectiveness of Christ's righteousness, ,reckons' humanity to be just, appears to restrict the ,change' effected by justification to an innertrinitarian event; far less emphasis falls upon the human changes wrought by justification, such as Luther describes by his own language of mystical wedding and Christ's ,residing' in the heart of the believer - or, for that matter, such as the medieval , physical' doctrines of justification

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Die Voraussetzungen

der Rechtfertigungslehre in der Confessio Augustana und in der Apologie noch nicht in der gleichen Weise belastet, weil sich der göttliche Urteilsakt nach CA IV auf den Glauben bezieht und in Apol IV, wie oben dargestellt, eine enge Verbindung zwischen effektivem und forensischem Moment der Rechtfertigung ausgesagt wird. Dafür aber lag hier das Mißverständnis noch näher, die im Glauben beginnende Gerechtigkeit des Menschen sei eine die Gerechtsprechung bedingende Leistung des Menschen. Diesem Mißverständnis entgeht die streng forensisch-imputative Deutung der Rechtfertigung als göttliche Zurechnung der Gerechtigkeit Christi. Insgesamt dient sie der konsequenten Abwehr des Brenzschen Augustinismus durch die umfassende, systematische Verteidigung der melanchthonischen Grundeinsicht, daß nicht die Liebe, sondern allein der Glaube rechtfertigt.

3. Luther im Gegenüber zu

Melanchthon

Die Schwierigkeit, die schon dem Versuch, Melanchthons Entwicklung der Rechtfertigungslehre zu skizzieren, zugrundelag, erscheint im Blick auf Luther nahezu unüberwindbar: „wie kann die spannungsreiche Vielfalt des Riesenwerkes in einem Abriß verantwortet werden, der nicht in die Breite und Tiefe einer Monographie wachsen kann?" 176 Dennoch müssen die zentralen Aspekte von Luthers Rechtfertigungsverständnis 177 hier mit Hilfe der neueren Forschung in Kürze vorgetragen werden, um beurteilen zu können, inwiefern die weitere Entwicklung der Rechtfertigungslehre bei den lutherischen Theologen im konfessionellen Zeitalter Luthers Denken entspricht. In vielen neueren Arbeiten zu Luthers Theologie wird inzwischen häufig die Auffassung vertreten, daß Luther im Unterschied zum späten Melanchthon keine rein forensisch-imputative Auffassung der Rechtfertigung entwickelt, sondern forensischen und effektiven Aspekt der Rechtfertigung stets zusammengesehen habe.178 Luther grenze nämlich den Begriff der did. The imputative justificatio doctrine seems more concerned with attributing righteousness to the believer than with effecting righteousness in the believer." 176 So Jörg Baur zu Beginn der Lutherdarstellung in seiner Habilitationsschrift Salus Christiana, 54. 177 Vgl. A. Peters, Rechtfertigung, 27-62; Paul Althaus, Die Theologie Martin Luthers, bes. 195-218; Bernhard Lohse, Luthers Theologie, bes. 274-283 und die dort, 274, angegebene Literatur. Daneben ist aus der älteren Literatur zu nennen: Otto Ritsehl, Dogmengeschiche, Bd. 2, Kap. 26-30, bes. Kap. 29, 116 ff. und Hans Emil Weber, Reformation 1/1, Kapitel 1. 178 Siehe P. Althaus, Die Theologie Martin Luthers, 197; A. Peters, Rechtfertigung, 38 f., 59; B. Lohse, Luthers Theologie, 276; M. Brecht, Theologie, 232. Vgl. auch L. Haikola,

Luther im Gegenüber zu Melanchthon

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Rechtfertigung „keineswegs wie der späte Melanchthon und Calvin auf den präzisen Sinn des im Glauben empfangenen gerechterklärenden Urteils Gottes ein, sondern könne das göttliche ,Rechtfertigen' auch auf den Lebensprozeß des seinshaften Gerechtwerdens beziehen"179. Jörg Baur ist sogar der Auffassung, Luther lasse „die herkömmliche Katalogisierung von forensisch und effektiv weit unter sich" und hebe „gerade so das Neue des in Christus eröffneten Heils gegenüber unangemessenen Vorstellungen von der Rechtfertigung des Sünders" hervor180. In jedem Fall ist ein wichtiger Unterschied zwischen der Rechtfertigungslehre Luthers und Melanchthons darin zu sehen, daß Melanchthons Entwicklung der Rechtfertigungslehre durch eine Verschiebung der Verhältnisbestimmung von Gerechterklärung und Gerechtmachung gekennzeichnet ist, während sich eine derart grundlegende Veränderung der Rechtfertigungsauffassung bei Luther nicht feststellen läßt. Luther versteht unter der Rechtfertigung des Menschen vor Gott durchgängig die Gerechterklärung des Menschen durch Gott 181 , deren Aneignung im Glauben unter Rückbezug auf die in der Taufe 182 zugeeignete Verheißung sich als ein das ganze Leben des Menschen durchziehender Prozeß vollzieht und mit der Verwandlung und Erneuerung des Menschen 183 einhergeht. Als Leitgedanke der Rechtfertigungslehre Luthers fungiert wie bei Melanchthon die exegetisch gewonnene Einsicht, daß die Rechtfertigung а. а. O., 103: „Die Sündenvergebung und die Erneuerung, die forensische und die effektive Seite der Rechtfertigung, können ebensowenig voneinander geschieden werden wie Christi Person und Werk." 179 So Bernd Hamm, Was ist reformatorische Rechtfertigungslehre?, Z T h K 83 (1986), 1-38, hier: 12 f. mit Bezug auf P. Althaus, Die Theologie Martin Luthers, 197. J ö r g Baur gibt im Blick auf Althaus allerdings zu bedenken, „ob man im Gegensatz zur Zurechnung der Gerechtigkeit von einem tatsächlichen Gerechtwerden' überhaupt sprechen darf". Dabei geht es ihm um das „tatsächlich", das in Gefahr stehe, „einer das Reformatorische verfehlenden Ontologie zum Opfer" zu fallen. Denn von „woher anders sollte sich ,sein' bestimmen als vom Urteil in foro mentis divinae?" (So Baur, Salus Christiana, 61 f.) Schon die Alternative zwischen der Deutung der Rechtfertigung als Gerechterklärung oder Gerechtmachung wurzelt dabei nach Baur „in einer ontologischen Fehlentscheidung" (а. а. O., 61). Zum Doppelsinn von iustificare bei Luther vgl. B. Lohse, Luthers Theologie, 276, und Wenz, Theologie der Bekenntnisschriften, Bd. 2, 125 f. 180

Siehe J. Baur, Lutherische Christologie im Streit um die neue Bestimmung von Gott und Mensch, 155. 181 Siehe zum Beispiel die Römerbriefvorlesung 1515/16, WA 56, 39,8, wo iustificari mit „Iustum apud Deum reputari" gleichgesetzt wird. Vgl. auch die 33. These der Disputatio de iustificatione von 1536, WA 39/1, 83,35 f.: „Quod iustificari ista includit, fide scilicet propter Christum reputari nos iustos". 182 Zur konstitutiven Bedeutung der Taufe bei Luther vgl. Althaus, a . a . O . , 341; Baur, Salus Christiana, 58 und Pannenberg, Systematische Theologie, Bd. 3, 303 f. 183 Vgl. dazu WA 39/1, 83,16 f.: „Iustificari enim hominem sentimus, hominem nondum esse iustum, sed esse in ipso motu seu cursu ad iustitiam." Damit stimmt inhaltlich WA 40/1, 364,11 ff. überein, obwohl hier der Terminus iustificari nicht fällt.

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Die Voraussetzungen

des Menschen vor Gott sich der schenkenden Gerechtigkeit Gottes verdankt und darum allein im Glauben und nicht durch Werke des Gesetzes geschieht. 184 Darin, daß dem Menschen die Gerechtigkeit von Gott selbst allein im Glauben geschenkt wird, erkennt Luther die wahre Gerechtigkeit Gottes. 185 Rechtfertigung sola fide bedeutet für ihn dabei nicht nur, daß allein der Glaube die Rechtfertigung empfängt. Vielmehr ist, wie Paul Althaus mit Recht betont hat, „im Sinne Luthers noch bestimmter (zu) sagen: die Rechtfertigung wird mit dem Glauben empfangen, das heißt in Gestalt des Glaubens."186 Denn der Glaube ist für Luther das „Werk und Geschenk Gottes", durch das Gott den Menschen rechtfertigt 187 , indem er ihm Christus zueignet 188 . Das Wesen des rechtfertigenden Glaubens besteht nach Luther in der „Aufhebung und Versetzung der Person" in Christus189, die sich ereignet, indem der Glaubende Christus als den für ihn gestorbenen und auferstandenen Christus ergreift190. Wo dies geschieht, ist der Glaube Vertrauen des Herzens und damit Glaube im vollen Sinne dadurch, daß der Glaubende im Vertrauen auf Christus in Christus hineinversetzt wird. 191

184 Vgl exemplarisch Luthers Schrift über die Freiheit eines Christenmenschen WA 7, 23,1 ff., die Schmalkaldischen Artikel BSLK 415, die Disputationsthesen über die Rechtfertigung WA 39/1, 83,28 f. und die Thesen für die Promotionsdisputation von Hieronymus Weller und Nikolaus Medier von 1535 über den Glauben, WA 39/1, 44 f. Worin die aus Luthers exegetischer Arbeit resultierende reformatorische Entdeckung genau besteht, von der Luther rückblickend in seiner Vorrede zum ersten Band seiner gesammelten lateinischen Werke 1545 spricht (vgl. WA 54, 185,12-186,20), ist in der Forschung nach wie vor umstritten und muß hier nicht näher untersucht werden. Vgl. zu diesem Problem, zum Stand der Forschung und zur Literatur B. Lohse, Luthers Theologie, 97-110; siehe auch R. Schwarz, Luther, 28 ff. 185

Vgl. dazu R. Schwarz, Luther, 28-32 und B. Lohse, a.a.O., 110. Vgl. Althaus, a.a.O., 200f. 187 So Althaus, а. а. O., 201: „Gott rechtfertigt den Menschen, indem er ihm das Glauben schenkt. Christus ist die Gerechtigkeit des Menschen, und diese ist insofern extra nos. ... Der Glaube ist die einzige Weise, in der Christus sich mir zueignen kann. . . . Der Glaube ist die Weise, in der Christus bei und in dem Menschen gegenwärtig ist." Neben den Belegen bei Althaus vgl. auch WA 40/1, 235,26 ff. 188 Daß Luthers Theologie „gänzlich von dem Gedanken durchdrungen" ist, „daß Christus zugleich sowohl Gottes Gunst (favor) als auch Gabe (donum) ist", wird mit Recht von T. Mannermaa, Der im Glauben gegenwärtige Christus, Hannover 1989, 30, betont. 189 Vgl. J. Baur, Die lutherische Christologie, 155. ι«) v g i . WA 39/1 1, 45,21 f.: „Haec est autem fides apprehensiva (ut dicimus) Christi, pro peccatis nostris morientis, et pro iustitia nostra resurgentis." Weitere Belege bei Peters, Rechtfertigung, 41 f., Anm. 48. Nach Peters (ebd.) hat Luther diese „neue Sicht des Glaubens . . . zuerst in den Acta Augustana 1518 schroff herausgearbeitet. 1,1 Vgl. zu diesem Verständnis des Glaubens bei Luther Baur, Salus Christiana, 57: „Der Glaube allein . . . ist Versetzung an den Ort, an dem das im Ganzen des Geschickes Jesu gewirkte Heil ist, eben Versetzung in Christus. Darin ist der Glaube fides apprehensiva Christi." 186

Luther im Gegenüber zu Melanchthon

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Ebenso gilt für Luther aber auch umgekehrt: wo wahres Vertrauen des Herzens ist, da ist Christus im Glauben anwesend 192 und verbindet sich mit dem Glaubenden gleichsam zu einer Person 193 . Der Glaube ist mithin „die Weise, in der Christus bei und in dem Menschen gegenwärtig ist. Das glaubende Herz ist gleichsam der Ring, der den Edelstein, Christus, einfaßt"194, wie Luther in seinem großen Galaterbriefkommentar von 1535 sagt.195 Dieser Galaterbriefkommentar von 1535, der aus einer Vorlesung zum Galaterbrief 1531 entstanden ist, ist nicht nur für die Frage nach Luthers Rechtfertigungsverständnis, sondern auch für die Frage nach dessen Verhältnis zur melanchthonischen Rechtfertigungslehre deshalb von besonderer Bedeutung, weil er unter dem Eindruck von Melanchthons Apologie geschrieben ist und die von Luther ursprünglich geplante Verteidigungsschrift gegen die Confutatio ersetzt. 196 Die spezifische Differenz Luthers zu Melanchthon betrifft die Art und Weise, wie Luther hier den Imputationsgedanken entfaltet. In der Auslegung von Gal 3,6 stellt Luther fest, die christliche Gerechtigkeit bestehe aus dem Glauben des Herzens und aus der Imputation Gottes. Dabei sei die Imputation der Gerechtigkeit deshalb notwendig, weil der Glaube des Christen unter

192 So WA 40/1, 229,24 ff.: „lustificat ergo fides, quia apprehendit et possidet istum thesaurum, scilicet Christum praesentem. Sed quo modo praesens sit, non est cogitabile, quia sunt tenebrae, ut dixi. Ubi ergo vera fiducia cordis est, ibi adest Christus in ipsa nebula et fide." 193 Vgl. die Auslegung von Gal 2,20, WA 40/1, 283,30 ff.: „Christus . . . inquit, sie inhaerens et conglutinatus mihi et manens in me hanc vitam quam ago, vivit in me, imo vita qua sie vivo, est Christus ipse. Itaque Christus et ego iam unum in hac parte sumus." Siehe weiter а. а. О., 284,22: „Quia vero in me vivit, ideo, quidquid in me est gratiae, iustitiae, vitae, pacis, salutis, est ipsius Christi, et tarnen illud ipsum meum est per conglutinationem et inhaesionem quae est per fidem, per quam efficimur quasi unum corpus in spiritu." Vgl. außerdem a. a. O., 285,24 ff.: „Verum recte docenda est fides, quod per earn sic conglutineris Christo, ut ex te et ipso fiat quasi una persona quae non possit segregari sed perpetuo adhaerescat ei et dicat: Ego sum ut Christus, et vicissim Christus dicat: Ego sum ut ille peccator, quia adhaeret mihi, et ego illi". Hier wird deudich, daß Luther den fröhlichen Wechsel nicht einfach als Austausch von Sünde und Gerechtigkeit, sondern als Vollzug der Christusgemeinschaft versteht. Vgl. zum Verständnis des fröhlichen Wechsels R. Prenter, Spiritus Creator, 44: „Es handelt sich bei diesem Wort [vom fröhlichen Wechsel oder Tausch; Vf.] nicht nur um eine bloß prinzipielle' Imputation. Es ist vielmehr so, daß die reale Gemeinschaft zwischen Christus und dem Glaubenden die notwendige Voraussetzung dafür ist, daß uns Christi Gerechtigkeit wirklich - nicht nur in Gedanken - zugerechnet wird." Weitere Belege zum Einswerden des Glaubenden mit Christus finden sich bei Peters, Rechtfertigung, 42 f., bes. WA 33, 232,24. 194 Althaus, a.a.O., 201. Daß die „Gegenwart des gekreuzigten und auferstandenen Herrn" unlösbar mit „der realen Gegenwart des Heiligen Geistes" verbunden ist, zeigt R. Prenter, Spiritus Creator, 42 ff., hier: 43. 195 WA 40/1, 165,3.19. 196 Vgl. dazu Wenz, Theologie der Bekenntnisschriften, Bd. 2, 47, Anm. 53.

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Die Voraussetzungen

den Bedingungen des irdischen Lebens noch mit der Sünde zu kämpfen habe und darum immer unvollkommen bleibe. Obwohl die Gerechtigkeit mit dem Glauben anhebe, bedürfe es darum bis zur Wiederkunft Christi der Zurechnung der Gerechtigkeit, durch die die Glaubensgerechtigkeit vervollkommnet würde. Die Imputation der Gerechtigkeit Christi setzt dabei die Gegenwart Christi im Glauben voraus, in dem die Gerechtigkeit ihren Anfang nimmt.197 Dieser Zusammenhang von Christuspräsenz im Glauben und Imputation der Gerechtigkeit Christi läßt sich auch anderen Schriften Luthers entnehmen. Von daher ist der Vorschlag von Tuomo Mannermaa plausibel, die Rechtfertigungslehre Luthers insgesamt von dem Gedanken „der realen Gegenwart Christi im Glaubenden" her zu interpretieren.198 In diese Richtung weist im übrigen auch die Einsicht von Jörg Baur, wonach „das Neue des in Christus eröffneten Heils gegenüber unangemessenen Vorstellungen von der Rechtfertigung des Sünders" nach Luther darin bestehe, daß die Person „entnommen und in Christus versetzt" werde. „Dadurch kommt es zur Trennung von der Sünde."199 Dem in der Galatervorlesung von 1531 und dem Galaterkommentar von 1535 vorgetragenen Verständnis der Rechtfertigung entsprechen auch Luthers Aussagen in der Disputation über die Rechtfertigung von 1536. 1,7 WA 40/1, 364,11 ff.: „Iustitia enim Christiana his duobus constat, scilicet fide cordis et imputatione Dei. Fides est quidem iustitia formalis, et tarnen non est satis, Quia post fidem haerent adhuc reliquiae peccati in came. Sacrificium illud fidei coepit in Abraham, sed in morte tandem consummatur. Ideoque necesse est accedere alteram partem iustitiae quae earn perficit, quae est imputatio divina. Fides enim non dat Deo formaliter satis, quia est imperfecta, Imo vix est scintilla fidei quae incipit Deo tribuere divinitatem. Primitias spiritus tantum accepimus, non decimas. Neque ratio tota occiditur in hac vita. Ideo in nobis reliqua est adhuc concupiscentia, ira, impatientia et alii fructus carnis ac infidelitatis. Nec perfectiores Sancti habent plenum et perpetuum gaudium in Deo, sed varie affecti sunt, iam tristes, iam laeti, ut de Prophetis et Apostolis scriptura testatur. Sed talia errata non imputantur Sanctis propter fidem in Christum, alioqui nemo salvus fieret. Concludimus ergo ex his verbis: ,Et imputatum est illi ad iustitiam.' Iustitiam quidem incipere per fidem ac per earn nos habere primitias spiritus, sed quia fides infirma est, earn non perfici sine imputatione Dei. Quare fides iustitiam incipit, imputatio perficit usque ad diem Christi." Vgl. dazu R. Prenter, Spiritus Creator, 44 f.: „Die Reihenfolge ist immer die gleiche: erst die reale Gemeinschaft des Glaubens mit Christus, dann die Zurechnung der fremden Gerechtigkeit Christi. Dieses ,dann' darf natürlich nicht zeitlich gedeutet werden, sondern ist logisch zu verstehen." m T. Mannermaa, Der im Glauben gegenwärtige Christus, 7. Vgl. die Durchführung dieser Überlegung in der ersten Studie des genannten Bandes: In ipsa fide adest, 11-93. Das eigentliche Anliegen der Untersuchung Mannermaas besteht darin „zu klären, ob es in der lutherischen Christentumsauffassung ein solches theologisches Motiv gibt, das dem im orthodoxen Christentumsverständnis zentralen Vergöttlichungsgedanken analog entsprechen würde."(a. а. O., 92) Auf diese Weise soll ein Beitrag zum ökumenischen Dialog mit der orthodoxen Kirche geleistet werden. 199 Siehe J. Baur, Die lutherische Christologie, 155. Kursive Hervorhebung von Vf.

Luther im Gegenüber zu Melanchthon

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Von daher ist die Auffassung von Martin Greschat problematisch, der im Blick auf den Zeitraum zwischen dem Augsburger Reichstag von 1530 und dem Cordatusstreit 1537 „von einer ständig fortschreitenden Annäherung des Reformators an Melanchthons Gestalt der Rechtfertigungslehre" ausgeht.200 Während sich bei Melanchthon in den dreißiger Jahren die Überzeugung verfestigt, daß die Rechtfertigung des Menschen vor Gott durch die forensische Imputation der Gerechtigkeit Christi im Urteil Gottes geschieht, hat der Imputationsgedanke nach Luthers Aussagen im Galaterbriefkommentar von 1535 die Funktion, die durch die Christusgegenwart im Glauben konstituierte Gerechtigkeit des Glaubenden trotz der Unvollkommenheit seines durch die Sünde angefochtenen Glaubens als das neue Sein des Menschen festzuschreiben, das von Gott gerechtfertigt ist. In Anbetracht der damit offenkundig unterschiedlichen Funktion des Imputationsgedankens bei Luther und Melanchthon kann daher von einer „weitgehende(n) Aneignung" der melanchthonischen Position bei Luther nach dem Augsburger Reichstag nicht die Rede sein. Vielmehr betont Luther gegenüber Melanchthon in den dreißiger Jahren, daß es sich bei dem Geschehen der Rechtfertigung eben „nicht um eine pura reputatio handelt, sondern auch um die apprehensio Christi . . . An dieser Stelle wird die Akzentverschiedenheit bei beiden am deutlichsten ausgedrückt." 201 Diese Akzentverschiedenheit betrifft aber, wie gesagt, nicht das Anliegen, sondern allein die Entfaltung der Rechtfertigungslehre. Die unterschiedliche Funktion des Imputationsgedankens bei Luther und Melanchthon gründet dabei in einer unterschiedlichen Auffassung vom Versöhnungswerk Jesu Christi. Da Melanchthon die Versöhnung Gottes und des Menschen im Sinne der Satisfaktionslehre Anselms von Canterbury allein auf das durch aktiven und passiven Gehorsam erbrachte Verdienst Christi zurückführt, kann er die individuelle Zueignung dieses Verdienstes, durch das die Ungerechtigkeit des Menschen vor Gott ausgeglichen werden soll, nur als forensische, dem Menschen äußerlich bleibende Imputation der Gerechtigkeit Christi denken. Die im Evangelium verheißene Zurechnung des Verdienstes Christi erscheint somit als der Inhalt des Glaubens, dessen Heilsgewißheit für Melanchthon davon abhängt, daß weder die Liebe, noch irgendein Werk des Menschen eine Voraussetzung für die Zuerkennung des Verdienstes Christi darstellt.202

200

So Greschat, Melanchthon neben Luther, 10. R. Stupperich, a.a.O., 78, mit Bezug auf WA 40/1, 428,5. 202 Nach Auffassung von Lauri Haikola gründet die Differenz zwischen Luther und Melanchthon im Blick auf ihr Verständnis der Versöhnung und damit auch der Rechtfertigungslehre letztlich in einem unterschiedlichen Gesetzesverständnis (vgl. Haikola, Melanchthons und Luthers Lehre von der Rechtfertigung, in: Luther und Melanchthon, 89 ff.). 201

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Die Voraussetzungen

Luthers Verständnis der Versöhnung des Menschen mit Gott durch Jesus Christus ist nicht in der gleichen Weise durch die Satisfaktionsvorstellung bestimmt wie bei Melanchthon. 2 0 3 Die in Christus begründete Versöhnung zielt nach Luther darauf, die Sünde des Unglaubens durch die Umkehr des Menschen zum Glauben und Vertrauen auf Gott aufzuheben und dem Menschen Heilsgewißheit zu schenken. 2 0 4 Dies wird nach Luther ermöglicht durch die „wirkliche Übernahme der göttlichen Sündenstrafe" im Leiden und Sterben Christi 2 0 5 , die er als inklusive Stellvertretung versteht 2 0 6 . Denn Christus übernimmt nicht einfach im Sinne eines Tauschaktes die Schuld des Menschen, sondern tritt in die Stellung des Schuldigen ein und erleidet dessen verdiente Strafe „als der, welcher selbst zur Sünde und zum Fluch geworden" ist und „alle Schrekken der Schuld bis zur resignatio ad infernum an sich selbst erduldet" hat. 2 0 7 Für Luther ist dabei von entscheidender Bedeutung, daß das mit

Zwar seien beide, „rein philosophisch gesehen, Voluntaristen", doch stelle für Melanchthon das Gesetz „eine ewige, allgemeingültige und objektive Ordnung (lex aeterna) dar" (Haikola, а. а. O., 89). Für Luther komme zwar ebenfalls „im Gesetz Gottes ewiger und unveränderlicher Wille zum Ausdruck, aber dieser läßt sich niemals in die Form einiger absoluter und ewiggültiger Regeln bringen" (Haikola, а. а. O., 90). Die Satisfaktion Christi bedeute für Melanchthon, daß Christus für die Sünde des Menschen „die Strafe auf sich nahm und völlig gehorsam war" (Haikola, а. а. O., 93). Sie „schließt jedes menschliche Werk und den Besitz aller dem Menschen eigenen Qualitäten aus" (ebd.). Darum sei die forensische Rechtfertigungslehre „die notwendige Folge einer derart konsequent durchgeführten Satisfaktionslehre. . . . Die Rechtfertigung geschieht ganz und gar außerhalb des Menschen auf Grund der fremden Gerechtigkeit Christi, die ihm zugerechnet wird und die er im Glauben ergreift" (Haikola, а. а. O., 94). Im Unterschied zu Melanchthon gehe dagegen Luther nicht davon aus, daß das Gesetz „eine ewige und objektive Ordnung darstellt, aus der man materielle Normen für jedes gerechte Handeln Gottes und des Menschen ablesen könnte" (Haikola, а. а. O., 97 f.). Für ihn liege die Forderung des Gesetzes im ersten Gebot beschlossen (Haikola, а. а. O., 98). Das Gesetz sei für ihn kein objektiver Heilsweg (Haikola, а. а. O., 100). Entsprechend erscheine bei ihm „auch Christi Versöhnungswerk und Rechtfertigung in einem anderen Lichte als bei Melanchthon" (Haikola, а. а. O., 97). Denn „Christus ist nicht gekommen, um das Werk des 1. Gebotes (den Glauben) aufzuheben, sondern zu erfüllen" (Haikola, a . a . O . , 100). 203 Nach B. Lohse, Luthers Theologie, 243, finden sich bei Luther „Elemente sowohl aus der anselmschen als auch aus der abaelardschen Soteriologie, ohne daß man deswegen bei Luther von einer eigentlichen Spannung oder Unausgeglichenheit in seinen eigenen Aussagen über Christi Erlösungswerk sprechen könnte". Obwohl Luther oft von Genugtuung oder Satisfaktion gesprochen habe, habe er sich auch von den mit der Satisfaktionslehre verbundenen Implikationen distanziert. Besonders deutlich wird dies in der bei Lohse, a . a . O . , 243f. zitierten Passage aus Crucigers Sommerpostille 1544, WA 21, 264,27-33. Vgl. zu Luthers Versöhnungslehre ferner G. Wenz, Geschichte der Versöhnungslehre, Bd. 1, 62 ff. 204 Haikola, a . a . O . , 102. 205 Wenz, Geschichte der Versöhnungslehre, Bd. 1, 63. 206 Wenz, а. а. O., 66. 207 So Wenz, а. а. O., 63 mit Bezug auf die Untersuchung von O. Tiililä, Das Strafleiden

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der Übernahme der Schuld des Menschen verbundene Leiden Christi nicht nur - wie etwa in der Satisfaktionslehre Anselms - dessen menschliche Natur betrifft. Vielmehr ist Luthers Kreuzestheologie von dem Gedanken bestimmt, „daß im Sterben dieses Menschen Gott selbst sich ins Elend" und „in den Tod" begibt. 208 Da dieses Verständnis des Kreuzes eine innere Beteiligung Gottes am Versöhnungswerk Christi impliziert, die über die auch in der Satisfaktionslehre Anselms vorausgesetzte Sendung des Sohnes durch den Vater grundlegend hinausgeht, überwindet Luther die Anselmsche Satisfaktionsvorstellung jedenfalls insoweit, als bei ihm Gott nicht als Empfänger, sondern als „alleiniges ,Subjekt' der Versöhnung erscheint"209. Der Satisfkationsbegriff fungiert bei Luther faktisch nur als „Hilfsvorstellung" 210 , mit der er betont, daß die Sünde des Menschen das Verhältnis zwischen Gott und Mensch elementar stört, darin den Zorn Gottes erregt und insofern notwendig der Versöhnung bedarf 2 1 1 . Aber diese geschieht nach Luther eben nicht durch eine den Zorn Gottes besänftigende Ersatzleistung, sondern durch die Neukonstitution des Gottesverhältnisses in der Inkarnation und im stellvertretenden Leiden des inkarnierten Gottessohnes. Gründet die Versöhnung Gottes und des Menschen nach Luther somit nicht einfach im Verdienst des aktiven und passiven Gehorsams Christi, sondern im gesamten Heilswerk der Inkarnation des Gottessohnes, der Christi. Ein Beitrag zur Diskussion über die Typeneinteilung der Versöhnungsmotive, Helsinki 1941, 231 ff. Daß diese Übernahme der Sünde der Menschen nach Luther bereits in der Inkarnation geschehen sein soll, weil „Gottes Logos . . . Luther gemäß . . . nicht nur eine , neutrale' menschliche Natur als solche angenommen" habe, „sondern ausgesprochenermaßen die menschliche Natur des Sünders", wie Mannermaa, а. а. O., 22 und ihm folgend S. Peura, Gott und Mensch in der Unio. Die Unterschiede im Rechtfertigungsverständnis bei Oslander und Luther, 36 ff., behaupten, erscheint mir zweifelhaft. Dies geht weder aus den angeführten Belegstellen bei Luther hervor, noch verträgt sich diese These mit der Lehre von der Sündlosigkeit des Erlösers, die durchgängig in der Tradition vertreten wurde. 208 Wenz, а. а. O., 65. Wenz verweist hier auf Luthers Aussagen in seiner Schrift ,Vom Abendmahl Christi, Bekenntnis' von 1528 über die unauflösliche Personeinheit von Gott und Mensch in Jesus Christus, vgl. WA 26, 333,6-10, und auf die Passage aus ,Von den Konziliis und Kirchen' von 1539, wo es zum Mitleiden Gottes markant heißt: „Aber nu Gott und Mensch vereinigt ist in einer Person, so heisst recht Gottes tod, wenn der mensch stirbt, der mit Gott ein ding oder eine Person ist."(WA 50, 590,20 ff.) Daß für Luther dieses Verständnis des Kreuzestodes an die Idiomenkommunikation gebunden ist, wird u.a. aus seiner Disputation de divinitate et humanitate Christi von 1540 deutlich: „Vere dicitur: Iste homo creavit mundum et Deus iste est passus, mortuus, sepultus etc." (WA 39/11, 93,8 f. These 4). 209 Wenz, а. а. O., 64. 210 So Haikola, a . a . O . , 102. 211 „Gottes Zorn und das Gesetz sind" dabei für Luther „lebendige Realitäten, die den Sünder tyrannisieren", „ihn am Glauben hindern" und daher „im persönlichen Leben des Menschen überwunden werden" müssen, so Haikola, а. а. О., 103.

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Die Voraussetzungen

Erniedrigung und der Erhöhung des Inkarnierten, so ist auch der Glaube mehr als das vertrauensvolle Ergreifen des Verdienstes Christi. Das Vertrauen des Glaubens richtet sich vielmehr auf den gekreuzigten und auferstandenen Christus, dessen Gegenwart dem Glaubenden verheißen ist und den Grund der Heilsgewißheit darstellt.212 Denn indem „der Mensch in Christus Gott selbst den Tod als Sündenstrafe auf sich nehmen sieht, vermittelt sich ihm zugleich das Bewußtsein der eigenen Rettung. Wo er sich darauf verläßt, daß die menschliche Nichtigkeit bei Gott angenommen ist, weiß er sich selbst erlöst. Dies meint Luther, wenn er sagt, die Versöhnung komme durch den Glauben in uns: denn der Glaube ist als ,fides apprehensiva' nichts anderes als vertrauensvolles Anerkennen und Geltenlassen der Tat Gottes in Christus. Durch ihn wird der Mensch gleichsam in das Versöhnungsgeschehen hineingezogen, und die in Christus offenbare Wirklichkeit wird gegenwärtig in ihm."213 In diesem Sinne kann Luther in der Vorlesung zum Galaterbrief von 1531/1535 sagen, daß der Glaube durch Christus formiert wird. 214 Die Verheißung der Gegenwart Christi im Glauben impliziert für Luther die Christusgemeinschaft des Glaubens. Diese Gemeinschaft des Glaubenden mit Christus hat ekstatischen Charakter. Denn der Glaubende wird im Vertrauen auf das in Christus offenbare Heilsgeschehen aus sich heraus in Christus hineinversetzt und empfängt in ihm und also 212 Vgl ähnlich H a i k o l a , a . a . O . , 103: „Christi W e r k sich aneignen, meint deshalb nicht n u r Ü b e r t r a g u n g des Verdienstes Christi aus d e r historischen E n t f e r n u n g ins H e u t e , sond e r n d a ß d e r lebendige Christus in seiner göttlichen u n d menschlichen N a t u r gegenwärtig ist, u m die Feinde des M e n s c h e n zu besiegen." Angesichts dieser Einsicht ist allerdings unverständlich, w e n n H a i k o l a , ebd., schreibt: „Sein [Christi; Vf.] Verdienst, d a s d e m S ü n d e r z u g e r e c h n e t wird, schenkt die Sündenvergebung, u n d seine G ö t t l i c h k e i t b e w i r k t die E r n e u e r u n g im G l a u b e n . W o r t u n d S a k r a m e n t repräsentieren die Menschlichkeit C h r i sti." 213 So W e n z , а. а. O . , 65. D a r u m e r f o r d e r e die Frage, wie die V e r s ö h n u n g dem M e n s c h e n zugute k o m m t , „ f ü r L u t h e r nicht eigentlich einen N e u e i n s a t z d e r Ü b e r l e g u n g " (ebd.). Vgl. ähnlich R. P r e n t e r , Spiritus C r e a t o r , 44: „Im G l a u b e n ist d e r C h r i s t so eins mit Christus, d a ß d e r G l a u b e die E r l ö s u n g d u r c h Christus als unmittelbare Wirklichkeit besitzt." 214 L u t h e r entwickelt diesen G e d a n k e n in seiner Kritik an d e m scholastischen V e r s t ä n d n i s des G l a u b e n s als fides caritate f o r m a t a , siehe W A 4 0 / 1 , 229,2 ff.: „Sic formalis mea iustitia est, n o n est Charitas quae i n f o r m a t fidem, sed fiducia cordis mei in rem q u a m n o n videt, et tarnen h a b e t C h r i s t u m praesentem. I d e o iustificat fides, est cogitabile. Q u i h a b e t veram fiduciam cordis, - adest ipse in ipsa nebula, fide. D a s ist formalis iustitia, p r o p t e r istam fidem iustificatur, sicut ipsi dicunt: p r o p t e r charitatem. Sicut vos dicitis charitatem ipsam a p p r e h e n s u s est iustitia Christiana; p r o p t e r h a n c r e p u t a t nos iustos et d o n a t vitam." Vgl. W A 4 0 / 1 , 228, 29 ff.: „ . . . ita nos e c o n t r a dicimus fidem a p p r e h e n d e r e C h r i s t u m qui est f o r m a , quae fidem o r n a t et i n f o r m a t , u t color parietem. Q u a r e fides Christiana n o n est otiosa qualitas vel vacua siliqua in c o r d e quae possit exsistere in peccato mortali, d o n e c Charitas accedat et earn vivificet, Sed si est vera fides, est q u a e d a m certa fiducia cordis et f i r m u s assensus q u o Christus a p p r e h e n d i t u r , Sic u t C h r i s t u s sit obiectum fidei, imo n o n obiectum, sed, u t ita dicam, in ipsa fide Christus adest."

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extra se seine neue Identität. 215 In seiner vorfindlichen Wirklichkeit erfährt der Glaubende jedoch nicht nur die Unvollkommenheit seines Glaubens, sondern darin zugleich die ihn permanent bedrängende und ihn immer wieder einholende Macht der Sünde216. Aufgrund dessen kommt es während des irdischen Daseins zu keiner vollkommenen Entsprechung zwischen dem neuen Sein des Menschen extra se im Glauben an Christus und der mit der Sünde ringenden empirischen Lebenswirklichkeit des Menschen. Obwohl durch die Präsenz Christi im Glauben die Gerechtigkeit des Menschen nach Luthers Aussagen im Galaterbriefkommentar von 1535 im irdischen Leben bereits beginnt und eine allmähliche Erneuerung mit sich bringt 217 , bedarf der Glaubende nach Luther vielmehr immer wieder der gnädigen Zurechnung der in der Gegenwart Christi im Glauben begründeten Glaubensgerechtigkeit. Dieses den Christen bestimmende Wissen um die Gerechtigkeit im Glauben und die ihn gleichzeitig bedrängende Erkenntnis und Erfahrung der Sünde beschreibt Luther in der Römerbriefvorlesung von 1515/16 erstmals schlagwortartig in der Wendung ,simul iustus et peccator'. 218 Bei der Interpretation dieser Aussage, die im Kontext der Auslegung von Rom 4,7 entwickelt wird, ist es wichtig zu sehen, daß Luther keine objektive Beschreibung des gerechtfertigten Glaubenden intendiert, sondern die unterschiedliche Selbsteinschätzung der Glaubenden und der Heuchler in den Blick nimmt, die ihre Entsprechung in einem jeweils unterschiedlichen Urteil Gottes findet. 219 Während die Heuchler, die ihre Gerechtigkeit vor sich zu haben meinen, im Urteil Gottes ungerecht seien, würden nämlich die Heiligen, weil sie immer ihre Sünde vor Augen haben und ihre Gerechtigkeit von Gott gemäß seiner Barmherzigkeit 215 Vgl. dazu W. Joest, Ontologie der Person bei Luther, Göttingen 1967, 233-274, bes. 250: „Als Glaubender ist der Mensch durchaus der an einem andern Hängende. Was er in dieser Hinsicht ,ist' . . . , beruht ganz in dem Sein und Vermögen dieses ihm Beistehenden." Siehe zum ekstatischen Charakter des Glaubens bei Luther ferner Pannenberg, Anthropologie, 68, und ders., Systematische Theologie, Bd. 1, 243. 216

Siehe dazu WA 56, 334,14 ff. Vgl. dazu Haikola, a.a.O., 101; Althaus, a.a.O., 203ff. 218 WA 56, 70,9f. und 272,17. Vgl. weitere Belege bei P. Althaus, a.a.O., 211, Anm. 84-91. Zur Interpretation siehe neben Althaus auch Joest, Ontologie, 265 ff., sowie Eberhard Jüngel, Das Evangelium von der Rechtfertigung des Gottlosen als Zentrum des christlichen Glaubens, Tübingen 1998, 183-190. 219 Vgl. Luthers Eingangsthese zur Auslegung von Rom 4,7, WA 56, 268,27- 269,4: „Sancti Intrinsice sunt peccatores semper, ideo extrinsece Iustificantur semper. Hipocrite autem intrinsece sunt Iusti semper, ideo extrinsece sunt peccatores semper. Intrinsece dico, i. e. quomodo in nobis, in nostris oculis, in nostra estimatione sumus, Extrinsece autem, quomodo apud Deum et in reputatione eius sumus. Igitur extrinsece sumus Iusti, quando non ex nobis пес ex operibus, Sed ex sola Dei reputatione Iusti sumus. Reputatio enim eius non in nobis пес in potestate nostra est. ergo пес Iustitia nostra in nobis est пес in potestate nostra." 217

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Die Voraussetzungen

erflehen, von Gott gerecht gesprochen. 220 .Jeder Heilige ist ein Sünder und betet für seine Sünden. So ist der Gerechte im Grunde Ankläger seiner selbst. . . . Die Sünde bleibt und bleibt gleichzeitig doch wieder nicht. Gemäß des Psalters bedarf es . . . des Wissens darum." 221 Dieses Wissen wird erschlossen durch die Uberwindung der Sünde in Tod und Auferstehung Jesu Christi und die darin begründete Versöhnung des Menschen mit Gott. Erst aus der Einsicht in Christi Heilstat heraus kann der Christ nach Luther sagen: „Ein Sünder bin ich in mir selbst außer Christo, kein Sünder bin ich in Christo außer mir selbst". 222 Das ,simul iustus et peccator' beschreibt mithin nicht einfach „das paradoxe Zugleich göttlichen Urteils und menschlichen Tatbestandes", wonach der Mensch „im Blick auf Gottes strenges Gericht" als Sünder, „im Blick auf seine große Barmherzigkeit" als Gerechter zu gelten hat. 223 Vielmehr handelt es sich um den Ausdruck einer Selbstwahrnehmung, die allererst dem möglich ist, der im Glauben an Christus seine in der Christusgemeinschaft ihm geltende Gerechterklärung erkennt, gleichzeitig aber nun im vollen Maße seine sündige Existenz ohne Christus und die anhaltende Bedrohung durch die Sünde 224 wahrnimmt. 225 D a die beiden Bestimmungen , iustus et peccator' als zwei Totalitätsaspekte verstanden sind, stellt Luthers Rede vom ,simul iustus et peccator' die Theologie vor die Frage,

220

Vgl. WA 56, 269,12-15.25-27. Vgl. Kurt Aland (Hg.), Luther Deutsch, Bd. 1, 173 (WA 56, 270,5 ff.). 222 WA 38, 205,28. 223 So Althaus, а. а. O., 211 f. Althaus erblickt darin die erste von zwei Bedeutungen des ,simul iustus et peccator'. Der Christ sei „gerecht durch die Vergebung der Sünden, durch Gottes Urteil, das ihn als gerecht nimmt um Christi willen", während er zugleich in sich selbst ohne Christus „im Blick auf Gottes strenges Gericht" Sünder bleibe. Diese Deutung des ,simul iustus et peccator' wird bei Althaus mit der von ihm zuvor betonten Verbindung des Glaubenden mit Christus, die die Teilhabe an der Gerechtigkeit Christi begründet (vgl. a . a . O . , 200f.) und die Erkenntnis der sündigen Existenz außer Christus eröffnet, nicht hinreichend vermittelt. 224 Die faktische Bedrohung des Christen durch die Sünde bringt Althaus in der von ihm benannten zweiten Bedeutung des ,simul iustus et peccator' zur Geltung, nach der der Mensch gerecht ist, insofern „Christus im Glauben in dem Menschen mächtig ist und der Mensch in Kraft des Heiligen Geistes wider sich selbst als den alten Menschen kämpft", gleichzeitig aber Sünder bleibt, der sein Fleisch „zu bekämpfen und in den T o d zu geben" hat (vgl. Althaus, a . a . O . , 212). Allerdings meint Althaus, daß es sich hierbei um zwei Partialaspekte handele. Anders Jüngel, Die Rechtfertigung des Gottlosen, 187: „Der Christ ist nicht nur ganz und gar Gerechter, er ist auch ganz und gar Sünder. Es handelt sich nicht um zwei Partialaspekte . . . , sondern um zwei Totalitätsaspekte. Es geht jeweils um den ganzen Menschen." 225 Vgl. ähnlich Jüngel, Die Rechtfertigung des Gottlosen, 185: „Um zu spüren, daß einem die Sünde anhängt, muß man zuvor die ganz andere, die geistliche Erfahrung gemacht haben, daß einem die Sünden vergeben worden sind." Jüngel betont im Fortgang seiner Auslegung, daß diese Erfahrung „niemand ohne Rückbezug auf die das rechtfertigende Wort Gottes bezeugende Heilige Schrift" mache (ebd.). 221

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wie die Einheit der Person des Glaubenden zu bestimmen sei, der sich im Glauben an Christus ganz und gar als Gerechter vor Gott und zugleich in der Wahrnehmung seiner vorfindlichen Existenz außerhalb von Christus ganz und gar als Sünder weiß. Ohne diesem Problem hier weiter nachgehen zu können, sei doch darauf hingewiesen, daß ein entsprechender Versuch von der - nicht nur für die Soteriologie Luthers, sondern auch für seine Anthropologie konstitutiven - Einsicht in die exzentrische Dimension bzw. den ekstatischen Charakter des Glaubens auszugehen hat. Der Glaubende hat sein neues Sein und damit auch sein Personsein und seine Identität außerhalb seiner selbst im Glauben und Vertrauen auf Christus. Dieser Vollzug ist für Luther ein Geschenk Gottes und damit kein Akt, der aus der reinen Selbsttätigkeit des Menschen entspringt. Der Glaube als Vertrauen wird nach Luther vielmehr bewirkt durch die Verkündigung der Christusbotschaft des Evangeliums. Die Verkündigung durch Wort und Sakrament ist die Bedingung der Möglichkeit für die Realisierung der ekstatischen Struktur der Christusgemeinschaft des Glaubens. 226 Da Melanchthon im Zuge seiner Fixierung auf die Satisfaktionsvorstellung die Bedeutung der Christusgemeinschaft und der ekstatischen Struktur des Glaubens nicht in der gleichen Weise wie Luther in den Blick bekommt, kann er seine Rechtfertigungslehre nicht wie Luther von dem Gedanken der Gegenwart Christi im Glaubenden und der darin dem Glaubenden erschlossenen Gerechtigkeit aus entwickeln. Um jeden möglichen Synergismus zu vermeiden, bestimmt er die Rechtfertigung immer einseitiger als forensisch-imputatives Urteil Gottes. Doch gerade im Zuge dieser rein forensisch-imputativen Auffassung der Rechtfertigung erscheint der Glaube, der das zur Rechtfertigung vollkommen ausreichende Verdienst Christi ergreift, als eine Minimalleistung des Menschen227, so daß entsprechend auch der Unglaube als Schuld des Men226 Die zuerst von Ernst Bizer vertretene Bestimmung und Spätdatierung der reformatorischen Einsicht Luthers, wonach diese in der Entdeckung der grundlegenden Funktion des Wortes Gottes besteht (vgl. dazu Lohse, Luthers Theologie, 101), ist systematischtheologisch gesehen insofern einleuchtend, als Luthers Erkenntnis der wahren Gerechtigkeit Gottes, die den Menschen allein im Glauben gerecht sein läßt, nur schlüssig zuende gedacht werden kann, wenn die Evangeliumsverkündigung als wirksames Wort verstanden wird, welches die Verheißung Gottes individuell zueignet und so den Glauben als ekstatisches Sein in Christus vermittelt. Dabei ist aber zu berücksichtigen, daß f ü r Luther die Evangeliumsverkündigung nicht allein durch die Predigt, sondern ebenso durch die Sakramente stattfindet. 227 Vgl. dazu Haikola, а. а. O., 94: „Man muß . . . beachten, daß die These von der zureichenden Satisfaktion . . . schon rein logisch jedes menschliche Zutun . . . ausschließt." Aber selbst „wenn die Rechtfertigung umsonst und ausschließlich um Christi willen geschieht, muß doch dies zumindest vom einzelnen Menschen erfordert werden, daß er die Sündenvergebung persönlich empfängt. Der empfangende Glaube ist die Minimalleistung, die vom Menschen als Bedingung für die Rechtfertigung gefordert wird."

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Die Voraussetzungen

sehen zu gelten hat, wie Melanchthon betont 228 . Luther dagegen versteht den Glauben nicht nur als Ergreifen der Versöhnungstat Christi, sondern darin zugleich als die durch die Präsenz Christi im Glauben begründete Realisierung der Christusgemeinschaft. Der Glaubende, dem Christus im Glauben gegenwärtig ist, empfängt die Rechtfertigung vor Gott. Die Differenz zwischen Melanchthon und Luther, die wohlgemerkt nicht das theologische Anliegen, sondern die Explikation der Versöhnungs- und Rechtfertigungslehre betrifft, läßt sich auch in dem oben bereits erwähnten Briefwechsel zwischen Melanchthon, Brenz und Luther vom Sommer 1531 beobachten. Während Melanchthon Brenz darlegt: „Ideo sola fide sumus iusti, non quia sit radix, ut tu scribis, sed quia apprehendit Christum, propter quem sumus aeeepti .. ."229, schreibt Luther an Brenz: „Et ego soleo, mi Brenti, ut hanc rem melius capiam, sie imaginari, quasi nulla sit in corde meo qualitas, quae fides vel Charitas vocetur, sed in loco ipsorum pono ipsum Christum et dico: haec est iustitia mea; ipse est qualitas et formalis, ut vocant, iustitia mea, ut sic me liberem ab intuitu legis et operum; imo et ab intuitu obiecti istius, Christi, qui vel doctor vel donatur intelligitur; sed volo ipsum mihi esse donum et doctrinam per se, ut omnia in ipso habeam. Sic dicit: ego sum via, Veritas et vita. Non dicit: ego do tibi viam, veritatem et vita, quasi extra me positus operetur in me. Talia in me debet esse, manere, et vivere, loqui non per me, an εις έμέ. 2 Cor. 5: ut essemus iustitia in illo, non: in dilectione aut donis sequentibus."230 Hier wird deutlich, daß nach Luther der Glaubende eben darum gerecht ist, weil er in Christus ist. Der Glaube wird zwar wie bei Melanchthon als ergreifender Glaube bestimmt, aber eben so, daß der Glaubende, indem er Christus ergreift, in Christus hineinversetzt wird und darin ganz außer sich ist. Dieser Gedanke der exzentrischen Christusgemeinschaft des Glaubens, in dem die Glaubensgerechtigkeit realisiert und die Rechtfertigung begründet ist, findet sich bei Melanchthon so nicht. Stattdessen steht bei Melanchthon die Vorstellung der Zurechnung des Glaubens zur Gerechtigkeit bzw. die Zurechnung der Gerechtigkeit Christi im Vordergrund, die im Glauben ergriffen werden muß. 231 Daß der Glaube als Ergreifen der Gerechtigkeit Christi keine die Rechtfertigung bedingende Leistung oder Qualität des Menschen ist, muß Melanchthon dabei entschiedener betonen als Luther,

228

Diese dogmatische Position erweist sich zwar nicht in der Rechtfertigungslehre, d a f ü r aber im Blick auf das Theodizeeproblem als weiterführend, vgl. dazu Nüssel, Bund und Versöhnung, 170 f. 229 CR 2, 501. 230 CR 2, 502 f. Die kursiven Hervorhebungen von ,ipsum Christum', ,ipse', ,ipsum' und ,in ipso' stammen von Vf. 231 Vgl. Wenz, Theologie der Bekenntnisschriften, Bd. 2, 49.

Johannes Brenz

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weil bei Luther das Subjekt des Glaubens immer schon der in der Christusgemeinschaft mit Gott im Glauben versöhnte und neukonstituierte Mensch ist, der seine Identität ganz und gar Christus verdankt.

4. Johannes Brenz Der Reformator Württembergs, Johannes Brenz 232 , hat sich nicht nur im Abendmahlsstreit um das lutherische Erbe verdient gemacht 233 , sondern auch der „Alleinherrschaft philippistischer Lehrformen in der Rechtfertigungslehre und vor allem in der Christologie" entgegengewirkt. 234 Während seiner Haltung in der Abendmahlsdebatte anhaltender Erfolg beschieden war, kann dies im Blick auf seine Christologie nur eingeschränkt gelten. Hinsichtlich der Rechfertigungslehre ist es fraglich, ob Brenz dazu beigetragen hat, den lutherischen Theologen seiner Zeit ein Bewußtsein für die Eigenart der Rechtfertigungsauffassung Luthers in ihrem Gegenüber zur melanchthonischen Lehrgestalt zu vermitteln. Die Differenz zur Rechtfertigungsauffassung Melanchthons wird Brenz selbst bei seiner Begegnung mit Melanchthon auf dem Augsburger Reichstag und dem daran anschließenden, oben bereits erwähnten Briefwechsel mit Melanchthon aus dem Jahre 1531 deutlich. Sie wirkt sich dann später in der wesentlich durch Brenz geprägten Haltung der Württemberger im osiandrischen Streit aus235, durch die eine explizite Verurteilung Oslanders in der Konkordienformel verhindert wird. Daß Brenz ebensowenig wie Luther eine systematische Zusammenfassung der christlichen Lehre in theologischen Loci hinterlassen hat und sein theologisches Denken überdies - im Unterschied zu Luthers Theologie - nur bruchstückhaft untersucht ist, erschwert die hier zu zeichnende Skizze seines Rechtfertigungsverständnisses. Aus der Darstellung von Hans Emil Weber 236 und den beiden grundlegenden Arbeiten über die frühe Theologie des Johannes Brenz von Martin Brecht und über seine späte Christologie 232 Siehe zu Johannes Brenz den entsprechenden Artikel von Martin Brecht, TRE 7, 170-180; vgl. außerdem ders., Johannes Brenz, in: Gestalten der Kirchengeschichte, Bd. 6/II, 103-117 (Brenz) und die kurze Vorstellung der Person Brenzens und die Würdigung durch Luther bei Hans Christian Brandy, Die späte Christologie des Johannes Brenz, 1 f. 233 Vgl. dazu im einzelnen Brandy, Christologie, 13 ff., 115 ff. 234 Vgl. M. Brecht, TRE 7, 179 f. zur Nachwirkung der Theologie von Johannes Brenz. 235 Siehe dazu M. Stupperich, Lehrentscheidung, 171 ff. 236 Siehe Η. E. Weber, Reformation 1/1, 312-321. M. Brecht rechnet diesen Abriß „zum besten", was zu der Frage nach Brenzens ursprünglicher Rezeption der Theologie Luthers und seiner eigenen „Verarbeitung des reformatorischen Gedankenguts" geschrieben worden ist (vgl. M. Brecht, Die frühe Theologie des Johannes Brenz, 3).

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Die Voraussetzungen

von Hans Christian Brandy kann man jedoch die Einsicht gewinnen, daß ein wesentliches, wenn nicht sogar das entscheidende Grundanliegen von Johannes Brenz in der Betonung der realen Gegenwart Christi im Glauben und damit in „der Einheit von Gott und Mensch in Christus" zu sehen ist. 237 Von diesem Anliegen her, das Brenz mit Luther verbindet, läßt sich nicht nur die hartnäckige Verteidigung der Realpräsenz Christi im Abendmahl in der Auseinandersetzung mit den Reformierten und mit Melanchthon 2 3 8 einschließlich der entsprechenden Ausbildung seiner Christologie 239 verstehen, sondern auch sein Verhalten in der Auseinandersetzung um die Rechtfertigungslehre Oslanders. Obwohl Brenz vor allem in seiner späteren Theologie beeinflußt durch die Begegnung mit Melanchthon auf dem Augsburger Reichstag 1530 und den daran anschliessenden Briefwechsel die Rechtfertigung „klar forensisch bestimmt" und „das propter Christum" unermüdlich einschärft, erscheint doch „die Rechtfertigung durchaus . . . noch als Erlebnis" 240 , das von der Christusanschauung getragen ist 241 . So kann in eingeschränkter Weise auch für die spätere Fassung der Rechtfertigungslehre gelten, was Brecht für die Zeit bis 1530 feststellt, nämlich daß Brenz „sehr betont eine effektive Rechtfertigungslehre" vertritt. 242 Nach den Aussagen der frühen Theologie Brenzens insbesondere in der „Unterrichtung der zwiespältigen Artikel christlichen Glaubens" von 152 4 2 4 3 vollzieht 237

Siehe H.E. Weber, Reformation 1/1, 315. Vgl. dazu a . a . O . , 312: „Das Geheimnis der Christusgemeinschaft leuchtet durch das theologische Denken. In Christus allein, durch den Glauben, ,wirst du deines Herzens Genüge (sufficientia) und Sättigung finden, weil Christus mit sich bringt den ganzen Gott mit allen seinen Gütern'. Er ist der , Schatz aller Güter', er ist ,selber Rechtfertigung, Heiligung und Erlösung'. Darum ist es das entscheidende, das einzige Anliegen, durch den Glauben ihn zu ,haben', ,sich in ihm zu finden'." Vgl. auch Brecht, Brenz, 108. 238 Zur Auseinandersetzung mit Melanchthon vgl. Brandy, Christologie, 28 ff. 239 Brandy, Christologie, 115 ff. zeigt, daß die späte Christologie zwar „im Kontext des Streits um das Abendmahl" ( a . a . O . , 115) steht, daß aber damit die christologische Thematik f ü r Brenz „auch unabhängig vom Bezugsrahmen des Abendmahls Gewicht" gewinnt ( a . a . O . , 133 ff.). Denn abgesehen „von der Abendmahlsfrage stehen in der Christologie Elemente der Grundsubstanz christlichen Glaubens in Frage, die selbst notwendig ... der Klärung bedürfen. Auch deshalb können die reformierten Argumente nicht unwidersprochen bleiben." ( A . a . O . , 133) 240 Siehe Weber, a . a . O . , 316, vgl. die ebd. Anm. 1 genannten Belege, bes. den Verweis auf den Römerbriefkommentar von 1564 und den Catechismus. 241 Siehe Weber, a . a . O . , 318: „Die Christusgemeinschaft, wie sie im ursprünglichen Zeugnis so beherrschend war, auch jetzt noch bezeugt, hat dem theologischen Denken von Brenz dauernd seine Aufgabe gestaltet." 242 Brecht, Theologie, 42, vgl. auch 46. Vgl. ferner ders., Johannes Brenz, 114, wo Brecht feststellt, Brenz habe sich zwar nach der Begegnung und dem Briefwechsel mit Melanchthon bemüht, „in den Bahnen Melanchthons zu denken", sei aber später wieder zu seinen ursprünglichen Ansätzen zurückgekehrt. 243 Vgl. zur Datierungsproblematik die Einleitung i n j . Brenz, Frühschriften Teil 1, 56 f.

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sich die Rechtfertigung in der „Kommunikation zwischen Christus und dem Glauben".244 Sie wird vermittelt durch das Wort Gottes, welches Brenz in der Unterrichtung nicht nur nach Joh 1,14 mit Jesus Christus, sondern ebenso mit Frömmigkeit und Gerechtigkeit identifiziert. 245 Aus dem Wort folgt sonach, „das wie der glawb Christum umfacht, also umbfacht er auch die gerechtickait und macht also den glawbigen gerecht", ist „der gerechtickait seil und leben" und „macht den glawbigen zu ainen son Gottes" 246 und damit zu einem neuen Menschen 247 . Der Glaube macht gerecht, weil er sich durch das Wort Gottes, „welches ist Iesus Christus, fur die sundt mensch worden und gestorben", trösten läßt und sein Vertrauen auf ihn gründet.248 Dabei ist dem Glauben an das Wort „Christus mehr präsent als mit seiner leiblichen Gegenwart."249 Wo nämlich „das Wort Christi im Glauben angenommen ist, wohnen der Vater und der Sohn, denn wer im Glauben das Wort Christi hat, hat den Vater und erlangt von ihm alles."250 Angesichts dieser Überzeugung von der Christusgemeinschaft durch Präsenz Christi im Glauben läßt sich verstehen, daß Brenz später in der Diskussion um die osiandrische Theologie in die von Philippisten und Gnesiolutheranern gleichermaßen geforderte Verurteilung nicht einstimmen konnte, sondern sich stattdessen im Verein mit den Württemberger Theologen in dem Responsum auf die von Herzog Albrecht von Preußen geforderte Stellungnahme zu Oslander für „eine brüderliche Vereinigung

Es handelt sich bei der ,Unterrichtung' um „Brenzens erste umfassende Auseinandersetzung mit der katholischen Seite" (а. а. O., 57). 244 Brecht, Theologie, 46. 245 J. Brenz, Frühschriften Teil 1, 62: „Got hat uns alle ding geschenckt mit seinem sun . . s o empfecht er im selbigen die frumkait und gerechtickait". ш J. Brenz, Frühschriften Teil 1, 62. 247 Vgl. dazu die Fragstücke von 1528, in: Christoph Weismann, Die Katechismen des Johannes Brenz 1, 664: „Was thut der glaub? Antwort. Er macht ain newen menschen auß uns / das wir frumm werden / und nit meer wandeln in Sünden / sonder recht thun / unrecht lassen / und erfillen die gebott Gottes." 248 J. Brenz, Frühschriften Teil 1, 61,14-17. Vgl. dazu Brecht, Theologie, 39 ff. Siehe zum Glaubensbegriff des frühen Brenz außerdem Brecht, Theologie, 144-153, 213-222, 227 ff., bes. 150 f.: „Der Glaube ist ganz und gar Gottes eigenes Werk, die Neuschöpfung des von ihm erwählten und mit seinem Geist begabten gehorsamen Menschen. Durch das Wort und Christus ist der Glaube die den Menschen verwandelnde höhere Macht . . . Dieser Glaube setzt ein neues Gottesverhältnis des Menschen. Der Glaube bringt uns durch Christus den gnädigen Gott, und wir sind Gottes Volk. . . . Aus dem Glauben an das Wort kommt die effektive Rechtfertigung." Insofern läßt sich als „das Herzstück von Brenzens Rechtfertigungslehre . . . der sich Christus anvertrauende und sein Schicksal teilende Glaube" bestimmen (Brecht, а. а. O., 227 f.). 244 Brecht, Theologie, 216. 250 Brecht, Theologie, 216.

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Die Voraussetzungen

der streitenden Parteien" einsetzte.251 Um in diesem Konflikt an der „reichere(n) Konzeption Luthers" festhalten zu können, „nach der die Rechtfertigung mehr beinhaltet als den bloßen Zuspruch der Sündenvergebung" 252 , hebt Brenz im Responsum als wichtige Ubereinstimmung zwischen Oslander und seinen Gegnern die Einsicht hervor, daß der Glaube nicht leer ist, sondern Christus in sich schließt, „so daß also Christus selbst unsere Gerechtigkeit ist".253 Ausgehend von der Überzeugung, daß auch „die Osiandergegner nicht leugnen wollten, daß Christus nach seiner göttlichen Natur unsere Gerechtigkeit sei"254, wird daraufhin im Responsum versucht, den Widerspruch zwischen dem Wittenberger Imputationsgedanken und der Vorstellung von der Partizipation an der wesentlichen Gerechtigkeit Christi durch die These zu beheben, „die Imputation des Verdienstes Christi schließe auch die Zurechnung der wesentlichen Gerechtigkeit Christi ein."255 Damit konnte zwar die württembergische Weigerung, für eine der Seiten Partei zu ergreifen, jedenfalls notdürftig begründet erscheinen, doch eine theologische Synthese der entgegengesetzten Positionen war mit diesem Versuch nicht erreicht. Daß mithin auch Brenz im osiandrischen Streit „das lösende Wort" nicht fand und infolgedessen „im Luthertum im wesentlichen Melanchthons Rechtfertigungslehre das Feld behielt", mag darin seinen Grund haben, daß Brenz selbst „die Defizite der beiden entgegengesetzten Positionen" nicht auf den Begriff zu bringen vermochte. 256 Ob Brenz auf der Basis des Vermittlungsversuchs im Responsum eine auch Luthers Rechtfertigungslehre entsprechende Synthese hätte erreichen können, ist schon deshalb zweifelhaft, weil er selbst die Erlösungstat Christi nicht so eindeutig wie Luther als Neubegründung des Gottesverhältnisses des Menschen durch die Annahme und Überwindung der menschlichen Schwachheit in Christi Strafleiden begriff, sondern eher als eine stellvertretend für den ohnmächtigen Sünder erbrachte Bußleistung Christi für die Sünden257. Dem entspricht es, daß Brenz in der Lehre von der Idiomenkommunikation auf den Aspekt der Partizipation der menschlichen Natur an der göttlichen Majestät des Menschen weit größeres Gewicht legt „als auf die menschliche Schwachheit Got-

251

Vgl. dazu M. Stupperich, Lehrentscheidung, 174 f. Brecht, Brenz, 114. 253 Vgl. dazu die von M. Stupperich, Lehrentscheidung, 174, zusammengefaßte These aus dem maßgeblich von Brenz geprägten Württemberger Responsum auf die von Herzog Albrecht von Preußen angeforderte Stellungnahme zu Oslanders Theologie. 254 M. Stupperich, Lehrentscheidung, 174 f. 255 M. Stupperich, Lehrentscheidung, 175. 256 Vgl. Brecht, Johannes Brenz, 114. 257 Vgl. dazu Brandy, а. а. O., 275. 252

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tes" 258 . Diese Differenz zu Luther 259 erklärt Brandy damit, daß „Brenz . . . unter dem ,Druck' des Postulats der Immutabilität Gottes der Mut verlassen" habe, „wie Luther das Skandalon der Inkarnation auch an diesem Punkt adäquat auszusagen." 260 Die „exorbitante Behauptung, daß Gott in concreto durch das Leiden Christi nicht weniger bestimmt sei als durch sein autarkes göttliches Wesen" 261 , wage Brenz nicht mehr, um eine „ungeschützte Rede von der Mutabilität Gottes und völlige Kongruenz der Kommunikation zu vermeiden."262 Daß Luther im Blick auf die Frage nach „der Teilhabe Gottes am Leiden des Menschen . . . eindeutiger und konsequenter" denkt als Brenz, ist nach Brandy darauf zurückzuführen, daß bei Luther „Christologie und Soteriologie noch unmittelbarer aufeinander bezogen sind als bei Brenz. Das primär soteriologische Interesse hält systematische Bedenken, wie sie Brenz hinsichtlich der Impassibilität Gottes kamen", von Luther noch fern. 263 Diese Bedenken bzgl. der Leidensunfähigkeit und der Unveränderlichkeit Gottes bilden bei Brenz vermutlich den Hintergrund dafür, daß bei ihm vor allem in späteren Jahren das Verständnis der Versöhnung durch das Verdienst des aktiven und passiven Gehorsams Christi zur Besänftigung des göttlichen Zornes 264 dominiert gegenüber der Konzentration Luthers auf die Inkarnation des Gottessohnes und die Überwindung des menschlichen Elends in der Erniedrigung und Erhöhung Christi. Obwohl Brenz im Unterschied zu Anselm von Canterbury das Leiden Gottes im Geschick Jesu Christi christologisch zur Geltung bringt 265 , behält er die Satisfaktionsvorstellung Anselms von Canterbury der Sache nach weit258 So Brandy, Christologie, 169; vgl. zu den Gründen für diesen Sachverhalt, den schon G. Thomasius, Christi Person und Werk, 371, beobachtet hat, Brandy, a.a.O., 195. 259 Vgl. dazu Brandy, а. а. O., 262. 260 Siehe Brandy, а. а. O., 197. 261 So Sparn, Wiederkehr, 85, mit Bezug auf B. Meisner. 262 Brandy, a.a.O., 198. 263 Brandy, а. а. O., 262. 264 Vgl. dazu etwa J. Brenz, Frühschriften Teil 1, 76: „Wiewoll man nun nit fur die sund mog gnug thun, doch Gott ain gnugthuung erfordert, so volgt, wollen wir selig werden, das wir die sunde müssen puessen. Buessen ist aber nit die sund mit ainem werck vertreyben oder ablegen, als die unkeuschait mit wallen, den geitz mit vasten etc., sonder Christum in die lucken stossen, dan Christus ist der ainig, so das gesatz erfult und fur aller glawbigen sund gnug gethon hat". Siehe auch den Artikel vom Evangelium von Brenz in der Confessio Virtembergica, 145 f.: „ . . . so i s t . . . das Euangelion Christi... eine gute fröhliche Botschaft von dem Sohn Gottes, unserm Herrn Jesu Christo, daß er allein der Büßer unserer Sünd, der Versöhner Gottes Zorns, der Erlöser und Heiland sei. . . . Es ist aber gewißlich dafür zu halten, daß . . . das ewig Heil keinem Menschen, er seie gleich zur Zeit des alten oder zur Zeit des neuen Testaments, von wegen des Verdienste der Werk des Gsatz, sonder allein von wegen des Verdienste unsers Herrn Jesu Christi, durch den Glauben, gegeben werde." 265

Vgl. Brandy, a.a.O., 193f., 196f.

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Die Voraussetzungen

gehend bei. 266 Denn zum einen wird Gott primär als Empfänger der Genugtuungsleistung und nicht als Subjekt der Versöhnung gedacht, zum anderen kommt die in Erniedrigung und Erhöhung erbrachte Genugtuungsleistung Christi nur als ein den Menschen exklusiv vertretendes Verdienst in den Blick. Mit diesem Verständnis der Versöhnung kann Brenz zwar die von ihm in seiner frühen Theologie besonders betonte Vorstellung der Christusgemeinschaft 267 verbinden, indem er die Christusgemeinschaft als Partizipation an der wesentlichen Gerechtigkeit Christi im Ergreifen des Glaubens auslegt. Doch ist mit der Vorstellung vom Ergreifen der wesentlichen Gerechtigkeit Christi im Glauben noch nicht erklärt, inwiefern 266 Brecht, Theologie, 137.185, betont zwar, daß der Satisfaktionsgedanke bei Brenz nicht auftaucht, doch entspricht die Art und Weise, in der Brenz dem Leiden Christi sündentilgende Funktion zuschreibt, durchaus der Satisfaktionslehre Anselms. Das belegt auch der von Flacius 1553 unter dem Titel „Brentii und Osiandri meinung vom ampt Christi und der rechtfertigung des Sünders" herausgegebene Ausschnitt „aus der Marggravischen und Norimbergischen Ordnung anno 33. ausgangen / welche Oslander mit rat und beisein Brentii geschrieben hat", mit dem Flacius im osiandrischen Streit die ursprüngliche Übereinstimmung Oslanders mit Brenz demonstrieren wollte (so die Vorrede von Flacius). Man findet diese Schrift in einem Sammelband im Anschluß an die „Historia welcher gestalt sich die osiandrische schwermerey im Lande zu Preussen erhaben/ und wie dieselbige verhandelt ist/ mit allen actis/ beschrieben durch Joachim Mörlin . . . 1554". Der Auszug aus der Kirchenordnung beginnt mit einem Abschnitt „Vom Evangelio" (1 ff.), der zuerst von Gesetz und Evangelium, dann aber vor allem vom Mittler Christus handelt (3 ff.). Vom Mittler heißt es dort, er handele „erstlich mit Gott durch sein Leben, Leiden und Fürbitte, daß er seinen Zorn gegen uns ablassen, uns wieder in Gnaden annehmen und als seinen Kindern den heiligen Geist und das ewige Leben geben wolle. . . . Danach handelt er auch mit uns durch Predigt, Geist und Kreuz, daß wir solches glauben und durch den Glauben gerecht und zum ewigen Leben geschickt und tauglich werden. . . . Die erste Handlung des Mittlers mit Gott ist die, daß er erstlich leistet oder erlanget eine Gerechtigkeit. Gegen Gott handelt er also: zum ersten richtet all sein Leben in den Willen des Vaters, tut für uns, was wir zu tun schuldig waren und vermöchten es nicht.... Die andere Handlung des Mittlers mit Gott ist, daß er für die armen Sünder leidet. Zum andern so nimmt er auf sich alle unsere Sünde, trägt sie und leidet dafür alles, was wir damit verschuldet hätten, wie Johannes der Täufer zeugt und spricht . . . Die dritte Handlung mit Gott, daß er für die Sünder bittet. ... Summa und Beschluß solcher dreier Handlungen des Mittlers mit Gott. Also hat Christus unser Herr mit Gehorsam, Leiden und Bitten gegen Gott für uns gehandelt und uns versöhnt und ist dazu ein Herr über alles worden wie Paulus zu den Philippern am II. sagt . . . Daß der Mittler mit den Sündern durch das Evangelium handelt. So nun Christus unser Herr mit Gott dem Vater gehandelt und seinen Zorn gestillt hat, tut er wie ein getreuer Mittler, wendet sich zu uns herum und handelt nun auch mit uns auf daß er unsere Sünde und Gebrechtlichkeit hinwegnehme und derselben ein Ende mache und spricht zu seinen Aposteln: Mir ist alle Gewalt gegeben im Himmel und auf Erden, darum gehet hin und lehret alle Völker, predigt das Evangelium aller Kreatur und taufet sie im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes, wer glaubt und getauft wird, der wird selig, wer aber nicht glaubt, der wird verdammt werden, und lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe." (Nürnberger Kirchenordnung, 3-6; Übertragung von Vf.) 267

Vgl. Weber, a.a.O., 312ff.

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der Christ im Glauben an Christus extra se ein neues Sein bzw. eine neue Identität gewinnt. Dies wird erst verständlich, wenn man die Gerechtigkeit Christi, die sich der Glaubende zueigen macht, nicht nur als stellvertretendes Verdienst des aktiven und passiven Gehorsams auslegt, sondern als das in der Inkarnation des Sohnes und in seiner Erniedrigung und Erhöhung neu konstituierte und stellvertretend realisierte Gottesverhältnis des Menschen. Daß das Gottesverhältnis des Menschen, an dem für Luther die Existenz und die Identität des Menschen hängen, nicht nur repariert, sondern von Gott her neu konstituiert werden muß, und daß dies für den Menschen selbst nicht durch ein dem Menschen zuzurechnendes Verdienst geschehen kann, hat Luther klarer gesehen als Brenz. Im Unterschied zu Melanchthons Verbindung der Satisfaktionsvorstellung mit der forensisch-imputativen Rechtfertigungslehre erklärt Brenz nun allerdings die individuelle Vermittlung der durch die Satisfaktionsleistung Christi erschlossenen Sündenvergebung und Gerechtigkeit Christi nicht ausschließlich durch den Imputationsgedanken. 268 268 Dies zeigt sich in dem oben erwähnten Württemberger Responsum und auch in der Deklaration, vgl. dazu M. Stupperich, Lehrentscheidung, 174 f. Siehe außerdem den Catechismus von 1551, 286 ff. Daß der Imputationsgedanke in der frühen Theologie von Brenz keine Rolle spielt, zeigen die von Brecht, Theologie, 231, angeführten Zitate, die den ,ordo iustificationis' beschreiben. Auch in dem oben bereits zitierten Ausschnitt aus der Nürnberger Kirchenordnung von 1533 hat Brenz den Imputationsgedanken nicht durchgesetzt, wie die Beschreibung der Handlung des Mitders am Menschen zeigt: „Und durch solche schlechte, kurze und einfältige Predigt des Evangeliums richtet er wunderbar aus das Werk unserer Rechtfertigung, darum gleich wie wir von der Kraft und Wirkung des Gesetzes geredet haben, also wollen wir jetzt auch die vornehmste Kraft und Wirkung des Evangeliums anzeigen, denn es ist ja eine Kraft Gottes zum Heil all denen, die daran glauben. . . . Die erste Handlung des Mittlers mit den Menschen. Zum ersten gibt er uns die Vergebung der Sünden. Zum ersten bringt es uns Vergebung der Sünden und richtet dadurch in unsern Gewissen, die um der Sünde willen blöde und erschrocken sind, einen beständigen Frieden an, wie da die Engel zu Zeit der Geburt Christi in ihrem Lobgesang anzeigen und sprechen: Ehre sei Gott in der Höhe . . . Die andere Handlung. Zum anderen schenkt uns Christus seine erlangte oder geschehene und nicht die wesentliche Gerechtigkeit, davon oben im fünften Stück. Zum andern bringt es uns die Gerechtigkeit Christi und gibt uns dieselben eigen, daß wir uns derselben annehmen und trösten mögen, als die für uns geschehen und geschenkt ist, ja als hätten wirs selbst getan, wie Paulus bezeugt 1. Kor 1 . . . Phil 3 . . . Darum soll unser Gerechtigkeit gewiß sein, so muß sie auf einer anderen Gerechtigkeit stehen als auf der unseren, das ist denn die Gerechtigkeit Christi, so uns geschenkt ist, wie Paulus zeugt Röm 8: Gott hat seinen eigenen Sohn nicht verschont, sondern für uns alle dahingegeben, wie sollt er uns mit ihm nicht alles schenken. . . . Wenn wir aber durch den Glauben die Gerechtigkeit Christi ergreifen und dieselbe gegen Gottes Gericht setzen, so können wir ohne Furcht sein und alsdenn auch gegen den Menschen gerecht leben. Darum war vonnöten, daß uns Christus durch seine eigene Gerechtigkeit von dieser Sorge und Furcht erledigt wie zu den Hebräern im 2. Kap. geschrieben ist . . . Und an diesen zwei Hauptpunkten, nämlich an der Vergebung der Sünde und an dem Geschenk der Gerechtigkeit Christi durch den Glauben empfangen, ist die einige wahrhaftige Rechtfer-

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Die Voraussetzungen

Stattdessen betont er, daß der Glaubende in seinem Glauben nicht nur die Sündenvergebung ergreift, sondern an der Gerechtigkeit Christi Anteil gewinnt und darin von Gott für gerecht erachtet wird. 269 Insofern spielt bei Brenz die Christusgemeinschaft des Glaubens für die Rechtfertigung auch in seiner späten Theologie eine größere Rolle als für Melanchthon. Das zeigt nicht zuletzt seine Position in der Abendmahlsfrage. Wie sich aber göttliche Imputation der Gerechtigkeit Christi und die Anteilnahme an der wesentlichen Gerechtigkeit Christi im Glauben zueinander verhalten, ist von Brenz nicht geklärt worden. Auf diese Weise konnte die forensisch-imputative Sichtweise Melanchthons uneingeschränkt und gegenüber der Confessio Augustana und ihrer Apologie sogar noch verstärkt in die Konkordienformel eingehen.

5.

Zusammenfassung

Wie in diesem Kapitel gezeigt worden ist, hat die von den Lutheranern aus einsichtigen Gründen abgelehnte osiandrische Theologie entscheidend dazu beigetragen, daß die von Melanchthon ausgebildete forensisch-imputative Rechtfertigungslehre in die Konkordienformel aufgenommen worden ist und so die nachkonkordistische Theologie bestimmen konnte. Melanchthon selbst entwickelte die gegenüber der Confessio Augustana und der Apologie einseitige Deutung der Rechtfertigung als Sündenvergebung durch die Zurechnung der Gerechtigkeit Christi mit dem Anliegen, den Augustinismus des frühen Brenz auszuschließen und die Rechtfertigung von jedweder Mitwirkung oder vorauslaufenden Eigenleistung des Menschen freizuhalten. Das theologische Anliegen Melanchthons ist als solches zu würdigen und stimmt vollkommen mit dem Anliegen Luthers überein. Dennoch wird Melanchthons Auslegung der Rechtfertigung als Zurechnung des tigung und Gerechtigkeit gelegen, davon Paulus und alle Apostel predigen. Die ist auch allein gewiß beständig und ewig, als die Christus mit ihm gen Himmel geführet und zur Rechten Gottes wohl versichert hat. Denn daselbst kann sie weder angefochten noch gestürzt werden wie unsere eigene Gerechtigkeit hier auf Erden. Darum ist auch unser Leben mit Christo in Gott verborgen Kol 3 und dieweil wir uns sein und seiner Gerechtigkeit trösten, so ist auch unser Wandel im Himmel Phil 3. Denn wo unser Schatz ist, da ist auch unser Herz." (Nürnberger Kirchenordnung, 6-9; Übertragung in modernes Deutsch von Vf.) m Vgl. dazu die hauptsächlich von Brenz verfaßte Confessio Virtembergica, 141: „Dann der Mensch würdt Gott angenehm und vor Gott für gerecht geachtet allein von wegen des Sohns Gottes, unsers Herrn Jesu Christi, so er an ihn glaubt. So soll man auch sich vor Gottes Gericht auf kein Verdienst der Tugend, die wir haben, sonder allein auf den Verdienst unsers Herrn Jesu Christi, welcher Verdienst uns durch den Glauben als unser Eigentumb zugerechnet würdt, verlassen und vertrösten."

Zusammenfassung

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Verdienstes Christi auf dem Boden der Satisfaktionsvorstellung der Einsicht Luthers in das Versöhnungsgeschehen und die Rechtfertigung nicht gerecht. Daß es in der Rechtfertigung nicht nur um die Zurechnung des Verdienstes Christi, sondern um die Zurechnung der im Glauben gewonnenen neuen Existenz des Menschen in Christus geht, durch die die Anfechtung durch die vorfindliche Existenz unter den Bedingungen der Sünde überwunden wird, kommt in der Rechtfertigungstheologie Melanchthons nicht zum Tragen. Dies hängt mit seinem Verständnis der Versöhnung zusammen, weil er die Versöhnungstat Christi als Satisfaktionsleistung und damit als Bedingung der Möglichkeit für die Sündenvergebung und die Zurechnung der Gerechtigkeit deutet, während Luther die Versöhnung in umfassenderem Sinne als das Geschehen versteht, in dem Gott selbst durch die Inkarnation des Sohnes die Versöhnung des Menschen mit ihm ermöglicht, indem er sich in der Erniedrigung und Erhöhung des Sohnes der menschlichen Schwachheit annimmt, sie in Kreuz und Auferstehung überwindet und darin dem Menschen ein neues Gottesverhältnis in der Gemeinschaft mit Christus eröffnet. Die Sündenvergebung ist damit nicht allein von dem zurechenbaren Verdienst Christi, sondern von der durch die Präsenz Christi im Glauben konstitutierten Gemeinschaft mit Christus abhängig, die sich der Glaubende auch gegen seine vorfindliche Existenz als sein neues Sein in Christus zugerechnet wissen darf. Daß Luthers Verständnis der Versöhnung und der Rechtfertigung in der konkordistischen und der frühen nachkonkordistischen Theologie gegenüber den Formulierungen Melanchthons nur sehr begrenzt zum Zuge kommt, hängt nicht zuletzt wohl damit zusammen, daß er dieses nicht wie Melanchthon systematisch entfaltet hat. Für eine auf dem lutherischen Versöhnungsverständnis basierende Auseinandersetzung mit der Theologie Oslanders wäre damals eine eingehendere Reflexion auf das spezifische Versöhnungs- und Rechtfertigungsverständnis Luthers im Unterschied zu Melanchthon erforderlich gewesen. Eine solche Reflexion ist von Luther selbst in keiner Weise provoziert worden. Denn er hat keinen Widerspruch gegenüber der Versöhnungs- und Rechtfertigungslehre Melanchthons angemeldet, obwohl er eine gewisse Differenz empfunden hat, wie dies nicht zuletzt seine dem oben zitierten Brief von Melanchthon an Johannes Brenz beigefügte Erklärung zeigt. Schließlich hat es auch Johannes Brenz nicht vermocht, in der innerlutherischen Debatte um die Theologie Oslanders das lutherische Rechtfertigungsverständnis zur Geltung zu bringen, obwohl er Luthers Abendmahlslehre und Christologie und damit die an der Präsenz Christi orientierte lutherische Frömmigkeit fortschreibt. So kann das in der Konkordienformel festgeschriebene melanchthonische Rechtfertigungsverständnis die daran anschließende dogmatische Ausbildung der lutherischen Rechtfertigungs-

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Die Voraussetzungen

lehre ungehindert bestimmen. Dieser Vorgang wird entscheidend dadurch unterstützt, daß der führende Kopf der Gnesiolutheraner, Matthias Flacius Illyricus, die forensisch-imputative Rechtfertigungslehre Melanchthons übernimmt und durch eine eingehende Reflexion auf die Imputationsvorstellung ausdifferenziert.

KAPITEL II

Die Rechtfertigungslehre als Imputationstheorie bei Matthias Flacius Illyricus Die umfassende Ausbreitung und Verankerung der melanchthonischen Rechtfertigungslehre innerhalb der frühen lutherischen Dogmatik wird entscheidend dadurch begünstigt, „daß gerade die , echten' Lutheraner, die leidenschaftlichen Gegner des Philippismus Träger der Durchbildung der ,melanchthonischen' Verschiebung der Rechtfertigungslehre sind." 1 In diesem Zusammenhang gewinnt Matthias Illyricus Flacius, der brillianteste Kopf der sogenannten Gnesiolutheraner, motiviert durch den osiandrischen Streit, „seine Rolle als Bahnbrecher der Orthodoxie" 2 , indem er den Ansatz der melanchthonischen Rechtfertigungslehre aufgreift und entscheidend weiterentwickelt. Für die Rekonstruktion der Rechtfertigungslehre des Flacius sind neben seiner frühen Schrift über den Glauben von 15493 vor allem die Disputation über die christliche Gerechtigkeit 4 , in der er sich zum Schluß auch mit dem Rechtfertigungsverständnis des Tridentinums auseinandersetzt 5 , und die Clavis Scripturae Sacrae von 1567 heranzuziehen. In diesen Schriften analysiert Flacius zum einen den bei Melanchthon grundlegend gewordenen Imputationsbegriff. Zum anderen rekonstruiert er die Rechtfertigungslehre systematisch, indem er unter Rückgriff auf die aristotelische Distinktion der Ursachen in Material-, Formal-, Wirk- und Zielursache die Ursachen der Rechtfertigung bestimmt. 6 Die Anwendung dieser Methode auf die 1

Weber, Reformation 1/1, 112 f. Weber, Reformation 1/1, 113. 3 Vgl. Flacius Illyricus, Matthias, De voce et re fidei, contra pharisaicum hypocritarum fermentum, Cum praefatione Philippi Melanchthonis, Basel 1549, zitiert nach der Ausgabe Basel 1554 (De voce). 4 Sie findet sich in der Ausgabe der Schrift „De voce et re fidei" von 1563 unter dem Titel: De iusticia christiana, sive Iustificatione et nova obedientia, disputatio: multa accuratius aliis quibusdam explicans (De iustificatione). Zum Aufbau dieser Abhandlung vgl. die Einführung, а. а. O., 99. 5 Vgl. dazu Flacius, De iustificatione, 166-172. 6 Flacius, Clavis II, Traktat I, 35 f.: „Inter circumstantias, monui etiam causas esse considerandas: sed tarnen, tum quia sunt etiam causae internae, quae ad circumstantias nequaquam referri queunt; tum quia haec res inprimis maximi momenti est, ideo sciamus, verissime ab Aristotele saepius affirmari, rem tunc demum vere ac plene sciri, cum per causas examinatur & cognoscitur. . . . Expendantur ergo in rebus, quas in Sacris Uteris legimus, primum causae efficientes, materiales, formales, ac finales. Considerentur Sc 2

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Die Rechtfertigungslehre bei Matthias Flacius Illyricus

Rechtfertigungslehre begründet Flacius damit, daß der Rechtfertigungsartikel ohne dieses Hilfsmittel weder gegen Oslander noch gegen die Papisten rein verteidigt werden könne. 7 Die zuerst nur in der Rechtfertigungslehre vorgenommene Analyse der Ursachen erklärt Flacius in seinem Traktat über das Verstehen der Heiligen Schrift zu Beginn des zweiten Bandes seiner Clavis Scripturae Sacrae ausdrücklich zum hermeneutischen Hilfsmittel der Theologie insgesamt. Mit dieser Schrift, in der Flacius die hermeneutischen Grundlagen evangelischer Schrifttheologie entwickelt und die moderne Hermeneutik begründet, übt Flacius nachhaltigen Einfluß auf die weitere Entwicklung der Theologie des konfessionellen Zeitalters aus. Hier wird nicht nur das Verfahren der Ursachendifferenzierung als hermeneutisches Instrument eingeführt, sondern auch die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium als „der sicherste Schlüssel für die ganze Schrift"8 bestimmt

causarum subdistinctiones; quandoquidem variae sunt causae efficientes; variae etiam finales. Sunt quoque illarum ipsarum subdistinctarum causarum gradus; ut aliae sint magis, aliae minus primariae." 7 Flacius, Clavis II, 36: „Exemplo sit articulus Justificationis: qui sine causarum distinctione illustrari & prus defendi ac obtineri non potest, vel contra Osiandrum, vel contra Papistas. Sunt vero ejus causae diligenter recitatae & expositae, Rom. 3. Multi nunc Papistae, Oslander & nos, dicimus, Hominem per solum Christum justificari. Videmur ergo imperitis consentire. At contra maxima contentio est cum Papistis, primum de causa instrumentali; an sola fide apprehendamus justitiam? Secundo, cum Osiandro & Papistis, de causa materiali; quid id sit, quod nobis applicatum & quasi appositum, nos, ut proxima causa, efficiat justos? Nos dicimus, esse justitiam obedientiae ac passionis Christi: Papistae & Osiandristae contendunt, hanc esse remotiorem causam & veluti precium verae justitiae; sicut inquiebat Oslander. Dicere quidem quis posset, se esse Doctorem, 100. florenis, aut aliqua pecunia, vestitum, aut saturatum: sed oporteret intelligi, illam pecuniam esse tantum precium, quo sit alia quaepiam res comparata, qua nos vestivimus, saturavimus, ut pro Doctoribus censeamur. Dicit igitur Osiander: Sanguis aut passio Christi est precium, quo tibi emitur substantialis Filii D E I justitia: ea demum es justus. Papistae quoque consimiliter ajunt: Sanguis Christi est precium, quo tibi comparatur justitia bonarum qualitatum: quae cum tibi infunduntur, justus es. Ita est inter nos discrimen de causa materiali; seu de eo, quod adhibitum, ut proxima causa, nos justificat. Pugna quoque est cum eisdem, de causa formali justificationis. Nos dicimus, causam formalem esse, quod ilia materia justitiae ad nos per imputationem transfertur. At Osiandristae & Papistae dicunt, illam adhibitionem justitiae fieri, non rationali quadam imputatione; sed reali infusione. Quod vero dixi, Justitiam obedientiae ac passionis Christi esse causam materialem; rectissime dictum esse censeo: est enim id, quod ad nos certa ratione translatum, nos facit justos: sicut color praeparatus albedinis, aut albificationis parietas causa, materiaiis est; aut cibus ac potus; est causa materialis saturationis: aut ignis, causa materialis calefactionis; vel aqua, humectationis. Porro autem modus, quo ilia justitia nobis imputatur, applicatur, aut agglutinatur, est causa formalis justificationis. Ibi enim forma, modus, aut ratio, quo justificemur, continetur ac describitur. quod propter Coloniensium, cum Monhemio, contentionem de hac re, adjicere volui." Vgl. zur Distinktion der Ursachen in der Rechtfertigungslehre auch De iustificatione, 153 ff. 8 Flacius, Clavis II, De ratione, 21.

Der Imputationsbegriff

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und die Glaubensanalogie 9 als formales Interpretationsprinzip der Schrift festgeschrieben. Während sich diese beiden zuletzt genannten Grundregeln eng an Luther anschließen, geht die Lehre von der Verbalinspiration 10 , die Flacius als hermeneutische Bedingung für das Unternehmen der Clavis Scripturae Sacrae fungieren läßt, über die Aussagen Luthers deutlich hinaus. Im Unterschied zu Melanchthon hat Flacius sein Verständnis des christlichen Glaubens zwar nicht in theologischen Loci systematisch zusammengefaßt. Indem er aber das von ihm analysierte Verständnis der imputativen Rechtfertigung im Kontext der Heilsordnung darstellt und auf diese Weise den Zusammenhang der einzelnen Momente der individuellen Heilsvermittlung reflektiert, leistet er bereits wesentliche Vorarbeit für die konzeptionelle Weiterentwicklung der lutherischen Dogmatik. In materialer Hinsicht ist seine Rekonstruktion der Heils- bzw. Rechtfertigungsordnung dabei deshalb besonders aufschlußreich, weil er die dogmatischen Folgeprobleme, die sich bei der Entfaltung der imputativen Rechtfertigungslehre einstellen, präzise erkennt. Davon zeugen nicht zuletzt auch diejenigen Lösungsvorschläge des Flacius, die in der lutherischen Bekenntnistradition und Lehrbildung abgelehnt bzw. nicht rezipiert wurden, nämlich seine radikale Erbsündenlehre und seine empiristische Beschreibung der Glaubensgenese. Daher soll in diesem Kapitel die Position des Flacius als problemgeschichtlicher Ausgangspunkt für die weitere Entwicklung der Rechtfertigungslehre zur Darstellung kommen.

1. Der

Imputationsbegriff

In inhaltlicher Übereinstimmung mit Melanchthon bestimmt Flacius die Rechtfertigung als das Geschehen, in welchem Gott durch seine Gerechtigkeit dem Sünder das Verdienst Christi zurechnet, ihm seine Sünde vergibt und ihn für gerecht erklärt 11 , wobei er die Bestimmungsmomente 9

Flacius, Clavis II, De ratione, 46 ff. Siehe z.B. Flacius, Clavis II, De ratione, 16ff. Vgl. zur Ausbildung der Verbalinspirationslehre bei Flacius O. Ritsehl, Dogmengeschichte, Bd. 1, 142-152. Ritsehl hält Flacius für den „erste(n) Vertreter der Ansicht von der Verbalinspiration unter den lutherischen Theologen", so die Kapitelüberschrift a.a.O., 142. 11 Vgl. Flacius, De iustificatione, 137: „Iustificatio peccatoris est, actio Dei, qua ille quotidie, tanquam iudex pro tribunali sedens, Filii iusticiam ad credentes, seu fide thronum gratiae accedentes & misericordiam per & propter Christum quaerentes & implorantes, ob eius intercessionem transfert aut transscribit, rationali quidem aut imputativa tantum applicatione, sed tarnen potenti, vera ас efficaci. . . . Compendiosus & magis perspicue sie definiri posset: Iustificatio est, actio Dei, qua ille tanquam iudex iusiticiam filii omnibus 10

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Die Rechtfertigungslehre bei Matthias Flacius Illyricus

der Rechtfertigung, nämlich Imputation der Gerechtigkeit Christi, Sündenvergebung und Gerechterklärung, als sachlich identisch ansieht.12 Die Darstellung des Rechtfertigungsgeschehens 13 , die Flacius in den genannten Schriften vornimmt, basiert insgesamt auf der von Luther in der Freiheitsschrift als fröhlicher Wechsel beschriebenen Vorstellung vom Tausch zwischen der Gerechtigkeit Christi und der Ungerechtigkeit des Menschen als Sünder, den Flacius allerdings anders als Luther nicht als ein unmittelbar zwischen Christus und dem Glaubenden sich vollziehendes Geschehen versteht, sondern auf ein zweifaches Urteil göttlicher Imputation zurückführt. Die entscheidende Weiterentwicklung der melanchthonischen Rechtfertigungslehre bewirkt Flacius durch seine eingehende Analyse des Imputationsbegriffs. 14 Die Notwendigkeit dieser Analyse führt Flacius auf die Tatsache zurück, daß in der Schrift zum einen von der Zurechnung des Glaubens zur Gerechtigkeit die Rede sei, daß daneben aber in der

fide iuxta thronura gratiae per 8c propter Christum misericordiam quaerentibus, potenter applicat 8c imputat, sicut antea totius mundi iniusticiam potenter filio imputaverat, quae imputatio persolutionis Christi, est nostri debiti ablatio, seu nostri absolutio a culpa 8c poena, transferens nos in contraria bona gratiae, filiationis 8c haereditatis vitae aeternae." Siehe auch Flacius, Clavis II, Traktat VI, 574: „Hunc iustitia Dei, quasi victa expugnataque tanto merito justitiae Christi, peccatori illi per fidem imputato, cogitur (reddito debitorum chirographo, ut cruci affigatur) pronuntiare justum, ac vita aeterna dignum. Atque haec est proprie vera justificatio peccatoris". Vgl. auch ebd. 575. Siehe außerdem Clavis II, 569: „Justificari, cum re-vera significet, gratis a suis peccatis absolvi". Zur doppelten Wortbedeutung von ,iustificari' vgl. Clavis II, 227 f.: „dicendum est, quod Justificari potest accipi dupliciter. vel quantum ad exsequutionem justitiae 8c manifestationem 8c h o c m o d o justificatur homo, id est, justus ostenditur, ex operibus operatis vel quantum ad habitum justitiae infusum 8c hoc m o d o non justificatur quis ex operibus; cum habitus justitiae, qua h o m o justificatur apud Deum, non sit acquisitus; sed per gratiam fidei infusus." 12 Flacius, D e iustificatione, 164 f.: „Condonare inobedientiam legis est idem, ас imputare perfectissimam absolutissimamque obedientiam, quam lex exigebat, cum Deus nobis condonat inobedientiam, eodem plane loco nos habet, ac si semper legi perfectissime obedivissemus. Idem igitur est imputatio iusticiae, iustificatio 8c remissio peccatorum, non diversae res." 13 D a ß die Rechtfertigung als Vorgang bzw. Geschehen von der Gerechtigkeit zu unterscheiden sei, betont Flacius in de iustificatione, These 24, 118: „Differt porro iusticia a iustificatione, ut postea clarius apparebit, perinde ac medicamen a medicatione, aut colora coloratione. Iusticia enim rem ipsam, qua coram D e o iustificamur, aut supra nivem dealbamur, nempe obedientiam Mediatoris significat: sed iustificatio indicat eius ad nos applicationem, cum ilia nobis per verbum ac fidem imputat 8c in nos quasi transcribitur, nosque per earn iusti 8c accepti in iudicio Dei pronunciamur 8c habemur. Quatenus tarnen haec iusticia consideratur in applicatione ad nos, idem est cum remissione peccatorum, aut iustificatione". 14 Vgl. Flacius, D e iustificatione, Kapitel VII, 126-134. Dieses Kapitel findet sich noch vor der Definition der Rechtfertigung selbst. Aus dieser Stellung wird deutlich, daß nach Flacius die Rechtfertigungslehre nicht ohne die Reflexion auf den Imputationsbegriff durchgeführt werden kann. Siehe auch Clavis I, 4 2 0 - 4 4 4 , bes. die Tabelle а. а. O., 425 f.

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Theologie auch von der Zurechnung der Gerechtigkeit Christi gesprochen werde. 15 Hierbei ist interessant, daß Flacius exegetisch korrekt nur die Zurechnung des Glaubens zur Gerechtigkeit ausdrücklich auf die Schrift selbst zurückführt, während er die Zurechnung der Gerechtigkeit Christi zwar für schriftgemäß erklärt, sie aber sogenannten frommen Schriftstellern und nicht der Schrift selbst zuordnet 16 . Im Blick auf den Imputationsbegriff stellt er sodann fest, daß unter Imputation immer eine gedankliche Übertragung und keine essentielle Transfusion zu verstehen sei.17 Da aber die unterschiedlichen Aussagen über die Zurechnung des Glaubens und die Zurechnung der Gerechtigkeit nicht denselben Sachverhalt bezeichneten 18 , habe man von einer doppelten Verwendung des Imputationsbegriffs auszugehen19. Während es sich nämlich im Falle der Zurechnung des Glaubens zur Gerechtigkeit um eine reale Imputation handele, weil der Glaube anstelle der verlorenen Urstandsgerechtigkeit

15 Flacius, De iustificatione, 126: „Vocem imputare necesse est diligenter exponi, quandoquidem scriptura dicit nobis fidem imputari ad iusticiam: & pii scriptores secundum scripturas dicunt, etiam Christi iusticiam nobis imputari, ut sit nostra. De qua re, quoniam sub obscura est, pluribus modis dicam: si forte alii alia ratio plus lucis afferre, ac dubium explicare possit." 16 In ähnlicher Weise hat auch Georg Karg darauf hingewiesen, „daß er keinerlei Aussage der Heiligen Schrift ausmachen kann, die von der Zurechnung der Gerechtigkeit Christi redet, wobei er u. a. besonders auf Rom 4,6 verweist" (so H.-M. Weiss, Vom notwendigen Verstand der Lehre, 190). υ Flacius, De iustificatione, 126: „Imputatio igitur in genere videtur significare quandam translationem alicuius rei, sed non essentialem, verum tantum rationalem." Zur biblischen Bedeutung des Verbs ,imputare' vgl. Clavis I, 420-424 und bes. die Überblickstafel а. а. O., 426. Die Imputation sei bei Paulus und in der Genesis niemals als eine reale Transfusion, sondern als ein rationaler oder mentaler Vorgang verstanden, vgl. Clavis I, 424: „verbum Imputare, apud Paulum & in Genesi, cum vel Fides nobis imputari ad justitiam dicitur, vel Iustitia imputari, vel Peccatum etiam imputari, aut non imputari, nusquam significare aliquam realem transfusionem, effectionem, exhibitionem, aut communicationem illius rei, de qua agitur: ut vel justitiae, vel injustitiae: sed rationalem tantum, mentalem, aut consensus, cogitationis, aut voluntatis tractationem." Obwohl die Imputation keine reale Transfusion sei, kann Flacius in seiner Analyse des Wortsinnes von , imputare' in der Clavis zwischen einer essentiellen Imputation bzw. Zurechnung und einer Imputation im Denken unterscheiden. Zur Wortbedeutung und zum Sachgehalt des Imputationsbegriff siehe Clavis I, ebd. 425-444. 18

Flacius, De iustificatione, 126. Vgl. auch Clavis I, 422: „Certum porro est, plurimum differt Imputationen^ cum dicitur Fides nobis imputari ad justitiam; ab ea, cum dicitur meritum aut justitia Christi nobis imputari; ut sint nostra." 19 Vgl. dazu Flacius, De iustificatione, 127: „Duplex est imputatio: altera est realis, seu in re ipsa manens: altera personalis, seu in rei translatione ab alia persona ad aliam sita. In re aut realis imputatio est, cum res non vera, pro ipsa vera re, quae adesse debebat, suo quodam modo ab aliquibus habetur aut accipitur . . . Alias imputatio consistit in rerum vere ac solide bonarum, aut etiam malarum translatione ab alia persona ad aliam, quae ob hoc transportatio sit: sed tantum rationalis, decreti aut cogitationis pro vera translatione habetur, eius velocum supplet." Vgl. auch die Tabelle in: De iustificatione, 130.

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für die Gerechtigkeit gehalten und in diesem Sinne zugerechnet werde 20 , sei die Zurechnung der Gerechtigkeit Christi eine personale Imputation, weil hier etwas von einer Person auf eine andere übertragen werde 21 . Zum näheren Verständnis der Zurechnung des Glaubens zur Gerechtigkeit unterscheidet Flacius zwei Formen der realen Imputation. Bei der ersten Form handelt es sich nach Flacius um eine solche Zurechnung, bei der eine bestimmte Qualität wie ζ. B. Tugend oder Bildung zu einer bestimmten Einschätzung einer Person oder Sache führe und in diesem Sinne zugerechnet bzw. anerkannt werde. 22 Während solche Zurechnung auf einem angemessenen Urteil beruhe, könne die zweite Form der Zurechnung, bei der die zugerechnete Sache nur als bestmöglicher, aber doch nicht wirklich adäquater Ersatz gegenüber der eigentlich geforderten Sache angesehen werde, nur auf einem getrübten Urteilsvermögen oder aber auf Barmherzigkeit beruhen.23 Daß der Glaube im zweiten

20 Vgl. Flacius, D e iustificatione, 127 f., wo Flacius zwischen einer imputatio rei und einer imputatio pretii unterscheidet und die Zurechnung des Glaubens als imputatio pretii auslegt: „Vel etiam dicamus duplicem esse imputationem: primum Rei, deinde Pretii seu dignitatis. . . . Pretii vero imputatio est, cum rei pretium, dignitas aut valor ab alia re ad aliam ita transfertur, sola cogitatione, ut ilia in huius locum sua quadam ratione succedat, eius locum suppleat, aut pro ea eiusve loco habeatur: ut cum pro debito auro accipio foenum aut stramen, aut etiam solam condonationis debiti petitionem. Sic nobis fides ob precariam impetrationem gratuitae iusticiae, imputatur ad iusticiam, ut ex sequenti propositione patebit." Die Zurechnung des Glaubens zur Gerechtigkeit gilt dabei als reale Imputation bzw. als imputatio in re, „cum res non vera, pro ipsa vera re, quae adesse debebat, suo quodam modo ab aliquibus habetur aut accipitur . . . Hie imputatio est in ipsa re, cum scilicet non vera res, aut non verum bonum, quod requirebatur, pro vero accipitur, aut suo quodam modo locum preciumve eius supplet." (De iustificatione, 127 f.) 21 Flacius, De iustificatione, 126 f.: „Cum igitur iusticia aut meritum obedientia aut passio Christi nobis imputari dicitur, idem plane est, ac imputatione, ratione seu firma ac solida cogitatione & decreto (ut est Dei) a Christo in nos transferri: ut alterius solutio aut debitum in alteram transferri, seu in alteram transcribi, eique acceptum aut datum ferri solet. Hie igitur in imputatione obedientiae Christi (ut dixi) imputare est, aliquid ab aliquo in alium transcribe«, aut solo decreto transferre. Transfertur enim eius iusticia in nos, sicut antea fuit nostra iniustitia in eum transcripta." Die Zurechnung der Gerechtigkeit Christi gilt nach der Unterscheidung zwischen imputatio rei und imputatio pretii als imputatio rei, vgl. D e iustificatione, 127: „Rei quidem, cum res eadem ab alia persona ad aliam non realiter aut essentialiter, sed sola cogitatione aut ratione transfertur. Sic imputatur nobis Christi iustiticia & vicissim ei nostra iniustitia, commutatis duabus rebus inter duas personas sola rationali commutatione." Siehe auch Clavis I, 425. 22 Flacius, D e iustificatione, 128: „Atque hic iterum quaedam subdivisio est. Alias enim, res eiusdem bonitatis aut praesentiores pro aliis imputantur: ut si cui sit virtus aut eraditio, pro nobilitate, apud regem." 23 Flacius, De iustificatione, 128: „Alias contra, res nullius momenti pro vera re, eximioque bono, ob misericordiam aliquam, dispensationem, aut etiam stulticiam imputatoris imputatur: ut Romanis rubor ас verecundia Demetrii fuit pro innocentia regis Philippi patris: supplex deprecatio saepe fonti est, imputaturve pro innocentia: scita adulatio aulici saepe est regi loco eximiae virtutis, ut eum rex perinde complectatur ac si sit industrius,

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Sinne zur Gerechtigkeit zugerechnet werde, meint Flacius dabei nicht nur im Blick auf die in der Rechtfertigung offenbar werdende Barmherzigkeit Gottes betonen zu müssen, sondern auch, um auf diese Weise sicherzustellen, daß der Glaube nur insofern als Gerechtigkeit des Menschen angesehen wird, als er die fremde Gerechtigkeit Christi empfängt 24 , während er an sich selbst weder als Qualität noch als Tugend des Menschen zu werten sei.25 Insofern sei die Zurechnung des Glaubens zur Gerechtigkeit auch in keiner Weise als Gerechtmachung zu verstehen, wie Flacius unter Verweis auf den biblischen Wortsinn des hebräischen und griechischen Verbs, das mit iustificare übersetzt wird, mit Recht feststellt. 26 Schwierig ist nur, daß Flacius im Zuge seines Interesses, das Rechtfertigungsurteil Gottes in keiner Weise auf eine menschliche Leistung zu beziehen, die Zurechnung des Glaubens zur Gerechtigkeit in dem zweiten Sinne der Zurechnung deutet. Auf diese Weise wird der Glaube nicht als die adäquate Realisierung des Gottesverhältnisses zur Geltung gebracht, sondern als Ergreifen des Verdienstes Christi, dem nur deshalb Gerechtigkeit zugesprochen werden kann, weil die im Glauben ergriffene Gerechtigkeit Christi selbst die wahre Gerechtigkeit ist. Die reale Zurechnung des Glaubens zur Gerechtigkeit setzt mithin die Zurechnung der Gerechtigkeit Christi voraus. Indem Flacius von der realen Zurechnung des Glaubens zur Gerechtigkeit die personale Zurechnung der Gerechtigkeit Christi unterscheidet fidus 8c utilis minister. Sic divitiae pro virtute sunt, habentur aut imputantur multis: sie adulatio in communi vita pro fida amicitia multis est. Н а с ratione fides dicitur imputari ad iustitiam, quod externa quadam specie, aut saltern quod ad modum moremque loquendi, quoniam precario apprehendit veram iusticiam, locum eius utcunque suppleat, ut mox plenius dicitur." 24 Mit der entsprechenden Beschreibung des Glaubens als Ergreifen des Verdienstes Christi knüpft Flacius eng an Melanchthons Lehre vom Glauben an. Vgl. zum Glaubensbegriff von Flacius das dem Kapitel über den Imputationsbegriff vorangehende VI. Kapitel „De instrumentis iustificationis, praesertim de fide" in de iustificatione, 119-126, sowie das Kapitel IX „Multiplex declaratio & confirmatio modi aut rationis, quo Fides iustificationem apprehendit", а. а. O., 141-152. Siehe auch die Schrift „De voce et re fidei", zweiter Teil, 24 ff. in der Ausgabe von 1563. 25 Flacius, Clavis I, 429: „Fidem alicui imputari ad justitiam, Rom. 4. v. 5. proprie significat, esse illi loco justitiae: non, quia re ipsa sit justitia, aut ullo modo vicem justitiae subeat: sed tum, quia is ilia, veluti mendica quadam manu, acquirit alienam justitiam, sicut si quis precario, ac mendicando, alienam persolutionem impetraret, qua semet-ipsum liberaret ab illo quasi reatu aeris alieni, ac veluti justus liberque consisteret: tum, quia soli credentes habentur, censentur & pronuntiantur a Deo pro justis, ex dementi ipsius imputatione, ac misericordia; cum reipsa tales non sint." Vgl. auch Clavis I, 430. 26 Diese widerspräche auch dem Wortsinn von , iustificare' in der Hl. Schrift. Denn „iustificare" bezeichnet in der Schrift nirgends eine „realem aliquam [iusticiam; Vf.] hominis, aut malarum qualitatum in bonas commutationes . . . : sed tantum idem quod absolvere, habere pro innocente & iusto, tribuere aliquam alicui suo iudicio ac testimonio iusticiam." (De iustificatione, 118)

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und diese Form der Imputation in die spezifische Definition der Rechtfertigung einbezieht 27 , geht er über Melanchthons Ausführungen in der Confessio Augustana und in der Apologie hinaus. Denn Melanchthon hatte in dieser Phase seines rechtfertigungstheologischen Denkens, wie oben gezeigt worden ist, die Rechtfertigung als Zurechnung des die Gerechtigkeit Christi ergreifenden Glaubens zur Gerechtigkeit beschrieben. Wenn Flacius demgegenüber die Rechtfertigung in spezifischem Sinne als personale Übertragung der menschlichen Ungerechtigkeit auf Christus und als Zurechnung der Gerechtigkeit Christi vorstellt und also kurz als Sündenvergebung und Adoption in die Gotteskindschaft definiert28, knüpft er damit an die Aussageintention der späteren Schriften Melanchthons an. Dabei wird durch die Erklärung des Imputationsbegriffs sichergestellt, daß diese wechselseitige Übertragung menschlicher Ungerechtigkeit auf Christus und der Gerechtigkeit Christi auf die Menschen als Sünder wie bereits die Zurechnung des Glaubens zur Gerechtigkeit als gedanklicher Vorgang im Urteil Gottes zu verstehen ist.29 Den Anfragen von seiten der Philosophie und von Seiten des Tridentinums, ob eine solche Imputation nicht nur eine Fiktion sei, die keine Wirkung habe 30 , begegnet Flacius mit dem Verweis auf die schöpferische Macht des Wortes Gottes 31 , aufgrund derer die Zurechnung so zu ver-

27 Flacius, De iustificatione, 135: „Iustificatio peccatoris est actio Dei, qua ille quotidie, tanquam iudex pro tribunali sedens, Filii iusticiam ad credentes, seu fide thronum gratiae accedentes & misericordiam per 8c propter Christum quaerentes & implorantes, ob intercessionem transfert aut transscribit, rationali quidem aut imputativa tantum applicatione, sed tarnen potenti, vera ас efficaci. Sicut contra, antea potenter & efficaciter totius mundi peccata Filio imputaverat. Quae translatio Sc. imputatio iustitiae filii, et credentium peccati, debiti aut iniustitiae condonatio, aut non imputatio, seu ipsorum absolutio ab omni peccato, reatu ac poena, ita ut pro vere iustis coram illo iusto ac vivente Deo habeantur." In ähnlicher Weise schreibt Flacius in Clavis I, 430, die Imputation der Gerechtigkeit könne in zweifacher Hinsicht beschrieben werden, nämlich hinsichtlich des Grundes und hinsichtlich der Wirkung. Der eigentliche Grund unserer Gerechtigkeit sei darin gegeben, daß Christi Gerechtigkeit uns überschrieben werde, während Christus unsere Ungerechtigkeit zugeschrieben werde. 28

Vgl. die Definition der Rechtfertigung in: De iustificatione, 118.135. Flacius macht dies als erstes von „tres proprietates utriusque imputationis" geltend, die für das Verständnis der Rechtfertigung als Zurechnung der Gerechtigkeit Christi grundlegend sind, vgl. Flacius, De iustificatione, 138 f.: „Primum enim, sicut nostra peccata aut iniusticia in Christum nequaquam re ipsa, sed tantum imputatione translata est: sie etiam vicissim eius iusticia obedientiae ac passionis, sola est ratione aut imputatione in nos transscripta, non etiam reali aut essentiali transportatione in nos transfusa." 30 Vgl. dazu z.B. Flacius, De iustificatione, 137 f. Wie dort so warnt Flacius auch in Clavis I, 444 davor, die Zurechnung Gottes „ex humanae imputationis vanitate" zu verstehen. 31 Flacius, De iustificatione, 137: „Sed pii contra opponant verbum Dei, id diserte asserens, ac mirifice extollens & depraedicans, eique multo magis quam humanae rationis absurditatibus credant." 29

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stehen sei, als habe Christus selbst unsere Ungerechtigkeit begangen und als sei die Welt gehorsam gewesen. 32 Diese Macht des göttlichen Wortes gründe, wie Flacius in der Clavis betont, in der Gottheit Gottes, der als der Schöpfer der Welt im Unterschied zu weltlichen Monarchen allein das Recht habe, seinem unschuldigen Sohn die Ungerechtigkeit der Welt durch Imputation zu übertragen und dagegen den Sündern durch Imputation den Gehorsam und die Gerechtigkeit seines geliebten Sohnes zu schenken.33 Die reale Wirkung der doppelten Imputation manifestiere sich außerdem in der realen Permutation zwischen Christus als dem Mittler und dem Menschen, in der Christus unsere Strafe und unseren Tod übernehme und der Mensch dafür das Leben erlange.34 Flacius

32 Flacius, De iustificatione, 139: „Deinde, sicut nostra iniustitia adeo est potenter ac efficaciter Christo imputata & propria effecta, ac si eam omnem ipsemet perpetrasset, Rom. 8. 2 Cor. 5. Esa. 53. sie vicissim tarn potenter & solide est nobis illius iusticia imputata, adscripta & penitus appropriata, ac si ipsimet ita puri mundique ac obedientes fuissemus, tantamque passionem sustinuissemus. Denique sicut illa imputatio nostrae Christo imputatae iniusticiae non quiddam leve, ioculare aut umbratile, aut denique fictum fuit, sed tarn grande & grave onus, ut eum usque ad inferos deprimeret: ita vicissim eius quoque iusticia a Deo efficacissime nobis imputatur, adeoque nobis fruetuosa ac salutaris fit, ut nos ab imis inferis usque in coelum attollat & inter filios Dei ас haeredes aeternae vitae sistat & considere faciat." 33 Flacius, Clavis I, 444: „Ratio hujus diversitatis, cur humana imputatio justitiae, aut non-imputatio injustitiae, adeo nihil; divina vero plurimum, aut potius infinitum valeat, ea est: quia ipse est Dominus, ac creator coeli & terrae, solusque habet tum jus, tum & omnipotentem, efficaciam, potentissime remittendi condonandique peccata, seu non imputandi injustitiam; imputandi adscribendique nostram injustitiam Filio suo & vicissim Filii sui justitiam nobis." Vgl. weiter Clavis I, 444: „solum Deum habere jus, vere ac potenter, tum condonandi, seu non imputandi alicui suam realissimam injustitiam, praesertim autem dilectissimi Filii sui, per imputationem longe efficacissimam, nos peccatores injustissimosque praepotenter transferendi; nobisque praemia aeternae gloriae, suo Filio debita, adscribendi & largiendi." Siehe auch Clavis I, 443: „Nullus, quantumvis magnus Monarcha, habet jus, imputandi latronis alieujus facinora ac poenas, suo innocentissimo filio: vel contra, innocentiam, obedientiam ac justitiam, praemiaque sui dilectissimi optimique filii, per imputationem transferendi in aliquem latronem, piratam, aut grassatorem; eique insuper adoptionem & haereditatem filio debitam, tradendi. At solus Deus habet, sumitque sibi id jus, liberrime ac potentissime; idque nova quadam ac plane ineffabili dispensatione: ut totius Mundi, omniumque Mortalium, scelera ac injustitiam, in Filium suum, per imputationem transferat; eumque non tantum reatu, sed & omnibus longe tristissimis poenis, a toto genere humano praestandis, oneret; & contra, ut sui dilectissimi Filii obedientiam justitiamve, scelestissimis peccatoribus, per imputationem donet; eosque in filios reeipiat; & tandem amplissimis praemiis aeternae gloriae, debitis justitiae Filii sui, ornet ac beet." 34 Siehe Flacius, De iustificatione, 139: „Mirabile porro & observatum dignissimum illud quoque est, quod cum sint quatuor quaedam res inter nos & mediatorem commutatae, nempe, iusticia & iniusticia, vita 6c mors: duae quidem priores sola imputatione, alterae vero duae reali commutatione sunt translatae. Nam iniusticia quidem nostra in Christum & vicissim eius iusticia in nos tantum imputative translata est: sed contra tum nostra Poena aut Mors in Christum, tum Christi in nos premium aut Vita reipsa prorsus & non imputatione sola est tradueta". Vgl. auch die Tabelle a . a . O . , 140.

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beschreibt also die Rechtfertigung nicht nur hinsichtlich ihrer Ursache, die in der doppelten Imputation besteht, sondern auch hinsichtlich ihrer realen Wirkung für den Menschen. Im Blick auf diese Definition der Rechtfertigung als doppelte Zurechnung bei Flacius hat Hans Emil Weber dennoch mit Recht festgestellt, daß hier „die Rechtfertigung in die Transzendenz rückt als Gottesakt, der im Verborgenen bleibt".35

2. Die Genese des Glaubensaktes Die Deutung der Rechtfertigung als Nichtanrechnung der Sünde und als Imputation der Gerechtigkeit Christi wirft die Frage auf, wie das Rechtfertigungsurteil Gottes die Wirklichkeit des gefallenen Menschen neu bestimmen kann, wenn es als Urteil der Wirklichkeit des Menschen äußerlich bleibt und keine unmittelbare innere Veränderung der menschlichen Wirklichkeit bewirkt. Zur Beantwortung dieser Frage sah sich Flacius keineswegs nur angesichts der tridentinischen und der osiandrischen Kritik an der imputativen Rechtfertigungslehre veranlaßt. Vielmehr entsprach es ganz und gar seinem eigenen Anliegen, die subjektive Wirkung der Rechtfertigung bestimmen zu können, um die allwirksame Schöpferkraft des göttlichen Wortes herauszustellen und auf diese Weise dem reformatorischen Interesse an der Heilsgewißheit nachzukommen. Der Ansatz zur Beschreibung des Zusammenhangs zwischen dem objektiven Rechtfertigungsurteil Gottes und seiner subjektiven Vermittlung und Wirkung findet sich in der Disputation über die christliche Gerechtigkeit, wo Flacius im Anschluß an die Erörterung des Imputationsgedankens und die Wesensbeschreibung der Rechtfertigung den Akt der Rechtfertigung in den Kontext des gesamten Vorgangs der Rettung des Menschen einordnet und von einer Ordnung der Rechtfertigung und des Heils spricht.36 Als das erste Moment dieser Ordnung benennt er die wahre Reue, die Gott im Menschen dadurch hervorbringe, daß er ihn mit der Sünde, seinem Zorn und der ewigen Verdammnis konfrontiere. 37 Danach bewirke Gott durch die Verheißung des Evangeliums im reuigen Herzen 35

So Weber, Reformation 1/1, 114. Vgl. die auf die Definition der Rechtfertigung folgende These 37 innerhalb des Kapitels über die Rechtfertigung, De iustificatione, 136: „Ordo quoque iustificationis, totiusque salvationis, diligenter considerandus est." Zum Schluß der Beschreibung der einzelnen Momente heißt es a.a.O., 137 zusammenfassend: „Hic est ordo iustificationis, quem alii aliter invertunt . . . " 37 Flacius, De iustificatione, 136: „Primum igitur Deus ostensa homini ingratitudine peccati, irae suae Sc. aeternae damnationis, efficit in eo veram contritionem, aut de se suisque viribus desperationem, confringens eum malleo legis cominuentis petras 8c efficaci operatione sua." 36

Die Genese des Glaubensaktes

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den Glauben, in welchem der Mensch die Zusage der Gnade erkenne, sie durch und wegen Christus erstrebe und ihr schließlich voll und ganz zustimme.38 Reue und Glaube, welche nach Flacius gemeinsam die Buße oder Bekehrung39 ausmachen40, werden ihrerseits als unmittelbare Voraussetzung der Rechtfertigung geltend gemacht. Flacius bestimmt sie als drittes Moment der Heilsordnung 41 , wobei er später im Dialog mit Victorin Strigel betont, daß die Buße der Rechtfertigung nicht als eine vom Menschen zu leistende Voraussetzung vorausgehe. 42 Als das vierte und letzte Moment der Heilsordnung benennt Flacius schließlich die Gabe des Heiligen Geistes und die Erneuerung43, die er zusammen mit dem Begriff der Wiedergeburt an späterer Stelle ausdrücklich von der der Rechtfertigung vorangehenden Buße unterscheidet44. Der Begriff der Rechtfertigung bezeichnet bei Flacius also zum einen in der Rede von der Rechtfertigungsordnung das gesamte Geschehen der individuellen Heilsvermittlung, zum anderen wird er in spezifischem Sinne durch Sündenvergebung und Adoption bestimmt und von den anderen Momenten der Heilsordnung unterschieden.

38 Flacius, D e iustificatione, 136: „ D e i n d e promissione Evangelii ac spiritu suo excitat ac gignit fidem in c o r d e contriti, u t & intelligat promissionem gratiae Sc earn per & p r o p t e r C h r i s t u m expetat & denique ei pleno assensu assentiatur." 39 D e iustificatione, 174, T h e s e 9 spricht Flacius von „Conversionem aut poenitentiam". Vgl. z u m Begriff d e r poenitentia auch Clavis I, 9 2 6 - 9 3 1 . 40 Flacius, D e iustificatione, 173, P u n k t 4: „Poenitentia t a n t u m d u o s b o n o s m o t u s c o m plectitur, nempe contritionem & fidem". 41 Flacius, D e iustificatione, 136 f.: „Tertio, p o s t excitatam fidem, quae t h r o n u m gratiae p r a e c e d e n t e M e d i a t o r e accedit, ac gratuitam peccatorum c o n d o n a t i o n e m seu iusticia quaerit & nanciscitur, D e u s p e r & p r o p t e r m e d i a t o r e m absoluit aut iustificat p e c c a t o r e m ab omnibus eius peccatis: simulque eum a d o p t a t sibi in filium & ad a e t e r n a m vitam d e p u t a t . " 42 Flacius, Clavis I, 929: „ C u m enim poenitentia necessario justificationem p r a e c e d a t : h a c ratione b o n a o p e r a , aut n o s t r a nova obedientia, in articulum Justificationis inseritur." 43 Flacius, D e iustificatione, 137: „ Q u a r t o , p o s t h o c iustificationis beneficium est iam alterum, n e m p e d o n a t i o Spiritus sancti & renovatio hominis, ut iam d o n a t u s spiritu & novis virtutibus, incipiat D e o obedire & p r o x i m u m diligere, atque ita etiam novae obedientiae iusticiam habere." In ähnlicher Weise beschreibt Flacius z u s a m m e n mit Simon M u s ä u s G o t t e s H e i l s h a n d e l n am M e n s c h e n in d e n d e r D i s p u t a t i o n mit Strigel vorausgeschickten P r o p o s i t i o n e n ü b e r d e n freien Willen. Vgl. P r o p o s t i o n e s D . Simon. M u s a e i et M. Fl. Illyrici c o n t r a Victorinum, in h o c a n n o f e r m e integro ante disputationem, d e Principis m a n d a t o , p r o p o s i t a e , u t d e eis publice disputetur . . . , in: D i s p u t a t i o , 1 f.: „Solus D e u s immensa misericordia, per v e r b u m , s a c r a m e n t a & Spiritum S. convertit h o m i n e m , trahit, illuminat, d o n a t f i d e m , iustificat, renovat & ad b o n a opera condit: seu labefactata & mortificata illa f o e d a Satanae imagine, suam d e n u o in nobis c o n d i t ac r e f o r m a t , c o r lapideum ac a d a m a n tinum excindit: ac novum, inscripta ei sua lege a u t imagine condit, n o n solum n o n c o o p e r a n t e ex se naturali, carnali, aut A d a m i c o Libero arbitrio, sed etiam c o n t r a f u r e n t e ac f r e m e n t e . G r a t i a Dei sum quiquid sum. 1. C o r . 15." 44

Vgl. Flacius, D e iustificatione, 172 ff., T h e s e 77.

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Durch die Einordnung der Rechtfertigung als Imputation der Gerechtigkeit in die von Gott durch Konstitution des Sündenbewußtseins initiierte individuelle Heilsvermittlung bringt Flacius die heilsame Wirkung der Rechtfertigung als Befreiung45 aus dem durch Knechtschaft bestimmten Stand des gefallenen Menschen zur Geltung. 46 Die Rechtfertigung bewirke nämlich durch die Zurechnung der Gerechtigkeit Christi und die Vergebung der Sünde die Befreiung von Ungerechtigkeit und Sünde, damit auch von Tod und Strafe und schließlich von der Notwendigkeit menschlicher Selbstrechtfertigung durch Werke. Auf diese Weise wird nach Flacius die ursprüngliche Freiheit des Urstandes, die er als Freiheit von Ungerechtigkeit, Strafe und Werkgerechtigkeit bestimmt47, wiederhergestellt. Indem die Rechtfertigung die Erneuerung nach sich ziehe, beginne dieser Vorgang bereits in diesem Leben, werde aber erst im anderen Leben vollendet. 48 Wie bereits angedeutet, benennt Flacius in seiner Darstellung der individuellen Heilsvermittlung die aus der Sündenerkenntnis resultierende Reue und den durch die anschließende Verkündigung des Evangeliums gewirkten Glauben an die göttliche Verheißung als Voraussetzungen der Rechtfertigung im engeren Sinne49, während die Gabe des Geistes und die Erneuerung der Sündenvergebung und Adoption in die Gottes kind45 Vgl. dazu auch Flacius, Clavis I, 444: „verissimum profecto est, eosdem revera coram Deo, adeo reali sua injustitia, per imputationem, liberos esse; & contra imputativa justitia Christi justificatos, ornatosque, ut multo sint mundiores justioresque, quam ipsemet Simon Pharisaeus, . . . " 46 Vgl. die Tabelle in: De iustificatione, 116. Siehe auch die Beschreibung des Sündenfalls und seiner Folgen a . a . O . , 105. 47 Vgl. Flacius, De iustificatione, 104 und die Tabelle 116. 48 Vgl. Flacius, De iustificatione, 116 unten und bes. а. а. О., 114 f.: „Nec tarnen negamus illam Bernhardi & quorundam aliorum distinctionem triplicis libertatis, servitutis Sc liberationis, nempe culpae, poenae Sc necessitatis agendi. Nam ob lapsum Adae primum sumus facti iniusti, rei suae abstricti, aut contaminati tristissima ac multiplici culpa. Deinde, sumus addicti poenis huius Sc futurae vitae. Tertio, amissa übertäte agendi, secuta est tristis necessitas peccandi. Invaluit enim tyrannis satanae supra nos, eiusque pestilentissimum venenum nobis est infusum, seu imago ipsius cordi nostro essentialiter impressa aut informata, mutato corde spirituali in lapideum aut adamantinum: ut iam simus eius mancipia, captiva ad eius libitum Sc vincta duplici valdidissimaque catena, nempe interna corruptione totius substantiae & externa eius efficaci potentia. Α prima igitur & secunda Servitute, id est, a culpa Sc poena liberamur per iustificationem: Sc cum illis duabus primis liberationibus aut redemptionibus, a Servitute culpae Sc poenae, convenit iustificatio, quam sequitur realis aeternae vitae exhibitio. Ab ultima porro Servitute, nempe inhabitantis Sc regnantis peccati & satanae, liberamur per spiritum renovantem nos & perpetuum Dei auxilium nos a tentatione satanae liberans. Convenit igitur iustificatio quidem cum duabus primis liberationibus aut redemptionibus: renovatio vero cum tertia, cum cor novum ас spirituale exciso lapideo nobis ingeneratur, et satanae potentia in nos reprimitur." 49

So auch Weber, Reformation 1/1, 115: „Die erste Rechtfertigung hat zur Voraussetzung den Glauben, mit ihm die ernsthafte Buße."

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schaft folgen. Dabei signalisieren die zeitlichen Präpositionen, die Flacius bei der Beschreibung dieser verschiedenen Momente der Errettung des Menschen verwendet, daß er den Vorgang der Heilsvermittlung und -aneignung als empirisches Bekehrungs- und Befreiungserlebnis darstellen möchte. 50 Dem entspricht auch die Entfaltung des Glaubensbegriffs in der Schrift über den Glauben, die Flacius zuerst 1549 veröffentlichte. 51 Diese Schrift dient nach Flacius' Auskunft im Vorwort dem Nachweis, daß der Glaube das einzige Instrument ist, durch welches wir die Barmherzigkeit Gottes und alle anderen Güter ergreifen.52 Unter Rekurs auf die exegetische Untersuchung des biblischen Glaubensbegriffs, die Flacius im ersten Teil der Schrift vornimmt 53 , beschreibt er im zweiten Teil der Schrift das Wesen des Glaubens in Auseinandersetzung mit dem tridentinischen Glaubensbegriff 54 , um dann im dritten Teil die These auszuführen, daß wir allein durch den Glauben gerechtfertigt werden 55 . Im Anschluß an die biblische Bedeutung bestimmt Flacius im zweiten Teil die mit Zustimmung verbundene Kenntnisnahme56 und das Vertrauen als die beiden Teile des Glaubens 57 , konzentriert sich dann aber auf die Form des Glaubens, die er durch sechs seelische Bewegungen erklärt58.

50 Vgl. Flacius, De iustificatione, 136 f.: „Primum igitur Deus ostensa homini in gratitudine peccati . . . Deinde promissione Evangelii . . . Tertio, post excitatam fidem . . . Quarto, post hoc iustificationis beneficium . . . " 51 Vgl. Matthias Flacius Illyricus, De voce et re fidei, contra pharisaicum hypocritarum fermentum, Cum praefatione Philippi Melanchthonis, Basel 1549. Im folgenden wird die Ausgabe von 1563 zitiert. 52 Flacius, De voce, praefatio, 1: „De Fide, quae, teste Scriptura, est unicum instrument tum, quo Dei misericordiam, aliaque omnia bona apprehendimus, magna fuit procul dubio ac plane praecipua inde a condito orbe terrarum inter hypocritas & vere pios dissensio, quod etiam Scriptura indicat .. 53 Vgl. Flacius, De voce, 5-24. 54 Vgl. Flacius, De voce, 24-53. 55 Vgl. Flacius, De voce, 53-98. 56 Flacius macht gegen den antiken Bedeutungshorizont von notitia in de voce, 25 geltend: „sed voco noticiam cum assensu coniunctam, qua & novimus doctrinam de Deo & veram esse statuimus. Nam profecto qui de re qua piam, vera sit пес ne dubitat, scire earn certo поп dicitur. Omnis enim firma noticia habet in se certum assensum. Quod moneo поп propter hunc locum tantum, sed & propter alios, ne quis aliter me hoc vocabulo, praesertim in hac enumeratione partium uti existimeL" 57 Flacius, De voce, 24. 58 Flacius, De voce, 24 f.: „Formam tamen, ipsam naturam fidei haud paulo dilucidiorem fore arbitramur, si aliqanto diligentius, veluti exaction quadam anatomia partes eius pervestigentur, ac recenseantur: singulique motus seu partes in ea existentes separatim ordine quo se mutuo consequuntur, excutiantur." In der Clavis bestimmt Flacius den Glauben als den Affekt oder als diejenige konstante Bewegung der Seele, die mit Gott durch den Mittler über die Versöhnung handelt, vgl. Clavis II, 656: „Fides autem, affectum aut constantem motum animi, cum Deo per Mediatorem de reconciliatione agentem, significat."

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Als erste dieser Bewegungen nennt Flacius die durch das Gesetz vermittelte Erkenntnis Gottes, seines Willens und der Korruption der menschlichen Natur. 59 Dieses durch das Gesetz erschlossene Bewußtsein der Sünde führe unter dem Eindruck des göttlichen Zornes und der Sorge vor ewiger Verdammnis zu seelischer Zerknirschung und Reue als der zweiten Bewegung des Glaubens.60 Ihr folge die Aufrichtung durch das Evangelium61, welche das Streben nach Sündenvergebung und die Hoffnung auf Gottes Barmherzigkeit als dritte Bewegung des Glaubens erzeuge 62 . Entscheidend ist die daran anknüpfende vierte Bewegung des Glaubens, welche darin bestehe, daß die im Evangelium erkannte Sündenvergebung und Barmherzigkeit Gottes anerkannt und im Gebet erfleht werde. 63 Ohne die entsprechende im Gebet ausgedrückte innere Regung gebe es, wie Flacius unter Berufung auf Melanchthons Beschreibung des Glaubens als Begehren und Empfangen der Wohltaten Christi dartut64, keine feste Zustimmung, kein Vertrauen und mithin auch keine Beruhigung des Herzens. 65 Entsprechend benennt Flacius als fünfte Regung des Glaubens die durch den Zuspruch der Erhörung im Gebet sich einstellende spezielle Zustimmung im Sinne der individuellen Aneig-

59 Flacius, De voce, 25: „PRIMUM igitur est in fide . . . legalis cognitio Dei, ас eius voluntatis, nostraeque naturae corruptissimae, ас ob peccata aeternae morti subiectae." 60 Flacius, De voce, 25: „DEINDE ea cognitio, si vera ас viva est, generat horribiles pavores in corde ex aspectu irae Dei, contra nos ob nostra peccata iustissimae. H a n c secundam partem Scriptura & theologi Heabraica metaphora appellant contritionem, propterea quod aspectus irati Dei, proprie turpitudinis & expectatio aeternae damnationis non aliter cor animumque miseri peccatoris stangat, prosternat, contundat, ас pene in nihilum redigat, quam si magnitudinem quampiam corpoream . . . confringas, conteras . . . " Diese ersten beiden Regungen nennt Flacius später „gesetzlich" und unterscheidet sie von den folgenden vier „evangelischen" Regungen, vgl. de voce, 49: „etsi omnes hie motus in fide necessario concurrunt, rectissimeque fidei nomine denotantur, sicut hactenus declaravimus: tarnen observandum est, permultum differre duos priores motus, qui recte legales dici possunt, a quatuor posterioribus, qui Evangelici recte dicentur. Nam per priores illos duos iusta ira Dei de coelo patefit & miseros peccatores confringit, conterit, interficit, ac usque in tartara protrudit, omnesque in universum sub peccatum conclusos aeternae damnationis reos esse convincit." 61 Flacius, De voce, 27: „TERTIO, debet legalem illam cognitionem contritionemque cognitio Evangelii sequi, velut oleum quoddam a Samaritano in vulnus infusum, molliens ac sanans ea quae prius vini legem significantis asperitas arroserat, ac purgarat." 62 Flacius, De voce, 28. 63 Flacius, De voce, 28: „QUARTO, ea Evangelii cognitio, si vera ас viva est, sique Spiritui sancto per eam efficaci assentimur, generat in nobis magnam quandam agniti boni, nobisque summe necessarii, nempe remissionis peccatorum, misericordiae Dei, vitaeque aeternae appetitionem: in qua appetitione aut gemitu cordis etiam oratio recte includitur. Est enim oratio eadem illa appetitio in actum quendam deducta, Deoque proposita." 64 Flacius, De voce, 29. 65 Flacius, De voce, 28: „Nec potest sine hoc motu, id est sine desiderio ac petitione agniti per Evangelium boni, fieri vel firmus assensus, vel fiducia seu quietato cordis."

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nung 66 , aus der als die sechste Regung des Glaubens das feste Vertrauen in Gottes Gnade folge 67 . Wo der Glaube in dieser Weise hervorgebracht ist, hat sich nach Flacius nicht nur die Aneignung der Rechtfertigung durch den Glauben vollzogen 68 , sondern ebenso auch die Wiedergeburt.69 Während aber der rechtfertigende Glaube nach der Darstellung von Flacius mit der Erkenntnis der im Evangelium zugesprochenen Sündenvergebung und Barmherzigkeit anhebt und sich im Gebet, in der speziellen Zustimmung

66 Flacius, D e voce, 29: „QUINTO, cum inter o r a n d u m promissiones Dei serio cogitamus (sicut omnem vere orantem facere plane necesse est) ac quasi audimus D e u m nobis respondentem, Quicquid petis in nomine mediatoris, contingit tibi . . . Atque ob hos duos motus potissimum, nempe quartum & quintum, Christus cum docet orare, simul quoque multa de patris coelestis benignitate disserit, ut scilicet & invitet nos ad expetenda illa bona, petendaque: Sc ut in petitionibus illarum promissionum, cogitatione facilius statuere possimus nos exauditos esse." Zum Unterschied zwischen der dritten und d e r f ü n f t e n Regung des Glaubens vgl. de voce, 31: „Observare autem oportet discrimen huius quinti Sc superius positi tertii motus. N a m etsi uterque noticia quemdam Evangelicem promissionis videri potest (in utroque enim assentimur Deo, suam misericordiam per Christum promittenti) tarnen in hoc motu firmius assentimur quam in tertio, nobisque magis privatim promissionem attribuimus quam in superiore, ubi magis in genere promissioni utcunque assensi sumus, quod scilicet Deus omnibus poenitentibus velit esse misericors." 67 Flacius, D e voce, 31: „SEXTO, ex eo assensu, quo certo statuit contritus peccator suam orationem, qua remissionem peccatorum p r o p t e r Christum Sc misericordiam Dei flagitavit, exauditam & D e o acceptam esse, sequitur quaedam firma fiducia in iam placatum faventemque D e u m . . . " Vgl. auch D e iustificatione, 120: „Et postremo, dum inter expet e n d u m & gemendum, a Spiritus sancti misericordia, omnipotentiaque Dei ас veritate eius verbi convicti persuasi, nobis quoque oblata p e r promissionem bona contingere, vero specialique assensu fiduciaque statuimus & adiecto AMEN, veluti sigilo, gemitus nostros, quod apud D e u m rati ас comprobati sint, confirmamus." 68

Vgl. neben de voce, 31 auch die Beschreibung, wie der Glaube rechtfertigt, in D e iustificatione, 141 f.: „ H o c ergo m o d o fides iustificat. Primum, post contritionem peccator laborans & ornatus, esuriens sitiensque, fretus ac impulsus m a n d a t o Sc promissione Dei, confugit ad t h r o n u m gratiae. Deinde cernens suam h o r r e n d a m calamitatem, fide quaerit a D e o misericordiam & condonationem per Sc p r o p t e r filium, proponens ei illum tanquam suum satisfactorem, mediatorem Sc iam una secum orantem & intercedentem: proponens etiam veritatem promissionum, ac misericordiam ipsius patris. Denique inter gemendum Sc cum D e o agendum peccator aut fides sustentans se veritate promissionum Sc merito intercessioneque filii, ac misericordia Dei: adiuvanteque earn spriritu sancto (qui eam Sc accendit) crescens ac invalescens & veluti responsum ab exorato iam D e o p e r spiritum testimonium nobis dantem Sc Abba pater clamantem accipiens, concludit pleno assensu, dicens: Amen, utique tu D o m i n e Deus per ac p r o p t e r filium ac misericordiam tuam, iuxta verissimas promissiones tuas, abstulisti omnia mea peccata, meque iustificasti & absoluisti. Н а с ratione, m o d o aut actione fides gratuitam iustificationem consequitur." 69 Flacius, D e voce, 31: „Atque ita fide iustificati, pacem habemus Sc gaudium Spiritus sancti, ubi simul Sc regeneratio fit, quae tarnen iam antea in q u a r t o motu, id est in expetitione agniti boni fieri incoeperat: ac omnes actiones regenerati hominis, omniaque bona opera consequuntur."

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und im Vertrauen voll ausbildet70, beginnt die Wiedergeburt nach Flacius erst mit dem Gebet um die individuelle Vergebung der Sünde.71 Indem Flacius dabei am Schluß des zweiten Teils der Schrift über den Glauben zusammenfassend feststellt, daß die Wirkungen der mit der Verkündigung des Evangeliums anhebenden Regungen des Glaubens in der Wiederbelebung durch Sündenvergebung, Adoption, Wiedergeburt und Gabe des Heiligen Geistes bestünden, gibt er ebenfalls zu verstehen, daß die Wiedergeburt auf die Rechtfertigung im engeren Sinne folgt. 72 Denn die Verkündigung des Evangeliums, welche Sündenvergebung und Adoption in die Gotteskindschaft verheißt und insofern für Flacius die Rechtfertigung beinhaltet, ist die Voraussetzung für den Beginn der Wiedergeburt73, wie sie sich im Gebet um die individuelle Zueignung der Barmherzigkeit Gottes manifestiert. Das Folgeverhältnis von Rechtfertigung und Wiedergeburt ergibt sich außerdem auch daraus, daß Flacius in der Schrift über die christliche Gerechtigkeit Wiedergeburt und Erneuerung gleichsetzt, dabei von Buße und Bekehrung unterscheidet74 und die Erneuerung ausdrücklich als eine Wirkung und damit Folge der Rechtfertigung bestimmt75.

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Flacius, De voce, 49: „... posteriores vero quatuor (qui sunt proprie fides iustificans)

Flacius, De voce, 31. Vgl. Flacius, De voce, 49: „Per posteriores vero quatuor (qui sunt proprie fides iustificans) misericordia Dei fractos, contritos, condemnatos ac interfectos istos peccatores ab inferis reducit, ac vivificat, remittendo peccata, adoptando, regenerando & dando eis Spiritum sanctum, aliaque bona." Vgl. dazu die Zusammenfassung am Rand des Textes: „Effectus quatuor posteriorum fidei motuum". 73 Vgl. dazu Flacius, De iustificatione, 174, These 13: „Rectissime dicimur iustificari fide, quae est primaria pars poenitentiae: At regeneratione aut renovatione iustificari non recte diceremur. Petrus Act. 3 inquit: Poenitentiam igitur agite & convertimini, ut deleantur peccata vestra, donee instaurentur omnia." 74 Vgl. Flacius, De iustificatione, 172, These 77, die Überschrift: „Discrimina poenitentiae & regenerationis seu renovationis". Entsprechend kann Flacius sowohl die regeneratio (a.a.O., 172) als auch die renovatio (a.a.O., 173) als instauratio hominis bestimmen. 75 De iustificatione, 173: „Poenitentiae posterior, sed tarnen primaria pars Fides est instrumentum apprehendens Christum & iustificationem: Renovatio autem est, iam apprehensi Christi & iustificationis effectus.... Poenitentiae in adultis requiritur ante baptismum, tanquam quiddam necessarium ad baptismum: Renovatio baptismo, tanquam effectus in sacris Uteris tribuitur: Eph. 5. Tit. 3 . . . . Poenitentia tantum duos bonos motus complectitur, nempe contritionem & fidem: sed renovatio abolitis seu mortificatis malis viribus aut vitiis, contra instaurat totum hominem, seu regenerat omnes bonas vires, virtutes & inclinationes, atque ita nos totos ad omnigena bona opera condit: seu est essentialis excisio cordis lapidei & novi ac spiritualis ingeneratio, inchoative tarnen in hac vita. . . . Inter poenitentiam & renovationem tria Christi beneficia ordine collocantur, nempe iustificatio, adoptio & donatio Spiritus sancti: Necesse ergo est, plurimum interesse & inter se differre, quae tantas res in medio interiacentes habeant." Während dabei die Buße gekennzeichnet sei durch Reue und Glaube als den beiden inneren Bewegungen oder Handlungen im Menschen, sei 72

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Dabei weist Flacius sowohl in der Disputation über die christliche Gerechtigkeit als auch in der Clavis darauf hin, daß in der Schrift der Begriff der Wiedergeburt nicht nur in der von ihm veranschlagten spezifischen Bedeutung mit Erneuerung gleichgesetzt, sondern daneben auch in anderem Sinne verwendet werde, wonach die Wiedergeburt die Rechtfertigung einschließe 76 oder aber wie in Tit 3,5 ausschließlich die Rechtfertigung bezeichne 77 und von Erneuerung im Sinne der Neuformierung des gefallenen Menschen unterschieden werde 78 . die Erneuerung ein habituelles oder essentielles Geschehen, insofern es die Umschaffung bzw. Neuschaffung des Menschen betrifft. Vgl. de iustificatione, 173 f., Punkt 7: „Poenitentiae partes contritio Sc fides, sunt magis motus quidam aut actiones in homine: Renovatio vero aut instauratio, est quiddam habituale aut essentiale, nempe mutatio imaginis satanae in imaginem Dei, seu abolitio veteris hominis & conditio aut creatio novi." 76 Vgl. Flacius, Clavis I, 1055 f. zu ,renasci, regenerari Sc renovari'. Im Blick auf Joh 3,3.5; 1. Petr 1,3 stellt Flacius hier fest: „Utitur autem Scriptura . . . hisce verbis . . . ad significandum, oportere hominem abjecta prorsus illa priore natura ac nativitate, renasci, regenerari, ac renovari, siquidem DEO acceptus Sc salvus esse velit.... Hanc prioris naturae, totiusque nativitatis Sc omnis industriae ac sapientiae carnis, damnationem, mortificationem, ac quasi abolitionem, Scriptura summo studio urget; Sc novam nativitatem, creaturam Sc hominem ad imaginem DEI formatum Sc ad bona opera conditum ac idoneum, flagitat ac exigit." 77 Flacius, Clavis I, 1055: „Tit. 3. v. 5 . . . In hoc ultimo loco, puto regenerationem significare illam imputativam, aut (ut ita dicam) rationalem nativitatem, qua a Deo ex regno Satanae, in suum ac Filii sui regnum, ita transferimur: ut jam pro injustis justi coram DEO habeamur; pro filiis irae ac Satanae Sc hostibus DEI, ejus domestici, ac filii gratiae adoptati, haeredes aeternae vitae sumus. Quare hunc effectum justificationis, reconciliationis, adoptionis, ac haereditatis vitae aeternae, tribuit hic Paulus lavacro, id est, Baptismo; nempe promissioni gratiae, ob meritum Christi, nobis a D E O oblatae." Vgl. auch De iustificatione, 172 f., These 77: „Quidam hoc tempore confundunt poenitentiam cum regeneratione, seu hominis instauratione: unde illis etiam pestilentior error exoritur, nempe ut negent conversionem a lege Sc contritione inchoandum esse. Verumque multipliciter differant, ex sequentibus liquido patebit. Illud tarnen prius observetur, regeneratio aliquanto latius pateat Sc etiam gratuitam acceptiationem, iustificationem Sc adoptionem complectatur, ut loan. 1 Filios Dei fieri loan. 3, Nisi quis renatus fuerit, non intrabit in regnum Dei ubi regenerationi vitam tribuens, necessario iustificationem complectitur. Sic, Verbo nos genuit, Iacob. 1. 1 Pet. 1. 1 Corin. 4 Gal.l. Regeneratio, Tit. 3. pro sola iustificatione accipi videtur, diversum enim ab ea facit renovationem." 78 Flacius, Clavis I, 1055 f.: „Per renovationem..., intelligo secundum beneficium Christi; ipsam nempe instaurationem hominis: qua illud vetus lapideum Sc adamantinum cor, illaque Diaboli imago ex pectore nostra exscinditur; ac novum cor, ac imago DEI, in nobis formatur Sc omnino, mortificatio illo veteri Adamo, novus homo in nobis condi incipit, ad obedientiam Sc bona opera idoneus ac promptus. Sed de discrimine ipsarum rerum, nempe Regenerationis ac renovationis, postea dicam . . . Quod autem Regeneratio, cum de peccatoris regeneratione agitur, latius pateat, quam renovatio; pateat ex superius citato loco, Tit. 3. v. 5. deinde Sc ex eo, quod regeneratio necessario complectatur aliquando etiam reconciliationem, justificationem Sc adoptionem in filios & haeredes Dei: at renovatio tantum corrupti hominis instaurationem denotat." Für den Unterschied zwischen Rechtfertigung und Erneuerung verweist er dabei auf die oben zitierte These 77 der Disputation über die Rechtfertigung.

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Angesichts der Zuordnung von Wiedergeburt und Rechtfertigung, die Flacius im Kontext der Beschreibung der Glaubensgenese vornimmt, ist das Urteil von Hans Emil Weber zur rechtfertigungstheologischen Konzeption des Flacius näher zu differenzieren. Weber schreibt: „Die erste Rechtfertigung hat zur Voraussetzung den Glauben, mit ihm die ernsthafte Buße. Je stärker . . . aber die völlige Erstorbenheit und Verderbtheit des natürlichen Menschen betont wird - und darein setzt ja gerade Flacius seine Ehre mit seiner ,unverfälschten' Erbsündenlehre - , desto mehr muß sich die Aufmerksamkeit auf die Schaffung der Voraussetzung richten, d. i. die Wiedergeburt als Voraussetzung der Rechtfertigung. . . . Es wird nun wirklich auf Gottes Schöpferwirkung geblickt; aber sie schafft die menschliche Voraussetzung. Und notwendig ist dabei der Mensch auch als tätiges Subjekt gedacht." 79 In der Tat zeigt die Analyse der Glaubensgenese, daß Flacius den rechtfertigenden Glauben, wie er mit der Kenntnisnahme der Rechtfertigungsbotschaft anhebt und im Vertrauen gipfelt, zwar als von Gott gewirkten, aber in seinen verschiedenen Regungen menschlichen Vorgang beschreibt, der der Rechtfertigung im Sinne der Zurechnung der Gerechtigkeit Christi zumindest teilweise vorausgehen muß. Da er aber in der Disputation über die christliche Gerechtigkeit deutlich zwischen Glaube und Wiedergeburt unterscheidet 80 und im Kontext der dogmatischen Erörterung der Glaubensgenese ungeachtet des exegetischen Befundes - die Wiedergeburt mit dem Gebet um die individuelle Zueignung der Rechtfertigung als Sündenvergebung und Adoption zusammensieht, kann man nicht sagen, Flacius verstehe die Wiedergeburt als Voraussetzung der Rechtfertigung. Auch in seiner exegetischen Analyse in der Clavis beschreibt Flacius den Terminus der Wiedergeburt nirgends als Voraussetzung der Rechtfertigung, sondern entweder als einen umfassenden Begriff für das ganze Versöhnungsgeschehen oder als Wechselbegriff zur Rechtfertigung. Die besondere Bedeutung, die Flacius dem Gebet für die Konstitution des rechtfertigenden Glaubens und für die Wiedergeburt zuschreibt 81 , signalisiert, wie sehr Flacius die Frage nach der empirisch sich erweisenden Genese des Glaubens 82 im Sinne der Zustimmung und des Vertrauens 79

Weber, Reformation 1/1, 115 f. Diese Unterscheidung zeigt sich darin, daß Flacius Reue und Glaube als die beiden konstitutiven Bestandteile der Buße bestimmt, die Buße aber ausdrücklich von der Wiedergeburt und Erneuerung abhebt, vgl. de iustificatione, 172 f. 81 Vgl. dazu auch Flacius, De iustificatione, 120: „post noticiam, mox visa ilia tanta bona ex animo desiderat, expetit & gemit, dicens in corde: Accipio о Domine, da quod promittendo offers." 82 Das empirische Interesse des Flacius zeigt sich darin, daß er zur Demonstration der sechs Glaubensregungen diese durch andere Beispiele aus der Erfahrung zu belegen versucht, vgl. de voce, 42. 80

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beschäftigt hat. Die Bekehrungserfahrung ist für ihn deshalb von grundlegender Bedeutung, weil sie die Wirksamkeit der imputativen Rechtfertigung subjektiv belegt und darum gegen die römische Kritik an der imputativen Rechtfertigung geltend gemacht werden kann. Wenn Otto Ritsehl bei Flacius „den später von den Pietisten vertretenen empirisirten Bekehrungsbegriff"83 diagnostiziert, so ist dies insofern richtig, als Flacius mit dem Gebet einen empirischen Vorgang in das Zentrum der Bekehrung zum Glauben rückt. Auf diese Weise wird das zentrale theologische Folgeproblem der imputativen Rechtfertigungslehre deutlich: Indem das Gebet bei Flacius gewissermaßen als das Medium erscheint, durch welches sich - da dem Gebet Erhörung verheißen ist - beim reuigen Sünder die Heilsgewißheit in Zustimmung und Vertrauen einstellt, gerät nämlich sein Verständnis des Glaubens in den Verdacht, als handele es sich bei dem rechtfertigenden Glauben um eine seelische Tätigkeit bzw. Verfaßtheit, die der Mensch hervorbringen könne und müsse. 84 Wenn Flacius nicht nur im Blick auf das Gebet, sondern auch 83

O. Ritsehl, Dogmengeschichte, Bd. 2, 445. Dieses Mißverständnis wird zum einen durch die Abhängigkeit des für den rechtfertigenden Glauben zentralen Vertrauens von den anderen Regungen nahegelegt, vgl. ζ. B. de voce, 41: „Ac observatione dignissimum, in his sex motibus semper alternatim se mutuo subsequi intellectus & voluntatis motus & semper motum intellectus esse causam efficientem, motum voluntatis esse eius effectum." Zum anderen ist auch die Rede von Qualitäten, Regungen oder Aktivitäten des Herzens in de iustificatione, 120, verwirrend: „Est enim fides iustificans, non tantum utcunque speculative credere historiam sacrarum literarum, quam etiam hypocritae, atque adeo daemones ipsi credunt . . . sed est proprie primum divinitus donata, ac coram cum Deo agens NOTICIA promissionis ac promissorum bonorum: deinde ΕΧΡΕΤΓΠΟ eorundem: denique specialis cuiusque ASSENSUS & FIDUCIA, aut ad se applicatio promissionis Dei, offerentis nobis promittendo seu per verbum & sacramenta beneficia merito filii sui parta. In hac definitione sunt primum genera, ipsae tres (ut sie docendi causa eas iam vocemus) qualitates, motus, aut cordis actiones: Noticia, expetitio aut desiderium, assensus aut fiducia." 84

Weber, Reformation 1/1, 116ff., sieht die Schwierigkeit ähnlich: „Flacius selber tut sich hervor im Drängen auf einen aktuellen Glauben - in der Bahn des Melanchthon, der die Einübung des Glaubens einschärft; dem Akt Gottes entspricht der Akt des Menschen. So kommt es zu schöner Würdigung des Gebets, das als das Leben des Rechtfertigungsglaubens erscheint, dessen Werden durch die immer miteinander verbundenen Bewegungen des Intellekts und des Willens (Herzens) von der Sündenerkenntnis über das sehnende Erfassen des Evangeliums bis zum zuversichtlichen Ergreifen des Erhörtseins verfolgt wird. Nun hat freilich Flacius mit Hingabe den Glauben als die Bettlerhand, ja als mendica virtus geschildert; und die Flacianer sind bemüht, das mere passive im Erleiden des Gotteswirkens (auch im Gesetz!) so kräftig als möglich herauszustreichen. Aber gegenüber dem Vorwurf, daß sie den Menschen zu einem Stock oder Stein . . . machen, müssen doch auch Flacianer nicht bloß auf das zu überwindende Widerstreben als Zeugnis des persönlichen Willens hinweisen, sondern auf das ,innere' Neugestaltet-, Erfaßtwerden, das zu dem ,νοη Herzen gehorchen' führe. . . . Schließlich muß gerade der Eiferer für die Erbsündigkeit zugestehen, daß auch die fleischlichen und unwiedergeborenen, wie die (getauften, aber) aus der Gnade gefallenen Menschen einen ,züchtigen Wandel' führen, auch Gottes Wort .betrachten' und

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im Blick auf die Reue betont, daß hier keine Vollkommenheit zu erreichen sei, wird die genannte Schwierigkeit damit eher belegt als beseitigt. Flacius bestimmt zwar in den Schriften über den Glauben und über die Gerechtigkeit den Glauben ausdrücklich nur als Instrument, durch welches die in Wort und Sakrament vermittelte Rechtfertigung ergriffen werde 85 . Doch diese Hinweise sind als solche nicht ausreichend, um sicherzustellen, daß die Hervorbringung des Glaubens sich ausschließlich der Alleinwirksamkeit Gottes durch Gesetz und Evangelium verdankt und nicht der Selbsttätigkeit des Menschen. Angesichts der in der Beschreibung der Regungen des Glaubens implizierten Betonung menschlicher Aktivität wird verständlich, weshalb Flacius die durch das Gesetz vermittelte Konstitution des Sündenbewußtseins als notwendiges Moment innerhalb der Genese des Glaubens bestimmt und aufgrund der damit verbundenen täglich neu sich wiederholenden Buße 86 auch eine Iteration der Rechtfertigung lehrt.87 Während Strigel - im Einklang mit Luther - die Bekehrung als lebenslangen Prozeß der Buße auffaßte, versteht nämlich Flacius die Buße und Bekehrung „als eine plötzliche Wirkung und Veränderung des Menschen"88, die sich in diesem Leben notwendig immer wieder wiederholt, weil auch der Glaubende noch durch die Erbsünde gezeichnet sei. Sie ist also „jedesmal ein einzelner Act"89 und kein dauernder Zustand. Darauf legt Flacius deshalb wert, weil sich die Gewißheit der Rechtfertigung und damit die mit gottesfürchtigen Leuten umgehen können, und daß Gott auf solches, ob auch ,fleischliches' Bemühen hin ,endlich nach seiner Gütigkeit' durch Wort und Geist in ihnen wirksam sein wolle; er kann sich sogar nicht verbergen, daß die Grenze zwischen menschlichem Bemühen und Geisteswirken nicht leicht zu ziehen sei! All diese Bewegung im Menschen aber rückt durch die neue Lehre unter den Gesichtspunkt der Vorbedingung der Rechtfertigung." 85 Vgl. Flacius, De voce, 52; De iustificatione, 119 und bes. 137: „Etsi enim fides praecedit iustificationem, non tarnen est ilia fidei scintilla idem quod renovatio, quae est iam opus Spiritus sancti in corde nostro habitantis: sed eiusdem donum ab extra in cor nostrum per verbum potenter operantis. Quare hae 8c aliae imposturae ac inversiones ordinis iustificationis diligenter evitandae sunt." 86 Ritsehl, Dogmengeschichte, Bd. 2, 445 f. 87 Flacius, De voce, 48: „Nec semel tantum in vita piis ordo motuum se mutuo consequitur, sed subinde iterum revolvitur (iuxta illud: Ex fide in fidem) ас pene tota vita piorum in his praeeipue exercitiis consumitur. Subinde enim nobis iterum de ira Dei, deque peccatis nostris cogitandum est. Subinde Sc promissiones Dei largissime animo revolvendae: quibus invitati, veluti filiolus pomo a patre ostenso, accurrere, abnixeque flagitare debemus, ut nobis ilia promissa contingant. Cumque mandatum sit Dei, ut orantes exaudiri se propter Christum credant, iam remissione peccatorum ac favore Dei, veluti pomo quodam a patre impetrato, laeti furimur & sie quotidie remissionem peccatorum flagitamus: sie quotidie caro mortificatur magis ac magis & sic in novum hominem adolesciums, sieque iustus iustificatur adhuc." Vgl. auch de voce, 63.93. Siehe dazu Weber, Reformation 1/1, 119. 88 Ritsehl, Dogmengeschichte, Bd. 2, 445. 89 Ritsehl, а. а. O., 445.

Die Genese des Glaubensaktes

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Erleichterung des Gewissens und die Freude des Heiligen Geistes nur dann immer wieder neu einstellen könne, wenn die Buße als Indiz der Bekehrung zu werten sei. Gewißheit über den Vollzug der Bekehrung lasse sich aber nur erlangen, wenn die Buße als Moment der Bekehrung kein dauernder Zustand, sondern ein wiederholbarer, einzelner Akt sei.90 Sind Buße und Rechtfertigung somit weder ein einmaliges, noch ein dauerhaftes Geschehen, sondern ein Geschehen, das sich täglich wiederholt - wobei sich die erste Rechtfertigung nicht wesentlich von den folgenden unterscheidet91 - , so ist die unaufhebbare Angewiesenheit des Menschen auf Gottes Bekehrungswerk durch Gesetz und Evangelium festgeschrieben. Die Vorstellung einer allmählichen Umwandlung des Menschen durch seine eigene Glaubensaktivität ist damit ausgeschlossen. Diese Argumentation macht zwar deutlich, daß der Glaube, den Gott auf der Basis der Zurechnung der Gerechtigkeit Christi zur Gerechtigkeit anrechnet, seinem Inhalte nach 92 ganz und gar als gottgewirkt zu gelten hat. Daß aber auch der Akt des Glaubens sich ganz und gar der Alleinwirksamkeit Gottes verdankt, ist in Flacius' Analyse der Glaubensgenese nicht hinreichend sichergestellt. Vor die entsprechende Aufgabe, eine

90 Vgl. dazu u.a. Flacius, D e iustificatione, 140: „Hisce declarationibus 8c confirmationibus imputativae iustitiae, quae ut insignes sunt, ita & diligentissime expendi debent, adiiciatur 8c illa ab experientia sumpta, quod conscientias tentatas, ac sensu peccati 8c irae D e i conterritas 8c contritas, nihil magis urget, premit & excarnificat, quam peccata 8c ira Dei. . . . Sicut autem afflictas conscientias nihil perinde ut aspectus peccati 8c irae Dei excarnificat ita illae vicissim nil magis gemunt 8c toto pectore desiderant, quam ilia sibi a D e o condonari, aut non imputari propter imputatam Christi persolutionem. D e eo maxime sollicitae sunt, inque eo praecipue sudant ac laborant.

Praeter hanc vero experientiam ac sensum prementis peccati 8c desiderii, illud a nobis auferri seu non imputari: sequitur & alterum evidens experimentum efficaciae imputationis, quod conscientia mox post condonationem, aut non imputationem debiti, mox imputatam alienam solutionem, veluti quodam tristissimo 8c plane intolerabili onere liberata, mirabile 8c prorsus divinum gaudium Spiritus in corde sentit, iuxta illud, Iustificati fide pacem habemus. Experientia ergo ipsa piae mentes experiuntur, quanta quamque potens ac efficax res sit, vel imputari alicui suum peccatum, vel non imputari ob imputationem alienae persolutionis pro nostro debito factae." 91 Flacius, D e iustificatione, 159: „Eadem porro & non diversa ratio est primae iustificationis 8c sequentium. N o n enim diversae sunt, sed una saepius iterata. Semper enim propter Christi meritum, semper etiam tantum per fidem & per promissiones iustificamur. Qui 8c quotidianum Dimitte, Dimitte nobis debita nostra, est perpetua quaedam petitio iustificationis, absolutionis, seu lotionis 8c dealbationis per sanguinem aut meritum Christi. Sicut enim perpetuo 8c inhaerentem veteris Adami corruptionem circumferimus 8c subinde aut labimur, aut facimus vetitia, vel saltem neglegimus omittimusque mandata: sie etiam perpetua purificatione, sanctificatione aut iustificatione indigemus, eamque a D e o per 8c propter Christum suppliciter petere ac flagitare iubemur." 92 D a s spezifische Objekt des Glaubens ist nach Flacius allein das Verdienst Christi (de voce, 132; vgl. dazu auch O. Ritsehl, Dogmengeschichte, Bd. 2, 498) bzw. die Gerechtigkeit und das Leben „propter Christum" (de iustificatione, 120).

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Die Rechtfertigungslehre bei Matthias Flacius Illyricus

aktive Mitwirkung des Menschen im Prozeß der Hervorbringung des Glaubens konsequent auszuschließen, wird Flacius erst in der Disputation mit Viktorin Strigel über die Mitwirkung des freien Willens bei der Bekehrung 93 gestellt.

3. Die Erbsündenlehre

des Flacius

Die Diskussion über die Bekehrung wurde ausgelöst durch zwei von Johannes Pfeffinger 1555 veröffentlichte Disputationen, in denen er „die Auffassung Melanchthons und des Leipziger , Interims' über die Beteiligung des menschlichen Willens bei der Bekehrung vertrat" und damit die Aktivität des menschlichen Willens in neuer Form betonte. 94 Melanchthon hatte bereits in den Loci von 1535 - aus seelsorgerlichen Gründen 95 - die Lehre von den drei causae der Bekehrung vertreten, wonach bei der Bekehrung Gottes Wort, der Heilige Geist und der menschliche Wille ursächlich beiteiligt seien bzw. zusammenwirkten. 96 Die entsprechende Betonung der Beteiligung des menschlichen Willens im Bekehrungsgeschehen, die Pfeffinger nur deshalb vornahm, um „die Ursache für Annahme oder Ablehnung der Gnade auch bei den Menschen" suchen zu können, zog ihm nicht nur den Widerspruch von Amsdorf, Schnepff und Strigel zu, sondern wurde durch Amsdorf 1558 schließlich Gegenstand öffentlicher Polemik, an der sich bald auch Flacius beteiligte. Durch das Weimarer Konfutationsbuch von 1559, in dem gegen Pfeffinger betont wurde, „daß der natürliche Mensch für alles Göttliche tot sei und ein steinernes Herz habe", wollte Flacius ein Verbot aller unlutherischen Lehre im ernestinischen Sachsen erreichen. Der Verurteilung des Synergismus im 6. Artikel des Weimarer Konfutationsbuches widersprach nun aber Viktorin Strigel, der als Kollege von Flacius an der 1548 gegründeten Universität Jena lehrte und im Zuge rivalisierender Tendenzen in das philippistische Lager umgeschwenkt war. 97 Darauf wurde er für einige Monate inhaftiert und schließlich zur Disputation mit Flacius vom 2.-8. August 1560 in Weimar einbestellt. 98 Für Flacius stand bereits in seiner Auseinandersetzung mit Pfeffinger fest, daß der Mensch „in Folge der Erbsünde in den geistlichen Dingen 93

Vgl. dazu Ritsehl, Dogmengeschichte, Bd. 2, 423 ff. und Lohse, Dogma und Bekenntnis, 121 ff. 94 Lohse, Dogma und Bekenntnis, 122. 95 Lohse, Dogma und Bekenntnis, 123. 96 Lohse, Dogma und Bekenntnis, 81. 97 Lohse, Dogma und Bekenntnis, 123. 98 Vgl. dazu Ritsehl, Dogmengeschichte, Bd. 2, 424.

Die Erbsündenlehre des Flacius

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keinerlei gutes Wollen" habe." Strigel dagegen betonte in der Weimarer Disputation mit Flacius, der Wille sei zwar nicht die Ursache der Bekehrung, doch erfolge die Wiedergeburt auch „nicht ohne zustimmende Willensbewegungen"100, was Flacius wiederum als Synergismus ablehnte.101 Im weiteren Verlauf der Auseinandersetzung über den freien Willen vertrat Strigel die Auffassung, daß „das Verderben der Erbsünde als eine akzidentielle Veränderung zu bezeichnen sei", weil „auch der sündige Mensch seine schöpfungsmässige substantielle Form und deren natürliche Wirkweise" noch besitze und ihm das Menschsein durch die Sünde nicht verloren gegangen sei.102 Auch hätte die Urstandsgerechtigkeit nicht verloren werden können, wäre sie nicht ein Akzidenz gewesen.103 Gegen diese Überlegung setzte Flacius „en passent die Behauptung", die ihm zum Verhängnis werden sollte, nämlich daß „die Erbsünde nach der Bibel und nach Luther eine Substanz sei"104, obwohl er im Grunde „eine gewisse Aversion gegen die philosophischen Begriffe Substanz und Akzidenz" hegte und auf diese zu verzichten bereit war, sofern „die anderen die entgegengesetzte Bezeichnung auch aus dem Spiele Hessen."105 Ausgangspunkt für den öffentlichen Streit um die Erbsünde wurde der 1567 erschienene Traktat „De peccati originalis aut veteris Adami appellationibus et essentia" im zweiten Teil der Clavis Scripturae Sacrae.106 Während Simon Musäus und die gnesiolutherischen Gesinnungsgenossen des Flacius, Johann Wigand und Tilemann Heshusius, die Aussagen von Flacius in der Weimarer Disputation noch gebilligt hatten, übten sie an den Ausführungen des Erbsündentraktats entschiedene Kritik und wurden bald zu scharfen Gegnern des Flacius.107 Gegen die herkömmliche " Ritsehl, а. а. O., 433, der auf die ,Refutatio propositionum Pfefferingi de libero arbitrio' von 1558 verweist. Wichtig ist ferner der ,Bericht von etlichen Artikeln der christlichen Lehr' von 1559, in dem Flacius sich auf Luthers Streitschrift ,De servo arbitrio' beruft und noch entschiedener betont, daß „der freie Wille oder der alte Adam weder vor noch in der Bekehrung etwas gutes schaffen, sondern dem Geist nur zuwider sein" könne (Ritsehl, а. а. O., 434). Zum Verständnis des Willens bei Flacius siehe auch Ritsehl, а. а. O., 442 f. 100 Ritsehl, а. а. O., 439. 101 Vgl. z.B. Disputatio (1562), 232: „Dico synergiam me vocare, quod tu vocas concursum". 102 L. Haikola, Gesetz und Evangelium bei Matthias Flacius Illyricus (STL 1), Lund 1952, lllf. 103 Vgl. Disputatio (1563), 53. 104 Haikola, Flacius, 112. Vgl. Disputatio (1563), 33 und 50, 53, 57, 114. Zur Position Strigels siehe auch Ritsehl, а. а. O., 437 ff., 440 ff. 105 Haikola, Flacius, 113 f. Vgl. W. Preger, Matthias Flacius Illyricus, Bd. 2, 321, 324 f., 345 f., 367. Das wird 1574 auch rückwirkend deutlich in dem ordentlichen Colloquium mit Jakob Coler, vgl. dazu Preger, Flacius, Bd. 2, 387. 106 Vgl. Flacius, Clavis II, 766-791 und Preger, Flacius, Bd. 2, 310. Zum Verlauf des Streits vgl. Preger, a.a.O., 321-394. 107 Haikola, Flacius, 114.

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Die Rechtfertigungslehre bei Matthias Flacius Illyricus

Definition der Erbsünde etwa bei Anselm betont Flacius nämlich in diesem Traktat, daß die Erbsünde nicht nur ein Verlust der Urstandsgerechtigkeit und der Gottebenbildlichkeit, sondern auch die Annahme des entgegengesetzten Bösen bedeute. 108 Im Anschluß an verschiedene Aussagen der Schrift wiederholt er dann die bereits in der Disputation mit Strigel geäußerte These, daß die Erbsünde die Substanz des Menschen selbst sei und nicht nur etwas Äußerliches oder Akzidentielles in ihm. 109 Grundlegend für das rechte Verständnis der Position des Flacius ist dabei die Unterscheidung zwischen materialer und formaler Substanz. 110 Die Erbsünde111 betrifft nämlich nach Flacius nicht primär die materiale Substanz des Menschen, die er mit der physischen Verfaßtheit des Menschen in Leib und Seele identifiziert 112 , sondern die formale Substanz des Menschen 113 , und zwar in ihrem höchsten Grade. 114 Im Zentrum der theologischen Sündenlehre steht mithin auch nicht die äußere Form der menschlichen Substanz, wie sie durch das Verhältnis von Leib und Seele und den aufrechten Gang gekennzeichnet ist, sondern die höchste substantielle Form, nämlich das Vernunftvermögen der Seele.115 Während

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Flacius, Clavis II, 766 f. Flacius, Clavis II, 768: „Unde liquido apparet, aliquod originale Peccatum, aut partem ejus, esse ipsam substantiam hominis: non quiddam externum, aut accidentarium in ipso." 110 Flacius, Clavis II, 769. 111 Während unter Sünde im Rückgang auf den hebräischen Wortsinn generell das zu verstehen sei, was als Abweichung vom Gesetz bzw. vom Willen Gottes Gott selbst widerstreitet (vgl. Flacius, Confessio, 3.5, Abschnitt 1 und Clavis II, 775), bezeichne das Attribut ,originale' zweierlei: zum einen den Ursprung der Sünde im Mutterleib, zum anderen die Quelle aller einzelnen Übel, insbesondere der habituellen und aktuellen Sünden (Clavis II, 775 oben). иг Vgl. Flacius, Clavis II, Partis prioris Examen 794, 23 ff.: „In primo lapsu mansisse & etiamnum superesse in homine corpus & animam, velut partes hominis physicas, quibus in esse animalis rationalis constituebatur & constituitur & hanc esse hominis substantiam materialem, seu materiam, aut massam viliorem, eamque valde vitiatam; deperiisse autem substantiam formalem, sive formam substantialem, qua in esse imaginis divinae homo constituebatur, eamque mutatam esse in formam substantialem contrariam, qua nunc constituitur in esse imaginis Diaboli: & hanc formam substantialem esse peccatum originis, non ipsam animam & corpus, velut partes hominis physicas, quae eum in esse viliori & physico, nempe in esse animalis rationalis constituunt." 109

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Die Sünde ist für Flacius mithin „substantia formalis oder forma substantialis des Menschen", vgl. Weber, Reformation, 1/2, 8. Zur Interpretation der Begrifflichkeit bei Flacius vgl. Preger, Flacius, Bd. 2, 395-412. 114 Vgl. Flacius, Clavis II, 769. 115 Flacius, Clavis II, 769: „Loquor autem, non de ista externa & crassa forma; quam considerat in adolescente puella, aut etiam in toto homine Philosophia, non multo sanioribus oculis contemplans ejus formam: (tametsi & ea sit valde corrupta & labefactata) ut quod homo constet corpore Sc anima: habeat staturam erectam, duos pedes, manus, oculos, aures & similia; sitque animal ridens, numerans, ratiocinans & c. Sed loquor de ea nobi-

Die Erbsündenlehre des Flacius

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sich dieses unter den Bedingungen des Urstandes durch Gotteserkenntnis und Gehorsam gegenüber Gott auszeichnete, bedeutet der durch die Erbsünde bewirkte Verlust der Gottebenbildlichkeit für den Menschen den Verlust der Fähigkeit, Gott zu erkennen und zu gehorchen, so daß an die Stelle der ursprünglichen Gottesliebe und Gottesfurcht der Haß gegenüber Gott tritt.116 Auf diese Weise ist nach Flacius die ursprüngliche Gottebenbildlichkeit des Menschen durch die Erbsünde in ihr Gegenteil verkehrt.117 Die Verkehrung der höchsten substantiellen Form des Menschen bedeutet dabei für Flacius die „Alteration des Verhältnisses der einzelnen Kräfte zu einander, die Versetzung und damit die Entartung dieser Kräfte".118 Indem die Erbsünde in der Perversion der höchsten Seelenvermögen besteht, erstreckt sie sich auf alle Eigenschaften, Neigungen, Gewohnheiten und Vollzüge menschlichen Daseins. 119 Aufgrund der mit dem Sündenfall Adams einsetzenden Verkehrung des höchsten mensch-

lissima substantiali forma, ad quam praecipue ipsum cor, aut potius anima rationalis formata erat: ita ut ipsa sua essentia esset D e i imago, eumque repraesentaret; utque suae substantiales potentiae, intellectus ac voluntas, affectusque, ad Dei proprietates essent conformatae, eumque tum repraesentarent; tum vere agnoscerent & promptissime amplecterentur." 116

Flacius, Clavis II, 782. Flacius, Clavis II, 770: „Hanc ergo formam substantialem, dico, non tantum deperiisse homini; sed etiam prorsus in contrariam esse inversam: ita ut, cum antea homo, praesertim quod attinet ad animam rationalem, esset viventis D e i viva imago, nunc sit sua essentia, in eadem summa ас nobilissima parte, vera imago Satanae." us p r e g e r , Flacius, Bd. 2, 409. 117

119 Flacius, Clavis II, 771: „Neque tamen nego, aliquam partem peccati originalis esse accidentia. Scio enim, peccatum ita pervasisse totum hominem, ac etiam totum Mundum: ut possit in toto homine 8c in omnibus praedicamentis, reperiri; ac sit ferme transscendens quoddam. Aliquod enim peccatum est substantia; nempe ipsa caro, vetus Adam, cor lapideum, aut sensus carnis: aliquod est accidens; ut vanae pessimae inclinationes nobiscum natae: aliquod est habitus, ut valde varia vitia, consuetudine contracta, aut etiam a D i a b o l o post nativitatem nobis inspirata: aliquod est actio, vel interna, vel externa: aliquod est quies, seu actionis neglectio; qualia sunt peccata omissionis: aliquod est etiam passio; ut perterreri magis hominum injustis, quam Dei justissimis minis, Totus ergo vetus aut ψυχικός homo, cum suis fructibus, est inimicus Dei, abominatio & plane res damnata ab eo, seu peccatum. Caeterum originale peccatum, praeter haereditarium reatum, ac servitutem addictionemque Satanae, seu quod ejus dedita obstrictaque mancipia sumus, est tum ipsum cor lapideum, seu perversa ratio, vel rationalis anima, quae sunt substantia; tum etiam accidentia plurima. N u n c autem hie proprie tantum de prava ac perversa substantia, seu corde adamantino, agimus: quia illud est primarium, & praecipue a sacra Scriptura accusatur." Vgl. dazu Clavis II, 775: „Originale peccatum est, & dicitur esse, ipsa corruptio hominis. Corruptio, non significat tantum debilitationem, aut laesionem quandam; ut aliqui somniant: sed extremam perversionem. Quid autem tandem est ista corruptio hominis; nisi ipsamet corrupta natura, praesertim mala mens, & malus animus? N o n certe quoddam abstractum, aut actionem, ibi vox Corruptio significat: sed ipsam rem corruptam & perversam, D e o q u e inimicam & adversam; nempe malam mentem, & malum animum." Siehe auch Clavis II, 777.

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Die Rechtfertigungslehre bei Matthias Flacius Illyricus

liehen Seelenvermögens formt die Erbsünde nunmehr das Wesen des Menschen 120 , wie zuvor in der paradiesischen Existenz die Gottebenbildlichkeit das Wesen des Menschen formte. Darum wird die Transformation der Gottebenbildlichkeit bzw. Urstandsgerechtigkeit in den Stand der Ungerechtigkeit der Erbsünde als substantiate Transmutation des Individuums gedeutet 121 , die Flacius in Entsprechung zu seiner Unterscheidung zwischen formaler und materialer Substanz des Menschen nicht als physische, sondern als theologische verstanden wissen will122. Die Kontinuität zwischen dem Menschen vor und nach dem Fall kann Flacius dabei auf die Kontinuität der materialen Substanz des Menschen zurückführen, wie Johann Musäus in seinem Examen zum Erbsündentraktat des Flacius geltend macht. 123 Im Hintergrund der Differenz zwischen Flacius und Strigel bezüglich der Definition der Sünde steht dabei ein unterschiedliches Verständnis des Willens selbst. Während Strigel den Willen als eine Größe auffaßte, „deren concrete Bestimmtheiten oder Qualitäten er erst nachträglich zu ihm hinzutreten oder hinweggenommen und verändert werden ließ" 124 , dachte sich Flacius „den Willen niemals als eine abstracte, rein formal bestimmte Größe, sondern durchweg nur als ein entweder erbsündiges oder als ein durch den heiligen Geist erneuertes Streben. Er isoliert also auch nicht den Willen von seinen jeweiligen materialen und qualitativ bestimmten Willensleistungen. Vielmehr faßt er diese und in ihnen den sie hervorbringenden Willen selbst ganz concret als die Wirksamkeit entweder des natürlichen alten oder des wiedergeborenen neuen Menschen auf." 125 Für Flacius gibt es somit „kein drittes, indifferentes Wol120 Flacius, Clavis II, 770: „Hanc igitur inversam substantiam formalem, aut formam substantialem, summi gradus, (qui praeeipue dat homini esse ejus rei, quam esse eum suus creator voluit) quae jam eum, ut causa formalis, facit imaginem & filium Diaboli & dat ei illud horrendum esse veteris Adami; statuo, esse verum & quasi unicum fontem omnis peccati, sive habitualis, sive actualis & id-ipsum, quod vocamus originale peccatum. Quod non tantum ideo sic vocatur, quia nobiscum oritur, sed etiam, quia oriuntur inde omnigena peccata. Quae ratio etymologiae, aut appellationis hujus, hactenus a multis neglecta, diligenter observanda est." ш Vgl. Flacius, De essentia, 117: „Palpabile ergo exemplum cernimus horrendae mutationis & irae Dei, quomodo ipsa natura ac substantia, praesertim formalis, idque potissimum in suo nobilissimo gradu ex optima in pessimam mutari possit & tarnen idem individuum vere permanere: sicut idem affirmat videri serpentem fuisse pulcherrimum erectumque animal & iam in istud reptile maledictione Dei transmutatum." ш Flacius, Confessio, 13, Abschnitt 9. ш Flacius, Clavis II, 770 unten. ш Ritsehl, Dogmengeschichte, Bd. 2, 441. 125 Ritsehl, Dogmengeschichte, Bd. 2, 442. Siehe dazu die Disputatio (1562) mit Strigel, insbesondere 227: „De voluntatis coactione dixi proxime, ea iam esse (sicut Lutherus & Augustinus dicunt) iumentum gratiae, iam iumentum satanae. Quomodo possunt ita duo simul convenire? Assensus, est singulare Dei donum: & voluntas assentitur, si naturalis

Die Erbsündenlehre des Flacius

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len"126. Da nun der freie Wille zum Guten durch die Erbsünde schlechterdings zerstört sei, könne er bei der Bekehrung nicht nur in keiner Weise mit Gott zusammenwirken 127 , sondern widerstreite in seiner Bosheit dem göttlichen Heilswirken. 128 Entsprechend stellt sich Flacius die Bekehrung als einen Kampf zwischen dem alten, Gott widerstrebenden Menschen und dem von Gott wiedergeborenen neuen Menschen vor. 129 Nach dem Urteil von Otto Ritsehl hält Flacius auf diese Weise „mit einer noch durch keine Philosophie beirrten Consequenz die dualistischen Züge der Anthropologie Luthers aufrecht und sieht die Berechtigung dieser Anschauung durch biblische Ausführungen, insbesondere durch die paulinische Unterscheidung des alten und des neuen Menschen, unwiderleglich bestätigt."130 Indem Flacius aber nicht nur die Vorstellung eines indifferenten Willensvermögens ablehnt, sondern darüber hinaus auch die These vertritt, daß die Vermögen der Seele, also Intellekt und Wille, zur Substanz des Menschen zu rechnen seien 131 , wird die Bestimmung der Erbsünde als Substanz für ihn unausweichlich. Dieser flacianischen Zuordnung der Seelenvermögen zur Substanz des Menschen widersprachen Strigel, Heshusius und Andreae, indem sie die Kräfte des Denkens und Wollens zwar „im Gebiet des Substanziellen" verorteten, die Substanz aber als nur durch die Akzidenzien wirksam vorstellten und die Erbsünde entsprechend in der Verdorbenheit der Akzidenzien erblickten.132 Noch konsequenter votierte Wigand für die

voluntas assentitur, non a Deo is assensus donatur, aut creatur. At si haberet voluntas eiusmodi aliquem assensum & aliquis illi posset persuadere in spiritualibus, haberet ea duos contrarios motus ex semet. At voluntas non potest duos contrarios motus boni & mali sua natura habere in rebus divinis. Homo regeneratus habet bonum velle ex Deo, malum velle ex se. . . . De triplici bono velle 8c quod facit medium, quod sit solius voluntatis seu adiaphoricum, quod saepe inculcat, nihil ad nos. . . . Voluntas sic fuit creata quidem, ut vellet, sed transformata est a Diabolo in aliam pravam naturam, quam Christus filius Dei regeneravit." ш Ritsehl, Dogmengeschichte, Bd.2, 442. Vgl. dazu Flacius, a.a.O., 235: „Dixisti de tertio velle, de tertia cogitatione. Nos in Theologia tantum duo habemus: unum malum ex veteri natura & diabolo, unum bonum ex Deo, non habemus tertium aut adiaphoron." ш Vgl. Disputatio, 13, 17 f. ш Vgl. Disputatio (1562), 128: „Adamica vonluntas non solum non operatur aut cooperatur, verum etiam pro nativa malitia cordis sui contra operatur." ш Siehe dazu Disputatio (1562), 232: „Dico, non posse discerni, aut clare exponi, quid voluntas agat, aut non agat, nisi eam distinguas, sicut Paulus, in novum hominem & veterem, sanatum Sc non sanatum: & eum qui aeeepit bonum velle & non aeeepit". Vgl. dazu auch Ritsehl, Dogmengeschichte, Bd. 2, 442. 130 O. Ritsehl, а. а. O., 442. 131 Vgl. dazu Flacius, Clavis II, 769 und Preger, Flacius, Bd. 2, 408. Siehe auch Clavis II, 776: „Caro, vetus Adam, animalis aut carnalis homo, imago Satanae, cor pravum, perversum, lapideum, adamantinum, sunt substantia. Peccatum originale est idem, quod praedicta omnia." 132 Vgl. Preger, Flacius, Bd. 2, 399 f.

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Die Rechtfertigungslehre bei Matthias Hacius Illyricus

akzidentielle Bestimmung der Erbsünde, indem er die Kräfte der Seele direkt als Akzidenzien einstufte. 133 Von daher ist nicht Strigel, sondern eigentlich Wigand als der schärfste Gegner des Flacius anzusehen. Gegen die Gleichsetzung des Willens mit der Substanz des Menschen und die daraus resultierende Bestimmung der Erbsünde als formale Substanz bei Flacius machten spätere Kritiker bis hin zu Johann Musäus, der die Clavis mit einem Examen zum Erbsündentraktat herausgab, geltend, daß Flacius die Unterscheidung zwischen dem Abstraktum der Erbsünde und dem Menschen als dem konkreten Subjekt einziehe. 134 Die Erbsünde müsse akzidentiell bestimmt werden, solle auch vom gefallenen Menschen gelten können, daß er Geschöpf Gottes sei und durch die Aufnahme der menschlichen Natur in die Personeinheit des Erlösers Gemeinschaft mit Christus und darin Erlösung erlangen könne. 135 An der Unterscheidung zwischen dem Menschen als Menschen und der Erbsünde sei darum dringend festzuhalten. Die Sünde gehöre nicht zum formalen Begriff, zur Essenz und zur Quidditas des Menschen. 136 Wie sehr die Differenzen zwischen den verschiedenen Positionen dabei durch den unterschiedlichen Gebrauch der philosophischen Termini bedingt sind, zeigt ein Blick auf die jeweilige Verwendung des Akzidenzbegriffs bei den Gegnern des Flacius. Obwohl sich Strigel, Andreae, Heshusius und Wigand in der Behauptung der Unwandelbarkeit der Substanz einig waren 137 , bestanden nämlich hinsichtlich des Akzidenzbegriffs bedeutsame Unterschiede zwischen den Flacius-Gegnern. Diese sind auf die Tatsache zurückzuführen, daß Melanchthon in den Erotemata Dialectices zwei verschiedene Bestimmungen des Akzidenzbegriffs angegeben hatte. 138

133 Vgl. Preger, а. а. O., 399, 403 f. In seinem mit Judex erstellten Syntagma findet sich die Einstufung der Erbsünde als Akzidenz noch nicht, vgl. die Definition in Syntagma, 484: „Peccatum originis est privatio vel defectus iusticiae originalis & ingens depravatio & malicia in tota natura hominum: quae mala ex lapsu primorum hominum naturaliter in omnes posteros propagantur iusto Dei iudicio & faciunt nos reos aeternae irae Dei & poenarum, nisi per Meßiam contingat remissio." 134 Johann Musäus kritisiert in seinem Examen zu Flacius' Sündentraktat, „quod Auetor vel non potuit, vel non voluit distinguere inter abstractum & concretum, vel potius mbjectum illius; inter peccatum originis & hominem, cui illud inest." (Clavis II, 796) Vgl. zur Debatte um die flacianische Erbsündentheorie außerdem W. Sparn, Substanz oder Subjekt?, 117 ff., der insbesondere Selneckers Verteidigung von FC I gegen den Flacianer Irenaeus darstellt 135 Vgl. dazu Flacius, Clavis II, Examen prioris partis, 796 f. 136 Flacius, Clavis II, Examen prioris partis, 797: „Quod si vero aliud est homo, aliud peccatum originis & alterum in alterius conceptu formali & quidditativo non includitur, fatendum omnino est, peccatum originis, in se & sua natura spectatum, esse abstractum, ab homine cui inest, realiter distinetum: cum in suo conceptu formali, essentia 8c quidditate eum non includat." 137 Preger, a.a.O., 399. ив Yg] z u m Akzidenzbegriff bei Melanchthon Preger, а. а. O., 396 f. und Haikola, Flacius, 115.

Die Erbsündenlehre des Flacius

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Während Heshusius und Wigand die erste Bestimmung des Akzidenzbegriffs von Melanchthon übernahmen und dasjenige ein Akzidenz nannten, was im Unterschied zur Substanz nicht durch sich selbst subsistiert und deshalb wandelbar ist139, setzten Strigel und Andreae in ihrer Deutung der Erbsünde die zweite Deutung des Akzidenzbegriffs bei Melanchthon voraus, wonach ein Akzidenz dasjenige ist, was anwesend oder abwesend sein kann.140 Diese zweite Bestimmung des Akzidenzbegriffs, die Melanchthon selbst als kindlich bezeichnet hatte, hält Flacius im Einklang mit Strigel und Andreae für die allgemein übliche Bestimmung und lehnt demgegenüber die erste Bestimmung der Akzidentien als wandelbarer Eigenschaften ab.141 Unter der Voraussetzung der zweiten, „kindlichen" Deutung des Akzidenzbegriffs läßt sich sowohl das Interesse der Position von Strigel und Andreae als auch das Interesse der Sündenlehre von Flacius klar erkennen. Während Strigel und Andreae der Meinung waren, daß die Erbsünde als Akzidenz bezeichnet werden müsse, weil es sich bei der Erbsünde keinesfalls um eine notwendig zum Menschsein gehörige Bestimmung handeln könne, plädiert Flacius für die Einstufung der Erbsünde als Substanz und gegen die Einordnung als Akzidenz, um jede Möglichkeit zur Überwindung der Sünde bzw. zur Mitwirkung bei der Bekehrung auf seiten des Menschen auszuschließen. Dabei verwendet Flacius die Substanz-Akzidenz-Distinktion insofern konsequenter als Strigel und Andreae, als er auf die Distinktion zwischen Wandelbarkeit und Unwandelbarkeit ganz verzichtet und stattdessen nur die Distinktion zwischen Notwendigkeit und Nichtnotwendigkeit zur Definition der Begriffe Substanz und Akzidenz zugrundelegt. Auf diese Weise erklärt er also anders als alle seine Gegner die Unwandelbarkeit nicht zur Grundbestimmung der Substanz. Nur unter dieser Voraussetzung kann er den Sündenfall und die eschatologische Erlösung des Menschen als Substanzwandel bzw. substantielle Transmutation beschreiben. ш D i e erste Bestimmung des Akzidenzbegriffs bei Melanchthon lautet: „Accidens est, quod поп per se subsistit, пес est pars substantiae, sed est in alio mutabiliter." (Preger, а. а. O., 399) 140 Preger, а. а. O., 397 f. 141 Flacius, Confessio, 17 f., Abschnitt 13: „ D e accidente etiam aliqui aliter sentiunt & loquuntur quam ego: qui pro istam communem, definitionem quod accidens sit, quicquid adesse et abesse potest, citra subiecti corruptionem. Illi putant omne id esse accidens, quod mutabiliter inest, etiamsi fiat simul vera subiecti corruptio, cum ilia mutatio sit, proposit . . . quod est contra omnium dialecticorum sententiam & naturam accidentis: Alioqui etiam omnis pars rei mutabiliter in toto est. Potest enim auferri, sie & forma essentialis erit merum accidens: item substantiae secundae erunt mera accidentia, et quid tandem erit reliquum, quod istis non fiet accidens ? Totus quoque vetus Adam & caro concupiscens contra spiritum, totumque corpus peccati & imago terreni hominis erunt mera accidentia. N a m haec omnia sunt amovenda, mortificanda, crucifigenda, exuenda & sepelianda. Horum quippe nihil fuit in prima creatione hominis, nec erit in ultima regeneratione, aut in gloriosa illa resuscitatione."

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Die Rechtfertigungslehre bei Matthias Flacius Illyricus

Während Flacius mit Strigel und Andreae immerhin noch die Bestimmung des Akzidenzbegriffs teilt, ist der Gegensatz zu den Gnesiolutheranern Wigand und Heshusius nicht nur durch das unterschiedliche Aussageinteresse, sondern auch durch die konsequent andere Terminologie bedingt. Denn indem Wigand und Heshusius von der Unwandelbarkeit der Substanz und der Wandelbarkeit der Akzidentien ausgehen, können sie die Erbsünde nur als Akzidenz bestimmen, um die Rede von Sündenfall und Erlösung nicht logisch ad absurdum zu führen. Wenn Flacius dagegen darauf besteht, daß die Erbsünde die formale Substanz des Menschen verkehre, ist dies nur unter Berücksichtigung seiner anderen Terminologie zu verstehen. Dies gilt in besonderer Weise auch für den schwerwiegendsten Einwand der Gegner, der im Manichäismusvorwurf bestand. Ausgehend von der prinzipiellen Wandlungsunfähigkeit der Substanz mußten die Gegner des Flacius nämlich dessen These, daß der Sündenfall eine Verwandlung der Substanz des Menschen bedeute, als häretisch ablehnen, weil als möglicher Verursacher dieses Substanzwandels aus ihrer Sicht nur der Teufel in Frage kommen konnte. Gegen diesen gravierenden Einwand macht Flacius im Erbsündentraktat der Clavis geltend, daß die Sünde nicht auf einen Schöpfungsakt Gottes zurückzuführen sei und darum keinesfalls als creatio ex nihilo verstanden werden dürfe 142 , sondern lediglich als Transformation bzw. Transfiguration der ursprünglich guten Substanz, wobei mit der Behauptung einer solchen Transformation der Substanz die These der Wandlungsunfähigkeit der Substanz implizit bestritten wird. Als Ursache für die Korruption und Perversion der formalen Substanz des Menschen durch die Erbsünde kann Flacius darum durchaus im Einklang mit der theologischen Tradition die vom Teufel initiierte Apostasie des Menschen von Gott 143 benennen, wie sie ursprünglich in Adam stattgefunden habe und seither durch den Erbfolgezusammenhang allen Menschen vererbt werde. Dabei beruft sich Flacius mit seiner Deutung der Erbsünde als formale Substanz nicht nur durchgängig auf Luther 144 , sondern vor allem auf die Aussagen 142 Flacius, Clavis II, 777 f.: „Si substantia ipsa per se mala vitiataque est & in trucem quandam bestiam & indomitam feram (ut Lutherus & Bucerus loquuntur) mutata est: sequitur, ipsam substantiam esse illud originarium malum, illud novum monstrum, a Diabolo per apostasian hominis conditum: non aliquid aliud illi adjunctum, aut inhaerens. Dico autem, conditum esse illud malum, non per creationem ex nihilo, aut aliam quampiam rectam generationem: sed per transformationem 8c transfigurationem, seu in versionem & perversionem, optimae substantialis formae hominis, in pessimam." 143 Vgl. Flacius, Clavis II, 777 und bes. ebd. 778: „lila Satanae operatio, destruentis hominem . . . Si Satan corrupit substantiam . . . Sed isti negant, novam substantiam, quae est imago Satanae, effectam esse a Diabolo peccatum". 144 Flacius, Clavis II, 771 ff. Vgl. auch Haikola, Flacius, 114 mit Verweis auf Flacius' Schriften ,Wahrhafftige und bestendige meinung und Zeugnis / Von der Erbsünde und vom freien willen Des Ehrwürdigen tewren Mans Gottes D. Martin Luthers', Jena 1560

Die Erbsündenlehre des Flacius

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über Gottebenbildlichkeit und Sünde in der Schrift, die immer auf den ganzen Menschen in seinem Wesen bezogen seien145. Entsprechend sei auch in Melanchthons Apologie zur Confessio Augustana die Urstandsgerechtigkeit nicht akzidentiell verstanden.146 Außerdem widerspräche es der Gerechtigkeit Gottes, den Menschen als ganzen anzuklagen, wenn die Sünde nur ein Akzidenz wäre. 147 Mit der Favorisierung des Substanzbegriffs und der Ablehnung der Bezeichnung der Erbsünde als Akzidenz will Flacius ausschließen, „daß

und ,Etliche und treffliche Zeugnisse M. Luthers von dem bösen Wesen, essentia, Bild, Form oder Gestalt des irdischen todten Adams ...', 1574. 145 Flacius, Clavis II, 776: „Tota Scriptura utitur substantialibus verbis, in descriptione, tum imaginis Dei, aut justitiae originalis; tum peccati Sc imaginis Satanae. Dicitur enim Deus creasse hominem ad imaginem Dei, ipsam totam ejus essentiam, praesertim animam rationalem; non sola ejus accidentia. Deus creavit hominem valde bonum: non tantum in accidentibus; sed etiam in ipsa substantia: ita ut substantialiter esset bonus; non tantum adhaeret ei bonitas, veluti accidens quoddam, aut ornamentum. Dicit, eum in primo lapsu mortuum esse; & Satanam esse ejus homicidam, cum eum ex imagine Dei in suam imaginem transformavit. Vicissim autem jubemur occidere aut mortificare veterem hominem, eumque exsuere, deponere, sepelire: & plane mori in conversione dicimur. Contra etiam dicimur condi, iterum generali, esse nova creatura, creari nobis novum cor, exscindi & adimi nobis lapideum cor & pro eo dari nobis novum ас spirituale cor. Hic clare audis ipsum cor oportere exscindi & novum creari: non tantum accidentia quaedam in eo elui, aut alterari; sicut Synergistae somniant. Summa; Scriptura de imagine Dei ilia prima, de imagine Diaboli consecuta, & de nova imagine Dei, tantum substantialibus verbis utitur. Credamus igitur illi, ea esse ipsam hominis substantiam, cum omnibus suis accidentibus; non autem sola accidentia, huic substantiae inhaerentia. Aut, si Scripturae Deoque credere nolumus; evanescamus sane per nostras dialecticas argutiolas, ac stultas rationcinationes: ut omnibus sapientibus hujus Mundi accidisse, Paulus Rom. I. V. 21 testatur." Vgl. Clavis II, 779: „Deus condidit ipsum hominem ad imaginem suam; non tantum ejus accidentia. Ergo etiam ipsa hominis substantia, est imago Dei. . . . Ergo etiam contraria Satanae imago, est ipsa substantia hominis. Ergo etiam novus homo, qui mortificato vetere conditur, est substantia hominis." 146 Flacius, De essentia, 11 f.: „Hadem Apologia clare iustitiam originalem & imaginem Dei affirmat ipsam hominis essentiam fuisse & nequaquam quoddam accidens. Inquit enim: Iustitia originalis habitura erat non solum aequale temperamentum qualitatum corporis, sed etiam notitiam certiorem, timorem Dei, fiduciam Dei, aut certe re certitudinem & vim ista efficiendi, idque testatur Scriptura, cum inquit: hominem ad imaginem ac similitudinem Dei conditum esse, quod quid est aliud, nisi in homine hanc sapientiam & iustitiam EFFIGIATAM esse, quae Deum apprehenderet & in qua reluceret Deus. Enaudis iustitiam originalem & imaginem Dei habuisse temperamentum aequale corporis & hasce spirituales virtutes: itemque eam fuisse in homine EFFIGIATAM." Noch deutlicher werde das substant i a l Verständnis der Urstandsgerechtigkeit oder Gottebenbildlichkeit in der deutschen Übersetzung der Apologie. 147 Flacius, Clavis II, 777: „Injustus plane est Deus, secundum adversariam sententiam: quod, cum peccatum sit tantum accidens quoddam; ipse nihilominus totum hominem propterea abjiciat ac damnet. Cur enim ipsum hominem per se bonum accusat; & non potius tantum illud malum accidens? idque quamprimum ab homine extergit; ut ei ab homine, cujus substantia bona est, recte obediatur?"

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Die Rechtfertigungslehre bei Matthias Flacius Illyricus

die Substanz, als an sich gut, bei der Spontaneität ihrer Lebensäußerungen, auch gute Werke zu vollbringen vermöge, womit ihm die Grundlage der evangelischen Rechtfertigungslehre gefährdet schien." 148 Wie die Entwicklung des Erbsündenstreits zeigt, geht es Flacius dabei gar nicht in erster Linie darum, den Substanzbegriff um jeden Preis festzuhalten. Die Bestimmung der Erbsünde als formale Substanz des Menschen sollte lediglich dazu dienen, die Unabtrennbarkeit des Bösen vom gefallenen Menschen geltend zu machen 149 , um auf diese Weise sicherzustellen, daß kein Moment der unmittelbaren Heilsaneignung in Buße, Bekehrung, Rechtfertigung und Wiedergeburt auf menschlicher Selbsttätigkeit beruht. 150 Die Erbsündenlehre steht in der theologischen Konzeption des Flacius daher eindeutig im Dienste der Rechtfertigungslehre, die - wie oben bereits gezeigt wurde - ihrerseits darauf zielt, die Rechtfertigung des Sünders allein aus Glauben und nicht durch Werke zu verteidigen. 151 Die theologische Grundeinsicht, die Flacius mit seiner Soteriologie und der ihr dienenden Hamartiologie zur Geltung zu bringen versucht, kann man dabei dem paulinischen Satz entnehmen, den Flacius seiner Schrift 148

Siehe Preger, а. а. O., 406. Gegen eine akzidentelle Bestimmung der Erbsünde spricht f ü r Flacius außerdem, daß der gefallene Mensch dann in seiner Substanz dennoch gut wäre und sich nicht erklären ließe, wie er etwas Schlechtes tun kann, vgl. Flacius, Clavis II, 779. 149 Flacius, Clavis II, 787, 52 ff. 150 Vgl. dazu ζ. B. Flacius, Clavis II, 779 ff., bes. 780 f.: „Si illa originalis pestis, aut Lerna malorum, non est substantia hominis; sed tantum quoddam accidens in homine: sequetur hominis actiones sanas & sanctas esse. . . . Sequetur etiam, ipsum hominem per se malum non esse: sed tantum quoddam malum accidens adhaerere ei: ut (sicut meus adversarius somniabat) si quis magneti allium allinat. Sequetur etiam, non esse necesse, veterem hominem mori, exsui, ac sepeliri; & novum condi, generari, aut creari: sed tantum illud pravum accidens elui, tolli, mutari & alterari; ac veluti illud lutum, quo homo contaminatus est, ab eo removeri, extergendo aut eluendo: quod Sophistae dicunt, purgari cor. At Lutherus, eos accusans, super Psalm. 51. dicit, non purgari; sed creari novum cor oportere: sicut & Spiritus sanctus passim in Scripturis loquitur." Vgl. Clavis II, 790: „Rectissime igitur, ac secundum Scripturae sententiam, dicere possumus illud Paulinum inversum: quod homo non-renatus, aut vetus, sit Diaboli opus, conditum ad opera, quae ei praeparavit, ut in eis versaretur, ac illi contra Deum 8c omnem pietatem ac honestatem, servireL Evidentissime hoc ex eo patet: quod, nisi illud primum opus Dei fuisset a Satana eversum, & novum conditum; non necesse esset, veterem hominem conteri, mortificari ac omnino exsui, sepeliri, & aboleri: nec nunc necesse esset, novum hominem aut novam creaturam condi. Si non transformasset Satan spirituale cor Adami in lapideum: non esset necesse, nunc illud Diaboli opus destrui ac exscindi; & novum cor in homine creari, ut Propheta & David loquuntur." 151 Vgl. dazu u.a. Flacius, De iustificatione, 158: „Vera autem verborum Pauli sententia est, sine omni merito, conditione aut necessitate nostrorum operum, sola fide in Christum, coram Deo iustificamur 8с salvamur. N e ullo modo salus nostra ex bonis operibus dependeat, eave ulla ratione sint peccatori ad salutem necessaria: Sed salus aeterna possit contingere etiam iis, qui nunquam quicquam boni fecerunt & iam ex hac vita migrare debent. Nam praepositio SINE, simpliciter & diserte iusticiam ac salutem a nostris operibus separat."

Die Erbsündenlehre des Hacius

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über das Wesen der Urstandsgerechtigkeit und der Sünde von 1568 voranstellt: „Gott hat alle unter die Sünde verschlossen, damit er sich aller erbarme."(Röm 11,32)152 Indem Flacius in seiner Erbsündenlehre die Substanz des gefallenen Menschen mit seiner von Gott abgewandten und gegen Gott gerichteten Tätigkeit identifiziert und insofern eine „Definition des Menschen als Täter-Substanz" vornimmt, entwickelt er einen Substanzbegriff, der „in der neuzeitlichen Metaphysik der Subjektivität zur allgemeinen Verfassung von Wirklichkeit" wird. 153 Der grundlegende Unterschied zu „der Leibnizschen Definition der Substanz als Tatvermögen und der Fichteschen Definition des Subjekts als Tathandlung" ist jedoch durch die „anthropologische Begrenzung" gegeben, „die diesen Begriff für den status peccati gleichsam historisiert, der also darauf festgelegt ist, partikular zu bleiben."154 Denn wie Flacius selbst in seiner Differenzierung der drei Stände des Menschen anzeigt, ist nur der durch die Transmutation der Gottebenbildlichkeit in die Erbsünde gekennzeichnete zweite Stand des Menschen durch die Notwendigkeit des Handelns bzw. den Versuch tätiger Selbstbehauptung gegenüber Gott qualiziert, während der Mensch im Urständ von diesem Zwang, sich durch seine Tätigkeit selbst zu konstituieren, frei war und zu dieser ursprünglichen Freiheit durch die Erlösung wieder befreit werden soll. Daraus wird deutlich, daß Flacius den Substanzbegriff, wie er ihn im Zuge der Bestimmung der Erbsünde zur Geltung bringt, nur dann auch auf Urständ und Erlösung anwenden kann, wenn sichergestellt ist, daß die grundlegenden intellektuellen und willentlichen Vollzüge der vernünftigen Seele, in denen diese ihr Gottesverhältnis wahrnimmt, sich unter den Bedingungen der Urstandes bzw. dessen Restitution nicht der reinen Selbsttätigkeit des Menschen verdanken. Daß Flacius dies für den Stand der Erlösung gezeigt hat, ist angesichts seiner Beschreibung der Glaubensgenese zweifelhaft, wie unten noch auszuführen sein wird. Indem Flacius die Erbsünde als die formale Substanz des Menschen bestimmt, schließt er tatsächlich jede Möglichkeit willentlicher Mitwirkung des Menschen bei der Bekehrung aus. Insofern erfüllt die Sündenlehre durchaus diejenige Aufgabe, an der Flacius nicht zuletzt im Blick auf seine oben dargestellte Beschreibung des durch die Heilsordnung vermittelten Glaubens interessiert sein muß. Doch damit erhebt sich die Frage, wie die Rechtfertigungsbotschaft das Vertrauen des Glaubens als Beginn derjenigen substantiellen Transmutation hervorbringen kann, die 152

Diesen Satz zitiert Flacius zu Beginn der Praefatio zu seiner Schrift ,Gnoti seauton. De essentia originalis iustitiae et iniustitiae seu Imaginis Dei & contraria', Basel 1568. 153 Vgl. Sparn, Substanz und Subjekt, 126. 154 Sparn, a.a.O., 126.

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Die Rechtfertigungslehre bei Matthias Flacius Illyricus

zur Aufhebung der Erbsünde notwendig ist155, wenn sie dezidiert als rationale Imputation der Gerechtigkeit Christi und als Nichtanrechnung der Sünde verstanden wird. Diese Frage beantwortet Flacius, indem er im Anschluß an Augustins Rede von dem doppelten Sinn der Gerechtigkeit und Rechtfertigung der Frommen zwischen zwei Foren der göttlichen Gerechtigkeit unterscheidet, nämlich zwischen dem der Rechtfertigung und dem des neuen Gehorsams. 156 Im Blick auf das Verhältnis von Rechtfertigung und neuem Gehorsam bzw. Heiligung läßt er dabei in seiner Beschreibung der Rechtfertigungsordnung keinen Zweifel daran, daß die Gerechtigkeit des neuen Gehorsams, die er als das zweite Forum der Rechtfertigung bestimmt, eine Folge der imputativen Gerechtigkeit Gottes ist, in der Gott dem Menschen die Gerechtigkeit Christi zurechnet, und also keine Bedingung der Rechtfertigung. 157 Entsprechend betont er in anderem Zusammenhang, daß die Liebe des Menschen zu Gott und zum Nächsten immer nur eine Wirkung des Vertrauens der gnadengewirkten Rechtfertigung sein könne. 158 Die Erneuerung des Menschen ist mithin in keiner Weise als Bedingung, sondern eindeutig als Folgegeschehen auf die Rechtfertigung gedacht 159 . Sie wird von Flacius als notwendige Folge für den Gerechtfertigten 160 bestimmt, die rückwirkend demonstriert, daß die Rechtfertigung durch die Zurechnung der Gerechtigkeit Christi ihrerseits als Bedingung der Möglichkeit für die Transmutation der substantiellen Verdorbenheit in den Zustand der Befreiung von der Sünde fungiert. Wie schon Melanchthon so führt auch Flacius

155 Analog zu seiner Erbsündenlehre kann Flacius daher die Erneuerung des Menschen nicht als eine akzidentielle Veränderung denken. Er beruft sich dafür in seinem Traktat über die Erbsünde im zweiten Teil der Clavis insbesondere auf Ps 51 und Gen 1. Vgl. Clavis II, 773: „Sic super Psalm. 51. dicit, Renovationem esse поп accidentium alterationem; sed ipsius novi cordis creationem. Ergo sentit contrarium, cor lapideum esse illam ipsam pestem, quam vult Deus ex nobis penitus exscindi. Super Genes. 1. dicit, novum hominem, esse novum creationis opus; sicut & primum juit. Ergo & contraria abolenda res, fuit quaedam essentialis res, nempe vetus Adam." 156 Flacius, Clavis II, 574: „Augustinus disserit, I. lib. de Perfetione justitiae, contra Coelestinum, duplicem esse Piorum justitiam & justificationem: perfectam alteram; & alteram imperfectam. Eodem facit, quod nostri separant personae acceptionem, a novae obedientiae acceptatione." 157 Flacius, Clavis II, 575 f. 158 Flacius, Clavis II, 568: „Sic 1. Joh. 4. v. 17. . . . ubi apertissime Apostolus docet, charitatem esse effectum fiduciae gratuitae justificationis, ac salutis." ι» Vg[. Flacius, Clavis I, 1055 f. im Artikel zu renasci. Siehe außerdem: D e iustificatione, 136 f. 160 Flacius, D e iustificatione, 137: „post hoc iustificationis beneficium est iam alterum, nempe donatio Spiritus sancti Sc renovatio hominis . . . Quae licet necessario sequi debet iustificatum, ut fructus bonam arborem, non tarnen est vel causa efficiens, vel etiam formalis bonae arboris: nec vel causa aliqua vel pars iusticiae nostrae, aut necessaria ad eam vere dici potest."

Die Ursachen der Rechtfertigung

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die Erneuerung nicht unmittelbar auf die Rechtfertigung zurück, sondern auf die mit der Rechtfertigung verbundene, aber von ihr unterschiedene Gabe des Geistes der Gotteskindschaft. 161 Auf diese Weise erscheint die Erneuerung faktisch zwar als Folge auf die Rechtfertigung, nicht aber als Folge des göttlichen Rechtfertigungsaktes selbst.

4. Die Ursachen der

Rechtfertigung

Entscheidend für die weitere Entwicklung der Rechtfertigungslehre ist nun, daß Flacius in Analogie zum Tridentinum 162 die Rechtfertigung im Rückgriff auf die aristotelische Distinktion der Ursachen 163 analysiert, indem er Wirkursache, Materialursache, Formalursache, Instrumentalursache und Finalursache der Rechtfertigung unterscheidet.164 Dabei beruft er sich für die im folgenden zu referierende Distinktion der Ursachen der Rechtfertigung auf die Aufzählung der Ursachen bei Paulus in Rom 3,l-5. 1 6 5 Die Wirkursache als die erste Ursache der Rechtfertigung wird von Flacius in entferntere und nähere Wirkursache unterschieden. Als causa efficiens remotior bestimmt er die Barmherzigkeit Gottes, die sich in der Hingabe des Sohnes, in der Anerkennung des Verdienstes Christi und der Sündenvergebung manifestiert habe. Causa efficiens propinquior der Rechtfertigung sei in Christi verdienstvollem Gehorsam und Leiden und in seiner Fürbitte zu sehen. 166 Die verdienstliche Gesetzeserfüllung 161 Flacius, Clavis II, 576: „Prior [seil, iustificatio; Vf.] enim quidem talis est: quod Deus per earn, peccatorem servum, imo potius inimicum suum, ob amplissimum meritum justitiae Filii, ipsi per fidem ac imputationem indutae, pro justo aeeipit, approbat & in filium adoptat; donans ei insuper spiritum adoptionis, per quem renovator." 162 Vgl. Kap. 7 des tridentinischen Rechtfertigungsdekrets in D H 1528 f. 163 Die aristotelische Distinktion der Ursachen in Material-, Formal-, Wirk- und Zielursache schlägt Flacius in dem Traktat ,De ratione' neben verschiedenen anderen Hilfsmitteln zur Identifikation des ursprünglichen Schriftsinnes vor, vgl. Clavis II, Traktat I, 35 f., zitiert in Anm. 7 dieses Kapitels. Flacius nennt die Rechtfertigungslehre als hervorragendes Beispiel dafür, daß die Distinktion der causae notwendig sei, weil der Rechtfertigungsartikel auf diese Weise gegen Oslander und gegen die Papisten rein verteidigt werden könne, vgl. Clavis II, 36. Vgl. zur Distinktion der Ursachen in der Rechtfertigungslehre auch De iustificatione, 153 ff. 164 Vgl. die Ubersichtstabelle in De iustificatione, 156. 165 Vgl. Flacius, De iustificatione, 153 und bes. 154 f., wo die verschiedenen causae aus einzelnen Passagen von Rom 3 begründet werden, und die zusammenfassende Bemerkung ebd. 157: „Post hanc enumerationem causarum iustificationis & iusticiae concludit Apostolus to tum locum . . . " 166 Flacius, De iustificatione, 153: „Primum igitur sunt duae principales causae efficientes, Remotior & Vicina. Remotior est, misericordia Dei, qui adeo dilexit mundum, ut filium suum traderet, quique etiam quotidie nos a peccatis absoluit. Propinquior est, ipse incar-

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Die Rechtfertigungslehre bei Matthias Flacius Illyricus

Christi durch Gehorsam und Passion gilt dabei zugleich als die causa materialis ex qua der Rechtfertigung. 167 D a diese Materie der Rechtfertigung dem Menschen zugerechnet werde, benennt Flacius den Menschen als die causa materialis in qua. Als Formalursache der Rechtfertigung bestimmt Flacius die Zurechnung der Gerechtigkeit Christi. D a aber diese Zurechnung bedingt sei durch den von Christus für die Versöhnung des Menschen geleisteten Gehorsam, erklärt er den Gehorsam und die Passion Christi als erstes Moment der Formalursache vor der Imputation der Gerechtigkeit Christi. 168 Die Angaben zu Wirk-, Material- und Formalursache zeigen dabei deutlich, daß Flacius das priesterliche Werk Christi wie Melanchthon im Sinne priesterlicher Satisfaktion interpretiert. 169 Denn Grund und Gegenstand der Rechtfer-

natus filius, Rex iusticia & sacerdos noster, qui istam iusticiam tum olim obediendo & patiendo acquisivit, tum & nunc quotidie nobis ut intercessor noster impetrat & applicat." 167 Flacius, De iustificatione, 153, Punkt 50: „Causa materialis non solet in virtutibus proprie esse: sed tarnen nominata hic affert aliquid lucis rei: & est quiddam simile causae materiali ipsa obedientia ас passio Domini, praesertim cum iusticia iam in applicatione consideretur. Est enim veluti emplastrum, quo sanamur: aut albeso, qua paries dealbatur." 168 Flacius, De iustificatione, 153: „Formalis est duplex. Primum enim, si hanc iusticiam per se consideres, sicut supra eam plerunque consideravimus, formalis causa est, sie illam obedientiam passionemque Deo pro nobis esse praestitam. Secundo, si consideretur ut nobis applicatur, causa formalis est, nobis porro eam obedientiam sic imputatam esse, seu ipsa ratio applicationis eius, quae idem est cum remissione peccatorum, aut iustificatione quae aliquo modo effectus, sed valde vicinus prioris dici posset." 169 Flacius, De iustificatione, 142 ff., bes. 145: „Quod autem ista sit vera iustificationis ratio, multis Scripturae testimoniis & aliis rationibus probari potest . . . Quorum primum sit, a sacerdotio Christi, de quo argumenta prolixius paulo ante egimus, quod cum sit aeternum, oportet eum semper habere, qui eum hoc nomine conveniant ac orent, pro quibus apud patrem intercedat & quos coram patre perpetuo expiet: ut modo audivimus." Siehe ferner das Kapitel IV „De instauratione verae Iusticiae & abolitione Orginialis iniusticiae per Christum" in De iustificatione, 110 ff., bes. 113: „Christus igitur hic in terris existens, non ociosus aut sine fruetu lucroque egit: sed iusticiae ac legi Dei largissime satisfecit, Deum nobis plenissime placavit, moriendo mortem destruxit, ademit legi chirographum nostri debiti: vel potius insuper extorsit illi contrarium chirographum, quo illa & severa Dei iusticia sese nobis debere iustificationem aut absolutionem & vitam confiteatur, pro eo quod nos ei antea extreme obnoxii obaeratique eramus " Vgl. zur Satisfaktionsvorstellung auch Clavis II, 574: „Tanta est vehementia ac severitas hujus justitiae; ut ipsummet illum sanetissimum Dei Filium, ei satisfacere oportuerit: quem quidem ilia, usque ad ignominiosissimam mortem, atque adeo etiam infernos ipsos, destruit. Illi etiam severo judicio, ac justitiae Dei, quae vere est ignis omnia consumens, sola perfectissima ac mundissima justitia, obedientiae ac passionis Filii Dei, opponenda est." Dabei betont Flacius in De iustificatione, 143 gegen die päpstlichen Theologen, daß nicht allein das Verdienst Christi, welches er durch seinen Gehorsam erbracht hat, sondern ebenso die permanente Fürbitte im Himmel zum priesterlichen Werk Christi gehöre. Gegen Oslander schärft Flacius ein, daß nicht etwa die wesentliche Gerechtigkeit Christi nach seiner göttlichen Natur dem Sünder zur Gerechtigkeit zugerechnet werde, sondern vielmehr diejenige tätige Gerechtigkeit, die Christus in seinem Gehorsam und Leiden und in seiner Erfüllung des Gesetzes vollzog. Vgl. dazu Flacius' Erwiderung auf den osiandrischen Vorwurf, „wir können nichts gewis sagen/

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tigung des Menschen vor Gott ist das in Gesetzeserfüllung und Leiden vollbrachte satisfaktorische Verdienst Christi und seine intervenierende Fürbitte 170 , wodurch Sündenvergebung und Zurechnung der Gerechtigkeit Christi ermöglicht werden. Die durch den Anblick des menschlichen Elends bewegte Barmherzigkeit Gottes 1 7 1 manifestiert sich dabei in der Hingabe des Sohnes und in der seiner Fürbitte entsprechenden Zurechnung der Verdienste des Sohnes. Während die Zurechnung der Gerechtigkeit Christi als Formalursache der Rechtfertigung bestimmt wird, gilt der Glaube als Instrumentalursache der Rechtfertigung von seiten des Menschen, der Wort und Sakrament als Instrumentalursache von seiten Gottes vorangehen. 172 Auf diese Weise fixiert Flacius die rein instrumentale Bedeutung des Glaubens als Ergreifen der Gerechtigkeit Christi, die er in der oben dargestellten Analyse der Rede von der Zurechnung des Glaubens zur Gerechtigkeit bereits geltend gemacht hat. Das Ziel der Rechtfertigung bestimmt Flacius schließlich, indem er die causa finalis proxima und causa finalis remotior der Rechtfertigung unterscheidet. Während das durch Gottes Sündenvergebung erschlossene

was doch die gerechtikeit sey/ damit der Sünder gerechtfertiget wirt." Diese Erwiderung findet sich im Anschluß an einen von Flacius herausgegebenen Ausschnitt „aus der Marggravischen und Norimbergischen Ordnung anno 33. ausgangen/ welche Oslander mit rat und beisein Brentii geschrieben hat" (so die Vorrede von Flacius), in: „Historia welcher gestalt sich die osiandrische schwermerey im Lande zu Preussen erhaben/ und wie dieselbige verhandelt ist/ mit allen actis/ beschrieben durch Joachim Mörlin . . . 1554". 170 Vgl. Flacius, De iustificatione, 112, These 16: „Duo vero distincta Christi officia aut beneficia sunt, Aquisitio & Applicatio iusticiae fidei, sicut & aliorum ipsius bonorum ac donorum. Nam acquisitio tantum hic in terris praefinito tempore peracta est obedientia ac passione, a Christo in sua humiliatione aut exinanitione versante: idque sine nobis penitus, atque adeo nobis insciis. Sed eius applicatio aut distributio, inde a principio, mundi usque ad finem vitae, quoties peccatores vera fide (quem & ipsa purum Dei donum est) thronum gratiae Sc sacerdotem illum ad dextram Patris sedentem accedunt, sibique id bonum contingere suppliciter expetunt. Mediator igitur noster (ut non exactissime distinguamus) primum agit cum Deo, eique obediendo, eum placat & generi humano plenam redemptionem iusticiamque acquirit. Sed agendo nobiscum, acquisitum illum thesaurum per doctrinam ac sacramenta indicat, offert & nobis ad thronum gratiae adductis applicat aut distribuit: tametsi & hic etiam cum Deo, pro nobis intercedendo, agat. Observanda igitur sunt Scripturae dicta, de hisce rebus diversis diverso modo loquentia: in quibus imperiti discriminis huius sempe decipiuntur." 171 Flacius, De iustificatione, 154: „Impulsivam causam iusticiae esse dicamus, tristissimas miserias humani generis, in quas vidit nos Deus submersos, quaque eum ad conmiserationem permovent. Adde & indignam violationem aut prophanationem regni ac gloriae ipsius per Satanam & primi hominis lapsum excitatam, ad quam nos initio condiderat: quam gloriam ac regnum suum voluit omnino Deus sibi instaurare." 172 Flacius, De iustificatione, 153: „Causae instrumentales sunt duae, Verbum & sacramenta ex parte Dei, Fides a nobis: quae quomodo sibi invicem correspondeant aut occurrant, superius dictum explicatumque est."

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Die Rechtfertigungslehre bei Matthias Flacius Illyricus

H e i l d e s M e n s c h e n als d a s u n m i t t e l b a r e Ziel b e n a n n t w i r d 1 7 3 , gilt d i e V e r h e r r l i c h u n g G o t t e s als d a s e n t f e r n t e r e Ziel d e r R e c h t f e r t i g u n g 1 7 4 . D i e s e s w e r d e d a d u r c h erreicht, d a ß in d e m d u r c h d i e I m p u t a t i o n G o t t e s begründeten G e s c h e h e n der Rechtfertigung die Gerechtigkeit G o t t e s n i c h t n u r als richtende, s o n d e r n als r e c h t f e r t i g e n d e o f f e n b a r w i r d . 1 7 5 W i e Flacius a n h a n d v o n R o m 3 , 1 - 5 z u s a m m e n f a s s e n d feststellt, b e s t e h t d i e K e r n a u s s a g e d e r R e c h t f e r t i g u n g s l e h r e darin, d a ß d e r M e n s c h durch den Glauben und o h n e die W e r k e des G e s e t z e s gerechtfertigt w i r d . 1 7 6 E n t s p r e c h e n d b e t o n t Flacius i m A n s c h l u ß an seine E r l ä u t e r u n g d e r R e c h t f e r t i g u n g s u r s a c h e n , d a ß d i e causa sine qua non d e r R e c h t f e r t i g u n g in k e i n e r W e i s e d i e W e r k e , s o n d e r n allein d a s mittels d e s G e s e t z e s g e w i r k t e B e k e h r u n g s w e r k G o t t e s sei, w e l c h e s d e m G l a u b e n i m Sinne d e r K e n n t n i s , d e r Z u s t i m m u n g u n d d e s V e r t r a u e n s auf G o t t e s S ü n d e n v e r g e b u n g u n d Z u r e c h n u n g d e r G e r e c h t i g k e i t Christi v o r h e r g e h e . 1 7 7 D a ß a u c h d e r G l a u b e selbst, w e l c h e r auf d i e d u r c h das G e s e t z e n t z ü n d e t e R e u e f o l g e , G a b e G o t t e s sei, i n s o f e r n er d u r c h d a s W i r k e n d e s G e i s t e s in d e r

173 Vgl. Flacius, De iustificatione, 153 und bes. die Erklärung von Rom 3,4, a.a.O., 155: „Ad ostendendam iusticiam suam propter REMISSIONEN! peccatorum quae Deus toleravit. Hie indicator proximum opus, aut etiam finis proximus iusticiae Christi, nempe abolitio aut remissio nostri peccati aut iniusticiae: quae abolitio est ipsa iustificatio, seu etiam causa formalis iusticiae Domini, quatenus quidem iam ad nos applicator. Unde porro ultro profluit pax aut gaudium conscientia, vita aut aeterna gloria." Als finis remotior wird hier im folgenden die gloria Dei benannt, „ut videlicet sciamus, eum non tantum iustum esse quod lex ostenderat: sed etiam iustificantem, id est, misericorditer nos ab iniusticia per condonationem peccatorum absolventem." 174 Flacius, De iustificatione, 153 f.: „Effectus etiam sunt duo: Vicinior pax & gaudium cordis, nostrave salus: Ulterior, Dei glorificatio, ut ipse sit habeaturque iustus simul & iustificans. Quos duos effectus angeli praedicant ex nativitate Christi proventuros, dicentes: Gloria in excelsis Deo & in terra pax, hominibus bona voluntas." 175 Die Offenbarung der wahren Gerechtigkeit Gottes bezeichnet Flacius als finis remotior der Rechtfertigung, vgl. dazu die Auslegung von Röm 3,5 in de iustificatione, 155: „Ad ostendendam iusticiam suam in presenti tempore, IN HOC ut ipse sit IUSTUS & IUSTIFICANS eum qui est ex fide Iesu. Hie nominator finis remotior iusticiae & iustificationis istius: nempe gloria Dei, ut videlicet sciamus, eum non tantum iustum esse quod lex ostenderat: sed etiam iustificantem, id est, misericorditer nos ab iniusiticia per condonationem peccatorum absoluentem. Ad hunc enim ultimum finem fiunt omnia in omnibus, ut Deus glorificetur: homini vero omnis gloria, praesertim autem haec summa iusticiae detrahatur." 176 Flacius, De iustificatione, 157: „Post hanc enumerationem causarum iustificationis & iusticiae concludit Apostolus totum locum & simul primarium propositionem totius huius Epistolae proponit inquiens: CONCLUDIMUS IGITUR, Iustificari hominem fide, sine operibus legis. Quod dictum cum sit quasi primarium fundamentum aut caput articuli iustificationis, in sacris Uteris". 177 Flacius, De iustificatione, 154: „Causa sine qua non, sunt haudquaquam opera nostra, ut quidam olim anno 1535 somniaverunt & postea mortoo Luthero errorem renovarunt. Sed forte iustificationis causam sine qua non, quis dicere posset esse opus Dei, praecedens fidem, quo per legem suam veluti potentem malleum lapideum hominis cor conterit, aut in eo excitat contritionem . . . "

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Evangeliumsverkündigung begründet werde, wird von Flacius selbstverständlich im Einklang mit der reformatorischen Tradition betont. Ob er jedoch mit seiner Darstellung der Genese des Glaubens und seiner besonderen Hervorhebung des Gebets diesen Gedanken auch systematisch hinreichend entwickelt hat, kann man bezweifeln. Indem Flacius die Frage nach der heilsamen Wirkung der Rechtfertigung als der Nichtzurechnung der Sünde und der Zurechnung der Gerechtigkeit Christi im Urteil Gottes mit dem Verweis auf die Genese der Glaubensbewegungen beantwortet, entsteht die Schwierigkeit, wie diese Bewegungen als durch Gottes Wort an der Stelle des Menschen gesetzt gedacht werden sollen, wenn doch zugleich die Zurechnung der fremden Gerechtigkeit Christi als Bedingung der Möglichkeit für die Genese des rechtfertigenden Glauben als dem Menschen schlechterdings äußerlich bleibend bestimmt wird. Die imputative Rechtfertigungslehre des Flacius stellt somit zwar den Gedanken sicher, daß der Glaube hinsichtlich seines Inhalts, nämlich der Gerechtigkeit Christi, die der Glaube ergreift, gänzlich vom Rechtfertigungsurteil abhängig ist. Doch damit ist noch nicht erklärt, daß der Glaube auch als Akt gänzlich durch das Rechtfertigungsurteil konstituiert ist. Selbst wenn Flacius bei der Bestimmung der Rechtfertigungsursachen das Wirken des Heiligen Geistes als die Wort und Sakrament zu individueller Wirkung verhelfende Instrumentalursache benannt hätte, bliebe noch die Frage offen, wie dieses Wirken im Wort selbst begründet ist, ohne und außerhalb dessen der Geist nach reformatorischer Überzeugung keinen Glauben wirkt. Dieser Frage ist nachzugehen, wenn stringent behauptet werden soll, daß die Gerechtigkeit des Christen durch das Urteil der Rechtfertigung konstitutiert und der Christ nur extra se in diesem Urteil gerecht ist, wie Flacius im Einklang mit Melanchthon lehrt. Die Notwendigkeit, menschliche Mitwirkung bei der Genese des Glaubensaktes nicht einfach unter abstraktem Verweis auf das Wirken des Geistes auszuschließen, hat Flacius durchaus erkannt. Daß die Genese des Glaubens in keiner Weise auf die Selbsttätigkeit des Menschen zurückzuführen ist, stellt in seiner theologischen Konzeption die Erbsündenlehre sicher, indem sie die schlechthinnige Unfähigkeit des Menschen, bei seiner Bekehrung willentlich mitzuwirken, demonstriert. Auch wenn Flacius diese Aufgabe in problematischer Weise erledigt hat, ist seine Ergänzung der imputativen Rechtfertigungslehre durch die radikale Erbsündenlehre darum in sich konsequent. Wenn später die Konkordienformel im ersten und zweiten Artikel zwar nicht die Terminologie, wohl aber das Aussageinteresse des Flacius erneut zum Zuge bringt, so ist dies keineswegs als eine Konzession an die Gnesiolutheraner zu verstehen, sondern basiert ebenso auf der Einsicht, daß die Erbsündenlehre die Notwendigkeit der Versöhnung des Menschen mit Gott im Sinne der radikalen Unfähigkeit des Menschen zur Selbsterlösung demonstrieren

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Die Rechtfertigungslehre bei Matthias Flacius Illyricus

muß, damit das Ergreifen der Rechtfertigung im Glauben nicht als Eigenleistung des Menschen angesehen werden kann. Dabei war sowohl Flacius wie auch den anderen reformatorischen Denkern durchaus klar, daß die Sündenlehre den Nachweis der schlechthinnigen Korruption der menschlichen Natur nur im Rückgriff auf die Bestimmung der Gottebenbildlichkeit führen kann. Daß man sich für die Erkenntnis und Bestimmung der Gottebenbildlichkeit ganz auf die Urstandslehre und nicht auf die Soteriologie konzentrierte, hängt indirekt ebenfalls mit dem imputativen Verständnis der Rechtfertigung zusammen. Beruht nämlich die Zurechnung des Glaubens zur Gerechtigkeit auf der Barmherzigkeit Gottes, der dem Sünder die fremde Gerechtigkeit Christi zurechnet und ihn darin für gerecht erklärt, so besteht die Gerechtigkeit des Christen nicht in seinem Glauben als solchem, sondern in der Gerechtigkeit Christi. Damit aber wird der Glaube nicht als die adäquate Realisierung des dem Menschen zugedachten und insofern gerechten Gottesverhältnisses und somit auch nicht als Beginn der Restitution der Gottebenbildlichkeit des Menschen vorstellig, sondern nur als Ergreifen des stellvertretenden Gehorsams Christi. Wird aber der Glaube nur als Ergreifen der fremden Gerechtigkeit Christi und nicht als Realisierung des adäquaten, der Gottebenbildlichkeit des Menschen entsprechenden Gottesverhältnisses verstanden, so kann die Erkenntnis und Bestimmung der Gottebenbildlichkeit nicht durch die Soteriologie, sondern nur durch eine davon abgekoppelte Reflexion auf den ursprünglichen geschöpflichen Zustand des Menschen vor dem Sündenfall in der Urstandslehre entwickelt werden. Die durch die imputative Rechtfertigungslehre entfaltete Erlösungslehre überläßt es somit der Urstandslehre, eine vollständige Bestimmung der Gottebenbildlichkeit als Voraussetzung für die Sündenlehre und für die Konsistenz der Rechtfertigungslehre zu konstruieren. Die rechtfertigungstheologische Konzeption des Flacius ist hier deshalb so ausführlich behandelt worden, weil sie zum Verständnis der weiteren Entwicklung in doppelter Weise ausgesprochen lehrreich ist: zum einen entfaltet Flacius die imputative Rechtfertigungslehre in einer Präzision, die in der Folgezeit mehr vorausgesetzt als rekapituliert wird; zum anderen kann man anhand seiner Konzeption der Rechtfertigungsordnung die Probleme der imputativen Rechtfertigungsauffassung besonders klar erkennen. Wird die Rechtfertigung wie bei Flacius als Nichtanrechnung der Sünde und als Zurechnung der Gerechtigkeit Christi bestimmt, um die Gerechtigkeit des Christen in strenger Weise als außerhalb seiner selbst konstituierte denken zu können, so stellt sich erstens die Aufgabe, den Glauben als das Instrument der Aneignung als reine Gabe Gottes zu bestimmen, und zweitens die Frage, woraufhin die angesichts der Sünde zu erhoffende Erneuerung des Menschen geschehen kann. Indem Flacius die genannte Aufgabe der Erbsündenlehre zuweist

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und die Frage nach dem Ursprung der Erneuerung durch den Hinweis auf die Gabe des Heiligen Geistes beantwortet, demonstriert er die Angewiesenheit der imputativen Rechtfertigungslehre auf dogmatische Ergänzung. Ohne die Erbsünden- und Urstandslehre einerseits, die Lehre vom Erneuerungswerk des Heiligen Geistes andererseits kann die imputative Rechtfertigungslehre die ihr zugewiesene Funktion, die Gerechterklärung des Menschen als eine in keiner Weise durch menschliche Voraussetzungen bedingte zu denken, nicht wahrnehmen. Von daher wird verständlich, daß die Lutheraner, insofern sie Melanchthons imputative Deutung der Rechtfertigung vertraten, wie dieser eine systematische Darstellung der Glaubensartikel für unabdingbar hielten.

KAPITEL I I I

Die Aufnahme der imputativen Rechtfertigungslehre in der frühen lutherischen Dogmatik im Gefolge Melanchthons

Es bedarf keiner lückenlosen Überprüfung der lutherischen Loci und Kompendien, die seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts bis zur Einführung der analytischen Methode im frühen 17. Jahrhundert entstanden sind, um sich davon zu überzeugen, daß die von Melanchthon nach 1531 entwickelte, von der Konkordienformel festgeschriebene und von Flacius theoretisch durchkonstruierte forensisch-imputative Rechtfertigungslehre in der theologischen Lehrbildung des frühen Luthertums weitgehend übernommen wurde. Der Lehrbetrieb und die Lehrbildung wurden dabei durch Melanchthon auch in formaler Hinsicht entscheidend geprägt. Denn mit seinen „erstmals 1521 erschienen theologischen Loci schuf Melanchthon dasjenige Lehrkompendium reformatorischer Theologie, das in allen Richtungen der sich konfessionell ausdifferenzierenden und akademisch ausprägenden Reformation einen Ausgangspunkt theologischer Lehr- und Unterrichtsgestaltung bildete."1 Melanchthons Anwendung der Loci-Methode war nicht nur die Voraussetzung für die Loci-Vorlesungen, die „einen integralen, in aller Regel obligatorischen Bestandteil des theologischen Studienangebots" bildeten 2 , sondern sie bot damit einhergehend zugleich das formale Schema, durch das die systematische Entfaltung der reformatorischen Theologie in der Folgezeit wahrgenommen wurde. Auch wenn „Melanchthons ,Loci' als Grundbuch des Dogmatikstudiums an protestantischen Universitäten . . . von den letzten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts an durch ein differenziertes Angebot verschiedener Compendia" 3 abgelöst wurden, so sind doch diese Kompendien in ihrer Vorgehensweise nicht zu denken ohne die mit Melanchthons Loci geleistete Vorarbeit. 1 So Thomas Kaufmann, Martin Chemnitz (1522-1586). Zur Wirkungsgeschiche der theologischen Loci, in: Melanchthon in seinen Schülern, Wolfenbütteler Forschungen, Bd. 73, Wiesbaden 1997, 183-254, hier: 183. Vgl. auch die ebd. Anm. 1 angegebene Literatur zu den Loci Melanchthons. 2 Siehe Kaufmann, a.a.O., 183. Vgl. auch Kaufmanns „Übersicht über die rechtlichstatuarischen Bestimmungen zum Loci-Studium an protestantischen Hochschulen", а. а. O., Anm. 4, 185-190. 3 Kaufmann, a.a.O., 190.

Die Einordnung der Rechtfertigungslehre

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1. Die Einordnung der Rechtfertigungslehre in die Abfolge der theologischen Loci Die von Melanchthon zuerst angewendete Loci-Methode wurde zwar von einer Reihe reformatorischer Theologen wie etwa Urbanus Rhegius4, Andreas Musculus5 oder Christopher Obenhin6 aufgenommen, doch leisteten erst die von Polykarp Leyser7 1591/92 herausgegebenen theologischen Loci8 von Martin Chemnitz9 den entscheidenden Beitrag zur Verbreitung der melanchthonischen Lehrform. Chemnitz begann über die Loci erstmals am 9. Juni 1554 in Wittenberg Vorlesungen zu halten. Auch während seiner weiteren Laufbahn beschäftigte sich Chemnitz immer wieder mit den theologischen Loci. Dennoch gelang es ihm nicht, seine Loci selbst zu veröffentlichen. Dies holte der Wittenberger Theo-

4 Vgl. Urbanus Rhegius [hier ,Regius' geschrieben], Loci theologici e patribus et scholasticis Neotericisque collecti, Frankfurt 1550. Wie bereits der Titel anzeigt, handelt es sich bei diesem Werk primär um eine Zusammenstellung der Väterzitate, die die Position von Rhegius nur schwer erkennen läßt. Mit seiner Gliederung der Loci hält sich Rhegius allenfalls an die frühen Loci von Melanchthon. Die Gotteslehre wird nicht behandelt. Auch fehlt ein eigener Locus über die Rechtfertigung. 5 Vgl. Andreas Musculus, Loci communes theologici, Erfurt 1563. Dieses Werk unterscheidet sich von den Loci von Rhegius durch eine einsichtige Gliederung, die zwar keineswegs durchgängig der Lociabfolge Melanchthons entspricht, aber doch wie die späteren Lociausgaben Melanchthons eine Gottes- und Trinitätslehre enthält. Der grundlegende Unterschied zu Melanchthon besteht darin, daß Musculus die inhaltliche Entfaltung der Loci gänzlich durch Kirchenväterzitate bestreitet, denen er eine Liste der jeweils zentralen Schriftstellen voranstellt. 6 Vgl. Christopher Obenhin, Enchiridion theologicum, Urseliis 1563, der die Loci wie Rhegius und Musculus durch Schrift- und Väterzitate darstellt und in weitgehender Ubereinstimmung mit Melanchthons Reihenfolge entwickelt, vgl. den Aufbau: De Deo & tribus in una divinitate personis, De Deo patre, De Deo filio, De Deo spiritu sancto, De Peccato, De Libero arbitrio, De Lege divina, De Iustificatione, De Bonis operibus, De discrimine Legis, De Sacramentis, De Sacramento Baptismi, De Coena Domini, De Poenitentia, De Ecclesia, De humanis traditionibus, De invocatione Sanctorum, De Purgatorio, De Matrimonio, De Sacra scriptura, De Potestate Ecclesiastica, De Magistratu. 7 Vgl. zur Lebensgeschichte des Polykarp Leyser die Darstellung von A. Tholuck, Der Geist der lutherischen Theologen Wittenbergs, 4-14. 8 Zur Entstehungsgeschichte der Loci von Chemnitz im Kontext seiner Orientierung an Melanchthons Empfehlungen für das Theologiestudium vgl. Kaufmann, Martin Chemnitz, 202 ff., zur Textgeschichte der Loci siehe а. а. O., 214 ff. Die Ausgabe von Polykarp Leyser könnte dabei durchaus den authentischen Chemnitz-Text enthalten, vgl. а. а. O., 229. „Ein äußeres Indiz dafür, daß der Absicht, die Leyser mit der Edition der Chemnitzschen ,Loci' verfolgte, Erfolg beschieden war, ist außer in der Druckverbreitung des Werkes darin zu sehen, daß die Literaturgattung der ,Loci theologici' . . . nach dem Erscheinen des Chemnitzschen Werkes im Luthertum fest etabliert wurde."(A. а. O., 231) 9 Vgl. zu Chemnitz neben Kaufmann, a.a.O., 192ff. vor allem Th. Mahlmann, Artikel .Chemnitz, Martin', in: TRE 7 (1981), 714-721, und ders., Martin Chemnitz, in: Greschat (Hg.), Gestalten der Kirchengeschichte, Bd. 6, 315-332.

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Die Aufnahme in der frühen lutherischen Dogmatik

löge Polykarp Leyser nach, um der Theologenschaft eine kurze und präzise Zusammenfassung der theologischen Lehre zu übergeben, nach welcher strittige Fragen leicht zu klären seien.10 Die Loci von Chemnitz bieten eine Auslegung der Loci Melanchthons in ihrer gegenüber der ersten Fassung von 1521 umgearbeiteten Gestalt, wie sie 1535 erstmals im Druck erschien und danach in den Ausgaben von 1543/44 und 1559 weiterentwickelt wurde. 11 Melanchthons Loci boten Chemnitz dabei vor allem eine „Strukturierung des Stoffs", an die er „eine eigenständige, methodisch verfahrende, insbesondere auf die Schrift und die patristische Tradition zurückführende Darstellung der summa doctrina" anknüpfen konnte. 12 Insofern sind die Loci von Chemnitz „in einem gattungsanalytisch präzisen Sinne kaum als ,Kommentar' zu bezeichnen." 13 Ihre „beträchtliche publizistische Verbreitung" 14 diente dabei nicht nur der Etablierung des Loci-Schemas, sondern auch der inhaltlichen Auseinandersetzung mit Melanchthon. So wurde die „annähernd vollständige Bedeutungslosigkeit, die in bezug auf Melanchthons ,Loci' als Lehrbuch im akademischen Unterricht des 17.Jahrhunderts festzustellen ist, . . . durch die Wirkung, die Chemnitzens ,Loci' erreichten, in gewissem Sinne kompensiert, zumal die Chemnitzschen , Loci'-Ausgaben einen Abdruck des Melanchthonschen Textes boten und so auch als das . . . im 17. Jahrhundert bedeutendste Medium zur Verbreitung der Melanchthonschen ,Loci' fungierten." 15 Chemnitz behandelt die theologischen Loci in drei Bänden, wobei der erste Band die Gottes- und Trinitätslehre, die Christologie und die Lehre vom heiligen Geist, ferner die Schöpfungslehre, Sündenlehre und die Lehre vom freien Willen umfaßt 16 , während der zweite Band sich ausgehend von der theologisch als grundlegend angesehenen Unterscheidung von Gesetz und Evangelium zuerst mit dem Gesetz und den christlichen Tugenden und dann mit der Rechtfertigungslehre beschäftigt. 17 Dabei 10

Vgl. aus der Epistola dedicatoria von Polykarp Leyser, S.l: „Deum semper voluisse in Ecclesia extare brevem & certam doctrinae suae summam, sine ambiguitate expositam, quae esset canon & certa regula, ad quam quaevis alia doctrina etiam a simplicibus examinare & si ad regulam illam non quadraret, tuto rejici possit." 11 Zu der an Melanchthon orientierten Vorgehensweise von Chemnitz vgl. Kaufmann, а. а. O., 241 ff. 12 Kaufmann, a.a.O., 241. 13 Kaufmann, a.a.O., 241. 14 Kaufmann, а. а. O., 249. 15 Kaufmann, а. а. O., 253. 16 Vgl. die Loci-Abfolge von Chemnitz, Loci, Bd. I: Locus de Deo in genere, in specie; De Deo filio; De spiritu sancto; De creatione; De causa peccati et contingentia; De humanis viribus, seu de libero arbitrio; De peccato. 17 Chemnitz, Loci, Bd. II: De lege divina; De discrimine praeceptorum et consiliorum; De vindicta; De paupertate; De castitate; De iustificatione: I. De evangelio; II. De gratia et de iustificatione; III. De fide.

Die Einordnung der Rechtfertigungslehre

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bestimmt Chemnitz die Rechtfertigungslehre als das Zentralstück der ganzen christlichen Lehre und Religion, ohne welches die Reinheit der Lehre in den anderen Loci nicht zu erhalten sei18, und bezieht im Unterschied zu Melanchthon die Lehre vom Evangelium, von der Gnade und vom Glauben in den Locus von der Rechtfertigung ein. Auf diese Weise wird also die gesamte Lehre von der individuellen Heilsvermittlung durch das Evangelium und der Aneignung im Glauben unter dem Stichwort der Rechtfertigung zusammengefaßt. Der dritte und letzte Band der theologischen Loci befaßt sich schließlich mit den guten Werken, mit dem Unterschied zwischen Altem und Neuem Testament, mit der Differenzierung zwischen läßlicher Sünde und Todsünde, mit der Kirchenlehre, mit den Sakramenten und mit der Ehe. 19 Diesen Aufbau der theologischen Loci behält Chemnitz auch in seiner Erklärung der vornehmlichen Artikel der christlichen Lehre von 1569 bei, die 1574 als Handbüchlein und 1588 als Enchiridion in lateinischer Übersetzung von Johann Zanger erschien. Da dieses Handbüchlein für die Ausbildung zum geistlichen Amt gedacht ist, verzichtet Chemnitz hier auf die von Melanchthon in seinen Loci von 1521 als spekulativ qualifizierten Loci der Gottes- und Schöpfungslehre und der Christologie und beschäftigt sich ausschließlich mit dem Thema der Heilsvermittlung durch Gesetz und Evangelium als der Summe der Schrift20, mit der Kirche und dem kirchlichen Amt.21 Die Beschreibung der individuellen 18 Chemnitz, Loci, Bd. II, 200: „Imo hic Locus est tanquam arx & praecipuum propugnaculum totius doctrinae & religionis Christianae, quo vel abscruato, vel adulterato, vel suberso, impossibile est puritatem doctrinae in aliis Locis retinere." " Chemnitz, Loci, Bd. III: D e bonis operibus; De discrimine veteris & novi testamenti; D e discrimine peccati mortalis & venialis in renatis; De ecclesia; De sacramentis; De Baptismo; De coena Domini; D e coniugio. 20 Die Frage nach den vornehmlichen Artikeln der himmlischen Lehre und des kirchlichen Amtes beantwortet Chemnitz, Enchiridion, 56: „Recte etiam ita respondetur: Totius scripturae summam consistere in cognitione Dei & nostri, Et cognitionem Dei in eo consistere, sicut se in verbo suo patefecit, quod ad essentiam & voluntatem, Ephes. 1. Col. 1. Est autem haec Dei voluntas, ut a peccatis convertamur, Ezech. 18. in Christum credamus, loan. 6. & sancte vivamus, 1. Thessal. 4. Est & haec coelestis doctrinae summa, in capitibus catecheseos simplicissime proposita, in doctrina Decalogi, in doctrina Evangelii, seu in Symbolo Apostolico, in Dominica oratione, in doctrina de Sacramento Baptismi & Coenae Dominicae, Item in doctrina de Clavibus regni coelorum." 21

Chemnitz behandelt in seinem Enchiridion zuerst das Ministerium ecclesiasticum, wobei er sich besonders auf die Lehre „de legitima vocatione ministrorum verbi & sacramentorum" konzentriert. Dem folgt ein Kapitel „De officio ministri", bevor mit der Lehre vom Worte Gottes die anderen dogmatischen Loci abgehandelt werden. Vgl. die weitere Reihenfolge der Loci: D e verbo Dei; D e sacra scriptura; Quae sit vere antiqua et catholica religio & fides; De praecipuis doctrinae coelestis, ac totius ministerii ecclesiastici capitibus; De Deo (nicht ausgeführt mit Verweis auf Melanchthons Loci); De vocabulo poenitentiae, et unde doctrina poenitentiae petenda & docenda sit? De lege divina in genere; De decalogo; De peccato; De contritione; De libero arbitrio, seu viribus humanis; De evangelio; D e

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Die Aufnahme in der frühen lutherischen Dogmatik

Heilsvermittlung wird somit wie bei Melanchthon mit der Lehre vom Gesetz eröffnet, welches die Erkenntnis der Sünde und die Buße bewirkt. Die anschließende Lehre vom Evangelium, welches den Trost der zerknirschten Herzen über die Sünde enthält22, wird vorbereitet durch die Erörterung der Kräfte des gefallenen Menschen, insbesondere des freien Willens, um sicherzustellen, daß die durch das Gesetz gewirkte Bekehrung des Menschen und seine damit hervorgerufene Empfänglichkeit für das Evangelium in keiner Weise auf menschliches Vermögen bzw. menschliche Selbsttätigkeit zurückzuführen ist. 23 Im Unterschied zu den theologischen Loci erscheint im Enchiridion von Chemnitz die Lehre vom Evangelium nicht innerhalb, sondern - wie in Melanchthons Loci ab 1535 - vor der Rechtfertigungslehre. Doch damit wird wie in den theologischen Loci die These verbunden, daß die Rechtfertigung die individuelle Zurechnung der im Evangelium verheißenen Sündenvergebung und Gerechtigkeit Christi ist, wie sie in Christi Gehorsam, Leiden und Sterben begründet ist.24 Wie Melanchthon schließt Chemnitz an die

iustificatione; De fide; De praedestinatione sive electione salvandorum; De bonis operibus, seu nova obedientia. De discrimine peccati mortalis & venialis; De peccato in spiritum sanctum; De sacramentis novi testamenti in genere; De baptismo; De coena dominica; De absolutione; De oratione; De invocatione sanctorum; De matrimonio et sacerdotum coniugio, seu perpetuo eorum coelibatu; De extremo iusticio et purgatorio; De ecclesia catholica. 22 Vgl. Chemnitz, Enchiridion, 114 ff. Auf die Frage, was das Evangelium sei, antwortet Chemnitz: „Usurpator autem Evangelii appellatione aliquando in genere pro tota doctrina, quae populo novi Testamenti proponenda est, . . . Et in hac significatione generalis definitio vera est, quod Evangelium sit praedicatio poenitentiae & remissionis peccatorum. Christus enim & Paulus istis, quasi principalibus membris seu capitibus, universam doctrinam totius Ministerii comprehendunt" (a.a.O., 115). 23 Vgl. Chemnitz, Enchiridion, 106 ff., bes. 110: „de eo quaeritur, unde homo tales motus & istas mutationes [contritionis seu conversionis] habeat ac acquirat? Unde mens, cor 8c voluntas hominis vim seu facultatem illam habeat & accipiat, ut ea, quae ad poenitentiam, seu contritionem iuxta verbum divinum requiruntur, possit inchoare 8c efficere? Ad hanc vero quaestionem scriptura, ut iam ostensum est, expresse & perspicue respondet: Hominem a se ipso, ex propriis naturae suae, seu liberi arbitrii viribus nequaquam facultatem illam habere, seu motus illos elicere posse, sed esse donum gratiae & opus D e i . . . , qui in homine tales motus inchoat, operator 8c efficit, ut ita homo possit vere poenitentiam agere. Deus enim est, qui hominem convertit, qui aufert cor lapideum 8c dat cor carnetum". 24 Vgl. dazu die Bestimmung der zentralen Inhalte der Lehre vom Evangelium in Chemnitz' Enchiridion, 117: „Evangelium proprie est praedicatio seu doctrina de persona 8c officio, seu beneficiis Christi. Haec autem doctrina consistit in hisce potissimum capitibus. I. Quod hic filius ante tempora secularia, decreto divino in arcano consilio Trinitatis constitutus sit, ut fieret noster Mediator, Redemptor, Reconciliator 8c Salvator. II. Quod decretum illud divinitatis statim post lapsum verbo promissionis sit patefactum & promissio de venture Messia toto tempore veteris Testamenti ad patres repetita. III. Quod filius Dei iuxta promissionem in plenitudine temporis sit homo factus 8c opus redemptionis ac reconciliationis sua obedientia, passione 8c morte perfectissime consummarit, atque ita credentibus in ipsum, sua resurrectione 8c ascensione, iusticiam 8c vitam aeternam acquisierit. IUI. Evangelium non tantum historiam de Christo recitative proponit, sed propria Evangelii

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Rechtfertigungslehre die Erörterung des Glaubensbegriffs an. Ihr folgen die Prädestinationslehre und die Lehre von den guten Werken, während die Sakramentenlehre gewissermaßen als Abschluß der Darstellung der individuellen Heilsvermittlung durch Gesetz und Evangelium erscheint. Diese von Melanchthon stammende und von Chemnitz in den Loci und im Enchiridion rezipierte Gliederung der theologischen Themenbestände findet man auch außerhalb Wittenbergs vertreten. Das zeigt etwa das Syntagma seu Corpus doctrinae der Gnesiolutheraner Johann Wigand und Matthaeus Judex von 15 6 0 25 , die Institutio religionis christianae des in Tübingen lehrenden Lucas I. Oslander, ein Sohn von Andreas Oslander 26 , oder das Enchiridion von Timotheus Kirchner27. Schließlich hält

doctrina est, promissio gratiae, qua Deus miseris peccatoribus, agnitione peccatorum, irae divinae & damnationis perterrefactis, in verbo & sacramentis proponit & offert, gratiam remissionem peccatorum, adoptionem 8c haereditatem vitae aeternae, gratis Sc ex mera misericordia seu gratia, sine nostro merito, tantum propter obedientiam, passionem, mortem & meritum Christi. V. Evangelium docet, haec beneficia Christi mediatoris fide applicari, apprehendi & accipi. VI. Credentes Evangelion pronunciat iustos & salvos, postea sequitur alterum berieficium Christi, quod est renovatio et sanctificatio." 25 Allerdings wird im Syntagma von Wigand und Judex die Prädestination anders als bei Chemnitz nicht nach der Lehre von Rechtfertigung und Glaube, sondern zwischen dem Evangelium und der Rechtfertigung behandelt. Der Glaubensbegriff wird wie bei Chemnitz im Anschluß an die Rechtfertigung entwickelt Es folgt die Lehre von den guten Werken. Die Sakramente werden hier sogar völlig vernachlässigt. 26 Vgl. den Aufbau der Institutio Oslanders in der Ausgabe Tübingen 1582: 1. De sacra scriptura, 2. De Deo, 3. De filii Dei incarnatione, 4. De creatione: ubi etiam de statu ante lapsum & de bonis & malis Angelis agitur, 5. De lapsu generis humani: ubi de peccato originali & actuali & de libero arbitrio, seu viribus humanis, agitur, 6. De lege, 7. De evangelio, gratia Dei & iustificatione fidei, 8. De certitudine nostrae salutis: ubi de clavibus regni coelorum & de Baptismo atque Coena Domini agitur, 9. De ecclesia, 10. De bonis operibus, ubi etiam de ministerio ecclesiastico, de magistratu politico & de oeconomia administratione agitur, 11. De poenitentia, ubi etiam de praedestinatione agitur, 12. De cruce, afflictionibus & calamitatibus piorum, 13. De precatione, 14. De falsis doctoribus cavendis, 15. De morte, resurrectione, iudicio extremo & vita aeterna. 27 Vgl. die Abfolge der Artikel in T. Kirchners Enchiridion: 1. Von der heiligen Schrifft oder Wort Gottes, 2. Von Gott, 3. Von der Person Christi, 4. Vom Ampt Christi, 5. Vom Reich Christi, 6. Vom ewigen Priesterthumb, 7. Vom heiligen Geist, 8. Von der Schöpfung aller Creaturen, 9. Von den Engeln Gottes, 10. Von bösen Engeln, 11. Vom Menschen vor dem Fall, 12. Vom Fall Adae unnd verderbten Kräften deß Menschen, 13. Von der Sünde in gemein, 14. Von der Erbsünde, 15. Von der wircklichen Sünde, 16. Von der herrschenden und nicht herrschenden Sünde, 17. Von der Sünde in H. Geist, 18. Vom Gesetz Gottes, 19. Vom Evangelio, 20. Von der Rechtfertigung des Sünders für Gott, 21. Vom Glauben an Christum, 22. Von der ewigen Wahl Gottes, 23. Von guten Wercken, 24. Vom Gebet, 25. Von Sacramenten in gemein, 26. Von der Tauff, 27. Vom heiligen Abendtmal, 28. Von der Catholischen oder Christlichen Kirchen, 29. Vom Predigtampt, 30. Vom Gewalt der Schlüssel, 31. Von der Busse, 32. Von der Christlichen Freyheit, 33. Vom Ergernuß, 34. Von Wunderzeichen, 35. Vom Creutz und Leiden, 36. Von der Weltlichen Oberkeit, 37. Von dem Ehestandt, 38. Vom Antichrist, 39. Vom Todt, 40. Von der Begräbnuß, 41. Vom Zustandt der Seelen nach deß Menschen Todt, 42. Vom Ende dieser

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Die Aufnahme in der frühen lutherischen Dogmatik

sich auch Johann Gerhard in Jena28 in seinen theologischen Loci 29 genau an Melanchthons Gliederung der Loci. 30 Allerdings wird bei ihm die Ausarbeitung der einzelnen Loci nach einem festen Schema durchgeführt, welches von der Onomatologie zur Pragmatologie und schließlich zur Distinktion der verschiedenen Ursachen des in dem jeweiligen Locus behandelten Themas fortschreitet. Dieses Schema wird später bei Calov und Quenstedt mit der analytischen Methode verbunden werden. In Wittenberg setzt Leonhard Hutter 31 , ein entschiedener Kritiker philippistischer Lehren, mit seinem Kompendium von 1610 und den Loci communes theologici von 1619, die aus Vorlesungen über Melanchthons Loci entstanden und von der Wittenberger Fakultät nach seinem Tode herausgegeben worden sind 32 , die von Chemnitz tradierte Lehrform Melanchthons fort. 33 Obwohl Hutters Kompendium, welches als sein Welt, 43. Von Aufferstehung der Todten, 44. Vom Jüngsten Gericht, 45. Von der Hell, 46. Vom ewigen Leben. 28 Vgl. zu Johann Gerhard die Darstellung von Jörg Baur in: Gestalten der Kirchengeschichte, Bd. 7, 99-119. Siehe ferner den Artikel ,Gerhard, Johann (1582-1637)' in: TRE 12 (1984), 448-453, von Martin Honecker. 29 Zur theologiegeschichtlichen Bedeutung der Loci von Johann Gerhard vgl. neben dem oben genannten Artikel von Jörg Baur jetzt Johann Anselm Steiger, Johann Gerhard, 52 ff. 30 Gerhard, Loci, Band I: 1. De scriptura sacra, 2. De natura Dei et attributis divinis, 3. De sanctissimo trinitatis mysterio, 4. De persona et officio Christi, Band II: 5. De creatione et angelis, 6. De Providentia, 7. De electione et reprobatione, 8. De imagnine Dei in homine, 9. De peccato originali, 10. De peccatis actualibus, 11. De libero arbitrio, Band III: 12. De lege Dei, 13. De legibus ceremonialibus et forensibus, 14. De evangelio, 15. De poenitentia, 16. De justificatione per fidem, Band IV: 17. De Bonis Operibus, 18. De Sacramentis, 19. De Circumcisione et Agno Paschali, 20. De Sacro Baptismo, Band V: 21. De Sacra Coena, 22. De Ecclesia, Band VI: 23. De Ministerio Ecclesiastico, 24. De Magistratu Politico, Band VII: 25. De coniugio, Band VIII: 26. De novissimis in genere, 27. De mortuorum resurrectione, Band IX: 28. De extremo iudicio, 29. De consummatione seculi, 30. De inferno seu morte aeterna, 31. De vita aeterna. 31 Vgl. zu Hutter den Artikel ,Hutter, Leonhard' in: RE 3 8, 497-500 von Johannes Kunze. Hutter (1563-1616) lehrte seit 1596 als vierter ordentlicher Professor der Theologie in Wittenberg, „wo er denn auch, als Kollege und Geistesgenosse eines Hunnius, Leyser, Meisner und anderer Lutheraner vom reinsten Wasser, in eifriger und umfassender Wirksamkeit" (RE 3 8, 497) zum orthodoxesten unter den Lutheranern avancierte, „denn keiner ist strenger innerhalb der Grenzen des kirchlich autorisierten und normierten lutherischen Lehrbegriffs stehen geblieben" (a.a.O., 498). 32 RE 3 8, 499. 33 Vgl. den Aufbau der Loci von L. Hutter: Prolegomena, 1. De Deo uno et trino, 2. De Persona, sive duabus Naturis Christi servatoris, 3. De creatione, 4. De Providentia, 5. De causa peccati, 6. De libero hominis arbitrio, 8. De imagine Dei & iustitia originali primi hominis, 9. De peccato originis, 10. De peccato actuali, 11. De lege Dei, 12. De evangelio, 13. De justificatione hominis peccatoris coram Deo contra Pontificos Sc recentiores Photinianos, 14. De bonis operibus, 15. De discrimine V. & N. Testament!, 16. De ecclesia, 17. De sacramentis in genere, 18. De baptismo, 19. De sacramento coenae, 20. De sacrificiis, 21. De poenitentia, 22. De aeterna praedestinatione, sive electione, 23. De regno Christi, 24. De resurrectione mortuorum ultima, 25. De libertate christiana, 26. De

Die Einordnung der Rechtfertigungslehre

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H a u p t w e r k g e l t e n k a n n , d a z u „ b e s t i m m t w a r , als o f f i z i e l l e s L e h r b u c h in d e n s ä c h s i s c h e n L e h r a n s t a l t e n an d i e Stelle d e r seit d e m k r y p t o c a l v i n i s t i s c h e n Streit v e r d ä c h t i g g e w o r d e n e n loci M e l a n c h t h o n s z u treten", f o l g t H u t t e r d o c h f o r m a l hier w i e in d e n Loci d e r „ O r d n u n g u n d M e t h o d e d e r M e l a n c h t h o n s c h e n " 3 4 K o n z e p t i o n u n d ü b e r n i m m t d a b e i a u c h in w e i t e n T e i l e n d i e materiale E n t f a l t u n g d e r Lehre v o n G e s e t z , S ü n d e , E v a n gelium und Rechtfertigung. I n d e m die h i e r a u f g e f ü h r t e n E n t w ü r f e d e r t h e o l o g i s c h e n L o c i sich d u r c h w e g an d e n z w e i t e n E n t w u r f d e r L o c i v o n M e l a n c h t h o n a n s c h l i e ß e n , k o n z e n t r i e r e n sie sich i m M i t t e l t e i l auf d i e D a r s t e l l u n g d e r individuellen Heilsvermittlung durch die Verkündigung v o n G e s e t z und Evang e l i u m . H i e r liegt d a s Z e n t r u m d e r n a c h d e m W i t t e n b e r g e r L e h r t y p u s k o n z i p i e r t e n t h e o l o g i s c h e n Loci. D e n n G e s e t z u n d E v a n g e l i u m g e l t e n als d i e z e n t r a l e n K a p i t e l d e r christlichen L e h r e 3 5 , i n s o f e r n d a s G e s e t z durch die A u f d e c k u n g der Sünden die Reue über die Sünde erzeugt und damit die Empfänglichkeit für die Verheißung des Evangeliums vermittelt, w ä h r e n d d a s E v a n g e l i u m d i e B e f r e i u n g v o n S ü n d e n s c h u l d u n d Sünd e n s t r a f e v e r h e i ß t u n d s o T r o s t u n d Friede f ü r das G e w i s s e n b e d e u t e t . 3 6 adiaphoris sive ceremoniis aut traditionibus humanis in ecclesia, 27. De mortificatione carnis, 28. De scandalo, 29. De spiritu & litera, 30. De cruce Sc calamitatibus, sive afflictionibus humanis, 31. De cultu & invocatione Dei, 32. De magistratu civili. 34 RE 3 8, 498. 35 Vgl. dazu neben den im Text erwähnten Autoren etwa David Chytraeus, Catechesis, 1 f.: „DUAE sunt praecipuae partes universae doctrinae Christianae. LEX seu praecepta Decalogi: Et EVANGELION, seu promissio gratiae Dei & vitae aeternae, propter Christum gratis donandae." Siehe auch T. Kirchner, Enchiridion, 1: „Weichs sind die fürnembsten Hauptstück der Schrifft oder deß Worts? Zwey / Das Gesetz und Evangelium. Das Gesetz gebeut unnd fordert von uns / was wir thun und lassen sollen . . . Das Evangelium aber predigt nicht was wir thun unnd lassen sollen / Sondern heißt uns nur die Schoß herhalten unnd nemmen / unnd spricht: Sihe lieber Mensch / das hat dir Gott gethan / Er hat dir seinen Sohn geschenckt / hat ihn umb deiner willen erwürgen lassen . . . " 36 Melanchthon bestimmt das Evangelium als Sündenvergebung und Gerechtsprechung, vgl. StA V, 65,7-11: „Lex docet nos reputari iustos, si legem fecerimus. Evangelium contra affert remissionem peccatorum et pronuntiat nos iustos non propter impletionem legis aut virtutes nostras, sed propter Christum per misericordiam gratis." Umgekehrt sagt Melanchthon in den Loci von 1535 über den Locus von der Gnade und Rechtfertigung: „Hic locus continet summam Evangelii, monstrat enim proprium Christi beneficium, ac proponit firmam consolationem piis mentibus, et docet, qui sint veri cultus Dei." (CR 21, 420) Ahnlich heißt es in den Loci der tertia aetas, der Locus über Gnade und Rechtfertigung enthalte die Summe des Evangeliums, insofern er die eigentümliche Wohltat Christi vorstelle, sicheren Trost für die frommen Geister gewähre, wahre Gottesverehrung und Anbetung lehre und schließlich die Kirche Gottes von den übrigen Völkern, den Juden, den Mahometisten und den Pelagianern unterscheide (StA II/2, 389, 11-18). Vgl. auch CR 21, 421: „Evangelium, ut dixi, docet in summa de poenitentia et remissione peccatorum propter Christum. Sic igitur simplicissime de Iustificatione dico. Evangelium arguit peccata et docet, nobis opus esse mediatore Christo, propter quem donentur remissio peccatorum et reconciliatio."

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Die Aufnahme in der frühen lutherischen Dogmatik

Dabei wird das Evangelium inhaltlich durch die Rechtfertigungslehre expliziert.37 Der Glaube, der die Rechtfertigung ergreift, wird entweder im Zusammenhang der Rechtfertigungslehre 38 oder aber direkt im Anschluß an den Locus von der Rechtfertigung 39 thematisiert. Auf diese Weise signalisiert bereits die Themenabfolge die von Melanchthon übernommene Auffassung, daß der rechtfertigende und heilsame Glaube durch die Verkündigung der Rechtfertigungsbotschaft des Evangeliums hervorgebracht wird und insofern Glaube an die Rechtfertigung im Sinne der Sündenvergebung und Adoption in die Gotteskindschaft ist.

2. Die Analyse der imputativen Rechtfertigung allein aus Glauben durch die Bestimmung der Rechtfertigungsursachen Obwohl das Ansehen Melanchthons im Luthertum durch den Adiaphoristischen Streit und durch die kryptocalvinistischen Wirren nicht unerheblich geschmälert worden war und unter den an Luther sich orientierenden Theologen nach Melanchthons Tod eine gewisse kritische Reserve gegenüber Melanchthon erhalten blieb, wurde doch nicht nur die Konzeption seiner Loci, sondern auch seine materiale Entfaltung der Rechtfertigungslehre in den Zentren theologischer Ausbildung, insbesondere auch in Wittenberg rezipiert. Wenn die Wittenberger Universität 40 um die Wende zum 17. Jahrhundert durch Theologen wie Aegidius Hunnius, Leonhard Hutter, Nikolaus Hunnius nach und nach zur Hochburg lutherischer Rechtgläubigkeit avanciert und diese Stellung dank immer neuer Spitzenkräfte wie Abraham Calov und Johann Andreas Quenstedt das ganze Jahrhundert hindurch behaupten kann, so geschieht dies keineswegs auf dem Boden einer durchgängigen Melanchthonkritik, sondern vielmehr durch eine Kombination von melanchthonischem und gnesiolutherischem Gedankengut. In der Rechtfertigungslehre zeigt sich dies darin, daß man das melanchthonische Interesse an der Verteidigung der Rechtfertigung allein aus Glauben durch die imputative Rechtfertigungsvorstellung durchführt im Rückgriff auf die von Flacius vorgenommene

37 Daß die Rechtfertigungslehre damit sogar den Locus vom Evangelium ganz ersetzen kann, zeigt das Enchiridion von Christoph Obenhin. 38 So in den Loci Melanchthons der dritten aetas, vgl. CR 21, 739 ff. und in den Loci von Chemnitz, ebenso im Compendium von L. Hutter. 39 So verfährt Chemnitz in seinem Enchiridion, vgl. ähnlich Wigand/Judex, Syntagma. 40 Vgl. dazu den Artikel,Wittenberg, Universität' in: RGG 3 6, 1782-1784 von O. Thulin. Der lutherische Charakter der Universität wurde 1591 mit der Verpflichtung auf die Konkordienformel festgelegt (vgl. a.a.O., 1783).

Die Analyse der imputativen Rechtfertigung

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Analyse des Imputationsbegriffs 41 und seine Differenzierung der Rechtfertigungsursachen 42 . a) Die exegetische Auseinandersetzung Rechtfertigungslehre

mit der

tridentinischen

Den Ausgangspunkt für die lutherische Auseinandersetzung mit der tridentinischen Rechtfertigungslehre bildet bereits bei Flacius und dann vor 41 Vgl. exemplarisch Friedrich Balduin, De iustitia fidei, Thesen 139-148. Siehe auch Balthasar Meisner, Anthropologia sacra, Decas III, Disputatio IV, Quaestio VII, 281-285. 42 Zur gnesiolutherischen Aufnahme der Ursachendifferenzierung siehe Wigand/Judex, Syntagma, 975 ff. Zur Wittenberger Tradition siehe die Disputation ,De iustificatione ex articulo confessionis Augustanae quarto' von Oswald am Ende unter Vorsitz von A. Hunnius, Wittenberg 1593, sowie Aegidius Hunnius, Articulus de iustificatione hominis peccatoris gratuita, Frankfurt am Main 1594. Ferner Friedrich Balduin, De iustitia fidei, Thesen 105-138; L. Hutter, Compendium, 53 f., der allerdings nur drei Ursachen der Rechtfertigung unterscheidet. Darin folgt ihm Nikolaus Hunnius in seiner Epitome credendorum, hier zitiert als: Gründliche und allgemein faßliche Darlegung der Glaubenslehre der evangelisch-lutherischen Kirche. Auf den Wunsch mehrerer Amtsbrüder herausgegeben von Heinrich Brandt, Altdorf 1844 (Glaubenslehre). Als „die vornehmste Ursache, die den Sünder rechtfertigt," nennt Hunnius „Gott, sofern er in seinem Gericht mit den Sündern nicht nach seiner strengen Gerechtigkeit, sondern nach seiner großen Barmherzigkeit handelt." (A.a.O., 217) „Die andere Ursache . . . ist der Herr Christus mit seinem Verdienst und erworbenen Gerechtigkeit" (ebd.). „Die dritte Ursache (als causa organica), durch welche Gott rechtfertigt, ist zweierlei: Die Gerechtigkeit muß a) von Gott dem Menschen dargeboten, b) von Menschen angenommen und empfangen werden. So bietet Gott die Gerechtigkeit dem Menschen dar, durch das Wort der evangelischen Verheißungen und durch die h. Sacramente . . . Wenn dem Menschen die Rechtfertigung angeboten wird, so empfähet er sie durch den Glauben, welcher gleichsam die geistliche Hand ist, damit Gottes Gnade, Christi Verdienst, die Vergebung der Sünden, Gerechtigkeit, Leben und Seligkeit angenommen und ergriffen wird." (А. а. O., 221) Siehe schließlich auch Balthasar Meisner, Anthropologia sacra, Decas III, Disputationes IV-X.

Ebenso bestimmt Johann Gerhard im Locus über die Rechtfertigung nach der Analyse des forensischen Wortsinns der Rechtfertigung die Ursachen der Rechtfertigung in der Exegese von Rom 3,24 f., wo er die Summe des Rechtfertigungsartikels ausgesagt findet. Die Bestimmung der Ursachen fällt dabei in der gleichen Weise aus wie bei Flacius. Vgl. Gerhard, Loci, Bd. III, Locus 16, Nr. 16, 309: „Exprimitur enim ibi causa efficiens principalis justificationis, quae est gratia Dei; causa meritoria, quae est obedientia et satisfactio Christi mediatoris; causa formalis, quae est remissio peccatorum; causa Instrumentalis, quae est fides; causa finalis, quae est declaratio justitiae ex parte Dei, pax conscientiae et vita aeterna ex parte nostri." Siehe für die Folgezeit exemplarisch die Dissertation von David Schwertner bei Johannes Hülsemann: Doctrina orthodoxa de justificatione hominis peccatoris coram Deo, Leipzig 1658. Schwertner verfährt streng nach der Unterscheidung der Ursachen und kommt daraufhin am Schluß zu dem Ergebnis: Justificatio est actio DEI, qua ex mera gratia & misericordia propter Christi meritum homini peccatori per ministerium Evangelii vere in Christum credenti, peccata remittit, justitiam Christi imputat & ad vitam aeternam acceptat. DEO autem nostro, qui justus, quique justificat omnem, qui est ex fide Jesu Christi, sit laus & gloria in aeternum AMEN."

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Die Aufnahme in der frühen lutherischen Dogmatik

allem in dem berühmten Examen Concilii Tridentini von Martin Chemnitz von 1 5 6 5 / 6 6 4 3 die exegetische Deutung der Rechtfertigungsaussagen bei Paulus. Wie dabei schon in den theologischen Loci von Chemnitz erkennbar ist, vertritt Chemnitz im Einklang mit der Konkordienformel, deren Konzeption er entscheidend geprägt hat 4 4 , unter Bezug auf den forensischen Sinn der Rechtfertigung als Gerechterklärung, Gerechtsprechung bzw. Lossprechung 45 und auf die Bedeutung des Imputationsbegriffs 46 die forensisch-imputative Auffassung der Rechtfertigung als die adäquate exegetische Deutung gegenüber dem tridentinischen Verständnis der Rechtfertigung als einer qualitativen Veränderung von der Ungerechtigkeit zur Gerechtigkeit. 47 Den entscheidenden kontroverstheologischen Streitpunkt erblickt Chemnitz dabei in der Frage, ob als Grund der Rechtfertigung allein das satisfaktorische Heilswerk des Gottessohnes oder auch die in uns angefangene Erneuerung zu gelten hat. 48 Gegen die tridentinische Deu-

43 Während die Bedeutung der theologischen Loci von Chemnitz vor allem darin zu sehen ist, daß sie die Loci-Methode Melanchthons durch eine Explikation seiner Loci fortschreiben, bietet das berühmte Examen Concilii Tridentini von 1565/66 gegenüber den Loci eine übersichtlichere und prägnantere Entfaltung der Rechtfertigungslehre. 44 Vgl. dazu Wenz, Theologie der lutherischen Bekenntnisschriften, Bd. 2, 520, Anm. 79. 45 Vgl. die grammatikalische Untersuchung von ,iustificatio', ,iustificare' und ,iustificari' in Chemnitz' Loci II, 2 2 9 - 2 3 7 . Danach meine Rechtfertigen': .lossprechen', ,gerechterklären', ,den Gerechtgesprochenen Lohn zuerkennen', vgl. Loci II, 231. Ebenso stellt die Konkordienformel unter Berufung auf die Wortbedeutimg von Rechtfertigung in der Schrift und vornehmlich bei Paulus fest, daß die Rechtfertigung als Gerechtsprechung bzw. Gerechterklärung des Glaubenden verstanden werde. Vgl. S D III, 12 f., B S L K 918,8 ff. und S D III, 17, B S L K 919,24 ff.: „Vocabulum igitur iustificationis in hoc negotio significat iustum pronuntiare, a peccatis et aeternis peccatorum suppliciis absolvere, propter iustitiam Christi, quae a Deo fidei imputatur. Et sane hic vocabuli illius usus tam in Veteri quam in Novo Testamento admodum frequens est."

Vgl. dazu Chemnitz, Loci II, 2 7 3 - 2 7 6 . Chemnitz, Loci II, 274: „Tenenda igitur est vera hujus vocabuli explicatio, ut quid proprie sit justitia imputata, intelligi & defendi possit & quomodo opponatur justitiae inhaerenti." Vgl. Chemnitz, Examen Concilii Tridentini I, 144-175. Siehe daraus bes. die Darstellung des „verus status loci de iustificatione", а. а. O., 147 ff., und die Ausführungen zum Imputationsbegriff, a . a . O . , 171 f. Zum tridentinischen Verständnis von Justificare' siehe а. а. О., 149 f. Vgl. außerdem J . Baur, Martin Chemnitz, in: Jahrbuch der Gesellschaft für niedersächsische Kirchengeschichte 67 (1969), 7 - 2 3 . Gegen die römisch-katholische Rechtfertigungslehre, derzufolge eine physische Veränderung gewisser Qualitäten durch die Rechtfertigung im Sinne einer Gerechtmachung in uns angenommen werde, betont Balduin wie schon Chemnitz in seinem Examen Concilii Tridentini, daß die Rechtfertigung ein gerichdicher Akt der Gerechterklärung sei, vgl. Balduin, De iustitia fidei, Thesen 109 und 110. 46

47

48 Vgl. Chemnitz, Examen I, 148: „Haec enim est principalis quaestio . . . : quod scilicet id sit, propter quod Deus hominem peccatorem in gratiam r e c i p i a t . . . An illud sit satisfactio, obedientia et meritum Filii Dei mediatoris: an vero inchoata in nobis novitas, dilectio, et reliquae virtutes in nobis. Hic est status controversiae, qui tam studiose et insidiose in decretis Tridentinis occultatur . . . "

Die Analyse der imputativen Rechtfertigung

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tung bestimmt Chemnitz die Rechtfertigung durch „eine knapp raffende Definition" 49 als das Beziehungsgefüge, dessen Grund die Gerechtigkeit Christi und dessen Ziel die glaubende Person sei, der mit der Verkündigung des Evangeliums als der Lehre von der Versöhnung oder den Wohltaten des Mittlers50 die Sündenvergebung und Anrechnung der Gerechtigkeit Christi zur Gerechtigkeit und Seligkeit zuteil werde. Diese Beziehung wird nach Chemnitz vermittelt durch die Barmherzigkeit Gottes, der die Gerechtigkeit ohne Werke zurechnet.51 Daß Chemnitz bei dem in den Loci und im Examen Concilii Tridentini dargelegten Verständnis der Rechtfertigung und des Glaubens geblieben ist, belegen seine Erklärung der vornehmsten Artikel der christlichen Lehre von 1569 und sein Enchiridion von 1588. Chemnitz deutet die Rechtfertigung auch hier als göttliche Imputation der Gerechtigkeit Christi, welche in dem Gehorsam und dem Tod Christi als des Mittlers besteht. Die ursprüngliche Bedeutung von Rechtfertigung' möchte er dabei nicht auf die Zusammensetzung der lateinischen Termini zurückgeführt wissen, wodurch das effektive bzw. gerechtmachende Moment bezeichnet würde. Stattdessen betont er den forensischen Sinn der Rechtfertigungsaussagen in der Schrift.52 Die Rechtfertigung des Menschen durch Gott vollzieht sich nach Chemnitz dadurch, daß Gott uns durch die Imputation der Gerechtigkeit Christi die Sünden vergibt, uns in seine Gnade aufnimmt, als seine Kinder adoptiert und uns das ewige Leben verheißt.53 Sie wird angeeignet allein durch den Glauben, der die Gnade

49

J. Baur, Martin Chemnitz, 11. Chemnitz, Loci II, 203. 51 Chemnitz, Examen I, 172: „Et ita habemus totam relationem. Fundamentum est justitia Christi: terminus est persona credens, cui fit imputatio ad justitiam et beatitudinem: relatio est misericordia Dei, imputans justitiam sine operibus." 52 Vgl. Chemnitz, Enchiridion, 126. Siehe außerdem die ausführlichere Untersuchung der Rechtfertigungsterminologie im Examen Concilii Tridentini I, 148 ff. 53 Vgl. Chemnitz, Enchiridion, 125 f.: „In quo igitur consistit lustificatio hominis peccatoris iuxta Evangelium?IN eo ipso, quod Deus iusticiam obedientiae & mortis Christi Mediatoris nobis imputat, atque ita gratis ex gratia, sine operibus aut mentis nostris, sola fide apprehendente Dei patris gratiam & Christi meritum, nos iustificat, hoc est, peccata nobis remittit, nosque in gratiam suam recipit, in filios aeternae acceptat, . . S i e h e weiter Enchiridion, 127 f.: „Et qui per fidem ad filium illum mediatorem confugiunt, ac ipsum fide apprehendunt eos pater, ab intentata accusatione legis & a sententia condemnationis iustificat, hoc est, absoluit, propter Christum; eosque imputatione obedientiae & mortis Christi, iustos pronunciat, ac vitam aeternam ipsis addicat, Rom. 8. Et hie est processus seu actus iustificationis hominis peccatoris coram Dei iudicio, ut a throno severae iusticiae Dei, provocet ad thronum gratiae in sanguine filii Dei, sicut Gerson eleganti similitudine, forensi appelatione, negocium iustificationis describit." 50

Vgl. auch Chemnitz, Handbüchlein, 119 f.: „Heißt doch Iustificare, gerecht machen/ Und weil der heilige Geist die Gläubigen erneuert/ das sie ihre Glieder begeben zur Gerechtigkeit/ Rom 6. so wird ja ihre Rechtfertigung stehen auf solchen ihrem neuen Gehorsam:

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Die Aufnahme in der frühen lutherischen Dogmatik

des Vaters und das Verdienst Christi annimmt54, wobei Chemnitz auch hier gegen die tridentinische Lehre betont, daß die Gerechtigkeit Christi, die der Glaube ergreife, nicht zu einer inhärierenden Qualität des Glaubenden werde, sondern daß der Glaubende diese Gerechtigkeit nur außerhalb seiner selbst in Christus habe.55 Die exegetische Widerlegung der tridentinischen Rechtfertigungslehre durch Betonung des forensisch-imputativen Sinns der Rechtfertigungsaussagen insbesondere bei Paulus wird im Anschluß an Chemnitz ein fester Bestandteil nicht nur der expliziten Abgrenzung gegen die römischkatholische Lehre in Disputationen 56 und ausführlichen dogmatischen

Iustificare Rechtfertigen/ ist ein sonderliches eigenes Wort der Schrift/ und heißt / einen von angestalter Klage und von Verdammnis lossprechen/ wie denn in der Schrift gegen einander gesetzt werden/ Rechtfertigen und verdammen. . . . Und wird der ganze Handel einfältig und klar mit dem Worte Iustificari uns vorgebildet/ Nämlich/ das es nicht liederlich oder leichtfertig zugehe/ sondern mit solchem E m s t / das uns erstlich das Gesetz vor Gottes Gericht zitiert/ daselbst beklagt/ beschuldigt und überweist der Sünde halber/ Und weil da die ganze Welt Gott schuldig wird ..., spricht Mose über uns das Urteil des Todes . . . Da stellt alsdenn Gott durchs Evangelium seinen Sohn vor/ zum Gnadenstuhl/ Rom 3. Und die nun durch den Glauben den ergreifen/ an den sich halten/ die spricht er widerum los/ von der Anklage und Verdammnis des Gesetzes/ um Christus willen/ und verspricht ihnen das ewige Leben/ Rom 8 und das ist der Handel der Rechtfertigung." Vgl. dazu ebd., 122 f.: „Derhalben/ weil der Glaube sieht und weiß/ daß er in des Menschen Natur und bestem Leben oder bei einiger Kreatur/ solche Gerechtigkeit nicht finden kann/ dadurch der Mensch vor Gott könne gerechtfertiget werden/ so ergreift er im Wort und Sakrament Christum/ mit seinem heiligen Gehorsam und unschuldigen Leiden/ damit er das Gesetz für uns erfüllt hat/ als die Gerechtigkeit/ die allein vor Gott gilt/ bringt und stellt die vor Gottes Gericht/ wünscht/ begehrt/ bittet/ fleht/ glaubt und traut/ daß um desselbigen willen Gott den armen Sünder wolle rechtfertigen/ Das ist/ seine Sünde ihm vergeben/ ihn zu Gnaden annehmen/ und das ewige Leben geben/ Und weil das ist eine völlige und überschwenigliche Gerechtigkeit/ für uns geleistet/ die vor Gottes Gericht bestehen kann/ so hat Gott verheißen/ daß er den Gläubigen solche Gerechtigkeit/ seines Sohnes zurechnen wolle/ als hätten sie selbst dieselbige geleistet . . . Und also haben wir in Christus eine gute, starke Gerechtigkeit/ um welcher willen uns Gott rechtfertige." 54 Chemnitz, Enchiridion, 128: „Num igiturpropterpeccata Deuspeccatorem iustificat? Ita, ut in iustificatione, fidei nullum prorsus iustidam intervenire necesse sit, cuius respectu peccator iustus pronuncietur? Huiusmodi iustificationem Deus ipse abominationem vocat, Exo. 22. Prov. 16. Isai. 5. Iudicio itaque Dei oppenenda, sive inter Deum, iratum iudicem & inter hominem peccatorem interponenda est talis iusticia, per quam & propter quem Deus impium iustificet. Iustificatio enim fieri non potest absque iusticia, Rom. 3." Vgl. weiter Enchiridion, 129 f.: „Hanc igitur iusticiam [seil, obedientiae & mortis Christi; Vf.] fides apprehendit & opponit iudicio Dei, vera cordis fiducia quaerens & petens, ut propter earn a Deo iustificetur, hoc est, ut Deus credentibus peccata remittat, eos in gratiam reeipiat & aeeepta ad vitam aeternam propter Christum mediatorem." 55 Siehe Chemnitz, Enchiridion, 130. 56 Vgl. exemplarisch die Disputation bei Aegidius Hunnius von Oswald am Ende, De iustificatione, Thesen 3 und 4: „3. Significat autem in hac, quae inter nos & Papistas agitatur, controversia, iustificandi vox, non declarationem iustitiae coram hominibus, quam per bona opera fieri Iacobus vere asserit. 4. Sed significat eiusmodi actum, quo homo

Die Analyse der imputativen Rechtfertigung

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Darstellungen der lutherischen Rechtfertigungslehre 5 7 innerhalb und außerhalb Wittenbergs, sondern auch in der kompendienartigen Behandlung des Rechtfertigungsartikels 5 8 . Im Unterschied zur gegenwärtigen exegetischen Diskussion der paulinischen Rechtfertigungslehre 5 9 wird dabei in völliger Übereinstimmung

coram Deo & tribunali eius a peccatis suis iustificatur, seu a reatu peccati & damnationis absolvitur & vicissim recipitur in gratiam Dei, condonatisque peccatis iustus adeoque, regni coelestis haeres pronunciatur." Siehe auch Aegidius Hunnius, De iustificatione, 3 ff. 57 Vgl. neben Johann Gerhard vor allem L. Hutter, Loci, Artikel 13, 435 ff.; ferner Meisner, Anthropologia sacra, Decas III, Disputatio IV, 159 ff.; Kromayer, Theologia positivo-polemica, Articulus X I . de justificatione, 474 ff. und viele andere. 58 Vgl. exemplarisch Hutter, Compendium, 52, Frage 1: „Quid significat verbum iustificare in hoc Articulo? Significat idem quod absolvere a peccatis et aeternis peccatorum suppliciis: sive iustum pronunciare: Q u o sensu verbum hoc passim in Scripturis accipitur" (Prov 17,15; Jes 5,23; Rom 8,33). 59 Während nach dem Urteil von Hans Hübner zwischen katholischen und evangelischen Exegeten eine „weitreichende, wenn auch natürlich nicht völlige Ubereinstimmung . . . im Verständnis und in der Wertung der paulinischen Rechtfertigungslehre" gegeben ist, verstärken sich seit einigen Jahren „die Angriffe vor allem amerikanischer Exegeten auf die von den meisten evangelischen Theologen vertretene Überzeugung, daß für die Theologie des Paulus die Rechtfertigung aus dem Glauben ohne des Gesetzes Werke zentral sei" (Hans Hübner, Biblische Theologie des Neuen Testaments, Bd. 2, 7). Als Vertreter der von der lutherischen Position abweichenden Exegeten nennt Hübner hier Ε. P. Sanders und Francis Watson. Hinzufügen ließen sich Krister Stendahl, John Ziesler, James D. G. Dunn und andere. Charakteristisch für die Position von Sanders ist sein Versuch, die Rechtfertigungslehre von Paulus einer antijudaistischen Mißdeutung zu entziehen (vgl. dazu J. Dunn, The Theology of Paul, 338 f.). Dies geschieht durch die Behauptung, daß „the attempt to gain righteousness by observing the law" von Paulus gar nicht ausdrücklich abgelehnt werde (vgl. den Forschungsüberblick von Stephen Westerholm, Israel's Law and the Church's Faith, 82). Die Selbstgerechtigkeit der Juden werde als solche von Paulus nicht verworfen, kritisiert werde nur der exklusive Anspruch Israels, das erwählte Volk Gottes zu sein. Damit richte sich die paulinische Kritik an der Gesetzesgerechtigkeit nicht gegen die jüdische Praxis, sondern sei allein motiviert durch die Einsicht, „that salvation is available only in Christ" als der „appointed Lord of the whole world and Savior of all believers" (Westerholm, a . a . O . , 84f.). Damit verbindet sich bei Sanders eine Kritik an der These, „that Paul thinks of righteousness as being fictitiously imputed to those who have faith, while they remain sinners in fact." (Sanders, Paul, 67) Aus der Ablehnung der Imputationsvorstellung als „psychological explanation of how Paul's ethics related to his basic proclamation of salvation" und der Betonung des „,realistic' view of human transformation" bei Sanders (vgl. Sanders, Paul, 72) resultiert zwar noch nicht die Ablehnung des forensischen Charakters der Rechtfertigung (vgl. dazu Sanders, Paul, 73 f.). Aber: „the deeper levels of Paul's thought are not found in the judicial categories, but in those which express the participation of the faithful in Christ or in the Spirit, a participation which produces a real change." (Sanders, Paul, 74) Das heißt: „The deeper meaning of Paul's difficult passive verb ,be righteoused', ist that one dies with Christ and becomes a new person." (Sanders, Paul, 76) Für die Begründung der paulinischen Ethik folgt daraus nach Sanders: „Paul's ethics are organically related not to legal innocence, being declared to be righteous, but to participation in another being or power." (Sanders, Paul, 75) An diese Sichtweise

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Die Aufnahme in der frühen lutherischen Dogmatik

die rein forensische Deutung der Rechtfertigungsaussagen vertreten und durchgängig die von Flacius ausdifferenzierte Imputationsvorstellung übernommen. Dabei wird auch die nachtridentinische Theologie rezipiert und diskutiert. In Jena verteidigt Johann Gerhard im dritten Band seiner theologischen Loci, die zwischen 1610 und 1622 erscheinen 60 , die Wittenberger Rechtfertigungstheologie in durchgängiger Auseinandersetzung mit Robert Bellarmins Disputationes de controversiis Christianae Fidei adversus huius temporis haereticos von 1586 6 1 und vor allem mit dessen fünf Büchern De iustificatione impii 62 . Später wird Gerhard diese Auseinandersetzung in herberem Ton 6 3 auch in der Confessio catholica von 1 6 3 3 - 1 6 3 7 führen, die nach dem Examen concilii Tridentini von Chemnitz „die bedeutendste Apologie der lutherischen Theologie gegen die Einwände und Kritik der katholischen Theologen" 6 4 darstellt. Gerhard beginnt seinen ausgedehnten Locus über die Rechtfertigung aus Glauben wie Chemnitz mit einer ausführlichen Analyse des Rechtfertigungsbegriffs aus den diversen Aussagen der Schrift 65 , in der er den forensischen Sinn der Rechtfertigung

knüpft James Dunn in seinem Buch über die Theologie des Paulus an, wobei er allerdings „the imaginary of participation in Christ" nicht so sehr als Basis, sondern eher als Alternative „for those less attrected by the judicial character" der Rechtfertigung ausgibt (Dunn, T h e Theology of Paul, 390). Die zentrale Bedeutung der Christusgemeinschaft der Glaubenden, die hier für die paulinische Rechtfertigungslehre geltend gemacht wird, entspricht in erstaunlicher Weise den Ergebnissen, zu denen die finnische Lutherforschung in der Interpretation der Rechtfertigungslehre Luthers kommt. Auch wenn hier auf dogmatischer und sicher auch auf exegetischer Seite noch erhebliche Differenzierungen und Präzisierungen nötig sein mögen, sollte die Sorge um das lutherische Erbe, die Hübner und andere deutschsprachige Exegeten vor den neuen Paulusinterpretationen der anglo-amerikanischen Exegese warnen lassen, nicht daran hindern, das mit der finnischen Lutherforschung koinzidierende Interesse an der Christusgemeinschaft des Glaubens wahrzunehmen und im Dialog mit den verschiedenen Ansätzen das theologische Augenmerk verstärkt auf die Frage nach Bestimmung und Wesen der Christusgemeinschaft des Glaubens zu richten. Die exegetische Uberprüfung und Diskussion der neuen Deutungsvorschläge der paulinischen Rechtfertigungslehre muß von der Dogmatik in jedem Fall mit Spannung verfolgt werden. 6 0 Den Abschluß der Loci feierte Gerhard mit einem Festessen am 5. März 1622, vgl. J . Baur, Johann Gerhard, 110. 61 Mit diesem Werk hat Bellarmin „seiner Kirche die handfesteste Waffe im Kampf gegen das reformatorische Schriftprinzip geschmiedet", so Keller-Hüschemenger, Das Problem der Fundamentalartikel bei Johannes Hülsemann in seinem theologiegeschichtlichen Zusammenhang, Gütersloh 1939, 84. 62 Vgl. zu Bellarmin den Artikel ,Bellarmini, Roberto ( 1 5 4 2 - 1 6 2 1 ) ' in: T R E 5 (1980), 5 2 5 - 5 3 1 , von Gustavo Galeota. 63 So J . Baur, a . a . O . , 115. 64 Vgl. den Artikel ,Gerhard, Johann (1582-1637)' in: T R E 12 (1984), 4 4 8 - 4 5 3 , von Martin Honecker, hier: 449. 65 Vgl. Johann Gerhard, Loci theologici, Bd. III, Locus 16, 3 0 0 - 3 0 8 .

Die Analyse der imputativen Rechtfertigung

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herausarbeitet und diesen gegen die römisch-katholische Kritik, insbesondere gegen Bellarmin, verteidigt 66 . Dem grundlegenden Einwand, aus der rein forensischen Deutung der Rechtfertigung folge, daß sie keine Veränderung für den Menschen bedeute, begegnet Gerhard, indem er zwar eine Veränderung im physischen Sinne ablehnt, dafür aber eine Veränderung im Sinne der Uberführung des Menschen vom Stand des Zornes in den Stand der Gnade betont. Diejenige Veränderung hingegen, durch welche der gerechtfertigte Mensch vor Gott zu einem neuen Menschen werde, erklärt Gerhard im Gegensatz zur tridentinischen Position ausdrücklich als eine Folge der Rechtfertigung. 67 Die Widerlegung der tridentinischen Rechtfertigungslehre führt Gerhard jedoch nicht ausschließlich durch eine exegetische Begründung der forensisch-imputativen Rechtfertigungslehre, sondern er verteidigt die evangelische Position wie schon Flacius, Aegidius Hunnius, Friedrich Balduin68, Nikolaus Hunnius, Balthasar Meisner und andere im Durchgang durch die Bestimmung der Rechtfertigungsursachen. 69 Im folgenden sollen vor allem die formale Ursache, die Instrumentalursache und die Verdienstursache der Rechtfertigung in den Blick genommen werden, da hier zum einen kontroverstheologischer Diskussionsbedarf, zum anderen aber auch innerevangelischer Klärungsbedarf hinsichtlich des zugrundeliegenden Versöhnungsverständnisses bestand und besteht. Die Bestimmung der Wirkursache und der Finalursache der Rechtfertigung hingegen muß nicht ausführlicher entfaltet werden. Hier herrschte keine kontroverstheologische Differenz, da sowohl im Rechtfertigungsdekret des Tridentinum wie auch in der lutherischen Lehrtradition stets der dreieinige Gott als Wirkursache und die Ehre Gottes und das ewige Heil des Menschen als Zielursache der Rechtfertigung angegeben werden. 70 b) Die Zurechnung der Gerechtigkeit

Christi als Form der

Rechtfertigung

Während Flacius, wie im vorangehenden Kapitel gezeigt wurde, in der Analyse des Imputationsbegriffs zwischen der Zurechnung des Glaubens zur Gerechtigkeit und der Zurechnung der Gerechtigkeit Christi bzw. der damit verbundenen Nichtanrechnung der Sünde unterscheidet, be66 Gerhard, Loci, Bd. III, Locus 16, Nr. 15, 308: „Nullus igitur a Bellarmino produci potuit Scripturae locus, qui diserte et evidenter probaret, quod justificare significet justitiam infundere." 67 Gerhard, Loci, Bd. III, Locus 16, Nr. 15, 309. 68 Zu Friedrich Balduin vgl. die Angaben in der Deutschen Biographischen Enzyklopädie (DBE), Bd. 1, 275. Balduin (1575-1627) wurde 1604 Professor der Theologie in Wittenberg. 69 Dabei wird zunächst das römisch-katholische Gnadenverständnis kritisiert, vgl. Gerhard, Loci, Bd. III, Locus 16, Nr. 19, 310 ff. 70 Vgl. D H 1529 mit Flacius, De iustificatione, 137 ff., sowie mit den seiner Ursachenanalyse folgenden lutherischen Entwürfen.

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Die Aufnahme in der frühen lutherischen Dogmatik

handelt die Konkordienformel die Aussagen über die Zurechnung des Glaubens zur Gerechtigkeit und über die Zurechnung der Gerechtigkeit Christi als gleichbedeutend und führt beide auf die Schrift zurück. „Demnach für eins gehalten und genommen, wann Paulus spricht, daß wir ,durch den Glauben gerecht werden, Rom. 3., oder daß der Glaube uns zur Gerechtigkeit zugerechnet werde, Rom. 4. Und wann er spricht, daß wir durch des einigen Mittlers Christi Gehorsam gerecht werden oder daß durch eines Gerechtfertigkeit die Rechtfertigung des Glaubens über alle Menschen' komme, Rom. 5."71 Mit dieser Gleichsetzung wird aber keineswegs die von Flacius vertretene Definition der Rechtfertigung als Nichtanrechnung der Sünde und Zurechnung der Gerechtigkeit Christi bestritten. Vielmehr heißt es auch in der Konkordienformel, daß die Rechtfertigung als Sündenvergebung und Adoption in die Gotteskindschaft in der Zurechnung der Gerechtigkeit Christi gründe, die Gott dem Glaubenden verheiße. 72 Der Glaube werde jedoch nur insofern zur Gerechtigkeit zugerechnet, als er die Zurechnung der Gerechtigkeit Chriti ergreife. 73 Erscheint somit die Zurechnung des Glaubens zur Gerechtigkeit bedingt durch die Zurechnung der Gerechtigkeit Christi bzw. der NichtZurechnung der Sünde, so ist verständlich, daß die Rechtfertigung bei den Gnesiolutheranern Wigand und Judex 74 , aber auch bei Chemnitz 75 einfach als 71

SD 111,12 f., BSLK 918,8 ff. Vgl. auch SD 111,1, BSLK 913,6 f., wo „von der Gerechtigkeit Christi oder des Glaubens, die von Gott . . . den armen Sündern . . . zugerechnet wird", die Rede ist. 72 Vgl. SD 111,9, BSLK 917,15-33 und SD 111,17, BSLK 919,24-29. 73 Vgl. SD 111,13, BSLK 918,17 ff.: „Dann der Glaube macht gerecht nicht darumb und daher, daß er so ein gut Werk und schöne Tugend, sondern weil er in der Verheißung des heiligen Evangelii den Verdienst Christi ergreift und annimbt". Entsprechend ist der Glaube „ein Gabe Gottes, dardurch wir Christum unsern Erlöser im Wort des Evangelii recht erkennen und auf ihn vertrauen, daß wir allein umb seines Gehorsams willen, aus Gnaden, Vergebung der Sünden haben, für fromm und gerecht von Gott dem Vater gehalten und ewig selig werden."(SD 111,11, BSLK 917,39-918,6) 74 Im Anschluß an die Klärung der Wortbedeutung, in die auch andere mit der Rechtfertigung zusammenhängende Termini einbezogen werden (vgl. Wigand, Syntagma, 961-973), bestimmen Wigand und Judex die Rechtfertigung als gnädige Imputation der Gerechtigkeit Christi bzw. seiner Gesetzeserfüllung durch Erniedrigung und Passion, durch die der glaubende Sünder vor Gott für gerecht erklärt und zum Erben des ewigen Lebens gemacht werde. Vgl. Syntagma, 973 f., unter der Überschrift „Quid sit": „IUSTICIA, qua peccator coram Deo est iustus, est gratuita imputatio iusticiae, seu impletionis legis per Christum humilitate & passione sua acquisitae, quae fide in Meßiam accipitur, qua imputatione peccator credens, coram Deo iustus reputatur & est haeres vitae aeternae." Entsprechend nennen sie als zweite Wortbedeutung von iustitia - neben der essentiellen Gerechtigkeit Gottes und der aktiven Gerechtigkeit im Gehorsam gegenüber dem Gesetz die imputative Gerechtigkeit, die wie folgt bestimmt wird: „Secunda, est iusticia imputativa, seu paßiva, qua credentes in Meßiam IESUM CHRISTUM, coram Deo censentur, habentur & sunt iusti, atque subsistunt. Ea vero iusticia non est ipsa Dei essentia: sed est obedientia

Die Analyse der imputativen Rechtfertigung

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die den Glaubenden geltende Zurechnung der Gerechtigkeit Christi bestimmt werden kann und nur insofern als Zurechnung des Glaubens zu gelten hat. Dabei wird von den Gnesiolutheranern Wigand und Judex die Zurechnung der Gerechtigkeit Christi wie bei Flacius als die Form der Rechtfertigung angegeben. 76 Diese Bestimmung der Rechtfertigung als in der Form der Zurechnung der Gerechtigkeit Christi von Gott vollzogene Sündenvergebung und Adoption wird nicht nur in Wittenberg von Aegidius Hunnius 77 , Friedrich Balduin78, Leonhard Hutter 79 und Nicolaus Hunnius 80 gelehrt,

seu impletio legis, loco generis humani per Meßiam sanguine suo, seu patiendo acquisita. . . ."(А. а. O., 974) 75 Vgl. Chemnitz, Enchiridion, 125 ff. 76 So Wigand, Syntagma, 980: „De forma & proprietatibus eius iusticiae. Iusticiam imputari testatur Moses Genes. 15. Credidit Abraham Deo & imputavit ei ad iusticiam. Ex hoc principio seu fonte Paulus in epistolis ad Romanos & Galatas texit, probat & illustrat doctrinam de gratuita iustificatione, seu iusticiae Christi per sanguinem ipsius partae imputatione." Vgl. bes. a . a . O . , Sp.981: „Itaque iusticiae peccatorum, qua coram Deo iusti censentur & sunt, est imputatio transscriptio, donatio iusticiae Meßiae per sanguinem, iuxta Dei decretum & voluntatem partae." 77 Vgl. Aegidius Hunnius, De iustificatione, 54: „Quomodo sit nostrum? Per imputationem, qua Deus iustitiam obedientia Christi nobis imputat". Dabei macht Hunnius besonders deutlich, daß die Rechtfertigung Zurechnung der Gerechtigkeit Christi ist und nur insofern als Zurechnung des Glaubens verstanden werden könne, als der Glaube als das Mittel der Aneignung fungiert, vgl. а. а. O., 57: „Dixisti, Iusticiam Christi nobis imputari: nunc ex productis testimoniis claret: fidem imputari ad iustitiam? Non pugnant ista. Utraque enim suo m o d o imputatur nobis. Iustitia obedientiae Christi est res ipsa, quae imputatur, seu propter quam reputamur iusti & a qua denominamur iusti. Fides autem est imputationis illius Medium, apprehendens iustitiam a Deo imputatam. Q u o sensu ipsa fides, quatenus iustitiam obedientiae Salvatoris inclusam tenet, ad iustitiam tenet, ad iustitiam imputari asseritur." 78 Balduin leitet die Beschreibung der Glaubensgerechtigkeit in seiner Disputatio de iustitia fidei von 1608 ein, indem er zunächst zwischen der Gerechtigkeit des Menschen, Gottes und Christi unterscheidet, um dann die Gerechtigkeit Christi (а. а. O., These 56) ihrerseits in natürliche, aktuale und imputierte Gerechtigkeit zu differenzieren und die imputierte Gerechtigkeit Christi als die Gerechtigkeit des Glaubens auszulegen. Vgl. zur natürlichen Gerechtigkeit Christi а. а. O., These 57: „Naturalis in Christo justitia est, qua ipse non modo ut verus Deus, ipsa est justitia, non habitualiter, non accidentialiter, sed essentialiter..." Zur aktualen Gerechtigkeit Christi siehe а. а. O., These 59 und 60: „Actualis Christi justitia est, qua ipse, licet Dominus legis, totum se subjecit legi, partim observando legem in minimis maximis, ut adimpleretur omnis Dei justitia . . . " Bei der imputierten Gerechtigkeit Christi schließt sich Balduin ausdrücklich der imputativen Deutung der Rechtfertigung in der Konkordienformel an, vgl. a . a . O . , These 113: „Est ergo Justitia fidei, ut Formula concordiae describit: Remissio peccatorum seu reconciliatio cum Deo & adoptio in Filios Dei, propter solam Christi obedientiam, quae per solam fidem ex mera gratia omnibus vere credentibus ad justitiam imputatur, ita ut propter hanc imputationem, ab omni injustitia absolvantur." Die Rechtfertigung selbst wird unterschieden in Sündenvergebung und Annahme durch die Zurechnung der Gerechtigkeit Christi, vgl. Balduin, a . a . O . , These 146.

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sondern auch in Tübingen etwa von Lucas I. Oslander 8 1 , in Gießen von Balthasar Mentzer und seinem Schüler Johann Scholvin 8 2 , in Jena von 74 Ebenso bestimmt der auf Betreiben von Polykarp Leyser 1596 nach Wittenberg berufene Leonhard Hutter die Sündenvergebung als den privativen und die Imputation der Gerechtigkeit Christi als den positiven Teil der Rechtfertigung und führt beides wie Flacius auf die doppelte Bedeutung des Imputationsbegriffs zurück. Vgl. Hutter, Compendium, 52 f.: „ Q u i b u s ergo partibus absolvitur nostra coram D e o Iustitia? D u a b u s : quarum una est privativa. D E U S enim aufert id, quod nobis inest, hoc est, remittit peccata ex mera gratia, absque ullo operum nostrorum respectu. Altera est positiva. D E U S enim donat nobis id, quod nobis non inest, sive inhaeret: hoc est, imputat nobis iustitiam obedientiae Christi. Q u a e utraque pars uno Imputationis vocabulo in Scripturis exprimitur, Rom. 4. U n d e iustitia etiam nostra dicitur Imputativa." 80 Die Rechtfertigung ist nach N . Hunnius „nichts anders, als die Vergebung aller Sünden und Erlassung aller Strafen, daß ein sündiger Mensch für gerecht gehalten und erklärt wird, gleich als hätte er nie eine Sünde begangen noch wäre er je in Gottes Schuld gerathen. D a m i t dies recht verstanden wird, ist hier zu wiederholen, daß ein sündiger Mensch zweierlei Sachen halber vor Gottes Gericht zu handeln habe. . . . Eine, daß er angehalten wird, die Schuld . . . eines völligen G e h o r s a m s zu bezahlen." (Glaubenslehre, 210) „ D i e andere Sache, die ein Mensch vor Gottes Gericht zu handeln hat, betrifft die Sünde, deren er schuldig geworden ist." (А. а. O., 211) „ S o geschieht demnach in unserer Rechtfertigung zweierlei: erstlich wird dem Menschen zugerechnet die Gerechtigkeit Christi und Erfüllung des Gesetzes, als ob er es gethan hätte; darnach werden ihm seine Sünden, die er gethan hat, nicht zugerechnet gleich als hätte er sie nicht gethan. Durch die erste Handlung wird er los der Schuld, die er nicht bezahlen kann, durch die andere wird er los der Sünden, welche er nicht abtragen und für die er die damit verdiente Strafe nicht ausstehen oder ertragen kann. Durch Beide wird er absolviert von Gottes Gericht, daß er sich weder um Schud noch Uebertretung, weder einiger Anforderung noch bösen Urtheils zu befürchten hat." ( A . a . O . , 212) Die Rechtfertigung geschieht nach Hunnius „durch Zurechnung der Gerechtigkeit Christi und des Verdienstes Christi" und „durch Erlassung oder Vergebung der Sünden". (Ebd.) D a r a u s folgt für Hunnius, „daß die Gerechtigkeit des Sünders vor Gottes Gericht nicht sei die inwohnende göttliche Gerechtigkeit" ( a . a . O . , 215) und daß es sich dabei auch nicht um „eine solche Reinigkeit und Heiligkeit der N a t u r " handele, „die ihr in der Gerechtigkeit gleichsam eingegossen werden, dadurch er vor Gottes Gericht so rein und unsträflich erscheine, wie die heiligen Engel" ( a . a . O . , 215 f.). 81 Lucas I. Oslander beschreibt die Rechtfertigung gegenüber der Wittenberger Lehrtradition allerdings noch einseitiger als Sündenvergebung, indem er Glückseligkeit, Rechtfertigung und Sündenvergebung gleichsetzt. Vgl. L. Oslander, Institutio, 301: „Iustificari autem est a peccatis absolui. H a e c enim phrasis Scripturae usitatissima est. . . . E t frequentissimus est usus huius vocabuli in sacris literis, ut significet, iustum pronunciare. Iustificamur igitur coram D e o , cum a peccatis nostris absolvimur, hoc est, cum remissionem peccatorum (propter Christum) consequimur & adoptamur in filios Dei & haeredes aeterna gloriae & felicitatis. Beatitudo enim nostra, seu iustificatio (Paulus enim indifferenter his vocabulis utitur) in remissione peccatorum consistit". Voraussetzung der Rechtfertigung ist wie bei Melanchthon und Chemnitz das durch Leiden und G e h o r s a m erbrachte Verdienst Christi, welches uns zugerechnet wird. Oslander, Institutio, 302: „ H a e c verba Prophetae Davidis ab Apostolo Paulo allata [seil. Ps 32, Vf.] perspicue testantur, salvari seu iustificari hominem, cum illi peccata condonarentur & cum ea teguntur. Condonantur aut nobis propter passionem & mortem Christi & teguntur ipsius absolutissima obedientia, quam ille Patri suo coelesti usque ad mortem, mortem autem crucis, praestitit. C u m igitur nobis passio Christi & totum ipsius meritum imputatur, tum coram D e o iusti censemur propter Christum

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Johann Gerhard und in Helmstedt von dem später des Synkretismus verdächtigten Georg Calixt83 vertreten. Das kontroverstheologische Interesse besteht hierbei darin, die Vorstellung von einer Infusion der Gnade und Gerechtigkeit als eine dem Menschen eignende Qualität auszuschließen und darin die dauerhafte Angewiesenheit des Menschen auf Gottes Rechtfertigung festzuschreiben. Dabei ist interessant zu sehen, daß die evangelische Bestimmung der Formalursache der Rechtfertigung von katholischer Seite keineswegs als einheitlich wahrgenommen wurde. So muß sich Johann Gerhard gegen den Vorwurf Bellarmins wehren, in der evangelischen Tradition würden fünf verschiedene Formalursachen der Rechtfertigung angegeben. Während bei Luther der Glaube bzw. der im Glauben ergriffene Christus als Formalursache der Rechtfertigung erscheine, sei es bei Melanchthon die zugerechnete Gerechtigkeit Christi, bei Oslander die uns einwohnende Gerechtigkeit Gottes, bei Flacius die im gesamten Mittlerwerk Christi offenbare Gerechtigkeit Christi, bei Calvin die Sündenvergebung und bei Bucer die doppelte Gerechtigkeit, die zum einen in der uns inhärierenden unvollkommenen Gerechtigkeit, zum anderen in der uns zugerechneten vollkommenen Gerechtigkeit Christi bestehe. 84 Gerhard begegnet dieser

M e d i a t o r e m , perinde ac si nos ipsi p r o peccatis nostris satisfecissemus & perfectam Patri coelesti obedientiam praestitissemus. Et haec est hominis peccatoris coram D e o iustificatio." 82 Vgl. Scholvin, Synopsis theologiae analytico ordine comprehensa, Disputation bei B. Mentzer, 1610, T h e s e 134: „Forma justificationis consistit in eo, quod haec iustitia seu hoc meritum Christi nobis поп inhaereat, sed imputetur, perinde ac si quod Christus nostri causa peregit, nosmetipsi illud peregissemus." Scholvin korrigiert hier die flacianische Bestimmung der Formalursache durch die Zurechnung der Gerechtigkeit dahingehend, d a ß die Gerechtigkeit als solche die Form d e r Rechtfertigung sei, die aber als imputative Gerechtigkeit näherbestimmt werden müsse. In These 136 plädiert er dann angesichts der verschiedenen Bestimmungen der Rechtfertigung durch Sündenvergebung und Zurechnung der Gerechtigkeit d a f ü r , die w a h r e Form d e r Rechtfertigung in d e r Zurechnimg der Gerechtigkeit zu sehen und die Sündenvergebung als die ,negatio Privationis justitia' zu bestimmen. 83 Vgl. Calixt, Epitome Theologiae von 1619, 205,26-29, w o die Rechtfertigung als die aus der Barmherzigkeit Gottes geschehene Vergebung bzw. Nichtanrechnung der Sünden und Zurechnung d e r Verdienste Christi bestimmt wird. Siehe zu G e o r g Calixt die Darstellung von Inge M a g e r in: Gestalten der Kirchengeschichte, Bd. 6 / I I , 137-148, sowie Christoph Böttigheimer, Zwischen Polemik und Irenik. Die Theologie der einen Kirche bei G e o r g Calixt, bes. Kapitel I. 84 Vgl. das Zitat aus Bellarmins Buch über die Rechtfertigungslehre in G e r h a r d s Loci, Bd. III, Locus 16, N r . 195, 477 f.: „Lutherus aliquando fidem, aliquando Christum ipsum fide apprehensum causam formalem justificationis statuit. Philippus fidem nobis p r o justitia imputari dicit, addit tarnen non propter ipsam fidei virtutem, sed propter Christi meritum nos justos coram D e o reputari, dicit autem nos fide justificari, quia fides apprehendit Dei misericordiam. Oslander narrat viginti discrepantes sententias de justificatione, ipse autem docet, formalem causam justificationis esse illam ipsam justitiam, qua Deus essentialiter justus est. Illyricus scribit, justitiam, quam Deus imputat, non esse qualitates aut virtutes nostras, neque ipsam DEI essentiam, sed totum opus, quod Christus DEUS et h o m o in

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Die Aufnahme in der frühen lutherischen Dogmatik

Darstellung Bellarmins, indem er zunächst die Bestimmungen der Formalursache bei Oslander und Bucer ausgliedert, weil die osiandrische Position nicht der reformatorischen Lehre entspreche und die Position Bucers von Bellarmin falsch wiedergegeben sei.85 Anschließend begründet er die Einheit der Position von Calvin mit der von Melanchthon und Flacius, indem er betont, daß die Sündenvergebung als negative Form der Rechtfertigung von der Zurechnung der im Glauben zu ergreifenden Gerechtigkeit Christi als der affirmativen Form der Rechtfertigung nicht real differiere. 86 Unsere Rechtfertigung geschehe mithin durch die Sündenvergebung und die Zurechnung der Gerechtigkeit Christi, die wiederum mit der Zurechnung des Glaubens zur Gerechtigkeit gleichbedeutend sei87 und die Versöhnung des Menschen mit Gott bedeute 88 . Wenn Gerhard dabei die Behauptung Bellarmins, Luther habe den Glauben als

una persona, mediator noster pro toto genere humano praestitit. Calvinus statuit, imputari quidem nobis Christi justitiam et propter earn condonari peccata, sed tarnen in ipsa peccati remissione proprie sitam esse justitiam. Bucerus duplicem introducit justitiam, unam imperfectam, quae sita sit in virtutibus nobis inhaerentibus; alteram perfectam, quae sit Christi justitia nobis imputata. Bucero assentiuntur Piggius et auctores anatididagmatis Coloniensis." Aus diesen verschiedenen Positionen entnimmt Bellarmin, wie Gerhard zusammenfaßt, fünf verschiedene Bestimmungen der Formalursache der Rechtfertigung, vgl. Gerhard, Loci, Bd. III, Locus 16, Nr. 195, 478 oben: „Ex hisce quinque discrepantes opiniones et errores de justificatione Bellarminus colligit: 1. formalem causam justificationis esse fidem; 2. formalem causam justificationis esse Christi obedientiam et justitiam nobis imputatam; 3. formalem causam justificationis esse justitiam Dei essentialem nos inhabitantem; 4. formalem causam justificationis proprie sitam esse in remissione peccati; 5. formalem causam justificationis duplicem esse, justitiam nostram inhaerentem et Christi justitiam imputatam." 85 Gerhard, a . a . O . , 478, Nr. 196f., verweist darauf, d a ß die dritte und die fünfte Bestimmung der Formalursache der Rechtfertigung „nobis non posse tribui". Denn Oslanders Irrtum sei widerlegt worden und Bucer habe nicht gesagt, daß die doppelte Gerechtigkeit als Formalursache der Rechtfertigung zu gelten habe. 86 Gerhard, Loci, Bd. III, Locus 16, Nr. 198, 478 f.: „Remotis igitur tertia et quinta opinionibus, reliquas tres sententias, si ex mente scriptorum recte explicentur, dicimus esse subordinatas, non autem contrarias. Qui enim in peccatorum remissione justificationem statuunt, imputationem justitiae Christi minime excludunt, cum propter Christum peccata nobis condonari statuant. . . . Forma igitur justificationis est remissio peccatorum et imputatio justitiae Christi, sive quod idem est, imputatio fidei, ea enim fides imputatur nobis ad justitiam, quae obedientiam Christi apprehendit sibique applicat, ut a DEO acceptetur, ас si nos ipsi obedientiam illam praestitissemus." Vgl. ähnlich Aegidius Hunnius, D e iustificatione, 55: „Scriptura iustificationem nostram in duplici imputatione collocat: altera affirmata, altera vero negata. Affirmata, qua nobis imputatur iusticia Christi, quae alias nobis non inhaeret: negata, qua nobis ea, quae inhaerent, nempe peccata, non imputantur." 87 Gerhard, Loci, Bd. Ill, Locus 16, Nr. 202, 480: Justificatio nostra consistit in imputatione justitiae Christi, sive quod idem est, in imputatione fidei Christum apprehendentis ad justitiam." 88 Gerhard, Loci, Bd. Ill, Locus 16, Nr. 207, 484: „Reconciliatio nostra cum DEO consistit in non-imputatione peccatorum propter CHRISTUM. Atqui justificatio est ipsa reconciliatio cum DEO. Ergo justificatio consistit in non-imputatione peccatorum."

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Formalursache der Rechtfertigung beschrieben, akzeptiert, so geschieht das in der Überzeugung, daß Luther den Glauben wie Melanchthon nur im Blick auf seinen Inhalt, nämlich die zugerechnete Gerechtigkeit des Gehorsams Christi, als formale Ursache der Rechtfertigung verstanden habe. 89 Als Akt des Ergreifens sei der Glaube hingegen auch bei Luther als Instrumentalursache der Rechtfertigung verstanden. c) Der Glaube als Instrumentalursache der Rechtfertigung Der in der lutherischen Dogmatik von Melanchthon übernommenen Bestimmung der Rechtfertigung als Zurechnung der Gerechtigkeit Christi liegt die Auffassung zugrunde, daß der rechtfertigende Glaube nicht auf einer willentlichen Eigenleistung des Menschen beruhe, sondern als Geschenk Gottes 90 aus der Verkündigung der Rechtfertigungsbotschaft im Evangelium entstehe. In diesem Sinne betont etwa Chemnitz in Ubereinstimmung mit Melanchthon und Flacius, daß der Glaube, der wie eine Hand das von Gott in Wort und Sakrament offerierte Heil ergreife 91 , nicht als Qualität oder Tugend verstanden werden dürfe. Vielmehr werde der Glaube nur darum zur Gerechtigkeit zugerechnet, weil er die fremde Gerechtigkeit Christi ergreife. 92 Chemnitz geht also mit seinen Aussagen über die Bedeutung des Glaubens nicht über Melanchthon hinaus. Denn im Einklang mit Melanchthon beschreibt er den Glauben zwar als Aneignung oder Ergreifen der Gerechtigkeit Christi, nicht aber als die durch die Präsenz Christi im Glauben konstituierte exzentrische Existenz des 89

Gerhard, Loci, Bd. III, Locus 16, Nr. 198, 479: „Qui ipsam fidem vocant formam justificationis, loquuntur de fide, ut apprehendit Christum, et nihil aliud dicere volunt, quam obedientiam Christi fide apprehensam esse nostram coram Deo justitiam. Item, hunc esse modum ac formam quasi justificationis, ut fide apprehendamus Christi justitiam." 50 Vgl. etwa Chemnitz, Enchiridion, 137: „Sed quaestio est non de causa formali fidei, sed de causa efficiente, hoc est, quod ίIii motus, quos certum est ad formam fidei pertinere, ratio non habeat a se, seu ex se, (liberum enim arbitrium non habet in se, seu ex se facultatem applicandi se ad gratiam, seu concipiendi, incoandi & efficiendi fidem), sed est peculiare donum Dei, quod ipse virtute & efficacia Spiritus sui, in hominis intellectu, corde & voluntate operator." " Chemnitz, Enchiridion, 131 f.: „Per quae media Christus, seu meritum Christi nobis offertur & applicatur? U t applicatio fieri possit, duo omnino necessaria sunt, alterum, ut Deus illud beneficium offerat, exhibeat & donet per Spiritum suum & in hunc usum certum constituit Deus medium, organon, seu instrumentum, verbum scilicet Euangelii & Sacramenta. Illud medium est quasi manus Dei, quam ad nos extendit & aperit, per quam nobis offert, exhibet & largitur meritum & beneficia Filii sui, ad salutem nostrum, Roman. 10. 2. Corin. 5. Tit. 5." 92 Chemnitz, Examen I, 172: „Et ita fides imputatur ad justitiam, non propter dignitatem virtutis, sed quia apprehendit in promissione Evangelii meritum Christi, et misericordiam Dei, in quibus consistit et fundamentum, et relatio imputationis justitiae ad beatitudinem." Vgl. zur apprehensiven Bestimmung des Glaubens auch Examen I, 188, und J. Baur, Martin Chemnitz, 12.

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Christen in der Christusgemeinschaft. Insofern repräsentiert Chemnitz „das bewegte Leben des Glaubensverständnisses, das wir bei Luther selbst antreffen, . . . nicht adaequat", wie Jörg Baur mit Recht notiert hat 93 . Indem die dogmatische Lehrbildung im Anschluß an Flacius den die Zurechnung der Gerechtigkeit Christi ergreifenden Glauben als Instrumentalursache der Rechtfertigung bestimmt, wird die bei Melanchthon und Chemnitz beschriebene Funktion des Glaubens als Ergreifen der Gerechtigkeit Christi adäquat auf den Begriff gebracht. Bei Flacius wird das rein instrumentale Verständnis des Glaubens auch dadurch unterstrichen, daß er die Zurechnung des Glaubens zur Gerechterklärung ausdrücklich nicht als eine der Sache entsprechende Form der Zurechnung einstuft. Nach Auffassung von Flacius hat der Glaube, der die Gerechtigkeit Christi ergreift, vielmehr als ein von Gott aus reiner Barmherzigkeit anerkannter Ersatz für die verlorene Urstandsgerechtigkeit zu gelten. Den Gedanken, daß sich im Vertrauen des Glaubens das dem Menschen ursprünglich zugedachte gerechte Gottesverhältnis realisiert, entwickelt Flacius ebensowenig wie Melanchthon und Chemnitz. Wenn darin auch ein grundlegendes Defizit zu sehen ist, so steht doch im Hintergrund dieser Beschreibung das an sich richtige Bestreben, die Rechtfertigung als ein in keiner Weise durch menschliche Eigenleistung, sondern allein durch die Gnade und Barmherzigkeit Gottes bedingtes Geschehen zu denken. In diesem Sinne muß für den Glauben, der die Gerechtigkeit Christi ergreift, sichergestellt werden, daß er keine die Zurechnung der Gerechtigkeit verdienende Aktivität oder Qualität des Menschen ist. Dies geschieht unter anderem dadurch, daß die Glaubensgerechtigkeit ausschließlich in der zugerechneten Gerechtigkeit Christi bestehend gedacht und der Akt des Ergreifens als Instrument bestimmt wird. 94 Anders als Melanchthon oder Chemnitz wollte Flacius allerdings in Replik zu der im Tridentinum implizit enthaltenen und von ihm selbst ernst genommenen Kritik, daß sich nach der imputativen Rechtferti-

93

Siehe J. Baur, Martin Chemnitz, 12. Vgl. exemplarisch Balduin, De iustitia fidei, These 136: „Non autem justificat fides, quatenus vel actio vel opus est in nobis, sed potius quatenus Christus a fide apprehenditur: unde est illud Apostoli ad Phil. 3,12. appraehendi, imo magis appraehensus sum a Christo: non enim prout qualitas, aut in actu suo posita est, salutarem hunc sotitur effectum, sed ratione correlati sui: quemadmodum donum in se non appraehensioni indigentis, sed gratiae donantis, suaeque praestantiae acceptum fertur: ideo fides ipsa ob appraehensam Christi justitiam nobis imputari dicitur. Rom. 4,5." In These 137 unterscheidet Balduin zwischen dem Glauben als instrumentaler und als formaler Ursache: „Hinc fit, quod fides interdum Instrumentalis, interdum formalis justificationis nostrae causa appellatur: illud respectu suae facultatis, quia est instrumentum appraehensivum justitiae Christi: hoc respectu objecti, quia Christi justitia credenti fit propria." 94

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gungslehre durch das Rechtfertigungsurteil beim Menschen gar nichts ändere, die subjektive Wirkung der dem Menschen extra se zugerechneten Gerechtigkeit Christi durch den Hinweis auf die Genese der verschiedenen Glaubensregungen demonstrieren, in denen sich der rechtfertigende Glaube durch tägliche Buße und tägliche Rechtfertigung immer neu konstituiert. Obwohl das von Flacius wahrgenommene Anliegen berechtigt erscheinen mag, haben schon die Gnesiolutheraner Wigand und Judex sich bei ihrer Beschreibung des rechtfertigenden Glaubens mit guten Gründen an Melanchthon gehalten95 und auf eine eingehendere Differenzierung der Glaubensregungen verzichtet. Zwar widmen sie wie Flacius dem Gebet eine ausführliche Erörterung96, doch geschieht dies erst im Anschluß an die Behandlung der guten Werke und ohne das Gebet als Indiz der Wiedergeburt zu werten. Ebenso vermeiden es die Lutheraner der Folgezeit, bei der Entfaltung des Glaubensbegriffs die empirische Genese des Glaubens zu beschreiben, und halten sich stattdessen an Melanchthons Bestimmung des Glaubens als Ergreifen der Gerechtigkeit Christi in Kenntnisnahme, Zustimmung und Vertrauen.97 Sie übernehmen nur die von Flacius vorgenommene Einstufung des Glaubens als Instrumentalursache der Rechtfertigung.98

95 Wigand, Syntagma, 1005: „Fides, in articulo iustificationis, est noticia articulorum fidei, patefactorum in verbo Dei: & assensus atque applicatio ad sese: & est fiducia cordis acquiescens in promissione gratiae, seu gratuitae remissionis propter Meßiam. H a e c definitio nascitur ex loco de Iustificatione, quem exposuimus: & ex h o c illustri dicto, Credidit A b r a h a m D e o & imputatum est ei ad iusticiam". 96 Vgl. Syntagma, 1048 ff. Siehe bes. die Definition des Gebetes a . a . O . , 1048: „Docent autem Prophetae, orationem esse a D e o vero, in nomine Meßiae Domini nostri IESU Christi, ex cordis affectu & vera fide, petere res in verbo Dei promissas, corporales & spirituales, temporales Sc aeternas & sibi & aliis necessarias & p r o acceptis beneficiis D e o gratias agere". 97 Chemnitz, Enchiridion, 136 f. Vgl. in k n a p p e r Form Aegidius Hunnius, D e iustificatione, 58 f.: „ Q u o d partibus constat fides iustificans? Duabus. Noticiae assensu in mente seu intellectu & fiducia in voluntate." Siehe ferner Balduin, а. а. O., These 62: „Cum ergo haec Christi justitia proprie nostra sit, per certum, aliquod medium, ut nostra fiat, necesse est: illud vero ex parte Dei est, Verbum & Sacramenta, quae sunt Organa illa prospheromena beneficiorum Dei, illud respectu omnium, haec respectu singulorum in specie: ex parte nostra autem Fides est, unde vulgo justitia Fidei appellator: de quo medio nunc dicendum erit." Entsprechend bestimmt Balduin auf der Basis d e r herkömmlichen Differenzierung des Glaubens in Kenntnisnahme, Zustimmung und Vertrauen (vgl. Balduin, а. а. O., T h e s e 6 3 - 7 3 ) als Form des rechtfertigenden Glaubens die vertrauende Rezeption und individuelle Applikation der in Christus zugesagten Barmherzigkeit Gottes des Vaters (vgl. Balduin, a . a . O . , These 91 und 96) bzw. die „receptio Christi" ( a . a . O . , T h e s e 92), durch die dem Glaubenden Friede und T r o s t zuteil werden ( a . a . O . , T h e s e 102). Vgl. ebenso G e r h a r d , Loci, Bd. III, Locus 16, 350 ff. 98 Siehe Aegidius Hunnius, D e iustificatione, 57, ferner Balduin, a . a . O . , T h e s e 130: „Meritum illud Christi nostrum fit per fidem; sine qua Christus nobis otiosus: ideo Fides Instrumentalis causa justificationis nostrae dicitur ex parte nostra, appraehendens Christum

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Während allerdings Flacius" und ihm folgend Chemnitz zwischen dem Glauben als der Instrumentalursache von seiten des Menschen einerseits und Wort und Sakrament als der Instrumentalursache von seiten Gottes andererseits unterscheiden, wird diese Differenzierung von den späteren Wittenberger Dogmatikern Aegidius Hunnius und Leonhard Hutter nicht nachvollzogen. Hutter läßt in seinem Kompendium die Verkündigung in Wort und Sakrament im Zusammenhang der Rechtfertigungsursachen als Voraussetzung für die Aneignung der Rechtfertigung 100 schlicht unerwähnt; und Aegidius Hunnius beantwortet die Frage, weshalb Wort und Sakrament nicht als Ursachen der Rechtfertigung zu verzeichnen seien, ausdrücklich damit, daß Gott, wo es notwendig sei, auch ohne jene den Glauben wirken könne. 10 ' Von daher seien Wort und Sakrament im Unterschied zum Glauben, welcher als das unmittelbare Organ der Heilsaneignung zu gelten habe, keine unmittelbaren, sondern von Gott geordnete mittelbare Ursachen der Rechtfertigung. Mit dieser Auffassung wird die reformatorische Einsicht in die notwendige Bindung des rechtfertigenden Glaubens an die Verkündigung in Wort und Sakrament hintergangen. Denn der Glaube vermag nach reformatorischem Verständnis nur als expliziter Glaube an Gottes Wort seines Heils gewiß zu sein. Die Möglichkeit einer außerordentlichen Berufung des Menschen zum Heil muß deshalb nicht bestritten werden. Doch kann die Glaubensgewißheit

Sc applicans homini ejus meritum: unde non PROPTER fidem, sed PER fidem justificari dicimur . . V g l . auch Hutter, Compendium, 53 f. Indem Hutter den Glauben als die dritte Ursache der Rechtfertigung beschreibt und dabei die besondere Bedeutung des Vertrauens hervorhebt, verzichtet er wie später auch in seinen Loci im Unterschied zu Chemnitz und Wigand auf einen eigenen Locus über den Glauben im Anschluß an die Rechtfertigungslehre, ohne daß damit eine Verschiebung im Glaubensbegriff verbunden wäre. Vgl. zum Glaubensbegriff bei Hutter, Compendium, 53 und 55: „Quid est Fides iustificans? Fides iustificans non est nuda tantum notitia historiae de Christo: sed est ingens atque tale DEI donum, quo Christum redemtorem nostrum, in verbo Evangelii recte agnoscimus, ipsique confidimus: quod videlicet propter solam ipsius obedientiam, ex gratia, remissionem peccatorum habeamus, sancti et iusti coram DEO patre reputemur, et aeternam salutem consequamur." " Vgl. Flacius, De iustificatione, Tabelle 156. Siehe die Differenzierung der Rechtfertigungsursachen in Hutters Compendium, 53. ιοί Vgl. Aegidius Hunnius, De iustificatione, 98 f.: „Primo, quia fides sola est Iustificationis Sc salutis Organum, sive medium propinquum: quod immediate in verbo promissionis apprehendit Christi meritum Sc una cum hoc vitam aeternam. Verbum vero & Sacramenta non αμέσως, sed τάξει quadam dicuntur salvare; nempe quatenus sunt Organa Sc media illius medii propinqui, fidei scilicet; hoc est, quatenus per haec Deus excitat Sc operator in nobis salvificam fidem, a qua deinde fide salus animarum dependet. Athaec fides ad salutem Sc iustitiam sit necessaria est, ut sine ea nullus omnium hominum Deo vel placare vel salvari possit. Verbum autem Sc Baptismus etsi ipsa quoque sunt necessaria media salutis, si ordinariam Dei actionem spectes: tarnen quia in casu necessitatis Deus etiam sine illis operator fidem & consequenter salutem: idcircio non est illorum tanta tamque stricta necessitas, ut fidei, quae omnium hominum Iustificationem ingreditur." 100

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als Vertrauen auf Gottes Rechtfertigung nicht gedacht werden ohne den Bezug auf den in Wort und Sakrament erschlossenen und zugeeigneten Grund. In Hunnius' Differenzierung zwischen Verkündigung und Glaube macht sich dagegen ein einseitig auf den Akt des Ergreifens fixiertes Verständnis des Glaubens als Organ der Rechtfertigung geltend, das dem melanchthonischen Rechtfertigungsverständnis nicht entspricht, da Melanchthon selbst eine entsprechende Sonderung von Wort und Glaube nicht anvisiert hat. Dieser einseitigen Betrachtung des Glaubens als dem Primärorgan der Rechtfertigung, wie sie von Aegidius Hunnius vertreten wird, begegnet Johann Gerhard zum einen damit, daß er wieder wie schon Flacius Wort und Sakrament generell als Instrumentalursache der Rechtfertigung von Seiten Gottes benennt 102 und im Kontext seiner sehr ausführlichen Beschreibung des Glaubens als der Instrumentalursache von seiten des Menschen deutlich macht, daß der Glaube aus der Predigt des Wortes Gottes entsteht. 103 Zum anderen erklärt Gerhard bei seiner Analyse der Ursachen des Glaubens die Rechtfertigung und ihre Wirkungen wie die Sündenvergebung, die Befreiung vom Gesetz und die Beruhigung des Gewissens ihrerseits als Effekte des Glaubens. 104 Auf diese Weise betont er anders als die Wittenberger Theologen, daß der Glaube nicht nur ergreifendes Organ, sondern Art und Form des Vollzuges der Rechtfertigung selber ist 105 . Obwohl sich in dieser Beschreibung des Glaubens eine

102 Vgl. Gerhard, Loci, Bd. III, Locus 16, Nr. 64, 348: „Instrumentalis vero causa ex parte DEI sunt verbum et sacramenta, per quae et in quibus beneficia Christi hominibus offeruntur; ex parte nostra fides, quae oblata in verbo et sacramentis bona amplectitur sibique applicat, inde quidam causam organicam justificationis dicunt aliam esse internum, fidem scilicet, aliam extemam, verbum scilicet et sacramenta." 103 Gerhard, Loci, Bd. III, Locus 16, Nr. 127, 411: „Ergo causa Instrumentalis fidei est praedicatio verbi, Spiritus s. non solum offert in verbo evangelii immensa beneficia Christi passione ac morte parta, sed etiam per verbum illud efficax est in cordibus hominum, accendit in eis fidem, qua oblata bona amplectantur sibique applicent." 104 Vgl. Gerhard, Loci, Bd. III, Locus 16, Nr. 149, 425: „Quamvis enim varii effectus verae in Christum fidei in Scripturis tribuantur . . . , videlicet remissio peccatorum, justificatio, ύοθεσία, tranquillitas conscientiae, liberatio a damnatione legis, securitas spiritualis, benedictio coelestis, purificatio cordis, victoria Satanae et mundi, patientia, accessus ad Deum, obsignatio veritatis, dilectio DEI et proximi, spes futurae gloriae, confessio veritatis, invocatio, obedientia erga Deum, denique vita et salus aeterna (quorum effectuum quidam concernunt ipsos credentes, quidam vero proximum); inter hos tarnen cumprimis eminet justificatio, reliqui enim vel cum justificatione sunt iidem, vel earn proxime consequuntur eidemque immediate adhaerent." 105 Gerhard, Loci, Bd. III, Locus 16, Nr. 149, 425: „Quando enim credentes in Christum a Deo justificari dicuntur, exprimitur non solum subjectum, quinam scilicet sint illi, qui a Deo justificantur, sed etiam modus ac medium justificationis, quod scilicet fides sit illud medium atque organon, quo beneficia Christi in verbo evangelii oblata apprehendimus nobisque applicamus, in quorum applicatione modus ac forma justificationis consistit."

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entscheidende Aufwertung des Glaubens abzeichnet, die spätere Jenaer Theologen wie Johann Musäus weiterführen, wird sie von Gerhard nicht in ihren Konsequenzen im Blick auf das Verhältnis von Glaube und Rechtfertigung entfaltet. Zwar beschreibt Gerhard die Rechtfertigung als Wirkung des Glaubens. Doch indem die Rechtfertigung wie in der Wittenberger Tradition als Zurechnung der Gerechtigkeit Christi verstanden wird, die der Glaube ergreift, gründet das Rechtfertigungsgeschehen auch bei Gerhard einseitig in der Zurechnung der verdienstvollen Gerechtigkeit Christi 106 und nicht zugleich in dem durch die Christusgemeinschaft des Glaubens gewonnenen neuen Gottesverhältnis des Menschen. Entsprechend betont Gerhard gegen den Einwand von Bellarmin, daß doch der Glaube, auf den sich die Rede von der Zurechnung der Gerechtigkeit beziehe, als unsere Gerechtigkeit verstanden werden müsse 107 , ganz im Einklang mit der Wittenberger Tradition, daß der Glaube nur insofern unsere Gerechtigkeit sei, als er die Gerechtigkeit Christi ergreife 108 . Formale Ursache der Rechtfertigung sei darum nicht der Glaube, sondern die Zurechnung der Gerechtigkeit Christi, durch die unsere Gerechtigkeit konstituiert werde. 109 Dem von Bellarmin im Einklang mit dem Tridentinum vorgebrachten Einwand, das imputative Rechtfertigungsurteil widerstreite der Wahrheit, insofern der Glaubende gerechtgesprochen werde, ohne selbst gerecht zu sein, begegnet Gerhard mit dem Hinweis, daß die Rechtfertigung insofern auf einer wahren Ein-

106 Vgl. etwa G e r h a r d , Loci, Bd. III, Locus 16, Nr. 155, 437: „Ipsum autem justificationis meritum non f u n d a t u r in nobis vel in opere aliquo nostro (alias apostolus non dixisset, fidem imputari ad justitiam), sed in sola CHRISTI justitia, quae credentibus in eum, qui justificat impium, ex gratia per fidem imputatur." 107 Vgl. d a z u G e r h a r d , Loci, Bd. III, Locus 16, N r . 164, 450. Bellarmin behauptet dabei, d a ß bezüglich d e r Bestimmung des Glaubens Uneinigkeit zwischen den Lutheranern bestehe, insofern Luther selbst den Glauben als formale Gerechtigkeit des Menschen verstehe, während andere den Glauben nur als Beziehung auf die G n a d e auffaßten. 10e G e r h a r d , Loci, Bd. III, Locus, 16, N r . 202, 481: „Fides . . . est justitia nostra, interim non est justitia nobis inhaerens, sed imputatur nobis ad justitiam, quia justitiam a Christo acquisitam apprehendit . . . Cum ergo Christus et fides simul dicantur nostra justitia, consequens est, fidem ideo esse et dici nostram justitiam, quia Christi justitiam apprehendit ac nostram facit." Vgl. dazu Aegidius Hunnius, D e iustificatione, 91: „ Q u e m a d m o d u m fides ipsa iustificat & salvat, non ut in qualitate est virtus seu habitus; sed ut in relatione est Organum gratiam Dei in Christo apprehendens." 109 Vgl. G e r h a r d , Loci, Bd. III, Locus 16, N r . 204, 483: „Obedientia Christi est et causa meritoria et causa formalis nostrae justificationis diverso scilicet respectu. In se ac per se considerata est causa meritoria, quatenus vero per fidem apprehenditur nobisque applicator, est causa formalis nostrae justificationis. Utitur apostolus verbo constituendi, quod est forense ac judiciale; docet igitur, justificationem nostram esse actum quendam judicialem, in quo peccator p r o p t e r Christum a peccatis absolvitor et justus in judicio DEI pronuntiatur.

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Schätzung beruhe, als der Christ durch die imputierte Gerechtigkeit Christi in begründeter Weise für gerecht gehalten werde. 110 So schreibt auch Johann Gerhard in seinen theologischen Loci das melanchthonischflacianische Rechtfertigungsverständnis fort, das er allerdings, wie an späterer Stelle zu zeigen ist, mit der Rezeption der Lehre von der mystischen Vereinigung mit Gott verbindet. Erst dadurch wird dem Glauben diejenige Aufwertung im Kontext des Rechtfertigungsgeschehens zuteil, die Gerhard bei der Bestimmung des Glaubens als Instrumentalursache der Rechtfertigung nur andeutet. d) Das Verdienst Christi als Gegenstand der Zurechnung

Daß die Wiederaufnahme des von Gott durch die Sünde abgefallenen Menschen in die Gemeinschaft mit Gott nicht einfach durch ein Verzeihen der Sünde geschehen könne, sondern die Wiederherstellung der göttlichen Ordnung durch eine entsprechende Genugtuungsleistung voraussetze, hat schon Anselm von Canterbury seinem Gesprächspartner Boso zu erklären versucht. In der Uberzeugung, daß es der Gerechtigkeit Gottes widerspreche, die Sünde ohne Wiedergutmachung zu vergeben, deutet auch die reformatorische Bekenntnistradition den Kreuzestod Jesu Christi als Opfertod und darin als die notwendige Bedingung der Sündenvergebung und Wiederaufnahme des Menschen in die Gemeinschaft mit Gott. 111 Darüberhinaus bestimmt aber etwa Flacius nicht nur das Leiden Christi, sondern seinen verdienstvollen Gehorsam insgesamt als die direkte Wirkursache der Rechtfertigung. 112 Dagegen unterschied der Ansbacher Superintendent Georg Karg alias Parsimonius bereits in seinem Briefwechsel mit Victorin Strigel aus den Jahren 1564 und 1566 „deutlich zwischen dem aktiven und passiven Gehorsam Christi" und ging dabei „davon aus, daß ersterer nicht zur Gerechtigkeit des Menschen angerechnet werde und folglich am Recht110 Gerhard, Loci, Bd. III, Locus 16, Nr. 202, 481: „Imputatio omnino significat talem existimationem, cui Veritas subest. Cum enim fides justitiam a Christo partam apprehendit, vere nos justos Deus pronuntiat, non quidem propter justitiam aliquam nobis inhaerentem, sed propter justitiam Christi fide apprehensam nobisque imputatam. Neve pergat Bellarminus imputationem opponere veritati, producimus evidens argumentum ex 2. Cor. 5, vers, ult.: Christus factus est pro nobis peccatum ut nos efficeremur justitia Dei in ipso. Sicut Christo imputata sunt peccata nostra, ut pro illis satisfaceret; ita quoque nobis credentibus justitia Christi imputatur, ut per illam coram D e o justificemur." 111

Vgl. C A IV, BSLK 56 und S D III, 9, BSLK 9 1 7 , 1 5 - 3 3 . Vgl. Flacius, D e iustificatione, 153: „Primum igitur sunt duae principales causae efficientes, Remotior & Vicina. Remotior est, misericordia Dei, qui adeo dilexit mundum, ut filium suum traderet, quique etiam quotidie nos a peccatis absoluit. Propinquior est, ipse incarnatus filius, Rex iusticia & sacerdos noster, qui istam iusticiam tum olim obediendo & patiendo acquisivit, tum & nunc quotidie nobis ut intercessor noster impetrat & applicat." ш

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fertigungsgeschehen nicht beteiligt sei."113 Den in der Gesetzeserfüllung Christi manifesten aktiven Gehorsam verstand Karg dabei lediglich als Voraussetzung für die satisfaktorische Geltung des Kreuzestodes. Mit dieser Auffassung wollte Karg dem antinomistischen Mißverständnis wehren, als sei von dem durch die Zurechnung der Gerechtigkeit Christi gerechtfertigten Christen keine Erfüllung des Gesetzes mehr zu fordern. 114 Damit verband er aber zugleich die These, daß „die fröhliche und freimachende Botschaft des Evangeliums" viel deutlicher hervortrete, wenn die Rechtfertigung allein im Leiden und Sterben Christi begründet und ausschließlich als Sündenvergebung gedacht werde. 115 Zum öffentlichen Lehrstreit um die Position von Georg Karg kam es erst, als Petrus Ketzmann 1567 Karg öffentlich angriff. 116 Gegen die - auch von Calvin und später von den reformierten Theologen Piscator und Ursinus vertretene 117 - Behauptung Kargs, daß allein dem im Leiden und Sterben vollbrachten passiven Gehorsam Christi „stellvertretende satisfaktorische Wirkung" zukomme 118 , wurde alsbald von Wittenberger Theologen 119 und später auch in der Konkordienformel entschieden betont, daß zu dem verdienstvollen Gehorsam Christi, welcher dem Menschen zugerechnet werde, nicht nur das Leiden, sondern die gesamte Erfüllung des göttlichen Gesetzes durch Christus gehöre 120 . Im Hintergrund stand wohl das Interesse an der konsequenten Beschreibung Christi als des Mittlers, welche den Wittenbergern durch Kargs Scheidung zwischen aktivem und passivem Gehorsam gefährdet erschien.121 Würde nämlich nicht der gesamte in der Erniedrigung erbrachte Gehorsam als Bedingung

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Vgl. Hans-Martin Weiss, Vom notwendigen Verstand der Lehre, 92 und 186 ff. Vgl. dazu Weiss, а. а. O., 202 f., 207. ш Weiss, а. а. O., 203. 116 Siehe zum Verlauf des Lehrstreits Weiss, а. а. O., 91 ff. 117 Vgl. dazu Weiss, a.a.O., 213 sowie Gerhard, Loci, Bd.III, Locus 16, Nr.57, 340f. ω Vgl. Weiss, а. а. O., 190 f. sowie die Darstellung bei Wenz, Theologie der lutherischen Bekenntnisschriften, Bd. 2, 490, Anm. 39. ш Vgl. dazu Weiss, а. а. O., 94.205. 120 Vgl. dazu die Aussage in SD III, 15, BSLK 919,5-15: „darumb uns dann sein Gehorsam nicht allein im Leiden und Sterben, sunder auch daß er freiwillig an unser statt unter ,das Gesetz getan' und dasselbig mit sollichem Gehorsam erfüllet, uns zur Gerechtigkeit zurechnet, daß uns Gott umb sollichs ganzen Gehorsams willen, so er im Ton und Leiden, im Leben und Sterben für uns seinem himmlischen Vater geleistet, die Sünde vergibt, uns für fromb und gerecht hält und ewig selig machet." Siehe ebenso Balduin, а. а. O., These 61: „Imputata Christi justitia est Christi actio Sc passio, in tempore praestita Sc nobis applicata. Nam Christi in carnem adventus, incarnatio, passio, mors, resurrectio Sc universum meritum, Nostrum est, pro nobis praestitum Sc tanquam λύτρον ίσόρροπον aeterno patri pro peccatis nostri persolutum." Zum Bezug der Ausführungen der Konkordienformel auf die Position Kargs vgl. Weiss, a.a.O., 210ff. m Dies geht aus der Darstellung der Wittenberger Reaktion bei Weiss, а. а. O., 205, hervor. 114

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der Erlösung des Menschen gedacht werden, so würde dies der Einheit des Mittleramtes Christi widerstreiten 122 , die wiederum als wesentliche Voraussetzung für die Behauptung der Suffizienz des Heilswerkes als Grund unserer Rechtfertigung und damit letztlich für die reformatorischen Lehre von der Rechtfertigung allein aus Glauben ohne alle Werke angesehen wurde. So sehr man mit Karg fragen kann, ob die Wittenberger Definition der Rechtfertigung als Zurechnung der Gerechtigkeit Christi den biblischen Aussagen entspricht 123 , so berechtigt ist doch die Kritik der Wittenberger Theologen an der Trennung zwischen aktivem und passivem Gehorsam und das zugrundeliegende Interesse an der Einheit des Mittleramtes. Damit ist allerdings noch nicht die Frage beantwortet, wie sich die Gesetzeserfüllung Christi zum Leiden genauerhin verhält und welche spezifische Bedeutung dem Gesetzesgehorsam Christi für die Versöhnung des Menschen mit Gott zukommt. Diese Frage wird weder im Lehrstreit mit Karg noch in der Konkordienformel eingehender erörtert. Eine Klärung bietet hingegen Johann Gerhard, der die Einbeziehung des aktiven Gehorsams in das Verdienst Christi nicht mehr nur gegen Karg, sondern vor allem gegen Johann Piscator 124 zu verteidigen sucht. Gerhard erklärt den notwendigen Zusammenhang von aktivem und passivem Gehorsam Christi, indem er das Leiden als das Ziel des lebenslangen Gehorsams auslegt, in welchem sich insgesamt die Liebe unseres Herrn offenbare. 125 Dabei beschreibt er die habituelle Gerechtigkeit bzw. Sündlosigkeit der menschlichen Natur Christi wie schon Anselm als Voraussetzung für die Würde des Gehorsams Christi, bezieht aber den aktiven Gehorsam Christi im Gegensatz zu Piscator gerade als Ausdruck der Sündlosigkeit der menschlichen Natur in die Bestimmung der Verdienstursache der Rechtfertigung ein.126 Die Ausgliederung des aktiven ш

Vgl. Weiss, а. а. O., 209. Vgl. dazu Weiss, a.a.O., 190. m Die Position von Piscator stellt Gerhard, Loci, Bd. III, Locus 16, Nr. 57, 340 f. dar. 125 Gerhard, Loci, Bd. III, Locus 16, Nr. 55, 340: „ . . . inquirendum restat, per quid Christus justitiam coram Deo valentem promeruerit. Respondemus ex Scripturis, totam Christi obedientiam tam activam quam passivam, tam vitae quam mortis ad illud meritum concurrere. Quamvis enim in compluribus Scripturae dictis morti et effusioni sanguinis Christi redemtionis opus tribuatur, id tarnen haudquaquam exclusive accipiendum, ac si sancta Christi vita ab opere redemtionis per hoc excludantur, sed ideo illud fieri existimandum, quia nusquam illuxit clarius, quod nos dilexit ac redemit Dominus, quam in ipsius passione, morte ac vulneribus, ut loquuntur pii veteres; et quia mors Christi est velut ultima linea ac complementum, . . . finis et perfectio totius obedientiae, sicut apostolus inquit Philipp. 2, v. 8 . . . , activam obedientiam a passiva in hoc merito separare, quia in ipsa Christi morte concurrit voluntaria illa obedientia, et ardentissima dilectio, quarum prior Patrem coelestem, posterior nos homines respicit." m Gerhard, Loci, Bd. III, Locus 16, Nr. 56, 340: „cum obedientia et satisfactio CHRISTI m

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Gehorsams aus dem Verdienst Christi bei den Reformierten führt Gerhard auf die Negation der realen Idiomenkommunikation zurück. Weil nämlich die Anhänger Calvins eine wahre Kommunikation der Majestät der göttlichen Natur an die menschliche Natur bestritten, sei Christus nach seiner menschlichen Natur dem Gesetz unterworfen, so daß sein aktiver Gehorsam nicht als Ursache unserer Rechtfertigung geltend gemacht werden könne. 127 Während dabei in der reformierten Tradition nicht allein das Handeln Christi, sondern ebenso auch das Leiden nur der menschlichen Natur zugeschrieben werde, vertritt Gerhard im Einklang mit der lutherischen Tradition die These, daß Handeln und Leiden nur von der geeinten gottmenschlichen Person des Erlösers auszusagen seien. 128 Wenn Gerhard und die Wittenberger Lutheraner Aegidius Hunnius 129 , Balduin und Hutter im Anschluß an die Konkordienformel den aktiven und den passiven Gehorsam Christi als Voraussetzung der Rechtfertigung verstehen und das in diesem Gehorsam erbrachte Verdienst Christi wie schon Flacius, Wigand und Judex 130 als materialen Grund131 bzw. als inde atque ideo cedat in commodum nostrum ас sit meritoria, primo quia est ipsius Filii DEI obedientia, unde infinita dignitas ac majestas personae conciliat infinitam vim, dignitatem atque efficaciam ejusdem merito . . . 1. Joha. 1, v. 7: Sanguis JESU CHRISTI Filii Dei emundat nos ab omni peccato (inde atque ideo sanguis Christi nos emundat a peccatis, quia est ipsius Filii DEI sanguis). Deinde quia est innocentissimae, sanctissimae ac purissimae personae obedientia. Si enim vel minima peccati sive originalis sive actualis labecula CHRISTO adhaesisset, nec legem pro nobis implere, nec pro peccatis nostris satisfacere potuisset . . ш Vgl. Gerhard, Loci, Bd. III, Locus 16, Nr. 57, 341: „Quin imo quamdiu Calviniani doctrinam de vera et reali communicatione naturarum ac de vera communicatione divinae majestatis Christo secundum carnem facta negant, tamdiu etiam negare coguntur, activam Christi obedientiam ad causam meritoriam justificationis pertinere. Si enim Christus juxta humanam naturam non est Dominus legis, utique ut homo est legi subjectus obstrictus, ad Deum diligendum ex toto corde etc., ergo dilectione ilia sua non potuit legem pro nobis implere." Den Anlaß f ü r diesen Irrtum erblickt Gerhard in der „Nestoriana personae Christi divulsio", vgl. Loci, Bd. III, Locus 16, Nr. 59, 342. ш Gerhard, Loci, Bd. III, Locus 16, Nr. 59, 342: „At si passio et mors Christi tantum humanae naturae, non autem personae competit, quomodo constabit ei vis et efficacia satisfaciendi pro peccatis mundi? Idem judicium est de sanctis CHRISTI actionibus, quas cum humanae tantum naturae actiones esse statuant, quid mirum, quod ab officio redemtionis eas secludant? cui pestilentissimo errori opponenda est regula illa certissima: Actiones et passiones sunt personae. Non igitur agit et patitur tantum humana natura, sed agit et patitur CHRISTUS θεάνθρωπος, DEI et Mariae filius". 129 Vgl. Aegidius Hunnius, De iustificatione, 20 ff. 130 Vgl. Flacius, De iustificatione, 153 und Wigand, Syntagma, 977 f.: „Materia iusticiae peccatoris, qua coram Deo consistit. Est autem materia, seu res quae nobis imputatur, seu qua miseri peccatores coram Deo iusti censentur & sunt, atque subsistunt, expiatio, meritum, obedientia, satisfactio, legis omnimoda impletio, tantum per Meßiam IESUM CHRISTUM praestita, loco & vice totius generis humani." 131 Balduin, a . a . O . , These 125.

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zweite Ursache 132 der Rechtfertigung bestimmen, so geht es ihnen nicht nur um die konsistente Verteidigung der Personeinheit des Erlösers, sondern ebenso um die Aussage, daß wir durch die Zurechnung der im Verdienst Christi sich manifestierenden Gerechtigkeit Christi in umfassendem Sinne vor Gott gerecht erklärt werden. 133 Auf diese Weise soll das Mißverständnis ausgeschlossen werden, als bedürfe die Rechtfertigung einer vom Menschen durch den neuen Gehorsam zu leistenden Ergänzung. 134 Entsprechend wird die dem Menschen zugerechnete Gesetzeserfüllung Jesu auch nicht nur als finale Auslegung des Gesetzes, sondern als stellvertretend für den Ungehorsam des Menschen vollbrachte Ausübung des vom Gesetz geforderten Gehorsams verstanden.135 Um zu verdeutlichen, daß Christi Gesetzesgehorsam dabei nicht nur als Gegenstand der rechtfertigenden Zurechnung zu werten ist, sondern zugleich selbst die Zurechnung als Form und den Glauben als Instrument

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Hutter, Compendium, 53. Vgl. exemplarisch Balduin, a . a . O . , These 61 und Hutter, Compendium, 54: „Quid per Meritum Christi intelligis? Intelligo obedientiam Christi: non eam tantum, qua patri obedivit, per totam passionem et mortem: sed et qua, nostra causa, sponte sese legi DEI subiecit, eamque obedientia ilia sua implevit: ita ut DEUS, propter totam Christi obedientiam, quam agendo et patiendo pro nobis praestitit, peccata nobis remittat, pro bonis et iustis reputet, et salute aeterna donet." Vgl. auch Gerhards Zusammenfassung der gegen Piscator gerichteten Argumentation in Loci, Bd. III, Locus 16, Nr. 60, 342: „Sic igitur argumentamur: Si Christus mediator in officio redemtionis non solum pro nobis mortuus est, sed etiam 1. voluntatem Patris coelestis fecit; 2. legem implevit; 3. factus sub lege; 4. ut per obedientiam ejus constitueremur justi; 5. et justificatio legis in nobis impleretur; 6. cum ipse sit finis legis ad justitiam omni credenti; 7. ac proinde factus nobis a Deo justitia; 8. in quo efficimur justi; consequens est non solum passivam, sed etiam activam obedientiam Christi esse nostram coram Deo justitiam." 133

134 Vgl. Gerhard, Loci, Bd. III, Locus 16, Nr. 60, 343: „Si igitur solam poenam et non simul obedientiam ille praestitit, non totum debitum solvit, sed praecipuam ejus partem nobis solvendam reliquit, quumquia solvere non possumus, metuendum, ne in carcerem conjecti aeternum pereamus." 135 Vgl. Gerhard, Loci, Bd. III, Locus 16, Nr. 60, 342 f.: „Christus venit quidem, ut legem impleret explicando, sed non solum, verum etiam ut impleret obediendo . . . Solutio legis est non tantum ejus adulteratio, sed maxime violatio. Ergo impletio non est tantum sincera ejusdem explicatio, sed maxime servatio; 2. ex v. 19 . . . Facere autem legem est obediendo implere, non tantum explicare . . . Atqui nos eramus sub lege non tantum maledictionis et poenarum, sed etiam obedientiae ratione." Besonders deutlich argumentiert Aegidius H u n nius, De iustificatione, 21 f., dafür, daß die Gesetzeserfüllung Jesu als wesentlicher Bestandteil seiner uns zugerechneten Gerechtigkeit angesehen werden müsse: „Absurdum est dicere, nos sine omni prorsus impletione legis iustificari. H o c namque ex adverso pugnaret tum iustitia divina, qua legis, quam tulit, impletionem omnino postulat, eamque vel propriam vel alienam. Atqui si impletio legis, quam Christus praestitit, nobis ad iustitiam non imputaretur, iustificaremur absque omnis legis impletione. Siquidem nec ipsi eam impleremus, tanquam factu nobis αδύνατον, nec Christi impletio nos aliquid attineret. H o c vero cum prorsus sit absonum, necessario statuitur, obedientiam Salvatoris nostri ad iustitiam & salutem nostram pertinere."

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Die Aufnahme in der frühen lutherischen Dogmatik

der Aneignung der Versöhnung vermittelt, bestimmt Johann Gerhard den Gehorsam Christi und die Satisfaktion ausdrücklich nicht als Materialursache 136 , sondern als Verdienstursache der Rechtfertigung137. Im Blick auf die sozinianische Kritik an der Satisfaktionstheorie138, auf deren Widerlegung sich Gerhard in seinen Ausführungen zur Verdienstursache der Rechtfertigung maßgeblich konzentriert, hält er außerdem auch die Bestimmung des Heilswerkes Christi als äußere Impulsivursache für unzureichend, weil dabei nicht hinreichend zur Geltung komme, daß das Werk des Sohnes auf den gemeinsamen Heilsratschluß der trinitarischen Personen zurückgehe und darum nicht einfach als eine Gott entgegengebrachte Leistung anzusehen sei.139 Aus ähnlichen Erwägungen heraus lehnt er schließlich auch die Bellarminsche Beschreibung Christi bzw. seines Werkes als Instrument der Rechtfertigung ab. Da nämlich das Handeln und Leiden Christi als des Mittlers und Erlösers nicht nur seiner menschlichen Natur, sondern der ganzen Person in ihrer Verbundenheit mit Gott Vater und dem Heiligen Geist zuzuschreiben sei, habe Christus

136 Gerhard, Loci, Bd. III, Locus 16, Nr. 33, 320: „quando quaeritur, quid sit illud, per quod ac propter quod sit justitia sive obedientia et satisfactio Christi per fidem nobis imputata, notandum, quod Christus sub tribus potissimum rationibus ad justificationem nostram concurrat: 1. meritorie, ipse enim sanctissimo suo merito gratiam justificationis nobis impetravit, 2. efficienter, neque enim a peccatis solum, morte ac diabolo nos liberavit et justitiam, quae coram Deo valet, nobis peperit, sed etiam pretiosa ista offert et per fidem applicat; 3. formaliter in ipsa applicatione, siquidem nulla alia re coram Deo sumus justi, quam justitia a Christo acquisita et per fidem nobis imputata." 137 Vgl. Gerhard, Loci, Bd. Ill, Locus 16, 319: „Idem vero est, sive dicatur, Christum mediatorem ac redemtorem nostrum esse causam meritoriam justificationis, sive obedientiam et satisfactionem Christi esse loco meritoriae causae habendam, quia Christus ut mediator ac redemtor, id est ratione suae obedientiae ac satisfactionis, hie consideratur." Vgl. ähnlich auch Johannes Scholvin, Synopsis, These 133, wobei Scholvin darauf hinweist, daß es sich der Sache nach bei dem von Christus stellvertretend erbrachten Verdienst des aktiven und passiven Gehorsams um die Gottebenbildlichkeit bzw. die Gerechtigkeit handelt: „Sequitur Justificationis causa materialis, quae est imago Dei seu justitia, non quidem eadem, quam habuere primi nostri parentes sibi concreatam & inhaerentem, sed huic succedens alia, quam Christus, causa meritoria salutis nostrae, nobis acquisivit: quae imago Dei ас iustitia solet meritum Christi dici, itemque obedientia activa & passiva, de qua supra." 138 Vgl. Gerhard, Loci, Bd. Ill, Locus 16, 320-340. Vgl. bes. die Zusammenfassung der von Gerhard bekämpften Thesen der Sozinianer а. а. O., 320, Nr. 35, und deren Widerlegung im Uberblick а. а. O., 322-324. Siehe ferner auch Gerhards Auseinandersetzung mit den sogenannten Neophotinianern über die rechte Bestimmung von göttlicher Gerechtigkeit und Barmherzigkeit, Loci, Bd. III, Locus 16, 331 ff. ш Vgl. Gerhard, Loci, Bd. III, Locus 16, 320, Nr. 32: „Hoc justificationis et salutis nostrae meritum a Christo praestitum quidam vocant causam impulsivam extemam, quae scilicet moverit Deum, ut credentes in Christum ab aeterno elegerit ad salutem, eosque in tempore justificet et salvet; ubi tarnen addendum est, satisfactionem et obedientiam Christi hic considerari, ut est non nudi hominis, sed ipsius Filii Dei satisfactio et obedientia, qui Patre non est divisus nec separatus . .

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als Subjekt, und nicht als Instrument des ihm zukommenden Amtes zu gelten. 140 Obwohl in dieser für das Verständnis der Satisfaktion Christi entscheidenden Frage zwischen Katholiken und Lutheranern keine Einigkeit bestand, stellte doch die Bestimmung der Verdienstursache der Rechtfertigung auf der Basis der anselmschen Satisfaktionstheorie nicht in gleichem Maße ein kontroverstheologisches Problem dar wie die Frage nach der Formalursache und der Instrumentalursache der Rechtfertigung. Denn auf lutherischer wie auf römisch-katholischer Seite 141 wurde einheitlich vorausgesetzt, daß das satisfaktorische Verdienst des Leidens Christi als Verdienstursache der Rechtfertigung zu gelten habe. Die im Anschluß an die Konkordienformel auftretende innerlutherische Differenz in der Bestimmung des ersten Genus der Idiomenkommunikation, auf die im nächsten Kapitel eingegangen wird, zeigt dabei, daß man lutherischerseits zwar darin einig war, daß Christus nicht allein nach seiner menschlichen Natur gelitten habe. Aber wie und vor allem aus welchem soteriologischen Interesse heraus von einem Leiden Gottes zu sprechen sei, war unter den Lutheranern keineswegs eindeutig. Hier macht sich zumindest in der Tübinger Christologie das Interesse geltend, das Versöhnungsgeschehen nicht nach dem Muster der anselmischen Satisfaktionstheorie exklusiv in der von Christus ausgeübten priesterlichen Satisfaktion vollzogen und begründet zu sehen, sondern umfassender in „der Veränderung, die Gott den Sohn selbst betrifft, der geworden ist zu Christus . . . , zur Person im Beisammen von Gottheit und Menschheit" und damit in der „Veränderungsgeschichte Gottes selbst". 142 Dennoch wird auch in der Tübinger Dogmatik ebenso wie in Wittenberg und in Jena als Verdienstursache der Rechtfertigung und damit als Bedingung der Möglichkeit der Sündenvergebung und Adoption in die Gotteskindschaft der aktive und passive Gehorsam Christi bestimmt, in dem sich die Gerechtigkeit Christi manifestiert, die den Glaubenden zugerechnet wird.

140 Gerhard, Loci, Bd. III, Locus 16, 320, Nr. 34: „ . . . Per Christum nobis parta est justitia et remissio peccatorum, non tanquam per instrumentum, sed ut per eum, qui est unus cum Patre et Spiritu sancto benedictus in secula. Nomina officii competunt Christo secundum utramque naturam. J a m vero esse mediatorem ac redemtorem nostrum est nomen officii. Ergo competit Christo secundum utramque naturam. At quis Christum secundum utramque naturam instrumentum justificationis dixerit?" ш Vgl. D H 1523 und 1529. 142 So beschreibt Jörg Baur, Auf dem Wege zur klassischen Tübinger Christologie, in: Luther und seine klassischen Erben, 262, das der klassischen Tübinger Christologie zugrundeliegende Thema, wie es sich in ihrem ersten Text, dem Schreiben an die Gießener vom 1. September 1619 (vgl. dazu Baur, a . a . O . , 261-264), erkennen läßt.

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Im Rahmen der imputativen Rechtfertigungsvorstellung ist diese Bestimmung der Verdienstursache zwar insofern sinnvoll, als sie nicht nur die Bedingung der Möglichkeit der Sündenvergebung Gottes benennt, sondern zugleich auch sicherstellt, daß die dem Glaubenden zugerechnete Gerechtigkeit eine ihm notwendig äußerlich bleibende Gerechtigkeit ist, da es sich um Christi stellvertretend vollbrachtes Verdienst handelt. Doch ist damit zugleich die von den Sozinianern zuerst formulierte Kritik induziert, daß die Vorstellung von der Notwendigkeit der Versöhnung Gottes durch Satisfaktion nicht biblisch und die Vorstellung von der Zurechnung des Verdienstes Christi nicht sittlich sei. Dieser Kritik sucht die evangelische Theologie des 19. und des 20. Jahrhunderts auf verschiedene Weise zu begegnen. Wenn in diesem Zusammenhang in der systematischen Theologie der letzten Jahrzehnte der Gedanke der Unveränderlichkeit Gottes kritisiert und die Betroffenheit Gottes durch das Leiden des Sohnes betont wird, und wenn daneben die Exegese die Deutung des Leidens Christi im Sinne inklusiver Stellvertretung zu etablieren versucht, so müßte diesen Versuchen, die klassische Satisfaktionsvorstellung einschließlich ihrer Probleme zu überwinden, eine Revision der imputativen Rechtfertigungsvorstellung folgen. Innerhalb der altlutherischen Dogmatik bietet die Tübinger Christologie und die Ausbildung der Lehre von der spirituellen Christusgemeinschaft bzw. der unio mystica zumindest einen Ansatz dafür, wie in den nächsten Kapiteln zu zeigen ist. e)

Zusammenfassung

In den vorangehenden Abschnitten ist gezeigt worden, wie die forensisch-imputative Deutung der Rechtfertigungsaussagen der Schrift in der lutherischen Lehrbildung im Anschluß an Flacius durch die Differenzierung der Rechtfertigungsursachen expliziert wird. Dies geschieht teils ausdrücklich, teils unausdrücklich in Auseinandersetzung mit der tridentinischen Rechtfertigungslehre und deren Verteidigern wie etwa Robert Bellarmin. Die aus der unterschiedlichen Bestimmung der Rechtfertigungsursachen in der römisch-katholischen und der evangelischen Theologie erkennbaren Lehrdifferenzen hinsichtlich der Rechtfertigung faßt Georg Calixt in seiner Epitome Theologiae von 1619 in prägnanter Weise zusammen. 143 Während im Blick auf die Finalursache, die Materialursache, nämlich den Menschen als Sünder 144 , die Wirkursache 145 , die Ver143

Vgl. Calixt, Epitome, 207,1-217,17. Vgl. Calixt, Epitome, 207,6-11: „Primo convenimus in causa finali, quam ab utraque parte fatemur esse gloriam Dei, Ephes. 2,7, et hominum, qui iustificantur, aetemam salutem, Rom. 6,22; 1. Pet. 1,9. Secundo in causa quoque materiali convenimus, scilicet earn esse hominem peccatorem sive impium ..." 145 Bei der Wirkursache betont Calixt allerdings, daß die katholischen Theologen die 144

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dienstursache und die Instrumentalursache von seiten Gottes Übereinstimmung bestehe 146 , herrsche bei der Bestimmung des Glaubens als Instrumentalursache von seiten des Menschen und bei der Bestimmung der Formalursache der Rechtfertigung keine Einigkeit. 147 Die unterschiedliche Einschätzung der Bedeutung des Glaubens faßt Calixt dahingehend zusammen, daß von katholischer Seite die exklusive Funktion des Glaubens bestritten und der Glaube nicht als Instrument, sondern als Disposition des Menschen angesehen werde 148 . Ferner bestehe eine Differenz in der Zuordnung des Glaubens zum Intellekt 149 und in der Trennung des rechtfertigenden Glaubens von der Liebe und dem Bemühen um gute Werke 150 . Für die innerlutherische Klärung des Verhältnisses von Glaube und Rechtfertigung ist dabei bedeutsam, daß Calixt den Glauben als Instrumentalursache von seiten des Menschen 151 im Unterschied zur vorangehenden Lehrtradition eindeutig als die von Gott geordnete und an der Stelle des Menschen zu vollziehende logische Voraussetzung 152 bestimmt, unter der Gott dem Menschen die Verdienste seines Sohnes zurechnet, ihm Kraft des Leidens und der Satisfaktion die Sünden vergibt und ihn durch seine aktive Gerechtigkeit zum himmlischen Erbe

Gnade bei Paulus nicht als favor verstehen wollen, vgl. Epitome, 207,12-17: „Tertio consideremus causam efficientem, et quidem convenimus in principali, nempe earn esse ipsum Deum sive gratiam et misericordiam divinam, quanquam illi per gratiam in Epistolis Paulinis gratuitum favorem intelligere nolunt, ut ita secundum ipsos hanc principalem causam in Paulo vix reperias." 146 Calixt, Epitome, 207,17-21: „Convenimus quoque in meritoria, nempe Christum esse causam meritoriam nostrae iustificationis. Ulterius convenimus, in causa instrumentaria, quae sit a parte Dei offerentis, hanc scilicet esse verbum, Sacramenta ipsosque ministros verbi et Sacramentorum." 147 Vgl. zum Dissens „de causa instrumentaria, quae sit a parte nostra" Calixt, Epitome, 207,21-208,10 und zur causa formalis a . a . O . , 208,10-16. 148 Hierzu bemerkt Calixt, Epitome, 208,2-4: „Quamquam si de caeteris conveniret, de hoc modo loquendi facile conventum iri existimarem." ш Calixt, Epitome, 208,4-8: „Tertio fidem accipiunt non nisi pro habitu intellectus, puta cognitione et adsensu, cum nos accipiamus pro habitu voluntatis, scilicet fiducia, qua voluntas in promissionibus divinis et merito Christi per intellectum cognito acquiescat." 150 Calixt, Epitome, 208,8-10: „Quarto hanc fidem iustificam a caritate et studio bonorum operum separari posse illis affirmantibus nos negamus." Gemeint ist dabei die katholische Unterscheidung zwischen fides caritate formata und fides informis, vgl. а. а. O., Anm. 332. 151 Calixt, Epitome, 206,27 f. 152 Calixt, Epitome, 209,22-31: „secundum nos et veritatem simul quidem sunt tempore fides, ipsa iustificatio et inchoata iustitia, quae complectitur caritatem et caeteras virtutes omnes, hoc est, Deus fidem iustificam per media donat et peccata remittit sive iustificat et inchoat novam vitam simul et semel, ut ita non sit ordo secundum prioritatem temporis, sed naturae rerumque ipsarum; donata enim fides est a parte nostra causa instrumentaria iustificationis atque ita etsi non tempore, natura tarnen prior est ipsa iustificatione sive remissione peccatorum."

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zuläßt.153 Problematisch ist diese Auffassung weniger deshalb, weil hier die Rechtfertigung nach dem Urteil von Inge Mager „nicht eigentlich mehr eine iustificatio impii, sondern vielmehr eine iustificatio iusti ex fide" ist.154 Denn schon Flacius hat darauf hingewiesen, daß das Rechtfertigungsurteil Gottes deshalb der Gerechtigkeit Gottes nicht widerspreche, weil sich der Glaubende im Glauben die Gerechtigkeit Christi aneigne und durch die Zurechnung derselben zwar nicht in sich selbst, aber durch die Gerechtigkeit Christi gerecht sei. Und ebenso wird auch Johann Andreas Quenstedt später sagen, daß sich das Rechtfertigungsurteil zwar auf den Sünder beziehe, aber nicht den Sünder in seiner Sünde gerechtspreche, sondern den Sünder, insofern er sich im Glauben das Verdienst Christi aneigne.155 Daß der Glaube nicht als eine vom Menschen zu leistende Voraussetzung bzw. Tugend rechtfertige, sondern sofern er die zugerechnete Gerechtigkeit Christi ergreife, betont in diesem Zusammenhang auch Calixt ausdrücklich.156 Wenn er den Glauben dabei deutlicher als die melanchthonische bzw. flacianische Tradition als unsere Gerechtigkeit beschreiben kann 157 , so geschieht dies in der Überzeugung, daß wir nur durch das göttliche Zurechnungsurteil als formale Ursache der Rechtfertigung aus Glauben gerecht sind.158 Die eigentliche Schwierigkeit, die bei Calixt in seiner Anknüpfung an Melanchthon und die altlutherische Dogmatik nur deutlicher zutage tritt, liegt darin, daß Calixt den Glauben ausdrücklich als die von Seiten des Menschen erforderliche logische Bedingung der Rechtfertigung erklärt. Auf diese Weise werden seine Ausführungen zum Glauben mit einem „nicht zu übersehenden Werkcharakter" behaftet159. Das naheliegende

153 Vgl. Calixt, Epitome, 2 0 4 , 1 5 - 1 7 mit a . a . O . , 2 0 4 , 3 2 - 2 0 5 , 8 . Siehe auch a . a . O . , 2 0 6 , 2 9 - 2 0 7 , 1 : „Atque ideo fides dicitur nostra iustitia, quia nihil est in nobis, quod [ullo] modo ad iustitiam facit praeter solam fidem, facit autem, quantum facit, non quidem sua nativa virtute, sed quoniam ad hunc effectum elevatur a causa principali, nempe misericordia divina, quae fidem imputat pro iustitia, hoc est, ita ordinavit, ut fides nobis sit, quasi perfecte promereretur iustitiam vel ipsa esset iustitia." Diese Sichtweise hat sich auch Karl Hase in seinem Hutterus redivivus, § 139, 280, zu eigen gemacht, wenn er schreibt: „Indem der Mensch durch die göttl. Gnade, mittels des Gl. das Verdienst X t i sich aneignet, wird er vor Gott für gerecht, d.i. dem göttl. Gesetz genügend angesehn, u. dadurch mit Gott versöhnt." 154 So Inge Mager, Georg Calixts theologische Ethik und ihre Nachwirkungen, Göttingen 1969, 71. 155 Vgl. Quenstedt, Systema 111,8/1, 739. 156 Vgl. Calixt, Epitome, 2 0 6 , 2 8 - 3 2 und 219,6 f. 157 Calixt, Epitome, 206,28: „Atque ideo fides dicitur nostra iustitia . . . " 158 Vgl. Calixt, Epitome, 205, 3 0 - 3 2 ; 2 0 8 , 1 0 - 1 3 . 159 So Mahlmann, Die Stellung der unio cum Christo in der lutherischen Theologie des 17. Jahrhunderts, 161, im Anschluß an Inge Mager, Ethik, 71, vgl. insgesamt 6 9 - 7 2 .

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Mißverständnis, als sei der Glaube eine vom Menschen zu erbringende Vorbedingung seiner Rechtfertigung, wird zwar wie bei Melanchthon dadurch aufgehoben, daß Calixt den Glauben als eine vom Geist durch das Wort gewirkte Gabe Gottes bestimmt 160 und außerdem ein zeitliches Folgeverhältnis zwischen Glaube und Rechtfertigung ausdrücklich ausschließt 161 . Aber die bloße Rückführung des Glaubensaktes auf das Wirken des Heiligen Geistes durch das Wort Gottes bleibt dogmatisch solange unbefriedigend, solange nicht deutlich ist, weshalb aufgrund der Wirksamkeit des Geistes im Wort der Ursprung des Glaubensaktes in der Selbsttätigkeit des Menschen ausgeschlossen werden kann. D a ß auch der Hinweis auf die mit der Erbsünde gegebene Unfähigkeit des Menschen zur Annahme des Heils hier nicht die nötige Begründung liefern kann, ist bereits im vorangehenden Kapitel angedeutet worden. Denn soll in der Erbsündenlehre die Heilsunfähigkeit des Menschen nicht nur expliziert, sondern durch die Bestimmung des Wesens der Sünde unter Absehung von der in der Soteriologie beschriebenen Restitution der Gottebenbildlichkeit begründet werden, so muß die Erbsündenlehre, um das Wesen der Sünde bestimmen zu können, auf die Lehre von der im Urständ gegebenen Gottebenbildlichkeit des Menschen zurückgreifen und den Sündenfall als Verlust der ursprünglichen Gottebenbildlichkeit verstehen. Die Lehren von Urständ und Sündenfall können aber diese ihnen zugemutete Begründungslast deswegen nicht übernehmen, weil sowohl die Bestimmung der Gottebenbildlichkeit als Urstandsgerechtigkeit wie auch das Verständnis des Sündenfalls als Verlust der Urstandsgerechtigkeit faktisch die Vorstellung von der Wiederherstellung der Gerechtigkeit des Menschen durch das in Christus begründete Heil voraussetzen. Sollte aus der Bestimmung der Sünde als Verlust der Gottebenbildlichkeit des Urstandes die Unfähigkeit des Menschen, das Heil im Glauben zu ergreifen, als solche erhellen, so müßte die alttestamentliche Beschreibung der Gottebenbildlichkeit exegetisch im Sinne der von den lutherischen Dogmatikern angenommenen Urstandsgerechtigkeit gedeutet und die Sündenfallgeschichte als Verlust eben dieser Urstandsgerechtigkeit interpretiert werden können, was in der altlutherischen Exegese nicht versucht wurde und die Ausblendung der paulinischen Interpretation der Gottebenbildlichkeit durch die Deutung Christi als des ersten Adam erfordern würde. Die Sündenlehre ist mithin weder aus sich heraus noch durch den Rückgriff auf die Urstandslehre dazu in der Lage,

160 Calixt, Epitome, 219,13-20: „Quamobrem certum est ipsum S. Spiritum causam efficientem fidei principalem esse. Porro videndum, quomodo is fidem efficiat. Neque enim immediate earn efficit sine ordine, medio etmodo, sed per suum Verbum. . . . Verbum igitur est quasi instrumentum S. Spiritus, per quod ipse efficax est et fidem operator." 161 Vgl. Calixt, Epitome, 209,29 und 217,6-9.

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Die Aufnahme in der frühen lutherischen Dogmatik

die Selbsttätigkeit des Menschen im Glaubensakt aus seiner seelischen Verfaßtheit nach dem Fall begründet auszuschließen. Ihre Funktion ist vielmehr darin zu sehen, die universale Notwendigkeit der Wiedergeburt, Rechtfertigung und Heiligung durch die Bestimmung des Wesens der Sünde zu explizieren. Dabei muß sie für die Bestimmung der Sünde aus dem Verlust der ursprünglichen Gottebenbildlichkeit des Menschen auf die Soteriologie und näherhin die Christologie zurückgreifen. Ist die Bestimmung von Gottebenbildlichkeit und Sünde nur im Kontext der Soteriologie zu gewinnen, so kann auch die Klärung der Frage, warum sich der Glaubensakt seiner Entstehung nach nicht auf die Selbsttätigkeit des Menschen zurückführen läßt, nur von der Soteriologie bzw. von dem spezifischen Inhalt der Verkündigung, durch die der heilige Geist den Glauben wirkt, erwartet werden. Dies wird zwar in der melanchthonischen Tradition nicht bestritten, doch wird die entsprechende dogmatische Aufgabe eben nur insoweit verfolgt, als die durch die Sünde bedingte Heilsunfähigkeit betont und das Wirken des Geistes durch das Wort als notwendige Bedingung für die Hervorbringung des Glaubens bestimmt werden. Eine tiefergehende Erklärung, wonach die menschliche Selbsttätigkeit als Ausgangspunkt in der Erhebung zum Glaubensakt durch die Evangeliumsverkündigung von Christus in Wort und Sakrament deswegen ausgeschlossen ist, weil diese den Menschen in die Gemeinschaft mit Christus hineinversetzt und darin das Bewußtsein für die Angewiesenheit auf das Heil und die Empfänglichkeit für den Glauben an Christus konstituiert, kann auf der Basis des in der frühen lutherischen Dogmatik fortgeschriebenen melanchthonischen Evangeliums- und Rechtfertigungsverständnisses nicht erreicht werden. Das hier bestehende dogmatische Defizit und die damit verbundenen Folgeprobleme treten nicht erst in der Position von Calixt hervor, sondern werden durch diese nur insofern verschärft, als er den Glauben als logische Voraussetzung der Rechtfertigung bestimmt, gleichzeitig aber die zu seiner Zeit gerade aufkommende Lehre von der mystischen Vereinigung Christi mit den Glaubenden ausdrücklich ablehnt 162 und damit deren christologisch-soteriologisches Potential für die Klärung der rechtfertigungstheologischen Folgeprobleme und für eine adäquate Bestimmung des Glaubenssubjektes ausschlägt. Neben der exklusiven Bedeutung des Glaubens als Instrumentalursache der Rechtfertigung von seiten des Menschen nennt Calixt als zweite Differenz zwischen der römisch-katholischen und der lutherischen Bestimmung der Rechtfertigungsursachen das Verständnis der Formalursache der Rechtfertigung. Hier bestehe zwar Übereinstimmung im Blick auf die

162

Siehe dazu Mahlmann, Unio, 161.

Die Analyse der imputativen Rechtfertigung

151

Sündenvergebung, aber nicht im Blick auf die Zurechnung der Gerechtigkeit Christi, da auf katholischer Seite anstelle der Zurechnung die Infusion des Habitus der Gnade und der Gerechtigkeit vertreten und ein imputatives Verständnis der Rechtfertigung abgelehnt werde. 163 Die logische Folge sei die Vorstellung vom Wachsen der Gerechtigkeit und die damit verbundene Unterscheidung zwischen einer ersten Rechtfertigung, durch die aus einem Ungerechten ein Gerechter gemacht werde, und einer zweiten Rechtfertigung durch die Verdienste des neuen Gehorsams. 164 Gegen die Vorstellung von der Infusion der Gnade bzw. der Gerechtigkeit verteidigt Calixt im Einklang mit der reformatorischen Tradition die Beschreibung der Rechtfertigung durch die Zurechnung der Gerechtigkeit Christi und bestimmt als formale Ursache der Rechtfertigung wie schon Flacius die NichtZurechnung der Sünde und die Zurechnung der Gerechtigkeit Christi.165 Die Rechtfertigung ist sonach der transitorische Akt der Gerechterklärung, durch den die Gerechtigkeit der Glaubenden konstituiert wird. 166 Daß es sich bei der Glaubensgerechtigkeit nicht um eine dem Glaubenden inhärierende Gerechtigkeit handelt, stellt Calixt sicher, indem er sie als imputierte Gerechtigkeit bestimmt.167 Auch wenn Calixt später unter Synkretismusverdacht geriet, entspricht doch seine Entfaltung der Rechtfertigungslehre durch die Zusammenfassung der Rechtfertigungsursachen in der Epitome Theologiae der in der lutherischen Tradition seit Flacius üblich gewordenen Ausdifferenzierung der melanchthonischen Rechtfertigungslehre nach dem Kausalschema. Dabei wird dem Zurechnungsgedanken durchgehend die Funktion zugewiesen, die Glaubensgerechtigkeit als außerhalb des Menschen in Christus gegebene, fremde Gerechtigkeit bestimmen zu können, die dem Menschen

163 Calixt, Epitome, 2 0 8 , 1 0 - 1 6 : „Quod ad causam formalem, cum iustificationis quasi duplicem actum fecerimus, nempe remissionem peccatorum et imputationem iustitiae Christi, de priore convenimus, dissidemus autem circa posteriorem, quem illi volunt esse infusionem habitus iustitiae et caritatis, et per consequens iustitiam nostram non esse imputatam, sed inhaerentem." 164

Calixt, Epitome, 2 0 8 , 1 6 - 2 0 9 , 2 . Vgl. Calixt, Epitome, 2 0 5 , 2 9 - 2 0 6 , 2 . Vgl. die Definition der Rechtfertigung а. а. O., 205,26-29. 166 Die Gerechterklärung wird ausdrücklich als Begründung der Gerechtigkeit verstanden, vgl. Calixt, Epitome, 2 0 5 , 3 0 - 3 2 : „Iustificatio habet se ad modum actus transitorii, quo constituamur sive, ut ita dicam, denunciemur iusti." (Kursive Hervorhebung von Vf.) 167 Calixt, Epitome, 2 0 5 , 3 2 - 2 0 6 , 2 . Vgl. die Erklärung a . a . O . , 206,2 ff.: „Unaquaeque enim res constituitur in suo esse sive acta per formam. Cum itaque quaeritur, quae sit nostra iustitia sive per quid simus iusti, praecipue innuitur causa formalis; hanc dico esse iustitiam Christi, non quidem simpliciter, in se et absolute consideratam, sed nobis imputatam. N o n enim nos formaliter iusti sumus, quia Christus iustus est, nam sic omnes homines iusti essent, sed quia iustitia Christi nostra fit per imputationem, per quam alteri personae quod alterius est adscribitur sive attribuitur." 165

152

Die Aufnahme in der frühen lutherischen Dogmatik

nur durch das Urteil Gottes zukommt. Denn die Gerechterklärung des Sünders erfolgt aufgrund der Gerechtigkeit des aktiven und passiven Gehorsams Christi, die der reuige Sünder im Glauben ergreift. Nur aufgrund der Tatsache, daß der Glaubende durch die Verheißung des Evangeliums Christi Gerechtigkeit als die seine ergreift, kann auch der Glaube zur Gerechtigkeit zugerechnet werden. Daß sich aber im Glauben an Christus das rechte Gottesverhältnis realisiert, welches dem Menschen in der Verheißung der Gotteskindschaft zugedacht ist, kommt auf diese Weise nicht zur Geltung. Vielmehr wird die Gotteskindschaft erst als eine Folge bzw. Wirkung des Zurechnungsurteils verstanden. Eine Würdigung des Glaubens als Ausdruck des dem Menschen verheißenen Verhältnisses der Gotteskindschaft wird innerhalb der melanchthonischen Denktradition deshalb vermieden, weil sich dann die Gerechterklärung nicht nur auf den Glauben hinsichtlich der ergriffenen Gerechtigkeit Christi, sondern auch auf den Glauben als Akt beziehen müßte. Damit aber droht das Mißverständnis, daß sich das Rechtfertigungsurteil doch auf eine Leistung bzw. ein Werk des Menschen bezieht, was Melanchthon und die ihm folgende lutherische Tradition mit Recht ausschließen wollten. Die in diesem Abschnitt dargestellte Explikation der forensisch-imputativen Rechtfertigungslehre durch die in Entgegnung zur tridentinischen Rechtfertigungstheologie konzipierte Analyse der Rechtfertigungsursachen läßt damit nicht nur die Frage offen, wie der Glaube konsequent als Werk Gottes gedacht werden kann. Sie zieht auch weitere dogmatische Schwierigkeiten nach sich, die das Verständnis der Wiedergeburt, der Taufe und schließlich das Verhältnis von Rechtfertigung und Erneuerung betreffen. Darauf ist in den folgenden Abschnitten dieses Kapitels einzugehen.

3. Rechtfertigung und

Wiedergeburt

Die Konkordienformel unterscheidet bekanntlich zwischen einer weiteren und einer engeren Bedeutung des Wortes Wiedergeburt, wonach „das Wort . . . Wiedergeburt, erstlich also gebraucht wird, daß es zugleich die Vergebung der Sünden allein umb Christus willen und die nachfolgende Verneuerung begreifet, welche der Heilige Geist wirket in denen, so durch den Glauben gerechtfertigt sind. Darnach wird es gebraucht allein pro peccatorum remissione et adoptione in filios Dei, das ist, daß es heißet allein Vergebung der Sünden, und daß wir zu Kindern Gottes angenommen werden."168 In diesem zweiten Sinne werde das Wort in der Apologie 168

SD III, 19 f., BSLK 920,14 ff.

Rechtfertigung und Wiedergeburt

153

verstanden, wenn es dort heiße, die Rechtfertigung sei die Wiedergeburt. 169 Den Konkordisten selbst kommt es bei der Verwendung des Terminus der Wiedergeburt vor allem darauf an, dem Irrtum zu wehren, als hange „den Gerechtfertigten und Wiedergebornen kein Ungerechtigkeit nach der Wiedergeburt im Wesen und Leben mehr" an.170 Dagegen wird betont, „daß Christus mit seinem vollkommenen Gehorsam alle ihre Sünde zudecket, die doch in der Natur in diesem Leben noch stecken. Aber solchs unangesehen werden sie durch den Glauben und umb solchs Gehorsambs Christi willen (den Christus dem Vater von seiner Geburt an bis in den allerschmählichsten Tod des Kreuzes für uns geleistet hat) für fromb und gerecht gesprochen und gehalten, ob sie gleich ihrer vorderbten Natur halben noch Sünder sein und bleiben bis in die Gruben." 171 Um daneben den Begriff der Rechtfertigung gegen ein effektives Verständnis, wie es in der osiandrischen und in der tridentinischen Theologie vertreten wurde, abzusichern, grenzt die Konkordienformel die Wiedergeburt gegen die Erneuerung als ihre Folge ab und rechnet nur die Wiedergeburt zur Rechtfertigung. 172 Auch Luther 173 und ihm folgend Brenz 174 sahen einen engen Zusammenhang von Rechtfertigung und Wiedergeburt. Dabei hat der frühe Brenz die Wiedergeburt aber offenbar nicht wie später die Konkordienformel mit der Sündenvergebung gleichgesetzt, sondern unter der Wiedergeburt die Neukonstitution des Menschen im Glauben verstanden, die sich im Ergreifen des Wortes vollzieht und Rechtfertigung und Heiligung bedeutet. 175 Dieses Geschehen der Wiedergeburt sah er in der

169

Vgl. SD III, 19 f., BSLK 920,25 ff. und Apol IV, 72, 78, 117, BSLK 174,37 ff.; 175,37 ff.; 184,7 ff. Im Zuge der Ausbildung des rein forensischen Rechtfertigungsbegriffs verwendet Melanchthon das Wort Wiedergeburt später für die Bekehrung, vgl. Melanchthon, Loci 1535, CR 21, 428 und Loci 1543, CR 21, 760 f., siehe dazu Pannenberg, Systematische Theologie, Bd. 3, 253. 170 SD III, 22, BSLK 921,19 ff. 171 SD III, 22, BSLK 921,25-37. 172 SD III, 18, BSLK 920,5: „Dieweil aber zuzeiten das Wort regeneratio, Wiedergeburt, für das Wort iustificatio, Rechtfertigung, gebraucht, ist vonnöten, daß solch Wort eigentlich erklärt, damit die Verneuerung, so der Rechtfertigung des Glaubens nachfolget, nicht mit der Rechtfertigung des Glaubens vormenget, sondern eigentlich voneinander unterschieden werden." Vgl. dazu Pannenberg, Systematische Theologie, Bd. 3, 253 f. 173 Vgl. Althaus, Die Theologie Martin Luthers, 204: „Im Glauben ist der Mensch neu. Der rechtfertigende Glaube bedeutet die Wiedergeburt aus Gott." Vgl. Brecht, Die frühe Theologie des Johannes Brenz, 225: „Wiedergeburt und Rechtfertigung wirkt Gott in dem, der sich seinem Wort übergibt." 175 Dies wird aus dem Zitat deutlich, das Brecht, Die frühe Theologie des Johannes Brenz, 225, aus der Schrift ,De instituendis pueris' von 1527 (Nürnberger Codex S. 146b) anführt: „trade te totum captivum verbo meo, ut renascaris et induas novum hominem, qui est de coelo coelestis. Tunc enim iustificaberis et salvaberis, cum novus factus fueris homo."

154

Die Aufnahme in der frühen lutherischen Dogmatik

Taufe mit Wasser und Geist begründet 176 , die von der Konkordienformel in diesem Zusammenhang nicht erwähnt wird. In Ubereinstimmung mit Luther und Brenz versteht auch Flacius die Wiedergeburt als Neukonstitution des Menschen im Glauben, wie oben gezeigt wurde. Doch im Unterschied zu Luther und Brenz bestimmt Flacius die Wiedergeburt als die im Gebet sich artikulierende Folge des Rechtfertigungsurteils, ohne auf die Taufe Bezug zu nehmen. Mit seiner Konzentration auf das Erlebnis der Erhörungsgewißheit im Gebet entwirft Flacius dabei einen Begriff der Wiedergeburt, den schon die Gnesiolutheraner Wigand und Judex so nicht übernehmen177 und den auch die Konkordisten nicht teilen. Entgegen dem effektiven Verständnis der Wiedergeburt bei Flacius führt die in der Konkordienformel vorgenommene Gleichschaltung der Wiedergeburt mit der Rechtfertigung bzw. Sündenvergebung dazu, daß nun auch „die Wiedergeburt als etwas" erscheint, „das nicht (oder noch nicht) im Menschen, sondern im Urteil Gottes stattfindet, allerdings im Glauben empfangen wird." 178 Obwohl hinsichtlich des Begriffs der Wiedergeburt somit ein bedeutender Unterschied zwischen Flacius und der Konkordienformel besteht, ist doch darin eine grundlegende Übereinstimmung zwischen beiden Konzeptionen zu sehen, daß die Wiedergeburt in beiden Fällen von der der Rechtfertigung notwendig vorausgehenden Bekehrung und wahren Buße unterschieden wird. 179 Indem in der Konkordienformel weiter gesagt wird, daß „ein wahrer, seligmachender Glaube . . . ist in oder bei wahrer Büß" 180 , wird hier wie bei Flacius der Glaube von der Wiedergeburt abgehoben, insofern die Wiedergeburt erst mit der Recht-

176 Vgl Brecht, а. а. O., 225: Wegen des Unglaubens und Ungehorsams, durch den der alte Mensch bestimmt ist, „braucht es die , altera nativitas, quae fiat e superioribus et subtilioribus elementis (sc. aqua et spiritu)'. D e r neue Mensch wird ,e mortificatione per aquam significata et e vivificatione per aerem'." 177 Wigand und J u d e x erwähnen den Begriff der Wiedergeburt in ihrem Syntagma nur am Rande, und zwar zum einen im Zusammenhang der Prädestinationslehre, zum anderen im Kontext der dem Glauben folgenden Heiligung. Dabei wird der Terminus der Wiedergeburt mit dem der Heiligung parallel gebraucht (vgl. bes. Wigand, Syntagma, 1016) und die Wiedergeburt und Heiligung zusammen mit der Berufung durch das Wort Gottes als Manifestation der Erwählung Gottes interpretiert. Vgl. Wigand, Syntagma, 956: „Revelatio electionis & vocatio ex verbo Dei patet. Tantum enim a posteriori, hoc est declarata Dei voluntate in certo verbo, statuere debemus & possumus. . . . A d istam porro vocationem etiam pertinet regeneratio & sanctificatio, quae fit ministerio Verbi & Sacramentorum."

Pannenberg, а. а. O., 254. Vgl. S D III, 2 3 f f . , B S L K 921 f.: „ D a n n wahre Reue muß vorhergehen . . . A b e r hie muß mit sonderm Fleiß darauf g a r gute Acht gegeben werden, wenn der Artikel der Rechtfertigung rein bleiben soll, daß nicht dasjenige, was für dem Glauben hergehet und was demselbigen nachfolget, zugleich mit in den Artikel der Rechtfertigung, als darzu nötig und gehörig, eingemenget oder eingeschoben werde, weil nicht eins oder gleich ist von der Bekehrung und von der Rechtfertigung zu reden." 180 S D III, 26, B S L K 9 2 2 , 4 0 - 4 5 . 178

179

Rechtfertigung und Wiedergeburt

155

fertigung geschieht, während der in der Bekehrung entstehende Glaube das Rechtfertigungsurteil empfängt. Die Konkordisten denken sich also wie schon Flacius die individuelle Heilsaneignung als ein Nacheinander von Bekehrung, Rechtfertigung, Wiedergeburt und Erneuerung, wobei sie die Abfolge, durch die die Rechtfertigung sowohl von der Bekehrung als auch von der Erneuerung unterschieden ist, betonen, um jegliche Mitwirkung des Menschen bei der Rechtfertigung auszuschliessen.181 Daß aus diesem Interesse heraus auch der am Gewißheitserlebnis orientierte flacianische Begriff der Wiedergeburt nicht adäquat erscheinen konnte, ist evident. Anstelle des subjektiven Erlebens, welches Flacius als die heilsame Wirkung der Rechtfertigung beschrieb, erklärt die Konkordienformel diese Wirkung in objektiver Weise durch die Bedeutung der Rechtfertigung als Adoption des Menschen in die Gotteskindschaft. „Dann so der Mensch durch den Glauben (wölchen allein der Heilig Geist wirket) gerechtfertigt, sollichs wahrhaftig ein Wiedergeburt ist, weil aus einem Kind des Zorns ein Kind Gottes und also aus dem Tod in das Leben gesetzt wird."182 Damit entgeht sie zwar dem Verdacht des Synergismus, dem die flacianische Betonung des Gebets als Manifestation der Wiedergeburt ausgesetzt ist, kann aber dem Begriff der Wiedergeburt auch keine spezifische Bedeutung im Unterschied zur Rechtfertigung mehr zuordnen. So wundert es nicht, daß in den Loci und Kompendien der nachfolgenden lutherischen Dogmatik der von der Rechtfertigung inhaltlich nicht differierende Begriff der Wiedergeburt kaum eigens thematisiert wird. Wo dagegen die Wiedergeburt im weiteren Sinne als die durch die Rechtfertigung bewirkte Erneuerung des Herzens verstanden wird wie etwa bei Wigand, Judex und Lucas I. Oslander, wird in Übereinstimmung mit den Aussagen der Konkordienformel der Unterschied zwischen Rechtfertigung und Wiedergeburt betont.183

181 SD III, 922, BSLK 922,28 ff.: „Denn nicht alles, was zur Bekehrung gehört, auch zugleich in den Artikel der Rechtfertigung gehört, in und zu welchem allein gehört und vonnöten ist Gottes Gnade, der Verdienst Christi, der Glaube, so solchs in der Verheißung des Evangelii annimbt, dardurch uns die Gerechtigkeit Christi zugerechnet wird, daher wir erlangen und haben Vergebung der Sünden, Versühnung mit Gott, die Kindschaft und Erbschaft des ewigen Lebens." 182 SD III, 20, BSLK 920,35-921,5. 183 Vgl. L. Oslander, Institutio, 315: „Etsi autem per fidem iustificantem cor hominis immutatur & regenerator (datur enim Spiritus sanctus credentibus, qui eos gubernat, qui & clamat in cordibus eorum, Abba pater) tarnen regeneratio non est miscenda cum iustificatione coram Deo. Quamvis enim ita cohaerent, ut altera ab altera separari nequeat: tarnen sunt revera res diversae. Et non est iudicio Dei opponenda nostra renovatio sive regeneratio, quia in hac vita imperfecta est, neque rigorem iudicii divini ferre posset, si ea coram iudicio Dei niti vellemus. Quare, ut conscientiam tranquillam retineamus & cor nostrum tuto in misericordia Dei acquiescere possit, semper oculos fidei intentos habeamus, Iesum Christum mediatorem nostrum, in quem quisquis crediderit, non peribit, sed habebit vitam aeternam."

156

Die Aufnahme in der frühen lutherischen Dogmatik

In der lutherischen Theologie des 17. Jahrhunderts wird dem Begriff der Wiedergeburt dagegen wieder größere Aufmerksamkeit zuteil. Der Impuls dazu geht vermutlich von der Erbauungsliteratur aus. Philipp Nicolai beschreibt die Wiedergeburt in seinem Freudenspiegel des ewigen Lebens von 1599 als „übernatürliche und himmlische Wiedergeburt . . . in dem geistlichen Mutterleibe . . . mitten in dem Getön, Schall und Regierung des göttlichen Worts, wo dasselbe mit seinen angehängten zwei Siegeln öffentlich regiert und waltet, durch Kraft und Wirkung des heiligen Geistes getrieben und vollbracht." 184 Dabei wird die Wiedergeburt als das umfassende Geschehen der Berufung des Sünders, der Reue durch den Hammerschlag des Gesetzes, der Rechtfertigung, der Erhöhung, der Erneuerung, des Kreuzes und der „Vollbereitung . . . und Erhaltung zum ewigen Leben" beschrieben185. Wie der Mensch durch die Verkündigung des Wortes die Wiedergeburt erlebt, wird von Nicolai in kräftigen Farben vorgestellt: „die öffentliche Stimme, öffentliche Predigt und öffentlicher Gebrauch des Worts sind wie ein brausender Wind, der den Menschen auf dem Felde dieses Lebens allenthalben überhuiet ,plötzlich überkommt', beschließt, überfällt und einnimmt wie ein Gefängnis und enger Mutterleib, daß der Mensch nicht weiß, wie ihm ist, wird nun durchs Gesetz geschmettert und zu Boden geschlagen, danach durchs Evangelium erquickt, dann wieder durchs Kreuz niedergeworfen und gekränkt, hört aber anders nichts aus Gottes Wort, denn es müsse so sein. Dies Wort hört er als ein Brausen des Windes und fühlt des Windes mancherlei Kraft und Wirkung, als Schrecken, Angst, Trost, Freude und dann wiederum Trübsal und Elend. Aber die Vernunft wird hierüber bestürzt und gar zur Närrin, kann nicht verstehen noch ergründen, wo doch der himmlische Wind, nämlich Gott, mit solchen unterschiedlichen Wirkungen durch das Brausen seines Worts herkomme, was er damit meine und zu was Ende es letztlich soll gerichtet sein."186 Obwohl Nicolai der Wortverkündigung grundlegende Bedeutung für das Wiedergeburtserlebnis zuschreibt, betont er zugleich auch die konstitutive Funktion der Taufe für den das gesamte Leben umfassenden Gesamtprozeß der Wiedergeburt, wenn er schreibt, „daß unsere Wiedergeburt in diesem zeitlichen Leben, solang wir dasselbe gebrauchen, ihr Ende nicht erreicht, sondern währt von der Taufe an bis in den Tod." 187

IM Vgl. (j;e | n d e r Textsammlung von W. Zeller (Hg.), Der Protestantismus des 17. Jahrhunderts, 35-48, abgedruckte und an die moderne Schreibweise angeglichene Passage über die Wiedergeburt aus Ph. Nicolais Freudenspiegel, hier: 36. iss Vgl. Nicolai, Freudenspiegel, in: Zeller, а. а. O., 37-46. Die einzelnen Vollzugsmomente der Wiedergeburt werden von Nicolai als Eigenschaften der Wiedergeburt bestimmt. 186 187

Nicolai, Freudenspiegel, in: Zeller, а. а. O., 36 f. Nicolai, Freudenspiegel, in: Zeller, а. а. O., 47.

Rechtfertigung und Wiedergeburt

157

Entsprechend kritisiert er die Tauflehre der „Papisten" nur deshalb, weil sie „vorgeben, daß in der Taufe die Wiedergeburt ganz vollendet und die Kinder aller Sünden gänzlich los werden, daß in ihrem Fleisch nichts Sündliches mehr überbleibe." Dieser Irrtum entspringe „aus blinder Unwissenheit, dieweil sie das Geheimnis der Wiedergeburt nicht recht einnehmen noch verstehen. Denn es geht solches nicht eilend zu in einem Hui oder Augenblick, gleichwie auch der Mensch nicht in einer Stunde zugleich wird natürlich empfangen, formiert und geboren, sondern es hat alles seine Zeit, sein Ziel und seinen Fortgang. Durch die Taufe hat uns unsere geistliche Mutter, die christliche Kirche, vom heiligen Geist empfangen, und nun liegen wir der Mutter in ihrem utero, das ist in Gottes Leibe und in Gottes Mutter, und lassen uns darin zu Gottes Kindern formieren und bereiten, so lang, bis er uns durch den zeitlichen Tod von dieser Welt absondert und zum ewigen Leben hineinbringt. Mittlerweile müssen wir immer Gottes Wort hören, immer unsere Sünde beweinen, immer um Vergebung bitten, auch stets uns im Glauben üben, wider die Sünde streiten, beten und im neuen Gehorsam wandeln." 188 In ähnlicher Weise wie bei Nicolai erscheint auch bei Nikolaus Hunnius in seiner Epitome credendorum von 1625 die Wiedergeburt nicht mehr als gleichbedeutend mit der Rechtfertigung. 189 Hunnius verwendet den Ausdruck Wiedergeburt aber nicht wie Nicolai als Überbegriff für den gesamten Vorgang der Wiederherstellung des gefallenen Menschen, sondern für die „Ertödtung der sündlichen Natur" durch die Bekämpfung der Sünde und die „Erweckung der Seelen / und aller ihren Kräfften / zu einer Gott wolgefälligen Wirckung" in guten Werken 190 . Die Wiedergeburt bedeutet nach Hunnius somit die Erneuerung des Verstandes und des Willens bzw. aller innerlichen und äußerlichen Kräfte. 191 Dabei betont Hunnius, daß die Wiedergeburt keine „neue wesentliche Verwandlung der Menschen" sei, weil „sich in den wiedergebohrnen Menschen noch etwas befindet / das vom alten Sündenstand übrig geblieben".192 Durch die Wiedergeburt empfange der Mensch aber eine neue, Gott „wohlgefällige Gestalt".193 Hunnius nimmt damit den Begriff der Wiedergeburt in dem von der Konkordienformel beschriebenen weiteren Sinne auf.

188

Nicolai, Freudenspiegel, in: Zeller, а. а. O., 47 f. Bei Nikolaus Hunnius in seiner Epitome credendorum (1702) wird die Wiedergeburt im Anschluß an Berufung, Buße, Rechtfertigung und Glaube, Bekehrung und Erneuerung als vorletztes Moment der Wiederherstellung des Menschen vor der Lehre von der Vereinigung mit Christus behandelt (vgl. die Kapitel 17-23). 1.0 Nikolaus Hunnius, Epitome 1702, 337 f. 1.1 N. Hunnius, Epitome 1702, 338 f. 192 N. Hunnius, Epitome 1702, 334 f. 1,1 N. Hunnius, Epitome 1702, 335. 189

158

Die Aufnahme in der frühen lutherischen Dogmatik

In der analytisch konzipierten Dogmatik der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts widmet Johann Andreas Quenstedt im Gefolge von Johann Friedrich König der Lehre von der Wiedergeburt ein eigenes Kapitel, und zwar im dritten Teil seines theologischen Systems, der von den Prinzipien des Heils handelt. Die Prinzipien des Heils entfaltet Quenstedt in der Lehre vom universalen Heilswillen Gottes, der Prädestinationslehre, der Christologie und schließlich in den Lehrstücken von der Erlösung, von der Berufung, von der Wiedergeburt, von der Bekehrung, von der Rechtfertigung und von den guten Werken. Wie die Konkordienformel unterscheidet Quenstedt eine weitere und eine engere Bedeutung des Terminus Wiedergeburt, wonach Wiedergeburt entweder die gesamte Restitution des spirituellen Lebens einschließlich der Erneuerung 194 oder aber nur die Rechtfertigung und Sündenvergebung meine195. Bei der Wiedergeburt im engeren Sinne lasse sich ferner zwischen der Wiedergeburt als der den Menschen aus seiner Sünde ins geistliche Leben befreienden Tat Gottes und der Wiedergeburt als der spirituellen Veränderung im Menschen selbst unterscheiden. 196 Außerdem differenziert Quenstedt zwischen einer ordentlichen Wiedergeburt, die durch Wort und Sakrament vermittelt ist, und einer außerordentlichen Wiedergeburt von Kindern christlicher Eltern, die vor der Taufe sterben. 197 Dem Terminus der Wiedergeburt korrespondiert der der Lebendigmachung, der ebenfalls eine weiten und einen strikten Sinn habe, wobei die Lebendigmachung im strikten Sinne die Bekehrung sei.198 Entsprechend werde die Wiedergeburt auch Bekehrung genannt, obwohl sowohl im Blick auf das Subjekt als auch im Blick auf die Mittel ein wichtiger Unterschied zwischen Wiedergeburt und Bekehrung bestehe. Während sich die Wiedergeburt nämlich bei Kindern und Erwachsenen durch Wort und Sakrament vollziehe, könne von der Bekehrung, die allein durch das Wort vermittelt sei, nur bei Erwachsenen gesprochen werden. 199 Im folgenden gelangt Quenstedt durch die Bestimmung der verschiedenen Ursachen der Bekehrung zur Definition der Wiedergeburt, wonach diese derjenige Akt der Gnadenvermittlung des Heiligen Geistes ist, durch den dem in Sünden gestorbenen Menschen die Kräfte zur Erhebung aus dem geistlichen Tod und das Leben des Glaubens zuteil werden, so daß er in die Gemeinschaft mit dem Sohn Gottes aufgenommen wird und mit Gott

194

Quenstedt, Systema III, 4/1, These 3 und 4, 685 f. Quenstedt, Systema III, 4/1, These 5, 686. 196 Quenstedt, Systema III, 4/1, These 6, 686: „Atque in hoc ultimo significatu sumitur vel active & transitive, quatenus notat ipsam Dei operationem gloriosam, homini in peccatis mortuo vitam spiritualem largientem; vel passive, pro spirituali mutatione in ipso homine." 197 Quenstedt, Systema III, 4/1, These 7, 686. 198 Quenstedt, Systema III, 4/1, These 8, 687. 199 Quenstedt, Systema III, 4/1, These 9, 687. 195

Wiedergeburt und Taufe

159

lebt. 200 Als Instrumentalursache dieses Vorgangs werden Wort und Sakrament bestimmt 201 , wobei an dieser Stelle nicht präzise geklärt wird, welche spezifische Bedeutung der Taufe für die Wiedergeburt zukommt. Die Antwort auf die in der folgenden polemischen Sektion erörterte Frage der Sozinianer, ob nur die Erwachsenen oder auch die Kinder der Wiedergeburt fähig seien und durch die Taufe wiedergeboren würden, läßt allerdings erkennen, daß Quenstedt die Taufe zwar bei den Kindern als Mittel der Wiedergeburt ansieht, bei den Erwachsenen aber davon ausgeht, daß die Wiedergeburt durch das gehörte Wort geschieht 202 , welches durch die Taufe bestätigt wird 203 .

4. Wiedergeburt und Taufe In der lutherischen Dogmatik des späten 16. und des frühen 17.Jahrhunderts wird die Taufe im Anschluß an die Aussagen des Neuen Testaments durchweg als das Bad der Wiedergeburt bestimmt. 204 Dabei gilt für diejenigen lutherischen Theologen, die an Luthers Taufverständnis 205 200 Quenstedt, Systema III, 4 / 1 , These 19, 691: „Definitio Regenerationis haec est; Regeneratio est actus gratiae Spiritus S. applicatricis, quo is una cum Patre & Filio ex mera Gratia in Christi merito fundata, homini in peccatis mortuo, vires surgendi e morte spirituali & vitam fidei largitur, ut in Filium Dei adoptatus aeternum cum Deo vivat" 201 Vgl. Quenstedt, Systema III, 4 / 1 , These 13, 689 f., bes. Nota II. 202 Vgl. Quenstedt, Systema III, 4 / 2 , 6. Entgegnung, 697: „Regeneratio fit per auditum Verbi in adultis, per baptismum in infantibus." 203 Vgl. die Aussagen im Kapitel über die Taufe bei Quenstedt, Systema IV,5/1, These 12, 1095: „Finis Baptismi alius summits, alius intermedins est. Summus est, vel absolute talis, ut gloria sapientiae & bonitatis divinae, vel secundum quid talis, ut animarum salus. Intermedius est vel Primarius, vel secundarius. Primarius in infantibus est fidei & gratiae foederalis collatio; in adultis credentibus fidei & gratiae confirmatio & obsignatio: respectu omnium omnino baptismi Candidatorum, fidei & gratiae bonorum spiritualium ad eam pertinentium oblatio. Secundarius est, (1) Christianorum a coetibus gentilium discretio, (2) Commonefactio de impuritate naturali, (3) recordatio amoris Christi, (4) adhortatio ad novitatem vitae." Vgl. ebd. Nota II: „In adultis vero credentibus fidei & gratiae confirmatio & obsignatio. Nam in adultis baptismus non quidem primo confert donum regenerationis & fidei, sed praesupponit, utpote per auditum verbi collatum, in illis tarnen fidem äuget, confirmat & efficaciter obsignat." 204

Vgl. bereits Melanchthons Loci von 1535 in: C R 21, 471 f. und Loci von 1543 in: C R 21, 853 ff.; siehe außerdem Chemnitz, Enchiridion, 243: „Item Baptismus est lavacrum regenerationis & renovationis Spiritus sancti, quem effudit in nos oppulentem per Christum, ut iustificati illius gratia haeredes efficeremus, iuxta spem vitae aeternae, Tit. 3." 205 Vgl. dazu U. Kühn, Sakramente, 32 ff.; zur Entwicklung von Luthers Taufverständnis zwischen 1518 und den Katechismen siehe dort, 28-32. Dabei ist entscheidend, daß Luther gegenüber der Ablehnung der Kindertaufe bei den „Zwickauer Propheten" und der Praxis der Wiedertaufe in der Täuferbewegung „die Objektivität der Taufe als Werk und Gabe Gottes vorgängig zu unserem Glauben" nach 1522 verstärkt betont (Kühn, a . a . O . , 30f.),

160

Die Aufnahme in der frühen lutherischen Dogmatik

anknüpfen wie etwa Martin Chemnitz in seinem Enchiridion 206 , daß die Taufe die Befreiung von der Sünde 207 , die Wiedergeburt und den Beginn der Erneuerung208 bewirke und insofern nicht nur als Zeichen, sondern als Mittel und Organ der Wiedergeburt zu gelten habe.

während er sich zuvor mehr auf die „Aktualisierung der Taufgnade im Leben des Glaubenden" im ständig sich wiederholenden Prozeß der Wiedergeburt bzw. dem täglichen Sterben und Auferstehen mit Christus, auf den Bundescharakter der Taufe im Kampf gegen die Sünde, auf „die Zusage bleibender Vergebung und Barmherzigkeit Gottes dem Sünder gegenüber" (Kühn, a.a.O., 28) und schließlich auf den Glauben konzentriert, „der die Bedeutung der Taufe gewissermaßen ratifiziert und damit für den Menschen wahr und wirksam werden läßt" (Kühn, а. а. O., 29). 206 Während Melanchthon in Entsprechung zu seinem Sakramentsbegriff den zeichenhaften Verheißungscharakter des Taufsakraments betont, hebt Chemnitz im Anschluß an Luthers Tauflehre die eigentümliche Gabe und Bedeutung der Taufe stärker hervor. Vgl. zu Luther U. Kühn, Sakramente, 36-38 und zu Chemnitz sein Enchiridion, 243 ff. Siehe außerdem die Definition des Sakraments bei Chemnitz, Enchiridion, 240 f.: „Est enim propria seu specifica Sacramentorum ratio, quod non in genere tantum promissionem proponunt, sed quod peculiari seu speciali actione, singulos utentes quasi compellant; . . . Ut hoc modo unusquisque credentium in corde suo certum testimonium, pignus & sigillum habeat, promissionem gratiae sibi specialiter offerri, applicari & obsignari,..." Im Anschluß an die Bestimmung der Sakramentalität der Taufe sieht Chemnitz den speziellen Nutzen der Taufe gegenüber dem Wort in der Gegenwart und Wirksamkeit von Vater, Sohn und Geist in der Taufe, vgl. Enchiridion, 242 f., siehe bes. а. а. O., 242: „Item Deus Pater ita adest in Baptismo, quod per Baptismum nobiscum pactum & foedus bonae conscientiae constituit per Christum." 207 Vgl. Chemnitz, Enchiridion, 245 f. Chemnitz behandelt die Taufe in seinem Enchiridion nicht nur in der Sakramentenlehre, sondern erstmalig bereits im Anschluß an die Lehre von der Erbsünde. Ausgangspunkt ist dabei die Frage, wodurch und durch wen wir von der Erbsünde befreit werden. Die Antwort lautet, daß wir nur durch Christus von der Sünde befreit werden, dessen Verdienst uns durch das Wasserbad im Wort zugeeignet wird und unsere Wiedergeburt bedeutet, während wir durch den Heiligen Geist erneuert werden. Vgl. Chemnitz, Enchiridion, 97: „Quomodo & per quem a peccato Originis liberamur?Tantum per Christum, cuius meritum nobis per lavacrum aquae in verbo applicatur, atque sie regenerati a peccato mundamur & per Spiritum sanctum renovamur, Iohan. 3. Ephe. 5. Tit. 3." Siehe auch Hutter, Compendium, 95. 208 Vgl. Chemnitz, Enchiridion, 252: „Regeneratio, hoc est, adoptio & remissio peccatorum in credentibus statim, quando baptizantur, completa 8c perfecta est & tarnen simul etiam per totam hominis vitam se extendit. Renovatio vero in Baptismo incoatur quidem & debet quotidie crescere & augeri, sed in futura demum vita consumabitur. In hac enim vita renovatio adhuc est imperfecta, quia de die in diem crescere & augeri d e b e t . . . " Dabei unterscheidet Chemnitz auch terminologisch deutlich zwischen der durch Christi Verdienst begründeten Wiedergeburt und der durch den Heiligen Geist gewährten Erneuerung, wobei aber Wiedergeburt und Erneuerung beide als Wirkungen der Taufe gelten. Vgl. Enchiridion, 97 mit 98: „Paulus T i t 2. duas esse operationes Baptismi ostendit, Regenerationem scilicet & Renovationem. Primo enim per Baptismum in verbo abluuntur peccata in remissionem, ne imputentur, si baptisati per fidem in Christo manserint. Et ita Reatus tollitur, Actor. 2. & 22. Psal. 32. Roman. 7. & 8. Atque haec remissio non est dimidiata vel partialis: sed plena, perfecta & integra. Secundo, loco amissae iusticiae Originalis, Spiritus sanetus inchoat renovationem, qua ineipit originalem pravitatem cum actionibus suis crucifigere &

Wiedergeburt und Taufe

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Die späteren Lutheraner folgen dieser Vorgabe weitgehend.209 Doch obwohl die von Chemnitz ausgesagte grundlegende Bedeutung der Taufe für die christliche Identität und das christliche Leben auch sonst in der lutherischen Theologie vorausgesetzt wird, ist es auffallend, daß bei der Beschreibung der Wiedergeburt im Zusammenhang von Bekehrung, Rechtfertigung und Erneuerung die Bedeutung der Taufe für die Wiedergeburt meist nur für die Kinder betont wird, während man die Bekehrung und Wiedergeburt der Erwachsenen auf die Verkündigung von Gesetz und Evangelium zurückführt. Entsprechend findet die Taufe im Kontext der individuellen Heilsaneignung in Buße, Rechtfertigung und Wiedergeburt kaum explizit Erwähnung. Besonders auffallend ist dies bereits im dritten Artikel der Konkordienformel über die Gerechtigkeit des Glaubens, wo die Begriffe der Wiedergeburt und der Lebendigmachung ohne jeden Bezug auf die Taufe bestimmt und zur Rechtfertigung ins Verhältnis gesetzt werden. 210 Die Taufe wird in der Konkordienformel überhaupt nur im zweiten Artikel der Solida Declaratio im Zusammenhang der Frage nach der Mitwirkung des Willens bei der Bekehrung erwähnt. 211 Den Ausführungen von SD II, 67 zufolge besteht die Bedeu-

mortificare. Hoc vero renovationis beneficium in hac vita non perfecte completur, ita, ut vitiosa ilia radix originalis pravitatis, ex natura nostra, in hac vita, re ipsa prorsus tollatur & evellatur: Sed Spiritus sanctus inchoatam [sie; Vf.] mortificationem & renovationem, per totam hanc vitam in renatis exercet, crescere facit & adauget.. Quia igitur perpetuo in hac vita habet, quod in sanetis mortificet & renovet, hactenus ergo manet peccatum originis." Vgl. zur Erneuerung durch die Taufe auch Chemnitz, Enchiridion, 250: „Quibus in rebus consistit hac renovatio? Paulus breviter quidem, sed ex solidis fundamentis complectitur totum negocium renovationis in descriptione, Ro. 6. Ubi dicit, Primo per Baptismum nos morti Christi insitos & cum ipso sepultos in mortem, ut scilicet virtus & efficacia mortis Christi non tantum peccata nobis remittat: Verum etiam in baptisatis per Spiritum sanctum ineipiat peccatum in carne crucifigere, mortificare 8c sepelire, ne regnet in corpore nostro, neve concupiscentiis eis obediamus, sed ut aboleatur corpus peccati. Secundo dicit per Baptismum etiam resurrectionis Christi nos partieipes effici, Rom. 6. Ut scilicet per eam Spiritus sanctus mentem renovet, ut novum hominem induamus, qui iuxta Deum conditus est in iusticia & sanetitate veritatis." 209 Siehe exemplarisch Johann Gerhard, Loci, Bd. IV, Nr. 100, 307, zur Darstellung der Wirkungen der Taufe a . a . O . , 3 0 7 - 3 1 4 . Für Gerhard spielt die Tatsache, daß wir in der Taufe Christus anziehen, dabei eine größere Rolle als bei den Wittenbergern, vgl. dazu Loci, Bd. IV, 311 f.314. Dies ist möglicherweise auf den Einfluß von Johann Arndt zurückzuführen. Siehe außerdem Nikolaus Hunnius, Epitome credendorum 1702, 382 f.: „Daß die Tauffe nicht sey ein Zeichen / dadurch die Wiedergeburt angedeutet werde / so nach Ablauffung einer geraumen Zeit / in dem Menschen / der jetzt getaufft wird / geschehen solle. Dann / weil sie die Wiedergeburt wircket / so mag dieselbe nicht bloß so viel bedeuten / und dieweil sie uns nirgend zu einem solchen Zeichen / vielmehr aber zu einem Mittel der Wiedergeburt gegeben ist / so mögen wir sie auch für ein blosses Zeichen nicht erkennen." 210 211

Vgl. Ep 111,3-11, BSLK 7 8 2 - 7 8 4 . Vgl. SD II, 67: „Darumb ist ein großer Unterscheid zwischen den getauften und

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tung der Taufe in der Konstitution des befreiten Willens und damit in der Aufhebung des geknechteten Willens, durch welchen der Mensch vor der Wiedergeburt gekennzeichnet ist. Der Unterschied zwischen Getauften und Ungetauften sei darin zu sehen, daß die Getauften „nicht allein das Wort hören, sondern auch demselben wiewohl in großer Schwachheit, Beifall tun und annehmen können"212. So setzt also die Konkordienformel ebenso wie Luther213 und die ihm nachfolgenden Theologen 214 die Auffassung voraus, daß die Taufe die Wiedergeburt bewirke, diese aber in diesem Leben wegen der Bedrohung durch die Sünde und dem darin begründeten ständigen Kampf zwischen Fleisch und Geist nicht vollkommen realisiert werden könne. Im Blick auf die entsprechenden Aussagen bei Paulus betont auch schon Flacius in seinen Ausführungen zum Begriff der Wiedergeburt in der Clavis, daß die Taufe die Aufnahme in die Gotteskindschaft und damit die Wiedergeburt bewirke.215 In seiner Analyse des Taufbegriffs

ungetauften Menschen; denn weil nach der Lehre S. Pauli, Gal. 3., ,alle die, so getauft sind, Christum angezogen' und also wahrhaftig wiedergeboren, haben sie nun arbitnum liberatum, das ist, wie Christus sagt, ,die seind wiederumb frei gemacht', der Ursach denn sie nicht allein das Wort hören, sondern auch demselben wiewohl in großer Schwachheit, Beifall tun und annehmen können. Dann weil wir in diesem Leben allein die Erstlinge des Geists empfangen, und die Wiedergeburt nicht vollkommen, sunder in uns allein angefangen, bleibet der Streit und Kampf des Fleischs wider den Geist auch in den auserwählten und wahrhaftig wiedergebornen Menschen, da unter den Christen nicht allein ein großer Unterscheid gespüret, daß einer schwach, der ander stark im Geist, sunder es befindets auch ein jeder Christen bei sich selbs, daß er zu einer Zeit freidig im Geist, zur andern Zeit forchtsam und erschrocken, zu einer Zeit brünstig in der Liebe, stark im Glauben und in der Hoffnung, zur andern Zeit kalt und schwach sich bekundet. D a aber die Getauften wider das Gewissen gehandelt, die Sünde in ihnen herrschen lassen und also den Heiligen Geist in ihnen selbst betrübet und verloren, derfen sie zwar nicht wieder getauft, sunder müssen wiederumb bekehret werden, inmaßen hievor vormeldet worden." 212

SD II, 67, BSLK 898,32-899,21, hier: 899,3-5. Vgl. Luther, Großer Katechismus, BSLK 695,33-696,16. 214 Vgl. Chemnitz, Enchiridion, 252: „Regeneratio, hoc est, adoptio & remissio peccatorum in credentibus statim, quando baptizantur, completa & perfecta est & tarnen simul etiam per totam hominis vitam se extendit. Renovatio vero in Baptismo incoatur quidem & debet quotidie crescere & augeri, sed in futura demum vita consumabitur. In hac enim vita renovatio adhuc est imperfectia, quia de die in diem crescere & augeri debet . . . " Vgl. Hutter, Compendium, 95. Siehe ferner Gerhard, Loci, Bd. IV, 307-314. 215 Flacius, Clavis I, 1055: „Quare hunc effectum justificationis, reconciliationis, adoptionis, ac haereditatis vitae aetemae, tribuit hic Paulus lavacro, id est, Baptismo; nempe promissioni gratiae, ob meritum Christi, nobis a D E O oblatae." Vgl. dazu aus dem Erbsündentraktat Clavis II, 770 f.: „Hinc est, quod Deus hunc hominem, ut nunc est, in Theologia non vult pro suo filio agnoscere; sed filium Diaboli, aut ex patre Diabolo esse, pronuntiat. Quare ad hoc, ut homo denuo fiat Dei filius, vult, hunc praesentem hominem mori, sepeliri, mortificari, ac prorsus exsui: & contra, novum ex spiritu & aqua, imo ex se, generari, renasci, ac innovari & formari ad imaginem ejus, qui eum ab initio condidit & ita ut fuit ab initio conditus." Siehe dazu O. Ritsehl, Dogmengeschichte, Bd. 2, 446. 213

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der Schrift bestimmt er die Taufe im Anschluß an die Verkündigung Jesu im Neuen Testament als das von Gott gesetzte Zeichen und Siegel unseres Bundes mit Gott 216 , welches den Beginn des Christenlebens markiert.217 Als solches bedeute die Taufe nach Mk 1,8 und Joh 1,26 Sündenvergebung und permanente Erneuerung218 und nach Rom 6,3 das Absterben des alten und die Auferstehung des neuen Menschen. 219 Anhand von 1. Petr 3,21 betont Flacius schließlich, daß der Dienst, den die Taufe dem Menschen erweise, nicht in einem ex opere operato geschehenden äußerlichen Werk der Sündenabwaschung bestehe, sondern vielmehr in der Verheißung der Gnade und der in Christus begründeten Versöhnung, die uns zur Annahme im Glauben auffordere. 220 Auf diese Weise hebt Flacius wie schon Luther221 und die anderen reformatorischen Theolo216 Flacius, Clavis I, 66: „Caeterum, Dominus ac Servator noster voluit, talem intinctionem aut lotionem, in novo Testamento, esse signum ac sigillum primae initiationis, ac foederis nostri cum Deo, per ipsum factae: sive ut indicaret, eodem modo nos interius potenter ablui Sc super nivem dealbari sanguine 8c merito suo; sicut foris aqua mundaremur: sive etiam imitatione quadam illarum veterum lotionum, quas Deus apud Judaeos, in typum spiritualis lotionis, ordinaverat: sive denique, propter alias causas ac similitudines Baptismi 8c Christianae pietatis". 217 Flacius, Clavis I, 66: „BAPTISMUS igitur 8c Baptizari, proprie significat nunc in Ecclesia pactum illud, quod primum ab omni Christiano cum Deo initur: cujus partes sunt, promissio aut pactio, utrinque a Deo sc. & homine facta; 8c aquae intinctio, cujus exempla sunt in novo Testamento innumera." 218 Flacius, Clavis I, 66 f.: „Ab hoc porro ritu ac sacramento variae significationes, potissimum per metaphoram, deducuntur; quas ordine recensebo. Habuimus ergo supra duas Baptismi significationes: nunc tertia sequitur. TERTTO, Baptismus & Baptizari, significat internam lotionem, remissionem peccatorum, renovationem constantem; ob similitudinem: quod sicut aquae lotio extemas sordes; ita Baptismus Spiritus internam immunditiem . . . " Als vierte Bedeutung des Wortes nennt Flacius „totam institutionem aut doctrinam", Clavis I, 68. Ferner werde das Wort Taufe etwa in Mk 10,38 für das Kreuz gebraucht, Clavis I, 68. 219 Flacius, Clavis I, 68: „significat quoque Baptismus & Baptizare, mortificationem veteris hominis 8c suscitationem novi". 220 Vgl. Flacius, Clavis I, 69: „BAPTISMUS etiam dicitur esse interrogatio bonae conscientiae in Deum: 1. Petr. 3. v. 21. cui correspondes exemplar Baptismi nunc nos servat: поп ablutio sordium carnis; sed bonae conscientiae interrogatio in Deum, per resurrectionem JESU Christi. Id est: Baptismus nos servat, non ex opere operato; quatenus tantum est externum quoddam opus, abluens sordes corporis: sed quatenus fide apprehenditur promissio gratiae, ac reconciliationis ab Christum, in Baptismo proposita. Quae ideo dicitur intenogaticr. quod, sicut in contractibus emens, aut comparans sibi aliquid commodi, certa ratione ac formulis interrogat venditorem, ac stipulatur ab eo quaerendo; An hoc aut illud mihi vendis ac tradis 8c hac conditione ac precio 8c c. cui contra venditor respondes affirmat: sie igitur etiam in Baptismo, cum Deus interrogando sibi stipulatur, ac obligat nos, nostramque fidem 8c obedientiam; tum vicissim nos nobis stipulando per fidem, obligamus ejus paternum favorem ac gratiam. Quare praeclare Lutherus vertit, ein Bund/ & explieuit per stipulationem." 221

Zur Tauflehre Luthers vgl. Althaus, Die Theologie Martin Luthers, 303 ff., sowie B. Lohse, Luthers Theologie, 316 ff., und U. Kühn, Sakramente, 28-45.

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gen 2 2 2 die Notwendigkeit der Aneignung der Taufe im Glauben hervor. Dennoch beschreibt er nicht in der gleichen Deutlichkeit wie Luther die individuelle Zueignung des Evangeliums in der T a u f e auch als Grund für die Vergewisserung des Glaubens, derer der Glaubende angesichts der durch die Betrachtung seines vorfindlichen Lebensvollzuges hervorgerufenen täglichen Buße lebenslang immer wieder bedarf. 2 2 3 Stattdessen richtet er in den Ausführungen zur Rechtfertigungsordnung und zur Genese des Glaubens in der Disputation über die christliche Gerechtigkeit sein Interesse ganz darauf, den Glauben, der die Rechtfertigung als Zurechnung der Gerechtigkeit Christi ergreift, als einen gänzlich und immer neu durch Gottes Rechtfertigungsbotschaft vermittelten Vertrauensakt des zuvor durch das Gesetz bekehrten Menschen zu denken, um so das Mißverständnis abzuwehren, als sei der Glaube ein Werk oder eine Qualität des Menschen. Die Taufe wird in diesem Zusammenhang von Flacius nicht erwähnt, obwohl sie - wie er selbst in der Clavis Scripturae Sacrae zeigt - in der Schrift als das Zeichen und Siegel des Absterbens und der Wiederbelebung durch Versöhnung und Sündenvergebung gilt und von daher eigentlich als Bezugspunkt für die immer neu erforderte individuelle Vergewisserung des Glaubens fungieren müßte. D a ß Flacius diesen Bezug in der Disputation über die christliche Gerechtigkeit und in der Schrift über den Glauben nicht ausdrücklich herstellt, läßt sich damit erklären, daß es ihm in diesen Schriften nicht um das Sakramentsverständnis zu tun ist, sondern um die Verteidigung der imputativen Rechtfertigung und

Vgl. etwa Chemnitz, Enchiridion, 247, sowie Hutter, Compendium, 97, Frage 13. Vgl. dazu aus dem Großen Katechismus B S L K 699,47-700,4: „Also muß man die Taufe ansehen und uns nutze machen, daß wir uns des stärken und trösten, wenn uns unser Sund oder Gewissen beschweret, und sagen: ,Ich bin dennoch getauft; bin ich aber getauft, so ist mir zugesagt, ich solle selig sein und das ewige Leben haben, beide an Seel und Leib.'" Entsprechend heißt es von der Buße, daß sie eigentlich nichts anderes ist als die Taufe, B S L K 705,47-706,26. Siehe zu Luthers Überzeugung, daß das gesamte christliche Leben nichts anderes sei als eine tägliche Taufe ferner B S L K 704,27 ff. sowie den Taufsermon von 1519 WA 8, 11 f. Diese von Luther betonte lebenslange Bedeutung der Taufe wird auch von Chemnitz im Examen Concilii Tridentini, 273, gegen den Kanon 6 des Dekrets über die Taufe geltend gemacht: „Hanc doctrinam, quae gratiam et virtutem Baptismi tantum ad unicum illud momentum, quando baptizamur, restringit, ita ut per totam vitam postea nullus ejus usus sit, Lutherus ostendit falsam et impiam esse. Et ex verbo Dei veram sententiam in his verbis explicat: Sicut semel super nos lata divina promissione Baptismi (qui crederit et baptizatus fuerit, salvus erit) usque ad mortem Veritas ejus perseverat, ita fides in eandem nunquam debet intermitti, sed usque ad mortem ali et roborari, perpetua memoria promissionis ejusdem in Baptismo nobis factae. Quare dum a peccatis resurgimus, sive poenitemus, non facimus aliud, quam quod ad Baptismi virtutem et fidem unde cecideramus revertimus, et ad promissionem tunc factam redimus quam per peccatum deserveramus. Semper enim manet Veritas promissionis semel factae, nos extenta manu susceptura reversos." 222 223

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ihrer allein im expliziten Glauben möglichen Aneignung. Eine ausdrückliche Bezugnahme auf das Getauftsein des Christen, welches Flacius angesichts der von den Reformatoren grundsätzlich befürworteten 224 Praxis der Kindertaufe als selbstverständliche Voraussetzung der Genese des expliziten Glaubens annehmen konnte, hätte dagegen eine eingehendere Auseinandersetzung zum einen mit der tridentinischen Tauflehre 225 und der Bestimmung der Taufe als Instrumentalursache der Rechtfertigung226 und zum anderen mit dem osiandrischen Verständnis der Taufe als einer wesentlichen Einverleibung in Christus 227 erfordert. Auf eine entsprechende Auseinandersetzung kann Flacius in den genannten Schriften jedoch verzichten, weil sie für die Verteidigung der imputativen Rechtfertigung allein aus Glauben nicht notwendig erscheint. Läßt sich mit diesen Überlegungen das Fehlen einer Rekonstruktion des Zusammenhangs zwischen Taufe und individueller Heilsaneignung nicht nur bei Flacius, sondern möglicherweise auch in anderen dogmatischen Entwürfen aus dieser Periode erklären, so ist darin doch insofern ein Defizit zu sehen, als die von den Lutheranern behauptete „Wirkungskraft" der Taufe 228 als Bad der Wiedergeburt im Blick auf ihre lebenslange Funktion für die Konstitution und Vergewisserung des Glaubens gerade aus rechtfertigungstheologischen Gründen hätte deutlicher herausgearbeitet werden müssen.229 Wenn etwa später Quenstedt im Zusammenhang der Frage nach dem Ziel der Taufe sagt, die Taufe sei für die Erwachsenen die Bestätigung und Versiegelung des Glaubens und der Gnade 230 , so hätte darüber hinaus die das gesamte Leben des Christen begründende Bedeutung der Taufe als Ort und Mittel der Wiedergeburt 224

Vgl. exemplarisch Luther, Großer Katechismus, BSLK 700 f.; Melanchthon, Loci von 1543 CR 21, 856 ff.; Chemnitz, Enchiridion, 252 ff. 225 Eine ausführliche Auseinandersetzung mit der tridentinischen Tauflehre strengt Chemnitz in seinem Examen Concilii Tridentini, 264-284, an. 226 Vgl. dazu D H 1529. 227 Andreas Oslander bestimmt die Taufe als Einverleibung Christi, ohne welche die Rechtfertigung nicht möglich ist. Vgl. A. Oslander, Vom einigen Mittler, in: Gesamtausgabe, Bd. 10, 138,13-18: „Dann gleichwie die rebe den safft und geist, darvon sie grun und fruchtbar wirt, aus dem weinstock nicht empfangen kan, sie sey dann mit dem stamme und holtz des weinstocks ein leib, also auch wir können kein göttlich leben, gerechtigkeit, heiligkeit noch andere göttliche krafft in keinen wege aus dem götlichen wesen empfahen noch erlangen, wir sein dann zuvor durch den glauben und tauff in den herren Jhesum Christum eingeleibt, wie Paulus zun Ephe. am 5. sagt". 228 Vgl. dazu die Ausführungen von O. Ritsehl, Dogmengeschichte, Bd. 2, 172-180, hier: 173 und 178. 229 Daß dies nicht geschieht, läßt sich exemplarisch an Nikolaus Hunnius studieren, der in seiner Epitome sowohl die Bekehrung wie auch vor allem die Wiedergeburt und deren Bewahrung ohne Bezugnahme auf die Taufe darstellt, vgl. Epitome 1702, 333 ff., bes. 340-346. 230 Quenstedt, Systema IV,5/1, These 12, 1095.

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betont und im Zusammenhang der Beschreibung von Wiedergeburt und Bekehrung und also innerhalb der Ordnung der individuellen Heilsvermittlung geltend gemacht werden müssen, wie das Philipp Nicolai in seinem Freudenspiegel des ewigen Lebens von 1599 im Ansatz getan hat 231 . Nur so kann nämlich dogmatisch sichergestellt werden, daß die Wiedergeburt des Menschen im Glauben zwar durch das Hören der Wortverkündigung subjektiv erlebt wird, aber nicht in diesem subjektiven Erleben, sondern in der im Taufvollzug erschlossenen Gemeinschaft mit dem gekreuzigten und auferstandenen Christus und der darin vermittelten individuellen Zueignung der Sündenvergebung und Adoption in die Gotteskindschaft gründet. Die explizite Rückbindung der Wiedergeburt an die Taufe als Organ der Wiedergeburt ist rechtfertigungstheologisch darum von besonderer Bedeutung, weil auf diese Weise die Vorgängigkeit der in der Taufe zugesagten und zugeeigneten Aufnahme in die Gottesgemeinschaft gegenüber der Annahme der Verheißung im Glauben verdeutlicht wird. Die entsprechende Betonung der „Objektivität der Taufe als Werk und Gabe Gottes vorgängig zu unserem Glauben", die man bei Luther in der späteren Entwicklung seiner Tauflehre in den Katechismen findet 232 , entspricht dabei nicht nur seiner Einsicht, daß der Glaube etwas braucht, woran er sich halten kann 233 . Sie erlaubt es auch, den die Rechtfertigung ergreifenden Glauben als Ausdruck der Aneignung der Taufe und damit als Ausdruck der Wiedergeburt des Menschen zu werten, ohne daß - wie bei Calixt - der Verdacht aufkommen muß, als beruhten die Wiedergeburt bzw. das Ergreifen der Rechtfertigung doch auf einer selbsttätigen Erhebung des Menschen. 234 Den entsprechenden Zusammenhang zwischen Taufe, Wiedergeburt und Rechtfertigung darzustellen, verfehlen die in der Tradition Melanchthons konzipierten Loci von Chemnitz unter anderem deshalb, weil in der Loci-Ab folge Melanchthons die Sakramente deutlich von der Wortverkündigung abgehoben und erst im Anschluß an die durch das Evangelium erschlossene Vermittlung von Rechtfertigung, Glaube und guten Werken behandelt werden. Während diese Abfolge bei Melan-

Vgl. Nicolai, Freudenspiegel, in: Zeller, а. а. O., 35 ff., bes. 47 f. Vgl. dazu Kühn, Sakramente, 30 f. 233 Vgl. Luther, Großer Katechismus, B S L K 6 9 6 , 3 1 - 3 5 . 234 Dieser G e d a n k e kann allerdings nur dann konsequent ausgeführt werden, wenn die in der T a u f e individuell zugesagte Christusgemeinschaft nicht nur als Teilhabe an seiner verdiensdichen Gerechtigkeit, sondern als Gemeinschaft bzw. Verbindung mit seiner Person gedacht und die T a u f e entsprechend auch als Zusage der persönlichen Christuspräsenz aufgefaßt wird. Denn unter dieser Voraussetzung kann der Glaube als Aneignung der T a u f e nicht mehr als Erhebung der eigenen Subjektivität zu dem in der T a u f e verheißenen Heil gedacht werden, weil vom Subjekt des Glaubenden selbst zu gelten hat, daß es in Christus ist. D a r a u f ist im fünften Kapitel dieser Arbeit einzugehen. 231

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chthon selbst eine gewisse innere Konsistenz hatte, da er die Sakramente wesentlich als Zeugnis der göttlichen Verheißung deutete, die im Evangelium gegeben und im Glauben anzueignen ist 235 , entspricht die LociAbfolge Melanchthons nicht unbedingt dem Aussageinteresse derjenigen Lutheraner, die die Taufe im Anschluß an Luther „material in demselben Umfang wie das Wort Gottes als ein Gnadenmittel" 236 auffassen, welches die Wiedergeburt und den Beginn der Erneuerung des Menschen bewirkt und insofern die christliche Existenz begründet. Daß die Taufe in dieser elementaren Funktion für die Konstitution der christlichen Identität und des christlichen Lebensvollzugs nichts anderes ist als der individuell-konkrete Vollzug der Sündenvergebung und Adoption in die Gotteskindschaft und damit die Rechtfertigung in konkreter Gestalt 237 , wird in den dogmatischen Lehrbüchern der Lutheraner im Kontext der Rechtfertigungslehre und der Darstellung der individuellen Heilsaneignung wohl deswegen nicht eigens betont, weil man mit der Rechtfertigungslehre - wie schon Melanchthon und Flacius - das Anliegen verbindet, die absolute Bedingungslosigkeit der Rechtfertigung durch die Bestimmung der Rechtfertigung als Zurechnung der Gerechtigkeit Christi sicherzustellen. Da die imputative Rechtfertigungslehre von daher gerade darauf abzielt, jedwede Veränderung an der Stelle des Menschen aus der Beschreibung der Konstitution der Rechtfertigung auszuschließen, während die Tauflehre nach Auffassung der Lutheraner die durch die Taufe als Bad der Wiedergeburt vermittelte Neukonstitution und darin gegebene Veränderung des Menschen beschreibt, die im Glauben zu ergreifen ist, können imputative Rechtfertigungslehre und Tauflehre von ihrem unterschiedlichen Skopus her nicht enger verbunden werden. Vielmehr muß deutlich sein, daß die Rechtfertigung als Zurech-

235 Melanchthon, Loci 1559, StA II, 533 ff. Vgl. d a z u U . Kühn, Sakramente, 78. Obwohl Melanchthon in seinen späteren Aussagen über die Sakramente über deren rein signifikatives Verständnis, das er in den frühen Loci vertreten hatte, hinausgeht und ihnen durchaus heilsvermittelnden Charakter zuerkennt (Kühn, а. а. O., 79 und im Blick auf die T a u f e 83), erreicht er damit doch nicht die Sakramentsauffassung Luthers. Denn bei Luther ist „ d a s .Element' unmittelbarer als bei Melanchthon in die heilschaffende Wirkung des Wortes einbezogen", indem ihm „effektive K r a f t " zugeschrieben wird, während es bei Melanchthon „die in der Taufhandlung gesprochenen Worte" sind, „denen die Heil schaffende Bedeutung z u k o m m t " (Kühn, а. а. O., 84). Durch die Beschreibung der Elemente als Wirkmittel des im Sakrament Verheißenen bei Luther wird der Vollzugscharakter der sakramentalen Handlung und damit ihre Vorgängigkeit gegenüber dem Ergreifen der sakramentalen Verheißung stärker betont als bei Melanchthon. 236 S o O. Ritsehl, Dogmengeschichte, Bd. 4, 175, mit Bezug auf die lutherische D o g m a t i k im 17. Jahrhundert bei Gerhard, N . Hunnius, Calov und Quenstedt. 237 Im Blick auf Luther hat bereits P. Althaus, Die Theologie Martin Luthers, 305, festgestellt: „Die Tauflehre ist selber nichts anderes als seine Rechtfertigungslehre in konkreter Gestalt."

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Die Aufnahme in der frühen lutherischen Dogmatik

nung der Gerechtigkeit Christi von den anderen durch die Taufe vermittelten Wirkungen der Wiedergeburt und insbesondere der beginnenden Erneuerung nicht abhängt, sondern diese begründet. Die Sorge vor einer Vermischung von Ursache und Wirkung der Rechtfertigung richtet sich dabei deswegen vornehmlich auf die Darstellung der Erneuerung und nicht auf die der Wiedergeburt, weil die Wiedergeburt, wie oben gezeigt wurde, für die konkordistisch denkenden Lutheraner inhaltlich mit der Rechtfertigung zusammenfällt, während die Erneuerung von der Rechtfertigung unterschieden wird.

5. Rechtfertigung und sittliche

Erneuerung

Daß nicht die Liebe, sondern allein der Glaube rechtfertige, ist die Grundüberzeugung, die Melanchthon vor allem in seinen verschiedenen Überarbeitungen des vierten Artikels der Apologie zur Confessio Augustana immer schärfer herauszuarbeiten suchte, um auf diese Weise die Bedingung der Möglichkeit für die Heilsgewißheit des Glaubenden sicherzustellen. Dieses zentrale Interesse an der Heilsgewißheit ist dabei als die Grundübereinstimmung zwischen Melanchthon und Luther anzusehen, die ihre unterschiedliche Akzentsetzung nicht nur in der Rechtfertigungslehre, sondern auch in der Verhältnisbestimmung von Rechtfertigung und Erneuerung übergreift. Diese unterschiedliche Verhältnisbestimmung von Rechtfertigung und Erneuerung bzw. Rechtfertigung und Heiligung bei Luther und Melanchthon ist darin zu sehen, daß Luther die guten Werke als Ausdruck der Christusgemeinschaft des Glaubens versteht und von daher Rechtfertigung und Heiligung als Aspekte der in der Christusgemeinschaft gesetzten neuen Identität des Menschen auffaßt 238 , worin ihm der frühe Brenz gefolgt zu sein scheint239, während Melanchthon die Werke der Liebe und damit die sittliche Erneuerung des Christen als eine von der Rechtfertigung zu unterscheidende Folge 238

Vgl. dazu Mannermaa, Der im Glauben gegenwärtige Christus, 56 ff. Entsprechend urteilt Pannenberg, Systematische Theologie, Bd. 3, 246 f., daß Luthers „Beschreibung der Rechtfertigung als Ausdruck der Christusgemeinschaft des Glaubens vom Einwand der Ergänzungsbedürftigkeit durch die Erneuerung nicht erreicht wird, weil der Mensch im Akt des Glaubens ganz in Christus ist und von daher auch ,in sich selber' erneuert wird." 239 Vgl. dazu Martin Brecht, Die frühe Theologie des Johannes Brenz, 225: „Der Glaube an das Wort Gottes empfängt mit allen himmlischen Gütern die Gerechtigkeit und handelt demzufolge auch gerecht. Daß der Glaube an Gottes Gerechtigkeit teilhat, das hat Gott durch den Tod Christi ermöglicht, mit der er die Sünden verziehen und den Zugang zu sich eröffnet hat. Der Glaube besitzt Christi Gerechtigkeit, Erlösung und Himmel. Christus trägt unsere Sünde und verleiht uns seine aliena iustitia und zwar als faktische Gerechtigkeit, die auch gerecht handelt."

Rechtfertigung und sittliche Erneuerung

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derselben bestimmt.240 Melanchthon gelangt zu dieser von Luther abweichenden Sichtweise, weil er den Glauben nicht so grundsätzlich wie Luther als eine Versetzung des Menschen in Christus denkt, in dem sich der Glaubende die Identität Christi als seine neue Identität zugerechnet sein läßt, sondern als Ergreifen der fremden Gerechtigkeit Christi. Ein solches Ergreifen der stellvertretenden Gerechtigkeit Christi bedeutet für den Glaubenden zwar die Vergebung der Sünde in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Doch denkt Melanchthon damit noch nicht die Annahme einer neuen Identität verbunden, die auch das neue Handeln aus sich heraussetzt. Dies wird insbesondere daran deutlich, daß Melanchthon die der Rechtfertigung durch den Glauben folgende sittliche Erneuerung in der Heiligung auf die Gabe des Heiligen Geistes zurückführt, die zwar gleichzeitig mit der Rechtfertigung verliehen wird, aber von dieser unterschieden ist. Rechtfertigung und Heiligung haben sonach bei Melanchthon unterschiedliche Ursachen: die Rechtfertigung verdankt sich der durch das Verdienst Christi ermöglichten Sündenvergebung im Urteil Gottes, während die Heiligung aus der zusammen mit der Rechtfertigung dem Menschen zuteil werdenden Gabe des Geistes resultiert. Durch die Unterscheidung von Rechtfertigung und Heiligung will Melanchthon sicherstellen, daß das Rechtfertigungsurteil Gottes in keiner Weise durch vorangehende oder nachfolgende Werke bedingt ist. Dabei denkt Melanchthon in der Confessio Augustana und in der Apologie die forensische „Gerechterklärung des Glaubenden eng verbunden mit einem tatsächlichen Gerechtwerden des Menschen in sich selber".241 Während diese 1530/31 von Melanchthon noch vertretene These, daß die Rechtfertigung auch eine Gerechtmachung enthalte, dem später mit Recht betonten forensischen Charakter der Rechtfertigung widerspricht, enthält die spätere Auslegung des forensischen Charakters der Rechtfertigung durch die Imputationsvorstellung und die damit verbundene Trennung von Rechtfertigung und Erneuerung ein neues Problem. Wird nämlich das göttliche Rechtfertigungsurteil „als Begründung der Gerechtigkeit des Menschen vor Gott verstanden", so bleibt die Rechtfertigung auf die Ergänzung durch die Vorstellung einer realen Erneuerung des Menschen angewiesen, „weil sonst der göttliche Urteilsakt dem Menschen . . . äußerlich bliebe"242. Daß man sich gegen entsprechende Vorwürfe, wie sie

240 Vgl. Melanchthons Loci von 1535 in CR 21, 421 f., und die fast identische Formulierung in den Loci von 1559, CR 21, 742. Siehe ebenso Apol IV, 114, in: BSLK 183,42-45. 241 Pannenberg, а. а. O., 246. 242 Pannenberg, а. а. O., 246. Auch Hans Emil Weber ist der Auffassung, daß die imputative Rechtfertigungslehre durch „Herauslösung der objektiven Gerechtigkeit" Christi das Problem der rechten Verhältnisbestimmung von Glaube und Werken nur „immer unlösbarer" macht, vgl. Weber, Reformation I / 1 , 122 f.

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Die Aufnahme in der frühen lutherischen Dogmatik

später auch im Tridentinum fixiert wurden, nur unter Verweis auf die der Rechtfertigung nachfolgende Erneuerung wehren zu können meinte, ist besonders eindrücklich bei Flacius zu sehen. Denn Flacius nennt die Erneuerung nicht nur als das letzte Moment innerhalb der Rechtfertigungsordnung 243 , sondern vertritt damit verbunden auch die These einer doppelten Rechtfertigung durch die Annahme der Person und durch die Annahme des neuen Gehorsams. 244 Im Hintergrund dieser Auffassung steht Augustins Rede von dem doppelten Sinn der Gerechtigkeit und Rechtfertigung der Frommen.245 Zwar läßt Flacius im Blick auf das Verhältnis von Rechtfertigung und neuem Gehorsam bzw. Heiligung in Entsprechung zu seiner Haltung im majoristischen Streit246 keinen Zweifel daran aufkommen, daß die Gerechtigkeit des neuen Gehorsams eine Folge und niemals eine Bedingung der Rechtfertigung bzw. des Heils ist 247 , da der neue Gehorsam bzw. die Erneuerung allererst durch die mit der Rechtfertigung verbundene Gabe des Geistes der Gotteskindschaft vermittelt werde 248 und streng von der Bekehrung und Rechtfertigung zu unterscheiden sei 249 . Doch zugleich betont Flacius, daß die Erneuerung der Rechtfertigung notwendig folge 250 und daß der unvollkommene Gehorsam bzw. das Streben

243

Vgl. Flacius, De iustificatione, 137. Vgl. dazu Weber, Reformation 1/1, 119. 245 Flacius, Clavis II, 574: „Augustinus disserit, I. lib. de Perfectione justitiae, contra Coelstinum, duplicem esse Piorum justitiam & justificationem: perfectam alteram; & alteram imperfectam. Eodem facit, quod nostri separant personae acceptionem, a novae obedientiae acceptatione. Verum autem est, quod Scriptura quasi duo quaedam fora, judicii divini & approbationis hominum, constituat: quorum prius possis, docendi gratia, vocare forum justificationis; posterius autem, novae obedientiae. Secundum quae duo fora, sunt etiam Scripturae dicta distinguenda. Possis etiam aliquo modo vocare prius illud, severius Dei justitiae forum, posterius autem, gratiae: vel etiam illud, personae; hoc, operum." 246 Vgl. dazu B. Lohse, Dogma und Bekenntnis, in: H D T h G 2, 115. D a ß Flacius im majoristischen Streit „bei aller Polemik vielleicht noch am ehesten den reformatorischen Ansatz beibehalten" habe, wie Lohse, a . a . O . , 116, meint, erscheint vor dem Hintergrund der recht einleuchtenden Darstellung und Bewertung der Position von Flacius bei Weber, Reformation 1/1, 120-127, bes. 123, äußerst fragwürdig. 247 Flacius, Clavis II, 575 f. 248 Flacius, Clavis II, 576: „Prior [seil, iustificatio; Vf.] enim quidem talis est: quod Deus per eam, peccatorem servum, imo potius inimicum suum, ob amplissimum meritum justitiae Filii, ipsi per fidem ac imputationem indutae, pro justo aeeipit, approbat & in filium adoptat; donans ei insuper spiritum adoptionis, per quem renovatur." Entsprechend betont er in anderem Zusammenhang, daß die Liebe des Menschen zu Gott und zum Nächsten immer nur eine Wirkung des Vertrauens der gnadengewirkten Rechtfertigung sein könne, vgl. Clavis II, 568: „Sic 1. Joh. 4. v. 17 ubi apertissime Apostolus docet, charitatem esse effectum fiduciae gratuitae justificationis, ac salutis." 249 Flacius, Clavis I, 1055 f. im Artikel zu ,renasci'. Vgl. auch Flacius, De iustificatione, 136. 250 Flacius, De iustificatione, 137: „post hoc iustificationis beneficium est iam alterum, 244

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nach neuem Gehorsam zum Vollzug der Heilsvermittlung in der Rechtfertigung gehöre251. Dabei ist Flacius soweit gegangen, nur die der Rechtfertigung vorausgehenden gesetzlichen Werke, nicht aber die ihr folgenden Werke von der Rechtfertigung auszuschließen.252 Der Eindruck, als bedürfe die imputative Rechtfertigung einer Ergänzung durch die sittliche Erneuerung des Menschen, in der sich die Wirkung der Rechtfertigung für den Menschen dokumentiert, wird bei Flacius außerdem durch seine radikale Erbsündenlehre entscheidend verstärkt. Denn in Analogie zur Bestimmung der Erbsünde als eine die formale Substanz des Menschen betreffende Veränderung kann Flacius auch die der Rechtfertigung folgende Erneuerung des Menschen nicht als akzidentiellen Vorgang bestimmen. Die Erneuerung des Menschen muß vielmehr als eine die Erbsünde aufhebende und die formale Substanz des Menschen verwandelnde Neuschöpfung des menschlichen Herzens verstanden werden.253 Diese notwendige radikale Veränderung des menschlichen Herzens soll und kann aber aus der forensischen Zurechnung der Gerechtigkeit Christi selbst nicht abgeleitet werden, sondern muß - wie bei Melanchthon - auf die die Rechtfertigung ergänzende Gabe des Heiligen Geistes254 zurückgeführt werden. Obwohl weder in der Konkordienformel noch in der ihr nachfolgenden lutherischen Theologie wie bei Flacius eine doppelte Rechtfertigung gelehrt wurde, bleibt doch die bei Melanchthon vertretene Sonderung und Nebeneinanderstellung der beiden Artikel von der Rechtfertigung und von den guten Werken, die als solche bereits „die Vereinseitigung der Rechtfertigungslehre" verrät 255 , in der konkordistischen und nach-

nempe donatio Spiritus sancti & renovatio hominis . . . Quae licet necessario sequi debet iustificatum, ut fructus bonam arborem, non tarnen est vel causa efficiens, vel etiam formalis bonae arboris: nec vel causa aliqua vel pars iusticiae nostrae, aut necessaria ad earn vere dici potest." 251 Vgl. Flacius, D e voce 1563, 61: „Quanquam autem, ut diximus, nequaquam integre D e o obediamus, nec possimus vel partam iam alieno labore iusticiam nostris meritis conservare: tantum abest ut eam vel promereri, vel augere, vel perficere queamus: tarnen haec ipsa valde manca obedientia, vel potius conatus obedientiae plurimum etiam ad rem facit." In der ersten Ausgabe dieser Schrift hat Flacius unter dem Einfluß von Melanchthon, wie er behauptet, das Streben nach Gehorsam sogar noch „als causa sine qua non bezeichnet", wie Weber, Reformation I / 1 , 120 f. vermerkt. 252

Vgl. Weber, Reformation 1 / 1 , 125 f., der sich auf Clavis II, 228, bezieht. Flacius beruft sich dafür in seinem Traktat über die Erbsünde im zweiten Teil der Clavis insbesondere auf Ps 51 und Gen 1, vgl. Clavis II, 773: „Sic super Psalm. 51 dicit, Renovationem esse non accidentium alterationem; sed ipsius novi cordis creationem. Ergo sentit contrarium, cor lapideum esse illam ipsam pestem, quam vult Deus ex nobis penitus exscindi. Super Genes. 1. dicit, novum hominem, esse novum creationis opus; sicut & primum fuit. Ergo & contraria abolenda res, fuit quaedam essentialis res, nempe vetus Adam." 253

254 Flacius, D e iustificatione, 137: „post hoc iustificationis beneficium est iam alterum, nempe donatio Spiritus sancti & renovatio hominis". 255 Weber, Reformation 1/1, 124.

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Die Aufnahme in der frühen lutherischen Dogmatik

konkordistischen lutherischen Theologie durchgängig erhalten. So betont auch Chemnitz in seinem Enchiridion den Unterschied zwischen der Rechtfertigung allein aus Glauben ohne alle Werke 256 und der Erneuerung des Menschen in seinen Werken 257 und behandelt entsprechend die Lehre von den guten Werken erst im Anschluß an die Loci über von Rechtfertigung, Glaube und Prädestination. Ein deutliches Indiz für die Ergänzungsbedürftigkeit der imputativen Rechtfertigungslehre durch die nachfolgende Lehre von der Erneuerung ist dabei die Eingangsfrage, mit der Chemnitz den Locus über die guten Werke bzw. den neuen Gehorsam eröffnet, ob nämlich Gott es zulasse, daß die umsonst Gerechtfertigten ohne jede Erneuerung in Sünden verharren könnten. 258 Diese Frage, die Chemnitz selbstverständlich verneint, stellt sich deshalb, weil aus der im Glauben ergriffenen Zurechnung der Gerechtigkeit Christi als solcher noch keine Umwandlung der durch die Sünde dominierten vorfindlichen Existenz des Menschen resultiert. Eine entsprechende Umwandlung des Menschen kann sich vielmehr erst durch die Gabe des Heiligen Geistes einstellen, wie Chemnitz im Einklang mit Melanchthon lehrt.259 Die in der Weise vollzogene Unterscheidung von Rechtfertigung und Erneuerung wird von Lucas I. Oslander noch verstärkt, indem er in seiner Institutio die Lehre von Evangelium und Rechtfertigung von der Lehre von den guten Werken durch Einschaltung der Kirchenlehre trennt. Denn 256

Vgl. dazu die Lehre von den Exklusivpartikeln bei Chemnitz, Enchiridion, 141-144, ohne die nach Chemnitz (а. а. O., 140) der Artikel von der Rechtfertigung nicht angemessen entfaltet werden kann. 257 Die Erneuerung des Menschen darf auf keinen Fall mit dem Prinzip, dem Mittel und dem Ziel der Rechtfertigung vermischt werden, vgl. Chemnitz, Enchiridion, 146: „Unica & eadem est ratio iustificationis, quod scilicet iustificamur, hoc est, accepti sumus Deo ad vitam aeternam, sola fide, ex Dei gratia, propter solum Christum in principio, medio & fine. . . . Principium, medium & finem pulchre connectit & soli fidei tribuit [seil. Paulus in Rom 4 und 5; Vf.]. Dicit enim per fidem in Christum primo habemus accessum ad gratiam Dei, secundo stamus in ilia gratia, tertio, gloriamur, in spe gloriae filiorum Dei, hoc est, sicut inquit Phil. 3. . . . Paulus itaque nullo modo permittit, ut renovatio seu sanctificatio, vel bona renatorum opera, sive in principio, sive in medio, sive in fine misceantur, trahantur, ingerantur, aut intrudantur, in negocium, articulum, actum seu circulum iustificationis, (sicut Lutherus loquitur) sed in hoc articulo vult regnare solam Dei gratiam, solius Christi meritum, per solam fidem." 258 Siehe Chemnitz, Enchiridion, 192. 259 Chemnitz, Enchiridion, 192: „Quanquam in sanctis in hac vita sunt & manent peccata, Rom. 7. Psal. 32. Iacob. 1. Deus tamen illis, quos per fidem iustificavit, suum sanctum Spiritum largitur, qui illos & regenerat & renovat, Rom. 12. Ephe. 4. Colos. 3. Unde coniunctim dicitur, Spiritus regenerationis & renovationis, Tit. 3. Nam Filius Dei non ideo nos tanti redemit, ut Privilegium turpitudinis & licentiam libere ac impune in flagitiis vivendi nobis acquireret, Rom. 3. & 6. 1. Thes. 4. Sed ut mundaret sibi populum peculiarem, sectatorem bonorum operum, ut omnem impietatem abnegantes ipsi serviremus, in sanctitate & iusticia, utque in novitate vitae & bonis operibus, quae ipse praeparavit, ambularemus, T i t 2. Luc. 1. Rom. 6. Ephe. 2. 2. Cor. 2."

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für Oslander sind die guten Werke die guten Früchte der durch den Sohn Gottes erlösten wahren Kirche Gottes, mit denen diese Gott dient.260 Die Lehre von den Werken faßt er dann mit der Lehre vom kirchlichen und weltlichen Amt zusammen, weil das kirchliche Amt zur Lehre der wahren Religion, zur Bewahrung des Glaubens und der Sittlichkeit eingesetzt sei261, während das politische Amt der Wahrung der äußeren Gerechtigkeit zu dienen habe 262 . Auf diese Weise werden die Werke zwar nicht so eindeutig als Ausdruck der die imputative Rechtfertigung ergänzenden Umwandlung des einzelnen Menschen verstanden wie bei Flacius und Chemnitz. Doch dafür wird der Zusammenhang von Rechtfertigung und Erneuerung nicht nur von der Gabe des Heiligen Geistes, sondern überdies von der Kirche als dem Ort kollektiver Versöhnung und in besonderer Weise dem kirchlichen Amt abhängig gedacht. Damit erscheint die in den inneren und äußeren guten Werken sich manifestierende Erneuerung nicht als unmittelbar im Glauben selbst gesetzte Umwandlung des Menschen, sondern als dessen durch die Kirche vermittelte Folge. Die Schwierigkeit, den Zusammenhang zwischen Glaube und neuem Gehorsam unter Voraussetzung der imputativen Rechtfertigungsvorstellung stringent zu entwickeln, spiegelt sich schließlich darin wider, daß die Notwendigkeit der guten Werke mit dem göttlichen Willen und Befehl, den Glauben zu üben, begründet werden muß 263 , da die Einsicht in die Notwendigkeit der Erneuerung aus der göttlichen Gerechterklärung durch Zurechnung der Gerechtigkeit Christi selbst noch nicht folgt. Als Bedingung der Möglichkeit des neuen Gehorsams wird dabei zwar einleuchtend auf das insbesondere bei Paulus betonte neue Sein der Glaubenden in Christus verwiesen.264 Doch gerade dieser Gedanke, daß der Glaubende in Christus eine neue Kreatur ist, wird durch die imputative Rechtfertigungslehre nicht sichergestellt, weil diese nicht auf die Demonstration der Neukonstitution des Menschen abhebt, sondern auf die Betonung der allein in der Zurechnung der fremden Gerechtigkeit Christi begründeten und damit von allen Werken unabhängigen Gerech260 Siehe Oslander, Institutio, 400: „Vera Dei Ecclesia bonis operibus est foecunda. Omnis enim arbor bona fructus bonos facit. Et intelligit Ecclesia, se ideo per filium Dei esse redemptam, ut ipsi gratitudinis ergo serviat." 261 Vgl. Oslander, Institutio, 413. 262 Vgl. Oslander, Institutio, 449. 263 Siehe dazu Chemnitz, Enchiridion, 198, der sich dabei auf die Aufzählung der Gründe für die Notwendigkeit guter Werke bei Urbanus Rhegius, Melanchthon und Luther stützt. Vgl. auch Oslander, Institutio, 422. 264 Siehe Chemnitz, Enchiridion, 200: „Quaedam causae bonorum operum, respiciunt ipsos renatos. Quia enim sumus peccatis mortui, non amplius ergo in peccatis ambulemus, sed iusticiae vivamus, Roman. 6. . . . " Vgl. auch Oslander, Institutio, 422: „Et redempti sumus a Filio Dei, non ut in sceleribus volutemur, sed ut Redemptori nostra Iesu Christo in vera pietate serviamus."

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Die Aufnahme in der frühen lutherischen Dogmatik

terklärung des Menschen allein aus Gnade. Von der imputativen Rechtfertigungslehre her muß daher das neue Sein des Christen als ein in der Gerechtigkeit Christi zugerechnetes und ihm insofern äußerliches erscheinen, aus dem sich eine sittliche Umwandlung nur durch Hinzutreten der Geistesgabe erklären läßt. Die forensische Deutung der Rechtfertigung „bei Melanchthon und in seiner Schule, im Sinne eines auf das Verdienst Christi gegründeten göttlichen Urteilsaktes, die von der Konkordienformel noch verschärft wurde (SD III, 11 ff.)", bleibt darum „trotz aller Unterscheidung von der sittlichen Erneuerung des Menschen doch immer auf diese als Ergänzung angelegt" 265 , weil die Vorstellung vom Ergreifen der Gerechtigkeit Christi als einer dem Glaubenden äußerlich zugerechneten Gerechtigkeit die Vorstellung einer die Sittlichkeit einschließenden Neukonstitution des Menschen nicht enthält.

6.

Zusammenfassung

In diesem Kapitel ist die Entwicklung der Rechtfertigungslehre in der frühen lutherischen Dogmatik dargestellt worden. Sie basiert auf der in der Konkordienformel festgeschriebenen - Rechtfertigungslehre des späten Melanchthon, die durch die Imputationstheorie von Flacius interpretiert und anhand der ebenfalls von Flacius vorgeschlagenen Ursachendifferenzierung kontroverstheologisch expliziert wird. In dieser Form findet sie im Anschluß an Chemnitz Eingang in die dogmatischen Locidarstellungen und Kompendien und wird später auch in den analytisch konzipierten Systemen der sogenannten lutherischen Schuldogmatik bei Johann Friedrich König und Johann Andreas Quenstedt rezipiert. Damit demonstriert das Luthertum in dem von ihm als zentral angesehenen Lehrstück ein hohes, in anderen Lehrstücken wie der Christologie nicht erreichtes Maß an Einheitlichkeit, das von einer klaren Abgrenzung gegen den tridentinischen und den osiandrischen Typus der Rechtfertigungslehre getragen ist. Sowohl diese Einheitlichkeit wie auch das theologische Anliegen, welches sich in der Ausgestaltung der forensisch-imputativen Rechtfertigungslehre ausspricht, sind als solche zu würdigen. Denn der „eigentliche Sinn . . . der juridisch-imputativen Formeln ist es . . . , deutlich zu machen, daß der Rechtfertigungsglaube allein aus der Beziehung zu Christus und der Gemeinschaft mit ihm lebt." 266 In der Einsicht, daß Heilsgewißheit nur in und durch Christus zu gewinnen ist, soll die dogmatische Auslegung der Rechtfertigung als Imputation der 265 266

Pannenberg, Systematische Theologie, Bd. 3, 242. Wenz, Geschichte der Versöhnungslehre, Bd. 1, 71.

Zusammenfassung

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Gerechtigkeit Christi jeglichen Synergismus konsequent ausschließen. Sie basiert dabei auf einer ausführlichen exegetischen Analyse der maßgeblichen Schriftaussagen zum Thema der Rechtfertigung, die den forensischen Sinn derselben sicherzustellen sucht. Betrachtet man die nähere Durchführung des rechtfertigungstheologischen Anliegens durch die flacianische Imputationstheorie und Ursachendifferenzierung, so zeigt sich allerdings, daß die imputative Rechtfertigungslehre dogmatische Probleme nach sich zieht, die aus ihr selbst heraus nicht bewältigt werden können. Dies betrifft zunächst das Verständnis des Glaubens und seine Bedeutung für die Rechtfertigung. Hier wird einerseits betont, daß der Glaube durch die Rechtfertigungsbotschaft des Evangeliums bzw. durch die Botschaft von der Zurechnung der Gerechtigkeit Christi und der Sündenvergebung hervorgebracht wird, daß ihm aber andererseits dieses Urteil der Gerechterklärung erst und nur insofern zukommt, als er die Gerechtigkeit Christi im Glauben als der Instrumentalursache der Rechtfertigung auch ergreift. Daß der Glaube dem Rechtfertigungsurteil somit zwar nicht zeitlich, aber logisch vorangeht, wird erst von Calixt eindeutig klargestellt. D a aber auch Calixt davon ausgeht, daß der rechtfertigende Glaube seinen zentralen Inhalt in der Sündenvergebung und Zurechnung der Gerechtigkeit Christi hat, bleibt bei ihm die melanchthonische These erhalten, daß die Glaubensgerechtigkeit durch das Rechtfertigungsurteil konstituiert wird und in der zugerechneten Gerechtigkeit des aktiven und passiven Gehorsams Christi besteht. Entsprechend werden wie bei Flacius und der nachfolgenden lutherischen Lehrbildung die zugerechnete Gerechtigkeit Christi als Formalursache und der Glaube als Instrumentalursache der Rechtfertigung von Seiten des Menschen bestimmt, um auf diese Weise jegliche Mitwirkung des Menschen beim Zustandekommen des Rechtfertigungsurteils auszuschließen. Abgesehen davon, daß die Bestimmung der Rechtfertigungsursachen diesen Ausschluß der menschlichen Mitwirkung im Blick auf den Akt des Glaubens nicht leistet, ist kritisch zu fragen, ob der Glaube als Instrumentalursache der Rechtfertigung nicht unterbestimmt ist. Nicht nur Luthers Deutung des Glaubens als Erfüllung des ersten Gebotes, sondern vor allem auch die Aussagen über den Glauben in den Evangelien und den paulinischen Briefen legen nahe, den Glauben als Werk Gottes und darin zugleich als vorläufige Realisierung des dem Menschen als Geschöpf Gottes zugedachten Gottesverhältnisses zu verstehen. Das aber würde bedeuten, daß der Glaube als das unter irdischen Bedingungen adäquate Verhältnis zu Gott ein der geschöpflichen Bestimmung des Menschen entsprechendes und insofern gerechtes Verhältnis zu gelten hätte. Diese Einschätzung des Glaubens kommt jedoch schon bei Melanchthon nicht hinreichend zur Geltung und wird durch die Imputationstheorie von Flacius endgültig unterbunden, indem Flacius ausdrück-

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Die Aufnahme in der frühen lutherischen Dogmatik

lieh betont, daß die Zurechnung des Glaubens zur Gerechtigkeit nicht in der Gerechtigkeit des Glaubens, sondern in der Zurechnung der Gerechtigkeit Christi gründe, die im Glauben ergriffen werde. Dabei ist zwar das Anliegen, den Glauben nicht als eine die Rechtfertigung bedingende Tugend oder Leistung des Menschen erscheinen zu lassen, unbedingt richtig. Aber die Begründung und Vergewisserung der Tatsache, daß das Ergreifen der Verheißung im Glauben nicht als selbsttätiger Akt der Erhebung des Menschen zu Gott zu verstehen ist, sondern sich vielmehr der Kondeszendenz Gottes selbst verdankt, läßt sich nur erreichen, wenn die Wiedergeburt konsequent auf ein entsprechendes vorgängiges Handeln Gottes zurückgeführt werden kann. Die Taufe in Ubereinstimmung mit den neutestamentlichen Aussagen in elementarer Weise als diesen Vollzug zu bestimmen, ist darum sinnvoll, weil sie jedenfalls nach lutherischem Verständnis - die Einbindung des Einzelnen in die Gemeinschaft mit Christus und darin mit Gott im Unterschied zur Wortverkündigung sichtbar darstellt und individuell vollzieht. Die Rückbindung von Rechtfertigung und Wiedergeburt an die Taufe ist allerdings von den konkordistisch denkenden Lutheranern in Abgrenzung gegen die tridentinische und die osiandrische Bestimmung der Funktion der Taufe nur sehr zurückhaltend ausgesagt worden. Das Synergismusproblem im Blick auf die Entstehung des Glaubens meinte man im Rekurs auf die Erbsündenlehre und die Imputationstheorie und unter Verweis auf die Wirksamkeit des Heiligen Geistes durch das Wort ausschließen zu können. Die Explikation der Rechtfertigung allein aus Glauben ohne alle Werke mit den Mitteln der Imputationstheorie kann dies jedoch ebensowenig leisten wie die Erbsündenlehre. Stattdessen impliziert sie eine Unterbewertung des Glaubens, die den Glauben zu einer an die Stelle der Urstandsgerechtigkeit tretenden Ersatzqualifikation degradiert. Dieser Unterbewertung des Glaubens korrespondiert in der Analyse der Rechtfertigung durch die Bestimmung der Rechtfertigungsursachen die Einengung des Versöhnungswerkes Christi auf das zurechenbare Verdienst des aktiven und passiven Gehorsams, das im Anschluß an Flacius als Materialursache bzw. Verdienstursache der Rechtfertigung bestimmt wird. Dabei wird zwar durch den Rekurs auf die Satisfaktionsvorstellung angemessen zur Geltung gebracht, daß es der Gerechtigkeit Gottes widerspräche, die Sünde unter Verzicht auf die Wiederherstellung der durch die Sünde korrumpierten Menschheit zu ihrer geschöpflichen Bestimmung zu verzeihen. Daß aber die Bedingung der Möglichkeit für die Sündenvergebung in einem Gott entgegengebrachten Verdienst bestehe, das Gott in seiner Barmherzigkeit anerkenne und dem Menschen zum Zwecke seiner Wiederherstellung zurechne, ist den neutestamentlichen Versöhnungsaussagen bekanntlich so nicht zu entnehmen. Für ein angemessenes Verständnis der Versöhnungstat Christi müßten stattdessen

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die Sendung des Sohnes durch den Vater, das Inkarnationsgeschehen und das Personsein Jesu stärker in Betracht gezogen werden, und zwar nicht nur als Voraussetzung für den Vollzug des aktiven und passiven Gehorsams Jesu Christi, sondern als die Versöhnung des Menschen mit Gott vermittelnde konstitutive Momente des Versöhnungsgeschehens und in diesem Sinne als Konstitutionsbedingung der Rechtfertigung. Die in der Satisfaktionstheorie implizierte einseitige Orientierung an dem zurechenbaren Verdienst des aktiven und passiven Gehorsams hatte jedoch für Melanchthon und seine Nachfolger den Vorteil, daß dieses Verdienst die Versöhnung nur im Modus äußerlich bleibender Zurechnung durch das Urteil Gottes gewähren kann. Von da aus konnte man die tridentinische Vorstellung von der Eingießung der Gnade und Gerechtigkeit hervorragend abwehren und stattdessen die Glaubensgerechtigkeit als imputierte Gerechtigkeit Christi extra nos auslegen. Selbst wenn man hier von dem Problem absieht, wie sich eine solche Zurechnung als gerechtes bzw. als sittlich vertretbares Urteil denken läßt, bleibt doch die Schwierigkeit, daß von diesem dem Menschen äußerlich bleibenden Zurechnungsurteil keine Veränderung der menschlichen Wirklichkeit ausgehen kann. Dementsprechend wird in der Melanchthon folgenden Tradition die Erneuerung auf die zwar gleichzeitig mit der Rechtfertigung vermittelte, aber doch von ihr unterschiedene Gabe des Geistes zurückgeführt, die die Umsetzung der Rechtfertigung an der Stelle der menschlichen Lebenswirklichkeit erklären soll. Auf diese Weise kann die Erneuerung des Menschen in der Heiligung entgegen der eigentlichen Intention der Melanchthon folgenden lutherischen Dogmatiker im Grunde nicht als unmittelbare Folge des Rechtfertigungsglaubens behauptet werden, sondern erscheint als Ergänzung der Rechtfertigung. Nachdem somit die Probleme der imputativen Rechtfertigungslehre im Kontext der frühen lutherischen Dogmatik aufgezeigt worden sind, ist im weiteren Fortgang der Arbeit zu fragen, ob und in welcher Weise in der lutherischen Theologie des späten 16. und des frühen ^.Jahrhunderts Ansätze zur Überwindung bzw. Aufhebung dieser Schwierigkeiten erkennbar sind. Dabei ist vorauszuschicken, daß die Bestimmung und Entfaltung der Rechtfertigungslehre, wie sie von Melanchthon und Flacius herrührt und in diesem Kapitel in der vornehmlich in Wittenberg und Jena ausgebildeten frühen lutherischen Dogmatik verfolgt wurde, auch in der Tübinger Dogmatik und in der gesamten späteren Schuldogmatik zu finden ist. Dennoch manifestiert sich in der Entwicklung der Tübinger Dogmatik eine andere Akzentsetzung hinsichtlich der Verhältnisbestimmung von Christologie, Glaubensbegriff und Rechtfertigungslehre. Dem entspricht in bestimmter Weise die Entstehung und Ausformulierung der Lehre von der unio mystica im frühen 17. Jahrhundert.

KAPITEL I V

Christologie und Rechtfertigungslehre in der Tübinger Sicht Vergleicht man die im letzten Kapitel dargestellte Konzeption der theologischen Kompendien in der an Melanchthons Loci anknüpfenden Wittenberger Tradition mit den dogmatischen Werken der Tübinger Theologen Jakob Heerbrand, Matthias Hafenreffer und Theodor Thumm, so weist bereits die Abfolge, in der die theologischen Themenbestände hier verhandelt werden, einige wesentliche Eigentümlichkeiten gegenüber dem Verfahren der Wittenberger auf, die nicht ohne Bedeutung für das Verständnis der Rechtfertigung sind. Besonders wichtig ist in diesem Zusammenhang die zunehmende Konzentration auf die Christologie, die sich in den dogmatischen Konzeptionen der Tübinger - insbesondere im Vergleich zwischen Heerbrand und Hafenreffer - abzeichnet. Die dafür vorausgesetzte inhaltliche Entwicklung des christologischen Locus geht „über die spätestens 1557 mit Brenz und Bötker einsetzende" christologische Lehrbildung auf die bereits „im ersten Abendmahlsstreit konfessionsspezifisch werdende(n) Christologie Luthers" zurück und erfährt im achten Artikel der Konkordienformel ihre vorläufige Bündelung zum „binnenlutherischen Konsens". Dieser Konsens impliziert nicht nur „den endgültig werdenden kirchlichen Dissens mit den Reformierten", sondern führt auch „zur Absonderung der auf der Christologie des späten Melanchthon beharrenden . . . Theologen" und bringt vor allem „den Widerspruch der von Heßhusen inaugurierten Helmstedter lutherischen Theologie hervor". 1 Im Kontext der damit verbundenen binnenlutherischen Auseinandersetzungen wird die Christologie - nicht etwa die Rechtfertigungslehre - „zumindest bis ins erste Drittel des 1 Z.Jahrhunderts . . . der am intensivsten bearbeitete theologische Topos, in den die Theologie der beiden anderen Konfessionen auch rein qualitativ keine vergleichbare Arbeit investiert hat" 2 . Im ersten Abschnitt dieses Kapitels ist zunächst zu zeigen, inwiefern die Weiterentwicklung der Christologie in der lutherischen Dogmatik

1 Vgl. den historischen Abriß in dem Beitrag von Jörg Baur, Die lutherische Christologie im Kontext der Gestaltwerdung lutherischen Christentums, in: Luther und seine klassischen Erben, 164 ff., hier: 169 f. 1 J. Baur, Die lutherische Christologie, 171.

Die Neuorganisation der theologischen Loci in der Tübinger Dogmatik

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speziell in der Lehrbildung der Tübinger Theologen mit einer von Melanchthon und der Wittenberger Tradition abweichenden Einordnung der Rechtfertigungslehre einhergeht. Im zweiten Abschnitt ist zu prüfen, ob der Gliederung der Tübinger Dogmatiken hinsichtlich des Zusammenhangs von Christologie, Glaubenslehre und Rechtfertigungslehre Verschiebungen in der materialen Entfaltung der Rechtfertigungslehre entsprechen. Anlaß dazu bietet neben der Eigenart der Gliederung auch die Überlegung, daß das im Anschluß an die Verteidigung der Realpräsenz Christi im Abendmahl sich explizit formierende christologische Interesse an der Aussage einer substantiellen Präsenz Christi im Christen, welches Tübinger und Gießener Theologen im Unterschied zu den Helmstedtern verbindet, „eine neue Formulierung der Rechtfertigungslehre" impliziert.3 Dem gemeinsamen Interesse der Tübinger und Gießener an der substantiellen Präsenz Christi im Glaubenden liegt allerdings ein unterschiedliches Verständnis der Allgegenwart Christi zugrunde, das im Streit zwischen Tübingen und Gießen hervortritt und aus dem sich rückwirkend erklärt, weshalb die Tübinger von der konkordistischen Christologie und von der melanchthonischen Zuordnung von Christologie und Rechtfertigungslehre abgewichen sind. Da sich insbesondere in der Abweichung von der konkordistischen Christologie das - allerdings nicht ausgeschöpfte - dogmatische Potential zur Überwindung der einseitig forensisch-imputativen Rechtfertigungsvorstellung einschließlich ihrer dogmatischen Folgeprobleme erkennen läßt, soll im dritten Abschnitt dieses Kapitels die Lehre von der Person Christi in der Tübinger Dogmatik behandelt werden.

1. Die Neuorganisation der theologischen Loci in der Tübinger Dogmatik a) Die Konzentration auf die Christologie Es ist eine umstrittene Frage, ob der christologische Streit zwischen Tübinger und Gießener Theologen im ersten Viertel des 17. Jahrhunderts eine bereits zwischen Brenz und Chemnitz bestehende christologische Differenz zutage treten läßt 4 , die in die Konkordienformel nur provisorisch überbrückt worden ist, oder ob mit Hans Emil Weber und Jörg Baur von einer ursprünglichen „Übereinstimmung der Tendenzen" auszugehen ist.5 Sie kann und muß hier nicht geklärt werden. In jedem Fall 3 Vgl. dazu Walter Sparn, Die Krise der Frömmigkeit und ihr theologischer Reflex im nachreformatorischen Luthertum, 60. 4 So Mahlmann, Dogma, 231.

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in der Tübinger Sicht

ist aber davon auszugehen, daß die Christologie in der von Melanchthon geprägten Konzeption der Loci in der frühen Wittenberger Tradition und auch bei den Gnesiolutheranern gegenüber dem zentralen Interesse an der Heilsvermittlung durch Gesetz und Evangelium eine untergeordnete Rolle spielt. Das läßt sich formal daran erkennen, daß die ZweiNaturen-Lehre und die Lehre von der personalen Union der göttlichen und der menschlichen Natur in den Loci von Melanchthon 6 und von Chemnitz 7 , aber auch im Syntagma von Judex und Wigand 8 zu Beginn im Zusammenhang der Beschreibung der trinitarischen Personen und nicht wie in der späteren lutherischen Dogmatik in einem eigenen, von der Trinitätslehre abgehobenen Locus9 innerhalb der Soteriologie behandelt werden. Melanchthon selbst zeigt dabei in der Entfaltung des Abschnittes über den Sohn Gottes als der zweiten Person der Trinität kein ausgeprägtes Interesse an einer eigenständigen Entfaltung des christologischen Themas. Der Gedanke der personalen Union der göttlichen und menschlichen Natur des Erlösers wird bei ihm bekanntlich in tendenzieller Nähe zur spätscholastischen Lehre von der suppositalen Union 10 nur soweit entfaltet, wie es ihm zum einen für die Rede von der einen

5 Vgl. Weber, Der Einfluß der protestantischen Schulphilosophie auf die orthodox-lutherische Dogmatik, Leipzig 1908, 154; J. Baur, Auf dem Wege zur klassischen Tübinger Christologie, 210 f., der diese Auffassung durch Zeitzeugnisse belegt. Zum Verhältnis von schwäbischer und sächsischer Christologie vgl. Baur, а. а. O., 213: „Wir werden gut daran tun, für das Verhältnis von schwäbischer und sächsischer Christologie mit einem sehr komplexen Geflecht zu rechnen, demgegenüber die antithetische Konstruktion heuristisch versagt." 6 Vgl. Melanchthon, StA II/1, 206 ff. Siehe zur Christologie Melanchthons den knappen Bericht von Karl-Heinz zur Mühlen in: TRE 16 (1987), 764-766, außerdem Mahlmann, Dogma, 62 ff. und Weber, Reformation 1/2, 140 ff. 7 Vgl. Chemnitz, Loci Pars I, 44 f. Siehe zur Christologie von Chemnitz Weber, Reformation 1/2, 150 ff. und Mahlmann, Dogma, 205 ff. 8 Vgl. Syntagma, 209 ff. Hier wird vom Sohn Gottes und vom Messias (vgl. а. а. O., 21 Iff.) im Anschluß an die Bestimmung des göttlichen Wesens und seiner Dreieinigkeit gehandelt. Während die Ämter Christi und die Ständelehre anhand von Schriftstellen recht ausführlich entfaltet werden, sind die Aussagen über die Person sehr knapp (vgl. а. а. O., 220). Johann Wigand bedenkt zwar in seiner Schrift ,De Communicatione Idiomatum', Basel 1568, „das ungeheure Ereignis", „durch das der in ewiger Seligkeit beständige Gott . . . nun als Mensch ist, was er nicht war . . . und deshalb jetzt als Gottmensch bezeugt wird" (J. Baur, Die lutherische Christologie, 172), doch bestimmt diese Einsicht noch nicht die Konzeption seines Syntagmas. Aus der 1589 in Tübingen posthum erschienenen ,De Ubiquitate, seu Omnipraesentia Dei Consideratio Methodica' wird schließlich sogar eine deutliche Nähe zur Tübinger Christologie erkennbar, wie J. Baur, Auf dem Wege zur klassischen Tübinger Christologie, 224 f., Anm. 82 anzeigt gegen „die immer noch tradierte Fehlinformation", Wigand habe zu den Gegnern der württembergischen Omnipräsenzlehre gehört. 9 Vgl. etwa Quenstedt, Systema 111,3/1, 107 ff. 10 Vgl. Wenz, Theologie der Bekenntnisschriften, Bd. 2, 688 f.

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gottmenschlichen Person des Mittlers als dem Subjekt insbesondere des priesterlichen Versöhnungswerkes und zum anderen zur Verteidigung der Realpräsenz Christi im Abendmahl unabdingbar notwendig erschien.11 Dagegen geht Chemnitz entscheidend über Melanchthon hinaus, indem er sich im Kontext der Abendmahlsdebatte für eine Differenzierung dreier Genera der Idiomenkommunikation ausspricht12, deren Definition später in der Konkordienformel aufgenommen wird. Unter dem Einfluß von Johannes Brenz bestimmt er außerdem in seiner Schrift über die zwei Naturen in Christo von 1570 die Idiomenkommunikation als wahre und reale13, während Melanchthon ein dialektisches Verständnis der Idiomenkommunikation befürwortet hatte14. Die in der Ausbildung der Lehre von der Idiomenkommunikation manifeste Uberzeugung von der grundlegenden Bedeutung der Christologie für die Lehre vom Heil hebt später exemplarisch Nikolaus Seinecker in seiner Vorrede zur zweiten Ausgabe der Chemnitzschen Schrift über die beiden Naturen Christi von 1578 hervor, indem er im Rekurs auf Brenz das zentrale Aussageinteresse der Christologie bestimmt. Seinecker erblickt dieses darin, „daß nicht nur Gott Mensch ist und der Mensch Gott durch persönliche untrennbare Vereinigung der zwei allerverschiedensten Naturen, der göttlichen und der menschlichen, sondern daß auch der Sohn Gottes, Gott-mit-uns, der Gottmensch, alle Fülle seiner Gottheit und die Werke seiner Allmacht 11 Siehe zu Melanchthon Mahlmann, Dogma, 78. Vgl. außerdem Chemnitz, De duabus naturis in Christo . . . libellus, Kap. 11, 52 ff. 12 Vgl. Chemnitz, Repetitio sanae doctrinae de vera praesentia corporis et sanguinis Domini in coena, 1561, sowie die Epistola D.M. Chemnitii de coena Domini, ad . . . Timotheum Kirchnerum, die den Loci theologici, Pars III eingefügt ist. Die drei genera der Idiomenkommunikation werden dort in Auseinandersetzung mit Beza expliziert, vgl. а. а. O., 171: „I. Primo enim alia est ratio earum propositionum, quando id, quod proprium est unius naturae, sive sit proprietates sive actio, sive passio, tribuitur personae in concreto & personae convenit secundum alteram tantum naturam. II. Secundo, alia est ratio illarum propositionum seu praedicationum, quando ad apotelesmata personalia, in actionibus officii Christi, utraque natura agit cum communicatione alterius, quod cuiusque proprium est. Quae enim in hoc genere praedicantur, tribuuntur & conveniunt personae, non secundum unam tantum, sicut in primo genere, sed secundum utramque naturam. III. Tertio adhuc alia est ratio illarum propositionum, quando de assumta humana natura in Christo, non tantum essentialia ipsius Idiomata, seu naturales proprietates praedicantur: sed quando explicatur, quid humanae naturae in Christo (divinae enim naturae nihil vel accedit, vel decedit) praeter & supra physicas proprietates, accesserit, donatum seu communicatum sit, ex hypostatica cum divinitate logou unione & ex glorificatione, sive exalteratione. Non enim de Persona tantum, ut in primo genere in concreto dicitur, Filius hominis exaltatus, est . . . Sed & humana natura in Christo evecta est supra omne nomen: precibus Christi subjecta sunt omnia." 13

Vgl. Chemnitz, De duabus naturis in Christo . . . libellus, bes. das Widmungsschreiben, sowie Kap. 12, 60, und Kap. 13-20, 62 ff. zur Lehre von der Idiomenkommunikation. Siehe dazu zur Mühlen, TRE 16, 767,18 ff. 14 Vgl. dazu Weber, Reformation 1/2, 145.

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nicht anders auf das menschliche Geschlecht hin ausgehen läßt, ausübt, hervorbringt und vollendet als durch seine angenommene menschliche Natur, mit ihr und in ihr." 1 5 Damit ist die Einsicht zur Geltung gebracht, daß es nicht ausreicht, „die Christologie a l s , Zweinaturenlehre' oder auch als , Personeinheitslehre' zu fassen", sondern daß sich der Blick auf „den an der Menschheit handelnden Gottmenschen" richten muß. 16 Besonders prägnant formuliert J a k o b Andreae diese bereits von Luther propagierte Ausrichtung des Glaubens auf Christus und seine Erkenntnis als den eigentlichen Grund christlichen Heils: „Darzu uns besonders an disem Artickel vil unnd hoch, nämlich, unser Seligkeit als nämlich an der rechten erkanndtnuß Jhesu Christi gelegen, wie geschrieben stehet (Joh 17,3): ,Diß ist das ewig Leben, daß sie dich, daß du allein warer Gott bist, und den du gesandt hast, Jesum Christum, erkennen', darvon man nicht zuvil hören kan . . ." 1 7 Wo darum gewußt wird, kann die Christologie nicht einfach nur der Explikation der kausalen Voraussetzungen christlichen Heils fungieren, wie dies bei Flacius und im Flacianismus der Fall gewesen zu sein scheint 18 . Vielmehr muß es ihr um die Explikation des in der Christuserkenntnis sich eröffnenden Heils selbst gehen. Die entsprechende Einsicht in die konstitutive Bedeutung der Christologie für die dogmatische Gesamtentfaltung des Christlichen bringt der Tübinger Theologe J a k o b Heerbrand 1 9 , der noch bei Luther und 15 So die Übersetzung aus Selneckers Vorwort zur zweiten Ausgabe der Schrift über die zwei Naturen Christi von J. Baur, Die lutherische Christologie, 175. 16 J . Baur, Die lutherische Christologie, 175. 17 Siehe Heinrich Heppe, Geschichte des deutschen Protestantismus in den Jahren 1555-1581, Bd. 3, Marburg 1857, Beilagen, 61. 18 Vgl. den Exkurs zur Christologie des Flacianismus von J. Baur, Die lutherische Christologie, 180 f.: „ . . . bei Flacius und seiner Bewegung haben wir es allem Anschein nach mit einer zwar christologisch begründeten, jedoch nicht christologisch vermittelten Soteriologie zu tun." Da Christus in Analogie zu dem als Täter-Substanz gedachten menschlichen Subjekt bei Flacius „radikal als Täter" verstanden werde, könne Flacius „nur eine kausative Bedeutung Christi für den Glauben" annehmen. „Weil in dieser Konzeption reformatorischer Glaube als Verhältnis der je ,für sich' konstituierten monadischen Subjekte des Christen und Christi verstanden und gelebt wird, konnte des Flacius späte Annäherung an die Ubiquitätschristologie in seiner Sakramentsschrift von 1574 nur eben beiläufig ausfallen." (J. Baur, а. а. O., 181) In der Tat wird in der oben dargestellten soteriologischen Konzeption des Flacius die Bedeutung Christi rein funktional in der Erbringung des zurechenbaren und darin die Sündenvergebung ermöglichenden Verdienstes gesehen. Der Glaubende hat nur insofern Gemeinschaft mit Christus, als er dieses Verdienst Christi ergreift und darin die eigene Existenz vor Gott gesichert weiß. Die Neubegründung der Existenz des Glaubenden ist damit nur als Neubegründung durch Christus, aber nicht eigentlich als Neubegründung in Christus gedacht. 19 Vgl. Jakob Heerbrand, Compendium theologiae, quaestionibus methodi tractatum, Tübingen 1573. Zu Heerbrands theologischem Wirken vgl. den Artikel,Heerbrand, Jakob', in: R E 7, 519-524, von Bossert. Jakob Heerbrand wurde am 12.8.1521 in Giengen an der Brenz geboren und in Ulm erzogen. 1538 begann er das Theologiestudium in Wittenberg

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Melanchthon in Wittenberg studiert hatte und wegen seines anhaltenden Fleißes in Wittenberg die „schwäbische Nachteule" genannt wurde 20 . Heerbrand bestimmt in der Einführung zu seinem theologischen Kompendium 21 von 1573, „der zeitlich ersten Tübinger ,Dogmatik'" 22 , als inhaltlichen Skopus der Theologie und der Schrift den Christus Gottes und den Sohn des Menschen, der aus der Jungfrau Maria geboren ist, wegen unserer Sünde gekreuzigt ist, gelitten hat und gestorben und wegen unserer Rechtfertigung auferstanden ist. 23 Das Subjekt bei Luther und Melanchthon. 1543 wurde er Diakon in Tübingen, wurde aber 1548 wegen Nichtannahme des Interims des Amtes enthoben. Er verkehrte mit Brenz als Pfarrer in Herrenberg nach 1550, wurde 1552 mit Brenz und anderen zum Konzil nach Trient geschickt, beteiligte sich an den osiandrischen Streitigkeiten, wurde 1556 Pfarrerund Leiter der markgräflichen Kirche in Pforzheim und schließlich 1557 Professor in Tübingen, wo er vierzig Jahre wirkte. Einer seiner Schüler war Aegidius Hunnius. 1599 legte er seine Amter nieder wegen Altersschwäche und „lebte in ehrenvollem Ruhestand in seinem eigenen Haus mit seinem wohlgepflegten, mit fremdartigen Gewächsen gezierten Garten bis an seinen T o d " im Jahre 1600 (RE 3 7, 522). 20 RE 3 7, 520. Heerbrand war „der letzte unmittelbare Schüler der Wittenberger Reformatoren auf dem theologischen Lehrstuhl in Tübingen" (ebd.). 21 Heerbrand hat sich als Dogmatiker nicht nur durch zahlreiche Disputationen, sondern vor allem durch sein nach der Fragemethode verfahrendes Kompendium einen Namen gemacht. Dieses Kompendium gehörte zu den „verbreitetsten dogmatischen Kompendien der lutherischen Kirche aus der 2. Hälfte des 16.Jahrh. und zwar unter allen dasjenige, welches am deutlichsten den Übergang aus der ersten, reformatorischen, vorkonkordistischen, in die zweite, scholastisch-orthodoxe Periode repräsentiert."1 (RE 3 7, 522) Die „erste Ausgabe erschien 1573 in Tübingen . . . , in der ganzen Anlage und Reihenfolge der Loci, auch in vielen einzelnen Beriffsbestimmungen noch wesentlich an Melanchthon sich anschließend, inhaltlich aber bereits einen stärkeren Einfluß des Lutherischen und Brenz-Andreäschen Geistes verratend, dabei durch lichtvolle Darstellung, schulmäßige Methodik und maßvolle Polemik sich empfehlend. Nachdem diese erste Aussage große Verbreitung gefunden . . . , veranstaltete H. sofort nach dem Abschluß des Konkordienwerkes eine stark vermehrte, vielfach umgearbeitete, näher an die Konkordienformel sich anschließende Ausgabe, welche 1578 . . . in Tübingen erschien und später . . . noch mehrmals wiederholt wurde. Zum offiziellen Gebrauch in den württemb. Klosterschulen und im Stipendium . . . machte H. auf herzoglichen Befehl noch einen kürzeren Auszug aus seinem Kompendium, der 1582, 1598, 1608 zu Tübingen erschien . . . Dieser Auszug, der nur wenige für das jugendliche Alter weniger geeignete Loci und Ausführungen übergeht, sonst aber mit dem Kompendium ganz übereinstimmt, genoß in Württemberg längere Zeit fast symbolisches Ansehen; das Hauptwerk aber fand nicht bloß in den lutherischen Kreisen Deutschlands große Verbreitung, sondern wurde auch von Martin Crusius, dem philologischen Kollegen des Verfassers, aus Anlaß der Verhandlungen zwischen den Tübinger Theologen und dem Patriarchen von Konstantinopel ins Griechische übersetzt und nach Konstantinopel . . . geschickt." (Ebd.) Darum enthält die Ausgabe Wittenberg 1582 eine griechische Übersetzung des lateinischen Textes der Ausgabe Tübingen 1578. 22

So J. Baur, Auf dem Wege zur klassischen Tübinger Christologie, 227. Vgl. Heerbrand, Compendium 1573, 1: „Quis est scopus Theologiae & totius Sacrae Scripturae? CHRISTUS Dei & hominis filius, ex Maria virgine natus, crucifixus, passus, mortuus propter peccata nostra, qui resurrexit propter iustificationem nostram." Die christologische Ausrichtung der Dogmatik von Heerbrand notiert auch Keller-Hüschemenger, 23

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d e r T h e o l o g i e sei d e r v o n G o t t d u r c h d e n G l a u b e n an C h r i s t u s z u r e c h t f e r t i g e n d e S ü n d e r . 2 4 D a a b e r d i e G o t t e s e r k e n n t n i s als d e r v o r n e h m s t e L o c u s d e r T h e o l o g i e z u g e l t e n h a b e , w e i l in ihr d a s e w i g e L e b e n b e s t e h e , b e h a n d e l t H e e r b r a n d d i e G o t t e s l e h r e an erster Stelle v o r allen a n d e r e n K a p i t e l n d e r christlichen R e l i g i o n . 2 5 S c h l i e ß l i c h w e r d e n G e s e t z u n d E v a n g e l i u m als h a u p t s ä c h l i c h s t e christliche L e h r e n h e r v o r g e h o b e n , d a in i h n e n C h r i s t u s b e g r i f f e n sei. 2 6 D i e in d e r k n a p p e n B e s t i m m u n g d e r T h e o l o g i e markierte K o n z e n t r a t i o n auf Christus als d a s primäre T h e m a d e r T h e o l o g i e bringt H e e r b r a n d in d e r n a c h f o l g e n d e n E x p l i k a t i o n d e r Loci allerdings n o c h in e i n e r k a u m v o n d e r W i t t e n b e r g e r T r a d i t i o n a b w e i c h e n d e n W e i s e z u r G e l t u n g . 2 7 D i e B e s t i m m u n g d e r P e r s o n Christi

Fundamentalartikel, 90 £. Dabei weist er darauf hin, daß Heerbrand in der ersten Auflage seines Kompendiums noch Christus selbst als „lapis f u n d a m e n t a l et angularis" bestimmt habe, während in der zweiten Auflage die Lehre von Christus als Fundament des Glaubens und der Theologie benannt werde. Diese Verschiebung kann als Indiz für die zunehmende Fixierung auf den Glaubensinhalt in Gestalt der theologischen Lehre angesehen werden, die Keller-Hüschemenger bei den Melanchthonschülern feststellt und die als eine der Voraussetzungen für die Entstehung der Lehre von den Fundamentalartikeln zu werten ist, auf die im letzten Kapitel dieser Arbeit kurz eingegangen wird. 24 Heerbrand, Compendium, 1 f.: „Quod est subiectum Theologiae? Homo peccator, coram Deo per fidem in Christum iustificandus. Propter hunc omnia scripta sunt & a Christo omnia facta, quaecunque fecit & passus, ut salutem aeternam consequatur. Quod quomodo fiat, sola nostra Theologia docet, quae sacra scriptura continetur." 25 Heerbrand, Compendium, 2: „Quis est praecipuus locus in tota Theologia? De Deo, eiusque notitia, in qua consistit vita aeterna, teste Christo. Haec est vita aeterna, ut cognoscant te solum verum Deum & quem misisti Iesum Christum. Itaque primo de Deo dicendum. Deinde de reliquis praecipuis Religionis Christianae partibus." 26 Heerbrand, Compendium, 2: „Quae sunt principales doctrinae Christianae partes? Lex & Evangelium, quae Christus summatim complexus est, ab effectu descrigens, cum ablegaret Apostolus suos, data instructione de officio ipsorum & doctrina, dicens: Oportet praedicari in nomine eius (Christi) poenitentiam Sc remissionem peccatorum in omnes gentes." 27 Vgl. zum Aufbau des Kompendiums den Index locorum: De Deo, De Trinitate, seu personis unius essentiae divinae, Discrimen personarum Trinitatis, De Christi Persona, De unione personali in Christo, De communicatione Idiomatum, De Spiritu sancto, De voluntate Dei, De creatione, De Angelis, De Diabolis, De imagine Dei in homine, De Providentia divina, De Libero Arbitrio, De contingentia & rerum necessitate, De Peccato, eiusque causa, An peccatum originis substantia sit vel accidens, De animae origine, De Peccato Actuali, De peccato in Spiritum sanctum, De triplici Lege Mosis, De Evangelio, De Regno & Sacerdotio Christi, De Gratia, De Fide, De Iustificatione, De Electione & Praedestinatione, De bonis Operibus, De poenitentia, eiusque partibus, Doctrinae Pontificiae de poenitentia confutatio, De Ministerio Ecclesiae, verbi Dei Ministris, eorumque vocatione, De ordinatione, De Sacramentis novi Testamenti, De numero Sacramentorum, De Baptismo, De Baptismo Infantum, De Infantibus non baptisatis, De Baptismate Iohannis Christi & Apostolorum, De coena Domini, De Sacrificiis, De veteri & novo Testamento, De Ecclesia, De clavibus Ecclesiae, vel regni coelorum, De Miraculis, De Libertate Christiana, De Scandalo, De cruce, vel afflictionibus, De oratione, De Magistratu, De coniugio, De Antichristo, De Morte, De Sepultura, De statu Animarum, De Consumatione sive fine seculi, De mortuorum Resurrectione, De extremo Iudicio, De Inferno, De vita aeterna.

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und der personalen Union 28 wird noch wie bei Melanchthon und Chemnitz 29 in einem der Trinitätslehre eingefügten Locus vorgenommen, der nun allerdings mit „De Christo"30 und nicht mit „De filio Dei" überschrieben und außerdem durch ein eigenes Kapitel über die Lehre von der Idiomenkommunikation ergänzt wird 31 . Die bei Heerbrand sich andeutende Konzentration auf die Christologie führt Matthias Hafenreffer 32 in seinen theologischen Loci, die zuerst im Jahre 1600 erschienen33, in entscheidender Weise weiter 34 , indem er die Christologie von der Gotteslehre ablöst und in einem eigenen Locus innerhalb der Lehre von der Wiederherstellung der ursprünglichen Bestimmung des Menschen direkt im Anschluß an die Prädestinationslehre behandelt. Dabei weist der Aufbau seiner Loci 35 nicht nur mit dieser 28 Vgl. dazu Heerbrand, Compendium, 86 f.: „Est coniunctio, sive copulatio duarum naturarum in Christo, perpetua & inseparabilis, qua persona του λόγου, hoc est, filii Dei, in se permanens immutabilis, humanam, non dico Personam, sed naturam, in se quoque cum omnibus Essentialibus suis proprietatibus permanentem, in unam Personam, (quae dicitur Christus) assumpsit, sed ei non nominetenus, sed revera & tamen ineffabiliter, tanquam μορφή univit, ita ut unum ύψισταμένου constituant, salvis utriusque naturae substantia & proprietatibus." 29 Vgl. Chemnitz, Loci Pars I, 44 ff., bes. 70 ff. zur unio personalis. 30 Heerbrand, Compendium 1578, 71 ff. 31 Vgl. den Index locorum der Ausgaben des Heerbrandschen Kompendiums von 1573 und 1578, wo die Lehre von der Idiomenkommunikation jeweils als eigener Topos angeführt wird. 32 Vgl. zu Hafenreffer den entsprechenden Artikel .Hafenreffer, Matthias' in: RE 3 7, 330-332, hier: 330, von Johannes Kunze. Matthias Hafenreffer wurde am 24.6.1561 zu Koster Lorch in Württemberg geboren, erhielt seine theologische Ausbildung in Tübingen, wurde 1592 Dr.theol. und Professor in Tübingen, war Kollege von Johann Andreä und Schwiegersohn von Johannes Brenz. Er starb am 22.10.1619 in Tübingen als Kanzler der Universität und Probst an der Stiftskirche. 33 Hafenreffer, Loci theologici seu compendium theologiae plane admodum, ut quivis latinae linguae gnarus intelligere possit, conscriptum, Tübingen 1600. Vgl. dazu die umgearbeitete Neuausgabe: Loci theologici, certa methodo ac ratione, in tres libros tributi, qui theologicarum rerum summas, suis ubique dilucidis scripturae testimoniis confirmatas, breviter continent: earundem Christianam praxin paucis commonstrant: ac nostri denique seculi, pracipuas Heterodidaskalias fideliter exponunt, Editio tertia Wittenberg 1602 sowie die Tertia cura . . . Tübingen 1606, die im folgenden zitiert wird. 34 Die theologischen Loci von Hafenreffer sind nach dem Urteil von J. Kunze in RE 3 7, 331 „ein Bild der lutherischen Orthodoxie der nachkonkordistischen Zeit in kurzen Umrissen, aber auch ein Vorbild der spezifisch württembergischen Schrifttheologie, die von der oratio, meditatio, tentatio als den tria primaria theologiae capita ausgeht ..., in der Lehre von der majestas hominis Christi divina und der Idiomenkommunikation als der eigentlichen Spitze des Systems gipfelt (vgl. die Darlegung über die omnipraesentia Christi und die unio mystica im templum Ezech. p. 292 ff.)." 35 Hafenreffer erläutert den Aufbau seiner Loci in der Praefatio und kommentiert ihn in der kurzen Einführung, die er dem ersten Buch voranstellt, vgl. Loci, 23: „Ut Titulorum non tantum certus sit Numerus, sed eorundem quoque conveniens & concinnus Ordo: quo omnia, quae de praecipuis coelestis doctrinae capitibus in Scripturis sanctis nobis revelata

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Einordnung der Christologie, sondern auch durch die thematische Abfolge der theologischen Themenbestände insgesamt voraus auf die wenig später mit der Übernahme der analytischen Methode verbundene Konzeption der lutherischen Dogmatik. Hafenreffer untergliedert die Loci nämlich in drei Bücher, wobei im ersten Buch von Gott, der Schöpfung und der Schrift, im zweiten Buch von der Engellehre und im dritten Buch vom Menschen gehandelt wird. Dieses dritte Buch, welches das eigentliche Zentrum der Loci ausmacht, ist wiederum unterteilt in drei große Abschnitte. Im ersten Abschnitt wird der Mensch in seiner ursprünglichen Integrität vor dem Fall beschrieben. Der zweite Abschnitt handelt vom Stand des Menschen nach dem Sündenfall und von der Sünde, während der dritte und zugleich umfangreichste Abschnitt der Lehre vom Menschen die Wiederherstellung des Menschen zur Darstellung bringt. Die Gliederung der Restaurationslehre ist dabei besonders bemerkenswert, weil Hafenreffer im Anschluß an die Prädestinationslehre, mit der er die Lehre von der Wiederherstellung des Menschen beginnt, die Christologie und die Lehre vom Glauben entfaltet. Erst danach folgen die Lehrstücke von Gesetz und Evangelium, von der Buße, von der Kirche, von den Sakramenten und von der Rechtfertigung. Mit diesem Aufbau der theologischen Loci, den Theodor Thumm in seiner zuerst 1623 erschienenen Synopsis praecipuorum articulorum fidei jedenfalls hinsichtlich der LociAbfolge weitgehend übernimmt36, weicht Hafenreffer wesentlich von der

sunt, non tantum commode ad illos referri: sed certa rerum dispositione, ipsa quoque memoria iuvari, adeoque totum corpus doctrinae suis quasi coagmentatum membris conspici possit." Siehe dazu die Abfolge der Themenbestände in den Ausgaben der Loci theologici von 1602/1606: Prolegomena;, oratio, meditatio, tentatio; Liber primus: 1. De Deo, 2. De creatione, 3. De Providentia Dei, 4. De scriptura sacra; Liber secundum De angelis. 1. De angelis in genere, 2. De bonis angelis, 3. De malis angelis; Liber tertius: De homine. I. Status integritatis ante lapsum: 1. De animae hominae immortalitate, 2. De animae humanae propagatione, 3. De imagine Dei in homine, 4. De libero arbitrio; II. Status peccati post lapsum: De peccato. 1. peccatum originale et actuale, 2. peccatum proprium et alienum, 3. regnans et non regnans, seu mortale et veniale, 4. peccatum contra conscientiam et peccatum in spiritum sanctum; III. Status restaurationis·. 1. De praedestinatione, 2. De Christo, I. De persona Christi: 1. De unione personali, 2. De communicatione idiomatum, 3. De statuum carnis Christi diversitate; II. De officio Christi; 3. De fide, 4. De lege et evangelio, 5. De poenitentia, 6. De ecclesia, 7. De sacramentis, 8. De iustificatione, 9. De cruce et precibus, 10. De diversis vitae ordinibus. 36 Vgl. den Syllabus locorum zur , Synopsis praecipuorum articulorum fidei' in der von Chr. M. Pfaff besorgten und mit Ergänzungen versehenen Neuausgabe, Tübingen 1704, die der zweiten, noch von Theodor Thumm selbst gesehenen Ausgabe von 1626 entspricht. Die Abfolge der Themen lautet: „De Scriptura Sacra; De Notitiis Dei naturalibus; De Deo; De Trinitate; De Creatione: Angelis, Providentia, Imagine Dei, Propagatione Animae, Immortalitate Animae, Libero Arbitrio, Peccato, Electione, Christo, Ejusdem officiis, Fide, Lege, Evangelio, Poenitentia, Ecclesia, Ministerio, Baptismo, Coena, Justificatione, Bonis

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zu dieser Zeit in Wittenberg etwa von Leonhard Hutter und auch in Jena von Johann Gerhard im Anschluß an Melanchthon vertretenen Konzeption ab, die im letzten Kapitel beschrieben worden ist. Eine gewisse Vermittlung zwischen der Wittenberger und der Tübinger Loci-Abfolge bietet später Abraham Calovs Systema locorum theologicorum. 37

operibus, Magistratu, Coniugio (Gradibus Lege divina prohibitis), Coelibatu Sacerdotum, Morte, Sepultura, Limbo Patrum, Purgatorio, Invocatione Angelorum & Sanctorum, Adoratione Humanae Naturae Christi, Fine Mundi, Resurrectione mortuorum, Extremo Iudicio, Inferno, Vita aeterna." Theodor Thumm erweitert die Darstellung von Hafenreffer, indem er die eschatologischen Lehrstücke ausführlich entfaltet. Dafür vollzieht er aber nicht die von Hafenreffer vorgenommene Strukturierung der Loci durch das Restaurationsschema nach. Entsprechend erscheinen bei Thumm die Gotteslehre und die Engellehre auch nicht in der gleichen Weise wie bei Hafenreffer als theologische Grundlage für die Entfaltung der Wiederherstellung des Menschen zur Gottebenbildlichkeit. 37 Siehe den Aufbau des Calovschen Systems, das in zwölf Bänden entwickelt ist: Im Anschluß an die Grundlegungsfragen und die Gotteslehre (Bd. 1-4) enthält Bd. 5 die Sündenlehre (1. De peccato in genere, 2. De primo peccato, lapsu Adami, 3. De peccato originali, 4. De statu peccati, 5. De peccato actuali) und Bd. 6 die Lehre vom Gesetz (1. De legis informatione, 2. De lege ad Christum paedagogice ducente, 3. De distributione legis in moralem, ceremonialem, et forensem, 4. De legi conformibus, vel bonis operibus, 5. De discrimine legis, et evangelii, 6. De discrimine veteris, et novi pacti, V. et N. Testamenti). In Bd. 7 beginnt Calov die Darstellung der göttlichen Ökonomie wie Hafenreffer mit der Lehre von der Barmherzigkeit Gottes und der Christologie (1. De misericordia divina, 2. De filii Dei in terras missione, 3. De duarum naturarum in Jesu hypostatica unione, 4. De officio Christi, 5. De statu Christi duplici, 6. De gradibus exinanitionis, 7. De gradibus exaltationis). In Bd. 8 folgt die Ekklesiologie (1. De diversis ecclesiae statibus, 2. De natura ecclesiae, 3. De hierarchia ecclesiastica, 4. De hierarchia oeconomica, 5. De magistratu politico). Bd. 9 handelt vom Wort Gottes und den Sakramenten (1. De verbo Dei, ut salutis medio, 2. De sacramentis in genere, 3. De sacramento circumcisionis, 4. De agno paschli, 5. De baptismo, 6. De sacramento eucharistiae). Erst in Bd. 10 wird die Heilsaneignung dargestellt (1. De vocatione, eiusque cognatis, 2. De justificatione, 3. De fide justificante, 4. De poenitentia, 5. De unione mystica, 6. De sanctificatione, 7. De glorificatione, 8. De peccato in spiritum sanctum, 9. De praedestinatione, 10. De reprobatione, 11. De cruce, seu tessera electorum et fidelium). In Bd. 11 folgt die Darstellung der göttlichen Ordnung nach den zehn Geboten (1. De prima legis tabula, de dilectione Dei, 2. De secunda legis tabula, de dilectione proximi) und in Bd. 12 die Eschatologie (1. De novissimis in genere, 2. De morte et statu post mortem, 3. De mortuorum resurrectione, 4. De extremo judicio, 5. De consummatione seculi, 6. De inferno, seu morte aeterna, 7. De vita aeterna). Wie Hafenreffer integriert Calov also die Christologie in die Darstellung des göttlichen Heilshandelns. Dabei wird jedoch anders als bei Hafenreffer im Anschluß an die Christologie nicht erst die individuelle Heilsaneignung im Glauben, sondern direkt die Ekklesiologie verhandelt. Eine weitere wichtige Übereinstimmung mit Hafenreffer besteht darin, daß Calov die Lehre von der Heilsvermittlung durch die Rechtfertigung etc. auch erst nach der Ekklesiologie und der Lehre von Wort und Sakrament entfaltet. Allerdings bleibt er innerhalb der Beschreibung der Heilsaneignung dann bei der melanchthonischen Abfolge von Rechtfertigung und Glaube.

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Der Sinn der gegenüber der melanchthonischen Loci-Konzeption neuartigen Verortung der Christologie innerhalb der Restaurationslehre und ihrer ausführlicheren Entfaltung durch die Unterscheidung von Person und Amt Christi in Hafenreffers Loci wird erkennbar, wenn man den Zusammenhang zwischen der Christologie und dem nachfolgenden Locus über den Glauben betrachtet. Hafenreffer beschreibt nämlich den Glauben als direkte Folge aus dem Wirken Jesu Christi in seinem dreifachen Amt 38 als Prophet, König und Priester.39 Während Christus als Prophet 40 durch das von ihm eingesetzte Amt der Verkündigung von Gesetz und Evangelium für die Entstehung von Reue und Glaube sorge, versammle er in seiner Funktion als geistlicher König 41 die Kirche als sein Reich 42 , welcher er die durch sein priesterliches Opfer 43 erworbenen Wohltaten 44 38

Innerhalb der Lehre vom Amt Christi wird zuerst das prophetische, dann das königliche und zuletzt das priesterliche Amt Christi behandelt, wobei Hafenreffer die Ämter Christi aus dem Namen Jesu Christi ableitet, vgl. Hafenreffer, Loci, 413. 39 Siehe die Einführung in den Locus vom Glauben in Hafenreffers Loci, 427 f. 40 Das prophetische Amt, das Christus nach seiner Erhöhung durch die Heilige Schrift und durch das Predigtamt wahrnimmt, besteht nach Hafenreffer darin, daß Christus uns über den Willen des Vaters und über den Weg zum ewigen Heil unterrichtet, vgl. Loci, 414 f. 41 Nach seinem königlichen Amt sammelt Christus bis zum Ende der Welt alle seine Völker, stattet sie mit besonderen Gaben aus, verteidigt sie gegen Feinde und krönt sie schließlich mit ewigem Ruhm und ewiger Ehre, vgl. Loci, 415. 42 Vgl. Hafenreffer, Loci, 415 f. 43 Das „Officium Christi Sacerdotis" ist das, „quo seipsum pro totius Mundi Peccatis, perfectam hostiam, semel obtulit & parta beneficia credentibus per Fidem & Sacramenta applicans, pro iisdem apud Patrem perpetuo intercedit." (Hafenreffer, Loci, 416) Dieses priesterliche Werk gilt ausdrücklich auch für diejenigen, die gestorben sind, ohne daß ihnen das Evangelium gepredigt werden konnte (Loci, 418). Das Erlösungswerk deutet Hafenreffer dabei auf der Basis des Satisfaktionsgedankens. Das wird u. a. deutlich bei seinen Belegen für das im genus apotelesmaticum ausgesagte gemeinsame Wirken der Naturen im Erlösungswerk, vgl. Loci, 393: „Idem quoque Redemptionis Opus ipsum demonstrat: quod, sine Communicatione utriusque Naturae Operationum, perfici non potuit, Reconciliandus enim DEUS, cuius infinita bonitas & Iustitia laesa fuerat: superandi hostes, Peccatum, Mors, Diabolus, Infernus, perfectissime Legi & infinitae Iustitiae divinae satisfaciendum: Luenda maledictio Legis in omnes peccatores Sc morte expianda: Impetranda peccatorum remissio: recuperanda Gratia, Iustitia, Sanctitas, Salus & vita aeterna & c. Quae certe utriusque Naturae Operationes requisiverunt. Neque enim DEUS nudus pati morique, potuisset: Neque homo nudus, sanctissimus etiam & perfectissimus infinitam DEI iram placare, maledictionem & hostes vincere, atque aeterna bona reparare potuisset. Patitur igitur Christus ut Homo: Et easdem illas passiones Filius DEI efficaces reddit & salutares: Et sie utraque Natura agit, quod suum est: cum alterius intima Communicatione: qua sine neque perfici, neque tam salubrem habere valorem unquam potuissent Nisi igitur Redemptionis opus & Totum Christi Salvatoris meritum, imperfectum & finitum reddere: Iustificationem nostram & Gratiam Dei evacuare, adeoque omnia salutis nostrae fundamenta radicitus evellere quis velit: hanc utriusque Naturae naturalium ένεργείων κοινονίαν negare non poterit." Auf die von den Sozinianern an die Satisfaktionstheorie gerichtete Frage, wie Gott in seiner Gerechtigkeit ein fremdes Verdienst für unsere Sünden akzeptieren könne,

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der Wiedergeburt, des Glaubens, der Sündenvergebung, Rechtfertigung, G n a d e G o t t e s , G e r e c h t i g k e i t , H e i l i g k e i t u n d d e s e w i g e n H e i l s 4 5 vermittle u n d d u r c h seine priesterliche Fürbitte a u c h in d e r A n f e c h t u n g f ü r sie eintrete. 4 6 D i e B e d e u t u n g d e s d r e i f a c h e n A m t e s Christi b e s t e h t n a c h H a f e n r e f f e r in d e r V e r m i t t l u n g d e r E r k e n n t n i s d e r L i e b e G o t t e s d e s V a t e r s u n d Christi u n s e r e s Retters u n d d e r d a m i t v e r b u n d e n e n E i n s i c h t in d i e G r ö ß e unserer Sünde, die ohne den T o d des G o t t e s s o h n e s nicht hätte gesühnt w e r d e n k ö n n e n , s o d a ß w i r b e f r e i t aus d e r H a n d unserer F e i n d e C h r i s t u s als u n s e r e m K ö n i g z u d i e n e n v e r m ö g e n in H e i l i g k e i t u n d G e r e c h t i g k e i t u n d d u r c h d i e Fürbitte d e s S o h n e s T r o s t in allen A n f e c h t u n g e n e m p f a n g e n . 4 7 H a f e n r e f f e r d e n k t s o m i t d a s d r e i f a c h e A m t Christi in b e s o n d e r e r W e i s e auf d i e individuelle u n d k o l l e k t i v e Heilsaneignung im G l a u b e n ausgerichtet. I m U n t e r s c h i e d d a z u z e i g t sich z u m Beispiel L e o n h a r d H u t t e r bei d e r B e s c h r e i b u n g d e r A m t e r Christi m e h r an d e r o b j e k t i v e n Konstitution des Heils durch Ü b e r w i n d u n g v o n Sünde und T o d 4 8 und

antwortet Hafenreffer, daß Gott wie ein Gläubiger durch die gelöste Schuld zur Ruhe komme, wobei im Versöhnungsgeschehen Gottes Gerechtigkeit durch seine Barmherzigkeit und Güte temperiert werde, so daß er es sich gefallen lasse, durch ein fremdes Verdienst Genugtuung zu erhalten, vgl. Hafenreffer, Loci, 671 f. 44 Die Erlösung und die damit verbundenen Wohltaten Christi leitet Hafenreffer in seiner Beschreibung des priesterlichen Amtes aus dem Jesusnamen ab, vgl. Loci, 413. 45 Hafenreffer nennt als durch die Königsherrschaft vermittelte Wohltaten Christi in Loci, 416: „Regeneratio, Fides, Remissio Peccatorum, Iustificatio, Gratia Dei, Securitas contra hostes . . . Vita denique & Gloria coelestis". In Loci, 419f. faßt er als beneficia des dreifachen Amtes Christi „1. fides, 2. remissio peccatorum, 3. iustificatio, 4. reconciliatio & gratia patris, 5. salvatio, vita Sc gloria aeterna" zusammen. 46 Vgl. Hafenreffers Einführung in den Locus vom Glauben, Loci, 427 f.: „DEUS enim sola sua misericordia & merito Christi, absolute salvare homines non voluit, sed ut haberent rationem, qua DEUM CLementissimum Patrem & Christum dulcissimum Salvatorem, debita gratitudine colerent in aeterno illo salutis Decreto, Fidem salutis medium & Instrumentum ordinavit, qua omnes homines Christum Mediatorem apprehendere 8c sie per fidem salutem consequi deberent. Hoc porro Fidei donum, ut nobis conferatur Sc collatum, ad finem, qui est vita aeterna, fideliter custodiatur, Christus Salvator noster, officio suo Prophetico, Regio Sc Sacerdotali, quam fidelissime defungitur. Curans nimirum PROPHETA MAGNUS, ut per verbi Legis Sc Evangelii Ministerium, Poenitentiam Sc Fidem concipiamus: Quia vero multi renuunt, ipse tanquam SPIRITUALIS REX, peculiariter Regnum & Ecclesiam sibi colligit: Suisque civibus, omnia suo sacrificio parta beneficia (ut sunt Remissio peccatorum, Iustitia, Sanctitas, Salus, Gloria aeterna & c.) applicat & Sacramentis confirmat: pro iisdem etiam in omni tentatione Sc adversitate, tanquam fidelis SACERDOS sine intermissione intercedit." 47

Siehe Hafenreffer, Loci, 421. Darauf bezieht sich das priesterliche Amt Christi, vgl. Hutter, Compendium, 18, Nr. 36: „Quod est officium Christi Sacerdotale? Est, quo seipsum pro totius Mundi peccatis, et quidem non tantum pro culpa originis, sed etiam pro omnibus actualibus hominum peccatis, tanquam hostiam DEO patri obtulit: nosque ab omni peccati, et mortis, ac Diaboli captivitate, in libertatem adoptionis suae asseruit." 48

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Herrschaft über den Teufel und fremde Mächte 49 interessiert. Symptomatisch dafür ist nicht zuletzt, daß Hutter im Einklang mit der älteren lutherischen Tradition 50 nur zwei Amter Christi, nämlich das priesterliche und das königliche Amt nennt51. In Entsprechung zu der von Hafenreffer geltend gemachten Funktion des dreifachen Amtes Christi für die Heilsvermittlung betont er, daß Gott die Welt nicht in absoluter Weise durch Christi Verdienst habe rechtfertigen wollen, sondern vielmehr den Glauben als das Mittel bestimmt habe, durch welches das Verdienst Christi vom Menschen erkannt und ergriffen werden solle. 52 Obwohl Hafenreffer in diesem Kontext scheinbar die melanchthonische Konzentration des Glaubens auf das Verdienst Christi aufgreift, gibt doch seine Aussage über die Bedeutung des Glaubens vor dem Hintergrund der durch die Amterlehre vermittelten Verbindung zwischen Christologie und Glaubenslehre und vor allem im Lichte seiner an späterer Stelle noch zu erörternden Lehre von der Person Christi zu verstehen, daß der Glaube in der Erkenntnis Christi gründet und in diesem Sinne die dem Menschen zugedachte erste Wohltat des Versöhnungswerkes ist. Auf diese Weise gelingt es Hafenreffer, den besonders in der flacianischen Deutung der Imputation des Glaubens zur Gerechtigkeit auftretenden Eindruck zu vermeiden, als sei der Glaube eine Ersatzhandlung zur Kompensation der Sünde. Vielmehr kann Hafenreffer den Glauben als diejenige von Gott geschenkte 53 und aus der 49 Vgl. die Beschreibung des königlichen Amtes bei Hutter, Compendium, 18, Nr. 37: „Quod est officium Christi Regium? Est quo Christus coelos conscendit, suscepta Imperii administratione, sedens ad dextram patris, ut Diaboli ac omnes potestates, ad illius pedes proiectae, obedire cogantur, donec nos in die novissimo, prorsus ab hoc pravo seculo, Diabolo, morte, peccatis liberatos separet ac segreget, ac aeterna gloria et honore coronet: uti loquitur В. Lutherus in Catech. Maiore." 50 Vgl. dazu CA III, BSLK 54,15 ff. Weitere Zeugnisse nennt Mahlmann, Dogma, 105 f. Im Vergleich zu Heerbrand, der in der ersten Ausgabe seines Kompendiums von 1573 noch keine eigenständige Amterlehre entfaltet und auf die Frage nach dem Amt Christi auch nur auf Christi satisfaktorische Mittlertätigkeit verweist (vgl. Compendium, 26), ist die Unterscheidung der drei Ämter in Hafenreffers Loci als entscheidende Weiterentwicklung der Ämterlehre anzusehen, die möglicherweise Balthasar Mentzers „Ausgestaltung des zweifachen Amt zu einem dreifachen Amt Christi" (so Mahlmann, Unio, 141; zu Mentzer vgl. Handbüchlein, 63; außerdem die 1610 bei ihm gehaltene Dissertation von Johannes Scholvin, Synopsis theologiae analytico ordine comprehensa, Thesen 117 f.) zeitlich vorausliegt. Nach Auffassung von Mahlmann (ebd.) übernimmt Johann Gerhard die Unterscheidung des dreifachen Amtes von Mentzer. 51 Siehe Hutter, Compendium, 18, Nr. 35. 52 Vgl. Loci, 670: „Deinde non absolute in Christo, placuit DEO mundum iustificare, sed medium seu instrumentum ordinavit Fidem, per quam Homo, Meritum Christi & merito partam Iustitiam apprehenderet." 53 D e r Glaube gilt Hafenreffer selbstverständlich nicht als Werk des Menschen, sondern als Gabe Gottes (Hafenreffer, Loci, 440 f.), wenngleich er den Unglauben wie Melanchthon durch den Menschen verursacht sieht. Vgl. Hafenreffer, Loci, 441: „Cur igitur non omnes

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Einsicht in die Versöhnung durch Christus resultierende Form der Verehrung Gottes würdigen 54 , durch welche die Glaubenden Bürger im Reiche Christi genannt zu werden verdienen55. Entsprechend betont Hafenreffer in der Lehre vom Glauben mit der reformatorischen Tradition, daß zum Glauben als einzigartigem56 Vertrauen auf Christus57 notwendig die historische Kenntnisnahme und die generelle Zustimmung zu den göttlichen Verheißungen gehörten 58 und dem Glauben insofern ein dauernder Bezug auf das Wort Gottes eigne 59 , so daß die römisch-katholische Lehre vom impliziten Glauben ausgeschlossen werden müsse60.

Homines Sc ne quidem omnes audientes verbum, Fidem consequuntur? Non DEUS, sed Homines in causa sunt. Fides non est omnium, quia пес omnes verbum audiunt: пес illi, qui audiunt, semen verbi Dei in corde suo radices agere & fructum ferre patiuntur, sed vel cura rerum humanarum, vel Peccatis Sc sceleribus, bonum DEI semen, quod fructificandi gratia seminatum est, suffocant, adeoque Spiritui sancto, ingrata malitia resistunt." Der einmal empfangene Glaube wird nach Hafenreffer bewahrt und erhalten durch den Heiligen Geist (Loci, 443), durch das Wort Gottes, durch den Gebrauch der Sakramente, durch Gebete und durch ein aufgrund der Sündenvergebung gutes Gewissen (Loci, 444). Nutzen des Locus vom Glauben ist nach Hafenreffer die Erkenntnis der unendlichen Barmherzigkeit Gottes, der seinen Sohn f ü r uns gegeben hat, daß wir Wort und Sakrament „pie Sc reverenter tractemus", daß wir Sünden meiden, durch die das Gewissen beschwert und der Glaube und der Heilige Geist ausgetrieben werden (Loci, 447). 54 Siehe dazu Hafenreffer, Loci, 429: „DEUS enim sola sua misericordia Sc merito Christi, absolute salvare homines поп voluit, sed ut haberent rationem, qua DEUM CLementissimum Patrem & Christum dulcissimum Salvatorem, debita gratitudine colerent in aeterno illo salutis Decreto, Fidem salutis medium Sc Instrumentum ordinavit, qua omnes homines Christum Mediatorem apprehendere Sc sie per fidem salutem consequi deberent." Siehe dazu auch die Bestimmung des Nutzens, welcher dem Glauben zukommt, Loci, 447: „Quis est Usus huius Loci? U t infinitam Dei Misericordiam agnoscamus: qui Filium suum unigenitum pro nobis dedit: пес quiequam ad salutem assequendam aliud a nobis requirit quam ut FIDE ipsum amplectamur." 55 Nach Hafenreffer, Loci, 416 sind diejenigen „Fideles, qui a Christo Rege Sc Principe suo Christiani denominantur". 56 Siehe dazu Hafenreffer, Loci, 433: „Quid vero addis: esse Fiduciam singularem? Quia Fides salvifica non tantum circa Propositiones universales versatur . . . : Sed quisque Fidelis hae omnia SIBI individuo applicat." 57 Vgl. dazu Hafenreffer, Loci, 432: „Cur addis esse Fiduciam in Christum? Quia solus Christus IESUS Redemptor noster est: in quo solo placere possumus Patri: Extra quem non est salus." Als Belege dafür, daß allein das Vertrauen in Christus heilsamer Glaube ist (so Loci, 431 und 670), führt Hafenreffer Rom 4,16; 8,38 und 1. Joh 3,14 an (Loci, 431). 58 Siehe Hafenreffer, Loci, 430: „An vero ad salvificam fidem, Historiae Cognitio Sc generalis Assensus non requiritur? Maxime requiritur Sc in Fide salvifica omnino praesupponitur. Nam ex Decreto Sc historia redemptionis, atque promissionibus gratiae universalibus, illa fiducia in Christum exponitur: Hinc fides in Scripturis notitia atque scientia appellari consuevit." 59 Hafenreffer, Loci, 439: „Quare dicis in definitione Fidem gratiae promissionibus accendi? Primum, quia perpetua ad Dei verbum Fidei relatio est". 60 Gegen die römisch-katholische Lehre von der fides implicita wird von Hafenreffer in seinen Loci, 439 eingewandt: „Sed propter dictam relationem Fidei ad verbum: Nulla potest

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Während in den melanchthonischen Loci die Lehre von Gesetz und Evangelium als Voraussetzung der Lehre von Rechtfertigung und Glaube entfaltet wurde, übernimmt diese Funktion bei Hafenreffer die Christologie, indem sie den Grund der Gnadenverheißungen expliziert, auf die sich der Glaube verläßt 61 . Gesetz und Evangelium werden bei Hafenreffer erst im Anschluß an die Lehre vom Glauben behandelt und dabei in einem einzigen Locus zusammengefaßt. Obwohl dabei Gesetz und Evangelium in der herkömmlichen Weise beschrieben werden, wonach das Gesetz Sündenerkenntnis vermittelt, das Evangelium hingegen Sündenvergebung und ewiges Heil durch den Glauben an Christus schenkt 62 , ist auffallend, daß Hafenreffer die Entstehung des Glaubens nicht aus der Abfolge von Gesetzespredigt und Evangeliumsverkündigung erklärt. Die Lehre von Gesetz und Evangelium und die Unterscheidung dieser beiden Teile der Schrift 63 haben in seiner Darstellung vielmehr die Funktion, die Angewiesenheit des Menschen auf das in Christus offenbare und durch ihn im Glauben vermittelte Heil nachträglich zu explizieren und dadurch die in diesem Heilswerk offenbar werdende universale Barmherzigkeit Gottes zu verdeutlichen.64 Durch die Demonstration der Universalität von Sünde und Gnade ist die Lehre von Gesetz und Evangelium unmittelbare Voraussetzung der nachfolgenden Lehre von der Buße, in der Hafenreffer darlegt, daß der heilsame Glaube niemals ohne die Reue und Glaube umfassende wahre Buße65 sein könesse Fides, ubi nullum est DEI verbum. . . . Implicita illa Fides neminem salvare potest. Nam Fides, Notitia est, non ignorantia: non qui opinatur alium credere, sed qui ipse credit, salvabitur." 61 Vgl. die oben dargestellte Konstitution des Glaubens durch das dreifache Amt Christi und die Zusammenfassung zu Beginn des Locus von Gesetz und Evangelium in Hafenreffers Loci, 455: „Fidem ex Evangelicis, seu gratiae Promissionibus exoriri dixisti". 62 Vgl. zur Beschreibung des Gesetzes Hafenreffer, Loci 455-471, zum Evangelium a.a.O., 471 ff. Zur unterschiedlichen Funktion von Gesetz und Evangelium siehe bes. а. а. O., 472: „Quid est Evangelium specialiter & proprie sumpto vocabulo? Est doctrina de misericordia Dei Patris, Remissione peccatorem Sc salute aeterna, per fidem in Christum . . . Si Evangelium proprie est doctrina de Remissione Peccatorum: cuius proprium est, docere Poenitentiam, seu agnitionem Peccatorum? Legis. Huius enim officium est, arguere, terrere, minari. Evangelii vero est, Christum ostendere, perterritas conscientias Consolari Sc polliceri Gratiam." 63 Zu Beginn des Locus über Gesetz und Evangelium schreibt Hafenreffer, Loci, 455: „TOTA Scriptura sacra dividitur in LEGEM Sc EVANGELIUM." 64 Siehe dazu Hafenreffer, Loci, 475: „Quis est Usus huius Loci? [Gemeint ist der gesamte Locus von Gesetz und Evangelium; Vf.] Ut ineffabilem Dei Misericordiam Sc Bonitatem agnoscamus: qui nos Legis sententia omnes damnatos, per Fidem Evangelii gratuito salvat." 65 Siehe Hafenreffer, Loci, 480: „Quid est Poenitentia? Est Hominis Peccatoris ad Deum salutaris Conversio, qua agnitis Peccatis, ac dolens, Fidem in Christum concipit Sc fructus affert dignos iis, qui recipuerunt. Quot sunt Partes Poenitentiae? Duae. 1. Contritio. 2. Et Fides."

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ne. 66 Dabei verbindet er im Interesse der Demonstration der universalen Gnade die Bußlehre zugleich mit der aus der universalen Geltung von Gesetzespredigt und Evangeliumsbotschaft sich erhebenden Frage, weshalb nicht alle Menschen zum Glauben bekehrt würden. 67 In Entsprechung zu seiner Überzeugung, daß die Ursache des Unglaubens beim Menschen liege, beschreibt Hafenreffer dieses Faktum in der Bußlehre zum einen als Unbußfertigkeit derjenigen, die sich gegenüber dem Wirken des Heiligen Geistes resistent verhalten68, zum anderen durch das Fehlen guter Werke, die Hafenreffer als Früchte wahrer Buße bzw. wahren Glaubens bestimmt69. Unter diesem Gesichtspunkt wird die Lehre von den guten Werken 70 innerhalb der Bußlehre und nicht wie sonst üblich in einem eigenen Locus nach der Rechtfertigungslehre verhandelt 71 , wobei Hafenreffer im Einklang mit der konkordistischen Tradition selbstverständlich betont, daß die Werke in keiner Weise zur Konstitution bzw. zur Bewahrung von Rechtfertigung und Heil notwendig seien72. Dennoch sollen die Exklusivpartikel aber keineswegs die guten Werke des Gerechtfertigten ausschließen, die zum Glauben gehören.73 Die Werke werden lediglich aus dem göttlichen Akt der Rechtfertigung ausgeschlossen. 74 Indem Hafenreffer die guten Werke nicht in 66 Hafenreffer, Loci, 479: „SALVIFICA Fides nunquam est sine vera & seria Poenitentia, hanc quia multi negligunt & per Impoenitentiam Spiritui sancto resistant, nunquam etiam ad veram Fidem perveniunt." 67 Siehe Hafenreffer, Loci, 479: „Cum Legis Sc Evangelii Doctrina Universalis sit: qui fit, quod non Omnes Homines ad FIDEM convertuntur?" 68 Siehe Hafenreffer, Loci 1602, 322: „Quae est secunda pars poenitentiae? Vera Fides, de qua supra diximus. Hanc autem cur non omnes ex verbi divini praedicatione consequantur, causa est, quod vel verbum negligunt, vel Spiritui sancto per impoenitentiam resistant: aut reijciunt." 69 Hafenreffer, Loci 1602, 322: „Cur in definitione addis, hominem conversum afferre fructas dignos Poenitentia? Quia vera Fides nunquam est otiosa, aut sterilis, sed tanquam bona arbor affert bonos fructus, qui sunt in homine converso, bona opera seu nova obediential 70 Die guten Werke werden von Hafenreffer, Loci, 483 bestimmt als „internae & extemae Actiones divinitus mandatae, comprehensaeque Decalogo: ac fiunt a Renatis Fide per Spiritum sanctum, ad gloriam Dei & nostram debitam declarandam gratitudinem." 71 Vgl. Hafenreffer, Loci, 479 ff. 72 Siehe Hafenreffer, Loci, 485 f. Im Rechtfertigungsartikel erklärt es Hafenreffer als die Aufgabe aller Exklusivpartikel, darauf hinzuweisen, daß alle unsere Werke aus der Rechtfertigung ausgeschlossen sind und allein der Glaube das Mittel und Instrument ist, durch das Gottes Gnade und Christi Verdienst ergriffen wird. Weder Erneuerung noch Heiligung noch irgendwelche anderen Tugenden seien Form, Teil oder Ursache der Rechtfertigung, siehe Loci, 674 f. 73 Hafenreffer, Loci, 675: „... quae est Fidei natura & debita gratitudinis studio omnino praestare debet." 74 Hafenreffer, Loci, 675: „Sed tantum Opera nostra ex ipso Acta iustißcationis excludunt, quod ante Tribunal & conspectum DEI, quaecunque Opera nullius omnino Causae rationem habeant; ob quam Peccata remittantur & imputetur Iustitia Christi."

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einem eigenen Locus über Erneuerung oder Heiligung, sondern nur innerhalb der Bußlehre behandelt und sie dabei als Ausdruck des wahren Glaubens faßt, der durch die Liebe wirkt 75 , scheint in formaler Hinsicht eine Nähe zu Luthers Verhältnisbestimmung von Rechtfertigung und Heiligung gegeben zu sein. Da Hafenreffer aber die Notwendigkeit guter Werke bei den Wiedergeborenen ähnlich wie Chemnitz durch verschiedene Ursachen, in erster Linie aber unter Verweis auf die Gebote Gottes erklärt 76 und ihre Möglichkeit wie Melanchthon auf das Wirken des Heiligen Geistes zurückführt 77 , bleibt er inhaltlich doch ganz bei der melanchthonischen Nebeneinanderstellung von Rechtfertigung und Heiligung. Dem entspricht auch, daß er die Bedeutung des im Anschluß an die Sakramentenlehre verhandelten Rechtfertigungsartikels in der Einsicht in die durch die Rechtfertigung ermöglichte Bewährung des Glaubens durch Enthaltsamkeit von der Sünde und durch die Tugenden des neuen Gehorsams sieht.78 Die im Heilswerk Christi begründete, im Glauben vermittelte und durch die Lehre von Gesetz und Evangelium explizierte Universalität der Gnade ist schließlich auch das Thema der im Anschluß an die Bußlehre behandelten Lehre von der Kirche. Denn hier geht es um die Darstellung des königlichen Wirkens Christi in der Sammlung der Kirche als dem Reich Christi 79 , die ihrerseits der universalen Vermittlung des Heils zu dienen hat 80 .

75

Hafenreffer, Loci, 446. Vgl. die von Hafenreffer, Loci, 486, aufgezählten Ursachen für die Notwendigkeit der guten Werke. 77 Siehe Hafenreffer, Loci, 483 f. 78 Siehe Hafenreffer, Loci, 685: „Quis est usus huius Loci? Ut gratuitam Dei benignitatem agnoscamus, qui mera sua dementia nos absoluit: & Christi iustitia nos coronat. Ut Peccatis absoluti, porro illis, quantum in hac infirmitate per Spiritus sancti gratiam fieri potest, sedulo abstineamus: ne ingrati, de novo sceleribus obstringamus. Ut iustificati, virtutibus novae Obedientiae, Fidei nostrae veritatem & sanctitatem declaremus." 79 Siehe die einführende Bemerkung zur Kirchenlehre bei Hafenreffer, Loci, 494: „Hactenus, quomodo Christus PROPHETA, Officio suo defungatur, explicuisti: iam audire velim, quomodo idem, in statu nostrae Reparationis, REGIO suo munere defungatur." 80 Siehe zur Beschreibung Christi als des Königs Hafenreffer, Loci, 494 f.: „Christus Propheta, ex voluntate & beneplacito Patris, publica verbi Legis & Evangelii Praedicatione omnes homines ad poenitentiam, fidem & salutem advocat: nec perire quenquam vult: sed omnes ad cognitionem veritatis venire, converti & salvari cupit. Quia vero plurimi verbum ipsius respuunt: nec eum audire volunt, quem Pater de coelo nobis commendavit: ipse Ecclesiam sibi in toto orbe colligit, quam ut REX, administrat, regit, fovet, tuetur, ornat. Proxime ergo dicendum est de Regno Christi, seu ECCLESIA." 76

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b) Die Verortung der Rechtfertigungslehre Neben dem von Hafenreffer rekonstruierten Zusammenhang von Christologie und Glaubenslehre zeigt sich die Eigenständigkeit der von Hafenreffer entwickelten Konzeption der theologischen Loci in besonderer Weise darin, daß er die Rechtfertigungslehre erst im Anschluß an die der Kirchenlehre nachfolgende Sakramentenlehre 81 entfaltet. Diese gegenüber der melanchthonischen Tradition markante Verschiebung, die umgekehrt Kirchen- und Sakramentenlehre erst im Anschluß an die Rechtfertigungslehre verhandelt hatte, ist bei Hafenreffer dadurch begründet, daß er die individuelle und kollektive Wiederherstellung des Menschengeschlechts insgesamt als durch das dreifache Amt Christi begründet entfaltet. Verdankt sich die Vermittlung des individuellen Glaubens speziell dem prophetischen Wirken Christi 82 , so ist die Versammlung der Gläubigen zur Kirche wesentlich auf das königliche Wirken zurückzuführen, während die durch den Glauben und die Sakramente vermittelten Wohltaten Christi dem priesterlichen Amt Christi zugeschrieben werden. 83 Indem Hafenreffer die individuelle Heilsaneignung im Glauben in Entsprechung zur Darstellung der Amter Christi als erste Wirkung Christi vor der kollektiven Heilsvermittlung durch die Sammlung der Kirche und vor der Applikation der aus dem priesterlichen Amt folgenden Wohltaten behandelt, wird nicht nur der besagte Zusammenhang zwischen Christologie und Glaubenslehre aufgewiesen, sondern damit einhergehend auch die Glaubenslehre vor der Rechtfertigungslehre behandelt. Diese von der melanchthonischen Tradition abweichende Abfolge in der Darstellung von Glaube und Rechtfertigung findet sich bereits in Jakob Heerbrands theologischem Kompendium, das den Locus vom Glauben im Anschluß an die Lehre vom Evangelium entfaltet und erst dann die Rechtfertigungslehre folgen läßt. 84 Wie Heerbrands Zusammenfassung der Rechtfertigungsordnung zeigt, möchte er auf diese Weise zum Ausdruck bringen, daß die Rechtfertigung vor Gott sich darin ereignet, daß der Glaube als Vertrauen auf Christus vom Heiligen Geist durch die Verkündigung des Evangeliums geweckt wird, durch das wir Christus 81 Vgl. Hafenreffer, Loci, 548-662. Die Sakramentenlehre wird in drei Teilen verhandelt. Zuerst erläutert Hafenreffer den allgemeinen Sakramentsbegriff, sodann die Sakramente des Alten Testaments und schließlich die Sakramente des Neuen Testaments. 82 Siehe die einführende Bemerkung zur Kirchenlehre bei Hafenreffer, Loci, 494: „Hactenus, quomodo Chistus PROPHETA, Officio suo defungatur, explicuisti: iam audire velim, quomodo idem, in statu nostrae Reparationis, REGIO suo munere defungatur." 83 Siehe Hafenreffers Einführung in den Locus von der Rechtfertigung Loci, 662: „Dixisti hactenus, Christum Sacerdotem Beneficia sua, per Fidem & Sacramenta applicare & obsignare fidelibus, iam, quae sint ilia Beneficia, exponas velim." 84 Vgl. bereits die Ausgabe des Kompendiums von Heerbrand von 1573, 206 ff.

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als Mittler erkennen, ihn ergreifen und im Vertrauen auf ihn zur Ruhe kommen. 85 Während in der melanchthonischen Tradition die inhaltliche Bestimmung des Evangeliums vielfach durch den Begriff der Rechtfertigung im Sinne der Sündenvergebung und Zurechnung der Gerechtigkeit Christi expliziert und damit verengt wurde, läßt Heerbrands Beschreibung von Evangelium, Glaube und Rechtfertigung erkennen, daß für ihn nicht nur die Erkenntnis des Verdienstes Christi, sondern seiner gesamten Person zentrales Thema evangelischer Verkündigung ist, und daß sich entsprechend das Vertrauen des Glaubens in dem besonderen Personsein Christi gründet, aus dem sich die Bedeutung seines Verdienstes allererst erschließt. Dem entspricht das bereits angesprochene, von Johannes Brenz herrührende stärkere Interesse an der Lehre von der Idiomenkommunikation innerhalb der Tübinger Tradition, welches sich bei Heerbrand formal darin erkennen läßt, daß er die Idiomenkommunikation in einem eigenen Locus im Anschluß an die Christologie ausführt. Auf die inhaltliche Bestimmung der Idiomenkommunikation und ihre Weiterentwicklung bei Hafenreffer und Thumm ist an späterer Stelle näher einzugehen. Hier ist zunächst wichtig, daß Hafenreffer den Ansatz Heerbrands weiterführt, indem er die individuelle und kollektive Wiederherstellung des Menschengeschlechts zur ursprünglichen Bestimmung der Gottebenbildlichkeit aus der Lehre vom dreifachen Amt Christi entfaltet, die ihrerseits in der Lehre von der Person Christi gründet. Damit ist bei Hafenreffer nicht nur die bei Heerbrand bereits vorgenommene Umstellung der Loci von Glaube und Rechtfertigung verbunden, sondern auch die Einschaltung der Lehrstücke von der Kirche und den Sakramenten zwischen die Lehre von Glaube, Gesetz, Evangelium und Buße einerseits und der Rechtfertigung des Menschen vor Gott andererseits. Mit dieser zweiten Umschichtung der dogmatischen Themenabfolge, mit der er auch von der herkömmlichen Abfolge der Beschreibung der christologischen Ämter Christi abweicht, bringt Hafenreffer zum Ausdruck, daß er nicht nur Christi prophetisches, sondern ebenso sein königliches Wirken in der durch die Sakramente vermittelten Sammlung der Kirche als

85 Siehe Heerbrand, Compendium 1573, 210: „ Q u i s est ordo Iustificationis: vel q u o m o d o ea sit: Primum Deus voce & ministerio Legis accusat & perterrefacit conscientias propter peccata admissa Sc operatur veros & seriös dolores, proposita atrocitate peccatorum & magnitudine irae suae adversus ilia, aeterna scilicet damnatione: ut homines territi agnitione peccatorum, propositum peccandi abijciant. Deinde, doctrina Evangelii offert territis hoc m o d o & poenitentibus miseris peccatoribus, gratuitam peccatorum remissionem per & propter Christum. Ac operatur Spiritus sanctus per vocem Evangelii Fidem, id est, fiduciam in Christum, qua ipsum Mediatorem agnoscunt, amplectuntur, eoque nituntur & confidentes in ipsum, acquiescunL E t sic coram D e o iustificantur, id est, absolvuntur & iusti pronunciantur, habentes peccatorem remissionem."

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Voraussetzung für die Vermittlung der durch das priesterliche Wirken Christi begründeten Wohltaten versteht. Wie schon im Zusammenhang der christologischen Amterlehre nennt Hafenreffer als diese in Christi priesterlichem Wirken begründeten und durch Glaube und Sakramente applizierten Wohltaten Christi die Rechtfertigung, Wiedergeburt, Adoption, Erneuerung, Heiligung, Rettung und Verherrlichung. Dabei betont er, daß aus der Rechtfertigung des Menschen vor Gott auch erhelle, was über die anderen Wohltaten zu sagen sei. 86 Mit der insgesamt auf die Wiederherstellung des ursprünglichen geschöpflichen Zustandes des Menschen ausgerichteten Konzeption der Loci weist Hafenreffer auf die analytische Entwicklung der Dogmatik voraus, insofern auch diese darauf abzielt, die mit der Wiederherstellung der Bestimmung des Menschen verbundene Rückführung des Menschen in die Gottesgemeinschaft zu erklären. Dennoch unterscheidet sich seine Beschreibung der Restauration des Menschen nicht unwesentlich von der analytisch konzipierten Dogmatik der Folgezeit. Denn in der analytischen Dogmatik werden die von Hafenreffer benannten Wohltaten Christi innerhalb der trinitarisch konzipierten Lehre von den Heilsursachen als die durch den Heiligen Geist applizierte Gnade expliziert. Hafenreffer dagegen führt die dem Menschen vermittelten Wohltaten oder Gnadenwirkungen direkt auf das dreifache, speziell das priesterliche Amt Christi zurück. Das unterscheidet ihn nicht nur von der ausgereiften analytischen Dogmatik etwa bei Quenstedt, wo die Applikation der Gnade in besonderer Weise dem Heiligen Geist appropriiert wird, sondern bereits von der melanchthonisch geprägten Lehrtradition, die die individuelle Heilsaneignung im Glauben durch das an die Wortverkündigung gebundene Wirken des Geistes erklärte, ohne den Zusammenhang mit dem Wirken Christi in seinem dreifachen Amt zu berücksichtigen. Auf diese Weise wird der Gedanke vernachlässigt, daß der Geist, der mittels der Verkündigung in Wort und Sakrament den Glauben an das Evangelium vom Heilswerk Christi weckt, der Geist Christi ist, so daß das Werk der individuellen Heilsvermittlung nicht allein dem Wirken des Geistes, sondern darin zugleich dem Wirken Jesu Christi durch sein dreifaches Amt und schließlich auch dem Wirken Gottes des Vaters zuzuschreiben ist, wie es im übrigen die trinitarische Regel vom ungeteilten bzw. gemeinsamen Wirken der trinitarischen Personen nach außen fordert. Hafenreffer führt also, wie in diesem Abschnitt gezeigt worden ist, die bei Heerbrand bereits zu erkennende Konzentration der theologi86 Siehe Hafenreffer, Loci, 662 f.: „Plura sunt Utpote Iustificatio, Regeneratio, Adoptio, Renovatio, Sanctificatio, Salvatio, Glorificatio. Sed isthac omnia, ita sunt comparata, ut exposita ratione IUSTIFICATIONIS Hominis Peccatoris coram Deo, quid de reliquis Beneficiis sentiendum sit Sc quomodo nobis ilia quoque obtingant, facilimum sit intellectus."

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sehen Lehre auf die Christologie nicht nur in der Verortung und Entfaltung des christologischen Locus durch. Vielmehr verbindet er dies mit einer von der melanchthonischen Tradition stark abweichenden Gliederung der Soteriologie, die den engen Zusammenhang zwischen Christuserkenntnis und Glaube stärker zur Geltung bringt und der Rechtfertigungslehre faktisch die Funktion zuweist, das Gottesverhältnis des Glaubenden zu explizieren.

2. Die Entfaltung der Rechtfertigungslehre in der Tübinger Dogmatik Da Heerbrand die Rechtfertigung vor Gott als dasjenige Geschehen begreift, welches sich in der Konstitution des Glaubens durch die Christusbotschaft realisiert, kann er in Abweichung von der konkordistischen Tradition unter Rechtfertigung auch den Vorgang verstehen, in welchem aus dem ungerechten, ungläubigen Sünder dadurch ein gerechter wird, daß ihm Gott seinen Glauben zur Gerechtigkeit anrechnet. 87 Von grundlegender Bedeutung sei dabei jedoch, wie Heerbrand sogleich betont, daß die Gerechtigkeit des Glaubenden nicht als ein Habitus ausgelegt bzw. auf neue, dem Menschen eigene Qualitäten zurückgeführt werde. Vielmehr sei zu beachten, daß der Glaube nicht als eine dem Menschen eignende Qualität rechtfertige, sondern insofern er Christus und seine Wohltaten ergreife.88 Um sicherzustellen, daß die Rechtfertigung in keiner Weise durch menschliche Leistung oder Selbsttätigkeit bedingt ist, sondern sich ganz und gar der Barmherzigkeit Gottes verdankt, bestimmt nun aber auch Heerbrand innerhalb seiner Analyse der Rechtfertigungsursachen in Entsprechung zur melanchthonisch-flacianischen Lehrform als formale Ursache der Rechtfertigung die Sündenvergebung bzw. Zu87

Siehe Heerbrand, Compendium 1573, 207 f.: „Quid est 8c significat iustificatio? Hanc esse multi dixerunt & adhuc, cum ex iniusto, peccatore & impio fit iustus: quod verum est & recte dicitur, si modo dextre etiam intelligatur. Non n. significat, habentem iustitiae habitum, vel infusas novas qualitates & virtutes in se Sc sie proprio illo habitu coram Deo iustum esse. Nam scriptura sacra negat hominem iustum esse infusa & inhaerente qualitate, iustitia aut virtutibus propriis, sed fit & est iustus coram Deo peccator, aeeepta peccatorum remissione & iustitia propter Christum imputata, gratis, fide, absque dignitate propriorum operum. Iuxta illud: Ei vero qui non operator, credit autem in eum qui iustificat impium, Fides sua imputatur ad iustitiam. Non igitur qualitates aliquas in nobis significat iustificatio, sed iustum reputari & pronunciari. Et sie absolutionem seu remissionem peccatorum." 88 Siehe Heerbrand, Compendium 1573, 210: „Qua ratione Fides Iustificare dicitur? Iustificamur Fide, non ut opere, vel quatenus est qualitas, aut propter eius dignitatem, vel praestantiam: sed quatenus Christum propiciatorem apprehendit, sibique eius beneficia applicat."

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rechnung der Gerechtigkeit Christi89, welche der Glaube - als die zweite Instrumentalursache der Rechtfertigung neben dem Amt der Evangeliumsverkündigung und Sakramentsverwaltung - ergreift90. Und trotz der bei Heerbrand erkennbaren Ausrichtung des Glaubens auf die Erkenntnis der Person Christi nennt er als Wirkursache der Rechtfertigung neben der Barmherzigkeit und Liebe des Vaters und der Wirkung des Glaubens durch den Heiligen als spezifisch dem Sohn zukommende Tat allein den vollkommenen Gehorsam im Handeln und Leiden.91 An dem damit implizierten Gedanken der Konstitution der Rechtfertigung durch Zurechnung des verdienstvollen Gehorsams Christi hält Heerbrand sicherlich nicht zuletzt im Blick auf seine heftige Auseinandersetzung mit dem neu aufgelebten Romanismus und insbesondere mit 89 Siehe H e e r b r a n d , Compendium 1573, 212 f.: „ Q u a e est causa formalis Iustificationis? Est remissio peccatorum, aut quod idem est, sola imputatio iustitiae Christi, qui factus est nobis a D e o P a t r e iustitia, sanctificatio & redemptio. E t ut P r o p h e t a dixit, vocabunt eum, DOMINUS IUSTITIA NOSTRA. . . . Ipsa igitur absolutio, remissio peccatorum & imputatio iustitiae Christi, quae unum sunt & idem, in hoc Articulo, est nostra Iustificatio coram D e o , qua sola coram ipsius tribunali consistit. N e c enim propter fidem, proprie loquendo, placemus D e o : sed p r o p t e r Christi iustitiam & obedientiam nobis imputatam. Q u o d vero Apostolus dicit Fidem imputari ad iustitiam, correlative est accipiendum, id est, merito & obedientia Christi, quae nobis imputantur, nos coram D e o iustos esse. Sicut Apostolus ibidem [ R o m 4, am R a n d e vermerkt] interpretatur & p r o b a t ex Psalmo 32. addens, sicut & David dicit, Beatitudinem hominis cui Deus imputat Iustitiam sine operibus. Beati quorum remissae sunt iniquitates & quorum tecta sunt peccata. Beatus vir cui n o n imputavit Dominus peccatum. Beatitudo ergo hae in circumcisione tantum maneat? Quibus verbis manifeste ponit Beatificationem vel Iustificationem nostram, esse imputationem iustitiae, vel remissionem peccatorum." 90 H e e r b r a n d , Compendium 1573, 213 f.: „ Q u o d est Medium, vel causa Instrumentalis Iustificationis? M e d i u m per quod Deus nos iustificat & publice nobis iustificationem applicat, seu causa Instrumentalis respectu Dei, est ministerium Verbi & Sacramentorum, quae ad h o c divinitus sunt instituta, ut per ea Christi merita & beneficia nobis applicentur. Fides est ex audita, Auditus per verbum Dei. Eph. 5. Christus mundavit Ecclesiam lavacro aquae in verbo vitae. Instrumentalis causa respectu nostri, est Fides, qua sola singuli privatum Christum apprehendunt, sibique applicant. U n d e Paulus passim nos per Fidem, Fide, ex Fide iustificari docet. Fides n. non est res ipsa, propter quam D e o placemus & iusti pronunciamur: sed tantum Organum est & instrumentum, quo Christum cum sua iustitia & obedientia & in eo, ac cum eo, beneficia eius nobis applicamus." 91

H e e r b r a n d , Compendium 1573, 211 f.: „Quae sunt causae Iustificationis? Causa efficiens est tota Trinitas. Singulae enim Personae suo m o d o aliquid conferunt ad earn. Patris enim misericordia & dilectio erga genus humanum, qua filium donavit, Fons est & Originalis causa Iustificationis nostrae, Ioh. 3. Sic Deus dilexit m u n d u m , ut filium suum unigenitum daret. Filius autem p r o p t e r nostram salutem h o m o & victima p r o nostris peccatis factus, sua perfectissima obedientia, faciendo & patiendo, persolvit precium redemptionis nostrae. Spiritus S. accendit lucem verae agnitionis Dei in cordibus nostris per verbum, per quod est efficax & operator fidem, qua Christum M e d i a t o r e m & Reconciliatorem agnoscimus & apprehendimus. E t h o c m o d o iustificamur coram D e o , ipsius gratia accepta peccatorum remissione per solam in Christum fidem." Vgl. entsprechend die Bestimmung der Finalursache der Rechtfertigung a . a . O . , 214.

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den Jesuiten 92 fest. Die einseitige Orientierung an der Zurechnung der Gerechtigkeit Christi wird bei Heerbrand allerdings durch die Bestimmung der Finalursache der Rechtfertigung insofern wieder relativiert, als hier die Gerechtigkeit Gottes, auf deren Erweis die Rechtfertigung des Menschen vor Gott zielt, darin gesehen wird, daß Gott den rechtfertigt, der aus dem Glauben Jesu Christi ist. 93 In Entsprechung dazu nennt Heerbrand als Wirkung der Rechtfertigung nicht nur die Aufnahme in die Gotteskindschaft, sondern ebenso die Gemeinschaft mit Gott und mit Jesus Christus. 94 Obwohl Heerbrand also die Zurechnungsterminologie und die flacianische Bestimmung der Rechtfertigungsursachen in seiner Entfaltung der Rechtfertigungslehre übernimmt, signalisiert er doch nicht nur durch besagte Umstellung der Lehrstücke, sondern auch innerhalb des Locus von der Rechtfertigung selbst, daß der Glaube an Christus die Realisierungsgestalt der Rechtfertigung ist und insofern durchaus als diejenige Veränderung des menschlichen Seins zu gelten hat, vermittels derer aus einem Ungerechten ein Gerechter wird. Diese bei Heerbrand feststellbare Rückbindung der Rechtfertigungslehre an die Lehre vom Glauben und die damit verbundene Aufwertung des Glaubens führt Hafenreffer nicht nur durch seine Konzeption der Lociabfolge, sondern auch dadurch fort, daß er im Anschluß an die der Schrift entnommene Unterscheidung zwischen der Gerechtigkeit des Gesetzes, der Gerechtigkeit des Evangeliums und der Gerechtigkeit des neuen Gehorsams 95 als Thema des Rechtfertigungsartikels die evangelische Gerechtigkeit des Glaubens bestimmt 96 . Dann allerdings wird die Rechtfertigung 92 R E 3 7, 523. Vgl. dazu die ständige Bezugnahme auf die päpstliche Lehre in Heerbrands Disputatio de gratuita solius fidei iustificatione. , 3 Heerbrand, Compendium, 214: „ Q u a e est causa finalis Iustificationis? Causa finalis quo ad Deum est, ut immensa eius erga nos misericordia & dilectio agnoscatur. Ad ostensionem Iustitiae ipsius, ut sit ipse iustus & iustificans eum, qui est ex fide Iesu Christi. Et Christo honor debitus tribuatur, quod solus sit generis humani Redemptor, Mediator & Salvator. Et Spiritus sanctus in nobis omnia bona operetur. Q u o autem ad nos, ut credentes salvemur & vitam aeternam consequamur: Deumque in illa, cum beatis Angelis perpetuo celeb ramus." Vgl. entsprechend die Besinnung der Impulsivursache der Rechtfertigung а. а. O., 212 f.: „Quae est causa impulsiva? Est ingens Dei misericordia philanthropia & chresotes erga genus humanum miserum, abiectum & damnatum. Eph.2. tit.2.3. OCCASIO, seu causa prokatarktisin, est humani generis miseria summa, qua motus Deus misericors, noluit illud perire, quod ad imaginem suam condidit Materialis in qua: homo peccator salvandum." 94 Heerbrand, Compendium 1573, 214 f.: „ Q u i sunt Effectus? Effectus Iustificationis sunt adoptio in filios Dei, Gal.4. Societas cum D e o & Domino nostro Iesu Christo. 1. J o h . l . Pax 8c tranquillitas conscientiae, Laetitia & gaudium in Spiritu Sancto. Rom. 5,14. sanctificatio & donatio Spiritus. Vivificatio, inchoatio novae obedientiae, confessio. Rom. 10. Victoria mundi & Diaboli. 1. J o . 3. Vitae denique aeternae haereditas." 95 Hafenreffer, Loci, 663 f. 96 Siehe Hafenreffer, Loci, 664: „ D e qua iustitia in Articulo iustificationis agitur? In Articulo Iustificationis agitur de Iustitia Euangelica, seu Fidei."

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im ersten Teil des Rechtfertigungsartikels, der Begriff und Ursachen der Rechtfertigung klären soll 97 , ganz im Sinne der melanchthonischen Tradition bestimmt als die Handlung Gottes 98 , durch die Gott den an Christus glaubenden Menschen aus seiner Barmherzigkeit durch und wegen des Verdienstes Christi von seinen Sünden und den ewigen Strafen losspricht und ihm mit der Vergebung der Sünden durch den Glauben die vollkommene Gerechtigkeit des Heilandes imputiert 99 Die evangelische Gerechtigkeit des Glaubens wird sonach als zugerechnete Gerechtigkeit Christi verstanden.100 Als Konstitutionsmomente der Rechtfertigung101 nennt Hafenreffer wie Leonhard Hutter die Gnade 102 bzw. Barmherzigkeit Gottes, das Verdienst des gesamten aktiven und passiven Gehorsams Christi103 und den Glauben als das von Gott geordnete Mittel, durch welches die Gerechtigkeit Christi ergriffen werden soll 104 . Die Barmherzigkeit Gottes, 97

Vgl. Hafenreffers Gliederung der Rechtfertigungslehre in seinen Loci, 663. Hafenreffer unterteilt den Locus von der Rechtfertigung in drei Abschnitte: im Anschluß an die Darstellung der Lehre von Begriff und Ursachen der Rechtfertigung im ersten Teil benennt er im zweiten Teil die Argumente für die wahre Lehre von der Rechtfertigung und versucht schließlich im dritten Teil, die römisch-katholische Kritik an der reformatorischen Rechtfertigungslehre zu widerlegen. 98 Als Beweis dafür, daß die Rechtfertigung Gottes Handlung ist, werden Röm 3,26; 4,5; 8,33; Gal 3,8 angeführt, wo in Analogie zu einem Richter in einem Gerichtsverfahren, der einen Angeklagten losspricht oder verurteilt, Gott als derjenige beschrieben wird, der den Sünder rechtfertigt, vgl. Hafenreffer, Loci, 666. 99 Hafenreffer, Loci, 666: „Iustificatio est Actio Dei, qua Hominem Peccatorem credentem in Christum, gratuit a sua Misericordia, per 8c propter meritum Christi, a peccatis, eorumque aeternis suppliciis absolvit 8c remissio peccatis, per Fidem illi perfectam Iustitiam Salvatoris imputat." Vgl. auch Hafenreffers Bestimmung der Wortbedeutung von Rechtfertigung а. а. O., 664: „Non significat, infusum Iustitiae Habitum . . . Sed significat hominis peccatoris a peccatis 8c aeternis eorundem suppliciis Absolutionem, qua iustus pronunciatur, propter Iustitiam Christi, per fidem, sumpta significatione ex Iudiciis forensibus." In Entsprechung zu seiner Definition des Aktes der Rechtfertigung beantwortet Hafenreffer die Frage, auf welche Weise die Rechtfertigung geschehe, а. а. O., 670: „DEUS misericors, intuitu meriti Salvatoris, Homini Peccatori, per Fidem, quam habet in Christum non imputat, sed remittit Peccata, pro quibus Christus passione 8c morte sua satisfecit: & gratis imputat illi Iustitiam, quam idem Christus Obedientia sua perfectissime promeritus est." 100 Siehe Hafenreffer, Loci, 663: „Evangelii, quae Credentibus imputatur, per Fidem in Christum, unde etiam Iustitia Fidei appellator." Vgl. a.a.O., 671: „ . . . ipsa Christi Obedientia 8c Satisfactio, est ipsum illud, quod nobis ad Iustitiam imputatur, seu quod est Iustitia nostra coram DEO." 101 Hafenreffer, Loci, 667. 101 Unter der Gnade Gottes versteht Hafenreffer „gratuitam nempe DEI favorem, quo nos inde ab aeterno complexus, noluit nos miseros in peccatis nostris aeternum perire." (Loci, 667) 103 Hafenreffer, Loci, 669. 104 Siehe Hafenreffer, Loci, 670. Innerhalb des Rechtfertigungsartikels kann Hafenreffer den Glauben in doppelter Weise beschreiben: zum einen als eine Qualität in uns, zum anderen als Relation zu Christus. Insofern sich der Glaube als notitia im Intellekt und als assensus im Willen vollzieht, kann er als Qualität aufgefaßt werden. Doch in diesem Sinne

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durch die Gott beschlossen hat, uns durch seinen Sohn zu rechtfertigen, wird dabei als Impulsivursache der Rechtfertigung bestimmt105, während das Verdienst Christi wie bei Johann Gerhard als Verdienstursache106 und der Glaube in Verbindung mit Wort und Sakrament als Instrumentalursache der Rechtfertigung107 qualifiziert werden. Daß Hafenreffer mit seiner Bestimmung der Rechtfertigung somit entschiedener in melanchthonischen Bahnen bleibt als sein Tübinger Vorgänger Heerbrand, hängt möglicherweise mit der noch stärker polemischen Ausrichtung seiner Loci gegen die römisch-katholische Rechtfertigungsauffassung und deren Kritik an der reformatorischen Lehre zusammen. Das kontroverstheologische Anliegen Hafenreffers besteht hier wie auch sonst in der konkordistischen Tradition in dem Nachweis, daß die Gerechtigkeit, durch die wir vor Gott losgesprochen und für gerecht erklärt werden, nicht als eine uns durch Christi Verdienst von Gott eingegossene und insofern inhärierende Gerechtigkeit zu denken ist.108 Um diese Vorstellung der Infusion und Inhäsion der Gerechtigkeit auszuschließen und stattdessen die durch Christi Heilswerk begründete und vermittelte Gerechtigkeit als Gerechtigkeit extra nos denken zu können, hält Hafenreffer mit der Melanchthon folgenden Lehrtradition an der Bestimmung der Rechtfertigung als Zurechnung der Gerechtigkeit Christi fest. Dies geschieht um den Preis, daß der Glaube nur als ergreifendes

rechtfertigt der Glaube nicht, weil er unvollkommen und unsicher bleibt und auch nur eines der Gebote erfüllt; zudem kann er nicht verdienstvoll sein, weil er von Gott geboten ist, vgl. Loci, 672. In relativer Hinsicht hingegen rechtfertigt der Glaube, insofern er auf Christus schaut und mit seinem ganzen Gehorsam die Gerechtigkeit Christi ergreift, vgl. Loci, 673. 105 Hafenreffer, Loci, 675. 106 Hafenreffer, Loci, 675. 107 Loci, 676. Die Notwendigkeit der Unterscheidung zwischen zwei Instrumentalursachen ergibt sich für Hafenreffer aus der paulinischen Rede von der Taufe als dem Bad der Wiedergeburt, vgl. Loci, 676: „Si iustificamur & salvamur SOLA Fide: quare Paulus scribit, nos salvatos esse per Lavacrum Regenerationis?" Antwort: „Distinguendum est inter causas Instrumentales nostrae Salutis. I. Quaedam enim Organa seu Instrumenta salutis sunt Offerentia, quibus nimirum DEUS dona bonaque sua nobis hominibus Offert & Credentibus con/ert, Μ sunt verbum & Sacramenta. II. Unum salutis Organon est APPREHENDENS, quo nimirum nos Homines Dona DEI, verbo & Sacramentis Oblata, accipimus: illud est Fides. Diverse igitur respectu & Verbo & Sacramentis & Fide, iustificari & salvari, recte ac vere dicimur 108 Siehe Hafenreffer, Loci, 665: „Quis est Status Quaestionis in hoc Articulo inter nos & Pontificios? Quaestio non est, utrum Homines iustificati & regenerati, debeant novae Obedientiae & bonis Operibus studere: hoc enim utrinque est in confesso: & alia est Fidei, alia novae Obedientiae iustitia. Sed hae est quaestio: Quidnam sit illud, quo motus DEUS Pater Homini Peccatori Peccata remittat, in Gratiam recipiat & iustum reputet? Et quae adeo sit ilia ipsa iustitia, per quam in DEI Conspectu absolvimur 8c iusti reputamur? Pontificii dicunt: esse iustitiam nostram quia per earn nobis inhaerentem iustificemur & illam eandem esse iustitiam DEI, quia a DEO nobis infindatur, per Christi meritum."

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Organ der dem Menschen äußerlich bleibenden Gerechtigkeit Christi und nicht als diese Gerechtigkeit selbst in den Blick kommen kann. Auf diese Weise bleibt Hafenreffer in der Entfaltung des Rechtfertigungsgeschehens hinter den von ihm in der Christologie und in der Glaubenslehre grundgelegten Einsicht in die Bedeutung des Glaubens als dem von Gott dem Menschen zugedachten und durch Christus selbst vermittelten Gottesverhältnis zurück, wie im folgenden noch zu zeigen sein wird. Die exklusive Bestimmung der Rechtfertigung durch die Zurechnung der Gerechtigkeit Christi übernimmt sodann auch Theodor Thumm 109 , wobei dieser zur Widerlegung der inzwischen innerhalb der evangelischen Theologie aufgenommenen Auseinandersetzung mit dem Weigelianismus110 in seiner Schrift über die Impietas Wigeliana von 1622 sogar entschieden auf die flacianische Definition des Imputationsgedankens zurückgreift. Weigel hatte, wie Thumm zitiert, die Rede von der zugerechneten Gerechtigkeit Christi in der Überzeugung abgelehnt, daß uns das Leiden Christi nichts nütze, wenn es uns nur zugerechnet werde und sein Tod nicht in uns sei. Denn soll „uns nun nutz seyn/ Christi leiden/ sterben/ sein Verdienst/ so muß es nicht ausser uns bleiben/ und der erdichten imputativae justitiae zugerechnet werden; nein traw e n / Christus extra nos non salva, das i s t / Christi T o d ausser uns ist

kein Leben/ sein Tod muß in uns seyn/ so ist erst Christus in uns". 111 Nach Thumms Uberzeugung steht diese These Weigels in Widerspruch zur gesamten Heiligen Schrift, die den Gedanken der Imputation der Gerechtigkeit zum Ausgleich unserer Ungerechtigkeit empfehle und darunter keine physische Infusion, sondern eine reale Applikation des außer uns vollbrachten aktiven und passiven Gehorsams Christi verstehe, welcher uns durch den Glauben zugeschrieben werde. 112 Dabei sei zum einen zu beachten, daß die personale Übertragung unserer Ungerechtigkeit auf Christus und der Gerechtigkeit Christi auf uns, die als positive Zurechnung zugleich privativ die Nichtanrechnung der Sünde

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Zu T h e o d o r Thumm gibt es in den einschlägigen theologischen Lexika keinen eigenen Artikel. Er wurde 1586 geboren und lehrte seit dem 3.5.1618 in Tübingen. So arbeitete er noch ein Jahr mit Matthias Hafenreffer zusammen, bevor dieser am 22.10.1619 starb. Vgl. zu Thumm J. Baur, Auf dem Wege zur klassischen Tübinger Theologie, 2 5 5 - 2 5 7 . 110 Zu Valentin Weigel und den Weigelianern vgl. die Darstellung von Siegfried Wollgast, Philosophie in Deutschland 1550-1650, 4 9 9 - 6 0 0 . 111 Siehe Thumm, Impietas Wigeliana, 121. Vgl. auch ebd. 114 f. 112 Thumm, Impietas, 121: „At impia haec sententia, afflictis & miseris peccatoribus, propria justitia destitutis, non m o d o отпет adimit consolationem, ac ad desperationis adigit barrathrum, sed & toti sacrae contradicit Scripturae, haec enim imputationem nobis commendat, in quae iniquitas tollitur & justitia donatur, non Physica quadam justitiae infusione, sed relativa quadam acceptatione, nihilque aliud est, quam realis applicatio obedientiae Christi activae & passivae extra nos praestitae, per fidem autem nobis adscriptae

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bedeute 113 , allein auf Gottes Dekret beruhe, wobei Gott die uns zugerechnete Gerechtigkeit Christi so ansehe, als ob sie in uns sei.114 Zum anderen sei die Imputation eine Zurechnung der Würdigkeit, insofern der Wert einer Sache durch ein Dekret auf eine andere übertragen werde. Entsprechend erfülle der Glaube des Glaubenden durch die Zurechnung Gottes die Stelle der schuldig gebliebenen Gerechtigkeit. 115 Mit dieser Beschreibung der Imputation rezipiert Thumm die Differenzierung des Imputationsbegriffs bei Flacius beinahe wörtlich, ohne allerdings auf ihn zu verweisen. Die Imputationstheorie soll in seiner Rechtfertigungslehre wie schon bei Flacius sicherstellen, daß die uns zugerechnete Gerechtigkeit weder als eine uns habituell zukommende Gerechtigkeit, noch als eine aus der Ubereinstimmung mit dem Gesetz resultierende Gerechtigkeit aus Werken zu verstehen ist.116 Die zugerechnete Gerechtigkeit sei vielmehr die Gerechtigkeit des Glaubens, insofern dieser den Gehorsam Christi als sein primäres Objekt ergreife. 117 In diesem Sinne sei auch die Rede von der Zurechnung des Glaubens zur Gerechtigkeit zu verstehen 118 , die Thumm für gleichbedeutend mit 113 So Thumm, Impietas, 123: „Imputationis modum esse duplicem, unum ... privativum, in oblivione seu поп annotatione peccati & dimissione reatus; alteram ... positivum, in imputatione justitiae Christi consistens". 114 Siehe Thumm, Impietas, 121 f.: „Ubi duo notanda: I. fieri imputationem rei ab una persona ad aliam, quomodo justitia Christi ad nos & vicissim, nostra injustitia ad Christum, solo Dei decreto & aestimatione transfertur . . . In qua sane imputatione res absens accipitur & habetur pro praesente: justitia enim Christi, quae IN NOBIS поп est, aestimatur a Deo, quasi in nobis esset; & peccatum nostrum, quod IN CHRISTO поп est, acceptatur a Deo, quasi in ipso esset." 115 Thumm, Impietas, 122: „II. Esse imputationem pretii seu dignitatis, in qua pretium seu dignitas unius rei ad aliam cogitatione & decreto ita transfertur, ut loco illius rei habeatur, quemadmodum deprecatio, fonit, supplet locum innocentiae & fides credenti, supplet locum justitiae, in qua praeclara permutatione, Deus id, quod nostrum est, malum, filio imputat; & quod filii est, bonum, nobis donat, ita tarnen, ut neutrum subjective inhaereat, nec malum Christo, nec bonum nobis, sed per imputationem utrique conferatur", wobei sich Thumm im folgenden auf Röm 4,3 ff. b e r u f t So sei auch Christus nach 2. Kor 5,21 zur Sünde gemacht worden nicht „per mutationem essentiae, sed per imputationem culpae & poenae nostrae, ύπέρ ήμών, nostri loco & quidem eum in finem, ut nos per imputationem meriti Christi, ejficeremurjustitia Dei in ipso" ( a . a . O . , 122). 1,6 Siehe die Schlußfolgerungen, die Thumm, Impietas, 122 f. im Anschluß an die Erklärung des Imputationsbegriffs zieht. 117 Thumm, Impietas, 123: „Illam [seil, justitiam imputatam, Vf.] esse fidei, поп quidem MATERIALITER seu absolute, ratione operis, dignitatis & perfectionis cuiusdam, (sie enim justitia ex operibus esset, fidesque infirma non aeque justificaret) sed relative, respectu obedientiae Christi (quam ceu adaequatum & primarium objectum organice apprehendit & applicat) consideratae." 118 Thumm, Impietas, 124: „Perinde esse, sive dicamus, fidem nobis imputari ad justitiam, sive, justitiam nobis imputari per fidem; cum utriusque phraseos sensus hic emergat; peccatores habentur & reputantur coram Deo justi, quia persolutionem Christi, pro peccatoribus factam, vera fide apprehendunt & sibi applicant. Imputari enim ad justitiam, sumitur vel in se &

Die Entfaltung der Rechtfertigungslehre

205

der Rede von der Zurechnung der Gerechtigkeit Christi erklärt 119 . In Übereinstimmung mit dieser Verteidigung der imputativen Rechtfertigungslehre bestimmt Thumm in seiner Synopse der christlichen Glaubensartikel im Anschluß an die onomatologischen Erwägungen zur Rechtfertigungsterminologie 120 die Rechtfertigung pragmatologisch als den gerichtlichen Akt Gottes, durch welchen Gott dem reuigen und glaubenden Sünder die Sünden aus reiner Gnade nicht anrechnet, sondern ihn durch die zugerechnete Gerechtigkeit Christi für gerecht erklärt zum Lob seiner Gerechtigkeit und Barmherzigkeit und zum ewigen Heil der Gerechtfertigten. 121 Der von Thumm widerlegten Überlegung Weigels, unsere Erlösung könne nicht auf eine rein äußerliche Zurechnung des Leidens Christi bzw. seines Verdienstes zurückgeführt werden, wäre angesichts der paulinischen Aussagen zur Taufe in Rom 6, aber auch im Blick auf den exegetisch wie systematisch im 20. Jahrhundert geltend gemachten Gedanken der inklusiven Stellvertretung Christi eine gewisse Plausibilität nicht abzusprechen, hätte Weigel nicht zugleich die wahre Menschwerdung 122 , die universale Bedeutung des Todes Christi und dessen satisfaktorische und erlösende Bedeutung bestritten. 123 Stattdessen wird bei Weigel - so meint Thumm - der Tod Christi nur als Exempel der durch die essentiell verstandene Einwohnung Christi 124 im Glauben stattfindenden Abtötung des Fleisches verstanden. 125 Nicht zuletzt an diesem Begriff der essentiellen Vereinigung Christi mit dem Christen und der damit verbundenen Bestreitung der Notwendigkeit des geistlichen Amtes zur Verkündigung und Sakramentsverwaltung126 tritt das Problem der ganz auf die Innerlichkeit des Menschen abhebenden Soteriologie Weigels offen zutage. Dabei zielt die im essentiellen Verständnis der Christusvereinigung beinhaltete unmittelbare Identifikation zwischen Christus

formaliter, vel Synecdochice; prion vero fides, Rom. 4. v. 5. propter correlatum suum apprehensum, dicitur imputari ad justitiam." 119 So ausdrücklich Thumm, Synopsis, 519. 120 Siehe dazu Thumm, Synopsis, 509 f. ш Thumm, Synopsis, 510 f. ш Vgl. dazu Wollgast, Philosophie in Deutschland 1550-1650, 559 f. Nach Weigel ist Christus nicht von unserem Fleische und hat nichts Irdisches an sich. 123 Siehe Thumm, Impietas, 111 f. und bes. das Zitat auf 118. ш Vgl. dazu Thumm, Impietas, 115. 125 Siehe Thumm, Impietas, 112 f. ш Siehe dazu Thumm, Impietas, 127 f. Nach der Darstellung von Wollgast, Philosophie in Deutschland 1550-1650, 548, resultiert Weigels Überzeugung, daß der mit Christus vereinte Mensch der sichtbaren Kirche, Zeremonien, Sakramente etc. nicht bedürfe (vgl. dazu auch a.a.O., 561), aus seiner Erkenntnistheorie (vgl. dazu a.a.O., 545 ff., 571 ff.). Zu Weigels Kritik an den Geistlichen und seiner radikalen Verfechtung des allgemeinen Priestertums der Gläubigen vgl. а. а. O., 564 ff.

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in der Tübinger Sicht

und dem Glauben, anhand derer Weigel den Glauben als Leben, Gehorsam und Nachfolge Christi 127 wertet, darauf, den Glauben selbst als sittliche Erneuerung des Menschen durch die vollkommene Abtötung des Fleisches zu begreifen.128 Damit aber steht im Hintergrund der bei Weigel programmatisch vertretenen Konzentration auf die Innerlichkeit des Glaubens letztlich nicht das Interesse an der Heilsgewißheit, sondern das Interesse an der sittlichen Umwandlung des Individuums durch die unmittelbare Einheit mit Christus. Gegen diese Umkehrung der ursprünglichen reformatorischen Interessenlage, die bereits bei Oslander zu einem in ähnlicher Weise problematischen Verständnis der Christusgemeinschaft geführt hatte, setzt sich Thumm für das reformatorische Grundinteresse an der Heilsgewißheit ein. Dabei soll durch das imputative Verständnis der Rechtfertigung sichergestellt werden, daß die Gerechtigkeit des Christen keine ihm essentiell durch die Vereinigung mit Christus inhärierende Qualität ist, die eine vollkommene Abtötung des Fleisches bzw. Ablegung der Sünde zur Folge hätte. Denn eine solche Vorstellung vermag gerade nicht die Heilsgewißheit zu vermitteln, die allein in Christi Heilswerk begründet und erschlossen ist. Thumms entschiedene Rekapitulation der melanchthonischen Rechtfertigungslehre und ihrer Auslegung durch die flacianische Imputationstheorie läßt sich allerdings erst dann richtig einschätzen, wenn man sieht, daß Thumm diese Lehrweise im Unterschied zu Melanchthon gezielt mit dem Gedanken der durch Christus konstituierten Christusgemeinschaft des Glaubens verbindet. So geht es ihm bei seiner Widerlegung der weigelschen Soteriologie keineswegs darum, den Gedanken der Vereinigung des Christen mit Christus abzulehnen, sondern ihn in Abgrenzung gegen Weigel als einen der Vereinigung göttlicher und menschlicher Natur in Christus analogen Kommunikationsvorgang und nicht als unmittelbar essentielle Vereinigung zu denken. Dies wird im nächsten Kapitel näher darzustellen sein. Hier ist dagegen zunächst der Frage nachzugehen, unter welchen Voraussetzungen insbesondere der Tübinger Tradition die Explikation kommunikativer Christusgemeinschaft des Glaubens möglich wird. Diese Voraussetzungen liegen in der von Johannes Brenz auf den Weg gebrachten und von den späteren Tübinger Dogmatikern fortgeführten Reflexion auf die Bestimmung der Person Jesu Christi, die in der Lehre von der Idiomenkommunikation gipfelt.

127

Siehe dazu Thumm, Impietas, 124 f. Vgl. dazu die Kritik von Thumm, Impietas, 151 f. Siehe auch Wollgast, Philosophie in Deutschland, 573.575 f. 128

207

Die Lehre von der Person Christi

3. Die Lehre von der Person

Chnsti

Wenn im folgenden das Augenmerk auf die Explikation der Lehre von der Person Christi durch die Lehre von der Idiomenkommunikation und ihre konsequente Verteidigung im Blick auf die Frage nach der Majestät der menschlichen Natur Christi im Stand der Erniedrigung innerhalb der Tübinger Christologie gerichtet wird, so geschieht dies aus zwei Gründen. Zum einen legt es sich schon von der oben thematisierten eigenständigen Konzeption der Loci bei Hafenreffer und Thumm her nahe, nach der Eigenart der Tübinger Christologie zu fragen. Zum anderen verweist die einzigartige Ausdifferenzierung der Tübinger Christologie auf ein spezifisches soteriologisches Interesse an der universalen Gegenwart der Person Jesu Christi als des menschgewordenen Gottes bei den Menschen, die aller Verkündigung der Verheißung und aller individuellen Heilsaneignung gegenüber vorgängig gedacht wird. 129 Für das Verständnis der Rechtfertigung bedeutet dies faktisch, daß die Präsenz Christi in Person bei den Glaubenden nicht erst durch den Zuspruch der Sündenvergebung und Zurechnung der Gerechtigkeit Christi und deren Annahme im Glauben konstituiert wird, sondern bereits mit der Inkarnation Christi gesetzt ist. Insofern kann die Christusgemeinschaft des Glaubens weder als durch die individuell ergehende Verheißung noch durch deren Annahme im Glauben begründet gelten. Vielmehr wird in der Aneignung der Verheißung durch den Glauben das bewußt realisiert, was von Gott her immer schon der Fall ist. Weshalb sich diese Verhältnisbestimmung von Christuspräsenz einerseits und ihrer individuellen Vermittlung durch Verheißung und Glaube andererseits aus der Tübinger Christologie ergibt, ist im folgenden zu zeigen. a) Die Entwicklung der Lehre von der Idiomenkommunikation Tübinger Dogmatiken

in den

Die oben bereits beschriebene Konzentration der Dogmatik auf die Christologie macht sich in der Tübinger Dogmatik zuerst in Heerbrands theologischem Kompendium geltend. Dabei steht die Tatsache, daß der Locus über die Christologie und insbesondere die Lehre von der Idiomenkommunikation in der zweiten Ausgabe des Kompendiums von 1578130 sehr viel ausführlicher behandelt wird als in der ersten Ausgabe ш

Vgl. Walter Sparn, Krise, 59. Siehe Heerbrand, Compendium 1578, 71-125. In der Ausgabe von 1578 wird außerdem ein Kapitel über die Heilige Schrift vorangestellt. Dafür gibt es kein eigenes Kapitel über die Kindertaufe mehr. Die Rechtfertigungslehre wird zwar etwas ausführlicher behandelt als 1573, erscheint aber dem Inhalt nach unverändert 130

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in der Tübinger Sicht

von 1573 131 , vermutlich in Zusammenhang mit dem Erscheinen der Konkordienformel 1577. Heerbrand entfaltet in seiner Christologie nur die Lehre von der personalen Union und die Lehre von der Idiomenkommunikation, während sich eine eigenständige Behandlung der Ständelehre132 und des dreifachen Amtes Christi bei ihm noch nicht findet Die Lehre von der Idiomenkommunikation wird wie bereits bei Johannes Brenz nicht etwa als ein Zusatz oder als „ein weiteres, nachgeordnetes Kapitel zur Interpretation problematischer Schriftstellen" eingeführt, „sondern ist integraler und konstitutiver Bestandteil des Themas christologischer Personeinheit".133 Die Idiomenkommunikation versteht Heerbrand - in Entsprechung zum Majestätsgenus der Konkordienformel - wesentlich als wahre und reale134 Mitteilung derjenigen göttlichen Majestätseigenschaften an die menschliche Natur, die diese empfangen kann wie Allmacht, Allwissenheit und Allgegenwart.135 Die menschliche Natur Christi ist und

Siehe Heerbrand, Compendium 1573, 2 0 - 3 8 . Die Frage nach der Unterscheidung der Stände Jesu Christi wird von Heerbrand nur im Zusammenhang der Lehre von der Idiomenkommunikation angeschnitten, um im Rekurs auf Phil 2 festzuhalten, daß Christus von der seiner menschlichen Natur mitgeteilten göttlichen Majestät im Stande der Erniedrigung keinen vollen Gebrauch gemacht habe, vgl. Heerbrand, Compendium 1578, 118-124. bes. 120 f. Die Analyse der Aussagen Heerbrands über die Erniedrigung Christi und insbesondere „die übliche Unterscheidung von Besitz und Gebrauch" führen J . Baur zu dem Urteil: „Heerbrand deutet Jesu Erniedrigung als Zurücknahme der ihm mitgeteilten göttlichen Wesenseigenschaften; er muß unter die Ahnen der Gießener gerechnet werden." (Vgl. J . Baur, Auf dem Wege zur klassischen Tübinger Christologie, 229.) 131

ш

133 So formuliert Brandy, Die späte Christologie des Johannes Brenz, 169 im Blick auf Brenz. 134 Vgl. dazu Heerbrand, Compendium 1578, 106 f. 135 Siehe Heerbrand, Compendium 1578, 103 f.: „Quid est communicatio Idiomatum? Cum ea, quae unius naturae in Christo sunt propria, tribuuntur alteri in concreto: & sie de toto Christo accipiuntur, et sunt interpretanda. Quod videlicet divina natura tou logou in Christo, humanae naturae assumptae communicaverit suas proprietates, quae communicari possunt, ita, ut, quod filius Dei habet per naturam, id hominis filius habeat per gratiam, sibi est unione personali communicatum, ut Omnipotentiam, Omnipraesentiam, vivificationem & c." Auf diese Aussage zielt also bereits die Lehre von der unio personalis, vgl. Heerbrand, Compendium 1578, 92 f.: „Et sicut humana natura finita, capax est & fuit in incarnatione, ac personali unione, divinitatis totius tou logou, qui est aeternus Deus, absque sui destruetione & abolitione: Ita etiam capax est proprietatum divinae naturae, Maiestatis, Omnipotentiae, Omniscientiae & c. quibus non destruitur, nec aboletur, sed ornatur & extollitur." Vgl. zur Empfänglichkeit der Naturen auch а. а. О., 111 ff. Dabei wird а. а. O., 95 und öfter bei der Betrachtung der menschlichen Natur in der unio personalis mit dem Logos bzw. der Mitteilung der Eigenschaften auch die Omnipräsenz genannt. All dies kommt der menschlichen Natur aus der koinonia mit dem Logos zu (а. а. O., 93). Gegen die philosophischen Einwände sagt Heerbrand, es gäbe zwei Betrachtungsweisen der menschlichen Natur ( a . a . O . , 94). An sich selbst betrachtet sei die menschliche Natur abgesehen von der Sündlosigkeit genau so beschaffen wie die aller Menschen. Betrachte man sie jedoch so, wie sie in der Vereinigung mit dem Sohn Gottes bestehe, so würden

Die Lehre von der Person Christi

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bleibt dabei nach ihrem Wesen und ihren Eigenschaften begrenzt. Aber sie wird doch durch die Vereinigung mit dem Logos erhöht und kann fortan vom Logos nicht mehr getrennt werden.136 Eine Unterscheidung verschiedener Genera der Idiomenkommunikation wird bei Heerbrand nur angedeutet, indem er die Idiomenkommunikation einleitend allgemein als Übertragung der Eigenschaften der Naturen auf Christus beschreibt, was sachlich der Formulierung des ersten Genus der Idiomenkommunikation in der Konkordienformel entspricht. Im Zuge der Ablehnung der „Inkarnation der divina natura", die später Johann Georg Sigwart in seinen Disputationen über die Augsburgische Konfession korrigieren wird 137 , entfaltet Heerbrand die Idiomenkommunikation im folgenden aber nur einseitig als Kommunikation göttlicher Eigenschaften an die menschliche Natur. Auf diese Weise kommt der Gedanke einer wechselseitigen Idiomenkommunikation nicht hinreichend in den Blick. Heerbrand betont zwar im Kontext der Beschreibung des Mittleramtes Christi, daß Christus nicht allein als Mensch, sondern als der Herr der Herrlichkeit gelitten habe und gekreuzigt worden sei, so daß gelte, daß Gott durch sein Blut seine Kirche begründet habe.138 Aber daß dieser Vorgang Ausdruck der Idiomenkommunikation ist, bringt er nicht zur Geltung. Auch im Blick auf die Frage nach der Allgegenwart Christi nach seiner menschlichen Natur während der Erniedrigung verraten die Aussagen von Heerbrand noch jenes „Schwanken, das für strengeres Denken der Einheit der Person Christi entscheidenden Abbruch" bedeutet 139 und das erst von der späteren Tübinger Christologie überwunden wird. Der Gedanke einer wechselseitigen, aber nicht reziproken 140 Naturenkommunikation 141 , welcher für die soteriologisch notwendige Beteiligung ihr Eigenschaften zugeschrieben, die sonst keine Kreatur besitze, nämlich Allmacht, Allgegenwart (omnipraesentia) und Allwissenheit (a.a.O., 94f.). 136 Vgl. Heerbrand, Compendium, 92. 137 Vgl. dazu J. Baur, Auf dem Wege zur klassischen Tübinger Christologie, 232. 138 Siehe Heerbrand, Compendium 1578, 84: „Et quia non solus homo, sed Dominus gloriae passus & crucifixus est, hoc est, Christus Deus & homo: Deus enim suo sanguine acquisivit Ecclesiam suam: ideo sufficiens precium pro peccatis totius humani generis: quia infinitum meritum." 139 So J. Baur, Auf dem Wege zur klassischen Tübinger Christologie, 228. Siehe zu Heerbrand insgesamt а. а. O., 227-229. 140 Yg] J a z u Gerlach, Assertio, 319: „Nam diversam rationem communicationis propter diversitatem Naturarum esse, supra ostensum est. Et quidem Filius Dei, ut Naturam humanam, ita quoque ipsius proprietates & infirmitates sibi proprias fecit. Non autem ut Filius Dei unitum sibi hominem per Unionem 8c communicationem realem ad propriam celsitudinem adduxit, ut etiam voce abstracta dicatur: Caro Christi est vivifica, hoc est, divina potentia ac virtute vivificandi donata: ita quoque Natura humana divinam ad suam infirmitatem detraxit, ut sicut recte dicitur: Humanitas Christi est Omnipotens: ita quoque nude dicatur: Deitas est passa. Nec ut Deitatis idiomata Naturam assumptam realiter perfecerunt: ita quoque Humanitatis proprietates assumentum infirmarunt." Siehe auch Brandy,

210

. in der Tübinger Sicht

G o t t e s a m L e i d e n 1 4 2 v o r a u s g e s e t z t ist, f i n d e t sich d a g e g e n e x p l i z i t bei d e m Tübinger T h e o l o g e n Stephan Gerlach143, der die christologische Frage n a c h d e r I d i o m e n k o m m u n i k a t i o n n i c h t n u r in s e i n e r , A s s e r t i o p i a e et s a n a e d o c t r i n a e d e d i v i n a m a i e s t a t e Christi h o m i n i s ' v o n 1 5 8 5 in Auseinandersetzung mit Jesuiten und Calvinisten ausführlich behandelt hat, s o n d e r n a u c h seine S c h ü l e r w i e u. a. Lucas O s l a n d e r h ä u f i g ü b e r d i e s e s T h e m a d i s p u t i e r e n ließ. G e r l a c h vertritt d a b e i e n t s c h i e d e n d i e v o n B r e n z g e l t e n d g e m a c h t e E i n s i c h t , d a ß d a s S p e z i f i k u m d e r P e r s o n Christi in d e r K o n s t i t u t i o n ihrer P e r s o n e i n h e i t d u r c h K o m m u n i k a t i o n b e s t e h t . 1 4 4 G r u n d l e g e n d f ü r d i e e i n g e h e n d e A r b e i t i m B e r e i c h d e r C h r i s t o l o g i e ist d a b e i G e r l a c h s Ü b e r z e u g u n g , d a ß das H e i l u n d d a s e w i g e L e b e n u n d d a m i t a u c h d i e L e h r e v o n d e r R e c h t f e r t i g u n g ihr F u n d a m e n t in d e r w a h r e n E r k e n n t n i s Christi h a b e n . 1 4 5 In d e r D i s p u t a t i o n ü b e r d i e I d i o m e n k o m m u n i k a t i o n v o n 1 5 9 6 unters c h e i d e t G e r l a c h drei G e n e r a d e r I d i o m e n k o m m u n i k a t i o n . D a s erste Ge-

Die späte Christologie des Johannes Brenz, 200: „Gottheit und Menschheit wird auf verschiedene Weise etwas mitgeteilt. So gilt zwar uneingeschränkt, daß der Logos der Menschheit seine Majestät und Vollkommenheit mitteilt, nicht aber umgekehrt, daß die Menschheit der Gottheit ihre Schwachheit überträgt. Denn, so lautet der theologische Grund: Die Gottheit ist vollkommen und ihr kann nichts hinzukommen und ihr kann keine Minderung widerfahren. Die Menschheit gibt der Gottheit also nichts und nimmt ihr nichts. Die ,andere Weise' der communicatio besteht vielmehr darin, daß die vollkommene Gottheit selbst sich das menschliche Geschick wirklich zu eigen macht." 141 Siehe zur wechselseitigen Kommunikation der Naturen Christi Gerlach, Assertio, 59 ff., 83, 85, 154. 142 Vgl. dazu Gerlach, Assertio, 322 mit Bezug auf Jakob Andreae: „Passionem & mortem reipsa quoque ad Deitatem Christi pertinere: пес quia Deilas seipsa impassibilis & immortalis sit & maneat, idcirco a morte passionis Christi excludendam esse. Aliud autem est: Deitatem reipsa passam & mortuam esse: quod nemo sanus dicet: & aliud, ad eam, passionem & mortem pertinere. Hoc enim si non sit & ad solam & nudam carnem Christi pertineat: per mortem Christi universum genus humanum Deo reconciliatum non est: infinitae iustitiae divinae non est satisfactum: a potestate Diaboli, a Peccatis, a morte, ab inferno, non redempti, non liberati sumus. Solius carnis finitae mors, ad quam Deltas non pertinet, haec opera quae divinae potentiae sunt, praestare non potest." 143 Vgl. d a z u Brandy, Die späte Christologie des Johannes Brenz, 199 f. 144 Siehe zur Communicatio als Spezifikum Christi in der Brenzschen Christologie Brandy, а. а. О., 168 f. 145 Vgl. dazu Gerlach, Assertio, 1: „QUANDO QUIDEM SALUS ET VITA aeterna in vera cognitione Iesu Christi Filii Dei & hominis consistit: omnem operam & industriam eo conferre nos decet, ne tantus thesaurus vel turpi ignorantia vel opinione perversa nobis pereat." Diese These macht Gerlach auch bereits im Titel seiner Schrift unter ausdrücklichem Bezug auf die Rechtfertigung geltend. Der volle Titel lautet nämlich: „Assertio piae sanaeque doctrinae de divina maiestate Christi hominis: qua respondetur disputationi Nestorianae de Persona Christi, adversus Orthodoxos a Ioanne Busaeo, Professore Moguntino & Antichristiano Fraterculo institutae: simulque evidenter demonstrator, Iesuitas & Calvinistas sua impia doctrina veram & salutarem agnitionem Christi, adeoque fundamentum Redemptionis, Iustificationis & Salutis nostrae convellere."

Die Lehre von der Person Christi

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nus beschreibt Gerlach im Unterschied zu Heerbrands allgemeiner Charakterisierung und vor allem zum ersten Genus, das die FC formuliert, als die reale Annahme der menschlichen Natur und ihrer Eigentümlichkeiten und Schwachheiten durch den Sohn Gottes. 1 4 6 Diese Interpretation des ersten Genus der Idiomenkommunikation wird sich später nicht nur Hafenreffer, sondern auch Leonhard Hutter aneignen, der ausdrücklich betont, daß die Übertragung der Eigenschaften beider Naturen an die Person im Grunde noch keine Idiomenkommunikation bedeutet. 147 Vgl. Gerlach, Disputatio de communicatione Idiomatum duarum naturarum in Christo, These 13, 3. 147 Hutter richtet diese These allerdings nicht gegen FC VIII, sondern - ohne Namen zu nennen - gegen die, die die Übertragung der Eigenschaften beider Naturen an die Person als ein Genus der Idiomenkommunikation ansehen, vgl. Hutter, Loci, Locus II, Cap. III, 155: „Sunt quidem & reperiuntur hodie Theologi minime ignobiles, iique Orthodoxi, qui Quartum Genus adijcere haud dubitant, quod earum sit propositionum, quando de tota persona Christi, utriusque Naturae Idiomata enunciantur: ut Joh. 9,56. Christus est, antequam Abraham fieret... Caeterum cum propositiones hae & consimiles non per Communicationem aliquam, unius naturae idiomata de altera natura vel in concreto in abstracto enuncient: Sed de tota persona praedicent id, quod respectu unius naturae, toti personae recte tribuitur: ideoque in his propositionibus proprie loquendo non videtur esse Communicatio Idiomatum." Vgl. dazu auch a.a.O., 157ff. sowie Hutter, Libri Christinae Concordiae, 803 ff. Betroffen sind von dieser Kritik de facto die Tübinger Theologen Sigwart und Thumm. Die Konkordienformel wird dagegen von dieser Kritik ausgenommen. Denn nach Hutter faßt die FC bei der Bestimmung des ersten Genus zwei verschiedene Arten von Aussagen der Schrift zusammen, nämlich zum einen die Aussagen, in denen Christus als die geeinte Person Subjekt für die Prädikation der Eigenschaft einer der beiden Naturen ist, zum anderen Aussagen, in denen der konkreten göttlichen Natur bzw. dem Sohn Gottes Eigentümlichkeiten der menschlichen Natur zugeschrieben werden, vgl. Hutter, Concordiae, 804 f. Daß diese Interpretation des ersten Genus der FC, welche dieses für die Tübinger Deutung der Idiomenkommunikation offen zu halten versucht, nicht allseits übernommen wurde, zeigt ein Blick in die Loci von Johann Gerhard, der im Anschluß an FC VIII das erste Genus der Idiomenkommunikation als dasjenige bestimmt, „quo utriusque naturae propria praedicantur de Christi persona." (Vgl. Gerhard, Loci I, Locus IV, These 1, Nr. 186, 532) Gerhard betont zwar: „Ab hac sententia minime in diversum abeunt, qui subjecti loco quandoque poni dicunt concretum naturae, quia nomen personae et concretum naturae realiter non differunt." (aaO., 532) Doch votiert er damit für eine weite, sechs Aussageformen umfassende Auslegung des ersten Genus, vgl. а. а. O., 532. Demnach können nicht nur von der geeinten Person des Gottmenschen Attribute beider Naturen prädiziert werden, sondern an die Stelle des Subjekts können auch beide konkrete Naturen treten, von denen dann jeweils Eigenschaften ihrer eigenen oder der jeweils anderen Natur ausgesagt werden (vgl. die Aussagemöglichkeiten а. а. O., 532f.). Daneben rechnet Gerhard а. а. O., These 2, Nr. 193, 536 zum ersten Genus zwar auch die Aussagen, in denen Eigenschaften der menschlichen Natur vom Sohne Gottes prädiziert werden. Doch führt er diese Aussagen nicht wie Hutter auf die Konkordienformel zurück. Im Unterschied zu Gerhard definiert Hutter das erste Genus in engem Sinne wie folgt: „Initio enim occurrunt phrases, quae evineunt, Filium Dei assumendo naturam humanam, simul eius Idiomata sibiipsi ita appropriasse, ut jam ea quae humanitatis sunt propria, non abstractive de sola humana natura fas sit enunciare: sec concretive toti personae sint

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in der Tübinger Sicht

In Umkehrung des ersten Genus bestimmt Gerlach sodann als Aussage des zweiten Genus - in Abweichung von FC VIII - die Selbstmitteilung des Logos an die von ihm angenommene menschliche Natur im Sinne der Mitteilung seiner Allmacht, Allgegenwart, Allwissenheit und der Fähigkeit der Lebendigmachung.148 Auf der Basis dieser ersten beiden Genera nennt er schließlich als das dritte Genus der Idiomenkommunikation das gemeinsame Handeln der beiden Naturen Christi in der Ausübung seines priesterlichen und königlichen Amtes. 149 Die von der FC als erstes Genus benannte Prädikation der Eigentümlichkeiten beider Naturen von der Person fügt Gerlach als viertes Genus der Idiomenkommunikation an. 150 Bei seiner Verteidigung der Lehre von der Idiomenkommunikation gegen Calvinisten und Jesuiten in der Assertio geht es Gerlach zentral um die Aussage der Ubiquität Christi nach seiner menschlichen Natur, weil ohne diese die Rede von der personalen Union und der realen Kommunikation der Naturen fraglich werde. 151 Während die Ubiquität tribuenda: ut quando Act. 20,29. DEUS proprio sanguine redmisse Ecclesiam legitur. Hinc ergo primum Genus Communicationis Idiomatum oritur." (Hutter, Loci, 155) 148 Vgl. zum zweiten Genus der Idiomenkommunikation Gerlach, Disputatio de communicatione Idiomatum, These 22, 4: „Secundum Communicationis Genus inde scaturiginem ducit: quod logos se totum homini assumpto communicavit. Hoc genus omnia ilia recipit enunciata, quibus effertur, quid ultra naturales proprietates & dona finita, Deus Verbum per Unionem hypostaticam carni assumptae contulerit." Vgl. zu den mitgeteilten Eigenschaften die Thesen 29,30,36 und 38 der Disputatio, 6 - 8 . 14 ' Siehe Gerlach, Disputatio de communicatione idiomatum, These 60 f., 12: „Ac secundum hoc genus, operationes & passiones officii Christi ad Totam personam & utramque illius naturam pertinere dicimus, quatenus Utraque Natura agit cum communione alterius quod cuiusque proprium est. . . . Hic quaedam ita comparata sunt, ut Neutra Naturarum absque communione alterius ista praestare potuerit, verbi gratia, pro Genere humani pati, mori, resurgere: Item, caput serpentis conterere, omnes gentes benedicere, mortem & diabolum per mortem vincere." 150 Vgl. Gerlach, Disputatio de communicatione idiomatum, These 63: „His generibus addere übet Quartum: Ubi quaedam personae tribuuntur non secundum utramque, sed secundum alterutram duntaxat naturam: & additur particula distinctive, docens iuxta quam Naturam ista personae competant. v. g. Christus aeternus est, principio & fine carens, secundum Deitatem. Christus ex Maria ortus est, secundum humanitatem." 151 Vgl. dazu das siebte Kapitel der Assertio, 373 ff. Siehe bes. die Interpretation von Ps 110 a . a . O . , 374f.: „Sedere autem ad dextram Dei . . . significat aequalitatem honoris, habitare in plenitudine paternae Maiestatis & eiusdem Throni cum divinissimo spiritu consortem esse . . . Si vero Christus, qua Homo ita in certo coeli loco continetur, ut omnibus rebus nec adsit, nec eas praesenter & potenter cum Deo ubique locorum conservet & gubernet: eiusdem throni cum Deo consors non est, sed in multo angustiori plenitudine & aequalitate paternae maiestatis habitat Huius enim est ubique locorum esse. Cum autem Filius hominis eiusdem throni cum Deo consors factus, sit 8c in communionem plenitudinis ac aequalitatis paternae maiestatis venerit: necesse est ipsum quoque in throno & dextra Dei omnibus rebus praesentem esse, omnibusque dominari, quandoquidem ad dextram Dei sedere, iuxta Pauli expositionem, sit cum Deo regnare & quidem aequalitate honoris, qui

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im Sinne der universalen Präsenz und Herrschaft Christi auch nach seiner menschlichen Natur bei Gerlach noch im Dienste der Aussage der unlöslichen Personeinheit des Erlösers als der Voraussetzung für das Erlösungswerk steht 152 , betont Hafenreffer in seiner Dogmatik die der menschlichen Natur Christi kommunizierte Omnipräsenz nicht nur als Ausdruck der für die Erlösung vorausgesetzten innigen Personeinheit, sondern zugleich als Voraussetzung für die Ausübung seiner universalen Weltherrschaft als König. Im Zuge der Einsicht, daß wahre Erkenntnis Christi nur durch die Erkenntnis seiner Person und durch die Erkenntnis seines Amtes zu gewinnen sei 153 , gliedert Hafenreffer den Locus über Christus in die Lehrstücke von der Person und vom Amt Christi, wobei er innerhalb der Lehre von der Person nicht nur die personale Union und die Idiomenkommunikation, sondern auch die Ständelehre entfaltet. 154 Die personale Union wird bestimmt als eine unauflösliche Verbindung, durch welche der ewige Sohn Gottes in der Zeit die menschliche Natur im Modus realer Gemeinschaft der Naturen und Eigenschaften in die Einheit seiner Person aufgenommen habe. Die Bedeutung der personalen Union des Logos mit der menschlichen Natur sieht Hafenreffer dabei ausdrücklich nicht nur - wie noch Heerbrand 155 und

est in omnes ubique creaturas suum Imperium praesenter exercere." Siehe auch die Disputatio de communicatione idiomatum, These 32, 6: „D. Paulus quidem Unionis modum exprimendo, omnem plenitudinem Deitatis in Christo (respectu Humanitatis) corporaliter inhabitare, aperte pronunciat, Coloss 2. Quid vero Calvinistae? plenitudinem Deitatis etiam extra carnem Christi constituunt: & sie Unionem Personalem solvunt." 152 Vgl. zur Bedeutung der unio personalis und der Idiomenkommunikation für „die Wiederherstellung der durch die Sünde zerstörten Gemeinschaft Gottes mit den Menschen" bei Gerlach auch Brandy, Die späte Christologie des Johannes Brenz, 199. 153 Siehe Hafenreffer, Loci, 303. ш Siehe die Gliederung Hafenreffer, Loci, 304. 155 Heerbrand sieht die Funktion der Lehre von der personalen Union in der Beschreibung der Konstitution der Personeinheit, wie sie für die erlösende Mitdertätigkeit vorausgesetzt ist. Siehe dazu Heerbrands Bestimmung des Amtes Christi in seinem Compendium 1578, 83: „Ut sit redemptor, mediator inter Deum & homines, propitiator pro peccatis humani generis, satisfactio, iustitia, salvator omnium credentium in ipsum." Vgl. dazu die Bestimmung der unio personalis Compendium 1578, 86 f.: „Quid est unio personalis? Est coniunetio, sive copulatio duarum naturarum in Christo, perpetua & inseparabilis, qua persona tou logou, hoc est, filii Dei, in se permanens immutabilis, humanam, non dico Personam, sed naturam, in se quoque cum omnibus Essentialibus suis proprietatibus permanentem, in unam Personam, (quae dicitur Christus) assumpsit, seque ei non nominetenus, sed revera & tarnen ineffabiliter, tanquam μορφή univit, ita ut unum ύψιστάμενον constituant, salvis utriusque naturae substantia & proprietatibus." Vgl. auch die Beschreibung Christi als des Mittlers nach beiden Naturen Compendium 1578, 85 f.: „Quia mediatorem oportet utrique parti esse gratum & aeeeptum & quiddam habere commune, seu partieipare cum utroque. Cum igitur Mediator sit inter Deum & hominem Christus, ipsum quoque in hoc suo officio cum utroque partieipare oportebat & Deum esse. Quia infinitus Deus per peccatiim offensus erat, ideo Mediatorem quoque infinitum esse necesse erat, ut passio ipsius infinitum esset

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in der Tübinger Sicht

Gerlach 156 - in der durch sie vollzogenen Erlösung, sondern ebenso in der ubiquitären Präsenz und Herrschaft des menschgewordenen Gottessohnes bei allen Kreaturen.157 Um die in der personalen Union konstituierte Gemeinschaft von göttlicher und menschlicher Natur nicht nur als innigste, sondern zugleich als Grund der universalen erhaltenden und heilsamen Präsenz des Erlösers in der Welt verstehen zu können, bedarf es nach Hafenreffer des Rekurses auf die Lehre von der Idiomenkommunikation. 158 Diese entmeritum & precium aequivalens. Unde dicitur Iehovah DOMINUS iustitia nostra. Quia vero homo peccaverat, hominem quoque pati & poenas dare oportuit, ас satisfacere. Et quidem sanctum & absque omni labe peccati: alias enim iuste pateretur, nec sibi nec aliis quicquam mereri posset Et qui non debebat obedientiam legi praestare, ut sua obedientia indebita aliis mereretur, ideo hominem quoque, sed sanctum, impollutum, peccatis carentem, esse oportuit. Hic est Christus Dominus noster, Deus & homo unicus Mediator inter Deum & homines." 156 Vgl. Gerlach, Assertio, 89: „ . . . cum Scriptura fidelem sermonem & omni acceptatione dignum profitemur, quod Iesus Christus venit in hunc Mundum, ut peccatores salvos faceret, utque servaret quod perierat, Matth. 18. Ac cum Symbolo Nyceno credimus: Filium Dei propter nostram salutem descendisse & carne assumpta Hominem factum esse." Gerlach wehrt sich dabei gegen den Vorwurf von Busaeus, „Nos iactare unionem TANTUM factam esse causa extollendae Humanitatis" (a.a.O., 88). 157 Hafenreffer, Loci, 309 f. definiert die unio personalis im Anschluß an die Beschreibung der Naturen, die Erklärung des Begriffs der Hypostase bzw. der Enhypostasie und Anhypostasie der vom Logos angenommenen menschlichen Natur wie folgt: „Est duarum in Christo, Naturarum, ineffabili quidem Sc omnem, Rationis humanae captum excedens, indissolubilis tarnen & talis Coniunctio, qua Aeternus Filius DEI, in temporis plenitudine, Humanam Naturam, in Personae suae unitatem, non sine reali Naturarum, earundemque proprietatum koinonia assumpsit: atque in ea, nontantum Redemptionis Opus absoluit, sed iam quoque per eandem, omnibus ubique Creaturis praesens & potenter dominatur." Entsprechend sieht Hafenreffer im Anschluß an Johannes Damascenus das von Gott mit der Inkarnation verbundene Ziel in der dadurch vermittelten Gotteskindschaft, vgl. Hafenreffer, Loci, 311. 158 Siehe Hafenreffer, Loci, 320 f.: „Cur vero in data Definitione, istam unionem non sine Communicatione factam esse dicis? I. Quia divina & humana Natura in Christo non coniunctae sunt, uti dictum est, sicut duo asseres conglutinantur, qui mutua communicatione prorsus nihil participant. Hic enim est infimus Coniunctionis gradus: unio autem personalis in Christo est arctissima 8c perfectissima. II. Neque divina Natura tantum gestat & sustentat Humanam, ne in nihilum redigatur. Sic enim Filius Dei omnes Creaturas sustentat III. Neque Filius Dei tantum implet aut gratiose tantum inhabitat humanam suam Naturam. Nam Deus coelum & terram implet & cum gratia sua habitat in sanctis. IV. Sed est in unione Personali, ipsarum Naturarum admirabilis, arcana & ineffabilis (non Confusio, sed) Communicatio, qua haec Unio, ab aliis omnibus Coniunctionis aut Praesentiae speciebus, toto Genere discrepat: Et sine qua Naturarum Communicatione, nec ipsa Personalis Unio, vel cogitari vel subsistere, nec ulla vera aut realis Idiomatum Communicatio esse potest. Verum, cum hoc Mysterium omnem humanae Rationis Captum superet, ideo, ut vel aliquo modo, admirandae huius Unionis, seu, ut Ecclesia canit, admirabilis commercii, aliquam Cognitionem adduceremur, Prophetae, Apostoli & Christus ipse, tum Filii DEI Nativitatem, Passionem & Mortem, tum Divinam quoque Maiestatem contemplandam nobis proponunt, ad quam Humana Christi Natura EXALTATA est: Ut a posteriori (ex Communicatione videlicet Idiomatum) de priori (communicatione Naturarum) vel aliquid colligere possemus."

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wickelt er aus den personalen Prädikationen der Schrift über den inkarnierten Gottessohn, in denen entweder gesagt wird, der Mensch sei Gott und Gott sei Mensch, oder in denen Aussagen über eine der beiden Naturen auf Christus als Person bezogen werden. 159 Dabei erzielt Hafenreffer mit den „anschließenden Ausführungen De concretis et abstractis" - in Abweichung von der traditionellen Logik 160 - den christologischen Erkenntnisgewinn, daß „der Wesensbegriff einer Natur; also divinitas oder humanitas, unterschieden von den konkreten Bestimmungen Deus und homo, nur noch dem Wortklang nach abstrakt, im Blick auf die vollzogene unio, das eingetretene concrescere, aber kein Abstraktum mehr, sondern ein Konkretum" ist.161 Indem die Naturen somit nur noch als konkrete Abstrakta in den Blick kommen, sind „nicht die Wesensbestimmungen beider Naturen, die ja abgesehen von der Vereinigung gelten", sondern vielmehr „die konkrete Bestimmtheit des Beieinander in der realen Anteilgabe an den Weseneigentümlichkeiten" bei Hafenreffer „das dominierende christologische Moment".162 Auf der Basis der personalen Prädikationen über Christus bzw. über eine seiner beiden Naturen bestimmt Hafenreffer die Idiomenkommunikation, die als logische, aber nicht zeitliche Folge der personalen Union verstanden wird 163 , als wahre und reale164 Teilhabe der göttlichen und menschlichen Eigenschaften, durch welche aufgrund der hypostatischen Vereinigung der beiden Naturen in Christus165 nicht nur die Eigen-

159

Vgl. dazu Hafenreffer, Loci 323-325. Siehe dazu Hafenreffer, Loci, 332: „Quia in Explicatione huius materiae frequens in Scholis mentio fit Abstracti & Concreti: Eadem ne hic Concretorum & Abstractorum significatio & usus est qui in Logicis? Neutiquam vero. Ibi namque vocabula Concreat dicuntur, quae Accidentia subiectis suis inhaerentia Concretaque exprimunt. Ut, Paries est albus, Aqua calida, Nix frigida. Abstracta vero, quae sine subiectis, sola Accidentia, nuda & Abstracta designant . . . Quoniam autem Unionem, non Accidentalem, sed Personalem esse constat: manifestum est, ex Logicis, Concretorum & Abstractorum doctrinam (cuius in Loco de Persona Christi usus sit) non satis пес intelligi пес explicari posse." 161 So J. Baur, Auf dem Wege zur klassischen Tübinger Christologie, 235 f. Vgl. Hafenreffers Unterscheidung zwischen concreta und abstracta Loci, 325-336, bes. 332-334. 162 Siehe J. Baur, а. а. O., 236. 163 Loci, 336: „Unio Personalis & Communicatio Idiomatum, ut prius & posterius differunt. Nam Unio naturae Ordine prior est, non tempore: ab illa, Communicatio Idiomatum, quae Ordinis ratione posterior est, tanquam Effectus dependet." 164 Siehe dazu Hafenreffer, Loci, 337: „Quare dicis Vera & Realis? Quia Communicatio Idiomatum non est nuda praedicatio, seu phrasis & modus tantum loquendi, cui nihil rei aut veritatis respondeat: sed est Reser ita existens, ut verbis exprimitur. Ut: Filius Dei natus est ex Semine David. Filius Hominis habet potestatem Iudicii. Caro Christi est vivifica." 165 Vgl. dazu Hafenreffer, Loci, 337 f.: „... intelligenda est Communicatio Idiomatum, de Naturis IN CHRISTO personaliter unitis, extra quam unionem Naturarum in Christo hypostaticam, de nulla eiusmodi Idiomatum Communicatione, nemo, ne quidem cogitare potest." 160

216

. in der Tübinger Sicht

Schäften beider Naturen der Person, sondern auch Eigenschaften einer Natur der jeweils anderen Natur zugeschrieben werden können. 166 Dabei wird zwar die Wechselseitigkeit der Idiomenkommunikation betont, doch gilt zugleich, daß diese in den personalen Prädikationen explizierte Wechselseitigkeit der Kommunikation beschränkt wird durch die Eigentümlichkeit der Naturen. 167 Während nämlich die göttliche Natur durch ihre Vollkommenheit und Unveränderlichkeit nicht in einen niedrigeren Stand versetzt werden kann, ist die menschliche Natur in ihrer Veränderlichkeit für Vervollkommnung und Erhöhung empfänglich. Angesichts der verschiedenen personalen Prädikationen in der Schrift und den ihnen zugrundeliegenden unterschiedlichen Grundbestimmtheiten der Naturen unterscheidet Hafenreffer anders als Brenz 168 und Heerbrand bei der Explikation der Lehre von der Idiomenkommunikation wie der achte Artikel der Konkordienformel 169 drei Genera der Idiomenkommunikation. Allerdings hält er sich dabei wie schon Gerlach nicht an die von der Konkordienformel angegebene Reihenfolge der Genera der Idiomenkommunikation, sondern behandelt im Anschluß an die Mitteilung der Eigentümlichkeiten des Fleisches an die Gottheit als das zweite Genus die Mitteilung der Eigentümlichkeiten der Gottheit an die Menschheit und erst zum Schluß die Mitteilung der Tätigkeiten. 170 Daß die FC hier anders verfahren sei und das apotelesmatische Genus vor dem Majestätsgenus dargestellt habe 171 , führt Hafenreffer darauf 166 Siehe Hafenreffer, Loci, 336 f.: „Communicatio Idiomatum est Divinarum humanarumque Proprietatum vera & realis Participatio, qua propter Unionem duarum Naturarum in Christo hypostaticam, non tantum utriusque Naturae Idiomata Personae (qua simul DEUS & Homo est) verum etiam alterutrius Naturae Propria, alteri, hoc est, λογώ Humana & assumpto Homini Divina attribuuntur: Et propter eandem κοινονίαν, unaquaque Natura operatur cum Communicatione alterius. Naturis tarnen, earumque Proprietatibus servatis illaesis." 167 Hafenreffer, Loci, 338: „Dicis, mutuam esse proprietatum in Christo alterationem. . . . Ergone eadem est omnis communication's Ratio? Mutua quidem & reciproca est Communicatio proprietatum, sed propter Naturarum in Christo diversitatem, Communicationis ratio non est eadem. Quia enim divina Natura acelsissima 8c immutabilis est, ipsa in se nec in sublimiorem statum evehi, nec deduci potest in humiliorem. Humana vero Natura, quia infirma est Sc mutabilis; perfici ilia & supra propriae Naturae conditionem potuit exaltari. Id quod in sequentibus patebit." 168 Zum Verzicht auf die Unterscheidung verschiedener Genera der Idiomenkommunikation, wie sie erstmals von Martin Chemnitz in seiner Repetitio 1561 ausgesagt wurde, in der Christologie von Johannes Brenz vgl. Brandy, a.a.O., 169. 16 ' Vgl. SD VIII in: BSLK 1028,14-24; 1031,32-39; 1032,1 ff.31-1033,21. Vgl. zur Vorgeschichte des Textes Wenz, Theologie der Bekenntnisschriften, Bd. 2, 684 ff. und zur Beschreibung der genera in SD VIII Wenz, а. а. O., 704 ff. 170 Siehe Hafenreffer, Loci, 349 f. vi Vgl. dazu Hafenreffers Referat der konkordistischen Unterscheidung der Genera der Idiomenkommunikation Loci, 340 ff. In der FC wird zuerst das genus hypostaticum genannt, wonach „dasselbige, was gleich nur einer Natur Eigenschaft ist, nicht der Natur

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zurück, daß letzteres die größten Schwierigkeiten bereitet habe und darum aus darstellungstechnischen Gründen zum Schluß behandelt worden sei. 172 An dieser Erklärung kann man erkennen, daß Hafenreffer nicht an einer Betonung der Differenz, sondern vielmehr an einer grundsätzlichen Übereinstimmung mit der Darstellung der Konkordienformel interessiert ist. Er selbst begründet die von ihm gewählte Reihenfolge der Genera aus der Abfolge von Inkarnation und Erlösung. Während nämlich durch die ersten beiden Genera die Kommunikation der Eigenschaften beschrieben werde, in der Christus als wahrer Gott und wahrer Mensch in einer Person existiere, sei diese Personeinheit für das im dritten Genus ausgesagte gemeinsame Handeln der beiden Naturen im Werk der Erlösung vorausgesetzt. 173 allein, als abgesondert, sondern der ganzen Person, welche zugleich Gott und Mensch ist (sie werde genennet Gott oder Mensch), zugeschrieben" wird (siehe BSLK 1028,19-14, vgl. dazu Hafenreffer, Loci, 340-344). Es folgt das später sog. genus apotelesmaticum, wonach die Person Christi in der Verrichtung ihres Amtes „in, nach, mit und durch beide Naturen" wirkt (BSLK 1031,35 f., vgl. Hafenreffer, Loci, 344). Die Bestimmung des genus maiestaticum wird mit der Frage eingeleitet, „ob dann die Naturen in der persönlichen Vereinigung in Christo nichts anders oder nicht mehr denn nur allein ihre natürliche, wesentliche Eigenschaften haben" (BSLK 1032,3-6, vgl. dazu Hafenreffer, Loci, 344 f.). Im Blick auf die göttliche Natur wird dies bestätigt, weil es bei Gott keine Transmutation gibt, siehe BSLK 1032,9 ff.: „Was nun die göttliche Natur in Christo anlanget, weil bei Gott,keine Veränderung' i s t . . . , ist seiner göttlichen Natur durch die Menschwerdung an ihrem Wesen und Eigenschaften nichts ab oder zugangen, ist in oder für sich dardurch weder gemindert noch gemehret." Dagegen gilt, „daß die menschliche Natur in Christo darumb und dahero, weil sie mit der göttlichen Natur in Christo persönlich voreiniget, als sie nach abgelegter knechtischer Gestalt und Erniedrigung glorificiert und zur Rechten der Majestät und Kraft Gottes erhöhet, neben und über ihre natürliche, wesentliche, bleibende Eigenschaften auch sonderliche, hohe große, übernatürliche . . . praerogativas und Vorzug an Majestät, Herrligkeit, Kraft und Gewalt über alles, was genennet mag werden, nicht allein in dieser, sondern auch in der künftigen Welt empfangen habe . . . " (BSLK 1032,32-1033,9). 172

Hafenreffer, Loci, 349. Vgl. Hafenreffer, Loci, 346 ff.: „Si totum Incarnationis Sc Redemptionis nostrae negotium, uti in Sacris Literis nobis propositum est, Animis nostris pie contemplamur, haec Ordine deprehendimus. Primum, DEUS de salute nostra clementer Sc paterne ab aeterno deliberans, in temporis plenitudine, Filium suum in Mundum misit, factum ex Muliere: atque sic Verbum Caro factu Sc filius DEI Incarnatus est, Hypostaseos suae Unionem assumendo Sc appropriando sibi verum Hominem. Hie ipse Filius Dei, assumptum ex Maria Virgine & in Persona Unitatem Unitum Hominem, in suae Divinae Maiestatis & Celsitudinis Thronum Proprium evexit: atque sie Humanae Christi Natura per Unionem Hypostaticam ad Divinam Maiestatem Sc Gloriam est exaltata. Per Incarnationem itaque Filii DEI, assumendo Hominem in DEUM, Christus constitutes est, qui verus DEUS Sc verus Homo, in una Persona existit: mutua facta Proprietatum Communicatione. Denique hic Christus, Totus Sc secundum utramque Naturam, nostrae Redemptionis Opus, cuius gratia in hunc Mundum venerat, absoluit; pro totius Mundi Peccatis seipsum offerens, factus Sacerdos sempiternus. Ex hisce 8c Genera & Ordo Communicationis Idiomatum eleganter efflorescunt. Nam Logos Filius Dei in Personae suae Unitatem Hominem assumendo, omnes eiusdem m

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Nach Hafenreffer werden wie schon bei Gerlach mit dem ersten Genus der Idiomenkommunikation diejenigen Aussagen zusammengefaßt, in denen Eigenschaften der menschlichen Natur dem Sohn Gottes zugeschrieben werden 174 , so allerdings, daß die göttliche Natur in ihrer Unveränderlichkeit keine dieser menschlichen Eigenschaften in sich selbst empfängt.175 Dabei handelt es sich nach Hafenreffer um eine wahre und reale176 Idiopoiesis und Oikeosis, durch welche der Sohn Gottes, der den wahren Menschen in die Einheit seiner Hypostase aufnimmt, zugleich alle seine Eigenschaften angenommen und sich real angeeignet hat 177 , so daß vom Gottessohn gesagt werden kann, er sei aus der Jungfrau Maria geboren, habe wahrhaft gelitten, sei gekreuzigt und gestorben.178 Dagegen dürfe aufgrund der Leidensunfähigkeit und Unveränderlichkeit der göttlichen Natur nicht gesagt werden, Gott habe seiner Natur nach gelitten.179 Für diese Aussagen des ersten Genus der Idiomenkommunikation ist nach Hafenreffer dabei vorausgesetzt, was die Konkordienformel als erste Regel der Idiomenkommunikation benennt, nämlich daß durch die personale Union Idiome jeder der beiden Naturen der Person Jesu Christi, die zugleich Gott und Mensch ist, zugeschrieben werden.180

Infirmitates & Proprietates assumpsit Idem, suam ipsius propriam Hypostasin, assumpto Homini Communicando: seipsum illi & omnem divinam suam maiestatem Communicavit. Нас mutua Naturarum, earundemque Proprietatum facta Communicatione: Scriptura non tantum de Naturis ipsis: sed de Christo, qui utraque Natura est, easdem enunciat. Quia denique Redemptionis Opus ita comparatum fuit, ut neque Deus solus, neque Homo solus id efficere valeat (neque enim Deus nudus pati, neque Homo nudus vincere potuisset) ad illud efficiendum, utriusque Naturae Operationum mutua Communicatio concurrit." 174 Vgl. Hafenreffer, Loci, 349 und 350: „Primum Communicationis Genus est, quo assumptae Humanae Naturae Propria, de assumente Λογφ seu Filio Dei enunciantur. Sed huic generi & caeteris omnibus in Concordiae Formula, illud Praedicationum Genus praemittitur, quo de Tota Persona Christi, utriusque Naturae Propria, secundum alterutrius (Naturae) Proprietatum enunciantur." 175 Siehe Hafenreffer, Loci, 350.369. 176 Gegen das verbale Verständnis der Idiomenkommunikation im Sinne der Alloiosis bei Calvinisten und Jesuiten wendet sich Hafenreffer, Loci, 412 f. mit einem Zitat von Luther, das er „in Admonitione sua de Coena Domini . . . Tom. 3. Ihenens. fol. 455.b" gefunden hat: „Dann wann ich das glaube/ daß allein die Menschliche Natur für mich gelidden hat/ so ist mir der Christus ein schlechter Heiland/ so bedarff er wol selbst eines Heilands". 177 Hafenreffer, Loci, 357. 178 Hafenreffer, Loci, 358: „Ergone tu, secundum hoc Primum Genus Communicationis, Filium DEI, vere natum ex Maria Virgine & eundem vere passum, crucifixum Sc. mortuum esse, credis? Firmissime. Quanquam enim nasci, pati, crucifigi, mori & c. sint Proprietates Humanae Naturae: Quia tarnen hanc Filius DEI in SUAE Personae Unitatem sibi associavit & APPROPRIAVIT . . . " 179

Vgl. Hafenreffer, Loci, 359. 180 Ygj Hafenreffer, Loci, 349: „ . . . Cui in Concordiae Formula . . . illud Praedicationes Genus praemittitur, quo de Tota Persona Christi, alterutrius Naturae Idiomata enunciantur." Vgl. auch а. а. O., 350.

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K o n z e n t r i e r t sich s o m i t d a s e r s t e G e n u s a u f die M i t t e i l u n g d e r E i g e n schaften der menschlichen N a t u r an den Gottessohn, so bringt das zweite G e n u s in u m g e k e h r t e r R i c h t u n g die w a h r e u n d r e a l e M e t a d i d o s i s

zum

A u s d r u c k , d u r c h die d e r L o g o s als d e r S o h n G o t t e s d e m v o n i h m in d e r Einheit der Person

angenommenen

F l e i s c h sich selbst u n d seine

ganze

g ö t t l i c h e H e r r l i c h k e i t u n d M a j e s t ä t s o mitteilt, d a ß d a s v o n i h m a n g e n o m m e n e Fleisch d u r c h die G n a d e d e r Vereinigung und personalen K o m m u n i k a t i o n h a t , w a s i m m e r d e r L o g o s ist u n d d u r c h sein W e s e n h a t . 1 8 1

Nach

d i e s e m G e n u s e m p f ä n g t die m e n s c h l i c h e N a t u r v o m L o g o s A l l m a c h t , A l l w i s s e n h e i t , die F ä h i g k e i t d e r L e b e n d i g m a c h u n g u n d die O m n i p r ä s e n z . 1 8 2 D a b e i h a n d e l t es sich w i e im e r s t e n G e n u s n i c h t u m e i n e v e r b a l e , s o n d e r n u m eine w a h r e u n d r e a l e K o m m u n i k a t i o n . 1 8 3 D i e d e r m e n s c h l i c h e n N a t u r k o m m u n i z i e r t e A l l g e g e n w a r t b e d e u t e t f ü r d i e m e n s c h l i c h e N a t u r illokale U b i q u i t ä t , d u r c h die C h r i s t u s im S t a n d d e r E r h ö h u n g a u c h n a c h s e i n e r m e n s c h l i c h e n N a t u r allen K r e a t u r e n w i r k s a m g e g e n w ä r t i g i s t . 1 8 4 D a s dritte Genus der Idiomenkommunikation

besagt schließlich

auf

d e r Basis d e r d u r c h die ersten beiden G e n e r a ausgesagten wechselseitigen Kommunikation

der

Naturen

die w a h r e

N a t u r e n im B l i c k a u f d i e H a n d l u n g e n ,

und

reale

Gemeinschaft

die z u m V o l l z u g d e r

der

Erlösung

g e s c h e h e n , s o d a ß C h r i s t u s in, m i t , d u r c h u n d g e m ä ß j e d e r d e r b e i d e n N a t u r e n h a n d e l t . 1 8 5 M i t d i e s e r A u s s a g e ist d a s Z i e l d e r d i e

personale

181 Hafenreffer, Loci, 367: „Secundum Genus Communicationis Idiomatum, est vera & realis metadidosis, qua Logos Filius DEI, Carni suae, in Personae unitatem assumptae, seipsum & omnem divinae suae Celsitudinis gloriam & Maiestatem ita Communicat, ut quacunque Logos est & habet per essentiam, assumpta Caro habeat per unionis & Communicationis personalis gratiam." 182 Hafenreffer, Loci, 369.373. 185 Hafenreffer, Loci, 370 f. 184 Zur Omnipräsenz vgl. Hafenreffers Erläuterung in Loci, 378: „Christus Homo, secundum Naturae suae proprietatem, etiam secundum Naturae Modum, vere in uno tantum loco fuit: sicut Sc etiamnum Corpus ipsius glorificatum, Corpus finitum & circumscriptum manet. Sed quia idem Corpus non tantum Naturale, verum etiam Deificatum Corpus est, nimirum cum Filio DEI, qui sine omni LOCALITATE ubique est Personaliter unitum; ideo Divina & ineffabili ratione, ex Natura Unionis & Communicationis Personalis, Incarnatus Filius DEI assumptam suam Humanam Naturam ubique, sed illocaliter sibi praesentem habet: & iam in Statu exaltationis per eandem praesenter & potenter omnibus Creaturis dominatur." Vgl. ebd. 389: „Filium DEI, neque Loco, sed illocaliter coelum & terram implet, idem etiam supra & extra omnia loca Humanam Naturam in SUAE Personae Unitatem assumpsit, quae IN ipso, citra omnem extensionem, aut locorum dimensionem, ubique praesens est." 185 Siehe Hafenreffer, Loci, 389: „Tertium Communicationis Genus est vera & realis Naturalium & Propriarum, utriusque Naturae in Christo ενεργειών koinonia ad officii Redemptionis apotelesmata producendum: ubi Christus non agit, in, cum, aut per unam, sed in, cum, per & secundum utramque Naturam: adeoque, ut Concilium Chalcedonense loquitur: una Natura agit seu operator, cum Communicatione alterius; quod uniuscuiusque proprium est. Christus enim noster Mediator & Advocatus, Redemptor, Salvator, Iustifi-

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Union explizierenden Idiomenkommunikation erreicht. „Die Rede, daß eine der beiden Naturen allein tätig geworden s e i . . . wird unmöglich". 186 Indem Hafenreffer gewissermaßen als leitende Grundeinsicht seiner Ausführungen hervorhebt, daß die Person geteilt werde, wo immer die Werke der Naturen getrennt würden, ist nach Jörg Baur das „Tübinger Axiom" formuliert, welches dann im Streit zwischen Tübingen und Gießen von neuem geltend gemacht wird. 187 Die von Hafenreffer entwickelte Lehre von der Idiomenkommunikation wird von Theodor Thumm in seiner „programmatischen, offensichtlich Brenz anrufenden" Disputationsreihe über die Majestät des Gottmenschen Jesus Christus von 1620 und in seiner „ozeangleichen" Tapeinosigraphia sacra von 1623 weitergeführt 188 , deren zentrale Aussagen sich in leicht veränderter Form auch in seiner Synopse aller Glaubensartikel nachlesen lassen. Während Hafenreffer das in FC VIII zuerst genannte Genus der Idiomenkommunikation als Voraussetzung der von ihm im ersten Genus beschriebenen Annahme des menschlichen Geschikkes durch den Gottessohn gedeutet hat, bestimmt Thumm in der Disputation über die Majestät Christi das erste Genus in FC VIII, also die Aussagen über die Kommunikation der Eigentümlichkeiten beider Naturen an die Person, wie die FC als das erste Genus der Idiomenkommunikation 189 , unterscheidet dann allerdings davon - die Bestimmung des ersten Genus bei Gerlach und Hafenreffer aufnehmend - die Aussagen über die Idiopoiesis (Zueigenmachung) und Oikeiosis (Zueignung) als das zweite Genus der Idiomenkommunikation 190 , wonach von der göttlichen Natur in der Gemeinschaft mit der menschlichen die Eigentümlichkeiten des Fleisches ausgesagt werden, weil der Logos Fleisch geworden ist.191 Auf diese Weise gelangt Thumm im Unterschied zur Konkordienformel zur Unterscheidung von vier Genera der Idiomenkommunikation, worin ihm Caspar Brochmand folgt 192 . Die im zweiten

cator, Rex, Caput, Summus Sacerdos & Pontifex, Animarumque nostrarum Princeps Pastor est, non secundum unam, sed secundum utramque Naturam." 186 J. Baur, Auf dem Wege zur klassischen Tübinger Christologie, 236. 187 J. Baur, а. а. О., 236. 188 Die Charakterisierungen dieser Schriften stammen von J. Baur, а. а. O., 256. ι« Vgl. Thumm, Majestas, 93; siehe dazu Brandy, Die späte Christologie des Johannes Brenz, 201. In der Synopsis integriert Thumm dagegen dieses erste Genus in das vierte Genus, wonach über den ganzen Christus, die ganze Person oder von einer oder der anderen Natur Eigenschaften der jeweils anderen Natur prädiziert werden, vgl. Synopsis, 357. 1.0 Siehe Brandy, Die späte Christologie des Johannes Brenz, 201 mit Bezug auf Thumm, Majestas, 117. Nach Thumms Synopsis bezieht sich das erste Genus auf die Idiopoiesis oder Appropriatio, vgl. Synopsis, 315. 1.1 Thumm, Synopsis, 322. 192 Vgl. Caspar Erasmus Brochmand, Systema universae theologiae, Editio VI, Ulm 1664,

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Genus ausgesagte Idiopoiesis der menschlichen Eigentümlichkeiten und Gebrechlichkeiten durch den Sohn Gottes versteht Thumm dabei keineswegs als Schwächung der Gottheit durch die Menschheit, sondern vielmehr als von der Gottheit ausgehende aktive Teilnahme am menschlichen Geschick und insbesondere am Leiden. 193 Nach Thumm sind mithin „die Aussagen über das Leiden nun ausdrücklich und gegen frühere Limitierungen der Melanchthonschule auf die Gottheit (nicht nur auf ,Gott') zu beziehen." 194 Damit geht er auf der Basis von Hafenreffers These, daß aufgrund der personalen Union von der göttlichen und der menschlichen Natur Christi nicht abstrakt, sondern nur noch unter Voraussetzung ihrer personalen Vereinigung gesprochen werden könne, über Hafenreffer hinaus. Denn Hafenreffer hatte noch betont, Gott leide „nicht in seiner Natur, sondern qua communicatio idiomatum in seinem eigenen (angenommenen) Fleisch."195 Wird mit den Aussagen des zweiten Genus der Idiomenkommunikation die uneingeschränkte Annahme der menschlichen Natur und ihrer Eigentümlichkeiten durch den Gottessohn ausgesagt, so geht es bei den Aussagen des dritten Genus der Idiomenkommunikation nach Thumm umgekehrt um die wahre und reale Metadosis 196 göttlicher Eigentümlichkeiten, insbesondere der Allmacht und Allwissenheit 197 , an die menschliche Natur. Darüberhinaus lehrt Thumm selbstverständlich auch die durch die personale Union vermittelte Allgegenwart Christi nach vgl. hier: 308. Brochmand handelt im zwölften Kapitel „De idiomatum communicatione" (vgl. a.a.O., 306ff.). Die Genera der Idiomenkommunikation werden wie folgt bestimmt: „Primum Communicationis genus est, quod de tota persona alterius naturae propria enunciantur."(308) „Secundum genus communicationis Idiomatum est vera et realis ίδιοποίια, qua Filius Dei humanam naturam intra suae υποστάσεως unitatem assumendo, omnia ejus idiomata simul assumpsit, sibique non verbotenus, sed reipsa appropriavit adeo ut quae hominis sunt, de Deo Filio verissime enuncientur."(309) „Tertium genus communicationis Idiomatum est vera atque proprie dicta μεταδοσις, qua λόγος carni suae, in personae unitatem assumptae, seipsum & omnem divinae suae eminentiae gloriam & Majestatem ita communicat, ut divina attributa, quae λόγος habet per essentiam, assumpta caro habeat per unionis 8c communicationis gratiam."(310) „Quartum genus Communicationis Idiomatum est vera ac proprie dicta naturalium 8c propriarum utriusque naturae in Christo ένεργείων communicatio, ad unum Redemptionis αποτέλεσμα seu effectum producendum." Für diese Aufzählung von vier Genera beruft sich Brochmand auf die FC, auf Hutter und Johann Gerhard. Leonhard Hutter hat jedoch im Anschluß an die FC nur drei Genera gelehrt (vgl. Hutter, Loci, Locus II, Cap. III, 155), dabei aber das erste Genus im Sinne der Idiopoiesis ausgelegt. 1.3

Siehe Thumm, Synopsis, 323. Vgl. auch Brandy, а. а. O., 201 f. Brandy, a.a.O., 202 mit Bezug auf Thumm, Majestas, 134.124 f. Siehe außerdem die Verweise auf die Melanchthonschule, insbesondere auf Chemnitz a.a.O., 202, Anm. 159. m Brandy, a.a.O., 201. Vgl. Thumm, Synopsis, 333, wo dieses Majestätsgenus allerdings als das zweite Genus genannt wird. 1,7 Thumm, Synopsis, 335. 1.4

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in der Tübinger Sicht

seiner menschlichen Natur. 198 Diese universale Präsenz Christi, die aus der Unendlichkeit der Hypostase des Logos fließt, in der das Fleisch subsistiert199, ist nach Thumm Voraussetzung der in Mt 28,20 verheißenen gnädigen Präsenz Christi, durch die Christus allen Lehrenden, Taufenden und Getauften heilsam gegenwärtig ist.200 Der soteriologische Gehalt dieser im sogenannten Majestätsgenus ausgesagten Teilhabe der menschlichen Natur an den göttlichen Majestätseigenschaften, insbesondere an der Allgegenwart, wird im Zusammenhang der Frage nach der Allgegenwart Christi nach seiner menschlichen Natur im Stand der Erniedrigung zu ermessen sein. Hier ist vorerst nur wichtig zu vermerken, daß für die Lutheraner, insbesondere aber für die schwäbischen Theologen anhand der Frage nach dem Stand der Erniedrigung die Aussage der wahren und realen Mitteilung der göttlichen Majestätseigenschaften an die menschliche Natur in besonderer Weise zum Prüfstein einer konsistenten Verteidigung der Personeinheit Christi avancierte, wie der Streit zwischen Tübingen und Gießen zeigt. Daß auch bei der Formulierung des ersten Genus der Idiomenkommunikation die Funktion dieser Lehre als Explikation der Personeinheit auf dem Spiel steht, wird bereits bei der Auslegung des ersten Genus durch Gerlach, Hafenreffer und Hutter, explizit dann durch Hinzufügung eines vierten Genus durch Sigwarts201 und Thumms Unterscheidung zwischen der im ersten Genus der Konkordienformel ausgesagten Zuschreibung der Eigenschaften beider Naturen an die Person 202 und der im zweiten Genus ausgesagten Idiopoiesis deutlich. Denn diese Unterscheidung zwischen erstem und zweitem Genus geschieht in der Einsicht, daß mit der Übertragung der Eigenschaften beider Naturen an die Person noch keine wechselseitige Idiomenkommunikation im Sinne der Kommunikation beider Naturen ausgesagt wird, wie dies aber für die Entfaltung der innigsten Personeinheit notwendig ist, soll diese nicht als ein Drittes neben den Naturen erscheinen203. Obwohl die Tübinger gerade mit der Aussage der Idiopoiesis für ein gegenüber den Aussagen von Chemnitz und der FC konsequenteres Verständnis der Personeinheit

«β Vgl. Thumm, Synopsis, 340: „Camem Christi omnibus dicimus, unice & unice quia саго haec assumpta est in infinitam dae Personae Trinitatis) & in hac ύποστάσει infinita поп nisi & unice, quia omnis plenitude Deitatis habitat in ... Came 199

rebus Creatis praesentem esse ύπόστασιν του λόγου (secuninifinite subsistere potest; unice assumpta'.

Vgl. Thumm, Synopsis, 339: „ . . . universalem praesentiam, quae fluit ex infinita hypostases tou logou, in qua caro subsistit .. 200 Thumm, Synopsis, 338: „ . . . praesentia gratiosa, qua Christus docentes, baptizantes, baptizatos praesenter speciali gratia beat & conservat . . . " 201 Vgl. J. Baur, Auf dem Wege zur klassischen Tübinger Christologie, 230. 202 Siehe SD VIII, 36, in: BSLK 10,28, 14 ff. 203 Vgl. ähnlich J. Baur, а. а. O., 230.

Die Lehre von der Person Christi

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plädierten, kam es an dieser Stelle nicht wie beim zweiten Genus zum offenen innerlutherischen Konflikt, weil die Tübinger das erste Genus der Konkordienformel gewissermaßen als viertes Genus gelten ließen. Geht es für Thumm im zweiten und dritten Genus der Idiomenkommunikation um die Beschreibung der innigsten Personeinheit durch die wechselseitige Kommunikation der Eigenschaften der beiden Naturen an die jeweils andere Natur, so beschreibt das letzte Genus der Idiomenkommunikation wie schon bei Hafenreffer die wechselseitige Kommunikation der Naturen im Blick auf ihre Tätigkeiten zur Erfüllung des dreifachen Amtes Christi. 204 Das bedeutet nach Thumm, daß zur Ausübung des dreifachen Amtes Christi jede der beiden Naturen in der Gemeinschaft mit der anderen Natur das tut, was ihr eigentümlich ist. Entscheidend ist dabei, daß dies nicht nur für den Stand der Erhöhung, sondern in uneingeschränkter Weise für den Stand der Erniedrigung zu gelten hat. Damit setzt Thumm voraus, was in der vorangehenden Entwicklung der Christologie und eklatant im Streit mit den Gießenern nicht eindeutig bzw. strittig war, nämlich daß Christus bereits im Stand der Erniedrigung auch nach seiner menschlichen Natur sein königliches Amt der Weltregierung wahrgenommen hat und entsprechend allen Kreaturen gegenwärtig war. b) Die Allgegenwart Christi nach seiner menschlichen Natur im Stand der Erniedrigung Den bereits mehrfach erwähnten christologischen Streit zwischen Gießen und Tübingen, der 1616 in Gießen begann und 1621 abgebrochen wurde, bezeichnet man bekanntlich als ,Kenosis-Krypsis-Streit', womit als maßgeblicher Streitpunkt die Frage angezeigt wird, ob sich der inkarnierte Gottessohn im Stande der Erniedrigung den seiner menschlichen Natur mitgeteilten göttlichen Majestätseigenschaften entäußert habe oder ob er sie auch während seines irdischen Daseins in uneingeschränkter Weise nicht nur besessen, sondern auch in seinem Weltumgang gebraucht habe. Letztere Auffassung vertraten die Tübinger Theologen gegen die Gießener Theologen Balthasar Mentzer und Justus Feurborn. Dabei ist im Anschluß an Jörg Baur zu bemerken, daß die in diesem Zusammenhang häufig verwendete Charakterisierung der Tübinger als Kryptiker zwar „griffig, aber sachlich falsch" 205 ist. Denn Thumm hat großen Wert darauf gelegt, „daß die Erniedrigung nicht als bloße Krypsis" zu deuten sei, sondern als das differenzierte Zugleich von „Verhüllung der kommunizierten Majestät der Menschheit, als Krypsis" einerseits und dem 204 205

Siehe Thumm, Synopsis, 351. Vgl. J. Baur, Auf dem Wege zur klassischen Tübinger Christologie, 262.

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in der Tübinger Sicht

„Verzicht auf den vollständigen reflexiven - i. e. für sich selbst vollzogenen - Gebrauch." Das bedeutet konkret, daß Christus in der Ausübung seines königlichen Amtes die seiner menschlichen Natur mitgeteilte Majestät verhüllt gebraucht habe, während er zur Ausübung seines priesterlichen Amtes auf den reflexiven Gebrauch seiner Allmacht verzichtet habe. 206 Die christologische Grundeinsicht, die den Tübinger Theologen durch Mentzers Gegenposition möglicherweise erst in vollem Maße zu Bewußtsein gekommen ist und die sie fortan vehement verteidigen, besteht darin, daß der mit der Inkarnation gesetzte Tatbestand der Annahme der menschlichen Natur durch den Logos, wie er sich in der Kommunikation göttlicher und menschlicher Natur in der Person vollzieht, „in keiner Weise und an keinem Stück wieder rückgängig gemacht werden darf" 2 0 7 . Bedeutet die Annahme der menschlichen Natur durch den Gottessohn in der Inkarnation die Erhöhung der menschlichen Natur in die Einheit der Person, so kann die Erniedrigung in keiner Weise als eine „Aufhebung der Wirklichkeit der Kommunikation und der Erhöhung" verstanden werden. Denn aufgrund „des inneren Konnexes von Personeinheit und Idiomenkommunikation wäre das nichts anderes als die aufhebende Rücknahme des Personseins." 208 Mit der diese Grundeinsicht respektierenden Deutung der Erniedrigung schreibt Theodor Thumm das Anliegen von Johannes Brenz fort, wenngleich „auf einem anderen Reflexionsniveau". 209 Folgt man den Forschungsergebnissen von Jörg Baur, so kann von einer einheitlichen Entwicklung der Tübinger Christologie von Brenz bis hin zu Thumm allerdings nicht ausgegangen werden. Vielmehr hat man es innerhalb der schwäbischen Christologie nach Brenz mit schwankenden Bestimmungen zu tun, was die Beschreibung der persönlichen Vereinigung der Naturen in Christus in Verbindung mit den Aussagen über den Gebrauch der göttlichen Majestätseigenschaften nach der menschlichen Natur während der Erniedrigung anbelangt. 210 Jörg Baur zeigt dies für die Zeit nach der Konkordienformel zunächst an kirchlich-theologischen Stellungnahmen. 211 Dabei ist nach Baur noch ungeklärt, wie sich der etwa von Lucas I. Oslander vertretene ,gemäßigte Ubiquismus', durch den „schon vor der Konkordienformel die gegenüber Chemnitz verschiedene Akzentuierung nahezu ausgeglichen" wurde, tatsächlich zu Brenz 206 Vgl. Brandy, Die späte Christologie des Johannes Brenz, 223 f. unter Verweis auf Thumm, Tapeinosigraphia, 201, Theorema I. 207 J. Baur, Auf dem Wege zur klassischen Tübinger Christologie, 262. 208 Brandy, а. а. О., 206. 209 Vgl. dazu Brandy, а. а. O., 223-225. 210 Siehe J . Baurs Ausführungen über die .Ungeklärte schwäbische Christologie' in: ders., Auf dem Wege zur klassischen Tübinger Christologie, 213-217. 211 Vgl. die rückblickende Bemerkung J . Baurs, а. а. O., 226.

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225

verhält.212 Jedenfalls zeugt „die von Andreä, Heerbrand, Gerlach, Lucas I. Oslander, Andreas Oslander, Matthäus Hafenreffer u. a. in der Vorrede ausdrücklich verantwortete Schrift gegen Hof(f)mann von 1589"213 davon, daß im Zuge der Unterscheidung zwischen Besitz und Gebrauch der der menschlichen Natur mitgeteilten göttlichen Majestät im Stande der Erniedrigung die Erniedrigung doch „als partielle Rücknahme der Unio personalis verstanden" wurde. 214 Von diesem Problem sind auch die christologischen Überlegungen Heerbrands in seinem theologischen Kompendium nicht frei, wie Jörg Baur gezeigt hat. 215 Denn obwohl Heerbrand mit seiner Bestimmung der personalen Union betont, der Sohn Gottes habe seine Eigentümlichkeiten mit der angenommenen menschlichen Natur gemeinsam und wirke durch sie alles, implizieren seine Äußerungen über Erniedrigung und Erhöhung Jesu Christi doch, daß er zwischen Besitz und Gebrauch der Majestätseigenschaften im Stande der Erniedrigung deutlich unterscheidet und daß nach seiner

212

Vgl. J. Baur, a.a.O., 214. Vgl. J. Baur, a.a.O., 215. Lucas I. Oslander behandelt die Christologie in seiner Institutio noch wie Heerbrand im Anschluß an die Gottes- und Trinitätslehre. Wie die Überschrift des Locus anzeigt, geht es ihm dabei wesentlich um die Inkarnation Christi als dem größten aller Wunder (vgl. Oslander, Institutio, 121), welches er zunächst als Annahme der menschlichen Natur durch den Gottessohn (a.a.O., 124f.) und näherhin durch die Kommunikation der Eigenschaften beschreibt, die auf die Erhöhung der menschlichen Natur durch Teilhabe an der göttlichen Allwissenheit, Allgegenwart und Allmacht zielt. Vgl. Oslander, Institutio, 130: „Porro duae in Christo naturae non tantum ita sunt unitae, ut in omnem aeternitatem nunquam amplius separentur: verum etiam est inter eas talis communicatio, ut humana quidem natura divinam non reddat, infirmiorem, aut imbecilliorem: divina vero natura humanam exaltet, eique suam maiestatem & virtutem communicat." Vgl. zur Mitteilung der Majestätseigenschaften Institutio, 132 f. Im Anschluß daran wird die Erniedrigung beschrieben als Verbergen der Majestätseigenschaften durch partiellen Verzicht auf deren Gebrauch, insbesondere aber als Verzicht auf die sichtbare Demonstration der Allmacht abgesehen von den Wundern, vgl. Institutio, 134 f.: „Poterat enim scire & facere omnia, semper, si voluisset: sed aliquandiu noluit plena ilia sua maiestate divina uti. Si enim ea usus esset semper, quis ausus fuisset eum vincire, conspuere, flagellare, ad mortem condemnare, crucifidere? . . . Ergo Jesus Christus etiam in humanitate sua erat in forma Dei, hoc est, divina maiestate semetipsum, neque ostentavit divinam suam maiestatem & omnipotentiam, nisi quando miraculis Veritas doctrinae Evangelicae confirmanda erat, tum eam ex parte exeruit: ut cum propria, (non aliena) potentia cacis visum, surdis auditum, mutis loquelam restituit, quando claudos restituit, leprosos mundavit, daemones eiecit, mortuos excitavit. Alioquin suam maiestatem sub servili forma & infirmitatibus humanis occultavit. Postquam vero officium redemptionis absoluit, ingressus est in plenam maiestatem & suscepit (quatenus homo) plenissimam administrationem coeli 8c terrae: id quod Paulus appellat, ESSE IN GLORIA DEI PATRIS. Quare ista occultatio maiestatis divininae, quam Christus habebat, sed non semper exercebat, non privat filium hominis sua ilia maiestate, qua omnia novit, omnia potest & ubique praesens in coelo & in terra omnia gubernat". 213

214 215

J. Baur, a.a.O., 216. Vgl. zu Heerbrand J. Baur, а. а. O., 227-229.

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Vorstellung „ vor der Erhöhung der Sohn Gottes ohne seine Menschheit am universalen Werk ist".216 Diese Sichtweise wird von Aegidius Hunnius in seinem Büchlein über die Person Christi und ihre zur Rechten Gottes sitzende göttliche Majestät von 1585 unterstützt durch „die Unterscheidung von actus primus und secundus", die es für den Stand der Erniedrigung ermöglicht, „die der Menschheit mitgeteilten göttlichen Idiomata je als ruhende Möglichkeit" zu denken. 217 Um dabei dem Einwand zu entgehen, die als Gemeinschaft der Naturen verstandene Personeinheit werde aufgehoben, eliminiert Hunnius für die Erniedrigung „die Beziehung auf die Welt aus dem Binnenverhältnis von Menschheit und Gottheit Jesu" 218 , ohne sich daran zu stören, daß nach dieser Sicht der Inkarnierte sein universales Weltverhältnis in der gleichen Weise wie vor der Menschwerdung ohne Partizipation seiner Menschheit wahrnimmt, „die er zwar angenommen hat, aber nun in merkwürdiger ,Intimität' bei sich selbst hält." 219 Während erstaunlicherweise „die Tübinger Theologen des endenden 16. Jahrhunderts den bei Hunnius nun schon in Gestalt fortgeschrittener Reflexion auftretenden faktischen Widerspruch zu Brenz nicht erkannten" 220 , wurde die Restriktion der Mitteilung der göttlichen Allgegenwart an die menschliche Natur auf eine intime Präsenz ohne Ausübung im Weltverhältnis in Wittenberg von Salomon Geßner und Leonhard Hutter und in Nürnberg von Johann Schröder kritisiert.221 Das soteriologische Interesse, welches diese Kritik leitet, wird bei Geßner besonders deutlich. Gegen „die Vieldimensionalität der den Menschen bedrohenden Gefährdung" weist nämlich Geßner darauf hin, daß das „soteriologische Werk Christi, die Gegenwart in der Kirche", nicht „von seinem bewahrenden und rettenden Wirken" in der Welt getrennt werden darf. Der Sinn der Mitteilung der Allgegenwart an die menschliche Natur in der personalen Union besteht gerade darin, daß „der ganze Christus in seinem universalen Werk, auf das wir Erd- und Raumgebundenen angewiesen sind, ,nach beiden Naturen, der göttlichen und menschlichen, überall im Himmel und auf Erden gegenwärtig sei.'"222 Um eine entsprechende Gegenwart Christi ohne Abbruch aussagen zu können, ohne in Aussagen zu verfallen, die den wahren Vollzug der Erniedrigung unmöglich erscheinen lassen, leistet Geßner „den entscheidenden Reflexionsschritt, der es er216

J. Baur, Auf dem Wege zur klassischen Tübinger Christologie, 228 f., Zitat 228. Vgl. J. Baur, a.a.O., 217. 218 J. Baur, a.a.O., 217. 219 J. Baur, a.a.O., 218. 220 J. Baur, a.a.O., 218. 221 Vgl. dazu den Abschnitt über die „Vorläufer der späteren Tübinger" bei J. Baur, a.a.O., 219ff. 222 Siehe J. Baur, a.a.O., 221. 217

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lauben wird, die quantitierenden Halbheiten im Verständnis der Erniedrigung und ihrer Bedeutung für die der Menschheit Jesu kommunizierten göttlichen Idiomata hinter sich zu lassen", indem er die Entäußerung Phil 2 nur als Verzicht auf den reflexiven Gebrauch der göttlichen Majestät interpretiert. 223 Diese Einsichten der sächsischen Theologen werden in die Konzeption der klassischen Tübinger Theologie eingehen, doch finden sich die Ansätze dazu erst bei Matthias Hafenreffer. Dagegen zeichnet sich die Position von Heerbrand, wie gesagt, noch durch besagtes Schwanken in den Bestimmungen aus, das letztlich in die später von den Gießener Theologen vertretene Sichtweise einmündet. 224 Ahnliches gilt auch für Johann Georg Sigwart, der zwar wertvolle Anregungen von Stephan Gerlach für die Bestimmung der Genera der Idiomenkommunikation aufnimmt, aber doch die Vorstellung von der intimen, den Weltumgang kaum einschließenden Präsenz Christi nach seiner menschlichen Natur übernimmt und insofern wie Heerbrand „unter die Vorläufer Balthasar Mentzers" zu rechnen ist. 225 Im Unterschied dazu versucht Hafenreffer insbesondere durch seine Lehre von der konkreten und abstrakten Natur die personale Union als unhintergehbare Gemeinschaft der Naturen in der Idiomenkommunikation zu denken. Paradigmatisch dafür ist die Formel Hafenreffers: „Wenn der eine stirbt und der andere allmächtig ist, ist die unio aufgelöst." 2 2 6 In der in den Loci entfalteten Ständelehre, deren Sinn nach Hafenreffer darin besteht, daß wir Christus als den Retter erkennen 227 , unterscheidet Hafenreffer den Stand der Erniedrigung vom Stand der Verherrlichung und vom Stand der Majestät. 2 2 8 Die Unterscheidung zwischen dem Stand der Verherrlichung und dem Stand der Majestät ist dabei notwendig, um anzuzeigen, daß die Majestät Christi im Unterschied zur Verherrlichung des Leibes nach der Auferstehung 229 von keinem Geschöpf erreicht werden wird. 230 J . Baur, а. а. O., 223. Vgl. das Urteil von J . Baur, а. а. O., 229. 225 Vgl. zu Sigwart im einzelnen J . Baur, Auf dem Wege zur klassischen Tübinger Christologie, 229-234. 226 Übersetzung des Zitats aus den Loci („Si alius mortuus est et alius omnipotens, soluta est unio.") nach J . Baur, а. а. O., 237, der eine andere Ausgabe als Vf.in benutzt. 227 Siehe Hafenreffer, Loci, 402. 228 Hafenreffer, Loci, 399. 229 Die Lehre von der Auffahrt Christi in den Himmel behindert nach Hafenreffers Auffassung die Lehre von der Omnipräsenz Christi nach seiner menschlichen Natur nicht, weil Christus nicht wie ein Heiliger in den Himmel, sondern über alle Himmel aufgestiegen sei und alles erfülle. Daher sitze er auch nicht zur Rechten des Vaters als an einem bestimmten Ort, sondern zur Rechten der Allmacht und göttlichen Majestät, die Gott selbst ist, vgl. Hafenreffer, Loci, 402. 230 Hafenreffer, Loci, 400 f. 223

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In Bezug auf die Erniedrigung lehrt Hafenreffer, daß Christus während derselben die in der Inkarnation einsetzende volle Usurpation der göttlichen Majestät verborgen habe. 231 Aber die positive Aussage, daß Christus nach seiner menschlichen Natur im Stand der Erniedrigung allem gegenwärtig war, wird in den Loci noch nicht getroffen. Dagegen ist in einem Brief an Kepler wenige Monate vor Hafenreffers Tod eindeutig, daß Hafenreffer die nach Jörg Baur „in den Loci noch angedeutete praesentia-intima-Theorie" nicht oder jedenfalls nicht mehr vertreten kann. 232 Wird durch Hafenreffers Loci „der noch bei dem gleichaltrigen Sigwart erkennbare Schwundprozeß der württembergischen Christologie zum Stehen" gebracht 233 , so entwickelt sich die Tübinger Christologie zu ihrer Vollgestalt anläßlich des Streites mit dem Gießener Theologen Balthasar Mentzer. Der Streit wurde ausgelöst durch Disputationsthesen vom Oktober 1616, die Mentzer gegen das kurz zuvor auf der Frankfurter Buchmesse vorgelegte Buch über die Person Christi von Matthias Martini richtete. 234 In diesen Thesen vertrat Mentzer in der Auseinandersetzung mit der reformierten Sicht Martinis die These, daß das gnädige Wirken Christi in der Kirche, von dem auch Martini ausging, die Präsenz des Wirkenden und also seine Allgegenwart voraussetze. Dabei plädierte er für ein Verständnis der Allgegenwart, wonach diese nicht als eine absolute Eigenschaft Gottes zu denken sei wie die Unendlichkeit oder die Unermeßlichkeit, sondern wesentlich als ein göttliches Handeln.235 Mit dieser ganz am Handeln orientierten Deutung der Gegenwart Christi nach seiner menschlichen Natur gab er die Rede von der universalen Präsenz Christi nach seiner menschlichen Natur im Stand der Erniedrigung unumwunden preis, wohl in dem Interesse, „den von Jesuiten und Calvinisten erhobenen Vorwurf der Absurdität gegen die Allgegenwart des Fleisches Christi aus dem Feld zu schlagen"236. Gegen die Gleichsetzung von Gegenwart und Handeln wandten sich sofort Mentzers Kollegen Winckelmann und Gisenius - „ein unermüdlicher Parteigänger der Tübinger" 237 - , worauf Mentzer aber nur mit verschärfter Polemik reagierte. Der Streit im Gießener Theologenkollegium verbrei-

231 Hafenreffer, Loci, 401: „Non novam quidem, quoad Possessionem: sed illius INFINITAE, quam ab Incarnationis momento per Unionis gratiam habuit, in Statu vero Exinanitionis, sumpta servili forma, occultavit, plenariam usurpationem." 232 Vgl. dazu J. Baur, Auf dem Wege zur klassischen Tübinger Christologie, 238 f. 233 J. Baur, а. а. O., 239. 234 Vgl. dazu J. Baur, а. а. O., 240 f. 235 Siehe das Zitat in dem Artikel , Mentzer, Balthasar, I.' von Erwin Preuschen in: RE 3 12 (1903), 634, 43-46. 236 J. Baur, a.a.O., 241 f., Zitat auf 242. 237 So J. Baur, а. а. O., 249.

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tete bald Rumor im Lande Hessen und wurde daher auf Betreiben von Landgraf Ludwig V. am 20. Januar 1617 durch den Darmstädter Rezeß geschlichtet, der eine Ausgleichsposition formulierte und von allen Beteiligten unterschrieben wurde. 238 Trotz dieses formalen Ausgleichs ist die Differenz zwischen Mentzer und seinen Gießener Gegnern Winckelmann und Gisenius tief. Das zeigen Disputationsthesen Winckelmanns vom April/Mai 1617, in denen Winckelmann die Gegenwart Gottes als substantial Anwesenheit in der Welt deutet und darin die Voraussetzung für die Providenz Gottes durch sein Handeln erblickt. 239 Da diese substantiale Gegenwart als aus der Unermeßlichkeit und Unendlichkeit Gottes resultierende Gegenwart gedacht wird, folgt für Winckelmann, daß Gott der von ihm geschaffenen Welt nicht nicht gegenwärtig sein kann. 240 Das soteriologische Interesse Winckelmanns an der substantialen Gegenwart Gottes tritt dabei deutlich hervor im entsprechenden Verständnis der Gegenwart Christi. „Man darf nicht meinen . . . es werde der Kirche nur die Gnade und die Hilfe Christi verheißen; sondern vielmehr auch die Gegenwart der Person selbst".241 Um die persönliche Gegenwart Christi „als Ort meines Heiles", deren Voraussetzung in der Unermeßlichkeit Gottes und seiner substantialen Gegenwart besteht, geht es Winckelmann. Denn die „Gegenwart Christi selbst, sein Da-sein, ist der vorauslaufende Grund meiner Gegenwart in ihm. Gottes Präsenz in Christus trifft zusammen mit der Präsenz des Christen in Christus." 242 Mit diesem Gedanken entspricht Winckelmann völlig dem soteriologischen Anliegen, welches die Tübinger Theologen von Mentzer Abstand nehmen läßt. Dennoch kann Winckelmann nicht als Parteigänger Tübingens gelten, weil er eine Beteiligung an der universalen Providenz Christi nach seiner menschlichen Natur während der Erniedrigung nicht denken kann. 243 Wie aber kam es anläßlich dieser in Gießen geführten Debatte zum Eingreifen der Tübinger und damit zum eigentlichen Kenosis-Krypsis-Streit244 ? 238 J. Baur, а. а. O., 252. Siehe zum Inhalt des Dokuments J. Baur, а. а. O., 248 f. Vgl. zum Verlauf des Streits auch RE 3 12, 635, 5 ff. und O. Ritsehl, Dogmengeschichte, Bd. 4, 182. 239 Vgl. dazu J. Baur, а. а. O., 249. 240 Siehe das Zitat aus der 68. Disputationsthese Winckelmanns, wiedergegeben bei J. Baur, a.a.O., 250. 241 So übersetzt J. Baur aus der 73. Disputationsthese Winckelmanns, vgl. a.a.O., 251. 242 So interpretiert J. Baur, а. а. O., 252 das Anliegen Winckelmanns anhand von dessen „geniale(r) Verknüpfung von Kol 1,19 u. 2,9 f.", die er in der 85. Disputationsthese vollzieht: „In dieser einen Person aber habe ich alles, was mir zum Heil notwendig ist; in ihr gefiel es der ganzen Fülle zu wohnen; in ihr sind wir vollendet, Kol 1,19 und 2,9 und 10." (Ubersetzung von J. Baur, ebd.) 243 So J. Baur, а. а. O., 252. 244 Vgl. zu diesem Streit im einzelnen RE 3 10, 261 f., O. Ritsehl, Dogmengeschichte,

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Die Beteiligung der Tübinger an der Gießener Debatte geht zurück auf die zuerst im November 1616 an Hafenreffer gerichtete Bitte Mentzers um eine Stellungnahme zur in Gießen diskutierten Streitfrage. 245 Auf diese Bitte antwortet Hafenreffer nicht, was Jörg Baur auf gewisse Ermüdungserscheinungen durch zuvor ausgetragene christologische Differenzen zurückführt, in denen Hafenreffer Mentzers Hartnäckigkeit erleben durfte. 246 Auch auf die zweite Anfrage Mentzers im September 1618 rührt sich Hafenreffer zunächst nicht. Inzwischen regt sich aber in Württemberg verschiedentlich massiver Unmut über die Disputationen gegen Crocius, die Mentzer seinem zweiten Ersuchen um eine Stellungnahme in einem Schreiben an Hafenreffer vom 10. September 1618 beigelegt hatte. Schließlich verfaßt Lucas II. Oslander 247 , der 1619 nach Tübingen berufen worden war, das von der Fakultät beschlossene Antwortschreiben an Mentzer, welches Hafenreffer, Oslander und Thumm unterzeichnen. In diesem Antwortschreiben vom 1. September 1619 tritt die ursprünglich in Gießen debattierte Frage nach dem Verständnis der Allgegenwart Christi in den Hintergrund. Nach der Zusammenfassung der Auffassung von Mentzer, welche die Tübinger in diesem Schreiben formulieren, verstehen die Gießener die unio personalis nur als mittelbare Voraussetzung, die Verheißung dagegen als die angemessene und unmittelbare Voraussetzung der Allgegenwart des Fleisches Christi. Diese werde nicht durch Anwesenheit, sondern durch Handlung definiert und allein dem Stande der Erhöhung zugehörig gedacht. 248 Dieser Position widersprechen die Tübinger in allen Punkten, indem sie betonen, die Allgegenwart des Fleisches Christi hänge „ganz und allein an assumptio, conjunctio und Perichorese". Die göttliche Verheißung bestimme „nur allerdings als fundamentum proximum - die Weise der Gegenwart des schon Allgegenwärtigen" und qualifiziere sie „als sakramentale, gnadenhafte oder gloriose". Da der Stand der Verherrlichung Christi diese allgemeine, durch die personale Union begründete Allgegenwart bereits voraussetze, gehöre die Allgegenwart auch zum Stande der Erniedrigung, die durch die Erhöhung nur als gloriose Allgegenwart konstituiert werde. Und schließlich wird gegen die Gießener betont, daß die Allgegenwart nicht durch die Handlung zu beschreiben sei.249 Hinsichtlich der Auseinandersetzung über den Begriff der Allgegenwart, von der die ganze

Bd. 4, 180 ff., der sich u.a. auf Johann Gerhards Darstellung in Loci theologici, Bd. 4, Tübingen 1765, 61 ff., Dorner, 787 ff. und Thomasius, 579 ff. bezieht, sowie die bei Nüssel, Bund und Versöhnung, 106, Anm. 93 angegebene Literatur. 245 Vgl. das Zitat bei J. Baur, Auf dem Wege zur klassischen Tübinger Christologie, 247 f. 246 Siehe J. Baur, а. а. O., 248. 247 Vgl. zu Lucas II. Oslander J. Baur, a.a.O., 255f. 248 Vgl. J. Baur, а. а. O., 262. 249 Siehe J. Baur, а. а. O., 264.

Die Lehre von der Person Christi

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Debatte ausging, läßt sich dabei mit Otto Ritsehl feststellen, daß der Kenosis-Krypsis-Streit faktisch eine „zugespitzte Erneuerung des alten Gegensatzes zwischen den Lehren von der Ubiquität der Menschheit Christi und seiner Multivolipräsenz" darstellte 250 . Ist damit der Gegensatz zwischen Tübingern und Gießenern im Kenosis-Krypsis-Streit benannt, so muß im folgenden die unterschiedliche theologische Interessenlage der beiden Parteien näher betrachtet werden. Mentzers Äußerungen vom Beginn des Streites in Gießen bis hin zu seinem Antwortschreiben an die Tübinger vom 8. Oktober 1619 lassen dabei durchgängig erkennen, daß er zwar gegen die Reformierten an der Aussage der Allgegenwart des Fleisches Christi festhält, daß er sie aber wesentlich als spezielle Gegenwart des Erhöhten bei den Frommen verstanden wissen will. „Mentzer geht es um den Gott, der zu dem Frommen kommen und von den Gottlosen weit weg ist."251 Diese Gnadengegenwart des Erhöhten wird als wesentlich tätige Gegenwart gedacht 252 . Da nämlich für Mentzer Gegenwart an sich nackt und nutzlos ist253, kann er nicht schon die Präsenz der Person Christi an sich selbst, sondern erst dessen gnädiges Wirken als Sinn seiner Allgegenwart verstehen. Diese gnädige Allgegenwart setzt nach Mentzer zwar die Allgegenwart des Logos an der Stelle der menschlichen Natur Christi in der personalen Union auch im Stande der Erniedrigung voraus, doch wird diese Allgegenwart im Stande der Erniedrigung nur im Sinne der intimen Präsenz verstanden. Danach gilt für Mentzer, daß Christus zwar während der Erniedrigung „wo und wie immer er es gemäß der vollsten Freiheit seines Willens gewollt habe, auch mit seiner Menschheit habe gegenwärtig sein können", daß er aber erst „im Stande seiner Erhöhung, allen Kreaturen auch schon mit seinem dominium universale gegenwärtig" sei.254 Damit geht bei Mentzer eine Unterbewertung der Bedeutung der personalen Union der göttlichen und menschlichen Natur Christi „für die Gegenwart Christi bei uns" 255 einher. Denn für die gnädige Präsenz Christi bei 250 So O. Ritsehl, Dogmengeschichte, Bd.4, 182; vgl. dazu auch ders., a.a.O., 70-106 (Kap. 58: Die Entwicklung der Lehren von der Ubiquität und von der Multivolipräsenz der Person Christi). 251 Vgl. dazu J. Baur, а. а. O., 265 f. Zitat auf 246. 252 Vgl. bereits Mentzers 10 Kurzthesen vom Winter 1616/17 im VI. Band der Gießener Theologischen Disputationsthesen, Gießen 1617, 406 f., These 7, zitiert bei J. Baur, а. а. O., 247. 253 Vgl. die 7. und die 10. Kurzthese der Thesen vom Winter 1616/17, zitiert nach J. Baur, а. а. O., 247, Anm. 188 und 189: „ . . . accurate tendendum discrimen inter praesentiam per se, nudam, solam, otiosam, ut ab operatione distinguitur... et inter praesentiam activam vel efficacem"(These 7); „... testimonia de praesentia Christi gratiosa exponuntur non de nuda sive otiosa praesentia sed efficaci, nempe de operatione gratiae . . . " (These 10) 254 So O. Ritsehl, Dogmengeschichte, Bd. 4, 183. 255 J. Baur, Auf dem Wege zur klassischen Tübinger Christologie, 265.

232

. in der Tübinger Sicht

seinen Kreaturen „hat die persönliche Einung schlechthin keine Bedeutung mehr" 256 . „Die unio wird ins Oberhalb der Geschichte abgeschoben ...; die Gnadengegenwart beim frommen Menschen aber - und dafür schlägt Mentzers Herz! - , das Heil in der Zeit wird davon weit geschieden. Die persönliche Einung ist nicht angemessenes, geschweige denn alleiniges Fundament der Gegenwart von Heil." 257 Dagegen liegt den Tübingern alles daran, die in der Einung der Naturen konstituierte Personeinheit Christi nicht nur als unhintergehbaren Grund der Allgegenwart Christi nach seiner menschlichen Natur 258 , sondern eben darin als die mit der Inkarnation konstituierte Art und Weise der Gegenwart Gottes bei und in seiner Welt zu denken. 259 Diese Allgegenwart Gottes in Christus wird nach Auffassung der Tübinger nicht erst durch Gottes gnädiges Wirken in der Verheißung zugeeignet, wie Mentzer meinte, indem er die Verheißung als „die angemessene und direkte Voraussetzung" der Allgegenwart bestimmte, sondern geht der Verheißung voraus und wird durch diese „angezeigt und ausgeteilt" bzw. als „sakramentale, gnadenhafte und gloriose" qualifiziert. 260 Indem sich aber in der Erhöhung der menschlichen Natur durch die Annahme derselben der Logos in seiner Allgegenwart an die menschliche Natur bindet, so daß Gott fortan der Welt nicht anders als in Christus präsent ist, ist die Gegenwart des Heils der Verheißung immer schon vorgängig. Dafür wiederum ist die in der Annahme der menschlichen Natur durch den Logos konstituierte Personeinheit Christi in der Inkarnation von grundlegender Bedeutung. Würde sie im Stande der Erniedrigung auch nur durch partiellen Verzicht auf den Gebrauch der der menschlichen Natur Christi mitgeteilten göttlichen Majestätseigenschaften im Weltverhältnis eingeschränkt, so bedeutete dies nach Tübinger Auffassung eine Zurücknahme des Personseins für die Zeit der Erniedrigung und damit die Infragestellung der Person Christi als Ort des Heils. Unter diesem Gesichtspunkt verbietet sich auch der Gedanke einer Restriktion der Allgegenwart Christi nach seiner menschlichen Natur

256

J. Baur, а. а. O., 266. J. Baur, а. а. O., 266. 258 J. Baur, а. а. O., 262 f. 259 Siehe dazu die Beschreibung der Tübinger Position bei Spam, Krise, 59: „Wie die Personeinheit Christi selber nicht immer schon Tat ist, sondern Dasein, Wohnen usw., so ist auch die Präsenz Christi nicht erst bewirkte Tat Christi, sondern seine Gegenwart als er selbst . . . , die sich durch die besonderen Verheißungen Christi dann allerdings näherbestimmt. Die Erhöhung der Menschheit zu Gott in der Personeinheit Christi bedeutet, das ist der fromme Sinn der Tübinger Argumentation, in keinem Augenblick die Abwendung Gottes von der Welt, sondern umgekehrt immer seine Zuwendung zu ihr als der menschgewordene Gott." 260 Vgl. J. Baur, Auf dem Wege zur klassischen Tübinger Christologie, 262, 264 f. 257

Die Lehre von der Person Christi

233

während der Erniedrigung auf die intime Präsenz. Denn wäre der Logos nach der Inkarnation der Welt nicht nach der von ihm angenommenen menschlichen Natur gegenwärtig, so wäre die Personeinheit eingeschränkt bzw. aufgelöst. Hinter dieser konsistenten Verteidigung der personalen Union steht die soteriologische Einsicht, daß nicht erst die erlösende Mittlertätigkeit, sondern die Person Christi selbst Grund der Versöhnung und des Heils ist. Zwar wird auch bei Leonhard Hutter 261 , Salomon Geßner, Johann Schröder 262 und später auch bei Johann Gerhard 263 die Notwendigkeit der permanenten Präsenz des Logos an der

261

Vgl. Hutter, Concordiae, 887. Siehe auch die Aussagen zum Stand der Erniedrigung in den Loci, Locus II, Cap. III, 189, wo Hutter allerdings wie die Gießener zwischen actus primus und actus secundus unterscheidet und die Erniedrigung als Entäußerung des vollen Gebrauchs der Allgegenwart versteht, so daß Christus im Stand der Erniedrigung nach dem Fleisch den Kreaturen nicht wirksam gegenwärtig war. Vgl. zur Mitteilung der Allgegenwart an die menschliche Natur ders., Loci, Locus II, Cap. III, 180-187. 262 Zu Geßner und Schröder vgl. J. Baur, Auf dem Wege zur klassischen Tübinger Christologie, 219 ff. 263 Siehe Gerhards Aussagen über die Mitteilung der Allgegenwart an die menschliche Natur in der Entfaltung des zweiten Genus der Idiomenkommunikation, Loci Teil I, Locus IV, Nr. 218, 555: „Quod Christus etiam secundum humanam naturam opera vere divina efficiat, patet ex eo: 1. quia in coelo ac terra potentissime gubernat, quod praesens ac potens Christi dominium omnipraesentia vocatur. Oberservandum enim omnipraesentiam, quae Christo secundum humanam naturam tribuitur, in duplici significatione ab orthodoxis quibusdam theologis accipi. Primo, ut notet praesentiam carnis ad Λόγον ас Λόγου ad carnem per . . . indistantiam ex unione et περιχωρήσει personali immediate profluentem. Quia enim caro Christi in primo statim incarnationis momento in ipsam Λόγου ύπόστασιν est effecta eidemque personaliter unita, ideo post factam incarnationem nec ό Λόγος est extra carnem nec caro extra Λόγον, ас proinde ό Λόγος nunquam et nuspiam est a carne separatus, nec caro a Λόγφ divulsa, sed, ubi ponis Λόγον, ibi etiam te oportet carnem ponere, ne introducatur Nestoriana personae ex utraque natura subsistentis divulsio . . . " Doch die damit ausgesagte intime Präsenz der menschlichen Natur Christi beim Logos und umgekehrt unterscheidet Gerhard sogleich von der Präsenz des Menschensohnes bei allen Kreaturen, die erst mit der Erhöhung beginne, vgl., а. а. O., 556; siehe auch die Beschreibung der Erniedrigung а. а. O., Nr. 303, 597 als „retractio usus et intermissio, qua Christus homo in forma servili constitutus et infirmitate tectus divinam potentiam, gloriam et majestatem vere et realiter sibi communicatam non semper exseruit, set retraxit et retinuit, donec tempus exaltationis sequeretur." Im Blick auf das Verständnis der göttlichen Allgegenwart nimmt Gerhard eine vermittelnde Position ein. Wie die Tübinger deutet er die Allgegenwart als eine aus der Unendlichkeit Gottes resultierende Eigenschaft Gottes, die mit seiner Unermeßlichkeit identisch ist, vgl. Gerhard, Loci Teil I, Locus II, Thesen 171 f., 320, bes. These 172: „Haec immensitas et essentialis Dei omnipraesentia ita intelligenda est, 1. quod Deus non tantum virtute et efficacia, nec tantum visione et scientia, sed etiam tota et individua sua essentia sit omnibus rebus praesens, neque enim tantum potentia et scientia, etiam essentia est immensus et infinitus." Dann aber unterscheidet Gerhard zwischen der Allgegenwart „radiculites prout respectum habet ad ipsum DEUM essentia infinitum et immensum", und der Allgegenwart „relative, prout respectum habet ad creaturas, quibus ita praesens est DEUS, ut eas conservet et gubernet" (Gerhard, a.a.O., Nr. 181, 326). Im zweiten Sinne ist die Allgegenwart kein essentielles Attribut Gottes, sondern

234

. in der Tübinger Sicht

Stelle der menschlichen Natur für die Konstitution der Personeinheit Christi betont. Doch erst die Tübinger machen im Streit mit Mentzer deutlich, daß dies notwendig und uneingeschränkt auch die Präsenz des Fleisches bei allen Kreaturen im Stand der Erniedrigung impliziert. Im Zuge dessen beharren sie gegen Mentzers Konzeption der Allgegenwart darauf, daß die aus der Unermeßlichkeit Gottes resultierende und der vom Logos angenommenen menschlichen Natur mitgeteilte Allgegenwart Gottes von der Allmacht und gnädigen Wirksamkeit Christi als deren konstitutive Voraussetzung zu unterscheiden ist. Die auf diese Weise erreichte Aussage von der Selbstbindung Gottes an die Welt durch seine substantiale Weltgegenwart impliziert für Mentzer die Bestreitung der Freiheit des Schöpfungsaktes und damit „eine unerträgliche Abhängigkeit Gottes von der Welt". 264 Doch dieses theologische Grundproblem, welches die Tübinger zum Rekurs auf die Trinitätslehre hätte veranlassen müssen, scheint in der Debatte nur am Rande aufgetaucht und nicht eigens diskutiert worden zu sein. Überhaupt geht der Briefwechsel zwischen Tübingen und Gießen nach der Antwort der Tübinger an Mentzer vom September 1619 nur mühsam weiter. Auf den letzten Brief Mentzers vom 6. Februar 1621 antwortet Thumm nicht mehr. Der Streit wird schließlich durch die „Solida verboque dei et libro Concordiae congrua decisio" sächsischer Theologen 1624 zugunsten der Gießener Position geschlichtet, ohne daß damit eine innere Einigung zustandegebracht worden wäre. Der Tod Mentzers 1627 und der dreißigjährige Krieg führen dazu, daß die Kontroverse nicht weiter ausgefochten wird. 265

4.

Zusammenfassung

Ausgehend von der Beobachtung, daß in der Tübinger Dogmatik ansatzweise bereits bei Heerbrand, deutlich dann bei Hafenreffer und Thumm - eine verstärkte Konzentration auf die Christologie zu verzeichnen ist, wurde in diesem Kapitel zuerst die Frage untersucht, wie die entsprechende Umgruppierung des dogmatischen Stoffs vorgenommen wurde und wie diese zu verstehen ist. Dabei hat sich gezeigt, daß beginnt mit der Zeit bzw. mit der Schöpfung (ebd.). Die damit formulierte Differenz zwischen essentieller Unermeßlichkeit und relativer Allgegenwart dient christologisch dazu, die Allgegenwart Christi nach seiner menschlichen Natur aussagen zu können, ohne zugleich die essentielle Unermeßlichkeit seiner menschlichen Natur zu behaupten (vgl., a.a.O., These 182, 326). 264 So J. Baur, а. а. O., 273. 265 Vgl. RE 3 12, 635, 44 ff.

Zusammenfassung

235

Hafenreffer und ihm folgend Thumm die Christologie nicht mehr im Kontext der Entfaltung der Trinitätslehre verorten, sondern innerhalb der Soteriologie. Indem die Christologie in die Lehre von der Person und in die Lehre vom dreifachen Amt Christi unterschieden wird, kann sie innerhalb der Soteriologie eine doppelte Funktion wahrnehmen. Zum einen expliziert sie durch die Lehre von der Personeinheit des Erlösers das Inkarnationsgeschehen und die Geschichte Jesu Christi als den Grund des Glaubens, zum anderen demonstriert sie durch die Lehre vom dreifachen Amt, wie Christus selbst als Prophet, König und Priester das in ihm beschlossene Heil vermittelt, indem er den Glauben wirkt, die Kirche sammelt und durch seine Fürbitte dafür sorgt, daß die Angefochtenen aus seinem verdienstvollen Leiden und Sterben Heilsgewißheit erlangen. Dabei wird im Unterschied zur Konzeption der Loci nach melanchthonischem Modell bei Hafenreffer und Thumm ein direkter Zusammenhang zwischen der Christologie und der Lehre vom Glauben hergestellt. Denn der Glaube gilt als Wirkung des prophetischen Amtes Christi, welches die individuelle Aneignung des Heils gewährt. Demgegenüber erscheint die Rechtfertigung, die im melanchthonischen Denken als Konstitutionsgrund des Glaubens verstanden wird, als Wirkung der priesterlichen Tätigkeit Christi, die bei Hafenreffer erst im Anschluß an die prophetische und die königliche Wirksamkeit beschrieben wird. Daß Hafenreffer das priesterliche Wirken Christi ganz entscheidend auf die Überwindung der Anfechtung durch die Fürbitte konzentriert, unterstützt den aus seiner Konzeption sich bereits nahelegenden Eindruck, daß die Wohltat der Rechtfertigung den durch das prophetische Amt gewirkten Glauben an Christus und die königliche Präsenz Christi in seiner Kirche voraussetzt. Die Rechtfertigung, die Heerbrand, Hafenreffer und Thumm ganz im Sinne des melanchthonischen Verständnisses als Zurechnung der Gerechtigkeit Christi entfalten, gewinnt in diesem Kontext die Funktion, den durch seine Sünde angefochtenen Glaubenden unter Verweis auf die Zurechnung der Gerechtigkeit Christi dessen zu vergewissern, daß ihn seine Sünde nicht von Christus als dem Grund seines Heils trennt, weil er aus Glauben und nicht aufgrund von Werken gerecht ist. Der Glaube kann und muß dann zwar wie in der melanchthonischen Tradition als Instrument bestimmt werden, durch welches die Gerechterklärung ergriffen wird. Doch besagt die Hafenreffersche Konzeption, daß der Glaube, der Christus vertraut, nicht erst durch das Zurechnungsurteil, sondern durch Christi prophetische Selbstmitteilung konstituiert wird, daß aber der Glaubende aufgrund seiner vorfindlichen Existenz der Vergewisserung durch die Rechtfertigungsbotschaft bedarf, auf die sich nach Hafenreffer die priesterliche Fürbitte um Sündenvergebung bezieht. Die damit verbundene Umkehrung der Verhältnisbestimmung von

236

. in der Tübinger Sicht

Glaube und Rechtfertigung, durch die sich die Hafenreffersche Konzeption von der melanchthonischen Tradition abhebt, findet sich ansatzweise auch schon bei Heerbrand, obwohl dieser die Christologie noch nicht in der gleichen Weise als Konstitutionsgrund für die Erkenntnis und Vermittlung des Heils entwickelt. Sie trifft sich in formaler Hinsicht auch mit der logischen Vorordnung des Glaubens bei Calixt, ist aber bei Hafenreffer anders als bei Calixt christologisch begründet. Die umfassende soteriologische Bedeutung des dreifachen Amtes Christi für die individuelle und universale Heilsaneignung, die Hafenreffer und Thumm geltend machen, ist begründet in dem besonderen Personsein Jesu Christi, das in der Lehre von der Person Christi expliziert wird. Während Thumm diese Lehre im Streit mit den Gießener Theologen, insbesondere Mentzer, konsequent zuende denkt, leistet Hafenreffer dafür entscheidende Vorarbeit, indem er anders als Heerbrand die unlösliche Vereinigung des Gottessohnes mit der Menschheit durch die Inkarnation als unhintergehbare Voraussetzung für das Verständnis aller Aussagen über die Idiomenkommunikation ansieht. Das bedeutet, daß von der göttlichen Natur des Gottmenschen angesichts der Inkarnation nicht mehr rein abstrakt, sondern nur noch konkret abstrakt unter Berücksichtigung ihrer Vereinigung mit der menschlichen Natur zu sprechen ist. Die personale Vereinigung besagt dabei, daß sich der Sohn Gottes die menschliche Natur mit allen ihren Eigentümlichkeiten und Schwächen zu eigen macht und ihr umgekehrt seine Majestätseigenschaften mitteilt, so daß in der geeinten Person beide Naturen gemeinsam handeln. Thumm führt diese Überlegungen nicht nur im Blick auf das Leiden Gottes, sondern auch im Blick auf das Verständnis der Erniedrigung Christi konsequent durch. Wichtig ist dabei das Anliegen, die Person Jesu Christi als die unlösliche Gemeinschaft der göttlichen und menschlichen Natur zu denken, in welcher die Menschheit angenommen und erhöht wird, ohne daß die göttliche Natur ihre Gottheit verliert. Aufgrund der Annahme der menschlichen Natur durch den Logos in der Inkarnation ist die menschliche Natur Christi nach Tübinger Sicht nicht nur dem Logos, sondern auch allen Kreaturen bereits von der Inkarnation an gegenwärtig. Eine Beschränkung der Allgegenwart auf die intime Präsenz der menschlichen Natur beim Logos unter Ausschluß des Weltverhältnisses im Stand der Erniedrigung, wie sie in der Gießener Traditionslinie behauptet wird, würde dagegen bedeuten, daß der Logos auch nach der Inkarnation noch ohne die menschliche Natur bei allen Kreaturen präsent sein könnte, was einer Rücknahme der in der Inkarnation konstituierten Personeinheit Christi gleichkäme, gegen die sich die Tübinger Theologen durchgängig verwahren. Ebensowenig ist für Thumm ein Verzicht auf die Wahrnehmung der Allgegenwart der menschlichen Natur Christi im Stand der Erniedrigung denkbar, weil

Zusammenfassung

237

die Allgegenwart nicht wesentlich durch Tätigkeit bestimmt verstanden wird, auf deren Gebrauch verzichtet werden könnte. 266 Bedenkt man die gedankliche Leistung der Tübinger in der Debatte mit den Gießenern, deren spezifische Ausrichtung bei Brenz grundgelegt ist, so ist diese - auch wenn man dem gesamten Ansatz unter modernen Bedingungen Bedenken entgegenbringen mag - nicht als konsequente Spekulation in Auseinandersetzung mit der damaligen Ontologie abzutun. Es geht vielmehr wie in der Gießener Tradition um die Verteidigung eines bestimmten soteriologischen Anliegens. Während die der Gießener Tradition zuzuordnenden Theologen die Verheißung als Konstitutionsgrund der Vermittlung und Aneignung des Heils betonen und dementsprechend auf eine der Vernunft möglichst einsichtige Lehre von der Erniedrigung und Erhöhung Christi drängen, die das Menschsein Jesu als wahres Menschsein präsentiert, geht es den Tübingern darum, Christus in seiner durch die Idiomenkommunikation vermittelten Personeinheit als den der Verheißung immer schon vorgängigen alleinigen Grund und Ort des Heils zu verstehen, in dem Gottheit und Menschheit so vereinigt sind, daß die Menschheit von Gott angenommen und erhöht und die Person Christi allen Kreaturen gegenwärtig ist. Die soteriologische Bedeutung der in dieser Weise konsequent gedachten Personeinheit liegt hier somit nicht allein darin, die Person Christi als diejenige zu beschreiben, die ein zurechenbares Verdienst für die Sünde der Menschen erbringt. Denn damit erschiene Christus in seiner Person nur als Instrument und nicht zugleich auch als Ort der Gegenwart des Heils. „Nur wenn Christi Personeinheit selbst als der Vollzug des admirabile commercium, des ,fröhlichen Wechsels', zwischen Gottheit und Menschheit erkannt wird, ist das Wort von Christus Evangelium, will sagen: begründete Ansage der neuen Wirklichkeit im Zueinander von Gott und Mensch, das in Christus neu ist als sich durchdringende, aber nicht verschwimmende unendliche Gemeinschaft von Gott und Mensch, in die hinein wir anderen im Glauben . . . hineingerissen und versetzt werden" 2 6 7 . Um diese Einsicht geht es der klassischen Tübinger Christologie im Anschluß an Luther und Brenz. Von daher erklärt sich nicht nur der hartnäckige Widerstand gegen die Gießener Position, sondern auch die 266 D e r G e d a n k e , daß die der menschlichen N a t u r mitgeteilte Majestät ihre universale Gegenwart impliziert, findet sich bereits in der Apologie des Maulbronner Gesprächs, vgl. J . Baur, а. а. O., 215, Anm. 56. N a c h d e m die damit verbundene A b s a g e an die Unterscheidung zwischen Besitz und Gebrauch der Allgegenwart zwischenzeitlich von den Tübingern selbst in der Auseinandersetzung mit H o f f m a n n vernachlässigt worden war, weisen die Tübinger im Streit mit den Gießenem wieder darauf hin, daß die Unterscheidung zwischen Besitz und Gebrauch bei der Allgegenwart nicht denkmöglich ist, so J . Baur, а. а. О., 215. 267 S o formuliert J . Baur, Lutherische Christologie im Streit um die neue Bestimmung von G o t t und Mensch, in: Luther und seine klassischen Erben, 149.

238

. in der Tübinger Sicht

oben beschriebene Aufwertung der Christologie und die entsprechende Neukonzeption der dogmatischen Loci bei Hafenreffer und Thumm. Ob und in welchem Maße die Verteidigung dieses theologischen Anliegens an die Rekapitulation der Bestimmungen der damaligen Seinsmetaphysik 268 notwendig gebunden ist und ob man über die Tübinger und Gießener Theologie hinausgehend heute nicht berücksichtigen muß, daß die Erkenntnis der Konstitution der gottmenschlichen Person Jesu Christi in der Inkarnation und die Behauptung der Allgegenwart Christi nach seiner menschlichen Natur bei allen Kreaturen im Stand der Erniedrigung die Gesamtbetrachtung des Lebens Jesu Christi einschließlich der Erhöhung voraussetzt, bedürfte sicherlich eingehender Diskussion auf der Basis einer umfassenden Sichtung und Beurteilung des damaligen Diskussionsstandes. Dies ist jedoch hier nicht zu leisten. Im Kontext dieser Untersuchung ist nun vielmehr zu fragen, ob und in welcher Weise die christologische Einsicht der Tübinger in der Lehre von der Heilsaneignung umgesetzt wird.

268 Zur Ausbildung der Seinsmetaphysik im Rahmen der Schulphilosophie und zu deren Entwicklung vgl. Siegfried Wollgast, Philosophie in Deutschland 1550- 1650, 128-220.

KAPITEL V

Christusgemeinschaft und Rechtfertigung Dokumentiert die Zuordnung von Christologie, Glaubensbegriff und Rechtfertigungslehre in der Tübinger Dogmatik und die dort ebenfalls vorgenommene spezifische Ausprägung der Christologie das Interesse, die Präsenz der Person Jesu Christi als Grund des Heils in den Vordergrund zu rücken, so führt die Auseinandersetzung mit der Position Valentin Weigels, die beinahe zeitgleich mit dem Kenosis-Krypsis-Streit einsetzt, dazu, die Bedeutung der Rechtfertigung für das Sein des Menschen vor Gott eingehender zu reflektieren und ein eigenes Lehrstück von der mystischen Vereinigung mit Gott auszubilden. In diesem Kapitel soll zunächst die Entstehung dieses Lehrstücks dargestellt werden, um sodann die verschiedenen lutherischen Deutungen der mystischen Vereinigung des Glaubenden mit Gott daraufhin zu befragen, ob sie das Potential zu einer Lösung der mit der imputativen Rechtfertigungslehre verbundenen material-dogmatischen Probleme enthalten.

1. Die Voraussetzungen der unio-Lehre in der reformatorischen und konkordistischen Theologie Unbeschadet der unterschiedlichen Auffassungen über die Gegenwart der Menschheit Christi im Abendmahl teilten die Reformatoren ausgehend von zahlreichen Schriftstellen einhellig die Anschauung von der Einwohnung Christi in den Gläubigen.1 Dabei wurde die Einwohnung Christi im 16. Jahrhundert auch bereits gelegentlich als mystische Einwohnung bezeichnet; doch etablierte sich diese Charakterisierung erst im 1 Z.Jahrhundert in dem feststehenden Begriff von der unio mystica.2 1 Vgl. dazu z. В. O. Ritsehl, Dogmengeschichte, Bd. 4, 192 f., der auf M t 28,20; 1. Kor 6,19; Gal 2,20; Eph 5; 1. Joh und die Abschiedsreden Jesu im Johannesevangelium verweist. Siehe auch ders., D a s Theologumenon von der unio mystica in der späteren orthodox-lutherischen Theologie, in: Harnack-Ehrung, Leipzig 1921, 3 3 5 - 3 5 2 . Wichtiger noch sind die Ausführungen von Η . E. Weber, Reformation 1/1, 46 ff., weil er zeigt, daß die Reformatoren im Zuge ihrer „ursprüngliche(n) Aneignung der reformatorischen Erkenntnis" (so die Uberschrift des ersten Kapitels) das Wesensgeheimnis des Glaubens in der Christusgemeinschaft und in der Verbundenheit mit Gott erblickten und den Glauben somit als persönliches Gottesverhältnis auffaßten. 2

Siehe O. Ritsehl, a . a . O . , 193.

240

Christusgemeinschaft und Rechtfertigung

Bei Luther ist das Verständnis der Einwohnung Christi in den Glaubenden geprägt von der durch den fröhlichen Wechsel zwischen Christus und dem sündigen Menschen konstituierten und durch die Ehemetapher veranschaulichten Vereinigung des Glaubenden mit Christus.3 Der klassische Text hierfür ist die Freiheitsschrift von 1520.4 Denn Luther beschreibt hier die Gottesgemeinschaft des Glaubens zuerst durch das Bild der Vereinigung des Eisens mit dem Feuer5, dann als ein Geschehen der gegenseitigen Anerkennung des rechtfertigenden Gottes und des vertrauenden Menschen 6 und schließlich durch das Gleichnis der Ehe zwischen Christus und der Seele7. Grundlegend ist für ihn dabei, daß diese Gemeinschaft des Menschen mit Christus und darin mit Gott selbst allein durch den Glauben begründet wird, weil der Glaube Gott die Ehre gibt8, ihm Wahrheit zuschreibt und so das erste Gebot und darin auch alle anderen Gebote erfüllt.9 Ist der Glaube somit die Gerechtigkeit des Menschen, so werden dem Menschen um des Glaubens willen die Sünden vergeben.10 Wie bereits aus der Hebräerbriefvorlesung von 1517/1518 deutlich wird, entspricht die durch den Glauben begründete Gemeinschaft mit Christus nach Luther der unio personalis Christi.11 Denn in „der gleichen Weise, wie die Eigenschaften der göttlichen Natur Christi auf Grund der Einheit der Person mit der menschlichen Natur kommunizieren, kommuniziert die Gerechtigkeit Christi aufgrund der durch den Glauben entstan-

3

Vgl. dazu O. Bayer, Das Wunder der Gottesgemeinschaft, 325-327, 332. So Bayer, а. а. O., 322. 5 WA 7, 24,30ff. Vgl. die Zusammenfassung von Bayer, a.a.O., 331. 6 Vgl. den elften Abschnitt von Luthers Freiheitsschrift in: WA 7, 25,5-25. 7 WA 7, 25,26 ff. Indem Otto Ritsehl die Vorstellung der Vereinigung mit Christus bei Luther als „Gewissenseinheit mit dem Erlöser" deutet, drängt er die mit der Ehe- bzw. Brautmetapher gegebene mystische Ausprägung des Gedankens bei Luther bewußt zurück. Siehe zu Ritschis Deutung der Einwohnung Christi bei Luther ders., a.a.O., 193-199, hier: 195, vgl. auch 199 f. 8 Vgl. WA 7, 26,9 ff.; siehe auch den Galaterkommentar von 1535 WA 40/1, 363,28: „Sola igitur fides tribuit Deo gloriam." 9 WA 7, 26,18-23. 10 Vgl. WA 7, 23,1-6 und WA 7, 26,21 f. Vgl. zum Verhältnis von Glaube und Sündenvergebung auch Luthers Auslegung von Gal 2,16 im Großen Galaterkommentar von 1535, WA 40/1, 232,21 ff.: „Hoc initium est salutis, hoc modo liberamur a peccato, iustificamur et donatur nobis vita aeterna, scilicet non propter nostra merita et opera, sed propter fidem qua Christum apprehendimus. Quare nos quoque facimus qualitatem et formalem iustitiam in corde, non charitatem, ut Sophistae, sed fidem; Sic tarnen, ut cor nihil aliud spectet et apprehendat quam Christum Salvatorem. . . . Christus autem definitive non est Legislator, sed Propritiator et Salvator. Hoc fides apprehendit et sine dubio credit eum opera et merita congrui et condigni fecisse superabundanter." 11 Siehe WA 57 Η, 187,17-188,16. Vgl. dazu Peura, Gott und Mensch in der Unio, 40 f. 4

Die Voraussetzungen der unio-Lehre

241

denen Christus-Unio mit dem sündigen Menschen und bildet die Gerechtigkeit seines Herzens." 12 Die damit vermittelte Partizipation des Menschen an der Person Christi und darin auch an seiner göttlichen Natur bedeutet jedoch keine Auflösung der Kreatürlichkeit der menschlichen Natur der Glaubenden, weil die Vereinigung der Glaubenden mit Christus in Analogie zur personalen Vereinigung der göttlichen und menschlichen Natur in Christus weder als Vermischung, noch als Verwandlung der Naturen 13 , sondern im Sinne der Idiomenkommunikation gedacht wird. 14 Im Glauben an Christus gewinnt der Mensch Anteil am Leben Christi, an seiner Gerechtigkeit und damit an der in ihm offenbaren Gnade Gottes 15 , ohne sein geschaffenes Menschsein zu verlieren. Gegen das Mißverständnis einer differenzlosen Einheit des Glaubenden mit Christus ist Luthers Auffassung der Christusgemeinschaft außerdem durch die Betonung der ausschließlichen Konstitution im Glauben gesichert. Da nämlich der Glaube das Vertrauen auf die Gerechtigkeit Christi extra nos ist, hat die Christusgemeinschaft des Glaubens ekstatische Struktur. 16 Die Differenz zwischen Christus und dem Glaubenden wird durch die Gegenwart Christi im Glaubenden nicht aufgehoben, weil Christus dadurch im Christen gegenwärtig ist, „daß uns der Glaube in den Christus extra nos versetzt".17 Ausgehend von Luthers Aussagen über die Gegenwart Christi im Glaubenden in seinem großen Galaterbriefkommentar von 1535, dessen grundlegende Bedeutung für das Verständnis der Rechtfertigungslehre Luthers bereits in der lutherischen Theologie des frühen 17. Jahrhunderts etwa von Philipp Nicolai18 und Johann Gerhard 19 erkannt worden ist, haben Tuomo Mannermaa 20 und die von ihm geprägte finnische Lutherforschung in den letzten Jahren zu zeigen versucht, daß bei Luther die beschriebene „ekstatische Gemeinschaft des Glaubens mit Christus, auf den der Glaubende sich verläßt, die Grundlage für das Verständnis der Rechtfertigung" bildet.21 Sind nämlich dem Glaubenden durch die Ge12

Peura, a.a.O., 41. Vgl. dazu Peura, а. а. O., 45. 14 Vgl. dazu T. Mannermaa, Der im Glauben gegenwärtige Christus, 31 ff. 15 Siehe WA 40/1, 284,14-19.22-29. 16 Vgl. Wolfhart Pannenberg, Systematische Theologie, Bd. 3, 242 f. 17 Vgl. Pannenberg, а. а. O., 243. Siehe zur ekstatischen Funktion des Glaubens auch J. Baur, Salus Christiana, 57. Luther beschreibt den Glauben an vielen Stellen als Raptus, durch den der Glaubende in Christus hineinversetzt wird, vgl. etwa WA 8, 111: „in illum rapi de die in diem magis, in Christum plane transformari". 18 Siehe Philipp Nicolai, Sacrosanctum omnipraesentiae Jesu Christi Mysterium, commentatorium libris duobus . . . , 1602, 89-91. 19 Siehe Johann Gerhard, Loci, Bd.I, Locus IV, Nr. 192, 536. 20 Vgl. T. Mannermaa, Der im Glauben gegenwärtige Christus, Hannover 1989. Siehe dazu die Rezension von Gunther Wenz in: Theologische Revue 86 (1990), 469-473. 21 Vgl. Pannenberg, Systematische Theologie Bd. 3, 242 ff., der über Tuomo Mannermaa 13

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Christusgemeinschaft und Rechtfertigung

genwart Christi im Glauben „sämtliche ,Güter' {bona) Gottes gegeben", so ist nach Mannermaa „leicht ersichtlich, daß in Luthers Theologie . . . die Gedanken über den rechtfertigenden Glauben und über die Einwohnung Christi im Glauben sich nicht voneinander trennen lassen." Vielmehr seien „Rechtfertigung und Kommunikation der Eigenschaften . . . in Luthers Theologie . . . verschiedene Aspekte ein und derselben Sache." 22 Für Luther sei die Rechtfertigung somit „nicht nur die Anrechnung von Christi Verdienst für den Sünder, welcher dann etwa als ein davon losgelöster Faktor die inhabitatio Dei folgen würde" 23 , sondern „Ausdruck der Christusgemeinschaft des Glaubens" 24 . Die entsprechenden Aussagen in Luthers großem Galaterkommentar von 1535 25 thematisieren dabei keine neuartige Einsicht Luthers, da „die Begründung der Rechtfertigung auf die Christusgemeinschaft des Glaubens . . . bis in die vorreformatorischen Jahre Luthers" zurückverfolgt werden kann. 26 Wenn Luther in den dreißiger Jahren abgesehen von der Galaterbriefvorlesung und dem Kommentar zum Galaterbrief den Terminus der Einwohnung vornehmlich auf die Gabe des Heiligen Geistes bezieht und hinausgehend zeigt, daß Luther diese Verhältnisbestimmung von Christusgemeinschaft und Glaubensgerechtigkeit des Christen nicht erst in seinem großen Kommentar zum Galaterbrief von 1535, sondern schon in der Römerbriefvorlesung von 1515/16 zum Zuge gebracht hat. Die entgegengesetzte Deutung des Verhältnisses von Einwohnung Gottes bzw. Christi und Rechtfertigung vertrat Otto Ritsehl, Das Theologumenon von der unio mystica in der späteren orthodox-lutherischen Theologie, 336 f. Im Hintergrund der Lutherdeutung Otto Ritschis steht die Behauptung, daß die mystischen Einflüsse, die er bei Luther findet, jedenfalls nicht die entscheidenden theologischen Lehraussagen Luthers prägen. 22 So T. Mannermaa, Der im Glauben gegenwärtige Christus, 32. 23 Mannermaa, а. а. O., 32. 24 So die entsprechende Interpretation von Pannenberg, а. а. O., 247. In ähnlicher Weise entnimmt Rune Söderlund, Der Unio-Gedanke in der Konkordienformel, 62-71, hier: 71, unter Verweis auf WA 40/1, 248 dem großen Galaterbriefkommentar Luthers, daß Luther „die Einwohnung Christi nicht nur als eine Folge der Rechtfertigung" darstelle, sondern „auch die Rechtfertigung als eine Folge der Einwohnung Christi" beschreiben könne. 25 Siehe Luther, WA 40/1, 233,16 ff.: „Est et hie notandum, quod ista tria, Fides, Christus, Acceptio vel Reputatio, coniuncta sunt. Fides enim apprehendit Christum et habet eum praesentem includitque eum ut annulus gemmam, Et qui fuerit inventus cum tali fide apprehensi Christi in corde, illum reputat Deus iustum. Haec ratio est et meritum, quo pervenimus ad remissionem peccatorum et iustitiam. Quia credis, inquit Deus, in me et fides tua apprehendit Christum quem tibi donavi, ut esset Iustificator et Salvator tuus, ideo sis iustus. Itaque Deus aeeeptat seu reputat te iustum, solum propter Christum in quem credis etc." Hier ist deutlich, daß der Glaube Christus empfängt und ihn so gegenwärtig hat. Der Glaube erscheint dabei als der Grund der Gerechtsprechung. 26 Pannenberg, а. а. O., 242 f., Anm. 368. Vgl. exemplarisch Luthers Auslegung von Gal 2,20 im Galaterbriefkommentar von 1519, WA 2, 502, 12-14: „Tum vivit iustus non ipse, sed Christus in eo, quia per fidem Christus inhabitat et influit gratiam, per quam fit, ut homo non suo sed Christi spiritu regatur . . . " Siehe auch aus Luthers Kirchenpostille von 1522, WA 10 1/1, 74,16-18: „ . . . alßo macht der glawb, das Christus unßer ist, unnd seyne liebe macht, das wyr seyn sind. Er liebt, ßo glewben wyr, da wirt eyn kuch auß."

Die Voraussetzungen der unio-Lehre

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diese als Folge der Rechtfertigung beschreibt, zeigt sich darin nicht eine Absage an den Gedanken der den Glauben bestimmenden Christuspräsenz und der darin gegebenen Bedeutung der Christusgemeinschaft für die Rechtfertigung.27 Vielmehr zeugen die entsprechenden Aussagen Luthers davon, daß ihn die - in Melanchthons Auseinandersetzung mit der Confutatio einerseits, mit Brenz andererseits virulente - Problematik des Verhältnisses von Rechtfertigung und Erneuerung dazu führte, Mißverständnisse nach Möglichkeit auszuschließen. So ist es verständlich, daß Luther gegen eine Deutung der Erneuerung als Voraussetzung bzw. Bedingung der Rechtfertigung wie Melanchthon das gegenteilige Folgeverhältnis betonte und den Terminus der Einwohnung auf die der Rechtfertigung folgende Gabe des Geistes bezog. Doch das bedeutet nicht, daß er die Vorstellung von der Präsenz Christi im Glaubenden und der darin gegebenen exzentrischen Christusgemeinschaft des Glaubens als Grund und Ausgangspunkt des Rechtfertigungsgeschehens aufgegeben hätte. Im Unterschied zu Luther spielt dagegen bei Melanchthon der Gedanke der Christusgemeinschaft des Glaubens bzw. der Präsenz Christi

27 In jüngster Zeit hat Reinhard Flogaus, Luther versus Melanchthon. Zur Frage der Einheit der Wittenberger Reformation in der Rechtfertigungslehre, ARG 91 (2000) im Rekurs auf U. Asendorf (vgl. ders., Rechtfertigung und Vergottung, 186 f.) behauptet, nach 1531 seien „das Gegenwart-Christi-Motiv und der fröhliche Wechsel kein bestimmendes Motiv" mehr in der Rechtfertigungslehre Luthers. Mit „dem Rückgang der Bedeutung des Gegenwart-Christi-Motivs für die Rechtfertigung" werde dann auch „die Gabe der heiligenden Gegenwart des Geistes der rechtfertigenden Gnade . . . explizit nachgeordnet" Seither werde „von Luther der Gedanke der Einwohnung nicht mehr mit der Gerechtsprechung, sondern allein mit der Heiligung verbunden." Diese These belegt Flogaus zum einen mit einem Zitat aus Luthers Auslegung von Psalm 51 in der Psalmenvorlesung von 1532 (vgl. Luther, WA 40/11, 352,33-35; 353,28-30; 357,35-358,20 [Dr] und 421,21-422,18 [Dr]), wo Luther von zwei Teilen der Rechtfertigung spricht, nämlich der Offenbarung der Gnade Gottes durch Christus und der Gabe des Heiligen Geistes. Dieses Zitat besagt zwar, daß Luther die geistvermittelte Erneuerung als logische Folge der in der Rechtfertigung erschlossenen Gnade beschreibt. Damit wird aber die Bedeutung der Christusgemeinschaft des Glaubens als Realisierungsgestalt der Rechtfertigung nicht ausgeschlossen, sondern vielmehr als Konstitutionsgrund und Bezugspunkt für die Gabe des Geistes angenommen. Den zweiten Beleg für seine These sieht Flogaus in Luthers Pfingstpredigt von 1544, Crucigers Sommerpostille 1544, WA 21, 458,23-33. Hier sagt Luther zwar, daß die Einwohnung des Geistes als Gabe auf die sündenvergebende und tröstende Gnade und Liebe Gottes folgen solle, doch ist auch damit der Gedanke der Christusgemeinschaft des Glaubens nicht ausgeschlossen. Er wird nur in den genannten Zusammenhängen nicht eigens benannt, weil es Luther nicht um die Beschreibung des Glaubens, sondern um das Verhältnis von Rechtfertigung und Erneuerung zu tun ist. Daß Luther an den genannten Stellen den Terminus der Einwohnung auf die Gabe des heiligen Geistes bezieht und das Folgeverhältnis stärker betont als zuvor, heißt noch nicht, daß er nicht den Glauben nach wie vor durch die Gegenwart Christi bzw. die Christusgemeinschaft bestimmt sieht. Insofern rüttelt Flogaus nicht ernsthaft an der Grundthese der finnischen Lutherforschung.

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Christusgemeinschaft und Rechtfertigung

im Glauben keine Rolle für seine Explikation der individuellen Heilsvermittlung durch Glaube und Rechtfertigung. Damit verbindet sich aber keineswegs eine gänzliche Ablehnung der Vorstellung von der Einwohnung Gottes bzw. der Trinität in den Glaubenden. Obwohl die Einwohnungsthematik in der Confessio Augustana, in der Apologie und auch in den Loci nicht entfaltet wird 28 , betont Melanchthon später gegen die Angriffe von Oslander in seiner Antwort auf Oslanders Disputation über die Rechtfertigung von 1552 entschieden, „das war ist, das in uns verenderung geschehen müsse, und das gewißlich Gott Vatter, Son und heiliger Geist den trost und leben in der bekerung in uns wircken, und also in uns sind und wonen, so das Evangelium mit glauben angenommen wird, dadurch das Ewige Wort, der Son Gottes wircket und jm eine Kirchen samlet.. ."29 Für ihn ist die göttliche Einwohnung konstituiert durch die Gabe des Geistes30, die zugleich mit der Sündenvergebung und Adoption vermittelt wird und den Beginn der in diesem Leben nicht völlig erreichbaren Erneuerung des Menschen ermöglicht.31 Dementsprechend versteht Melanchthon die Vorstellung von der Einwohnung Gottes bzw. der Trinität 32 nicht als konstitutives Moment der Rechtfertigung, sondern als deren - erst im kommenden Leben bzw. im Eschaton voll realisierbare - Folge.33 Wie insbesondere seine Kritik an Oslanders Lehre von der Einwohnung der wesentlichen Gerechtigkeit Gottes im Glaubenden als Voraussetzung der Rechtfertigung 34 zeigt, hält er dabei die Einwohnung der göttlichen Gerechtigkeit in diesem Leben wegen der Sünde des Menschen für unmöglich 35 . In ähnlicher Weise gibt auch Flacius „die von Oslander behauptete Einwohnung Christi zu", ordnet sie aber der Erneuerung zu, die er von der Rechtfertigung strikt unterscheidet. 36

28

So A. Peters, Rechtfertigung, 81. Melanchthon, StA VI, 455,25-30; siehe dazu auch Peters, Rechtfertigung, 81. 30 Vgl. dazu O. Ritsehl, Unio, 342. 31 Vgl. CR 7, 894: „Hie [Rom. 5,15] fasset S. Paulus zwei Ding, die Gnade, d. i. gnädige Vergebung der Sünden und die Annehmung unserer Person bei Gott; und zugleich wird mitgegeben die Gabe, d. i. die göttliche Gegenwärtigkeit in uns, dadurch wir verneuert werden und fühlen Trost und Anfang des neuen Lebens". 32 Melanchthon spricht anders als Luther nicht spezifisch von der Gegenwart oder Einwohnung Christi in den Glaubenden, sondern von der Einwohnung Gottes bzw. des heiligen Geistes. 33 Vgl. Mannermaa, Der im Glauben gegenwärtige Christus, 15. 34 W. Pannenberg, Systematische Theologie, Bd. 3, 255. 35 M. Stupperich, Widerspruch, 183. Infolgedessen ist bei Melanchthon ein Verständnis der Einwohnung als „Gewissenseinheit des Gläubigen mit dem in diesem wohnenden Christus", wie es O. Ritsehl bei Luther zu finden meint, ausgeschlossen, vgl. ders., Dogmengeschichte, Bd. 4, 198 f. 36 O. Ritsehl, Dogmengeschichte, Bd. 2, 470. 29

Die Voraussetzungen der unio-Lehre

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Die von Melanchthon geprägte Verhältnisbestimmung von Rechtfertigung und Einwohnung teilt schließlich auch die Konkordienformel. 37 Denn in Auseinandersetzung mit Oslanders Gleichsetzung von Einwohnung Gottes in den Gläubigen und Rechtfertigung kommt es den Verfassern der Konkordienformel darauf an, die Einwohnung des dreieinigen Gottes 38 , „der die ewige und wesentliche Gerechtigkeit ist", von der allein durch Christi Verdienst vermittelten Glaubensgerechtigkeit „außerhalb unser" zu unterscheiden und sie als logische Folge derselben herauszustellen.39 In Übereinstimmung mit der im ersten Kapitel dieser Arbeit dargestellten Grundausrichtung der melanchthonischen Theologie ist den Verfassern der Konkordienformel diese Unterscheidung zwischen Rechtfertigung und Einwohnung deshalb so wichtig, weil sie den Eindruck vermeiden möchten, als sei „eine Qualität in uns selbst . . . Grund der Vergebung und der Seligkeit".40 Im Hintergrund steht dabei die Sorge um die Heilsgewißheit des Glaubens. Insofern stimmen Melanchthon und die Verfasser der Konkordienformel trotz der von Luther abweichenden Aussagen in ihrer Intention mit Luther überein, „in dem Maße nämlich, als man den Grund für die Glaubensgewißheit außerhalb des Menschen selbst verlegen will, damit »betrübte Herzen einen beständigen Trost haben"'. 41 Daß aber die Christusgemeinschaft und die darin begründete Rechtfertigung des Menschen das Heilsame des Glaubens ausmacht und die Gemeinschaft mit Gott in Christus darum nicht erst als eine Folge der Rechtfertigung bzw. eine Funktion der sittlichen Erneuerung gedacht werden kann, kommt in der melanchthonischen und konkordistischen Sicht nicht zur Geltung. Betrachtet man die frühe Entwicklung der dogmatischen Lehrbildung innerhalb des Luthertums, so läßt sich feststellen, daß die Frage nach der Einwohnung Gottes in den Gläubigen nicht eigenständig erörtert wird, obwohl die Frage nach dem Verständnis derselben durch den osiandrischen Streit als zentrales Problem hervorgetreten war. Weder in Melanchthons späten Loci, noch bei Chemnitz 42 , Hutter u. a., noch auch 37

Vgl. dazu T. Mannerma, Der im Glauben gegenwärtige Christus, 15. Vgl. SD III, 54 f., BSLK 932 f. Siehe dazu Söderlund, Der Unio-Gedanke in der Konkordienformel, 63 ff. In der Konkordienformel wird die Einwohnung Gottes bzw. Christi in den Gläubigen nicht mit dem Stichwort unio bezeichnet; dieses findet sich nur im christologischen Kontext, wo von der unio personalis die Rede ist, und im abendmahlstheologischen Kontext, wo die Vereinigung von Brot und Wein mit Leib und Blut Christi als unio sacramentalis beschrieben wird. Vgl. dazu Söderlund, а. а. O., 62 f. 39 SD III, 54, BSLK 933, 5 f. 15 f.22 f. Siehe dazu Wenz, Theologie der Bekenntnisschriften, Bd. 2, 597 ff., sowie Mannermaa, Der im Glauben gegenwärtige Christus, 15, und Söderlund, a.a.O., 67-69. Vgl. ferner M. Stupperich, Lehrentscheidung, 186. 40 Söderlund, а. а. O., 67. 41 Söderlund, a.a.O., 71. 42 Vgl. neben den Loci theologici von Chemnitz auch das Handbüchlein von 1574/1579. 38

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Christusgemeinschaft und Rechtfertigung

in den dogmatischen Werken der Württemberger Heerbrand, Hafenreffer und Thumm wird diese Thematik in einem eigenen Locus erörtert. Selbst in denjenigen Loci, die ein Eingehen auf die Frage nach der Einwohnung Gottes bzw. der Gemeinschaft oder Unio mit Christus in besonderer Weise nahelegen würden wie die Lehre vom Glauben, die Tauf- oder Abendmahlslehre43 oder die Lehrstücke von Rechtfertigung und Erneuerung, finden sich keine terminologischen Hinweise auf eine Behandlung der Einwohnung bzw. der Christusgemeinschaft oder Vereinigung der Glaubenden mit Christus. Der Sache nach geht es jedoch um diese Thematik, wenn nicht nur wie Otto Ritsehl feststellt44 - bei den norddeutschen Protestanten, sondern auch bei Heerbrand und Hafenreffer 45 Melanchthons Lehre von den vier Arten der persönlichen Gegenwart Gottes 46 übernommen wird, wonach zwischen der universalen, providenten Gegenwart Gottes bei allen Kreaturen, seiner gloriosen Gegenwart bei den Engeln und Seligen, seiner besonderen Gegenwart bei den Frommen in der Kirche und seiner einzigartigen Gegenwart in Christus zu unterscheiden ist.47 Daneben bleiben auch die einzelnen, nicht dogmatisch bzw. systematisch verwerteten Aussagen zur Einwohnung Gottes bzw. Christi bei Luther, Calvin, Flacius, Chemnitz, Aegidius Hunnius48 und anderen präsent. Insofern ist die Einführung des Lehrstücks von der unio mystica in den Gesamtdarstellungen der lutherischen Dogmatik, wie sie bei Statius Buscher, Nikolaus Hunnius 49 und Johannes Hülsemann faßbar ist50, keineswegs als Dort wird der Glaube als „das Band, dadurch Christus in uns wohnet, Eph. 3, und wir in ihm gefunden werden, Phil. 3", beschrieben (Zitat nach Mahlmann, Unio, 84). 43 Hafenreffer nennt in seinen theologischen Loci als Früchte der Taufe ,regeneratio, salus & omnium Christi beneficiorum partieipatio, bona conscientia erga Deum et vitae novitas' und führt als Belege Schriftstellen an, die die Gemeinschaft mit Christus aussagen wie Gal 3,27; die unio cum Christo aber wird nicht ausdrücklich als Frucht der Taufe genannt. 44 Vgl. O. Ritsehl, Unio, 345. 45 So Mahlmann, a.a.O., 105 Anm.64, mit Verweis auf Heerbrands Compendium (1579), 157 f. und Hafenreffers Loci (1605), 204 f. Ohne diese Belege in den von mir eingesehenen Ausgaben eindeutig verifizieren zu können, entspricht doch bei Heerbrand die Unterscheidung dreier Grade göttlicher Providenz (Compendium 1578, 206 f.) der melanchthonischen Differenzierung von vier Arten göttlicher Gegenwart Heerbrand unterscheidet zwischen der allgemeinen Providenz durch Erhaltung, der speziellen Providenz durch Mandate und Strafen und der besonderen Providenz der Heilsvermittlung. 46 Vgl. dazu die von O. Ritsehl, Unio, 339 Anm. 3 angegebenen Stellen CR 8, 638; 15, 1252 f.; 23, 5.368 f.; 24, 120 f. 47 Vgl. zur Differenzierung der Gegenwart Gottes auch Johann Gerhard, Loci, Bd. III, Locus II, These 187, 329. 48 Vgl. die Hinweise auf die Einwohnungsthematik, die Mahlmann, Unio, 84, zum Teil selbst Hunnius, zum Teil Friedrich Balduin entnimmt. 49 Vgl. Nikolaus Hunnius, Epitome credendorum, 1702, Kapitel 23, 346-355. 50 Vgl. dazu Mahlmann, Unio, 118 ff.

Die Entstehung eines eigenständigen Lehrstücks

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Einführung eines als neuartig empfundenen theologischen Vorstellungsgehalts zu werten. Gerade angesichts der Tatsache, daß die Einwohnungsvorstellung so lange selbstverständlich vorausgesetzt werden konnte, ohne eine eigene systematische Bearbeitung in einem eigenen theologischen Locus zu erfahren, bedarf das Aufkommen der Lehre von der unio mystica einer Erklärung. Damit verbindet sich weiter die Frage nach dem Verhältnis dieses Lehrstücks zur Rechtfertigungslehre.

2. Die Entstehung eines eigenständigen Lehrstücks von der mystischen Einwohnung Christi in der lutherischen Dogmatik Wie Theodor Mahlmann in seinem grundlegenden Aufsatz über „Die Stellung der unio cum Christo in der lutherischen Theologie des ^ . J a h r hunderts" 51 gezeigt hat, ist die Entstehung des Lehrstückes von der unio mystica zum einen eng verbunden mit der Debatte um den Weigelianismus, zum anderen aber auch mit dem christologischen Streit zwischen Gießen und Tübingen. Zu der Debatte um den Weigelianismus kam es erst im frühen 17. Jahrhundert, also geraume Zeit nach dem Tod von Valentin Weigel. Sie wurde entfacht durch die sukzessive Drucklegung seiner Schriften, die 1609 begann und etwa zehn Jahre später wieder abbrach. 52 Gegenstand der Auseinandersetzung mit dem Weigelianismus war dabei zum einen die dieser Form des „Neu-Spiritualismus" eigene massive Kritik an der Amtskirche53, zum anderen das dieser Kirchenkritik zugrundeliegende Selbstverständnis der Anhänger als „Gemeinde derer, die wesentlich mit Christus geeint den Heiligen Geist substantiell in sich hätten" 54 . Auf die mit diesem Selbstverständnis verbundene Auffassung von der essenti51 Vgl. Mahlmann, Unio, 72-199. Wie Mahlmann, a.a.O., 73, feststellt, ist die Entstehungsgeschichte und theologische Deutung der unio-Lehre »seit zwei Generationen nicht mehr bearbeitet worden." Dies wird verdeutlicht durch Mahlmanns Besprechung der Sekundärliteratur, а. а. O., 73-75. Durch die von Mahlmann vorgetragene Forschungsarbeit werden die älteren Arbeiten von Wilhelm Koepp (vgl. ders., Wurzel und Ursprung der orthodoxen Lehre von der unio mystica, ZThK 2 [1921]), 46-71.139-171, sowie seine Notiz: Zur Lehre von der unio mystica im Luthertum, ZThK 12 [1931], 238 f.) und von Otto Ritsehl (vgl. neben der Dogmengeschichte, Bd. 4, 192 ff. ders., Unio, 335-352) nicht nur entscheidend weitergeführt, sondern inhaltlich überwunden. Da Mahlmann nämlich nicht mehr wie Ritsehl von dem Interesse geleitet ist, das reformatorische Gedankengut gegen jedweden mystischen Einfluß abgrenzen zu wollen, kann er die Rezeption der mystisches Gedankengut aufnehmenden - Vorstellung von der unio mystica positiv würdigen und sie als Voraussetzung der Rechtfertigung zur Geltung bringen. 52

So Mahlmann, а. а. O., 77 f. Vgl. Mahlmann, a.a.O., 78. 54 So äußerte sich vermutlich Nikolaus Hunnius in der Widmungsrede zur posthumen Dogmatik von Leonhart Hutter, zitiert nach Mahlmann, а. а. O., 79. 53

248

Christusgemeinschaft und Rechtfertigung

eilen Gemeinschaft der Glaubenden mit Christus reagierte 1618 zuerst55 der Wittenberger Professor Friedrich Balduin mit einer systematischen Reflexion der unio-Lehre in der Disputation „De Communione nostri cum Christo .. ."56. Als eine wesentliche Voraussetzung für die von Balduin vertretene Sicht sind dabei Philipp Nicolais Schriften anzusehen, weil Nicolai mit der Rede von der Vereinigung der Glaubenden mit Gott wohl erstmalig die Konsequenzen der lutherischen Christologie für die Soteriologie andeutet.57 In dem Bewußtsein, daß in den beiden Mysterien der Personeinheit des Logos mit dem Fleisch und in der Gemeinschaft des Christen mit Christus die Summe der evangelischen Lehre besteht58, kritisiert Balduin in dieser Disputation „Weigels unio essentialis als eine ,neue' Theorie"59 und wendet sich entschieden gegen Weigels essentielles bzw. leibliches Verständnis der Gemeinschaft der Glaubenden mit Christus60. Aus der Darstellung der Weigelschen Argumentation bei Balduin wird deutlich, daß Weigel mit der Rede von der leiblichen Vereinigung unseres Fleisches mit Christi Fleisch sicherstellen wollte, daß Christi Versöhnungstat den Menschen real erneuert.61 Das Interesse Weigels ist somit dem Anliegen der Theologie Oslanders sehr ähnlich. Für Balduin entsteht die Notwendigkeit, in der Auseinandersetzung mit dem ,neuen' Verständnis der Christusgemeinschaft „eine theologische Theorie dieses Lehr-

55

Siehe die entsprechende Argumentation von Mahlmann, a.a.O., 83. Diese Disputation vom 27. März 1618 erschien bald darauf mit zwei weiteren Dissertationen unter dem Titel „Disputationes tres de Pane vitae ...", die bereits 1619 nachgedruckt wurden. In diesem Band ist die Disputation über unsere Gemeinschaft mit Christus die dritte Disputation. Ihr voran gehen eine Disputation über Jesus Christus als das Brot des Lebens und eine Disputation über die Universalität des Verdienstes Christi. Vgl. dazu auch Mahlmann, а. а. O., 79 f. 57 Vgl. ähnlich Sparn, Krise, 60. Siehe zur Theologie Nicolais Martin Lindström, Philipp Nicolais Verständnis des Christentums, 147 ff.267 ff. 58 Vgl. Balduin, Disputatio tertia de communione nostri cum Christo, These 2: „In utroque mysterio summa doctrinae Evangelicae consistit, quod nimirum Filius Dei naturam humanam in intimum complexum suae ύποστάσεως assumsit & vicissim se totum nobis ineffabiliter communicavit, ut quemadmodum ipse humanae ita nos divinae participes redderemur naturae 2. Pet. 1,4 Sc sicut natura ab ipso assumpta est pars personae ejus, caro de carne nostra, sanguis de sanguine nostro: ita nos vicissim sumus membra corporis ejus, de came ejus & de ossibus ejus. Eph. 3. v. 30." 59 Die Auseinandersetzung mit Weigel findet sich im sechsten Kapitel der Dissertation „De communione nostri cum Christo", welches überschrieben ist: „De nova communione nostri cum Christo, quam fanatici quidam fingunt" Vgl. dazu Mahlmann, а. а. O., 82. 60 Vgl. Balduin, De communione, These 89 ff. bes. 91: „Igitur communio nostri cum Christo Sc tota Trinitate ab istis hominibus όσιόδης statuitur, qua nimirum essentia carnis nostrae, cum essentia Dei & carnis Christis, corporaliter, conjungatur." Siehe auch die Zitate aus der Disputation über die Gemeinschaft mit Christus bei Mahlmann, а. а. O., 80 f. 61 Vgl. dazu Balduin, De communione, Thesen 91-99. 56

Die Entstehung eines eigenständigen Lehrstücks

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stücks" zu entwickeln, dabei gerade dadurch, daß auch Weigel die unioLehre als die Summe des Glaubens ansah.62 Obwohl Balduin in seiner Dissertation über die Gemeinschaft mit Christus noch nicht den Terminus ,unio' auf die Christusgemeinschaft der Gläubigen anwendet, sondern von ,communio' spricht, besteht sein entscheidender Beitrag zur Ausbildung der unio-Lehre darin, daß er die „communio nostri cum Christo" als eigenständigen dogmatischen Topos behandelt. 63 Er eröffnet die Dissertation, indem er zunächst die Gemeinschaft mit Christus definiert als durch Wort und Sakramente vermittelte innigste Vereinigung mit Christus selbst und der ganzen Trinität, durch die wir zu Teilhabern seiner lebendigmachenden Kraft und damit fähig werden, Gott zu dienen.64 Im folgenden differenziert Balduin dann die spezielle Gemeinschaft Christi mit den Glaubenden, die von der allgemeinen Präsenz Christi bei allen Kreaturen zu unterscheiden ist65, in spirituelle und sakramentale Gemeinschaft 66 . Die Besonderheit der spirituellen Gemeinschaft der Glaubenden mit Christus bestimmt er - wie schon Philipp Nicolai 67 - aus der Analogie zur personalen Union der menschlichen Natur mit dem Logos.68 Diese Gedanken wird wenige Jahre später Theodor Thumm aufnehmen. Zwei Jahre nach dem ersten Erscheinen von Balduins Disputation über die Gemeinschaft mit Christus erörtert auch Johann Arndt in dem Traktat „De unione credentium cum Christo capite ecclesiae" von 1620 das Thema der Einigung mit Christus. 69 Nach Mahlmanns Darstellung verfolgte Arndt damit das theologiepolitische Interesse, gegen den ihm anhängenden Weigelianismus-Vorwurf seine Übereinstimmung mit den „Orthodoxen, die sich zur Augsburgischen Konfession bekennen", zu demonstrieren und durch seinen Beitrag zur Rezeption und Kritik Weigels zugleich die Rezeption seiner eigenen Theologie zu verstär62

Mahlmann, а. а. O., 83. Siehe dazu Mahlmann, a.a.O., 116. 64 Vgl. Balduin, De communione, These 8: „Est igitur communio nostri cum Christo, arctissima cum ipso & tota Sacrosancta Trinitate conjunctio, facta per verbum Sc Sacramenta, ut nos vivificae suae virtutis redditi participes Organa ejus simus & vasa gratiae, idonei ad inserviendum D E O & proximo, ad superanda pericula Sc extinguenda tela nequissimi: ad quae omnia extra Christum prorsus inepti essemus." 65 Balduin, De communione, Thesen 7.8.10. 44 Balduin, De communione, These 18. 67 Siehe Philipp Nicolai, Grundtfest, in: Deutsche Schriften II, 88.93, der unter Rekurs auf drei Genera der Idiomenkommunikation die geistliche Vereinigung als spirituelle Idiopoeia, Metapoeia und Koinopoeia bestimmt. Balduin geht dagegen wie später Thumm (s. dazu unten) von vier Genera der Idiomenkommunikation aus. 68 Balduin, De communione, Thesen 41-45. 69 Mahlmann, Unio, 89. А. а. O., 92, Anm. 44, bietet Mahlmann Titel und Inhaltsverzeichnis dieser Schrift. 63

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Christusgemeinschaft und Rechtfertigung

ken. 70 Damit ist deutlich, daß Arndt die Auseinandersetzung mit dem Weigelianismus im Unterschied zu Balduin letztlich in eigener Sache unternahm. Im Blick auf die Entstehungsgeschichte der unio-Lehre ist hier zunächst wichtig, daß Arndt nicht mehr wie Balduin von ,communio', sondern von ,unio' spricht. Die entscheidende gedankliche Weiterentwicklung bei Arndt besteht darin, daß er die „unio als summa doctrinae evangelicae" zum „Konstruktionsprinzip für die ganze Gedankenwelt des Glaubens" erhebt. 71 Da nämlich für Arndt „jede theologische Kategorie eo ipso den Modus der unio von (an sich) Getrenntem oder durch eingetretene ,Abscheidung' . . . Zerissenem" 72 hat, umgreift die unio alle Themenbereiche der Theologie von der Schöpfung bis hin zur ewigen Seligkeit als deren Bedingung. Denn die Schöpfung, die Erlösung durch die Menschwerdung Gottes und die Sendung des Heiligen Geistes sind für Arndt nur möglich durch „die Einwohnung und Vereinigung Gottes", die das Ziel menschlichen Daseins darstellt und durchgängig durch das Wort Gottes vermittelt wird. 73 Somit fungiert also die unio bei Arndt als „die gedankliche oder tatsächliche Bedingung, ohne die in der Theologie nichts sinnvoll ausgesagt oder gedacht werden kann." 74 Indem er die unio solchermaßen als Formalprinzip der Theologie bestimmt, leistet er einen grundlegenden und originellen75 Beitrag zur Entwicklung des Lehrstücks von der unio mystica, der „eine zwar schwache, aber doch deutliche Wirkung auf die Schuldogmatik ausgeübt" hat 76 . Er ist nach dem Urteil von Mahlmann darin wahrnehmbar, daß im Anschluß an Arndt Theodor Thumm, Heinrich Varenius 77 , Caspar Brochmand, Johann Friedrich König und Johann Andreas Quenstedt neben den verschiedenen Arten der Gegenwart Gottes auch verschiedene Arten der göttlichen Vereinigung unterscheiden.78 Allerdings wird die von Arndt erstmals beschriebene konstruktive Bedeutung des „unio-Theorems" 79 für die Gesamtdogmatik erst mehr als hundert Jahre später in der sogenannten Übergangstheologie durch Siegmund Jacob Baumgarten systematisch-theologisch umgesetzt, indem dieser die Beziehung des Menschen zu Gott zum dogmatischen Konstruktionsprinzip erhebt und dementsprechend die unio

70 71 72 73 74 75 76 77 78 79

Mahlmann, Unio, 91.94 f. Mahlmann, Unio, 96. Mahlmann, Unio, 98. Mahlmann, Unio, 97 f. Mahlmann, Unio, 99. Vgl. zur Anlehnung Arndts an Philipp Nicolai Mahlmann, Unio, 115. Vgl. Mahlmann, Unio, 100. Vgl. zu Varenius Mahlmann, Unio, 162 f. Mahlmann, Unio, 100. Diesen praktischen Ausdruck prägt Mahlmann, a.a.O., 117.

Die Entstehung eines eigenständigen Lehrstücks

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bereits innerhalb der Prolegomena im Rahmen der Definition der Theologie behandelt. 80 Insofern markiert Baumgarten den Endpunkt in Mahlmanns Untersuchung der unio-Lehre im 17. Jahrhundert. Daß sich die Lehre von mystischen Vereinigung aber überhaupt in einem eigenen Lehrstück der altlutherischen Dogmatik fest etablieren konnte, ist neben Balduin und Arndt auch dem Gießener Theologen Justus Feurborn zu verdanken, wie Mahlmann gezeigt hat. 81 Justus Feurborn, der Schüler und Schwiegersohn von Balthasar Mentzer, beschäftigte sich nämlich „genau gleichzeitig mit Balduin, aber natürlich deswegen unabhängig von ihm" in seinen ersten Gießener Disputationen von 1618/19 mit der Frage nach „Art und Eigentümlichkeit der göttlichen Gegenwart bei den Kreaturen". 82 Anlaß für diese Fragestellung war aber bei ihm nicht die Auseinandersetzung mit dem Weigelianismus, sondern die Gießener Debatte um das Verständnis der Allgegenwart Gottes bzw. deren weitere Erörterung mit den Tübingern im KenosisKrypsis-Streit. In diese Debatte wurde Feurborn durch Mentzer involviert und ergriff eifrig Partei für dessen Position. Im Zuge seiner Beschäftigung mit der Frage nach der Art der göttlichen Präsenz bildet Feurborn eine „Terminologie in Richtung auf unio mystica . . . erst langsam aus."83 Während sie in seiner Skiagraphia von 1621 noch fehlt, erscheint der Ausdruck ,unio mystica' in den Propositionen über die vornehmsten Kapitel der christlichen Religion von 1626, in seiner Kenosigraphia von 1627 und in seinem Syntagma von 1642 entweder direkt oder in terminologisch ähnlichen Varianten. 84 Der Sache nach ist aber 80 So Mahlmann, Unio, 125 f. im Rückgriff auf Martin Schloemann, Siegmund Jacob Baumgarten. System und Geschichte in der Theologie des Überganges zum Neuprotestantismus, Göttingen 1974. Dabei setzt Baumgarten wohl nicht nur das Konzept der Ethik von Johann Franz Buddeus voraus (so Mahlmann, Unio, 126), sondern sicher auch dessen gegenüber der älteren lutherischen Theologie gewandeltes bzw. allererst bestimmt entwikkeltes Konzept der Dogmatik als systematischer Reflexion auf das Glaubensfundament, vgl. dazu Nüssel, Bund und Versöhnung, 34 ff. Da Buddeus die Aufgabe der Dogmatik darin sieht, dieses Glaubensfundament - nämlich die durch den Mittler Jesus Christus konstituierte Versöhnung - systematisch, d. h. vollständig und im Zusammenhang zu erfassen, um so die Wahrheit des christlichen Glaubens zu demonstrieren, kann er die Beziehung des Menschen zu Gott nicht wie Baumgarten zum Konstruktionsprinzip der Dogmatik erheben. Während Baumgartens Konzeption dadurch auf Schleiermachers Rekonstruktion des frommen Selbstbewußtseins in der Glaubenslehre vorausweist, steht Buddeus mit seiner Bestimmung des dogmatischen Themas nicht nur den älteren Systemen näher, sondern auch den zahlreichen Ansätzen, die Schleiermacher ausdrücklich nicht gefolgt sind. 81 Vgl. dazu Mahlmann, Unio, 116 und die Darstellung der Position Feurborns a.a.O., 104ff. Vgl. auch O. Ritsehl, a.a.O., 206-208. 82 Vgl. dazu Mahlmann, Unio, 104 f. 83 Mahlmann, Unio, 113. 84 Vgl. die einzelnen Belegstellen bei Mahlmann, Unio, 113 f.

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Christusgemeinschaft und Rechtfertigung

die Vorstellung von einer mystischen Vereinigung mit Christus durch die besondere Präsenz Gottes bei seinen Gläubigen schon in den ersten Dissertationen thematisch. Dabei steht für Feurborn wie für Balduin fest, daß die Vereinigung mit Christus zum Zentrum evangelischen Glaubens gehört. 85 Die durch Balduin, Arndt und Feurborn angeregte eingehende Beschäftigung mit der Vorstellung von der mystischen Vereinigung mit Christus, welche zur Ausbildung des entsprechenden eigenständigen Lehrstücks führt, verdankt sich also einem doppelten Anlaß, nämlich zum einen der Abgrenzung gegen den Weigelianismus bei Balduin und Arndt, zum anderen der von Gießen ausgehenden und in den Streit mit Tübingen mündenden innerlutherischen Debatte um das Verständnis der Allgegenwart Christi und die adäquate Bestimmung des Stands der Erniedrigung Jesu Christi. Wie dementsprechend die Motive für die Erörterung der mystischen Vereinigung auseinandergehen, so fällt auch die Bestimmung derselben nicht identisch aus.

3. Unterschiedliche Deutungen der mystischen mit Christus

Vereinigung

a) Die Vereinigung mit Christus aufgrund der besonderen substantiellen Nähe Gottes bei den Gläubigen Ausgangspunkt für Feurborns Bestimmung der Einwohnung Christi ist, wie bereits gesagt, die Frage nach der Allgegenwart Christi, die sich Feurborn im ersten Faszikel seiner theologischen Dissertationen von 1618 vorlegt. Dabei spiegelt sich der Einfluß von Mentzer auf seinen Schüler und Mitstreiter in der Auseinandersetzung mit den Tübingern darin wider, daß Feurborn auf der Basis der melanchthonischen Unterscheidung der vier Stufen göttlicher Präsenz wie Mentzer besonders an der speziellen Gegenwart Gottes bei den Gläubigen bzw. in seiner Kirche interessiert ist und diese - und nicht die universale Präsenz Gottes bei allen Kreaturen - als Ausgangspunkt für die Bestimmung der Allgegenwart Christi annimmt.86 Das Verständnis der besonderen Gegenwart Gottes bei den Gläubigen als einer substantiellen Nähe und speziellen Annäherung Gottes gewinnt Feurborn unter ausdrücklicher Ablehnung einer philosophischen 85

So Mahlmann, Unio, 115. Vgl. ähnlich Mahlmann, Unio, 109: „Das primäre und eigentliche Ziel Feurborns ist, . . . diese Konzeption der Gottesgegenwart auf die Gegenwart Christi anzuwenden und diese von jener her zu verstehen. Das führt aber dazu, daß Feurborn die göttliche Gegenwart Christi umgekehrt überhaupt durch seine Gnadengegenwart in den Gläubigen erklärt. 86

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bzw. metaphysischen Bestimmung87 aus verschiedenen biblischen Aussagen, insbesondere aus der Auslegung von Ex 3,12.88 Im Einvernehmen mit Mentzers Position in der Gießener Auseinandersetzung um die Deutung der Allgegenwart Gottes bestimmt Feurborn die als substantielle Annäherung Gottes verstandene Präsenz Gottes bei den Gläubigen entgegen der philosophischen „Abstraktion der Präsenz von der Wirkung" gemäß der Heiligen Schrift 89 nicht allein als ein reines Gegenwärtigsein Gottes, sondern als eine durch wirksame Handlung gekennzeichnete Gnadengegenwart, die er auch knapp als Aktualpräsenz kennzeichnen kann. 90 Indem er dabei betont, daß die wirksame Präsenz Gottes nicht allein als Handlung zu verstehen sei, sondern substantielle Gegenwart impliziere, entgeht er der Identifikation von Gegenwart und Handlung, die Winckelmann, Gisenius und die Tübinger bei Mentzer kritisierten. Dennoch stimmt er mit Mentzer darin überein, daß der Begriff einer reinen Gegenwart Gottes überhaupt leer sei und im biblischen Zeugnis Gottes Gegenwart immer mit bestimmten Wirkungen verbunden beschrieben werde, anhand derer sich die bereits von Melanchthon genannten vier Arten göttlicher Präsenz unterscheiden ließen.91 Eine reine Gegenwart Gottes ohne Tätigkeit ist für Feurborn somit faktisch inexistent.92 Wird wie bei Feurborn die Gegenwart Gottes als durch die Art der jeweils mit ihr verbundenen Wirkung qualifiziert gedacht, die sie bei den Kreaturen ausübt, so folgt daraus, daß die vier Arten göttlicher Gegenwart nicht nur bestimmte Modifikationen ein und derselben Omnipräsenz Gottes, sondern vier unterschiedliche Arten und Grade von göttlicher Gegenwart bezeichnen. Gott ist sonach den Gläubigen nicht nur in gesteigerter, sondern damit zugleich in anderer Weise präsent als allen anderen Kreaturen. Diese Sichtweise Feurborns wirft sofort die Frage auf, worauf die unterschiedlichen Arten und Grade göttlicher Präsenz, insbesondere aber die substantielle Annäherung bei den Glaubenden zurückzuführen ist. Unter der Voraussetzung der Universalität des göttlichen Heilswillens kann hier nur auf das Ergreifen der Verheißung Gottes im Glauben verwiesen werden. Und tatsächlich beschreibt Feurborn in seinen Aussagen über die Einwohnung Christi, in der sich die besondere substantielle Annäherung Gottes vollzieht, die Einwohnung als allein durch den rechtfertigenden Glauben vermittelt.93 87

Vgl. dazu Mahlmann, Unio, 148. Siehe Mahlmann, Unio, 106 f. 89 Siehe die Übersetzung des entsprechenden Zitats aus der ersten Gießener Disputation Feurborns von Mahlmann, a.a.O., 108. 90 Mahlmann, Unio, 107 f. 91 Vgl. die Zitate bei Mahlmann, Unio, 109. 92 Vgl. Mahlmann, Unio, 109. 93 Siehe die Zitate aus Feurborns Dissertation über die Allgegenwart Christi nach seiner 88

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Das Entscheidende an der Feurbornschen Auffassung der Einwohnung Christi bzw. der Vereinigung des Glaubenden mit Christus ist nun, daß er ausgehend von seinem Verständnis der Allgegenwart Gottes als Aktualpräsenz auch die Präsenz Christi als aktuose, das heißt durch seine spezifische Tätigkeit bestimmte Präsenz verstanden wissen will.94 In diesem Interesse benutzt Feurborn „die (von Anfang an) vorhandene Uberzeugung von der Gnadengegenwart Christi in den Glaubenden, um mit ihr seine Konzeption von der Präsenz Christi als Aktualpräsenz zu rechtfertigen und zu stützen: Christusgegenwart und Glaubensgegenwart werden identifiziert" 95 , was umgekehrt bedeutet, „daß Feurborn die göttliche Gegenwart Christi . . . überhaupt durch seine Gnadengegenwart in den Gläubigen erklärt96. Christus ist sonach präsent dem, der glaubt, und zwar als Mittler und als Rechtfertiger. Was aber bei Feurborn im Zuge seiner Konzentration auf die Aktualpräsenz Christi nicht in den Blick kommt, ist die Präsenz Christi in seinem besonderen Personsein als solche vor und unabhängig von ihren spezifischen Heilswirkungen. Diesem Sachverhalt entspricht, daß Feurborn wie Mentzer die Erniedrigung Christi als aktiven Verzicht auf den vollständigen Gebrauch der göttlichen Majestätseigenschaften versteht 97 , so daß entgegen seiner eigentlichen Intention 98 faktisch nicht die Inkarnation, sondern erst die Erhöhung als die von einer erneuten Tätigkeit des Logos abhängige, endgültige Konstitution der Personeinheit Christi erscheint. Damit aber ist nicht nur die Präsenz Christi in der Welt, sondern bereits sein besonderes Personsein als abhängig von seinem Handeln gedacht. 99 Selbst wenn diese zuletzt geäußerte These im Blick auf das Personsein Christi der Feurbornschen Explikation der Erniedrigung nicht gerecht werden sollte, ist nicht zu bestreiten, daß bei Feurborn und schon bei Mentzer die Weltgegenwart Christi „vor allem im Blick auf die Frommen angenommen" wird, „und das heißt: nicht schon aufgrund der Personeinheit als solcher,

menschlichen Natur bei Mahlmann, Unio, 115: „ N o s Christus inhabitat, quatenus in ipsum credimus. . . . Christus nos inhabitat, ut noster mediator. . . . Christus nos inhabitat, ut noster iustificator. Solos enim homines per fidem iustificatos inhabitat." 94 Mahlmann bewertet diese Überlegung offenbar positiv, wenn er а. а. О., 110, schreibt: „Feurborn bemerkt und ist sich wohl als erster bewußt, daß die Lehre von der Präsenz der Person Christi, als christologische Aussage, als solche ihre Fortführung . . . in der Lehre seiner Gnadengegenwart für die Gläubigen, als soteriologische Aussage, finden muß." 95 Mahlmann, Unio, 111. 96 Mahlmann, Unio, 109. 97 Vgl. Feurborn, Kenosigraphia, 1,2, 24 ff. 98 Vgl. dazu Feurborn, Kenosigraphia 1,1, 2 f. 99 D a ß bei Feurborn nicht erst die Präsenz Christi, sondern bereits seine Personeinheit als durch Tat und nicht einfach durch „Dasein, Wohnen" konstituiert gedacht ist, ergibt sich aus seinem Verständnis der Kenose und wird von Walter Sparn, Krise, 59, bei seiner Abgrenzung der Tübinger Position von der Gießener vorausgesetzt.

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sondern zureichend erst aufgrund der Verheißung Christi" 100 . Für das Verständnis der mystischen Vereinigung des Glaubenden mit Christus bedeutet dies, daß sie durch die Verheißung Christi, in der er sich als Mittler und Rechtfertiger offenbart, und ihre Aneignung im Glauben, nicht aber schon durch die reine Präsenz seiner Person konstituiert ist. Aus dem angezeigten Verständnis der mystischen Vereinigung der Glaubenden mit Christus bei Feurborn läßt sich mit Mahlmann die Folgerung ziehen, daß bei Feurborn die mystische Vereinigung mit Christus nicht als eine der Rechtfertigung nachgeordnete Folge derselben gedacht ist, sondern daß sich die Rechtfertigung in der Vereinigung mit Christus vollzieht. 101 Damit korrigiert Feurborn unausdrücklich die Bestimmung der Einwohnung Gottes als Folge der Rechtfertigung, wie sie bei Melanchthon und in der Konkordienformel ausgesagt ist. Die Verhältnisbestimmung von Christusgemeinschaft und Rechtfertigung, die insbesondere in Luthers Galaterkommentar von 1535 zur Darstellung kommt, wird jedoch bei Feurborn nicht erreicht. Denn Feurborn denkt die Präsenz der Person Christi im Glauben nicht als die der Rechtfertigung vorgängige Konstitutionsbedingung der Christusgemeinschaft. Ein solche Vorstellung verbietet sich für Feurborn schon deshalb, weil er die Gegenwart Christi als des Gottmenschen bei den Kreaturen nicht als perichoretische Gegenwart verstanden wissen will. 102 Entsprechend kritisiert Feurborn bereits 1624 im Vorwort seines sechsten und letzten Bandes des Gießener Dissertationen eine Analogisierung der personalen Vereinigung Christi und der Vereinigung der Gläubigen mit Christus, worin ihm später Johannes Hülsemann 103 folgen wird. „Falsch . . . ist, zwischen Christus und den frommen Menschen bestehe eine solche Einheit und Gegenwart (unio & praesentia), wie sie zwischen dem Sohn Gottes und der angenommenen menschlichen Natur besteht. Sonst wären Christus und jeglicher Glaubende eine Person, und jeder Glaubende wäre an der göttlichen Majestät beteiligt und ihrer teilhaftig. Unsinn und untheologisch das!" 104 Da sich Feurborn auch sonst „über jede solche 100

So Spam, Krise, 59.

Siehe Mahlmann, Unio, 144. Vgl. dazu das dort von Mahlmann übersetzte Zitat aus Feurborns Syntagma von 1642: „Dies unser Bleiben in G o t t und Christus dem Gottmenschen schließt definitionsgemäß unsere mystische Einigung und Gemeinschaft mit ihm ein, welche geschieht durchs W o r t . . . und durch den Glauben, mit dem wir die göttliche Barmherzigkeit in Christus ergreifen". 102 Y g i j a s entsprechende Zitat aus der 23. Disputation der Propositionen über einige vornehme Artikel der christlichen Religion bei Mahlmann, Unio, 142. Damit einhergehend lehnt Feurborn grundsätzlich die Übertragung des innergöttlichen Verhältnisses, welches durch essentielle Perichorese gekennzeichnet ist, auf das Verhältnis des Christen zu G o t t bzw. zu Christus ab. 101

103 104

Vgl. dazu Mahlmann, Unio, 143. Zitiert nach Mahlmanns Übersetzung Feurborns Dissertationsband V I , 6 , 4 2 , 3 2 0 (siehe

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Analogiebildung stets ausschweigt", kann diese Bemerkung nicht allein durch „die im Kontext gegebene Wendung gegen die ,Weigeliani"' motiviert sein.105 Vielmehr scheint Feurborn grundsätzlich die Vorstellung einer essentiellen Vereinigung des Christen mit Christus abgelehnt zu haben. Entsprechend sieht er auch die Rechtfertigung des Sünders nicht primär begründet in der durch die Präsenz Christi als Person vermittelten Gemeinschaft der Glaubenden mit Christus, sondern in der durch die Verheißung der Zurechnung des Gehorsams Christi erschlossenen mystischen Vereinigung mit Christus, die der Glaube ergreift.106

b) Die Erkenntnis der mystischen Vereinigung der Glaubenden aus der Analogie zur Person Christi Wenn Johann Arndt kurze Zeit nach dem Erscheinen der Feurbornschen Dissertationen in seinem oben bereits erwähnten Traktat über die Vereinigung der Glaubenden mit Christus als dem Haupt der Kirche von 1620 107 die Menschwerdung Christi, in der sich die Liebe Gottes manifestiert 108 , als vornehmsten Grund und Beweis der Vereinigung des Menschen mit Gott interpretiert109 und entsprechend „unio personalis et mystica miteinander verschränkt"110, so bedeutet dies eine gewisse Akzentverschiebung gegenüber der Feurbornschen Lehre. Als direkter Konstitutionsgrund der mystischen Vereinigung erscheint bei Arndt nämlich nicht wie bei Feurborn das Verdienst Christi, sondern die Person Jesu Christi111 in ihrer Gottebenbildlichkeit. Die Voraussetzung der VerMahlmann, Unio, 141). Das Verdienst von Mahlmann ist es, „den noch nie beachteten" (ebd.) sechsten Dissertationsband von Feurborn eingesehen und für die Frage nach dem Verständnis der unio ausgewertet zu haben. 105 Mahlmann, Unio, 141. ία Vg] dazu die entsprechenden Belegstellen aus dem sechsten Dissertationsband, die Mahlmann, Unio, 142 anführt. 107 Johann Arndt, De unione credentium, cum Christo Jesu, Capite Ecclesiae, 1620. 108 Arndt, De unione, Kapitel IIX, 34: „Deus Charitas est & qui manet in charitate, in Deo manet & Deus in ipso. Propterea ipsa Charitas incarnata est, ut esset vinculum perpetuae nostrae cum Deo ipso unionis." 109 Vgl. Arndt, De unione, Kapitel IV, 14-16. Siehe dazu Mahlmann, Unio, 97. Vgl. auch das bei J. Steiger, Johann Gerhard, 114, Anm. 205 angeführte Zitat aus Arndt, Gnadenreiche Vereinigung, 24. 110 J. Steiger, Johann Gerhard, 114. 111 Vgl. dazu Arndts Abhandlung ,De incarnationis filii Dei admirando mysterio', die zusammen mit ,De unione' veröffentlicht ist, siehe dort bes. Nr. 2, 71 f.: „Hanc personam mediatorem constituit Pater inter Deum Sc hominem, ea propter utriusque naturam habere oportuit: Nasci igitur Deum ex homine oportuit, ut idem, qui est Deus, homo sit verus & vere filius hominis & idem qui est homo, Deus sit verus & vere filius Dei, ut credamus Jesum esse Christum, filium Dei, ut per fidem vitam aetemam habeamus in nomine ipsius. Quapropter vera fide hanc personam amplectimur non separantes Deitatem ab humanitate,

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einigung der Glaubenden mit Gott durch Christus erkennt Arndt entsprechend in der Vereinigung Gottes „mit seinem Sohn und Ebenbild"112, welche „den Glaubenden gnädig die Möglichkeit" eröffnet, „in die Vereinigung mit Gott durch die unio mit dem Sohn einzugehen, die obendrein die vollgültige Wiederherstellung der Gottebenbildlichkeit des Menschen mit Hilfe des göttlichen Wortes 113 einschließt"114. Dies geschieht nach Arndt dadurch, daß Christus sich in und durch das Wirken des Heiligen Geistes mit der glaubenden Seele vereint.115 quid Deus h o m o factus est. Ecce gloriam carnis filii Dei, quam in unitate persona adoramus, quia in hanc personam, quae Deus & h o m o est, credimus." ш Siehe dazu Arndt, D e unione, 6 ff.: „Deus pater in filio suo unigenito est, qui filius D e i est Imago Essentialis aetemi Patris. Unde liquido apparet Patris & Imaginis ejus essentialis unio. Ad hujus similitudinem igitur D E U S cum homine, ad Imaginem suam condito, per gratiam in habitationis uniri, pro immensa sua bonitate voluit. . . . Si enim Imago D e i substantialis, filius D E I apaugasma & splendor gloriae paternae dicitur propterea, quod in ilia D e i Imagine Essentiali resplendet gloria Patris, gloria quasi unigeniti a Patre, cur non resplendens quidam fulgor bonitatis Divinae Imago ilia Dei in homine, appellari mereatur?" 113 Zur elementaren Bedeutung des Wortes Gottes für die Konstitution der Vereinigung Gottes und des Menschen siehe Arndt, D e unione, Kapitel III, 9 ff. Dabei betont Arndt а. а. O., 10 f., daß die „Propagatio . . . verbi salvifici ab initio nihil aliud est, quam hominum cum D e o copulatio. Sic conjunguntur mentes hominum cum D E O , quae per peccatum a D E O avulsae sunt, ut sedem suam figat iterum altißimus in ipsorum animis." 114 D i e wörtlichen Zitate dieses Satzes entstammen Steiger, Johann Gerhard, 114. Im ersten Kapitel seiner Schrift über die unio nennt Arndt als das erste „argumentum Unionis D e i cum homine" die Schöpfung und Wiederherstellung des Menschen (vgl. D e unione, 1). Dabei beschreibt er die Gottebenbildlichkeit des Menschen im Urständ und die Wiederherstellung derselben nach dem Fall, а. а. О., 1 f., wie folgt: „Verum cum inter omnia opera ejus пес dum extaret invisibilis D E I , visibilis Imago, repraesentans Similitudinem Creatoris, admirando & singulari Individuae Trinitatis consilio, ad Imaginem suam, Deus hominem condidit, h o c est, vivam Bonitatis, Sanctitatis & Justiciae suae effigiem & similitudinem in homine expreßit, ipsumque operum suorum apotelesma perfectionem & consummationem c o n s t i t u i t . . . . H a e c Dei Imago in homine, similitudine Sanctitatis 8c Justiciae, Deum & hominem quam arctißime conjunxit & copulavit. Ideoque in uno homine Deus fixit tabernaculum & sedem suam, dicens: Delitiae meae esse cum filiis hominum, Proverb. 8. Post lapsum vero hominis, quo haec unio soluta est, instaurare illam ipsam dignata est summa aeterni Patris benignitas, redintegratione Imaginis suae in homine per Verbum vivificum, per Fidem promißionis, per Incarnationem filii unigeniti, per hominum Regenerationem & per Sacramentorum mysteria, quibus jediis hominem sibi denuo assertum, Spiritus sui domicilium & sedem iterum constituit, sibique unitum gratia prasentia inhabitationis suae beavit." Vgl. zur Bestimmung der Gottebenbildlichkeit auch Kapitel II, а. а. O., 4 ff. 115 Vgl. Arndt, D e unione, Kapitel VII, 24 f.: „Sponso adveniente laetatur anima sancta & praesertim ejus observat accuratißime. Adventu enim suo delectabili & sancto fugat tenebras, noctes repellit, dulcescit cor, devotionis fluunt aquae, animus charitate liquescit, exultat Spiritus, inardescit affectus, amor incenditur, jubilat mens, resonant laudes, vota redduntur, omnisque animae vigor laetatur in Sponso. Laetatur, inquam, reperisse, quem diligit & in se sponsam suscepisse, quam colit. О quantus amor, quam ignita desideria, quali colloquium, quam pudicus exhibetur amplexus, cum descendit Spiritus: obumbrat paracletus: altißimus illuminat, adest verbum, sapientia loquitur & complectitur Charitas,

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Dabei fällt bei Arndt die unio „mit dem Glauben zusammen und geht seiner Dauer vorauf", insofern die Kraft des Glaubens, durch den die Vereinigung vollzogen und vollendet wird, von der Vereinigung Christi mit der Seele abhängig gedacht wird. 1 1 6 So kann Arndt die Taufe wie schon Philipp Nicolai ohne Einschränkung auf die Kindertaufe als das Mittel der Wiedergeburt verstehen und würdigen, durch das die geistliche Vereinigung mit Christus als Inkorporierung in Christus als das Haupt der Kirche und damit in die Kirche als den Leib Christi stattfindet. 117 Eine bedeutsame inhaltliche Nähe zu Feurborns Bestimmung der Vereinigung mit Gott bzw. Christus besteht bei Arndt aber darin, daß auch er in seinem Traktat über die unio mit Bezug auf 1. Kor 6,16 ff. von

Tunc enim templum DEI efficitur anima, sapientia sedes, pudicitiae habitaculum, area foederis, tabernaculum sanetitatis, sponsi thalamus, spirituale coelum, benedictionis ager, mysteriorum domus, sponsa charißima, amoenus hortus, nuptiarum locus, ac multis virtutibus consitus Paradysus, in quem descendit Dominus angelorum & rex gloriae, ut copulet sibi charißimam sponsam amore languentem, desideriorum floribus fultam, atque malorum punicorum virtutibus stipatam, praestolantem dilectum suum: atque elegantißimi sponsi observantem adventum." Vgl. weiter а. а. O., 27: „Sane per haec tanquam per Spirituales januas sponsus accedit intro ad sponsam, ipsam instruit, illique communicat praesentiam suam, per non corporalem speciem, sed per lumen fidei, per irradiationem intellectus, per devotionis gustum, per exultationis jubilum, per amoris tripudium, per pacis asculum, per dilectionis amplexum." и« Vgl. Mahlmann, 97, mit den entsprechenden Zitaten aus Arndts Traktat „De unione credentium cum Christo capite ecclesiae". Siehe Arndt, De unione, Kapitel VI, 20: „De Mediante poenitentia seu conversione, Contritione salutari 8c Fide, fit unio Dei cum homine" (Kapitelüberschrift). Vgl. a.a.O., 12f.: „Ea enim fidei summa proprietas est, ut exclusis omnibus creaturis solo Deo inseparabiliter adhaerescat, solius Dei gratia fruatur, solum Deum indesinenter quaerat, quo seclusis omnibusque creatis, solus Deus maneat animae fidelis unica satietas, gaudium & summum bonum. Haec quomodo sine unione fieri queant, quis est, qui monstrare poterit? Haurit enim fides ex fonte salutis Salvatore nostro vires incredibiles animae, nempe salutem, justiciam & sanetitatem, ita ut omnia, quae Christi sunt, faciat sua." 117 Siehe Arndt, De unione, Kapitel XI, 44 f.: „IN Baptismo fit spiritualis desponsatio. Sicut enim in conjugio duo sunt in carne una: Ita etiam Christus & Ecclesia. . . . Per Baptismum Christi inserimur & incorporamur, sicut surculus arbori, qui in unam substantiam cum arbore coalescit, unitur 8c concrescit Vivificat etiam 8c nutrit arbor suclum insitum, ut germinet, efflorescat 8c fruetus ferat: ita Christus membra sua Spiritu suo vivifico alit, fovet, corroborat, ut in flores 8c fruetus excrescant, Joh. 15. . . . Membra autem Christi per regenerationem fieri oportet, propterea Baptismus lavacrum est regenerationis, quo membra Ecclesiae mundantur lavacro aquae in verbo vitae, quo mones maculae & rugae delentur, ut sit irreprehensibilis 8c immaculata, Ephes. 5. Et haec est vera regeneratio 8c nova creatura, quae apparet in conspectus dei munda, saneta ab omnibus sordibus, emaculata sanguine Christi 8c Spiritu ejus saneto. Tanta est perfectio ablutionis in sanguine Christi, ut sponsus exclamat: Tota palcra es amica mea. . . S i e h e auch Arndts im Anschluß an ,De unione' abgedruckte Abhandlung ,De Sacrosancta Trinitate, de incarnationis filii DEI Jesu Christi admirando mysterio 8c de Spiritu saneto vero Deo ejusque charismatis & benefieiis', Nr. 19, 65: „Credimus nos cum Deo patre, filio 8c Spiritu saneto, summum in Baptismo foedus inire, in membra filii Dei 8c in templa Spiritus saneti consecrari."

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einem näheren Gegenwärtig-Sein Gottes bei den Gläubigen als bei den Weltkindern spricht.118 Möglicherweise handelt es sich dabei sogar um eine bewußte Anspielung auf Feurborn, dessen Verständnis der Allgegenwart Christi Arndt durch Balthasar Mentzer nahegebracht worden sein könnte. 119 Das ausgeprägte Interesse Arndts an der mystischen Vereinigung des Glaubenden mit Gott findet sich ebenso bei seinem Schüler und Schützling Johann Gerhard. 120 Bei Gerhard basiert allerdings die Entfaltung dieser Thematik auf einer noch intensiveren Rezeption mystischen Gedankenguts, insbesondere der Schriften von Bernhard von Clairvaux121. Die zu Beginn des 17. Jahrhunderts in der altlutherischen Dogmatik einsetzende Mystik-Rezeption ist dabei nach Johann Anselm Steiger als Versuch anzusehen, die mystische Begrifflichkeit nicht einfach den spiritualistischen Strömungen zu überlassen. Somit ist sie als ein „Teil der facettenreichen Orthodoxie selbst" zu verstehen.122 Die spezifische Art und Weise, in der Gerhard wie schon Luther selbst unter der Maxime des Schriftprinzips und unter Vermeidung synergistischer Tendenzen mystische Gedanken übernimmt, wird mit Recht nicht nur von Steiger gegen Albrecht und Otto Ritsehl als eine grundsätzliche Bereicherung der reformatorischen Theologie „im Interesse der reformatorischen Theologie selbst"123 gewertet. Im Unterschied zu Arndt konzentriert sich Gerhards Verständnis der mystischen Vereinigung der Glaubenden mit Gott weniger auf die Wiederherstellung der Gottebenbildlichkeit des Menschen durch Christus, als vielmehr auf den seelsorgerlichen Trost der Gewissen durch die im Blut Christi begründete Sündenvergebung, welche dem Glaubenden in der Vereinigung mit Christus zuteil wird 124 . Die „erneute Aufnahme mystischer Theologumena" bringt es dabei mit sich, „daß eine . . . mit vielen biblischen und sonstigen Topoi aufgeladene, sehr innig und am glaubenden Subjekt ausgerichtete Blut- und Wundenfrömmigkeit ent118 Siehe Arndt, De unione, Kapitel I, 4 mit Bezug auf 1. Kor 6,17. Vgl. dazu Mahlmann, Unio, 103 f. и' Vgl. dazu Mahlmann, Unio, 104. 120 Dies hat unlängst Steiger, Johann Gerhard, 52 ff. eingehend gezeigt. Vgl. auch Martti Vaahtoranta, Unio und Rechtfertigung bei Johann Gerhard, 200-248. ш Vgl. dazu Steiger, Johann Gerhard, 54 f. m Siehe zur Rezeption mystischer Schriften und mystischer Frömmigkeit bei Johann Gerhard Steiger, Johann Gerhard, 54 ff., hier: 60. Steiger vertritt dabei gegen Winfried Zeller die These, daß „nicht eine Frömmigkeitskrise, in der die Orthodoxie gesteckt haben soll," Grund „für die Renaissance der Mystik zu Anfang des 17.Jahrhunderts" gewesen ist (a.a.O., 61), „sondern ein innerorthodoxer Auslegungsprozeß." (A.a.O., 62) m So Steiger, Johann Gerhard, 60. m Vgl. zur seelsorgerlichen Ausrichtung der Mystik-Rezeption bei Gerhard Steiger, Johann Gerhard, 52-94.

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steht." 125 Diese ist bei Gerhard durchgängig eingebunden und bestimmt durch die Lehre von der Rechtfertigung allein aus Glauben ohne alle Werke. Das macht sich nicht zuletzt darin geltend, daß Gerhard wie Luther entschieden betont, die Erhebung des Menschen zur Vereinigung mit Christus sei in keiner Weise auf das Vermögen des Menschen zurückführbar 126 , sondern geschehe vielmehr - wie auch Arndt hervorhebt 127 - durch die Predigt des Wortes, welches den Glauben und damit die mystische Vereinigung hervorruft 128 . Gerhard versteht dabei wie Johann Arndt und anders als Feurborn die mystische bzw. geistliche129 Vereinigung der Glaubenden mit Gott in Analogie zur personalen Union Christi 130 . Entsprechend spielt bei Gerhard die Idiomenkommunikation, durch welche die personale Union expliziert wird, eine zentrale Rolle für das Verständnis der mystischen Vereinigung.131 Gerhard bestimmt nämlich innerhalb seiner Entfaltung der Lehre von der Idiomenkommunikation in den Loci den praktischen Sinn der einzelnen Genera der Idiomenkommunikation durch die Analogie zwischen dem jeweiligen aus der personalen Union folgenden Genus der Idiomenkommunikation einerseits und der aus der spirituellen Vereinigung der Glaubenden mit Gott folgenden Vereinigung Christi mit seiner Kirche andererseits. In Entsprechung zu der doppelten Bedeutung des ersten Genus der Idiomenkommunikation 132 sieht Gerhard den praktischen Sinn der personalen Vereinigung Christi im Blick auf das erste Genus in doppelter Weise gegeben. Zum einen entspricht der aus der personalen Union folgenden Übertragung der Eigenschaften beider Naturen auf die Person Christi die spirituelle Vereinigung Gottes und der 125

Steiger, Johann Gerhard, 81. Vgl. dazu Steiger, Johann Gerhard, 65. 127 Siehe Steiger, Johann Gerhard, 74 f. 128 Vgl. Steiger, Johann Gerhard, 66 f. 129 Gerhard spricht zwar häufig von ,unio spiritualis' und nicht von ,unio mystica', doch zeigen verschiedene Stellen wie etwa Loci, Bd. I, Locus IV, These 200, 543, daß Gerhard auch bereits den Terminus ,unio mystica' gebraucht. Dies hat Steiger, Johann Gerhard, 117 gegen Otto Ritschis Behauptung, Gerhard gebrauche den Ausdruck unio mystica noch nicht, nachgewiesen. 130 Siehe exemplarisch Gerhard, Loci, Bd. I, Locus IV, Nr. 192, 536: „Quemadmodum propter unionem personalem duarum in Christo naturarum divina et humana de Christo praedicatur, ita quoque per unionem spiritualem Deus et fidelis anima, Christus et ecclesia fiunt unum mysticum, εν πνεύμα 1. Cor. 6, ν. 17, de quo et divina et humana praedicantur." 131 Vgl. dazu Steiger, Johann Gerhard, 94 ff., bes. 116. 132 Gerhard rechnet zum ersten Genus der Idiomenkommunikation nicht nur im Anschluß an Chemnitz und die Konkordienformel diejenigen Aussagen, in denen Eigenschaften beider Naturen von der Person Christi prädiziert werden (vgl. die Bestimmung des ersten Genus der Idiomenkommunikation in Gerhards Loci, Bd. I, Locus IV, These 1, Nr. 186, 532), sondern auch „illae praedicationes, in quibus humanae naturae proprietates de Filio Dei praedicantur." (Vgl. a.a.O., These 2, Nr. 193, 536) ш

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gläubigen Seele, aus der die mystische Einheit Christi mit seiner Kirche folgt. 133 Zum anderen entspricht der Kommunikation im Sinne der Idiopoiesis und Oikeiosis, die aus der personalen Union Christi folgt, eine solche Kommunikation zwischen Christus und den Glaubenden, in der sich Christus das, was den Glaubenden zugeschrieben wird, zueigen macht. 134 Dem ersten Genus der Idiomenkommunikation korrespondiert also nach Gerhard die mystische Vereinigung der Glaubenden mit Gott, welche im fröhlichen Wechsel' zwischen Christi Gerechtigkeit und der Ungerechtigkeit des Sünders realisiert135 und im Leiden Christi begründet ist. In den primär seelsorgerlich orientierten Schriften spielt dieses Motiv der Vereinigung des Christen mit Gott durch das Leiden bzw. die Wunden und das Blut Christi die entscheidende Rolle bei der Rezeption der Vorstellung von der unio mystica. 136 In den Loci expliziert Gerhard darüberhinaus die Bedeutung der mystischen Vereinigung der Glaubenden mit Christus auch anhand des zweiten und dritten Genus der Idiomenkommunikation. Den praktischen Sinn des zweiten Genus erblickt er zuerst in seiner seelsorgerlichen Bedeutung, welche darin besteht, daß Christus nach seiner menschlichen Natur alle Herrschaft im Himmel und auf Erden empfangen hat, uns in höchstem Maße gegenwärtig ist und um alle unsere Nöte weiß. 137 Da133 Siehe die Bestimmung des praktischen Nutzens in Bezug auf das erste Genus in: Gerhard, Loci, Bd. I, Locus IV, Nr. 192, 536 und Nr. 200, 543. Vgl. außerdem die Postilla Salomonea, Jena 1652, zitiert nach Steiger, Johann Gerhard, 97 f.: „Wie aus der persönlichen Vereinigung der göttlichen und menschlichen Natur in Christo entstehet die persönliche Mittheilung der Eigenschafften / also entstehet aus der geistlichen Vereinigung Christi und der Kirchen / GOttes des H E r r n und einer gläubigen Seele / eine geisdiche Gemeinschafft / nicht allein im Reich der Herrligkeit und im ewigen Leben / sondern auch im Reich der Gnaden und in diesem Leben . . . Denn 1. gleicher weise wie umb der persönlichen Vereinigung göttlichen und menschlichen Natur in Christo willen / so wol göttliche als menschliche / und so wol menschliche als göttliche Eigenschafften von der Person Christi praediciret und außgesprochen werden / also werden Christus und seine Kirche durch diese geistliche Vereinigung ein geistlicher Leib / Gott und eine gläubige Seele werden durch diese geistliche Vereinigung gleichsam ein Geist . . 134 Siehe Gerhard, Loci, Bd. I, Locus IV, These 200, 543: „Quemadmodum ex unione personali resultat talis communicatio, qua ό λόγος carnis assumtae propria et passiones sibi οίκειοϋται: ita quoque ex unione spirituali Christi et fidelium talis oritur communicatio, qua Christus ea, quae in fideles bona vel mala conferuntur, sibi per quandam οίκείωσιν attribuit, quae tarnen οίκείωσις a priori distinguenda, hae enim est σχετική duntaxat ac προσωπική, ilia vero φυσική και ουσιώδης". 135 Vgl. zum fröhlichen Wechsel bei Johann Gerhard auch Vaahtoranta, Unio, 213 f., vor allem die dort 214, Anm. 70 zitierte Stelle aus der Postilla Salomonea. 136 Steiger, Johann Gerhard, 65 ff., zeigt dies an Gerhards Hohelied-Auslegung in der Postilla Salomonea, in der Evangelienharmonie und in den Meditationes sacrae. 137 Siehe Gerhard, Loci, Bd. I, Locus IV, Nr. 281, 586, wo Gerhard den praktischen Nutzen des zweiten Genus der Idiomenkommunikation erläutert: „Usus practicus est 1. consolatorius. Christus secundum earn naturam, juxta quam est frater noster, accepit omnem

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neben sieht er den erzieherischen Sinn des zweiten Genus darin, daß in Analogie zu der aus der personalen Union Christi folgenden personalen Mitteilung göttlicher Eigenschaften an die menschliche Natur Christi aus der spirituellen Vereinigung Gottes und des Glaubenden, Christi und der Kirche eine spirituelle Mitteilung entsteht, durch die und aufgrund derer göttliche Werke des Glaubens dem Menschen als Christen in Bezug auf seinen Glauben zugeschrieben werden können. 138 Als spezifischen Sinn des dritten Genus der Idiomenkommunikation bestimmt Gerhard schließlich die geistliche Gemeinschaft Christi und seiner Kirche im Handeln, welche der personalen Gemeinschaft des Handelns der beiden Naturen Christi entspricht, die aus der personalen Union folgt. 139 Aus der Analogie zwischen der durch die Idiomenkommunikation explizierten personalen Union Christi und der geistlichen bzw. mystischen Gemeinschaft Gottes und des Glaubenden bzw. Christi und der Kirche beschreibt Gerhard die mystische Vereinigung also als eine solche, in der die Glaubenden aufgrund des Leidens Christi mit Christus so vereinigt sind, daß Christus ihnen präsent ist und an ihrem Geschick Anteil nimmt, so daß aufgrund dieser gnadenvollen Gegenwart Christi die Glaubenswerke den Glaubenden zugerechnet werden können und vom einem gemeinschaftlichen Handeln Christi und seiner Kirche auszugehen ist. Dabei fungiert die Rechtfertigungslehre, die Gerhard in den Loci, wie im dritten Kapitel gezeigt wurde, Melanchthon entsprechend entwickelt, durchgängig als Fundament und Rahmen für das Verständnis der mystischen Vereinigung. Das ist nicht zuletzt an der konstitutiven Bedeutung der Anrechnung der Gerechtigkeit Christi für den individuellen Vollzug der geistlichen Vereinigung des Glaubenden mit Christus zu erkennen.140 Denn das

potestatem in coelo et terra, est nobis praesentissimus, est calamitatum nostrarum conscius etc., quomodo ergo nos aversari poterit, quomodo destituetur virtute nos juvandi?" 138 Siehe die Fortsetzung des obigen 2itats aus Gerhards Loci, Bd. I, Locus IV, Nr. 281, 586: „2. Didascalius. U t ex personali duarum naturarum in Christo unione μεταποιία personalis, ita ex spirituali D e i et fidelis animae, Christi et ecclesiae unione spiritualis μεταποιία oritur, per quam et propter quam opera divina fidei et homini Christiano respectu fidei tribuuntur." 139 Gerhard, Loci, Bd. I, Locus IV, Nr. 292, 591: „Ut ex unione personali κοινοποιία personalis, ita ex unione spirituali inter D e u m et fidelem animam, Christum et ecclesiam spiritualis quaedam κοινοποιία oritur, quae consistit in productione communis alicujus αποτελέσματος, ad quod Deus et fidelis h o m o concurrit. Christus rex et sacerdos ecclesiae credentes facit coram D e o reges et sacerdotes Apoc. 5, v. 10 . . . " 140 Siehe Gerhard, Loci, Bd. I, Locus IV, Nr. 192, 536: „Per hanc mysticam άντίδοσιν Christus in se transfert peccata nostra et donat nobis per fidem suam iustitiam; 2. Cor. 5, v. 21: Factus est pro nobis peccatum, ut nos efficeremur justitia Dei in ipso. Neque haec est nuda et verbalis praedicatio, sed efficacissima, ac, ut sie loquar, realissima imputatio. . . . Quae imputatio itidem est vera, realis et efficacissima, ut a poenis peccatorum absolvamur et haeredes vitae coelestis scribamur."

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individuelle Zustandekommen der Vereinigung der Glaubenden mit Christus wird von Gerhard auf die im Wort zugesprochene Zurechnung der Gerechtigkeit Christi zurückgeführt, durch die nach Gerhard die spezielle Präsenz Christi bei den Glaubenden vermittelt wird. Die Zurechnung ist somit die Art und Weise, in der die Glaubenden an dem sie erlösenden Versöhnungswerk Christi Anteil gewinnen und mit Christus vereinigt werden.141 Der wesentliche Unterschied zu Feurborns Aussagen über die mystische Vereinigung des Christen mit Gott besteht dabei darin, daß Gerhard die mystische Vereinigung ausdrücklich aus ihrer Analogie zur personalen Union Christi heraus näher bestimmt, während Feurborn diese Analogisierung abgelehnt hatte. Eine solche Analogie wird im übrigen auch von Arndt noch nicht ausdrücklich gesehen, obwohl er die Bedeutung des Personseins Christi für die Christusgemeinschaft stärker betont als Feurborn. Der Feurbornschen Befürchtung, daß bei einer solchen Analogisierung dem Unterschied zwischen Gott und Mensch nicht hinreichend Rechnung getragen würde, entgeht Gerhard, indem er in der Postilla Salomonea deutlich zwischen personaler Union Christi und spiritueller Vereinigung der Glaubenden unterscheidet142 und letztere nur als Entsprechung zur personalen Union auslegt. Von einer Konstitution der mystischen Vereinigung durch die persönliche Präsenz Christi bei den Glaubenden ist dabei nicht die Rede. Die mystische Gemeinschaft sieht Gerhard vielmehr durch den Rechtfertigungszuspruch vermittelt, den der Glaube ergreift, und der die Gemeinschaft mit Christus vermittelt. Dieser Sichtweise entspricht auch Gerhards Deutung der göttlichen Allgegenwart. Zwar versucht Gerhard hier eine vermittelnde Position gegenüber den Tübingern einzunehmen, indem er die Omnipräsenz aus der Unendlichkeit und Unermeßlichkeit Gottes 143 ableitet und sie dahingehend deutet, daß Gott nicht nur Kraft seiner Wirksamkeit, sondern durch sein Wesen allen Dingen präsent ist.144 Doch dann betont er, daß 141

Vgl. dazu Steiger, Johann Gerhard, 115 f. Siehe das entsprechende Zitat bei Steiger, Johann Gerhard, 95, Anm. 169. 143 Zum allgemeinen Verständnis der Unermeßlichkeit im Verhältnis zur Unendlichkeit bei Gerhard vgl. ders., Loci, Bd. I, Locus II, Nr. 171, 320: „Deus ut sua natura et essentia, actu, per se, simpliciter et absolute est infinitus, ita quoque immensus. Immensitas quandoque accipitur late, quandoque stricte. Late accepta omnibus modis idem est quod infinitas significans D e u m nec loco nec ulla re alia finiri et mensurari per se, sed esse sua natura et essentia infinitum ас immensum. Stricte accepta differt ab infinitate, velut species a genere. Infinitas enim duae quasi species statuuntur: Aetemitas et immensitas. Aeternitas est talis D e i proprietas, per quam nullo tempore finiri nec principium nec finem exsistendi habere, sed citra omnem temporis successionem semper totus simul esse significatur. Immensitas est talis D e i proprietas, per quam nullo loco mensurari ac circumscribi, sed omnia et singula loca citra essentiae suae multiplicationem, extensionem, inclusionem ac divisionem penetrare ac replere significatur." 144 Ygi Gerhard, Loci Teil I, Locus II, Nr. 172, 320: „Haec immensitas et essentialis D e i 142

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die Omnipräsenz Gottes, insofern sie nicht absolut im Blick auf das göttliche Wesen, sondern relativ im Bezug auf die Kreaturen genommen wird, immer als wirksamer Akt bzw. als mit Tätigkeit verbunden zu denken ist.145 Im zweiten Sinne ist die Allgegenwart kein essentielles Attribut Gottes, sondern beginnt mit der Zeit bzw. mit der Schöpfung (ebd.). Dabei dient Gerhard die Unterscheidung zwischen absoluter, essentieller Unermeßlichkeit Gottes einerseits und seiner relativen Allgegenwart Gottes bei den Kreaturen andererseits dazu, die Allgegenwart Christi nach seiner menschlichen Natur bei allen Kreaturen erst für den Stand der Erhöhung 146 aussagen zu können, ohne zugleich die essentielle Unermeßlichkeit seiner menschlichen Natur zu behaupten.147 Auf diese Weise schließt er sich der in der Decisio Saxonica vertretenen und den Gießenern entsprechenden Position an. Soteriologisch bedeutet dies, daß die leibliche Allgegenwart Christi bei allen Kreaturen nicht schon mit dem in der Inkarnation konstituierten besonderen Personsein Jesu Christi gegeben ist, sondern von der königlichen Tätigkeit Jesu Christi abhängt, in der Christus als der Erhöhte die Welt regiert.148 Im Rahmen der Bestimmung der göttlichen Allgegenwart in der Gotteslehre unterscheidet Gerhard dabei die generelle Präsenz Gottes bei allen Kreaturen von seiner speziellen Präsenz bei den Glaubenden 149 , die er als mystische und sakramentale Präsenz bezeichomnipraesentia ita intelligenda est, 1. quod Deus non tantum virtute et efficacia, nec tantum visione et scientia, sed etiam tota et individua sua essentia sit omnibus rebus praesens, neque enim tantum potentia et scientia, etiam essentia est immensus et infinitus." 145 Gerhard, Loci, Bd. I, Locus II, Nr. 181, 326: „Omnipraesentia accipitur dupliciter: 1. radicaliter, prout respectum habet ad ipsum DEUM essentia infinitum et immensum. 2. relative, prout respectum habet ad creaturas, quibus ita praesens est DEUS, ut eas conservet et gubernet. Praesentia Dei nunquam est otiosa, sed ut Deus est efficacissimus actus, ita quoque ipsius praesentia semper conjunctam habet operationem quandam. Priori modo omnipraesentia est omnino unum cum divinae essentiae immensitate. Deus enim inde atque ideo omnipraesens est quia est infinitus et immensus, tum essentiae, tum potentiae respectu. Posteriore modo ab essentiae immensitate distinguitur, ac efficacem potius DEI actionem cum ilia adessentia conjunctam, quam absolutum Dei attributum notat." 146 Siehe die entsprechende Beschreibimg der Erniedrigung Gerhard, Loci, Bd. I, Locus IV, Nr. 303, 597 als „retractio usus et intermissio, qua Christus homo in forma servili constitutus et infirmitate tectus divinam potentiam, gloriam et majestatem vere et realiter sibi communicatam non semper exseruit, sed retraxit et retinuit, donec tempus exaltationis sequeretur." 1*7 Vgl. Gerhard, Loci, Bd. I, Locus II, Nr. 182, 326: „Quicquid naturaliter et essentialiter, id est per suam naturam et essentiam, est omnipraesens, illud est immensae et infinitae essentiae. Jam vero Christum ut hominem non dicimus naturaliter et essentialiter sive per naturam et essentiam suam esse omnipraesentem, sed personaliter h.e. quatenus ipsius assumta humana natura in infinitam Λόγου ύπόστασιν est evecta et in exaltatione ad dextram Patris coelestis collocata." 148 Siehe zum königlichen Amt Christi Gerhard, Loci, Bd. I, Locus IV, Nr. 324, 603. 14 ' Vgl. dazu die Unterscheidung verschiedener Arten und Grade der göttlichen Präsenz,

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net. Sie vollzieht sich nach Gerhard in der Bekehrung durch Wort und Sakrament. Während Gott durch die Taufe Wiedergeburt und Erneuerung bewirke, diene die Mitteilung von Leib und Blut Christi im Abendmahl der Bekräftigung des Glaubens.150 Diese mystische und sakramentale Präsenz Gottes, die durch das prophetische und königliche Wirken Christi vermittelt ist 151 , wird nach Gerhard vertieft durch die spirituelle Präsenz Gottes, in der Gott in seiner Dreieinigkeit denen, die durch Wort und Sakrament zum Glauben gekommen sind, einwohnt.152 Wenn Steiger und Vaahtoranta behaupten, Gerhard habe die mystische Vereinigung des Glaubenden mit Gott als gleichursprünglich mit der Rechtfertigung gedacht 153 , so kann dies anhand der Aussagen in den die Gerhard, Loci, Bd. I, Locus II, Nr. 187, 329 vornimmt. Unter Bezug auf die Unterscheidung von drei Graden göttlicher Präsenz im Sentenzenkommentar von Petrus Lombardus differenziert Gerhard hier zwischen der prinzipiell trennbaren Präsenz Gottes bei den Kreaturen und der einzigartigen und untrennbaren Präsenz Gottes an der Stelle der vom Logos angenommenen menschlichen Natur Christi. Die Präsenz Gottes im ersten Sinne unterscheidet Gerhard weiter in eine generelle erhaltende und regierende Präsenz Gottes bei allen Kreaturen und seine spezielle Präsenz bei den Seligen im ewigen Leben und bei den Glaubenden in diesem Leben. Die in diesem Zusammenhang wichtige und zwischen Gießener und Tübinger Theologen strittige Frage, ob die Präsenz Gottes bei den Glaubenden auf einer substantiellen Annäherung des göttlichen Wesens in der Verheißung beruhe oder nur auf einer speziellen gnädigen Wirksamkeit Gottes als einer Modifikation seiner universalen Omnipräsenz, will Gerhard in seiner Gotteslehre nicht entscheiden, weil sie den Intellekt übersteige. Vgl. dazu Gerhard, Loci, Bd. I, Locus II, Nr. 188, 329 f. Die Entscheidung zwischen den Positionen lehnt Gerhard außerdem auch unter Berufung auf Chrysostomus, Petrus Lombardus und Luther ab (а. а. O., 330). Vgl. dazu auch Vaahtoranta, Unio, 228 f. Nach vorsichtigen Äußerungen zu Feurborns Lehre in seiner Exegesis von 1625, die eine unabgeschlossene Neubearbeitung der Dogmatik darstellt, bietet Johann Gerhard zwei Jahre später in der Evangelienharmonie zwar „eine schulmäßige Entfaltung ,de spirituali Christi et fidelium unione' oder ,mystica unione'" (Mahlmann, a.a.O., 118), doch wird auch hier die Frage nach dem Verhältnis zwischen universaler und spezieller Gegenwart Gottes und damit nach der Eigenart der Präsenz Christi bei den Glaubenden gegenüber seiner universalen Präsenz bei allen Kreaturen nicht geklärt. ι» v g l . zweiten Grad der Präsenz Gottes bei den Glaubenden, den Gerhard von Gottes Präsenz durch seine Erscheinungen zur Zeit des Alten Testaments unterscheidet, Loci, Bd. I, Locus II, Nr. 187, 329: „Deus per verbum et sacramenta in hominibus ad conversionem est efficax ac in baptismo quidem per aquam in nomine Patris, Filii et Spiritus sancti affusam operatur regenerationem ac renovationem, in eucharistia mediante benedicto pane et vino corpus et sanguinem CHRISTI communicantibus distribuit ad fidei confirmationem et spiritualem alimoniam ad vitam aeternam; haec dici potest praesentia mystica et sacramentalis." »я Yg] z u m prophetischen und königlichen Amt Christi Gerhard, Loci, Bd. I, Locus IV, Nr. 322 und 324, 602 f. 152 yg!. Jen dritten Grad der Präsenz Gottes bei den Glaubenden, Gerhard, Loci, Bd. I, Locus II, Nr. 187, 329: „In quorum cordibus per verbi auditum et sacramentorum usum Spiritus sanctus fidem accendit, in illis tota ss. Trinitas gloriose habitat et mansionem apud eos facit; haec potest dici praesentia spiritualis." 153 Vgl. Steiger, Johann Gerhard, 116 und Vaahtoranta, Unio, 211, wobei letzterer be-

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Loci nur im Sinne einer zeitlichen Gleichursprünglichkeit verstanden werden. Im logischen Sinne ist die spirituelle Vereinigung nämlich für Gerhard eine Folge der Rechtfertigung, insofern sie durch die Zurechnung der Gerechtigkeit Christi vermittelt ist. Die wesentliche Weiterentwicklung der Rechtfertigungslehre besteht bei Gerhard mithin nicht in einer Vorordnung der unio mystica, sondern darin, daß durch seine Rezeption der Vorstellung von der mystischen Vereinigung und die Interpretation derselben als Teilnahme Christi am Geschick der Glaubenden die imputative Rechtfertigung nicht mehr als „abstrakt-forensischer Akt" erscheint, „der ontisch ganz außerhalb der menschlichen Wirklichkeit in der Ferne des göttlichen Seins vor sich geht". 154 Die Rechtfertigung realisiert sich vielmehr in der geistlichen Vereinigung der Glaubenden mit Christus und bedeutet für den Glaubenden, daß Christus an seinem Geschick Anteil nimmt. Damit vertritt Gerhard zwar ein anderes Verständnis der unio mystica als Arndt. Doch besteht eine Übereinstimmung zwischen beiden darin, daß sie die mystische Vereinigung im Rekurs auf das Personsein Jesu Christi auslegen. Bei Arndt wird das Ziel der mystischen Vereinigung in der Wiederherstellung der Gottebenbildlichkeit gesehen, die in Jesus Christus offenbar ist, und Gerhard erblickt die praktische Bedeutung der Bestimmung des Personseins Jesu Christi durch die Idiomenkommunikation darin, eine Teilnahme Christi am Geschick der Glaubenden aussagen zu können, durch die sich die spirituelle Gemeinschaft auszeichnet. Beide nehmen dabei eine Zwischenstellung zwischen der Feurbornschen Sichtweise und dem im folgenden Abschnitt darzustellenden Verständnis der Christusgemeinschaft bei Balduin und Thumm ein, insofern sie weder wie Feurborn eine Analogie zwischen tont, daß die unio bei Gerhard, „nicht nur gelegentlich, sondern beinahe stets, und zwar grundlegend mit der regeneratio und die regeneratio wieder vorrangig mit dem Glauben und der Rechtfertigung, also nicht mit der Heiligung bzw. renovatio" verbunden sei. Gegen Oslander bestimmt Gerhard zwar nicht die mystische Vereinigung, wohl aber die spirituelle Einwohnung Gottes als Folge der Rechtfertigung, was den Aussagen Melanchthons und der Konkordienformel entspricht. Siehe dazu Gerhard, Loci, Bd. III, Locus 16, Nr. 196, 478: „Gratiosa DEI inhabitatio est consequens justificationis. Ergo non ipsa forma. Antecedens patet, quia oportet personam prius DEO reconciliari et peccata, quae nos elonginquant a DEO, remitti, antequam homo fiat domicilium et templum DEI." Vgl. dazu auch Vaahtoranta, Unio, 210.215. Während Steiger, Johann Gerhard, 116, in die These von der Gleichursprünglichkeit der Imputation und der unio mystica auch die inhabitatio einbezieht, weist Vaahtoranta, Unio, 215 f. mit Recht darauf hin, „daß Gerhard mit den Begriffen unio und inhabitatio Dei offensichtlich nicht immer dasselbe meint. Unio spiritmlis beschreibt vor allem die iustificatio irnpii als aktuale Vereinigung, in der der real anwesende Jesus Christus sich mit dem Sünder ontisch verbindet. Der Mensch aber wird dadurch nicht qualitativ gerecht gemacht. Die inhabitatio Dei folgt für Gerhard aus der unio und bedeutet, daß der dreieinige Gott selbst im Menschen wohnt, ihn erneuert und durch seine erneuerten Qualitäten in ihm wirkt." 154

Vgl. Vaahtoranta, Unio, 217.

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personaler Union und mystischer Vereinigung ablehnen, noch die Christusgemeinschaft auf die Präsenz der Person Christi im Glauben zurückführen. c) Die Gemeinschaft der Glaubenden mit Christus durch die Präsenz Christi in seinem Personsein Die Feurbornsche Lehre von der besonderen Approximation der substantiellen Gegenwart Gottes bei den Gläubigen ist bereits von Friedrich Balduin und wenig später ebenso von Theodor Thumm in seiner Tapeinosigraphia sacra von 1623 als subtile Neuheit bzw. neue Subtilität abgelehnt worden. 155 Thumms Kritik richtet sich dabei nicht gegen die Differenzierung verschiedener Arten göttlicher Wirksamkeit bzw. Gemeinschaft mit den Kreaturen als solche. Vielmehr lehrt auch Thumm im Anschluß an die unterschiedlichen Schriftaussagen über die Gemeinschaft Gottes mit dem Menschen onomatologisch drei verschiedene Arten göttlicher Gemeinschaft mit den Kreaturen, nämlich erstens die generelle Gemeinschaft, durch welche Gott sich allen Kreaturen mitteilt und Himmel und Erde erfüllt, bewahrt und regiert, zweitens die spezielle Gemeinschaft, in der Gott seinen Geschöpfen durch Christus einwohnt, und schließlich drittens die einzigartige Gemeinschaft der göttlichen und menschlichen Natur Jesu Christi. 156 Aber gegen Feurborn hält es Thumm für unmöglich, die spezielle Gemeinschaft Gottes mit den Glaubenden auf eine besondere substantielle Approximation Gottes zurückzuführen, weil die substantielle Gegenwart Gottes bei den Kreaturen „der Zahl nach nur eine sei".157 Darüber hinaus lehnt Thumm auch die nach seiner Auffassung von Feurborn vorgenommene Definition der Allgegenwart durch Tätigkeit ab 158 und vertritt stattdessen wie Winckelmann und schon Philipp Nicolai 159 die These, daß die generelle Allgegenwart Gottes bzw. Christi bei allen Kreaturen in der Unermeßlichkeit Gottes begründet und nicht primär durch Tätigkeit zu definieren sei.160 Dabei kommt es Thumm mit Winckelmann wesentlich darauf an, daß Gott aufgrund seiner Unermeßlichkeit den von ihm geschaffenen Dingen nicht 155

So referiert ζ. B. Johann Franz Buddeus in seinen Institutiones theologiae dogmaticae 11,1,41, 337 Anmerkung 2. Vgl. Mahlmann, a.a.O., 117. 156 Siehe Thumm, Tapeinosigraphia, 139 f. 157 So O. Ritsehl, а. а. O., 208, mit Bezug auf Thumm, Tapeinosigraphia, 182. iss Ygi Thumms Bestimmung der Streitfragen bzgl. der Omnipräsenz in seiner Tapeinosigraphia, 290. 159 Siehe dazu den Index capitum zu Philipp Nicolais Schrift: Sacrosanctum ommipraesentiaejesu Christi mysterium, in: Opera latina, Bd. I, 189. 160 Vgl. Thumm, Tapeinosigraphia, Theorema IV, 291-299, unter ausführlicher Berufung auf Winckelmann. Das entsprechende Theorema lautet: „Praesentia Dei & Christi θεανθρώπου ad creaturas generalis, non est actio in casu rectu."

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nicht präsent sein kann. 161 In diesem Sinne wird zunächst die Omnipräsenz unter Berufung auf die Schrift und auf die Vernunft formal als eine durch substantielle Nähe bestimmte essentielle Eigenschaft verstanden, wobei Thumm aber ausdrücklich betont, daß diese Präsenz auch Tätigkeit einschließe.162 Auf der Basis dieses Begriffs der Allgegenwart deutet Thumm sodann die in der Inkarnation vollzogene Annahme der menschlichen Natur durch Aufnahme in die Hypostase des Logos als erste, unmittelbare, adäquate und einzige Ursache der allgemeinen Präsenz Christi bei allen Kreaturen 163 , die mit der Inkarnation aktuell und nicht nur potentiell als eine Fähigkeit Christi gegeben und deren Realisierung nicht vom Willen Christi abhängig zu denken sei.164 Diese Sicht ergibt sich für Thumm aus dem Begriff der hypostatischen Union 165 , aus der personalen Perichorese der Naturen Christi 166 , aus den Bekenntnissen167 und überdies auch aus den Aussagen der Gegner selbst168. Geht man mit Thumm davon aus, daß Christus durch die personale Vereinigung des Logos mit der menschlichen Natur allen Kreaturen aktuell präsent ist, so muß die universale Präsenz Christi auch für den Stand der Erniedrigung ausgesagt werden. 169 An dieser These Thumms wird vollends deutlich, weshalb er und seine Tübinger Gesinnungsgenossen sich so entschieden gegen die Gießener Kenosislehre wehren. Die Allgegenwart Christi nach seiner menschlichen Natur soll als aktuelle und nicht nur potentielle Präsenz bei allen Kreaturen verstanden werden, 161

Siehe Thumm, Tapeinosigraphia, 293. Vgl. Thumm, Tapeinosigraphia, Theorema V, 299 ff., bes. 314 f. 163 Siehe Thumm, Tapeinosigraphia, Theorema VI, 327: „Causa prima, proxima, adaequata & unica generalis praesentiae seu propinquitatis substantialis Christi, qua homo est, ad creaturas, est assumptio in infinitam ύπόστασιν τοϋ Λόγου, atque in infinita hac ύποστάσει, unio naturarum arctissima, κοινονία mutua ac intima & περιχωρήσει profundissima." Siehe außerdem die Bestimmung der Streitfrage а. а. O., 330 f. i" Vgl. Thumm, Tapeinosigraphia, 330 f. Siehe bes. die Darstellung der gegnerischen These Mentzers а. а. O., 332 f. 145 Siehe Thumm, Tapeinosigraphia, 334 f.: „ . . . deducta est a TERMINO UNIONIS HYPOSTATICAE. Quidquid realiter & actu in infinita, omnibusque creaturis indistanter praesente hypostasi subsistit, illud creaturis per voluntatem & sessionem ad dextram Dei поп adest vel abest, sed vel per naturam, vel assumptionis gratiam, поп potest поп indistanter adesse. Rationem maioris do duplicem: 1. quod enim vel per naturam immensum seu infinitum est, vel in immensa hypostasi realiter & actu subsistit, illud (existentibus creaturis) поп potest поп creaturis omnibus indistanter adesse . . . 2. Quia est una του λόγου & humanae naturae praesentia; Quidquid enim Logos per naturam habet, id ipsum & поп aliud seu diversum quid, accepit caro per assumptionis & unionis gratiam". 166 Thumm, Tapeinosigraphia, 336. 147 Thumm, Tapeinosigraphia, 336 f. 168 Thumm, Tapeinosigraphia, 340 f. m Vgl. Thumm, Tapeinosigraphia, Theorema VII, 342: „Christus secundum humanitatem in statu humiliationis propinquitate substantiali indistanter adfuit omnibus creaturis." Vgl. dazu die Argumente a. a. О., 350 ff. 162

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die in dem durch die Inkarnation des Logos konstituierten Personsein Jesu Christi unhintergehbar begründet ist. Wird die Allgegenwart Christi hingegen für die Zeit der Erniedrigung nur als potentielle Präsenz bei den Kreaturen gedeutet, so heißt das für Thumm, daß der Logos auch noch nach der Inkarnation als nicht nur in, sondern auch außerhalb des angenommenen Fleisches präsent gedacht wird 170 , was einer Rücknahme der Personeinheit und damit auch ihrer essentiellen und aktuellen Präsenz bei allen Kreaturen gleichkommt. Man versteht Thumms Abwehr gegen ein kenotisches Verständnis der Erniedrigung falsch, wenn man darin nur den Versuch einer logisch konsequenten Auslegung der personalen Union erblickt. Das zentrale Anliegen Thumms besteht vielmehr umgekehrt darin, die Allgegenwart Christi nach seinem Fleisch bei allen Kreaturen als aktuell gegebene, weil durch sein in der Inkarnation konstituiertes Personsein begründete zu explizieren, die jeder speziellen gnädigen Wirksamkeit Christi durch Wort und Sakrament immer schon zugrundeliegt. Dieses zentrale Interesse an der Allgegenwart Christi nach seiner menschlichen Natur bei allen Kreaturen findet sich im übrigen bereits in prägnanter Weise bei Philipp Nicolai, der nicht nur in einem Brief an Daniel Hofmann 1590, sondern später auch in seiner Schrift über das heilige Mysterium der Omnipräsenz Christi von 1602 und in „Grundfest und richtige Erklerung Deß streitigen Artickels von der Gegenwart unsers Seligmachers Jesu Christi" von 1604 die elementare Bedeutung der Ubiquität für das ewige Heil vertritt. 171 Für eine umfassendere Bewertung der Debatte um die Omnipräsenz Gottes ist am Rande interessant zu sehen, daß im Hintergrund der unterschiedlichen Bestimmung der göttlichen Allgegenwart bei Mentzer, Feuerborn und in der Decisio einerseits, bei Thumm und den anderen Tübingern andererseits letztlich eine unterschiedliche Bewertung der natürlichen Gotteserkenntnis steht. Während Mentzer und Feurborn wie bereits Chemnitz und Heßhusen die Allgegenwart allein im Rekurs auf Schriftaussagen auszusagen versuchen, bezieht Thumm die natürliche Gotteserkenntnis in seine Argumentation ausdrücklich ein.172 Einen dritten, vermittelnden Weg schlägt Johann Gerhard vor, indem er zum einen die philosophische Bestimmung der Allgegenwart Gottes aus seiner Un170

So argumentiert Thumm, Tapeinosigraphia, 486 f. Vgl. dazu J. Baur, Die lutherische Christologie im Kontext der Gestaltwerdung lutherischen Christentums, 165 und 184 ff. Wie Baur, a.a.O., 185 f. zeigt, löst sich Nicolai dennoch durch einige problematische Verschiebungen „vom Hauptstrom der Lehrentwicklung an den theologischen Fakultäten" ab. Dazu gehört auch, daß bei Nicolais Analogisierung der unio personalis und der unio spiritualis ein Verständnis der unio personalis als bloß historischer Voraussetzung des frommen Selbstbewußtseins des Christen nicht ausgeschlossen ist, wie Baur, a.a.O., 186 im Rekurs auf Lindström, a.a.O., 147-157 andeutet. 172 So O. Ritsehl, a.a.O., 184f. 171

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ermeßlichkeit und Unendlichkeit übernimmt, zum andern aber die relative Allgegenwart bei den Kreaturen im Rekurs auf die Schrift als stets durch Tätigkeit bestimmt denkt. 173 Damit deutet er bereits die später von Johann Musäus in seiner Einführung in die Theologie zum Programm erhobene Verhältnisbestimmung von natürlicher und offenbarter Theologie an, die zwar nicht wie bei Thumm die Philosophie konstruktiv in die Explikation theologischer Inhalte einbezieht, aber die natürliche Gotteserkenntnis doch gezielt dazu einsetzt, die Eigentümlichkeit der Offenbarung als Erkenntnisquelle der Theologie zu demonstrieren. 174 Von seiner Deutung der Allgegenwart Gottes her kann Thumm die Feurbornsche Approximationstheorie nicht akzeptieren. Denn nach Feurborn realisiert sich die spezielle Präsenz Gottes bei den Glaubenden durch eine von der universalen Präsenz grundsätzlich verschiedene, besondere Annäherung des göttlichen Wesens in seiner Verheißung. Diese bezieht sich zwar inhaltlich auf das gesamte Heilswerk Christi, wird aber in der Gießener Tradition nicht als in der Inkarnation begründet gedacht, sondern auf eine davon unterschiedene willentliche Operation Gottes in der substantiellen Approximation bei den Glaubenden zurückgeführt. Dahinter verbirgt sich ein „Voluntarismus im Gottesverständnis" 1 7 5 , von dem her es schwierig ist, die Universalität der Gnade Gottes als Grund der Heilsgewißheit des Christen theologisch zu verteidigen, weil die individuelle Vermittlung des Heils von einer besonderen willentlichen Annäherung Gottes abhängig erscheint. Im Unterschied dazu eröffnet die Thummsche Konzeption die Einsicht, daß sich die durch Wort und Sakrament vermittelte gnädige Präsenz Christi bei den Glaubenden ihrem Wesen nach nicht von seiner generellen Präsenz bei allen Kreaturen unterscheidet. Die Besonderheit der Gnadengegenwart Gottes in Christus besteht sonach nicht in einer andersartigen oder auch gesteigerten Gegenwart Gottes, sondern vielmehr darin, daß sie den Einzelnen die in Christi Personsein begründete und universal immer schon gegebene Prä173 Diese Sicht favorisiert später auch der Jenaer Theologe J o h a n n Franz Buddeus in seinen Institutiones theologiae dogmaticae 11,1,41, 3 3 5 - 3 3 8 , zu Gerhard siehe bes. ebd., 336 f., wobei Buddeus betont, daß die von G e r h a r d vertretene Sicht vor dem Streit zwischen Tübingern und Gießenern nicht umstritten gewesen sei. Buddeus selbst lehnt die „de substantiae divinae ad piorum animos adproximatione, sententiam" von Feurborn ausdrücklich ab, vgl. ebd., 337: „ H i n c &, quando Deus in cordibus sanctorum habitare, cum iis uniri & specialiori adeo ratione quadam ad eos accedere dicitur, ut loan. XIV,23. id non de nova essentiae divinae accessione, aut adproximatione, uti loqui solent, cum iam ceteroquin Deus rebus creatis omnibus, adeoque piis pariter ac impiis hominibus, sua essentia intime praesens sit; sed de operationibus gratiae divinae intelligendum esse, praestantissimi ecclesiae nostrae theologi adferunt."

Vgl. d a z u Nüssel, Bund und Versöhnung, 253 ff. Vgl. Mahlmann, Unio, 142, der allerdings die soteriologischen Konsequenzen dieser Sicht nicht ausleuchtet. 174 175

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senz der Person Christi erkennen läßt und ihn auf diese Weise konkret in die Christusgerneinschaft stellt. Der universale Heilswille Gottes wird durch diese Sicht besser zur Geltung gebracht als bei Feurborn. Die Bestimmung der Christusgemeinschaft entwickelt Thumm im Rückgriff auf die oben bereits vorgestellte Disputation von Friedrich Balduin176 in der „Impietas Wigeliana" von 1622. In dieser Schrift macht sich Thumm die Widerlegung von hundertzwanzig Irrtümern des Weigelianismus zur Aufgabe, die beinahe alle Loci der reformatorischen Lehre betreffen. 177 Der weigelschen Auslegung der Christusgemeinschaft als einer essentiellen Einheit mit Christus 178 begegnet Thumm im Anschluß an Balduin durch eine generische und eine spezifische Bestimmung 179 der Christusgemeinschaft der Glaubenden, wobei die generische Bestimmung durch eine onomatologische 180 und pragmatologische 181 Analyse der Schriftaussagen zur Christusgemeinschaft gewonnen wird. Nachdem Thumm onomatologisch die Schriftaussagen zur speziellen Gemeinschaft Christi mit den Glaubenden ermittelt hat, definiert er in der Pragmatologie die Gemeinschaft mit Christus in allgemeiner Weise als die engste Verbindung mit Christus nach seinen beiden Naturen und mit der ganzen Dreieinigkeit, die durch Wort und Sakramente vermittelt wird, die Teilhabe an Christi lebenspendender Kraft erschließt und den Dienst Gottes ermöglicht.182 Ausgehend von dieser allgemeinen Defini176 Siehe dazu Mahlmann, a.a.O., 117 in Ergänzung zu den Ausführungen O. Ritschis, а. а. O., 208 f., dessen mangelhaftes Quellenstudium Mahlmann hier und andernorts moniert. 177 Zu Beginn der Impietas Wigeliana sammelt Thumm die Irrtümer der Weigelianer im Index Errorum, der nach den verschiedenen Themenbereichen gegliedert ist, auf die sich die Irrtümer beziehen. Dabei werden die die Rechtfertigung und die Christusgemeinschaft betreffenden Auffassungen in dem Abschnitt „De statu restituto" behandelt, vgl. а. а. O., 111 ff. 178 Thumm, Impietas, 139.149-151. 179 Thumm, Impietas, 139-145 „generice" und 145-149 „specifice". 180 v g l . Thumm, Impietas, 139 f. zur Onomatologie, 140 ff. zur Pragmatologie. Thumm unterscheidet innerhalb der Onomatologie zwischen homonymen und synonymen Schriftstellen zur communio. Unter den homonymen Stellen sage Jer 23,24 die communio generalis aus, »qua DEUS se omnibus creaturis communicate & caelum ас terram implere dicitur", während Joh 15,5 die communio specialis beschreibe, „qua Deus поп tantum sanctos conservat Gr gubemat, ut in GENERALI, sed etiam in ipsis inhabitat & tanquam organis potentiae suae utitur, ut absque Christo nihil possint facere, ... neque Christus absque ipsorum ministerio facile aliquid velif (139 f.). In Joh 1,14 und Hebr 2,14 sei schließlich von der communio singularis der Inkarnation des Logos die Rede (140). Mit Hilfe dieser Analyse isoliert Thumm die communio specialis als Gegenstand der Debatte und führt 2. Kor 6,14-16; Joh 14,20; 15,4; Rom 5,6; 1. Kor 6,15.16 und Gal 3,27 als synonyme Schriftstellen an. 181

Thumm, Impietas, 140 ff. Thumm, Impietas, 140: „COMMUNIO NOSTRI CUM Christo est arctissima conjunctio cum ipso & TOTA adoranda Triunitate inclusive, per Verbum & Sacramenta, ut NOS vivificae suae virtutis redditi participes, idonei simus ad inserviendum Deo & proximo, ad superanda 182

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Christusgemeinschaft und Rechtfertigung

tion der Christusgemeinschaft erfolgt die pragmatologische Näherbestimmung durch die Unterscheidung zwischen der spirituellen und der sakramentalen Christusgemeinschaft. 183 Im dritten Schritt gibt Thumm die jeweiligen Ursachen der spirituellen und der sakramentalen Gemeinschaft mit Christus an 184 , um auf dieser Basis die spezifischen Definitionen der spirituellen und der sakramentalen Gemeinschaft zu entwickeln.185 Die spirituelle Christusgemeinschaft ist sonach eine solche Verbindung mit Christus, die durch die vertrauensvolle Annahme gemäß der evangelischen Verheißungen zur innigsten Vertrautheit mit Christus führt, so daß es zu einer reziproken Immanenz zwischen Christus und dem Glaubenden kommt und sich die lebendigmachende Kraft des Erlösers in ihm ergießt. 186 Sie wird nach Thumm durch Wort und Sakrament als der offerierenden Instrumentalursache und durch den Glauben als der ergreifenden Instrumentalursache vermittelt.187 Im Unterschied dazu sieht er die sakramentale Christusgemeinschaft allein durch das Abendmahl, genauer durch die manducatio oris begründet. 188 Da diese den Erwachsenen vorbehalten ist, kann die spirituelle Gemeinschaft mit Christus, die bereits den Kindern durch die Taufe erschlossen wird, nicht von der sakramentalen Abendmahlsgemeinschaft mit Christus abhängig gedacht werden. 189 Vielmehr diene die im Abendmahl begründete sakramentale Gemeinschaft ihrerseits der Bekräftigung der spirituellen Vereinigung.190 Dabei ist zu notieren, daß diese Verhältnisbestimmung der spirituellen und der sakramentalen Christusgemeinschaft sich von Gerhards Bestimmung der mystisch sakramentalen und der spirituellen Vereinigung insofern unterscheidet, als Gerhard die spirituelle Vereinigung durch Einwohnung der Trinität als Folge und pericula & extinguenda tela nequissimi". In dieser Definition ist Christus bzw. die Dreieinigkeit Gottes das ,Relatum', Wort und Sakrament gelten als die causa Instrumentalis oblativa und der Glaube als die causa Instrumentalis apprehensiva. Causa finalis der communio nostri cum Christo ist, „ut simus Filii Dei, qui prius Filii irae, Ephes. 2. v.3. ut simus Templa Spiritus sancti ..."(ebd., 141). 183 Thumm, Impietas, 142. Die Unterscheidung wird zuerst aus Schriftstellen, dann durch Väterzitate belegt. 184 Thumm, Impietas, 145. 185 Vgl. Thumm, Impietas, 145 ff. 186 Thumm, Impietas, 145 f.: „Definitio. Spiritualis nostri cum Christo communio, est TALIS cum IPSO conjmctio, qua per fiducialem apprehensionem ejus juxta promissiones Evangeliens, in intimam ejus familiaritatem addueimus, ita ut in nobis ipse maneat & nos in ipso & ista immanentia reeiproea Christus noster effectus vivificam facultatem in nos effundat 187 Thumm, Impietas, 146. 188 Thumm, Impietas, 148. ж Vgl. dazu Thumm, Impietas, 145: „Spiritualiter conjunguntur etiam Christo infantes, licet Sacramento Coenae usi non fuerint: Sacramentaliter tantum adulti." 1,0 Thumm, Impietas, 148: „Effecta: per hanc enim communionem cum corpore Christi dueimur in spiritualem illam conjunctionem" mit Verweis auf Chrysostomus und Irenaus.

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Vertiefung der durch beide Sakramente konstituierten mystischen Vereinigung ansieht, während Thumm umgekehrt die sakramentale Gemeinschaft als Konkretion der spirituellen Gemeinschaft versteht. Die genaue Beschreibung der spirituellen Gemeinschaft der Glaubenden mit Christus entwickelt Thumm wie Gerhard aus der Analogie zur personalen Union Christi. 191 Im Unterschied zu Gerhard setzt er dabei jedoch nicht die von Gerhard übernommene konkordistische Unterscheidung dreier Genera der Idiomenkommunikation 192 voraus, sondern orientiert sich an der Unterscheidung von vier Genera, wie er sie selbst schon in der Schrift über die Majestät Christi vertreten hat und auch in Balduins Disputation über die Christusgemeinschaft 193 antrifft. Aus der Analogie zum ersten Genus der Idiomenkommunikation ergibt sich für die Bestimmung der spirituellen Gemeinschaft mit Christus zunächst, daß wir in Entsprechung zur Erhöhung der menschlichen Natur durch die in der Herabkunft des Menschensohnes erkennbare hypostatische Union mit der göttlichen Natur des Logos selbst durch den Glauben Teilhaber der göttlichen Natur werden. 194 Die zweite Wirkung der spirituellen Gemeinschaft mit Christus besteht in Analogie zu dem zweiten Genus der Idiomenkommunikation, welches die Idiopoiesis bezeichnet, darin, daß Christus im Leiden des Christen selbst mitleidet, so wie sich der Logos in der Annahme der menschlichen Natur auch alle Schwächen derselben zueigen gemacht hat. 195 Als dritte Wirkung der Christusgemeinschaft benennt Thumm anhand des apotelesmatischen Genus der Idiomenkommunikation, daß der Logos so, wie er durch das von ihm angenommene Fleisch der menschlichen Natur tätig ist, auch in den Glaubenden wirkt. 196 Und schließlich wird aus der Analogie zum Majestätsgenus der Idiomenkommunikation die Aussage möglich, daß auf-

m Thumm, Impietas, 146 f.: „Effecta stupenda. Nam quod ex unione fersonali humanae naturae cum λόγψ necessario sequitur, idem etiam SUO MODO, κατά τύπον και άναλογίαν, ex Unione nostri cum Christo profluit, ita tarnen, ut Christus in omnibus primas teneat m Vgl. SD VIII, BSLK 1028 ff., 1031 ff., 1035 ff. m Vgl. Balduin, Disputatio tertia de communione nostri cum Christo, Thesen 42-45. 1,4 Thumm, Impietas, 147: „I. Filius hominis in consortium divinae naturae per Unionem hypostaticam devenit, ut MAR1AE filius, vere dicatur filius Altissimi, Luc. 1. 32. ita NOS per fidem sumus . . . consortes divinae naturae, 2. Pet. 1. v.4. ut vere dicamur filii Dei, haeredes & cohaeredes Christi, Rom. 8. v.17." 191 Thumm, Impietas, 147: „II. Sicut ό λόγος omnes infirmitates & injuria! assumptae carnis sibi appropriavit, ut vere dicatur, AUCTOREM vitae interfectum esse, Act. 3. v.15. Dominum GLOR1AE crucifixum esse, 1. Cor. 2. v.8. haec enim appropriatio tam realis, ut passio, mors & c. non minus toO λόγου passio, mors & c. & affectiones sint, quam si in propria SUA natura, si FIERI potuisset, haec omnia sustinuisset, ita etiam patiente Christiane patitur ipse Christus. Quid enim persequeris, acclamat SauH, Act. 9." ** Thumm, Impietas, 147: „III. Sicut ό λόγος in omnibus operatur per suam camem, ita etiam operatur per fideles suos".

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grund der Mitteilung der göttlichen Majestätseigenschaften an die menschliche Natur durch den Logos in der Inkarnation auch die Glaubenden auf ihre Weise an den göttlichen Eigenschaften der Allwissenheit und Allmacht Anteil gewinnen.197 Vergleicht man Thumms Beschreibung der Vereinigung der Glaubenden mit Christus durch die Idiomenkommunikation mit der Analogisierung zwischen personaler und mystischer Vereinigung bei Gerhard, so zeigt sich, daß Thumm im Anschluß an Balduin nicht nur ein Entsprechungsverhältnis, sondern ein Abhängigkeitsverhältnis zwischen beiden Vollzügen der Vereinigung198 annimmt. Die Personeinheit Jesu Christi ist nämlich nach Thumms knapper Auskunft als Analogon zugleich das Urbild, nach welchem sich die Vereinigung der Glaubenden mit Christus vollzieht.199 Balduin erklärt dies noch deutlicher, indem er die spirituelle Vereinigung mit Christus ebenso wie die Personeinheit Christi auf die einwohnende Gnade des Logos zurückführt. 200 Zwar wird die spirituelle Gemeinschaft mit Christus wie bei Gerhard durch Wort und Sakrament offeriert, doch als Konstitutionsgrund der Christusgemeinschaft benennen weder Balduin noch Thumm wie Gerhard die Zurechnung der Gerechtigkeit 201 . Vielmehr erscheint Christus selbst - bzw. bei Balduin die das Personsein Christi konstituierende Gnade des Logos - als objektiver Konstitutionsgrund der spirituellen Vereinigung der Glaubenden mit ihm. Denn in der durch die Idiomenkommunikation konkret bestimmten Vereinigung des Logos mit der menschlichen Natur kann der Glaube die im Personsein Jesu Christi gesetzte Voraussetzung und die konkrete Gestalt

197

Thumm, Impietas, 147: „IV. Sicut ο λόγος carni assumptae divina plane communicavit idiomata, ut dicatur caro omniscia, omnipotens & c. ita etiam fidelibus suo modo." Als Schriftbelege führt Thumm M k 9; 1. Kor 2,16; Eph 2; 2. Tim 2,12 und Phil 4,13 an. lw Vgl. Balduin, Disputatio tertia de communione nostri cum Christo, These 1: „ D U O sunt admirabiliter singularia 8c singulariter admirabilia mysteria: U n u m του λόγου cum carne nostra unio: alterum nostri cum Christo communio. . . . Illa hujus quidam quasi typus est: haec illius antitypus: illa fons, haec salutaris aqua, quae ex fonte isto fluit." m Siehe Thumm, Impietas, 146 f.: „Nam quod ex unione personali humanae naturae cum λ ό γ φ necessario sequitur, idem etiam SUO MODO, κατά τύπον και άναλογίαν, ex Unione nostri cum Christo profluit, ita tarnen, ut Christus in omnibus primas teneat." 200 Vgl. Balduin, Disputatio tertia de communione nostri cum Christo, These 41: „Fructus hujus nostrae cum Christo communionis eximius & plane divinus est. N a m quod ex unione personali humanae naturae cum λ ό γ φ necessario sequitur, idem etiam suo m o d o 8c κατ' άναλογίαν ex unione nostri cum Christo profluit, ita tarnen ut Christus in omnibus primas teneat, ex cujus plenitudine nos accepimus: 8c quod hujus generis in ipso fit personaliter, id nobis contingit per fidem, utrobique tarnen per inhabitantis λόγου gratiam." 201 Thumm macht bei der Bestimmung der einzelnen Ursachen der spirituellen Vereinigung der Glaubenden mit Christus keine Angaben zur causa formalis, vgl. ders., Impietas, 146 f. D i e Art und Weise, in der er die spirituelle Vereinigung nach dem Typus der Idiomenkommunikation beschreibt, läßt aber keine andere Möglichkeit zu, als Christus selbst als causa formalis der spirituellen Vereinigung zu denken.

Deutungen der mystischen Vereinigung

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erkennen, in der Christus sich ihm mitteilt. Daß es für Thumm daher im Unterschied zu Gerhard bei der Explikation der Vereinigung mit Christus anhand der Idiomenkommunikation nicht nur um die Teilhabe Christi am Geschick der Glaubenden, sondern um die Aussage der Selbstmitteilung der Person Christi geht, läßt sich vor allem an seiner Auslegung der Idiopoiesis im zweiten Genus und an der Auslegung des Majestätsgenus ersehen. Während Gerhard dem ersten und zweiten Genus entnimmt, daß Christus um alle Bedürfnisse der Glaubenden weiß und ihnen in höchstem Maße gegenwärtig ist, deutet Thumm die Idiopoiesis mit Bezug auf Act 9,4 so, daß Christus selbst durch den leidenden Christen leidet, und daß in Entsprechung zur Mitteilung der göttlichen Majestätseigenschaften an die menschliche Natur Christi auch der Glaubende an diesen Eigenschaften Anteil gewinnt, weshalb beispielsweise Mk 9,23 gesagt werden könne, dem Glaubenden sei alles möglich.202 Hier wird also eine reale Vereinigung im Sinne der reziproken Immanenz zwischen Christus und dem Glaubenden gedacht, die in Christi einzigartigem Personsein begründet ist und im Glauben als der apprehendierenden Instrumentalursache ergriffen wird. 203 Mit dieser Definition der spirituellen Christusgemeinschaft durch die Idiomenkommunikation widerlegt Thumm nicht nur die Weigelsche Fehldeutung der Vereinigung der Glaubenden mit Christus als einer essentiellen bzw. leiblichen Vereinigung mit Christus 204 , sondern erreicht zugleich ein Verständnis der Christusgemeinschaft als realer und wahrhafter Gemeinschaft, das von Weigels Kritik an einem rein imputativen Verständnis der Vereinigung bzw. Rechtfertigung 205 nicht getroffen wird. Denn die Christusgemeinschaft bzw. Gotteskindschaft der Glaubenden wird nach Thumms Konzeption nicht erst durch die Imputation im Urteil Gottes gesetzt, sondern gründet in der vom ersten Moment der Inkarnation an gegebenen allgegenwärtigen Präsenz Christi in seinem beson202 Vgl. T h u m m , Impietas, 147. Als weitere Belege f ü r die Teilhabe d e r Glaubenden an den Majestätseigenschaften Christi nennt T h u m m 1. K o r 2,16; Eph 2 , 4 - 6 ; 2. T i m 2,12. 203 Vgl. dazu noch einmal T h u m m s Definition d e r spirituellen Vereinigung d e r Glaubenden mit Christus, Impietas, 145 f.: „Spiritualis nostri cum Christo communio, est TALIS cum IPSO conjunctio, qua per fiducialem apprehensionem ejus juxta promissiones Evangelicas, in intimam ejus familiaritatem adducimur, ita ut in nobis ipse maneat & nos in ipso & ista immanentia reciproca Christus noster effectus vivificare facultatem in nos effundat." 204 Vgl. d a z u T h u m m , Impietas, 149: „Communionem nostri cum Christo Sc a d o r a n d a Trinitate, statuunt esse ESSENTIALEM, qua essentia camis nostrae, cum essentia camis Christi & cum essentia Dei corporaliter conjungatur". 205 Vgl. T h u m m s Zitat aus Weigels Dialog „de Christinismo", Impietas, 149: „ U n d e addit pag. 12. Wir müssen alle mit einander nicht mit Gott allein nach dem Geist wesentlich vereiniget werden / sondern auch nach dem Fleisch und Blut leibhaffiig. Sc pag. 13. Wir müssen in ihme / mit ihme / und durch ihne / newe Creaturen seyn / auß Gott selber geborn / wesentliche Kinder Gottes / und nicht imputativisch".

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deren Personsein und wird im Glauben individuell erkannt und angeeignet. Wenn Thumm in seiner Deutung der Allgegenwart Christi gegen Mentzer und Feurborn entschieden betont, „daß Christi göttliche und seine menschliche Natur kraft seiner unendlichen Person und vermöge der in ihr erfolgten Einigung und Durchdringung seiner beiden Naturen notwendig allen geschöpflichen Dingen gegenwärtig sein müsse" 206 , und die Vorstellung einer davon unterschiedenen substantiellen Approximation Gottes bei den Glaubenden ablehnt, so soll damit die voluntaristische Vorstellung ausgeschlossen werden, daß Gott sich in Christus erst durch die jeweilige individuelle Vermittlung seiner Verheißung heilsam präsent macht. Zwar geht auch Thumm selbstverständlich davon aus, daß der Glaube, welcher Christus erkennt und die Gemeinschaft mit ihm ergreift, durch Wort und Sakrament hervorgerufen wird. Aber die Gnade und Präsenz Gottes erweist sich nicht erst in der Verheißung der Zurechnung der Gerechtigkeit Christi, sondern hat sich erwiesen in der Inkarnation. Wenn Thumm in der Impietas Wigeliana gegen Weigel und im Einklang mit der melanchthonisch-konkordistischen Tradition das Verständnis der Rechtfertigung als Zurechnung der im Verdienst Christi manifesten Gerechtigkeit Christi verteidigt und diese sogar in flacianischer Weise expliziert, so kann dieses auf das Verdienst Christi bezogene Zurechnungsurteil im Lichte seiner Christologie und seines Verständnisses der spirituellen Vereinigung des Glaubenden mit Christus doch nicht als der objektive Konstitutionsgrund der Glaubensgerechtigkeit gedacht sein, sondern als Zuspruch der in der Präsenz der Person Christi begründeten Christusgemeinschaft der Glaubenden und der damit verbundenen Teilhabe an den Wohltaten Christi, durch die die Glaubenden in Christus gerecht sind.207 Dabei geht die Christuspräsenz dem Glauben und der Rechtfertigungsbotschaft insofern vorauf, als sie in der gleichen Weise wie die universale konservatorische und gubernatorische Präsenz der Person Christi in der Inkarnation begründet ist und ihre individuelle Vermittlung in der Verheißung nicht von einer weiteren willentlichen Annäherung Gottes abhängig gedacht wird. Diesen letzten Grund der Heilsgewißheit sicherzustellen, ist das Ziel der Tübinger Argumentation im Dialog mit Gießen. Denn die „Erhöhung der Menschheit zu Gott in der Personeinheit Christi bedeutet, das ist der fromme Sinn der Tübinger Argumentation, in keinem Augen-

Ritsehl, a.a.O., 182f. Thumm unterscheidet die spirituelle von der sakramentalen Gemeinschaft im Blick auf deren Ziel und Wirkung dadurch, da£ die spirituelle Gemeinschaft die Teilhabe an den Wohltaten Christi herbeifuhrt, während die sakramentale Gemeinschaft diese Teilhabe versiegelt. Siehe Thumm, Impietas, 145: „spiritualis commmio affert communionem omnium beneficiontm Christi, Sacramentalis vero obsignat."

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blick die Abwendung Gottes von der Welt, sondern umgekehrt immer seine Zuwendung zu ihr als der menschgewordene Gott", während in der Sicht der Gießener die Weltgegenwart Gottes bzw. Christi „vor allem bei den Frommen . . . nicht schon aufgrund der Personeinheit als solcher, sondern zureichend erst aufgrund der Verheißimg Christi" angenommen werden kann.208 Dementsprechend verstehen Mentzer und Feurborn die Gemeinschaft mit Christus als die durch die Multivolipräsenz Christi im Geist vermittelte Folge der Verheißung und ihrer Annahme des Verdienstes Christi im Glauben.209 Symptomatisch dafür ist, daß Mentzer in seinem Katholischen Handbüchlein in dem auf die Erörterung des Glaubens folgenden Abschnitt über den freien Willen sicherstellen muß, daß der Glaube keine Leistung oder Qualität des Menschen, sondern „eine Gabe und Geschenk Gottes" ist.210 Im Unterschied dazu eröffnet die Thummsche Konzeption der Christologie und der Christusgemeinschaft der Glaubenden die von Thumm allerdings selbst nicht ausdrücklich explizierte Möglichkeit, nicht nur den Inhalt, sondern auch den Akt des Glaubens als in der Christusgemeinschaft selbst begründet zu denken 211 und auf diese Weise die Mißdeutung des Glaubens als Eigenleistung des Menschen nicht mehr unter Verweis auf ein von Christi Wirksamkeit isoliertes Wirken des Geistes ausschließen zu müssen. Gilt nämlich von der Christusgemeinschaft in 208

So Spam, Krise, 59. Dieses unterschiedliche Abhängigkeitsverhältnis zwischen Glaube und Christusgemeinschaft bei Thumm einerseits, Feurborn andererseits notiert auch O. Ritsehl, а. а. O., 210. ио Vgl. dazu das 14. Kapitel über den freien Willen aus Mentzers Handbüchlein, 72 ff. Dagegen handeln Hafenreffer und Thumm in ihren Loci-Darstellungen vom freien Willen nur im Zusammenhang der Anthropologie, obwohl auch sie den Glauben nicht als menschliche Leistung ansehen. Doch die Notwendigkeit, dies im Zusammenhang der Heilsaneignung noch einmal durch eine Darlegung des unfreien Willens zu stützen, sehen sie nicht. 211 Vgl z u m Glaubensbegriff bei Thumm, Synopsis, 406-415. Bei der Beschreibung der Heilsgewißheit des Glaubens erläutert Thumm den Fiduzialglauben in Auseinandersetzung mit den Jesuiten durch Hinweis auf 1. Kor 13,5, vgl. a.a.O., 413: „Excipiunt Jesuitae: Philippum recte credentem, salvari; nos credimus: recte vero Philippum credere, поп credimus, dona a DEO reveletur. Resp. Me recte credere, scio; Sic vero vos Jesuitae non potestis scire, an recte credatis, audite Paulum 1. Cor. 13. v. 5. Vosmetipsos tentate, si estis in Fide, ipsi vos probate, annon agnoscitis vosmetipsos, quia Christus Jesus in vobis est? nisi forte reprobi estis. Ex quo loco patet, Christianum scire, se habere Fidem & cognoscere, quod Christus in ipso est. Ergo pacem habet cum Deo, quod credimus." Hier ist deutlich, daß für Thumm die Christuspräsenz Grund der Heilsgewißheit des Glaubens ist. Daß von daher der Akt des Glaubens, in dem die Präsenz Christi erkannt und ergriffen wird, der Christuspräsenz nachfolgend zu denken ist, sagt Thumm zwar nicht ausdrücklich, weil es ihm an dieser Stelle nicht um das Problem der Genese des Glaubens geht. Aber die These von der Heilsgewißheit des Glaubens läßt sich ohne den Gedanken, daß der Akt des Glaubens in der Selbstmitteilung Christi durch den Geist begründet ist und aufgrund der Einsicht in diese Selbstmitteilung vom Christen nicht als Eigenleistung gedeutet werden kann, nicht schlüssig verteidigen. 209

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Christusgemeinschaft und Rechtfertigung

Analogie zur personalen Union Christi, daß sich Christus gemäß der Idiopoiesis ganz in den Glaubenden hineingibt und gemäß des apotelesmatischen Genus durch die Glaubenden wirkt, so kann derjenige, der durch die Verkündigung in Wort und Sakrament Christus im Glauben ergreift, dieses Ergreifen in Kenntnisnahme, Zustimmung und Vertrauen nur auf die Selbstmitteilung Christi in seinem Geist durch das Wort zurückführen. Als Subjekt des Glaubensaktes läßt sich dann aber nur der schon durch Christi Selbstmitteilung im Geist in die Gemeinschaft mit Christus gestellte Glaubende bestimmen. Diesen Gedanken stellen Hafenreffer und Thumm in ihren dogmatischen Werken auch dadurch sicher, daß sie die Hervorbringung des Glaubens, durch den Christus erkannt und im Vertrauen ergriffen wird, in direktem Anschluß an die Christologie auf das prophetische Wirken Christi zurückführen und nicht auf ein isoliert davon in Anspruch genommenes Wirken des Heiligen Geistes. Im Unterschied zur Hervorbringung des Glaubens durch die prophetische Wirksamkeit Christi beschreiben Hafenreffer und Thumm, wie im letzten Kapitel gezeigt worden ist, die Rechtfertigung als Sündenvergebung und Adoption in die Gotteskindschaft durch die Zurechnung der Gerechtigkeit Christi und damit als diejenige Wohltat Christi, die sich seinem priesterlichen Wirken, insbesondere seiner Fürbitte verdankt. Aus dem Thummschen Verständnis der Christusgemeinschaft erhellt dabei rückwirkend auch der Sinn der Einordnung des priesterlichen Amtes im Anschluß an das prophetische und königliche Wirken Christi. Die Rechtfertigung durch die priesterliche Fürbitte um Zurechnung der Gerechtigkeit Christi zielt nämlich nach dieser Konzeption nicht auf die Konstitution des Glaubens an Christus, sondern auf die konkrete Überwindung der Anfechtung, die dem Glaubenden durch die Erkenntnis seiner vorfindlichen Existenz in der Sünde erwächst. Damit entwickelt Thumm ein ähnliches Verständnis des Imputationsgedankens, wie es schon Luther in seinem großen Galaterkommentar ausgesagt hatte, nämlich die Zurechnung als Zuspruch der Gerechtigkeit Christi aufgrund der Präsenz Christi beim Glaubenden. Durch diese Präsenz Christi an der Stelle des Glaubenden, die das Sein des Christen konstituiert und die Thumm in Analogie zur personalen Union Christi als Kommunikationsprozeß auslegt, kann der Glaubende trotz seiner vorfindlichen Existenz in der Sünde gerechterklärt werden. 212

га Die sächsischen Theologen widersprachen dieser Sicht Thumms insofern, als sie in ihrer Decisio wie Feurborn eine spezielle und engere Einwohnung Gottes in den Glaubenden und damit einhergehend eine tätige Präsenz Gottes behaupteten. Vgl. die Zitate bei Mahlmann, Unio, 147 Anm. 109.

Die weitere Entwicklung der unio-Lehre

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4. Die weitere Entwicklung der unio-Lehre in der lutherischen Schuldogmatik Nachdem Friedrich Balduin, Johann Arndt und wenig später Theodor Thumm in der Auseinandersetzung mit dem Weigelianismus sich um die Bestimmung der spirituellen Gemeinschaft bzw. mystischen Vereinigung mit Christus bemüht hatten und dieses Thema daneben von Justus Feurborn im Kontext der Frage nach der Allgegenwart Christi erörtert worden war, etablierte sich die Lehre von der mystischen Vereinigung der Glaubenden mit Christus schon 1625 zum einen in der theologischen Synopse von Statius Buscher213, der als Schüler Winckelmanns Feurborns unio-Theorem übernahm, zugleich aber auch Arndt verehrte 214 , zum anderen in der Epitome credendorum von Nikolaus Hunnius, der ebenfalls von Arndt beeinflußt wurde. 215 Johannes Hülsemann betont schließlich, daß die Vereinigung Christi und der Glaubenden nicht als eine bloß affektive Übereinstimmung im Willen, sondern als Vereinigung „der ganzen Substanz Christi mit der ganzen Substanz der Gläubigen" 216 zu verstehen sei, worin ihm sein Schüler Hieronymus Kromayer nachdrücklich folgt 217 . Gegen eine entsprechende Lehre von der Vereinigung der Christen mit Christus votiert zwar Georg Calixt mit aller Entschiedenheit 218 , doch gelingt es ihm nicht, die Etablierung des Lehrstücks von der unio mystica aufzuhalten. Schon zum Zeitpunkt der Einführung des unio-Theorems in die lutherische Dogmatik wird die Funktion unterschiedlich bestimmt. Ein äußeres Signal dafür ist die Stellung in der Lehre von der Heilsvermittlung bei Buscher219 einerseits und in der Beschreibung der Wiederbringung bei Nikolaus Hunnius 220 andererseits. Während Hunnius nämlich die geistliche Vereinigung bzw. die Einpflanzung in Christus als letztes Moment der Wiederbringung im Anschluß an Berufung, Buße, Rechtfertigung, Bekehrung, Erneuerung und Wiedergeburt 221 bestimmt, behandelt Buscher umgekehrt die Vereinigung der Glaubenden mit Gott 213

Vgl. Statius Buscher, S.S. Theologiae Synopsis methodica, Lüneburg 1625. So Mahlmann, a.a.O., 118. 215 Vgl. Nikolaus Hunnius, Epitome credendorum (1625), Wittenberg 1628. Im folgenden wird die Ausgabe von 1702 zitiert. 216 Mahlmann, Unio, 135. 217 Siehe dazu Mahlmann, Unio, 135 f. 218 Vgl. Mahlmann, Unio, 137; O. Ritsehl, Dogmengeschichte, Bd. 4, 224. 219 Bei Buscher ist der Oberbegriff für die Behandlung der Heilslehre die „Applicatio salutis", wie Mahlmann, Unio, 151, anhand von Buschers Synopsis, 411, sowie der Tabula synoptica zu diesem Werk zeigt. 220 Vgl. Nikolaus Hunnius, Epitome credendorum, 1702, 247. 221 Siehe N. Hunnius, Epitome credendorum 1702, Kapitel 17-23, 247 ff. 2,4

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vor Buße und Rechtfertigung 222 . Buscher steht damit dem Verständnis der durch Christi Person konstituierten Vereinigung der Glaubenden mit Christus bzw. Gott bei Balduin und Thumm näher als Hunnius, weil er wie diese „die mit dem Glauben als dem Mittel der Aneignung unmittelbar gegebene Präsenz Christi in uns als ersten Grad der Aneignung" zur Geltung bringt 223 . Hunnius deutet dagegen die Vereinigung der Glaubenden als konstituiert durch Buße, Rechtfertigung und deren Aneignung in Bekehrung und Wiedergeburt. Im Unterschied dazu hat Heinrich Varenius, der 1624 gegen das Bedenken von Lucas II. Oslander die Arndtsche Lehre in dessen Büchern vom wahren Christentum verteidigt 224 , deutliche Schwierigkeiten, sich für eine der beiden Verhältnisbestimmungen zu entscheiden. Denn einerseits vertritt Varenius - ähnlich wie bereits Konrad Schlüsselburg 1598 in seiner Auseinandersetzung mit Andreas Oslander 225 - die These, daß die Vereinigung mit Gott im Sinne des logischen bzw. natürlichen Folgeverhältnisses den Glauben und die Rechtfertigung voraussetze, wenn sie auch gleichzeitig mit der Rechtfertigung eintrete. 226 Andererseits hält er genau diese Verhältnisbestimmung selbst nicht konsequent durch, indem er es für fraglich erklärt, „wie denn doch der Glaube und die Rechtfertigung für der Vereinigung . . . könne vorher gehen / da doch Gott selbst müsse zuvorn den Glauben in uns wircken, dadurch wir gerecht werden .. ."227. Die gleiche Ambivalenz in der Frage der logischen Vorordnung der Rechtfertigung vor der Einwohnung Gottes im Glauben zeigt sich auch schon bei Schlüsselburg, wobei dieser wie Varenius die Gleichzeitigkeit von Rechtfertigung und Einwohnung annimmt. 228 Damit gehen sowohl Schlüsselburg wie später Varenius deutlich über die Aussagen der Konkordienformel zu dieser Thematik hinaus. Die Ambivalenz in der Frage des Folgeverhältnisses von Rechtfertigung und Vereinigung spiegelt sich schließlich auch in der systematischen Darstellung bei Caspar Brochmand, insofern dieser die Vereinigung der Glaubenden mit Christus zwar als Ursache der Rechtfertigung bestimmt, dies aber nicht in der Artikelabfolge seines Systems zur Darstellung bringt. 229 222

Siehe Buscher, Synopsis, 430. Mahlmann, Unio, 152. 224 Vgl. Varenius, Christliche, schriftmäßige, wohlbegründete Rettung der Vier Bücher vom wahren Christentum, Lüneburg 1624. 225 Siehe dazu Mahlmann, Unio, 153 f. 226 Vgl. Mahlmann, Unio, 163-165. 227 Zitiert nach Mahlmann, Unio, 165. 228 Siehe dazu Mahlmann, Unio, 154 f. 229 Im Aufbau des Systems von Brochmand wird der Artikel von der Wiedergeburt bzw. Vereinigung erst im Anschluß an den Artikel von der Rechtfertigung behandelt. Siehe den Index primus zu den beiden Bänden von Brochmands Systema universae theologiae, Editio VI, Ulm 1664. 223

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Die spätere lutherische Schuldogmatik, in klassischer Form vertreten in dem berühmten Kompendium von Johann Friedrich König und dessen didaktisch-polemischer Entfaltung und Weiterführung im theologischen System von Johann Andreas Quenstedt, wird mit Varenius die Auffassung geltend machen, daß die Vereinigung der Glaubenden mit Gott zugleich mit der Rechtfertigung geschieht. 2 3 0 Die Ambivalenz in der Bestimmung des logischen Folgeverhältnis wird dabei jedoch dahingehend aufgehoben, daß die Rechtfertigung nun eindeutig als Voraussetzung der Vereinigung der Glaubenden mit Gott expliziert wird. So stellt Quenstedt die Lehre von der mystischen Vereinigung der Glaubenden mit Gott 2 3 1 im Anschluß an die Rechtfertigungslehre und die ihr folgende Lehre von Buße und Beichte als Effekt und Folge der Rechtfertigung dar 2 3 2 , der nach Quenstedt auf einer substantiellen Approximation Gottes beruht 2 3 3 . Dieser Sichtweise der Schuldogmatik schließt sich im frühen 18.Jahrhundert selbst der Tübinger Theologe Christoph Matthias Pfaff an 2 3 4 , obwohl er innerhalb der Christologie noch die Lehre von Theodor Thumm rekapituliert und die entsprechende Analogie zur mystischen Vereinigung herstellt 235 . Dabei wird die mystische Vereinigung bei König und Quenstedt nicht wie bei Nicolai, Balduin, Gerhard, Thumm,

230 Siehe Mahlmann, Unio, 152 mit Bezug auf die Kompendien von Johann Friedrich König und Johannes Fecht. 231 Vgl. Quenstedt, Systema III, 10, 886 ff. 232 Vgl. Quenstedt, Systema III, 10/1, These 1 und Nota, 886: „ Q u a m primum homo peccator per fidem justificatus est, incipit ejus unio mystica cum Deo, Eph. 111,17. Nota. Effectum vel Consequens Justificationis est mystica hominis credentis cum Deo unio, quamprimum enim homo peccator coram Deo per fidem est justificatus, Deus cum ipso mystice 8c spiritualiter unitur 8c Christus incipit habitare per fidem in corde ipsius, Eph. 111,17." Angesichts dieser klaren Aussage zum Folgeverhältnis von Rechtfertigung und Vereinigung ist mir unverständlich, wie Mahlmann, Unio, 170 sich Hollaz anschließen und behaupten kann, „daß Quenstedt eine der Rechtfertigung vorhergehende und von ihr bedingte ,unione(m) cum Christo' annimmt und lehrt." 233 Siehe Quenstedt, Systema III, 10/1, These 15, Nota: „II. ...Jungitur . . . nobiscum Deus modo incomprehensibili, sic ut non tantum gratiosa operatione, sed etiam nova quadam Sc ... substantiali approximatione carismata sua in pectora nostra praesens diffundat." 234 Vgl. Christoph M. Pfaff, Institutiones theologiae dogmaticae et moralis, Tübingen 1720, 11,10,3, 552 ff. Pfaff entwickelt die Lehre von der unio mystica erst im Anschluß an die Lehre von den guten Werken, führt sie auf eine besondere Approximation des göttlichen Wesens zurück und bestimmt die gnädige Vereinigung in diesem Leben als „realis & aretissima substantiae SS. Trinitatis 8c Christi θεανθρώπου cum substantia fidelium conjunctio, a D E O ipso per verbum Evangelii, sacramenta & fidem facta, qua speciali essentiae approximatione 8c gratiosa operatione in iisdem est, ita ut fideles in ipso sint, ut per mutuam 8c reciprocam immanentiam vivificae facultatis 8c omnium beneficiorum ejus partieipes facti certi sint de gratia D E I 8c salute aeterna unitatemque in fide 8c charitate cum reliquis corporis mystici membris servent." 235

Pfaff, Institutiones 11,10,3, 555 f.

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Calov236 und sogar noch bei Pfaff durch die Analogie zur Personeinheit Jesu Christi bestimmt. Als Effekt der mystischen Vereinigung, die Gott in seiner Dreieinigkeit, versöhnt durch das Verdienst Christi, aufgrund seiner Liebe vermittels Wort und Sakrament im Medium des Glaubens wirkt 237 , deutet Quenstedt zwar die wechselseitige Kommunikation zwischen Gott bzw. Christus und den Glaubenden, wonach Gott den Glaubenden an Christi Leiden, Auferstehung und Leben teilhaben läßt, doch geschieht dies ohne Bezugnahme auf die Idiomenkommunikation. 238 Damit liegt Quenstedt auf der Linie Feurborns. Während König und Quenstedt zwar keine zeitliche, aber eine logische Vorordnung der Rechtfertigung vor der mystischen Vereinigung lehren, bietet etwa dreißig Jahre später David Hollaz in seinem Examen theologicum acroamaticum eine Lösung an, die auch diejenigen Überlegungen einbezieht, die Schlüsselburg, Varenius und Brochmand eine klare Entscheidung für die logische Nachordnung der Unio unmöglich machten. Hollaz vertritt nämlich im Rekurs auf die ältere dogmatische Literatur 239 die These, daß die Vereinigung der Glaubenden mit Christus von der mystischen Vereinigung zu unterscheiden sei. Während die Vereinigung der Glaubenden mit Christus der Rechtfertigung vorangehe, sei die mystische Vereinigung als Folge der Rechtfertigung zu betrachten. Diese Unterscheidung zwischen einer formalen, relativen Einigung des Glaubens mit Christus und der mystischen, heiligenden Vereinigung, durch die Gott in der Seele wohnt, entwickelt Hollaz in der ersten Auflage des Examens von 1707 zuerst nur im Kapitel über die einwohnende Gnade, welches der Rechtfertigungslehre folgt 240 . Er führt sie dann aber in der zweiten Auflage seines Examens von 1718 auch innerhalb der Rechtfertigungslehre ein und bestimmt die Einigung des Glaubens dort ausdrück-

234

Calov, Systema, Bd. 2, 638. Vgl. dazu Mahlmann, Unio, 143. Gott in seiner Dreieinigkeit wird von Quenstedt (Systema III, 10/1, These 8, 891) als causa efficiens bestimmt. Causa impulsiva interna ist die Liebe Gottes (а. а. O., These 9, 891). Gott wird versöhnt durch das Verdienst Christi als causa impulsiva externa (а. а. O., These 10, 891 f.) und bringt durch Wort und Sakrament als causa Instrumentalis (а. а. O., These 11, 892) beim Menschen im Medium des Glaubens ( a . a . O . , These 12, 892) die mystische Vereinigung hervor. 238 Vgl. Quenstedt, Systema III, 1 0 / 1 , These 18, 897: „ E f f e c t u s Sc consequentia unitionis hujus mysticae sunt ipsa Unio, prout statum notat & communicatio unitorum reciproca." Vgl. auch а. а. O., Nota II, 898. 239 Vgl. Hollaz, Examen theologicum acroamaticum 111,1, 9, q 1, 486. 240 Siehe Hollaz, Examen 1707, 111,1, 9, q 1, 485 f.: „Quamvis unio mystica, qua DEus in anima velut templo habitat, nostro concipiendi modo justificationem sequatur ordine naturae; fatendum tarnen est unionem formalem fidei, qua apprehenditur, induitur & ad nos unitur CHristus ut Mediator Sc auctor impetrandae gratiae Sc remissionis peccatorum, in signo rationis priorem esse justificatione. Fides enim ad justitiam imputatur, quatenus meritum CHristi recipit Sc nobiscum unit, ut fiat nostrum." 237

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lieh als gedankliche Voraussetzung der Rechtfertigung.241 So heißt es im Blick auf die formale Vereinigung mit Christus unter Bezug auf Phil 3,9, daß die Gerechtigkeit Christi denen zugerechnet wird, die mit Christus in engster Weise vereint sind. 242 Die mystische Vereinigung der Glaubenden mit Gott wird von Hollaz hingegen als der Akt der Gnade gedeutet, durch den der dreieinige Gott im wiedergeborenen und gerechtfertigten Menschen durch seine substantielle Präsenz wohnt, ihn durch die Fülle seiner Gaben erfüllt und in ihm durch spezielle Mitwirkung tätig ist, so daß er in Gewißheit der gegenwärtigen Gnade und der zukünftigen Herrlichkeit in der Gemeinschaft mit Christus in der Kirche bewahrt, geheiligt und schließlich gerettet wird. 243 Für die These, daß die formale Vereinigung mit Christus durch den Glauben, welcher das Verdienst Christi ergreift und uns mit Christus vereint, der Rechtfertigung vorhergehe, beruft sich Hollaz vor allem auf Caspar Brochmand. Denn schon Brochmand hat in seinem theologischen System gelehrt, daß die Wiedergeburt244 in unserer Vereinigung mit Christus bestehe und sich von der Rechtfertigung unterscheide wie die Ursache vom Effekt. 245 Eine eigenständige Entfaltung der Lehre von der Vereinigung der Glaubenden mit Christus bietet Brochmand im sechsten Kapitel der Kirchenlehre.246 Dort wird die Vereinigung der Glaubenden mit Christus als innigste Vereinigung bestimmt, durch die die glaubenden Sünder, denen Christus einwohnt 247 , durch wahren Glauben und den

241 Siehe dazu Mahlmann, Unio, 168 f., und zur Einfügung der entsprechenden Quaestio 15 in der zweiten Auflage ders., a.a.O., 189f. 242 Hollaz, Examen 111,1, 9, q 1, 486: Jfustitia CHristi tanquam capitis spiritualis imputatur credentibus aretissime cum ipso unitis, qui velut membra in ipso inveniuntur Phil. III, 9." 213 Hollaz, Examen 111,1, 9, q 1, 485: „Unio mystica est actus gratiae applicatricis, quo Deus Triunus ex speciali amore intuitu meriti CHristi vera fide apprehensi in homine renato atque justificato velut consecrato Templo praesentia substantiali habitat, omni plenitudine donorum eundem implet Sc in ipso speciali concursu operatur, ut certus praesentis gratiae Sc futurae gloriae in communione cum CHRISTO Ecclesia perseveret, sanctificetur Sc aeternum salvetur." 244 Siehe zur allgemeinen Bestimmung der Wiedergeburt Brochmand, Systema, 191: „Ea [regeneratio; Vf.] est (1) actio gratiosa sacrosanctae Trinitatis, (2) in hac vita ineepta, in altera consummanda, qua (3) homo natus саго e carne, nascitur (4) virtute verbi divini Sc sacramentorum, atque (5) merito mortis ac resurrectionis Christi, (6) modo plane inexplicabili, (7) e spiritu spiritus Sc haeres vitae aeternae constituitur."(191) Organische Ursache der Wiedergeburt sind dabei Wort und Sakrament. 245 Vgl. das entsprechende Zitat aus Brochmands Systema bei Hollaz, Examen 111,1, 9, q 1, 486. 244 Siehe Brochmand, Systema, 304 ff. 247 Vgl. dazu Brochmand, Systema, 305: „Forma unionis Fidelium cum Christo est (1) admiranda, sed aretissima Fidelium cum Deo junetio, qua (2) unum facti cum Christo, unum fiunt cum Deo; atque ita (3) in communionem mortis Sc vitae Christi perveniunt."

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Geist Gottes eins werden mit Gott. 248 Die Wirkung der Vereinigung mit Gott sieht Brochmand dabei ähnlich wie Gerhard in der Teilhabe an Christi Tod und Auferstehung gegeben.249 In ähnlicher Weise findet sich - wie Mahlmann gezeigt hat 250 - auch bei Johannes Hülsemann in seinen Vorlesungen über die Konkordienformel von 1640 und bei Hieronymus Kromayer der Gedanke ausgesprochen, daß der Rechtfertigung die Vereinigung im Glauben im Sinne einer präexistenten unio vorausgehe, obwohl die Vereinigung des wiedergeborenen und gerechtfertigten Menschen als Folge der Rechtfertigung bestimmt und in der Darstellung der Rechtfertigung nachgeordnet wird. Auf diese Konzeptionen verweist Hollaz aber nicht. Indem Hollaz die Vereinigung des Glaubenden mit Gott nicht erst als Folge, sondern in formaler Hinsicht bereits als Voraussetzung der Rechtfertigung denkt, kehrt er zu einer Differenzierung der Einwohnungsvorstellung zurück, die sich bereits in der von Oslander 1533 noch im Einvernehmen mit Brenz erstellten Nürnbergischen Kirchenordnung findet. Denn hier unterscheidet Oslander bereits zwischen der Einwohnung Gottes im Glauben durch das Evangelium und der das gesamte Leben

M Vgl. Brochmand, Systema, 3 0 5 : „Unio Fidelium cum Christo est ( 1 ) admiranda 8c arctissima, universumque naturae ordinem supergressa, conjunctio, ( 2 ) qua peccatores quidem, sed fideles, ( 3 ) per verbi auditionem, sacramentorum usurpationem, veram fidem 8c Dei spiritum, ( 4 ) insiti Christo 8c cum ipso unum facti, unum fiunt cum D e o ( 5 ) atque ita in communionem mortis & vitae Christi admissi ( 6 ) vitam obtinent aeternam." Vgl. die entsprechende Differenzierung der Media, die zur Vereinigung mit G o t t führen, а. а. O . , 3 0 5 : „Primum est verbi divini auscultatio 8c observatio . . . Secundum est Sacramentorum decens administratio Galat. 3. v. 27. Quotquot in Christum baptizati estis, Christum induistis. loh. 6. v. 56. Qui edit meam carnem 8c bibit meum sanguinem, in me manet & ego in eo. Tertium est Fides: juxta h o c Christi, J o h a n 17. v. 20.21 . . . Quartum est Spiritus Sancti communicatio . . . " 249 Siehe Brochmand, Systema, 3 0 5 : „Omnino necesse esse, ut qui volunt infere D e o 8c cum eo conjungi, mediante Christo θεανθρώπω cum eo conjungantur. . . . Tertio Infructiosa non est haec Fidelium cum D e o per Christum conjunctio: sed c o m m o d u m apportat longe maximum: videlicet communionem tum cum morte tum cum vita Christi. Communio cum morte Christi est, qua uniti cum Christo pro nobis crucifixo, mortuo 8c sepulto, merito, virtute 8c efficacia mortis ipsius, reconciliamur D e o . . . Communio cum vita Christi est, qua, virtute 8c merito resurgentis Christi έν έπουρανίοις collocamur . . . " Vgl. auch die zusammenfassende Beschreibung der Vereinigung а. а. O . , 3 0 5 f.: „Cujus definitionis singulae partes superius explicatae sunt. N a m ( 1 ) hanc unionem 8c arctissimam esse Sc plane admirandam, docuimus . . . ( 2 ) Materiam ut ita dicam, unionis, esse Sacrosanctam Trinitatem 8c peccatores, sed fideles, evicimus . . . ( 3 ) Media unionis fidelium cum Christo esse verbi divini auscultationem, sacramentorum decentem usurpationem, vivam fidem Sc Dei spiritum . . . ( 4 ) F o r m a m Unionis hujus in eo consistere, quod homo, mediante Christo, seu insitus Christo, inseratur D e o . . . ( 5 ) Fructum Unionis Fidelium cum D e o esse communionem cum morte 8c vita Christi . . . ( 6 ) Finem hujus Unionis esse aeternam vitam, monstravimus . . . " 250

Siehe Mahlmann, Unio, 144 f. 173.

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erneuernden Einwohnung Gottes, wobei er beide Formen der Einwohnung auf das Handeln Jesu Christi als des Mittlers zurückführt. 251 Anders als in seiner späteren Theologie bestimmt er dabei die Rechtfertigung durch Sündenvergebung und Zurechnung hier noch wie Melanchthon als Voraussetzung der Einwohnung Gottes im Glauben. Es ist interessant zu sehen, daß diese Sicht von den lutherischen Theologen im ^ . J a h r hundert trotz ihrer Kritik an der Theologie Oslanders, die zum osiandrischen Streit führte, nicht einheitlich durchgehalten wurde. In der Aufnahme des Lehrstücks von der unio mystica und insbesondere in der immer wieder bis hin zu Hollaz erwogenen logischen Vorordnung vor der Rechtfertigung zeigt sich ein Drängen auf Verinnerlichung des Glaubens, welches dem imputativen Verständnis der Rechtfertigung als dem Menschen äußerlichen und äußerlich bleibenden Urteilsakt entgegenwirkt. „Die Formel unio mystica meint . . . nicht mehr ein ausdehnungsloses und von außen begegnendes ,Urerlebnis', sondern dessen empirische Realisation: den sensus fidei vitaeque spiritualis."252 Vergleicht man mit dem bei Hollaz festgeschriebenen Ergebnis der Entwicklung die in Auseinandersetzung mit Valentin Weigel konzipierte Lehre von der spirituellen Christusgemeinschaft bei Balduin und Thumm, die neben Feurborns Approximationstheorie den wesentlichen Ausgangspunkt für die Ausbildung des unio-Theorems darstellt, so ist festzustellen, daß diese Konzeption weder in der klassischen Schuldogmatik noch auch in der vermittelnden Konzeption von Hollaz ihre Durch- bzw. Weiterführung erfährt. Der wesentliche Unterschied zur schuldogmatischen Version der Unio-Lehre besteht dabei darin, daß in der Schuldogmatik das Personsein Jesu Christi nicht als Ausgangspunkt für die Bestimmung der Vereinigung der Glaubenden mit Christus gehend gemacht wird, während Balduin und Thumm das in der Kommunikation seiner Naturen konstituierte Personsein Jesu Christi als Voraussetzung für die Vereinigung der Glaubenden mit Christus entwickeln. Außerdem beschreibt Thumm die spirituelle Vereinigung mit Christus im Glauben 251

Vgl. den Ausschnitt „aus der Marggravischen und Norimbergischen Ordnung anno 33. ausgangen/ welche Oslander mit rat und beisein Brentii geschrieben hat", den Flacius 1553 herausgeben hat. In dieser Kirchenordnung wird das den Menschen versühnende Handeln Christi ah des Mittlers in (olgende Handlungen differenziert: „Die erste Handlung des Mittlers mit den Menschen. Zum ersten gibt er uns die Vergebung der Sünden. . . . " (7) „Die andere Handlung. Zum anderen schenkt uns Christus seine erlangte oder geschehene und nicht die wesentliche Gerechtigkeit, davon oben im fiinften Stück. . . . " (7 f.) „Die dritte Handlung: Zum dritten kommt Christus selbst mit dem Vater und dem heiligen Geist durch das Evangelium in unser Herz und wohnt in uns. . . . " (10 f.) „Die vierte Handlung Christi mit dem Sünder ist, daß er ihn wieder gebiert und erneuert. . . . " (11 f.) „Die letzte Handlung, daß Christus in uns wohnen, ein neues Leben verursache. Von solchem neuen Leben handelt er in etlichen mehreren Paragraphen. ..." (12) 252 Spam, Krise, 60.

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nicht als logische Folge der Rechtfertigung. In diesem Zusammenhang ist vielmehr daran zu erinnern, daß Thumm in seiner Synopsis - im Anschluß an Hafenreffer - die Vermittlung des individuellen Glaubens durch das prophetische Wirken Christi und die Sammlung der Kirche als Gemeinschaft der Glaubenden durch sein königliches Wirken vor seinem priesterlichen Wirken in der Rechtfertigung darstellt. Daß diese Wirkweisen Christi zur Wiederherstellung der geschöpflichen Bestimmung des Menschen sich gleichzeitig vollziehen können, wird von Hafenreffer und Thumm nicht ausgeschlossen. Daß aber ein logisches Gefalle die gewählte Reihenfolge der Darstellung bestimmt, ist nicht zuletzt anhand der Aussagen über die spirituelle Christusgemeinschaft bei Thumm durchaus anzunehmen. Wird der Glaube wie bei Thumm als der in der Selbstmitteilung Christi begründete Vollzug der Christusgemeinschaft verstanden, so läßt sich damit auch erklären, daß Thumm in seiner Synopsis kein eigenes dogmatisches Lehrstück von der mystischen Vereinigung ausbildet. Die spirituelle Vereinigung mit Christus ist nämlich hinsichtlich ihrer Voraussetzung bereits in der Lehre von der Person Christi entfaltet, auf die sich die anschließende Glaubenslehre bezieht, indem sie die Erkenntnis Christi als Bedingung der Möglichkeit für das Vertrauen auf ihn 253 expliziert. Eine ausdrückliche Bestimmung des Glaubens als formale Vereinigung mit Christus wie bei Hollaz wäre zwar im Kontext der Thummschen Synopse möglich und sinnvoll, aber nicht unbedingt notwendig gewesen. Unmöglich hingegen wäre für Balduin und Thumm wohl die von Hollaz im Rekurs auf die Tradition vorgeschlagene Unterscheidung zwischen einer formalen Vereinigung Gottes bzw. Christi im Glauben und einer mystischen Einwohnung der gesamten Trinität gewesen. Denn für Balduin und Thumm umfaßt die in Christi Personsein konstituierte und durch den Geist im Glauben individuell vermittelte Gemeinschaft mit Christus, durch die Gott den Glaubenden als Vater präsent ist, bereits die Einwohnung der gesamten Trinität. 254 Damit wird nicht nur konsequent berücksichtigt, daß das öko-

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Besonders prägnant wird dies bereits von Balduin, Disputatio tertia de communione nostri cum Christo, These 33, geltend gemacht: „Objectum quod communicatur nobis, est Christus cum omni suo merito, id est Christus in persona & officio suo consideratur. Nam cum meritum Christi absque cognitione personae nihil prosit, ideo fides non modo Christi beneficia apprehendit, sed Christum ipsum ..." Die Einsicht in die grundlegende Bedeutung der Erkenntnis des Personseins Christi für den Glauben findet sich schon in den theologischen Loci von Hafenreffer und in Heerbrands Kompendium ausgedrückt, wie im vorangehenden Kapitel gezeigt worden ist 254 Siehe Balduin, Disputatio tertia de communione nostri cum Christo, These 12 und 13: „XII. Cum vero communionem cum Christo dicimus, non unius tantum naturae, sed totius personae & cum ea totius SS. Trinitatis inhabitationem intelligimus, siquidem logos

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nomische Wirken der trinitarischen Personen immer als gemeinsames zu denken ist, sondern auch die Vorstellung vermieden, als könne und müsse die innige Vereinigung, in der Gott selbst sich durch Christus im Geist den Glaubenden mitteilt, durch eine zweite, davon zu unterscheidende Form der mystischen Vereinigung noch vertieft und insofern überboten werden. Dieser Eindruck, als werde die Vereinigung der Glaubenden mit Christus bzw. die Rechtfertigung durch die mystische Vereinigung vertieft und überboten, stellt sich nicht nur anhand der Konzeption von David Hollaz ein, sondern auch anhand der schuldogmatischen Entfaltung der Heilsordnung 255 , die die konkordistische Abfolge von Rechtfertigung und Einwohnung rekapituliert. Dies ist nicht nur aus trinitätstheologischen Erwägungen heraus problematisch, sondern verträgt sich auch nicht mit dem Aussageinteresse der imputativen Rechtfertigungslehre. Während nämlich im Kontext der imputativen Rechtfertigungslehre das Rechtfertigungsurteil Gottes als formale Ursache verstanden wird, aufgrund derer der Mensch als Sünder außerhalb seiner selbst in Christus

nec a carne sua, пес a reliquis Trinitatis personis uspiam separatus est: quam ob causam disigenti eum & sermonem ejus servanti, praesentiam illam totius Trinitatis promittit: veniemus ad eum, inquit & tnansionem apud eum faciemus, Iohan. 14,23, qui edit meam carnem & bibit meum sanguinem, in me manet & ego in illo, inquit, loh. 6,56. notanter exprimens carnem 8c sanguinem, quia humanam naturam a mystica illa & admiranda communione поп vult separatam. XIII. Ordo tarnen hie observari potest, quod, quemadmodum pater per filium, filius per carnem suam & Spiritus S. a Patre & Filio per eandem carnem unigeniti missus, nobiscum agit: ita quoque Pater per Filium, Filius per carnem suam & Spiritus S. a Patre & Filio per carnem Filii in corda fidelium missus, se nobis communicat, in nobis regnat, vivit & mansionem facit." Vgl. den entsprechenden Gedanken bei Thumm, Impietas, 140 f. 255 Mahlmann, Unio, 149 und Anm. 111 spricht statt von ,Heilsordnung' ganz bewußt von .Heilsprozeß', womit er „den von CALOV gebrauchten Begriff σωθηριοποιία" übersetzt. Mahlmann verzichtet auf den Gebrauch des Terminus , Heilsordnung', weil „die Frage des Aufkommens und Gebräuchlichwerdens dieser Rubrik samt ihrer Bezeichnung einer völlig neuen, eingehenden Behandlung bedarf" und „jede Präjudizierung in dieser offenen historischen Frage" vermieden werden soll (vgl. a.a.O., 150 Anm. 111). Obwohl Mahlmann im Blick auf die offene historische Frage völlig Recht hat, ist zu erwägen, ob nicht die Rede vom Heilsprozeß eine zeitliche Abfolge der einzelnen Momente der Heilsvermittlung suggeriert, die die Schuldogmatik gerade ausschließt und die auch Mahlmann ausgeschlossen wissen möchte. Da sich überdies abzeichnet, daß die Rede von der Heilsordnung über Mentzer und Aegidius Hunnius bis auf Heinrich Bullinger zurückgeht (Mahlmann, ebd. Anm. 111) und im übrigen auch Flacius in seiner Disputation über die christliche Gerechtigkeit von Rechtfertigungs- bzw. Heilsordnung spricht (siehe dazu das zweite Kapitel dieser Arbeit), scheint es mir gerechtfertigt, diesen Begriff als Bezeichnung für die Lehre von der Heilsvermittlung zu verwenden, ohne damit eine Vorentscheidung über das jeweilige Verständnis der Heilsvermittlung, insbesondere hinsichtlich des Folgeverhältnisses der einzelnen Momente, treffen zu wollen. Dieses muß vielmehr aus der jeweiligen Konzeption selbst ermittelt werden.

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für gerecht erklärt wird und in diesem Sinne auch gerecht ist, erscheint die mystische Vereinigung, die die Bedingung der Möglichkeit für die Erneuerung des Lebens beschreibt, wie eine Ergänzung zur Rechtfertigungslehre. Denn erst durch die Lehre von der mystischen Vereinigung wird geklärt, wie es an der Stelle des Menschen, der als im Urteil Gottes Gerechtfertigter doch zugleich noch unter den Bedingungen der Sünde lebt, zu neuem Leben in der Christusgemeinschaft kommen kann. Auf diese Weise macht das Lehrstück von der unio mystica zumindest implizit deutlich, daß eben dies aus dem Rechtfertigungsurteil selbst nicht zu erklären ist, weil dieses dem Menschen äußerlich bleibt. In der Abfolge der Lehrstücke von der Rechtfertigung und der mystischen Vereinigung der Glaubenden mit Gott wiederholt sich damit das Problem, welches bereits im dritten Kapitel dieser Arbeit am Verhältnis von imputativer Rechtfertigung und Erneuerung durch den Heiligen Geist insbesondere bei Melanchthon und Flacius aufgezeigt worden ist. Vor dem Hintergrund dieser Problematik dient der in der finnischen Lutherforschung im Bezug auf Luther und bei Theodor Mahlmann im Bezug auf die lutherische Theologie des 17. Jahrhunderts unternommene Versuch, die Christusgemeinschaft bzw. die mystische Vereinigung als Voraussetzung der Rechtfertigung zu interpretieren, dem theologischen Grundanliegen der imputativen Rechtfertigungslehre selbst Soll nämlich das Heil des Menschen in keiner Weise durch menschliche Werke, sondern ausschließlich durch Gottes Rechtfertigung des Menschen in Christus bedingt verstanden werden, so kann die Erneuerung nicht auf eine von der Rechtfertigung unterschiedene Ergänzung des göttlichen Handelns in Form der Einwohnung Gottes zurückgeführt werden. Insofern hatte Otto Ritsehl ganz recht mit seiner Kritik an der Vorstellung von der unio mystica.256 Die von Mahlmann vorgelegte Interpretation der Lehre von der Vereinigung mit Christus in der lutherischen Theologie des ^ . J a h r hunderts entzieht dieses Lehrstück dem Einwand, als handele es sich bei der unio mystica um eine Ergänzung der Rechtfertigungslehre: „Die unio ist das Gestaltprinzip, die Formeigenschaft der Rechtfertigung und geht ihr voraus. Eben diese unio ist aber nichts anderes als die im Glauben

254 Siehe O. Ritsehl, Dogmengeschichte, Bd. 4, 224: „So setzte sich das . . . Theologumenon von der Vereinigung der Substanzen Christi und der Gläubigen . . . in der lutherischen Orthodoxie seit der Mitte des 17.Jahrhunderts . . . erfolgreich durch. Diese Entwicklung aber hat die Bedeutung, daß durch sie die altorthodoxe Wertschätzung der von den Reformatoren überkommenen Anschauung des Rechtfertigungsglaubens in verschiedener Hinsicht herabgesetzt wurde. Denn teils erscheint die unio mystica, sofern sie sich, wie bei König, nur ab dessen vollere Umschreibung darstellt, als eine Uberflüssige Doublette zu ihm. Teils drückte sie ihn, wie bei Hülsemann, Calov und ihren Nachfolgern, zu einer überbietungsbedttrftigen Vorstufe herab, um sich über diese erst als die eigentliche christliche Frömmigkeit zu erheben."

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hergestellte Relation des Ergreifens der Person Christi mit ihrem Versöhnungs- und Erlösungswerk. . . . Dieser Glaube ist eine Beziehung, eine Relation, die Christus mit seiner Gerechtigkeit voraussetzt - als längst ohne ihn für ihn vollbracht. In dieser Relation des Glaubens auf Christus geht selbstverständlich die Person Christi mit ihrem Werke dem Glauben logisch voraus, sogar zeitlich . . . Aber die Relation des Glaubens auf Christus ist die unio cum Christo. Eine unio, die Christus selbst mit dem Glaubenden vollzieht. Und diese geht nun notwendigerweise der Rechtfertigung voran."257 Angesichts dieser Einsicht in die grundlegende Bedeutung der unio für die Rechtfertigung ist nach Mahlmann die Vollendung des im Glauben angefangenen Werkes Gottes in und durch Christus ohne „bestehenbleibende unio cum Christo . . . gar nicht denkbar". 258 Vielmehr „ist wahr, daß der im Glauben gegenwärtige Christus wie der Grund der Rechtfertigung, so eben derselbe weiterwirkende Grund der Erneuerung und Heiligung des Menschen ist. Die neue Kreatur, die der Rechtfertigung logisch und sachlich, nicht zeitlich, folgt, zugleich mit ihr anfängt..., ist ebenso das Werk des im Glauben mit dem Menschen geeinten Christus wie diese unio cum Christo die Voraussetzung der Rechtfertigung ist."259 In dogmatischer Hinsicht ist diese von Mahlmann vertretene Explikation des Verhältnisses von Christusgemeinschaft, Rechtfertigung und Erneuerung vollkommen überzeugend. Fraglich ist nur, ob sie sich als Interpretation der altlutherischen Lehrbildung tatsächlich durchgängig an den einzelnen Positionen erweisen läßt. Zumindest im Blick auf die schuldogmatischen Konzeptionen von König und Quenstedt scheint mir das nicht der Fall zu sein. Denn die Lehre von der unio mystica ist dort weder eine „Doublette" zum Rechtfertigungsglauben, wie Otto Ritsehl meinte260, noch wird hier ausdrücklich eine Vereinigung der Glaubenden mit Christus als Voraussetzung der Rechtfertigung ausgesagt, wie Hollaz dies im Blick auf Quenstedt gerne hätte. Demgegenüber wird von Hollaz selbst und bereits von Brochmand und Buscher die Christusgemeinschaft tatsächlich als Grundlage der Rechtfertigung beschrieben. Indem Hollaz aber davon die unio mystica als Folge der Rechtfertigung unterscheidet, bleibt auch seine Konzeption anfällig für besagte Kritik an der Ergänzung der Rechtfertigung durch die mystische Vereinigung. Diesem Einwand ist in der Tat nur dadurch zu begegnen, daß sowohl die Rechtfertigung als auch die Erneuerung und die Heiligung des Menschen auf den im Glauben gegenwärtigen Christus zurückgeführt werden, wie Mahlmann das anstrebt. 257 258 259 260

Mahlmann, Unio, 175 f. Mahlmann, Unio, 176. Mahlmann, Unio, 176. Siehe O. Ritsehl, Dogmengeschichte, Bd. 4, 224.

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Christusgemeinschaft und Rechtfertigung

Innerhalb der altlutherischen Lehrbildung sind die Voraussetzungen für eine entsprechende Begründung von Rechtfertigung und Erneuerung am konsequentesten in der Tübinger Christologie 261 entwickelt worden. Die von den Tübinger Theologen in der Auseinandersetzung mit Mentzer und Feurborn vertretene Deutung der Allgegenwart Jesu Christi geht nämlich, wie oben gezeigt worden ist, davon aus, daß der Logos vom ersten Moment der Inkarnation an auch während der Erniedrigung durch die angenommene menschliche Natur allen Kreaturen präsent ist. Diese Präsenz wird in erster Linie als bloße Präsenz Christi in seinem Personsein verstanden, die sich nicht einer besonderen Tätigkeit Christi verdankt, sondern mit der an die menschliche Natur in der personalen Union mitgeteilten, aus der Unermeßlichkeit Gottes und nicht aus der Allmacht resultierenden Allgegegenwart der göttlichen Natur gegeben ist. Insofern aber die Ubiquität nicht von Gottes Tätigkeit abhängt, sondern in seinem absoluten Wesen begründet ist, kann sie nicht in einzelnen Akten bestehen und ist darum auch nicht in verschiedene Akte differenzierbar. Ausgehend von diesem Verständnis der Allgegenwart können die Tübinger weder einen Verzicht auf die extime Präsenz des Fleisches Christi bei allen Kreaturen während der Erniedrigung akzeptieren, noch ist ihnen die Vorstellung einer besonderen substantiellen Approximation des göttlichen Wesens bei den Glaubenden plausibel. Ist nämlich Gott durch Mitteilung der Omnipräsenz im Sinne der Ubiquität des Logos an die angenommene menschliche Natur durch die Inkarnation allen Kreaturen leibhaftig gegenwärtig, so kann die Nähe Gottes bei den Glaubenden nicht auf eine davon unterschiedene eigene Approximation des göttlichen Wesens zurückgeführt werden, weil sich die Ubiquität nicht einzelnen Akten verdankt. Auch wenn Feurborn in diesem Zusammenhang zugestanden hat, daß die Anwesenheit Gottes in der Schöpfung immer seine bloße Präsenz voraussetzt, hat er doch die bloße Präsenz als leeren Begriff angesehen, während für die Tübinger die reine Anwesenheit der Person Christi eben kein leerer Begriff ist. Vielmehr geht es in der Omnipräsenz der Person Christi um die Präsenz dessen, der nicht erst

ш Im Unterschied zu dem in dieser Arbeit vorgeschlagenen Zugang bringt Mahlmann in seinem Aufsatz über die unio cum Christo in der lutherischen Theologie des 1 Z.Jahrhunderts die Verhältnisbestimmung von Rechtfertigung und mystischer Vereinigung nicht in Zusammenhang mit der jeweiligen christologischen Konzeption. Entsprechend weist Mahlmann nur darauf hin, daß T h u m m die Lehre von der spirituellen Vereinigung mit Christus im Anschluß an Balduin gegen Weigel entwickelt, ohne die Voraussetzungen für das sich schon bei Balduin abzeichnende Verhältnis von Rechtfertigung und unio im K o n text der Eigenart der Tübinger Christologie T h u m m s zu erklären. Auch im Blick auf Feurborn werden die voluntaristischen Konnotationen seiner Approximationstheorie weder mit seiner Christologie in Verbindung gebracht noch in ihrer Bedeutung für das Verständnis von Rechtfertigung und mystischer Vereinigung ausgewertet.

Die weitere Entwicklung der unio-Lehre

291

durch sein Handeln, sondern schon in seiner Person der Grund des Heils ist. Daß diese Präsenz besondere Gnadenwirkungen impliziert, wird von den Tübingern keineswegs in Abrede gestellt, sondern durch die Explikation der Amterlehre ausdrücklich vertreten. Aber die Ausübung der Ämter setzt die mit der Inkarnation gegebene Omnipräsenz Jesu Christi als den vorgängigen und unverbrüchlichen Heilsgrund voraus. Von daher kann in der Tübinger Sicht die Bedeutung der Verheißung, durch welche Christus sich durch den Geist den einzelnen und seiner Kirche gnädig mitteilt und die spirituelle Gemeinschaft begründet, nicht in der Konstitution seiner spezifischen Präsenz bei den Glaubenden, sondern in derjenigen Wirksamkeit gesehen werden, durch die er sich als der immer schon präsente Heilsgrund zu Bewußtsein bringt und so die spirituelle Gemeinschaft vermittelt, die im wahren Glauben an ihn ergriffen wird. In diesem Sinne betonen die Tübinger Dogmatiker, daß der Glaube notwendig in der Erkenntnis Jesu Christi gründet und daß sein Werk ohne die Erkenntnis seiner Person fruchtlos bleibt. Indem der Glaube in der Erkenntnis Christi nicht nur das Werk Christi bzw. sein Verdienst, sondern Christus selbst in seinem Personsein ergreift, realisiert sich in ihm die spirituelle Christusgemeinschaft, in der der Glaubende weiß, daß Christus sich ihm mitteilt, ihm Anteil gibt an den göttlichen Majestätseigenschaften und in ihm wirkt. Ist der Glaube als Erkenntnis von und Vertrauen auf Christi Person und Werk aber in dieser Weise die in Christi eigenem Personsein konstituierte Form, in der sich die Christusgemeinschaft für den Glaubenden vollzieht, so muß die Vermittlung des Glaubens als die grundlegende Funktion der Mittlertätigkeit Christi angesehen werden, wie dies in den Konzeptionen von Hafenreffer und Thumm auch tatsächlich der Fall ist. Dagegen erscheint die Rechtfertigung im Sinne der Zurechnung der Gerechtigkeit Christi und Adoption in die Gotteskindschaft als die durch Christi priesterliches Wirken erschlossene konkrete Auslegung der Christusgemeinschaft des Glaubens angesichts der vorfindlichen Situation des Glaubenden unter den Bedingungen der Sünde und ist insofern der Christusgemeinschaft des Glaubens logisch nachgeordnet. Diesem bei Balduin und Thumm explizierten Verständnis der Christusgemeinschaft schließt sich nicht nur Caspar Brochmand, sondern zuvor bereits Balthasar Meisner an. In seiner Oratio de Christiano vom 5. November 1622, mit der das Wintersemester 1622/23 in Wittenberg eröffnet wurde, spricht Meisner von dem „Sein des Christen als Subsistenz in Christus ..., also von der Unterbringung im anderen" 262 und geht davon aus, daß die Einung des Menschen mit Christus sein Christ-

262

So J. Baur, Salus Christiana, 81-86, hier: 83. Vgl. auch Mahlmann, Unio, 117.

292

Christusgemeinschaft und Rechtfertigung

sein ausmacht. Außerdem legt er die Christusgemeinschaft offensichtlich im Rückgriff auf Balduin wie dieser nach den vier Genera der Idiomenkommunikation aus.263 Ob dagegen Feurborn, Gerhard und die Schuldogmatiker eine in ähnlicher Weise grundlegende Funktion der Vereinigung mit Christus für die Rechtfertigung annehmen, wie Mahlmann zu zeigen versucht, erscheint fragwürdig. Denn Feurborn und ihm folgend Hülsemann, König und Quenstedt lehnen nicht nur die Analogie zwischen unio personalis und unio mystica ab, sondern verbinden damit ein anderes Verständnis von der Präsenz Christi bei den Glaubenden als etwa Nicolai und Thumm, indem sie diese auf eine besondere Approximation des göttlichen Wesens zurückführen, die in der Verheißung stattfindet. Inhaltlich wird die Christusgemeinschaft dabei dadurch vermittelt, daß dem reuigen Sünder die im Verdienst Christi manifeste Gerechtigkeit Christi zugerechnet wird, die der Glaube ergreift. Die durch die Approximation Gottes in der Verheißung den Glaubenden zugesagte Präsenz Christi in seinem Personsein fungiert hier nur als Implikat der Zurechnung des Verdienstes Christi. Im Unterschied dazu würdigen die Tübinger, respektive Thumm, sowohl durch ihre Christologie wie auch in der Konzeption der Christusgemeinschaft die Präsenz Christi in seinem Personsein als den Grund des Heils bzw. der im Glauben realisierten Christusgemeinschaft, welche ihrerseits die Zurechnung der Gerechtigkeit Christi und die Sündenvergebung zur Folge hat. Eine Vermittlungsposition zwischen dem Verständnis der Christusgemeinschaft bei Balduin, Thumm, Meisner und Brochmand und denen, die der Gießener Sicht folgen, nimmt Johann Gerhard schließlich ein, indem er die Christusgemeinschaft zwar einerseits durch die Zurechnung der Gerechtigkeit Christi konstituiert sieht, aber zugleich die Analogie zwischen personaler Union Christi und mystischer bzw. geistlicher Vereinigung der Glaubenden mit Gott ausdrücklich lehrt. Dabei ist eine Vorordnung der mystischen Vereinigung vor der Rechtfertigung aber nicht eindeutig auszumachen. Insofern erreicht Gerhard die Sichtweise Luthers ebensowenig wie später die klassische Schuldogmatik.

5. Zum Verhältnis von Christusgemeinschafi

und

Rechtfertigung

Als Ergebnis der in diesem Kapitel angestellten Untersuchung zum Verhältnis von Christusgemeinschaft und Rechtfertigung läßt sich festhalten, daß die Einführung der Lehre von der mystischen Vereinigung der Glaubenden mit Gott bzw. mit Christus die dogmatischen Schwierig263

Mahlmann, Unio, 140.

Christusgemeinschaft und Rechtfertigung

293

keiten der forensisch-imputativen Rechtfertigungslehre nur dann aufzuheben vermag, wenn die mystische Vereinigung nicht als eine die Erneuerung des Menschen ermöglichende Ergänzung zur Rechtfertigung gedacht wird. Der Sinn dieser Lehre muß vielmehr darin gesehen werden, den Glauben als die Form der Vereinigung mit Christus zu begreifen, in der sich die Rechtfertigung realisiert. Auf diese Weise kann sie dann auch dazu verhelfen, dem Einwand zu begegnen, daß die Rechtfertigung ein dem Menschen äußerliches Geschehen sei, das keinerlei Veränderung für den Menschen bedeutet. Wird nämlich die Christusgemeinschaft des Glaubens als Grund bzw. Vollzugsgestalt der Rechtfertigung verstanden, so bedeutet dies für das Verständnis des Rechtfertigungsurteils, daß es die in der Vereinigung mit Christus im Glauben begründete Glaubensgerechtigkeit zur Gerechtigkeit des Menschen erklärt, durch die er trotz seiner von der Sünde noch gekennzeichneten Vorfindlichkeit für gerecht zu halten ist. Das Rechtfertigungsurteil spricht damit nicht eine abstrakt im Urteil Gottes konstitutierte Gerechtigkeit zu, sondern diejenige Gerechtigkeit, die dem Menschen durch die Präsenz Christi in der Christusgemeinschaft des Glaubens geschenkt ist und sein neues Sein in Christus ausmacht. Daß die Gerechtigkeit des Glaubens dabei nicht als inhärierende Qualität des Menschen mißverstanden werden kann, ergibt sich daraus, daß sie nur durch und in der Christusgemeinschaft des Glaubens gegeben ist, in welcher Christus dem Glaubenden präsent ist. Nach dem Verständnis von Balduin und Thumm ist die Präsenz Christi in Christi Personsein begründet und erschließt sich in der Christusgemeinschaft in Analogie zum kommunikativ vermittelten Personsein Jesu Christi. Aus der Analogie der Christusgemeinschaft zum Personsein Christi resultiert dabei nicht nur die innigste Form der Vereinigung, sondern ebenso die bleibende Unterschiedenheit zwischen Christus und dem Glaubenden. Insofern konnte Balduin und Thumm die Bestimmung der mystischen Vereinigung aus der Analogie zur Idiomenkommunikation dazu dienen, das weigelsche Konzept einer essentiellen bzw. leiblichen Vereinigung auszuschließen. Zwar konnte auch Feurborn die weigelsche Vorstellung von der unio essentialis mit Erfolg abwehren, indem er unter Verzicht auf die Analogisierung der unio personalis und der unio mystica - die Vereinigung der Glaubenden mit Gott wesentlich in der durch die Zurechnung der im Verdienst Christi manifesten Gerechtigkeit begründet sah. Der Nachteil dieser Konzeption besteht aber darin, daß der Glaube wie in der melanchthonischen Tradition als ergreifendes Instrument zwar dem Inhalt nach, aber nicht als Akt aus der Verheißung der Zurechnung erklärt werden kann. Diejenige Konzeption, die es erlaubt, die Vereinigung des Glaubenden mit Christus auf die Präsenz Christi in seinem Personsein zurückzuführen, hat demgegenüber den

294

Christusgemeinschaft und Rechtfertigung

Vorzug, daß nun auch der Akt des Glaubens nicht mehr als Akt des reuigen Sünders erscheint, der Christi Gerechtigkeit ergreift, sondern als Akt desjenigen, dem sich Christus in seinem Personsein mitteilt und dadurch das Personsein des Christen konstituiert. Ein entsprechendes Selbstverständnis des Christen setzt allerdings voraus, daß ihm sein neues Sein in Christus, das er sich im Glauben aneignet, als vorgängiger Grund und Ausgangspunkt seiner individuellen christlichen Existenz geschenkt ist. Andernfalls müßte er nämlich zumindest den Akt seiner Bekehrung, in welchem er erstmalig Christus als Grund seiner neuen Identität ergriffen hat, als eine zwar durch die Verheißung ermöglichte, aber noch unter den Bedingungen der alten Existenz erbrachte Eigenleistung verstehen. Der in diesem Zusammenhang in der reformatorischen Theologie üblicherweise gegebene Hinweis auf die Wirksamkeit des Heiligen Geistes in Wort und Sakrament, durch den in der Konkordienformel - unter Ausschluß des natürlichen Willens als der dritten Ursache 264 der Bekehrung 265 - der Synergismusverdacht im Blick auf die Konstitutionsbedingungen des neuen Seins in Christus abgewehrt wird, erweist sich in diesem Zusammenhang nur dann als wirklich tragfähig, wenn näherhin gesagt wird, wie der Geist die Konstitution des neuen Seins bzw. der christlichen Identität konkret bewirkt.

6. Christusgemeinschaft

und Taufe

Im dritten Kapitel dieser Arbeit ist bereits gezeigt worden, daß die Taufe in der lutherischen Tradition im Anschluß an Luther nicht nur als Zeichen, sondern als wirksames Mittel der Wiedergeburt verstanden wird, durch das dem einzelnen die Sündenvergebung, die Aufnahme in die Gotteskindschaft und die Verheißung des ewigen Lebens zuteil 264 Daß der menschliche Wille neben Wort und Geist als dritte Ursache der Bekehrung anzusehen sei, wurde von Melanchthon eindeutig wohl ab 1548 in seiner Vorrede zu den Loci von 1543 vertreten. Vgl. dazu F. Hübner, Über den freien Willen . . . , in: W. Lohff/L.W. Spitz (Hg.), Widerspruch, 137-139. 265 Vgl. FC 11,19 (BSLK 781,4-13): „daß also vor der Bekehrung des Menschen nur zwo .wirkliche' Ursachen sich finden, nämblich der Heilige Geist und das Wort Gottes, als das Instrument des Heiligen Geistes, dardurch er die Bekehrung wirket, welches der Mensch hören sol, aber denselbigen nicht aus eigenen Kräften, sondern alleind durch die Gnade und Wirkung Gottes des Heiligen Geistes Glauben gegen und annehmen kann." Vgl. auch SD II, 7 (BSLK 873,16-874,22). Die Entstehungsgeschichte des Textes zeigt, daß nach vorübergehender Nähe zu philippistischen Tendenzen „in der Endfassung von FC II - wie zuvor schon in MF VIII - eindeutig eine ,Rückbettung in lutherische Bahnen' stattgefunden hat" (Wenz, Theologie der Bekenntnisschriften, Bd. 2, 568).

Christusgemeinschaft und Taufe

295

werden. Diese Auffassung der Taufe vertreten auch die Tübinger Dogmatiker Heerbrand 266 , Hafenreffer 267 und Thumm. Zwischen Wesen und Frucht der Taufe wird dabei sorgfältig unterschieden. Denn die heilsame Wirkung der Taufe stellt sich, wie Hafenreffer ganz im Sinne Luthers betont, nur im Glauben ein, obwohl die Taufe gemäß des Einsetzungswortes und der Verheißung der göttlichen Gnade feststeht. 268 Bei der weiteren Entfaltung der Tauflehre fügt Hafenreffer dann allerdings im Blick auf 1. Petr 1,23 hinzu, daß wir sowohl durch das Wort als auch durch die Taufe wiedergeboren werden. Die Besonderheit der

266 Vgl. Heerbrand, Compendium 1578, 604 f.: „Quid est Baptismus? Baptismus est sacra actio, seu Sacramentum, hoc est, divinum signaculum, in Novo Testamento divinitus institutum, constans verbo mandati & promissionis Dei & aqua: quo homines peccatores in nomine Patris, Filii 8t Spiritus sancti abluuntur & in mortem Christi baptizati, accipiunt remissionem peccatorum & regenerantur ad vitam aeternam. Hic enim certo significat Deus Pater, per & propter Christum filium suum, quod sit ei, qui baptizatur, clemens & propitius Deus & remittat ipsi omnia peccata, ac regeneret eum per Spiritum sanctum & adoptet in filium, ac haeredem omnium coelestium bonorum. D. Paulus uno verbo dicit, esse lavacrum regenerationis & renovationis Spiritus sancti, in quo, in mortem Christi baptizati, Christum induamus. Rom. 6. Gal. 3. Tit. 3." 267

Hafenreffer, Loci, 577: „Quid est Baptismus? Baptismus est Sacramentum Novi Testamenti, institutum divinitus: in quo Deus Hominem Peccatorem, in Nomine Patris, Filii & Spiritus sancti Aqua Baptizatum, regenerat & remissis per Christum peccatis in gratiam recipit, atque Filium & Haeredem adscribit omnium coelestium bonorum. Hic enim Deus Pater, per Iesum Christum Filium suum, cum Spiritu sancto certo testatur, quod sit ei, qui baptizatur Deus Propitius & remittat ei omnia peccata per Iesum Christum & adscribat illum Filium ac Haeredem omnium coelestium Bonorum." Als Frucht der Taufe bestimmt Hafenreffer, Loci, 588, zuerst die Wiedergeburt und Sündenvergebung, dann die Teilhabe am Heil und an allen Wohltaten Christi, schließlich das gute Gewissen gegenüber Gott bzw. die Gewißheit des Glaubens über die Sündenvergebung (Loci, 589) und das neue Leben (Loci, 590). Dabei wird ausdrücklich betont, daß die Taufe nicht nur ein die Wiedergeburt bezeichnendes Zeichen, sondern das Organ und Instrument ist, durch welches Gott die Wiedergeburt in uns wirkt Vgl. Hafenreffer, Loci, 590: „Baptismus, non tantum est Signum denotans regenerationem, sed est divinitus institutum Organon & Instrumentum, quo Deus Confert & in nobis Operator Regenerationem." Im Locus über das Abendmahl betont Hafenreffer als einen der zentralen Unterschiede zwischen Taufe und Abendmahl: „Non semel tantum in vita, sicut quilibet Christianus semel tantum Baptizatur. Ratio diversitatis est. . . . Quia ut homo semel tantum ex carne nascitur: ita ex aqua & spiritu semel tantum renascitur." 268 Hafenreffer, Loci, 591: „In tali Casu diligenter inter Baptismi Substantiam & eiusdem Fructum distinguendum est. Homo enim hypocrita, si baptizetur, verum quidem Baptismum suscipit, quo ad Substantiam, quae legitima Sacramenti administratione, secundum verbum institutionis & gratiae divinae Promissione constat. Sed eiusdem salutari fructu & Effectu, qui non nisi fidelibus contingit, quandiu in hypocrisi & infidelitate perseverat, destitutus est. Deus igitur gratiam suam & remissionem peccatorum ei, qui baptizatur, serio Offert & sua ex patre foedus illud perpetuo & sine ulla mutatione firmum & integrum servare vult, ita ut in foedere promissa gratia ei, qui baptizatus est, nunquam non obvia sit, eaque quam primum ad poenitentiam redierit, possit perfrui: quam diu vero hypocrita & impoenitens manet, eadem Caret."

296

Christusgemeinschaft und Rechtfertigung

Taufe gegenüber dem Wort bestehe dabei in der sichtbaren Versiegelung der Wiedergeburt. 269 Auf diese Weise wird wie schon bei Melanchthon und Chemnitz und später etwa bei Quenstedt die individuelle Vermittlung bzw. Wirkung der Wiedergeburt als der Konstitution der christlichen Existenz nicht exklusiv der Taufe, sondern ebenso der Wortverkündigung des Evangeliums zugeschrieben. Dies entspricht der an Melanchthon anknüpfenden konkordistischen Beschreibung der Heilsaneignung insofern, als diese bei der Darstellung der Bekehrung, Wiedergeburt, Rechtfertigung und Erneuerung ohne Bezugnahme auf die Taufe als Mittel der Wiedergeburt auskommt, obwohl damit die Heilsnotwendigkeit der Taufe keineswegs in Abrede gestellt werden soll. Daß mit dieser Gleichschaltung von Wortverkündigung und Taufe die lebenslange Bedeutung der Taufe für die individuelle Vergewisserung des Glaubens in der lutherischen Schuldogmatik nicht hinreichend zur Geltung kommt, geht damit einher, daß der von Luther geltend gemachte besondere Sinn der Taufe gegenüber der reinen Wortverkündigung nicht deutlich genug expliziert wird. Dieser Sinn ist nicht vollständig erfaßt, wenn das Proprium der Taufe in der sichtbaren Versiegelung der Wiedergeburt gesehen wird. Vielmehr ist das Wesen der Taufe als Bad der Wiedergeburt darin zu sehen, daß sie als einmaliger Akt Gottes dem Einzelnen das neue Sein in Christus individuell zueignet und so seine neue Existenz begründet, die fortan im Glauben anzueignen ist. Als Neubegründung der Existenz des einzelnen Menschen kann die Wiedergeburt dabei nur in einem solchen einmaligen und individuell vollzogenen Akt vermittelt und dargestellt werden. Da die Wortverkündigung im Unterschied dazu auf Wiederholung angelegt ist und auch nicht durch eine den einzelnen als einzelnen unmittelbar einbeziehende Handlung vollzogen wird, läßt sie sich schwerlich gleichrangig wie die Taufe als Mittel der Wiedergeburt behaupten. Zwar ist nicht zu bestreiten, daß bei der Erwachsenentaufe Bekehrung und Glaube der Taufe vorangehen, doch wird man zumindest unter lutherischen Bedingungen den Beginn der Wiedergeburt nicht eigentlich in diesen Vorgängen, sondern vornehmlich in dem Taufvorgang sehen, nach dessen Vollzug der Bekehrte verlangt, um seine neue Existenz in der durch Gott selbst in der Taufe zugeeigneten Aufnahme in die Gottesgemeinschaft und nicht im Akt seiner Bekehrung begründet wissen zu können. Die konstitutive Bedeutung der Taufe für das neue Sein des Christen angemessen zur Geltung zu bringen, ist umso dringender, wenn die Christusgemeinschaft als die Voraussetzung bzw. als die Realisierungsgestalt der Rechtfertigung beschrieben wird, wie dies aus den oben an269 Hafenreffer, Loci, 592: Die Taufe ist gegenüber dem Wort „simul regenerationis in oculos incurrens Obsignatio."

Christusgemeinschaft und Taufe

297

gestellten Überlegungen heraus sinnvoll erscheint und in der gegenwärtigen Dogmatik von verschiedener Seite propagiert wird. 270 Soll sich nämlich im Blick auf die Konstitution der Christusgemeinschaft nicht das Problem wiederholen, welches hinsichtlich der imputativen Rechtfertigungslehre darin besteht, daß das Ergreifen der Gerechtigkeit Christi im Glauben als selbsttätige Erhebung des Menschen mißverstanden werden kann, so muß sichergestellt werden können, daß die Christusgemeinschaft sich nicht der Erhebung des Menschen zu Christus in selbsttätigem Ergreifen der von Christus offerierten Gemeinschaft verdankt, sondern durch das Handeln Gottes in Christus vermittels des Heiligen Geistes selbst begründet ist. Die Taufe bringt dies in einer gegenüber der reinen Wortverkündigung vertieften Weise zur Geltung, weil sie die Einbindung des Einzelnen in die Gemeinschaft mit dem gekreuzigten und auferstandenen Christus durch das Untertauchen und Auftauchen und die entsprechende Verheißung als Beginn und Grundlage der Existenz in Christus darstellt und vermittelt. In Anbetracht der vollzogenen Taufe kann darum der Glaubende seine Annahme der in der Taufe erschlossenen Gemeinschaft mit Christus im Glauben nicht mehr als seine die Christusgemeinschaft konstituierende Eigenleistung verstehen. Dies wird vor allem dann unmöglich, wenn die in der Taufe vermittelte Christusgemeinschaft nicht nur als eine Teilhabe an Christi Verdienst, sondern als Gemeinschaft mit Christi Person erkannt wird, wie dies von Balduin und Thumm mit der Analogie zwischen Personeinheit Christi und spiritueller Vereinigung vorgeschlagen wird. Während Philipp Nicolai271 und vor allem Johann Arndt die zentrale Bedeutung der Taufe als Bad der Wiedergeburt für die Begründung der neuen Existenz in Christus deutlich und uneingeschränkt hervorgehoben haben, wird in der von Balduin, Thumm, Meisner und Brochmand vertretenen Konzeption der Christusgemeinschaft die konstitutive Funktion der Taufe für die Begründung der Christusgemeinschaft nur ansatzweise wahrgenommen. So betont Balduin in seiner Disputation über die Gemeinschaft mit Christus mit Bezug auf Gal 3,27, daß diejenigen, die

270 Neben der finnischen Lutherforschung und dem programmatischen Aufsatz von Theodor Mahlmann ist hier auf die Ausführungen von Wolfhart Pannenberg, Systematische Theologie, Bd. 3, 238 ff. und Gunther Wenz, Theologie der Bekenntnisschriften, Bd. 2, 49 ff. sowie ders., Unio. Zur Differenzierung einer Leitkategorie finnischer Lutherforschung im Anschluß an CA I-VI, in: Unio, 333-380 zu verweisen. Im übrigen scheint mir dies auch die Implikation der von Jörg Baur vorgenommenen Interpretation der Tübinger Theologie als der konsequenten Weiterführung der Theologie Luthers zu sein. Vgl. dazu die einschlägigen Aufsätze in seinem Aufsatzband: Luther und die klassischen Erben. 271

Vgl. dazu die oben in Kapitel 111,4 zitierte Stelle aus dem Freundenspiegel des ewigen Lebens.

298

Christusgemeinschaft und Rechtfertigung

getauft werden, Christus anziehen und mit ihm vereinigt werden. Doch schreibt er im folgenden die gleiche Bedeutung ohne weitere Differenzierungen ebenso dem Abendmahl zu.272 Demgegenüber bezieht Brochmand die Taufe zwar nicht ausdrücklich auf die Christusgemeinschaft, betont aber dafür, daß die Vermittlung des Glaubens und der darin begründeten Adoption in die Gotteskindschaft und Wiedergeburt das Ziel der Taufe sei.273 Abschließend läßt sich daher feststellen, daß die Frage nach dem Ort der individuellen Vermittlung der Wiedergeburt und der damit eröffneten neuen Existenz im Glauben an Christus weder in der von Melanchthon geprägten lutherischen Dogmatik des späten 16. Jahrhunderts noch im Anschluß an die Entstehung der Lehre von der mystischen bzw. spirituellen Vereinigung der Glaubenden mit Gott bzw. mit Christus im 17. Jahrhundert durch den einschlägigen Hinweis auf die Taufe beantwortet wird. Dies muß als ein Indiz dafür gewertet werden, daß die Reflexion auf die adäquate Vermittlungsinstanz für die individuelle Begründung der spirituellen Vereinigung mit Christus nicht zuende geführt wird. Soll die Vereinigung des Glaubenden mit Christus nicht mehr als Folge, sondern als Realisierungsgestalt der Rechtfertigung gedacht werden, wie dies bei Feurborn und in anderer Weise bei Arndt, weniger eindeutig bei Gerhard und in konsequentester Form bei Balduin und Thumm geschieht, so muß auch demonstriert werden, weshalb diese Vereinigung nicht auf einer Selbsterhebung des Individuums, sondern auf der individuellen Selbstmitteilung Christi beruht. Ohne die Rückbindung an die Taufe kann die Lehre von der mystischen Vereinigung mit Christus gerade nicht die Funktion als Voraussetzung und Realisierungsgestalt der Rechtfertigung wahrnehmen, die Mahlmann ihr

272 Balduin, Disputatio tertia de communione nostri cum Christo, These 38: „De Sacramento Baptismi testatur Paulus, quoquot Baptisantur, Christum induere, Gal. 3,27. hoc est, Christo uniri & membra mystici sui corporis fieri, unde est postea mutua baptisatorum conjunctio in uno spiritu, de qua Paulus loquitur, 1. Cor. 12,13. De sacra coena autem nemo dubitat, quod per illam fiat communio cum Christo. . . V g l . ähnlich Thumm, Impietas, 146. 273 Vgl. Brochmand, Systema, 424: „(1) Baptismus est (2) prius N. Testamenti Sacramentum, in quo, (3) Deo mandante (4) homo vivus & in hanc lucem editus, (5) ab ordinario verbi ministro (6) in aquam immergitur, aut aqua affunditur, (7) in nomine Patris & Filii 8c Spiritus sancti, (8) ut fides 8c per fidem adoptio 8c regeneratio, vel conferatur vel confirmetur 8c absignetur, homine vicissim se ad obsequium Deo praestandum obligante."Vgl. auch а. а. O., 426 f.: „Fines Baptismi sunt varii. Primo: In Baptismo nobiscum foedus init Deus, in tutelam suam nos recipiens . . . Secundo: Baptismus organon est, quo utitur Deus in Fide conferenda . . . Quanquam vero lavacro regenerationis vere purgamur & a peccatis emundamur: non tarnen ita tolluntur peccata, quin reliquiae supersint:... sed etiam e divina monitione, quam jubemur . . . Quarto: Baptismo confertur remissio peccatorum 8c salus ..

Christusgemeinschaft und Taufe

299

zugeordnet sehen möchte. 274 Dann aber wird auch die Möglichkeit preisgegeben, durch dieses Lehrstück die dogmatischen Probleme der imputativen Rechtfertigungslehre abzufangen, die darin bestehen, daß sie bei der Genese des Glaubensaktes die Selbsttätigkeit des Menschen nicht ausschließt und daß sie auf die ergänzende Darstellung der inneren und äußeren Umwandlung als Beginn der Wiederherstellung des Menschen angewiesen bleibt.

274

Vgl. Mahlmann, Unio, 175 ff.

KAPITEL V I

Die Rechtfertigungslehre im Zusammenhang der Heilsordnung Nachdem in den vorangehenden Kapiteln die materiale Entwicklung der Rechtfertigungslehre in der frühen lutherischen Dogmatik untersucht worden ist, soll in diesem Kapitel abschließend der Frage nachgegangen werden, welche Bedeutung die Ablösung der melanchthonischen LociMethode und die Neuorganisation der lutherischen Dogmatik durch die analytische Methode für die Rechtfertigungslehre hat. Dabei ist zunächst zu betrachten, unter welchem Gesichtspunkt und in welcher Weise die analytische Methode in die lutherische Dogmatik eingeführt wird. Im Anschluß daran ist an der Durchführung der analytischen Methode in der Theologia positiva-acroamatica von Johann Friedrich König, dem klassischen Werk der lutherischen Schuldogmatik, exemplarisch zu zeigen, welche Stellung der Rechtfertigungslehre im analytischen System bzw. in der Entfaltung der Heilsordnung zugewiesen wird. Weiter ist zu fragen, ob die entsprechende Einordnung der Rechtfertigungslehre tatsächlich den Status repräsentiert, der ihr nach der lutherischen Lehre von den Fundamentalartikeln zukommen soll. Abschließend ist sodann zu erwägen, inwiefern die hier auftretende Unausgeglichenheit zwischen der formalen Eingliederung der Rechtfertigungslehre in das analytische System und ihrer behaupteten fundamentalen Bedeutung für das christliche Heilsbewußtsein mit dem Verständnis der Rechtfertigung als Sündenvergebung durch die Imputation der Gerechtigkeit Christi zusammenhängt.

1. Die Einführung der analytischen Methode innerhalb der lutherischen Theologie Für die Einführung der analytischen Methode innerhalb der lutherischen Theologie 1 ist die selbständige Reflexion auf den Theologiebegriff und 1 Vgl. zur Geschichte der analytischen Methode H.E. Weber, Der Einfluß der protestantischen Schulphilosophie auf die orthodox-lutherische Dogmatik, 20-36. Siehe auch Sparn, Wiederkehr der Metaphysik, 30-35. Eine zusammenfassende Darstellung der Entwicklung „of theological Method from Melanchthon to Calov" bietet jetzt außerdem Ken-

Die Einführung der analytischen Methode

301

die Einstufung der Theologie als praktische Wissenschaft oder Weisheit vorausgesetzt, wie sie erstmals von Logikern vorgenommen und „der theologischen Fakultät vorgeschlagen" wird. 2 Während die entsprechende Reflexionsleistung unter dem Einfluß von Zabarella 3 auf calvinistischer Seite Bartholomäus Keckermann in seinem Systema SS. Theologiae von 1602 erbringt, ist es auf lutherischer Seite vermutlich Johannes Neldel, der in seinem Pratum Logicum von 1602/04 „die erklärtermaßen nicht selbst logische, sondern theologische Aufgabe übernimmt, das spezifizierend Theologische theologischer Grundsätze, Annahmen und Argumente an den res theologicae zu kennzeichnen." 4 Keckermann bestimmt die Theologie als praktischen Habitus zur Erlangung des Heils 5 und grenzt sie damit von einem kontemplativen Verständnis ab6. Neldel hingegen erklärt die Theologie nur in analogem Sinne als praktische Fertigkeit, insofern die „Erkenntnis der offenbarten Gegenstände", auf die sich die Theologie bezieht, „an die Rechtfertigung des Sünders ,angepaßt' ist"7. Beide plädieren dabei für eine analytische Rekonstruktion des theologischen Stoffs „nach den Gesichtspunkten von Ziel, Subjekt und Mitteln"8. Keckermann führt dies in seinem theologischen System auch durch, indem er im ersten Buch von Gott, seinen Eigenschaften und seinem Wort, im zweiten Buch von dem Menschen vor und nach dem Fall und im dritten Buch von den Heilsmitteln handelt. 9 neth G. Appold, Abraham Calov's Doctrine of Vocatio in Its Systematic Context, Tübingen 1998, 16-29. 2 Siehe Sparn, Wiederkehr, 30. Vgl. zur Entwicklung der Wissenschaftsmethode auch Keller-Hüschemenger, Fundamentalartikel, 114-117. 3 Vgl. dazu Appold, a.a.O., 21 ff. 4 Sparn, Wiederkehr, 30 f. 5 Keckermann, Systema SS. Theologiae, 1/1, 1: „THEOLOGIA est pmdentia religiosa ad salutem perveniendi." 6 Vgl. Keckermanns Abgrenzung gegen das kontemplative Verständnis der Theologie, Systema 1/1, 2: „Sed si rem diligentius consideremus, apparebit, Theologiam tantum esse operatricem; quia nimirum finem habet, qui operatione in subiectum est introducendus. Neque enim imago Dei & salus, quam post lapsum perdidimus, nuda quadam speculatione a nobis recuperantur, sed necesse est accedat ipsa praxis Theologica, quae est in consolatione posita, ut post audiemus. . . . Id ergo constitutum sit, Theologiam esse disciplinam operatricem & quidem tantum . . . " 7 Sparn, Wiederkehr, 31. 8 Sparn, Wiederkehr, 31. Siehe Keckermann, Systema 1/1, 3; zu Neldel siehe Sparn, а. а. O., 31, Anm. 57. ' Vgl. den Aufbau von Keckermanns Systema: 1. Buch. 1. De natura Theologiae, 2. De Dei essentia, 3. De Distinctione personarum ab essentia & inter sese, 4. De proprietatibus Dei absolutis, 5. De proprietatibus Dei ad creaturas relatis, 6. De creatione, 7. De actionibus seu operationibus Dei ortis, 8. De verbi divini materia, 9. De forma verbi divini, 2. Buck 1. In quo Theologiae partitio, 2. De statu hominis ante lapsum, 3. De lapsu primorum hominum, 4. De peccato in genere, 5. De peccato originis, 6. De peccato actuali. 3. Buck 1. De electione ad vitam aeternam, 2. De persona Christi, 3. De officio Christi in genere;

302

. im Zusammenhang der Heilsordnung

Kurze Zeit nach Neldel und Keckermann rezipiert der Lieblingsschüler von Aegidius Hunnius, Johann Schröder (1572-1621) 10 , in seiner Schrift über das Prinzip der Theologie und die natürliche Gotteserkenntnis11 die analytische Methode zur Verteidigung der natürlichen Gotteserkenntnis gegen den Atheismus12. Dabei bestimmt er die Erlangung des ewigen Heils, das in der fruitio Dei bestehe, als das externe Ziel der Theologie 13 , dem als internes Ziel die Gotteserkenntnis selbst entspreche, da ohne Gotteserkenntnis niemand zur fruitio Dei gelangen könne 14 . Das Ziel und den Nutzen der natürlichen Gotteserkenntnis erblickt Schröder darin, daß der Mensch durch sie nach Gott fragt, ihn findet und verehrt, und daß er aufgrund der natürlichen Gotteserkenntnis unentschuldbar ist, wenn er die Erkenntnis Gottes vernachlässigt.15 Die Verteidigung der natürlichen Gotteserkenntnis dient Schröder dabei dazu, durch Aufweis ihrer Insuffizienz die Einsicht in die Notwendigkeit der Schrift als Erkenntnisprinzip der Theologie zu eröffnen. 16 Im Unterschied zu Johann Schröder wendet Balthasar Mentzers Schüler Johannes Scholvin die analytische Methode in einer Disputation von 1610 zur synoptischen Erfassung der Theologie insgesamt an.17

& in specie, de Prophetico, 4. De officio Christi Sacerdotali, 5. D e regio Christi officio, 6. De Ecclesia, 7. De iustificatione, 8. De Sacramentis, Miraculis & Resipiscentia, 9. D e reformatione ad imaginem Dei. 10 Vgl. dazu Wollgast, Philosophie in Deutschland 1550-1650, 380. 11

Vgl. Johann Schröder, Opusculum theologicum de principio theologiae et naturali notitia Dei, Schweinfurt 1605. Im ersten Kapitel des Buches bestimmt Schröder in kritischer Auseinandersetzung mit dem römisch-katholischen Schriftverständnis und insbesondere dem Lehramt des Papstes die Schrift als das exklusive Prinzip der Theologie, wobei in vier Sektionen „De libris Canonicis", „De Iudice supremo in controversiis fidei", „De librorum Canonicorum perfectione, perspicuitate & interpretatione" und „De libris Apocryphis, eorumque usu" gehandelt wird. 12 Siehe das zweite Kapitel des Opusculum theologicum von Johann Schröder. 13 Schröder, Opusculum, 170, bestimmt in der ersten Sektion des zweiten Kapitels unter der Überschrift „Contra Atheos, an Deus sit" als das externe Ziel der Theologie die „Salutis aeternae adeptio: quae consistit in Fruitione Dei". 14 Vgl. die Bestimmung des internen Ziels der Theologie als „Agnitio Dei: sine qua nemini conceditur Fruitio Dei", Schröder, Opusculum, 172. 15 In der zweiten Sektion des zweiten Kapitels „De naturalis notitiae Dei fine et usu" fragt Schröder: „I. Quorsum conducit naturalis Dei notitia?" und antwortet mit der U n terscheidung: „Usus eius potissimum est triplex. I. Ut homo Deum quaerat: II. Ut quaesitum & inventum glorificet: III. Ut, si istud negligat, existat inexcusabilis." (Vgl. Schröder, Opusculum, 288) 16 Vgl. Schröder, Opusculum, 297: „II. Nunquid ergo homo, unice sectans naturalis Dei notitiae filum, per illam posset salvari? Puccius affirmat; Ego vero nego." 17 Auf dieses Werk wird im Kontext der Entstehungsgeschichte der analytischen Methode zwar meist verwiesen, doch findet man den Inhalt nirgends nachgezeichnet. Das mag damit zusammenhängen, daß diese Schrift wahrscheinlich nur in der Universitätsbibliothek von Leipzig vorhanden ist.

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Scholvin hebt wie Keckermann den praktischen Charakter der Theologie hervor, bestimmt sie darüber hinausgehend aber ausdrücklich als praktische Wissenschaft 18 , deren Ziel in der Instauration der Gottebenbildlichkeit des Menschen durch Wiedergeburt, Rechtfertigung und Erneuerung bestehe. 19 Ausgehend von dieser Definition der Theologie beschäftigt sich Scholvin zuerst mit dem Wort Gottes bzw. der Schrift als dem Kriterium der Theologie 20 , bestimmt dann als Subjekt der Theologie den Menschen, in dem die Gottebenbildlichkeit wiederherzustellen sei 21 , und erörtert daraufhin Gottebenbildlichkeit 22 und Sünde 23 einschließlich ihrer Folgen. Im Anschluß daran behandelt Scholvin die Wiederherstellung der Gottebenbildlichkeit 24 durch die ausführliche Entfaltung der Lehre von Rechtfertigung bzw. Versöhnung 25 und Erneuerung.26 Bemerkenswert ist dabei, daß Scholvin die Gottes- und Trinitätslehre27 einschließlich der Schöpfungslehre 28 , der Prädestinationslehre 29 , der Christologie 30 und der Lehre von der Berufung des

18 Scholvin, Synopsis, These 1: „Theologiae finis, cum поп tarn sit scire, quam regenerari, justificari, renovari, scientiam earn поп comtemplativam sed practiam & quidem effectivam, seu artem dicimus, quae tradit modum instaurandae imaginis Dei in homine, quam homo per lapsum amisit." 19 Vgl. Scholvin, Synopsis, These 1 mit These 10: „Finis Theologiae est imaginis Dei, quam homo per lapsum perdidit, instauratio: Ad hunc enim finem eaproxime tendunt, quaecunque in Theologia traduntur & per hunc finem separatur illa ab omnibus humanis disciplinis." 20 Scholvin, Synopsis, Thesen 2-5. 21 Scholvin, Synopsis, These 6: „Subjectum operationis Theologiae est Homo, qua est imago Dei in illo instauranda. Subjectum enim hoc поп tarn ad sciendum, quam ad operandum proponitur, ut nimirum Finis, hic Instauratio imaginis Dei, in eo efficiatur. Sicut in arte medica corpus humanum proponitur, ut in illud sanitas introducatur, vel conserve tur." 22 Scholvin, Synopsis, Thesen 11-18. 23 Scholvin, Synopsis, Thesen 19-55. 24 Scholvin, Synopsis, These 56 f. unterscheidet dabei zwischen zwei Graden der Instauration der Gottebenbildlichkeit, da sie in diesem Leben beginnt und im zukünftigen Leben vollendet wird. 25 Vgl. die Bestimmung der Rechtfertigung bei Scholvin, Synopsis, These 59: Justificatio est in locum imaginis Dei & justitiae originalis per lapsum Adami deperditae, justitiae alterius, justitiae videlicet Christi, donatio, поп ut illa inhaesive insit, sicut prior Adae, sed imputative, id est, ut a Deo nobis imputetur." 26 Scholvin, Synopsis, These 58: „Instauratio in hac vita est ea, quam Theologia, ut est ea in via, intendit, cuius partes duae sunt: Justificatio & Justificationis effectum Renovatio. Illa solet etiam Reconciliatio diet, haec etiam sanctificatio." 27 Vgl. Scholvin, Synopsis, Thesen 60-67. 28 Die Schöpfungslehre im engeren Sinne behandelt Scholvin, Synopsis, in den Thesen 68-70. Ihr folgen die Engellehre (Thesen 71-79) und die Lehre von der Erhaltung und Providenz (Thesen 80-90). 29 Die Prädestinationslehre (Thesen 91-94) folgt bei Scholvin auf die Lehre von der providenten Regierung der Welt (Thesen 82-86) und den entsprechenden Heilsbeschluß Gottes (These 87). 30 Vgl. Scholvin, Synopsis, Thesen 99-129.

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im Zusammenhang der Heilsordnung

Menschen 31 unter dem übergreifenden Gesichtspunkt der Ursachen der Rechtfertigung thematisiert und entfaltet. Auf diese Weise erscheint die Gotteslehre nicht mehr wie bei Keckermann „als Inbegriff des bloß wißbar Gegebenen" außerhalb der Soteriologie32, sondern wird in dieselbe eingefügt. Während die Gottes- und Schöpfungslehre in soteriologischem Interesse die Erkenntnis Gottes, wie er in sich ist, entfalten, wird in der Lehre von Gottes Heilsdekret und seiner Prädestination Gott konkret als die Wirkursache der Rechtfertigung bestimmt. 33 Die Christologie beschreibt sodann das Mittel, durch welches Gott seinen der Erwählung und Verwerfung vorhergehenden Heilsbeschluß durchführt. 34 Davon unterschieden wird die Berufung als die exhibitive Wirkursache der Rechtfertigung 35 , während die Applikation der Rechtfertigung sich unter Voraussetzung der Reue durch Wiedergeburt und Zurechnung der Gerechtigkeit vollzieht. 36 Die materiale Ursache der Rechtfertigung besteht nach Scholvin in der Gottebenbildlichkeit bzw. Gerechtigkeit, die Christus durch seinen aktiven und passiven Gehorsam anstelle der verlorenen Urstandsgerechtigkeit als Verdienstursache des Heils erworben hat. 37 Entsprechend bestimmt er als die Formalursache sodann die imputierte Gerechtigkeit Christi, welche die Sündenvergebung enthält. 38 Die Adoption in die Got31 Scholvin, Synopsis, Thesen 130. Die Berufung gilt als causa efficiens exhibitiva der Rechtfertigung. 32 So Sparn, Wiederkehr, 31. 33 Vgl. Scholvin, Synopsis, These 86, die Gottes- und Schöpfungslehre zusammenfaßt: „Hactenus de cognitione Dei, ut est in se, sequitur de ea, sub ratione qua dicitur efficiens Iustißcationis." 34 Scholvin, Synopsis, Thesen 97 f.: „97. Secundum voluntatem antecedentem exequens, est vel medicinam salutis, seu justification's materiam, omnibus hominibus acquirens vel earn acquisitam omnibus exhibens. 98. Acquirentis medium est Filii Dei Incamatio & eius Incamati obedientia, seu officium 35 Scholvin, Synopsis, Thesen 130: „Causa efficiens exhibitiva est, quando beneficia Christi, materiam iustificationis nostrae, SS. Trinitas cunctis hominibus in verbo suo proponit & offert, eo fine, ut ex auditu verbi & usu sacramentomm, tanquam e manu medici, ea accipiant, qua exhibitio Vocatio dicitur." 36 Scholvin, Synopsis, These 132: „ Superest causa efficiens justificationis, ut est, executiva decreti facti secundum voluntatem consequentem. Estque, quando beneficia redemptionis seu iustitiae partae, omnibus proposita quidem, sed поп ab omnibus apprehensa, certis quibusdam hominibus, nempe iis, qui propositis mediis utuntur, efficaciter applicat. Quae applicatio ante se requirit contritionem cordium: & consistit in Regeneratione & in iustitiae imputatione. Caeterum de contritione & Regeneratione infra agemus. Et sie de causa efficiente Iustificationis." 17 Scholvin, Synopsis, These 133: „SequiturJustificationis causa materialis, quae est imago Dei seu justitia, поп quidem eadem, quam habuere primi nostri parentes sibi concreatam & inhaerentem, sed hie succedens alia, quam Christus, causa meritoria salutis nostrae, nobis acquisivit: quae imago Dei ас iustitia solet meritum Christi did, itemque obedientia activa & passiva, de qua supra." 38 Scholvin, Synopsis, These 134: „Forma justificationis consistit in eo, quod haec iustitia

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teskindschaft benennt Scholvin dagegen zusammen mit der Lebendigmachung, der Unschuld, dem guten Gewissen und anderen Affektionen des Gerechtfertigten als aus der Rechtfertigung in diesem Leben per se und unmittelbar resultierendes Akzidenz derselben.39 Im Unterschied dazu wird die Erneuerung bzw. die äußere Heiligung als eine solches Akzidenz der Rechtfertigung verstanden, das zwar ebenfalls per se in diesem Leben zu ihr gehört, aber doch nicht unmittelbar mit der Zurechnung der Gerechtigkeit Christi gegeben ist wie die Adoption in die Gotteskindschaft, sondern aus der Rechtfertigung als Wirkursache folgt. 40 Indem Scholvin hierbei zusätzlich auf die Wirksamkeit des Heiligen Geistes verweist, durch welche die Rechtfertigung Wirkursache der äußeren Heiligung bzw. der Erneuerung sei, rekapituliert er die auf Melanchthon zurückgehende, im dritten Kapitel dieser Arbeit bereits besprochene Verhältnisbestimmung von Rechtfertigung und Heiligung einschließlich der dort benannten Problematik. Obwohl Adoption in die Gotteskindschaft und Erneuerung sonach nicht in der gleichen Weise unmittelbar durch die Rechtfertigung gesetzt sind, handelt es sich gemäß Scholvins Differenzierung in beiden Fällen um per se zur Rechtfertigung gehörige Akzidentien. Was hingegen der Rechtfertigung zuzuschreiben ist, insofern sie sich auf den alten Menschen 41 bezieht, fällt unter diejenigen akzidentiellen Bestimmungen, die der Rechtfertigung nicht per se, sondern nur akzidentiell zukommen. Davon unterscheidet Scholvin schließlich noch solche Akzidentien, die zur Rechtfertigung zum Teil per se und zum Teil akzidentiell gehören wie die läßlichen Sünden, das Leiden der Gerechtfertigten und der Tod der Glaubenden. 42 Nachdem Scholvin in genauer Übereinstimmung mit der seit Flacius geläufigen Differenzierung der Rechtfertigungsursachen das Ziel der Theologie, nämlich Wiedergeburt, Rechtfertigung und Erneuerung beschrieben hat, wendet er sich abschließend der Bestimmung der Mittel zu, durch die die Rechtfertigung bewirkt und bewahrt wird. 43 seu hoc meritum Christi nobis поп inhaereat, sed imputetur, perinde ac si quod Christus nostri causa peregit, nosimetipsi illud peregissemus." Vgl. dazu die Erläuterung in These 135 f., wo Scholvin deutlich macht, daß Sündenvergebung und Zurechnung der Gerechtigkeit stets als zusammengehörig anzusehen sind, auch wenn nur eines dieser Momente erwähnt wird. 39 Vgl. Scholvins Differenzierungen, Synopsis, Thesen 137-141. 40 Scholvin, Synopsis, These 142: „Quaedam [accidentia; Vf.] a iustificatione dependent tanquam Efficiente causa, nempe per efficacem operationem spiritus, ut est sanctificatio externa, seu quod idem est Renovatio & c. quae est pars Instaurationis supra dicta altera 41 Vgl. dazu im einzelnen die Beschreibung des alten Menschen bei Scholvin, Synopsis, Thesen 147-150, wonach dieser im ständigen Kampf mit dem wiedergeborenen Menschen lebt. Sofern der alte Mensch in diesem Kampf siegt, entsteht daraus die Sünde wider das Gewissen, oder sogar die Sünde wider den Heiligen Geist, die unvergebbar ist. 42 Siehe Scholvin, Synopsis, Thesen 151-158. 43 Vgl. Scholvin, Synopsis, Thesen 167 ff.

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Auch hier wird wieder unterschieden zwischen solchen Mitteln, die per se die Rechtfertigung vermitteln, und solchen, denen dies nur akzidentiell zukommt und die insofern nur in uneigentlichem Sinne als Mittel der Rechtfertigung bezeichnet werden können. 44 Wichtig ist dabei, daß Scholvin die eigentlichen Mittel der Rechtfertigung nun wieder differenziert in unmittelbare und vermittelte 45 und den Glauben als unmittelbares Instrument der Rechtfertigung kennzeichnet, von dem die Rechtfertigung gewissermaßen als interner Wirkursache abhänge 46 , wohingegen die Predigt von Gesetz und Evangelium47 und die Sakramentsverwaltung 48 als Mittel zur Hervorbringung der Rechtfertigung 49 und insofern als vermittelte Mittel der Rechtfertigung zu gelten haben. Dabei schematisiert Scholvin durch seine differenzierte Ursachenbestimmung der Heilsmittel die herkömmliche Sichtweise, wonach der Glaube als Instrument der Rechtfertigung zwar einerseits unmittelbar die Rechtfertigung bedeutet, andererseits aber selbst durch den Rechtfertigungszuspruch des Evangeliums hervorgebracht wird. Das Ziel der Wortverkündigung besteht dabei nach Scholvin insgesamt in der Hervorbringung von Buße und Rechtfertigung 50 , wobei die Predigt des Gesetzes die Reue und die Predigt des Evangeliums in der Form der Absolution durch Sündenvergebung51 die Gabe des Glaubens und damit die Wiedergeburt vermittelt 52 . Obwohl Scholvin in der Definition des Evangeliums durch dessen Ursachen betont, daß das von Christus gewirkte 44

Scholvin, Synopsis, These 168. Scholvin, Synopsis, T h e s e 169. 46 Scholvin, Synopsis, T h e s e 170: „Immediatum Instrumentum Justificationis, est FIDES CHRISTIANA. Dicitur immediatum, quod ab ea sine medio, tanquam α causa efficiente interna, iustificatio dependeat." 47 Vgl. zur Wortverkündigung insgesamt Scholvin, Synopsis, Thesen 185-242, speziell zum Gesetz a . a . O . , T h e s e n 193-213, zum Evangelium a . a . O . , Thesen 214-218. л Scholvin, Synopsis, Thesen 183 f. und 244-267. 49 Scholvin, Synopsis, These 183: „Sequuntur Instrumenta Iustificationis mediata, sic dicta, quia поп sicut Fides, a qua sine omni medio dependet Iustificatio, sed per medium, videlicet per fidem, quam ipsamet prius quam Iustificationem operantur, iustificationem efficiunt." 50 Scholvin, Synopsis, These 239. 51 Scholvin, Synopsis, These 227: „Forma praedicationis Evangelicae est quando voce legis constematis & poenitentibus, annunciatur doctrina, de Remissione peccatorum, ut inde fidem concipiant, per Evangelii vocem erecti & confirmati & sie fidei effectum iustificiationem inde consequantur 52 Vgl. Scholvin, Synopsis, Thesen 233 f.: „Finis Praedicationis verbi ... specialis est vel proprius Praedicationi Legali, vel proprius praedicationi Evangelicae. Ille, est Contritio, Hic, Regeneratio." Siehe bes. die Thesen 237 f.: „237. Regeneratio est Fidei donatio, quae ob id regeneratio dicitur, quod est donatio illius medicamenti, quod hominem in peccatis mortuum, resuscitat & regenerat ad vitam spiritualem agendam. 238. Causa efficiens Regenerationis est Deus, Ministerialis, sunt ministri Ecclesiae, Instrumentalis verbum & Sacramenta. Materia sunt omnes homines, qui rite utuntur mediis: Forma est ipsa fides donatio, seu quod idem est a morte ad vitam reduetio. Finis eius est Iustificatio: de Fide vide supra." 45

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Evangelium material in der gesamten Heilslehre und formal in der rechten Lehre von den Rechtfertigungsursachen bestehe 53 , bestimmt er als die wesentliche Materie der Evangeliumspredigt doch die Sündenvergebung durch den Glauben an Christus. 54 Diese reduktive Konzentration der Evangeliumsbotschaft auf den Zuspruch der Sündenvergebung, welche die Zurechnung der Gerechtigkeit Christi voraussetzt, entspricht dem in den beiden vorangehenden Kapiteln beschriebenen Interesse der Gießener Theologen Mentzer und Feurborn an der aktuosen Präsenz Christi, deren Heilsbedeutung wesentlich in seinem zurechenbaren Verdienst gesehen wird, während das besondere Personsein Christi nur als Bedingung der Möglichkeit dieser wirksamen Präsenz erscheint. Indem Scholvin den Sakramenten daneben ausdrücklich die gleiche Zielbestimmung zuordnet wie der Wortverkündigung 55 , ohne ihren jeweils spezifischen Sinn für die Begründung und die Bewahrung 56 der Existenz des Christen aus dem sakramentalen Vorgang selbst hinreichend herauszuarbeiten, wird auch hier die in der melanchthonischen Tradition herrschende einseitige Abhängigkeit der Wiedergeburt im Glauben vom Zuspruch der Sündenvergebung nicht aufgehoben. Die Bedeutung von Scholvins synoptischer Rekonstruktion der Theologie nach der analytischen Methode liegt darin, daß er auf der Basis der Bestimmung der Theologie als praktischer Wissenschaft alle Inhalte der Theologie konsequent dem praktischen Ziel der Theologie, nämlich der Wiederherstellung der Gottebenbildlichkeit des Menschen durch Rechtfertigung und Wiedergeburt zuordnet. 57 Die Lehrstücke vom Worte Gottes und von Gottebenbildlichkeit und Sünde dienen in dieser Konzeption als formale und materiale Voraussetzung, wobei die Lehre vom Wort Gottes 53 Vgl. Scholvin, Synopsis, These 215: „Causa efficiens Evangelii est Christus, qui illud поп natura notum ex arcano patris sinu protulit. Materia Evangelii est doctrina, cum de decreto Dei facto ab aeterno, de homini instaurando, tum de Decreti illius executione, de quibus vide supra in causa efficiente Iustificationis. Forma est recta huius doctrinae ratio, quae consistit in causa efficiente, qua efficiente, Ministeriali, Instrumentali, Materiali, formali & finali Iustificationis, causis hisce per se, поп per accidens intellectis. Finis est Fides salvifica & Iustificatio hominis." 54 Siehe Scholvin, Synopsis, These 214: „Pars altera Materiae praedicationis verbi est Evangelium, quod est doctrina de gratuita remissione peccatorum per fidem in Christum." 55 Vgl. Scholvin, Synopsis, These 249: „ Finis huius administrationis est idem, qui praedicationis verbi, de quo supra." 56 Nach Scholvins allgemeiner Definition dienen die Sakramente zwar generell der Hervorbringung und der Bewahrung des Glaubens (vgl. Synopsis, These 244), und er nennt als Ziel der Taufe darüberhinaus auch speziell die Wiedergeburt und Erneuerung (а. а. O., These 265), doch dabei wird nicht deutlich, worin das Eigentümliche der Taufe gegenüber der Wortverkündigung besteht. 57 Diese Konzentration der Theologie auf das Thema der Wiederherstellung der Gottebenbildlichkeit findet sich, wie im vierten Kapitel gezeigt wurde, bereits bei Matthias Hafenreffer, allerdings noch ohne Verbindung mit der analytischen Methode.

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die Schrift als Kriterium der Theologie angibt, während die Thesen zu Gottebenbildlichkeit und Sünde das Subjekt der Theologie bestimmen. Die Gotteslehre wird hingegen, da sie die Wirkursache der Rechtfertigung entfaltet, in die Darstellung der Rechtfertigungslehre einbezogen und damit entgegen der späteren Darstellungsweise der Subjektbestimmung nachgeordnet. Für die weitere Entwicklung der Ausgestaltung der Dogmatik nach analytischem Muster ist außerdem entscheidend, daß Scholvin die Bestimmung der Mittel zur Erlangung der Rechtfertigung als einen dritten Teil der Theologie von der Subjekt- und der Zielbestimmung unterscheidet. Fällt die damit vorgenommene darstellungstechnische Trennung zwischen formaler und instrumentaler Ursache der Rechtfertigung in Scholvins Synopse deshalb noch nicht stark auf, weil er diese in durchgehenden Thesen entwickelt, so tritt sie in der späteren klassischen Dreiteilung des dogmatischen Stoffs deutlich in Erscheinung. Die analytische Konzeption der Theologie wird 1619 von Georg Calixt in seiner Epitome Theologiae weitergeführt, indem er - im Unterschied zu der von Meisner später vorgeschlagenen Gliederung der Theologie in acht Teile - „die Dreiteilung des analytischen Schemas als erster in strenger Gliederung" durchführt. 58 Dabei konzentriert Calixt im Unterschied zu Scholvin die Theologie als den praktischen Habitus des Intellektes verstärkt auf das eschatologische Ziel der Theologie 59 , nämlich die ewige Glückseligkeit60 und entwickelt entsprechend die Gotteslehre nicht mehr wie Scholvin im Kontext der Wirkursache der Rechtfertigung, sondern innerhalb des zweiten Teils der Epitome, der vom Menschen als Subjekt der Theologie handelt 6 1 Die Gotteslehre hat hier die Funkи

Vgl. dazu Weber, Einfluß, 29. Darin könnte man ein Indiz für die „besondere Akzentuierung der Eschatologie in der lutherischen Dogmatik und Erbauungsliteratur" sehen, die nach Sparn, Krise, 61 um 1600 einsetzt und „eine Intensivierung der Innerlichkeit" widerspiegelt 40 Calixt, Epitome, 133,8-18: „Theologia est Habitus intellectus practicus docens e revelatione divina sacris Iltens comprehensa et testimonio veteris Ecclesiae comprobata, quomodo ad aeternam vitam perveniendum sit; vel est Habitus intellectus practicus iuxta revelationem divinam sacris Scripturis comprehensam et testimonio Apostolicae Catholicae Ecclesiae comprobatam docens et dirigens, quaecunque ad consequendam aeternam beatitudinem faciunt; vel est Habitus intellectus practicus docens, qua via ad aeternam beatitudinem perveniatur, et dirigens, quaecunque ad eam consequendam quoquomodo pertine[n]t." Scholvin läßt selbstverständlich die eschatologische Zielbestimmung der Theologie nicht außer Acht, sondern unterscheidet zu Beginn der Thesen Uber die Wiederherstellung der Gottebenbildlichkeit des Menschen zwischen zwei Graden derselben, nämlich „in hac vita" und der zukünftigen Vollendung „in vita coelesti", vgl. Synopsis, These 56. Aber das, was der Rechtfertigung „in altera vita" folgt, wird nur in wenigen Thesen erörtert, vgl. a.a.O., Thesen 159-165. Das Hauptinteresse liegt in der Darstellung der Rechtfertigung und der aus ihr folgenden Erneuerung. 41 Vgl. Calixt, Epitome, 136-179, zur Gottes- und Trinitätslehre speziell a.a.O., 137149. w

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tion, die Erkenntnis Gottes als des höchsten Guts und darin als des Zieles der menschlichen Existenz darzustellen. 62 Im dritten Teil der Epitome behandelt Calixt die Prinzipien, von denen das ewige Heil abhängig ist, und die Mittel, durch die es erreicht wird. 63 Diese Unterscheidung zwischen Heilsprinzipien und Heilsmitteln, die sich bei Scholvin in der Differenzierung zwischen Rechtfertigungsursachen und Mitteln der Heilsaneignung findet, wird in den späteren analytisch konzipierten Werken übernommen. Allerdings stellt Calixt anders als die spätere Schuldogmatik nur das barmherzige Erlösungsdekret Gottes, die Inkarnation und die Verdienste Christi als Heilsprinzipien dar, während er Glaube und Rechtfertigung als Heilsmittel bestimmt, da durch diese die Gnade Gottes und die Verdienste Christi dem Menschen zugeeignet würden. 64 Eine „neue, die bisherigen Ergebnisse bewußt hinter sich lassende Stufe" der Reflexion auf die Theologie als praktischen Habitus 65 und die ihr entsprechende analytische Stoffanordnung bietet Balthasar Meisners zweiter Entwurf der Philosophia sobria von 1623.66 Der „Aufbau des theologischen Systems nach dem ordo salutis"67 ergibt sich bei Meisner aus der in Analogie zur Medizin entwickelten 68 Definition der Theologie als einem im Verstand des Theologen gegebenen praktischen Habitus, der ihn dazu anleitet, die gefallenen Menschen durch die wahre Religion zum ewigen Heil zu führen. 69 Meisner grenzt sich dabei ausdrücklich von Keckermann ab, indem er die Theologie nicht als Methode der Heilserlangung, sondern als die Aufgabe der Theologen bestimmt, andere

62

Calixt, Epitome, 137,4-10: „Neque enim finem suum assequi potest Theologus, nisi sciat, quomodo homo a Creatore suo opt. max. dependeat, quomodo ab eodem ad immortalitatem et vitam aeternam creatus defecerit, quomodo sese res eius, antequam defecit, habuerint et quomodo sese nunc, postquam lapsus est, habeant." Vgl. a . a . O . , 137,15-24. 63

Vgl. Calixt, Epitome, 179 ff. Calixt, Epitome, 204,5-10: „Expositis duabus primis et praecipuis causis nostrae salutis, una quidem Misericordia Dei et secundum hanc decreto eius de nobis redimendis facto, alterna autem Incamatione meritisque CHRISTI et quae eo pertinent, reliquum nunc est, ut consideremus, quomodo Dei illa gratia nobis applicetur et quomodo merita Christi nostra fiant." 65 Siehe Balthasar Meisner, Philosophia sobria, Pars III, Sectio 1, Kapitel 2, 134-219 (im folgenden zitiert nach Pars/Sectio, Kapitel, Theorema, Seite). Zum praktischen Charakter der Theologie siehe bes. a . a . O . , 111/1,2, Theorema I und III, 159.176. Meisner sieht die Einheit der Theologie darin begründet, daß sie nur ein einziger praktischer Habitus ist. Vgl. dazu im einzelnen Sparn, Wiederkehr, 31 ff. 66 Vgl. Sparn, Wiederkehr, 31. 67 Sparn, Wiederkehr, 35. 68 Vgl. Meisner, Philosophia sobria 111/1,2, Theorema VII, 191 f. und die entsprechende Aufteilung des praktischen Teils der Theologie nach Theorema VIII, 203 ff. 69 Vgl. Meisner, Philosophia sobria 111/1,2, Theorema VII, 191: „Theologia est habitus θεόσδοτος practicus, in mente Theologi existens, eumque dirigens, ut homines lapsos, per veram religionem, perducat ad aeternam beatitudinem." 64

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zum Heil zu führen.70 Entsprechend unterscheidet er bei der Bestimmung des Subjekts der Theologie zwischen dem lehrenden, führenden Theologen und dem Menschen, der zum Heil zu führen ist.71 Die Tätigkeit des Theologen richtet sich dabei nicht auf das ewige Heilsziel, welches das äußere Ziel der Theologie ist, sondern auf das innere Ziel, nämlich den Glauben zu lehren.72 Inhaltlich geht es damit um die Lehre vom Heil, die Meisner als Religion bezeichnet. 73 Für die Darstellung der theologischen Heilslehre schlägt Meisner eine Unterteilung in acht Teile vor. Danach ist zuerst vom Wort Gottes als dem Prinzip der Theologie, vom Gegenstand der Theologie im allgemeinen und vom Ziel der Theologie, d. h. von Gott selbst und der Glückseligkeit74, zu handeln.75 Im Anschluß an diese dreiteilige theoretische Grundlagenbetrachtung soll unmittelbar auf die in Analogie zur Medizin rekonstruierte Praxis der Theologie selbst eingegangen werden, die in der Heilung des gefallenen Menschen bestehe. Dabei müsse im vierten, pathologischen 76 Teil zuerst von der Korruption des Menschen und dem Zustand der Sünde gehandelt werden, der die Beschreibung des Urstandes vorauszuschicken sei.77 Im fünften, therapeutischen Teil seien dann die Heilsmittel vorzustellen. Meisner nennt hier zuerst die in der Ewigkeit geschehene Prädestination, dann deren Vollzug in der Zeit durch die Erlösung Christi, die Berufung, die Rechtfertigung und die Erneuerung. Dabei seien jeweils alle Ursachen aufzuzählen. 78 Thema des sech70

Vgl. Meisner, Philosophia sobria 111/1,2, Theorema VII, 192 f. Meisner, Philosophia sobria 111/1,2, Theorema VII, 191 f.: „Subjectum inhaesionis, quod est mens vel intellectus Theologiae. . . . Subjectum operationis, quod sunt homines lapsi & salvandi . . . " Siehe dazu ausführlicher Sparn, Wiederkehr, 32. 72 Meisner, Philosophia sobria 111/1,2, Theorema VII, 192: „Finis internus, qui est ipsum perducere ad salutem, vel to operari Theologi, circa hominum ad vitam aeternam perducitonem, seu spiritualis medicatio Eo enim directa est tota Theologia & omnis Theologia opera. . . . Finis extemus, qui est actualis hominum salvatio, vel salutis possessio & beata Dei fruitio." 73 Vgl. Meisner, Philosophia sobria 111/1,2, Theorema VII, 192: „Subjectum tractationis, vel objectum, quod est vera religio, quae simul comprehendit omnia media, quibus homines lapsi promoventur ad salutem." Siehe dazu Sparn, Wiederkehr, 32 f. 74 Vgl. dazu ausführlicher Meisner, Philosophia sobria 111/1,2, Theorema VIII, 202 f. 75 Meisner, Philosophia sobria 111/1,2, Theorema VIII, 199. 76 Die in Anlehnung an die Medizin vorgenommene Benennung der verschiedenen Teile der Theologie findet sich bereits in der Institutio von Nikolaus Seinecker, der die Loci in vier Klassen einteilt und diese als physiologische, pathologische, therapeutische und hygienische Loci differenziert, vgl. dazu Max Keller-Hüschemenger, Fundamentalartikel, 68. 77 Meisner, Philosophia sobria 111/1,2, Theorema VIII, 199: „Post principii, objecti & finis θεορίαν, immediate ad praxin, vel curam spiritualem hominis lapsi veniendum est. Quum agendum de corruptione hominis & statu peccati, qui quum praesupponat statum Integritatis, tanquam privatio habitum, ejus etiam explicatio erit praemittcnda." 78 Meisner, Philosophia sobria 111/1,2, Theorema VIII, 199 f.: „Explorato animi morbo, cogitandum erit de remediis, ubi totum salutis nostrae negotium exponendum, quoad aeterna 71

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sten Teils der Theologie sei dann die Bewahrung des zur geistlichen Gesundheit geführten Menschen durch die christlichen Tugenden und gute Werke. 79 Meisner vergleicht diese Aufgabe mit der partikularen Hygiene in der Medizin, während die Wahrnehmung der universalen Hygiene durch die im siebten Teil darzustellende Kirchenlehre80 beschrieben werde. Die theologische Lehre findet im achten und letzten Teil der Meisnerschen Konzeption ihren Abschluß in der Darstellung des letzten Zieles, wobei sich dieser Teil vom dritten Teil über das Ziel der Theologie dadurch unterscheidet, daß es hier um die Beschreibung der konkreten Realisierung des letzten Zieles geht.81 Für die Bedeutung und das Verständnis der Rechtfertigungslehre ist dabei entscheidend, daß Meisner die Rechtfertigung als drittes Vollzugsmoment der Erwählung nach der Erlösung durch Christus und der universalen Berufung versteht, der als viertes Moment die Erneuerung folgt. 82 Die Rechtfertigung wird dabei mit der Wiedergeburt und der Aufnahme in den Bund Gottes gleichgesetzt und erscheint damit anders als bei Scholvin, aber ähnlich wie bei Calixt als ein Moment innerhalb der therapeutischen Betrachtung der Theologie und nicht als deren Zentrum insgesamt. Während Meisners Entwurf der Theologie als praktischer Wissenschaft keine umfangreiche Rezeption erfuhr und auch die sehr viel mehr beachtete Epitome von Georg Calixt nicht zur endgültigen Adaption der praedestinatione; quoad factam in tempore per Christum redemtionem, vocationem, justificationem, renovationem, ubi omnes causae enumerandae, principalis, Dei gratia, meritoria, Christi obedientia, Instrumentalis; ex parte Dei verbum & Sacramenta; ex nostra fides & fruitio." 79 Meisner, Philosophia sobria 111/1,2, Theorema VIII, 200: „Homine ad sanitatem spiritualem perducto, laborandum est, ut in sanitate etiam conservetur, ubi praescribendae sunt variae de virtutibus Christianis, bonisque operibus regulae. Nam justificatorum est, ut in novitate vitae ambulent & iuxta legem Domini in quovis statu bene operentur." 80 Meisner, Philosophia sobria III/l,2, Theorema VIII, 200: „Quia vero ex multis justificatis constituitur unum corpus mysticum Ecclesia; hinc ejus natura & totum regimen necessario venit explicandum." 81 Meisner, Philosophia sobria 111/1,2, Theorema VIII, 200: „Tandem, quia finis, uti primus est in intentione; sie ultimus est in executione; hinc iterum subjungenda doctrina de fine ultimo, (sicut etiam Aristoteles de summo Bono bis tractavit, ab initio Sc in fine librorum Nicomachicorum) nimirum sub hoc respectu, quatenus executioni mandatur, ubi considerandi articuli de morte & animae statu post mortem; de mundi consummatione; extremo judicio; coelesti gloria, ejusque contratio, inferno." 82 Siehe Meisner, Philosophia sobria 111/1,2, Theorema VIII, 204: „ Quinta pars est θεραπευτική, de remediis miseriae, quae sunt vel aeterna, ut Dei decreta, inter quae praeeipuum, electio ad vitam, cui opponitur reprobatio: vel temporalia & executionem notantia, ut sunt (1.) Redemtio per Christum in Evangelio revelatum facta; quo spectant articuli de Evangelio, de Persona Christi, de ejus officio 8c vita, totoque curriculo. (2.) Universalis vocatio & vocationis media, Verbum & Sacramenta. (3.) Justificatio vel regeneratio seu adoptio in foedus, ubi de Utroque Testamento. (4.) Sanctificatio vel renovatio, cujus ostendenda imperfectio, contra Pontificios."

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analytischen Methode führte, wird „der Sieg der analytischen Methode über die synthetische in der Orthodoxie endgültig entschieden" bei J o hannes Hülsemann in seinem Breviarium theologicum von 1640. 83 Ihm folgen Abraham Calov 84 , Johann Konrad Dannhauer, Johann Friedrich König, Johann Andreas Quenstedt und die meisten anderen Lutheraner bis hin zu David Hollaz. Ihren Höhepunkt erreicht die Anwendung der analytischen Methode innerhalb der Theologie in der Introductio in theologiam des Jenaer Theologen Johann Musäus, indem sie hier nicht nur zur Darstellung der offenbarten Theologie, sondern vorab zu einer davon unterschiedenen, eigenständigen Entfaltung der natürlichen Theologie eingesetzt wird, um durch die parallele Rekonstruktion der beiden theologischen Bereiche die Insuffizienz der natürlichen Theologie bzw. der Vernunft als ihrer Erkenntnisquelle aufzuweisen.

2. Die schuldogmatische Durchführung der analytischen Methode und ihre Bedeutung fiir die Entfaltung der Rechtfertigungslehre Wie Meisner eröffnet auch Johann Friedrich König seine Theologia positiva acroamatica, die als schuldogmatisches Standardwerk der klassischen lutherischen Orthodoxie gelten kann, mit Praecognita zur allgemeinen Protheorie, zum Religionsbegriff, zur Schriftlehre und zu den Glaubensartikeln. 85 Das System selbst entfaltet König, indem er im ersten Teil von Gotteslehre, Schöpfungslehre und vom eschatologischen Leben als dem Ziel der Theologie handelt, sodann im zweiten Teil Gottebenbildlichkeit und Sünde zur Bestimmung des theologischen Subjektes darstellt, um schließlich im dritten Teil die Heilursachen und Heilsmittel zu bestimmen, von denen das Heil abhängt und durch die der gefallene Mensch zum Heil zu führen ist. 86 Die Darstellung der Heilsursachen im dritten Teil des Systems wird dabei trinitarisch strukturiert, indem zuerst die Lehre von der Benevolenz Gottes des Vaters, dann die Lehre von der Erlösung durch Christus und schließlich die Lehre von der Vermittlung der Gnade durch den Heiligen Geist entwickelt wird. Wie bereits im vierten Kapitel dieser Arbeit durch den Vergleich der schuldogmatischen Konzeption bei König und QuenSo Keller-Hüschemenger, Fundamentalartikel, 118. Vgl. dazu Appold, а. а. O., 29 f. 85 Vgl. König, Theologia, §§ 1-152. 86 König, Theologia III, § 1: „Actum hue usque fuit tum de fine Theologiae, tum de subjecto, in quod ille introducendus est, homine scilicet peccatore; residuum nunc est, ut etiam de prineipiis, a quibus dependet salus aeterna Sc mediis, per quae ad earn homo lapsus perducendus est, agamus." 83 84

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stedt mit Hafenreffers Darstellung der Heilsvermittlung durch das dreifache Amt Christi angedeutet worden ist, besteht bei der ökonomischtrinitarischen Rekonstruktion der Heilsursachen die Schwierigkeit, daß das gemeinsame Wirken der trinitarischen Personen im Erlösungsgeschehen zwar behauptet, aber im Blick auf die einzelnen Momente des Heilsbeschlusses, des Erlösungsgeschehens und der individuellen und kollektiven Vermittlung dieses Geschehens nicht hinreichend demonstriert wird. Vielmehr erscheinen diese Vollzüge jeweils einseitig abhängig von dem speziellen Wirken einer der trinitarischen Personen, ohne daß auf die jeweilige Art der Mitwirkung der anderen trinitarischen Personen ausdrücklich Bezug genommen würde. Dies ist in besonderer Weise im Blick auf den Zusammenhang von Christologie und Pneumatologie problematisch, weil hier nicht deutlich wird, inwiefern der Heilige Geist die Gnade nicht unabhängig, sondern durch Christus als das inkarnierte Wort Gottes und damit auch durch Christi Wirken in seinem dreifachen Amt vermittelt, wie dies von Hafenreffer klar herausgearbeitet wurde. Auf diese Weise entsteht der Eindruck, als würde durch das Wirken des Geistes, welches König - in leicht vereinfachter Form gegenüber Calovs Konzeption des ordo salutis87 - in Berufung, Wiedergeburt, Bekehrung, Buße, Rechtfertigung, mystische Vereinigung und Erneuerung 88 differenziert, nicht Christus selbst in seinem umfassenden Wirken, sondern nur sein vorab durch aktiven und passiven Gehorsam erworbenes Verdienst vermittelt. Dieser Eindruck bestätigt sich anhand der Angaben, die König über die Wirkursache der einzelnen Momente der Heilsvermittlung macht. Hier wird nämlich jeweils zunächst die heilige Trinität als erste, allgemeine Wirkursache der Gnadenvermittlung bestimmt89 und der konkrete Vollzug der Zueignung der Gnade in ihren einzelnen Schritten speziell dem Wirken des Heiligen Geistes zugeschrieben90. Der Bezug

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Siehe dazu Appold, a . a . O . , 101 ff. Vgl. dazu König, Theologia III, §§ 425-604. 89 Die Trinität wird von König als causa efficiens absoluta der Berufung (König, Theologia III, § 432), als causa efficiens principalis der Wiedergeburt (a.a.O., § 461), als causa efficiens principalis der Bekehrung (а. а. O., § 488), als causa efficiens principalis der Buße (а. а. O., § 526), als causa efficiens principalis der Rechtfertigung (а. а. O., § 544), als causa efficiens prima der unio mystica (а. а. O., § 570) und als causa efficiens prima der Erneuerung (а. а. O., § 590) bestimmt. 90 Bei der Berufung fungiert der Heilige Geist nach König als causa efficiens relate (König, Theologia, §432), bei der Wiedergeburt und Bekehrung als causa efficiens principalis terminative (а. а. O., § 461.488), bei der Buße ebenfalls als causa efficiens principalis terminative (а. а. O., § 526 f.), bei der unio mystica als causa efficiens appropriative (а. а. O., § 570) und bei der Erneuerung als causa efficiens terminative et appropriative (а. а. O., 590). Nur in der Rechtfertigungslehre wird nicht ausdrücklich zwischen der Trinität als causa efficiens prima und dem Wirken des Heiligen Geistes als der causa prima appropriative unterschieden. M

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auf das Wirken Christi besteht lediglich im Verweis auf sein Verdienst 91 als Impulsiv- oder Verdienstursache. Auf die prophetische und königliche Tätigkeit Christi geht König in seiner Darstellung der Gnadenvermittlung durch den Heiligen Geist im Unterschied zu Hafenreffer und Thumm an keiner Stelle ein. Im Zusammenhang der mystischen Vereinigung und der Erneuerung weist er lediglich darauf hin, daß Christus nicht nur im Blick auf sein Verdienst, sondern als Gottmensch nach beiden Naturen als die verdienende bzw. erwerbende Ursache zu gelten habe. 92 Eine konsequente Rekonstruktion des gemeinsamen Wirkens von Vater, Sohn und Geist bei der Wiederherstellung der Gottebenbildlichkeit des gefallenen Menschen, wie sie König anstrebt, würde dagegen erfordern, daß dieses gemeinsame Wirken nicht nur durch die den trinitarischen Personen jeweils in besonderer Weise appropriierten Werke der Erwählung, der Erlösung und der Heilsvermittlung bzw. Versöhnung, sondern auch im Blick auf Konstitution und Vollzug dieser Werke selbst expliziert wird. Im Falle der Heilszueignung durch den Geist wird dies für die Rolle Gottes des Vaters in keiner Weise und für die Rolle des Sohnes nur hinsichtlich seines Verdienstes gezeigt. Indem König und ihm folgend Quenstedt weder die Ämterlehre noch auch die Lehre von der Inkarnation und der Person Christi bei der Bestimmung der Ursachen der Heilszueignung durch den Heiligen Geist berücksichtigen und stattdessen allein das Verdienst Christi als Voraussetzung derselben angeben, erscheint die Heilszueignung - insbesondere in der Rechtfertigungslehre - einseitig abhängig von dem in der Satisfaktion Gottes begründeten Verdienst Christi. Damit zieht diese Konzeption der Heilsbegründung und Heilszueignung die Probleme der Satisfaktionstheorie auf sich, die bereits im dritten Kapitel bei der Darstellung des Verdienstes Christi als Verdienstursache bzw. als Voraussetzung und Gegenstand der Zurechnung genannt worden sind. Es handelt sich dabei zum einen darum, daß die gesamte Heilszueignung abhängig gedacht ist von der Satisfaktionsleistung Christi. Obwohl diese in der Lehre vom universalen Heilswillen Gottes auf den Heilsratschluß Gottes zurückgeführt wird, kommt doch durch die Rede vom Verdienst Christi als Bedingung der Möglichkeit der Sündenvergebung Gott nur in eingeschränkter Weise als Subjekt des Versöhnungsgeschehen zur Geltung. Ansätze zu theologisch reflektierter Überwindung des damit drohenden Widerspruchs zu 91

Bei der Berufung wird das Verdienst Christi nur als Vermittlungsgrund der causa impellens interna, die in der Barmherzigkeit Gottes besteht, erwähnt, vgl. a.a.O., § 433. Bei Wiedergeburt und Bekehrung gilt das Verdienst Christi als causa efficiens movens externa, vgl. а. а. O., § 459.486. Bei der Buße ist das Verdienst Christi materia circa quam ex parte fidei, vgl. а. а. O., § 530. Bei der Rechtfertigung wird das Verdienst des Gehorsams Christi als causa impellens externa bestimmt, vgl. а. а. O., § 546. 92 Christus wird hier als causa promerens bestimmt, vgl. a.a.O., § 571.591.

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neutestamentlichen Versöhnungsaussagen finden sich innerhalb der klassischen lutherischen Dogmatik des 17. Jahrhunderts nur in der konsequenten Auslegung des Inkarnationsgedankens in der Tübinger Christologie, die aber außerhalb Tübingens kaum rezipiert worden ist. Das zweite Problem der im einseitigen Rekurs auf die Satisfaktion Christi explizierten Heilsvermittlung liegt, wie oben ebenfalls angedeutet worden ist, in der Zurechnung des Verdienstes Christi als Bedingung der Gerechterklärung des glaubenden Sünders. Abgesehen davon, daß die Zurechnung eines fremden Verdienstes zur Gerechtigkeit nicht zu Unrecht als sittlich problematisch angesehen worden ist, entstehen hier dogmatische Schwierigkeiten im Blick auf das Verhältnis von Wiedergeburt und Rechtfertigung einerseits, Rechtfertigung und Erneuerung andererseits, deren Lösung in der analytischen Konzeption bei König und Quenstedt unzureichend ist. Was das Verhältnis von Wiedergeburt und Rechtfertigung betrifft, so ist eine deutliche Weiterentwicklung der Konzeption bei König gegenüber der frühen lutherischen Dogmatik darin zu sehen, daß er die Wiedergeburt weder wie die Konkordienformel im engen Sinne mit der Rechtfertigung gleichsetzt, noch im weiten Sinne auf den gesamten Vorgang der Heilsvermittlung einschließlich der Erneuerung bezieht wie etwa Nikolaus Hunnius 93 . Vielmehr wird die Wiedergeburt - anders als noch etwa bei Hülsemann - als ein eigenständiges Moment innerhalb der Heilsvermittlung durch den Heiligen Geist zur Darstellung gebracht und dabei der Lehre von der Bekehrung, der Buße und der Rechtfertigung vorgeordnet. Diese Vorordnung ist dabei - wie die Reihenfolge der einzelnen Momente der Heilszueignung überhaupt - nicht im Sinne eines zeitlichen, sondern nur im Sinne eines logischen Folgeverhältnisses zu verstehen. Sie ergibt sich aus dem Verständnis der Wiedergeburt, das König vertritt. Zwar unterscheidet König wie die Konkordienformel zwischen einem weitem94 und einem striktem Sinn95 der Wiedergeburt, iden93 Bei Nikolaus Hunnius in seiner Epitome credendorum von 1702 wird die Wiedergeburt im Anschluß an Berufung, Buße, Rechtfertigung und Glaube, Bekehrung und Erneuerung behandelt. Der Lehre von der Wiedergeburt folgt nur noch die Lehre von der Vereinigung mit Christus (vgl. die Kapitel 17-23), bevor Hunnius dann zur Lehre von den Heilsmitteln übergeht. 94 Vgl. König, Theologia III, § 446: „Late sumitur pro restitutione vitae spiritualis in genere; quomodo terminus regenerationis a quo est mors peccati in tota sua latitudine accepta, prout omnium omnino virium spiritualium, credendi juxta ac operandi carentiam, una cum dominio & reatu peccati importat. Atque hac ratione regeneratio etiam justificationem & subsequentem renovationem sub se comprehendit. Quo sensu etiam usurpavit vocem Formula Concordiae p. 686. Chemnitius Harm. Evang. c. 28." 95 Vgl. König, Theologia III, § 447: „Stricte accipitur vel pro remissione peccatorum seu justificatione; in quo usu saepe multumque in Apologia Confessionis poni Formula Concordiae dicit 1. cit. vel pro renovatione; quomodo а В. Luthero passim sumi ibidem ostenditur: Vel pro collatione virium credendi·, quae significatio magis propria & huius loci est."

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tifiziert sie dann aber nicht einfach im strikten Sinne mit der Sündenvergebung und Rechtfertigung, sondern begreift sie umfassender als den Akt Gottes, durch welchen der in Sünden erstorbene Mensch zum geistlichen Leben geführt wird, und zwar so, daß die Wiedergeburt im passiven Sinne eine spirituelle Veränderung im Menschen selbst bedeutet. 96 Bei der näheren Bestimmung der Wiedergeburt konzentriert sich König dann allerdings nicht etwa auf die Beschreibung der Wiedergeburt in ihrer Wirkung beim Menschen, sondern - in Entsprechung zum übergreifenden Thema der Heilszueignung durch den Heiligen Geist - ganz auf die Beschreibung der Wiedergeburt als Akt Gottes. Als solcher ist die Wiedergeburt die Wiederbelebung des Menschen, die König im engeren Sinne als die Sammlung der übernatürlichen Kräfte bestimmt, durch welche das geistliche Leben beginne.97 In diesem Sinne koinzidiere die Wiederbelebung entweder mit der Bekehrung Erwachsener durch das Wort oder aber mit der Wiedergeburt der Kinder durch die Taufe. Der Begriff der Wiedergeburt im Sinne der Wiederbelebung wird dabei von König als der umfassendere Begriff von der Bekehrung unterschieden, weil er nicht nur die Bekehrung der Erwachsenen, sondern auch die Wiederbelebung der Kinder einschließe. Entsprechend werde die Wiedergeburt nicht allein durch das Wort, sondern durch Wort und Sakrament als organische Ursache der Wiedergeburt vermittelt.98 König versteht somit wie ihm folgend Quenstedt die Taufe nur bei den Kindern als das spezielle Mittel der Wiedergeburt bzw. des Glaubens und der Versammlung im Gnadenbund, während sie bei den Erwachsenen der Bekräftigung des durch die Wortverkündigung gewirkten Glaubens diene99. Der Zusammenhang zwischen Taufe und Wiedergeburt * König, Theologie III, § 448: „Atque in hoc ultimo siginificatu sumitur vel active & transitive, quatenus notat ipsam Dei operationem gloriosam, homini in peccatis mortuo vitam spiritualem largientem: vel passive pro spirituali mutatione in ipso homine." Vgl. die abschließende Definition der Wiedergeburt bei König, Theologia III, § 472: „Regeneratio est actus gratiae Spiritus Sancti applicatricis, quo is una cum Patre & Filio ex mera gratia, in Christi merito fimdata homini in peccatis mortuo, vires surgendi e morte spiriturali, ad vitam fidei largitur, ut in Filium Dei adoptatus aetemum cum Deo vivat." " König, Theologia III, § 450: „Vocatur alias Vivificatio, Eph. 11,5. Col. 11,13. quae vox vel late sumitur, prout justificationem & renovationem includit: vel stricte, prout notat collationem virium supernaturalium, per quas spiritualiter vivere incipimus. Et sie coincidit cum regeneratione & conversione." * Vgl. König, Theologia III, § 451 mit Bezug auf die Wiedergeburt: „Dicitur etiam conversio, quae tarnen cum termino regenerationis non prorsus coincidit: Differunt enim haec duo (1J ratione subjectorum. Regeneratio enim adultorum & infantum; conversio vero adultorum saltern est, quum infantes non dicantur proprie converti, (2) ratione mediorum. Regeneratio fit per verbum & sacramenta: Conversio per verbum solum." Siehe außerdem а. а. O., § 463: „[Causa minus principalis; Vf.] Organica sunt Verbum & Sacramenta". " Vgl. die Bestimmung des finis intermedius der Taufe bei König, Theologia III, § 798: „Primarius in Infantibus est fidei & gratiae foederalis collatio: in adultis credentibus fidei

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wird dabei weniger betont als in der älteren lutherischen Dogmatik, indem die Taufe nicht mehr als das Bad der Wiedergeburt, sondern als Sakrament zur Vermittlung der foederalen Gnade definiert wird. 100 Während die ältere lutherische Dogmatik den Zusammenhang zwischen Wiedergeburt, Rechtfertigung und Taufe wohl im Bestreben nach Abgrenzung gegen das tridentinische Verständnis der Taufe als einer die Erbsünde beseitigenden Instrumentalursache der Rechtfertigung und gegen das osiandrische Taufverständnis als einer das göttliche Wesen vermittelnden Einverleibung Christi 101 nicht eingehender zur Darstellung gebracht hat, wird dieses Defizit vorübergehend im Breviarium theologiae von Johannes Hülsemann dadurch behoben, daß er der Lehre von der Rechtfertigung und von der Erneuerung ein Kapitel über die Bekehrung durch die Taufe voranstellt und das Abendmahl in seiner Funktion als Bekräftigung und Bewahrung der Rechtfertigung und Erneuerung im Anschluß an diese Lehrstücke darstellt. 102 Hülsemann demonstriert auf diese Weise die sakramentale Form der individuellen Heilsvermittlung in wünschenswerter Deutlichkeit, wobei er allerdings die Vereinigung mit Christus erst im Anschluß an die Abendmahlslehre behandelt und damit ihre konstitutive Bedeutung für die Rechtfertigung ausblendet. Diese Konzeption setzt sich jedoch nicht durch, wie man bei Calov103 und dann vor allem bei König sehen kann, der die Sakramente als Heilsmittel außerhalb der Lehre von der Gnadenvermittlung durch den Heiligen Geist darstellt und die konstitutive Bedeutung der Taufe für Wiedergeburt und Bekehrung nicht mehr zur Geltung bringt. Dabei spielt bei König - und später bei Quenstedt - der Gedanke eine entscheidende Rolle, daß bei der Erwachsenentaufe die Bekehrung durch das Wort und der Glaube an die Rechtfertigung der Taufe bereits vorangehen und die Taufe die damit bereits begonnene Wiedergeburt durch den Glauben nur noch besiegelt. Die Tauflehre Königs bestätigt damit ihrerseits, daß er die Wiedergeburt wesentlich als Bekehrungsakt durch Neukonstitution & gratiae confirmatio & obsignatio: respectu omnium omnino baptismi Candidatorum, fidei & gratiae ac bonorum spiritualium ad earn pertinentium oblatio." 100 Vgl. di e Definition der Taufe bei König, Theologia III, § 800: „Baptismus est prius Novi Testamenti Sacramentum, quo Deus ordinarie per Ecclesiae ministrum, per aquae aspersionem sive in aquam immersionem, in nomine Patris, Filii & Spiritus Sancti factam, homini fidem & gratiam foederalem offert, confert, obsignat, in sapientiae & bonitatis suae laudem & baptizati salutem." 101 Vgl. A. Oslander, Vom einigen Mittler, in: Gesamtausgabe, Bd. 10, 138,13-18. 102 Vgl. dazu die Darstellung der Gliederung des Breviarium theologiae von J. Hülsemann bei Keller-Hüschemenger, Fundamentalartikel, 119. 103 Calov behandelt zwar vor der Lehre von der individuellen Heilsvermittlung die Kirchenlehre zusammen mit der Lehre vom Wort Gottes und den Sakramenten, aber der direkte Bezug zwischen individueller Heilsaneignung und ihrer sakramentalen Vermittlung tritt damit im Aufbau nicht eindeutig hervor.

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der geistlichen Kräfte des Menschen versteht.104 Denn im eigentlichen Sinne vollzieht sich die Wiedergeburt in der Bekehrung durch das Wort, während sie in der Kindertaufe nur insofern vermittelt wird, als die Kindertaufe auf zukünftige Bekehrung zum Glauben angelegt ist. Mag die Deutung der Wiedergeburt durch die Bekehrung, die König nicht zufällig gleich im Anschluß an die Lehre von der Wiedergeburt darstellt, als empirische Beschreibung der Wiedergeburt sinnvoll erscheinen, so bedeutet doch die damit einhergehende Reduktion der Wiedergeburt auf einen intellektuellen Vorgang beim Menschen nicht nur eine Verkürzung gegenüber dem biblischen Verständnis der Wiedergeburt, bei dem die Konstitution des neuen Menschen durch die Taufe im Vordergrund steht. Die Auslegung der Wiedergeburt durch die Bekehrung ist auch anfällig für eine von König in keiner Weise beabsichtigte Fehldeutung der Wiedergeburt als subjektives Glaubenserlebnis, dessen Vollzug anhand der geistlichen Umwandlung empirisch verifiziert werden können muß. Daß König die Wiedergeburt wesentlich als Umwandlung der geistigen Vermögen des Individuums und damit als ein Geschehen in der Subjektivität des Menschen deutet und in diesem Sinne der Rechtfertigung voranstellt, enthält aber vor allem die Schwierigkeit, daß die Lehre von der Wiedergeburt nun genau diejenige Veränderung beim Menschen als Voraussetzung der Rechtfertigung einführt, die durch die Lehre von der Rechtfertigung als Sündenvergebung und Zurechnung der Gerechtigkeit Christi selbst als Bedingung der Rechtfertigung ausgeschlossen werden soll. Die Vorordnung der Wiedergeburt einschließlich der Bekehrung und Buße vor der Rechtfertigung geschieht nämlich mit dem Ziel, die durch Gottes Wort konstituierte Empfänglichkeit des Menschen für das Rechtfertigungsurteil als logische Voraussetzung zu explizieren, unter der die Annahme der im Urteil zugesprochenen fremden Gerechtigkeit Christi durch den Glauben verständlich wird. So wird bei König die Ergänzungsbedürftigkeit der imputativen Rechtfertigung nicht mehr wie in der älteren lutherischen Dogmatik nur in der nachgeschalteten Lehre von der Erneuerung manifest, sondern bereits in der der Rechtfertigungslehre vorgeschalteten Lehre von der Wiedergeburt. 105 Diese Problematik

км V gi. jjg Bestimmung des „Subjectum Quo" der Wiedergeburt bei König, Theologia III, § 455: „Remotum anima est: proximum, tum intellectus, tum voluntas; appetitus vero sensitivus, in quantum rectificandus, proprie subjectum regenerationis, prout nos eam hic consideramus, non est: pertinet siquidem ejus mutatio potius ad renovationem seu sanctificationem." 105 Auch K. Appold führt die Ergänzung der Rechtfertigungslehre durch die einzelnen Momente des ordo salutis auf das von Melanchthon übernommene eingeengte Verständnis der imputativen Rechtfertigung zurück, vgl. ders., а. а. O., 34 f.: „Since Melanchthon had reduced the notion of justification to a point that it could no longer sustain the epistemo-

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wird dabei wesentlich dadurch verschärft, daß König die Wiedergeburt nicht eindeutig auf die Taufe als den individuellen Vollzug der Zueignung des neuen Seins in Christus zurückführt. Auf diese Weise hätte zumindest ausgeschlossen werden können, daß die Konstitution der Empfänglichkeit für die Rechtfertigungsbotschaft in der Wiedergeburt von einer möglichen Mitwirkung des Menschen in Bekehrung und Buße abhängig erscheint. Denn durch die Rückbindung der Wiedergeburt an die Taufe wäre die Vorgängigkeit der Zueignung des neuen Seins in Christus vor den einzelnen Graden der Bekehrung 106 , die König unterscheidet, und der Reue betont worden, in denen sich die Wiedergeburt und damit die Empfänglichkeit für die Rechtfertigung einstellt. Ein weiteres Problem der Lehre von der Gnadenvermittlung durch den Heiligen Geist bei König zeigt sich insbesondere bei der Reflexion auf den Zusammenhang von Rechtfertigung, mystischer Vereinigung der Glaubenden mit Gott und Erneuerung. Wie bereits im letzten Kapitel angedeutet worden ist, wird die mystische Vereinigung107 bei König als logische, aber gleichzeitig mit Wiedergeburt, Rechtfertigung und Erneuerung108 einsetzende Folge der Rechtfertigung gedacht. 109 Ihr Ziel liegt in der Vergewisserung der Glaubenden hinsichtlich der dauerhaften Gunst Gottes und seiner Bewahrung im Stand der Gnade. 110 Formal besteht sie in der innigen

logical burdens which those imbued with Luther's spirituality placed upon it, the doctrine had again to be widened. Partly, no doubt, because Melanchthon's language of imputation had been codified by the Con/essio Augustana (CA IV), the specific doctrine of justification remained limited; the broadening of scope took place around, rather than within, this particular locus. Notions of calling (vocatio), illumination (illuminatio), rebirth (regeneratio), and even mystical union (unio mystica) began to appear in the decades following the close of the Thirty Year's War." Appold interpretiert dabei in seiner Untersuchung zu Calov die Lehre von der Berufung bei Calov als Explikation der notwendigen erkenntnistheoretischen Grundlagen für die Lehre von der Heilsvermittlung und insbesondere für die Lehre von der Rechtfertigung. 106 Vgl. dazu König, Theologia III, §§ 504-508. 107 Siehe die Definition der mystischen Vereinigung bei König, Theologia III, § 586: „ Unio credentium cum Deo mystica est actus gratiae Spiritus Sancti applicatricis, quo substantia fidelium substantiae Sacro-sanctae Trinitatis & camis Christi, mediante fide, Verbo Evangelii & Sacramentorum usu accensa, arctissime, impermixtibiliter tarnen, illocaliter & incircumscriptive jungitur, ut unitus hoc modo Deo & Redemtori, de gratia praesenti & gloria subsecutura certior inde /actus, in statu Filiorum Dei perseveret & tandem aetemum salvus fiat." 108 König, Theologia III, § 577: „Momentum unionis hujus eum momento regenerationis, justificationis & renovationis, idem omnino est; fiunt enim haec apotelesmata omnia simul & in instanti: est tantum unum altera prius, quoad nostrum concipiendi modum, ob diversa connotata. Sic regeneratio & justificatio priores sunt unione ista, utpote quae ex fide 8c post fidem acceptam demum est. Ita unio prior est renovatione: ex hujus namque effectibus, bonis scilicet operibus, tanquam a posteriori, existentiam illius possum cognoscere .. и» Vgl. König, Theologia III, § 564: „Quamprimum homo peccator per fidem justificatus est, incipit ejus unio mystica cum Deo, Eph. 111,17." 110 König, Theologia III, § 578.

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Verbindung der Substanz des glaubenden Menschen mit der Substanz der Trinität und des Fleisches Christi, bei der jedoch die vereinten Seiten essentiell unterschieden bleiben.111 Obwohl König als Wirkung der mystischen Vereinigung die reziproke Kommunikation zwischen den Vereinten bestimmt, wird dieses Kommunikationsverhältnis nicht durch die Analogie zur Idiomenkommunikation Christi ausgelegt. Stattdessen erblickt König die Kommunikation darin, daß Gott dem Glaubenden Christi Heilswerk und den Heiligen Geist mitteilt und umgekehrt sich das Geschick der frommen Glieder Christi aneignet.112 Die mystische Vereinigung wird dabei nicht ausdrücklich als Voraussetzung der nachfolgend dargestellten Erneuerung bestimmt, obwohl sich dies aus der Reihenfolge der in dem gesamten Abschnitt über die Vermittlung der Gnade durch den Heiligen Geist dargestellten Momente der Gnadenvermittlung insofern nahelegen würde, als diese im Sinne ihrer logischen Abfolge rekonstruiert werden. König verweist lediglich darauf, daß das Subjekt der Erneuerung der einstmalige Sünder und der nunmehr wiedergeborene und gerechtfertigte Mensch sei113, wobei sich die durch die Erneuerung bewirkte Veränderung speziell auf die Erleuchtung des Verstandes, die Besserung des Willens und die Einschränkung seiner sinnlichen Neigung beziehe.114 Gerade durch den Verzicht, den Zusammenhang von Rechtfertigung, mystischer Vereinigung und Erneuerung explizit zu bestimmen, wird rückwirkend für die gesamte Darstellung der Gnadenvermittlung bei König deutlich, daß er zwar eine logische Abfolge der einzelnen Momente der Gnadenvermittlung durch den Heiligen Geist behauptet, aber nicht demonstriert. Denn innerhalb der Bestimmung der jeweiligen Ursachen von Berufung, Wiedergeburt, Bekehrung, Buße, Rechtfertigung, mystischer Vereinigung und Erneuerung wird auf die jeweils anderen Momente der Heilsvermittlung kein Bezug genommen. Daraus wiederum läßt sich schließen, daß König die Gnadenvermittlung durch den Geist nicht als einen Heilsprozeß darzustellen beabsichtigt. 115 Vielmehr geht es ihm darum, durch die Unterscheidung

1,1

Vgl. König, Theologia III, § 576. König, Theologia III, § 585. ш König, Theologia III, § 594. 114 Vgl. die Definition der Erneuerung bei König, Theologia III, § 603: „Renovatio est actus gratiae Spiritus Sancti applicatricis, quo is cum Patre & Filio, vi meriti Christi, hominem peccatorem ita immutat, ut intellectus, pulsis errorum tenebris, illuminetur, voluntas emendetur, appetitus ad prava inclinans coerceatur & membra corporis arma justitiae fiant, in laudem Dei & ad debitum eidem praestandum obsequium." 115 Gegen Gerhard Ebeling, Dogmatik des christlichen Glaubens, Bd. 3, 11: „Die Pneumatologie wird hier [seil, im Stufenschema der Heilszueignung in der altprotestantischen Dogmatik; Vf.] sozusagen im Spiegel der inneren Biographie des Christen zur Darstellung gebracht." ш

Durchführung der analytischen Methode

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der einzelnen Momente der Heilszueignung das Wirken des Geistes als umfassende Neukonstitution des Menschen zu beschreiben. Angesichts dieser Absicht wundert es nicht, daß König der Lehre von der mystischen Vereinigung nicht explizit die Funktion zuweist, die Bedingung der Möglichkeit für die Erneuerung des Menschen durch die Heiligung anzugeben und auf diese Weise die Frage zu klären, wie es trotz des dem Menschen äußerlich bleibenden Rechtfertigungsurteil zu einer sittlichen Veränderung beim Menschen kommen kann. Diese Veränderung wird vielmehr ebenso wie alle anderen Momente der Heilszueignung auf das Wirken des dreieinigen Gottes, insonderheit des Heiligen Geistes zurückgeführt. Da König in seiner Entfaltung des ordo salutis die einzelnen Momente der Heilsvermittlung durch den Heiligen Geist nur im Sinne einer logischen Abfolge aufgliedert und damit keine Darstellung des Bekehrungsvorgangs beim Menschen in seinem Verlauf intendiert, läßt sich seine Konzeption zwar gegen den Einwand verteidigen, er lehre eine starre, zeitliche Abfolge der Momente der Heilszueignung. Aber im Rahmen seiner streng trinitarischen Unterscheidung und Bestimmung der Heilsprinzipien verfehlt König die praktische Aufgabe, die durch das Handeln des dreieinigen Gottes begründete Heilszueignung in ihrer Verwirklichung an der Stelle des Menschen vorstellig zu machen. Mit anderen Worten: König beschreibt zwar die Wiederherstellung des Menschen als ein Handeln Gottes am Menschen, aber er beschreibt sie nicht zugleich in ihrer Realisierung für den Menschen. Zu dieser einseitigen Perspektive trägt nicht zuletzt die Unterscheidung zwischen Heilsursachen und Heilsmitteln bei, durch die der dritte und entscheidende Teil der analytisch konzipierten theologischen Lehre bestimmt ist.116 Sie führt nämlich dazu, daß sowohl die Lehre vom Wort Gottes und von den Sakramenten als auch die Lehre vom Glauben erst im Anschluß an das trinitarische Werk der Heilsbegründung und -Vermittlung dargestellt werden. Auf diese Weise wird zwar der herkömmlichen Bestimmung von Wort und Sakrament als Instrumentalursache der Rechtfertigung von Seiten Gottes und der Einstufung des Glaubens als Instrumentalursache von seiten des Menschen entsprochen. Daß aber das Wirken des Geistes in Verbindung mit dem Vater und dem Sohn Gottes von der Verkündigung in Wort und Sakrament ausgeht und im Glauben des Einzelnen und der Gemeinde zum vorläufigen Ziel gelangt, wird durch diese Gliederung nicht zum Ausdruck gebracht. So kommt hier ebensowenig wie in den älteren, nach der Kausalmethode verfahrenden Locidarstellungen 116

Die Einführung dieser Unterscheidung ist dadurch bedingt, daß die analytische Methode in ihrer Funktion, die Theologie in Analogie zur Medizin als praktische Wissenschaft zu demonstrieren, die Heilsmittel als von Gott gesetzte Mittel zur Applikation der Heilsursachen darstellen muß.

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. im Zusammenhang der Heilsordnung

der Glaube als die vorläufige Realisierungsgestalt der Wiederherstellung des Menschen zur Geltung. Daß innerhalb der Darstellung der Heilsmittel dem rechtfertigenden Glauben wie in der melanchthonischen Locitradition die Lehren von den guten Werken, vom Kreuz und vom Gebet nachgeschoben werden, dient ebenfalls nicht der Betonung der besonderen Bedeutung des Glaubens als exklusives Heilsmittel von seiten des Menschen. Insgesamt läßt sich somit festhalten, daß die schuldogmatische Entfaltung der Rechtfertigungslehre im Kontext der analytischen Methode die Probleme der durch die Bestimmung der Rechtfertigungsursachen ausgeführten imputativen Rechtfertigungslehre in formaler Hinsicht weiter verstärkt, indem sie die Rechtfertigung einseitig auf die Zurechnung des Verdienstes Christi zurückführt und durch die getrennte Darstellung der Heilsursachen und der Heilsmittel den Glauben nur als das Instrument zur Erfassung der Gerechtigkeit Christi und nicht auch als die Realisierungsgestalt der Rechtfertigung erscheinen läßt. Von daher ist fraglich, ob mit dieser Darstellungsform das mit der Anwendung der analytischen Methode verbundene praktische Ziel der Theologie tatsächlich erreicht wird, das darin bestehen soll zu erklären, wie der gefallene Sünder zum Heil zu führen ist. Fraglich ist ferner, ob der Stellenwert, der der Rechtfertigungslehre in dieser Konzeption faktisch zukommt 117 , übereinstimmt mit der Einstufung der Rechtfertigungslehre im Kontext der Lehre von den fundamentalen Glaubensartikeln, auf die im nächsten Abschnitt einzugehen ist. Daß es in den analytischen Systemen der lutherischen Schuldogmatik stets „um die Reflexion über ein und dieselbe Sache, nämlich die iustificatio, unter verschiedenen Aspekten geht"118, mag zwar als zentrales Anliegen intendiert sein und läßt sich sachlich gerade daran zeigen, daß die imputative Rechtfertigungslehre hier einschließlich ihrer Probleme festgeschrieben wird. Anhand der Gliederung der analytischen Systeme kann man die Rechtfertigung aber nicht als das zentrale Thema ausmachen, als das sie in der reformatorischen, konkordistischen 119 und frühen 117 Wenn Appold in seinem Buch über die Berufung bei Calov, a . a . O . , 101, behauptet, „(a)t the heart of Calov's ordo salutis lies justification", so trifft dies zwar die Intention von Calov, doch aus der Konstruktion seines Systems läßt sich dies nicht so leicht zeigen, weil die Rechtfertigungslehre, wie Appold selbst zugibt, einer Ergänzung durch den gesamten ordo salutis bedarf und dabei nach Appolds Grundthese insbesondere auf die epistemologische Grundlegung durch die Lehre von der Berufung angewiesen ist. 118 So J. A. Steiger in seinem Artikel , O r d o salutis' in: T R E 25 (1995), 3 7 1 - 3 7 6 , hier: 372,12 f. 119 Vgl. aus dem dritten Artikel der Konkordienformel die entsprechende Aussage über den Rechtfertigungsartikel: „Hic autem articulus de iustitia fidei praecipuus est (ut Apologia loquitur) in tota doctrina Christiana, sine quo conscientiae perturbatae nullam veram et firmam consolationem habere, aut divitias gratiae Christi recte agnoscere possunt" ( S D 111,6, BSLK 916) Siehe auch M. Chemnitz, Loci theologici II, 200: „Imo hic Locus est

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Die Rechtfertigungslehre als Fundamentalartikel

nachkonkordistischen Theologie etwa bei Johann Gerhard120 stets bestimmt worden ist.

3. Die Rechtfertigungslehre

als Fundamentalartikel

des

Glaubens

Die lutherische Lehre von den Fundamentalartikeln geht in ihrer schuldogmatischen Version etwa bei König und Quenstedt bekanntlich auf Nikolaus Hunnius zurück.121 Sie wird von Hunnius im Anschluß an die Dordrechter Synode in seiner theologischen Diaskepsis von 1626 entworfen, um den fundamentalen Dissens zwischen der evangelisch-lutherischen und der calvinisch-reformierten Lehre zu explizieren122 und damit tanquam arx & praecipuum propugnaculum totius doctrinae & religionis Christianae, quo vel abscruato, vel adulterato, vel subverso, impossibile est puritatem doctrinae in aliis Locis retinere." 120 Vgl. Johann Gerhard, Loci theologici, Bd. 3, 300: „Maxima hujus articuli dignitas est cum pari utilitate et necessitate conjuncta, siquidem pia et sincera ejus tractatio debitum honorem Christo asserit, firmam consolationem territis conscientiis ostendit, discrimen legis et evangelii communit, πληροφορίαν fidei in vera ас Deo gratia invocatione necessariam excitat et ad serium bonorum operum Studium animos piorum inflammat." ш Siehe den Artikel,Fundamentalartikel' in: T R E 11 (1983), 727-732 von Wilfried Joest, hier: 728,29-35, sowie den Artikel ,Hunnius, Nikolaus (1585-1643)' in: T R E 15 (1986), 707-709, bes. 708,18-42 von Theodor Mahlmann. Vgl. zur geschichtlichen Entwicklung der Lehre von den Fundamentalartikeln Max Keller-Hüschemenger, Fundamentalartikel, 37-109, zu Nicolaus Hunnius bes. 100-109; außerdem O. Ritsehl, Dogmengeschichte, Bd. 4, Kap. 67: Nikolaus Hunnius und seine Lehre von dem fundamentum fidei dogmaticum, 306-342. Siehe ferner Ratschow, Lutherische Dogmatik zwischen Reformation und Aufklärung Teil 1, § 12, 141-152. ш

Vgl. Nikolaus Hunnius, Diaskepsis theologica de fundamentali dissensu doctrinae evangelicae-lutheranae, et calvinianae, seu reformatae, Editio secunda, Wittenberg 1663. Zur Vorgehensweise vgl. den Aufbau der Diaskepsis: Quaestio prima·, quibus articulis, sive doctrinis, fidei fundamentum extruatur? Caput I: D e quaestionis praecognitis (Fundament, Glaube, Glaubensartikel), 5-54; Caput II: D e definitione et necessariis requisitis fundamenti fidei (Unterscheidung zwischen substantiellem, organischem und dogmatischem Fundament), 55-97; Caput III: De secunda notione fundamenti fidei, et in specie, quaenam dogmata sint fundamentum fidei, 98-128; Caput IV: Quae dogmata non sint partes, sive articuli fundamenti fidei, 129-139; Caput V: Quaenam dogmata sint fidei fundamentum?, 140-146; Caput VI: Quaenam dogmata sint partes fundamenti fidei, seu articuli fundamentales?, 146-151; Caput VII: De prima notione fundamenti fidei, et in specie, quaenam dogmata sint fundamentum fidei, quae поп? et quaenam sint partes fundamenti, quae поп? (Unterscheidung zw. theoretischer und praktischer Theologie), 151-198. Quaestio secunda·. Quibus articulis, sive doctrinis, fundamentum fidei evertatur. Caput I: De quaestionis praecognitis, 199-226; Caput II: De doctrinis fundamentum destruentibus, quoad notionem secundam, 227-251; Caput III: De doctrinis fundamentum destruentibus, quoad notionem primam, 251-284. Quaestio tertiär. An Evangelici seu Lutherani in fundamento fidei a reformatis dissentiant. Caput I: De praecognitis, 284-302. Caput II: Continens priorem classem argumentatorum, EX REFORMATORUM HYPOTHESI probantium, Lutheranos a reformatis in fundamento fidei dissidere. Caput III: Continens posteriorem classem argu-

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. im Zusammenhang der Heilsordnung

dem von reformierter Seite gegen Ende des 16. Jahrhunderts unternommenen Versuch zu begegnen, die Differenzen in der Abendmahlslehre, Christologie und Prädestinationslehre nicht als das Fundament des Glaubens betreffende und somit nicht als kirchentrennende Differenzen anzusehen 123 . Auf lutherischer Seite ist somit die Ausbildung der Lehre von den Fundamentalartikeln, die fortan zum festen Bestandteil der Prolegomena der lutherischen Dogmatik wird, als Ausdruck der sich nach außen konfessionalisierenden spezifisch lutherischen Frömmigkeit zu verstehen.124 Diese sieht ihre christologischen Grundüberzeugungen insbesondere durch die calvinistische Prädestinationslehre bedroht und bringt demgegenüber „die lutherische Erwählungslehre bzw. die in ihr enthaltene bedingungslose Heilsverheißung als schlechthin konstitutive(n) Glaubensartikel" zur Geltung. 125 Um den fundamentalen Dissens zwischen lutherischer und reformierter Lehre bestimmen zu können, entwickelt Hunnius zunächst einen formalen und inhaltlichen Begriff vom Fundament des Glaubens. Dies geschieht auf der Basis der Unterscheidung zwischen fundamentalen Glaubensartikeln 126 erster und zweiter Ordnung, die nicht bestritten werden dürfen, und nicht fundamentalen Glaubensartikeln, die ohne Verlust des Heils bestritten werden können. 127 Die Fundamentalartikel erster Ordnung zeichnen sich dabei dadurch aus, daß sie im Unterschied zu den sekundären Fundamentalartikeln nicht ignoriert werden können, sondern zur Erlangung des Heils notwendig gewußt werden müssen.128 Sie lassen sich

mentorum ex IPSA EVIDENTE REI VERITATE probantium, Lutheranos a Reformatis in fundamento fidei dissidere. 123 Vgl. dazu Joest, TRE 11, 727 f. Vgl. auch Sparn, Krise, 66: „Daß Reformierte und Lutheraner in den grundlegenden Positionen übereinstimmten, war ein stehendes Argument der reformierten Polemik gegen die Konkordienformel - einer Polemik, die im Blick auf die vor der Konkordienformel angeblich bestehende Einigkeit, d. h. im Blick auf die Confessio Augustana (hier natürlich: variata) sich zugleich als Irenik geben konnte." ш Vgl. dazu Sparn, Krise, 62 ff. 125 Siehe Sparn, Krise, 65 f. 126 Vgl. zur allgemeinen Definition eines Glaubensartikels N. Hunnius, Diaskepsis, 34: „Articulus fidei est pars doctrinae Christianae, per quam ad aetemam salutem ducimur." Dabei gilt für die Glaubensartikel grundsätzlich: „Infert autem ipsa vis vocis potissimum tria 1. particularitatem rei, quae illo nomine signatur: omnis enim articulus respectum infert 1. ad illud totum, cujus est pars, sive articulus 2. ad reliquas partes, in toto illo comprehensas, 2. Connexionem: non dicuntur articuli, nisi in relatione, cum ad articulos alios, tum & praecipue, ad totum: ea vero relatio fundatur in mutua unione articulorum, sine qua cessare respectum Sc cum respectu appellationem, nemo, vim vocis paululum considerans, non animadvertit. 3. Distinctionem: ut enim articulos oportet connecti, sie necessarium est, eosdem distingui, ut quamvis arete cohaereant, sit tarnen unus extra alterum positus: Quivis autem ex dictis generalem conceptum articuli fidei citra difficultatem intelligit" ш Vgl. N. Hunnius, Diaskepsis, 36 ff., 42 ff. ш Vgl. N. Hunnius, Diaskepsis, 36 ff. Ein fundamentaler Glaubensartikel erster Ordnung

Die Rechtfertigungslehre als Fundamentalartikel

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weiter differenzieren in solche, die das Fundament des Glaubens konstituieren, indem sie unmittelbar Glauben hervorbringen, und in solche, die es bewahren, indem sie die Ursache des Glaubens stützen. 129 An späterer Stelle unterscheidet Hunnius darüber hinaus noch solche fundamentalen Glaubensartikel, die aus dem Fundament des Glaubens notwendig folgen. 130 Neben dieser Differenzierung der Glaubensartikel ist die Unterscheidung des Glaubensfundamentes selbst in substantielles131, organisches132 und dogmatisches 133 von grundlegender Bedeutung für die Hunnsche Ana-

„est doctrinae Christinae pars, quae salva fide & salute поп potest ignorari." (A. a. O., 36) Davon unterscheidet Hunnius dann die sekundären Fundamentalartikel, die zwar nicht bestritten werden dürfen, aber ignoriert werden können (vgl. а. а. O., 40). Das der Unterscheidung zwischen fundamentalen und nicht fundamentalen Glaubensartikeln zugrundeliegende Kriterium der Heilsnotwendigkeit ist vermutlich zuerst von Balthasar Meisner in seiner Brevis Consideratio Theologiae Photinianae, Wittenberg 1623 in der Auseinandersetzung mit den Sozinianem bestimmt worden. Danach ist ein fundamentaler Glaubensartikel ein solcher, der die Ursache unseres Heils expliziert. Daraus folgt dann für Meisner notwendig, „daß jedes Dogma, das zum Heile zu wissen notwendig ist, deshalb fundamental sein muß, weil es die Kenntnis vom Fundament des Heiles vermittelt, ohne die niemand gerettet werden könnte." (Vgl. Keller-Hüschemenger, Fundamentalartikel, 99) Dabei ist interessant zu sehen, daß Johann Gerhard, der die Unterscheidung von fundamentalen und nicht fundamentalen Glaubensartikeln schon vor Meisner in seinen Loci anspricht, noch kein Unterscheidungskriterium formuliert, sondern das Apostolikum als Zusammenfassung der fundamentalen Glaubensartikel angibt. Obwohl Meisner demgegenüber ein formales Kriterium zur Bestimmung der fundamentalen Glaubensartikel benennt, erscheint auch bei ihm das Apostolikum insofern als verbindliche Größe, als er „fast die gesamten Loci der lutherischen Dogmatik bereits im Apostolicum implicite enthalten wissen will" (Keller-Hüschemenger, а. а. O., 100). Von daher „hat sein Zugeständnis, daß es außer fundamentalen auch noch minderfundamentale Artikel gebe, im Grunde nur theoretische Bedeutung" (O. Ritsehl, Dogmengeschichte, Bd. 4, 305). ш

Vgl. N. Hunnius, Diaskepsis, 37: „Constituens est pars doctrinae, quae immediate causatur fidem. Conservans est pars doctrinae, quae immediate caussae fidei necessario substemitur." i» Yg] ν Hunnius, Diaskepsis, 228, 232. Siehe dazu O. Ritsehl, Dogmengeschichte, Bd. 4, 320. 131 N. Hunnius, Diaskepsis, 57 „Essentiale fundamentum intelligitur, non subjectum salutis sive fidei, id est homo credens aut salvandus, sed illa res sive ens, quod est prima caussa fidei a corde hominum conceptae, in quam illud fiduciam ponit, ex ipsius beneficentia aetemam salutem expectans. Idque est DEUS, gratiam salutiferam promittens, ac suo tempore largiturus 8c Christus merito suo efficiens, ut gratia isthaec, deletis peccatis 8c redueta justitia, in homines redundare possit." 132 N. Hunnius, Diaskepsis, 58: „Organicum seu ministeriale est Verbum Dei, quemadmodum enim verbum illud est semen, e quo Christiani nascuntur . . . imo verius renascuntur . . . sic quoque idem verbum dicitur fundamentum, quatenus est medium generandae fidei, ac conferendae salutis; praeter verum Dei enim nullum habemus sive superius sive prius doctrinae prineipium; ipsum vero omni coelesti 8c salutari doctrinae substat." Das organische Fundament wird dann mit der Schrift identifiziert (а. а. O., 59). 133 Vgl. dazu N. Hunnius, Diaskepsis, 60 ff. Hunnius definiert das dogmatische Fundament des Glaubens als jenen ersten Teil der himmlischen Lehre, der sich direkt auf die

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im Zusammenhang der Heilsordnung

lyse. Sie stellt nämlich sicher, daß es sich bei dem lutherisch-reformierten Dissens nicht um einen Dissens handelt, der sich auf Gott selbst als substantielles Fundament des Glaubens bzw. auf die Heilige Schrift als organisches Fundament bezieht, sondern um einen das dogmatische Fundament des Glaubens betreffenden Dissens und damit um einen Lehrdissens, der sich in der unterschiedlichen Bestimmung und Einstufung der das dogmatische Fundament des Glaubens erfassenden Fundamentalartikel manifestiert. 134 Im Unterschied zur reformierten Tradition und ihrer partikularen Erwählungslehre sieht Hunnius das den Glauben verursachende bzw. konstituierende Fundament des Glaubens in der allgemeinen Gnade Gottes und dem allen Menschen geltenden Verdienst Jesu Christi. 135 Den Rechtfertigungsartikel erklärt Hunnius dabei zwar ebenfalls zu einem fundamentalen Bestandteil des Glaubensfundaments. D o c h indem er Rechtfertigung und Rettung des Menschen als eigentümliche und primäre Folge des Glaubens 136 bzw. als das äußere Ziel des Glaubens einstuft 137 , gehört für ihn die Rechtfertigungslehre nicht zu den konstitutiven, sondern zu den konsekutiven bzw. nachfolgenden Fundamentalartikeln erster Ordnung 138 und damit nicht unmittelbar zum dogmatischen

offenbarte G n a d e bezieht und d e r als suffiziente und unmittelbare Ursache den Glauben hervorbringt. 134 N . Hunnius, Diaskepsis, 57. 135 Vgl. Keller-Hüschemenger, Fundamentalartikel, 102, mit Bezug auf die Epitome cred e n d o r u m von Hunnius. Vgl. auch N . Hunnius, Diaskepsis, 189: „Deus vult omnes homines salvos fieri et Christus gratiam Dei omnibus hominibus impetravit." 136 D e n Begriff des Glaubens erörtert N. Hunnius in der Einleitung d e r ersten Quaestio, vgl. Diaskepsis, 16 ff. 137 Vgl. N . Hunnius, Diaskepsis, 96: „Propria consequentia fidei sunt, primaria quidem justificatio & salvatio, minus principalia autem opera pietatis in Deum & charitatis in proximum." Siehe auch а. а. O., 20, w o die Rechtfertigung als das vorrangige, externe Ziel des Glaubens bestimmt wird: „Finis est vel internus, nimirum credere, vel externus, qui vel Primarius, justificare & salvare, vel secundarius, conscientiam pacatam reddere, per chantatem bene operari, c." Grundsätzlich gilt nach N. Hunnius, Diaskepsis, 146, d a ß eine Lehre, die durch sich selbst und in adäquater Weise w a h r e und eigentümliche Wirkungen des Glaubens hervorbringt, zum G l a u b e n s f u n d a m e n t gehört: „Quod dogma perse & adaequate OPERATOR veros & proprios EFFECTUS FIDEI, id est fidei fundamentum. Q u o d vero per se & adaequate caussatur justitiam in judicio Dei valentem peccatorum remissionem & aeternam salutem, illud operatur veros & proprios effectus fidei. E r g o illud dogma est fidei f u n d a m e n t u m . " Z u r allgemeinen Bestimmung des Fundaments vgl. aus den Einleitungsfragen а. а. O., 7: „Definitio haec esto: Fundamentum generaliter est id, quod in una quavis structura est primum, toti structurae substat, nec ab alio sustentatur?" Absolute Erfordernisse (requisita) sind unitas, integritas und soliditas (vgl. а. а. O., 8 ff.). D e m Fundament nur relativ z u k o m mende requisita sind primitas, necessitas, universalitas, proportio ad aedificium, connexio cum structura (vgl. a . a . O . , 11 ff.). 138 Siehe O . Ritsehl, Dogmengeschichte, Bd. 4, 320; Sparn, Krise, 67; Joest, T R E 11, 7 2 9 , 5 2 f . Vgl. N . Hunnius, Diaskepsis, 228.232, siehe außerdem a . a . O . , 281: „ T e r t i u m : qualiter homo in gratiam reeipiatur, per justificationem, regenerationem & c. ut distinete

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Fundament. Das bedeutet, daß zwar jeder Christ die Grundaussagen der Rechtfertigungslehre kennen muß, daß sie aber nicht unmittelbare Ursache des Glaubens sind, sondern ihn bewahrend explizieren. Von dem lutherisch-reformierten Dissens in der Prädestinations- bzw. Erwählungslehre ist die Rechtfertigungslehre dabei insofern tangiert, als nach reformierter Lehre die partikulare Erwählung der Rechtfertigung vorgeordnet und die Rechtfertigung damit faktisch nicht als Grund der Heilsgewißheit angesehen wird. 139 Wenn Hunnius die Rechtfertigung nicht zum konstitutiven, sondern zum konsekutiven Bestand des dogmatischen Glaubensfundamentes rechnet, weil sie das äußere Ziel des Glaubens darstelle, so geschieht dies in der Überzeugung, daß das interne Ziel des Glaubens eben der Vollzug des Glaubens selbst sei, weil „der Glaube . . . die Präsenz (!) der göttlichen Gnade im Menschen" 140 bedeute, die in ihrer Universalität der zentrale Grund des Glaubens sei. Hunnius propagiert damit nicht nur wie Calixt eine logische, sondern auch eine den dogmatischen Rang betreffende Vorordnung des Glaubens vor die Rechtfertigung, was er allerdings in seiner Epitome credendorum von 1625/27 darstellungstechnisch nicht umgesetzt hat. Diese Einstufung der Rechtfertigungslehre wird in der Schuldogmatik bei König so nicht übernommen. König unterscheidet nämlich nicht wie Hunnius zwischen konstitutiven, konservierenden und konsekutiven, sondern zwischen vorhergehenden und konstitutiven Fundamentalartikeln erster Ordnung und rechnet - wie später Quenstedt 141 - die Rechtfertigung durch das Verdienst Christi zu den

cognoscatur, etiam dogmata sciantur, an fides sit Organum Justificationis ex nostra parte, an fides justificet relative & c. nulla prorsus necessitas urget; hactenus igitur doctrinae istae ignoratae, aut negatae, fundamentum non tollunt." 139 N. Hunnius, Diaskepsis, 454: „Electio non cognoscitur ex justificatione. 1. Namque non conversi, cum debeant electionem suam nosse, seu fidei fundamentum, justificati non sunt, destituti ergo medio electionem cognoscendi. 2. justificantur etiam non electi, qui ad tempus credunt, postea deficiunt, qua igitur sequela persuadebunt sibi electionem, cum sie egregie fallantur? 3. Tentati non sentiunt suam justificationem; judicantes se omnium injustissimos, onere peccatorum ad inferos deprimi, regressum non habere ad Dei gratiam aut justitiam, quomodo hi ergo ex justificatione cognoscent electionem 8c ex justificatione cognoscent electionem & ex hac fidem salutarem haurient? Ut nihil dicam, quod 1. fides rectius cognoscitur ex justificatione, tanquam suo immediato effectu, quam per electionem, seu remotius medium. 2. Justificatio praesupponit fidem, adeoque non potest fides per earn (quatenus manifestet electione) seu fidei fundamentum cognosci. 3. Fundamentum fidei est firmum, certumque antequam exoriatur fides, aut ex fide justificatio, alias effectus fidei (justificatio) foret ejusdem fundamentum, sed causa, imo aliquid fundamento adhuc prius, quo quid absurdius?" 140

Vgl. Spam, Krise, 67. Siehe Quenstedt, Systema 1,5/1, These 7, Nota, 353. Quenstedt fügt den vorhergehenden und konstitutiven Glaubensartikeln wie Hülsemann noch die Kategorie der nachfolgenden Glaubensartikel hinzu, vgl. а. а. O., These 8, 354. 141

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konstitutiven Fundamentalartikeln.142 Das Wissen darum, daß mit der Rechtfertigung durch die Zurechnung des Verdienstes Christi eine inhärierende Gerechtigkeit ausgeschlossen wird, wertet König dagegen als nur in sekundärer Weise fundamentales Wissen, das auch ignoriert werden kann.143 Quenstedt führt diese Einstufung der Rechtfertigungslehre im Rückgriff auf Balthasar Meisners ,Consideratio theologiae Photinianae' und Johann Hülsemanns , Calvinismus irreconciliabilis' von 1644 konsequent fort, indem er in seinem theologischen System die fundamentalen Glaubensartikel durch die herkömmliche Bestimmung der Rechtfertigungsursachen zusammenfaßt. 144 In ähnlicher Weise erblickt auch der Leipziger Theologe Hieronymus Kromayer145 in der Rechtfertigung den Grundbestand des Glaubens und bestimmt den Artikel von der Rechtfertigung als den fundamentalsten aller Glaubensartikel.146 Entsprechend unterscheidet er in dem Proömium seiner ,Diaskepsis articulorum fidei', das seine 1687 von A. Pfeiffer neu herausgegebene ,Theologia positivo-polemica' von 1668 eröffnet 147 , diejenigen Dogmen, die den Inhalt des rechtfertigenden Glaubens unmittelbar konstituieren148, von den vorausgehenden und den nachfolgenden

142 Vgl. König, Theologia, § 150: „Articuli fundamentales constitutivi sunt ii, qui fidem immediate causantur: cuiusmodi sunt capita doctrinae christianae de satisfactione filii dei peccata expiante et deum reconciliante, de universali benevola dei voluntate erga genus humanum lapsum, de universali merito Christi, de seria dei intentione applicandi Christi meritum omnibus, et dandi applicationis medium, fidem sic omnibus de iustificatione per unicum Christi meritum fide apprehensum." Vgl. auch die entsprechende Bestimmung der zum dogmatischen Fundament gehörenden Glaubensartikel a.a.O., § 151. 143 König, Theologia, § 152. 144 Vgl. Quenstedt, Systema 1,5/1, These 10, 354. 145 Siehe zu Hieronymus Kromayer (1610-1670) den Artikel von Theodor Mahlmann in: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon, Bd. 4, 679 f. 146 Siehe Kromayer, Theologia positivo-polemica, Articulus XI. De Justificatione, 471: „Locum hunc de justificatione omnium Jundamentalissimum, ad salutem cognitu extreme necessarium . . . " 147 Vgl. Hieronymus Kromayer, Theologia positivo-polemica, in qua controversiae Lutheranis cum Pontificiis, Calvinianis, Remonstrantibus, Socinianis, Anabaptistis, Weigelianis, Judaeis . . . inseruntur, cui praefixa est Diaskepsis Articulorum fidei fundamentalium generalis & cuilibet loco specialis sedes in ordine analytico & libris Ecclesiarum nostrarum Symbolicis, una cum definitionum ac divisionum evolutionibus, hg. von August Pfeiffer, Frankfurt und Leipzig 1687. Daran fügt sich in dieser Ausgabe die Theologiae positivopolemicae pars altera, in qua articuli fidei nervöse ac perspicue proponuntur . . . , Opus posthumum, a Val. Alberti editum & qua Ultimos quatuor articulos continuatum, Leipzig 1687. 148 Siehe Kromayer, Diaskepsis, 4: „Ea dogmata fidem intrinsice constituunt, quae definitionem ejus ingrediuntur. Est autem definitio fidei salvifica, quod sit fiducia, qua quis credit, Deum propter Filii sui meritum, sui tanquam peccatoris misereri velle, ne damnetur, sed salutem aetemam consequatur. Quae definitionem hanc non ingrediuntur, ea vel praesupponi vel consequi manifestum est."

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Glaubensartikeln. Dazu gehöre die Einsicht in die Notwendigkeit des Vertrauens, in die Barmherzigkeit Gottes, das Verdienst Christi, seine individuelle Zueignung und schließlich in das ewige Heil als das Ziel der göttlichen Gnade. 149 Der Kern des Glaubens bestehe mithin darin, daß Gott um des Verdienstes seines Sohnes willen die Sünder in Gnaden annehmen und ewig retten will. 150 Dies zu wissen, sei „nicht nur für die, die noch Zeit zum Nachdenken haben"151, notwendig, sondern ebenso für die einfachen Christen. Denn „wie können die gerechtfertigt werden, denen verborgen ist, worin die Rechtfertigung besteht?"152 Kromayer attestiert dabei denjenigen Theologen, die die Theologie als praktische Disziplin begreifen und sie nach der analytischen Methode entwerfen, daß sie die grundlegende Bedeutung des Rechtfertigungsartikels für den christlichen Glauben adäquat bestimmen, indem sie die Rechtfertigung als das vorläufige Ziel der Theologie angeben. 153 Dennoch gliedert Kromayer selbst seine Darstellung der Theologie in der ,Theologia positivo-polemica' nicht explizit nach dem analytischen Schema in drei Teile über Ziel, Subjekt und Mittel, sondern entfaltet sie ohne weitere äußere Kategorisierung in zweiundzwanzig Artikeln, deren thematische Abfolge nur teilweise mit der analytischen Stoffanordnung übereinstimmt.154 So wird zwar die Lehre vom Evangelium und von den M ' Vgl. Kromayer, Diaskepsis, 4: „Sunt autem paucissima, quae fidei definitionem, ideam & conceptum ingrediuntur & in iis nucleus ас medulla credentorum ad salutem continetur. Primum Ingrediens est, quod debeat esse fiducia: alteram, quod Deus peccatoris misereri velit: tertium, propter Christum: quartum peccatoris in individuo: quintum, ut ejusmodi homo aeternum salvetur." 150 Vgl. Kromayer, Theologia positivo-polemica, 472: „Si secundum ea, quae fidei definitionem ingrediuntur, quae praesupponuntur, quae consequuntur, articulum hunc examinam, nucleus est 8c medulla eorum, quae fidei definitionem ingrediuntur, quod DEUS propter Filii sui meritum peccatores in gratiam recipere & aeternum salvare velit." 151 So Mahlmanns Ubersetzung aus Kromayers Einführung in den Rechtfertigungsartikel in dessen Theologia positivo-polemica, 472. Die Übersetzung der zentralen Passage findet sich in Mahlmanns Aufsatz: Zur Geschichte der Formel „Articulus stantis et cadentis ecclesiae", in: LuThK 17 (1993), 187-194, hier: 192. Mahlmann weist in diesem wichtigen Aufsatz nach, daß die Formel vom „articulus stantis et cadentis ecclesiae" nicht zuerst von Valentin Ernst Löscher verwendet wird, wie Friedrich Loofs in ThStKr 89 (1917), 323-420 annahm, sondern bereits bei Kromayer, Johannes Meisner, Johannes Hülsemann, Johann Heinrich Heidegger, Abraham Calov und Johann Konrad Dippel auftaucht. 152 Siehe Mahlmanns Übersetzung von Kromayer, a.a.O., 192. 153 Siehe Kromayer, Diaskepsis, 11: „Alii, quod Theologia sit disciplina practica, perpendentes, secundum ordinem analyticum, qui disciplinis practicis competit, eandem disponi volunt. Est autem ordo analyticus, qui progreditur a principiato a principia, vel a fine ad media. In hoc ordine tria, subjectum, finis & media solent attendi. . . . [Finis; Vf.] Intermedins justificatio, quae consistit in peccatorum remissione & justitiae Christi per fidem imputatione." Vgl. auch den Rechtfertigungsartikel der Theologia positivo-polemica, 472. 154 Kromayer entwickelt die Theologia positivo-polemica im Anschluß an das Proömium über die Glaubensartikel im allgemeinen in folgenden Artikeln: Art. 1: De scriptura sacra;

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. im Zusammenhang der Heilsordnung

Sakramenten wie in der analytischen Reihenfolge den Artikeln von der Rechtfertigung und den guten Werken nachgestellt, aber die Christologie findet sich wie in Melanchthons Loci direkt im Anschluß an die Gotteslehre, und die Prädestinationslehre wird zwischen der Lehre von der Providenz Gottes und den Artikeln über Gottebenbildlichkeit und Sünde des Menschen abgehandelt. Kromayer vertritt auf diese Weise eine durchaus eigenständige Konzeption der theologischen Lehre. Obwohl sich die von Kromayer geltend gemachte besondere Bedeutung der Rechtfertigungslehre aus der formalen Gliederung seiner Theologia positivo-polemica ebensowenig erkennen läßt wie aus der Gliederung der analytisch konzipierten Darstellungen der Theologie, hebt Kromayer die zentrale Funktion des Rechtfertigungsartikels für alle anderen Glaubensartikel markant hervor: „Wie nämlich in dem Knauf oder Schlußstein eines Gewölbes die Linien zusammenlaufen: so streben die übrigen Artikel des Glaubens dieser Mitte (centrum), nämlich dem Artikel von der Rechtfertigung zu. Daher wird er von irgendjemandem ,heiliger Ozean', in den die übrigen Artikel einfließen und aus dem sie ausfließen, genannt. Denn alles, was wir vom Ebenbild Gottes, der Sünde, dem freien oder vielmehr geknechteten Willen, kurz von unserem Elend, und umgekehrt vom Heilmittel, der Person und dem Amt Christi, der Buße, dem Glauben wissen müssen, läuft auf diesen Artikel, durch den wir vor Gott gerechtfertigt und gerettet werden, zu. Wiederum: was in diesem Artikel hinsichtlich unseres Elends und des Heilmittels enthalten ist, dehnt sich durch alle Artikel aus."155 Die Einsicht in diese - von Quenstedt in ähnlicher Weise beschriebene156 - zentrale Stellung der

Art. 2: De Deo trinuno; Art. 3: De Christo; Art. 4: De creatione et angelis; Art. 5: De Providentia Dei; Art. 6: De praedestinatione; Art. 7: De imagine Dei; Art. 8: De peccato; Art. 9: De libero arbitrio; Art. 10: De poenitentia; Art. 11: De justificatione; Art. 12: De bonis operibus; Art. 13: De lege; Art. 14: De evangelio; Art. 15: De sacramentis in genere; Art. 16: De baptismo; Art. 17: De coena; Art. 18: De ecclesia; Art. 19: De ministerio ecclesiastico; Art. 20: De magistratu politico; Art. 21: De conjugio; Art. 22: De rebus novissimis. 155 So die Übersetzung von Mahlmann, a.a.O., 191 f. aus Kromayers Rechtfertigungsartikel der Theologia positivo-polemica, 471. Diese wichtige Passage sei hier auch nach dem lateinischen Originaltext zitiert: „Ut enim in umbilico, vel tholo alicujus fornicis lineae coeunt: ita reliqui articuli fidei ad hoc centrum, articulum scilicet de justificatione, tendunt. Unde a non-nemine sacer Oceanus, in quem fluant & ex quo refluant articuli reliqui, nuncupatur. Quicquid enim de imagine DEI, peccato, libero vel potius servo arbitrio, paucis, de miseria nostra & vicissim de remedio, Christi persona & officio, de poenitentia, de fide scire nos convenit, ad hunc articulum, quo coram Deo justificamur & salvamur, fertur. Rursus: quae continentur in hoc articulo de miseria nostra & remedio, per omnes articulos late se diffundunt." 156 Quenstedt, Systema 111,8/1, These 1, 736: „Divinissima haec de gratuita hominis peccatoris per Christum, vera fide apprehensum, coram tribunali Dei justificatione doctrina, Ακρόπολις est totius Christianae Religionis, ac nexus, quo omnia corporis doctrinae Christianae membra continentur, quoque rupto, luxantur & solvuntur reliqui articuli omnes."

Die Rechtfertigungslehre als Fundamentalartikel

331

Rechtfertigungslehre im Gefüge der Glaubensartikel führte schon in der frühen nachkonkordistischen Theologie dazu, die Rechtfertigungslehre als Akropolis der gesamten christlichen Religion zu beschreiben.157 Bei Kromayer wird die elementare Funktion der Rechtfertigungslehre darüberhinaus dadurch unterstrichen, daß er bereits in seinem ersten Hauptwerk über die Apostasie der römischen Kirche von 1662 und in seinen ,Loci anti-syncretistici' von 1668 unter Berufung auf Martin Luther den Rechtfertigungsartikel als denjenigen Artikel bestimmt, von dem der Bestand der Kirche abhängig sei: „Wo dieser Artikel steht, wird auch die Kirche stehen, wo er fällt, fällt die Kirche." 158 Die gleiche Aussage findet sich auch in dem ebenfalls unter dem Titel ,Theologia positivopolemica' von Valentin Alberti 1679 posthum herausgegebenen Nachlaßwerk Kromayers, das seit 1683 als zweiter, aphoristischer Teil der ,Theologia positivo-polemica' erscheint.159 Kromayer ist jedoch nicht der erste, der unter Verweis auf Luther die Rechtfertigungslehre ausdrücklich als den Artikel bezeichnet, mit dem die Kirche steht und fällt. Vor ihm bezieht sich bereits Johannes Hülsemann - wie Mahlmann nachweist in seiner Auseinandersetzung mit Calixt bzw. den Helmstedtischen und anderen Neuerungen von 1652 darauf, daß Luther den Artikel von der Rechtfertigung als das Fundament benannt habe, mit dem die Kirche stehe und falle.160

Quenstedt beruft sich in der N o t a auf Luthers Kommentar zu Gen 21 und zum Gal, ferner auf Chemnitz' Loci und auf B. Meisners Anthropologia, vgl. а. а. O., 737. is? v g l . exemplarisch Michael Schaefer, Akropolis Christianae Religionis, sive sanae et orthodoxae doctrinae de summis fidei articulis quinque, assertio opposita scholasticorum quorundam Erroribus: I. D e unione personali in Christo, II. D e communicatione idiomatum. III. D e S.S. Coena Domini. IV. D e Iustificatione fidei. V. D e peccato originis Sc origine animae, mit einem Vorwort von Stephan Gerlach, Tübingen 1607. Schaefer rechnet allerdings im Unterschied zu den späteren Vertretern der Lehre von den Fundamentalartikeln noch die Lehre von der Idiomenkommunikation zu den fünf höchsten Artikeln des christlichen Glaubens und entspricht darin der in der Tübinger Theologie geltend gemachten Einsicht in die grundlegende Bedeutung des in der Inkarnation konstitutierten Personseins Jesu Christi. 158 Übersetzung des von Mahlmann, a . a . O . , 191, beigebrachten Zitates aus Kromayers erstem Hauptwerk Ecclesiae Romanae Apostasia, 2. Aufl. Frankfurt und Leipzig 1682, 233. Siehe bei Mahlmann, ebd., auch das Zitat aus den Loci anti-syncretistici. 159 Vgl. dazu Mahlmann, a . a . O . , 1 9 2 f . 160 Siehe Mahlmann, a . a . O . , 189 f.

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im Zusammenhang der Heilsordnung

4. Auswertung Betrachtet man die Entwicklungsgeschichte, in der die analytische Methode innerhalb der lutherischen Theologie des 17. Jahrhunderts rezipiert wird, rückwirkend, so kann man eigentlich nur dem Mentzerschüler Johannes Scholvin attestieren, daß er die Rechtfertigungslehre unter Zuhilfenahme der analytischen Methode und des Kausalschemas als das zentrale Thema der Theologie rekonstruiert. Denn Scholvin bestimmt als Ziel der Theologie die Rechtfertigung und Heiligung des Sünders und ordnet die Gotteslehre als Wirkursache und die Christologie als Verdienstursache der Darstellung der Rechtfertigungslehre ein, der er die Sündenlehre als materiale und die Lehre vom Wort Gottes als die formale Voraussetzung für das theologische Ziel voranstellt. Dies geschieht bei Scholvin zwar in der Uberzeugung, daß die Rechtfertigung im Sinne der Sündenvergebung und Zurechnung der Gerechtigkeit Christi das Heil des Menschen begründet und insofern fundamentaler Bestand des Glaubens ist. Doch steht im Hintergrund noch nicht die ausgeprägte Lehre von den Fundamentalartikeln, die erst Nikolaus Hunnius ausarbeitet. Bei Johannes Hülsemann werden beide Errungenschaften, nämlich die analytische Methode und die Lehre von den Fundamentalartikeln in einer systematischen Darstellung der Theologie vereint und der lutherischen Schuldogmatik übererbt. Da sich inzwischen aber die Zielbestimmung der Theologie gegenüber der Konzeption bei Scholvin dahingehend verschoben hat, daß nun nicht mehr die Rechtfertigungslehre, sondern die Gotteslehre und die Eschatologie das Ziel der Theologie zur Darstellung bringen, und im dritten Teil des Systems die Begründung und Vermittlung des Heils als trinitarisches Handeln Gottes nach außen expliziert wird, erscheint die Rechtfertigungslehre hier nur noch als eines von mehreren Momenten der Gnadenvermittlung durch den Heiligen Geist. Damit wird die in der Lehre von den Fundamentalartikeln beanspruchte elementare Bedeutung der Rechtfertigung zwar nicht bestritten, aber sie wird darstellungstechnisch auch nicht zum Zuge gebracht. Daß die Rechtfertigung des Sünders um Christi willen allein aus Glauben das zentrale Thema der analytisch konzipierten lutherischen Dogmatik ist, dessen kann sich nur derjenige vergewissern, der sie sorgfältig rekonstruiert.161 Ein Indiz für die Differenz zwischen der analytischen Darstellung der theologischen Lehre und der durch die Lehre von den Fun161 Einen solchen Versuch unternimmt zum Beispiel Appold in seinem Buch über die Berufung bei Calov. Zur konstitutiven Bedeutung der Rechtfertigungslehre in Calovs Konzeption siehe vor allem Appold, a.a.O., bes. 101 f. Dabei läßt sich bereits aus Anm.20 (ebd.) erschließen, welche Mühe der Aufweis der zentralen Stellung der Rechtfertigungslehre in Calovs System Appold bereitet.

Auswertung

333

damentalartikeln ermittelten Einsicht in den elementaren Inhalt des Glaubens ist dabei nicht zuletzt darin zu sehen, daß die analytische Dogmatik weit mehr umfaßt als diesen zentralen Inhalt, ohne doch durch ihre Gliederung den unterschiedlichen Stellenwert der traktierten Themenbestände markieren zu können, den die Lehre von den Fundamentalartikeln einklagt. Die Tatsache, daß die Entfaltung des theologischen Stoffs durch die analytische Methode die Ermittlung ihres zentralen Gehalts durch die Lehre von den Fundamentalartikeln nicht adäquat zur Darstellung bringen kann, entspricht dabei der unterschiedlichen Zweckbestimmung, aus der heraus die analytische Methode und die Lehre von den Fundamentalartikeln entstanden und in die lutherische Dogmatik eingegangen sind. Sollte durch die analytische Methode der praktische Charakter der Theologie in Analogie zur Medizin aufgezeigt werden, so diente die Fundamentalartikellehre den Lutheranern im Dialog mit den Reformierten zur Explikation und Wahrung ihrer spezifischen Frömmigkeit. Darüber hinaus gewann die Differenzierung der Glaubensartikel auch im Dialog mit der römischen Kirche eine wichtige Bedeutung, weil durch die Bestimmung der fundamentalen Glaubensartikel aus der Schrift das römische Traditionsprinzip und die Verhältnisbestimmung von Schrift und Tradition kritisiert wurde. 162 Unter diesem Gesichtspunkt dürfte wohl auch die in der lutherischen Schuldogmatik vorgenommene Einordnung der Lehre von den Fundamentalartikeln im Anschluß an die Schriftlehre zu verstehen sein. Denn die Lehre von.den Fundamentalartikeln dient hier primär dazu, die im theologischen System entfalteten Glaubenssätze vorab auf die Schrift als autoritatives und suffizientes Erkenntnisprinzip der Theologie zurückzuführen. Die entsprechende polemische bzw. kontroverstheologische Ausrichtung der Lehre von den Fundamentalartikeln wird mit der Erkenntnis des praktischen Anliegens der Theologie, das durch die analytische Methode demonstriert werden soll, nicht hinreichend vermittelt. Dies zu zeigen, würde hier zu weit führen und müßte in einer eigenen Untersuchung geschehen. Ein Indiz dieser mangelnden Vermittlung zwischen Fundamentalartikellehre und analytischer Methode ist jedenfalls darin zu sehen, daß die in der Lehre von den Fundamentalartikeln behauptete elementare Bedeutung des Rechtfertigungsartikels für den Glauben und für den Bestand der Kirche in der analytischen Konstruktion nicht adäquat zur Darstellung kommt. Vielmehr erscheint die Rechtfertigungslehre nur als ein Moment innerhalb der Heilsordnung, die bei König und Quenstedt und später ähnlich bei Hollaz in leicht variierender Ab-

162

Vgl. dazu Keller-Hüschemenger, Fundamentalartikel, 83-85.92 ff.

334

. im Zusammenhang der Heilsordnung

folge von Berufung, Wiedergeburt, Bekehrung, Rechtfertigung, mystischer Vereinigung und Erneuerung beschrieben wird. Die Ansätze für eine entsprechende Konstruktion der Heilsordnung finden sich bereits bei Flacius in seiner Bestimmung der Rechtfertigungsordnung. In seiner an Melanchthon anschließenden Analyse der Rechtfertigung als Imputationsgeschehen liegt auch die materiale Ursache dafür, daß der behauptete Stellenwert der Rechtfertigung in der analytischen Rekonstruktion nicht eingeholt werden kann. Obgleich nämlich die Behauptung der fundamentalen Bedeutung des Rechtfertigungsartikels der imputativen Rechtfertigungsvorstellung insofern voll entspricht, als diese davon ausgeht, daß die Gerechtigkeit im Glauben durch die Zurechnung der Gerechtigkeit Christi im Urteil Gottes konstituiert wird, führt doch eben diese Auslegung der Rechtfertigung dazu, daß sie nicht als Konstruktionsprinzip der analytischen Dogmatik fungieren kann. Denn aus sich selbst heraus und für sich genommen kann die imputative Rechtfertigungslehre die von der analytischen Dogmatik gestellte Frage, wie der gefallene Mensch zum Heil in der Gemeinschaft mit Gott bzw. zur Wiederherstellung seiner ursprünglichen Gottebenbildlichkeit zu führen ist, nicht beantworten. In ihrem Bestreben, die Gerechtigkeit des Glaubenden auf die Zurechnung der Gerechtigkeit Christi zurückzuführen und als allein im Urteil Gottes konstituierte Gerechtigkeit zu denken, vermag sie weder zu erklären, wie die Erneuerung des Menschen zu seiner ursprünglichen Gottebenbildlichkeit an der Stelle des Menschen stattfindet, noch kann sie ausschließen, daß der Glaube, durch den die Rechtfertigung allein zu ergreifen ist, zumindest als Akt des Ergreifens doch auf einer Eigenleistung des Menschen beruht. Daß die imputative Rechtfertigungslehre mithin nicht nur auf die Ergänzung durch die Lehre von der Erneuerung durch die Gabe des Heiligen Geistes angewiesen ist, sondern auch auf den Aufweis der Unfreiheit des Menschen durch die Sündenlehre, wurde bereits im zweiten und dritten Kapitel dieser Arbeit angezeigt. Mit der Voranstellung der Lehre von der Wiedergeburt und Bekehrung durch das Wirken des Heiligen Geistes, die sich in der lutherischen Schuldogmatik einbürgert, wird überdies die Empfänglichkeit des Menschen für das Ergreifen des Rechtfertigungsurteils im Glauben beschrieben und auf das Wirken des Geistes zurückgeführt. So läßt sich zwar nachvollziehen, daß die Rechtfertigungslehre das Zentrum ist, in dem alle Glaubensartikel zusammenlaufen, wie Kromayer behauptet. Doch gerade darin ist sie auch von diesen anderen Artikeln abhängig. Das gilt nicht nur für die Artikel der Heilsordnung, in der sich die Gnadenvermittlung des Heiligen Geistes vollzieht, sondern auch für die Trinitätslehre und die Christologie, die die Wirkursache und die Verdienstursache der Rechtfertigung entfalten. Es ist daher schwierig, die Aussage, mit dem Rechtfertigungsartikel stehe

Auswertung

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und falle die Kirche, exklusiv auf den Rechtfertigungsartikel beziehen zu wollen, weil dieser für sich genommen nicht ohne die anderen Artikel zu stehen kommt. Der notwendige Zusammenhang der Rechtfertigungslehre mit den anderen Glaubensartikeln ist denn auch bereits in den späten Loci von Melanchthon und in den weiteren Entwicklungsstufen der lutherischen Dogmatik stets präsent. Entsprechend werden in der Lehre von den Fundamentalartikeln zusätzlich zur Rechtfertigung die Dreieinigkeit Gottes, der universale Heilswille Gottes, die Gottmenschheit Jesu Christi und vor allem das Verdienst Christi als Fundamentalartikel des Glaubens bestimmt. Dabei ist die Hervorhebung des Verdienstes Christi gegenüber der Lehre von seiner Person, die häufig zu den sekundären Fundamentalartikeln gerechnet wird, ein eindeutiger Hinweis darauf, daß die Zurechnung des Verdienstes Christi als Konstitutionsbedingung der individuellen Glaubensgerechtigkeit und darin als Fundament des Glaubens gilt. Die vertiefte Einsicht in die Bedeutung der Inkarnation für die Versöhnung und Rettung des Menschen, der die Tübinger Christologie Ausdruck verschafft, und in die spirituelle Gemeinschaft mit Christus, die die Ausbildung der Lehre von der unio mystica nach sich zieht, wird durch die schuldogmatische Fixierung auf das Verdienst Christi im Rahmen der Bestimmung und Explikation des Glaubensfundaments nicht hinreichend zum Zuge gebracht. Von daher muß die Auseinandersetzung mit den Sozinianern, die die lutherischen Dogmatiker seit dem Erscheinen der deutschen Ubersetzung des Rakower Katechismus 1608 nicht mehr ruhen läßt, aussichtslos erscheinen. Denn der sozinianischen Kritik an der Satisfaktionstheorie kann auf dem Boden einer am Verdienst Christi orientierten Christologie und der ihr entsprechenden imputativen Rechtfertigungslehre nicht adäquat begegnet werden. Dieses Faktum ist als solches jedoch kein ausreichendes Argument zur Ablehnung der imputativen Rechtfertigungsvorstellung. Ebensowenig kann die Tatsache, daß sich der der imputativen Rechtfertigungslehre zugewiesene konstitutive Stellenwert in der dogmatischen Darstellung wegen der materialen Abhängigkeit von anderen Artikeln formal nicht abbilden läßt, als solche die Ablehnung der melanchthonischen Konzeption rechtfertigen. Die aufgewiesenen Probleme der imputativen Rechtfertigungslehre nötigen aber zu der Frage, ob die Rechtfertigung des Gottlosen allein aus Glauben ohne alle Werke richtig verstanden wird, wenn sie als Konstitution der Glaubensgerechtigkeit durch die Zurechnung des Verdienstes Christi interpretiert wird. Diese Frage ist endgültig nur im Dialog mit der neutestamentlichen Exegese zu entscheiden. Als Beitrag zur Klärung dieser Frage soll hier im Rückgriff auf die zurückliegenden Überlegungen dieser Arbeit in einem zusammenfassenden Ausblick ein Verstehensversuch aus

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. . . im Zusammenhang der Heilsordnung

systematischer Perspektive angeboten werden, der die in der lutherischen Dogmatik des 17. Jahrhunderts erkennbaren Möglichkeiten zur Modifikation der imputativen Rechtfertigungslehre der melanchthonischen Tradition aufgreift.

Zusammenfassung und Ausblick Die an Melanchthon anknüpfende konkordistische und frühe nachkonkordistische Theologie verbindet mit der Rechtfertigungslehre die Aufgabe, die Frage, wie der sündige Mensch vor Gott gerecht werden kann, so zu klären, daß jedwede Mitwirkung des Menschen bei seiner Rechtfertigung ausgeschlossen erscheint. Das Geschehen der Rechtfertigung wird so ausschließlich auf die göttliche Alleinwirksamkeit zurückgeführt. Im Hintergrund der schuldogmatischen Entfaltung der Rechtfertigungslehre steht dabei die reformatorische Grundüberzeugung, daß die Bestimmung und das Heil des Menschen in seiner Gerechtigkeit vor Gott bestehen und es für den Menschen unter der Bedingung der Sünde Heilsgewißheit nur deshalb geben kann, weil die Konstitution dieser Gerechtigkeit in keiner Weise von seiner eigenen Tätigkeit abhängt. Um in diesem Sinne die evangelische Heilsgewißheit sicherzustellen und sie gegen die tridentinische Kritik behaupten zu können, wird die Rechtfertigung unter Berufung auf die entsprechenden Schriftaussagen als forensischer Akt Gottes beschrieben, der sich in der Sündenvergebung durch Zurechnung der Gerechtigkeit Christi und der daraus resultierenden Aufnahme des Sünders in die Gottesgemeinschaft vollziehe. Im Rückgriff auf das von Melanchthon propagierte und von Matthias Flacius begrifflich ausdifferenzierte Verständnis der Rechtfertigung als Imputation und die flacianische Unterscheidung der Ursachen der Rechtfertigung deuten die lutherischen Theologen im Umfeld und im Gefolge der Konkordienformel die Gerechtigkeit des Glaubenden als die Gerechtigkeit Christi, die dem Glaubenden durch das Urteil Gottes zugerechnet wird. Das Rechtfertigungsurteil Gottes begründet sonach die Gerechtigkeit des Christen nicht als inhärierende, sondern als außerhalb seiner selbst in Christus gegebene Gerechtigkeit. Als Bedingung der Möglichkeit für die Zurechnung der Gerechtigkeit Christi wird dabei der verdienstvolle aktive und passive Gehorsam Jesu Christi bestimmt, den dieser durch seine vollkommene Gesetzeserfüllung und sein unschuldiges Leiden und Sterben vollbracht hat. Den Hintergrund der forensisch-imputativen Rechtfertigungslehre bildet das von Anselm von Canterbury ausgebildete Verständnis der Versöhnung als Satisfaktion Gottes durch das Verdienst Christi, das Melanchthon anders als Luther in kaum veränderter Form rezipiert. Die satisfaktorische Versöhnungsvorstellung erscheint für die Umsetzung des rechtfertigungstheologischen Interesses insofern geeignet, als aus der Be-

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Zusammenfassung und Ausblick

gründung der Versöhnung durch den verdienstvollen Gehorsam Christi folgt, daß dieses fremde Verdienst dem Menschen gar nicht als seine Eigenleistung bzw. seine eigene Gerechtigkeit zukommen, sondern nur durch den göttlichen Zuspruch zugerechnet und im Glauben ergriffen werden kann. Dennoch ist die auf der Satisfaktionsvorstellung aufruhende imputative Rechtfertigungslehre von erheblichen theologischen Problemen belastet. Sie liegen zunächst darin, daß die paulinischen Aussagen über die Rechtfertigung allein aus Glauben ihrerseits nicht auf einem satisfaktorischen Versöhnungsverständnis basieren. Dogmatisch manifestieren sich die Probleme der imputativen Rechtfertigungsvorstellung in einer unzureichenden Beschreibung des Glaubens und seiner Genese und in einer unklaren Verhältnisbestimmung von Rechtfertigung und Erneuerung. Indem nämlich die konkordistische und frühe nachkonkordistische Dogmatik den Glauben mit Flacius als Instrumentalursache der Rechtfertigung von seiten des Menschen beschreibt, durch den die im Evangelium verheißene Zurechnung der Gerechtigkeit Christi ergriffen werden muß, und die Zurechnung des Glaubens zur Gerechtigkeit von der Annahme der Zurechnung der Gerechtigkeit Christi abhängig denkt, erscheint der Glaube im Kontext der Analyse der Rechtfertigungsursachen zunächst als ein Akt des Menschen. Der naheliegende Einwand, daß die Rechtfertigung auf diese Weise doch an eine vom Menschen zu erbringende Bedingung gebunden sei, wird mit dem Hinweis abgewiesen, daß der Glaube nicht als eine Tugend des Menschen zu gelten habe, sondern sich dem Wirken des Heiligen Geistes durch das Wort verdanke. Während sich die konkordistische Theologie auf diese Auskunft beschränkt und es im übrigen der Sündenlehre überläßt, die Unfähigkeit des Menschen zur Selbstbekehrung zu demonstrieren, erkennt schon Flacius die Notwendigkeit, durch eine Beschreibung der Stufen des Bekehrungsvorganges im Kontext der Rechtfertigungsordnung die Konstitution der Empfänglichkeit des Menschen für die Rechtfertigungsbotschaft durchgängig auf Gottes Wort zurückzuführen, um jede Eigenleistung des Menschen in diesem Vorgang auszuschließen. Aus dem gleichen Interesse heraus wird später in der analytisch konzipierten Schuldogmatik der gesamte ordo salutis als Werk der Heilsvermittlung durch den heiligen Geist entfaltet und damit als dritte Ursache des Heils neben dem universalen Heilswillen Gottes und der Erlösung durch Christus bestimmt. Darin zeigt sich deutlicher als in den älteren Entwürfen der theologischen Loci, daß die imputative Rechtfertigungslehre auf die Auslegung durch den ordo salutis angewiesen ist, weil aus ihr selbst heraus nicht gezeigt werden kann, daß der Glaube als Akt, durch den die Rechtfertigung Gottes anzueignen ist, kein Werk des noch nicht wiedergeborenen Menschen, sondern ein Werk Gottes bzw. des Heiligen Geistes im Menschen ist.

Zusammenfassung und Ausblick

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Eine ähnliche Schwierigkeit wie im Blick auf die Genese des Glaubensaktes ergibt sich für die Verhältnisbestimmung von Rechtfertigung und Erneuerung. D a die imputative Rechtfertigungslehre die Rechtfertigung als Sündenvergebung durch die Zurechnung der Gerechtigkeit Christi definiert und dabei davon ausgeht, daß der Mensch durch das Rechtfertigungsurteil außerhalb seiner selbst in Christus für gerecht erklärt wird, kann sie nicht zugleich erklären, wie dieses Urteil zu einer Erneuerung der menschlichen Wirklichkeit führt. Melanchthon hat dementsprechend die Erneuerung auf die zwar mit der Rechtfertigung zugleich vermittelte, aber doch davon unterschiedene Gabe des Heiligen Geistes zurückgeführt. Darin sind ihm die lutherischen Theologen des späten 16. und des 17. Jahrhunderts durchgängig gefolgt. Innerhalb der schuldogmatischen Konzeption des ordo salutis übernehmen die im Anschluß an die Rechtfertigung dargestellten Momente der Heilsvermittlung durch den Heiligen Geist die Aufgabe, die mit der Bekehrung zum Rechtfertigungsglauben beginnende Umwandlung des Menschen zu beschreiben, ohne sie aus der Rechtfertigung ableiten zu können. Darin zeigt sich wie schon bei der Frage nach der Genese des Glaubensaktes, daß die imputative Rechtfertigungslehre der ergänzenden Darstellung durch den ordo salutis bedarf, um den Anfragen standzuhalten, die sich angesichts der von ihr vorausgesetzten konstitutiven Bedeutung der Rechtfertigung für das Heil des Menschen ergeben. Die in den ersten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts zunächst vereinzelt rezipierte analytische Methode, die sich um die Mitte des Jahrhunderts als Darstellungsschema innerhalb der lutherischen Theologie fest etabliert, läßt die bereits benannten Defizite der forensisch-imputativen Rechtfertigungslehre noch deutlicher hervortreten. Vor dem Hintergrund der These, daß die Theologie wie die Medizin eine praktische Wissenschaft sei, soll die analytische Methode den praktischen Charakter der Theologie demonstrieren, indem sie das Ziel, das Subjekt und schließlich die Mittel der Theologie darstellt. Während in der Anfangsphase dieser Entwicklung die Rechtfertigung vor Gott noch als das durch die Rechtfertigungsursachen zu erreichende Ziel der Theologie beschrieben wird, bestimmt die ausgebildete Schuldogmatik das Ziel der Theologie innerhalb der Gotteslehre und Eschatologie umfassender als Wiederherstellung der durch die Sünde zerrütteten Gemeinschaft des Menschen mit Gott. Die Rechtfertigungslehre erscheint in diesem Kontext als eines von mehreren Momenten der Gnadenvermittlung durch das Wirken des Heiligen Geistes, die ihrerseits als dritte Heilsursache neben der universalen Erwählung und Erlösung eingestuft und durch den ordo salutis expliziert wird. Die Einbindung der Rechtfertigungslehre in den ordo salutis entspricht der Einsicht, daß die Wiederherstellung des gefallenen Menschen zur

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Gottebenbildlichkeit und seine Rückführung in die Gottesgemeinschaft nicht allein aus der forensisch-imputativen Rechtfertigungslehre und der Explikation der Rechtfertigungsursachen zu begreifen ist. Damit wird eingestanden, was schon Melanchthons grundlegende Umarbeitung seiner ersten Ausgabe der Loci anzeigt: die Rechtfertigungslehre bedarf der Explikation durch die gesamte Dogmatik, soll nicht nur der göttliche Akt der Gerechterklärung, sondern auch der heilsame Charakter des Rechtfertigungsgeschehens für den Menschen verständlich und in sich schlüssig zur Geltung gebracht werden. Diese Einsicht wäre als solche unproblematisch, hätte nicht die Schuldogmatik die aus den Unionsbestrebungen der Reformierten heraus entstandene und dann auch in der Auseinandersetzung mit der nachtridentinischen Theologie um das Verhältnis von Schrift und Tradition eingesetzte Lehre von den Fundamentalartikeln innerhalb der Prolegomena rezipiert und im Zuge dessen die Devise ausgegeben, daß die Rechtfertigungslehre die Akropolis der christlichen Religion und damit der Artikel sei, mit dem die Kirche stehe oder falle. Diese Uberzeugung kann in der materialen Entfaltung der Dogmatik durch das Schema der analytischen Methode formal nicht zur Geltung gebracht werden. Die analytische Dogmatik beabsichtigt zwar zu zeigen, daß die Rechtfertigung im Sinne der Sündenvergebung durch Zurechnung der Gerechtigkeit Christi zentrale Bedeutung für die Wiederherstellung des gefallenen Menschen hat. Aber indem sie dies zeigt, zeigt sie auch, daß sie zur konsequenten Begründung der zentralen Bedeutung der Rechtfertigung auf alle bereits von Melanchthon zusammengestellten Loci und darüber hinaus auf die Konzeption des ordo salutis angewiesen ist. Daß vom Rechtfertigungsartikel als solchem der Bestand der Kirche abhängt, wird auf diese Weise gerade nicht gezeigt. Wenn man das hier aufgezeigte Dilemma nicht einfach ignoriert, so kann man ihm dadurch zu entgehen versuchen, daß man den mit der Rechtfertigungslehre verbundenen Anspruch, articulus stantis et cadentis ecclesiae zu sein, zurücknimmt. Dies hat Karl Barth - im Unterschied zu vielen Theologen des 20. Jahrhunderts 1 - ausdrücklich getan, wenn

1 In der Theologie des 20. Jahrhunderts wird die elementare Bedeutung der Rechtfertigungslehre zunächst besonders im Kontext der Lutherrenaissance hervorgehoben, so bei Karl Holl, Emanuel Hirsch und Rudolf Hermann, die Heinrich Assel als Vertreter der sogenannten Lutherrenaissance zwischen 1910-1935 darstellt (vgl. H. Assel, Der andere Aufbruch, 81 ff., 89 ff., 142 ff., 264 ff., 377 ff.). Später bringt Paul Tillich die konstitutive Bedeutung der Rechtfertigung systematisch-theologisch zur Geltung, vgl. ders., Systematische Theologie, Bd. 2, 192, und bes. Bd. 3, 257 f., Anm. 1: „Es war meine Absicht und es ist meine Hoffnung, daß das vorliegende theologische System in all seinen Teilen deutlich macht, daß der Rechtfertigungsgedanke das protestantische Prinzip schlechthin ausdrückt, wenn dieser Gedanke auch an vielen Stellen zu ganz ,unorthodoxen' Formulierungen geführt hat. Bei jeder einzelnen Formulierung habe ich mir die Frage vorgelegt: Würde durch eine

Zusammenfassung und Ausblick

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er feststellt: „Der articulus stantis et cadentis ecclesiae ist nicht die Rechtfertigungslehre als solche, sondern ihr Grund und ihre Spitze: das Bekenntnis zu J e s u s C h r i s t u s , . . . die Erkenntnis s e i n e s Seins, s e i n e s Tuns für uns und mit uns."2

andere Formulierung dem Gläubigen ein intellektuelles ,Werk' auferlegt werden, ζ. B. die Unterdrückung von Zweifeln, die ,Opferung' der Wahrhaftigkeit? Diese Frage an mich selbst war für alle hier gegebenen Formulierungen entscheidend." Ebenso ist auch die Theologie von Gerhard Ebeling von der Einsicht in die elementare kriteriologische Bedeutung der Rechtfertigungslehre bestimmt (vgl. G. Ebeling, Theologie zwischen reformatorischem Sündenverständnis und heutiger Einstellung zum Bösen, in: ders., Wort und Glaube, Bd. 3, 173-204, bes. 175; siehe auch ders., Dogmatik des christlichen Glaubens, Bd. 3, 194 ff., 224 f.). Ebeling ist dabei im Rahmen seines hermeneutischen Ansatzes insgesamt darum bemüht, die Zumutbarkeit der Rechtfertigungsfrage zu begründen. Im Anschluß an Ebeling hat unlängst auch Eberhard Jüngel im Kontext der Debatte um die Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre den Rechtfertigungsartikel als „das , Kriterium rechter Theologie'" bestimmt und darin die Einstufung der Rechtfertigungslehre als „ein unverzichtbares Kriterium" in der Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre (siehe dort § 18) kritisiert, vgl. E. Jüngel, Um Gottes willen - Klarheit!, ZThK 94 (1997), 394-406, bes. 402; siehe außerdem ders., Das Evangelium von der Rechtfertigung des Gottlosen als Zentrum des christlichen Glaubens, Tübingen 1998, 40-42. Mit anderer Stoßrichtung bestimmen Wilhelm Grab und Dietrich Korsch die Rechtfertigungslehre im Anschluß an die reformatorische Theologie als normatives Kriterium der Dogmatik (vgl. W. Gräb/D. Korsch, Selbsttätiger Glaube. Die Einheit der Praktischen Theologie in der Rechtfertigungslehre, 25 ff.) und deuten sie als Konstitutionstheorie handlungsfähiger Subjektivität (а. а. O., 16), um von daher die Einheit der Praktischen Theologie in der Rechtfertigungslehre durch ihre Aufgabe, den Rechtfertigungsglauben kommunikativ zu vermitteln, zu rekonstruieren (vgl. zusammenfassend а. а. O., 94-96). Demgegenüber werten Wilfried Härle und Ellert Herms die Lehre von der Rechtfertigung als den „exemplarischen Fall eines . . . theologischen Reflexionsbegriffs, in dem der Glaube sich selbst als ein ganz bestimmtes, einheitliches Wirklichkeitsverständnis erfaßt", und verstehen sie nur „in diesem prinzipiellen Sinne" als articulus stantis et cadentis ecclesiae (vgl. W. Härle/E. Herms, Rechtfertigung. Das Wirklichkeitsverständnis des christlichen Glaubens, Göttingen 1980, 9 f.). Entsprechend hebt Wilfried Härle in seiner Dogmatik auf der Basis der zentralen Bedeutung der Rechtfertigung insbesondere bei Paulus (vgl. ders., Dogmatik, 137-139) und der reformatorischen Einstufung der Rechtfertigung als Mitte des Bekenntnisses (a.a.O., 161, vgl. zur Funktion im Blick auf die Unterscheidung von Gotteswerk und Menschenwerk a.a.O., 167) die Bedeutung der Rechtfertigung für die Neukonstitution der Person (a.a.O., 203, Anm.2; 496, 503, 510) und damit indirekt die elementare Bedeutung der Rechtfertigungslehre für die Dogmatik deutlich hervor, ohne sich allerdings der formelhaften Einstufung als articulus stantis et cadentis ecclesiae zu bedienen. Darüberhinaus hält es Härle inzwischen für notwendig, die faktisch gegebene und von ihm rekonstruierte „Gegenwartsbedeutung der Rechtfertigungslehre dadurch zum Ausdruck zu bringen, daß man den Begriff Rechtfertigung' tunlichst vermeidet, durch andere Begriffe ersetzt, umschreibt oder interpretiert." (Vgl. W. Härle, Zur Gegenwartsbedeutung der „Rechtfertigungs"-Lehre, ZThK Beiheft 10 (1998), 101-139, hier: 122) 2

Vgl. Karl Barth, KD IV/1, 588. Barth vertritt diese These „in impliziter Auseinandersetzung" mit Ernst Wolf, der die „Rechtfertigungslehre als Mitte und Grenze reformatorischer Theologie" deutete (vgl. den so überschriebenen Aufsatz in: ders., Peregrinatio Bd. 2, 11-21). Siehe dazu E. Jüngel, Rechtfertigung, 15.

342

Zusammenfassung und Ausblick

Damit wollte Barth zwar nicht die zentrale Bedeutung der Rechtfertigungsbotschaft für die Kirche in Abrede gestellt wissen.3 Doch gerade „des Menschen Rechtfertigung und gerade das Vertrauen auf die objektive Wahrheit der Rechtfertigungslehre verbietet" nach Barth „das Postulat, daß ihr theologischer Vollzug in der wahren Kirche semper, ubique et ab omnibus als das unum necessarium, als die ganze Mitte oder als die einzige Spitze der christlichen Botschaft und Lehre angesehen und behandelt werden müsse."4 Stattdessen plädiert Barth innerhalb seiner Lehre vom Wort Gottes als Kriterium der Dogmatik dafür, „die Möglichkeit menschlicher Erfahrung vom Wort Gottes . . . als Möglichkeit dieses Wortes selber" mit „letztem menschlichen Ernst (zu) bejahen" und „als articulus stands et cadentis ecclesiae (zu) vertreten".5 Der Verteidigung dieser Möglichkeit des Wortes Gottes gegenüber allen „menschlichen Möglichkeiten"6 dient sodann die gesamte Kirchliche Dogmatik, indem sie das Wort Gottes als Erkenntnisgrund des Glaubens und der Theologie auslegt. Obwohl Barth die in der lutherischen Schuldogmatik entwickelte Charakterisierung der Rechtfertigungslehre als articulus stantis et cadentis ecclesiae kritisiert, behält er in der materialen Entfaltung der Rechtfertigungslehre das schuldogmatische Grundmuster der forensisch-imputativen Rechtfertigungslehre insoweit bei, als er die Rechtfertigung als einen das menschliche Sein neu qualifizierenden göttlichen Urteilsakt versteht, der vom Menschen im Glauben zu ergreifen ist. Barth beschreibt nämlich die Rechtfertigung als das im Tode Jesu Christi vollzogene Gericht Gottes über den Menschen und den in der Auferstehung erfolgten Freispruch des Menschen7, welchem der Glaube als „Gehorsam der Demut"8 Antwort gibt9. Die forensisch-imputative Fassung der Rechtfertigungslehre wird in Barths Versöhnungslehre dabei nur insofern modi-

3 Siehe Barth, KD I V / 1 , 583 f. Vgl. dazu E. Jüngel, Rechtfertigung, 15 f. Jüngel zeigt in seiner Auseinandersetzung mit Barths These, daß nach Barths materialer Bestimmung der Rechtfertigungslehre diese das Kreuz als „die innere Möglichkeit der Versöhnung der Welt mit Gott" zur Geltung bringt (Jüngel, а. а. O., 22), und erklärt von da aus Barths Alternative zwischen Rechtfertigungslehre und Bekenntnis zu Jesus Christus für unglücklich (а. а. O., 24). Vielmehr müsse die Rechtfertigungslehre als „sachgemäße Christologie" (а. а. O., 24) verstanden werden. Denn die „Rechtfertigungslehre macht über das ,Faktum' der personalen Vereinigung von Gottheit und Menschheit in der Person Jesu Christi hinaus deren soteriologische Valenz deutlich, und zwar als die zum Sein des Gottmenschen gehörende Valenz." (А. а .О., 25 f.) 4 Barth, KD I V / 1 , 584. 5 Barth, KD 1/1, 235. 6 Siehe dazu Barth, KD 1/1, 234 f. 7 Vgl. Barth, KD IV/1, 573, 589 ff., 634 ff., 679 ff. 8 Barth, KD I V / 1 , 700. 9 Barth, KD I V / 1 , 689.

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fiziert, als er das Ereignis der Rechtfertigung als in Tod und Auferstehung Jesu Christi definitiv vollzogen betrachtet. Dies ist die Voraussetzung für seine Kritk an der Beschreibung der Rechtfertigungslehre als articulus stantis et cadentis ecclesiae. Hält man demgegenüber mit der lutherischen Tradition an der Differenz zwischen dem objektiven Versöhnungsgeschehen in Tod und Auferstehung Jesu Christi einerseits und der in der Evangeliumsverkündigung individuell zugesprochenen Rechtfertigung andererseits fest und versteht diese im Gefolge Melanchthons als Zurechnung der Gerechtigkeit Christi, dann käme der ausdrückliche Verzicht auf die Charakterisierung der Rechtfertigungslehre als articulus stantis et cadentis ecclesiae einem Selbstwiderspruch gleich. Ist das individuelle Heil des Menschen abhängig von der Zurechnung der Gerechtigkeit Christi und ihrer Annahme im Glauben, dann läßt sich nämlich nicht bestreiten, daß mit dem Rechtfertigungsartikel als solchem die Kirche steht und fällt. Behauptet man aber folgerichtig die Rechtfertigungslehre mit der lutherischen Schuldogmatik als articulus stantis et cadentis ecclesiae, so kann dieser Anspruch seinerseits auf der Basis der imputativen Rechtfertigungsvorstellung nur im Kontext einer Lehre von der Heilsordnung nachvollzogen und verteidigt werden, wie die lutherische Schuldogmatik selbst dokumentiert. Der Lehre von der Heilsordnung erwächst in der Schuldogmatik dabei nicht nur die Aufgabe zu explizieren, was das Rechtfertigungsurteil für den Menschen bedeutet. Vielmehr muß sie ergänzend zur forensisch-imputativen Rechtfertigungslehre die material-dogmatischen Fragen klären, wie der Glaube als Ergreifen der Rechtfertigung verstanden werden kann, ohne als Eigenleistung des Menschen zu gelten, und wie die Rechtfertigung die Lebenswirklichkeit des Menschen verändert. Angesichts der Begründungsschwierigkeiten, die sich für die forensisch-imputative Rechtfertigungslehre im Blick auf die genannten material-dogmatischen Probleme und im Blick auf den behaupteten Status als articulus stantis et cadentis ecclesiae ergeben, hätte nur eine erneute Reflexion auf den Sinn der Rechtfertigungsbotschaft die Krise überwinden helfen können, in der sich die imputative Rechtfertigungslehre in der lutherischen Schuldogmatik faktisch befand. Obwohl die lutherische Theologie des frühen 17. Jahrhunderts das konkordistische Rechtfertigungsverständnis nicht hinterfragt hat, bietet sie doch für eine Reformulierung der Rechtfertigungslehre insofern einen potentiellen Ausgangspunkt, als sie sowohl in der Ausdifferenzierung der Christologie im Streit zwischen Tübingen und Gießen als auch in der Ausbildung der Lehre von der mystischen Vereinigung der Glaubenden mit Gott bzw. mit Jesus Christus in Auseinandersetzung mit dem Weigelianismus eine vertiefte Reflexion auf den Grund des Heils und seine Vermittlung anstrengt. Auch wenn die in diesem Kontext entwickelten

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Ansätze in der lutherischen Schuldogmatik nur sehr begrenzt zum Zuge kommen, enthalten sie doch das Potential für eine Revision der forensisch-imputativen Rechtfertigungsvorstellung. Wird nämlich die unio mystica der Glaubenden mit Christus als Form bzw. Realisierungsgestalt des im Rechtfertigungsurteil zugesprochenen Heils verstanden, wie dies zumindest in der Frühphase der Lehrentwicklung insbesondere bei Friedrich Balduin und Theodor Thumm der Fall gewesen ist, so läßt sich auf dieser Basis zunächst die von Flacius übererbte unvollständige Bestimmung des Glaubens als Instrumentalursache der Rechtfertigung überwinden. Durch diese Einstufung wurde der Glaube im Rahmen der flacianischen Imputationstheorie auf den Akt des Ergreifens reduziert und als eine Ersatzleistung für die verlorene Urstandsgerechtigkeit angesehen, deren Zurechnung zur Gerechtigkeit allein in der Zurechnung der stellvertretend erbrachten Gerechtigkeit Christi gründet. Auf diese Weise konnte der Glaube nicht mehr im Sinne Luthers als das dem Menschen entsprechende und Gott zur Ehre gereichende Gottesverhältnis gewürdigt werden. Wird hingegen der Glaube als Realisierung der Christusgemeinschaft und darin als Gegenstand der Rechtfertigung verstanden, wie dies von einigen Rezipienten der Lehre von der unio mystica zumindest intendiert wurde, so entspricht dies nicht nur den Aussagen Luthers, sondern auch den paulinischen Aussagen über den Glauben. Auch im Kontext einer solchen Deutung des Glaubens muß die Rechtfertigung im Einklang mit den neutestamentlichen Aussagen als forensischer Akt der Gerechterklärung allein aus Glauben ohne alle Werke bestimmt werden. Der gegen die forensische Rechtfertigungsvorstellung erhobene Vorwurf, sie gehe nicht mit einer Veränderung der menschlichen Wirklichkeit einher, trifft jedoch nicht mehr, wenn die Rechtfertigung auf die Christusgemeinschaft des Glaubens bezogen wird, durch die der Mensch in ein neues, ihm entsprechendes und seine Lebenswirklichkeit neu konstituierendes Gottesverhältnis gestellt ist. Soll die Lehre von der mystischen Vereinigung als Christusgemeinschaft des Glaubens und darin als Gegenstand des Rechtfertigungszuspruchs gedeutet werden können, so ist dafür allerdings ein Verständnis des Versöhnungswerkes vorausgesetzt, das die Versöhnung nicht primär in dem zurechenbaren Verdienst Christi, sondern in dem gesamten Heilswerk Christi einschließlich der Inkarnation begründet sieht. Würde nämlich die Christusgemeinschaft des Glaubens wie bei Justus Feurborn auf eine nur durch die Tätigkeit seines Gehorsams vermittelte Präsenz Christi und nicht auf die Präsenz in seinem besonderen Personsein zurückgeführt, so würden die Probleme der imputativen Rechtfertigungslehre nur auf die Christusgemeinschaft verlagert. Der Vorzug und das bleibende Verdienst der von Balduin und Thumm vertretenen Sicht der Christusgemeinschaft besteht demgegenüber darin, daß sie die Christusgemein-

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schaft in Analogie zu dem in der Idiomenkommunikation zwischen göttlicher und menschlicher Natur konstituierten Personsein Jesu Christi auf die kommunikativ vermittelte Präsenz Christi zurückführen, in der Christus den Glaubenden an seiner Majestät Anteil gewährt, ihre Schwachheit in sich aufnimmt und in ihnen handelt. Im Bewußtsein solcher Christusgemeinschaft kann sich der Glaubende zwar als von Christus unterschiedene, aber in der Gemeinschaft mit Christi Personsein selbst neu konstituierte Person verstehen und sein Heil mithin nicht erst in dem ihm zugerechneten Verdienst Christi, sondern in der Präsenz Christi in seiner Person erkennen. Denn die Präsenz Christi im Glauben begründet die neue Identität des Glaubenden, enthebt ihn so seiner sündigen Eigenexistenz und bringt ihm damit die Gottlosigkeit und Verlorenheit zu Bewußtsein, die sich in dem Versuch manifestiert, ohne und außerhalb von Christus existieren zu wollen. Um die Christusgemeinschaft des Glaubens in diesem Sinne unter gegenwärtigen Bedingungen dogmatisch zu erfassen und individuell zu erschließen, müssen zum einen die in der frühen lutherischen Dogmatik herausgearbeiteten christologischen Voraussetzungen hinsichtlich ihres Anliegens so reformuliert werden, daß die Probleme der Zwei-NaturenChristologie aufgehoben sind. Zum anderen darf die Evangeliumsverkündigung nicht, wie es die melanchthonische Tradition nahelegt, auf den Zuspruch des göttlichen Rechtfertigungsurteils reduziert, sondern muß Person und Werk Jesu Christi als den Grund des Glaubens zum Inhalt haben. Die spezifisch soteriologische Bedeutung der Rechtfertigungsbotschaft im Kontext solcher Evangeliumsverkündigung von Jesus Christus ist darin zu sehen, durch die Zurechnung der im Glauben gegebenen Christusgemeinschaft als der neuen Existenz in Christus die Anfechtung zu überwinden, die dem Christen aus der Wahrnehmung seiner sündigen, durch den Versuch der Selbstrechtfertigung gekennzeichneten Selbstvollzuges erwächst. In der Tübinger Dogmatik wurde ein entsprechendes Verständnis der Rechtfertigung zwar nicht ausdrücklich gegenüber der konkordistischen Vorstellung von der Imputation der Gerechtigkeit Christi zur Darstellung gebracht, aber durch die Zuordnung von Christologie, Glaubensbegriff und Rechtfertigungslehre in der Konzeption der Dogmatik, durch die christologische Reflexion auf das Personsein Jesu Christi und die analoge Deutung der Gemeinschaft der Glaubenden mit Christus doch nahegelegt. Die insbesondere von Thumm in der Auseinandersetzung mit den Gießener Theologen vertretene Auffassung der Allgegenwart Christi bildet dabei im Kontext der damaligen Diskussionslage insofern eine wichtige Voraussetzung für die dargelegte Deutung der Christusgemeinschaft, als sie dafür eintritt, die Präsenz Christi in seiner Person bei den Glaubenden nicht aktualistisch an die je und je ergehende Verheißung des

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Evangeliums gebunden zu sehen, sondern durch das Ereignis der Inkarnation konstituiert zu verstehen. Sonach dient die Verheißung zwar unabdingbar der Vermittlung des Glaubens an Christus und der Vergewisserung der Präsenz Christi und ist insofern auch als gnädige Wirksamkeit Gottes zu verstehen, aber sie basiert auf der in der Inkarnation begründeten Präsenz Gottes in Christus bei allen Menschen, die sie als Grund der Heilsgewißheit voraussetzen kann und auszulegen hat. Wird die Christusgemeinschaft des Glaubens aus der Analogie zum Personsein Jesu Christi heraus als Begründung des neuen Seins interpretiert und von da aus in ihrer grundlegenden Bedeutung für das Verständnis der Rechtfertigung gewürdigt, so ist es schließlich sinnvoll, der Taufe für die Konstitution des neuen Seins in Christus und seiner Aneignung eine größere Bedeutung einzuräumen, als dies in den theologischen Loci der frühen lutherischen Dogmatik und im ordo salutis der Schuldogmatik in der Regel geschehen ist. Denn in der Taufe wird dem Einzelnen jedenfalls im Sinne des lutherischen Taufverständnisses - das neue Sein in der Gemeinschaft mit Christus als im Sterben und Auferstehen Christi begründetes und der individuellen Aneignung im Glauben gegenüber vorgängiges zeichenhaft so zugeeignet, daß er sich auf den Vollzug dieser Zueignung und dessen Geltung lebenslang verlassen kann. Damit wird der Glaubende zwar nicht der Anfechtungssituation durch die Wahrnehmung seiner vorfindlichen Existenz entzogen. Aber die dem Glauben gegenüber vorgängige Zueignung der Christusgemeinschaft in der Taufe ermöglicht - auch im Falle der Erwachsenentaufe - dem angefochtenen Individuum die Rückbesinnung auf seine Taufe und enthebt es damit der Notwendigkeit, sich der Konstitution des neuen Seins in Christus durch immer neue Erfahrungen von Bekehrung und Wiedergeburt vergewissern zu müssen. Den Zuspruch der Zugehörigkeit zu Christus als Grund des neuen Seins vermittelt die Taufe - gegenüber der reinen Wortverkündigung - nicht nur in einer den Einzelnen als Einzelnen unmißverständlich adressierenden und einbeziehenden Weise. Sie ermöglicht die entsprechende Vergewisserung auch in solchen Situationen, in denen das Individuum auf sich selbst gestellt ist. Insofern gehört die Taufe unabdingbar in den Konstitutionszusammenhang der Rechtfertigung allein aus Glauben. Deutet man das Ereignis der Rechtfertigung in der Rechtfertigungslehre in dieser Weise als Zuspruch der Gerechtigkeit allein aus Glauben in der Christusgemeinschaft des Glaubens und führt es auf das in der Christologie reflektierte Personsein und Werk Jesu Christi zurück, so muß an der reformatorischen Uberzeugung von der fundamentalen Bedeutung der Rechtfertigung für den Glauben und an der in der Schuldogmatik betonten elementaren Funktion der Rechtfertigungs/eAre für die Theologie festgehalten werden. In Abgrenzung von der konkordistischen

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Vorstellung einer Konstitution der Gerechtigkeit des Sünders durch Zurechnung des Verdienstes Christi im Urteil Gottes ist die Bedeutung der Rechtfertigung aber darin zu sehen, im Kontext der Evangeliumsverkündigung von Jesus Christus dessen zu vergewissern, daß die Gerechtigkeit in der durch die Präsenz Christi begründeten Gemeinschaft des Glaubens mit Christus geschenkt ist und damit von keiner Leistung des Menschen abhängt. Entsprechend muß es die Aufgabe der Rechtfertigungs lehre sein, diese Bedeutung der Rechtfertigung im Rückbezug auf die Christologie auszusagen und den daraus resultierenden Ausschluß menschlicher Selbsttätigkeit im Zusammenhang der Konstitution des Heils konsequent im Blick auf alle dogmatischen Aussagen zu verteidigen. Damit kommt der Rechtfertigungslehre im Rahmen der Dogmatik faktisch die Funktion einer regulativen Idee zu.10 Als solche hat sie die Einsicht zu befördern, daß der Mensch in keiner Weise aus sich selbst heraus, sondern allein im Glauben an Jesus Christus gerecht ist.

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So G. Wenz, Theologie der Bekenntnisschriften Bd. 2, 64.

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Personenregister Kursiv gedruckte Seitenzahlen verweisen auf Personen, die in Anmerkungen genannt sind. Albrecht von Preußen, Herzog 28, 63 Althaus, Paul 49f., 50f., 57/, 153, 163 Amsdorf, Nikolaus von 92 Andreae, Jakob 97 ff., 182, 225 Anselm von Canterbury 25, 46, 53, 65, 66, 94, 139, 141, 337 Appold, Kenneth G. 47, 301, 312f., 319/., 322, 332 Arndt, Johann 161, 249 ff., 256 ff., 279, 298 Asendorf, Ulrich 243 Assel, Heinrich 340 Augustin 35, 170 Balduin, Friedrich 121 f., 127, 129, 134f., 142 f., 246, 248 ff., 266 f., 271, 273 f., 279 ff., 285 f., 291 ff., 297 f., 344 Barth, Karl 340, 341, 342 Baumgarten, Siegmund Jacob 250 f. Baur, Jörg 11f., 13, 15 f., 20, 47f., 49, 52, 119, 122f., 126, 133ff., 145, 179, 179 f., 192f., 203, 209f., 215, 220, 222/, 224 ff., 241, 269, 291, 297 Bayer, Oswald 240 Bellarmin, Robert 126 f., 131 f., 138, 146 Bernhard von Clairvaux 259 Bizer, Ernst 33, 59 Bötker, Johannes 178 Böttigheimer, Christoph 131 Bossert, Gustav 192 Brandy, Hans Christian 61, 62, 64, 65, 209ff, 213, 216, 220/, 224

Brecht, Martin 34, 61, 6 2 f f , 153/, 169 Brenz, Johannes 22, 28 f., 34 ff., 60 ff., 153 f., 168 178 f., 181, 193, 196, 206, 208, 216, 224, 226, 237, 284 Brochmand, Caspar 220 f., 250, 280, 282 ff., 289, 291 f., 297 f. Brunstäd, Friedrich 37/ Bucer, Martin 131 f. Buddeus, Johann Franz 251, 267, 270 Bullinger, Heinrich 297 Buscher, Statius 279 f., 289 Calixt, Georg 19, 131, 146ff., 166, 175, 236, 279, 308f., 311, 327, 331 Calov, Abraham 47, 118, 120, 167, 187, 282, 299, 312f., 316, 319, 322, 329, 332 Calvin, Johannes 49, 131 f., 140, 142, 246 Chemnitz, Martin 113 ff., 120, 122 ff., 128 f., 133 ff., 160 ff., 172 ff., 179ff, 194, 216, 221, 224, 245/., 260, 269, 296, 322, 331 Chrysostomus, Johannes 265 Chytraeus, David 45, 119 Coler, Jakob 93 Crusius, Martin 193 Dannhauer, Johann Konrad 312 Dippel, Johann Konrad 329 Dorner, Isaak August 230 Dunn, James D. G. 125/. Ebeling, Gerhard

320, 341

364

Personenregister

Fagerberg, Holsten 12, 37 Fecht, Johannes 291 Feurborn, Justus 251-271, 277, 279, 282, 285, 290, 292f., 298, 307, 344 Flacius Illyricus, Matthias 17, 29, 66, 70, 71-111, 112, 120 f., 126139, 142, 146, 148, 151, 154, 162 ff., 170 f., 173, 175 ff., 182, 204, 244, 246, 297, 288, 305, 334, 337 f., 344 Grane, Leif 33 Gerhard, Johann 14, 118, 121, 125, 126 f., 131 ff., 141 ff., 161 f . , 167, 187, 190, 202, 211, 230, 233, 241, 246, 259-275, 281, 284, 292, 298, 323, 325 Gerlach, Stephan 209ff., 220, 222, 225, 227, 331 Geßner, Salomon 226, 233 Gisenius, Johannes 228 f., 253 Grab, Wilhelm 341 Greschat, Martin 31, 33/., 3 7 f f , 53 Grotius, Hugo 21 Hägglund, Bengt 31, 39, 42, 45 Härle, Wilfried 341 Hafenreffer, Matthias 18, 178, 185-197, 200 ff., 207, 211, 213238, 246, 277, 278, 286, 291, 295 f., 307; 313 f. Haikola, Lauri 37, 40, 44, 49, 5 3 f f , 59, 93, 99 Hamm, Bernd 49 Heerbrand, Jakob 18, 178, 182ff., 190, 195 f., 198 ff., 207 ff., 211, 213, 216, 225, 227, 234 ff., 246, 296, 295 Herms, Ellert 341 Heidegger, Johann Heinrich 329 Heppe, Heinrich 192 Hermann, Rudolf 340 Heshusen, Tilemann 93, 97 ff., 178, 269 Hirsch, Emanuel 340 Hof(f)mann, Daniel 225, 269 Holl, Karl 340

Hollaz, David 282 ff., 289, 312, 333 Honecker, Martin 119, 126 Hübner, F 294 Hübner, Hans 125f. Hülsemann, Johannes 19, 121, 246, 255, 279, 284, 299, 292, 312, 316, 327, 329, 329, 331f. Hunnius, Aegidius 120 f., 124, 127 ff., 135, 136f., 142, 193, 226, 246, 297, 302 Hunnius, Nikolaus 120 f., 127 ff., 157, 161, 165, 167, 246 f., 279 f., 315, 323 ff., 332 Hutter, Leonhard 20, 118 ff., 125, 129 f., 136, 142 f., 187, 189 f., 201, 211, 212, 221, 222, 226, 233, 245, 247 Joest, Wilfried 57, 324, 326 Jonas, Justus 28 Judex, Matthaeus 117, 121, 128 f., 135, 142, 154 f., 180 Jüngel, Eberhard 57f., 341 f . Karg, Georg 75, 139f., 141 Kattenbusch, Ferdinand 3 7 Kaufmann, Thomas 11 f . , 112, 114 Keckermann, Bartholomäus 301 ff., 309 Keller-Hüschemenger, Max 193f., 301, 310, 312, 31 7, 323, 325f., 333 Kepler, Johannes 228 Ketzmann, Petrus 140 Kirchner, Timotheus 117, 119 König, Johann Friedrich 158, 174, 250, 281 f., 289, 292, 300, 312323, 327 f., 333 Korsch, Dietrich 341 Kromayer, Hieronymus 279, 284, 328 ff., 334 Kühn, Ulrich 159f., 163, 166f., Kunze, Johannes 119, 195 Leube, Hans 12 Leyser, Polykarp 113 f., 130 Lindström, Martin 249, 269

Personenregister Löscher, Valentin Ernst 329 Lohse, Bernhard 23, 49, 50, 54, 92, 163, 170 Lombardus, Petrus 265 Loofs, Friedrich 36 ff., 329 Ludwig V., Landgraf 229 Luther, Martin 16, 19 f., 34, 46 ff., 64 f., 67 ff., 73 f., 90, 93, 97, 100, 126, 132ff., 153f., 159-169, 175, 179, 192, 194, 219, 237, 240ff., 255, 259, 265, 279, 299, 294 ff., 331, 337, 344 Mager, Inge 131, 148 Mahlmann, Theodor 13, 25, 47, 113, 149f., 179, 191, 190, 246, 247 ff., 252ff, 265, 267, 270f., 279ff, 297, 299f., 290, 292, 297ff., 323, 329ff, 331 Mannermaa, Tuomo 50, 52, 54, 169, 241 f., 244f. Martini, Matthias 228 Maurer, Wilhelm 31, 37 Medier, Nikolaus 50 Mehlhausen, Joachim 11 Meisner, Balthasar 16, 19, 121, 127, 291 f., 297, 309ff., 325, 328, 331 Melanchthon, Philipp 12, 17 f., 22 f., 28 ff., 43 ff., 62, 64, 67 ff., 70-89, 92, 98 ff., 109, 111, 112122, 131 ff., 148 f., 152 f., 159f., 165, 166 ff., 171, 174, 177 ff., 187, 194, 202, 206, 243 ff., 253 ff., 266, 285, 288, 294, 296, 305, 319, 330, 334f., 337, 339f., 343 Mentzer, Balthasar 15, 130, 131, 190, 224, 228 ff., 251 ff., 259, 269, 277, 287, 290, 302, 307 Mörlin, Joachim 28, 66 Mühlen, Karl-Heinz zur 190f. Musäus, Johann 96, 98, 138, 270, 312 Musäus, Simon 91, 93 Musculus, Andreas 113 Neldel, Johannes

301 f.

365

Nicolai, Philipp 156 f., 166, 241, 248 f., 258, 267, 269, 281, 292, 297 Nüssel, Friederike 60, 230, 270 Obenhin, Christopher 113 Oslander, Andreas 21 ff., 29 f.,45, 55, 61 ff., 69, 72, 105f., 117, 131 f., 165, 225, 244 f., 248, 284 f., 317 Oslander, Lucas I. 117, 130, 155, 172 f., 224 f., Oslander, Lucas II 210, 230, 280 Pannenberg, Wolfhart 21, 30, 4 7 f f , 153f., 169f., 174, 241f., 244, 297 Peters, Albrecht 31 f., 34, 49, 244 Peura, Simo 55, 240f. Pfaff, Christoph Matthias 196, 281 f. Pfeffinger, Johannes 92 Pfeiffer, Arnold 328 Pfnür, Vinzenz 3 7 Piscator, Johann 140 f., 143 Preger, Wilhelm 9 3 f f , 97 ff., 102 Prenter, Regin 51, 56 Quenstedt, Johann Andreas 16, 20 f., 47, 118, 120, 148, 158 f., 165, 167, 174, 190, 197, 250, 281 f., 289, 292, 296, 312, 314ff., 327 f., 330, 333 Ratschow, Carl Heinz 323 Rhegius, Urbanus 113 Ritsehl, Otto 12, 16, 23, 29, 31 ff., 36ff., 43, 49, 73, 89 ff., 96 f., 162, 165, 167, 229, 231, 239f., 244, 246 f., 251, 259 f., 267, 269, 271, 276f., 288f., 325f. Rublack, Hans-Christoph 13f. Sanders, Ε. P. 125 Schaefer, Michael 331 Scheible, Heinz 31 f., 34 Schleiermacher, Friedrich D. E. Schlink, Edmund 12, 37f.

251

366

Personenregister

Schloemann, Martin 251 Schlüsselburg, Konrad 280, 282 Schnepff, Erhard 92 Scholvin, Johann 130, 131, 302311, 332 Schröder, Johann 226, 233, 302 Schwarz, Reinhard 47, 50 Schwertner, David 121 Seinecker, Nikolaus 181 f., 310 Sigwart, Johann Georg 209, 211, III Söderlund, Rune 242, 245 Spam, Walter 11, 13, 15, 65, 103, 179, 207, 232, 254f., 277, 295, 300f., 309ff., 324, 326f. Steiger, Johann Anselm 119, 256f., 259 ff., 265, 322 Stendahl, Krister 125 Strigel, Victorin 81, 90, 92 f., 96 ff., 139 Stupperich, Martin 21, 22 ff., 35, 4 0 f f , 46, 53, 61, 64, 67, 244 Tholuck, August 20, 113 Thomasius, Gottfried 65, 230 Thumm, Theodor 18, 178, 186 f., 196, 203 ff., 211, 220 ff., 230, 234ff., 246, 250, 266-281, 285f., 290, 291 ff., 314, 344 Tillich, Paul 340 Troeltsch, Ernst 11 Ursinus, Zacharias 140

Vaahtoranta, Martti 259, 261, 265 f. Varenius, Heinrich 250, 280 ff. Wallmann, Johannes 11 f . Watson, Francis 125 Weber, Hans Emil 12, 16f., 21, 24, 31, 37, 41 f., 49, 61, 62, 71, 80, 92, 9 9 f f , 94, 170f., 179f., 191, 239, 300, 309 Weigel, Valentin 203, 205 f., 247ff., 275, 276, 285 Weismann, Christoph 63 Weiss, Hans-Martin 75, 140f. Weller, Hieronymus 50 Wenz, Gunther 12, 21, 25, 31, 33f., 3 6 f f , 4 6 f f , 60, 122, 140, 174, 190, 216, 245, 294, 297 Westerholm, Stephen 125 Wigand, Johann 93, 97 f., 100, 117, 121, 128 f., 135, 142, 154 f., 180 Winckelmann, Johann Joachim 228 f., 253, 267, 279 Wolf, Ernst 341 Wollgast, Siegfried 203, 205f., 239, 302 Zabarella, Jacobus 301 Zanger, Johann 115 Zeller, Winfried 14, 156, 259 Ziesler, John 125

Studien zur Rechtfertigungslehre Ernstpeter Maurer

Walter Klaiber

Rechtfertigung

Gerecht vor Gott

Konfessionstrennend oder konfessionsverbindend? Bensheimer Hefte 87 / Ökumen. Studienhefte 8. 2. Auflage 1999. 154 Seiten, kart. ISBN 3-525-87177-5

Rechtfertigung in der Bibel und heute Biblisch-theologische Schwerpunkte, 20. 2000. Ca. 256 Seiten, kartoniert ISBN 3-525-61386-5

Athina Lexutt Rechtfertigung im Gespräch Das Rechtfertigungsverständnis in den Religionsgesprächen von Hagenau, Worms und Regensburg 1540/41 Forschungen zur Kirchen- und Dogmengeschichte, 64. 1996. 299 Seiten, geb. ISBN 3-525-55172-X

Gottfried Martens Die Rechtfertigung des Sünders - Rettungshandeln Gottes oder historisches Interpretament? Grundentscheidungen lutherischer Theologie und Kirche bei der Behandlung des Themas „Rechtfertigung" im ökumenischen Kontext. Forschungen zur systematischen u.ökumen. Theologie, 35.1992. 428 Seiten, kart. ISBN 3-525-56271-3

Ralf Kötter Johannes Bugenhagens Rechtfertigunglehre und der römische Katholizismus Studien zum Sendbrief an die Hamburger (1525) Forschungen zur Kirchen- und Dogmengeschichte 59. 1994. 489 Seiten, geb. ISBN 3-525-55167-3

Die Rechtfertigungslehre wirkte - als besonderes Anliegen der Reformation - konfessionstrennend; als zentrales Thema evangelisch-katholischer Dialoge des 20. Jahrhunderts wirkt sie jedoch konfessionsverbindend. Die Frage, wie tragfähig der erreichte Konsens ist und wie die Rechtfertigungsbotschaft heutigen Menschen vermittelt werden kann, führt zur Frage nach ihrer biblischen Grundlegung. Als leitende Perspektive für die Auslegung der biblischen Heilsbotschaft ist die Rechtfertigungslehre „Mitte der Schrift". Daraus ergeben sich dann die am Ende des Bandes vorgestellten Leitlinien für eine heutige Weitergabe der Rechtfertigungsbotschaft in Predigt und Unterricht, die die traditionellen Gegensätze zwischen den Konfessionen überwinden kann.

V&R

Vandenhoeck Ruprecht

Forschungen zur systematischen und ökumenische Theologie Herausgegeben von Reinhard Slenczka und Gunther Wenz. Band 48-88 von Wolfhart Pannenberg und Reinhard Slenczka. Eine Auswahl:

96 Bernd Oberdorfer Filioque Geschichte und Theologie eines ökumenischen Problems 2000. Ca. 600 Seiten, geb. ISBN 3-525-56207-1

88 Martin Diederich Schleiermachers Geistverständnis Eine systematisch-theologische Untersuchung seiner philosophischen und theologischen Rede vom Geist 1999. 375 Seiten, kart. ISBN 3-525-56295-0

94 Reiner Anselm Ekklesiologie als kontextuelle Dogmatik Das lutherische Kirchenverständnis im Zeitalter des Konfessionalismus und seine Rezeption im 19. und 20. Jahrhundert 2000. 269 Seiten, kart. ISBN 3-525-56203-9

87 Ulrich Asendorf Lectura in Biblia Luthers Genesisvorlesung (1535-1545) 1998. 528 Seiten, geb. ISBN 3-525-56294-2

93 Christoph Klein Wenn Rache der Vergebung weicht Theologische Grundlagen einer Kultur der Versöhnung 1999. 288 Seiten, kart. ISBN 3-525-56300-0 92 Eberhard Hahn „Ich glaube ... die Vergebung der Sünden" Studien zur Wahrnehmung der Vollmacht der Sündenvergebung durch die Kirche Jesu Christi 1999. 259 Seiten, kart. ISBN 3-525-56299-3 91 Gunther Wenz Grundfragen ökumenischer Theologie Gesammelte Aufsätze, Band 1 1999. 326 Seiten, kart. ISBN 3-525-56298-5 90 Jochen Walldorf Realistische Philosophie Der philosophische Entwurf Adolf Schlatters 1999. 338 Seiten, kart. ISBN 3-525-56297-7 89 Stefan Felber Wilhelm Vischer als Ausleger der Heiligen Schrift Eine Untersuchung zum Christuszeugnis des Alten Testaments 1999. 416 Seiten mit 1 Abb., geb. ISBN 3-525-56296-9

86 Notger Slenczka Selbstkonstitution und Gotteserfahrung W. Elerts Deutung der neuzeitlichen Subjektivität Studien zur Erlanger Theologie 2. 1999. 364 Seiten, kart. ISBN 3-525-56293-4 85 Notger Slenczka Der Glaube und sein Grund F. H. R. von Frank, seine Auseinandersetzung mit A. Ritsehl und die Fortführung seines Programms durch L. Ihmels. 1998. 333 Seiten, kart. ISBN 3-525-56292-6 84 Ulrike Link-Wieczorek Inkarnation oder Inspiration? Christologische Grundfragen in der Diskussion mit britischer anglikanischer Theologie 1998. 390 Seiten, kart. ISBN 3-525-56291-8 83 Christian Herrmann Unsterblichkeit der Seele durch Auferstehung Studien zu den anthropologischen Implikationen der Eschatologie 1997. 367 Seiten, kart. ISBN 3-525-56290-X

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