Das "Gewissen" 1919-1925: Kommunikation und Vernetzung der Jungkonservativen 9783486713855, 9783486704969

Mit der Studie zum jungkonservativen Denkkollektiv und zu seinem Konstitutionsort Gewissen wurde auf Mikroebene ein neue

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German Pages 517 [520] Year 2011

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Inhaltsverzeichnis
Dank
1. Einleitung
2. Konstruktion des Jungkonservatismus
3. „Der Ruf will gehört sein“ – das Profil des Gewissens
4. Zusammenfassung
Grafik und Tabellen
Quellen
Literatur
Register
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Das "Gewissen" 1919-1925: Kommunikation und Vernetzung der Jungkonservativen
 9783486713855, 9783486704969

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Claudia Kemper Das „Gewissen“ 1919–1925

Ordnungssysteme Studien zur Ideengeschichte der Neuzeit Herausgegeben von Jörg Baberowski, Anselm Doering-Manteuffel und Lutz Raphael

Band 36

Claudia Kemper

Das „Gewissen“ 1919–1925 Kommunikation und Vernetzung der Jungkonservativen

Oldenbourg Verlag München 2011

Gedruckt mit Unterstützung des Förderungs- und Beihilfefonds Wissenschaft der VG WORT

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

© 2011 Oldenbourg Wissenschaftsverlag GmbH, München Rosenheimer Straße 145, D-81671 München Internet: oldenbourg.de Das Werk einschließlich aller Abbildungen ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Bearbeitung in elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: hauser lacour, www.hauserlacour.de Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier (chlorfrei gebleicht). Layoutkonzeption und Herstellung: Karl Dommer, Cornelia Horn Satz: le-tex publishing services GmbH, Leipzig Druck/Bindung: Grafik+Druck GmbH, München ISBN 978-3-486-70496-9

Inhaltsverzeichnis Dank 1. Einleitung 1.1 1.2 1.2.1 1.2.2 1.2.3 1.3 1.3.1 1.3.2 1.3.3 1.4

Rechtsintellektuelle und ihre Medien als Forschungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Forschungsperspektiven auf Ideen, Medium und Akteure Neue Rechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mediengeschichtliche Perspektive . . . . . . . . . . . . . Biographische Zugänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kollektivbiographische Muster und individuelle Zugänge Datenerhebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lebensdaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tätigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Konzeption und Aufbau einer Intellektuellengeschichte des Gewissens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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2. Konstruktion des Jungkonservatismus 2.1 2.1.1 2.1.2 2.1.3 2.1.4 2.1.5 2.1.6 2.2 2.2.1 2.2.2 2.2.3 2.2.4 2.3 2.3.1 2.3.2 2.3.3 2.3.4

Arthur Moeller van den Bruck: Ikone des Jungkonservatismus Der junge Moeller: Familie, Provinz und Aufbruch . . . . . Auf der Suche nach Haltung und Genie . . . . . . . . . . . Moellers Stil zwischen Bohème und Außenseitertum . . . . Das ,,Auslandserlebnis“: Moeller in Paris und auf Reisen . . Moeller als Publizist der monumentalen Moderne . . . . . . Kulturkritische Kontinuität im Gewissen . . . . . . . . . . . Anders als die Anderen: Propagandaerfahrung während des Ersten Weltkriegs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Intellektuelle Beiträge und Aufbau der professionellen Propaganda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Spur der Kriegspropaganda im Gewissen . . . . . . . . . Eduard Stadtlers Propagandakurs zwischen Antibolschewismus und Volksgemeinschaft . . . . . . . . . Grenzen des Propagandadiskurses im Elite-Konzept des Gewissens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Blick nach innen: Gruppenbildung und Deutung des Ringes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Intellektuelle Gruppenbildung im Zeichen des Ringes . . . . Max Hildebert Boehm und der Ruf der Jungen . . . . . . . . Bildung und Konflikte des Juni-Klubs . . . . . . . . . . . . . Ideelle Grundlagen: Die 33 Sätze . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis

2.3.5 2.3.6 2.3.7 2.4 2.4.1 2.4.2 2.4.3 2.4.4 2.4.5

Zentrum und Kreise der Ring-Bewegung . . . . . . . . . Der Ring im Gewissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Ring bleibt: Vom Juni-Klub zum Herrenklub . . . . Kommunikation und Vermittlung: Die politische Wochenzeitschrift Gewissen . . . . . . . . . . . . . . . . Zeitschriften im Kontext politischer und wirtschaftlicher Interessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Publizistisches Selbstverständnis und journalistische Arbeitssituation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Idee und Raum: Das Gewissen in Berlin . . . . . . . . . . Äußere Gestaltung, Leser, Vertrieb und Finanzierung . . Inhaltliche Gestaltung: Artikelformen, Sprache, Veröffentlichungspolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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3. ,,Der Ruf will gehört sein“ – das Profil des Gewissens 3.1 3.1.1 3.1.2 3.1.3 3.2 3.2.1 3.2.2 3.2.3 3.2.4 3.2.5 3.2.6 3.3 3.3.1 3.3.2 3.3.3 3.3.4 3.3.5 3.3.6 3.4 3.4.1 3.4.2 3.4.3

Transformationen des Konservatismus . . . . . . . . . . . . Konservative Grundwerte und radikale Potenziale . . . . . . Schnittstellenstrategie: Populismus im Jungkonservatismus . Politische Willensbildung nach jungkonservativer Lesart . . Im Spannungsfeld: Jungkonservative und Politik . . . . . . . Diagnose: Krise und Übergang . . . . . . . . . . . . . . . . Jungkonservative, Gewissen und DNVP . . . . . . . . . . . Versuch der Teilhabe: Stadtler und die Reichstagswahl 1920 . Stadtlers Verhaftung und Gewissen-Verbot . . . . . . . . . . Positionen innerhalb des Rechtsradikalismus . . . . . . . . . Stabilisierung und Tendenzwechsel . . . . . . . . . . . . . . Jugend, Männer, Führer: Nationalistische Erziehungskonzepte im Gewissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ideal und Projektionsfläche: ,,Junge Generation“ und Jugend Selbstbehauptung als männliche Elite . . . . . . . . . . . . Primat der Ungleichheit: Heinrich von Gleichens Elitenbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Führer durch Erziehung: Martin Spahn und die Einrichtung des Politischen Kollegs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Führer durch Formung: Ernst Krieck – völkischer Autor des Gewissens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dem Individuum enge Grenzen setzen – Erziehung im Gewissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gegen den Versailler Vertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . ,,Ein Riesenprojekt zur wirtschaftlichen Ausbeutung“ . . . . Gebietsverluste: Projektionsfläche für jungkonservative Experten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ,,We are friends now“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

222 223 228 232 245 245 249 256 262 268 280 284 285 293 299 305 324 330 333 335 347 358

Inhaltsverzeichnis

3.5 3.5.1 3.5.2 3.5.3 3.5.4 3.5.5

Ordnung Europas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Bedeutung der Revolution im Gewissen . . . . . . . Russland-Bild und Antibolschewismus . . . . . . . . . . Proletariat, Sozialismus und Kommunismus . . . . . . . Die Ordnung Europas nach Völkern und Rassen . . . . . Ständestaat als Diktatur: Heinz Brauweiler und Walther Schotte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.6 Wirtschaftsautoritarismus . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.6.1 Begründung einer ,,Nationalen Wirtschaft“ . . . . . . . . 3.6.2 Ordnungsvorstellungen von Staat, Wirtschaft und Arbeit 3.6.3 Wirtschaftsfrieden und Werksgemeinschaft . . . . . . .

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362 363 369 374 383

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396 403 404 408 424

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Archivalische Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gedruckte Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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4. Zusammenfassung Grafik und Tabellen Organisationsvernetzung im Vorfeld des Juni-Klubs Übersicht: Autoren innerer und äußerer Kreis . . . Autoren des Inneren Kreis . . . . . . . . . . . . . . Ausgewählte Autoren des Äußeren Kreises . . . . .

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Quellen

Literatur Nachschlagewerke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Forschungsliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Online-Nachweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Register Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Dank Bei der vorliegenden Arbeit handelt es sich um die überarbeitete Fassung meiner Dissertation, die ich im Sommersemester 2009 am Historischen Seminar der Universität Hamburg einreichte und im Juli des Jahres verteidigte. Ich danke den Herausgebern Jörg Baberowski, Lutz Raphael und Anselm DoeringManteuffel für ihr Vertrauen in meine Arbeit und für die Aufnahme in die Reihe ,,Ordnungssysteme“. Wie wohl alle geisteswissenschaftlichen Dissertationen konnte auch diese nur durch den steten und konstruktiven Austausch mit Kollegen und Freunden und mit ihrer Hilfe entstehen. Für solchen Austausch möchte ich allen Mitarbeitern der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg und am Historischen Seminar der Universität Hamburg danken, die mir immer kollegial, aufmunternd und anregend zur Seite standen. Unter anderem konnte ich die Fortschritte meiner Arbeit mehrmals im Forschungskolloquium der Forschungsstelle gewinnbringend diskutieren, ebenso in Kolloquien des Zentrums für zeithistorische Forschung in Potsdam und des Literaturarchivs in Marbach, dem ich auch für ein einmonatiges Forschungsstipendium danke. Zusätzlich half mir bei der Archivarbeit ein Reisestipendium der durch die Universität Hamburg betreuten Rievers-Stiftung. Allen Archivmitarbeitern danke ich für ihre kompetente und zuvorkommende Hilfe. Wertvolle Ratschläge gab mir mein Betreuer Rainer Hering, mit Ulrich Prehn und Volker Weiss konnte ich mich inhaltlich hilfreich austauschen, Gerd Koenen wies mich auf das Sonderarchiv in Moskau hin, aus dessen Beständen ich mit Hilfe von Andrej Doronin vom DHI Moskau Material verwenden konnte; Klaus Wernecke half mit Materialien zur Pressegeschichte und Elisabeth Camps bei den Übersetzungen aus dem Sütterlin. Und meine Eltern Margot und Franz-Josef Kemper haben mich immer und auf vielerlei Art während meines Studiums und der Promotionszeit unterstützt. Schließlich haben mir, mit mühsamer Textarbeit und engagiertem Feedback-Gespräch, bei der Entstehung des Manuskriptes geholfen: Knud Andresen, Nora Helmli, Wiebke Kolbe, Sylvia Necker, Maike Raap, Sebastian Rohr, Andreas Strippel, Joachim Szodrzynski und Malte Thießen. Allen Genannten gelten mein außerordentlicher Dank und meine Verbundenheit. Zu guter Letzt möchte ich Eckart Nissle und Axel Schildt besonders erwähnen. Vor etwas mehr als zehn Jahren lernte ich den ersten der beiden kennen und er gab mir den wohlbedachten, freundschaftlichen Rat, meinen Traum vom Studium endlich wahr zu machen. Mittlerweile ist Eckart mein Mann, dem ich kaum genug danken kann, dass er alle Folgen seines Ratschlages mit unerschütterlichem Glauben an mich ausgehalten hat. Axel Schildt begegnete ich einige Zeit später in meinem ersten Hauptseminar zur Neueren Geschichte an der Universität Hamburg. Seitdem ist er eine

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Dank

feste Größe in meiner wissenschaftlichen und beruflichen Entwicklung. Als Doktorvater stand er mir immer inspirierend und wegweisend bei. Und von ihm habe ich lernen können, dass wissenschaftliches Engagement und gelassene Selbstironie keine widersprüchlichen Eigenschaften sind, sondern eine wertvolle Basis für die Herausforderungen des Historikerberufs. Hamburg, im August 2011 Claudia Kemper

1. Einleitung

Das ,,Eigentliche“ ist eine deutsche Spezialität und Männersache.1

Mitte 1919 begann sich in Berlin regelmäßig ein kleiner Kreis von Männern zu treffen, der unter normalen Umständen wohl kaum zusammengefunden hätte. Doch da diesen Männern einige Monate nach Kriegsende nichts von dem erfüllt schien, was sie schon seit Jahren in unterschiedlichen Positionen propagierten, ergab sich für einige Jahre eine gemeinsame Grundlage. Die Treffen markierten den Beginn des Jungkonservatismus, einer rechtsoppositionellen Bewegung zur Weimarer Republik. Die Anliegen und Forderungen der Jungkonservativen waren jedoch nicht neu, sondern lassen sich bis in die Vorkriegszeit zurückverfolgen. Der Begriff des ,,Jungkonservatismus“2 , unter dem dieses Netzwerk bekannt geworden ist, setzte sich als Bezeichnung für eine der Hauptströmungen innerhalb des antirepublikanischen konservativ-revolutionären Komplexes der Weimarer Republik durch, wobei es durchaus unterschiedliche Meinungen gibt, was diese Strömung ausmachte und wer sie trug. Um der Forschungsdiskussion neue Nahrung zu geben, arbeitet die vorliegende Studie zur Kommunikation und Vernetzung der Jungkonservativen auf der Basis umfangreich erhobener Daten zu den Protagonisten und sie stellt die regelmäßig veröffentlichte Wochenzeitschrift Gewissen in den Mittelpunkt. Das Gewissen war zwar ökonomisch wenig erfolgreich, bildete jedoch den kommunikativen Dreh- und Angelpunkt des jungkonservativen Netzwerks. Ohne die Veröffentlichungen hätte die jungkonservative Strömung kaum existieren können.

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Nicolaus Sombart: Die deutschen Männer und ihre Feinde. Carl Schmitt – ein deutsches Schicksal zwischen Männerbund und Matriarchatsmythos, München 1991, S. 16. Der Begriff Jungkonservatismus oder Jungkonservativismus wurde von den Zeitgenossen so gut wie gar nicht als Selbstbezeichnung verwendet. Vielmehr sprachen die Vordenker von jungkonservativ sein oder jungen Konservativen, um zum einen den überparteilichen Sammlungscharakter des ,,Ringes“ zu unterstreichen. Zum anderen verstanden sich Jungkonservative nicht als Vertreter eines neuen ,,-ismus“, sondern als ,,geistige Vorkämpfer“ mit konservativem Charakter. In dieser Arbeit wird der in der Forschung etablierte Begriff ,,Jungkonservatismus“ verwendet, um die Akteure im Hintergrund der Zeitschrift Gewissen als Netzwerk zu identifizieren.

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1. Einleitung

1.1 Rechtsintellektuelle und ihre Medien als Forschungsgegenstand Das Gewissen bildet heute den einzigen geschlossenen Quellenkorpus, in dem alle engen oder entfernteren Anhänger des Jungkonservatismus zu Wort kamen. Über das Gewissen boten die Jungkonservativen ihre Ideen als zukunftsorientierte Politikkonzepte an, warben sie für ihre Sammlungsbewegung unter der programmatischen Bezeichnung Ring, verbreiteten und vertieften rechte und antirepublikanische Deutungsmuster. Indem sie sich zum einen auf persönliche Erfahrungen und zum anderen auf Weltdeutungen der Vorkriegs- und Kriegszeit bezogen, griffen die Jungkonservativen generationelle Identitätskonstrukte, konservative Leitideen und politische Erwartungen auf, die seit der Jahrhundertwende kursierten, und richteten diese auf die politischen Bedingungen der Nachkriegszeit aus. In der rechtsintellektuellen Gemengelage nach 1918 bildete sich der jungkonservative Kreis frühzeitig heraus, auch weil seine zentrale Figur Moeller van den Bruck schon seit der Kriegszeit als spiritus rector einer nationalen und konservativen Erneuerungsidee wirkte. 1919 fanden schließlich unterschiedliche Persönlichkeiten unter dem gemeinsamen Emblem Der Ring zusammen und gründeten sie den exklusiven Juni-Klub. Dieser bestand bis 1924, als er durch Heinrich von Gleichen in den Herrenklub umgewandelt wurde. Danach und spätestens 1925 mit dem Tod Moeller van den Brucks änderten sich Zusammensetzung und Auftreten der Jungkonservativen. In der Zwischenzeit hatten neben Moeller van den Bruck und Heinrich von Gleichen auch Eduard Stadtler und Max Hildebert Boehm zentrale Rollen innerhalb des jungkonservativen Kreises eingenommen. Sie publizierten ihre Ideenangebote und politischen Forderungen in der Zeitschrift Gewissen, in der innerhalb von sechs Jahrgängen bis zu 280 weitere Autoren schrieben. Radikal konservatives und antipluralistisches Denken mit Sympathien für völkische und faschistische Ideen zirkulierte auf diese Weise unter Anhängern und Sympathisanten der Ring-Bewegung und erreichte zugleich ein bildungsbürgerliches Publikum. Die Zeitschrift Gewissen war Anfang 1919 von einer Berliner Studentengruppe gegründet worden, die unter dem Namen ,,Wohlfahrtsbüro Potsdam“ und mit einer väterlichen Finanzierung ausgestattet eine ,,Unabhängige Zeitung für Volksbildung“ herausgeben wollte. Der Titel war bewusst ,,als Symbol unserer Bestrebungen“ gewählt, wonach der ,,gewissenhafte Mensch“ sein Ziel verfolge, ,,frei von inneren Hemmungen, geläutert durch die harte Selbstprüfung, den freien Blick geradeaus gerichtet“.3 Als sich die Ring-Aktiven nach einem Presseorgan umsahen und die jungen Gewissen-Herausgeber ,,fertig

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Gewissen (24.06.1919) 1, H. 11, S. 2.

1.1 Rechtsintellektuelle und ihre Medien

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mit ihrem Geld waren“4 , passten politische Grundausrichtung, Titel und Gestaltung der Zeitschrift gut zum Konzept der Jungkonservativen. Die offizielle Übernahme des Gewissens durch den Ring im Januar 1920 fiel in eine dynamische Phase des publizistischen Wiederaufbaus. Nachdem 1914 noch etwa 6 400 Zeitschriften auf dem deutschsprachigen Pressemarkt erschienen waren und 1919 nur noch 3 900, waren ein Jahr später schon wieder 4 550 Zeitschriften erhältlich.5 Das Gewissen erschien offiziell bis Ende 1929, wurde hauptsächlich durch Spenden finanziert und hatte nach eigenen Angaben zeitweise eine Auflage von bis zu 4 000 Exemplaren. Die Hauptverbreitung erreichte die Zeitschrift durch den Versand zahlreicher Artikel an bis zu 30 Provinzzeitungen. Die Zeitschrift Gewissen bildete einen zentralen Knotenpunkt des jungkonservativen Netzwerkes, ihre jungkonservativen Inhalte und Protagonisten verbanden zugleich scharnierartig die Vor- und Nachkriegszeit. Die Studie untersucht deshalb über das Medium hinaus die Entstehungsbedingungen rechter Orientierung und rechtsintellektueller Handlungsoptionen zwischen Jahrhundertwende und Weimarer Republik. Um die jungkonservativen Protagonisten und ihr Denken in Verbindung mit dem Gewissen im Sinne einer erweiterten Intellektuellengeschichte zu untersuchen, werden zum einen ideen-, medien- und sozialgeschichtliche Perspektiven verknüpft.6 Zum anderen bildet die Erhebung der Zeitschriftendaten und -inhalte sowie die biographische Erschließung der Herausgeber und eines Großteils der Autoren die empirische Grundlage.7 Mit der Verbindung mehrerer Perspektiven will

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DLA Marbach A: Hans Grimm/Br.A.: Brief (30.06.1941) H. v. Gleichen an Hans Grimm. Heinz-Dietrich Fischer: Deutsche Zeitschriften des 17. bis 20. Jahrhunderts, Pullach bei München 1973, S. 20. Die weitere Steigerung auf 4 967 wurde durch die Inflationsphase unterbrochen: 1922 gab es 4 802, 1923 nur noch 3 734 Zeitschriften. Der Konsolidierungskurs schlug auch in der Verlagsbranche durch, und 1924 gab es schon wieder 5 061, 1925 dann 6 127 Zeitschriften. 1926: 6 739, 1927: 6 870, 1928: 7 116, 1931: 7 652, 1932: 7 284. Vgl. mit leicht abweichenden Zahlen: Heinz Starkulla (Hrsg.): Marktplätze sozialer Kommunikation. Bausteine zu einer Medientheorie, München 1993, S. 142. Ebenfalls: Jürgen Wilke: Grundzüge der Medien- und Kommunikationsgeschichte. Von den Anfängen bis ins 20. Jahrhundert, Köln 2000, S. 352–353. Über die Statistiken äußerte Fischer, dass meistens Publikationen, die nicht als Zeitung einzuordnen seien, als Zeitschrift erfasst wurden. Fischer: Deutsche Zeitschriften, S. 12. Alexander Gallus: ,,Intellectual History“ mit Intellektuellen und ohne sie. Facetten neuerer geistesgeschichtlicher Forschung, in: Historische Zeitschrift, 288.2009 H. 1, S. 139–150. Der Artikel enthält auch die Besprechung von: Ingrid Gilcher-Holtey (Hrsg.): Zwischen den Fronten. Positionskämpfe europäischer Intellektueller im 20. Jahrhundert, Berlin 2006 und Lutz Raphael (Hrsg.): Ideen als gesellschaftliche Gestaltungskraft im Europa der Neuzeit. Beiträge für eine erneuerte Geistesgeschichte, München 2006. Dies in Erweiterung zur Vorgabe: ,,Wer über Intellektuelle im 20. Jahrhundert forscht, braucht daher einen analytischen Bezugsrahmen, der den Forschungsstand umreißt, das Profil der Intellektuellen skizziert.“ Ingrid Gilcher-Holtey: Prolog, in: dies.: Zwischen den Fronten, S. 9–21, S. 9.

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1. Einleitung

die Arbeit zur Differenzierung des politisch-kulturellen Feldes beitragen, auf dem sich die Neue Rechte der Weimarer Republik bewegte. Auf welcher Grundlage und mit welcher Zielsetzung wird nun in dieser Arbeit der Begriff intellektuelles Netzwerk für eine heterogene Gruppierung innerhalb der Neuen Rechten angewendet? Mindestens die Unterstellung von Intellektualität im Zusammenhang mit dem Jungkonservatismus könnte Widerspruch herausfordern. Das mag daran liegen, dass der Intellektuellenbegriff mit Blick auf rechte Denker und Sinnvermittler im 20. Jahrhundert lange Zeit auf prominente Köpfe wie Carl Schmitt, Ernst Jünger oder Martin Heidegger beschränkt war und diese ihn wiederum häufig für sich abgelehnt hatten8 – zu groß waren die Ressentiments gegenüber dem französisch konnotierten Begriff. Unterdessen übersah die Forschung zur Neuen Rechten häufig die intellektuelle Funktion breiterer Schichten oder größerer Gruppen, die sich aus rechtsdenkenden Publizisten oder Autoren zusammensetzten. Neben der Auslassung des kommunikativen Charakters von Intellektualität nutzt es außerdem wenig, ausgerechnet den Intellektuellenbegriff mit einer positiven normativen Aufladung zu versehen, die dazu führt, dass die Absolutheit im Denken als Analyseebene unberücksichtigt bleibt.9 Zu oft noch wird intellektuelle Kritik allein im Zusammenhang mit ihrem Ursprung in der Dreyfus-Affäre und dem ,,öffentlichen Wortergreifen im Namen einer universellen Verantwortung oder der ,Rechte des Menschen‘“gesehen.10 Vielmehr kennzeichnet Intellektuelle, dass sie in ,,öffentlichen Auseinandersetzungen und Diskursen kritisch oder affirmativ intervenieren und Position beziehen; sie sind dabei nicht notwendig an einen bestimmten politischen, ideologischen oder moralischen Standort gebunden“.11 Rechten Kritikern bot sich gerade mit der ,,überforderten Republik“ von Weimar12 ein intellektuelles Eldorado, in dem Radikalität, Opposition und Nonkonformismus in einem bis dahin nicht gekannten Ausmaß möglich waren.13 Das unbedingte Beharren auf den eigenen Ideen und die nach 8

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Über den ,,krampfhafte[n] Versuch, mit Hilfe des Geistes den Geist zu verneinen“ vgl. Synnöve Clason: Schlagworte der ,,Konservativen Revolution“. Studien zum polemischen Wortgebrauch des radikalen Konservatismus in Deutschland zwischen 1871 und 1933, Stockholm 1967, S. 175–176. Zur wechselhaften Begriffsgeschichte vgl. auch Dietz Bering: Die Intellektuellen. Geschichte eines Schimpfwortes, Stuttgart 1978. Wolfgang Sofsky: Illusionslose Beobachtung, in: Uwe Justus Wenzel (Hrsg.): Der kritische Blick. Über intellektuelle Tätigkeit und Tugend, Frankfurt a.M. 2002, S. 177–184, S. 178. Wenzel: Der kritische Blick, S. 11. Stephan Moebius: Intellektuellensoziologie – Skizze einer Methodologie, in: Sozial.Geschichte Online, 2010 H. 2, S. 37–63; online unter http://duepublico.uni-duisburgessen.de/servlets/DocumentServlet?id=22626, 1.12.2010. Ursula Büttner: Weimar. Die überforderte Republik 1918–1933. Leistung und Versagen in Staat, Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur, Stuttgart 2008. Wolfgang Bialas: Intellektuellengeschichtliche Facetten der Weimarer Republik, in: ders.: (Hrsg.): Intellektuelle in der Weimarer Republik, Frankfurt a.M./Berlin/Bern/New York/ Paris 1996, S. 14

1.1 Rechtsintellektuelle und ihre Medien

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dem Krieg anhaltende Diskussion über eine anzustrebende Gesellschaftsordnung14 orientierten sich in den meisten Fällen an über-menschlichen oder metaphysischen Zusammenhängen und kaum an allgemeinen Werten der Freiheit, der Menschenrechte oder des Fortschritts. In diesem Kontext erfüllten Herausgeber und Autoren des Gewissens intellektuelle Funktionen, indem sie sich zukunftsorientiert und mit modifizierten und radikalisierten Versatzstücken konservativer Weltdeutungen an eine ,,neue Elite“ richteten, der sie selbst anzugehören glaubten. Dazu zählten Verbandsvertreter ebenso wie Publizisten und Teile des Adels, die sich auf die modernisierten politischen Gestaltungsmöglichkeiten eingestellt hatten.15 Der Großteil von ihnen stand seit der Vorkriegszeit unter dem Eindruck eines beschleunigten Wandels, von Verlustwahrnehmung und einer Krise des liberalen Fortschrittsoptimismus, der in den 1920er Jahren zu einer radikalen Interpretation von Gegenwart und Zukunft führte.16 Die jungkonservativen Akteure waren insofern nicht nur Vertreter einer kulturkritischen Moderne der Vorkriegszeit, sondern stellten auch einen Übergang zu jenen Intellektuellen des 20. Jahrhunderts dar, die ,,meist akademisch ausgebildete Manager des Politischen oder des Sozialen“ waren und deren ,,Anspruch nicht im Vordenken oder Deuten besteht, sondern in der möglichst effektiven Anwendung von Weltbildern“.17 Die Jungkonservativen agierten insofern als intellektuelle Sinn-Vermittler zwischen der Vor- und Nachkriegszeit, ihre Texte und ihr Auftreten stellten einen Übergang dar. 18 Um diesen analytisch zu erfassen, stehen nicht nur die Ideenverarbeitung und die persönlichen Verbindungen im Mittelpunkt der Untersuchung, sondern auch die spezifischen politisch-kulturellen und so-

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Anselm Doering-Manteuffel: Mensch, Maschine, Zeit. Fortschrittsbewußtsein und Kulturkritik im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts, in: Historisches Kolleg (Hrsg.), Jahrbuch, München 1996, S. 91–119, S. 98. Über den Mangel an dezidierter Forschung zur ,,neuen Elite“: Birgit-Katharine Seemann: Das Konzept der »Elite(n)«. Theorie und Anwendbarkeit in der Geschichtsschreibung, in: Karl Christian Führer/Karen Hagemann/Birthe Kundrus (Hrsg.): Eliten im Wandel. Gesellschaftliche Führungsschichten im 19. und 20. Jahrhundert; für Klaus Saul zum 65. Geburtstag, Münster 2004. S. 24–41, S. 27. Einen ideengeschichtlichen Überblick zur Bundesrepublik, der auch die Vorgeschichte aufgreift, bietet Morten Reitmayer: Elite. Sozialgeschichte einer politisch-gesellschaftlichen Idee in der frühen Bundesrepublik, München 2009. Doering-Manteuffel: Mensch, S. 104, 107 Dirk van Laak: Zur Soziologie der geistigen Umorientierung. Neuere Literatur zur intellektuellen Verarbeitung zeitgeschichtlicher Zäsuren, in: Neue Politische Literatur, 47.2002 H. 3, S. 422–440, S. 432. Gerade rechte Intellektuelle sollten nicht allein werk- und autorenorientiert bearbeitet werden, sondern in ihrem ,,Kommunikationszusammenhang“. Justus Ulbricht: Verlagsgeschichtliche Zugänge zum ideologischen Syndrom ,,Konservative Revolution-Völkische Bewegung-Nationalsozialismus“, in: Walter Schmitz/Clemens Vollnhals (Hrsg.): Völkische Bewegung-Konservative Revolution-Nationalsozialismus. Aspekte einer politisierten Kultur, Dresden 2005, S. 229-233, S. 233.

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1. Einleitung

zialen Rahmenbedingungen,19 in denen sich die Intellektuellen zeitlich und räumlich bewegten. Über die Texte hinaus werden die Umstände ausgeleuchtet unter denen der jungkonservative Kreis in eben dieser Zusammensetzung und zu eben diesem Zeitpunkt zusammenfand und wirkte.20 Um das jungkonservative Zusammentreffen zeitlich, personell und inhaltlich zu erfassen, bietet sich der Netzwerkbegriff an. Ähnlich wie bei der Herausbildung von sozialen Milieus oder Klassen lassen sich die Prozesse, die zur Bildung gemeinsamer symbolischer Ordnungen, Wahrnehmungsschemata und Denkformen führen, auch an spezifischen intellektuellen Netzwerken verfolgen.21 Der Netzwerkbegriff hebt die dynamischen Wechselwirkungen zwischen Inhalten, Teilnehmern und gesellschaftlichen Strukturen hervor22 und betont den hohen Stellenwert der Kommunikation als eine Praktik des Vernetzens.23 Deshalb wird mit seiner Verwendung auch der Gefahr vorgebeugt, im Falle des Jungkonservatismus von einer homogenen Erscheinungsform oder geschlossenen Sphäre auszugehen. Der Jungkonservatismus stellte vielmehr ein heterogenes personengestütztes Deutungsbündnis dar.24 Jenseits von Parteien und Bünden und über seine eigene Klub-Einrichtung hinaus bildete sich der Jungkonservatismus durch informelle Kreise, die gleichermaßen durch Sympathien, Altersgruppen, politische Ziele und Sendungsbewusstsein zusammenfanden.25 Die Studie richtet den Blick auf 19 20 21

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Vgl. Gerd Meier: Zwischen Milieu und Markt: Tageszeitungen in Ostwestfalen 1920-1970, Paderborn 1999, S. 22. Ulrich Prehn: Deutungseliten – Wissenseliten. Zur historischen Analyse intellektueller Prozesse, in: Führer/Hagemann/Kundrus/Saul: Elite, S. 42–69. Prehn: Deutungseliten, S. 49, verweist u. a. auf das geschichtswissenschaftliche Anwendungsbeispiel von Lutz Raphael: Radikales Ordnungsdenken und die Organisation totalitärer Herrschaft: Weltanschauungseliten und Humanwissenschaftler im NS-Regime, in: Geschichte und Gesellschaft, 27.2001 H. 1, S. 5–40. Madeleine Herren: ,,Die Erweiterung des Wissens beruht vorzugsweise auf dem Kontakt mit der Außenwelt“, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, 49.2001 H. 3, S. 197–207, S. 200. Jens Ivo Engels: Von der Heimat-Connection zur Fraktion der Ökopolemiker. Personale Netzwerke und politischer Verhaltensstil im westdeutschen Naturschutz, in: Arne Karsten/Hillard von Thiessen (Hrsg.), Nützliche Netzwerke und korrupte Seilschaften, Göttingen 2006, S. 18–45, S. 21. Über die Anwendung und Entlehnungen sozialwissenschaftlicher Netzwerkanalyse in der Geschichtswissenschaft vgl. Christoph Boyer: Netzwerke und Geschichte: Netzwerktheorien und Geschichtswissenschaft, in: Berthold Unfried/Jürgen Mittag/Marc van der Linden (Hrsg.): Transnationale Netzwerke im 20. Jahrhundert. Historische Erkundungen zu Ideen und Praktiken, Individuen und Organisationen, Leipzig 2008, S. 47– 58; Wolfgang Neurath/Lothar Krempel: Geschichtswissenschaft und Netzwerkanalyse: Potenziale und Beispiele, in: Unfried/Mittag/van der Linden (Hrsg.): Transnationale Netzwerke, S. 59–79. In der sozialwissenschaftlichen Forschung zur gegenwärtigen Neuen Rechten ist dieser Zugriff etabliert, vgl. u. a.: Stephan Braun/Daniel Hörsch (Hrsg.): Rechte Netzwerke – eine Gefahr, Wiesbaden 2004; Alice Brauner-Orthen: Die Neue Rechte in Deutschland. Antidemokratische und rassistische Tendenzen, Opladen 2001.

1.1 Rechtsintellektuelle und ihre Medien

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eben diese Knotenpunkte und ihre Beschaffenheit, um den spezifischen Zusammenhalt der jungkonservativen Gruppe nachzuvollziehen. Gleichermaßen werden die selbstinszenierenden Aussagen der Jungkonservativen untersucht, die zum einen den unterschiedlichen Protagonisten ermöglichten, sich mit den Zielen der Ring-Bewegung zu identifizieren und die zum anderen radikale und gleichzeitig anschlussfähige Meinungen in die öffentliche politische Diskussion einbrachten. Verbindet man den an Personen geknüpften Netzwerkbegriff mit dem intellektuellen Feld der Weimarer Republik, dessen Bezüge bis zum fin de siècle reichten, dann bilden die Aussagen in den Artikeln des Gewissens, aber auch in den Briefen der Beteiligten, nicht nur die Summe einzelner Kommentare, sondern ein komplexes Beziehungsgeflecht, mit dem sich der Jungkonservatismus als ein gemeinsames Sprechen und Deuten entwickelte.26 Soziale Beziehungen sind jedoch nicht nur strukturell, sondern weitaus mehr von persönlichen Interessen bestimmt, die zu berücksichtigen sind. Nicht zuletzt die an Bourdieu orientierte Sozialkapitalforschung betont die erhöhten Chancen, innerhalb von Netzwerken soziale Ressourcen individuell nutzbar machen zu können.27 Auch die jungkonservativen Protagonisten verfolgten individuelle oder Untergruppen-Interessen, die wiederum im Zusammenhang standen mit differierenden Deutungen und Sinnstiftungen, wodurch erst die Dynamik innerhalb des Netzwerkes und der Inhalte entstand.28 Eine intellektuellengeschichtliche Untersuchung zur Weimarer Republik muss auch mit Überlegungen über ein angemessenes Konzept der Moderne verbunden werden, in dem die jungkonservativen Akteure und ihre intellektuelle Funktion verortet werden können. Zum einen bildet die Moderne als geschichtlicher Epochenbegriff die historiographische Rahmung der Untersuchung, zum anderen verweist der Begriff auf einen Wahrnehmungs- und Bewusstseinswandel. Schon im Verständnis um 1900 wurde versucht, mit dem Begriff Moderne, die vielfältigen künstlerischen, literarischen und sozialen programmatischen Richtungen der Gegenwart zu erfassen. Neben der ,,Erforschung und Gestaltung der Welt“ zählte die Autonomie des Individuums zu seinen wichtigen Programmpunkten.29 Nicht zuletzt dieser Anspruch ließ sich in den 1920er Jahren nicht mehr aufrechterhalten und kennzeich-

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Vgl. Fritz Ringer: The Intellectual Field. Intellectual History, and the Sociology of Knowledge, in: ders.: Toward a social history of knowledge. Collected essays, New York/Oxford 2000, S. 3-25. Jan Mewes: Ungleiche Netzwerke – vernetzte Ungleichheit. Persönliche Beziehungen im Kontext von Bildung und Status, Wiesbaden 2009, S. 13. Vgl. Ute Daniel/Inge Marszolek/Wolfram Pyta/Thomas Welskopp: Einleitung, in: dies.: Politische Kultur und Medienwirklichkeiten in den 1920er Jahren, München 2010, S. 9-10. Samuel N. Eisenstadt: Die Vielfalt der Moderne. Übersetzt und bearbeitet von Brigitte Schluchter, Weilerswist 2000, S. 24.

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1. Einleitung

nete die Krisenhaftigkeit der klassischen Moderne.30 Je mehr der Fortschritt ermöglichte, desto weniger Orientierung schien das bisherige Denken zu bieten. Insofern umschloss der Begriff Moderne auch Enttäuschung über die nur selten eingehaltenen programmatischen Ansprüche und markierte er zugleich die erweiterten Wahrnehmungs- und Artikulationsmöglichkeiten der Zeit. Lutz Raphael weist darauf hin, dass der ,,strukturelle Wandel nach 1880 in der Vielfalt der Ordnungsentwürfe zu suchen“ ist, die ,,auf Realisierung drängten“.31 Dieser ,,Möglichkeitsüberschuss an Handlungsoptionen“32 wurde auch mit der Formel von der ,,Gleichzeitig des Ungleichzeitigen“33 umschrieben. Zwischen den zahlreichen Ordnungsentwürfen auf der einen und den ,,richtungs- und gestaltungsoffenen anonymen Veränderungsdynamiken“ auf der anderen Seite nahmen Intellektuelle, Experten und ganze Professionen eine Scharnierfunktion ein: sie entwarfen oder verwarfen Ordnungskonzepte, sie interpretierten die Gegenwart und ihre Defizite, sie planten und vermittelten. Quer zu den gesteigerten Wahrnehmungsmöglichkeiten und daraus folgenden Ordnungskonzepten der Moderne lag das Verhältnis zum Faktor Zeit, das nicht nur äußere Formen wie Normierung und Taktung betraf,34 sondern auch eine gewandelte Deutung des bis dahin linearen Zeitverständnisses. Während der Historismus das geschichtliche Gewordensein der Gegenwart begründete, bildete sich in Reaktion auf Wandel und Beschleunigung eine ,,Orientierung an anderen Modellen von geschichtlicher Zeit heraus, die keine rational nachvollziehbare, geschichtslogische Verbindung zum Hier und Heute aufwies“.35 Mythisierte Wurzeln konnten ebenso Orientierung bieten wie utopische, auf die Ewigkeit abgestellte Zukunftsentwürfe. Daraus ergaben

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Detlev Peukert: Die Weimarer Republik. Krisenjahre der Klassischen Moderne, Frankfurt a.M. 1987. Raphael: Ordnungsmuster, S. 86. Über den historiographischen Stellenwert des Wandels, ders.: Jenseits von Strukturwandel und Ereignis? Neue Sichtweisen und Schwierigkeiten der Historiker im Umgang mit Wandel und Innovation, in: Historische Anthropologie, 17.2009 H. 1, S. 110–120. Lutz Raphael: Ordnungsmuster der ,Hochmoderne‘? Die Theorie der Moderne und die Geschichte der europäischen Gesellschaften im 20. Jahrhundert, in: Ute Schneider (Hrsg.): Dimensionen der Moderne. Festschrift für Christof Dipper, Frankfurt a.M. [u. a.] 2008, S. 73–91, S. 86. Vgl. Ernst Bloch: Erbschaft dieser Zeit, Werkausgabe Bd. 4, Frankfurt a.M. 1985 (Originalausgabe 1935). Vgl. auch Ulrich Herbert: Europe in High Modernity. Reflections on a Theory of the 20th Century, in: Journal of Modern European History, 5.2007 H. 1, S. 5– 21. Rudolf Wendorff : Zeit und Kultur. Geschichte des Zeitbewußtseins in Europa, Opladen 1985, S. 427–434. Doering-Manteuffel: Mensch, S. 104–105. Vgl. auch Otto Gerhard Oexle: Krise des Historismus – Krise der Wirklichkeit. Eine Problemgeschichte der Moderne, in: ders. (Hrsg.): Krise des Historismus – Krise der Wirklichkeit. Wissenschaft, Kunst und Literatur 1880– 1932, Göttingen 2007, S. 11–116.

1.1 Rechtsintellektuelle und ihre Medien

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sich nach 1918 und den Erfahrungen des Krieges die Grundlagen für eine radikale antihistoristische Haltung zur Gegenwart.36 Nachdem Detlev Peukert schon Mitte der 1980er Jahre die Weimar-Forschung um die Perspektive auf die ,,Krise der klassischen Moderne“ und den Ersten Weltkrieg erweiterte, konnte diese Charakterisierung gewinnbringend für die Analyse vermeintlich widersprüchlicher Entwicklungen eingesetzt werden.37 Die Zwischenkriegszeit stellte Intellektuelle vor die dreifache Herausforderung, scheinbar Verlorenes zu suchen, Neues zu finden und zudem selbst als legitime Interessenvertreter in der krisenhaften Gegenwart wahrgenommen zu werden.38 Die krisenhafte Moderne stand insofern auch im engen Zusammenhang mit einem gewandelten Selbstverständnis und Auftreten der Intellektuellen. Julien Benda stellte 1927 fest, dass sich dreißig Jahre nach der Dreyfus–Affäre und dem Aufstieg des modernen Intellektuellen in Europa ,,der Maßstab intellektueller Werte radikal geändert“ habe.39 Der moderne 36

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Zu unterscheiden ist die ,,antihistoristische Revolution“ – ein ,,weit gespannt[es], gesellschaftliches und politisch-ideelles Phänomen der Zwischenkriegszeit“ von der ,,verschleiernden Intention“ der Bezeichnung ,,Konservative Revolution“. Doering-Manteuffel: Mensch, S. 108. Vgl. auch die Zusammenfassung von Peukerts Moderne-Forschung in Frank Bajohr (Hrsg.): Zivilisation und Barbarei. Die widersprüchlichen Potentiale der Moderne. Detlev Peukert zum Gedenken, Hamburg 1991. Aus der Soziologie: Zygmunt Bauman: Moderne und Ambivalenz, in: Uli Bielefeld (Hrsg.): Das Eigene und das Fremde. Neuer Rassismus in der Alten Welt?, Hamburg 1998, S. 23–49. Von den vielen Fallstudien und Sammelbänden, die u. a. darauf aufbauen konnten, soll nur genannt werden, wegen ihrer Betonung der ,,optimistischen Zukunftsbejahung“: Alexandra Gerstner/Barbara Könczöl/Janina Nentwig (Hrsg.): Der neue Mensch. Utopien, Leitbilder und Reformkonzepte zwischen den Weltkriegen, Frankfurt a.M. 2006. In den vergangenen zehn Jahren wandelte sich auch der entsprechende Zugang in den Literatur- und Kunstwissenschaften. Während Franz Dröge 1995 noch eine klare Trennung zwischen den ,,kulturellen Transformationen“ der Moderne und den ,,heterogenen Gruppierungen der ,Konservativen Revolution‘ machte (Franz Dröge/Michael Müller: Die Macht der Schönheit: Avantgarde und Faschismus oder die Geburt der Massenkultur, Hamburg 1995, S. 106), charakterisierte Uwe Ketelsens Aufsatz Moeller van den Bruck als einen ,,vergessenen Autor der Krise der ,Moderne‘“, der ,,ein lehrreicher Autor [ist], weil er die innere Struktur modernen Denkens, dessen innere Widersprüchlichkeit, bloßlegt.“ Uwe K. Ketelsen: Stabilisierte Mobilität. Die mentale Katastrophe der Gegenwart und die nationalistische Ordnung in Arthur Moeller van den Brucks »Das dritte Reich« (1923), in: Uwe Hebekus/ Ingo Stöckmann (Hrsg.): Die Souveränität der Literatur. Zum Totalitären der klassischen Moderne 1900–1933, München 2008, S. 221–238, S. 223. Einen Überblick zur Konjunktur des Moderne-Konzeptes innerhalb der Geschichtswissenschaft bietet Christoph Cornelißen: Ein ständiges Ärgernis? Die Moderne in der (west-)deutschen Geschichtsschreibung, in: Ute Schneider (Hrsg.): Dimensionen der Moderne, Frankfurt a.M. [u. a.] 2008, S. 235–248. Vgl. auch Dagmar Barnouw: Weimar Intellectuals and the Threat of Modernity, Bloomington and Indianapolis 1988, S. 36–37; Wolfgang J. Mommsen: Bürgerliche Kultur und politische Ordnung. Künstler, Schriftsteller und Intellektuelle in der deutschen Geschichte 1830–1933, Frankfurt a.M. 2000. Volker R. Berghahn: »Volk« und »Nation« als Schlüsselsymbole moderner politischer

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1. Einleitung

Intellektuelle sei nunmehr gekennzeichnet durch die ,,Perfektionierung der politischen Leidenschaft“40 , die durch die anti-aufklärerische Wendung und vitalistische ,,Lebensideologie“ möglich geworden sei.41 In der Tat war mit der Vielzahl an neuen Möglichkeiten gleichzeitig der intellektuelle Anspruch auf Synthese aller Lebensbereiche gestiegen, der in der Folge zu einem determinierenden Denkmuster avancierte. Unterschiedliche Denker versuchten auf ebenso unterschiedliche Weise mit den disparaten Verhältnissen zwischen äußerer Welt und innerer Sinngebung umzugehen. Die Kritiker des angeblich unreflektiert fortschrittlichen und die notwendige Synthese ignorierenden Bildungsbürgertums erwuchsen am Ende aus ihm selbst; ihr antibürgerlicher Stil diente der Distinktion und Selbstvergewisserung.42 Zeitgleich mit dem qualitativen Reflexionsschub intellektueller Kritik trat ein institutioneller und sozioökonomischer Wandel in der Wissenschaft zutage,43 mit dem die Jahrhundertwende vollends zur ,,Achsenzeit“ für die Herausforderung der bisherigen gelehrten Meinungsführer und der öffentlichen Intellektuellen geriet. Durch technische Innovationen und funktionale Differenzierungen, die zu einer ,,vielfach fragmentierten Massenkommunikationsgesellschaft“ führten, ergaben sich ,,allerbeste Voraussetzungen für immer neue Intellektuellenkarrieren“.44 Mit den technischen Rahmenbedingungen erhöhte sich die Taktzahl intellektueller Kritik und bildete sich zudem eine Aufmerksamkeitskonkurrenz heraus. Indem Intellektuelle ihr Wissen vor diesem Hintergrund organisierten und vernetzten, nahmen sie intensiver an den ,,kulturellen Produktionsverhältnissen“ teil und somit am Kampf um ,,Wahrnehmungs-, Denk- und Klassifikationsschemata“, die in

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Religion, in: Ulrike Jureit (Hrsg.): Politische Kollektive. Die Konstruktion nationaler, rassischer und ethnischer Gemeinschaften, Münster 2001, S. 183–198, S. 164. Julien Benda: La trahison des clercs (dt. Der Verrat der Intellektuellen), Paris 1927. Zum Begriff der Lebensideologie vgl. Martin Lindner: Leben in der Krise. Zeitromane der Neuen Sachlichkeit und die intellektuelle Mentalität der klassischen Moderne. Mit einer exemplarischen Analyse des Romanwerks von Arnolt Bronnen, Ernst Glaeser, Ernst von Salomon und Ernst Erich Noth, Stuttgart 1994; H. Stuart Hughes: Consciousness and Society. The Reorientation of European social thought 1890–1930, New York 1958. Zygmunt Bauman: Unerwiderte Liebe. Die Macht, die Intellektuellen und die Macht der Intellektuellen, in: Ute Daniel/Wolfram Siemann (Hrsg.): Propaganda. Meinungskampf, Verführung und politische Sinnstiftung (1789–1989), Frankfurt a.M. 1994; S. 172–200, S. 182. Indem er die Gesellschaft reflektierte, reflektierte der moderne Intellektuelle immer auch sich selbst und begann erst durch diese Tätigkeit zu existieren. Prehn: Deutungseliten, in: Führer/Hagemann/Kundrus/Saul: Eliten, S 42–69, 46. Das bedeutet auch, dass der Intellektuelle nie interesselos oder gar autonom agieren kann. Wolfgang Bialas/ Eckhardt Fuchs: Intellektuelle in der Zwischenkriegszeit im Spannungsfeld von Macht und Geist. Ein internationaler Vergleich, in: comparativ, 5.1995 H. 6, S. 7–14, S. 10. Vgl. auch Jan Eckel: Geist der Zeit. Deutsche Geisteswissenschaften seit 1870, Göttingen 2008. Gangolf Hübinger: Gelehrte, Politik und Öffentlichkeit. Eine Intellektuellengeschichte, Göttingen 2006, S. 234.

1.1 Rechtsintellektuelle und ihre Medien

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der Gesellschaft kursierten.45 Und schließlich wirkte der Erste Weltkrieg geradezu ,,stilbildend“ auf Kritik und Utopie,46 so dass nicht mehr nur Suche, Kritik und Vermittlung zu den Leitmotiven intellektueller Tätigkeit gehörten, sondern auch Erneuerungsanspruch, öffentliches Agieren und die drängende Forderung nach Realisierung der vorgeschlagenen Ordnungskonzepte.47 Die intellektuelle Leistung der Jungkonservativen während der ,,Krise der klassischen Moderne“ lag in ihrer Fähigkeit, kulturkritische Motive der Moderne aufzugreifen und mit einigen Erweiterungen auf einer modernen Kommunikationsplattform als politische Anwendungskonzepte anzubieten. Sie generierten hierbei kaum neue Ideen, sondern boten modifizierte elitäre Identitäts- und Denkmuster als Erklärung für globale Zusammenhänge der Nachkriegszeit aus nationalistischer Sicht an.48 Als intellektuelle Vermittler bewegten sie sich im Spannungsverhältnis zwischen geistesaristokratischem Anspruch und handfester Machtpolitik: Jungkonservative agierten innerhalb des politischen Kommunikationsfeldes der Weimarer Republik weder freischwebend noch in Opposition zur Macht. Sie suchten vielmehr die Nähe zur wirtschaftlichen Macht, um die akute politische Macht enteignen zu können. Sie vertraten ihre gedachte Ordnung in den Medien und sie verbanden leidenschaftliche Kommentare mit beruflicher Kompetenz. Sie betonten ihren Sachverstand und urteilten moralisch. Sie organisierten politische Öffentlichkeit und bildeten gleichzeitig einen exklusiven Zirkel. Sie forderten unbedingten Einsatz und verweigerten eine verbindliche Program45

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Gilcher-Holtey: Prolog, S. 15. Vgl. auch Rainer M. Lepsius: Kritik als Beruf. Zur Soziologie der Intellektuellen, in: ders. (Hrsg.): Interessen, Ideen, Institutionen, Opladen 1990, S. 270–285. Lepsius unterscheidet kompetente Kritik innerhalb einer Profession und inkompetente, d. h. nicht-institutionalisierte Kritik. In der öffentlichen Auseinandersetzung komme es darauf an, dass der inkompetente Kritiker (,,typischerweise die Schriftsteller, die Publizisten und Journalisten, die Wissenschaftler“, ebd. S. 284) nachweise, dass seine Kritik legitim sei. Die Legitimität hänge davon ab, ,,inwieweit in einer Gesellschaft über bestimmte allgemeine Werte Konsens besteht“, sowie von der Kompetenz, bisherige ,,Interpretationsmonopole“ zu entkleiden oder umzuwandeln (also diskursive Macht auszuüben). Ebd. S. 282. Ähnlich auch: ,,Wer die Dinge benennt, beherrscht sie. Definitionen schaffen ,Realitäten’. Wer definiert, greift aus der Fülle möglicher Aspekte einen heraus, natürlich denjenigen, der ihm wichtig erscheint.“ Martin Greiffenhagen: Kampf um Wörter? Politische Begriffe im Meinungsstreit, Bonn 1980, S. 12. van Laak: Zur Soziologie, S. 426. Wenn der ,,spezifische“ Intellektuelle sich organisiert und vernetzt, kann seine diskursive Macht politische Leit- und Ordnungsprinzipien bestimmen. Pierre Bourdieu nahm sich Foucaults Konzept des ,,spezifischen“ Intellektuellen an und entwickelte diesen zum ,,kollektiven“ Intellektuellen weiter. Vgl. u. a. die Interviews ,,Stehen die Intellektuellen außerhalb des Spiels?“ und ,,Wie die Intellektuellen befreien?“ in Pierre Bourdieu: Soziologische Fragen, Frankfurt a.M. 1993; vgl. auch Paul Nolte: Die Ordnung der deutschen Gesellschaft. Selbstentwurf und Selbstbeschreibung im 20. Jahrhundert, München 2000. Lutz Hoffmann: Die Konstitution des Volkes durch seine Feinde, in: Wolfgang Benz (Hrsg.): Jahrbuch für Antisemitismusforschung, Frankfurt a.M./New York 1992, S. 13– 37, S. 27.

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1. Einleitung

matik. Sie beanspruchten einen Teil der politischen Macht und lehnten jede Verantwortung für die Folgen ab.49 Die Leitfragen der vorliegenden Studie greifen dieses Spannungsverhältnis auf und verfolgen im Detail das Netzwerk der Produzenten, die Produktionsbedingungen und Vermittlung jungkonservativer Vorstellungen: Wer schrieb im Gewissen? Wie fanden die Herausgeber zueinander und was verband sie? Über welche Prägungen und Erfahrungsmuster verfügten die Autoren des Gewissens? Welche Ideen wurden auf dieser Basis im Gewissen formuliert? In welchem mentalitäts- und sozialhistorischen Kontext geschah dies? Und durch welche Umstände, Rivalitäten und Konjunkturen veränderte sich die Gewissen-Publizistik? Wie knüpfte sie schließlich an die politische Agenda der Weimarer Republik an und auf welche Weise versuchten die Aktiven Einfluss zu nehmen?

1.2 Forschungsperspektiven auf Ideen, Medium und Akteure Aus dem Ansatz, das Zusammentreffen und Wirken unterschiedlicher jungkonservativer Akteure während der frühen Weimarer Republik zu untersuchen, ergibt sich eine notwendige Problematisierung der drei Bezugsfelder Ideen, Medium und Biographie. Ideen und Biographien bilden ein Gitternetz sich wandelnder Einflüssen, vor dem das Untersuchungsobjekt Gewissen als Medium jungkonservativer Identität steht und mit Blick auf Text und Sprache, Themen und Bezüge, biographische Muster und Spezifika durchleuchtet wird. 1.2.1 Neue Rechte ,,Der Konservativismus in Deutschland vergaß völlig, dass das zu Erhaltende ursprünglich ein zu Erringendes gewesen war. Und er vergaß, dass es nur dann erhalten werden kann, wenn es immer wieder errungen wird.“50

Die Männer, die unter den ideellen Vorzeichen eines zu erneuernden Konservatismus nach dem Ersten Weltkrieg zusammenfanden und sich als ,,Rufer“ und geistige Vorkämpfer verstanden, bezeichneten sich in begrifflicher Ab49

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Gangolf Hübinger: Die politischen Rollen europäischer Intellektueller im 20. Jahrhundert, in: Ders./Thomas Hertfelder (Hrsg.): Kritik und Mandat. Intellektuelle in der deutschen Politik, Stuttgart 2000, S. 30–44, S. 39. Moeller van den Bruck (17.03.1920): ,,Konservative Schuld“, in: Gewissen, 2, H. 11, S. 1–3.

1.2 Forschungsperspektiven

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grenzung zum Parteikonservatismus als Jungkonservative. Sie waren Teil einer breiten antirepublikanischen Rechtsopposition, für die sich im Verlauf der 1920er Jahre auch die Eigenbezeichnung Konservative Revolution etablierte. Über den Begriff der Konservativen Revolution wurde in der Forschung viel diskutiert.51 Zum einen ist er als zeitgenössischer Begriff für eine wissenschaftliche Annäherung problematisch, zum anderen bietet seine inhaltliche Paradoxie zwar die Möglichkeit zur Annäherung an eine Denk-Haltung, aber zugleich wenig Substanz für eine verbindliche Definition. Letzteres kann mit dem Begriff der ,,Neuen Rechten“ deutlicher geleistet werden, der die qualitative Veränderung im rechten Denken nach 1918 ausdrückt und zugleich Akteure mit unterschiedlichen politischen Leitideen von konservativ bis faschistisch umfasst.52 Insofern kann der Begriff Konservative Revolution nur bedingt als analyti51

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Die zahlreichen Forschungsbeiträge können mittlerweile als Meta-Geschichte zur Konservativen Revolution gelesen werden. Vgl. die Kommentierung bei Stefan Breuer: Gab es eine ,,konservative Revolution“ in Weimar? in: Internationale Zeitschrift für Philosophie (IZPH) 2000 H. 2, S. 145–156. Außerdem: Dupeux: Die Intellektuellen, in: Schmitz/Vollnhals: Völkische, S. 3–19; Gangolf Hübinger: Säkulare Zeitwendung und ,,Konservative Revolution“. Zur Politik mit historischem Epochenbewußtsein, in: Neue Politische Literatur, 46.2001 H. 3, S. 371–388; Armin Pfahl-Traughber: Konservative Revolution und neue Rechte. Rechtsextremistische Intellektuelle gegen den demokratischen Verfassungsstaat, Opladen 1998, S. 48–43; Karl-Heinz Weißmann: Die Konservative Revolution–Forschungsstand und Desiderata, in: Caspar von Schrenck-Notzing (Hrsg.): Stand und Perspektive der Erforschung des Konservatismus, Berlin 2000, S. 119–140. Der Begriff machte den Nationalsozialisten wegen seiner scheinbar alle rechten Positionen umfassenden Bedeutung Probleme, denn er stellte aus ihrer Sicht die Bedeutung der ,,nationalen Revolution“ in den Schatten. Zum bekanntesten Opfer wurde im Juni 1934 Herrenklub-Mitglied Edgar Julius Jung. Vgl. Edmund Forschbach: Edgar J. Jung. Ein konservativer Revolutionär; 30. Juni 1934, Pfullingen 1984. Nach 1945 konnte mit dem Verweis auf eine Konservative Revolution und mit Blick auf die vermeintlich harte Zäsur 1933 eine deutliche Abgrenzung konservativer Traditionen zum Nationalsozialismus markiert werden. Armin Mohler: Die Konservative Revolution in Deutschland 1918– 1932. Ein Handbuch. Hauptband und Ergänzungsband in einem Band, Graz 1994. Vgl. dazu Dirk van Laak: ,,Nach dem Sturm schlägt man auf die Barometer ein . . . “. Rechtsintellektuelle Reaktionen auf das Ende des ,,Dritten Reiches“, in: WerkstattGeschichte, 6.1997 H. 17, S. 25–44, S. 35. Für die aktuelle Neue Rechte bietet die deutliche Unterscheidung zwischen NS und Konservativer Revolution die Möglichkeit, an die Ideen der Letzteren anzuknüpfen, um sie neu codiert gegen das Grundgesetz anzuwenden. Kurt Lenk/Günter Meuter/Henrique R. Otten: Vordenker der Neuen Rechten, Frankfurt a.M./ New York 1997, S. 12. Vgl. auch Wolfgang Gessenharter/Thomas Pfeiffer (Hrsg.): Die Neue Rechte – eine Gefahr für die Demokratie? Wiesbaden 2004. In der aktuellen Forschung geraten unterschiedliche Erscheinungsformen in europäischer Dimension zunehmend in den Blick: Patricia Chiantera-Stutte: Von der Avantgarde zum Traditionalismus. Die radikalen Futuristen im italienischen Faschismus von 1919 bis 1931, Frankfurt a.M. 2001; Bernhard Dietz: Gab es eine Konservative Revolution in Großbritannien? Rechtsintellektuelle am Rande der Konservativen Partei 1929-1933, in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte, 54.2006 H. 4, S. 607–638; Hans-Wilhelm Eckert: Konservative Revolution in Frankreich? Die Nonkonformisten der ,,Jeune Droite“ und de ,,Ordre Nouveau“ in der Krise der 30er Jahre, München 2000; Marcello Veneziani:

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1. Einleitung

sche Kategorie für die vielgestaltige antirepublikanische Rechte der Weimarer Republik verwendet werden, die sich zwar oftmals auf konservative Werte berief, aber konkret erst durch die Opposition und Verständigung über Gegenstrategien zu den pluralistischen Gesellschafts- und Politikformen wirksam wurde. Axel Schildt sieht diese Gemeinsamkeit in unterschiedlichen Formationen seit der Jahrhundertwende auftreten, deren anti-wilhelminische und anti-liberale Feindbilder auch in den Konservatismus Eingang fanden.53 In diesen Formationen bewegten sich Intellektuelle, durch eine spezifische Haltung im Denken miteinander verbunden, die sich aus der vitalistischen, kulturkritischen, mitunter pessimistischen Strömung der Vorkriegszeit generierte und nach 1918 in eine dynamische Denk-Haltung transformierte.54 Die Neuen Rechten waren zukunftsorientiert, lehnten aber in unterschiedlichem Ausmaß die Folgen von Modernisierung, Pluralisierung oder Bürokratisierung ab.55 Die Bezeichnung Konservative Revolution verdeutlicht diese gegenläufige Haltung, die wiederum in der Forschung unterschiedlich rezipiert wurde, etwa als reaktionäre Moderne56 , antimoderne Stoßrichtung57 oder auch moderne Antimoderne.58 Ohne eine weitere Begriffsschöpfung beisteuern zu wollen, beschäftigt sich die vorliegende Untersuchung mit der aus heutiger Sicht inneren Paradoxie im Denken jungkonservativer Akteure. Im Kontext der Nachkriegszeit und in der jungkonservativen Binnenlogik bedeutete diese Paradoxie nichts anderes als eine organologische Synthese, die ,,sich auf angeblich unvergängliche Werte stützt, diesen Werten aber doch

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La rivoluzione conservatrice in Italia. Genesi e sviluppo della ,,ideologia italiana“ fino ai nostri giorni, Carnago 1994. Axel Schildt: Radikale Antworten von Rechts auf die Kulturkrise der Jahrhundertwende. Zur Herausbildung und Entwicklung der Ideologie einer ,,Neuen Rechten“ in der Wilhelminischen Gesellschaft des Kaiserreichs, in: Jahrbuch für Antisemitismusforschung 4, 1994, S. 63–87, S. 69. Alan E. Steinweis: Conservatism, National Socialism, and the Cultural Crisis of the Weimar Republic, in: Larry Eugen Jones/James N. Retallack (Hrsg.): Between reform, reaction and resistance: studies in the history of german conservatism, Providence 1993, S. 329– 346. Louis Dupeux: Die Intellektuellen der »Konservativen Revolution« und ihr Einfluss zur Zeit der Weimarer Republik in: Schmitz/Vollnhals: Völkische, S. 7. Über Möglichkeiten, Umfang und Wirkungen der politischen Modernisierung vgl. auch Martin Vogt: Die Erneuerung des Staates. Gedanken zur aufgehaltenen Modernisierung in der verspäteten ersten deutschen Republik, in: Schneider: Dimensionen, S. 511–527. Über die Pluralität von Modernisierung und Modernisierungstheorien: Axel Schildt: Modernisierung, Version: 1.0, in: Docupedia-Zeitgeschichte, 11.2.2010. Online unter http://docupedia.de/ docupedia/index.php?title=Modernisierung&oldid=71037, (11.6.2010). Jeffrey Herf : Reactionary Modernism. Technology, culture, and politics in Weimar and the Third Reich, Cambridge 1990. Claudia Bruns: Ricarda Huch und die Konservative Revolution, in: WerkstattGeschichte, 9.2000 H. 25, S. 5–33. Volker Weiß: Moderne Antimoderne. Arthur Moeller van den Bruck und die Transformation des Konservatismus in Deutschland, phil. Diss. Hamburg 2009.

1.2 Forschungsperspektiven

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erst durch einen radikalen Umsturz neue Geltung verschaffen, ja mehr noch, sie durch einen dezisionistischen Akt des souveränen Subjekts überhaupt erst erschaffen zu müssen glaubt.“59 Moeller van den Brucks mittlerweile in den Begriffshaushalt eingegangene Aussage, konservativ sein bedeute, ,,Dinge zu schaffen, die zu erhalten sich lohnt“,60 könnte insofern auch als utopischer Traditionalismus interpretiert werden. ,,Erschaffung“ und ,,Erhaltung“ bildeten in der Konservativen Revolution die Fluchtpunkte politischer Zukunftsentwürfe. In der Folge geriet der Begriff Konservative Revolution zur Metapher, Apologie und Abgrenzungskategorie gegenüber völkischen, faschistischen oder nationalsozialistischen Denkmustern.61 Im Kern bezogen sich Konservative Revolutionäre laut Kurt Lenk auf eine Mischung ideologischer Grundlagen62 , und Louis Dupeux spricht von ,,verschwommener Ideologie“.63 Stefan Breuer weist darauf hin, die ,,Konservative Revolution“ sei eine ,,Erscheinungsform eigener Art“ und ein Ensemble von Orientierungsversuchen der krisenhaften Moderne gewesen,64 die sich im Kern auf einen ,,Neuen Nationalismus“ bezogen habe.65 Anders als Breuer 59

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Richard Herzinger: Kulturkrieg und utopische Gemeinschaft. Die ,,Konservative Revolution“ als deutscher antiwestlicher Gegenmodernismus, in: Volker Eickhoff /Ilse Korotin (Hrsg.): Sehnsucht nach Schicksal und Tiefe. Der Geist der Konservativen Revolution, Wien 1997, S. 14–39, S. 25. Moeller van den Bruck: Das dritte Reich, Berlin 1931, S. 27. Erst gegen Ende der Weimarer Republik sei der Versuch unternommen worden, den Begriff mit Inhalt zu füllen. Jost Müller: Mythen der Rechten. Nation, Ethnie, Kultur, Berlin 1995, S. 143–144. Als Oberbegriff stellt er zudem einen Euphemismus dar, ,,der die Artikulation von Konservatismus und Faschismus verdeckt und so den Bestrebungen der ,Neuen Rechten‘ entgegenkommt, für sich selbst einen epochemachenden Begriff zu kreieren“. Kurt Lenk: Deutscher Konservatismus, Frankfurt a.M./New York 1989, S. 109. Dupeux: Die Intellektuellen, in: Schmitz/Vollnhals: Völkische, S. 7. Stefan Breuer: Anatomie der Konservativen Revolution, Darmstadt 1995, S. 5. Das neue Element eines solchen Nationalismus sieht Breuer im charismatischen Charakter der Nation, in der die Individuen zu einem Kollektiv eingeschmolzen werden, ,,das zu einem Großsubjekt mit charismatischen Attributen hypostasiert wird“. Charisma wird beim ,,neuen Nationalismus“ weniger einer Person, sondern ,,der Nation als ,überpersönlicher Idee‘ zugeschrieben“, der Führer verkörpert dabei eine Funktion als ,,Mittel zum Zweck der Nation“. Ebd., S. 192. Vgl. auch ders.: Grundpositionen der deutschen Rechten 1871–1945, Tübingen 1999. Auch Christoph Werth geht in seiner Untersuchung zur Diskussion über ,,Nationalismus“ und ,,Sozialismus“ davon aus, dass es eine ,,Konservative Revolution“ nicht gab, weil es ,,keine allgemein verbindliche Doktrin“ und keine ,,zeitliche Eingrenzung“ gab. Werth spricht vielmehr von ,,Rechtssozialismus“. Christoph H. Werth: Sozialismus und Nation. Die deutsche Ideologiediskussion zwischen 1918 und 1945, Weimar 2001, S. 232. Hübinger: Säkulare Zeitenwende, S. 372. Stefan Breuer: Arthur Moeller van den Bruck. Politischer Publizist und Organisator des Neuen Nationalismus in Kaiserreich und Republik, in: Hübinger/Hertfelder: Kritik, S. 138–150, S. 26. Auch Manfred Schoeps betont, die Aktiven seien zwar an einem konservativen Wertekanon orientiert, aber vor allem habe der Nationalismus als verbindendes Element aller ,,Gruppen, Bünde und Konventikel“ gewirkt. Manfred Schoeps: Der deutsche Herrenklub. Ein Beitrag zur Geschichte des Jungkonservatismus in der Weimarer

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1. Einleitung

sieht Raimund von dem Bussche einen gemeinsamen konservativen Bezug im ,,antidemokratischen Denken“.66 Während der Suche ,,nach einer neuen Einheit“ entwickelten Konservative zunehmend eine ,,politische Haltung“, die einen ,,unpolitischen Zustand“ mit ,,politischen Mitteln“ restaurieren wollte.67 Um inhaltlich-semantische Aspekte, organisatorische und persönliche Momente berücksichtigen zu können, reicht der Begriff ,,Neuer Nationalismus“ in der Tat nicht aus, da er ,,die Probleme zur Erfassung der neuartigen und extrem werdenden politischen Bewegungen des frühen 20. Jahrhunderts“ nicht löst, sondern neue Ungenauigkeiten befördert.68 Nach Gangolf Hübinger liegt die leitthematische Funktion des Begriffs ,,Konservative Revolution“ in seiner ,,Komprimierung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft“, die ,,oberhalb der heterogenen ideologischen Ziele der untereinander vielfach verfeindeten nationalistischen Bewegungen“ verortet werden könne. Indem er nach intellektuellem Gehalt, Selbstbezügen und radikalen Potenzialen fragt, lenkt Hübinger zum einen den Blick auf den performativen und diskursiven Charakter der Strömung und zum anderen auf die politisch-funktionale Bedeutung der rechtsoppositionellen Strömung in der Weimarer Republik. Dementsprechend gilt es, nicht nur die ideellen, programmatischen Gemeinsamkeiten radikalkonservativer Vereinigungen in den Blick zu nehmen, sondern auch nach dem Cui bono der Akteure zu fragen. Denn wenn die Frage nach dem Was gestellt wird, muss auch geklärt werden, welche Akteure mit welchen Interessen und Strategien vorgingen.69 Eingedenk Hübingers

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Republik, Erlangen 1974, S. 9. Schwierskott wie Schoeps arbeiteten mit Material des ehemaligen Mitglieds im Jungkonservativen Klub, Philipp Schmidt. StaMg 15/13/184 NL Heinz Brauweiler: Auszüge aus dem Briefwechsel Ringleb-Schwierskott. Schmidt hatte als Anhänger der Moeller-Ideen zahlreiche Manuskripte, Entwürfe und Schriften angesammelt. In einem Brief an Brauweiler beklagte er kurz vor Erscheinen von Schoeps‘ Dissertation, dass diese wie die Arbeiten von Sontheimer oder Mauersberger ,,ein Provisorium sein“ werden. Ganz im Duktus der alt gewordenen Radikalkonservativen, die sich vor allem unverstanden fühlten, warf er den Untersuchungen mangelnde Empathie vor, bzw. Rationalisierung und Vereinfachung einer hochkomplexen Materie: ,,Keinem der jungen Zeit-Historiker, die sich bisher um die jungkonservative Sache bemühten, ist bisher ein Licht darüber aufgegangen, dass es sich hier in keinster Weise um eine weitere konservative Theorie, Ideologie handelte. [...] Das war keine Revolution, keine Reform. Es war eine Wiederanknüpfung an die Impulse der Freiheitskriege, die keine Frucht – die Gründe sind unerheblich – getragen.“ StaMg 15/13/186 NL Heinz Brauweiler: Brief (09.05.1974) Philipp Schmidt an Heinz Brauweiler. Vielmehr entziehe sich doch die ,,metapolitische Esoterik“ des Rings einer ,,wissenschaftlichen Analyse“ Ebd., Brief (28.06.1974) Philipp Schmidt an Heinz Brauweiler. Kurt Sontheimer: Antidemokratisches Denken in der Weimarer Republik. Die politischen Ideen des deutschen Nationalismus zwischen 1918 und 1933, München 1994. Raimund von dem Bussche: Konservatismus in der Weimarer Republik. Die Politisierung des Unpolitischen, Heidelberg 1998, S. 18. Hübinger: Säkulare Zeitenwende, S. 372. So etwa aus geschlechtergeschichtlicher Perspektive; vgl. u. a. Kirsten Heinsohn, Konservative Parteien in Deutschland 1912 bis 1933. Demokratisierung und Partizipation in geschlechterhistorischer Perspektive, Düsseldorf 2010; Eva Schöck-Quinteros/

1.2 Forschungsperspektiven

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Forderung nach Erforschung intellektueller Handlungsmöglichkeiten, mit denen Synthesen entwickelt, Utopien entworfen und an der Vergangenheit rückversicherte Ordnungskonzepte für eine moderne Gesellschaft formuliert wurden, geht die vorliegende Untersuchung den Argumenten und Machtlogiken in der jungkonservativen Publizistik nach. In der Forschung kursieren unterschiedliche Auffassungen von der Zusammensetzung und zeitlichen Wirkung der Jungkonservativen, je nachdem, ob eher nach der ideellen Strömung70 oder den Akteuren gefragt wird. HansJoachim Schwierskotts71 Arbeit zur Entstehungs- und Frühphase würdigte u. a. Klemens von Klemperers ,,Germany‘s New Conservatism“72 und schlussfolgerte darüber hinaus, die Bezeichnung ,,Jungkonservatismus“ sei eine Identitätskategorie für die Aktiven der Ring-Bewegung, die sich um die Person Moeller bildete und durch die Rezeption seiner Texte ausprägte.73 Um den generationsspezifischen Erfahrungshorizont des jungkonservativen Ring-Kreises zu erschließen, griff Berthold Petzinna konsequent auf die Rolle

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Christiane Streubel (Hrsg.): ,,Ihrem Volk verantwortlich“. Frauen der politischen Rechten (1890-1937), Berlin 2007; Christiane Streubel: Radikale Nationalistinnen. Agitation und Programmatik rechter Frauen in der Weimarer Republik, Frankfurt a.M. 2006; Andrea Süchting-Hänger: Das ,,Gewissen der Nation“. Nationales Engagement und politisches Handeln konservativer Frauenorganisationen 1900 bis 1937, Düsseldorf 2002. Einen Forschungsüberblick zur Geschlechterforschung in der politischen Rechten bietet Christiane Streubel: Forschungen zur politischen Rechten. Allgemeine Geschichte und Geschlechterforschung im Dialog, in: Schöck-Quinteros/Streubel: ,,Ihrem Volk“, S. 9–55. Als vergleichsweise ,,geschlossene Ideologie“ nennt den Jungkonservatismus: Heide Gerstenberger: Der revolutionäre Konservatismus, Berlin 1969, S. 9. Als Kern der Konservativen Revolution bezeichnet ihn Pfahl-Traughber: Konservative, S. 52. Hans-Joachim Schwierskott: Arthur Moeller van den Bruck und der revolutionäre Nationalismus in der Weimarer Republik, Göttingen 1962. Schwierskott stützte sich für seine Dissertation u. a. auf Aussagen von Moellers Ehefrau Lucy oder von Mitarbeitern wie Heinz Brauweiler, Alexander Ringleb, Max Hildebert Boehm und Hans Grimm. Erste Versuche zur Historisierung hatte es Ende der 1950er Jahre gegeben. Nach dem Tod Heinrich von Gleichens 1959 versuchte sein Sohn eine Broschüre zusammenzustellen, in der durch Zeitzeugen-Erinnerungen die Arbeit seines Vaters dokumentiert werden sollte. Nach seiner Anfrage bei der ehemaligen Sekretärin Gleichens berichtete diese: ,,Vor Jahren einmal hat ein Herr Dr. Mommsen von einer Bundesarchivstelle oder ähnlichem, ich glaube es war in Bonn, um Material gebeten. Man scheint also auch hier die geschichtliche Lücke zu empfinden. [...] Daß etwas geschrieben werden muß, darin sind sich doch wohl alle einig.“ StaMg 15/13/181 NL Heinz Brauweiler: Brief (27.08.1959) Hertha Gunsch an Herrn von Gleichen. Ob jemals eine Broschüre erschien, konnte nicht recherchiert werden. Klemens von Klemperer: Germany’s New Conservatism. Its History and Dilemma in Twentieth Century, Princeton 1957; deutsch: Konservative Bewegungen. Zwischen Kaiserreich und Nationalsozialismus, München/Wien 1957. Heinz Brauweiler kritisierte an Schwierskotts Dissertation die ,,Charakterisierung ,revolutionärer Nationalismus‘ – wir waren eigentlich wenig ,revolutionär’. Soweit ich mich selbst der jungkonservativen Bewegung verbunden fühle, so war in unserem Kreis jedenfalls das Jungkonservative mächtiger als das Revolutionäre“. StaMg 15/13/184 NL Brauweiler: Brief (13.02.1961) Heinz Brauweiler an Hans Joachim Schwierskott.

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1. Einleitung

der ,,ästhetischen Opposition“ im Wilhelminismus zurück, in der ,,Stilsuche“ und kulturpolitisches Sendungsbewusstsein zu den genuinen Motiven gehörten.74 In der DDR-Forschung galt der Jungkonservatismus zwar als blockhafte Vereinigung, ideologischer Arm des industriellen Komplexes und Förderer des Faschismus, gleichwohl bietet Joachim Petzolds Arbeit informative Grundlagen für die Auseinandersetzung mit dem Juni-Klub.75 Auch die struktur- und organisationsgeschichtliche Untersuchung Yuji Ishidas, die auf die letzten Jahre der Ring-Bewegung in der Weimarer Republik eingeht, gehört nach wie vor zu den Standardwerken für eine erste Annäherung. Ishida stellt die geistesgeschichtliche Linie vom Konservatismus zu den Rechtsströmungen der Weimarer Republik nicht in Frage und betont das verbindende Element einer ,,anti-republikanischen Politik“ der ,,konservativen und nationalen Kräfte“, die der Republik ,,früher oder später sowohl das materielle als auch das ideologische Fundament“ entziehen sollte.76 Die Unsicherheiten bei der Bewertung, inwiefern die Jungkonservativen tatsächlich konservativen Leitideen folgten, ergeben sich aus einem teils unvollständigen Analyserahmen. Denn nicht nur Persönlichkeiten, Kontakte und Inhalte bestimmten das jungkonservative Profil, sondern auch die öffentliche Vermittlung und Kommunikation nachvollziehbarer Gegenwartsdeutungen und Zukunftsprognosen. Da sich die Jungkonservativen nach ihrem Selbstverständnis werbend und ,,rufend“ an eine bestimmte Zielgruppe wandten, mussten sie im Gewissen an tradierte Deutungsmuster ihrer Leser, aber auch ihrer Mitstreiter anknüpfen. Konservative Leitideen waren hier der kleinste gemeinsame Nenner, der zugleich nationalistische, rassistische, autoritäre oder faschistische Einflüsse zuließ. Wenn Karl-Heinz Weißmann die Veränderungen innerhalb des Jungkonservatismus ab 1924 als einen ausgleichenden Tendenzwechsel vorheriger ,,ideologischer Differenzen“77 interpretiert, kann dem also widersprochen werden. Vielmehr kennzeichnete das jungkonservative Denkkollektiv vor und nach 1924 seine Heterogenität; allerdings rückte nach Moellers Tod die elitäre Fraktion um Heinrich von Gleichen in den publizistischen Mittelpunkt. Weißmann deutet an, dass die Ursache hierfür in den unterschiedlichen Altersgruppen gelegen haben könnte und Petzold spricht von ,,Cliquenkämp74 75 76 77

Berthold Petzinna: Erziehung zum deutschen Lebensstil. Ursprung und Entwicklung des jungkonservativen ,,Ring“-Kreises 1918–1933, Berlin 2000. Joachim Petzold: Wegbereiter des deutschen Faschismus. Die Jungkonservativen in der Weimarer Republik, Köln 1978, S. 137. Yuji Ishida: Jungkonservative in der Weimarer Republik. Der Ring-Kreis 1928–1933, Frankfurt a.M. 1988, S. 12. Karlheinz Weißmann: Das ,,Gewissen“ und der ,,Ring“ – Entstehung und Entwicklung des jungkonservativen ,,Zentralorgans“ der Weimarer Republik, in: Hans-Christof Kraus (Hrsg.): Konservative Zeitschriften zwischen Kaiserreich und Diktatur. Fünf Fallstudien, Berlin 2003, S. 115–154, hier S. 123.

1.2 Forschungsperspektiven

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fen“, in denen es um die Methoden zur Durchsetzung jungkonservativer Politik ging.78 In der Tat müssen die Einflussfaktoren Alter und Rivalitäten sowie parallel die Entwicklung der politischen Agenda in der Republik stärker als bisher berücksichtigt werden, um die Inhalte, den internen Kurswechsel des Gewissens und somit des Jungkonservatismus nachvollziehen zu können. Insgesamt hing das jungkonservative Denken ebenso von konservativer Transformation ab wie von personellen Konstellationen, von Herkunft, sozialer Prägung, gesellschaftlicher Stellung, Karriere und Machtanspruch der Akteure. Der jungkonservative Gewissen-Diskurs war kein freischwebender Ort der Selbstvergewisserung, sondern verbunden mit Erfahrungen der Autoren in der aktiven Politik und mit ihren Erwartungen an die jeweiligen Regierungen. Über die unterschiedlichen Personen fanden ideelle Traditionen und politische Werte in das Gewissen Eingang, wodurch das Zeitschriften-Profil als Aushängeschild des Jungkonservatismus entstand und nach außen wirkte. 1.2.2 Mediengeschichtliche Perspektive Um Intellektuelle jeder Geisteshaltung analytisch zu erfassen, bietet das Merkmal der öffentlichen Wortergreifung einen sinnvollen Zugang. Kennzeichnend für die rasante Medialisierung zu Beginn des 20. Jahrhunderts war die Tatsache, dass Medien zunehmend als konkurrierende Machtzentren zur Politik wahrgenommen wurden.79 Intellektuelle erreichten durch ihre Medienpräsenz größere Öffentlichkeiten und gleichzeitig wurden Intellektuelle ohne Publikum und ohne die Gewissheit einer öffentlichen Verhandlung des eigenen Wortes gesellschaftlich funktionslos.80 Das zentrale Medium intellektueller Taktgebung und Sinnstiftung in den 1920er Jahren waren Zeitschriften, gleichwohl wurden diese in der mediengeschichtlichen Forschung oft zu einseitig und nur mit Blick auf ihre aufklärerische und freiheitliche Wertevermittlung rezipiert und erforscht. Nur so lässt sich unter anderem die hartnäckige Deutungsmacht von Wilmont Haackes Zeitschriftendefinition aus der Vorkriegszeit deuten, die er 1961 nur wenig umformulierte. Zeitschriften strebten demnach – ,,innerhalb ihres abgesteckten Bereichs – nach Mannigfaltigkeit in der Information wie in der Meinungsbildung“, die sich Ausgabe um Ausgabe um ,,das kommunikative Echo einer Gefolgschaft“ 78 79 80

Petzold: Wegbereiter, S. 177-178. Daniel/Marszolek/Pyta/Welskopp: Politische Kultur, S. 13. Vgl. auch Frank Bösch/Norbert Frei (Hrsg.): Medialisierung und Demokratie im 20. Jahrhundert, Göttingen 2006. Gangolf Hübinger: Intellektuelle im Strukturwandel der Öffentlichkeit, in: Michel Grunewald (Hrsg.): Das evangelische Intellektuellenmilieu in Deutschland, seine Presse und seine Netzwerke (1871–1963). Le milieu intellectuel protestant en Allemagne, sa presse et ses réseaux (1871-1963), Bern 2008, S. 26–39; Dieter Thomä: Im Dreieck balancieren. Der Intellektuelle als Zeitgenosse, in: Wenzel: Der kritische Blick, S. 80–96, S. 83.

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1. Einleitung

bemühe.81 In Anlehnung an Haackes Arbeiten stellte Bernd Sösemann noch 1991 die positive normative Kraft des Mediums in den Mittelpunkt: ,,Die politischen Zeitschriften kräftigen die für eine freiheitliche Gesellschaft unabdingbare Fähigkeit zur Selbstkorrektur. Sie stellen die Instrumente der Diagnose und der Therapie für eine permanente Reform und gegen politische Mattigkeit in einer Gesellschaft dar.“82

Parallel dazu entstanden jedoch schon seit den 1970er Jahren Fallanalysen, in denen zunehmend der politische Kontext mit Inhalten und Absichten von Zeitschriftenmachern und Verlagen verbunden und kritisch analysiert wurde.83 Auch anhand der Zeitschrift Gewissen wurden zwar schon politik81

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Zitiert nach Wolfgang Duchkowitsch: Um zu erfassen, was schwer zu fassen ist. Zur Bilanz der Mühe, Zeitschrift zu definieren, in: Wolfgang Hackl/Kurt Krolop (Hrsg.): Wortverbunden – zeitbedingt. Perspektiven der Zeitschriftenforschung, Innsbruck/Wien/ München/Bozen 2001, S. 11–20, S. 14. Bernd Sösemann: Inmitten des gesellschaftlichen Disputs. Zur kommunikationshistorischen Einordnung politischer Zeitschriften in Deutschland, in: Publizistik, 36.1991 H. 2, S. 149–155, S. 150. Eine Auswahl zur Medien- und Publizistikforschung: Holger Böning (Hrsg.): Deutsche Presseforschung. Geschichte, Projekte und Perspektiven eines Forschungsinstituts der Universität Bremen; nebst einigen Beiträgen zur Bedeutung der historischen Presseforschung, Bremen 2004; Andreas W. Daum: Wissenschaftspopularisierung im 19. Jahrhundert. Bürgerliche Kultur, naturwissenschaftliche Bildung und die deutsche Öffentlichkeit, 1848–1914; Ascan Gossler: Publizistik und konservative Revolution. Das ,,Deutsche Volkstum“ als Organ des Rechtsintellektualismus 1918–1933, Hamburg 2001; Michel Grunewald (Hrsg.): Le discours européen dans les revues allemandes/Der Europadiskurs in den deutschen Zeitschriften (1918–1933), Bern 1997; Michel Grunewald/ Hans Manfred Bock: Zeitschriften als Spiegel intellektueller Milieus. Vorbemerkungen zur Analyse eines ungeklärten Verhältnisses, in: dies. (Hrsg.): Le milieu intellectuel de gauche en Allemagne, sa presse et ses réseaux (1890–1960). Das linke Intellektuellenmilieu in Deutschland, seine Presse und seine Netzwerke (1890–1960), Bern 2002, S. 21–32; Emil Ludwig: Für die Weimarer Republik und Europa. Ausgewählte Zeitungs- und Zeitschriftenartikel 1919–1932, Frankfurt a.M. 1991; Axel Schildt: Spätes Verbot. Zum Ende der Zeitschrift ,Widerstand‘ im Dezember 1934, in: Pierre Behar/Francoise Lartillot/Uwe Puschner (Hrsg.): Mediation et Conviction. Melanges offerts à Michel Grunewald, Paris 2007, S. 667–681; Sabine Schlingmann: ,,Die Woche“ – Illustrierte im Zeichen emanzipatorischen Aufbruchs? Frauenbild, Kultur- und Rollenmuster in Kaiserzeit, Republik und Diktatur (1899–1944); eine empirische Analyse, Hamburg 2007; Bernhard Seiterich: Demokratische Publizistik gegen den deutschen Faschismus: Die ,,Deutsche Republik“, eine politische Wochenschrift der späten Weimarer Republik. Ein Beitrag zur Geschichte der demokratischen Presse, Frankfurt a.M. 1988; Rüdiger vom Bruch: Zeitschriften im Strukturwandel der Öffentlichkeit, in: Grunewald (Hrsg.): Das evangelische Intellektuellenmilieu, S. 41–59. Noch deutlicher binden verlagsorientierte Untersuchungen die literarisch-kommunikative Infrastruktur ein: Hans Bühler/Olaf Simons: Die blendenden Geschäfte des Matthias Lackas. Korruptionsermittlungen in der Verlagswelt des Dritten Reichs, München 2004; Klaus Fritzsche: Politische Romantik und Gegenrevolution. Fluchtwege aus der Krise der bürgerlichen Gesellschaft. Das Beispiel des ,Tat‘-Kreises, Frankfurt a.M. 1976; Gangolf Hübinger (Hrsg.): Versammlungsort moderner Geister. Der Eugen Diederichs Verlag – Aufbruch ins Jahrhundert der Extreme, München 1996; Siegfried Lokatis: Hanseatische Verlagsanstalt. Politisches Buchmarketing im ,,Dritten Reich“, Frankfurt a.M. 1992; Harry Pross: Literatur und Politik. Geschichte und Programme der

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geschichtliche Aspekte untersucht, blieben aber medienhistorische Kontexte unberücksichtigt.84 Einen nach wie vor instruktiven Hinweis für den hohen Stellenwert der Publizistik für das jungkonservative Denkkollektiv bietet Volker Mauersberger. Er verwob in seiner Untersuchung die Deutsche Rundschau eng mit der Herausgeber-Rolle Rudolf Pechels und deckte so die Zusammenhänge von Inhalten, Sendungsbewusstsein, Produktionsbedingungen und Sinn-Vermittlungsstrategien auf. Pechel war auch mit den Jungkonservativen vernetzt, zu denen Mauersberger feststellt, sie hätten ,,zunächst mit Hilfe des Mediums Zeitschrift“ zur ,,Eroberung neuer geistiger Welten“ angesetzt und ,,ihre gemeinschaftsbildende Kraft resultierte aus der Autoren- und Leserschaft bestimmter Zeitschriften“.85 Jungkonservative kommunizierten in der Tat nicht allein über das Gewissen, aber die Zeitschrift bildete den Nukleus eines lockeren organisatorischen Gefüges. So eine Sozialisations-Funktion ließ sich seit Beginn des 20. Jahrhunderts in der Publizistik beobachten, die für Intellektuellenassoziationen oder intellektuell agierende Zirkel zudem die effektivste und meist einzige Form zur Repräsentation ihrer ,,Binnenkommunikation“ darstellte.86 Entsprechend fungierte auch das Gewissen als eine Medialisierung des lokalen jungkonservativen Versammlungsraums und

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politisch-literarischen Zeitschriften im deutschen Sprachgebiet seit 1870, Freiburg i.Br. 1963; Justus Ulbricht: ,,Ein heimlich offener Bund für das große Morgen. . . “. Methoden systematischer Weltanschauungsproduktion während der Weimarer Republik, in: Buchhandelsgeschichte. Aufsätze, Rezensionen und Berichte zur Geschichte des Buchwesens, 1993 H. 1, B1-B17; Rosemarie Schäfer: Rudolf Pechel und die ,,Deutsche Rundschau“ 1946–1991. Zeitgeschehen und Zeitgeschichte im Spiegel einer konservativen politischen Zeitschrift. Eine Studie zur konservativen Publizistik in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg, Göttingen 1975; Gary D. Stark: Entrepreneurs of ideology. Neoconservative publishers in Germany, 1890–1933, Chapel Hill NC u. a. 1981; Sigrid Stöckel (Hrsg.): Die ,,rechte Nation“ und ihr Verleger. Politik und Popularisierung im J.F. Lehmanns Verlag 1890–1979, Heidelberg 2002; Gangolf Hübinger/Helen Müller: Ideenzirkulation und Buchmarkt. Am Beispiel der konfessionellen und politischen Sortimentsbuchhandlungen im Kaiserreich, in: Raphael: Ideen, S. 289–311. Weißmann: Gewissen; Hans-Joachim Schwierskott: ,,Das Gewissen“. Ereignisse und Probleme aus den ersten Jahren der Weimarer Republik im Spiegel einer politischen Zeitschrift, in: Helmut Diwald (Hrsg.): Lebendiger Geist. Hans-Joachim Schoeps zum 50. Geburtstag von Schülern dargebracht, Leiden 1959, S. 161–176. Volker Mauersberger: Rudolf Pechel und die "Deutsche Rundschau". Eine Studie zur konservativ-revolutionären Publizistik in der Weimarer Republik, Bremen 1971, S. 31. Gleichwohl litt Mauersbergers Inhaltsanalyse darunter, dass er der Ring-Bewegung ,,eine vergleichsweise geschlossene Ideologie“ attestierte und den Nationalsozialismus als ,,logische Konsequenz der Konservativen Revolution“ begriff. Ebd., S. 2, 19. Dies auch im Zusammenhang mit der Funktionsdefinition von Zeitschriften: ,,ZeitSchriften sind [. . . ] technische Mediatisierungen und Dislokationen des lokalen Versammlungsraumes, der lokalen Tagungsstätte, deren unmittelbaren Gesprächs-Öffentlichkeit sie dann voll manifestieren, wenn sie den auf ihnen versammelten oder zu versammelnden Geist unverkürzt in die Mittelbarkeit einer interlokal vermittelnden Veröffentlichung, in den Presseraum, übertragen.“ Duchkowitsch zitiert Heinz Starkulla in: Duchkowitsch: Um zu erfassen, S. 17–18.

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1. Einleitung

bietet es der Forschung Zugang zur sozialen Gruppe im Hintergrund der Zeitschrift. Die wöchentliche Veröffentlichung des jungkonservativen Organs bedeutete in erster Linie das gegenseitige Aussprechen und Versichern gemeinsamer Haltungen und ,,eigene[r] Wert- und Zweckvorstellungen“.87 Erst schwarz auf weiß konkretisierte sich nicht nur latentes oder offenes Unbehagen der Autoren und Leser, sondern auch der intellektuelle Anspruch, als politische Bewegung zu existieren. In den Artikeln des Gewissens ist nachzulesen, wie das Überlegenheitsgefühl und das Sendungsbewusstsein intellektueller Selbstwahrnehmung als Identitätsangebot an die Nation gerichtet wurden. Um in einer multiperspektivischen Untersuchung die Ebenen Akteur, Medium, Produktionsbedingungen und Leser miteinander verbinden zu können, bieten sich Überlegungen aus der Kommunikationsforschung88 , inklusive systemtheoretischer Ansätze89 , der historischen Diskurs-90 und Perfor-

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Starkulla: Marktplätze, S. 15. Vgl. auch Klaus Schönbach/Dieter Stürzbecher/Beate Schneider: Oberlehrer oder Missionare. Das Selbstverständnis deutscher Journalisten, in: Friedhelm Neidhardt (Hrsg.): Öffentlichkeit, öffentliche Meinung, soziale Bewegungen, Opladen 1994, S. 139–161. Kommunikationsmodelle betonen den selbstreferentiellen Charakter der analytischen Einheit von Produktion, Präsentation, Adressierung, Umwelt und Rezeption. Manfred Rühl: Theorie des Journalismus, in: Roland Burkart (Hrsg.): Kommunikationstheorien. Ein Textbuch zur Einführung, Wien 2004, S. 117–140; Gebhard Rusch: Kommunikationstheorie für kognitive Systeme. Bausteine einer konstruktivistischen Kommunikations- und Medienwissenschaft, in: ders./Siegfried J. Schmidt (Hrsg.): Konstruktivismus in den Kommunikations- und Medienwissenschaften, S. 150–184; Helmut Schanze (Hrsg.): Metzler-Lexikon Medientheorie – Medienwissenschaft. Ansätze – Personen – Grundbegriffe, Stuttgart/Weimar 2002, S. 165. Vgl. auch Niklas Luhmann: Soziale Systeme. Grundriss einer allgemeinen Theorie, Frankfurt a.M. 2006. Das soziale System der Publizistik sichert durch gegenseitige Zitation etc. die systemerhaltende permanente Kommunikation. Vgl. Natalie Binczek: Im Medium der Schrift: Zum dekonstruktiven Anteil in der Systemtheorie Niklas Luhmanns, München 2000. Meier problematisiert ,,eine theoretisch und empirisch fatale Unterschätzung politischer und ökonomischer Einflussfaktoren“ in systemtheoretischen Ansätzen zur Publizistik. Meier: Zwischen Milieu, S. 38. Jürgen Martschukat (Hrsg.): Geschichte schreiben mit Foucault, Frankfurt a.M. 2002; Ulrich Brieler: Foucaults Geschichte, in: Geschichte und Gesellschaft, 24.1998 H. 2, S. 248– 282; Achim Landwehr: Geschichte des Sagbaren. Einführung in die historische Diskursanalyse, Tübingen 2004; Franz X. Eder: Historische Diskursanalysen. Genealogie, Theorie, Anwendungen, Wiesbaden 2006; Siegfried Jäger: Text- und Diskursanalyse. Eine Anleitung zur Analyse politischer Texte, Duisburg 1989.

1.2 Forschungsperspektiven

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manzanalyse91 und neue Überlegungen zum Öffentlichkeitsbegriff in der Medienforschung92 an. 1.2.3 Biographische Zugänge Biographik, ergänzt durch generationssoziologische Überlegungen, bildet einen weiteren methodischen Zugang zum Phänomen des Jungkonservatismus, indem aus der Rückschau die möglichen Erfahrungszusammenhänge und Deutungsmuster der Akteure einbezogen werden. Es wird weder eine Generationenfolge per se, noch eine biographische Kohärenz für die Lebensverläufe vor und nach dem Ersten Weltkrieg angenommen. Die biographische Methode hilft vielmehr, ,,Erkenntnisse zu gewinnen, die andere Quellen nicht hergeben“,93 um das Zusammentreffen der verschiedenen Akteure zwischen 1919 und 1925 zu analysieren. An diese Ausgangsannahme schließen sich die Fragen nach dem woher und wohin der Akteure an und nach ihren kulturellen Praktiken als Ausdruck und Anstoß von politisch-kulturellem Wandel während dieser Zeit. Diese methodische Prämisse bildet auch das Bindeglied zu den schon 91

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Der gemeinsame Vollzug publizistischer Selbstvergewisserung in der Redaktionsarbeit und die wöchentliche Manifestation jungkonservativer Wirklichkeitsinterpretation hatten performativen Charakter und waren Grundlagen eines – wie auch immer im Einzelnen empfundenen – jungkonservativen Zugehörigkeitsgefühls. Vgl. Jürgen Martschukat/Steffen Patzold: Geschichtswissenschaft und ,,performative turn“. Ritual, Inszenierung und Performanz vom Mittelalter bis zur Neuzeit, Köln 2003. Für neuere Medien liegt schon vor: Kathrin Fahlenbrach/Reinhold Viehoff (Hrsg.): Medienrituale. Rituelle Performanz in Film, Fernsehen und Neuen Medien, Wiesbaden 2008. Lange Zeit war der Öffentlichkeits-Begriff durch die Habermas’sche Interpretation geprägt, der mittlerweile konkreter und deshalb differenzierter an den historischen Ort der Erscheinung gebunden wird. Jürgen Habermas: Strukturwandel der Öffentlichkeit. Untersuchungen zu einer Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft. Mit einem Vorwort zur Neuauflage 1990, Frankfurt a.M. 2002. Clemens Zimmermann fordert, die historisch wandelbaren Teilöffentlichkeiten präziser in den Blick zu nehmen. Clemens Zimmermann (Hrsg.): Politischer Journalismus, Öffentlichkeiten und Medien im 19. und 20. Jahrhundert, Ostfildern 2006, S. 9–24; zum Öffentlichkeitsbegriff vgl. auch Dietrich Busse: Öffentlichkeit als Raum der Diskurse. Entfaltungsbedingungen von Bedeutungswandel im öffentlichen Sprachgebrauch, in: Karin Böke/Matthias Jung/Martin Wengeler/ Georg Stötzel (Hrsg.): Öffentlicher Sprachgebrauch. Praktische, theoretische und historische Perspektiven. Georg Stötzel zum 60. Geburtstag gewidmet, Opladen 1996, S. 347– 358; Karl Christian Führer/Knut Hickethier/Axel Schildt: Öffentlichkeit – Medien – Geschichte. Konzepte der modernen Öffentlichkeit und Zugänge ihrer Erforschung, in: Archiv für Sozialgeschichte Bd. 41, hrsg. von der Friedrich Ebert Stiftung, Bonn 2001, S. 1–38; Peter Uwe Hohendahl/Russell A. Berman: Öffentlichkeit. Geschichte eines kritischen Begriffs, Stuttgart 2000; Jörg Requate: Öffentlichkeit und Medien als Gegenstände historischer Analyse, in: Geschichte und Gesellschaft, 25.1999 H. 1, S. 5–32 Insgesamt steht also das Bezugsfeld der Zeitschrift, ihre ,,diskursive Reflexivität“ und Zeitgebundenheit im Mittelpunkt. Vom Bruch: Zeitschriften im Strukturwandel, S. 43. Margit Szöllösi-Janze: Fritz Haber 1868–1934; eine Biographie, München 1998, S. 11.

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vorgestellten medien- und ideengeschichtlichen Perspektiven und macht es möglich, erstens die individuelle und kollektive Perzeption von Wirklichkeit zu untersuchen, zweitens die mediale Konstruktion und Vermittlung von Wirklichkeit zu analysieren und drittens den Beitrag nachzuvollziehen, den Gewissen-Publizistik wie auch Gewissen-Autoren bei der Schaffung von Vorstellungen und Handlungen leisteten.94 Die Haltung einer ,,jungen Generation“, zu der sich die Jungkonservativen zählten, beruhte auf zwar unterschiedlich gelagerten, aber oft übereinstimmend gedeuteten Erfahrungen aus der Vorkriegs- und Kriegszeit. Deshalb wird die intellektuelle Formation der Jungkonservativen zum einen als soziales Netzwerk typisiert und zum anderen durch individualbiographische Skizzen in ihren Facetten beleuchtet. Mit Blick auf den Methodenpluralismus in der geschichtswissenschaftlichen Biographik aus Prosopographie, Lebensverlaufsforschung und literarischer Werkanalyse, mit der Struktur- und Individualgeschichte verbunden werden können,95 stütze ich mich auf folgende Überlegungen: – Idealtypisch geht die mehrschichtig angelegte Biographie der Frage nach, wie Individuen oder Gruppen mit ,,vorgefundenen Strukturen“ umgehen, sie deuten, verändern oder reproduzieren und sich selbst innerhalb dieser Strukturen verorten.96 Die Herausforderung liegt zum einen in einer plausiblen Verbindung sozialer und mentaler Netze mit dem individuellen, persönlichen Lebensverlauf97 und zum anderen in einer linearen Textdarstellung zeitlich vielfältiger Strukturen. Mit dieser Problematik hat sich bislang nicht allein die Literatur- und Geschichtswissenschaft, sondern

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Angeregt durch Frank Böschs Forschungsfazit, ,,dass die Mediengeschichte stärker mit gesellschaftlichen Handlungsfeldern in Beziehung zu setzen ist. Dabei sollte eben nicht allein die mediale Konstruktion von Wirklichkeit im Vordergrund stehen, sondern die Frage, wie Medien erst dazu beitrugen, Ereignisse, Handlungen oder Vorstellungen zu schaffen. Hierzu bedarf es genauerer historischer Studien über die Arbeitsweise von Journalisten und die Wege, wie sie Medieninhalte generierten.“ Frank Bösch: Mediengeschichte im 20. Jahrhundert. Neue Forschungen und Perspektiven, in: Neue Politische Literatur, 52.2007 H. 1, S. 409–429, hier 428, 429. Alexander Gallus: Biographik und Zeitgeschichte, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, 2005, 1–2, S. 40–46, S. 42. Andreas Gestrich: Einleitung: Sozialhistorische Biographieforschung, in: Andreas Gestrich/Peter Knoch/Helga Merkel (Hrsg.): Biographie, sozialgeschichtlich. Sieben Beiträge, Göttingen 1988, S. 5–28, S. 20. Einen problematisierenden Forschungsüberblick bietet: Christian Klein: Einleitung: Biographik zwischen Theorie und Praxis. Versuch einer Bestandsaufnahme, in: ders.: (Hrsg.): Grundlagen der Biographik. Theorie und Praxis des biographischen Schreibens, Stuttgart 2002, S. 1–22. Vgl. auch Ernst Engelberg/Hans Schleier: Zu Geschichte und Theorie der historischen Biographie. Theorieverständnis – biographische Totalität – Darstellungstypen und -formen, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, 38.1990 H. 3, S. 195–217. Zum Problem ,,Person und Struktur“ vgl. den Denkanstoß von Ewald Frie: Pluralisierte Biographien, in: BIOS. Zeitschrift für Biographieforschung, Oral History und Lebensverlaufsanalysen, 18.2005 H. 2, S. 174–179.

1.2 Forschungsperspektiven

35

auch die soziologische Lebensverlaufsforschung auseinandergesetzt.98 Ein kollektivbiographischer Ansatz muss zudem die überlieferten Materialien und das soziale Umfeld der Mitglieder des Kollektivs für den Zeitraum, in dem sie ein Kollektiv bildeten, miteinander in Beziehung setzen. Für die Untersuchung der Jungkonservativen bietet sich deshalb eine kombinierte Verwendung von Kollektiv- und Netzwerk-Perspektive an. Der KollektivBegriff betont den identitätsstiftenden Charakter des kommunikativen Zusammenkommens, während der Netzwerk-Begriff auch auf den organisatorischen, alltagspraktischen Part von Redaktionsarbeit und Klub-Leben verweist.99 – In der geschichtswissenschaftlichen Individual-Biographik hat sich unter anderem eine literaturwissenschaftliche Anlehnung etabliert,100 durch die der Text als Verdichtung der Person mit der Person als anwesender Teil im Text zusammengeführt und in mehrfachen Figurationen betrachtet werden kann. Von dieser Seite fließt der Anspruch in die Biographik, den kulturwissenschaftlichen Ansatz ernst zu nehmen und keinen Schreibenden als geschlossenes System der Textproduktion zu betrachten, da er immer in einem Netz aus Bedeutungen, Impulsen, Schwingungen eingebunden ist. Gleichzeitig kann man feststellen, dass die von Bourdieu bezeichnete ,,biographische Illusion“101 , wonach der biographische Blick immer schon eine beschneidende, verzerrende Funktion aufweist, sehr viel früher beginnt: ,,Wie soll der Biograph mit der Tatsache umgehen, daß es [. . . ] kein Leben ohne Legende gibt?“102 Mehr noch: dass jedes Leben seine eigene Legende schon lebt und schreibt? Dieses Problem bietet jedoch auch die Möglichkeit, identitätsstiftende Prozesse zu beleuchten. Beispielsweise können anhand von Ego-Dokumenten Moeller van den Brucks selbstreferentielle Prozesse beobachtet werden, in denen Veränderungen von Texten, politischem Engagement oder Örtlichkeiten 98

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Hans-Peter Blossfeld/Johannes Huinink: Lebensverlaufsforschung als sozialwissenschaftliche Forschungsperspektive. Themen, Konzepte, Methoden, Probleme, in: BIOS. Zeitschrift für Biographieforschung, Oral History und Lebensverlaufsanalysen, 14.2001 H. 2, S. 5–31. Friedrich Lenger: Netzwerkanalyse und Biographieforschung – einige Überlegungen, in: BIOS. Zeitschrift für Biographieforschung, Oral History und Lebensverlaufsanalysen 18.2005 H. 2, S. 180–185. Vgl. auch Peter Alheit: Biographie und Mentalität. Spuren des Kollektiven im Individuellen, in: Bettina Völter/Bettina Dausien/Helma Lutz/Gabriele Rosenthal (Hrsg.): Biographieforschung im Diskurs. Wiesbaden 2005, S. 21–45 und Michel Grunewald/Uwe Puschner (Hrsg.): Le milieu intellectuel conservateur en Allemagne, sa presse et ses réseaux (1890–1960)/Das konservative Intellektuellenmilieu in Deutschland, seine Presse und seine Netzwerke (1890–1960), Bern 2003. Szöllösi-Janze: Fritz Haber. Vgl. Die biographische Illusion in: Pierre Bourdieu: Praktische Vernunft. Zur Theorie des Handelns, Anhang I, Frankfurt a.M. 1998, S. 75–83. Ulrich Raulff : Das Leben – buchstäblich. Über neuere Biographik in der Geschichtswissenschaft, in: Klein: Grundlagen, S. 55–68, hier 62.

36

1. Einleitung

thematisiert wurden und jungkonservativen Deutungsmustern Anschluss boten. Insgesamt muss die biographische Balance zwischen Werk-Text, Ego-Dokument, Erinnerung und historischem Kontext beziehungsweise in einer ,,biographischen Trias“ von Autor, Gesellschaft und literarischem Oeuvre gesucht werden.103 Untersucht man die Selbstbezüge in Moellers Texten und die Erinnerungen seiner Zeitgenossen fällt eine bemerkenswerte Parallele zwischen der Deutung seiner Biographie und der zeitgleichen Genese des Biographiefaches auf, die auf ein sich wandelndes Zeitbewusstsein nach 1900 verweist. Ähnlich wie zur Zeit der Romantik im Jahrhundert zuvor veränderten sich Zeit-Konzepte auch während der mitteleuropäischen Industriemoderne. Das persönliche Zeiterleben und die historische Zeit traten zunehmend auseinander, während das historistische Zeit-Konzept noch ganz im Zeichen kongruent erzählter biographischer und historischer Entwicklung gestanden hatte. Das Auseinanderdriften von Zeit-Erleben schien das Bedürfnis nach plausibler Lebenserzählung zu vertiefen. Wilhelm Dilthey (1833–1911) stellte in seiner biographischen Methode das Individuum in den Mittelpunkt, von dem er annahm, dass sich sämtliche kulturellen, gesellschaftlichen und sozialen Ordnungssysteme in ihm kreuzten und ablesen ließen.104 Durch diese Form hermeneutischer Deutung gewann individuelles Leben seine Linearität und Planmäßigkeit, wodurch im nächsten Schritt auch die Betrachtung kollektiven Lebens unter den Maßgaben eines Lebensplans begründet wurde. Ins lineare Zeitverständnis können auch zyklische, morphologische und – wie in Moellers geschichtsphilosophischer Sichtweise – spiralförmige Beschreibungen vom Werden und Wachsen ganzer Völker und Nationen eingeordnet werden. Moellers Zeitgenossen griffen auf dieses Zeitverständnis zurück, wenn sie sein Leben in der Rückschau als vorherbestimmt und schicksalhaft deuteten. Moellers unkonventionelles Leben wurde wie sein Selbstmord zu einem sinnhaften Narrativ und jungkonservativen Ursprungsmythos, vor dessen Hintergrund der generationelle Zusammenhang der Jungkonservativen zusätzliche Bindekraft erhielt. In der jungkonservativen Interpretation von Moellers Lebenszeit als einem ins Unendliche gedehnten einzigartigen Augenblick spiegelte sich das historistische Zeitverständnis des 19. Jahrhunderts, in dem die langen Wirkungen ebenso wichtig waren wie die positive Bewertung des Fortschritts.105 Auf diese Weise stellte sich die jungkonservative Interpretation quer zur modernen und vielfältige Au103

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Christian Klein: Lebensbeschreibungen als Lebenserschreibungen? Vom Nutzen biographischer Ansätze aus der Soziologie für die Literaturwissenschaften, in: ders.: Grundlagen, S. 69–86. Hans Erich Bödeker: Biographie. Annäherungen an den gegenwärtigen Forschungs- und Diskussionsstand, in: ders.: (Hrsg.): Biographie schreiben, Göttingen 2003, S. 11–63, hier 25. Wendorff betont den Einfluss des dialektischen Fortschrittsdenken Hegels: Rudolf Wendorff , Zeit und Kultur. Geschichte des Zeitbewußtseins in Europa, Opladen 1985, S. 393.

1.2 Forschungsperspektiven

37

genblicke integrierenden Zeitdeutung.106 Die Selbst- und Fremddeutungen von Moellers Leben als einen vorherbestimmten Akt lehnten sich gegen die Annahme auf, der Mensch lebe in zufälligen, situativen und individuellen Zusammenhängen. Erst im Verlauf des 20. Jahrhunderts zerbrach die traditionelle Vorstellung ,,von einer kohärenten und konsistenten Ganzheit der Subjekte und ihrer Lebensentwürfe“107 endgültig. Die jungkonservative Zeit-Deutung wurde durch einen weiteren Aspekt verstärkt. Während und nach dem Ersten Weltkrieg hatten sich Beschleunigungswahrnehmungen zugespitzt108 , so dass individuelles Leben höchste Unsicherheit und nur mühsam einzuordnende Veränderungen erfuhr. Tradierte gesellschaftliche Deutungsmuster schienen nur geringe Möglichkeiten zu bieten, um Entwicklungen und zeitliche Abläufe abzusehen.109 Neben der Suche nach über-zeitlichen Erklärungen für individuelle und kollektive Existenz gewann in der Nachkriegszeit auch die Planung kollektiver Lebenszusammenhänge größere Bedeutung und erfuhren Experten, Fachleute, Planer und Utopisten eine rapide Aufwertung. In diesem Zusammenhang stellte die rechtsintellektuelle Weltdeutung im jungkonservativen Gewissen nicht nur einen Ausschnitt der Gegenwarts-Ablehnung, sondern auch der beginnenden Planungseuphorie dar. Indem sich Jungkonservative als EliteEinheit des nationalen Wiederaufbaus verstanden, angeleitet vom ,,Propheten“ Moeller, trugen sie zum Verständnis von vorherbestimmten und gleichzeitig planbaren Lebens-Zeiten bei. Auf Grundlage der hier genannten Einflüsse und Anregungen haben sich in der geschichtswissenschaftlichen Diskussion konzeptionelle Handreichungen etabliert.110 Biographen sollen sich um Aufdeckung, nicht Entlarvung, der selbst- oder fremdkonstruierten und präsentierten Interpretationslinien des biographischen Lebens (,,construction plan“) bemühen.111 Gleichzeitig 106 107

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Ulrich Raulff : Der unsichtbare Augenblick, in: ders.: (Hrsg.): Der unsichtbare Augenblick. Zeitkonzepte in der Geschichte, Göttingen 2000, S. 50–84. Bödeker: Biographie, S. 24. Über das Zeitverständnis vgl. auch: Rainer Zoll: Zerstörung und Wiederaneignung von Zeit, Frankfurt a.M. 1988. In der Konsequenz bedeutete die De-Linearisierung in der Biographik, dass das Scheitern als gleichberechtigte Lebensbilanz bzw. Perspektive zum Tragen kommt: Stefan Zahlmann (Hrsg.): Scheitern und Biographie. Die andere Seite moderner Lebensgeschichten, Gießen 2005; Matthias Junge/Götz Lechner: Scheitern. Aspekte eines sozialen Phänomens, Wiesbaden 2004. Vgl. Martin H. Geyer: ,Die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen‘. Zeitsemantik und die Suche nach Gegenwart in der Weimarer Republik, in: Wolfgang Hardtwig (Hrsg.): Ordnungen in der Krise. Zur politischen Kulturgeschichte Deutschlands 1900-1933, München 2007, S. 165–190. Doering-Manteuffel: Mensch. Simone Lässig: Introduction. Biography in Modern History – Modern Historiography in Biography, in: Volker R. Berghahn/Simone Lässig (Hrsg.): Biography between structure and agency. Central European lives in international historiography, New York 2008, S. 1– 26. Fragmentarisches Arbeiten bedeutet auch die Berücksichtigung von dem, was fehlt:

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1. Einleitung

sollten die sich hartnäckig haltenden Lebensdeutungen von Normalität und Abweichung, Linearität und Verwerfung aufgebrochen werden. Auf dieser Grundlage kann eine erweiterte Kontextualisierung stattfinden, indem das Individuum nicht nur in der Gesellschaft verortet wird, sondern im individuellen Leben auch gesellschaftliche Zusammenhänge.112 Mittlerweile werden auch psychoanalytische Ansätze in der Biographik ernst genommen, so dass individualbiographische Untersuchungen privates und intimes Quellenmaterial in einen analytischen Bezugsrahmen stellen können. Schließlich kommen Historiker endgültig nicht mehr umhin, sich als biographie-immanent zu reflektieren, denn sie bestimmen die Zusammensetzung aus Fragmenten der Selbstbeschreibung, aus Zuschreibungen und ,,Verarbeitungen des biographischen Sujets durch spätere Generationen“.113 Anhand dieser Handreichungen kann die problematische Überlieferungslage etwa zur Person Moeller auch als Möglichkeit für eine modifizierte Perspektive auf ihn genutzt werden. In allen überlieferten Bildern und Beschreibungen wirkt Moeller eigentümlich blass und eindimensional; weder ein Tagebuch, eine Krankenakte noch Quellen mit größerer Distanz zu seiner Person können als Korrektiv den überlieferten Erinnerungen zur Seite gestellt werden.114 Da das immer wieder beschriebene Bild des wortkargen Denkers kaum ausreicht, um Moellers Motivation und Antrieb zu erklären, sich für bestimmte zeitgenössische Ideen zu engagieren, während er andere ablehnte, stellt diese Untersuchung seine Rolle und ihre Wirkung in den Mittelpunkt. Sie geht ihren Bezügen, Zuschreibungen und Funktionen für die Etablierung einer jungkonservativen Identität nach.115 Auch die biographischen Skizzen zu anderen jungkonservativen Protagonisten bilden nur eine von vielen möglichen Erzählungen, die der Annäherung an den Gesamtkomplex des jungkonservativen Kollektivs dienen. Indem Denkmuster und Deutungsprozesse einzelner Akteure im Verhältnis zur Gruppe und zur Öffentlichkeit erkundet werden, bewegt sich die vorliegende Untersuchung ,,zwischen

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Beatrix Borchard: Lücken schreiben. Oder: Montage als biographisches Verfahren, in: Bödeker: Biographie, S. 213–241. Lässig: Introduction, S. 11. Bödeker: Biographie, S. 37. Das St.-Josef-Krankenhaus in Berlin-Weißensee, in dem Moeller van den Bruck 1925 die letzten Wochen seines Lebens bis zu seinem Selbstmord verbrachte, ist auch heute noch Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie und bewahrt wie die meisten Krankenhäuser seine Patientenakten nur 30 Jahre auf. Vgl. auch Claudia Kemper: Wer war Moeller van den Bruck? Über die kulturgeschichtliche Untrennbarkeit von Biographie und Rezeption, in: Archiv für Kulturgeschichte 91.2009 H. 2, S. 381–406. Für die Sozialwissenschaft wird ein ähnliches Defizit mit umgekehrten Vorzeichen beschrieben: ,,Wollen wir rechtsextreme Handlungs- und Orientierungsmuster in ihrer Genese verstehen und erklären [. . . ] so ist die Rekonstruktion der Biographie unerlässlich.“ Michaela Köttig: Rechtsextreme Handlungs- und Orientierungsmuster: Eine historische und lebensgeschichtliche Dimensionierung, in: Ingrid Miethe (Hrsg.): Politische Biografien und sozialer Wandel, Gießen 2000, S. 84–108, S. 85.

1.3 Kollektivbiographische Muster

39

qualitativen und quantitativen Forschungsansätzen. Sie ermöglicht nicht nur die Typisierung des Individuellen, sondern auch die Individualisierung des Typischen“.116

1.3 Kollektivbiographische Muster und individuelle Zugänge Die Lebenswelt aller Gewissen-Autoren berührte in unterschiedlichen biographischen Phasen die Transformationsphase um 1900. Die Jahrhundertwende zeichnete sich neben Beschleunigungs- und Strukturveränderungen vor allem durch eine wachsende ,,Vielfalt in den Aneignungsweisen der neuen Technologien“ aus.117 Der wirtschaftliche Aufschwung im Kaiserreich forderte qualifiziertes Personal; die Zahl der höheren Schüler und Seminaristen verachtfachte sich zwischen 1850 und 1914.118 Das Wachstum in den höheren und teilweise mittleren Berufen bot Aufstiegsanreize, führte jedoch kaum zu einer Aufstiegsmobilität von den mittleren in die höheren Schichten.119 In einem Staat, der seine kapitalistischen Wirtschaftsstrukturen ausweitete und nur sehr bedingt politische Bürgerpartizipation vorsah, bildete sich alsbald ein Überschuss an kritischem Bildungspotenzial heraus, befördert durch den Zuwachs an kulturellen Optionen, durch die Bedeutung des Geldes im gesellschaftlichen Umlaufprozess und den Verlust langfristiger Bindungen.120

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Gallus: Biographik, S. 46. Lutz Raphael: Ordnungsmuster der ,Hochmoderne‘? Die Theorie der Moderne und die Geschichte der europäischen Gesellschaften im 20. Jahrhundert, in: Schneider: Dimensionen, S. 73–91. Hartmut Kaelble: Soziale Mobilität und Chancengleichheit im 19. und 20. Jahrhundert. Deutschland im internationalen Vergleich, Göttingen 1983, S. 193; vgl. auch Peter Ulrich Hein: Die Brücke ins Geisterreich. Künstlerische Avantgarde zwischen Kulturkritik und Faschismus, Reinbek 1992, S. 65. Kaelble: Soziale Mobilität, S. 57. Georg Simmel: Philosophie des Geldes, Berlin 1958. ,,Wenn wir früher sahen, daß durch das Geld der Mensch sich aus dem Befangensein in den Dingen erlöst, so ist andrerseits der Inhalt seines Ich, Richtung und Bestimmtheit doch mit konkreten Besitztümern soweit solidarisch, daß das fortwährende Verkaufen und Wechseln derselben, ja, die bloße Tatsache der Verkaufsmöglichkeit oft genug einen Verkauf und eine Entwurzelung personaler Werte bedeutet.“ Ebd., S. 449–450. ,,Damit einem der Inhalt der Geschichte zum Eigentum werde, bedarf es deshalb einer Bildsamkeit, Nachbildsamkeit der auffassenden Seele, einer innerlichen Sublimierung der Variabilität. Die historisierenden Neigungen unseres Jahrhunderts, seine unvergleichliche Fähigkeit, das Fernliegendste – im zeitlichen wie im räumlichen Sinne – zu reproduzieren und lebendig zu machen, ist nur die Innenseite der allgemeinen Steigerung seiner Anpassungsfähigkeit und ausgreifenden Beweglichkeit. Daher die verwirrende Mannigfaltigkeit der Stile, die von unserer Kultur aufgenommen, dargestellt, nachgefühlt werden.“ Ebd., S. 522–523.

40

1. Einleitung

Offenkundige sozioökonomische Veränderungen in der Arbeits- und Umwelt vollzogen sich neben asymmetrischen Prozessen sozialer Umschichtungen und Verschiebungen im Selbstverständnis der noch relativ geschlossenen Schicht des Bürgertums.121 Zwar setzte sich die Differenzierung sozialmoralischer Milieus fort und diffundierten diese entweder ins Elitär-konservative, ins Kleinbürgerliche oder gar Sozialistische.122 Aber gleichzeitig wies die formale Hierarchie traditioneller Ämter eine erhebliche Resistenz gegen Modernisierung und Aufweichung auf. Junge Erwachsene erlebten eine formierte Gesellschaft und einen bürgerlichen Idealismus und Historismus, die nur schwerlich die Bedeutung der entstehenden kapitalistischen Massengesellschaft zu deuten wussten.123 Innerhalb von Kapitalisierung, Bürokratisierung, Demokratisierung und Professionalisierung fungierte das wilhelminische Bürgertum als eine ,,typische Übergangsformation“ der Hochmoderne,124 in der sich eine veränderte Weltsicht und Suche nach Selbstvergewisserung, etwa in Form von Reform- und Jugendbewegung, abzeichneten.125 Es entwickelte sich jenes intellektuelle Potenzial, das sich gegen hegemoniale gesellschaftliche Ordnungsmuster mit einer eigenen Identität durchzusetzen suchte. Aus der irrationalen und exklusiven Werthaltung von Künstlern, Gelehrten, Publizisten formierten sich im Übergang vom Wilhelminismus zur Nachkriegszeit gesellschaftlich wirkungsmächtige Deutungsmuster. Bis in die 1920er Jahre fehlten jedoch ,,konkrete Konzepte für die politische Dimension der Veränderung“, vielmehr ,,wimmelte es seit Nietzsche von sprachmächtigen ,Propheten‘ – von Langbehn bis George, von Landauer bis zu den Gebrüdern Hart, von Rudolf Steiner bis Paul Ernst“.126 Auch der 1876 geborene Moeller van den Bruck kann hierzu gezählt werden, der in der Tradition der ,,Propheten“ aus

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Lindner: Leben in der Krise, S. 122. M. Rainer Lepsius: Parteiensystem und Sozialstruktur: Zum Problem der Demokratisierung der deutschen Gesellschaft, in: Gerhard A. Ritter (Hrsg.): Deutsche Parteien vor 1918, Köln 1973, S. 56–80, S. 77. Lindner: Leben in der Krise, S. 120. Hübinger betont die umstrittene soziale Verortung des wilhelminischen Bildungsbürgertums, nennt aber seine Funktionen innerhalb der Gesellschaft und die nur scheinbar paradoxe Entwicklung, dass die zunehmende Fragmentierung zu stärkerer Versäulung führte. Gangolf Hübinger: Kulturprotestantismus und Politik. Zum Verhältnis von Liberalismus und Protestantismus im wilhelminischen Deutschland, Tübingen 1994, S. 17– 18. Hans Mommsen: Die Auflösung des Bürgertums seit dem späten 19. Jahrhundert, in: Jürgen Kocka (Hrsg.): Bürger und Bürgerlichkeit im 19. Jahrhundert, Göttingen 1987, S. 288–315, S. 290; Thomas Koebner/Rolf-Peter Janz/ Frank Trommler (Hrsg.): ,,Mit uns zieht die neue Zeit“. Der Mythos Jugend, Frankfurt a.M. 1985. Lindner: Leben in der Krise, S. 138. In Anlehnung an Ulrich Linse nennt Lindner die Träger der Lebensideologie auch ,,Geistesrevolutionäre“, die sich in unterschiedlichen kulturellen Feldern daran machten, Lebens-Reformen zu entwerfen.

1.3 Kollektivbiographische Muster

41

der Vorkriegszeit stand und nach dem Ersten Weltkrieg zum spiritus rector und ,,Seher“ einer politisch orientierten Gruppierung aufsteigen sollte. Innerhalb dieses geistigen Klimas entwickelten die meisten späteren Gewissen-Autoren einen spezifischen Habitus. Er schien sich auf den ersten Blick deutlich vom herkömmlichen bildungsbürgerlichen Auftreten zu unterscheiden, gab sich mitunter dandy- oder bohèmehaft, bedeutete aber im Kern eine ästhetische Opposition auf der Basis des bildungsbürgerlichen Kapitals und seiner ,,Praktiken kultureller Sinnerzeugung“.127 Opposition manifestierte sich vor allem in ästhetischen oder metaphysischen Weltdeutungen und in einem distinkten Lebensstil128 , beispielsweise in den Künstlerkreisen, in denen Moeller seit den 1890er Jahren in Berlin verkehrte, einschließlich einer dezidierten Praxis des Alkoholkonsums129 – ein Stilmittel, mit dem man sich im bürgerlichen sozialen Raum als überlegen, ,,antibürgerlich“ gegenüber der mehrheitlich vertretenen Norm ,,Nüchternheit“ positionierte.130 Der von Bourdieu vertretene Stil-Begriff hebt die Wirkungsmacht sozialer Praktiken hervor und ähnelt auf struktureller Ebene dem ,,Denkstil“ Ludwik Flecks. Der konstruktive Charakter des Denkstils entwickelt sich durch gruppenspezifische interne Beziehungen und eine eigene Sichtweise auf Sachverhalte. Im nächsten Schritt etabliert sich ein im Denkkollektiv akzeptiertes Sprechen über den Sachverhalt und seine Normalitäten oder Abweichungen.131 Demnach basiert ein verbindlicher Denkstil auf intersubjektiven, binnenlogischen Anschauungen, die in der Gruppe verbindliche ,,Wahrheiten“ generieren. Das ,,Gewicht der intellektuellen Bindung“132 innerhalb eines Denkkollektivs setzt sich also zusammen aus individuell biographischen Prägungen, einer ,,generationsspezifischen Sozialisation“ und ideellen Bearbeitungen, die in eine gemeinsame Sprache eingehen. 127 128

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Bourdieu: Praktische Vernunft, S. 17. Vgl. auch Pierre Bourdieu: Die feinen Unterschiede, Frankfurt a. M. 1987. Während Stil eine wiedererkennbare Ausdruckform ist, umfasst der Habitus die Deutungs- und Verhaltensmuster, die sich auf eine individuelle oder kollektive Positionierung in der sozialen Gegenwart beziehen. Im Unterschied dazu werden in der vorliegenden Studie mentalitätsgeschichtliche Aspekte berücksichtigt, um individuelle oder kollektive Modi in ihrem historischem Bezugsrahmen zu bestimmen. Vgl. Peter Alheit: Biographie und Mentalität. Spuren des Kollektiven im Individuellen, in: Völter/ Dausien/Rosenthal: Biographieforschung, S. 21–45, S. 25. Vgl. in Kap. I ,,Arthur Moeller van den Bruck: Ikone des Jungkonservatismus“. Petzinna sieht in der ,,Ausformung bürgerlich-intellektueller Protestpotentiale vor 1914“ auch den Ausdruck ,,sozial marginalisierter Schichten“, zu denen sich ,,mithin ein wachsender Teil der bürgerlichen deutschen Intelligenz der wilhelminischen Epoche“ zählte. Diesen Teil fasst Petzinna unter dem Begriff ,,ästhetische Opposition“ zusammen. Berthold Petzinna: Die Wurzeln des Ring-Kreises, in: Schmitz/Vollnhals: Völkische, S. 139–150, S. 139. Ludwik Fleck: Entstehung und Entwicklung einer wissenschaftlichen Tatsache. Einführung in die Lehre vom Denkstil und Denkkollektiv. Herausgeben von Lothar Schäfer, Frankfurt a.M. 1993, S. 85. Raphael: Radikales, S. 24.

42

1. Einleitung

Auf ähnliche Weise verbanden sich die Jungkonservativen durch einen aus dem Adel adaptierten und ins Bürgerliche übersetzten elitären Denkstil. Als sich kurz nach dem Ersten Weltkrieg ihre Wege in Berlin kreuzten, führten nicht allein politische Überzeugungen, sondern auch solche psychosozialen Übereinstimmungen zum gemeinsamen Handeln. So hatte die antibürgerliche Kritik bei keinem der Gründerzeitgeneration-Autoren dazu geführt, sich an sozialistischen Gesellschaftskonzepten, sondern vielmehr ,,nach oben“ zu orientieren. Breuer verweist in seiner ,,Anatomie der Konservativen Revolution“ auf autoritäre Charakterzüge, die anhand eines ,,ausgeprägten Karrierestrebens“, der ,,Bildungsbeflissenheit und des auftrumpfenden Auftretens, gepaart mit Unsicherheit“, an vielen Vertretern der Konservativen Revolution beobachtet werden könnten.133 Aus intellektuell-bürgerlicher Sicht diente die Aneignung eines elitär und adelig durchwirkten Habitus der Distinktion und Abgrenzung innerhalb einer beängstigend schrankenlosen Gesellschaft.134 Allerdings: ,,So ,unbürgerlich‘ auch immer die Konservativen ihre eigenen Ordnungsvorstellungen formulieren, – eine Welt ohne bürgerliche Werte (Tausch–Konkurrenz–Privateigentum) liegt jenseits ihres Vorstellungshorizonts.“135 Die Frage, in welchem Maß sich schließlich elitärer Habitus und radikale Inhalte bedingten oder wechselseitig aufluden, kann nicht abschließend geklärt werden. Festzuhalten ist, dass die an einer ,,Geistesaristokratie“ orientierten Intellektuellen einerseits und adelige Protagonisten andererseits innerhalb der Neuen Rechten den adelig-elitären Habitus im neurechten Denken produzierten und kommunizierten. Der Hoch- und vor allem Kleinadel hatte zwar nach 1918 auf zahlreiche Herrschaftspositionen, die er als Funktionselite des Kaiserreiches ausgefüllt hatte, verzichten müssen,136 aber sein gesellschaftlicher Status blieb auch in der Republik unangetastet. Über133

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Alle Zitate Breuer: Anatomie, S. 26. Vgl. auch Theodor W. Adorno: Studien zum autoritären Charakter, Frankfurt a.M. 1982, S. 40–61, S. 322–327. In ihrem ,,Plädoyer für eine dynamische Mentalitätsgeschichte“ knüpft Gilcher-Holtey an Adornos ,,Studien zum autoritären Charakter“ an. Ihre Zusammenfassung des konstitutionellen Zusammenspiels von Charakter-, Mentalitäts- und Handlungsstruktur scheint auch eine treffende Umschreibung der jungkonservativen Mentalität. Ingrid Gilcher-Holtey: Plädoyer für eine dynamische Mentalitätsgeschichte, in: Geschichte und Gesellschaft, 24.1998 H. 3, S. 476–497, S. 481–482. Zu verstehen sind diese Affekte als skeptische Distanz zu den typischen Werten des Bürgertums, wie etwa die gezielte Aneignung von Bildung und Fachwissen und/oder Reichtum, als Absicherung des Status sowie der bürgerlichen Individualität. Politisch wurde der bürgerliche Wertekanon durch den Liberalismus vertreten. Vgl. Dieter Langewiesche: Liberalismus und Bürgertum in Europa, in: Jürgen Kocka (Hrsg.): Bürgertum im 19. Jahrhundert. Verbürgerlichung, Recht und Politik, Göttingen 1995, S. 243–277. Lenk: Konservatismus, S. 129. Stephan Malinowski: Vom König zum Führer. Deutscher Adel und Nationalsozialismus, Frankfurt a.M. 2004, S. 210. Festgeschrieben wurde der adelige Machtverlust in Artikel 109 der Weimarer Reichsverfassung, wonach alle öffentlich-rechtlichen Vorrechte ,,der Geburt oder des Standes“ aufzuheben seien.

1.3 Kollektivbiographische Muster

43

lieferte Ständevorstellungen verbanden sich nach Krieg und Revolution in einer ,,nervösen Orientierungssuche“ des Adels, der ,,sich als Kern einer neu gebildeten ,Führerschicht‘ in der Diskussion zu halten“ versuchte.137 Innerhalb des Jungkonservatismus trafen unterschiedliche elitäre Deutungsmuster und Forderungen zusammen, etwa nach Auslese eines autoritären Elite- und Führungspersonals, nach Führersammlung oder nach einem autoritären Wirtschaftsregime. Im Jungkonservatismus gehörte Heinrich von Gleichen als Adeliger zwar einer Minderheit an, aber er war eine populäre Figur im Klub wie im Gewissen. In seinen Stellungnahmen flossen traditionale Elitenbilder und neurechte Führerkonzepte zusammen, wodurch er eine Projektions- und Reibungsfläche für Anhänger und Gegner seines Kurses bot. Vor diesem Hintergrund erwuchs aus der Kritik an der bürgerlichen Behäbigkeit eine radikale, politisch formulierte Feindschaft gegen den ,,Bourgeois“138 – ein Begriff, der in der jungkonservativen Rhetorik immer für andersartige und fremde Positionen stand.139 Das Feindbild einer formaldemokratisch verpackten, gelähmten Bürgerlichkeit verband die verschiedenen Strömungen der Konservativen Revolution und bildete einen Kern im Jungkonservatismus, der in jedem Fall eine um sich greifende Verbürgerlichung in Unter- wie Oberschichten verhindern wollte.140 Heinrich von Gleichen verband in der Ring-Bewegung die Forderung nach einer adeligen ,,Führerkaste“ mit dem Leistungsprinzip und mit einer volksgemeinschaftlichen Geschichtsanschauung: ,,Der Deutsche ehrte einst in Sage und Dichtung den freien und adeligen Mann. Die persönliche Tugend, 137 138

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Ebd., S. 293. Dem ,,bürgerlichen Sowohl-als-auch zaudernder Reflexions-, Diskussions- und Moderationsversessenheit [wurde] ein Entweder-Oder entgegengestellt, das die Welt mit dem Habitus äußerster, unerbittlichster Konsequenz in ein einwandsimmunisiertes und revisionsentlastetes Schisma von Gut und Böse, Auserwählt und Verworfen, Freund und Feind“ scheiden sollte. Günter Meuter/Henrique R. Otten: Der Bürger im Spiegelkabinett seiner Feinde, in: dies. (Hrsg.): Der Aufstand gegen den Bürger. Antibürgerliches Denken im 20. Jahrhundert, Würzburg 1999, S. 9–33, S. 15. Der Begriff ,,Bourgeois“ wurde in der politischen Sprache insgesamt als Bezeichnung für einen als dekadent betrachteten Teil der Gesellschaft verwendet, vgl. u. a. bzgl. SPD Werner Jochmann: Gesellschaftskrise und Judenfeindschaft in Deutschland 1870–1945, Hamburg 1988, S. 169. Vgl. Max Hildebert Boehm (19.08.1919): Die neue Mitte, in: Gewissen, 1, H. 19, S. 3; Albert Dietrich (01.07.1919): Die Katastrophe!, in: Gewissen, 1, H. 12, S. 1–2; Asmus Gendrich (26.12.1921): Wintermärchen, in: Gewissen, 3, H. 52, S. 2–3. Speziell zum Bourgeois: Paul Ernst (06.10.1920): Der Bourgeois, in: Gewissen, 2, H. 39, S. 2–3; ders. (10.11.1920): Der Roman des untergehenden Bürgertums, in: Gewissen, 2, H. 44, S. 2– 3; ders. (29.08.1921): Philister und Spitzbube, in: Gewissen, 3, H. 35, S. 2–3; ders. (08.09.1924): Die allgemeine Proletarisierung, in: Gewissen, 6, H. 36, S. 2–3. ,,Der liberale Bürger [der Bourgeois, C.K.] verkörpert die westliche Dekadenz, die zugleich mit dem Einfluss der Juden verwoben ist.“ Frank Deppe: Politisches Denken im 20. Jahrhundert. Band 1: Die Anfänge, Hamburg 1999, S. 115. Meuter/Otten: Bürger im Spiegelkabinett, S. 20.

44

1. Einleitung

der mannhafte Mut und die Weisheit des Führers galten.“141 Und auch der bürgerliche Moeller konnte die kommunikativen Gemeinsamkeiten zwischen Adel und der Neuen Rechten eingängig konstruieren, indem er durch Geburt ,,überlieferte“ Eigenschaften der ,,konservativen Natur“ betonte.142 Schließlich übertrugen die Jungkonservativen die charismatischen Qualitäten einer Persönlichkeit zusätzlich auf die Nation, die in der Konsequenz zum absoluten Letztwert aufstieg, dem sich alles unterordnen müsse.143 Insgesamt kann festgehalten werden, dass die gesellschaftliche Differenzierung im Zuge größerer Strukturprozesse in Deutschland keineswegs zu einem Abbau formierter Hierarchien führte. Zwar erhöhten sich die Bildungschancen im Wilhelminismus, aber damit korrespondierte nicht das gleiche Maß an Aufstiegsmöglichkeiten oder Partizipation. Die kulturkritische antibürgerliche Opposition der Jahrhundertwende kann deshalb nicht allein auf ästhetische Anliegen zurückgeführt werden, war sie doch zugleich Ausdruck sozialer und habitueller Distinktionsbemühungen. Die Akademiker unter den Gewissen-Autoren sahen sich zudem nach dem Ersten Weltkrieg in einer frustrierenden Situation, denn einerseits schien die kaufmännische und technische Intelligenz deutlich im materiellen Vorteil zu sein, und andererseits hatte ,,der Bourgeois“ seine ,,Pfründenherrschaft“ verteidigen können.144 Deshalb war die Entwicklung einer intellektuellen Schicht, die sich aus unterschiedlichen, aber prädestinierten Berufen zusammensetzte, auch eine Form akademisch-bürgerlicher Selbstbehauptung.145 Im Habitus der Überlegenheit trafen sich bildungsbürgerliche und adelige Vorstellungen von elitären Gemeinschaftsformen, in den schließlich nach dem Ersten Weltkrieg ein erhebliches Sendungsbewusstsein einfloss.

141 142 143

144 145

Heinrich von Gleichen (24.10.1921): Sagen, was soll!, in: Gewissen, 3, H. 43, S. 1–5. Moeller van den Bruck (03.10.1921): Konservativ, 3, in: Gewissen, 3, H. 40, S. 3–4. Das Individuum sollte vollständig vom organisierten, hierarchisierten (also preußischen) Staat ,,absorbiert“ werden, der Staat wiederum wurde als Träger der Nation vorgestellt. Breuer: Anatomie, S. 192–193. ,,Die Annäherung zwischen Rechtsintellektuellen und Adligen bestand jedoch vielfach weniger als taktische Verständigung über konkrete politische Ziele, denn als Fluidum, als eine über Stil- und Sprachformen hergestellte atmosphärische Nähe, der ein gemeinsames Ressentiment gegen die verhassten Formen der während des langen 19. Jahrhunderts entstandenen Bürgerlichkeit zugrunde lag.“ Malinowski: Vom König, S. 309. Meuter/Otten: Bürger im Spiegelkabinett, S. 21. Aus sozialhistorischer Sicht sind Akademiker als Gruppe kaum definierbar; Abelshauser schlägt vor, von ,,eigenem Selbstverständnis und [von] besonderen Handlungsmöglichkeiten“ zu sprechen, wenn ,,sie als Intellektuelle ,sinnverwaltend‘ und ,sinngestaltend‘ auf die Gesellschaft einwirken“. In Anlehnung an Dahrendorf zählt er die Bereiche Bildungswesen, künstlerische Einrichtungen und Medien als Kontext der Akademikergruppe vor. Werner Abelshauser/Anselm Faust/Dietmar Petzina (Hrsg.): Deutsche Sozialgeschichte 1914–1945. Ein historisches Lesebuch, München 1985, S. 91.

1.3 Kollektivbiographische Muster

45

1.3.1 Datenerhebung Die Untersuchung des Netzwerks jungkonservativer Ideenvermittler stützt sich auf eine breite empirische Basis. Insgesamt wurden 280 Autorennamen erfasst und alle Artikel des Gewissens berücksichtigt, die zwischen April 1919 und Dezember 1925 erschienen. Offensichtliche Pseudonyme oder nicht zuzuordnende Kürzel blieben unberücksichtigt. Von den 280 Autoren konnte mehr als die Hälfte mit ihren Lebensdaten recherchiert werden. Anhand der Häufigkeit der Beiträge und internen Einbindung der Personen werden die Autoren unterschieden in einen inneren und äußeren Kreis. Regelmäßige Veröffentlichungen des inneren Kreises (35 Autoren) bildeten Basis und Profil der Zeitschrift, die 245 Autoren des äußeren Kreises rundeten die Profilbildung ab. Auch Moeller sprach über die Autoren in zwei Kategorien. Zum einen würde das Gewissen ,,von einem durch Gesinnungsgemeinschaft persönlich verbundenen Kreis geschrieben“ und zum anderen gäbe es einen ,,Kreis der Aussen- und doch Nahestehenden“, der groß sei und stetig wachse.146 Die Bandbreite der Autoren, deren Artikel meist jeweils innerhalb einer bestimmten Zeitspanne im Blatt erschienen, unterstützte das selbst gesteckte Ziel des Gewissens, als ein überparteiliches und ungebundenes Organ in der Öffentlichkeit aufzutreten. Die Autoren-Daten des äußeren Kreises unterstützen die These, dass erst die Veröffentlichungen im Gewissen den Identifikationsrahmen der jungkonservativen Strömung über den Juni-Klub hinaus manifestierten und verbreiterten. Das Gewissen war kein synchrones Verlautbarungsorgan des Juni-Klubs, sondern bot einen überlokalen Raum zum Austausch, der auch durch Autoren gestaltet wurde, die nicht am Klub-Leben teilnahmen.147 Ob Gewissen-Autoren auch Klubmitglieder waren, hing zu einem Gutteil von ihrem Wohnort ab, denn diejenigen Männer, die sich sowohl im Klub als auch in der Zeitschrift engagierten, waren meist in Berlin wohnhaft. Umgekehrt gab es keinen Automatismus, denn eine Reihe von ambitionierten Juni-Klub-Mitgliedern veröffentlichte nie im Gewissen. Von den zeitweise 90 stimmberechtigten ordentlichen Mitgliedern des Juni-Klubs gehörten nur 40 zum inneren oder äußeren Autorenkreis.148 Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung bestand zunächst das Problem, das Gros der Autorennamen biographisch zu recherchieren, um gültige 146 147

148

BArch Berlin R118/34 Akten des Politischen Kolleg: Brief (02.08.1923) Moeller van den Bruck an Erich Brock. Von den 35 Autoren des inneren Kreises waren nur 14 zugleich auch stimmberechtigte, drei waren nicht-stimmberechtigte Mitglieder des Juni-Klubs. Von den 245 Autoren des äußeren Kreises waren 14 stimmberechtigte und 5 nicht-stimmberechtigte Mitglieder des Juni-Klubs. BArch Koblenz N 1160/122 NL Rudolf Pechel: Liste der stimmberechtigten ordentlichen Mitglieder des Juni-Klub, Liste der nicht-stimmberechtigten außerordentlichen Mitglieder.

46

1. Einleitung

Tabelle 1: Die Autorenstruktur des Gewissens Autoren Insgesamt Innen Außen

Nachweisbar

Publizisten

Manager

Gelehrte

184 32 150

94 18 75

59 8 49

31 6 26

280 35 245

Aussagen über die Verteilung von Alters- und Berufsgruppen treffen zu können. Insgesamt konnten 184 der 280 Namen ermittelt werden: dazu zählen Lebensdaten, in vielen Fällen die Konfession und oft die überwiegend ausgeübte berufliche Tätigkeit. Die Quote liegt bei etwa zwei Drittel aller Autoren, so dass aussagekräftige Trends für die Gesamtgruppe benannt werden können. Da der innere Kreis bis auf drei Namen ermittelt wurde, verfeinert sich hier das Bild entsprechend. Um die Differenzierung in einen inneren und äußeren Autoren-Kreis und die Kategorisierung nach drei beruflichen Schwerpunkten nachvollziehbar erläutern zu können, bietet die Aufstellung in Tabelle 1 eine Grundlage. Der Frauenanteil an den Gewissen-Autoren war marginal. Während der sechs untersuchten Jahre veröffentlichten insgesamt fünf Frauen bis zu sechs Artikel, nur eine Autorin erschien mit 13 Artikeln. Drei der Autorinnen waren Ehefrauen von Gewissen-Autoren (Hedwig Mannhardt, Elisabeth Sulzer, Lucy Moeller van den Bruck). Hinzu kam ein Artikel von Beda Prilipp, einer der bekanntesten Organisatorinnen des weiblichen deutschen Nachkriegsnationalismus. Zwei relativ unbekannten Autorinnen wurde hingegen öfter Platz eingeräumt. Zum einen veröffentlichte die estnische Schriftstellerin und Journalistin Theophile von Bodisco zwischen 1922 und 1924 vier Artikel. Bodisco kam eventuell durch den Kontakt mit anderen Baltendeutschen wie Max Hildebert Boehm oder Lucy Moeller van den Bruck zum Gewissen. Sie hatte in Reval für deutsche Zeitungen gearbeitet und engagierte sich in literarischen Gesellschaften. Zum anderen schrieb die Kunsthistorikerin Emmy Voigtländer ab 1921 in 13 Artikeln über die ,,Kriegsschuldfrage“. 1921, als ihr erster Artikel im Gewissen erschien, hatte sie auch ihre Abhandlung ,,Zur Gesetzlichkeit in der Abendländischen Kunst“ veröffentlicht, womit eventuell das Interesse Moellers geweckt worden war. Insgesamt jedoch war das Gewissen eine eindeutig durch Männer dominierte Zeitschrift. 1.3.2 Lebensdaten Die Geburtsjahrgänge von 178 ermittelten Autoren verteilen sich zwischen 1848 und 1904, von denen das Gros zwischen 1875 und 1895 geboren wurde. Im äußeren Kreis reichten die Jahrgänge bis 1900, im inneren Kreis waren zwei

1.3 Kollektivbiographische Muster

47

Autoren vor 1870 geboren, fünf Autoren in den 1870er, 14 in den 1880er und acht Anfang der 1890er Jahre. Die detaillierte Verteilung zeigt die Grafik in Abbildung 1. Die Zahlen unterstreichen die Annahme, dass die meisten GewissenAutoren ihre soziale und mentale Prägung149 als Jugendliche und junge Erwachsene vor oder während der Jahrhundertwende erfuhren, also vom Beginn der 1890er bis in die 1910er Jahre. Die Mehrzahl von ihnen war nicht in Berlin, sondern in der Provinz geboren, ,,entweder in Kleinstädten oder in einer jener provinziellen Großstädte“, so dass ein ,,gewisser antiurbaner Affekt erhalten“150 blieb. In der Ring-Bewegung fanden ,,vorwiegend bürgerliche Mitglieder“151 zusammen, von denen die meisten humanistische Gymnasien und die Universität besucht hatten. Der familiäre Hintergrund der Aktiven reichte von selbständigen Existenzen, kaufmännischen Angestellten bis hin zu Staatsbediensteten. Die meisten Gewissen-Autoren kamen aus protestantischen Elternhäusern; Katholiken wie Spahn, Stadtler und Brauweiler bildeten im inneren Kreis die Minderheit. Im äußeren Kreis gab es knapp 10 % Katholiken, außerdem vereinzelt jüdische Autoren. Viele Autoren ließen sich erst vor oder während des Krieges in Berlin nieder. Beispielhaft für den Erfahrungshorizont und das räumliche Spektrum kann der Herausgeberkreis herangezogen werden. Moeller van den Bruck wurde 1876 im westfälischen Solingen geboren und zog Anfang der 1890er Jahre nach Berlin, Heinrich von Gleichen, Jahrgang 1882, kam aus dem thüringischen Dessau, wo er zeitlebens auch das Familien-Gut besaß; Eduard Stadtler war 1886 im Elsass geboren und kam 1918 nach Berlin; Max Hildebert Boehm war 1891 im damaligen Livland geboren und ließ sich ebenfalls nach dem Krieg in Berlin nieder. Moeller gehörte, in Anlehnung an Detlef Peukerts politisches Generationenkonzept, der ,,Gründerzeitgeneration“ an.152 Im inneren Kreis zählten ebenfalls zur Gründerzeitgeneration: Hans Grimm, Martin Spahn, Karl Hoffmann, Reinhold Georg Quaatz. Die Schriftsteller Karl Bleibtreu und Paul Ernst, geboren 1859 bzw. 1866, gehörten sogar noch der ,,Wilhelminischen Generation“ an. 149

150 151 152

Mentalität übernimmt ,,eine Art Mittlerfunktion“ zwischen Ideen und Weltbildern einerseits und den ,,kognitiven Wahrnehmungs- und Deutungsstrukturen zu Denkmustern und Einstellungen, Vorstellungen von der Wirklichkeit sowie Handlungsdispositionen [. . . ]“ andererseits. Gilcher-Holtey: Plädoyer, S. 487–488. Breuer: Anatomie, S. 26. Schwierskott: Arthur Moeller, S. 76. Die Generationen waren kaum homogen, aber politisch geprägt und unterscheidbar. So bezeichnet die ,,wilhelminische Generation“ die Altersgenossen Wilhelm II., die ,,Gründerzeitgeneration“ umfasst die im Jahrzehnt der Reichsgründung Geborenen, die ,,Frontgeneration“ die in den achtziger und neunziger Jahren Geborenen und schließlich gab es die ,,im mehrfachen Sinne überflüssige Generation der seit 1900 Geborenen“. Peukert: Weimarer Republik, S. 25-31.

48

1. Einleitung

Abbildung 1: Geburtsjahrgänge der Autoren aus dem inneren und äußeren Kreis

1.3 Kollektivbiographische Muster

49

Gleichen und Stadtler – zwischen 1882 und 1886 geboren und zur Zeit der Gewissen-Herausgabe um die 40 Jahre alt – können dem Übergang von der Gründerzeit- zur Frontgeneration zugerechnet werden. Beispielsweise hatte Gleichen schon vor dem Krieg seine Ausbildung längst abgeschlossen und auf dem elterlichen Gut gearbeitet, während Stadtler noch bis Kriegsbeginn für die Jugendorganisation des Zentrums aktiv war. Zu dieser Übergangsgeneration zählten außerdem die Journalisten Hermann Ullmann, Heinz Brauweiler, Heinz Fenner, Wilhelm von Kries, Walther Schotte und Walther Schulz, der Bankier Alexander Ringleb, der Vermögensexperte Hermann Zickert, der Jurist Hermann Albrecht und der Pädagoge Ernst Krieck. Die Angehörigen der Geburtskohorte ab 1890 erlebten als junge Erwachsene den Ersten Weltkrieg; zu ihr gehörten Max Hildebert Boehm, Heinrich Herrfahrdt und Albert Dietrich sowie Franz Schauwecker, Hans Schwarz, Werner Wirths, Fritz Ehrenforth und Hans Roeseler. Diese Autoren waren die jüngsten im Gewissen und Ende 20 bis Anfang 30 Jahre alt. Auch der Stegerwald-Mitarbeiter Franz Röhr kann mit Mitte 30 noch dazu gezählt werden. Harry Laeuen war im inneren Kreis als 20-Jähriger der Jüngste und als Teil der Kriegsjugend-Generation eine Ausnahme. Um 1922 war ein Gewissen-Autor des inneren Kreises durchschnittlich 37 Jahre alt. Statistisch bewegte sich Heinrich von Gleichen mit 40 Jahren nur knapp über dem Altersdurchschnitt, aber in der rechtsoppositionellen Szene der Republik wurde er als Mitglied der alten Oberschicht wahrgenommen. Die Wahrnehmungslinien hierfür verliefen zum Teil hauchdünn, aber waren durch die Tatsache begründet, ob man vor, während oder nach dem Krieg politisch sozialisiert worden war.153 Das Durchschnittsalter von 37 Jahren entsprach dem des allgemeinen Pressemarktes, denn seit 1900 bis Mitte der 1920er Jahre sank die Altersstruktur in den Redaktionen der Berliner Zeitungen von überwiegend 40- bis 50jährige auf 30- bis 40jährige Mitarbeiter.154 Die Verjüngung hing mit einer Professionalisierung des Journalistenberufs zusammen, wodurch ein früherer Berufszugang möglich wurde. Das Altersprofil der Gewissen-Redaktion zeigt also zum einen, dass der Bezugsrahmen der Zeitschrift in die Vorkriegs- und Kriegszeit reichte. Zum anderen spiegelte 153

154

So erschien dem Auslandskorrespondenten Hans Tröbst bei einem Treffen des Herrenklubs im Jahr 1926 der nur neun Jahre ältere Heinrich von Gleichen wie aus einer alten, trägen, räsonierenden, aber kaum aktiven Welt. ,,Jeder weiß, wie ,es‘ gemacht werden muß, aber keiner tut es“ lautete sein Urteil. Gebhardt zitiert aus dem Tagebuch von Tröbst, der als ehemaliger Freikorpssoldat der Brigade Ehrhardt eher zufällig Journalist wurde und während der 1920er und 30er Jahre als Auslandskorrespondent u. a. aus der Türkei, Griechenland, Jugoslawien und Rumänien berichtete. Hartwig Gebhardt: Mir fehlt eben ein anständiger Beruf. Leben und Arbeit des Auslandskorrespondenten Hans Tröbst (1891–1939), Bremen 2007, S. 35 FN 42. 1899/1900: 29,6 % unter 40 Jahren, 36.2 % unter 50 Jahren; 1927: 32,7 % unter 40 Jahren, 30,3 % unter 50 Jahren. Rudolf Stöber: Die erfolgverführte Nation. Deutschlands öffentliche Stimmungen 1866 bis 1945, Stuttgart 1998, S. 117.

50

1. Einleitung

der Autorenstamm des Gewissens einen allgemeinen Trend des Pressemarkts wider, auf dem überwiegend akademisch ausgebildete Männer zwischen 30 und 40 Jahren agierten.155 1.3.3 Tätigkeiten Neben den Lebensdaten der Autoren bietet die Einordnung nach hauptberuflichen Tätigkeiten einen weiteren Typologie-Rahmen für das Gewissen. Insgesamt gehörte der überwiegende Teil zu den ,,gebildeten Klassen“, wie sie schon in der Vorkriegszeit bekannt waren, etwa Pfarrer, Journalisten und Gelehrte.156 Die Tatsache, dass alle Autoren und die Herausgeber mehr als einer Tätigkeit nachgingen, war ein Zeichen für persönliches Engagement, aber auch für die finanzielle Notwendigkeit und beruflichen Möglichkeiten der Nachkriegszeit. Noch Mitte der 1920er Jahre verdienten etwa Redakteure unterdurchschnittlich, weil die meisten ohne Arbeitsverträge und festes Gehalt arbeiteten. Übertragen auf die Zeit vor der wirtschaftlichen Stabilisierung ab 1924 und mit besonderem Blick auf die Inflationszeit dürfte der Nachkriegsjournalismus sehr stark von prekären Arbeitsverhältnissen gekennzeichnet gewesen sein. Die hauptsächlich ausgeübten Berufe der ermittelten Gewissen-Autoren wurden für die vorliegende Untersuchung auch mit Blick auf die Berufsstruktur der Weimarer Republik zu drei Schwerpunkten zusammengefasst. Die Kategorie ,,Publizisten“ orientiert sich am heterogenen Presse- und Verlagsmarkt der 1920er Jahre, der offen war für Journalisten, Essayisten und Schriftsteller mit meist akademischem Hintergrund.157 Unter dem Begriff ,,Manager“ werden Unternehmer und Verwaltungsberufe erfasst, die seit der Vorkriegszeit einer deutlichen Professionalisierung und Differenzierung unterlagen. Durch die zunehmende Vernetzung von wirtschaftlicher Macht und politischem Einfluss konnten zum einen Unternehmer – vor allem Großunternehmer – seit dem späten 19. Jahrhundert ihr soziales Prestige erhöhen.158 Zum anderen boten sich für Juristen, aber auch Geisteswissenschaftler im expandierenden Verwaltungssektor und in den entstehenden Lobbystrukturen reichlich Betätigungsfelder. Der Begriff Manager soll verdeutlichen, dass sich vor allem Vertreter dieser Berufssparten in der Weimarer Republik effizient vernetzen konnten, Einfluss nahmen oder ihre Interessen bündelten, indem sie demokratische Institutionen nutzten. Insofern spiegeln die Autoren der Kategorie ,,Manager“ auch den politischen, wirtschaftlichen 155

156 157 158

Nach einer Erhebung des Presse-Reichsverbandes Mitte der 1920er Jahre waren rund 63 % aller Redakteure im Pressewesen auch Akademiker. Deutsche Presse. Zeitschrift für die gesamten Interessen des Zeitungswesens 18 (30.06.1928) H. 27, S. 396. Hübinger: Kulturprotestantismus, S. 18. Vgl. auch in Kap. I.4 ,,Kommunikation und Vermittlung“. Kaelble, Soziale Mobilität, S. 32.

1.3 Kollektivbiographische Muster

51

und gesellschaftlichen Differenzierungs- und Vernetzungsprozess, der wiederum Einfluss auf die politische Agenda der 1920er Jahre nahm. Die dritte Berufs-Kategorie dieser Studie bildet ähnlich wie in der gesellschaftlichen Realität eine Minderheit.159 Die ,,Gelehrten“ unter den Gewissen-Autoren waren Hochschullehrer oder Privatdozenten, die wegen ihrer wissenschaftlichen Expertise und ihrer tradierten Legitimation begehrte Autoren für die rechtsintellektuelle Sinnvermittlung im Gewissen waren. Die Krux jeder idealtypischen Kategorisierung ist auch in diesem Fall, dass Überschneidungen und Uneindeutigkeiten geglättet und beseitigt werden. Zum Verständnis des Berufsprofils der Gewissen-Autoren erscheint dieses Verfahren legitim, da auf diese Weise alle Autoren erfasst werden können. Die typologische Zuordnung wird durch biographische Sondierungen einzelner Autoren differenziert und vervollständigt. Äußerer Kreis: Publizisten

Von den insgesamt 184 ermittelten Autoren betätigte sich etwa die Hälfte hauptberuflich im publizistischen Feld, sei es als Verleger, Journalist oder Schriftsteller. Im äußeren Kreis war von 152 ermittelten Autoren ebenfalls die Hälfte als Journalist oder Schriftsteller tätig. In den meisten Fällen überschnitten sich schreibende und verlegerische Tätigkeiten oder wurden durch weitere Berufe ergänzt, wie bei Walther Eckart, der als Lehrer und Dichter auch Herausgeber der Münchner Monatszeitschrift Das Gegenspiel. Monatsblätter für deutsche Dichtung war. Der Literaturhistoriker Hanns Martin Elster war gleichzeitig Herausgeber von Die Horen und der Schriftsteller Wilhelm Schäfer gab Die Rheinlande heraus. Die Herausgeber von Ankers Militärpolitischer Wochenschau oder der Grenzdeutschen Rundschau waren ehemals Major bzw. Oberstleutnant der Reichswehr gewesen. Kapitänleutnant a. D. Graf Ernst von Reventlow gab Der Reichswart heraus, und auch der Verleger Rudolf Pechel, der 1919 die Deutsche Rundschau übernahm, hatte bei der Marine gedient. Dass ehemalige Militärs wie Anker, Reventlow oder Pechel als Alleinherausgeber einer Zeitung oder Zeitschrift fungierten, kam in der NachkriegsPresselandschaft häufig vor und war zum Teil durch die drastische Reduzierung des Reichswehrpersonals bedingt. In einer repräsentativen Erhebung hatte der Reichsverband der deutschen Presse für das Jahr 1927 festgestellt, dass ein Großteil der Alleinredakteure Männer seien, ,,deren Werdegang in starkem Maße unter dem Einfluß von Krieg, Revolution und Inflation gestanden hat, Männer, die aus einem inneren Drang zum Journalismus gekommen sind, aber bisher noch nicht den Anschluß an die mittlere und große Tagespresse gefunden haben“.160 159 160

Ebd., S. 46. Deutsche Presse. Zeitschrift für die gesamten Interessen des Zeitungswesens 18 (24.11.1928) H. 48, S. 566. Vgl. auch Gebhardt: ,,Ich hab halt nie“, S. 212-213.

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1. Einleitung

Weitaus mehr Gewissen-Autoren arbeiteten als mitarbeitende Redakteure oder Korrespondenten und nicht als Alleinherausgeber. Anhand der Blätter, für die sie arbeiteten, wird die politische Spannweite deutlich, die sich im äußeren Kreis des Gewissens auftat. Karl Brill arbeitete für die Elsass-Lothringische Heimatstimme, Carl Georg Bruns für Nation und Staat, Arthur Dix unter anderem für die Deutsche Export Revue und Tägliche Rundschau, Paul Friedrich war Feuilleton-Redakteur der Berliner Neuesten Nachrichten, Josef Joos Schriftleiter der Westdeutschen Arbeiterzeitung, Fritz Klein schrieb als Korrespondent für die Wiener Neue Freie Presse in Rumänien und schließlich für die Auslandsabteilung der Deutschen Allgemeinen Zeitung (D.A.Z) in Berlin, Fritz Kloppe war Chefredakteur von Der Wehrwolf , während Werner Mahrholz für die Vossische Zeitung arbeitete. Robert Friedländer, ein alter Schulfreund Hugo von Hofmannsthals, publizierte unter dem Namen Robert Prechtl für Der Spiegel und die Sozialistischen Monatshefte. Eine Gemeinsamkeit dieser Autoren lag in dem Umstand, dass nur wenige von ihnen eine öffentlichkeitswirksame Karriere machten. Eine Ausnahme bildete Hans Fritzsche, der in Alfred Hugenbergs Telegraphenunion seine journalistische Tätigkeit aufnahm und im Verlauf der 1920er Jahre zum Rundfunk wechselte, wo er Leiter des ,,Drahtlosen Nachrichtendienstes“ wurde. Berühmt wurde Fritzsche schließlich in den 1930er Jahren als Rundfunkkommentator im Dienst des Propagandaministeriums, der die ausländische Presse und Publizistik regelmäßig kommentierte.161 Äußerer Kreis: Manager

Mehr als ein Drittel, etwa 50 Männer, des äußeren Kreises kann der ManagerKategorie zugeordnet werden (wobei dies nicht ausschließt, dass sie zwischenzeitlich auch journalistisch tätig waren). Typisch für die meisten war eine offizielle Tätigkeit innerhalb des Parteien- oder Parlamentssystems. Beispielhaft werden im Folgenden einige Biographien aufgeführt. Hermann Birschel, von Haus aus Landwirt, war promovierter Volkswirt und arbeitete in der Pommerschen Landwirtschaftskammer, wo er 1929 zum Kammerdirektor aufstieg; der Kolonialbeamte Rudolf Böhmer wurde nach seiner Rückkehr aus dem namibischen Windhuk Mitarbeiter des DNVP-Politikers Karl Helfferich; Franz von Buhl war Weingutsbesitzer und bayerischer DVP-Landtagspolitiker; Johannes van de Kerkhoff, Seidenfabrikant aus Krefeld, war von 1920 bis 1924 DNVP-Reichstagsabgeordneter; der Hamburger Unternehmer Heinrich Freese besaß eine Rolladenfabrik und engagierte sich in der Bodenreformbewegung. Walther de Laporte stammte aus Göttingen, war aktiver Offizier und als Nationalökonom schon vor dem Krieg zum Direktor des Zentralrats für das Wohnungswesen gewählt worden, nach seiner 161

Max Bonacker: Goebbels‘ Mann beim Radio. Der NS-Propagandist Hans Fritzsche (1900–1953), München 2007.

1.3 Kollektivbiographische Muster

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freiwilligen Kriegsteilnahme übernahm er den Posten eines Direktors des Berliner Städtischen Wohnungsamtes.162 Auch das Vorstandsmitglied der Bremer Knorr Bremse AG, Otto Leibrock, äußerte sich 1921 im Gewissen. Ein weiterer Fabrikant in den Reihen der Gewissen-Autoren, Paul Lejeune-Jung, hatte während des Ersten Weltkrieges in der Kriegsrohstoffabteilung gearbeitet, wurde 1921 Geschäftsführer des ,,Vereins Deutscher Zellstofffabrikanten“ und gehörte ab 1924 zum gouvernementalen Flügel der DNVP im Reichstag, die er 1930 zugunsten der ,,Nationalkonservativen Vereinigung“ verließ.163 Für die DNVP saß auch der Gewissen-Autor, Rechtsanwalt und Verteidiger der von Enteignung bedrohten Fürsten, Friedrich Everling, im Reichstag. Von den insgesamt vierzehn nachgewiesenen katholischen Autoren des äußeren Kreises war nur Josef Joos Mitglied des Zentrums. Einflüsse der christlichen Soziallehre kamen aber nicht nur aus dem katholischen Milieu, sondern auch von sozialkonservativen, protestantischen Autoren wie etwa Wilhelm Gutsche, der vor dem Krieg zu den Mitgründern des christlich-nationalen ,,Elberfelder Stammesverband der Gewerkschaften deutscher Eisenbahner“ gehörte und später Vorsitzender der Gewerkschaft Deutscher Eisenbahner e.V. wurde. Ein typischer Akteur aus dem Verwaltungsbereich war August Müller. Der Sohn eines Gärtners stieg 1898 zum Redakteur der Magdeburger Volksstimme auf, bis er ein Jahr später wegen Majestätsbeleidigung zu vier Jahren Haft verurteilt wurde. Nach Fürsprache wurde er alsbald freigesprochen, zog sich dann aber zum Studium in die Schweiz zurück. Nach diversen journalistischen Tätigkeiten kam er schließlich 1907 als Mitarbeiter des ,,Zentralverbandes deutscher Konsumvereine“ nach Hamburg, von wo er 1916 ins Kriegsernährungsamt berufen wurde. 1918 wechselte er ins Reichswirtschaftsamt, wurde Staatssekretär und ab 1920 Leiter des Wiederaufbauministeriums. Im Gewissen warb Müller 1920 für die ,,Arbeitsgemeinschaft als Wahlparole“, die zu diesem Zeitpunkt noch als aussichtsreichste Lösung der wirtschaftlichen Belastungen galt. Müller wechselte 1925 von der SPD zur DDP. Auch Joachim Tiburtius, Oberregierungsrat im Reichsarbeitsministerium, war geprägt von Kriegserfahrungen, die er als Referent für Arbeitsfragen im Preußischen 162

163

Im Rahmen der Berliner Gebietsreform 1920 war Laporte für Alfred Hugenberg von Interesse. In einem Memorandum, das Alexander Ringleb im gleichen Jahr für Hugenberg anfertigte, wurde Laportes politische Einstellung als ,,demokratisch“, aber nicht ,,westlerisch“ beschrieben. Die Mitteilung lässt offen, ob Laportes Nähe zur Ring-Bewegung und die Tatsache, dass er dem Gewissen ,,innerlich sehr nahe“ stand, als Empfehlung für den Posten als Direktor für das Gross-Berliner Wohnungsamt gelten sollte. BArch Koblenz N 231/30, Bl. 379–381 NL Alfred Hugenberg: Brief mit Anhang (17.08.1920) Alexander Ringleb an Alfred Hugenberg. Kurze Zeit später arbeitete Laporte im Reichswehrministerium, zeichnete sich jedoch vor allem durch seine vielfältigen Ämter im Bereich Wohnungs- und Siedlungswesen aus. Lejeune-Jung gehörte 1942 zum Goerdeler-Kreis, in dem er für die Zeit nach dem Attentat auf Hitler als Wirtschaftsminister vorgesehen war. Er wurde 1944 als Mittäter angeklagt und in Berlin-Plötzensee hingerichtet.

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1. Einleitung

Kriegsministerium gesammelt hatte. Seine Artikel im Gewissen für eine ,,Befriedung der Wirtschaft“ können vor dem Hintergrund seiner Mitgliedschaft im Vorläufigen Reichswirtschaftsrat gesehen werden. Zum Manager-Typus der Gewissen-Autoren gehörten auch die Organisatoren der rechtsoppositionellen Verbände und Vereinigungen. Der Forstrat Georg Escherich, Begründer der bayerischen Einwohnerwehr Organisation Escherich (Orgesch), äußerte sich zweimal im Gewissen. Organisatorisch sehr viel enger verbunden mit dem Gewissen schien der Mitgründer des ,,Deutschen Schutzbundes für die Grenz- und Auslandsdeutschen“ und JuniKlubmitglied Karl Christian von Loesch. Die Zentrale der Ring-Bewegung und somit auch die Redaktion des Gewissens hatten ihren Sitz in der Berliner Motzstraße 20, dem sogenannten Schutzbundhaus. Sporadische GewissenAutoren und zugleich Schutzbundaktivsten waren Robert Ernst, der unter anderem Leiter des ,,Bundes der Elsaß-Lothringer im Reich“ war, Johannes Schmidt-Wodder, der sich für die deutsche Minderheit in Dänemark auch parlamentarisch engagierte, Walter Szagunn, Vorstandsmitglied des Deutschen Schutzbundes oder Fritz Kleiner, ein Bauunternehmer, der sich als Reichsorganisator der ,,Vereinigten Verbände heimattreuer Oberschlesier“ für die Abstimmung in Oberschlesien einsetzte. Die Interalliierte Kommission wies ihn schließlich aus und er konzentrierte sich auf den Industriebau. Vor diesem Hintergrund veröffentlichte er 1925 im Gewissen eine sehr dezidierte Meinung zu ,,Der polnische Wirtschaftskrieg“; drei Jahre später zog er für die NSDAP in den Reichstag ein. Äußerer Kreis: Gelehrte

Wenngleich nur ein Fünftel der Gewissen-Autoren des äußeren Kreises eindeutig als Gelehrte oder akademisches Personal bezeichnet werden kann, war ein wissenschaftlich orientierter Einfluss in der Zeitschrift spürbar. Historiker wie Justus Hashagen, Adolf Rein, Eduard Heyck und Albrecht Wirth, sendungsbewusste Theologen wie Karl Dunkmann, Bruno Violet, Friedrich Brunstädt, Kurt Ziesché und Heinz-Dietrich Wendland oder Juristen wie Heinrich Rogge und Hans Gerber verweisen auf die in der Zeitschrift vertretenen Leitwissenschaften des 19. Jahrhunderts, die auch noch in der Nachkriegszeit deutungsmächtig waren. Aber auch Geologen (Ernst Tießen, Friedrich Solger), Botaniker (Friedrich Tobler), Orientalisten (Hans Heinrich Schaeder, Victor Henry) oder Pädagogen (Philipp Hördt) kamen im Gewissen zu Wort. Innerer Kreis: Herausgeber

Im inneren Kreis der Gewissen-Autoren verstärkte sich der Trend zugunsten der schreibenden Zunft, während etwa gleich viele Manager und Gelehrte zum Profil des Blattes beitrugen. Der berufliche Hintergrund des Herausgeber-Kreises bildete dieses Verhältnis ab: der Essayist und Kunstkritiker

1.3 Kollektivbiographische Muster

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Moeller van den Bruck gehörte wie der vormalige Lehrer und Publizist Eduard Stadtler zur Mehrzahl der hauptberuflich schreibenden Autorengruppe. Der dritte Mann des Herausgeber-Kreises, Heinrich von Gleichen, nahm eine wichtige Position als Organisator und Verbindungsmann zur ,,Geburts- und Geldaristokratie“ ein. Max Hildebert Boehm ist zunächst nicht eindeutig zu verorten, hatte er doch während des Krieges als Schriftsteller und für die Propagandaabteilung der OHL gearbeitet, die Zeitschrift Der Grenzbote herausgegeben und an der Organisation der Schutzbundarbeit mitgewirkt. Dennoch ist es sinnvoll, ihn der akademischen Berufsgruppe zuzuordnen, da er als promovierter Philosoph zu den Mitbegründern der sogenannten Volkstumskunde gehörte, die wiederum den gelehrten Überbau aller Wiedergewinnungs- und Expansionspläne der Deutschen in Osteuropa bildete. Zu Zeiten des Gewissens leitete Boehm die ,,Arbeitsstelle für Nationalitätenprobleme“ des Politischen Kollegs und gründete nach seinem Ausscheiden 1926 das ,,Institut für Grenz- und Auslandsstudien“. Publizisten im inneren Kreis

Zum Berufsfeld der Journalisten, Publizisten und Schriftsteller werden im inneren Kreis insgesamt 18 Autoren gezählt. Neben Moeller und Stadtler gehörten die beiden schon älteren Literaten Karl Bleibtreu und Paul Ernst dazu. Daneben gab es den Schriftsteller Hans Grimm und die literarischen Nachwuchshoffnungen Franz Schauwecker sowie Hans Schwarz, beide Jahrgang 1890. Zur jüngeren Generation im Gewissen gehörte auch der 1885 in St. Petersburg geborene Heinz Fenner, der dort als Redakteur einer deutschen Zeitung gearbeitet hatte. Seine Russlandkenntnisse prädestinierten ihn auch zur Mitarbeit bei Stadtlers ,,Antibolschewistischer Liga“. Einen anderen Einstieg in den Kreis nahm der zwei Jahre jüngere Walther Schulz, der in der Studentenschaft engagiert war und sein Geld als Setzer verdiente. Über diesen Weg arbeitete er sich zum Redakteur hoch und übernahm zwischenzeitlich sogar die Chefredaktion des Gewissens. Schulz veröffentlichte ab 1922 im Blatt, auch der jüngste Autor des inneren Kreises Harry Laeuen, Jahrgang 1902, kam erst später zur Zeitschrift. Auf der Bundestagung des Deutschen Schutzbundes in Klagenfurt hatte Laeuen den Kontakt zu Boehm aufgenommen und sich als engagierter Studentenvertreter empfohlen. Nach dem Ausscheiden aus der Leitung des ,,Hochschulrings Deutscher Art“ in Tübingen wechselte Laeuen nach Berlin. Dort wurde er 1923 Boehms Assistent und Dozent am Politischen Kolleg. Gewissen-Autor Hans Roeseler war zugleich Mitglied des Vereins Deutscher Studenten (VDSt) und des Vereins Kriegerhilfe Ost (VKO) und bildete dort eine der Nahtstellen zur RingBewegung.164

164

Petzinna: Erziehung, S. 120.

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1. Einleitung

Journalistisch tätig waren außerdem Heinz Brauweiler – bis 1920 Chefredakteur beim Düsseldorfer Tageblatt – sowie Hermann Ullmann als Herausgeber von Deutsche Arbeit. Ullmann war vor dem Krieg Redakteur des Kunstwarts gewesen, bis er sich 1912 publizistisch den Anliegen deutscher Minderheiten im Osten widmete. Während des Krieges arbeitete Ullmann im Kriegspresseamt.165 Als der christliche Gewerkschaftsbund unter Vorgabe Adam Stegerwalds und Einfluss Heinrich Brünings eine eigene Zeitschrift Der Deutsche herausbrachte, wurde Ullmann dort Chefredakteur.166 Parallel zu den ersten Juni-Klub-Zusammenkünften hatte Ullmann im März 1919 Kontakt zu Boehm und Karl Christian von Loesch, mit denen er die Schutzbundarbeit initiierte. Die Schutzbundarbeit unterstützte auch Wilhelm von Kries durch sein Direktorat der ,,Grenzspende für Oberschlesien“, die sich vor Ort für die Abstimmungspropaganda einsetzte. 1921 wurde Kries Chefredakteur bei der Telegraphen-Union des Hugenberg-Konzerns. Auch der junge Journalist Werner Wirths stieß zum Schutzbund, als er unter anderem die Leitung der Pressestelle übernahm. Schließlich gehörte auch der Herausgeber der Preußischen Jahrbücher (1919–1934) Walther Schotte zum inneren Autoren– Kreis. Schotte war ehemaliger Assistent Wilhelm Diltheys, hatte mit Friedrich Naumann zusammengearbeitet und war Anfang der 1930er Jahre der Redenschreiber von Reichskanzler Papen.167 Manager im inneren Kreis

Den Manager-Typus vertraten insgesamt acht Autoren des inneren Kreises. Auf der Ebene der Herausgeber bildete Heinrich von Gleichen eine Art organisatorische Zentralinstanz. Durch seine geschäftsführende Position beim ,,Bund deutscher Gelehrter und Künstler“ hielt er zahlreiche Kontakte zur adeligen Oberschicht, zu Unternehmern und Schriftstellern. Der Gutsbesitzer Gleichen war zudem finanziell relativ frei beweglich und engagierte sich als politischer Organisator bei allen Aktivitäten der Ring-Bewegung. Im ersten ,,Dreizehner-Ausschuss“, dem Gründungsorgan des Juni-Klubs, saßen die Herausgeber sowie Wirths, Kries, Fritz Ehrenforth und Alexander Ringleb. Ehrenforth war seit 1920 Leiter der Presseabteilung des ,,Reichsausschusses der Deutschen Landwirtschaft“. Die Karriere des Juristen und aktiven 165

166 167

Ullmann hatte unter anderem in Wien studiert und in Salzburg und Linz als Lehrer gearbeitet. Etwa 1908 wechselte Ullmann in den journalistischen Bereich. Er gab 1924–31 die Zeitschrift Politische Wochenschrift heraus und war ab 1926 auch Verlagsleiter beim Scherl-Verlag. Als Hugenberg-Kritiker wurde er dort 1929 entlassen. 1930 gründete er die ,,Volkskonservative Vereinigung“ mit und gehörte bis zur Gleichschaltung 1937 dem VDA an. Danach ging Ullmann wieder nach Wien, arbeitete als Korrespondent und ging 1942 in die Schweiz. Vgl. auch Hermann Ullmann: Publizist in der Zeitenwende, München 1967. Brüning, gelegentlicher Gast im Juni-Klub, habe sich über diese Verbindung ,,Aufschlüsse über einzelne Mitglieder“ erhofft. Petzinna: Erziehung, S. 122. Über Schotte vgl. auch in Kap. II ,,Wirtschaftsautoritarismus“.

1.3 Kollektivbiographische Muster

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Kriegsteilnehmers führte bis zum Geschäftsführerposten im Deutschen Landwirtschaftsrat; publizistisch war er deutlich geprägt von seiner beruflichen Anbindung an Landwirtschafts- und vor allem Ernährungsfragen. Alexander Ringleb war für die Ring-Bewegung von Bedeutung, weil er als Bankier diskrete Verbindungen zu Geldgebern pflegte. Von politisch-aktiver Seite traten im weiteren Verlauf des Gewissens noch Oberregierungsrat Hermann Albrecht sowie der Geheime Regierungsrat und DNVP-Politiker Reinhold Georg Quaatz zum inneren Kreis der Autoren. Wirtschaftspolitisch ausgerichtet war auch Hermann Zickert, der als Vermögensexperte unter anderem bei der Berliner Tageszeitung arbeitete. Bis Anfang 1923 schrieb Franz Röhr, persönlicher Berater des christlichen Gewerkschaftsführers Adam Stegerwald, im Gewissen. Er hatte seinen juristischen Staatsdienst quittiert, um in den 1920er Jahren die gewerkschaftliche Bildungsarbeit voranzubringen, etwa durch Gründung der Bildungsstätte ,,Unser Haus“ in Königswinter. Juni-Klub-Mitglied und Gewissen-Autor Fritz Weth wies ein eigentümliches Profil innerhalb des inneren Kreises auf, da er als ehemaliger Kommunist galt. Bekannt ist, dass er, wenngleich erfolglos, versuchte, Diskussionsklubs in den Arbeitervierteln des Berliner Nordens einzurichten.168 Gelehrte im inneren Kreis

Fast alle Autoren des inneren Gewissen-Kreises hatten ein Studium absolviert und einen Doktor jur. oder phil. erworben. Herausragender Nicht-Akademiker war Moeller van den Bruck, dem dieser Umstand in seiner Funktion als Mythengestalt innerhalb des Jungkonservatismus zugutekam. Unter den Akademikern gab es eine kleine Zahl, insgesamt sechs Autoren, die als Gelehrte und Professoren das Renommee der Gewissen-Publizistik aufwerten sollten. Der Religionsphilosoph Albert Dietrich wurde bekannt als Herausgeber der Dioskuren; der Troeltsch–Schüler war außerdem ein Studienfreund Boehms und eng mit Gustav Steinbömer befreundet.169 Einen ähnlichen Arbeitsschwerpunkt wie Dietrich hatte auch Erich Brock, der aber erst ab 1923 im Gewissen schrieb. Zum Typus des vorrangig akademisch Tätigen gehörten neben Dietrich und Brock der Herausgeber Boehm, sowie Heinrich Herrfahrdt, Ernst Krieck und Martin Spahn. Herrfahrdt, Jurist und aktiver Kriegsteilnehmer, war ab 1920 als Dozent am Politischen Kolleg tätig. Ab 1926 arbeitete er als Landgerichtsrat in Greifswald und lehrte als Privatdozent an der dortigen Universität; sein 1919 erschienenes Buch über ,,Die Einigung der Berufsstände als Grundlage des neuen Staates“ bildete auch die Basis seiner Artikel. Ernst Krieck gehörte im Gelehrten-Spektrum des Gewissens zu den schil168 169

Petzinna: Erziehung, S. 137. Gustav Steinbömer gehörte zum äußeren Kreis der Autoren und wurde nach 1945 mit seinen Erinnerungen, die er unter dem Namen Gustav Hillard abfasste, bekannt.

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1. Einleitung

lerndsten Figuren; nach 1933 erlangte sein Konzept der ,,Menschenformung“ den Rang eines staatlich geförderten NS-Lehrkonzepts. Während seiner Mitarbeit beim Gewissen bildete der Historiker Martin Spahn, der 1920 die Leitung des Politischen Kollegs übernahm, den gelehrten Gegenentwurf zu ihm. Die hier vorgestellten Daten und Ausführungen zu Alter, beruflichem Hintergrund und zur Prägung der Gewissen-Autoren lassen sich zu drei grundlegenden Aussagen zusammenfassen: 1. Die meisten Autoren wurden zwischen 1870 und 1890 geboren und stammten aus der heterogenen Schicht des Bildungsbürgertums. Sie erlebten die Umbrüche der Jahrhundertwende während ihrer Adoleszenz oder als junge Erwachsene. Die Vorkriegserfahrungen und -prägungen bildeten nach dem Ersten Weltkrieg den Hintergrund ihrer radikalen, elitären Haltung. 2. Die beruflichen Tätigkeiten können in drei idealtypische Kategorien unterteilt werden und spiegeln den sozialen und wirtschaftlichen Differenzierungsprozess seit der Jahrhundertwende wider. Etwa die Hälfte der 186 recherchierten Autoren war im Bereich Journalismus und Schriftstellerei tätig. Von der anderen Hälfte der Autoren engagierte sich die Mehrheit in Organisationen, Verbänden, Parteien oder als Unternehmer, ein kleinerer Teil war als akademische Gelehrte tätig. 3. Das Gewissen war eine eigenständige Kommunikationsplattform, die unter den Leitlinien der Ring-Bewegung aktive wie auch nicht-aktive Autoren besaß. Der spezifisch intellektuelle Denkstil der Ring-Bewegung produzierte und verfestigte sich durch persönliche und kommunikative Netze, in deren Mittelpunkt das Gewissen stand.

1.4 Konzeption und Aufbau einer Intellektuellengeschichte des Gewissens Die leitende These, dass der Jungkonservatismus sich erst durch die mediale Produktion und Verbreitung von Artikeln seiner Vertreter als politisch-ideelle Strömung herausbilden konnte, begründet das Konzept dieser Untersuchung. Das Gewissen erschien ab 1919 und markierte durch seine Inhalte und mitwirkenden Personen eine Übergangsphase der deutschen Zeitgeschichte. Die Ausläufer des langen 19. Jahrhunderts wirkten in den frühen 1920er Jahren ebenso nach, wie sich schon spezifische Merkmale des kurzen 20. Jahrhunderts abzeichneten. Sozialisation im Wilhelminismus und fin de siècle, Differenzierungen gesellschaftlicher Sphären, Krisendiagnosen und Krieg kreuzten sich mit politischen Leidenschaften, ganzheitlichem Ordnungsdenken und mit dem Glauben an Planbarkeit. Aus diesem Grund richtet Kapitel I den Blick auf die Vorkriegs- und Kriegszeit und die Bedin-

1.4 Konzeption

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gungen, unter denen sich der Jungkonservatismus kurz nach dem Ersten Weltkrieg konstituierte. Angelpunkt und Bindeglied zwischen konservativen Ideen und der jungkonservativen Gruppe bildete die Person Arthur Moeller van den Bruck. Er war Vordenker, innerer Halt und Ikone der Ring-Bewegung. Sein Werdegang und Habitus werden im Zusammenspiel mit den Deutungsmustern seiner Texte untersucht, die seinen Zeitgenossen vertraut waren und genügend Interpretationsraum bereithielten, um politische Utopien auf sie zu projizieren. Für die Entwicklung eines unerschütterlichen intellektuellen Sendungsbewusstseins, das in der Lage war, Utopien glaubwürdig zu vertreten, war der Erste Weltkrieg von entscheidender Bedeutung. Die späteren Gewissen-Herausgeber und Autoren der ,,Gründerzeitgeneration“ hatten vor allem an der Propagandafront gedient und vollzogen schreibend und organisierend eine Form von sozialem und mentalem Schützengrabenerlebnis. Die Erfahrungen intellektueller Mitsprache und Anerkennung verbanden sich in der Nachkriegszeit nicht nur bei den Jungkonservativen mit den kulturellen Praktiken von Verbänden, Zirkeln und Kreisen, wie sie verstärkt seit dem fin de siècle auftraten. In diesem Zusammenhang interessiert die Gründung des Juni-Klubs und Initiierung der Ring-Bewegung. Denn unter dem Ring-Symbol sollten sich gleichgesinnte Männer versammeln, die aus ihrer Einschätzung der Lehren aus dem Krieg ähnliche Forderungen ableiteten. Aber das Ideal einer am Ring orientierten Einheit vertrug sich nur selten mit der konfliktreichen Wirklichkeit des Klub-Lebens. Dieser Erzählstrang mündet in eine mediengeschichtliche Perspektive. Durch die Zeitschrift Gewissen kommunizierten die Jungkonservativen untereinander und vermittelten sie ihre utopische Ideen und Forderungen an die politische Öffentlichkeit. Der Blick auf das journalistische Selbstverständnis der Nachkriegszeit ergänzt hierbei den Zugriff auf das jungkonservative intellektuelle Elitedenken. Neben ideellen und habituellen Aspekten werden konkrete wirtschaftliche und redaktionelle Bedingungen der ZeitschriftenHerausgabe untersucht. Die Hintergründe sollen die These unterstützen, dass die professionelle Nutzung medialer Distributionswege die jungkonservativen Ideen erst verfügbar und im politischen Diskurs wirksam machten. Kapitel II wendet sich dem Profil der Zeitschrift Gewissen zu. Fünf Themenfelder, die die gesellschaftliche und politische Agenda der Weimarer Republik bestimmten, spiegelten sich in den Artikeln des Gewissens wider, die deshalb einer entsprechenden Kontextualisierung unterzogen werden. Zunächst werden das Politikverständnis der Gewissen-Autoren und ihre überwiegend populistische Strategie untersucht, politische Begriffe und Diskurse für den Jungkonservatismus in Anspruch zu nehmen. In den Blick geraten der rege Austausch mit DNVP-Politikern und deren inhaltlicher und finanzieller Anteil am Gewissen. Im Verhältnis zum Politiker und Medienunternehmer Alfred Hugenberg können eigentümliche intellektuelle

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1. Einleitung

Deutungsmuster dieses Abhängigkeitsverhältnisses herausgearbeitet werden. Die Gewissen-Publizistik betonte in allen radikalen Forderungen immer die eigene Rechtschaffenheit und den Einsatz legaler Mittel, wodurch man sich auch von der radikalen Konkurrenz innerhalb der Neuen Rechten abzugrenzen versuchte. Da die Konstituierung der Ring-Bewegung wesentlich durch die Annahme eines nationalen Erziehungsdefizits bestimmt war, spielten Erziehungsideale und Bildungskonzepte eine wichtige Rolle im Gewissen. Sie werden durch Aspekte zur konkreten Umsetzung im Politischen Kolleg sowie zum Jugend- und Männlichkeitsdiskurs vertieft. Die Annahme des Versailler Vertrags im Juni 1919 schuf den Gründungsmythos des Juni-Klubs, die kompromisslose Forderung seiner Revision bildete ein Leitthema im Gewissen. Auf der Folie der Friedensbedingungen entwickelten die Gewissen-Autoren einen Einkreisungs-Opfer-Erlösungs-Diskurs, der die Utopie einer nationalen Wiedergeburt konkretisierte und untermauerte. Daran anknüpfend wird nach den innen- und außenpolitischen Ordnungskonzepten gefragt, die im Gewissen verhandelt wurden. Im Sinne einer machtpolitischen Begriffsvereinnahmung ging es auch hier um die Besetzung und Deutung der politischen Gegenwart. Während ,,Revolution“ und ,,Sozialismus“ national integrierend umgedeutet wurden, dienten außenpolitische Argumentationen der Rechtfertigung von Expansionsansprüchen in Europa; die Gewissen-Publizistik entwickelte dabei einen zunehmend staatsorientierten Zugriff. Bei allen Forderungen und entworfenen Konzepten standen immer wieder die kapitalistische Wirtschaft und ihre Unternehmer als ausführendes Moment im Mittelpunkt. Im Themenfeld Wirtschaftsautoritarismus kann präzise vorgestellt werden, wie sich das jungkonservative Programm einer nationalen Wirtschaft mit den Interessen der Unternehmer verbinden konnte und zugleich an seine Grenzen stieß. Die Studie stützt sich auf amtliche und private Quellen. Nachlässe der Autoren wurden ebenso berücksichtigt wie Privat- oder Geschäftskorrespondenz der Gewissen-Redaktion. Mithilfe des nationalen Archivsystems Kalliope konnten auch Briefe in abgelegenen Beständen gefunden werden. Die Hauptquelle der Untersuchung bilden die Jahrgänge 1919 bis 1925 der Wochenzeitschrift Gewissen; über 1 500 Artikel wurden hierfür katalogisiert und ausgewertet. Ein chronologisches Heftverzeichnis mit detaillierter Auflistung der Heftinhalte und Autoren und ein alphabetisches AutorenArtikel-Verzeichnis sind als Zusatzmaterial zum Titel auf der Verlags-Webseite zugänglich. Die Grundlage des Berufs- und Sozialprofils der GewissenAutoren wurde durch eine ausführliche Personenrecherche geschaffen. Die wichtigsten Daten (Jahrgänge, z. T. Konfession, Beruf) zu den Autoren des inneren und äußeren Kreises sowie ihre Berufsfeldkategorisierung finden sich im Anhang.

2. Konstruktion des Jungkonservatismus 2.1 Arthur Moeller van den Bruck: Ikone des Jungkonservatismus ,,Der Dichter will nicht Richter und Kläger, Fragesteller und Verantworter sein, das will nur der Schriftsteller oder der Literat sein. Der Dichter will Schöpfer sein.“1

Moellers Biographie als die ,,eines ,Modernen‘ par excellence“2 spiegelte die Vielfalt an Lebensgestaltung, seine autodidaktischen Wandlungen ebenso wie die Möglichkeiten seiner Deutung. Moellers Lebenslauf wurde durch Selbst- und Fremdstilisierungen zu einem Referenzpunkt des Jungkonservatismus. Seine interpretationsfähigen Texte und sein unkonventioneller Lebensweg boten spätestens mit seinem Selbstmord 1925 den Kollegen beim Gewissen und Mitgliedern des Juni-Klubs Anknüpfungspunkte, um in ihm die genuin jungkonservative Stil-Ikone sehen zu können.3 Darüber hinaus rezipierten sie seine kulturkritischen Schriften, bis hin zu seiner DeutschlandUtopie ,,Das Dritte Reich“, als prophetische Leistungen und interpretierten seine Persönlichkeit als eine Art Genie des nationalen Ursprungs.4 Moeller van den Bruck, Jahrgang 1876, erlebte eine Gesellschaft im Übergang von traditionellen Strukturen und erstarrten Machtverhältnissen zu immensen industriellen, wirtschaftlichen, künstlerischen und soziologischen Modernisierungsschüben.5 Die Gegenbewegungen zur verklärten Grün1 2 3

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Franz Schauwecker (07.05.1923): Dichter – Zeit – Nation, in: Gewissen, 5, H. 18, S. 2–3. Ketelsen: Stabilisierte Mobilität, S. 223. Diese Überlegung ist auch beeinflusst von literaturwissenschaftlichen Perspektiven zu ,,kulturellen Anfangserzählungen“, ihren Strukturen und zwei wichtigen Funktionen: ,,Erstens sollen sie das Ins-Sein-Kommen der Welt [...] begreiflich machen. Zweitens aber müssen Gründungsnarrative sich performativ selbst in Geltung setzen – in einem unentrinnbaren logischen Zirkel, weil sie die Codes aller erst etablieren, aufgrund derer solche Beglaubigungen erfolgen können. Man kann das eine Paradoxie der Darstellung nennen.“ Albrecht Koschorke: Zur Logik kultureller Gründungserzählungen, in: Zeitschrift für Ideengeschichte, 1.2007 H. 2, S. 5–12, hier 8. Eine intensive Werkschau und Rezeptionsgeschichte bietet: André Schlüter: Moeller van den Bruck. Leben und Werk, Köln/Weimar/Wien 2010. Vgl. ,,Die Kultur der Moderne im Deutschen Kaiserreich“, in: Wolfgang J. Mommsen: Bürgerliche Kultur und politische Ordnung. Künstler, Schriftsteller und Intellektuelle in der deutschen Geschichte 1830–1933, Frankfurt a.M. 2000, S. 76–96; über die globalen, transnationalen Abhängigkeiten und unterschiedlichen Entwicklungen, vgl. Eric J. Hobsbawm: Das Imperiale Zeitalter 1875–1914, Frankfurt a.M. 1992, S. 25–77. Vgl. auch zum

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2. Konstruktion des Jungkonservatismus

derzeitlyrik und als Fassadenglanz empfundenen Gegenwartskunst waren um 1900 vom symbolistischen Schönheits- und Geniekult durchdrungen. Verbunden mit Erneuerungssehnsucht und einem antirationalem Reflex entwickelte sich eine Mentalität und Haltung, die in der Kunst ,,eine tiefere Wahrheit, eine höhere Organisation des Materials, eine stärkere Empfindsamkeit“ zu erkennen glaubte.6 Die Bilderwelt des ausgehenden 19. Jahrhunderts, in der Max Klinger, Arnold Böcklin oder Hans Thoma Prometheus, Herakles, Odysseus, Pane, Nereiden, Zentauren, Sirenen, Nymphen oder Faune ,,zeitenthoben“ abbildeten und zeichneten, verwies auf den Reiz überzeitlicher Mythen, die der Wahrheit vermeintlich besonders nahe kamen. Auch wenn es nicht unmittelbar einleuchten will, ,,warum nun gerade die tradierte Suche nach innerer Stimmigkeit und der Wunsch, das ersehnte neue Reich möge sich als geistige und sinnliche Einheit verwirklichen, in eine Welt trunken grinsender Pane und draller Seejungfrauen“ führte7 , machen Bilder und Dichtung der Jahrhundertwende den unbedingten Drang nach dem ästhetisch Absoluten sehr deutlich. Die Kritik am Bestehenden und Szenarien seines Niedergangs gehören zum regelmäßig wiederkehrenden Topos gesellschaftlicher Reflexion, zumal wenn sich zeitliche Zäsuren in Form von Jahrhundertwenden abzeichnen. Jedoch barg der kulturkritische Diskurs des fin de siècle eine besondere Qualität, in dem ,,Niedergangsstimmung und Aufbruchswillen“ zugleich existierten.8 Künstler und Intellektuelle setzten sich unter den Vorzeichen des Krisendiskurses mit ästhetischen Ansprüchen, gesellschaftlichen Zukunftsentwürfen und experimentellen Ausdrucksweisen auseinander und begaben sich aus der ,,ästhetischen Opposition“ zum Wilhelminismus, Historismus und Naturalismus auf die Suche nach Ausdrucksweisen und Formen deutscher Kultur, die ohne Fassaden auskommen sollte.9 Die zahlreichen Verbindungen, Bünde und Orte der Zusammenkunft waren ein äußeres Zeichen dieser Suche.10 Moeller gehörte zeitweise dem Werkbund11 an, verkehrte im Friedrichshagener Dichterkreis und engagierte sich

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Phänomen der gleichzeitigen Ungleichzeitigkeiten: Wolfgang J. Mommsen: Bürgerliche Kultur und künstlerische Avantgarde. Kultur und Politik im deutschen Kaiserreich 1870 bis 1918, Frankfurt a.M., Berlin 1994; Geoff Eley: Die deutsche Geschichte und die Widersprüche der Moderne: Das Beispiel des Kaiserreiches, in: Bajohr (Hrsg.): Zivilisation, S. 17–65; Rüdiger vom Bruch, (Hrsg.): Bürgerlichkeit, Staat und Kultur im Deutschen Kaiserreich, Stuttgart 2005. Hein: Brücke, S. 12. Ebd., S. 45. Arndt Brendecke: Die Jahrhundertwenden. Eine Geschichte ihrer Wahrnehmung und Wirkung, Frankfurt a.M. 1999, S. 213. Hein: Brücke, S. 29. ,,Das Ästhetische als Medium des sozialen Protestes“, in: Petzinna: Erziehung, S. 19–24. Vgl. auch in Kap. I ,,Der Blick nach Innen: Gruppenbildung und Deutung des Ringes“. Der Werkbund wurde 1907 in München durch Künstler und Industrielle gegründet, Ideenstifter war der preußische Gesandte Hermann Muthesius, erster Vorsitzender wur-

2.1 Arthur Moeller van den Bruck

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im Werdandi-Bund.12 Den zahlreichen künstlerischen Zusammenschlüssen, die sich in Abkehr vom Naturalismus entwickelten, war die Annahme gemein, dass der Mensch nicht in bloßen Abhängigkeiten existiere und kein Produkt des Zufalls sein könne. Wenn also mehr dahinter stecke, im Wesen wie auch in der Geschichte des Menschen, dann liege es am künstlerischen Genie, diesen Schatz zu bergen.13 2.1.1 Der junge Moeller: Familie, Provinz und Aufbruch Moellers Werdegang begann in einem bildungsbürgerlichen Haushalt in der rheinischen Provinz; seine Geburtsstadt Solingen war ein Zentrum der Metallwarenindustrie.14 Der Vater Ottomar Moeller war Baurat in Düsseldorf

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de der Architekt Theodor Fischer. Über Moellers Mitgliedschaft vgl. Joan Campbell: Der Deutsche Werkbund 1907–1934, München 1989, S. 114. Zum Kontext vgl. Corona Hepp: Avantgarde. Moderne Kunst, Kulturkritik und Reformbewegung nach der Jahrhundertwende, München 1987. Der Werdandi-Bund wurde 1907 in Berlin gegründet von Friedrich Sesselberg, Adolf Bartels und Ludwig Schemann und war benannt nach der Norne der Gegenwart. Sesselberg vertrat einen ,,völkischen Idealismus“, ,,dem es im Geist Richard Wagners um die (kulturelle) Erneuerung des Deutschtums und die Erziehung der Deutschen in diesem Sinn durch das Medium Kunst zu tun war“. Uwe Puschner: Die völkische Bewegung im wilhelminischen Kaiserreich. Sprache – Rasse – Religion, Darmstadt 2001, S. 132. Der Werdandi-Bund verzeichnete etwa 500 Mitglieder. Ebd., S. 385. Ein Beispiel für diesen künstlerischen Genie-Stil war Richard Dehmel: ,,Der Dichter wird bei Dehmel wieder zum schöpferischen Genie, das in seiner Kunst die Überwindung der Determinismen verkündet. Dieser Dichter soll deuten und Sinn stiften und sich nicht damit begnügen, die Wirklichkeit so objektiv wie möglich wiederzugeben.“ Barbara Beßlich: ,,Corrector Germaniae“. Naturalismus-Kritik, Schönheitsstreben und Nationalpädagogik bei Richard Dehmel, in: Jan Andres/Wolfgang Braungart/Kai Kauffmann (Hrsg.): ,,Nichts als die Schönheit“. Ästhetischer Konservatismus um 1900, Frankfurt a.M. 2007, S. 146– 165, S. 151. Zur Struktur der Ungleichzeitigkeit, vgl. Wolfgang Hardtwig: Nationalismus und Bürgerkultur in Deutschland 1500–1914. Ausgewählte Aufsätze, Göttingen 1994, S. 165– 218. Die Erinnerungspolitik Solingens zum Sohn der Stadt, Moeller van den Bruck, verdeutlicht einen Aspekt der Moeller-Inszenierungen bis 1945. 1935 bemühte sich der Oberbürgermeister von Solingen, Dr. Otto, um die Errichtung eines ,,Denkmalplatzes“ zu Ehren Moeller van den Brucks, nach persönlicher Sichtung des Gedenkmodells habe auch Adolf Hitler ,,keine Bedenken“ gegen die Ausführungen gehabt. Prof. Grundt von der Staatlichen Kunstakademie Düsseldorf hatte das Modell entworfen: ,,Im Geiste Moeller van den Brucks ist die Denkmalsplastik als ein emporsteigender Genius mit dem Blick ins Ewige gerichtet. Zu seinen Füssen erhebt sich ein mächtiger Adler, das Sinnbild der Kühnheit, des Kampfes und der Kraft. Unterhalb des Adlers befindet sich das Sonnenzeichnen. Die Plastik ist in Muschelkalk oder Granit gedacht. Auf der von Figurensockel sich nach der südwestlich liegenden Treppe hinziehenden Mauer ist das Porträtrelief Moeller van den Brucks sowie die Widmungsinschrift angebracht.“ BArch Berlin R 43 II Reichskanzlei/1259: Schriftwechsel Staatliche Kunstakademie Düsseldorf und Präsidialkanzlei Berlin Okt./Nov. 1935, hier: Schreiben (28.10.1935) der Staatlichen Kunstakademie Düsseldorf an Ministerialrat Dr. Meerwald in der Präsidialkanzlei Berlin.

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2. Konstruktion des Jungkonservatismus

und leitete dort unter anderen den Bau eines neuen Gefängnisses, der die kommunale Vorgabe auch mit der sozialen Frage in Verbindung brachte.15 Das Wissen um Baukunde, Stadtentwicklung und gesellschaftliche Bedingungen gehörten zu seinem Fachgebiet.16 Er und seine Frau Elise nahmen standesgemäß am gesellschaftlichen Leben teil: Theaterbesuche, Silvesterabende mit Unterhaltung durch Künstler und Urlaubsreisen in südliche Rheingebiete gehörten zum Familienleben. Moellers Eltern waren Protestanten – die Vorfahren des Vaters traditionell Pfarrer –, die in Solingen den Kulturkampf womöglich weniger dramatisch erlebten als andere rheinische Landesteile.17 Dennoch kann davon ausgegangen werden, dass Moeller schon hier einen ,,antikatholischen Affekt“ entwickelte, auf den er später sein ,,veritables Ressentiment gegen alles Römische und Lateinische“ aufbaute.18 Ebenso wie der Kulturkampf der 1870er Jahre blieb die Erfahrung in den Köpfen haften, dass der Reichskanzler vor allem mit Hilfe der Nationalliberalen seine Gewaltpolitik hatte durchsetzen können.19 Gegen jedes liberale Prinzip verstoßend, hatten diese eine Politik der Destruktion unterstützt, um eine ,,moderne“ Politik zur Trennung von Staat und Kirche durchzusetzen.20 Ob Ottomar Moeller eher freisinnig, nationalliberal oder konservativ eingestellt war, bleibt offen, aber als Inhaber eines höheren Postens in der Düsseldorfer Kommunalverwaltung dürfte er zumindest regierungstreu gehandelt haben. Nach Moellers Tod diente der Beruf des Vaters jedenfalls als Erklärungsmuster für Moellers frühzeitige Sensibilisierung für ,,soziale“ und ,,nationale“ Fragen. In einem Zeitungsartikel zum zehnten Todestag Moellers behauptete sein Nachlassverwalter Hans Schwarz, dass Moeller schon in Düsseldorf ,,stark beeindruckt“ wurde von der ,,nationalen Tradition der Familie“, dem ,,Erlebnis der sozialen Verantwor-

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Laut telefonischer Auskunft (24.03.2009) der amtlichen Pressestelle der Stadt Solingen wurde die Denkmalsetzung nicht verwirklicht, stattdessen waren bis 1945 eine Straße und ein Gymnasium [sic!] nach Moeller van den Bruck benannt. Norbert Schlossmacher: Düsseldorf im Bismarckreich. Politik und Wahlen, Parteien und Vereine, Düsseldorf 1985. 1888 veröffentlichte er im ,,Düsseldorfer Jahrbuch. Beiträge zur Geschichte des Niederrheins“ einen Aufsatz zur Baugeschichte Düsseldorfs. Ottomar Moeller: Die Baugeschichte von Düsseldorf, in: BGNrh, II.1888, S. 351–384. Über konkrete Konflikte zwischen Katholiken und Protestanten in Rheinland und Westfalen nach der Reichsgründung vgl. Rebecca Ayako Bennette: Threatened Protestants: Confessional Conflict in The Rhine Province and Westphalia during Nineteenth Century, in: German History, 26.2008 H. 2, S. 168–194. Stefan Breuer: Moeller van den Bruck und Italien, in: Archiv für Kulturgeschichte, 84.2002, S. 413–437, hier 414. Thomas Nipperdey: Deutsche Geschichte. 1866–1918; Band II. Machtstaat vor der Demokratie, München 1998, S. 382. Über den Kulturkampf als politisches Instrument Bismarcks gegen Zentrums-Partei, ,,Polonisierung“ und eine europäische katholische Koalition. Ebd., S. 364–381. Armin Heinen: Umstrittene Moderne. Die Liberalen und der preußisch-deutsche Kulturkampf, in: Geschichte und Gesellschaft, 29.2003 H. 1, S. 138–156.

2.1 Arthur Moeller van den Bruck

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tung“ seines Vaters und zusätzlich durch die ,,künstlerische“ Feinsinnigkeit seiner Mutter.21 Als Baurat verdiente Ottomar genug, um seine Mutter und Schwester in Erfurt finanziell zu unterstützen,22 gleichzeitig kümmerte er sich als Familienoberhaupt um die Belange von beiden. So durfte seine Schwester zwar nach Berlin reisen, um dort Freunde zu besuchen, wurde aber ausdrücklich angehalten, nicht allein auf den Berliner Straßen zu flanieren.23 Schon lange vor der Jahrhundertwende warf die bürgerliche Mitte von der Peripherie aus einen misstrauischen Blick auf die konzentrierte Kraft der damals einzigen Großstadt des Deutschen Reiches. Für Arthur entwickelte Berlin vor diesem Hintergrund eine zwiespältige Anziehungskraft. Moellers Großvater mütterlicherseits war wie Ottomar Baurat gewesen. Regelmäßig besuchte die Familie den Großvater in Deutz, zu Weihnachten gehörte traditionell ein Spaziergang ,,nach Köln herüber“ zur Abwechslung.24 Bei Arthur, dem einzigen Heranwachsenden der Familie, wurde früh die Grundlage seiner architekturbegeisterten Perspektive gelegt, mit der er alle Orte, die er später besuchte, betrachtete. Moellers Eltern waren jedoch auch geplagt von immer wiederkehrenden Krankheitssymptomen. Die Mutter war oft schwach, magerte ab und klagte über Kraftlosigkeit.25 Seit Anfang der 1890er Jahre ging es beiden Elternteilen gesundheitlich besonders schlecht.26 Ottomar litt an einer Herzerkrankung, die ihn zu jährlichen Kuren in Bad Nauheim zwang. Schon bald klagte er jedoch wieder über ,,Herzklopfen und Brustbeklemmung“.27 Als einziger Sohn der Familie genoss Arthur zunächst die ungeteilte Aufmerksamkeit durch die Eltern. Als Kind konnte er in seinem eigenen Spielzimmer ,,schalten und walten“, wie er wollte, und wurde für seine außerordentliche Ordnungsliebe gelobt.28 Mit 14 Jahren begann er jedoch den 21

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BArch Berlin R 8034 III/315 Presseausschnittsammlung – Reichslandbund, Personalia Moeller van den Bruck: Hans Schwarz (01.06.1935): Vom Werden Moeller van den Brucks. Zu seinem 10. Todestag, in: Das Buch (147). StBPrK NL Moeller van den Bruck, K. 2, Mp. 2, Brief (02.04.1890) Ottomar Moeller an Elise. StBPrK NL Moeller van den Bruck, K. 1, Mp. 1, Brief (03.09.1883) Ottomar Moeller an Amalie Moeller. StBPrK NL Moeller van den Bruck, K. 1, Mp. 1, Brief (30.12.1890) Elise van den Bruck an Amalie Moeller. StBPrK NL Moeller van den Bruck, K. 1, Mp. 1, Brief (08.11.1883) Elise van den Bruck an Amalie Moeller. StBPrK NL Moeller van den Bruck, K. 1, Mp. 1, Brief (22.12.1894) Elise van den Bruck an Amalie Moeller; Brief (31.12.1894) Ottomar Moeller an Amalie Moeller. ,,Ich befinde mich eben leidlich, habe aber vor einigen Tagen wieder eine Störung im Kopfe gehabt, die mit dem Herzleiden zusammen hängt.“ StBPrK NL Moeller van den Bruck, K. 2, Mp. 2, Brief (04.03.1895) Ottomar Moeller an Elise. StBPrK NL Moeller van den Bruck, K. 1, Mp. 1, Brief (08.11.1883) Elise van den Bruck an Amalie Moeller.

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2. Konstruktion des Jungkonservatismus

Eltern Sorgen zu bereiten, denn er war nur knapp in die Untertertia versetzt worden. Ottomar berichtete, Arthurs Noten waren zu Weihnachten ,,so schlecht gewesen, daß wir die Hoffnung auf eine Versetzung nahezu aufgegeben hatten, ich habe ihn aber so energisch zum Fleiße gezwungen und ihm jede Gelegenheit zu Extravaganzen so konsequent entzogen, daß er sich gegen Ende des Vierteljahres die Zufriedenheit aller Lehrer erworben hatte“.29

Dennoch blieb die Erkenntnis, dass Rechnen zu Arthurs großen Schwächen gehörte und er darauf verzichten müsse, Kaufmann oder Architekt zu werden. Sein Vater sagte ihm eine Militärkarriere voraus. Zwei Jahre später hatte sich Arthur zumindest im Fach Deutsch deutlich verbessert, denn seine Aufsätze galten als die besten seiner Klasse.30 Er widmete sich ,,fleißig den Wissenschaften“ und die Eltern waren froh, dass er sich erfolgreich in die Literaturgeschichte vertiefte. Abgesehen von den wiederkehrenden schlechten schulischen Leistungen erfüllte Arthurs Jugend alle Ansprüche bürgerlicher Konventionen. Die Urlaube verbrachte er auch noch mit 16 Jahren mit seinen Eltern und er besuchte den obligatorischen Tanzkurs, um ,,jeden Samstagabend das Tanzbein“ zu schwingen.31 In dieser Phase löste die von seinem Vater vorausgeahnte eingeschränkte Berufswahl beim jungen Moeller wahrscheinlich einiges Unbehagen aus, denn unter anderem kollidierte seine Leidenschaft für das Schreiben mit den Anforderungen einer in Aussicht gestellten Militärkarriere. Als Moeller mit 19 Jahren absehbar keinen Abschluss der Prima erlangen konnte, eskalierten die Konflikte, die schließlich zu seinem Umzug nach Erfurt führten. Joachim Schwierskott kolportiert die Erinnerungen Hedda Maases, dass ein ,,anstoßerregender Artikel des Schülers Moeller“ über einen Düsseldorfer Maler in der örtlichen Zeitung den Ausschlag für einen Schulverweis gegeben habe. Darüber hinaus habe der Eindruck einer Edvard Munch-Ausstellung Moeller aus ,,allen Bindungen“ gerissen.32 In dieser Sicht lehnte sich schon der junge Moeller gegen Konvention und Erwartung auf und schien er sich voll und ganz den Erfahrungen und Wirkungen von Kunst und Kultur zu widmen. Im März 1895 wandte sich Ottomar Moeller an seine Schwester Elise in Erfurt, um die Übersiedlung Arthurs in die Wege zu leiten, damit dieser in eine Atmosphäre komme, ,,in der er gesündere geistige Luft atmet als hier und in seiner Ideenwelt wieder eine gesunde, vernünftige Gestalt an-

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StBPrK NL Moeller van den Bruck, K. 2, Mp. 2, Brief (02.04.1890) Ottomar Moeller an Elise. StBPrK NL Moeller van den Bruck, K. 2, Mp. 2, Brief (17.07.1892) Ottomar Moeller an Elise. StBPrK NL Moeller van den Bruck, K. 2, Mp. 2, Brief (26.11.1892) Moeller van den Bruck an Amalie Moeller. Schwierskott: Arthur Moeller, S. 14.

2.1 Arthur Moeller van den Bruck

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nimmt“.33 Ottomar unterrichtete seine Schwester, dass er vergeblich versucht habe, auf die Notenvergabe für Arthurs Versetzung einzuwirken. Im letzten halben Jahr hatte Arthur es an ,,Fleiß und Aufmerksamkeit erheblich fehlen lassen“, so dass die Vorbehalte der Lehrer bestätigt wurden. Vor allem störte sich Ottomar an Arthurs Bekanntschaft mit Hedda Maase, die dieser durch den ,,rumbummelnden“ Sohn des Neusser Malers Eduard Schulz-Briesen kennengelernt hatte. Neben einer ganzen Reihe neuer Bekanntschaften, die schlechten Einfluss auf Arthur genommen hätten, sei vor allem das ,,sehr kluge, raffinierte, nicht hübsche Mädchen“ Hedda die problematischste, habe sie Arthur doch ,,in ihre Netze zu ziehen“ gewusst. Seinen Eltern habe Arthur erklärt, ,,er wolle von der Schule abgehen, gleichwie er nach Prima versetzt würde oder nicht, er könne den Gedanken nicht mehr ertragen, die Schulbänke noch länger drücken zu müssen, dieser Gedanke mache ihn nervös. Er wolle sich noch einige Zeit in Düsseldorf aufhalten, dann zwei bis drei Jahre an einer Universität hospitieren und dann durch Schriftstellerei sich seinen Lebensunterhalt verdienen. Daß er sich dann auch sofort von Fräulein Maase heiraten lassen wolle, sprach er nicht aus, aber es kam an einer anderen Stelle zum Ausdruck.“34

Ottomar habe seinem Sohn erwidert, dessen Nervosität käme höchstens ,,vom Zigarre rauchen“, und dass er ohne Abschluss keinen Zugang zu einem ,,höheren Lebensberuf “ erreichen könne, ihm aber ein Jurastudium die Schriftstellerei nebenbei erlaube. Immerhin konnte er Arthur überreden, an einer anderen Schule das Abschlussjahr zu versuchen. Arthur ließ sich darauf ein, wohl wissend, dass er auf diese Weise dem Einflussbereich seiner Eltern entrann. Noch im Jahr von Arthurs Umzug nach Erfurt starb sein Vater. Moellers Weg führte alsbald nach Berlin, von der rheinisch-katholischen Peripherie des deutschen Reiches in sein urbanes Zentrum. Zuvor machte Moeller in Leipzig Station, wo er ein Kolleg besuchte, nachdem ihm in Erfurt der Schulabschluss auch nicht gelungen war. In Leipzig lernte Moeller den fünf Jahre älteren Franz Evers kennen, dessen Bekanntschaft ihm Zugang zu Künstlerkreisen in und um Berlin ermöglichte. Evers war zu diesem Zeitpunkt schon ,,hoffnungsvoller Vertreter der symbolistischen Kunstentwicklung in der Lyrik“, machte als ,,Prophet von sich reden“35 und ermunterte Moeller, einen autodidaktischen Lebensweg einzuschlagen. Der ehemalige Buchhändler Evers, der schon als 18-Jähriger literarische Blätter und Gedichtsammlungen herausgegeben hatte, unternahm mit Moeller sogar eine kurze Reise nach Pa-

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StBPrK NL Moeller van den Bruck, K. 2, Mp. 2, Brief (04.03.1895) Ottomar Moeller an Elise. StBPrK NL Moeller van den Bruck, K. 2, Mp. 2, Brief (04.03.1895) Ottomar Moeller an Elise. Andreas Pretzel: ,,Vom Taumeltrank der Ewigkeit“. Der Verlag ,,Kreisende Ringe“ und sein Mentor Franz Evers – Dichter, Theosoph und Halbgott, in: Thomas Lehmstedt/Mark Keiderling/Lothar Poethe/Volker Titel (Hrsg.): Leipziger Jahrbuch zur Buchgeschichte, Wiesbaden 2002, S. 115–140, S. 115.

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2. Konstruktion des Jungkonservatismus

ris.36 In jedem Fall beeindruckte der Dichter den jungen Moeller nachhaltig. In Berlin lebte außerdem seit Beginn der 1890er Jahre sein von ihm verehrter Onkel Rudolf, Bruder seines Vaters und aktiver Offizier.37 Vor diesem Hintergrund, ohne Schulabschluss und Ausbildung, bot allein die Großstadt genügend Möglichkeiten zur Entfaltung, die dem 20-Jährigen vorschwebten. 1896 heiratete er schließlich Hedda, mit der er in einem kleinen Haus am Tegeler See lebte. Ihre Erinnerungen geben wenig Aufschluss über ihre Motivation, Moeller nach Berlin zu folgen und ihn zu heiraten38 , aber deutlich wird, dass die Lebensumstände, wie etwa das abgelegene Haus, für die junge Ehefrau nur wenig reizvoll waren.39 Ihre Beschreibungen drücken eine eigentümliche Abgewandtheit ihres Mannes aus, der weniger Leidenschaft für Hedda entwickelte als vielmehr ein heißer ,,Jäger nach jeder noch unbekannten künstlerischen Erscheinung“ war.40 Regelmäßige Theaterbesuche gehörten ebenso zum abendlichen Alltag wie die Gelage in den Künstlerlokalen ,,Schmalzbacke“ oder ,,Schwarzes Ferkel“. Heddas Erinnerungen an die kunst- und kulturinteressierte Umtriebigkeit ihres Mannes geben Einblick in einen Lebensstil, der Berlin um 1900 zur Metropole von Unruhe und getriebener Suche machte.41 Als Moeller in Berlin eintraf, tauchte er in eine vielfältige Diskussion über den Stand und die Zukunft der deutschen Kultur ein.42 Themen aus Kunst, Literatur und Politik brachten die Menschen in Clubs und Zirkeln, Ateliers und Versammlungsräumen in Bewegung und führten zu dynamischem Austausch 36 37

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Ebd., S. 124. Pretzel nennt das Jahr 1893, aber da Moeller erst 1895 nach Erfurt kam, dürfte die Reise erst dann stattgefunden haben. Moellers erste schriftlichen Überlegungen zu Preußen liegen in einem Manuskript ohne Titel vor mit der Widmung: ,,Dem preußischen Offizier Major Rudolf Moeller, meinem lieben Onkel und treuen Freunde als Bekenntnis zu Hegel und Clausewitz gewidmet.“ StBPrK NL Moeller van den Bruck, K. 7, Mp. 1. Die Ehe hielt bis 1904. Schon 1901 hatte Hedda anlässlich der Uraufführung seines Stückes ,,Münchhausen“ den Dichter Herbert Eulenberg kennengelernt und 1904 geheiratet. Im gleichen Jahr zog das Paar wieder ins Rheinland nach Kaiserswerth bei Düsseldorf. Hedda arbeitete als Übersetzerin, ihr Mann als Dramaturg am Schauspielhaus. Die Erinnerungen Heddas zeichnen ein intensives Ehe- und Künstlerleben mit Herbert Eulenberg und gehen kaum auf das Leben mit Moeller van den Bruck ein. Die Wohnung der Eheleute Eulenberg, genannt ,,Haus Freiheit“, war in den 1920er Jahren ein Treffpunkt für Schriftsteller und Dramatiker. Vgl. http://www.haus-freiheit.de, 12.03.2009. Hedda erinnert sich, dass eines Tages Post ins Haus kam ,,am eisumklirrten Tegeler See“, (von ihrem späterem Mann Herbert Eulenberg) ,,zur Aufheiterung in der Kälte und arktischen Kargheit unseres Lebens“. Hedda Eulenberg: Im Doppelglück von Kunst und Leben, Düsseldorf 1952, S. 7. Eulenberg: Im Doppelglück, S. 9. Vgl. den entsprechenden Diskurs zu Nervosität und Neurasthenie bei Joachim Radkau: Das Zeitalter der Nervosität. Deutschland zwischen Bismarck und Hitler, München 1998. August Nitschke (Hrsg.): Der Aufbruch in die Moderne (1880–1930), Reinbek bei Hamburg 1990; Georg Bollenbeck: Tradition, Avantgarde, Reaktion. Deutsche Kontroversen um die kulturelle Moderne 1880–1945, Frankfurt a.M. 1999.

2.1 Arthur Moeller van den Bruck

69

und Dialog.43 Das Sigel der ,,Generation von 1890“ steht für eine ideen- und mentalitätsgeschichtliche Perspektive auf diejenigen Intellektuellen, die sich rund um die Jahrhundertwende mit dem Phänomen und den Wirkungen des vermeintlichen Endes eines bürgerlichen Zeitalters auseinandersetzten.44 In diesem Kontext entwickelten sich Moellers politische Positionen, in denen die ,,skeptisch-pessimistische Auseinandersetzung mit der Moderne“ das Leitthema bildete.45 Einen beispielhaften Lebenslauf aus dieser Zeit bietet auch der spätere Gewissen-Autor Karl Hoffmann. Wie Moeller im Jahr 1876 geboren, engagierte sich Hoffmann bis zum Krieg auf literarischem Gebiet. Er studierte nach Beendigung des Realgymnasiums Geschichte und Anglistik in Jena, Berlin und Halle46 und betätigte sich, nachdem er 1898 seine Promotion und die Staatsprüfung für das höhere Lehramt abgelegt hatte, bis 1915 als Schriftsteller und Redakteur.47 Von 1911 bis 1916 gehörte er zum Herausgeberkreis der Zeitschrift Die Tat, die während dieser Phase noch recht unpolitisch ,,Wege zu freiem Menschentum“ weisen wollte.48 Hoffmann wandte sich 1911 in einem Brief an den Dilthey-Schüler Hermann Nohl, der zu dieser Zeit in Jena an 43

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Zeitgleich mobilisierte die wilhelminische Gesellschaft ihre Kräfte auch nach außen. Die imperialen ,,Zivilisierungsmissionen“ der westlichen Moderne und ihr unerschütterliches Selbst- und Sendungsbewusstsein erlebten ihren Höhepunkt. Jürgen Osterhammel: ,,The Great Work Of Uplifting Mankind“. Zivilisierungsmission und Moderne, in: Boris Barth/Jürgen Osterhammel (Hrsg.): Zivilisierungsmissionen. Imperiale Weltverbesserung seit dem 18. Jahrhundert, Konstanz 2005, S. 363–426. Hughes: Consciousness; darauf Bezug nehmend: Georg Kamphausen: Charisma und Heroismus. Die Generation von 1890 und der Begriff des Politischen, in: Winfried Gebhardt/ Arnold Zingerle/Michael N. Ebertz (Hrsg.): Charisma. Theorie, Religion, Politik, Berlin 1993, S. 221–246. Die Generation von 1890 ist eine ,,europäische Generation, deren Selbst- und Weltverständnis durch solch prominente Figuren wie Georges Sorel ([. . . ]), Robert Michels, Gustave Le Bon, Vilfredo Pareto, Gaetano Mosca, Max Weber und schließlich auch Carl Schmitt entscheidend geprägt wird“. Ebd., S. 221. Kamphausen: Charisma, S. 222. Vgl. auch Edith Hanke/Gangolf Hübinger: Von der ,,Tat“Gemeinde zum ,,Tat“-Kreis. Die Entwicklung einer Kulturzeitschrift, in: Hübinger: Versammlungsort, S. 299–334. Angaben Neue Deutsche Biographie 602, München 1989ff. Hoffmann nahm am Krieg teil und veröffentlichte 1917 ,,Das Ende des kolonialpolitischen Zeitalters“ und ein Jahr später ,,Der kleineuropäische Gedanke“. Nach Kriegsende wurde er mit 43 Jahren Geschäftsführer des ,,Ausschusses für vaterländische Arbeit der Deutschen Burschenschaften“. Vgl. auch Karl Hoffmann: Das Ende des kolonialpolitischen Zeitalters. Grundzüge eines wirtschaftsorganischen GenossenschaftsImperialismus, 3. Auflage, Leipzig 1917; ders.: Der kleineuropäische Gedanke, 3. Auflage, Leipzig 1918; Burschenschaftliches Handbuch für Politik. Im Auftrag des Vaterländischen Arbeitsausschusses der Deutschen Burschenschaften, 1. Auflage, Leipzig 1920; Karl Hoffmann: Die akademische Jugend und die Parteien, Leipzig/Berlin 1920. Erst ein Jahr später übernahm Eugen Diederichs das Zeitschriftenprojekt und baute es zur ,,Monatsschrift für deutsche Kultur“ aus. Hanke und Hübinger weisen darauf hin, dass Diederichs und Hoffmann ein eher kühles Verhältnis pflegten. ,,Der Abgang seines blassen Redakteurs Karl Hoffmann erfolgte 1916 in aller Stille.“ Hanke/Hübinger: Von der Tat, S. 303.

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2. Konstruktion des Jungkonservatismus

verschiedenen philosophischen Themen arbeitete, und bat um dessen Mitarbeit.49 Das Anliegen der Tat sei, so Hoffmann, die ,,verschiedenen Gebiete der geistigen Kultur von einem philosophisch vertieften Kraftzentrum zu überblicken“. Als Referenten dieses ,,Kraftzentrums“ hatte Hoffmann akademische Koryphäen aus Philosophie und Geschichte angefragt, denn es liege ihm daran, in der Zeitschrift ein Forum objektivierter Kraft zu entwickeln, die das Subjekt im Innersten anspräche. Ziel sei es, den ,,Gegensatz zwischen den ideellen Tendenzen des Kulturgefühls im engeren Sinne und der politischen und technischen Zivilisation“ zu überwinden, um zu einer ,,ethisch gefestigten Cultur von innerlich erfüllter Daseinserfassung in kirchenfreier Humanität“ zu gelangen. Die Motive für eine Suche nach einer ,,objektiven Kraft“ reichten von der persönlichen Selbstverwirklichung bis zur Verbesserung der gesellschaftlichen Gesamtsituation.50 Eine der bekanntesten Organisationen und Ausprägungen der ,,idealistischen Suchbewegungen“ war der Eugen Diederichs Verlag, in dem auch Die Tat erschien, dessen zentrales Anliegen die Verbindung von ,,Wissenschaft und Leben“ war.51 So unterschiedlich sich solche Utopien objektiver Kräfte entwickelten und darstellten, waren alle ,,von der schockartigen Konfrontation mit dem sozialen Wandel nachhaltig geprägt“.52 Die in der Rückschau vermeintlich konsequente Entwicklung der suchenden zu einer protestierenden Haltung intellektueller Gesellschaftsschichten war sehr komplex. Die vereinheitlichende Vokabel vom Kulturpessimismus überdeckt die Tatsache, dass es den meisten Kritikern nicht um eine Abschaffung der Zivilisation zugunsten einer deutschen Kultur ging. Vielmehr sollte eine evolutionäre und durchaus technisch moderne Weiterentwicklung der Kultur die Zivilisation als eine Fassade entlarven, hinter der sich nichts Besonderes, sondern nur nivellierte Massen verbargen.53 Weder Paul de Lagarde, noch Friedrich Nietzsche oder Ferdinand Tönnies haben in ihren Gegenüberstellungen von Kultur und Zivilisation letztere abschaffen wollen, sondern sie 49 50 51

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Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen Cod. Ms. H. Nohl 232: Brief (13.02.1911) Karl Hoffmann an Hermann Nohl. Vgl. u. a. Judith Baumgartner/Bernd Wedemeyer-Kolwe: Aufbrüche – Seitenpfade – Abwege. Suchbewegungen und Subkulturen im 20. Jahrhundert, Würzburg 2004. Gangolf Hübinger: Der Verlag Eugen Diederichs in Jena. Wissenschaftskritik, Lebensreform und völkische Bewegung, in: Geschichte und Gesellschaft, 22.1996 H.1, S. 31–45, S. 32. Thomas Anz: Der Sturm ist da – Literatur im , expressionistischen Jahrzehnt‘, in: Werner Faulstich (Hrsg.): Das zweite Jahrzehnt, München 2007, S. 89–107, S. 100. Eine qualitative Unterscheidung wurde erst in den 1870er Jahren deutlicher und von Außenseitern des Wissenschaftsbetriebes vorgenommen. Beide Begriffe kursierten schon länger, aber galten als Gattungsbezeichnungen spezifischer Formen. Erst die Zunahme ,,der technisch-praktischen Ausbildung“ in jenen Bereichen, ,,in denen bislang die humanistische Kultivierung im Geiste des klassischen Altertums im Vordergrunde“ gestanden hatte – also das Eindringen der technischen Moderne in die Geisteswissenschaften – war einer der Anlässe zur Unterscheidung. Stefan Breuer: Ästhetischer Fundamentalismus. Stefan George und der deutsche Antimodernismus, Darmstadt 1995, S. 189.

2.1 Arthur Moeller van den Bruck

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versuchten vielmehr, evolutionäre Konzepte auf die kulturelle Entwicklung zu übertragen. Der von Moeller verehrte Nietzsche entlehnte etwa ,,dem orphischen Mythos von Dionysos, [. . . ] das Bild des ständigen Vergehens und Werdens, (später) die ewige Wiederkehr des Gleichen. Dionysos wird zum Sinnbild der Lebenskraft, des ungestalteten Lebens- und Schöpfungsdrangs, rauschhaft, unklar, unterbewusst“,

der aber zugleich ohne die Zivilisation als apollinische Gegenwelt nicht existieren kann.54 In Moellers frühen kulturkritischen Veröffentlichungen erweiterte er diese Vorgaben unter strikt nationalistischen Gesichtspunkten und bildete eine eindeutige Hierarchie aus, in der die (apollinische, westliche) Zivilisation als formale Vorstufe der (dionysischen, deutschen) metaphysisch kräftigen Kultur galt.55 Solcher ,,dionysische Protest“ wandte sich gegen die aufklärerische Topik und setzte auf qualitative Differenz zum Bürgertum auf der einen und zur Massengesellschaft auf der anderen Seite. Indifferenz, zunächst auf kultureller und zunehmend nationaler Ebene, versinnbildlicht in der ,,dumpfen Masse“, wurde als Bedrohung wahrgenommen.56 Die unterschiedlichen Positionen zu Kultur und Zivilisation und ihrer jeweiligen Bedeutung standen beispielhaft für die Spannweite der intellektuellen Kulturkritik dieser Phase. Während etwa der Kreis um Stefan George die Moderne in Gänze ablehnte, tat Moeller dies nur soweit, wie sein Ziel, ,,der eigenen Nation einen herausragenden Platz in der Welt zu verschaffen“, nicht gefährdet wurde.57 Wie der George-Kreis ordnete Moeller die Zivilisation der Kultur zwar unter, er betonte jedoch, dass mit den Mitteln der Zivilisation die ,,Wiedergeburt“ und Expansion der deutschen Kultur vorangetrieben werden müsse. Damit ,,die Deutschen in ihrem Kampf über alle Stärken verfügen [...] bejahte er denn rückhaltlos all jene Phänomene wie Bevölkerungswachstum, Großstadt, Industrie und Arbeiterschaft, die in den Kreisen des ästhetischen Fundamentalismus samt und sonders als Ausdruck der ,Widerwelt‘ galten“.58

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Ingo Leiß/Hermann Stadler (Hrsg.): Wege in die Moderne 1890–1918, München 1997, S. 26. Beßlich: ,,Corrector Germaniae“, S. 160; Moeller van den Bruck: Die Zeitgenossen. Die Geister – Die Menschen, Minden i. W. 1906, S. 7; Stefan Breuer: Späte Barbaren. Kultur und Zivilisation im kaiserlichen Deutschland. in: Peter Nahamowitz/Stefan Breuer (Hrsg.): Politik – Verfassung – Gesellschaft. Festschrift für Otwin Massing, Baden-Baden 1995, S. 35–50, S. 191. Peter Sieferle: Die Konservative Revolution. Fünf biographische Skizzen, Frankfurt a.M. 1995, S. 37. ,,Die Radikalisierung antibürgerlicher Kulturkritik beruht auf enttäuschten bildungs- und kulturbürgerlichen Erwartungen, die eine wachsende Aversion gegen das gesamte Feld bürgerlicher Denk- und Handlungsmuster nach sich zieht.“ Ludger Heidbrink: Der Kampf des Bürgers gegen sich selbst, in: Bernd Wirkus (Hrsg.): Die kulturelle Moderne zwischen Demokratie und Diktatur. Die Weimarer Republik und danach, Konstanz 2007, S. 153–175, S. 157. Breuer: Späte Barbaren, S. 229. Ebd., S. 230. Breuer zitiert aus Moeller van den Bruck: Die Deutschen. Unsere Menschengeschichte, Bd. V, Gestaltende Deutsche, Minden i. W. 1907, S. 277.

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2. Konstruktion des Jungkonservatismus

Moeller setzte sich dort für Fortschritt und Modernisierung ein, wo sie die nationale Überlegenheit förderten und gleichzeitig band er jedes nationale Fortkommen an die schicksalsmächtige Kraft der nationalen Kultur.59 Ähnlich setzten sich andere Kritiker dafür ein, den Fortschritt in den Dienst der Kultur zu stellen, um ihre Qualität zu steigern. So standen 1907 auch ökonomische Motive hinter der Gründung des Werkbundes, denn die geforderte Umsetzung von Qualitätsprinzipien sollte zugleich die Exportchancen deutscher Produkte erhöhen.60 2.1.2 Auf der Suche nach Haltung und Genie Moeller versuchte, sich in Berlin als Kulturkritiker zu profilieren. Er veröffentlichte vor allem Essays über Literatur und Architektur in Zeitschriften wie Die Gesellschaft, Die Zukunft oder Der Kunstwart. Neben Rezensionen zu von ihm geschätzten Dichtern setzte er sich kritisch mit dem immer noch vorherrschenden naturalistischen Stil auseinander. Theaterstücke von Johannes Schlaf und Gerhart Hauptmann galten ihm als diskutabel, aber auch als das spektakuläre Ende einer manieristischen Kunstepoche. 1904 stellte er in einem Artikel fest, die gegenwärtige Art der ,,Bekenntnisliteratur“ stecke voller ,,Wehleidigkeit“ und ,,Teilwahrheiten“, aber sei nicht mehr in der Lage, das ,,moderne Leben“ darzustellen.61 Moeller beschrieb das moderne Leben als ,,monumental“ und genauso müsse die Kunst sich darstellen, denn in die Kunst ,,gehört nun einmal das Leben, so wie es ist, nicht wie es gesehen wird“. Monumentalität und strenger Stil waren in Moellers Augen die legitimen Ausdrucksformen deutscher Kultur. Die naturalistische Abbildung von ,Tageswirklichkeit‘, Dreck und Dialekt erschienen dem jungen Mann kaum erbaulich, erneuernd oder gehaltvoll. Er widersprach zwar nicht dem naturalistischen Anspruch, zum ,,Wesen der Dinge“ vordringen zu wollen, aber er missbilligte die Ausdrucksformen der konsequenten Naturalisten.62 Damit stimmte Moeller mit den Auffassungen einer nicht kleinen Minderheit im Berliner Kunstbetrieb überein. Richard Dehmel, Stanislaw Przybyszewski, Conrad Ansorge, Detlef von Liliencron gehörten zu seinem Bekannten- und Freundeskreis. 59

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Hugo von Hofmannsthal, der als einer der Namensgeber der Konservativen Revolution gilt und am Rande auch Kontakt zu Gewissen-Autoren hatte, schätzte Moellers Weltsicht als gefährlich ein: ,,Jemand wie Moeller-Bruck wirkt wie Gift, Darmintoxikation.“ Hugo von Hofmannsthal: Reden und Aufsätze, Teil 3 1925–29, Aufzeichnungen aus dem Nachlass, hrsg. von Bern Schoeller, Frankfurt a.M. 1980, S. 436. Campbell: Deutsche Werkbund, S. 24–25. Arthur Moeller-Bruck: Moderne Literatur, modernes Leben – ein Gegensatz, in: Der Kunstwart, 17.1904 H. 23, S. 453–457. ,,Die Natur soll im Kern ausgedrückt werden: das ist dagegen die Forderung des Naturalismus, und in seinem Sinne gibt es nur eine einzige Kunst, die, welche vordringt zum Wesen der Dinge.“ Moeller van den Bruck: Die Deutschen, S. 288.

2.1 Arthur Moeller van den Bruck

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Zum ,,Kommunikationszentrum“ von Schriftstellern, Malern, Journalisten, Schauspielern und Musikern avancierte der ursprünglich naturalistisch inspirierte, südöstlich von Berlin am Müggelsee angesiedelte ,,Friedrichshagener Dichterkreis“.63 Zwischen 1890 und 1893 ging der Kreis aus der innerparteilichen Opposition zum parlamentarischen SPD-Kurs nach Ende der Sozialistengesetzgebung hervor und wollte eine parteifreie ,,Ästhetik des Widerstandes“ etablieren. Der ,,Friedrichshagener Kreis“ konzentrierte sich ab 1893 zunehmend auf ein meinungsbildendes Engagement in der Berliner Kunstszene. Neben den Bewohnern des ,,Musenhofes“ kamen ständig Besucher in die ,,magisch anziehende Seenlandschaft“ und es entwickelte sich ein Kunst produzierendes, rezitierendes, bohèmehaftes – immer mit heftigem Alkoholkonsum verbundenes – Miteinander, dem zugleich ein Gesellschaft erziehendes Element anhaftete.64 Die Zeitschrift Freie Bühne und das Theaterprojekt ,,Freie Volksbühne“ wurden zu Vorläufern reformpädagogischer Zusammenschlüsse, wie etwa der Neuen Gemeinschaft und dem Werdandi-Bund. Moeller gehörte ab 1896 auch zu den Gästen in Friedrichshagen. Hier fand er Gleichgesinnte aus der Berliner Kunstszene, die sich für eine notwendige Einheit von Kunst und Leben einsetzten und ein ,,generationsspezifisches Zusammengehörigkeitsgefühls“ entwickelten, das ,,Offenheit und Engagement gegenüber den drängenden gesellschaftlichen Problemen und Zugehörigkeit zur literarischen Moderne“ voraussetzte.65 Vor diesem Hintergrund fanden sozialrevolutionäre, anarchistische, spiritistische, okkultistische, monistische und naturspekulative Gedankengänge in Friedrichshagen ihren Raum. Der Kreis bestand offiziell bis 1904 und erlangte seine kulturgeschichtliche Bedeutung vor allem durch die Tatsache, dass sich die dort aktiven Künstler auf sehr unterschiedliche Weise weiterentwickelten und neue Zusammenschlüsse inspirierten. Für Moellers Aktivitäten wurde die literarische Stammtischrunde ,,Schwarzes Ferkel“ ein wichtiger Anknüpfungspunkt.66 Vom polnischen Dichter Stanislaw Przybyszewski 1892 ins Leben gerufen, getragen von August Strindberg, Edvard Munch, Richard Dehmel und Franz Evers, traf sich die Runde im Bewusstsein, durch künstlerische Qualität verbunden zu sein. Entsprechend ihres Selbstbewusstseins legten sie einen außerordentlichen Kritikanspruch an gegenwärtige Kunst und bürgerliche Verhaltensnormen an den Tag. Eines ihrer Distinktionsmittel, wohl auch um eine stilsichere Haltung zu unterstreichen, war der Alkohol: ,,Der exzessive Einsatz des Alkohols, ritualisierte Trink- und Tanzeinlagen fügen sich in jene Ästhetik von Rausch, 63

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Gertrude Cepl-Kaufmann: Friedrichshagener Dichterkreis, in: Wulf Wülfing/Karin Bruns/Rolf Parr (Hrsg.): Handbuch literarisch-kultureller Vereine, Gruppen und Bünde. 1825–1933, Stuttgart 1998, S. 112–126, hier 113. Ebd., S. 116–117. Cepl-Kaufmann: Friedrichshagener, S. 117. Karin Bruns: Das schwarze Ferkel, in: Wülfing/Bruns/Parr: Handbuch, S. 406–416.

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2. Konstruktion des Jungkonservatismus

Traum und Ekstase, die konstitutiver Bestandteil des Literaturmodells der Fin de siècle–Bohème ist [...]“.67 Die Teilnehmer, wie etwa Franz Evers, verklärten den Alkoholkonsum zum Schlüssel zu mystischen Erlebnissen, während derer man zum Engel werde, ,,dem vom Gesichte der Lichtsegen tropft“.68 Innerhalb weniger Jahre verschob sich das künstlerische Selbstbild vom Rauschhaften zur strengen Disziplin, wie eine Umfrage von 1906 verdeutlicht. Da ,,Das literarische Echo“69 stellte 150 deutschen Dichtern und Schriftstellern die Frage, ob sie vor oder während der ,,dichterischen Arbeit“ Alkohol zu sich nähmen oder ob sie, wenn sie Alkohol genossen hätten, zu einer besseren dichterischen Leistung fähig seien. Die Initiatoren der Umfrage waren sichtlich in Sorge, ,,dass unter Alkoholwirkung das Improvisieren von Werken mitunter leichter von statten geht, wobei allerdings der glattere Fluß der geringeren Tiefe entspricht“. In der Umfrage gaben von Ferdinand Avenarius und Otto Bierbaum über Richard Dehmel und Paul Ernst bis Thomas Mann viele Künstler bereitwillig Auskunft. Die Ergebnisse zeigten, dass der Rausch seinen Selbstwert verloren hatte und Künstler ihn nunmehr nur noch als Mittel zum Zweck einer weitaus höheren Aufgabe benutzen wollten. Neben der Stammtischrunde im ,,Schwarzen Ferkel“, die um 1900 einen dezidierten Außenseiter-Stil pflegte, gab es im Berliner Kunstbetrieb auch noch andere Künstler, die sich zu einer ästhetischen Minderheit zählten. Zu ihnen gehörte Karl Bleibtreu, der zwei Jahrzehnte später auch für das Gewissen schrieb. Bleibtreu, Jahrgang 1859, hatte in den 1880er Jahren naturalistisch gearbeitet und in einer programmatischen Schrift einen ,,inhaltsbestimmten, subjektivistischen Realismus“ als Neubestimmung deutscher Literatur vertreten.70 Mit seiner eigentümlichen Literatur-Auffassung lehnte er den konsequenten Naturalismus ab, stand symbolistischen Tendenzen offen gegenüber und äußerte sich extrem nationalistisch, antisemitisch und militaristisch. Die ,,Verbitterung über die ihn mehr und mehr ignorierende naturalistische Bewegung führte zu fortwährenden Klagen darüber, dass andere Autoren den Erfolg einheimsten, der eigentlich ihm zugestanden hätte“.71

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Ebd., S. 408. Pretzel: ,,Vom Taumeltrank“, S. 119. Pretzel zitiert aus: Franz Evers: Reife Heilsnacht, in: Sphinx, 15.1892/93, S. 128. Die Kneipe wurde zum ,,Refugium von Künstlern, die zu diesem Zeitpunkt umstritten, angefeindet oder marginalisiert“. Bruns: Schwarze Ferkel, S. 408. F. van Bleuten: Dichterische Arbeit und Alkohol: Eine Rundfrage. Einleitung und Nachwort, in: Das literarische Echo. Halbmonatsschrift für Literaturfreunde, 9.1906/07 H. 2, S. 81–146. So die Einschätzung des Literaturwissenschaftlers Hartmut Baseler, zitiert in: Gunnar Anger: Karl Bleibtreu, in: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon (BBKL), Band XXV, Spalten 61-69, Nordhausen 2005. Literaturkritik (Geschichte, Theorie, Praxis): Oliver Pfohlmann: Karl Bleibtreu, online unter: http://cgi-host.uni-marburg.de/~omanz/forschung/ modul_druckfassung.php?f_mod=Ah04, 27.08.2008.

2.1 Arthur Moeller van den Bruck

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Als schillernde Randerscheinung im Berliner Kulturbetrieb, die eine exzessive und geltungssüchtige Literaturkritik um der Sache Willen betrieb, war Bleibtreu als Teilnehmer in den Gesprächen des ,,Schwarzen Ferkels“ so beliebt, dass um ihn ,,ein eigener Kult getrieben“ wurde.72 In der Ablehnung naturalistischer Großwerke, wie etwa Gerhart Hauptmanns ,,Vor Sonnenaufgang“, waren sich Bleibtreu und Dehmel einig.73 Mit dem Mystiker Evers verband Bleibtreu die Verehrung der Spiritistin Helena Petrowna-Blavatzky, die er den zeitgenössischen Maßstäben entsprechend als ,,größten Geist“ des 19. Jahrhunderts beschrieb.74 Da Bleibtreu den literarischen Inhalten weiterhin den Vorrang vor ihrer Form geben wollte, verbanden ihn mit dem späteren jungkonservativen Kreis eher habituelle als künstlerische Aspekte.75 Bleibtreu sah die dichterische Funktion in ihrer ,,Geistesarbeit“, die den Künstler zu einem ,,Schöpfer“ mache und dadurch ,,wahren Adel verleiht“.76 Im Gewissen wird Bleibtreu über künstlerische Fragen hinaus geschichtliche Verläufe anhand kultureller Überreste und herausragend erscheinende Persönlichkeiten ordnen und hierarchisieren.77 Die Verehrung historischer Persönlichkeiten drückte im kulturkritischen Diskurs die Überzeugung aus, dass nur aus dem Innersten eines Menschen ,,wahrhaftige“ Kunst erzeugt werden könne. Der ,,menschliche Wille“ sollte deshalb wieder zum Ausgangspunkt einer Sinngebung werden und nicht mehr wie bisher der Moderne vermeintlich ausgeliefert sein. Mit solchen 72 73 74

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Bruns: Schwarze Ferkel, S. 408. Beßlich: ,,Corrector Germaniae“, S. 151. Pretzel: ,,Vom Taumeltrank“, S. 122. Über die von Blavatsky inspirierte ,,Theosophie“ und deren rassistische sowie elitäre Prinzipien vgl. Nicholas Goodrick-Clarke: The occult roots of Nazism. Secret Aryan cults and their influence on Nazi ideology. The Ariosophists of Austria and Germany, 1890-1935, New York 1992, S. 18-23. ,,Sein von Heroismus, Nationalismus, Männlichkeitskult und pessimistischem ,Weltschmerz’ geprägtes Weltbild ließ ihn die Bearbeitung großer historischer Stoffe (Völkerschlachten usw.) sowie die Darstellung großer historischer Persönlichkeiten (Byron, Napoleon) fordern. Unter den Künstlern stand dabei das Dichtergenie, zu denen sich Bleibtreu fraglos rechnete, dem großen Staatsmann, dem Feldherrn usw. gleichrangig gegenüber.“ Literaturkritik (Geschichte, Theorie, Praxis): Oliver Pfohlmann: Karl Bleibtreu, unter: http://cgi-host.uni-marburg.de/~omanz/forschung/ modul_druckfassung.php?f_mod=Ah04, 27.08.2008. Mit Graf Ernst zu Reventlow, der später auch einmal im Gewissen veröffentlichte, verband Bleibtreu 1906 ein Disput über die korrekte Wiedergabe von Seeschlachten. StBPrK NL Karl Bleibtreu, K. 17: Brief (25.10.1906) Graf Ernst zu Reventlow an Karl Bleibtreu. Britta Scheideler: Zwischen Beruf und Berufung. Zur Sozialgeschichte der deutschen Schriftsteller von 1880 bis 1933, in: Archiv für die Geschichte des Buchwesens, 1997 H. 46, S. 73. Z. B. Karl Bleibtreu (26.02.1923): Die Wahrheit über die Große französische Revolution, in: Gewissen, 5, H. 8, S. 2-3; ders. (22.10.1923): Deutschland und die Westvölker, in: Gewissen, 5, H. 42, S. 2-3; ders. (14.04.1924): Die wahre Schuld, in: Gewissen, 6, H. 15, S. 2-5. Vermutlich durch die Bekanntschaft mit Bleibtreu veröffentlichte auch sein Bekannter, der Münchner Lehrer und Schriftsteller Walther Eckart, einen Artikel im Gewissen. Über die Verbindung beider Männer vgl. StBPrK NL 244 Walther Eckart.

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künstlerischen Auseinandersetzungen der Jahrhundertwende verband sich auch die Frage nach der Beherrschbarkeit der materiellen Welt durch geniale Einzelleistungen.78 Mit der Verschiebung des Blickwinkels von außen nach innen nahm der Personen- und Geniekult seinen Ausgang und fand sich später auch in der politischen Kultur wieder. In seinem persönlichen Umfeld verehrte Moeller vor allem Richard Dehmel. Den dreizehn Jahre älteren Lyriker bewunderte Moeller für seine intensive Beobachtung und Wiedergabe: ,,Das, was Dehmel die Macht gab, in allem was er tat, sinnlich und geistig zugleich zu sein, war, wie das in unserer Zeit gar nicht anders sein konnte, die Persönlichkeitskraft, das Ichgefühl.“79 Das aus heutiger Sicht völlig übersteigerte Lebenspathos Dehmels beeindruckte die Zeitgenossen auch wegen seines sehr körperbetonten, vitalen Auftretens. Anfang der 1890er Jahre – nachdem er schon Gedichte zu seinen vorehelichen erotischen Abenteuern herausgegeben hatte – wurde Dehmel mit dem Band ,,Aber die Liebe“ und einem Prozess wegen des Vorwurfs der Unsittlichkeit einem größeren Publikum bekannt.80 Seine unkonventionelle Lebensweise und -auffassung in Bezug auf Ehe, außereheliche Beziehungen, Selbstverwirklichung und die geistige Stilisierung seiner Obsessionen machten ihn um die Jahrhundertwende schließlich zu einer der Lichtgestalten der Lebensreformbewegung.81 Als Moeller Mitte der 1890er in Berlin eintraf, war Richard Dehmel Anfang dreißig und schon eine künstlerische Instanz in den Bohème-Kreisen, exzessiv, aber auch distanziert im Auftreten, literarisch modern und gleichzeitig zivilisationskritisch veranlagt.82 Dehmel hatte das Zeitschriftenprojekt Pan mit initiiert, das zwar 1900 wieder eingestellt wurde, aber, genauso wie seine heftige Romanze und spätere Ehe mit der ehemaligen Muse Stefan Georges Ida Coblenz, zu seiner Popularität als vitaler Dichter beitrug.83 Moellers 78 79 80 81

82 83

Vgl. u. a. Alexandra Gerstner, Neuer Adel. Aristokratische Elitekonzeptionen zwischen Jahrhundertwende und Nationalsozialismus, Darmstadt 2008. Moeller van den Bruck: Die Deutschen, S. 293. Stefan Karlauf : Stefan George. Die Entdeckung des Charismas, München 2007, S. 138. Leiß/Stadler: Wege, S. 267–269. Die Lebensreformbewegung muss hier im Zusammenhang mit Kulturkritik gesehen werden: Handlungen und Akteure überschnitten sich, dennoch kann unterschieden werden, dass letztere eine intellektuelle und publizistische Auseinandersetzung mit der Gegenwart bedeutete und die Lebensreform sich mit konkreten Lebensverhältnissen auseinandersetzte. Vgl. Kai Buchholz: Die Lebensreform. Entwürfe zur Neugestaltung von Leben und Kunst um 1900. Gesamtausgabe in 2 Bänden, Darmstadt 2001; Eva Barlösius: Naturgemäße Lebensführung. Zur Geschichte der Lebensreform um die Jahrhundertwende, Frankfurt a.M. 1997. Weitere Eindrücke zu Dehmel in Paul Fechter: Menschen und Zeiten. Begegnungen aus fünf Jahrzehnten, Berlin/Hamburg 1949, S. 153–171. Beßlich: ,,Corrector Germaniae“, S. 149. Nach 1901 zog das Paar nach Hamburg-Blankenese, lebte großbürgerlich und unter anderem von den Erträgen Dehmels ehemaliger Produktivität. Karlauf : Stefan George, S. 139–142.

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Freundschaft mit Dehmel beruhte auf ähnlichen Kunst- und Kulturprämissen. Dehmel verband seine Naturalismuskritik mit der Forderung nach dichterischer Sinnstiftung, Weltbildern und der Suche nach dem Wesen der Dinge. Die naturalistische Weltbeschreibung erschien ihm ohne Bedeutung und künstlerischen Status, schließlich könne man den sogenannten Zufall auch auf der ,,Straße bekopfschütteln“.84 Moeller und Dehmel organisierten Vortragsabende, zu denen die ,,Damen und Herren in großer Abendtoilette erschienen“, man saß ,,zwanglos um Tische, Tischchen, Stehleuchter, auf Sofas dos à dos, Bänkchen und Hockern“ und umgeben von ,,Eckmannschen Teppichen“ und ,,Bruno Paulschen Möbeln“ lauschten die Gäste der nicht eben preiswerten Lesung. Moeller ,,begann jede Veranstaltung mit dem Vortrag eines seiner damals vor lauter Gründlichkeit und Schwere noch etwas ungelenken Essays, denen aber seine beherrschte ruhige Redeweise sehr zu statten kam. Dann las Dehmel oder vielmehr schuf er die Beispiele, auf die sich Moeller in seinen Auseinandersetzungen bezogen hatte, mit seiner beispiellosen Inbrunst nach.“85

Die anti-naturalistischen Vorträge waren im Fall Moellers auch durch seinen persönlichen ,,Abscheu vor all den Banalitäten“ und ,,Ekel vor Brotfragen“ motiviert.86 Zugleich reichte sein ästhetischer Anspruch ,,weit über das Alltäglich-Pragmatische hinaus“87 , denn er warf dem Naturalismus vor, der Hässlichkeit zu viel Raum zu gewähren, ohne einen Ausgleich durch Orientierung an der Schönheit zu suchen. Das wiederentdeckte romantische Denken trug in dieser Kritik zur ,,Zusammenführung von Transzendenz und Profanität“ bei, woraus sich die Idee entwickelte, dass das Alltägliche vom Schönen durchdrungen und gleichzeitig im Schönen die soziale organische Ordnung gesucht werden solle.88 Ähnlich wie der Verleger Eugen Diederichs sein Verlagsprogramm als Geistesrichtung erläuterte, die ,,die Welt als etwas Ganzes genießen und betrachten“ und ,,die aus der Verstandeskultur hervorgegangenen Erscheinungen des Materialismus und Naturalismus“89 überwinden wollte, sah Moeller im Naturalismus eine degenerative Stufe alltäglicher Äußerungen 84 85 86 87 88 89

Beßlich zitiert aus einem Brief Dehmels an Wilhelm Schäfer von 1896. Beßlich: ,,Corrector Germaniae“, S. 152. BArch Berlin R 8034 III/315 Presseausschnittsammlung – Reichslandbund: Hedda Eulenberg: ,,Am Vortragspult: Moeller van den Bruck“, in: Berliner Tageblatt, 28.09.1934. Ebd. Hein: Brücke, S. 24. Ebd. Der von Diederichs eingeführte Begriff ,,Neuromantik“ setzte sich jedoch nicht durch; neuromantische Ansätze gingen im Symbolismus-Begriff auf. Leiß/Stadler: Wege, S. 63. Über Diederichs kulturelles Programm vgl.: Meike G. Werner: Die Erfindung einer Tradition: Der Verleger Eugen Diederichs als ,,kultureller Reichsgründer“, in: Lothar Ehrlich/ Jürgen John (Hrsg.): Weimar 1930. Politik und Kultur im Vorfeld der NS-Diktatur, Köln 1998, S. 261–274.

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und stilisierte seine eigene Haltung zum Gegenentwurf. Dazu passte, dass – mit schmelzendem Erbvermögen Moellers – vor allem Heddas Übersetzungsarbeit dafür sorgte, dass die ,,Brotfragen“ zunächst nicht allzu häufig auf den häuslichen Tisch kamen. In Moellers Denken war das Genie nicht nur fähig, alle Lebensbereiche zu transzendieren, sondern es war ein autarkes Wesen, aus dem jeder künstlerische Ausdruck genuin hervorkam: ,,Werk und Mensch sind voneinander nicht zu trennen“.90 Moeller interpretierte Nietzsches Urteil zur Mittelmäßigkeit ganz im eigenen Sinne, denn hier fand er scheinbar den Beleg, der die Höherwertigkeit einer außergewöhnlichen Existenz begründete.91 Moeller huldigte Nietzsche als deutschen Denker, ,,der uns als erster wieder den Mut gegeben [hat], unser Herz dem Wort anzuvertrauen und darauf hingewiesen [hat], dass eine große Dichtung auch immer einen großen, leidenschaftlichen, menschendurchwühlenden Inhalt haben muss“.92 Aber dort, wo Nietzsche nur einen ,,verlorenen Schrei im Weltraum“ ausgestoßen habe, da klinge es bei Dehmel ,,wie ein schweres Manneswort in Gefahr“.93 Im Gewissen ging der Geniekult schließlich über die Idealisierung von Persönlichkeiten weit hinaus. Nur dort, wo Oben und Unten herrsche, wo alle Teile des Ganzen an ihrem vorgesehenen Platz stünden, könne auch wahre Kultur ihren Platz einnehmen und ein Genie entstehen. Der Gewissen-Autor und Neoklassizist Paul Ernst kämpfte mit seinen Dramen und Novellen seit der Jahrhundertwende um ein ,,neues Pathos“, so dass eine Kunst entstehe, ,,die auf einer glaubhaften Wertordnung, auf absoluten Grundwerten in sozialer Verpflichtung aufbaut“.94 Paul Ernst, sieben Jahre jünger als Karl Bleibtreu, hatte mit Anfang zwanzig in Berlin zunächst Anschluss an die Arbeiterbewegung gefunden, wurde Schriftleiter eines sozialdemokratischen Blattes und schließlich Teil der innerparteilichen Opposition. Zwar versuchte sich Ernst auch an naturalistischen Einaktern, aber er orientierte sich bald an Neuromantik und Neuklassik. Das Dichterlexikon attestiert ihm, ,,ein mehr klärender abstrakter Denker als vitaler Dichter“ gewesen zu sein. Er verarbeitete ,,Stoffe aus Antike, Heldensage, mittelalterlicher Reichs– und preußischer Geschichte“. Ernsts ,,Jambentragödien hohen Stils [kreisten] um große Menschen heroischen Lebensgefühls in Konflikten mit dem absoluten Sittengesetz oder zwischen zwei ethischen Notwendigkeiten“.95 Aus 90 91

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Moeller van den Bruck (18.02.1920): Gedenken an Dehmel, in: Gewissen, 2, H. 7, S. 3. ,,Was auch immer Nietzsche für den modernen Subjektivismus geleistet haben mag, so hat er doch über seine Multiplikatoren jedes utilitaristische Denken diffamiert, zugleich aber der deutschen Durchschnittsexistenz die Vorstellung ins Bewusstsein gesenkt, sie sei zu etwas Höherem berufen.“ Hein: Brücke, S. 35. Moeller van den Bruck: Die Deutschen, S. 281. Ebd., S. 293. Leiß/Stadler: Wege, S. 61. Gero von Wilpert: Deutsches Dichterlexikon. Biographisch-bibliographisches Handwörterbuch zur dt. Literaturgeschichte, Stuttgart 1988, S. 186–187.

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dem sozialrevolutionären Ansatz der 1890er Jahre hatte sich bei Paul Ernst ein strenger volkserzieherischer Stil entwickelt. Im Gewissen war Ernst der hervorstechendste Vertreter eines kulturellen Elitekonservatismus, der in seinen Artikeln immer wieder den prinzipiellen Zusammenhang zwischen Herrschaft und Kultur herausstellte. Die paternalistischen Grundzüge des traditionellen Konservatismus verband er mit dem charismatischen Idealbild der Genies, deren innere Zerrissenheit erst ihre Höherwertigkeit bezeuge: ,,Das Leiden ist eine Auszeichnung der Vorzüglichsten, denn die allein werden höher gehoben durch das Unglück.“96 2.1.3 Moellers Stil zwischen Bohème und Außenseitertum Moellers Auftreten um die Jahrhundertwende entsprach mit allen Attitüden den gängigen Vorstellungen eines Bohemien:97 Er gab sich kritisch, schweigsam, stoisch, unerstaunt, aristokratisch und produzierte ein Bild von sich, das ihn zeitlebens kennzeichnen sollte.98 ,,Deutlich empfand [Moeller] den Untergang der Welt seiner Eltern, mit der gleichzeitig die Kultur eines ganzen Jahrhunderts dahinging, und er genoss und pries die Hervorbringungen dieser sterbenden Kultur: das Fin de siècle, die Décadence.“99 Hedda erinnerte sich, ihr damaliger Mann habe eine ,,gewisse Weltmüdigkeit“ an den Tag gelegt: ,,ein Zug zum Dekadenten [habe] in seinem langsamen, etwas schleppenden Gang und in der Haltung seines Kopfes“ gelegen.100 Diese gewisse Müdigkeit ließ sich jedoch nicht allein auf Moellers 96

Paul Ernst (26.01.1921): Kultur, Zivilisation und Barbarei, in: Gewissen, 3, H. 4, S. 2-3. Die soziale Erscheinung Bohème war im Unterschied zur Avantgarde ein ,,noch loseres Aggregat“. ,,Bohème war stärker als die Avantgarde auf eine Lebensweise zugeschnitten. Sie war zudem mehr auf Literatur und Theater konzentriert, während die Avantgarde häufiger mit den bildenden Künsten in Zusammenhang gesehen wurde. [...] Avantgarde, Intelligencija und Dandyismus entstanden in einer Zeit, als der Adel seine soziale Prägekraft verloren hatte und das Bürgertum in seiner puritanischen Enge für KünstlerKreativität zu wenige Spielräume bot. Bohemiens und Dandys waren dadurch geeint, dass sie sich der Meritokratie der modernisierten Marktwirtschaft entzogen.“ Klaus von Beyme: Das Zeitalter der Avantgarden. Kunst und Gesellschaft 1905–1955, München 2005, S. 35–36. Der Bohèmien, so Breuer, sei ,,die Grenzgestalt der Intelligenz“, ,,der ewige, leibhaftig gewordene Protest der reinen Intelligenz gegen ihre eigene Unfreiheit in der Gestalt der bürgerlichen Intelligenz“. Zu den ,,bohemespezifischen Merkmalen“ zählten ,,Dandytum in Kleidung und Habitus“, ,,die Caféhausexistenz, das Leben in Künstlerkreisen und exzessive[r] Alkoholkonsum“, ,,okkasionelle[r] Arbeitsstil“ und ,,häufige Ortswechsel“. Breuer: Arthur Moeller, S. 142. Moeller habe sich ,,exakt“ in den ,,soziokulturellen Rahmen“ der Bohème eingefügt. Ketelsen: Stabilisierte Mobilität, S. 225. 98 Moeller habe sich zum Dandy stilisiert, einem ,,gegen die Zeit stehende[n] vereinzelte[n] Außenseiter und Kulturträger“. Petzinna: Erziehung, S. 22. Die Zuschreibungen mögen auf Moeller zutreffen, aber vom Dandy, der alle seine Fähigkeiten immer auch mit einem gewissen Unernst einsetzte, war er doch weit entfernt. 99 Schwierskott: Arthur Moeller, S. 16. 100 Ebd., S. 16 FN 11. 97

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gepflegten Stil zurückführen, sondern auch auf seinen überdurchschnittlichen Alkoholkonsum. Seit wann genau Moeller alkoholabhängig war, kann kaum festgestellt werden, aber dass von einem sehr frühen Zeitpunkt an Alkohol ein bestimmendes Moment in seinem Leben war, steht fest. Der konstitutive Einsatz großer Mengen Alkohols, wie etwa bei der Kneipenrunde im ,,Schwarzen Ferkel“, dürfte zur Entwicklung eines gewohnheitsmäßigen Konsums beigetragen haben. Und Moellers Übersetzungen von Thomas de Quincey und Edgar Allen Poe, die er gemeinsam mit Hedda verfasste, zeigten, dass er die künstlerische Praxis der bekanntermaßen drogenabhängigen Männer ernst nahm. Moeller trank nicht nur in größerer Runde, um einem blasierten männlichen Selbstbild gerecht zu werden, sondern auch, um sich zu stimulieren und gleichzeitig zu beruhigen.101 In den Erinnerungen an Moeller wurde häufig das Bild eines leidenden Denkers produziert, der allein auf sich zurückgeworfen gegen die Unbilden seiner Zeit nach Erkenntnis suchte. Hans Schwarz gab an, Moeller sei von Berlin enttäuscht worden. Zwar habe er sich im Kreise von Künstlern und Literaten unterhalten und es verstanden, zu provozieren – ,,die ,Gesellschaft‘ durch Extravaganzen herauszufordern“ –, aber innerlich sei er distanziert geblieben, nie mit den Menschen ,,warm geworden“.102 Das Bild des Außenseiters überdeckte zunehmend das des zwar ebenfalls antibürgerlichen, aber durchaus geselligen Bohemiens. ,,Er fühlte sich zeitlebens als Aussenseiter“ erinnerte sich auch sein späterer Verleger Reinhard Piper.103 Und Harry Laeuen stellte fest, Moeller habe seine Texte immer ,,als Außenseiter in mühevoller und aufreibender Arbeit“ verfasst.104 Moellers eigene Aussagen trugen dazu bei, seine Sonderrolle zu unterstreichen. In einem Brief an Otto Piper, der als Burgenkundler mit seinen ,,Bedenken zur Vorgeschichte“ in der Altertumskunde für Aufsehen gesorgt hatte und mit dem sich Moeller anscheinend verbunden fühlte, befand er 1914:

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,,Moeller [. . . ] often feels ill. Attacks of rage come more and more frequently. Alcohol calms him down, at least in the morning when he feels dizzy. He starts the day with port wine, half a bottle. Port wine was the favourite drink of Edgar Allan Poe.“ Stan Lauryssens: The man who invented the Third Reich. The life and times of Arthur Moeller van den Bruck, Stoud, Gloucestershire 1999, S. 79. Moeller ,,grübelte über seinem Weinbecher, dem er allerdings tüchtig zusprach“. Schwierskott: Arthur Moeller, S. 16. Vgl. auch Marianne Kesting: Der Dichter und die Droge. Zur Ästhetik und Soziologie des Rausches, Köln 1973. BArch Berlin R 8034 III/315 Presseausschnittsammlung – Reichslandbund: Hans Schwarz (01.06.1935): ,,Vom Werden Moeller van den Brucks“, in: Das Buch. DLA Marbach A: Piper, Reinhard/Manuskripte verschiedenes, Reinhard Piper (o.D.): Biographisches zu Arthur Moeller van den Bruck, S. 5. BArch Berlin R 8034 III/315 Presseausschnittsammlung – Reichslandbund: Harald Laeuen (31.05.1935), ,,Moeller van den Bruck. Zur zehnjährigen Wiederkehr seines Todestages“ in: Die Mannschaft.

2.1 Arthur Moeller van den Bruck

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,,Es ist nun einmal so, dass der Blick des zunächst draussen Stehenden in das Innere von Dingen schauen kann, das dem Fachmännischen, der sich täglich mit diesen Dingen beschäftigt, aber dabei ständig in seinem eigenen Schatten steht, völlig entzogen bleibt.“105

In einem Artikel für den Tag legte Moeller 1919 dar, der Außenseiter sei allen anderen politisch Aktiven weit überlegen, weil er ,,Vorstoß, vielleicht auch Übersteigerung bestimmter Forderungen in bestimmter Richtung“ sei. Der Außenseiter verkörpere Besonderheit, indem er ,,Träger“, ,,Verkünder“ und ,,Vertreter großer Einseitigkeiten“ sei: ,,Aber es liegt darin die Gewähr einer großen Allseitigkeit.“106 Ohne den Begriff des Intellektuellen je für sich in Anspruch zu nehmen, konzipierte Moeller in solchen Texten seine eigene intellektuelle Funktion. Ihm war daran gelegen, als ein Kritiker wahrgenommen zu werden, der niemandem verpflichtet war und alle Positionen verbinden konnte. Der subjektiv-überlegene Blick von außen auf gesellschaftliche und historische Zusammenhänge wurde schließlich zum gängigen Motiv in Moellers Texten. Seine Bücher und Gewissen-Artikel waren immer aus einer Warte verfasst, die jenseits des behandelten Geschehens lag. In den Texten ließ er schreibend zunächst den Blick schweifen, teilte die Thematik in für und wider und schloss mit einem apodiktischen Urteil, das gleichzeitig als Prophezeiung zu verstehen war. Moeller bemühte sich, in seinen Texten, die vollkommen auf das Subjektive gerichtet waren, niemals als Autoren-Person zu erscheinen. Kurz nach der Jahrhundertwende wurde für Moeller das Leben in Berlin schwieriger, einige ,,Banalitäten“ ließen einen Ortswechsel angezeigt erscheinen. Moellers essayistischer, literarischer Erfolg war und blieb noch für einige Zeit mäßig. Ein Zeichen hierfür war seine eindringliche Bitte um Veröffentlichung an den Zeitschriftenherausgeber Ludwig Jacobowski, denn er sei ,,in größter Geldverlegenheit und würde Ihnen den Aufsatz, wenn Sie ihn umgehend nach Annahme vorziehen, schon zu 25 Mark geben“.107 Gleichzeitig verschlang sein Lebenswandel, aus dem er Inspiration für seine Arbeit zog, beträchtliche Geldsummen. Aus einem Angebot, das er 1902 dem Herausgeber von Bühne und Welt unterbreitete, gehen seine exzessiv betriebenen Veranstaltungsbesuche hervor.108 Moeller resümierte sämtliche Aufführungen und Vorstellungen aus dem Varieté- und Theaterbereich, auf deren Grundlage er einige Essays über den ästhetischen Wert verfassen wollte. Moeller war bei der Wintergartenpremiere, hatte alle Stars der Saison gesehen – darunter viele Franzosen – und freute sich schon auf die kommende, um Isadora Duncan 105 106 107 108

DLA Marbach A: Piper, Reinhard / Manuskripte verschiedenes, Reinhard Piper (o.D.): Biographisches zu Arthur Moeller van den Bruck, S. 5. Moeller van den Bruck (15.01.1919): Der Außenseiter, in: Der Tag, 19, H. 6, S. 1–3. Hessische Landesbibliothek Wiesbaden, HS 396 Briefe Moeller van den Bruck/727: Brief (03.08.1899) Moeller an Ludwig Jacobowski. Darunter die Balletttänzerin Cléo de Mérode, Paulaire, Field, Guilbert, Fuller, Sakaret. Theaterwissenschaftliche Sammlung Universität Köln AU 7624, Brief (22.08.1902) Moeller van den Bruck an Heinrich Stümcke.

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bewundern zu können.109 Moellers Bemühungen waren kostspielig aber vergeblich, denn mit seinen ästhetischen Abhandlungen gelang ihm kein Zugang zu einem breiteren Publikum. Moeller lebte mit Mitte 20, verheiratet, kaum vermögend, ohne Ausbildung, schreibend, mit mäßigem Erfolg am Rande von Berlin. Hier ein Haus ,,im Grünen“, eine bald schwangere Frau und sein Lebensekel, dort in der Stadt gesellige Runden, männerbündisch, avantgardistisch, aber aus seiner Sicht ohne nachhaltige Wirkung. Als er 1904 in einem Aufsatz seine tiefe Abneigung gegenüber Literaten ausdrückte, die wie ,,verunglückte Psychiater und Psychologen“ ihre ,,Leidensbücher“ vorlegten, anstatt ,,Menschen des Lebens selbst“110 zu sein, klangen die Vorwürfe wie beschwörende Appelle an sein eigenes schreibendes Selbstverständnis, keine persönlichen Schwächen preiszugeben. Um diese Zeit ,,verlor“ Moeller sein restliches Vermögen111 und der Militärdienst stand bevor: beides Auslöser, um Berlin zu verlassen.112 2.1.4 Das „Auslandserlebnis“: Moeller in Paris und auf Reisen ,,Es gibt in der neueren Geschichte kaum ein so ergreifendes Beispiel für den mühevollen Umweg eines Menschen zu seinem Volk als jenes, das uns dieser einzelne Visionär und Prophet des Dritten Reiches gelebt hat.“113 ,,Dann nach Paris, um nicht Soldat werden zu müssen.“114

In den Erinnerungen seiner Zeitgenossen und verschiedenen Darstellungen zur Konservativen Revolution steht der Aufenthalt in Paris als zentrales Erlebnis in Moellers Leben. 1902 zeigt den flüchtenden Moeller und seine Ankunft 109

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Duncans Idee einer natürlichen Körperschönheit, die sich, am klassisch-griechischen Ideal orientiert, aus den körperlichen Gesetzmäßigkeiten entwickeln sollte, kam den Überlegungen Moellers zur Bedeutung des Stils entgegen. Moeller van den Bruck: Moderne Literatur, modernes Leben – ein Gegensatz, in: Kunstwart (April–Sept. 1904), 17, S. 456. Auch dieser Punkt bleibt im Moeller-Bild diffus; Schwierskott meint sein ,,Vermögen schmolz dahin“, Hedda spricht von ,,untragbaren Verhältnissen“. Schwierskott: Arthur Moeller, S. 17; Eulenberg: Im Doppelglück, S. 17. Schlüter: Moeller van den Bruck, S. 87–88. BArch Berlin R 8034 III/315 Presseausschnittsammlung – Reichslandbund: K. H. Bühner (31.05.1935) ,,Arthur Moeller van den Bruck. Ein Wegbereiter des neuen Deutschland“, in: Stuttgarter NS-Kurier. DLA Marbach A: Piper, Reinhard/Manuskripte verschiedenes, Reinhard Piper (o.D.): Biographisches zu Arthur Moeller van den Bruck, S. 1.

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in Paris. Seine damals schwangere Ehefrau Hedda sprach fast liebevoll von ,,einer Angstvorstellung“, die ihn getrieben habe.115 Aber womöglich waren Hedda und Herbert Eulenberg, die sich nun schon geraume Zeit kannten und bald heiraten sollten, nicht besonders erschüttert über Moellers Ortswechsel. Paris war als Zwischenstation geplant; sein Nachlassverwalter Hans Schwarz und seine zweite Ehefrau Lucy berichteten, Moeller habe ursprünglich in die USA weiterreisen wollen.116 Über konkrete Beweggründe geben die Erinnerungen darüber hinaus kaum etwas preis, in älteren Darstellungen wird die Wirkung der Flucht hervorgehoben und gleichlautend bewertet: Die ,,deutschen Verhältnisse“ hätten Moeller belastet, Paris sei sein Wendepunkt gewesen.117 Alle Darstellungen stellen übereinstimmend fest, dass sich Moellers Einstellung in Paris – seiner ,,entscheidenden Station“118 – politisiert habe: ,,Paris: – das war die französische Skepsis in ihrer Hochform von leerem Pathos und schlecht verhülltem Egoismus und Mangel an ehrlichem Enthusiasmus.“119 Mehr noch: Paris galt als gefährlicher Ort für junge, allzu sensible Menschen, die sich mit ,,furchtbaren Erkenntnissen“ über das eigene Land in die Stadt ,,der großen ästhetischen Bewegung und der kosmopolitischen Haltung“ wagten.120 Wer das Paris der Jahrhundertwende ,,überlebte“, galt in der Rückschau als national gefestigt.121 Schwierskott betont, Moeller habe ,,auf völlig unpolitischem Wege zu seiner Vorliebe für Russland“ gefunden, eben durch seine ,,Beziehungen zu

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Eulenberg: Im Doppelglück, S. 18. Pikanterweise widmete Moeller nur ein Jahr später dem neuen Ehemann seiner geschiedenen Frau, Herbert Eulenberg, einen Aufsatz in der ,,Freistatt“ mit dem würdigenden Titel ,,Deutscher Marlowegeist“. Moeller-Bruck, ,,Deutscher Marlowegeist, in: Freistatt, 5.1903 H. 14, S. 269–270. BArch Berlin R 8034 III/315 Presseausschnittsammlung – Reichslandbund: Personalia Moeller van den Bruck: Glodschey, Erich (29.05.1935): Gespräch mit Frau Moeller van den Bruck. Das Vermächtnis eines großen Deutschen, in: Preußische Zeitung (148). ,,Seine Reise nach Paris im Jahre 1902 war nichts anderes als eine Flucht vor den deutschen Verhältnissen.“ von Klemperer: Konservative, S. 169. Schwierskott: Arthur Moeller, S. 17; Fechter: Moeller, S. 571. ,,Entscheidung auch für sein inneres Leben“; Kaltenbrunner erklärt, es habe schon vorher in Moellers Sätzen ,,geschwelt“, ,,seine Hinwendung zur Politik datiert seit seiner Flucht nach Paris“; GerdKlaus Kaltenbrunner: Vom ,,Preußischen Stil“ zum ,,Dritten Reich“: Arthur Moeller van den Bruck, in: Karl Schwedhelm (Hrsg.): Propheten des Nationalismus, München 1969, S. 139–158, S. 143. BArch Berlin R 8034 III/315 Presseausschnittsammlung – Reichslandbund: Hans Schwarz (01.06.1935) ,,Vom Werden Moeller van den Brucks“, in: Das Buch. BArch Berlin R 8034 III/315 Presseausschnittsammlung – Reichslandbund: K. H. Bühner (31.05.1935) ,,Arthur Moeller van den Bruck. Ein Wegbereiter des neuen Deutschland“, in: Stuttgarter NS-Kurier. Einhellige Rezeption der Paris-Phase in den Würdigungen Moeller van den Brucks zu seinem Tod 1925 sowie seinem 10. Todestag 1935, gesammelt in der Presseausschnittsammlung der Reichslandbundes BArch Berlin R 8034 III, Nr. 315.

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Menschen östlicher Herkunft“.122 Durch seine Pariser Bekanntschaft mit dem Mystiker Dmitri Mereschkowski entdeckte Moeller einen Zugang zum russischen Selbstverständnis. Er verinnerlichte das Bild eines religiösen und ungebändigten russischen Volkscharakters, das zu dieser Zeit in ganz Mitteleuropa eine Mischung aus Faszination und Widerwillen erzeugte.123 Die Herausgabe der deutschen Dostojewski-Bände124 und später ,,Die italienische Schönheit“125 wurden dementsprechend auch als Moellers Suche nach weiteren ,,Volkscharakteren“ interpretiert. Breuers Hinweis, dass in der Paris-Episode und der ,,Begegnung mit der intensiven Religiosität Dostojewskis und Mereschkowskis“ allzu leichtfertig auf ein ,,Damaskus-Erlebnis“ bei Moeller geschlossen wird126 , kann durch zwei Hinweise ergänzt werden. Häufig bleibt unerwähnt, dass Moeller wohl kaum orientierungslos und zufällig in Paris ankam, um dort von seinen nationalen Erkenntnissen übermannt zu werden. Schließlich war Paris kurz nach der Jahrhundertwende die europäische Weltstadt, in der sich Künstler aller Länder und Richtungen begegneten. Durch sein Interesse am französischen Varieté – schon in Berlin bekundet in einer kritischen Schrift –, hat Moeller gewusst, was ihn in Paris erwarten würde. Deutsche Künstler wurden nicht selten erst durch die französische Rezeption bekannt – für Moeller vielleicht ein Grund, in Paris den Erfolg zu suchen. Darüber hinaus machte sich auch bei Moeller ein Phänomen bemerkbar, das häufig an Menschen in der Diaspora beobachtet wird. Das nicht ganz freiwillige Exil im Ausland verleitet mitunter zu übersteigertem Heimatgefühl, das durch die Projektion aus der Ferne zum intensiven Nationalismus führt.127 In Frankreich erlebte Moeller zudem den Blick des Auslandes auf 122 123

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Schwierskott: Arthur Moeller, S. 127. Ausführlich bei Christoph Garstka: Arthur Moeller van den Bruck und die erste deutsche Gesamtausgabe der Werke Dostojewskis im Piper Verlag: 1906–1919, Frankfurt a.M. 1998. Dostojewski-Verehrung war in der Vorkriegszeit ein verbreiteter Ausdruck kulturkritischer Haltung: ,,[. . . ] der dumpfe dichterische Irrationalismus Dostojewskis sprach [. . . ] die empfindsamen Geister von der äußersten Linken bis zur äußersten Rechten an, welche die Gestalt der Moderne nicht mehr ertrugen und von der Wilhelminischen Kultur angewidert wurden.“ Peter Gay: Republik der Außenseiter. Geist und Kultur der Weimarer Zeit, Frankfurt a.M. 1987, S. 24. F.M. Dostojewski, Sämtliche Werke, hrsg. von Moeller van den Bruck unter Mitarbeit von Dmitri Mereschkowski, München 1905–1915. Moeller van den Bruck: Die italienische Schönheit, München 1913. Stefan Breuer: Religion und Mystik bei Moeller van den Bruck, in: Revue d’Allemagne et des Pays de langue allemande, 32.2000 H. 2, S. 289–297, S. 293. Benedict Anderson spricht von einem ,,long-distance-nationalismus“, vgl. Isolde Charim: Interview mit Benedict Anderson, in: taz 05.08.2007, online unter: http://www.taz.de/1/leben/alltag/artikel/1/es-gibt-einen-diaspora-nationalismus/, 03.03.2008. Aktuelle Untersuchung etwa: Paul Hockenos: Homeland Calling. Exile Patriotism and Balkan Wars, Ithaka/London 2003. Positiv formuliert auch in: Anke Hilbrenner: Diaspora-Nationalismus. Zur Geschichtskonstruktion Simon Dubnows, Göttingen 2007.

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das Deutsche Reich, dem eine geradezu überbordende Stärke und Kraft zugeschrieben wurde. In der Tat stieg das deutsche Bruttoinlandsprodukt zwischen 1871 und 1914 um etwa 60 Prozent, das Nationaleinkommen verdoppelte sich zwischen 1896 und 1912:128 Aus französischer Perspektive war das eine beängstigende, aus derjenigen des deutschen Emigranten eine bewundernswerte Entwicklung. Im Umfeld Mereschkowskis lernte Moeller Lucy Kaerrick kennen. Sie wurde seine zweite Ehefrau und nahm im Gegensatz zu Hedda eine exponierte Stellung in seinem Privat- und Berufsleben ein. Die junge Baltin wurde zu einer wichtigen Größe und ,,geistigen Gefährtin“129 in Moellers Leben. Sein in Deutschland begonnenes und während der Paris-Phase veröffentlichtes Werk über ,,Die Zeitgenossen“ widmete Moeller explizit seiner neuen Frau.130 Andere Male suchte er ihren Rat, etwa als 1922 die estnische Schriftstellerin Theophile von Bodisco einen geplanten Vortrag nicht mit der von Moeller gewünschten inhaltlichen Ausrichtung hielt.131 So wie Lucy ,,durch zwei Jahrzehnte an seinem schöpferischen Leben intensivsten Anteil genommen“132 hatte, stellte sie sich auch nach Moellers Tod 1925 in den Dienst seiner Sache, etwa als sie gemeinsam mit Hans Schwarz einige Veröffentlichungen postum herausgab.133

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Gerd Koenen: Der Russland-Komplex. Die Deutschen und der Osten 1900–1945, München 2005, S. 37. StBPrK NL Moeller van den Bruck, K. 12, Mp. 14: Brief (o.D.) [Juli 1925, C.K.] Theophile von Bodisco an Lucy Kaerrick. Moeller van den Bruck: Die Zeitgenossen. ,,Ich sprach dann später mit meiner Frau über den Fall. Und wir waren uns darüber einig, dass da irgendetwas geschehen müsse.“ BArch Koblenz R 118/34/242: Brief (05.12.1922) Moeller van den Bruck an Hermann Schlüter. BArch Berlin R 8034 III/315/128 Presseausschnittsammlung – Reichslandbund: Dr. Max Hildebert Boehm (21.04.1926), ,,Das Werk Moeller van den Brucks. Zu seinem 50. Geburtstag“, Manuskript. Ein Jahr nach Moellers Tod machte sie dem Abenteuerromanschreiber und völkischen Aktivisten Robert Wilhelm Horn den Vorschlag, aus seiner Residenz in der Nähe des türkischen Smyrna ein Zentrum ,,‘geistiger Natur‘ für den konservativen deutschen Nachwuchs zu gründen“. Gebhardt: ,,Mir fehlt eben ein“, S. 251. Im Rahmen einer Neuauflage von ,,Die italienische Schönheit“ setzten sich 1929 die Verlagsmitarbeiter von Cotta mit Lucy auseinander und beschrieben sie intern als ,,für die Ideen ihres Mannes stark werbende Frau“. DLA Marbach A: Cotta-Archiv Br. Moeller v.d.Br., Mp.1: Brief (17.12.1929) Rosner (Cotta Berlin) an Robert Kröner (Cotta Stuttgart). Der weitere Briefwechsel lässt Lucy in keinem guten Licht erscheinen: ,,Die Frau ist jedenfalls ein schwieriger Mensch, sprunghaft, leidenschaftlich und undiszipliniert.“ Brief (24.03.1930) Rosner (Cotta Berlin) an Robert Kröner (Cotta Stuttgart). Schließlich leitete Lucy in Berlin ,,das so genannte ,Moeller-Archiv‘ und war eifrig um die Verbreitung des Werkes ihres Mannes bemüht, wobei sie sich aber zu Korrekturen und Schönfärbereien hat hinreißen lassen“. 1926 gab sie die zweite Auflage des dann erfolgreichen ,,Dritten Reiches“ heraus; noch 1953 gab sie im Namen des ,,Moellervan-den-Bruck-Archiv“ den ,,Preußischen Stil“ wieder heraus. Garstka: Arthur Moeller, S. 46. Schriftwechsel und Aufzeichnungen zur Errichtung und Unterhaltung des

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2. Konstruktion des Jungkonservatismus

In Paris trafen sich 1903 Lucy, ihre Schwester Less, Mereschkowski und Moeller regelmäßig zu Gesprächen und Debatten beim ,,jour fixe im Hause der Mme Laborde“ in der rue de Pouthieu 69.134 Im Stil von Salongesprächen ging es nicht nur um die philosophische und metaphysische Durchdringung des Problems einer ,,dynamischen Geschichtsauffassung“, sondern auch um die Frage, mit welcher Art Veröffentlichung sich ein bezahlendes Publikum erschließen lasse. Lucy hatte kurz zuvor das St. Petersburger Konservatorium abgeschlossen und berichtete von ihren Eindrücken der russischen Dichtung. Der Name Dostojewski stand nicht unerwartet im Raum, denn in der weit verbreiteten westeuropäischen Begeisterung für die russische Ursprünglichkeit nahm die ,,düstere“ und ,,mystische“ Gestalt des russischen Nationaldichters eine herausragende Rolle ein.135 Lucy brachte die Idee auf, Dostojewskis Gesamtwerk in deutscher Sprache herauszugeben, und Moeller sah darin die Möglichkeit, ,,das nötige Beweismaterial für seine Hypothesen“ erhalten zu können.136 Moeller nahm Kontakt mit dem jungen Verleger Reinhard Piper in Deutschland auf, weil er darauf baute, dass in dem modernen Verlagsprogramm auch Raum wäre für eine moderne Dostojewski-Gesamtausgabe.137 Piper erkannte das Potenzial des Projektes, denn trotz aller Russland-Begeisterung waren die Texte Dostojewskis, bis auf Hauptwerke wie ,,Die Brüder Karamasoff “, in Deutschland nur rudimentär bekannt.138 Die zunächst schlicht, später aufwendig gestalteten Ausgaben sollten sich bis in den Ersten Weltkrieg hinein zu Pipers sichersten Einnahmequellen entwickeln.139 Moeller verstand zwar kein Wort Russisch, hatte aber ausreichend Vertrauen in seine Schwägerin Less, die schließlich unter dem Pseudonym E. K. Rahsin die Hauptarbeit der Übersetzung übernahm, während er den deutschen Text überarbeitete und in den jeweiligen Einleitungen den Bezug der Dostojewski-Arbeit zu seinen eigenen geschichtlich begründeten Völkerbetrachtungen herstellte.140 Less Kaerricks und Moellers Zusammenarbeit an

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Archivs in: BArch Berlin R 4901 Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung: Moeller van den Bruck Sammlung. DLA Marbach A: Piper, Reinhard / Manuskripte anderer: Less Kaerrick (o.D) über MvdB. Koenen: Russland-Komplex, S. 44. DLA Marbach A: Piper, Reinhard /Manuskripte anderer: Less Kaerrick (o.D.) über MvdB. DLA Marbach A: Piper, Reinhard / Manuskripte verschiedenes, Reinhard Piper (o.D): Biographisches zu Arthur Moeller van den Bruck. Garstka: Arthur Moeller, S. 7–15. Moeller van den Bruck (31.10.1921): Dostojewski der Politiker, in: Gewissen, 3, H. 44, S. 2-3. Piper wusste die Arbeit und den gedanklichen Überbau Less Kaerricks zu schätzen: ,,Eine ausserordentlich geistvolle und vielseitig gebildete Dame, mit der Spengler die Grundideen seines ,Untergang des Abendlandes‘ durchgesprochen hatte. [. . . ] nur kam sie leicht vom Hundertsten ins Tausendste, sodass ich am Schluss immer halb betäubt

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der Dostojewski-Übersetzung führte zu einem intensiven Austausch der beiden, der bis in die 1920er Jahre andauerte. Less entwickelte ein eigenes kulturtypologisches System, um die Zusammensetzung ,,Ureuropas“ zu ergründen, über das sie sich mit Moeller und noch mehr mit Oswald Spengler austauschte. Moellers und Less’ unterschiedliche Interpretationen des ,,Russentums“ oder des Konservatismus machten die Arbeit an der deutschen DostojewskiAusgabe für beide zu einer ,,Hölle“.141 Von der Arbeit an den Texten sei Moeller geradezu ,,besessen“ gewesen142 , seine Arbeitsweise war pedantisch und er unterzog alles einer Systematisierung.143 Ähnlich wie an seinem äußeren Auftreten lag Moeller daran, dass seine Arbeiten als stimmig und in ihrer Gesamtheit wahrgenommen wurden, wodurch seine Standpunkte jedoch auf die Zeitgenossen ,,etwas zu gewaltsam“ wirkten.144 Sein Verleger Piper erinnerte sich, dass Moeller schon zu diesem Zeitpunkt eine ,,nachträgliche Konstruktion“ seines Lebens betrieb, indem er behauptete, ,,ganz bewusst“ nach Edgar Allen Poe, ,,diesem ersten Grossstadtdichter Amerikas, den Grosstadtdichter Dostojewski“ herauszugeben.145 Dostojewski blieb Moellers stilbildendes Vorbild und er bemühte sich, auch einen inneren Zusammenhang zwischen sich und ,,Dostojewski de[m] Politiker“ zu konstruieren. In einem Artikel von 1921 hieß es: ,,Das Geistige ist dem Wirklichen immer um Menschenalter voraus.“146 Inhaltlich nahm Moeller in dem Artikel einen Abgleich von Marx und Dostojewski vor, erklärte warum Letzterer dem Ersten weit voraus gewesen sei, warum Dostojewski in seinem

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war.“ DLA Marbach A: Piper, Reinhard / Manuskripte verschiedenes, Reinhard Piper (o.D.), Biographisches zu Arthur Moeller van den Bruck, S. 7. Ausführlich zu Less Kaerrick: Galina Potapova: ,,Dynamische Psychologie der Geschichte“. Das kulturtypologische System von Less Kaerrick, in: Zeitschrift für Ideengeschichte, 3.2009 H. 1, S. 95–112. Der Nachlass Less Kaerricks befindet sich im Deutschen Literaturarchiv und wurde ebenfalls von Galina Potapova erschlossen. DLA Marbach A: Piper, Reinhard/Manuskripte anderer: Less Kaerrick (o.D.) über MvdB. In korrekter Schrift fasste Moeller seine Manuskripte ab, nahm Streichungen mit gezirkelten schwarzen Balken und Korrekturen farblich abgesetzt vor. Gedankliche Vorarbeiten setzte er zunächst in große Diagramme und Tabellen um, stellte kulturelle Normen in Spalten nebeneinander, glich ab, sortierte und rangierte. StBPrK NL Moeller van den Bruck, K. 12, Mp. 1:Tabellarische Übersicht über Dostojewski und seine Zeit bzw. paralleler europäischer Erscheinungen; ebenso in: K. 7, Mp. 1: Handschriftliche Manuskripte. DLA Marbach A: Piper, Reinhard / Manuskripte verschiedenes, Reinhard Piper (o.D.): Biographisches zu Arthur Moeller van den Bruck, S. 3. Ebd. Moeller van den Bruck (31.10.1921): Dostojewski der Politiker, in: Gewissen, 3, H. 44, S. 2-3. ,,An Dostojewskij faszinierte ihn der politisierende Autor des ,Tagebuch eines Schriftstellers‘. Die darin enthaltenen Kommentare und Analysen von aktuellen Fragen der Politik beeinflussten Moeller nicht nur inhaltlich, sondern auch in ihrer Diktion, sowie in dem Ethos des vom Schreibtisch die Weltpolitik analysierenden, über den Parteien stehenden Intellektuellen, der es ,mit dem Volk hält‘.“ Garstka: Arthur Moeller, S. 88.

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2. Konstruktion des Jungkonservatismus

Jahrhundert der einzige Sozialist gewesen sei und wie sehr er die ,,babylonische Verwirrung“ der Gegenwart habe kommen sehen. Marx, der Rechner, wurde von Moeller nicht diskreditiert, fiel aber als ,,Formelwalter“ deutlich ab. Es fällt auf, wie sehr Moeller die prophetischen Gaben an Dostojewski hervorhob und Parallelen zu seinem eigenen Leben evozierte. In Paris meinte Moeller zu erkennen, dass Formalismus und bloße Mode zum minderwertigen französischen Stil geführt hätten und aus der ,,künstlerischen Verpflichtung“, die der getriebene Ästhet Moeller sich auferlegt hatte, wurde zusehends eine ,,nationale Aufgabe“.147 Der Annahme einer ,,Politisierungsphase in Paris“ kann man jedoch entgegnen, dass Moeller auch schon zuvor nicht das Politische außer Acht gelassen hatte, sondern es prinzipiell weit weniger achtete als alles Kulturelle und Geistige. Vielmehr setzte er nach der Zeit in Paris die Ziele, die die deutsche National-Kultur erreichen sollte, deutlich höher an als zuvor und in seinen Texten verwandte er eine zunehmend politische Sprache. Im Kern transponierte er jedoch ,,genuin politische Themen ins Unpolitische, [...] ins Geistig-Kulturelle“.148 Mit dieser Haltung bewegte er sich im Spektrum künstlerischer und intellektueller Zeitgenossen, die in der deutschen Geistigkeit und Innerlichkeit die besseren Mittel für den beiläufigen Zweck der Politik sahen.149 Das ,,äußere Leben“ wurde zwar durch Politik (oder Zivilisation) strukturiert, aber darüber hinaus, ginge ,,noch ein Schwung durch die Welt“ und war es die kulturelle Potenz, mit der ,,Monumentalität“ und Großartiges geschaffen werden müsse.150 Moeller wollte das Politische zu einer Teilkraft innerhalb des deutschen Nationalismus machen. Auf das politische Alltagsgeschäft wollte er sich dabei auf keinen Fall einlassen. Nichts schien ihm unangenehmer als mit parlamentarischer Parteipolitik in Verbindung gebracht zu werden, wie ein Brief von ihm einige Jahre später unterstrich, als er auf einen Artikel der Zeit entgegnete: ,,Ich weiß nicht, wie Sie zu dieser Erfindung kommen, und darf Ihnen versichern, dass ich niemals einer politischen Partei angehört habe, geschweige denn einer liberalen.“151 Die Unterstellung einer Parteimitgliedschaft kränkte und enttäuschte Moeller, denn er musste erkennen, dass seine schriftliche Überzeugungskraft und persönliche Authentizität nicht ausreichten, um solche Vermutungen zu unterbinden. Nachdem die Hauptarbeiten zur Dostojewski-Ausgabe für Moeller getan und die Einnahmen absehbar waren, reiste er 1906 zum ersten Mal nach Ita147 148

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Petzinna: Erziehung, S. 16. Anja Lobenstein-Reichmann: Liberalismus, Demokratie, Konservativismus: Moeller van den Bruck, das Begriffssystem eines Konservativen zu Beginn der Weimarer Republik, in: Dieter Cherubim (Hrsg.): Neue deutsche Sprachgeschichte: Mentalitäts-, kultur- und sozialgeschichtliche Zusammenhänge, Berlin/New York 2002, S. 185–206, S. 184. Wolf Lepenies: Kultur und Politik. Deutsche Geschichten, München 2006, S. 21–34. Moeller van den Bruck: Die Zeitgenossen, S. 18. BArch Koblenz R 118/34/ 199, Akten des Politischen Kolleg: Brief (17.08.1923) Moeller van den Bruck an die Schriftleitung der Zeit.

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lien.152 Vor dem Hintergrund seiner Überlegungen, dass die Völker Europas in eine systematische Rangfolge gebracht werden könnten, in der die Russen als barbarisch-ursprüngliches und die Franzosen als überentwickelt-dekadentes Volk die groben Koordinaten vorgaben, hatte Moeller eine recht präzise Vorstellung von dem, was er in Italien vorfinden sollte. Er unterschied schon 1906 in ,,Die Zeitgenossen“ die ,,bourgeoise Masse“ Frankreichs vom ,,Glanz lateinischer Rasse“ in Italien.153 Am Land der Römer, Etrusker und der Renaissance ließe sich anschaulich die historische Bestimmung eines Volkes erklären; zudem unternahm er an der italienischen Geschichte den Versuch, das zeitgenössische Rassenparadigma der ,,Reinheit“, durch die Prinzipien ,,Vermischung“ und ,,Rassenseele“ zu brechen.154 Auf seinen Reisen durch Italien mit dem Dichter Theodor Däubler und dem Bildhauer Ernst Barlach entwickelte er seine Idee eines ,,Ortsgeistes“, der sich am jeweiligen kulturellen Stil erkennen lasse.155 Durch die Freundschaft mit Däubler dürfte Moeller auch für den italienischen Futurismus begeistert worden sein, dessen politische Aspekte er in Deutschland lange Zeit als einer von Wenigen begrüßte.156 Zudem meinte Moeller an der imperialistischen 152

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Piper betont, dass Moeller wie auch seine Erben aus den Tantiemen der DostojewskiAusgabe ,,dauernd grosse Einnahmen erzielten“. DLA Marbach A: Piper, Reinhard / Manuskripte verschiedenes, Reinhard Piper (o.D.): Biographisches zu Arthur Moeller van den Bruck, S. 8. Breuer: Moeller van den Bruck, S. 417. Ebd., S. 428–429. Moeller van den Bruck: Die italienische Schönheit, München 1913. Über Freundschaft und Austausch zwischen Moeller und dem wortgewaltigen Däubler sowie Moellers Huldigung von Däublers Epos ,,Nordlicht“ in der Vorkriegszeit, vgl. Schlüter: Moeller van den Bruck, S. 115, 192-195. Später nahm Moeller das Thema wieder auf in: Moeller van den Bruck (12.01.1921): Theodor Däubler und die Idee des Nordlichts, in: Gewissen, 3, H. 2, S. 2–3. ,,Obwohl das ,Nordlicht‘-Epos die bedeutendste literarische Leistung der wilhelminischen Epoche ist, wurde es vom Lesepublikum und der Literaturwissenschaft niemals richtig bemerkt, geschweige denn ernst genommen. Die einzig bemerkenswerte Ausnahme bildete Moeller van den Bruck, der ihm in seiner vielbändigen deutschen Geistes- und Literaturgeschichte den gebührenden Platz als Höhepunkt der ,deutschen Kultur in der Phase ihrer Reife und Erfüllung‘ zuerkannte. Moeller van den Bruck ist mit seiner Erkenntnis nicht durchgedrungen, abgesehen davon, dass er ihr selber untreu wurde.“ Sombart: Die deutschen Männer, S. 129. Däubler war ,,von sehr anderer Art“ als Moeller. ,,Theodor Däubler, das war die Abundanz in Person, das Überfließende, Überströmende, alle Form Überlaufende im Äußeren wie im Inneren. Es ging das Riesenmaß seines Leibes in Länge wie in Breite und Rundung wie über Menschliches hinaus.“ Fechter: Menschen, S. 334. ,,Ihm [Däubler] vor allem, [. . . ] dürfte [Moeller] jene eigentümliche, kosmologische und geophysische Spekulationen verbindende Idee verdanken, der zufolge die Erde ein sich ständig umgebärendes, verjüngendes Wesen sei, das der Wiedervereinigung mit der Sonne entgegenstrebe.“ Breuer: Moeller van den Bruck, S. 431. Zu Moellers Entdeckung des Futurismus vgl. ebd., S. 421. Moeller hätte den Begriff ,,gern zum Programm eines modernen Deutschland erklärt“, gab ihn aber auf, da er ,,Mißtrauen oder gar Gelächter ausgelöst hatte“. Denis Goeldel: ,Revolution‘, ,Sozialismus‘ und ,Demokratie‘: Bedeutungswandel dreier Begriffe am Beispiel von Moeller van den Bruck, in: Man-

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2. Konstruktion des Jungkonservatismus

Expansionspolitik Italiens, die durch einen radikalen Nationalismus in heimischen Zeitschriften unterstützt wurde, zu erkennen ,,dass Konservatismus und Modernität sich nicht ausschließen“ müssen.157 Moellers Arbeiten über Italien beinhalteten schon Grundmuster seines politischen Radikalnationalismus, der dazu führte, dass er mit zunehmender ,,Germanomanie“158 seine Italien-Begeisterung dämpfte.159 Anders als später Spenglers ,,Untergang des Abendlandes“, dessen Morphologie der Völker immer auch deren schicksalhaften Untergang begründete, wollte Moeller die Faktoren ,,Ort“, ,,Schicksal“ und ,,menschlicher Wille“ miteinander verbinden. Vorbestimmung und Eigenanteil an der Verwirklichung erschienen ihm als die beiden Pole einer Völker-Metaphysik, mit denen er die fatalistischen Rasse- und Volksanschauungen des 19. Jahrhunderts mit der anbrechenden Euphorie der Mach- und Planbarkeit des frühen 20. Jahrhunderts verbinden konnte.160 ,,Die italienische Schönheit“ präsentierte schließlich Moellers gedankliches Panoptikum zu den Werten der europäischen Völker; es dürfte durch Schriften von Arthur de Gobineau oder Ludwig Woltmanns ,,Die Deutschen und die italienische Renaissance“ inspiriert worden sein.161 Die ,,Italienische Schönheit“ erschien erst 1913 und war von Piper als Reisehandbuch in der Tradition bildungsbürgerlicher Italienbegeisterung gedacht, aber von Moeller als geschichtsphilosophisches Werk angelegt worden. Piper machte als noch unerfahrener Verleger den Fehler, mit dem Satz des Buches zu beginnen, bevor das vollständige Manuskript vorlag. Pipers Konzept ignorierend, sandte Moeller dem Verleger immer weitere Seiten, auch nachdem schon mit dem Druck begonnen worden war. Da Piper der Verkäuflichkeit wegen auf Kunstdruckpapier drucken ließ, wurde das Endprodukt ,,gewichtig wie ein Ziegelstein“, den natürlich ,,kein Italienreisender

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fred Gangl/Gérard Raulet (Hrsg.): Intellektuellendiskurse in der Weimarer Republik. Zur politischen Kultur einer Gemengelage, Frankfurt am Main 1994, S. 37–51, S. 39. Für eine vergleichende deutsch-italienische Intellektuellengeschichte würde sich der Futurismus-Komplex anbieten, Ansätze bietet Chiantera-Stutte: Von der Avantgarde. Vgl. auch Peter Demetz (Hrsg.): Worte in Freiheit. Der italienische Futurismus und die deutsche literarische Avantgarde (1912–1934) mit einer ausführlichen Dokumentation, München/Zürich 1990. Breuer: Moeller van den Bruck, S. 419–420. Ebd., S. 425. Ab etwa 1922 ließ er Imperialismus und Expansionswillen nur noch für Deutschland gelten und warf Italien Verrat vor, weil es Südtirol für sich reklamierte. Breuer: Moeller van den Bruck, S. 436. Vgl. auch in Kap. II ,,Ordnung Europas“. Die Ordnungskategorie Rasse, Moellers Primat der Rasseneinheit und die Relevanz einer ,,Rassenreinheit“ gehörten zu den wenigen Punkten, die ihn mit Richard Dehmel entzweiten. Dehmel stellte 1908 in einem Essay die ,,Zweitrangigkeit, wenn nicht gar Irrelevanz des Rassebegriffs für die Beurteilung der Kunst“ fest, Moeller widersprach ihm öffentlich. Beßlich: ,,Corrector Germaniae“, S. 161–162. George L. Mosse: Die Geschichte des Rassismus in Europa, Frankfurt a.M. 1997, S. 79– 80.

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mit in seinem Koffer“ herumschleppen wollte und einen ,,langsamen Absatz“ bewirkte.162 1907 kehrte Moeller nach Deutschland zurück. Das deutsche Staatsbürgerschaftsrecht wurde zwar erst in einer Novelle von 1913 dahingehend geändert, sogenannten Auslandsdeutschen, die ihre Wehrpflicht in der Heimat nicht ableisteten, die deutsche Staatsbürgerschaft abzuerkennen, aber die Diskussion um die Gesetzesvorlage dauerte schon seit mehreren Jahren an und dürfte Deutsche, die im Ausland lebten, verunsichert haben.163 Moeller arrangierte die Nachholung seiner Wehrpflicht und wurde in Küstrin östlich von Berlin stationiert. Jedoch scheiterte er an den Anforderungen im Dienst; als Entlassungsgrund wurde ihm ,,Überreiztheit“ attestiert. Diese Episode floss als Beleg für Moellers hochsensitives Nervenkostüm in Darstellungen seiner Außenseiterposition ein wie etwa in Paul Fechters biographischer Skizze eines sensiblen Mannes: ,,Moeller van den Bruck war ein ausgezeichnetes Medium für alle inneren Vorgänge der Zeit, in die seine aufnehmenden Jahre fielen, so daß er einer ihrer klarsten und unmittelbarsten Deuter werden konnte: er war ein Mensch mit feinsten Nerven für den Niederschlag des Lebens in den Werken der Kunst und der Dichtung.“ 164

2.1.5 Moeller als Publizist der monumentalen Moderne Wieder in Berlin, führte Moeller mit dem von ihm verehrten Ludwig Schemann einen Briefwechsel. Schemann hatte Gobineaus Rassewerk im deutschsprachigen Raum populär gemacht, war wie Moeller aktiv im Werdandi-Bund und setzte sich für eine positive Rezeption von Moellers Arbeit ,,Die Deutschen“ ein. Dieses spekulative und konzeptionell überbordende Werk war während Moellers Aufenthalt in Italien erschienen. Entsprechend seiner rigiden Ordnungssucht hatte Moeller ein enormes Spektrum historischer Gestalten der deutschen Geschichte als ,,Entscheidende Deutsche“ oder ,,Lachende Deutsche“ kategorisiert und entsprechend ihrer Bedeutung für die deutsche Kultur und Nation beschrieben. Das voluminöse Werk stieß bei der spärlichen Kritik auf Stirnrunzeln und auch Moeller gab nach einiger Zeit zu, dass etwa der ,,Band der ,gestaltenden [Deutschen]‘, der jetzt von Karl 162

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DLA Marbach A: Piper, Reinhard/Manuskripte verschiedenes, Reinhard Piper (o.D.): Biographisches zu Arthur Moeller van den Bruck; S. 4. Lucy Moeller van den Bruck erreichte 1930 eine Neuauflage bei Cotta in Stuttgart, von der im ersten Jahr 389 Exemplare abgesetzt wurden (1931: 85, 1932: 72, 1933: 185). 1934 trat Cotta die Rechte an ,,Die Italienische Schönheit“ an die Wilhelm Gottlieb Korn Verlagsbuchhandlung ab. Vgl. den Briefwechsel in: DLA Marbach A: Cotta-Archiv Br. Moeller v. d. Br., 1. bis 7. Mappe. Dieter Gosewinkel: Einbürgern und Ausschließen. Die Nationalisierung der Staatsangehörigkeit vom Deutschen Bund bis zur BRD, Göttingen 2001, S. 310. Fechter: Moeller van den Bruck, S. 14

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2. Konstruktion des Jungkonservatismus

dem Großen bis Dehmel geht, [. . . ] dadurch fast etwas Groteskes bekommen“ habe. Gleichwohl sah er die Arbeit als grundlegend für die in Deutschland ,,wirkenden ewigen Kräften“ von der ,,Romanischen Zeit“, über ,,Gotik“, ,,Renaissance“, ,,Protestantismus“, der ,,Übergangszeit“ bis zur ,,Neuen Zeit“. Moeller hatte Schemann sukzessive die Bände der ,,Deutschen“ zukommen lassen und hoffte auf Weiterverbreitung in dessen ,,Kreisen“. Die mangelnde Zustimmung im eigenen Umkreis versuchte er mit einer selbstbewussten Angabe seiner ,,inneren Berechtigung zum Siegen“ auszugleichen. Schon im Januar 1908 wurde er jedoch ungeduldig und konnte kaum nachvollziehen, warum sein ,,Leserkreis“ nicht auch seine Entwicklung mitmache, die ihn die ,,stofflichen Erscheinungen“ der Kunst mit den ,,Verwurzelungen in ewigeren Kräften und Mächten“ erkennen und verbinden ließen.165 Den ,,Todfeind“ dieser Verbindung, den Liberalismus, benannt zu haben, sei seine Leistung in ,,Die Deutschen“ gewesen; ein neuer Leserkreis, der dies auch zu schätzen wisse, müsse sich wohl erst noch auftun. Indem Moeller den Misserfolg seiner Schriften herunterspielte, zeichnete sich ein wiederkehrendes Narrativ in seiner Selbstbeschreibungen ab. Mit dem Bild des zu früh gekommenen und deshalb unverstandenen Rufers wurde auch für spätere Anhänger die unkonventionelle Person Moeller fassbar. Er habe gewusst, ,,dass er unter einer Generation lebte, die ihn nicht verstand“ und ,,er schrieb für ein Geschlecht, das erst im Werden begriffen war“.166 Die vermeintliche Orientierungslosigkeit des zeitgenössischen Publikums meinte Moeller nicht nur an der mangelnden Sicherheit beim Griff zu hochwertiger Weltanschauungsschrift zu erkennen, sondern auch an der bedenklichen Gesamtsituation seiner Zeit: ,,Vieles verkümmert, vieles verkommt. Unverarbeitete geistige und wirtschaftliche Gewalten schieben die Massen, ohne dass die Einzelnen schon wüssten: warum? und wohin?“ Moeller sah sich durchaus berufen, die Jugend ,,herauszuhauen aus den Gefahren des modernen Lebens“. Schemanns Begeisterung finde kaum Resonanz, weil erst zu Wenige erkannt hätten, dass eine ,,deutsche Bewegung“ kein Problem der Politik, sondern der ,,Weltanschauung“ sei. Machtansprüche auf rein politischer Ebene zu stellen – wie Kaiser Wilhelm II. dies trotz aller HunnenRhetorik in einer Art ,,Übergangsnationalismus“ versuche – seien zum Scheitern verurteilt, denn ein ganzheitlicher Nationalismus müsse im Volk bis in alle Teile erfahren werden und ,,wirklich aus der seelischen Not unserer Zeit und unseres Volkes geboren“ werden.167

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Universitätsbibliothek Freiburg NL 12 K. L. Schemann: Brief (22.01.1908) Moeller van den Bruck an Ludwig Schemann. BArch Berlin R 8034 III/315 Presseausschnittsammlung – Reichslandbund: Harald Laeuen (31.05.1935), ,,Moeller van den Bruck. Zur zehnjährigen Wiederkehr seines Todestages“ in: Die Mannschaft. Universitätsbibliothek Freiburg NL 12 K. L. Schemann: Brief (31.01.1908) Moeller van den Bruck an Ludwig Schemann.

2.1 Arthur Moeller van den Bruck

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Moeller wusste auch seinen persönlichen Lebenswandel als unterstützendes Argument für seine Ideen zu nutzen, als er angab, er sei seit jeher an ,,Kampf gewöhnt“: ,,Aus Kampfstimmung sind meine Bücher entstanden. Kampfstimmung trägt sie. Was gibt es Schöneres auf der Welt, als Gegner haben!“168 Wie schon in seinem Aufsatz für den Kunstwart vier Jahre zuvor, in dem er die psychologisierenden Leidensbücher der ,,Literaten“ verurteilte, enthusiasmierte ihn auch hier die eigene Schaffenskraft und der Glaube, mit knapp dreißig Jahren den notwendigen Veränderungen für sein Land auf der Spur zu sein. Knapp zwanzig Jahre später sollte Ludwig Schemann in der Monatsschrift ,,Deutschlands Erneuerung“ die Erfolglosigkeit der Bände ,,Die Deutschen“ zum Anlass nehmen, das Schicksal Moellers zu deuten: ,,Diese hartnäckige Ablehnung eines unserer ersten politischen Denker, die wohl zweifellos den ersten Grund zu seinem späteren tragischen Schicksal gelegt hat, wird für immer ein dunkler Punkt in unserer Geistesgeschichte bleiben.“169 Neben seinen essayistischen Arbeiten engagierte sich Moeller auch im soeben gegründeten Werdandi-Bund, wo er auf alte Bekannte traf. Der Bund hatte zum Ziel, ,,das Besondere und die Seelenkraft des deutschen Volkes durch das Mittel der Kunst zu erhalten und zu stärken”.170 Um die Kunstvermittlung im Sinne deutscher Seelenkraft zu intensivieren, pflegte der Bund zahlreiche Kooperationen, etwa mit dem Dürerbund oder dem Heimatschutzbund; wichtiger noch waren wohl die personalen Kontinuitäten und Vernetzungen zum Friedrichshagener Dichterkreis, dem Alldeutschen Verband und dem Deutschen Werkbund. Für Moeller dürfte reizvoll gewesen sein, dass im Werdandi-Bund die Bereiche Kunst, Philosophie und Naturwissenschaft ,,zu einer neuen, spezifisch ,deutschen‘ Volkskultur” integriert werden sollten, ,,wobei der Architektur tendenziell die Stellung der führenden Disziplin zugesprochen wurde”.171 Moellers Architekturbegeisterung war zu einem Eckpfeiler seiner geschichtsphilosophischen Betrachtungen geworden. Er schätzte den Architekten Peter Behrens, den er wahrscheinlich durch Richard Dehmel kannte172 und aus der Zeit beim Werkbund, in dessen Vorstand Behrens saß.173

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Ebd. Briefe Moeller van den Brucks an Ludwig Schemann (I.), in: Deutschlands Erneuerung. Monatsschrift für das deutsche Volk, 18. Juni 1934 H. 6, S. 321. Rolf Parr: Werdandi-Bund, in: Wülfing/Bruns/Parr: Handbuch, S. 485–495, S. 486. Ebd. Behrens konzipierte eine eigene Schrifttype für Dehmels Gedichtsammlung ,,Zwei Menschen“, wodurch das streng strukturierte Formwerk einen ebenso ,,strengen weltanschaulichen Ordnungswillen“ transportierte. Beßlich: ,,Corrector Germaniae“, S. 154. Hein: Brücke, S. 96. Während des Krieges gehörte Behrens zu den Mitbegründern des ,,Bundes deutscher Gelehrter und Künstler“, der die psychologische Kriegführung für die deutsche Sache betrieben hatte. Campbell: Deutsche Werkbund, S. 124, 142.

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2. Konstruktion des Jungkonservatismus

Zu Moellers bekanntester Synthese von Architekturverherrlichung und völkischer Bodentheorie zur Unterstützung des preußischen Mythos wurde sein Buch ,,Der Preußische Stil”. Den Inhalt dieser Schrift, die noch vor dem Krieg entstand und 1915 erschien, angemessen wiederzugeben, ohne dem zeitgenössischen Jargon anheimzufallen, ist ein schwieriges Unterfangen.174 Insgesamt unterscheidet Moeller in dem Preußen–Buch zwischen einer katholisch-päpstlichen und protestantisch–weltmächtigen Kraft, rechnet beide zugunsten Preußens gegeneinander auf und begründet auf diese Weise eine preußische Mission in der Welt. Das Preußische führte er auf die Tradition des Welfischen zurück, während das Deutsche aus der ghibellinischen, also päpstlichen Tradition die versonnenen, verschwenderischen und träumenden Elemente einbringe. Moellers Koordinatensystem der preußischen Bau- und Kunstgeschichte unterschied vor diesem Hintergrund die aus seiner Sicht fatalen Frühformen des preußischen Stils Barock und Rokoko säuberlich von den Inkarnationen Langhans’ und Schinkels und der Monumentalität Gillys.175 Preußisch-Deutsch beschrieb Moeller als eine Verbindung protestantischer, kolonisierender und weltmächtiger Kräfte. Diese beiden rassisch gedachten Kreise zusammenzubringen, so dass der preußische Stil im germanischen Volk aufgehe und dieses dazu bringe, die ,,kolonisatorische Tat” konsequent auszuführen, gehörte zu den Anliegen Moellers. Diesen metaphysischen Ansatz erdete Moeller mit seinen Überlegungen zum ,,Ortsgeist”, wonach ,,die Natur, die Erde, wohl auch der Kosmos, bestimmte Länder und Völker privilegiert [sind], indem sie nur hier die Bedingungen bereitstellen, die für große Kunst und große Politik erforderlich sind: eine ähnliche Lage, eine ähnliche Bevölkerung, ein ähnliches Ethos”.176

Die Leitlinien, nach denen Moeller die preußische Bau- und Kunstgeschichte beurteilte, blieben in der Kunstgeschichte nicht unberücksichtigt und flossen auch in die Kunstpolitik nach 1933 mit ein.177 In der Vorkriegszeit gehörte neben dem Werdandi-Bund auch der ,,Montagstisch“ zu Moellers sozialen Netzwerken in Berlin.178 Moeller war einer 174

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Moeller van den Bruck: Der Preußische Stil (Erstausgabe 1916), München 1935. Moeller verfasste um 1922 eigene Erläuterungen zum Text. DLA Marbach A: Piper, Reinhard Verlag / Manuskripte anderer: Moeller van den Bruck (o. D.) ,,Über den Preußischen Stil“, Abschrift. ,,Anders als Schinkel tendierte Gilly zum Monumentalen.“ George L. Mosse: Die Nationalisierung der Massen. Politische Symbolik und Massenbewegungen von den Befreiungskriegen bis hin zum Dritten Reich, Frankfurt a.M./New York 1993, S. 63. Stefan Breuer: Welf wie Waiblingen – Moeller van den Bruck und der ,Preußische Stil‘, in: Revue d’Allemagne et des Pays de langue allemande, 34.2002 H. 1, S. 3–17, S. 12. Thorsten Kühsel: Der ,,Preußische Stil“ – Arthur Moeller van den Brucks Stilkonstruktion. Anmerkungen zu deren Rolle in der Kunstpolitik und der Kunstgeschichte zwischen 1916 und 1945, in: Ruth Heftrig/Olaf Peters (Hrsg.): Kunstgeschichte im ,,Dritten Reich“. Theorien, Methoden, Praktiken, Berlin 2008, S. 205–223. In ,,jenem illustren Kreis“ trafen sich Franz Evers, Conrad Ansorge, August Petrich, spä-

2.1 Arthur Moeller van den Bruck

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der ,,Brennpunkte“ in dem Kreis, ,,ein merkwürdig ernsthafter, verschlossener, schweigsamer Mann, den man auch in dieser Runde nur selten und kurz lachen sah“.179 Moeller habe auf die Teilnehmer des ,,Montagstisches“ eine eigentümliche Faszination ausgeübt, die seinen Status im späteren Juni-Klub vorwegnahm. Rudolf Pechel, Herausgeber der Deutschen Rundschau, erinnerte sich: ,,Für mich ist Moeller neben wenigen anderen Freunden die stärkste Verkörperung des Seins-Prinzips gewesen. Er war und darum wirkte er; er war da und beherrschte irgendwie die Diskussion, ohne dass er sie mit einem Worte unterbrochen hätte [. . . ] Er war der wahrhaft leidenschaftliche Politiker des ganzen Kreises, und die Kraft dieser Leidenschaft gab ihm den Vorrang.“180

Eine weitere Komponente im Moeller-Bild berührte die ungesellige Note Moellers, die positiv umgedeutet wurde, so dass die völlige Abwesenheit von Humor zu einem Prädikat besonderer, außergewöhnlicher Ernsthaftigkeit geriet. ,,Gewiß, er war nicht der feierliche Pathetiker um jeden Preis, als den man ihn da und dort geschildert hat: er konnte sehr unpathetisch sein und herzlich lachen [...] Aber es ging ihm wie seinem bewunderten Idol Richard Dehmel: er war im tiefsten Grunde seines Wesens humorlos.“181

Aus dem humorlosen Moeller wurde schließlich das Bild vorbildlicher Ernsthaftigkeit geformt, ,,mit dem er an die Behandlung geistiger Dinge heranging“ oder in dem die ,,Sauberkeit und Unbestechlichkeit seines Denkens“ hervorstach.182 Die Erinnerungen Paul Fechters, Rudolf Pechels und Max Hildebert Boehms entwerfen eine ,,zurückhaltend-entrückte Stellung“ Moellers innerhalb der intimen Kreise, um seine außerordentliche Position zu erklären.183 Darüber hinaus wurde dieses Motiv zu einem überwölbenden Erklärungsmuster ausgeweitet. Moeller galt vielen – gerade wegen seiner persönlichen Einsilbigkeit, der schriftstellerischen Geschwollenheit und eines überaus sensitiven Nervenkostüms – als das sensible Medium für das deutsche Volk. Diese

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ter kamen Rudolf Pechel, Hans Blüher, Hans Roeseler, Albrecht Haushofer, Edgar Julius Jung, Theodor Däubler, Max Scheler und andere hinzu. Mauersberger: Rudolf Pechel, S. 33–34; Pretzel: ,,Vom Taumeltrank“, S. 132. Die Einrichtung blieb, jedoch nur mit Moeller und Franz Evers, bis nach dem Krieg erhalten, andere Dichter, Verleger, Ärzte, Biologen, Politiker, Anwälte, Gelehrte kamen wieder hinzu. Fechter: Menschen und Zeiten, S. 326. Ebd., S. 329. Mauersberger zitiert aus Pechels Erinnerungen an Moeller van den Bruck: Mauersberger: Rudolf Pechel, S. 34. Fechter: Moeller van den Bruck, S. 51. BArch Berlin R 8034 III/315 Presseausschnittsammlung – Reichslandbund: Harald Laeuen (31.05.1935), ,,Moeller van den Bruck. Zur zehnjährigen Wiederkehr seines Todestages“ in: Die Mannschaft. Petzinna weist auf Boehms Darstellung ,,Moeller van den Bruck im Kreise seiner politischen Freunde“ (in: Deutsches Volkstum, 1. Septemberheft 1932) hin, in der Moellers ,,schweigende Präsenz im Kreis zum Kennzeichen der Auserwähltheit“ und Schaffung einer ,,sakralen Aura“ herangezogen wurde. Petzinna: Erziehung, S. 123.

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2. Konstruktion des Jungkonservatismus

Interpretation konnte sich bis in die frühen Jahre des nationalsozialistischen Regimes halten.184 Den Ersten Weltkrieg verbrachte Moeller zuerst kränklich und kaum aktiv als Landsturmmann an der Ostfront und dann sehr rege für die Auslandsabteilung der Obersten Heeresleitung (OHLA). Nach ,,Der Preußische Stil“ verfasste er zum Ende des Krieges die Broschüre ,,Das Recht der jungen Völker“, die zur Grundlage für Moellers außenpolitischen Entwurf wurde.185 Die meisten seiner Texte arbeiteten weiterhin mit Etikettierungen, detaillierten Normierungen und Hierarchisierung der Länder im Umfeld Deutschlands. 1923 veröffentlichte Moeller mit ,,Das Dritte Reich“ seine Apotheose der deutschen ,,Nationswerdung“. Der Inhalt des Buches ist spärlich: Deutschlands Position in Europa solle durch Anschluss mittel- und osteuropäischer Länder und auf Grundlage nationaler Homogenität zur Machtstellung ausgebaut und gesichert werden.186 Das Buch war eine erfolgreiche Synthese aus Moellers ,,avantgardistischem Selbstverständnis“ und kursierenden Reichs-Mythen.187 Indem er politische Positionen und historische Ereignisse stilisierte, konnte er sie vermeintlich nachvollziehbar in einer Antithese des ,,Dritten“ münden lassen, die er wiederum zu einem Refugium des ,,Reiches“ und Deutschlands Erlösung emporhob.188 Moeller bot mit dem ,,Dritten Reich“ innerhalb der 184

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BArch Berlin R 8034 III/315 Presseausschnittsammlung – Reichslandbund. Diverse Ehrenbekundungen bis zum Jahr 1936, die ihn als ,,Wegbereiter des neuen Deutschland“ beschreiben. Nach der Etablierungsphase des Regimes fiel Moellers Funktion als einer der Ahnherren des Nationalsozialismus weg, die NS-Propaganda konzentrierte sich vollständig auf Hitler als Sinnstifter. Ein Briefwechsel von 1942 veranschaulicht diese Interpretationsverschiebung zuungunsten Moellers. Der Gauberufsverwalter Kumpf von der Deutschen Arbeitsfront hatte beim Hauptamt Wissenschaft der Dienststellen des Reichsleiters Rosenberg angefragt, ob er seinem Jahresbericht für 1941 ein Motto Moeller van den Brucks aus dem ,,Dritten Reich“ voranstellen dürfe. Der Vertreter des Hauptamtes Kulp antwortete daraufhin, dies sei abzulehnen, weil Moeller zwar antiliberal gewesen sei, dabei aber ,,rückwärtsgewandt“. Zudem sei Moellers Auffassung von Rasse ,,theoretisch“ gewesen und habe er eine ,,verhängnisvolle Ostideologie“ verfolgt, die zu völlig falschen Schlüssen über die Sowjetunion führten. Und schließlich habe der ,,Führer“ schon drei Jahre vor Moellers ,,Drittem Reich“ das NSDAP-Programm formuliert und deshalb keine inhaltlichen Bezüge genommen. BArch Berlin NS 15, Hauptamt der Dienststellen des Reichsleiters Rosenberg: Schreiben (11.07.1942) Kulp vom Hauptamt Wissenschaft der Dienststellen des Reichsleiters Rosenberg an den Gauberufswalter Kumpf, Deutsche Arbeitsfront Gauwaltung Sachsen, Hauptstelle Berufserziehung und Betriebsführung. Moeller van den Bruck: Das Recht der jungen Völker, München 1919. Das ,,Dritte Reich“ sollte ein ,,Staat der nationalen Konzentration“ sein, ,,weit davon entfernt universale Aufgaben zu erfüllen“. Breuer: Anatomie, S. 111. Vgl. die Interpretation von Sontheimer: Antidemokratisches, S . 238–239; Petzold: Wegbereiter, S. 159–160. Petzinna: Erziehung, S. 14. ,,Formal war diese Berufung auf die ,dritte Person‘ eine laienhafte Nachahmung der Hegelschen Dialektik; der Absicht nach war es nur die Beschwörung einer magisch wirksamen Einheit. Der Begriff des dritten Standpunkts findet sich im modernen deutschen Denken häufig und bezeichnet stets den Versuch, über das Gegebene hinauszugelangen,

2.1 Arthur Moeller van den Bruck

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Konservativen Revolution altvertraute Orientierungsmuster an, die er in eine Art emotionale Rationalität kleidete.189 Moellers Buch schuf auch auf sprachlicher Ebene dynamische Ordnungsmuster, denn er legte seine Sätze und Argumente in spiralförmigen Mustern an, in denen er seine angeführten schicksalhaften, eben konservativen Werte verbal umkreiste und steigerte.190 2.1.6 Kulturkritische Kontinuität im Gewissen ,,Ein hartes Leben und schwere Erfahrungen waren notwendig, um [Moellers] Entwicklung zu ermöglichen, in der zugleich die Gesamtentwicklung der Nation ein sinnbildhaftes Spiegel- und Vorbild bekam. Arthur Moeller van den Bruck ging den Weg vom Geist zu Land und Volk: ein Mensch der Kunst zeigte, daß eine wirkliche Lebensform für Alle nur gefunden werden kann, wenn sie aus der lebendigen Beteiligung aller ganzen Menschen am ganzen Leben wächst.“191

Gewissen-Artikel griffen konsequent auf das Ideal zurück, Kunst und Leben zu vereinen und entsprachen damit einer allgemeinen Tendenz zu Beginn der Weimarer Republik. Denn nach dem verlorenen Krieg konzentrierten sich zahlreiche kulturpolitische Veröffentlichungen auf die ,,herausragende Bedeutung von Kunst und Literatur“ für das ,,Selbstwertgefühl“ der Nation und somit auf die Künstler als Träger einer nationalen Verantwortung. Die Gewissen-Publizistik richtete ihr exklusives Bildungs- und Kulturideal an eine geistige Elite. Deshalb wurden außergewöhnliche Persönlichkeiten, an denen die kulturell-vitale Synthese angeblich vorbildhaft abzulesen war, nicht als Vorreiter einer allgemeinen gesellschaftlichen Umwälzung verehrt, sondern als herausragende Elemente einer gesellschaftlichen Elite. In der unmittelbarer Nachkriegszeit erschienen im Feuilleton des Gewis-

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um die augenblickliche Wirklichkeit zu überwinden.“ Fritz Stern: Kulturpessimismus als politische Gefahr, München 1986, S. 311. ,,Moeller gewann seine Legitimität am ehesten dadurch, dass seine Ideen nicht sonderlich neu waren sondern halbwegs ,normal’, sie klangen hinlänglich vertraut, und man konnte auch andernorts vielfach auf sie stoßen. Ihre besondere Kontur bekam seine Zeitanalyse in erster Linie durch ihren pointiert ,modernen‘ Vortrag, nämlich den öffentlichen Orientierungsverlust – wie er meinte: nüchtern – zu konstatieren und nicht in einer sentimentalen Sehnsucht nach vorrevolutionären Zeiten zu vernebeln; vielmehr gelte es, in die Zukunft zu denken.“ Ketelsen: Stabilisierte Mobilität, S. 230. Ebd., S. 237. Ketelsens Kritik, dass Michel Grunewalds geschichtswissenschaftliche Textexegese des ,,Dritten Reiches“ dieses Dekonstruktionsmittel zu wenig anwendet, verdient Berücksichtigung. Ebd., S. 235. Michel Grunewald: Moeller van den Bruck. Band 1, Geschichtsphilosophie. Band 2, Rasse und Nation: drei Texte zur Geschichtsphilosophie, Bern 2001. Fechter: Moeller van den Bruck, S. 76.

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2. Konstruktion des Jungkonservatismus

sens häufig Artikel, in denen außergewöhnliche persönliche Leistungen mit dem ,Fronterlebnis‘ verbunden wurden. Die metaphorische Verwendung von Front und Etappe richtete sich jedoch nur im ersten Jahrgang explizit gegen diejenigen, die ihre Kriegserlebnisse nicht in direkten Kampfhandlungen erfahren hatten. ,,Armselige”, ,,zügellose”, ,,feige”, ,,geschäftige Literaten”, ,,arrogante Schädlinge”, die ,,ihre geistigen Trödlerbuden aufmachten” und ihre blassen Friedensideen – weil nicht in den Materialschlachten erfahren – als ,,triviales Geschwätz” und ,,kraftlose literarische Exotik vor aller Welt” ausbreiteten. Das Verdikt des ,,Boulevardiers” lastete auf all denjenigen, die sich erlaubten, über Frieden zu sprechen, ohne – angeblich – den Krieg erlebt zu haben.192 Der Freikorps-Jargon des Gewissen-Feuilletons milderte sich bald ab und wurde von den materiellen Erlebnissen entkoppelt, wenngleich der ,,feige” Literat als Topos bestehen blieb. Da die meisten Gewissen-Autoren nicht direkt an der Front gedient hatten, verlagerte sich die Heroisierung der kämpferischen Tat auf die innere Einstellung. Auch Thomas Mann gehörte im Gewissen bis zu seinem republikanischen Bekenntnis zu den Künstlern, denen zugesprochen wurde, durch die ,,inneren Erschütterungen des Krieges” eine ,,poetische Sonderheit” und ,,echtes Formgefühl” entwickelt zu haben.193 Seine schmalen Arbeiten ,,Herr und Hund” und ,,Gesang vom Kindchen” galten als Inkarnation des ,,unablässigen Strebens, Form und Inhalt unlöslich zu binden, als Ausdruck der ewig jungen Sehnsucht aller wirklichen Künstlerschaft nach harmonischer Ganzheit”. Das Ideal der ,,wirklichen Künstlerschaft” liege – ähnlich wie bei Dehmel konstatiert – in der vollkommenen Kongruenz von Person und Werk. Der Inhalt war zweitrangig – die Rezension im Gewissen widmete ihm wenige Zeilen –, allein optima forma galt es zu erlangen. Der idealisierte Weg des eigenen Menschseins war auch ,,der Weg zur Menschheit, nicht umgekehrt, und alle Paraphrasen über der Menschheit zukünftiges Glück verflüchtigen sich vor der starken und reinen künstlerischen Gestaltung der Wirklichkeit”.194 Moeller spitzte den Grundsatz, das Bewusstsein müsse das Sein bestimmen, am Beispiel des verstorbenen Dehmel zu: ,,Dehmel schuf sich seine eigenen Züge. Noch einmal wurde bestätigt, daß es der Geist ist, der sich den Körper bildet. Dehmel war der letzte deutsche Dichter, der ein Antlitz besaß. Dehmel war ein Haupt.” Einer der bekanntesten ,Frontliteraten‘ Franz Schauwecker veröffentlichte regelmäßig im Gewissen. In seinen Texten stilisierte er die ,,inneren Erschütterungen” des Krieges zur Basis nationaler Aufgaben. Aus der – wenig überraschenden – Auffassung, ,,Kunst ist Ergebnis der Persönlichkeit und 192 193 194

Victor Henning (03.12.1919): Der Frontgeist der Literaten, in: Gewissen, 1, H. 34, S. 1–2.; ähnlich: Werner Wirths (10.10.1921): Kriegsromane, in: Gewissen, 3, H. 41, S. 2–3. Werner Wirths (04.02.1920): Die Idyllen des Thomas Mann, in: Gewissen, 2, H. 5, S. 2–3; ähnlich auch ders.: (18.11.1919): Knut Hamsun, in: Gewissen, 1, H. 32, S. 2. Moeller van den Bruck (18.02.1920): Gedenken an Dehmel, in: Gewissen, 2, H. 7, S. 2.

2.1 Arthur Moeller van den Bruck

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ihres Erlebens”, entwickelte Schauwecker im nächsten Schritt eine typisch jungkonservative Vorstellung.195 Indem der Dichter, weil er aus seinem innersten Wesen schöpfe, nach Zeitlosigkeit strebe, schaffe er eine ,,geschlossene dichterische Welt”, ,,ein beseeltes Ganzes”. Darin hatten alltägliche Banalität und tagesaktuelle Bezugnahme keinen Platz, denn das Werk müsse auch in aller Ewigkeit bedeutsam sein. Um nun aber nicht der ,,Entartung in Spiel und Aesthetizismus” anheimzufallen, müsse sich der Dichter immer an die ,,Wirklichkeit” halten, die wiederum nicht die Handlung der Gegenwart meine, sondern ,,das bluthafte Gebundensein an Vaterland, Volk und Staat, an Freiheit und Eigenbestimmung”. Solche Gebundenheit hätten die ,,überfeinerten” Künstler des Impressionismus nicht gehabt und die Expressionisten nur in Ansätzen, angefeuert durch ,,alle Herkömmlichkeiten und Niederungen des wilhelminischen Zeitalters”. Die ,,angreiferischen Ausdruckskünstler” des Expressionismus hätten mit großer ,,Stoßkraft” ,,in das Herz der Gebildeten” getroffen, blieben aber auf der Strecke, weil sie kommunistisch seien und den Parteien ,,neben dem politischen das künstlerische Verständnis” andienten. Andererseits war auch der ,,nationale deutsche Mensch” keine Ermutigung für den Dichter, denn dessen Gesinnung beschränke sich nach wie vor auf Heimatkunst und ,,hausbackene Werke”. Schauwecker grenzte den ,,wirklichen“ Dichter von linken und rechten Zuordnungen ab und stellte ihn stattdessen in eine überzeitliche Kontinuität. Der Religionsphilosoph Erich Brock ging über diese kritische Bestandsaufnahme hinaus und stellte fest, dass jeder Gedanke, Deutschland nach dem verlorenenen Krieg als Kulturnation wiederauferstehen zu lassen, völlig zwecklos sei, ,,wenn im Innern eine orientierungslose Masse von Handarbeitern die geistig Lebendigen und Selbständigen zum Hungertode verurteilen möchte”. 196 Die ,,geistig Lebendigen“ müssten vielmehr an der Macht beteiligt sein, denn nur die Synthese aus berufenem Geist und Macht könne die ,,Wirklichkeit” erkennen. Brock entwarf das Bild einer Geistes-Elite, die Kunst nur aus sich selbst heraus schaffe, während Heimatkunst und völkische Dichtung nur Pathos und Idyll blieben, die sich fanatisch verschließe ,,gegenüber der Härte, Größe und sittlichen Wahrhaftigkeit der Wirklichkeit als solcher”. Nur wer die ,,Selbstbehauptung um der eigenen Individualität in ihrer höheren Berechtigung willen, um der einzig möglichen Grundlagen der Kultur willen” anstrebe, der komme zur höchsten Konzentration des Geistes und damit zur größtmöglichen Spannung seiner Kunst und seines Lebens. Ohne kulturelles Machtstreben ergebe sich keine politische Macht. In Stefan George hatte Brock den Dichter ausgemacht, der diese Anforderungen vermeintlich erfüllte und ,,sich zu diesem Kreuzweg aus tiefem Trieb nach dem, was harter und beständiger Baugrund für den Tempel des Geistes sein kann, hingefühlt. Er gewinnt so eine umfassende Warte über den Tag hinaus, die Not seines Innern bricht 195 196

Franz Schauwecker (07.05.1923): Dichter – Zeit – Nation, in: Gewissen, 5, H. 18, S. 2–3. Erich Brock (20.08.1923): Geist und Macht, in: Gewissen, 5, H. 33, S. 2 und 5.

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in ein rein Menschliches aus, über alle Schlagwörter der Stunde und der Partei hinweg.” Dass sich Georges Nationalismus nicht nur über die ,,Schlagwörter der Stunde“, sondern über ganz Deutschland als physische Größe erhob und das geistige Heil in der vollständigen Abschottung suchte, überging Brock dabei geflissentlich.197 Für seine Argumentation reichte das Bild des leidenden Dichters, der am Tempel seines Geistes arbeitete und durch seherische Kraft die Macht verdeutlicht. Neben den honorierten Künstlern und ihren geistigen Anwartschaften galt die Aufmerksamkeit des Gewissen-Feuilletons auch den modernen Instrumenten der Kunst. Werner Wirths, Literatuhistoriker und fester GewissenAutor, machte den Zwiespalt der Jungkonservativen angesichts von Nutzen und Gefahr des Films deutlich. Ende 1919 rief er in ,,Kino–Kultur und Filmliga”198 dazu auf, ,,eine wirklich wertvolle Filmdichtung” zu schaffen. Der Zusammenschluss verschiedener Filmschaffender und Kritiker in der Filmliga war vom Gewissen-Autor Franz Pauli ins Leben gerufen worden, hatte sich die ,,Volksgesundheit” zum Ziel gesetzt und sah sich als Vermittler ,,zwischen Industrie und Publikum”. Der Filmliga ging es zum einen um die Erziehung des Publikums zu einem ,,sittlicheren“ Geschmack, zum anderen erkannte sie den wirtschaftlichen Faktor der aufstrebenden Filmindustrie und den ,,Konkurrenzkampf mit dem Ausland”. Obwohl der Film ,,mit großer Kunst nichts zu tun hat”, bloße Technik zu ,,Nervenerregung und Spiel des Verstandes” sei, müsse seine ,,gewaltige Macht” genutzt werden. Im Artikel ,,Die Zukunft des Films”199 Ende 1920 konzedierte Wirths die propagandistischen Möglichkeiten der bewegten Bilder und plädierte dafür, den Film als nationales Erziehungsinstrument einzusetzen: ,,Die Vorgänge der Leinwand prägen sich müheloser als Schrift und Sprache den Hunderttausenden täglich ein und beeinflussen ihr Denken und Fühlen.“ Ein weiterer Feuilleton-Beiträger war Hans Schwarz.200 Schwarz, Jahrgang 1890, hatte in Berlin Philologie, Philosophie und Geschichte studiert und sich freiwillig zum Kriegsdienst gemeldet. Nach eigenen Angaben war er im Sommer 1918 schwer verletzt aus der Armee entlassen worden und hatte begonnen, Aufsätze zu schreiben, auf die Moeller aufmerksam wurde. Seit 1920 arbeitete Schwarz auch für das Gewissen und galt als enger Vertrauter und Bewunderer des 14 Jahre älteren Moellers, wie er in vielen Beschreibungen selbst hervorhob:

197 198 199 200

Breuer: Ästhetischer, S. 231. Werner Wirths (24.12.1919): Kino-Kultur und Filmliga, in: Gewissen, 1, H. 37, S. 3. Werner Wirths (03.11.1920): Die Zukunft des Films, in: Gewissen, 2, H. 43, S. 2–3. Petzinna beschreibt u. a., dass sich Moeller einen Monat vor seinem Tod an Schwarz wandte, um eine Art literarische Rechenschaft abzulegen. Petzinna: Erziehung, S. 140– 142. Moellers Witwe Lucy Kaerrick vertraute auch auf Schwarz und übertrug ihm die Nachlassverwaltung; Vgl. Schwierskott: Arthur Moeller, S. 73.

2.1 Arthur Moeller van den Bruck

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,,Da ich zugleich auch einer der wenigen des Kreises war, der auch blutmässig völlig ostelbisch verwurzelt im Raume war, so fand Moeller und fand besonders auch seine Frau, dass ich manches unreflektiert in mir besass, was er sich durch den Umweg über Italien und Paris erworben hatte, den Umweg über Russland nicht zu vergessen.“201

Schwarz sah sich in der Rolle des ideellen Ziehsohns Moellers und in diesem Sinne setzte er sich auch als Nachlassverwalter für dessen Erbe ein.202 Schwarz thematisierte in Gedichten den Genie-Kult und verband ihn mit den jungkonservativen Schwerpunkten Führerschaft, Unterwerfung und Formbildung. In einem Feuilleton-Beitrag ,,Deutsche und Götter“ des Gewissens erschien 1923 ein Gedicht, das als Ode an Moeller gelesen werden kann: ,,Führer. Farben bleiben leere Bilder, wenn sie nicht aus Körpern leuchten, Die in Taten weiterzeugen. Und die Liebe ist Gepränge, die sich nicht den harten Formen Eines strengen Herrschers hingibt. Aber die im Denken schwelgen ohne Ehrfurcht vor Gesetzen, Die sie der Natur entreißen, die von ihrem Blut verlassen, Ihren Völkern sich entfremden und dem Staat zum Raum verflüchtgen, die begeben sich des Rechtes, aus der Einheit sich des Lebens In Gestalten zu erfüllen. Nur der Wille der Besessenen von der Größe ihres Daseins, Von den Schmerzen ihres Rufes, leitet uns ins Leben wieder! Aus dem Denken formt der Weise, doch Heroen aus dem Blute!“203

Moeller lobte im Gewissen Schwarz‘ Veröffentlichung ,,Heroisches Vorspiel“204 von 1924 ausdrücklich: die Schrift lege ,,mythisches Bewusstsein“ an den Tag, die eine ,,nationale Mythologie“205 schaffen könne. Moellers Aussage nahm eindrücklich vorweg, auf welche Weise er selbst zu einem nationalistischen Mythos stilisiert werden sollte. Sein Selbstmord ein Jahr später ließ sich darin nahtlos einfügen. Moeller arbeitete offiziell von 1919 bis zu seinem Tod 1925 in der Redaktion des Gewissens. Während dieser Zeit mussten seine Kollegen eine regelmäßige Niedergeschlagenheit zur Kenntnis nehmen; sie diagnostizierten eine Melancholie, ,,die dem sonst gesunden Manne lebensgefährlich werden konnte“.206 In den zeitgenössischen Erinnerungen an Moellers letzte Lebensphase traten dessen suizidalen Tendenzen immer in Hinblick auf sein außergewöhnliches 201 202

203 204 205 206

DLA Marbach A: Mohler 99/1: Schreiben (12.10.1948) Hans Schwarz an Armin Mohler. Ab 1949 führte Schwarz eine längere Korrespondenz mit Armin Mohler, in der er seine Erinnerungen an die Ring-Bewegung wiedergab. Er betonte hierbei sein widerständiges Verhalten, als er angab, 1934 wegen eines ,,angehängten Landesverrates“ verhaftet worden zu sein. Tatsächlich war Schwarz wegen Verstoß gegen §175 angeklagt worden. DLA Marbach A: Mohler 99/1: Schreiben (12.10.1948) Hans Schwarz an Armin Mohler. Hans Schwarz (15.10.1923), ,,Deutsche und Götter“, in: Gewissen , 5, H. 41, S. 3. Vgl. Anzeigen im ,,Gewissen“, u. a.: Interna, in: Gewissen, 6, H. 16, 21.04.1924, S. 8. Moeller van den Bruck (28.01.1924) ,,Das heroische Vorspiel“, in: Gewissen, 6, H. 4, S. 2-3. Eduard Stadtler zitiert nach Petzinna: Erziehung, S. 60.

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,,Schicksal“ in den Vordergrund. Es verwundert kaum, dass Moellers unkonventioneller Lebenslauf und Charakter in allen zeitgenössischen Darstellungen betont wurden, denn nur so ließ sich für die Erinnernden eine annähernd plausible und außergewöhnliche Linie bis hin zu seinem Selbstmord ziehen. In den letzten Jahren vor seinem Tod, während Moeller intensiv für das Gewissen arbeitete, gehörte die Suche nach publizistisch gehaltvollen Texten oft zum schwierigen Geschäft: ,,Es ist ungemein schwer, im Gewissen, unter dem Strich, einigermaßen Linie zu halten. Gerade diejenigen Mitglieder des Kreises, die schreiben können, schalten aus oder versagen sich.“207 Durch Moellers Briefe aus dieser Zeit zog sich wie ein roter Faden die Suche nach verlässlichen Mitstreitern und deren Bindung an das Gewissen und seine jungkonservative Überzeugung. Er überließ die öffentlichen Auftritte den anderen Mitgliedern des Juni-Klubs und der Gewissen-Redaktion. Aus dem wortkargen Denker war mittlerweile ein scheuer und gleichzeitig getriebener Phobiker geworden, wie die Antwort auf eine Vortragseinladung deutlich macht: ,,Ich danke Ihnen für Ihre so freundliche und ehrende Aufforderung. Aber leider muss ich absagen. Ich spreche niemals öffentlich. Und ich stehe zudem so unter Druck der dringendsten politischen und publizistischen Arbeiten, dass ich gar nicht abkommen könnte.“208

Moellers Enttäuschung über das mangelnde Engagement qualifizierter Leute aus den Reihen der Rechten wuchs schon bald zur Resignation: ,,Die Lesenden wären schon da. Aber die Schreibenden fehlen. [...] Es ist Halbqualität, nur Oberflächengeplätscher, durchaus Untiefe, gewiss –: aber dieser Feuilletonismus, der doch immer irgend eine, wenn auch noch so zweifelhafte Interessantheit besitzt, ist Eigentum einer ganzen Generation. Von einer Woche zur anderen sehe ich bei der Leitung des Gewissens, wie schwer es fällt, dagegen aufzukommen.“209

Anspannung und Angst, diese Konstellation drückten auch Moellers konzeptionelle Texte aus.210 Und gleichzeitig trieb ihn sein Sendungsbewusstsein an, immer wieder Neues zu schreiben und zu produzieren, so dass er für die politische Agitation völlig unbrauchbar wurde. Leider müsse er die Anfrage eines Artikels für den Hannoverschen Kurier absagen, denn neben der vielen Arbeit komme hinzu, ,,dass es mir immer eine besondere Mühe macht, mich zu einem Gegenstande zu äussern, den ich schon einmal behandelt habe“.211 Moellers weltanschaulicher Anspruch barg im Tagesgeschäft für ihn die Gefahr, von allen Mitstreitern zutiefst enttäuscht zu werden. Was ihn selbst an207 208 209 210 211

BArch Koblenz R 118/34 Akten des Politischen Kollegs: Brief (26.10.1922) Moeller van den Bruck an Heinrich Schaeder. BArch Koblenz R 118/34/200 Akten des Politischen Kollegs: Brief (16.08.1923) Moeller van den Bruck an Hans Kirchhoff. BArch Koblenz R 118/34/211 Akten des Politischen Kollegs: Brief (09.07.1923) Moeller van den Bruck an Ernst Krieck. Vgl. auch Breuer: Anatomie, S. 44. BArch Koblenz R 118/34/ 179 Akten des Politischen Kollegs: Brief (12.06.1924) Moeller van den Bruck an Dr. E. Sarter, Hannoverscher Kurier.

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ging: Solange sich Moellers Sendungsbewusstsein auf die Konzeptionierung der Nationalerziehung anhand der ,,ewigen Kräfte“ in Preußen und Deutschland bezogen hatte, konnte er glauben, eine politische Wirkung von Dauer zu erreichen. Kurzfristigen Anfragen, Erwartungen von Handlungsanweisungen und politischer Analysen konnte er jedoch kaum gerecht werden. Moellers Befähigung war und blieb die längere Rede über Grundsätzliches, in der alle Aspekte seiner bildungsbürgerlichen Prägung und vertiefenden Reisen zum Ausdruck kamen. Mit seiner letzten Arbeit ,,Das Dritte Reich“212 ging Moeller in die Geschichte ein, aber die Legendenbildung begann schon zu seinen Lebzeiten, da er als Sinnstifter einer nationalen Sammlungsbewegung galt. Für die Ring-Bewegung bot sich mit der Gründungsfigur Moeller die Möglichkeit, als originär, unabhängig und legitimiert auftreten zu können. Nichts hätte aus ihrer Sicht eine politische Sammlungsbewegung der Rechten in Weimar mehr diskreditiert als ein spiritus rector, der ein Parteimann der wilhelminischen Zeit oder ein ehemaliger Anhänger der Funktionselite gewesen wäre. Moellers unkonventioneller Lebenslauf passte perfekt in das Bild, das die Jungkonservativen vermitteln wollten. Dass sich nach Moellers Tod um ihn eine Legende bildete, die in den eigenen Reihen unterschiedlich ausgekleidet wurde, beklagte schon Max Hildebert Boehm im ,,Ruf der Jungen“.213 Die ,,Überspannung seiner Kräfte“ zwischen Schaffung neuer Werke und dem ,,Pflichtgefühl täglicher national-politischer Kleinarbeit“ beeinträchtigte spätestens nach Abschluss von ,,Das Dritte Reich“ die ,,konstitutionell gefährdete Natur“ Moellers.214 Privat hielt er weiterhin daran fest, dass er als ,,Statthalter und Wegbereiter einer noch nicht existierenden, als geistig-kultureller Elite verstandenen Rechten“ dastehe, aber er musste auch die schwindende Resonanz des Gewissens zugeben.215 Die deprimierende Erkenntnis, dass sein Programm zur Nationalerziehung ohne Erfolg blieb, die mangelnde Loyalität engster Mitarbeiter untereinander und zunehmende Angstschübe bestimmten Moellers Alltag. Aber alle Erinnerungen an ihn und Erzählungen über ihn zeichneten eine heroische Haltung, die zeigen sollte, 212 213

214

215

Moeller van den Bruck: Das Dritte Reich, (Erstausgabe 1923), hrsg. von Hans Schwarz, Hamburg 1931. Max Hildebert Boehm: Der Ruf der Jungen. Eine Stimme aus dem Kreise um Moeller van den Bruck, Freiburg i.Br. 1933, S. 13. Boehm hatte schon 1920 dieses kurze Portrait der Gruppierung um Moeller geschrieben. BArch R 8034 III/315/6 Presseausschnittsammlung – Reichslandbund: Dr. Max Hildebert Boehm (21.04.1926) ,,Das Werk Moeller van den Brucks. Zu seinem 50. Geburtstag“, Manuskript. ,,Das ,Gewissen‘ wird jetzt wirklich nur von zehn Deutschen geschrieben. Es sind die einzigen in Deutschland, die überhaupt in Betracht kommen. [. . . ] So kämpfen wir gegen Linke und Rechte zugleich. Das ist schwer, aber ich habe die Zuversicht, dass wir durchdringen werden, weil wir durchdringen müssen. Sonst ist überhaupt Niemand da, der kämpft. Die anderen schlagen doch nur um sich.“ Brief (10.03.1924) Moeller an Hans Grimm, zitiert nach Petzinna: Erziehung, S. 221.

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2. Konstruktion des Jungkonservatismus

,,mit welcher Überlegenheit über sein – nicht vorhandenes – Publikum er aber dies Los der Vereinsamung und des Nichtbegriffenwerdens getragen“ habe.216 ,,Er war ein Grübler und Künstler und verzehrte sich aus einer übermächtigen geistigen Leidenschaft heraus.“217 Zur nervlichen Zerrüttung Moellers trugen womöglich zwei Ereignisse bei. 1924 starb sein einziger Sohn218 und im Juli ging ihm die Kündigung seiner Anstellung am Politischen Kolleg zu. Die Finanziers der Ring-Bewegung hatten sich weitgehend von ihren Unterstützungsleistungen zurückgezogen und die Zukunft des Gewissens war unbestimmt.219 Im Herbst 1924 erlitt Moeller einen Nervenzusammenbruch. Heinrich von Gleichen schloss sich während Moellers Aufenthalt im St. Josephs-Stift in Berlin-Weißensee der Meinung der Ärzte an, die Moellers Krankheit ,,als teils auf körperlicher Grundlage von Leber- und Verdauungsindispositionen, sonst aber auf hypochondrisch-neurasthenischer Grundlage beruhend“ beurteilten.220 Anfang 1925 ging Moellers junger Vertrauter Hans Schwarz davon aus, dass der Kuraufenthalt bald zu seiner Besserung führen würde: ,,Die Uebereinstimmung der Aerzte und eigene Beobachtungen haben mich inzwischen dazu gebracht, die Lage sehr viel hoffnungsvoller zu beurteilen. Um es mit kurzen Worten zu sagen: er ist momentan psychisch in sich selbst versunken, wird sich dauernd Objekt der Betrachtung und findet sich demgemäss krank. Das führt ihn psychologisch zu Uebertreibungen, die sich wiederum an seinen Nerven rächen, so dass im Grunde eine Art von Kreislauf stattfindet.“221

Im Mai 1925 beging Moeller in der Nervenheilanstalt Selbstmord; in den Nachrufen verdichteten sich die Vermutungen, Moeller habe an einer unheilbaren Krankheit gelitten und die Ärzte hätten ihm eine drohende Geisteskrankheit attestiert.222 In einem klaren Moment das Schicksal eines Nietzsches oder Hölderlins erinnernd, habe sich Moeller entschlossen, einem 216 217

218 219

220 221 222

Briefe Moeller van den Brucks an Ludwig Schemann (I.), in: Deutschlands Erneuerung. Monatsschrift für das deutsche Volk, 18. Juni 1934 H.6, S. 321. BArch Berlin R 8034 III/315 Presseausschnittsammlung – Reichslandbund: Dr. Max Hildebert Boehm (21.04.1926) ,,Das Werk Moeller van den Brucks. Zu seinem 50. Geburtstag“, Manuskript. Peter Wilhelm Wolfgang, geboren 1902, war der gemeinsame Sohn mit Hedda Maase, vgl. Fechter: Moeller van den Bruck, S. 23. BArch Koblenz R 118/35 Akten des Politischen Kollegs: Brief (17.06.1924) A. Hugenberg an Martin Spahn; Brief (25.06.1924) Martin Spahn an H. v. Gleichen; Liste (28.06.1924) Kündigungen vom 1. Juli 1924, gez. Dr. von Broecker und Professor Spahn. DLA Marbach A: Nachlass Hans Grimm/Br.A.: Brief (30.12.1924) Heinrich von Gleichen an Hans Grimm. DLA Marbach A: Nachlass Hans Grimm/Br.A.: Brief (16.02.1925) Hans Schwarz an Hans Grimm. Erst im Rahmen des Selbstmordes tauchen Aussagen auf, die darauf hinweisen, dass Moeller mit einem frühen Tod habe rechnen müssen. Alexander Ringleb äußerte sogar die Vermutung einer Erkrankung an ,,hereditärer Syphilis“, wodurch die Parallele zum ,,Genie“ Nietzsche unterstrichen wurde. Ostakademie Lüneburg P 0/203/11: Alexander Ringleb (19.06.1959): Vom Verein Kriegerhilfe zum Juniklub/Ring.

2.1 Arthur Moeller van den Bruck

105

solchen standhaft aus dem Weg zu gehen.223 Häufig wurde berichtet, er habe sich erschossen. Eine Schusswaffe in die Heilanstalt einzuschmuggeln – durch seine Frau? – dürfte nicht weiter schwierig gewesen sein. Aber die männliche Pose mit einem Pistolenlauf an der Schläfe im Angesicht der verzweifelten Lage seines eigenen Geisteszustandes wie auch des nationalen Deutschlands ist womöglich nur Wunschbild. Sein Verleger gab an, Moeller habe sich umgebracht, ,,indem er sich am Fensterkreuz erhängte“.224 Wie auch immer die genauen Umstände seines Todes waren, Moellers Depressionen, Zwangszustände, sein Alkoholkonsum und offensichtlicher Verfall hatten sich über die Jahre hinweg entwickelt. Dennoch ließ es sich der Nachruf der Täglichen Rundschau nicht nehmen, der heroischen Ikone einzuschreiben: ,,Nun ist dieser liebenswerte, liebenswürdige, seiner ganzen inneren Anlage nach frohe, rheinisch-beschwingte und doch so schwer erdgebundene deutsche Kämpfer von uns gegangen.“225 Vor dem Hintergrund eines Leidensweges des ,,Propheten“ Moeller konzipierte sein treuer Anhänger Hans Schwarz die Grabrede als nationalästhetische Interpretation: ,,Sein Tod wird uns zeigen, wo die Treue gegen uns beginnt, die in ständiger Gefahr ist. [Moeller war] des ,Gewissens‘ Gewissen, gab ihm die Note des Kampfblattes der nationalen Bewegung, immer darauf bedacht, dass die Innenpolitik nicht den Blick über die außenpolitischen Horizonte verdunkele. Er wurde zum Vorkämpfer gegen den Parlamentarismus. Er war der leidenschaftliche Gegner des Versailler Diktates, Verfechter der Wahrheit gegenüber der Kriegsschuldlüge, einer der wenigen Deutschen, die ihr geistiges Bewusstsein mit der Feder zu gestalten verstanden. So hingegeben war er dem Leben, dass er kaum merkte, wie ihm die eigene Kraft darüber zerrann.“226

Vier Tage nach Moellers Ableben organisierte sein politischer Weggefährte beim Gewissen, Heinrich von Gleichen, die Finanzierung zur Neuauflage seiner Schriften: ,,Jetzt kommt es vor allem darauf an, dass wir das ,Dritte Reich‘ wieder neu herausbringen, auf das eine Reihe von Bestellungen vorliegt und für welches jetzt nach dem Tode Moeller meines Erachtens umso wirkungsvollere Propaganda betrieben werden könnte und müsste.“227

Die Biographie Moellers und ihre Rezeption begründeten den Mythos eines jungkonservativen ,,Ideenschöpfers“ und ,,Propheten“ des deutschen Schicksals. Die Person Moeller war über den Tod hinaus mit großen Zukunftserwar223 224 225 226 227

BArch Berlin R 8034 III/315/10 Presseausschnittsammlung – Reichslandbund: N.N. (30.05.1936): Der Künder, in: Hamburger Fremdenblatt. DLA Marbach A: Piper, Reinhard / Manuskripte verschiedenes, Reinhard Piper (o.D.): Biographisches zu Arthur Moeller van den Bruck. BArch Berlin R 8034/315/5 Presseausschnittsammlung – Reichslandbund: Tägliche Rundschau, 30.05.1925; wortgleich: Rheinische Rundschau, 04.07.1925. Veröffentlichung der Grabrede von Hans Schwarz (16.06.1925), in: Die Manen, Nr. 1, Beilage des Gewissen, 7, H. 24, S. 5-6. BArch Koblenz R 118/35 Akten des Politischen Kolleg: Brief (04.06.1925) H. v. Gleichen an Martin Spahn; s.a. Brief (18.06.1925) H. v. Gleichen an Martin Spahn.

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2. Konstruktion des Jungkonservatismus

tungen verbunden, die sich aus seinem persönlichen ,,Ursprung“ speisten.228 Diese Form von Mythologisierung der Zukunft fand im Jungkonservatismus gleich mehrfach statt, denn zum einen prägte sie das Bild nationaler Geschichte, zum anderen bildete sie das ,,nachträgliche Fundament“ eines imaginierten politischen Kollektivs. Indem zeitgenössische Erinnerungen die Entwicklung Moellers in vermeintlicher Zwangsläufigkeit darstellten, war er schon in der letzten Phase seines Lebens zwischen 1919 und 1925 zur Ikone und zum Fixpunkt des jungkonservativen Zirkels geworden.

2.2 Anders als die Anderen: Propagandaerfahrung während des Ersten Weltkriegs ,,Deutsch sein ist anders sein: nicht nur anders, als andere Völker sind – sondern als wir selbst sind.“229

Zu den Grundlagen der Ring-Bewegung und des Gewissens gehörten die organisatorischen Vernetzungen innerhalb der amtlichen und zivilen deutschen Kriegspropaganda. Wie in einem Brennglas kann am Beispiel der GewissenRedaktion nachverfolgt werden, auf welche Weise die strukturelle Argumentation der Kriegszeit in die neurechte Publizistik einfloss und warum die Propaganda zur sogenannten Schützengrabengemeinschaft und zu den ,,Ideen von 1914“ nach 1918 in der jungkonservativen Publizistik weiterverfolgt wurde und zugleich an ihre Grenzen stieß. Die Kontinuität intellektueller Argumentationslinien bis in das Gewissen dürfte durch den Umstand beeinflusst worden sein, dass viele Autoren des inneren Kreises nicht aktiv an der Kriegsfront eingesetzt waren. Moeller, Gleichen und Hans Schwarz schieden wegen körperlicher Versehrtheit frühzeitig wieder aus dem aktiven Dienst aus, Stadtler geriet nach nur wenigen Monaten an der Ostfront in Gefangenschaft und nur der Jüngste aus dem engsten Kreis, Boehm, Jahrgang 1891, diente zwei Jahre an der Front, bevor er für die OHLA tätig wurde. Körperliche Extremsituationen und Frontalltag hatten nur die jüngsten Gewissen-Autoren erlebt, unter ihnen Fritz Ehrenforth, Heinrich Herrfahrdt, Werner Wirths und Franz Schauwecker. Im Gewissen 228

229

,,Ursprungsmythen sind nicht unschuldig, umso weniger, je reiner zu sein sie vorgeben. [. . . ] Es sieht ganz so aus, als ob gegen diese Mythologie keine Aufklärung hilft (auch nicht die Analyse ihres erzählerischen Raffinements), sondern nur das Erzählen anderer, widerstreitender Anfangsgeschichten.“ Albrecht Koschorke: Zur Logik kultureller Gründungserzählungen, in: Zeitschrift für Ideengeschichte, 1.2007 H. 2, S. 5–12, S. 12. Moeller van den Bruck (16.01.1922): Einheit, in: Gewissen, 4, H. 3, S. 1–2, hier 1.

2.2 Propaganda und Erster Weltkrieg

107

können Unterschiede zwischen ihrer Themensetzung und Sprache zu denen der Propaganda-Intellektuellen festgestellt werden. Die zum Teil losen Kontakte verschiedener Schriftsteller und Journalisten aus der Vorkriegszeit erlebten während des Ersten Weltkriegs eine institutionelle und intellektuelle Zusammenführung in den PropagandaNetzwerken des Deutschen Kaiserreiches. Indem die ,,Propaganda-Intellektuellen“ ihre politische Überzeugung, journalistischen Qualitäten und ihr Sendungsbewusstsein einbrachten, bekamen sie im Gegenzug ein intensives Erlebnis der gemeinsamen Arbeit für den nationalen Sieg: ein intellektuelles ,,Volksgemeinschaftserlebnis“. Als eine Art Knotenpunkt fungierte die Propagandaabteilung der Obersten Heeresleitung, in der sich unter anderem Moeller, Boehm und Hans Grimm kennenlernten. Nach dem Krieg versuchte sich Stadtler als Massenagitator zu etablieren, indem er die kriegerische Bedrohungssituation auf den ,,Bolschewismus“ projizierte. Seine Haltung stand beispielhaft für ein in der Kriegszeit geformtes Sendungsbewusstsein, das zwischen dem Anspruch auf Intellektualität und Volksnähe schließlich aufgerieben wurde und im Rahmen des Jungkonservatismus scheiterte. Um die Radikalisierung des intellektuellen Sendungsbewusstseins nachvollziehen zu können, werden im Folgenden drei Fragen behandelt: Welche Wechselwirkungen bestanden zwischen Kriegssituation und Professionalisierung der Propaganda? Hinter welchen ideellen ,,Frontlinien“ konnten sich die Intellektuellen, trotz der Unterschiede im Detail, versammeln und diese als gemeinsame Werte akzeptieren? Aus den beiden Fragen folgt eine dritte nach den Kontinuitäten und Brüchen der Kriegspropaganda zur Konstituierung der Ring-Bewegung und der Publizistik des Gewissens. 2.2.1 Intellektuelle Beiträge und Aufbau der professionellen Propaganda Die Propagandaarbeit während des Ersten Weltkriegs bildete für die späteren Gewissen-Autoren eine Phase der Politisierung, Radikalisierung und Zuspitzung bisheriger Vorstellungen, die durch die Fusion ihres politischen Sendungsbewusstseins mit der ,,engen und spezifischen Organisationsweise öffentlicher Machtausübung“ begünstigt war.230 In der Gemengelage flottierender und gesteuerter geistiger Aufbau- und Aufklärungsarbeit näherten sich Schriftsteller und Gelehrte, Publizisten und Organisatoren an und verflochten ihre geistigen Ideale mit den staatlich gelenkten Verlautbarungen. In dieser Phase bildeten die Modernisierung der Propagandastrukturen und Radikalisierung der Inhalte ein Kommunikationsmuster aus, auf das

230

Ketelsen: Stabilisierte Mobilität, S. 227.

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2. Konstruktion des Jungkonservatismus

sich ,,die Akteure der Propaganda ,von unten‘ und ,von oben‘“ langfristig verständigten.231 Da schon vor dem Krieg die moralische und emotionale Aufrüstung auf dem philosophisch-publizistischen Feld begonnen hatte, war die Bereitschaft unter Intellektuellen groß, auch weiterhin die eigene Anschauung in den Dienst an der Nation zu stellen.232 Aus intellektueller Sicht erschien der Krieg als ,,eine innere Notwendigkeit“233 Deutschlands und im Falle der späteren Gewissen-Autoren bedeutete ihr Engagement einen fortgesetzten kulturkritischen Diskurs unter geänderten Vorzeichen. Jetzt ging es nicht mehr nur darum, die nationalen Qualitäten zu verbessern, sondern nationale Überlegenheit zu begründen. Schon mit den ,,Ideen von 1914“234 verbreitete 231

232

233 234

Rainer Gries: Zur Ästhetik und Architektur von Propagemen. Überlegungen zu einer Propagandageschichte als Kulturgeschichte, in: ders./Wolfgang Schmale (Hrsg.): Kultur der Propaganda. Überlegungen zu einer Propagandageschichte der Kulturgeschichte, Bochum 2005, S. 9–35, S. 20. Barbara Beßlich: Wege in den ,,Kulturkrieg“. Zivilisationskrieg in Deutschland 1890– 1914, Darmstadt 2000; Christoph Cornelißen: Politische Historiker und deutsche Kultur. Die Schriften und Reden von Georg v. Below, Hermann Oncken und Gerhard Ritter im Ersten Weltkrieg, in: Wolfgang J. Mommsen (Hrsg.): Kultur und Krieg. Die Rolle der Intellektuellen, Künstler und Schriftsteller im Ersten Weltkrieg, München 1996, S. 119–142; Kurt Flasch: Die geistige Mobilmachung, Berlin 2000; Peter Hoeres: Krieg der Philosophen. Die deutsche und die britische Philosophie im Ersten Weltkrieg, Paderborn 2004; Dirk Stegmann: Krieg und politische Kultur: Intellektuelle Waffengänge 1914–1918, in: Faulstich: Zweite Jahrzehnt, S. 21–39; Klaus Wernecke: Der Wille zur Weltgeltung. Außenpolitik und Öffentlichkeit im Kaiserreich am Vorabend des Ersten Weltkrieges, Düsseldorf 1970. Modris Eksteins: Tanz über Gräben. Die Geburt der Moderne und der Erste Weltkrieg, Reinbek bei Hamburg 1990, S. 146. Steffen Bruendel: Volksgemeinschaft oder Volksstaat. Die ,,Ideen von 1914“ und die Neuordnung Deutschlands im Ersten Weltkrieg, Berlin 2003, S. 113. In einer Vorlesung im Jahr 1915 über die volkswirtschaftliche Bedeutung des Krieges verwendete Johann Plenge erstmals den Begriff der ,,Ideen von 1914“. Johann Plenge: Eine Kriegsvorlesung über die Volkswirtschaft. Das Zeitalter der Volksgenossen, Berlin 1915. Über Plenge u. a.: Michael Busch: Organisation durch Propaganda: Zur Begründung der Massenbeeinflussung bei Johann Plenge, in: Medien und Zeit, 22.2007 H. 2, S. 15–30; Axel Schildt: Ein konservativer Prophet moderner nationaler Integration. Biographische Skizzen des streitbaren Soziologen Johann Plenge (1874–1963), in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte, 35.1987 H. 4, S. 523–570; Jeffrey Verhey: Der ,,Geist von 1914“ oder die Erfindung der Volksgemeinschaft, Hamburg 2000, S. 215–216. Plenge beschäftigte sich ab 1919 auch intensiv mit Theorien zur Propaganda, die er als ,,Verbreitung geistiger Antriebe, die Handlungen auslösen sollen“ verstand und die er 1923 im ,,Ruhrwiderstand“ gezielt einsetzte. Thymian Bussemer: Propaganda. Konzepte und Theorien, Wiesbaden 2005, S. 115; vgl. auch Hermann Lübbe: Politische Philosophie in Deutschland. Studien zu ihrer Geschichte, Basel/Stuttgart 1963, S. 171–235. Plenge war auch ein Beispiel für rechtsintellektuelle Eitelkeit, denn er bestand 1935 darauf, dass er 1913 – angesichts des aufziehenden Krieges – und nicht erst 1923 Moeller den Begriff und die Idee vom ,,Dritten Reich“ angestoßen habe. Johann Plenge: Moeller van den Bruck’s [sic] Bekehrung zur Idee. Unser Briefwechsel von September 1918. Zweiter Nachtrag, Meine Anmeldung zum Bund Schlageter e.V.’ als Handschrift gedruckt, Münster 1935.

2.2 Propaganda und Erster Weltkrieg

109

sich jene ,,fatale Mischung aus spezifisch bildungsbürgerlichem nationalistischem Sendungsbewusstsein, aggressiver Legitimationsideologie und missionarischer Aufbruchsbereitschaft“,235 die im Denken der kulturellen Eliten angelegt war und über den Krieg hinaus konstitutiv blieb. Die Begeisterung für den Kriegsausbruch ging in das Sprechen über den Krieg ein, wurde zum Mythos und zu einem der Fixpunkte kollektiver Erinnerungen an den Krieg.236 Während des Ersten Weltkrieges professionalisierte und radikalisierte sich die institutionelle Propaganda aller teilnehmenden Staaten. Die deutsche Regierung zentralisierte und qualifizierte die Propagandaabteilungen mit Verzögerung237 und fasste sie schließlich auf der Grundlage der Pressearbeit im Innenministerium in der Abteilung IV im Auswärtigen Amt (MAA) zusammen.238 Die zivilen und amtlichen Propagandaeinrichtungen griffen zudem auf Erfahrungen seit dem späten 19. Jahrhundert zurück, als die amtliche Öffentlichkeitsarbeit zunehmend technische Neuheiten im Bereich der Informations- und Nachrichtensammlung nutzte.239 Zahlreiche Agenturen waren damit beschäftigt, Printmedien zu sichten, zu registrieren, zu sammeln und Presseausschnittsammlungen nach gezielten Gesichtspunkten zusammenzustellen. Die geordneten Kontingente kursierender Informationen ließen ein breites und differenziertes Bild der öffentlichen Meinung greifbar erscheinen, auf das meinungslenkende Instanzen wiederum gezielt Einfluss nehmen wollten.240 Je differenzierter die Sammlungen vorlagen, desto größer 235 236 237

238

239

240

Wehler: Gesellschaftsgeschichte IV, S. 18. Verhey: Geist von 1914, S. 374–384. Jeffrey Verhey: Krieg und geistige Mobilmachung: Die Kriegspropaganda, in: Wolfgang Kruse (Hrsg.): Eine Welt von Feinden. Der Große Krieg 1914–1918, Frankfurt a.M. 1997, S. 176–183, S. 180. Vgl. auch Roger Chickering: Das Deutsche Reich und der Erste Weltkrieg, München 2002. Mit Kriegsbeginn war die Informationspolitik in den Aufgabenbereich des Militärs gefallen, das sich zunächst mit einer Nachrichtenabteilung beim Generalstab dieser Aufgabe annahm. Gleichzeitig gab es zivile Nachrichtenbüros beim Reichsmarineamt und Kriegsministerium, das Pressereferat des Auswärtigen Amtes und schließlich die Kriegsministerien der einzelnen Länder. Vgl. Anne Schmidt: Belehrung – Propaganda – Vertrauensarbeit. Zum Wandel amtlicher Kommunikationspolitik in Deutschland 1914–1918, Essen 2006. Peter Jungbluth: Unter vier Reichskanzlern. Otto Hammann und die Pressepolitik der deutschen Reichsleitung 1890 bis 1916, in: Daniel/Siemann: Propaganda, S. 101–116. Über institutionelle Konflikte: Stöber: Erfolgverführte, S. 158–164. Ute Daniel/Wolfram Siemann: Historische Dimensionen der Propaganda, in: Daniel/ Siemann: Propaganda, S. 7–20, S. 7. Der Krimkrieg Ende der 1850er Jahre gilt als Fanal der Kriegspropaganda, denn zum ersten Mal wurde gezielt Werbung für eigene Kriegsziele gemacht und hierfür der jeweilige Feind stereotyp negativ überzeichnet. Vgl. Martin Senner: Mr. Punch versus King Cliquot: ein Kapitel englischer Propaganda im Krimkrieg (1854–1856), in: Historische Mitteilungen, 11.1998, S. 220–233. Anke te Heesen: Der Zeitungsausschnitt. Ein Papierobjekt der Moderne, Frankfurt a.M. 2006. Über Nachrichtenagenturen: Stöber: Erfolgverführte, S. 93–97. Eine der umfangreichsten Presseausschnittsammlungen, die in dieser Zeit begonnen wurde und bis in die Gegenwart auch für die vorliegende Untersuchung von Nutzen ist, ließ der Reichsland-

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2. Konstruktion des Jungkonservatismus

erschien die Notwendigkeit, an den Meinungsströmen teilzuhaben und sie gegebenenfalls zu beeinflussen. Ab 1916 und mit zunehmend schlechter Kriegssituation radikalisierte sich die inhaltliche Ausrichtung der deutschen Pressepolitik und ,,an die Stelle argumentativer Überzeugung trat gezielte Manipulation“.241 Durch Einfluss und Rückwirkung aus wissenschaftlichen, wirtschaftlichen und künstlerischen Bereichen, durch Erkenntnisse der Massenpsychologie, der zeitgenössischen Soziologie und Biologie und schließlich durch die effiziente Nutzung des Pressemarktes242 entwickelten sich die noch zu Beginn des Krieges belehrenden Verlautbarungen zu einer komplexen Mobilisierungsstrategie, die nach innen wie außen auf die Geschlossenheit der gesamten Bevölkerung einwirken sollte.243 Zudem kamen jüngere, leistungsorientierte Männer in Entscheidungspositionen der militärischen Nachrichtenabteilungen,244 die nicht nur lebhafte Verbindungen zu radikalen Nationalisten pflegten, sondern diese auch in die Propaganda-Arbeit intensiv einbanden. Ab Mai 1918 organisierte Generalmajor von Haeften mit der OHLA245 den gesamten propagandistischen Überbau zur militärischen Situation. Laut Prinz Max von Baden wurde die OHLA immer ,,größer und bunter in ihrer Zusammensetzung. Ich glaube, kein anderes Haus in Deutschland hat so viel Eigenwillen und Temperament gleichzeitig beherbergt: Generalstabsoffiziere, verwundete Hauptleute mit dem Pour le mérite mussten mit und neben, unter und über Landsturmmännern arbeiten.“246

Haeften hatte auch persönlichen Kontakt zu Heinrich von Gleichen und Einfluss auf dessen Geschäftsführung in der nicht-militärischen Propagandaein-

241

242

243 244 245

246

bund anlegen. Bundesarchiv Berlin: BArch Berlin R 8034 III Presseausschnittsammlung – Reichlandbund. Schmidt spricht von einer ,,modernistischen Wende“ nach den militärischen und personellen Veränderungen 1916; z. B. kursierte statt ,,Einheit“ zunehmend der Begriff ,,Geschlossenheit“, wobei die Modernisten im Propagandaapparat nicht an die ,,Selbstmobilisierungskräfte des Volkes“ glaubten, sondern ,,dass es der Führung bedürfe, um das Volk für den Krieg zu aktivieren“ Schmidt: Belehrung, S. 120. Zitat in Verhey: Krieg, S. 183. Hans-Dieter Kübler: Kriegszeit und demokratischer Umbruch. Die Presse im zweiten Jahrzehnt, in: Faulstich: Zweite Jahrzehnt, S. 41–71, S. 43. Über die Zensurmaßnahmen vgl. auch Kurt Koszyk: Deutsche Presse 1914–1945. Geschichte der deutschen Presse, Teil III, Berlin 1972, S. 14–22. Schmidt: Belehrung, S. 9. Ebd., S. 29, 113, 183. Im Frühjahr 1917 übernahm die Nachrichten-Abteilung des Auswärtigen Amtes (AA) die Aufgaben der ,,Zentralstelle für Auslandsdienst“, d. h. die Beobachtung der feindlichen Presse und die Verteilung von Broschüren im neutralen Ausland. Das AA stand in Konkurrenz zur OHL, bei der im Juli 1916 eine eigene Propagandastelle, die MAA, eingerichtet worden war, die im Mai 1918 schließlich zur OHLA, der ,,Auslandsabteilung der Obersten Heeresleitung“ umbenannt wurde. Prinz Max von Baden: Erinnerungen und Dokumente, Stuttgart 1927, S. 80–81.

2.2 Propaganda und Erster Weltkrieg

111

richtung ,,Bund deutscher Gelehrter und Künstler“.247 Hier deutete sich an, dass die OHL plante, zivile und militärische Bereiche der Propaganda, unter ihrer Kontrolle zu bündeln. Im August 1918, als Abschluss der Umstrukturierungen, sollte eine Zentralstelle aller Propagandamaßnahmen eingerichtet werden, zu der es nicht mehr kam. Der amtliche Propagandaapparat bot Akademikern, Publizisten und Schriftstellern in wirtschaftlich und finanziell prekärer Situation nicht nur gesellschaftliche Anerkennung, sondern eine adäquate Erwerbsmöglichkeit. Universitätsstellen waren rar und Standesdünkel sowie die Trennung zwischen wissenschaftlicher und populärer geistiger Arbeit bewirkten einen Konkurrenzkampf um Posten mit Reputationsgewähr. In einem Brief an Adolf von Harnack vom Februar 1917 beklagte sich Max Hildebert Boehm über die schlechte Arbeitsmarktsituation, die es ihm nicht möglich mache, auf gehobenem Niveau journalistisch tätig sein zu können.248 Nach eigener Aussage hatten der Krieg und die ,,Zeitirrungen“ Boehm vom Plan einer Habilitation abgebracht und ,,äußere und innere Nötigung zugleich“ seit Kriegsbeginn ,,auf eine rege literarische Tätigkeit“ geworfen. Seine vielseitigen Produktionen seien in etwa ,,12 verschiedenen Zeitschriften und Zeitungen zutage getreten“, aber er fürchtete gleichzeitig, seinen Ruf in akademischen Kreisen zu verspielen. Boehm suchte nach einer ,,Übergangsstellung, die mir für längere Jahre wenigstens die Frucht in Gestalt von ein paar tausend Mark sichert, ohne doch meine Kraft so vollkommen auszusaugen, das ruhige Ausruhung in Schau und Schaffen unmöglich würde“. Er erkannte das Potenzial akademisch ausgebildeter, intellektuell tätiger Männer und sah eine Chance auf dem Feld der Propaganda: ,,Ich glaube, Sie werden es anerkennen, dass die nationale Bildung ein ernstes Interesse daran hat, dass nicht nur strenge Akademiker und unverantwortliche Journalisten gedeihen, sondern dass als Vermittler zwischen Ihnen eine Schicht gehobener Literatur ihr bescheidenes Auskommen findet, die im literarischen Leben eine wichtige unersetzliche Rolle auszufüllen haben.“

Boehm wurde schließlich im Verlauf des Krieges von der OHL in die Schweiz geschickt, um die lettische Propaganda zu beobachten und beeinflussen.249 Die OHLA setzte auch in den eroberten Gebieten Polens, Litauens und Weißrusslands Propaganda ein.250 Beispielsweise sollte das im besetzten polnischen Gebiet entstandene Verwaltungsgebiet ,,Ober Ost“ nach Plänen der 247

248 249 250

Entweder wurde die Gegnerpropaganda beobachtet, so wie beispielsweise Boehm im Auftrag der OHLA in der Schweiz die lettischen Aktivitäten beobachtete. Oder es wurde versucht, direkt auf die politischen Verhältnisse anderer Länder einzuwirken, etwa durch Revolutionierungspolitik in der Ukraine oder direkt in Russland. Schwierskott: Arthur Moeller, S. 44. StBPrK NL A. v. Harnack: Boehm: Brief (25.02.1917) Max Hildebert Boehm an Adolf von Harnack. Schwierskott: Arthur Moeller, S. 45. Gerd Koenen: ,Rom oder Moskau‘– Deutschland, der Westen und die Revolutionie-

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2. Konstruktion des Jungkonservatismus

Militärs ,,einen Musterstaat zur Demonstration ,deutscher Kulturarbeit im Osten‘“ bilden.251 Für dessen propagandistische Untermauerung versammelte die Pressestelle von Ober Ost einen ,,illustren Schwarm“ von Literaten und Künstlern, unter ihnen auch Richard Dehmel und Herbert Eulenberg.252 In der Fixierung auf Osteuropa als ein kulturelles Entwicklungsgebiet im Gegensatz zur deutschen Überlegenheit lag ein zentrales Motiv, das die sogenannte Deutschtumsarbeit auch nach Ende des Krieges vorantrieb.253 In der OHLA fand auch Moeller den geeigneten Ort für seinen Kriegsdienst, da ein Fronteinsatz, wie schon einige Jahre zuvor sein nachgeholter Wehrdienst, an seinen ,,Nerven“ scheiterte. Angeblich setzte sich der Werkbund–Leiter Ernst Jäckh für seine Befreiung vom Heeresdienst ein und im Herbst 1916 vermittelte ihn sein alter Bekannter Franz Evers an die MAA.254 Moeller wurde zum Leiter der ,,Literarischen Stelle“ der MAA ernannt255 , wo er mit den Schriftstellern und Publizisten Waldemar Bonsels, Friedrich Gundolf, Börries von Münchhausen und Hans Grimm zusammenarbeitete.256 Über letzteren ergab sich der Kontakt zu Heinrich von Gleichen.257 Der Publizist Moeller und der Schriftsteller Grimm, beide Mitte 40, arbeiteten hier auf Augenhöhe mit ausgezeichneten Männern des Militärs und beide machten ihre ganz persönliche Fronterfahrung im Rahmen der Propagandaarbeit, die schließlich auch ihr intellektuelles Sendungsbewusstsein der Nachkriegszeit prägte.258 Nach Reisen und Erfahrungen in verschiedenen europäischen Ländern hatte Moeller sein Bild von der ideellen und rassischen Zusammensetzung des europäischen Kontinents und der besonderen Rolle Deutschlands vervollständigt. Das von ihm entworfene Russlandbild baute er während seiner Propagandatätigkeit aus und verband es mit einer überlegenen und

251 252 253

254 255 256 257 258

rung Russlands 1914–1924, Universität Tübingen, online unter: http://deposit.ddb.de/ cgi-bin/dokserv?idn=969685335 2003, 09.12.2008. Vgl. auch Vejas Gabriel Liulevicius: Kriegsland im Osten. Eroberung, Kolonialisierung und Militärherrschaft im Ersten Weltkrieg, Hamburg 2002. Koenen: Russland-Komplex, S. 73. Vgl. in Kap. II ,,Gegen den Versailler Vertrag“. Auf Dispositionen und Unterschiede zum Nationalsozialismus weist Koenen hin: ,,Dennoch ist festzuhalten, dass der geographische und demographisch, linguistische und ethnologische Erfassungswahn der Militärverwaltung ,Ober Ost‘ noch völlig andere Züge trug als die nationalsozialistische Versklavungs- und Ausrottungspolitik – die deshalb auf eine noch so verlogene und dennoch ernst gemeinte Kultivierungslyrik, wie sie von den Mitgliedern der ,Presseabteilung’ für die Leser daheim und vor Ort produziert wurde, auch kaum angewiesen war.“ Koenen: Russland-Komplex, S. 75. Campbell: Deutsche Werkbund, S. 114; Schwierskott: Arthur Moeller, S. 42. Schmidt: Belehrung, S. 157. Schwierskott: Arthur Moeller, S. 43. Ebd., S. 45 FN 24. Über die bemerkenswerte Verknüpfung der späteren Jungkonservativen im Propagandaapparat der kaiserlichen Monarchie, vgl. auch Erich Nickel: Politik und Politikwissenschaft in der Weimarer Republik, Berlin 2003, S. 100–103.

2.2 Propaganda und Erster Weltkrieg

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expansiven deutschen Position als Antipode. Da Moellers metaphysische Geschichtsbetrachtungen die radikalen Kriegsziele gegenüber Russland zu legitimieren schienen, wurden sie über die Propagandakreise hinaus ernst genommen.259 Schon vor seiner offiziellen Anstellung hatte Moeller im Mai 1916 die deutsche Expansionspolitik gen Osten mit der russischen Unfähigkeit, die eigenen ,,Ressourcen“ zu nutzen, begründet: der Osten sei unverbraucht, ungebunden, naiv und elementar und, so lautete Moellers Empfehlung, ,,an diesem Osten müssen wir, die wir ihm in unserem eigenen Wesen zur Hälfte angehören oder doch an ihn grenzen, selbst Anteil nehmen, wenn wir Anteil an der Zukunft haben wollen: Luft zum Atmen, Raum zur Bewegung, Zeit zur Entfaltung“.260

Moellers Hinweis auf eine ,,Wesensverwandtschaft“ bezog sich nicht allein auf Russland, sondern auf den ,,Osten“, wo nach seiner Überzeugung ein deutscher ,,Ortsgeist“ wirke, den es wieder zu erwecken gelte. Die Zukunft, an der die Deutschen Anteil nehmen sollten, sah Moeller durch das ,,Recht der jungen Völker“ gestaltet. Diese Broschüre erschien erst 1919 und sollte während der Friedensverhandlungen in Paris Präsident Woodrow Wilson davon überzeugen, sein proklamiertes Selbstbestimmungsrecht der Völker vor allem auf Deutschland anzuwenden. Das Völkertableau unterschied die Abstufungen Volk, Rasse und Nation und ordnete England und Frankreich als alte Völker, Italien als ein eingeschränkt ,,junges Volk“, Russland als eine ,,junge Rasse“ und die USA als eine ,,junge Nation“ ein. Die unterschiedlichen Kategorien definierten sich metaphysisch und irrational, hatten aber klare politische Funktionen, denn mit ihnen konnte Moeller pointierte Skizzen der weltpolitischen Lage entwerfen, die geschichtsphilosophisch begründet schienen.261 Die Broschüre fand jedoch ,,so gut wie kein Echo in der Öffentlichkeit“262 und die Presse verhielt sich ,,vollkommen still“.263 259

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,,Je länger der Krieg dauerte, je intensiver er sich zum totalen Krieg steigerte, desto mehr traten Radikallösungen, die früher höchstens einmal als vage Möglichkeit ins Auge gefasst worden waren, in den Vordergrund, etwa die Zerschlagung des petrinischen Russland seit Anfang 1918 mit dem Ziel einen von Deutschland beherrschten autarkiefähigen Großraum in Osteuropa zu gewinnen.“ Wehler: Gesellschaftsgeschichte IV, S. 27–28. BArch Berlin R 8034III/315 Presseausschnittsammlung – Reichlandbund: Personalia Moeller van den Bruck [138]: Moeller (10.05.1916): Unser Problem ist der Osten, in: Stimme aus dem Osten. Z. B.: ,,Das Beispiel eines jungen Volkes, das sich durch nichts als durch Arbeit an seinem Ich in der Welt durchsetzet, ist in seiner reinsten Verkörperung zuletzt von Preußen aus gegeben worden. Der Haß gegen das Preußentum hat hier seine Wurzeln. Es ist der Haß der alten Völker gegen das Prinzip der jungen: der Haß gegen denjenigen Staat, der den Grundsatz der jungen Völker am frühesten verwirklicht und ihre Machtmittel am erfolgreichsten entwickelt hat.“ Moeller van den Bruck: Recht, S. 25–26. DLA Marbach A: Grimm: Brief (23.04.1919) Moeller van den Bruck an Hans Grimm. Die deutschen Gesandten in Dänemark, Schweden, den Niederlanden, Norwegen und Finnland erhielten Exemplare und bedankten sich durchweg für die ,,vorzügliche

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2. Konstruktion des Jungkonservatismus

Moeller hatte ,,etliche Exemplare“ dem Grafen Bernstorff zugestellt, der ihm daraufhin mitteilte, dass er sie ,,allen interessierten Stellen zugänglich gemacht“ habe. Von einer von Moeller geplanten Veröffentlichung in englischer Sprache riet Bernstorff jedoch dringend ab. Von den verschickten 150 Exemplaren konnten letztlich nur zehn Stück verkauft werden, ein großer Teil musste ,,zum Zwecke der Propaganda“ kostenlos abgegeben werden.264 Moeller war zwar frustriert über den mangelnden Erfolg, aber eine werbewirksame Vortragstour kam für den scheuen Rechtsintellektuellen dennoch nicht in Frage.265 Der materielle Misserfolg bedeutete jedoch nicht, dass sich Moeller als Propagandist gescheitert fühlte. Vielmehr lag aus seiner Sicht im geringen Absatz seiner Broschüre ein Hinweis auf seine intellektuelle Überlegenheit und Voraussicht, für die der ,,Markt“ noch nicht bereit sei. Neben wirtschaftlichen und ideellen Beweggründen bestimmte auch die gesellschaftliche Stellung die Form der Propagandaarbeit. Heinrich von Gleichens adelige Herkunft und organisatorisches Talent prädestinierten ihn für die Leitung einer größeren Einrichtung. Der 1914 eingerichtete ,,Bund deutscher Gelehrter und Künstler“ führte in seiner Mitgliederliste an die tausend Persönlichkeiten von Rang und Namen; von den späteren Gewissen-Autoren waren unter anderem aufgeführt: Karl Dunkmann, Paul Ernst, Alexander von Gleichen–Rußwurm, Hans Helmolt, Erich Lilienthal, Franz Pauli, Walther Schotte, Helmut von den Steinen, Joachim Tiburtius und Paul Friedrich.266 Neben eigenen Veröffentlichungen, Vorträgen und der Herausgabe der Korrespondenz Zeit- und Streitfragen267 , bemühte sich der Bund um enge Verbindungen zum Deutschen Auslandssekretariat, zum Werkbund, zum Verein für deutsche Kunst im Ausland und zu ,,zwischenstaatlichen Ver-

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Denkschrift“. Jedoch sah man nur in Dänemark und Finnland eine Möglichkeit zur Verbreitung; der Gesandte im finnischen Helsingfors gab an, dass die Finnen sich selbst auch zu den jungen Völkern zählten, zudem sei das Bändchen für die Auslandspropaganda gut geeignet, ,,auch wenn man zugibt, dass der Stil etwas gezwungen und insbesondere für Ausländer nicht immer leicht verständlich ist.“ Alle Zitate in: BArch Berlin R 901/71582 Auswärtiges Amt/Moeller van den Bruck. BArch Berlin R 901/71582 Auswärtiges Amt/Moeller van den Bruck: Brief (18.02.1920) Pressestelle der Deutschen Gesandtschaft in Helsingfors an Presseabteilung der Reichsregierung/AA. Das Buch würde verstanden, ,,durch die jungen Leute, in denen das Buch lebendig ist, Menschen für die der Krieg ein ähnliches Erlebnis wurde, wie für uns – Sie wie mich – unser Auslandsdeutschtum war [. . . ].“ DLA Marbach A: Grimm: Brief (23.04.1919) Moeller van den Bruck an Hans Grimm. BArch Koblenz R 57/Neu1004–12 Deutsches Auslands Institut/Bund deutscher Gelehrter und Künstler: Mitgliederverzeichnis. ,,Diese Korrespondenz, die regelmäßig erscheint, bringt die Beiträge der ersten Federn Deutschlands über wichtige Tagesfragen. Sie wird den Mitgliedern von jetzt ab regelmäßig zweimal im Monat zugehen. Die Aufsätze selbst werden zum Abdruck der deutschen Tagespresse im weitem Umfange zugeführt.“ Universitätsbibliothek Freiburg NL 12 K. Ludwig Schemann 1528/69/322: Rundschreiben (03.02.1917) Heinrich von Gleichen ,,An die Mitglieder des Bundes deutscher Gelehrter und Künstler“.

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einigungen“.268 Heinrich von Gleichen, der zunächst im Stellvertretenden Generalsstab und im Preußischen Landwirtschaftsministerium tätig gewesen war, wurde 1917 zum geschäftsführenden Sekretär des Bundes ernannt. Mit Übernahme dieser Funktion sorgte sich Gleichen um eine Schärfung des Propaganda-Profils des Bundes. Sein Ziel war es, die ,,bisher vielleicht zu ausschließlich ästhetisch und literarisch orientierten Intellektuellen auf nationale Gesichtspunkte“ einzustellen, so dass insgesamt der Begriff der Kultur ,,weiter zu fassen“ sei als vor dem Krieg.269 Sitz des Bundes war in der Berliner Akademie der Wissenschaften, den Vorsitz inne hatten unter anderem Max Rubner, Peter Behrens, Ernst Troeltsch und der Schriftsteller Ernst Hardt. Während der ersten Mitgliederversammlung, die erst im Mai 1918 stattfinden konnte270 , feuerte Ernst Hardt die anwesenden Herren zur intellektuellen Geschlossenheit im Kampf gegen ,,organisierte Verleumdung unserer deutschen Kultur“ durch die Feinde Deutschlands an. Hardt lobte zunächst die künstlerische und gelehrige Pflege und Verteidigung deutscher Kultur, die auch ohne politische Option getätigt worden war. Jedoch müsse der Bund nun die ,,Kriegsarbeit“ im ,,Innern des Vaterlandes“ verstärken, denn er stehe einerseits unabhängig von ,,irgendeiner realen Machtgruppe“ und sei andererseits ,,Vermittler zwischen staatlichen Behörden und dem Gelehrten und Künstler.“ Hardts Rede zielte auf eine Professionalisierung der zivilen Propaganda und notwendige breite, nationale Weiterbildung ab. Er wünsche sich, dass die Propaganda ,,nicht wieder wie vor dem Kriege zufälliger privater Gelegenheit und Willkür oder behördlicher Unkenntnis allein überlassen, sondern von einem politischen Gewissen und einem politischen Bewusstsein geleitet und beherrscht sein möchte.“ Heinrich von Gleichen führte im Tätigkeitsbericht aus, dass die ,,Stimmungsschwankungen im eigenen Lande“ zu den Herausforderungen des Bundes gehörten.271 1918 war die Kriegszuversicht in weiten Teilen der Bevölkerung längst rückläufig und es sollte zur Aufgabe der Meinungsführer werden, ihre Ressourcen zur Verbreitung einzusetzen, um die ,,volksgemeinschaftliche“ Geschlossenheit aufrecht zu erhalten. Gleichen bilanzierte die Flugschriften, die seit 1916 herausgegeben worden waren und stellte fest, dass die 150 000 abgesetzten Exemplare für eine Verbreitung der ,,gedruckten Belehrung“ kaum ausreichten. Das ,,gesprochene Wort zu organisieren“ habe 268

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BArch Koblenz R 57/neu1004/12 Deutsches Auslands Institut/Bund Deutscher Gelehrter und Künstler: Drei Reden gehalten auf der Ersten Mitgliederversammlung im Sitzungssaal des Herrenhauses, Berlin 10. Mai 1918, S. 11–18, hier 18. DLA Marbach A: Borchardt: Brief (13.04.1917) Heinrich von Gleichen an Eduard von Bodenhausen. BArch Koblenz R 57/neu1004/12 Deutsches Auslands Institut/Bund Deutscher Gelehrter und Künstler: Drei Reden gehalten auf der Ersten Mitgliederversammlung im Sitzungssaal des Herrenhauses, Berlin 10. Mai 1918, S. 5–10. Ebd., S. 11–18.

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2. Konstruktion des Jungkonservatismus

mittlerweile zu 500 Vorträgen in über 200 Städten vor insgesamt 300 000 Zuhörern geführt und müsse ausgeweitet werden. Gleichens Rede zielte auf das intellektuelle Selbstverständnis seiner Zuhörer, die ihre geistige Überlegenheit breiter einsetzen sollten. Im Bund hätten sich Künstler und Gelehrte geistig vereinigt ,,mit festen Füßen und Händen, die sich zu keiner irgend geistigen Arbeit zu gut dünken“, die auf die ,,deutsche Kriegserde“ herabgestiegen seien. Dieses Bild enthielt alle Bestandteile, die Gleichens elitäres Denken vom geistigen Adel ausmachten, denn indem er die Intellektuellen ,,herabsteigen“ ließ, unterstrich er zugleich die ,,natürliche“ Trennung der Sphären oben und unten und wies die verantwortungsvolle Führungsaufgabe den oberen Schichten des Landes zu. In seinem Bericht über die Ernährungsschwierigkeiten im Land bis hin zur Einrichtung der ,,Aufklärungsabteilung Preußens für Volksernährung“, legte Gleichen darauf Wert, den Unterschied zu ,,jener Werbearbeit unserer Gegner“ herauszustellen. ,,Anstatt der amerikanischen Art der propagandistischen Suggestion durch Schlagwörter und Schlagbildwirtschaft“ würden die ,,sachlichen Aufklärungen“ der deutschen Vorträge an ,,das selbständige Denken der Zuhörer gerichtet“ sein. Schließlich liege die Aufgabe des Bundes ,,nicht auf dem Gebiete der Propaganda, sondern auf anderen Gebieten.“ Die Abgrenzung von der Feindpropaganda war ein naheliegendes Verfahren, um die eigene Position zu stärken. Zu den spezifisch deutschen Tugenden in der Propaganda zählte Gleichen vor allem die ,,sachliche Aufklärung“. Ähnlich wie vom Bund formuliert, setzte man auch im Deutschen Auslandssekretariat auf ,,sachliche Aufklärung“272 , um dem Ziel, so lückenlos als möglich über das Ausland Bescheid zu wissen, näher zu kommen. Neben der Überzeugungsarbeit im Inland sollte von hier aus die zivile Propaganda im und über das Ausland gesteuert werden. Der Direktor des Sekretariats Erich Lilienthal, der später auch für das Gewissen schrieb, bemühte sich noch im Juni 1918 im Auftrag der Regierung ,,ein möglichst vollständiges Verzeichnis der deutschen Auslandskenner aus allen deutschen Berufskreisen zusammenzustellen“.273 Das Sekretariat besaß eigene Archive und hatte Zugriff auf das Pressearchiv des Auswärtigen Amtes, so dass, zusammen mit den ,,Spezialkenntnissen“ der Experten, eine riesige Wissensregistratur aufgebaut werden sollte. So wie Gleichen und Lilienthal engagierte sich auch Walther Schotte an der Schnittstelle zwischen ziviler und amtlicher Propaganda und griff auf den kulturkritischen Diskurs der Vorkriegszeit zurück. 1917 arbeitete er in Berlin für den ,,Arbeitsausschuss für Mitteleuropa“ und gab eine Buchreihe ,,Der Deutsche Volksstaat. Schriften zur inneren Politik“ heraus. Nach eigenen Angaben hatte er unter anderem Theodor Heuss, Max Weber, Ernst Troeltsch und Ot272 273

Universitätsbibliothek Heidelberg Heid.Hs.4067/C2.29: Brief (12.06.1918) Erich Lilienthal an Geheimrat Prof. Dr. Hampe. Ebd.

2.2 Propaganda und Erster Weltkrieg

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to Hintze als Beiträger gewonnen. Einem Parlamentsmitglied kündigte er an, dass er selbst für die Veröffentlichung sein ,,Lieblingsthema ergriffen [hat]: ,Menschenfreiheit und Staatszwang‘ und [er] werde unter Verwertung meiner Ihnen bekannten geschichts-philosophischen Anschauungen die Fragen eines Kultur-Programmes erörtern“.274 Die hier vorgestellten Propagandisten verstanden ihre Aufgabe als einen vor allem sachlich notwendigen Dienst an der Nation. Weder überschäumender Hass noch eindeutig gewalttätige Impulse bildeten ihre Motivation, sondern der sendungsbewusste Glaube, durch akribische Informations- und Meinungsdichte und Expertenwissen die Bevölkerung von der Notwendigkeit eines Siegfriedens zu überzeugen. Diese Haltung ging in das Selbstverständnis des politischen Engagements der Nachkriegszeit wesentlich mit ein. Zudem blieben einige Propaganda-Institutionen auch nach dem verlorenen Krieg aktiv und setzten sich gegen den Versailler Vertrag ein, darunter Gleichens ,,Bund deutscher Gelehrter und Künstler“ oder Lilienthals ,,Auslandssekretariat“, das bis 1922 zusammen mit dem ,,Deutschen Schutzbund“ und dem Juni-Klub in der Motzstraße 22 existierte.275 Die Arbeit innerhalb der zivilen Netzwerke einerseits wie im amtlichen Propagandabereich der OHLA andererseits bildete die wichtigste organisatorische Grundlage, auf die der JuniKlub und die Gewissen-Redaktion aufbauten. Wie sich der Propagandadiskurs und das gestärkte intellektuelle Sendungsbewusstsein in der GewissenPublizistik niederschlugen wird im folgenden Abschnitt untersucht. 2.2.2 Die Spur der Kriegspropaganda im Gewissen Die ,,Kultur der Niederlage“ bildete in Deutschland unterschiedliche kollektive und sinnstiftende Elemente aus, die zur Erklärung von Vergangenheit und Gegenwart herangezogen wurden.276 Der Erste Weltkrieg war der erste totale Krieg in Europa gewesen und hatte spätestens nach seinem Ende jedes 274 275

276

Literaturarchiv der Monacensia/Stadtbibliothek München AKB: Brief (06.06.1917) Walther Schotte an Dr. Kerschensteiner, M.d.R. Vgl. etwa die ,,Einladung zu einer Protestkundgebung gegen die Kunstraubpolitik der Entente“ im März 1919 verbunden mit einer Bitte um Mitgliedschaft im ,,Bund deutscher Gelehrter und Künstler“. StBPrK Sammlung Darmstaedter/2m 1919/1920.256: Brief (29.03.1919) Heinrich von Gleichen an Prof. Darmstaedter. 1922 ging das Auslands-Sekretariat, vor allem wegen seiner Außenstände, im ,,Deutschen Schutzbund“ auf: BArch Berlin R 8039/1, Bl. 114, Deutscher Schutzbund – Schutzgemeinschaft: Abschrift ,,Generalversammlung des Deutschen Auslands-Sekretariat e. V. am 6. Nov. 1922 im Hause Motzstr. 22 zu Berlin“. Wolfgang Schivelbusch: Die Kultur der Niederlage. Der amerikanische Süden 1865, Frankreich 1871, Deutschland 1918, Berlin 2001; Ulrich Heinemann: Die verdrängte Niederlage. Politische Öffentlichkeit und Kriegsschuldfrage in der Weimarer Republik, Göttingen 1983. Vgl. auch Jost Dülffer/Gerd Krumeich (Hrsg.): Der verlorene Frieden. Politik und Kriegskultur nach 1918, Essen 2002.

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2. Konstruktion des Jungkonservatismus

Leben, jeden Alltag und oft jedes Denken beeinflusst und verändert.277 Verlust und Körperlichkeit waren mitten in der Gesellschaft angekommen. So unterschiedlich die Perspektiven auf diesen Krieg und so uneinheitlich das Kriegserleben gewesen waren, so sehr ähnelten sich die Übertragungen der strukturellen Interpretation dieser Erlebnisse in eine Meta-Geschichte während der Nachkriegszeit.278 Viele Themen und Argumentationsstrukturen im Gewissen entsprachen dem Propagandadiskurs des Krieges. Angefangen bei der Diskussion, auf welche Art und durch welche Vorbestimmungen Deutschland in den Krieg getreten sei, über die angeblich unberechtigte Einmischung der Entente in innerdeutsche Angelegenheiten bis zur Nahrungsmittelversorgung blieben diese Themen auch über die Zeit von Inflation und Stabilisierung hinweg präsent. Die Ausgangsannahme, dass Deutschland von der Entente wegen seiner kulturellen Überlegenheit eingekreist worden sei,279 wurde in der Nachkriegszeit nicht aufgegeben, sondern durch das Argument der kriegerischen Katharsis ausgebaut. Im Gewissen war diese Prämisse als Ausgangspunkt jeder weiteren Argumentation fest verankert, die zu radikalen politischen Forderungen führte. Insgesamt erschienen nur wenige Kriegserinnerungen im Gewissen oder wurde nur selten an konkrete Schützengrabenerfahrungen angeknüpft, jedoch arbeiteten die Autoren mit zahlreichen Bildern und Allegorien des Krieges. Die Unterscheidungen zwischen ,,Front und Etappe“, übertragen auf Grenz- und Binnendeutschtum oder, in Abwandlung der Dolchstoßlegende, auf ehrliche und korrupte Deutsche, gehörten zu den populärsten dieser Bilder.280 Sie waren durchsetzt von Symbolen der Gewalt, die zwischen 277

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Bernd-Jürgen Wendt: ,,Totaler Krieg“. Zum Kriegsbild der Zwischenkriegszeit, in: Rainer Hering/Rainer Nicolaysen (Hrsg.): Lebendige Sozialgeschichte. Gedenkschrift für Peter Borowsky, Wiesbaden 2003, S. 384–397, S. 385. Eine ,,fulminante“ Erfassung der Ereignisse bietet Gerhard Hirschfeld/Gerd Krumeich/Irina Renz (Hrsg.): Enzyklopädie Erster Weltkrieg, Paderborn 2003; vgl. auch den Forschungsüberblick Aribert Reimann: Von der Mentalität zur Spezialität? Neuere Forschungen zur Geschichte des Ersten Weltkrieges, in: Neue Politische Literatur, 49.2004 H. 2, S. 220–246. Die Meta-Geschichte, gespeist aus traumatischen Erinnerungen, setzte sich bis in die Geschichtsschreibung nach dem Zweiten Weltkrieg fort, umfassend erst erschüttert durch die Fischer-Kontroverse. ,,Den Krieg 1914–1918 gibt es also nur in Form von Metahistory, die als interpretative Struktur all diese Perspektiven und Einzelerzählungen zusammenfügt, deutet und analysiert.“ Matthias Karmasin: Der erste Weltkrieg als ,Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts‘, in: Faulstich: Zweite Jahrzehnt, S. 211–232, S. 213. Die deutsche Propaganda hatte schon während des Krieges darauf geachtet, die Überfall- bzw. Einkreisungsthese für den Ausbruch des Krieges zu verbreiten und renommierte Akademiker wie Friedrich Meinecke oder Hermann Oncken setzten sich öffentlich für die deutsche Kriegführung ein. Cornelißen: Politische Historiker. Werner Wirths (07.10.1919): Front oder Etappe, in: Gewissen, 1, H. 26, S. 4; Hutten [P] (09.05.1921): Frontstellung, in: Gewissen, 3, H. 19, S. 1; Eduard Stadtler (04.02.1920): Die wahre Einheitsfront, in: Gewissen, 2, H. 5, S. 1–2; Heinz Brauweiler (19.02.1923): Stärkung der inneren Front, in: Gewissen, 5, H. 7, S. 2.

2.2 Propaganda und Erster Weltkrieg

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Freund und Feind unterscheiden halfen. Diese Kategorien setzten sich in der politischen Öffentlichkeit und besonders in den rechten Medien durch, weil sie Fragen der Gegenwart ähnlich wie im Krieg existenziell begreifbar machten. So entstand ein ,,Wechselspiel zwischen der Brutalisierung, die durch den Krieg mit seiner aggressiven Kameradschaft und Männlichkeit gefördert wurde, und den Idealen, die eine bessere Zukunft für alle Deutschen zu verheißen schien.“281 Das Gewissen war einer der kommunikativen Katalysatoren dieses Wechselspiels. Die Gewissen-Autoren gehörten zu dem Teil der Intellektuellen, die mit dem Ende des Krieges ihr Weltbild nicht änderten, sondern zuspitzten und sich einer ,,kulturellen Demobilmachung“282 verweigerten. Ihre Reaktion entsprach einer verbreiteten Meinung ,,darüber, dass die deutsche Kriegspropaganda es nicht verstanden habe, die Massen anzusprechen“.283 Moeller galt nach 1919 als ein Experte auf dem Propagandafeld, den der Historiker und Reichsarchivar Paul Herre 1923 für einen entsprechenden Beitrag im Politischen Handwörterbuch engagierte. Darin stellte Moeller klar, Propaganda sei die ,,Kunst der Darstellung [...] wünschbarer Formen“ und Aufgabe der Presse sei es ,,eine Sache so darzustellen, dass andere durch diese Darstellung in ihrem Urteile beeinflusst werden“.284 Entsprechend des journalistischen Selbstverständnisses der Zwischenkriegszeit scheint diese Aussage eine durchaus mehrheitliche Meinung wiederzugeben. Diejenigen Intellektuellen, die nach dem Krieg ihr Weltbild änderten, boten hingegen Angriffsflächen für ehemalige Mitstreiter. Im Gewissen stritten sich etwa Herbert Eulenberg und Viktor Henning über die Ausgangsannahmen und Folgerungen des Ersten Weltkrieges. Eulenberg, Dramatiker und Ehemann von Moellers ehemaliger Frau Hedda, wie auch der Schriftsteller Henning hatten im Oktober 1914 den ,,Aufruf an die Kulturwelt“ unterschrieben, mit dem sich insgesamt 93 prominente Intellektuelle öffentlich für den Krieg einsetzten. Der Aufruf war populärer Ausdruck eines gelehrten Sendungsbewusstseins, das ganz ohne systematische Regierungsförderung initiiert worden war.285 Nach dem Krieg gehörte Eulenberg zur Minderheit 281 282

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284 285

George L. Mosse: Gefallen für das Vaterland: nationales Heldentum und namenloses Sterben, Stuttgart 1993, S. 221. John Horne: Kulturelle Demobilmachung. Ein sinnvoller historischer Begriff?, in: Wolfgang Hardtwig (Hrsg.): Politische Kulturgeschichte der Zwischenkriegszeit 1918–1939, Göttingen 2005, S. 129–150. Schivelbusch: Kultur, S. 269. Die verbreitete Überzeugung vom Versagen der deutschen Propaganda und mangelnden Vermittlung der Kriegsziele an die Öffentlichkeit trug nach 1918 u. a. zur Institutionalisierung und Etablierung der Publizistikwissenschaft bei. Hachmeister: Theoretische Publizistik, S. 25. Moeller van den Bruck: Propaganda, in: Paul Herre/Kurt Jagow (Hrsg.): Politisches Handwörterbuch, Band II, Leipzig 1923, S. 386–388. ,,Eine wahre Flut ähnlicher Aufrufe und Broschüren, Zeitschriften, Aufsätze und Bücher überschwemmte die deutsche Öffentlichkeit. Überwiegend aus diesem bildungsbürgerlichen Umfeld stammten allein bis Ende 1915 die 235 Bände mit Kriegslyrik und ein

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2. Konstruktion des Jungkonservatismus

derjenigen Unterzeichner, die sich von ihrer vorbehaltlosen Lobeshymne auf die deutsche Kriegspolitik distanzierten. In der Frankfurter Zeitung bekannte er sich 1919 zur Republik, woraufhin er im Gewissen der künstlerischen und persönlichen Schmähung anheimfiel. Victor Henning beschuldigte ihn, einen ,,Canossa–Gang“ angetreten zu haben mit, dem Eulenberg bewiesen habe, ,,daß er den eigentlichen Gehalt jenes Manifestes nie verstanden hatte – der ja nicht von der Richtigkeit dieser oder jener Tatsache abhängt – und damit den Ernst, die Verantwortlichkeit der Kundgebung für seine Person in ein sehr zweifelhaftes Licht rückte“.286

An der Grundaussage des Manifests zur deutschen kulturellen Überlegenheit hatte sich aus jungkonservativer Sicht, trotz ,,dieser oder jener Tatsache“, kaum etwas geändert. Vier Tage später schrieb Eulenberg mit ,,republikanischem Gruß“ eine Karte an Henning, in der er seinen Irrtum von 1914 nochmals bekannte, ,,dass wir diesen Krieg vom Zaun gebrochen haben und die Neutralität von Beginn zu Unrecht verletzt haben“.287 Nicht nur an Henning, sondern an die jungkonservative Verbindung insgesamt schien die Begründung gerichtet, dass er es für mutiger und richtiger halte, ,,sich, wenn man eingesehen hat, dass man falsch orientiert, d. h. belogen wurde, umzustellen, als bei seinem Unrecht stocksteif zu beharren“. Doch die ,,falsche Orientierung“, von der Eulenberg sprach, war nur zu geringerem Teil durch die undurchsichtige Nachrichtenpolitik der Reichsregierung verursacht, sondern speiste sich aus der vorangegangenen jahrzehntelangen kulturkritischen Auseinandersetzung und Überhöhung der deutschen Kultur, die die Intellektuellen selbst gepflegt hatten. Aus diesem Grund konnte sie eine erhebliche Resistenz gegenüber Veränderungen tagesaktueller Politik entwickeln. Aus der Aufrechterhaltung der Erinnerung an das vermeintliche Solidaritätserlebnis zu Beginn des Krieges und an das konkrete Erlebnis der Mobilmachung im August 1914 entwickelte sich in der Nachkriegszeit ein hochgradig symbolisch aufgeladenes Bild der Volkgemeinschaft. 288 Hatte der Krieg zunächst als Feuerprobe der nationalen deutschen Weltgeltung gegolten, änderte

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Großteil der anderthalb Millionen Kriegsgedichte, die 1 000 veröffentlichten Kriegspredigten und die 8000 Bände allgemeiner Kriegsliteratur.“ Wehler: Gesellschaftsgeschichte IV, S. 19. Victor Henning (04.11.1919): Das Manifest der Dreiundneunzig, in: Gewissen, 1, H. 30, S. 1–2. Heinrich-Heine-Institut Düsseldorf: Karte (09.11.1919) Herbert Eulenburg an Victor Henning. ,,Die Ängste und bangen Erwartungen, die Aufregung und das nationale Hochgefühl der demonstrierenden Massen fanden sich in einem machtvollen politischen Bild wieder, das nach dem Krieg zu einer Ikone werden sollte: der ,union sacrée’, der Volksgemeinschaft als einer erlebten, gezeigten und erwünschten Vereinigung der politischen Nation im Augenblick der Gefahr.“ Bernd Weisbrod: Die Politik der Repräsentation. Das Erbe des Ersten Weltkrieges und der Formwandel der Politik in Europa, in: Hans Mommsen (Hrsg.): Der Erste Weltkrieg und die europäische Nachkriegsordnung. Sozialer Wandel und Formveränderung der Politik, Köln 2000, S. 13–42, S. 30.

2.2 Propaganda und Erster Weltkrieg

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sich nach der Niederlage von 1918 die Interpretation um entscheidende Nuancen in die einer Katharsis, an der letztlich zu wachsen sei, um noch stärker als vorher zu werden.289 Im Folgenden wird die Funktion der kriegsgeprägten Argumentations- und Diskussionskultur in der unmittelbaren Nachkriegszeit anhand Eduard Stadtlers antibolschewistischen Beiträgen und Appellen an die ,,Volksgemeinschaft“ verdeutlicht. 2.2.3 Eduard Stadtlers Propagandakurs zwischen Antibolschewismus und Volksgemeinschaft Eduard Stadtlers politische Projekte in der unmittelbaren Nachkriegszeit und ihre kurzfristigen Erfolge zeigen, dass man nach jungkonservativem Selbstverständnis außen– wie innenpolitisch Einfluss üben wollte und auf reale politische Bedingungen durchaus Bezug nahm. Zum einen schienen solche Erfolge die Arbeit in der Gewissen-Redaktion und in der Ring-Bewegung zu bestätigen, zum anderen konnten Misserfolge als Fingerzeig für weitere intensive Überzeugungsarbeit gedeutet werden. Anders als Moeller, Boehm oder Gleichen hatte Stadtler während des Krieges nur kurz in einer offiziellen Propagandastelle gearbeitet, sich aber kontinuierlich um Veröffentlichungen über die Kriegssituation und insbesondere Russland bemüht. Stadtler hatte schon vor dem Krieg Erfahrung im Einsatz von Überzeugungsstrategien gesammelt, und setzte diese gepaart mit seinen Eindrücken aus Russland in sein intellektuelles Selbstverständnis der Nachkriegszeit um. Zwei Jahre vor Kriegsbeginn, Stadtler war 26 Jahre alt, arbeitete er im elsässischen Schuldienst, gleichzeitig an seiner Dissertation und engagierte er sich in der Zentrumspartei. Zunächst als Propagandist in eigener Sache, stellte er schon vor Kriegsbeginn Qualitäten wie Selbstbewusstsein und Streitlust unter Beweis. Im Streit mit der Schulbehörde, die ihn wegen seines politischen Engagements entlassen wollte, sah er sich im Recht und interpretierte er die Auseinandersetzung zugleich als schicksalhaften Anstoß seiner politischen Karriere.290 Offiziell wurde Stadtler wegen Dienstvernachlässigung belangt, aber er bemühte sich, in der Öffentlichkeit als gegängelter politischer Idealist wahrgenommen zu werden. Ein ähnliches selbstbeschreibendes Mus289

290

Petra Ernst (Hrsg.): Aggression und Katharsis. Der Erste Weltkrieg im Diskurs der Moderne, Wien 2004. Vgl. auch Joes Segal: Krieg als erlösende Perspektive für die Kunst, in: Mommsen: Kultur und Krieg, S. 165–170; Thomas Anz: Vitalismus und Kriegsdichtung, in: Mommsen: Kultur und Krieg, S. 235–247. Als konkreter Anlass des Verfahrens wurden fehlerhafte Heftkorrekturen angeführt. ,,Ich gebe zu, dass es bessere Uebergänge in die politische Karriere geben kann. Aber das ist nun meine Schuld nicht, wenn ehrgeizige Streberei eines Direktors und persönliche Missgunst eines parteilichen und voreingenommenen Ratgebers, wenn der pädagogische Uebereifer und der bürokratische Unverstands eines einseitig unterrichteten Oberschulrats und andere kleine Umstände zusammentreffen, um mich schneller,

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2. Konstruktion des Jungkonservatismus

ter, nach dem er politischer Willkür ausgesetzt sei, sollte Stadtler auch als Herausgeber des Gewissen verwenden, wie etwa im Fall des Gewissen-Verbots 1922.291 Da man ihm kurz vor dem Krieg einen Herzfehler attestierte, ging Stadtler dem einjährigen Wehrdienst auf legale Weise aus dem Weg, so dass er seine politische Karriere vorantreiben konnte. Von der Düsseldorfer ZentrumsZentrale aus beobachtete er die Presseveröffentlichungen zu seinem ,,Fall“ des Dienstvergehens. Er spann Intrigen gegen den Schuldirektor und buhlte bei seinem Doktorvater Martin Spahn um ein öffentliches Wort.292 Aber Spahn entgegnete ihm, er könne wenig mit der ,,gewaltsamen Umbiegung“ von Stadtlers Lebensverhältnissen anfangen und hielt sich mit persönlichmoralischer oder öffentlicher Unterstützung zurück. Anscheinend war Spahn unsicher, wie er den eigensinnigen Weg Stadtlers zu Beginn seiner politischen Karriere einschätzen sollte. Im Oktober 1912 sah sich Stadtler zwischen allen Stühlen sitzen, denn in Düsseldorf ließ eine feste Anstellung auf sich warten und seine Dissertation musste beendet werden. Zudem war seine Entlassung zwar zurückgenommen worden, aber eine Wiedereinstellung würde noch dauern. Derweil plagten ihn Depressionen.293 Stadtler entschied sich, für die Jugendorganisation des Zentrums, die ,,Windthorst-Bünde“, das Mitteilungsblatt herauszugeben. Über diesen Weg wollte er sich einem breiteren Publikum zuwenden. Kurz vor dem Krieg befürwortete er die kontinuierliche Aufrüstungspolitik der kaiserlichen Regierung und setzte er sich in seinen Vorträgen für die Wehrvorlage ein, mit der Deutschland neuerlich an der ,,Rüstungsspirale“ drehen wollte.294 Der Erfolg und die Resonanz beim Publikum schienen Stadtlers Selbstbewusstsein zu bestätigen. Nach einer Rede in Köln seien die Zuhörer ,,enthusiasmiert“ gewesen. ,,So viel schmeichelhaftes Lob ist mir noch nie zuteil geworden. Die Arbeitersekretäre erklärten sich glatt und ohne Rückhalt von meiner Auffassung überzeugt, trotzdem sie mit gewichtigen Bedenken und mit der grössten Lust zum Widerspruch gekommen waren. Was den Leuten besonders gefiel, war, daß ich den volkspsychologischen Hintergrund in seiner Breite und Tiefe schilderte. Das ist meiner Auffassung nach die einzige Methode, um dem

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als ich dachte, in diese Karriere hineinzustürzen.“ BArch Koblenz N324/3 NL Martin Spahn: Brief (14.09.1912) Eduard Stadtler an Martin Spahn. Vgl. in Kap. II ,,Im Spannungsfeld: Intellektuelle und Politik“. BArch Koblenz N 324/3 NL Martin Spahn: Brief (26.09.1912) Eduard Stadtler an Martin Spahn. BArch Koblenz N 324/3 NL Martin Spahn: Brief (10.10.1912) Eduard Stadtler an Martin Spahn. Seit 1893 war der deutsche Heeresausbau in sechs Heeresvorlagen vorangetrieben worden. 1913 folgte die größte und kostenintensivste Aufstockung, auf Frankreich und Russland unverzüglich reagierten. Hans Ulrich Wehler: Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Dritter Band. Von der ‘Deutschen Doppelrevolution’ bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges 1848–1914, München 1995, S. 1110–1114.

2.2 Propaganda und Erster Weltkrieg

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Volk den U m f a n g der Wehrvorlage verständlich und zweckmäßig erscheinen zu lassen.“295

Die emotional-moralische Bindung seiner Zuhörer dürfte Stadtler gelungen sein, weil seine Rhetorik darauf beruhte, politische Sachverhalte meist in ganzheitliche Vorstellungen von Politik zu betten. Was Stadtler einen ,,volkspsychologischen Hintergrund“ nannte, war seine Fähigkeit, die Bedeutung rein machtpolitischer Maßnahmen als notwendige Bedingungen für das gesamte Volk zu deuten und abstrakte politische Vorhaben in ihren Auswirkungen auf die konkreten Lebensbereiche der Zuhörer zu übertragen. Während dieser Phase dürfte Stadtler auch schon gelernt haben, dass, je konkreter er Gefahren und Feinde benannte, er umso mehr Nähe zu den Zuhörern schaffen konnte. Diese schlichte und populistische Argumentationsstruktur wandte Stadtler später auch in seinen Gewissen-Artikeln an. Zu Beginn des Krieges veröffentlichte Stadtler in der Buchreihe ,,Der Weltkrieg“ eine Broschüre über das ,,deutsche Nationalbewusstsein“ und er nahm Kontakt mit dem Hochland-Herausgeber Carl Muth auf, von dem er sich Unterstützung erhoffte.296 Nachdem Stadtler im Herbst 1915 an der Westfront eingesetzt worden war, zog die Armeeleitung das elsässische Regiment im Winter wieder ab, in das sie wenig Zutrauen zu haben schien. Stadtler gab nicht zu erkennen, dass er durch diesen Vorgang in seinem Nationalbewusstsein gekränkt war, sondern äußerte nur den lapidaren Hinweis ,,Pflicht ist Pflicht“.297 Während eines Fronturlaubs vertiefte er sich schließlich in Veröffentlichungen von Rudolf Kjellén über die ,,Ideen von 1914“ und er sah sich bestätigt, habe er doch schon in seiner letzten Veröffentlichung diese Ideen selbst formuliert.298 Nur wenige Wochen nach Beginn seines neuen Fronteinsatzes im Sommer 1916 geriet Stadtlers Regiment in russische Kriegsgefangenschaft. In Karten aus dem Gefangenenlager berichtete Stadtler von ,,völlige]r] Freiheit“, die die Gefangenen genießen würden. ,,Ich selbst wohne in der Stadt, gebe Privatunterricht, studiere und halte Vorträge für Kameraden und Zivilinteressierte.“299 Während seiner Gefangenschaft lernte Stadtler Russisch und Türkisch und vertiefte anhand russischer Bücher und Zeitschriften seine Kenntnisse über die Auswirkungen der Russischen

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BArch Koblenz N 324/3 NL Martin Spahn: Brief (12.04.1913) Eduard Stadtler an Martin Spahn. Bayerische Staatsbibliothek München ANA 390 II.A: Brief (16.08.1915) Stadtler an Carl Muth; Brief (26.08.1915) Stadtler an Carl Muth. Bayerische Staatsbibliothek München ANA 390 II.A: Brief (28.02.1916) Stadtler an Carl Muth. Vgl. auch Koenen: Russland-Komplex, S. 234. Rudolf Kjellén: Die Ideen von 1914: eine weltgeschichtliche Perspektive, Leipzig 1915. Bayerische Staatsbibliothek München ANA 390 II.A: Brief (09.03.1916) Stadtler an Carl Muth. Bayerische Staatsbibliothek München ANA 390 II.A: Brief (10.02.1918) Stadtler an Carl Muth.

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2. Konstruktion des Jungkonservatismus

Revolution und den Bolschewismus.300 Stadtler faszinierten die grundlegenden Veränderungen des russischen Staatssystems und er äußerte den dringenden Wunsch, sobald er wieder in Deutschland sei, an der deutschen ,,Neuorientierung“ mitzuarbeiten.301 Im Mai 1918 ,,schlug er sich auf eigene Faust“ nach Moskau zur Deutschen Botschaft durch, wo er sich ,,als Kenner der russischen Verhältnisse“ anbot.302 Stadtler arbeitete bis August als Mitarbeiter des deutschen Presseattachees und entwickelte nach eigener Aussage einen ,,Bolschewismusfimmel“, mit dem er, wieder in Berlin, bei offiziellen Stellen auf weniger Enthusiasmus stieß als erwartet.303 Im August 1918 begab Stadtler sich auf eine ,,Vortragstournee“ durch Deutschland, ,,um über Russland zu berichten.“304 Zurück in Berlin schrieb Stadtler Anfang November – nachdem SPD und Zentrum an der Regierung beteiligt worden waren, aber noch vor den flächendeckenden Erhebungen von Soldaten und Arbeitern – an Carl Muth über die Gründung der ,,Vereinigung für nationale Solidarität“ mit ,,jungen Leuten aus verschiedenen Parteirichtungen, Sozialisten, linksliberale, nationalliberale, konservative und Zentrum. Uns eint der konservativ–nationale Grundgedanke und die Sozialidee“.305 Er bat um eine baldige Veröffentlichung eines Artikels im Hochland, denn ihm liege daran, ,,dass möglichst schnell die konservativen Kräfte sich auf einem neuen Boden sammeln“. Stadtlers parteipolitische Erfahrungen, seine Erlebnisse in Russland und die Bemühungen um Publikationen und politische Organisation noch vor der Novemberrevolution in Deutschland, decken die Beschaffenheit des rechtsintellektuellen Sendungsbewusstseins in der Frühphase der Weimarer Republik auf. Das jungkonservative politische Engagement der Nachkriegszeit war nicht in erster Linie eine Reaktion auf die veränderten Verhältnisse, sondern bezog sich auf eine selbstbewusste und fordernde Haltung, die seit der Vorkriegs- und während der Kriegszeit verstärkt Resonanz und Bestätigung gefunden hatte. Der von Stadtler angesprochene ,,konservativenationale Grundgedanke“, der zum Umbau des deutschen Staatswesens führen sollte, war von ihm während des Krieges für die Zeit danach entwickelt worden. Er kombinierte seine persönlichen Erlebnisse mit den kursierenden Russlandphobien und erklärte den Bolschewismus mit der Veranlagung des russischen Volkes. Indem der Bolschewismus mit dem russischen Volk 300 301 302 303 304 305

Bayerische Staatsbibliothek München ANA 390 II.A: Brief (13.10.1917) Stadtler an Carl Muth. Bayerische Staatsbibliothek München ANA 390 II.A: Brief (10.02.1918) Stadtler an Carl Muth. Koenen: Russland-Komplex, S. 235. Ebd., S. 236. Bayerische Staatsbibliothek München ANA 390 II.A: Brief (12.08.1918) Stadtler an Carl Muth. Bayerische Staatsbibliothek München ANA 390 II.A: Brief (02.11.1918) Stadtler an Carl Muth.

2.2 Propaganda und Erster Weltkrieg

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gleichgesetzt wurde, ließ sich in Deutschland die Gefahr heraufbeschwören, von ,,russischen Horden“ und gleichzeitig einer ,,roten Flut“ überrannt und überschwemmt zu werden.306 Stadtler attestierte dem Bolschewismus das Potenzial, zur ,,Weltrevolution“ auszuarten, wenn nicht Gegenmaßnahmen in Deutschland ergriffen würden. Die Auflösung aller deutschen Kulturwerte schien auf dem Spiel zu stehen, wogegen nur eine konservative und nationale Ausrichtung helfe.307 Stadtlers Entwicklung der folgenden Monate zeigte, dass seine Propaganda, anders als die von ihm verwendeten Begrifflichkeiten vermuten ließen, inhaltlich nichts mit sozialistischen Ideen zu tun hatte. Seine antibolschewistischen Plädoyers, in denen er die Räteeinrichtungen forderte und das Ende des Kapitalismus vorhersagte, skizzierten vielmehr ein ,,(gegen-)revolutionäres Projekt“ zum Sowjet-Kommunismus, um eine ,,elitär–egalitäre und militarisierte Sozialformation“ zu schaffen, ,,welche als Basis einer erneuten imperialen Machtentfaltung nach außen dienen konnte“.308 An der Spitze dieses Projektes sah Stadtler sich selbst als eine Art Volkstribun.309 Bevor er die Herausgabe des Gewissens übernahm, organisierte Stadtler Ende 1918 und Anfang 1919 das ,,Generalsekretariat zum Studium des Bolschewismus“, ab Januar unter der Bezeichnung ,,Antibolschewistische Liga“. In zeitgenössischer Kriegsrhetorik äußerte Stadtler seinen festen Entschluss, dass er ,,das Schlachtfeld gegen den Bolschewismus gerade in Berlin nicht verlassen werde“.310 Von der Berliner Einrichtung aus sollte die Liga eine deutschlandweite Bewegung zur Abwehr des Bolschewismus bilden. Das Generalsekretariat nahm im Januar 1919 seine öffentliche Arbeit auf und wurde von seinem Freund, dem Journalisten Siegfried Doerschlag geleitet, den Stadtler in russischer Kriegsgefangenschaft kennen gelernt hatte. Cäsar von Schilling übernahm die ,,wissenschaftliche Abteilung“, Heinz Fenner unterstützte die ,,Presseabteilung“.311 Alle drei Mitarbeiter kamen ursprüng306

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,,Die Niederlage Deutschlands im Krieg und die revolutionäre Veränderung der Verhältnisse in und um Deutschland unter dem Bild der Flut aufzufassen, scheint also möglich zu werden durch die Vorstellung von äußeren Einbrüchen und inneren Dammbrüchen, als deren Folge freigesetzte Triebe, die ihr von der wilhelminischen Gesellschaft vorgeschriebenes, erzwungenes Bett verlassen, frei fließend über die Ufer treten.“ Klaus Theweleit: Frauen, Fluten, Körper, Geschichte. Männerphantasien; Bd. 1, Reinbek bei Hamburg 1980, S. 238–239. Koenen: Russland-Komplex, S. 379–382. Ebd., S. 328. Stadtler bezog sich zudem eher auf den bürgerlichen Teil der Rätebewegung, sein Vortrag im November in der Berliner Philharmonie fand im Rahmen einer BürgerratKundgebung statt. Für weitere Hinweise Hans-Joachim Bieber: Bürgertum in der Revolution, Hamburg 1992, S. 179 FN 30. BArch Koblenz N 1324/3 NL Martin Spahn: Brief (11.02.1919) Eduard Stadtler an Martin Spahn. Koenen: Russland-Komplex, S. 240. BArch Koblenz N 1077/1 NL M. H. Boehm: Max Hildebert Boehm, Um das gefährdete Deutschtum, S. 147. Doerschlag veröffentlichte

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2. Konstruktion des Jungkonservatismus

lich aus dem Baltikum, brachten also persönliche Erfahrungen aus dem Grenzverhältnis zu Russland mit. Sie veröffentlichten 1919 auch im Gewissen, danach brach die berufliche Verbindung zu Stadtler ab. Seit Ende November 1918 wurde Stadtler vom DNVP-Politiker Karl Helfferich unterstützt, für den er während seiner Zeit an der Botschaft in Moskau gearbeitet hatte. Auch der Großindustrielle Hugo Stinnes,312 sowie verschiedene Bankenvorstände förderten ihn, die in Stadtlers Vortragstätigkeit eine Möglichkeit sahen, sich mit Teilen der Rätebewegung zu arrangieren, ohne auf wesentliche Rechte und ihr Privateigentum verzichten zu müssen. Für die handfesten Interessen der Unternehmer waren in den unsicheren Zeiten nach der Revolution von 1918 Agitatoren wie Stadtler besonders wichtig, denn von ihnen versprach man sich kurzfristige Wirkungen in Arbeiter- und Angestelltenkreisen. Solche gezielten und mit erheblichen Geldmitteln ausgestatteten Förderungen von Wirtschaftsseite waren in dieser Phase nicht ungewöhnlich, in der die zukünftige Wirtschaftsordnung des Landes ausgehandelt wurde und aus Unternehmersicht vor allem Sozialisierungen zu verhindern waren. Stadtlers antibolschewistische Propaganda trat arbeitnehmerfreundlich auf und verwandte populäre Begrifflichkeiten der Rätebewegung, aber verschleierte zugleich, dass der status quo der Unternehmerrechte unangetastet bleiben sollte.313 Darüber hinaus dürften Unternehmer ähnlich wie Regierungspolitiker darauf gehofft haben, dass die ,,Furcht vor einem Übergreifen des Bolschewismus nach Mitteleuropa und das Angebot aktiver Abwehr eine Milderung der alliierten Waffenstillstandbedingungen“ bewirken könnten.314 Während des Winters 1918/19 konnte Stadtler die politische Anspannung in Berlin wegen der kaum abwägbaren Gefahr aus Russland nutzen, um seine Position zu stärken. Am Vorabend des Spartakus-Aufstandes traf er mit Reichswehrminister Noske zusammen. Stadtler meinte sogar zu erkennen, dass Noskes Radikaltaktik gegen die Spartakisten auf seine, Stadtlers, ,,suggestiven“ Aussagen während des Gesprächs zurückzuführen sei.315 Die Tatsache, dass er beauftragt wurde, vor Reichswehrtruppen antibolschewistische Vorträge zu halten, schien dies zu bestätigen. Stadtler hatte demnach Erfolg in Berlin. Stadtler erwartete auch von seinem Doktorvater und intellektuellen

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lediglich einen Artikel im Gewissen; von Schilling veröffentlichte bis Ende 1920 drei Artikel, Fenner berichtete 1919 in sieben Artikeln über die Lage in Russland. Gerald D. Feldman: Hugo Stinnes. Biographie eines Industriellen 1870–1924, München 1998, S. 553. Vgl. auch in Kap. II ,,Wirtschaftsautoritarismus“. Koenen: Russland-Komplex, S. 195. ,,Ich habe ihm das Beispiel Bismarck’s [sic], der als Konservativer auch gegen die konservativen Parteien regierte, suggestiv vor Augen gehalten. Mein Eindruck war der, dass die Unterredung nicht umsonst war.“ BArch N 1324/3 NL Martin Spahn: Brief (10.01.1919) Eduard Stadtler an Martin Spahn.

2.2 Propaganda und Erster Weltkrieg

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Vorbild Martin Spahn persönliche Teilnahme an den politischen Unternehmungen in Berlin. Umso enttäuschter zeigte er sich im Briefwechsel über dessen ,,Fernbleiben“ von den wichtigen politischen Ereignissen. Stadtler wie auch Spahn waren zu diesem Zeitpunkt noch Mitglied im Zentrum, aber fassten ihr politisches Engagement völlig unterschiedlich auf. Stadtler musste zur Kenntnis nehmen, dass Spahn ,,zu wenig Aktivist geworden“ war, ,,um eifrig mitzumachen“316 , umso mehr drängte er ihn in jedem Brief, ein öffentlichkeitswirksames politisches Amt auszuüben, mindestens aber seine politische Meinung an prominenter Stelle zu veröffentlichen. Stadtler setzte Spahn unter Druck: ,,Es sind grosse Opfer, die von Ihnen verlangt werden, aber es muss Ihnen vor Augen stehen, dass Sie den eigentlichen Frontdienst mit den entsprechenden Opfern noch nicht hinter sich haben.“317 Neben der Wertschätzung seiner eigenen Fähigkeiten hoffte Stadtler, dass die Präsenz des anerkannten Wissenschaftlers und Politikers Spahn in Berlin auch seine Reputation erhöhen würde. Stadtlers Briefe an Spahn setzten sich deshalb aus Bitten, Provokationen und eigenen Erfolgs-Bilanzen zusammen, die den Doktorvater anscheinend beeindrucken sollten. Als Stadtler etwa am 10. Januar 1919 von einer Versammlung heimkehrte, musste er im Postskriptum an Spahn seinen Erfolg und seine Mühe mitteilen: ,,Komme überhaupt nicht zur Ruhe.“318 Die Versammlung, von der Stadtler berichtete, war auf Betreiben Helfferichs und Paul Mankiewitz von der Deutschen Bank einberufen worden, die 40 ,,führende Persönlichkeiten der deutschen Industrie-, Bank und Handelswelt“ eingeladen hatten, um unter anderem Stadtlers Vortrag ,,Bolschewismus als Weltgefahr“ zu hören.319 Das Resultat von Stadtlers Überzeugungsarbeit war die Einrichtung eines ,,Antibolschewistenfonds der Wirtschaft“, an dem sich unter anderem Hugo Stinnes, Albert Vögler, Ernst Borsig und Carl Friedrich von Siemens beteiligten. Mit Hilfe des Fonds konnte die ,,Antibolschewistische Liga“ in den nächsten Wochen ihr Organisationsnetz erheblich ausweiten; es bildeten sich Ortsgruppen ,,von Hamburg bis Königsberg und von Düsseldorf bis Breslau“.320 Zur gleichen Zeit erschien ein Aufruf der Liga ,,An alle Parteien, an alle Stände, an alle Stämme des Deutschen Reiches“, unter anderem unterschrieben von Stadtler, Heinrich von Gleichen, Adolf Grabowsky, Friedrich Naumann, Adam Stegerwald, Ernst Troeltsch, Maximilian Pfeiffer, Siegfried Dörschlag und Joachim Tiburtius.321 Zwei Entwicklungen führten jedoch dazu, dass ihm Teile der Unterneh316 317 318 319 320 321

Ebd. BArch Koblenz N 1324/3 NL Martin Spahn: Brief (21.03.1921) Eduard Stadtler an Martin Spahn. BArch Koblenz N 1324/3 NL Martin Spahn: Brief (10.01.1919) Eduard Stadtler an Martin Spahn. Schwierskott: Arthur Moeller, S. 50. von Klemperer: Konservative Bewegungen, S. 117–118. Schwierskott: Arthur Moeller, S. 54.

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mer nach einiger Zeit das Vertrauen entzogen. Zum einen bedeutete die Einberufung der Nationalversammlung im Januar 1919 die Absage an ein Rätesystem und damit positive Aussichten für Kapitaleigner, zum anderen ließen Stadtlers Vorträge und Texte wenig erkennen, dass seine Vorschläge auch groß-unternehmerfreundlich waren. Die Aussage, dass eine ,,verantwortliche Arbeitsgemeinschaft aller Produktionskräfte“ als Gegenmaßnahme zum ,,Parteisozialismus“ gebildet werden müsse, war aus Sicht der Industrie unbefriedigend. Vielmehr erschien ihnen Stadtlers Propaganda einseitig für die Interessen des Mittelstandes zu werben. 322 Ein weiterer Grund für die Auflösung der ,,Antibolschewistischen Liga“ noch im Jahr 1919 lag in Stadtlers Zusammengehen mit Heinrich von Gleichen. Schon im Oktober 1918 hatte Gleichen in den Räumen der ,,Deutschen Gesellschaft von 1914“, mit der der ,,Bund Deutscher Gelehrter und Künstler“ eng zusammengearbeitet hatte, die ,,Vereinigung für nationale und soziale Solidarität“, kurz ,,Solidarier“ gegründet. Cäsar von Schilling und Stadtler waren mit von der Partie; Stadtlers Kontakt zum katholischen Gewerkschafter Franz Röhr führte dessen Chef Adam Stegerwald mit den Solidariern zusammen. Als Gleichen zur Gründung der ,,Solidarier“ einlud, hatte Stadtler sich schon am Ziel seiner antibolschewistischen ,,Machtphantasien“ und an der Spitze einer ,,neuen aktivistischen Volksbewegung“ gesehen.323 Aber Gleichens Idee war der Aufbau eines kleinen, einflussreichen Kreises, die kaum dem kruden Plan Stadtlers von einer nationalistischen Levée en masse entsprach. Es birgt eine gewisse Ironie, dass ausgerechnet die vom adeligen Heinrich von Gleichen gegründete exklusive Solidarier-Vereinigung auf Stadtlers massenorientierte Liga Einfluss nahm und ihr Ende beeinflusste. Dieser Verlauf dürfte unter anderem an den persönlichen Fähigkeiten der beiden Männer gelegen haben. Stadtler war zwar stark in der Rede ,,und auch in der Wirkung des geschriebenen Wortes“, aber Gleichen war überlegen, wenn die organisatorische Umsetzung tagesaktuellen Anforderungen entsprechen musste.324 Die Netzwerkarbeit im Vorfeld der Ring-Bewegung war mehr durch Gleichens Verbindungen und Weichenstellungen geprägt, als durch Stadtlers antibolschewistisches Großprojekt. Auch hier mag Stadtlers diffuse Rhetorik, die zwar schmissig aber inhaltlich nicht immer logisch war, das Urteil über seine Zuverlässigkeit beeinflusst haben. Ein Stimmungsbericht über einen StadtlerVortrag im Zirkus Busch, der in der sozialistischen Freiheit erschien, vermittelte einen anschaulichen Eindruck seiner Haltung und Rhetorik:

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Vgl. Eduard Stadtler (03.05.1919): Die Idee der Weltrevolution, in: Gewissen, 1, H. 4, S. 1. Über Stadtlers Verbindung zum Berliner Bürgerrat und die antibolschewistische Propaganda des Bürgerrates, vgl. Bieber: Bürgertum, S. 196–204, 224–228, 239–245. Koenen: Russland-Komplex, S. 236–237. BArch Koblenz N 1077/1 NL M. H. Boehm: Max Hildebert Boehm, Um das gefährdete Deutschtum, S. 147.

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,,Ueber die deutsche Notgemeinschaft sprach Eduard Stadtler am Sonntagmorgen im Zirkus Busch. In diesem war folgendes beieinander: gähnende Leere, fühlbare Kälte, denn der Atem fror bald in der Luft, Ungemütlichkeit, Löwengebrüll, das Trompeten eines Elefanten und Dr. Stadtlers Stimme, hart, unangenehm, aber durchdringend. Der Redner bewegte sich wunderbar geschickt auf Gemeinplätzen. Er sprach von der Not, den eigenen Nöten; den Nöten der Umgebung, der Gesamtnot, der Schichtnot, der Volksnot, der Not der Zeit und schilderte den einzelnen als Repräsentanten der Not. Dann lief er Sturm gegen die Parteien, was allen denen außerordentlich behagte, die in der Partei der Parteilosen (dem Ring) eine Rolle zu spielen gedenken. Dazwischen ging der eine in den Zirkus, um sich zu wärmen, der andere lief weg, weil es ihm zu kalt war und jeder bekam ,Das Gewissen’ gratis. Dabei sprach Dr. Stadtler rührend und flammend von dem Gewissen, freilich ganz außer acht lassend, dass das Gewissen des einzelnen sich in einem recht verschiedenartigen Zustand befindet. Praktische Vorschläge wurden nicht gemacht.“325

Schon im Februar 1919 musste Stadtler, auch auf Anraten Gleichens, seine ,,Antibolschewistische Liga“ in ,,Liga zum Schutz der deutschen Kultur“ umbenennen, um klarzustellen, ,,dass unser ,Antibolschewismus‘ unter keinen Umständen nur negativ sei oder gar eine Spitze gegen die Arbeiterschaft enthalte“.326 So wie die Unternehmer konstruktive Beiträge zu ihrer wirtschaftlichen Position in Stadtlers Vorträgen vermissten, fanden sich auch Arbeitnehmer nicht mehr in der Anti-Rhetorik Stadtlers wieder. Die Umbenennung sollte laut Stadtler deutlich machen, dass diese ,,Liga“ dazu beitrage, den ,,Bolschewismus geistig zu überwinden“.327 Im April vermeldete er optimistisch: ,,Unsere Liga-Bewegung trägt jetzt schon einen starken, positiven Zug, und wir wirken direkt sowohl auf den Kreis der Industriellen, wie auf die kommunistische Bewegung.“328 Wie weit Stadtler tatsächlich Kontakte pflegte oder ob er sich seiner Bedeutung anhand seines Optimismus versichern wollte, kann nicht endgültig beantwortet werden. Tatsache ist, dass auch diese ,,Liga“ und ebenso ein weiteres Projekt, das Stadtler ins Leben rief

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BArch Berlin R 8034/III 446 Presseausschnittsammlung – Reichslandbund: Personalia Eduard Stadtler [91]: N. N. (13.12.1920): Das rettende Gewissen, in: Freiheit, Nr. 609. Eine weitere Charakterisierung aus zeitlichem Abstand: ,,Stadtler war ein unermüdlicher Kämpfer, mehr Demagoge als Politiker, mehr Wirrkopf und Wichtigmacher als Fachmann mit echtem Können. Das Miterleben der bolschewistischen Revolution wurde das entscheidende Ereignis seines Lebens; es brachte ihn so weit, dass er sich als Autorität über Russland ausgeben konnte und als einer der führenden Antibolschewisten Deutschlands angesehen wurde.“ von Klemperer: Konservative Bewegungen, S. 116. Zitiert nach Koenen: Russland-Komplex, S. 248. BArch Berlin R 8005/485 Deutschnationale Volkspartei [5–9]: Brief (März 1919) Antibolschewistische Liga, i. A. Fuchs an den Reichsfrauenausschuss der deutschnationalen Volkspartei, Anhang: Bericht des Vortrags von Rechtsanwalt Henning am 13.3. in den Räumen des Lyceum-Clubs. BArch Koblenz N 1324/3 NL Martin Spahn: Brief (05.04.1919) Eduard Stadtler an Martin Spahn.

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2. Konstruktion des Jungkonservatismus

(,,Vereinigung für parteifrei Politik“329 ) im Verlauf der nächsten beiden Jahre keine Unterstützung bei politisch einflussreichen Persönlichkeiten fanden.330 Stadtlers Engagement in der unmittelbaren Nachkriegszeit baute auf der Idee auf, anhand eines bolschewistischen Bedrohungsszenarios politische und wirtschaftliche Interessengruppen in Deutschland zu solidarisieren. Dabei unterschätzte er zu diesem wie zu späteren Zeitpunkten, dass die Unternehmer in erster Linie ihre wirtschaftlichen Interessen verfolgten und sich nicht verpflichtet sahen, den während der Kriegszeit etablierten ,,organisierten Kapitalismus“ als politisches Projekt fortzusetzen. Außerdem war ,,das Thema des Antibolschewismus in der monomanen Form, in der Stadtler es vertrat“ bis Mitte 1919 ,,erschöpft“, als das stärker bindende und konkretere Thema ,,Versailler Vertrag“ die Öffentlichkeit bestimmte.331 Um auf der politischen Bühne verbleiben und Einfluss üben zu können, musste Stadtler auf die ,,Solidarier“ und Heinrich von Gleichen setzen.332 2.2.4 Grenzen des Propagandadiskurses im Elite-Konzept des Gewissens Werner Wirths und Franz Schauwecker, die den Krieg freiwillig und unmittelbar an der Front erlebt hatten, schrieben regelmäßig im Gewissen. Die Aufbereitung des Kriegserlebnisses in ihren Texten entsprach einer verbreiteten Tendenz, die unmittelbare Kriegserfahrung den politischen Optionen und Handlungen in der Nachkriegszeit an die Seite zu stellen. Politische Akteure waren auf diese Weise mit einer unerfüllbar hohen, utopischen Erwartung konfrontiert. Der programmatische Sammelband der Ring-Bewegung, in dem Werner Wirths seine Erinnerung an die ,,Blutgemeinschaft“ ausführte, hieß bezeichnenderweise ,,Die Neue Front“: 329

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,,Durch die Vereinigung wie durch das Aktionsprogramm möchte ich den Weg weisen, der zu einer politischen Tat führt, ohne dass wir der Anarchie einer proletarischen Diktatur im Parteisinne verfallen.“ BArch Koblenz N 1324/3 NL Martin Spahn: Brief (28.04.1919) Eduard Stadtler an Martin Spahn. Vgl. die Auseinandersetzung um die Führung der Liga: BArch Koblenz N 1324/3 NL Martin Spahn: Briefe (08.02.1921 und 07.03.1921) Eduard Stadtler an Martin Spahn. Im Gewissen äußerte sich Stadtler im Januar 1920 über die fatale Entwicklung der Liga, auf die immer mehr Politiker versuchten, Einfluss zu nehmen. Eduard Stadtler (07.01.1920): Zum Geleit. Vom Herausgeber, in: Gewissen, 2, H. 1, S. 1. Ein Bericht von 1923, lange nachdem Stadtler ausgeschieden war, wies auf eine ausgedehnte Organisationsstruktur in deutschlandweite Landesgeschäftsstellen hin, auf zahlreiche Vorträge und Kurse, sowie verschiedene Pressekorrespondenzen. BArch Berlin R 1507/471, Reichskommissar für Überwachung der öffentlichen Ordnung, Nachrichtensammelstelle im Reichsministerium des Innern / Organisationen, Institute und Bewegungen mit bestimmten einzelnen Zielen: 21.02.1923 Bericht über die Liga zum Schutze der deutschen Kultur e.V., gez. Runge. Koenen: Russland-Komplex, S. 328. Ebd., S. 248-252.

2.2 Propaganda und Erster Weltkrieg

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,,Wir wollen zum Erlebnis zurück. Wir suchen aus dem Geschehen, das hinter uns liegt, den Sinn, den es nicht mehr zu geben scheint. Wir suchen ihn in der Zukunft. Wir stellen die Frage an das Schicksal und wollen die Antwort. [...] Aber der Betrug wird erst enden, wenn wir zu dem großen Erlebnis der mit Blut bezahlten Schicksalsgemeinschaft zurückfinden, als die wir den Krieg begannen.“333

Diese Erwartungshaltung ließ eine Perspektive auf die politische Gegenwart erkennen, die nicht darauf aus war, politische Optionen zu prüfen und sie mit jungkonservativen Vorstellungen abzugleichen. Vielmehr definierte sie Politik grundlegend um, indem Politik nicht länger als Mittel zum Zweck nationaler Einigkeit, sondern als eine Erlebnisform gesehen wurde. Die Gegenwart bezeichnete Wirths als ,,Betrug“, eine nationale Zukunft erschien ihm nur erreichbar, wenn alle Deutschen ,,zurückfinden“ zur ,,Schützengrabengemeinschaft“. Die politische Gegenwart zu überwinden schien nur durch ein Erlebnis solcher Art möglich. Einen ähnlichen Erlebnis-Begriff entwarf Franz Schauwecker, der zwischen 1923 und 1925 im Gewissen veröffentlichte.334 Er war Jahrgang 1890 und gehörte als Vertreter der ,Frontgeneration‘ zu den jungen Autoren im Gewissen. Von Beginn an hatte er am Krieg teilgenommen und war ,,vom einfachen Soldaten zum Kompaniechef “ avanciert.335 Ohne sein Examen nachzuholen, verfasste Schauwecker nach dem Krieg als freier Schriftsteller zunächst ,,unpolitische Novellen“.336 Nach seinem ersten Roman 1919 ,,Im Todesrachen“ und durch den Beginn seines Briefwechsels mit Ernst Jünger kurz danach, rückten die Kriegserlebnisse als Vehikel radikaler politischer 333

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Werner Wirths: Das Erlebnis des Krieges, in: Moeller van den Bruck/Heinrich von Gleichen/Max Hildebert Boehm (Hrsg.): Die Neue Front, Berlin 1922, S. 76–79. Vgl. auch zu diesem Zitat: Thomas Mergel: Führer, Volksgemeinschaft und Maschine. Politische Erwartungsstrukturen in der Weimarer Republik und dem Nationalsozialismus 1918– 1936, in: Hardtwig: Politische Kulturgeschichte, S. 91–127, S. 100. ,,Daneben publizierte er auch im ,Vormarsch‘, ,Jahrbuch‘, [. . . ] ,Völkischen Beobachter‘, ,Stahlhelm-Student‘, ,Stahlhelm Jahrbuch‘, [. . . ] ,Der Tag‘, ,Widerstand‘ [. . . ]“. Ina Schmidt: ,,Der Herr des Feuers“. Friedrich Hielscher und sein Kreis zwischen Heidentum, neuem Nationalismus und Widerstand gegen den Nationalsozialismus, Köln 2004, S. 48. Vgl. auch zu Franz Schauwecker (1890–1964): www.polunbi.de/pers/ schauwecker-01.html, 13.05.2007. Im Rückblick schien Schauwecker seinen heroischen Nationalismus der 1920er Jahre liebevoll kritisch aber nicht revidierend zu beurteilen. Als er 1951 Armin Mohlers Arbeit über die Konservative Revolution zugeschickt bekommen hatte, entgegnete er ihm, er hoffe, dass das was damals ,,kindlich und unbekümmert geradezu oder triebhaft-magnetisch“ empfunden worden sei, auch jetzt wieder nach ,,oben“ dränge, aber dieses Mal ,,schweigsamer, bewusster, entschlossener, konsequenter und zugleich gütiger, liebevoller und mit anderem Wort: überlegener“. DLA Marbach A: Mohler 99.1: Brief (19.05.1951) Franz Schauwecker an Armin Mohler. Ulrich Fröschle: ,,Radikal im Denken, aber schlapp im Handeln“? Franz Schauwecker: ,,Aufbruch der Nation“ (1929), in: Thomas F. Schneider/Thomas F. Wagener (Hrsg.): Von Richthofen bis Remarque. Deutschsprachige Prosa zum I. Weltkrieg, Amsterdam 2003, S. 261–298, S. 266. Ebd., S. 267.

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Anliegen in den Mittelpunkt von Schauweckers schriftstellerischen Arbeiten.337 Neben seinen Gewissen-Veröffentlichungen begann Schauwecker auch für die Zeitschrift Stahlhelm zu schreiben, bei der er ab 1925 fester Mitarbeiter wurde.338 Mitte der 1920er, Schauwecker war mittlerweile Mitarbeiter von Friedrich Hielscher bei Der Vormarsch, erlangte er seinen endgültigen literarischen Durchbruch mit dem Roman ,,Aufbruch der Nation“.339 Ein bekanntes Gegenbeispiel zu diesen Kriegserinnerungen bildete Erich-Maria Remarques Roman ,,Im Westen nichts Neues“340 , dessen Inhalt Schauwecker als ,,das ,Kriegserlebnis eines Untermenschen‘“ charakterisierte.341 Obwohl mit geringerer Auflage, gehörten Schauweckers soldatische Erlebnis-Lyrik und Essayistik gegen Ende der Republik zu den populären Erinnerungen.342 Zeitgenössische Beobachter hielten gar seine rechten Überzeugungen für ,,ehrlicher“ als diejenigen Hitlers, wenngleich sie auch als versponnen und politisch einflusslos galten.343 In der Nachkriegszeit, die Schauwecker als fortgesetzten Kriegszustand 337

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Vgl. u. a. Franz Schauwecker: Im Todesrachen. Die deutsche Seele im Weltkriege, Halle 1919. Jünger veröffentlichte 1925, vermutlich durch Schauweckers Vermittlung, auch einen Artikel im Gewissen: Ernst Jünger (31.08.1925): Revolution und Frontsoldatentum, in: Gewissen, 7, H. 35, S. 2-3. ,,Seine Zusammenarbeit mit dem Stahlhelm hielt nun in unterschiedlichen Formen relativ lange an, was ihm später von einer jüngeren ,nationalrevolutionären’ Generation zum Vorwurf gemacht werden sollte.“ Fröschle: ,,Radikal“, S. 269–270. Bis 1940 erreichte die Auflagenhöhe 75 000 Exemplare. 1926 war in einer von Ernst Jünger herausgegebenen Reihe ,,Der Aufmarsch“ die Schauwecker-Veröffentlichung ,,Der feurige Weg“ erschienen. Die Reihe ging ,,in die Brüche und auch das Verhältnis zu Jünger kühlte ab“. Fröschle: ,,Radikal“, S. 272. Remarques Auflage lag bei 910 000 und Schauweckers Auflage von ,,Aufbruch der Nation“ kam bis 1930 auf 30 000, ,,die meisten anderen seiner Romane auf etwa 10 000“; Angaben laut Schmidt: ,,Herr des Feuers“, S. 47 FN 117. Sontheimer: Antidemokratisches, S. 95. ,,Im nationalistischen Kriegsbuch ist der Krieg ein Prüfstein der Männlichkeit und des Heldentums, im pazifistischen ein Trümmerfeld der Humanität.“ Sontheimer, Antidemokratisches, S. 95. Vgl. auch Günter Helmes: Der Erste Weltkrieg in Literatur und Film. Entwicklungen, Tendenzen, Beispiele, in: Waltraud Wara Wende/Lars Koch (Hrsg.): Krieg und Gedächtnis. Ein Ausnahmezustand im Spannungsfeld kultureller Sinnkonstruktionen, Würzburg 2005, S. 121–149. BArch Berlin NS 5/ VI/810 Deutsche Arbeitsfront/Arbeitswissenschaftliches Institut/ Verschiedene Parteien und Verbände: Vossische Zeitung (18.11.1932): ,,Radikalismus von morgen. Von Schauwecker bis Hielscher“. Nach 1933 war Schauwecker ein geneigter, wenngleich kein engagierter Karrierist. Ab 1939 tat er sich wieder als ,,Kriegsdichter“ auf ,,der Ebene der ,Heftchenliteratur‘ zur Mobilisierung des wehrfähigen männlichen Nachwuchses“ hervor. Fröschle: ,,Radikal“, S. 297. Einen Hinweis auf seine nicht ganz eindeutige Stellung im NS bieten die Formulierungen eines Briefes, den er 1940 vom Präsidenten der Reichsschrifttumskammer Hanns Johst bekam. Schauwecker wurde aufgefordert, innerhalb von 10 Tagen ein Filmexposé mit ,,antienglischer Tendenz“ fertigzustellen. Johst betonte, Schauwecker solle ,,die ganze Kraft ihrer Berufung einmal zwangsläufig in beide Hände“ nehmen und sich an ,,dieser Aufgabe“ versuchen, ,,die Sie als eine Art Stellungsbefehl des Reiches betrachten wollen“. BArch Berlin RKK Perso-

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beschrieb, bot er mit seinen autobiographischen, drastisch dargestellten Kriegsromanen ,,politische Deutungskonzepte für die Gegenwart auf der Handlungsebene“ an.344 Schauwecker propagierte einen ,,neuen Nationalismus“345 , in dem das individuelle Schicksal nur Sinn erhielt, wenn es der Gemeinschaft diene und es zum ,,Werkzeug des Volksschicksals“ werde.346 In der Übertragung des soldatischen Erlebens auf die ,Volksgemeinschaft‘ der Nachkriegszeit sah Schauwecker seine künstlerische Funktion als Träger von ,,Bindung und Leben“.347 Durch die ,,künstlerische Stoßkraft [. . . ] mitten in das Herz der Gebildeten“ werde das ,,bluthafte Gebundensein“ des Lebens bewusst gemacht und Dichtung zur ,,nationalen Dichtung“. Schauweckers Position war im Gewissen, trotz ihres Elitismus, langfristig nicht mehrheitsfähig, denn sein radikaler Nationalismus bezog sich auf ein expressiv männliches und gewalttätiges Auftreten und schloss während der frühen 1920er Jahren auch ,,kommunistische“, die ,,unbedingt bedeutsame Ausdruckskunst unserer Zeit“, mit ein.348 Wirths und Schauweckers Verherrlichung der ,,Schützengrabengemeinschaft“ korrespondierten mit den Versuchen aller politischen Richtungen, unter dem Etikett der Volksgemeinschaft den Mythos einer solidarischen Nation als Kitt für die Gegenwart lebendig zu halten.349 Der Politik wurde rechts wie links die Aufgabe zugeteilt ,,die Konfliktlagen auf[zu]lösen

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nenbezogene Akten der NSDAP (ehem. BDC): Brief (02.02.1940) Hanns Johst an Franz Schauwecker. Fröschle: ,,Radikal“, S. 290. Schauwecker gehörte von 1927 bis 1933 zum ,,ersten Kreis“ um den heidnischen Religionsstifter Hielscher, der zu dieser Zeit noch stark nationalistisch und antisemitisch orientiert veröffentlichte. Vgl. Schmidt: ,,Herr des Feuers“, S. 45–48. Die HielscherAnhänger ,,bejahten den Kampf, die Vernichtung alles Bestehenden und diesen zeitweiligen ,Nihilismus‘, da sie sicher waren, dass das wirklich Wichtige, das Reich, ein unvernichtbares, ewiges Wesen sei. Sie, die Reichselite, führten ein unbürgerliches Leben des Kampfes und des Opfers, der Todesbereitschaft und der Disziplin, womit sie das glück- und sicherheitsorientierte materialistische Bürgertum schockierten. Sie seien sich gewiss, dass durch die Zertrümmerung der alten Lebensform neue Kräfte geweckt würden.“ Ebd., S. 184–185. ,,Das einzelne Ich, bisher nur an sich selbst denkend und in sich selbst ruhend, wie im Trommelfeuer der Schlachten eingeschmolzen in ein Wir, umschlossen vom Band der Kameradschaft.“ Sontheimer: Antidemokratisches, S. 98–99. Vgl. auch Bernd Hüppauf : Zwischen Metaphysik und visuellem Essayismus. Franz Schauwecker: ,,So war der Krieg“ (1928), in: Schneider/Wagener: Von Richthofen, S. 233–248. Franz Schauwecker (07.05.1923): Dichter – Zeit – Nation, in: Gewissen, 5, H. 18, S. 2–3; ders (19.02.1923): Deutsche Sprache, in: Gewissen, 5, H. 7, S. 3; ders. (17.12.1923): Das Fremdwort, in: Gewissen, 6, H. 50, S. 2. Franz Schauwecker (07.05.1923): Dichter – Zeit – Nation, in: Gewissen, 5, H. 18, S. 2–3. Vgl. auch die Anzeige im Gewissen für Schauweckers Bücher: Interna (18.02.1924), in: Gewissen, 6, H. 7, S. 4. Hans-Ulrich Thamer: Nation als Volksgemeinschaft. Völkische Vorstellungen, Nationalsozialismus und Gemeinschaftsideologie, in: Gauger/Weigelt: Soziales Denken, S. 112– 128, S. 112; Bruendel: Volksgemeinschaft, S. 219–290.

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2. Konstruktion des Jungkonservatismus

und gesellschaftliche Harmonie“ herzustellen.350 Im Gewissen bildeten die ,Frontsoldaten‘ jedoch eine Minderheit, es überwogen die PropagandaKriegsteilnehmer, deren Artikel deutlich machten, welche Schwierigkeiten die Übertragung der ,,Schützengraben-“ auf die ,,Volksgemeinschaft“ machen konnte. Da die Zeitschrift Gewissen als Medium einer elitären ,,nationalen Erziehung“ konzipiert war, konnte nicht fraglos auf den Mythos des Schützengrabens und somit auf die Gleichheit jedes Soldaten gleich welcher Herkunft verwiesen werden. In das jungkonservative Ideal einer Volksgemeinschaft flossen vielmehr konservative Gesellschaftsvorstellungen und moderne Konzepte nationaler Solidarität, etwa eines dritten Weges jenseits von rechts und links zusammen. Die inhaltliche Herausforderung bestand für das Gewissen darin, den Elitegedanken als konstitutives Element in der ,,Volksgemeinschaft“ zu verankern. Die Grenzen der im Krieg geförderten propagandistischen Haltung zeigten sich im Gewissen auch dort, wo sich die ehemaligen Propagandamitarbeiter auf dem ,,freien Markt“ des politischen Engagements behaupten mussten. Schriftsteller, Journalisten und Organisatoren sahen sich nach dem Ende des Krieges vor die Aufgabe gestellt, ein relativ neues Berufs- bzw. Tätigkeitsbild auszufüllen. Im Gegensatz zu Wirths oder Schauwecker waren viele Gewissen-Autoren mittlerweile im mittleren Alter und hatten durch ihre Mitarbeit im Propagandaapparat Anerkennung ihrer intellektuellen Leistung erhalten. Nach dem Ende des Krieges blieb diese aus, zudem fielen nun auch die gesicherten Distributionswege für ihre Texte und Bücher weg. Die Autoren mussten sich auf einem zensurbefreiten Pressemarkt inhaltlich profilieren und mit ihrer Interpretation des Krieges und seiner Folgen durchsetzen. Auch der Gewissen-Autor Ernst Krieck machte sich Gedanken über weiter entwickelte Strategien intellektueller Vermittlung unter diesen Umständen. Er bedauerte 1919 in einem Brief an den renommierten Neukantianer Paul Natorp, dass dieser zwar in der Frankfurter Zeitung gute Ideen zur Rationalisierung des Rätegedankens vorgetragen habe, aber ,,dass unser Wort, auch wenn es noch so sehr von reinem Sachwillen & der Liebe zum Volk getragen ist, nicht zum Volk selbst dringen kann, weil wir eine Sprache reden, die es nicht versteht.“351 Die Quintessenz der politischen Erziehung müsse von der Elite in einfacher Sprache und ohne jede politische Konzession vorgetragen werden. So wie Heinrich von Gleichen in seinem Vortrag vor dem ,,Bund der deutschen Gelehrten und Künstler“ im Mai 1918 angemahnt hatte, dass die intellektuelle Propaganda bei den breiten Massen verstanden werden müsse, setzte auch Krieck darauf, dass die Sprache der Wissenschaft präziser, radikaler und genereller formuliert sein müsse. In seiner Fortführung des Propagandadiskurses setzte Krieck auch populistische Elemente ein: Halbheit, 350 351

Mergel: Führer, S. 98. Universitätsbibliothek Marburg HS 831:789: Brief (30.03.1919) Ernst Krieck an Paul Natorp.

2.2 Propaganda und Erster Weltkrieg

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Mittelmäßigkeit und Impotenz würden ,,in kürzester Frist vollends in Fäulnis übergehen. Ja, ja, wir müssen uns radikalisieren, sonst sind wir verloren“.352 Dieser Vorstellung einer akademischen und radikalen Elite stellte Krieck einen dezidierten Anti-Individualismus an die Seite, denn ,,alles persönliche Wohl [ist] untrennbar verknüpft mit dem Gedeihen und Wachstum des Ganzen.“353 Die Unter- und Einordnung persönlicher Bedürfnisse und Existenz in die Volksgemeinschaft (Krieck nannte sie ,,organische Volksgemeinde“) war eine gesellschaftspolitische Forderung, die in direkter Linie den Kriegsdiskurs fortsetzte. Auch bei Krieck blieb der Mythos vom ,,Geist von 1914“ für den moralischen Wiederaufbau nach dem verlorenen Krieg ,,eine machtvolle, beschwörende, kollektive Erinnerung“.354 So selbstbewusst sich die intellektuelle Wortergreifung der Nachkriegszeit darstellte, so sehr waren die Wortergreifer auch von Selbstzweifeln in Hinblick auf ihre Wirkung geplagt. Moeller gab an, dass er während der Redaktionsarbeit am Mangel fähiger Männer und fester Überzeugungen schier verzweifelte. Zudem sorgte er sich, inwieweit sein Schreiben auch Leser fände und Wirkung zeige.355 Neben der nicht abreißenden Überzeugung in der Sache und dem sich daraus ergebenden Sendungsbewusstsein gehörten die Aussicht auf Anerkennung, Ansehen und Einfluss zu den Antriebsfaktoren der politisch-publizistischen Arbeit. Eduard Stadtlers Vita verweist auf eine ähnliche Haltung. Seine Vortragstätigkeit empfand er vor allem als befriedigend, wenn er direkte Erfolgsmeldung vom Publikum erhielt. Sein Selbstbewusstsein brauchte ständige Bestätigung und Anerkennung, etwa durch seinen Mentor Martin Spahn. Blieben diese aus, stellten sich depressive Schübe ein. Um sein Profil zu schärfen, bemühte Stadtler im Gewissen immer wieder den Vergleich mit anderen Partei- und Bewegungsführern. Von Matthias Erzberger bis Adolf Hitler verfolgte er jeden politischen Exponenten aufmerksam, um schließlich das Verdikt der Unzulänglichkeit zu verhängen. Diese Strategie gehörte zum festen Repertoire des Gewissens, aber erfuhr im Fall Stadtler immer auch eine profilneurotische Nuance.356 Stadtlers publizistisches Auftreten korrespondierte mit den Auseinandersetzungen innerhalb der Gewissen-Redaktion, wo seine Autorität als Herausgeber durch Gleichens Machtanspruch ständig in Frage gestellt schien. Stadtler war über352 353 354 355 356

Ebd. Ernst Krieck (05.05.1920): Realitäten, in: Gewissen, 2, H. 17, S. 3–4. Verhey: Geist, S. 381. Vgl. in Kap. I ,,Kommunikation und Vermittlung“. Eduard Stadtler (01.07.1919): Charakterköpfe der Zeit: Erzberger der ,,Rangebenbürtige“, in: Gewissen, 1, H. 12, S. 2; ders. (22.07.1919): Friedens-Sabotage, in: Gewissen, 1, H. 15, S. 1; ders. (10.03.1920): Erzbergers Aufstieg und Fall, in: Gewissen, 2, H. 10, S. 1– 2; ders. (02.10.1922): Ergebnis der Erfüllungspolitik, in: Gewissen, 4, H. 32, S. 1–2; ders. (24.03.1924): Tat, Erkenntnis und Verantwortung, in: Gewissen, 6, H. 12, S. 1–2; ders. [N.N.] (07.04.1924): Trommler der Nation, in: Gewissen, 6, H. 14, S. 1.

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2. Konstruktion des Jungkonservatismus

zeugt, die politische Meinungsbildung im Blatt und in dessen Umfeld in der Hand zu haben und beharrte auf Anerkennung, denn er habe ,,dem inhaltlich unruhigen Gleichen endlich Linie und Ansehen“ gegeben.357 In der ersten Gewissen-Ausgabe 1920 hatte Stadtler selbstbewusst seine Auffassung geistiger Aufklärungsarbeit dargelegt: ,,Die nationale und soziale Solidarität des deutschen Volkes ist unser Ziel. Dafür kämpfen wir. Das werden wir erkämpfen. Dieser Aktivismus hat mit dem negativen Kampfunwesen der Politik des 19. Jahrhunderts nichts gemein. Wir sind nicht Parteifanatiker einer AntiStrömung. Ueber alles geht uns Bejahung und positives Streben.“358

Mit keinem seiner Projekte, die das ,,positive Streben“ organisatorisch manifestieren sollten, konnte sich Stadtler jedoch durchsetzen, wenngleich er es geschafft hatte, zu einer bekannten Figur auf der rechtsoppositionellen Bühne zu werden.359 Von Beginn an wurden Zusagen nur unregelmäßig eingehalten, so dass Stadtler den Eindruck hatte, seine politischen Mitstreiter nähmen den Aktivismus nicht so konsequent wahr wie er selbst. Ebenfalls 1920 äußerte er ,,die Empfindung des Verlassenseins, des im Stiche gelassen werdens von denen, denen man sich opfert“.360 Im weiteren Verlauf der Ring-Bewegung nahm die politische Bildung der Elite und nicht die Sammlung breiter Anhängerschaften größeren Raum ein und der Aktivismus der Jungkonservativen blieb auf Publizistik und Netzwerkarbeit statt Massenkundgebungen beschränkt. Stadtler befriedigten diese informellen Strukturen nicht, er hoffte auf den festen ,,Hintergrund“ einer eigenen Wählergemeinschaft: ,,dieses ewige Abhängigsein von zufälligen Redeaufforderungen [...] reibt mich auf.“361 Nachdem sich die Gewissen-Herausgeber Gleichen und Stadtler 1923 parallel, aber kaum miteinander abgesprochen, in München konspirativ betätigt hatten, verschärfte sich ihr Konflikt. Während der aufgeheizten Stimmung des Ruhrwiderstandes hatte Stadtler eine Reihe von Politikern in Bayern 357 358 359

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BArch Koblenz N 1324/3 NL Martin Spahn: Brief (21.10.1920) Eduard Stadtler an Martin Spahn. Eduard Stadtler (07.01.1920): Zum Geleit. Vom Herausgeber, in: Gewissen, 2, H. 1, S. 1. Stadtlers Auftreten hinterließ anscheinend in allen politischen Lagern Eindruck, wie ein Bericht über ihn auf dem Märkischen Bauerntag in der Berliner Volkszeitung verdeutlicht. Stadtler sei ,,mit den Leuten vom ,Ring’ so etwas wie ein geistiger Kristallisationspunkt des Rechtsradikalismus [...]. Stadtler, der seine dummen politischen Bratwürste aus der Garküche Wulle [gemeint ist Reinhold Wulle, der zusammen mit anderen ehemaligen DNVPlern im Dezember 1922 die ,,Deutschvölkische Freiheitspartei“ gegründet hatte, C. K.]-Hitler bezieht und mit einer reichlich schleimigen ethischen Tunke überzieht, ist jedenfalls der rechte Mann für ein Publikum, das nicht besonders wählerisch ist, wenn ihm nur etwas ,Nationales’ serviert wird.“ BArch Berlin R 8034 III/446 Presseausschnittsammlung – Reichslandbund: Personalia Eduard Stadtler: ,,Der Mann vom Gewissen. Stadtler als Feldredner“, in: Berliner Volkszeitung (22.02.1923). BArch Koblenz N 1324/3 NL Martin Spahn: Brief (21.10.1920) Eduard Stadtler an Martin Spahn. Ebd.

2.2 Propaganda und Erster Weltkrieg

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und Ostpreußen unter Druck setzen wollen, sich an seinem Plan für einen Staatsputsch zu beteiligen.362 Stadtlers Bemühungen scheiterten vollständig, Gleichen warf ihm offen Versagen vor und stellte ihm ein Ultimatum, bis zum Ende des Jahres die Herausgeberschaft des Gewissens niederzulegen.363 Bis 1924 wuchs der Druck auf Stadtler so an, dass er über einen Rückzug und Neuanfang nachdenken musste. Nicht nur inhaltlich, sondern auch als Führungsperson innerhalb des jungkonservativen Kreises gescheitert zu sein, verletzte Stadtlers Selbstbewusstsein, so dass sich der sonst wenig offensive Martin Spahn für ihn einzusetzen bemühte. Ende 1924 vermittelte er Stadtler eine neue Anstellung und hoffte, dass er sich ,,ausserordentlich wohl in seinem neuen Lebenskreise fühlte.“364 Aber Anfang 1925 sorgte er sich erneut um Stadtlers ,,inneres Gleichgewicht“, für das er ,,eine ihn gesellschaftlich genügend fundamentierende und hebende Lebensstellung“ brauche. Stadtlers Sendungsbewusstsein sollte nach seiner Meinung innerhalb eines normalen Arbeitsverhältnisses Bestätigung finden und eingehegt werden.365 Einige Wochen später, als Stadtler endgültig aus dem Gewissen ausgeschieden war, meinte Spahn eine Stabilisierung zu erkennen. ,,Ich hoffe jetzt sehr, daß Stadtler sich draussen im Lande den für einen Politiker kaum entbehrlichen Untergrund für den Aufbau einer politischen Tätigkeit schafft, auf unsere politische Führung hat er nach meiner Beobachtung im Lauf der letzten Monate schon wachsenden Einfluss gewonnen. Allmählich kommen bei uns ja doch mehr und mehr Männer in leitende Stellungen, die innerlich disponiert sind, Stadtler zu schätzen und Stadtlers Rat zu hören.“366

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Gleichen beklagte sich bei Spahn über Stadtlers undiplomatisches und fehlgeleitetes Vorgehen, das er ihm bei einer Besprechung vorgeworfen habe: ,,Ich müsse deshalb auf meine erste Forderung ihm gegenüber zurückkommen, wie ich ihm geschrieben hatte, dass er sein Fiasko reell liquidieren, seine Ambitionen auf einen führenden Staatsmann à la Mussolini endgültig begrabe, denn er habe sattsam bewiesen, dass er überall, wo er eine Verantwortung übernehme, versagt habe, und sich auf die ihm gegebene Aufgabe der nationalen Agitation beschränke und zwar in loyaler Zusammenarbeit mit den Männern, die in gleicher Front stünden.“ BArch Berlin R 118/35 Akten des Politischen Kollegs: Brief (08.12.1923) Heinrich von Gleichen an Martin Spahn. BArch Berlin R 118/35 Akten des Politischen Kollegs: Brief (12.12.1923) Heinrich von Gleichen an Eduard Stadtler. BArch Koblenz N 1324/3 NL Martin Spahn: Brief (24.03.1925) Martin Spahn an Direktor Möllers. Stadtlers agitatorische Fähigkeiten wurden von anderen sehr viel höher bewertet; so setzte sich zur gleichen Zeit ein Rechtsanwalt Popitz für Stadtler ein und schrieb an Spahn, dass er ,,Herrn Dr. Stadtler für einen aussergewöhnlich befähigten Führer“ halte, ,,der sich aber nur dann wirklich entfalten und Grosses leisten kann, wenn er sich auf eine Organisation stützt, die grösser, lebendiger und mit den praktischen Problemen des Tages und der Zukunft enger verwachsen ist, als wie es die Bewegung welche sich um ,das Gewissen’ schaart [sic] ist“. BArch Koblenz N 1324/3 NL Martin Spahn: Brief (26.03.1925) Waldemar Popitz an Martin Spahn. BArch Koblenz N 1324/3 NL Martin Spahn: Brief (13.05.1925) Martin Spahn an Waldemar Popitz.

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2. Konstruktion des Jungkonservatismus

In der Tat stieg Stadtler in eine ,,leitende Stellung“ im Stahlhelm auf, musste jedoch in den 1930er Jahren erkennen, dass ihm dieser Einsatz zu keinem höheren Posten verhalf. Er bemühte sich in seinen 1935 veröffentlichten Lebenserinnerungen, seine Leistungen in unmittelbarer Nachkriegszeit gegen die bolschewistische Gefahr hervorzuheben, wobei seine Reflexionen deutlich die Haltung eines verkannten politischen Genies vermittelten. Die Erinnerungen ,,Jugendschicksale“, ,,Als politischer Soldat“ und ,,Als Antibolschewist“367 wurden in katholischen Kreisen zwar respektvoll anerkannt, aber die Selbstüberschätzung ,,eines Menschen von ungewöhnlich starkem Selbstbewusstsein“ stieß auch hier auf Kritik.368 Eindeutiger begegnete man dem nach Geltung drängenden Anführer in anderen Blättern: ,,Dieser Autor liebt es nicht, sein Licht unter den Scheffel zu stellen. Er wird nicht müde, sich seine ,schöpferische Energie‘, seinen ,aufopfernden Idealismus‘ und vor allem die außerordentliche Faszination zu attestieren, die von seiner Beredtsamkeit ausgegangen sei.“369

Das Beispiel Stadtler zeigt, wie sich intellektuelle Unerschütterlichkeit der Zwischenkriegszeit aus realen Erfahrungen speiste, die Schriftsteller, Wissenschaftler und Journalisten während des Krieges in der Propagandaarbeit gemacht hatten. Im Wechselspiel aus intellektueller Sinnstiftung und machtpolitischer Ermöglichungsstrukturen hatten sie sich professionalisiert und radikalisiert. Nach dem verlorenen Krieg setzte sich im Jungkonservatismus die Argumentation der Propaganda fort, auch weil die Gewissen-Redaktion auf das Personal des militärischen und zivilen Propagandaapparates zurückgriff. Zudem bezog sich die jungkonservative Deutung, Deutschland befände sich in einer gleichbleibenden Bedrohungssituation, auf Überzeugungen der Vorkriegszeit. Mit der Aufwertung ihrer schriftstellerischen und journalistischen Arbeit konnten viele Intellektuelle aus zum Teil prekären Verhältnissen aufsteigen. Nach dem Krieg wurde es für intellektuelle Vermittler auf dem umkämpften Pressemarkt zusehends schwierig, die materielle und ideelle Bestätigung der eigenen Arbeit ähnlich zu erreichen. Der Parteipolitiker und Journalist Stadtler hatte vor dem Krieg die Zentrumsklientel für sich gewinnen wollen und in der Nachkriegszeit mit scheinbar klassenübergreifenden Appellen den Mittelstand. Stadtler scheiterte, weil es ihm nicht gelang, seinen Ansprüchen gerecht zu werden, als ein volksnaher intellektueller Führer aufzutreten. Stadtler scheiterte auch an einer mangelnden Vernetzung innerhalb der Ring-Bewegung, mit der Heinrich von Gleichen unter Beweis stellte, wie sehr der Erfolg von Ideen von der realen Macht abhängt, sie zu verbreiten und zu vernetzen. 367 368 369

Eduard Stadtler: Jugendschicksale 1886–1914; Als politischer Soldat 1914–1918; Als Antibolschewist 1918–1919, alle Düsseldorf 1935. BArch Berlin R 8034III/446 Presseausschnittsammlung – Reichslandbund: Personalia Eduard Stadtler: Germania Nr. 293 (21.10.1936). BArch Berlin R 8034III/446 Presseausschnittsammlung – Reichslandbund: Personalia Eduard Stadtler: Frankfurter Zeitung, Nr. 238 (10.09.1936).

2.3 Gruppenbildung und Ring

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2.3 Der Blick nach innen: Gruppenbildung und Deutung des Ringes Neben den Kontakten und Kontinuitäten aus der Kriegspropaganda führten auch Einflüsse aus der Deutschtumsarbeit zur Gründung des Juni-Klubs. Die biographischen Skizzen zu Max Hildebert Boehm und Hans Roeseler verdeutlichen einerseits das radikale Potenzial des Ring-Konzepts für die Untermauerung des Grenz- und Auslandsdeutschtums und andererseits die Schwierigkeit, die locker verstandene Ring-Arbeit mit einem strikten Gemeinschaftsideal zu verbinden und praktisch umzusetzen. Der Gründungsprozess der Ring-Bewegung lässt sich zudem im Kontext intellektueller Distinktionsbedürfnisse und -prozesse einordnen, die sich bis zur kulturkritischen Epoche der Jahrhundertwende zurückverfolgen lassen.370 Deshalb werden in diesem Kapitel folgende Fragen zentral behandelt: Inwieweit war der rechtsintellektuelle Außenseiter- und Oberschichten-Stil der Jungkonservativen Ausdruck einer verbreiteten gruppensoziologischen Entwicklung? Wie formierte sich der jungkonservative elitäre Zirkel und wodurch ergaben sich im Alltag des Juni-Klublebens wie auch in der Redaktionsarbeit im Gewissen Konflikte? Welche Fraktionierungen entstanden und wie versuchten die Herausgeber, ihre jeweiligen Schwerpunkte der Ring-Interpretation festzuschreiben und durchzusetzen? Welche Schwierigkeiten ergaben sich in der Verbindung zwischen Ideal und Wirklichkeit, also der ideellen Interpretation des Rings und der organisatorischen Ausgestaltung der Bewegung? 2.3.1 Intellektuelle Gruppenbildung im Zeichen des Ringes Im Zusammenhang mit nationalen Identitätsbildungen fungiert der Ring generell als ein populäres Symbol. Einheit, gemeinschaftliches Ganzes, Innigkeit oder dauerhaftes Band gehörten auch im Kontext der Napoleonischen Kriege zu den gängigen Umschreibungen gelehrter Sehnsucht nach überlokaler Einheit und Verbundenheit, wie sie etwa Friedrich Schlegel, Schleiermacher, Tieck und Novalis artikulierten.371 Auch in der romantischen 370

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C. G. Jung sah die spezifische Kraft eines Symbols in seiner Interpretationsweite: ,,Wenn die Seele das Symbol erforscht, wird sie zu Vorstellungen geführt, die jenseits des Zugriffs des Verstandes liegen.“ C. G. Jung: Man and his Symbols, London1964, zitiert nach: Wolfgang Bauer/Irmtraud Dümotz (Hrsg.): Lexikon der Symbole, Wiesbaden 1980, S. 10. Vgl. Andreas Gardt: Nation und Sprache in der Zeit der Aufklärung, in: ders. (Hrsg.) Nation und Sprache. Die Diskussion ihres Verhältnisses in Geschichte und Gegenwart, Berlin/New York 2000, S. 169–198.; Jochen A. Bär: Nation und Sprache in der Sicht romantischer Schriftsteller und Sprachtheoretiker, in: Gardt: Nation, S. 199–228; Evelyn Ziegler: Die Band-Metapher im nationalsprachlichen Diskurs des 19. Jahrhunderts, in: Cherubim: Sprachgeschichte, S. 111–138, S. 116. Über die entsprechende Funktion von

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2. Konstruktion des Jungkonservatismus

Gegenbewegung zur bzw. aus der Aufklärung rückte zunehmend die innere Verbundenheit mit einem ,,Stellenwert in einem größeren Gesamtsystem“ in den Mittelpunkt der Auseinandersetzungen.372 Der Volksbegriff stellte in dieser Phase zunehmend eine Projektionsfläche dar, auf der das Volk als geschlossener Organismus und handelndes Subjekt idealisiert wurde.373 Während zum einen die Ursprünge menschlicher Identität in kollektiven Verwurzelungen gesucht wurden374 , kultivierten zum anderen romantische Vordenker aus ihrer Innerlichkeit und ,,ästhetischen Distanzierung gegenüber dem sozialen Alltag“ eine ,,Ästhetik des Erhabenen“.375 Im Kern zeichnete sich hier die Möglichkeit für eine irrationale, überzeitlich begründete Politikauffassung und für einen spezifischen Geniekult ab. Im Nachhinein wurden die durchaus kosmopolitischen und universalen Vorstellungen der Romantiker mystifiziert und nationalisiert.376 Das idealisierte Volk wurde zum Symbol einer übergeordneten Einheit, die den Einzelnen mit der Natur und heimatlichen Landschaft vereine, wodurch die unauflösliche ,,Verwurzelung“ des Menschen mit der Landschaft begründet wurde.377

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Vereinen im Sinne der Modernisierungstheorie: Thomas Nipperdey: Verein als soziale Struktur in Deutschland im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert. Eine Fallstudie zur Modernisierung I, in: ders.(Hg.): Gesellschaft, Kultur, Theorie. Gesammelte Aufsätze zur neueren Geschichte. Göttingen 1976, S. 174–205. Ernest Gellner: Nationalismus. Kultur und Macht, Berlin 1999, S. 104. Rudolf von Thadden: Aufbau nationaler Identität. Deutschland und Frankreich im Vergleich, in: Giesen: Nationale, S. 493–510; Michael Titzmann: ,,Volk“ und ,,Nation“ in der deutschen Literatur des 19. Jahrhunderts. Sozio-semiotische Strategien von Identitätsbildung und Ausgrenzung, in: Benz: Jahrbuch 1993, S. 38–61, S. 38, 40.Vgl. auch Lutz Hoffmann: Das deutsche Volk und seine Feinde. Die völkische Droge – Aktualität und Entstehungsgeschichte, Köln 1994, S. 88; Dieter Langewiesche: Nation, Nationalismus, Nationalstaat. Forschungsstand und Forschungsperspektiven, in: Neue Politische Literatur 40.1995, S. 190–236. Nachdem sich unter Säkularisationseinflüsse, Kollektive jenseits christlicher Legitimation bildeten, wurden diese unter den Vorzeichen politischer Bewegungen wieder resakralisiert. Berghahn, in: Jureit: Politische, S. 184. Bernhard Giesen/Kay Junge: Vom Patriotismus zum Nationalismus. Zur Evolution der ,,Deutschen Kulturnation“, in: Giesen: Nationale, S. 255–303, S. 286. Gemeint ist hier die ,,allgemeine und mitunter esoterische Entdeckung der Germanen“ als ein ,,Teil der mystischen Ideologie des völkischen Denkens“, deutlicher Ausdruck durch kultische Rituale, Freilichttheater, Theosophie, Okkultismus, in den bildenden Künsten und der Literatur (angefangen bei Felix Dahn, Kampf um Rom (1867) über Guido von List, Deutschmythologische Landschaftsbilder (1891) bis Herman Burtes, Wiltfeber, Der ewige Deutsche (1912) reichte die Palette von Germanensehnsucht bis völkisch-radikal). ,,Neuromantik“ wurde als Begriff geprägt und mit Veröffentlichungen zur Erforschung deutscher Stammeskunde, Mythen und Sagen mit Vorliebe für das Magische unterfüttert vom Verleger Eugen Diederichs. George L. Mosse: Die Völkische Revolution. Über die geistigen Wurzeln des Nationalsozialismus, Frankfurt a.M. 1991, S. 64–98. Sieferle: Konservative Revolution, S. 26; Mosse: Völkische Revolution, S. 24; Vgl. auch Gellner: Nationalismus, S. 104. Im Zusammenhang mit der politischen Funktionalisierung einer idealisierten Heimat führt Balibar den Begriff der ,,Historiosophie“ ein, vgl.:

2.3 Gruppenbildung und Ring

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Schriftsteller, Publizisten, Intellektuelle und Dichter popularisierten die Vorstellung, von eigenständig deutschen Qualitäten zu manifesten Vorstellungen von eigenen und fremden Kollektiven.378 Die Metapher vom ,,Band“, das die Nation umschließe, war seit Ende des 19. Jahrhunderts und mit der Gründung des Deutschen Reiches zunehmend mit dem Anspruch auf Reinheit angereichert worden. Der biologistisch begründete Rassismus hat hier, etwa im Staatsbürgerrecht, entscheidenden Einfluss auf Vorstellungen von Homogenität und In-and-Out-Strukturen genommen.379 Zur gleichen Zeit zeigte sich das ambivalente intellektuelle Bedürfnis nach einer ,,Sinnmitte“380 , aus der heraus wieder bzw. sehr viel mehr als bisher, verbindliche und verantwortliche Urteile gefällt werden könnten.381 Denn im Kern ließ dieser Diskurs die verbindliche Ordnung nicht mehr gelten, war aber gleichzeitig auf der Suche nach dem, was ,,die Welt im Innersten zusammenhält“. Die vielen Gruppen, Vereine, Zirkel und Bünde um 1900 gaben ein beredtes Bild dieser Suche und verweisen auf die gruppensoziologische Bedeutung der Ring-Vorstellungen.382 Die Sinnmitte-Suche war meist männlich initiiert und orientierte sich in den verschiedenen Vereinigungen häufig an einer mythisch aufgeladenen, dezidiert gepflegten Differenz.383 Beispielhaft stand hierfür das Verlagsprojekt Eugen Diederichs, dessen Autoren entgegen der ,,einseitigen Verstandeskultur [...] die Welt als etwas Ganzes genießen und betrachten“ und deshalb den Weg ,,zuerst zur innerlichen Vertiefung“ gehen sollten.384

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Etienne Balibar/Immanuel Wallerstein: Rasse-Klasse-Nation. Ambivalente Identitäten, Hamburg, Berlin 1992, S. 70. Gellner: Nationalismus, S. 101–102; Uwe Puschner: Handbuch der völkischen Bewegungen, München 1996, S. 27–48. Die globale Dimension und die Einteilung der Welt in ,,primitive“ und ,,fortgeschrittene“ Teile unterstrich die Vorstellung einer linear voranschreitenden Entwicklung. Sebastian Conrad: Doppelte Marginalisierung. Plädoyer für eine transnationale Perspektive auf die deutsche Geschichte, in: Geschichte und Gesellschaft, 28.2002 H.1, S. 145–169, S. 153. Gosewinkel: Einbürgern. Leiß/Stadler: Wege in die Moderne, S. 24. Vgl. Christophe Charle/Michael Bischoff : Vordenker der Moderne. Die Intellektuellen im 19. Jahrhundert, Frankfurt a.M. 1997. Wülfing/Bruns/Parr: Handbuch. Vgl. auch Richard Reichensperger: Zur Praxis kommunikativen Handelns. Das ,,Café Griensteidl“ in Wien, in: Richard Faber/Christine Holste (Hrsg.): Kreise, Gruppen, Bünde. Zur Soziologie moderner Intellektuellenassoziation, Würzburg 2000, S. 85–108. Für die Phase um die Jahrhundertwende, als Stefan George einen internationalen Freundeskreis aufbaute, wurde teilweise auch noch von einem Ring gesprochen. Die Bezeichnung George-Kreis setzte sich erst später durch und war von diesem nicht intendiert. Günter Baumann: Der George-Kreis, in: Faber/Holste: Kreise, S. 65–84, S. 65. Helmut Blazek: Männerbünde. Eine Geschichte von Faszination und Macht, Berlin 1999, S. 79. Aus dem Verlagsprogramm zitiert bei Justus Ulbricht: Massenfern und klassenlos oder: ,,Wir brauchen eine Brüderschaft im Geiste, die schweigend wirkt“. Die Organisation der Gebildeten im Geiste des Eugen Diederichs Verlags, in: Faber/Holste: Kreise, S. 383–401,

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2. Konstruktion des Jungkonservatismus

Der Verein als ,,bevorzugte politische und verbandliche Organisationsform“ erlebte seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts einen ,,signifikanten Umschwung“.385 Besonders nach dem Ersten Weltkrieg und ,,auf dem rechten Flügel der bürgerlichen Gruppierungen“ wurde auf ,,vorliberale Assoziationsformen, die an die Stelle freier Rekrutierung bzw. prinzipiell freien Mitgliedszugang das Prinzip der Kooptation, der ritualisierten Einbindung der Mitglieder und der Nichtöffentlichkeit setzen“ zurückgegriffen. Die ,,um sich greifende Zirkelbildungen gesellschaftlicher Führungsgruppen“ wie sie auch die Ring-Bewegung betrieb, war ,,eine für die Auflösung [der] bisherigen bürgerlichen Struktur kennzeichnende Tendenz, wenngleich sie im Lager der Aristokraten ebenfalls anzutreffen“ war. Mehr noch handelte es sich bei diesen Zirkelbildungen um eine Aristokratisierung des Bürgertums, dessen gebildeter Teil sich mit elitär geschlossenen Verbindungen vor allem gegen ein Abdriften in die vermasste Gesellschaft absichern wollte.386 Den Anliegen und Prämissen dieser Bünde und Zirkel lagen drei aus unterschiedlichen Quellen gespeiste Motive zugrunde: zum einen das stark männerzentrische Motiv von der ,,Macht des Eros“ und des Führers387 , zweitens ein geradezu religiöses, Erlösung versprechendes Motiv388 und drittens die Verehrung des Genies.389 Alle Motive bestärkten den Auserwähltheitscharakter derjenigen, die teilhatten an den jeweiligen Ringen, Bünden und

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S. 390. Darüber hinaus: Hübinger: Eugen Diederichs. Die im gleichen Verlag veröffentlichte Zeitschrift Die Tat stand Pate für die Bezeichnung der Herausgeber als Tat-Kreis. Klaus Fritzsche: Politische Romantik und Gegenrevolution. Fluchtwege aus der Krise der bürgerlichen Gesellschaft. Das Beispiel des ,,Tat“-Kreises, Frankfurt a.M. 1976. Über Diederichs und den Verlagsort Jena vgl.: Meike G. Werner: Moderne in der Provinz. Kulturelle Experimente im Fin-de-Siècle Jena. Begleitband zur Ausstellung ,,Moderne in der Provinz“ 2003 Städtische Museen Jena/Göttingen 2003. Mommsen: Auflösung des Bürgertums, S. 292. Aristokratisierung im Zuge des sozialen Aufstiegs unter Vorbildnahme des Adels bei einer gleichzeitigen Emanzipationshaltung, die den Adel als inhuman kritisierte. Das Bürgertum konnte sich so als ,,neuer Adel“, dessen Leitideen Leistung und Tugendhaftigkeit waren, für die politische Teilhabe legitimieren. Alexandra Gerstner: Rassenadel und Sozialaristokratie: Adelsvorstellungen in der völkischen Bewegung (1890–1914). Magisterarbeit 2001, FU Berlin, Berlin 2003, S. 8-9. Vgl. ,,Theorien vom Männerbund“ in: Dietrich Heither: Verbündete Männer. Die Deutsche Burschenschaft – Weltanschauung, Politik und Brauchtum, Köln 2000, S. 147–171; Blazek: Männerbünde, S. 17–40. Zum einen galt der spirituelle Zusammenschluss als Voraussetzung des Erkenntnisgewinns und zum anderen wurden gemäß Klostertradition in der Askese und der Abwesenheit von Frauen Voraussetzungen der eigenen und gemeinschaftlichen Vervollkommnung gesehen. Blazek: Männerbünde, S. 49–78. Jürgen Reulecke: ,,Ich möchte einer werden so wie die. . . “ Männerbünde im 20. Jahrhundert, Frankfurt a.M. 2001. Auch eine zeitgenössische Typologisierung des Genies (das in sich die ,,Totalität des Seins“ trägt und aus diesem Inneren seine Werke entstehen lässt) im Gegensatz zum Talent (das in sich gespalten ist und sich deshalb nach außen orientieren muss) verwies schon auf diesen Zusammenhang: Paul Fechter: Talent und Genie, in: Die Literatur. Monatsschrift für Literaturfreunde, 27 (1925) 8, S. 449–455.

2.3 Gruppenbildung und Ring

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Zirkeln. Vor allem bei den nationalistischen bis völkischen Denkern und Anhängern wurde der Bund zum Ideal, das bis hin zur Rassenideologie den Zusammenhang von Innen und Außen und von Kriterien, die einschließen und ausschließen, körperlich erfahrbar machte.390 Während der Weimarer Republik nahm insbesondere die Zahl der Kampfbünde und Orden rapide zu391 , die sich meist ,,in einem emphatischen Sinn als Gemeinschaften“ empfanden und ,,bereits die Gemeinschaftsbildung als grundsätzliche, gegen die Zeittendenzen gerichtete politische Standortbestimmung“ betrachteten.392 Die Konstitution eingeschworener Kreise und Zirkel entsprach der Entwicklung des Selbstverständnisses von Intellektuellen, denn mit beiden Formationen artikulierte sich der Wunsch nach einer spezifischen gesellschaftlichen Position und nach Erkenntnisgewinn. Im nächsten Schritt gründeten solche Intellektuellenassoziationen häufig eigene Zeitschriften: ein Akt mit ,,hoher Symbolfunktion“, integrierend und kontinuitätsstiftend.393 Zeitschriften wie Der Kunstwart, Die Tat oder Neue Blätter für den Sozialismus und eben das Gewissen stellten intellektuelle Kommunikationsräume dar, in denen die eigene Identität verhandelt und durch den Akt des Veröffentlichens festgeschrieben werden konnte.394 Zusammenfassend können drei konstitutive Aspekte intellektueller Gruppenbildungen für das frühe 20. Jahrhunderts festgestellt werden, die auch die Ring-Bewegung beeinflussten: erstens zeichnete sich die Entwicklung zu radikaleren Grenzziehungen ab, zweitens kam der Zirkel- und Ringbildung für die Teilnehmer eine enorme identitätsstiftende Bedeutung zu und drittens existierten solche Formationen immer im dynamischen Wechsel mit dem gesellschaftlichen Außen. – In der Vorkriegszeit gab es komplexe, vernetzte Klein- und Kleinstgruppierungen, die mal mehr mal weniger ineinander auf- und übergingen, erst später nahmen die hermetisch geschlossenen Verbindungen zu.395 390 391

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Friedrich Paul Heller/Anton Maegerle: Thule. Vom völkischen Okkultismus bis zur neuen Rechten, Stuttgart 1995; Gerstner: Rassenadel, S. 27; 38–45. Zur zeitgenössischen Rezeption dieser Ein- und Ausschlussverfahren: Hans-Peter Rüsing: Die nationalistischen Geheimbünde in der Literatur der Weimarer Republik. Joseph Roth, Vicki Baum, Ödön von Horváth, Peter Martin Lampel, Frankfurt a.M. 2003. Petzinna: Erziehung, S. 184. Michel Grunewald: Auch Kommunisten sind Deutsche. Die jungkonservative Wochenzeitschrift ,,Gewissen“ und die Kommunisten (1919-1923), in: ders./Hans Manfred Bock: Milieu intellectuel de gauche, S. 423–452, S. 31. Grundsätzlich: Grunewald/Bock: Milieu intellectuel de gauche; Grunewald/Puschner: Milieu intellectuel conservateur; Grunewald: Milieu intellectuel protestant. Zur personellen Fluktuation ein Zitat aus den Erinnerungen von Paul Fechters: ,,In den Jahren des leidenschaftlichen Anteils an Kunst und Dichtung, in der Zeit von 1900 bis zum Ausbruch des Krieges blühten auch in Berlin die Tafelrunden, die nur Skat spielten und Bier tranken, sondern denen es um lebendige Dinge ging. Da war der Begas-Tisch im alten Café des Westens, an dem Oscar Kruse-Lietzenburg, der Male rund Bruder des

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2. Konstruktion des Jungkonservatismus

Die lockeren Gegen-Öffentlichkeiten der Jahrhundertwende entwickelten sich in der Nachkriegszeit zu strengeren, formalisierten Gruppen und Ringen. Die Bezeichnung Ring-Bewegung verwies auf einen geschlossenen Bezirk intellektuell Engagierter, die sich einer gemeinsamen Gegnerschaft verschrieben hatten. Innerhalb der Ring-Bewegung bildete der Juni-Klub einen inneren Kreis, der nur mit Auflagen – Vertrauensbekundungen und Mitgliedsbeitrag – betreten werden konnte. Indem die Ring-Bewegung sich explizit politisch ausrichtete, nahm ihre Geschlossenheit zu und zugleich die Anschlussfähigkeit und Dialogbereitschaft mit anderen Gruppierungen ab.396 Die radikalere Grenzziehung von Gruppen lässt sich auch an den europäischer Studentenverbindungen nachvollziehen, deren gruppendynamische Prozesse sich in der Nachkriegsphase zu unterscheiden begannen.397 – Die Formation eines Ringes trug zur Plausibilisierung einer gesellschaftlichen Paradoxie bei, in der sich Intellektuelle befanden. Als Kritiker der Gesellschaft verstanden sie sich als Beobachter und gehörten ihr aber gleichzeitig an. Die intellektuellen Außenseiter, die sich gegen herrschende und legitime Instanzen, Personen und Meinungen stellten erhöhten sich selbst, indem sie ihre interaktive Ring-Verbindung als eine über den alltäglichen, krisenhaften Einrichtungen stehende Verbindung deklarierten und inszenierten. Die Differenz zur Öffentlichkeit wurde mythisiert und somit auf einer dem Alltag entrückten Ebene legitimiert.398 Gleichzeitig verhiel-

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Bildhauers Max Kruse, Molzogens ,Onkel Oskar’, und Felix Holländer, der Dichter des ,Thomas Truck’, saßen, und der Kreis um Rudolf Johannes schmied, den Dichter von ,Carlos und Nicolas’, der Adalbert-Matkowsky-Tisch im Café Monopol und die Tafelrunde in der ,Klause’ mit Hartleben und Walter Harlan und dem jungen Eduard von Winterstein. In diesen Zirkeln lebte das eigentliche geistige Berlin, entstand die Atmosphäre, aus der Sezession und erste Reinhardt-Bühnen, Überbrettl und modernes Kunstgewerbe, alles Unzünftige in Literatur und Kunst seine Kräfte zog.“ Fechter: Menschen und Zeiten, S. 325–326. Kurz nach Gründung des Juni-Klubs teilte Moeller mit: ,,Von Gundolf, nach dem Sie fragen, habe ich nichts mehr gehört. Er ist zu sehr im George-Kreis festgehalten, als dass sich Beziehungen aufrecht erhalten ließen, die doch irgendwie politische sein müssten. Aber ich habe ihn in guter Erinnerung: als den einzigen Juden, der eine reine Gestalt ist.“ DLA Marbach A: Hans Grimm, Brief (22.7.1919) Moeller van den Bruck an Hans Grimm. In Deutschland unterlagen studentische Verbindungen zunehmend einem militaristischen und sehr körperbetonten Männlichkeitsbild, während sich in England eine individualisierende Tendenz vollzog, in der Männlichkeit nicht mehr allein über Gemeinschaft identifiziert wurde. Sonja Levsen: Elite, Männlichkeit und Krieg. Tübinger und Cambridger Studenten 1900–1929, Göttingen 2006, S. 356–357. U. a. Baumann: George-Kreis, S. 67; Jürgen Frese: Intellektuellen-Assoziationen, in: Faber/Holste: Kreise, S. 441–462, S. 454. Max Weber hatte diese Funktionsweise idealiter beschrieben in ,,Wirtschaft und Gesellschaft“ über die ,,Wirtschaft und die gesellschaftlichen Ordnungen und Mächte“; Max Weber: Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriss der verstehenden Soziologie, Tübingen 1980.

2.3 Gruppenbildung und Ring

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ten sie sich innerhalb der intellektuellen Vereinigung scheinbar paradox, denn über kurz oder lang – auch schon vor der öffentlichen Inszenierung – verehrten sie einen aus ihrer vermeintlich ebenbürtigen Runde oder stellten ihn als Führungsfigur über den Ring und inszenierten ihn als dessen existenzerhaltenden und -begründenden Furor [poeticus späterhin teutonicus]. Diese Form von Heldenverehrung traf weniger auf die Kreise der Vorkriegszeit zu – wie etwa die ,,Jung-Wiener“ im Cafe Griensteidl399 –, als vielmehr auf die der Nachkriegszeit. In der Ring-Bewegung galt Moeller als zentrale Führungsgestalt. Von Moeller ausgehend wurde eine Hierarchie aufgebaut, indem der jeweilige Abstand des Individuums zum Außenring oder inneren Kern definiert wurde. Der Kern des Ringes galt als geistiger Arkanbereich, von dem aus eine anziehende Sammlungskraft ausging. In den Briefwechseln der Ring-Aktiven wurden solche Verortungen häufig gebraucht, um die Zuverlässigkeit der beschriebenen Person zu bestimmen. Innerhalb des Juni-Klubs sollten zwar ,,Gleichgesinnte“ zur gemeinsamen politischen Arbeit aufeinander treffen, damit war aber keine gleichberechtigte Arbeit gemeint, da die Prinzipien der Mitgliedschaft die notwendige ,,Einordnung in die Gemeinschaft“ betonten. – Der Ring war eine Chiffre, die den Charakter des inneren Kerns verdeutlichte: dieser Kern sollte als ein nach innen wie außen abgeschlossener Verband auftreten. Die Charaktere innerhalb des Ringes wurden durch ihn und in ihm idealisiert: Geschlossenheit der Gruppe, Loyalität, Klarheit und Schlichtheit der Persönlichkeiten sind deren bekannte Attribute. Grundsätzlich begriffen solche Gruppierungen ihr Verhalten als anders, meist als rebellisch gegen konventionelle Hierarchien, die durch die Ringform einerseits zwar aufgelöst oder konterkariert wurden, die andererseits meist eine eigene hierarchische Dynamik entwickelten.400 Das Individuum innerhalb der Gruppe oder des Zirkels erfuhr doppelte Identitätsbestätigung: einerseits als gesellschaftlicher Außenseiter, andererseits als Mitglied einer sinnstiftenden Gruppe.401 Die positive Selbstidentifikation als soziales Gebilde reichte immer nur bis zu einem bestimmten Punkt und kehrte sich dann auch gegen außerhalb der Gruppe Stehende als NichtEingeweihte.402 Auf diese Weise spielten Kreise, Ringe und Bünde eine wichtige Rolle in der gesellschaftspolitischen Auseinandersetzung, denn 399 400

401 402

Reichensperger: Zur Praxis, S. 97. Vgl. dazu Elias’ Untersuchung einer Dorfstruktur und des Verhaltens Alteingesessener und neu Zugezogener. Norbert Elias/John L. Scotson: Etablierte und Außenseiter, Frankfurt a.M. 1990, S. 13. Vgl. auch Axel Honneth: Idiosynkrasie als Erkenntnismittel. Gesellschaftskritik im Zeitalter des normalisierten Intellektuellen, in: Wenzel: Der Kritische Blick, S. 61–79, S. 68. Je ritualisierter die Verfahren der gruppenspezifischen Prozesse, desto stärker die Distanz zu den sie ,,ausgrenzenden Individuen, Institutionen und Instanzen, dass diese insgesamt ,von außen‘ zusammengefasst und als substanzielle feindliche Einheit imaginiert werden können“. Frese: Intellektuellen-Assoziationen, S. 456.

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2. Konstruktion des Jungkonservatismus

sie waren nicht nur ,,think tanks“ der pluralistischen Gesellschaft. Zugleich avancierte in ihnen das ,,Denken in Differenzen und Hierarchien“ zum Allgemeingut. Hier wurde der Praxistest gemacht, dass die Welt sich nur zu verstehen, begreifen und verändern lassen schien, indem die ,,Universalität der menschlichen Gattung in transhistorische, sich gegenseitig ausschließende Gruppen“403 aufgeteilt wurde. Das gesellschaftliche Verständnis für nationale Ein- und Ausschlussverfahren und die damit einhergehenden Feindbilder beruhten auf den kulturellen Praktiken und Vorgaben intellektueller Assoziationen. Die jungkonservative Nutzung und Deutung des Ring-Symbols während der frühen Weimarer Republik schloss an diese Ebenen an. ,,Der Ring soll unsere Geschichte dort geistig aufnehmen, wo sie geistig abbrach.“404 Das Moeller’sche Diktum vom Ring als Nadelöhr der deutschen Nation fasste in einer einprägsamen, wenig konkreten und oft zitierten Formel seine Auffassung eines spiralförmigen ewigen Kreislaufs der Nationalisierung zusammen. In dieser Spirale könnten sich die ,,revolutionären Ideen mit den konservativen“ verbinden und ,,sich immer wieder herstellen“, damit sie ,,konservativrevolutionär dahin treiben, wo wir Zustände erreichen, bei denen wir wieder leben können“. Der Kreislauf von Untergang und Wiedergeburt war die Basis einer aktivistischen, rechten Weltanschauung, nach der nur Besseres entstehen könne, wenn notwendigerweise Anderes vergehe.405 In Moellers Interpretation war die ewige Wiederkehr kein gleichförmiges Schicksal der Völker, sondern besaß je nach Volk qualitative Unterschiede. Nur die nach Moellers Meinung jungen Völker waren in der Lage, das Ring-Prinzip auf die Gegenwart anzuwenden, so dass Fortschritt und Aufstieg einsetzen könnten. Deshalb bestimmte Moeller, als Gegenentwurf zu Spenglers Geschichtsmorphologie, dass Geschichte ,,nicht in einem Ringe wieder sich selbst zurück[läuft], in dessen Bilde sich Nietzsche die ewige Wiederkunft vorstellte. Sie verschiebt sich vielmehr in einer ewigen Ueberschichtung, die in ihrem Spiralenverlaufe immer wieder elliptisch ausholt, neue Möglichkeiten aufnimmt und neue Stufen ansetzt“.406

Die vitale Erneuerung Deutschlands müsse durch ein unendliches Band mit der überzeitlichen Vergangenheit verbunden werden, so dass die ursprünglichen Wurzeln der Gemeinschaft in der Gegenwart wirksam würden. Die Verwendung eines einprägsamen und mystisch aufgeladenen Symbols407 als 403

404 405 406 407

Etienne Balibar: Der Rassismus: auch noch ein Universalismus, in: Bielefeld: Das Eigene, S. 175–188, S. 175. Vgl. auch Frank Deppe: Politisches Denken im 20. Jahrhundert. Band 1: Die Anfänge, Hamburg 1999, S. 105. Moeller van den Bruck: Das Dritte Reich, S. 27. Vgl. die religiöse Imprägnierung dieses Bildes: Hering: Wiedergeburt. Moeller van den Bruck (14.07.1920): Der Untergang des Abendlandes, in: Gewissen, 2, H. 27, S. 2–3. Das Ring-Symbol enthält zudem eine spirituelle Konnotation, die seine Suggestionskraft und sein metaphysisches Potenzial bestimmt, denn die Linie, die den Ring formt,

2.3 Gruppenbildung und Ring

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Etikett einer politischen Bewegung hielt außerdem einen individuell befüllbaren Interpretationsbereich offen, in den jeder Anhänger seine Vorstellung einer ,,nationalen Erneuerung“ einfließen lassen konnte.408 Da die jungkonservative Ring-Interpretation einen geschlossenen Kreislauf ohne Anfang und Ende voraussetzte, den es wiederaufzunehmen galt, musste diese offensichtliche Paradoxie – die Gleichzeitigkeit von Schicksalhaftigkeit und Tat – als metaphysische Besonderheit in Szene gesetzt werden. Hierzu wurde zum einen die Persönlichkeit, die innerhalb des Ringes wirke, hervorgehoben, denn es galt ,,dass weder der organisatorische Apparat, noch das weltanschauliche Programm, sondern die einzelne Persönlichkeit den Gesamtkomplex prägte und den Zusammenschluss bewirkte und wahrte“.409 Zum anderen vertieften romantische Deutungsmuster, durch abgedruckte Versatzstücke von Ernst Moritz Arndt410 , Heinrich von Kleist411 , Jean Paul412 , Johann Gottlieb von Fichte413 oder Josef von Görres414 die dichotomische Raum- und Zeitdeutung.415 Indem die Gewissen-Redaktion romantisch eingefärbte konservative Standortbestimmungen veröffentlichte, ließ sie die politischen Veränderungen der Gegenwart nur dort als fortschrittlich gelten, wo sie durch die Anbindung an natürliche, determinierte (Ur-)Zustände legitimiert werden würden. Gleichzeitig kreierten die romantischen Verweise im Gewissen das jungkonservative Selbstbild einer Elite aus dem Volk und für das Volk, die jedoch realiter niemals dem Volk nahe kommen wollte.

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hat kein Ende und keinen Anfang, steht für Unendlichkeit und Wiederkehr. Das Bild entspricht der Schlange, die sich in den Schwanz beißt, eine häufige Darstellung in indischen, gnostischen oder tantrischen Zusammenhängen. Das Tier steht ,,für den ewigen Kreislauf der Energien in der Welt und im Menschen und damit auch für den Kreislauf der Zeitalter“. Bauer/Dümotz: Lexikon, S. 47. Eduard Stadtler (17.04.1919): Deutscher Sozialismus gegen Ost und West, in: Gewissen, 1, H. 2, S. 1. Schwierskott: Arthur Moeller, S. 40. Ernst Moritz Arndt (18.07.1921): Worte an die Zeit. Zusammengestellt von Karl Hoffmann, in: Gewissen, 3, H. 29, S. 2. Heinrich von Kleist (25.08.1920): Von der Liebe zum Vaterlande. Aus dem Katechismus der Deutschen. Zum Gebrauch für Kinder und Alte, in: Gewissen, 2, H. 33, S. 2–3; ders. (05.09.1921): Lehrbuch der französischen Journalistik, in: Gewissen, 3, H. 36, S. 2–3. Jean Paul (20.10.1920), in: Gewissen, 2, H. 41, S. 2. Fichte an die deutsche Nation (11.02.1920), in: Gewissen, 2, H. 6, S. 2–3. Josef von Görres (26.06.1922): Aufforderung an die Männer und Jünglinge des Mittelrheins zum freiwilligen Kampfe für das alte gemeinsame teutsche Vaterland, in: Gewissen, 4, H. 26, S. 2–3. Elemente der Romantik fanden sich im Jungkonservatismus immer dort wieder, wo ,,die Idealisierung einer ständischen und religiösen Organisation der Gesellschaft“, sich mit der ,,ästhetische[n] und geistige[n] Auffassung von Politik und Geschichte und [ihrer] Verachtung für empirische, materielle Fakten“ vereinten. Stern: Kulturpessimismus, S. 332.

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2. Konstruktion des Jungkonservatismus

Moeller definierte die Basis und gleichzeitig das Ziel der jungkonservativen Elite als eine besondere Form der hierarchisierten Gemeinschaft: ,,Unter Gemeinschaft verstehen wir nicht Gleichheit, sondern Verbundensein. Wir verstehen unter ihr Gliederung, Schichtung, Aufstieg.“ Und schließlich führte Moeller den Sinn der Bewegung zurück auf die ursprünglichste Zweck- und Symbolhaftigkeit eines Ringes, der seinem Besitzer die Aura der Auserwähltheit verleiht: ,,Der Ring soll diejenige Gemeinschaft sein, die den Führer bedingt, das Volk mit den Idealen zu den Idealen hinführt.“416 Der Ring – als Symbol wie auch als physisch vorhandene Entität – erscheint hier als fest geschlossener Kreis und ,,Ideal leibhafter Volksgemeinschaft“. Die Verbindung dieser Volksgemeinschaft beruhe auf einer ,,inneren Gemeinschaft, ohne dass ein sichtbares äußeres Band sie umschliesst“. Außerhalb der Volksgemeinschaft, ergo des nationalen Ringes, befänden sich ,,frevelnde Selbstsucht unverantwortlicher Einzelner“, der ,,Zerstörungswahn betörter Massen“, das ,,zersetzende Treiben entwurzelter Ideologen“ und die ,,gemeinschaftssprengenden Versuche klassenbewusster Gewaltherrschaft“; kurz: Individualität, Pluralismus, Freidenkertum und Kommunismus galten als natürliche Feinde der homogenen Formation des Rings.417 Die für die Weimarer Republik spezifische Explosivkraft gelang den intellektuell durchdrungenen Vorstellungen von Ringen und Kreisen schließlich in Verbindung mit dem Anspruch der politischen Bewegung. Erst durch die Expansion massenmobilisierender Bewegungen, die sich explizit von den Parteien abgrenzten, konnten auch die in Zirkeln verhandelten Ideen radikalnationaler intellektueller Republikgegner massentaugliche Popularität gewinnen.418 Die Ring-Bewegung nutzte zwar die Popularität des Begriffes, war aber faktisch ein kontrollierter Zusammenschluss sendungsbewusster Nationalisten und keine Bewegung. Auf inhaltlicher Ebene verwies diese Verknüpfung auf die widersprüchliche jungkonservative Programmatik, einerseits einen Elite-Kreis zu sammeln und andererseits die Massen ,,bewegen“ zu wollen.

416

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Der Ring. Entworfen von Moeller van den Bruck. In einem ähnlichen Sinne hatte sich auch der ,,Ring Nationaler Frauen“ als konservative ,,Alternativgründung“ zum BDF (Bund Deutscher Frauen) 1918 gebildet. Streubel: Radikale Nationalistinnen, S. 21. Beilage Gewissen Nr. 2 (14.01.1920), in: Gewissen, 2, H 2, S. 5-6. Vgl. auch Dieter Hein: Partei und Bewegung. Zwei Typen moderner politischer Willensbildung, in: Historische Zeitschrift 263.1996 H. 3, S. 69–97.

2.3 Gruppenbildung und Ring

149

2.3.2 Max Hildebert Boehm und der Ruf der Jungen ,,Was mich gerade in den von Ihnen behandelten Zirkeln seit jeher abstiess, war [sic] der blühende Tratsch und die vollkommene Indiskretion. Beide helfen ein bisschen erklären, warum gute Ansätze oft im Persönlichen so wenig gediehen.“419

Der Klub stieß ähnlich wie die Redaktionsarbeit des Gewissens regelmäßig an die Grenzen des Ring-Konzeptes einer inneren Gemeinschaft. Die Analyse des Spannungsverhältnisses zwischen Anspruch und Wirklichkeit innerhalb der Bewegung soll die These unterstützen, dass durch die Gleichzeitigkeit von klubinterner Machtausübung und schreibender Selbstvergewisserung die jungkonservativen Intellektuellen eine eigene Gruppenidentität schufen. Die frühesten Aufzeichnungen aus dem jungkonservativen Ring stammen von Max Hildebert Boehm, der 1921 mit ,,Ruf der Jungen“420 einen sinnstiftenden Grundstein der Bewegung legte. Boehms Biographie spiegelt zudem wider, wie intellektuelle Vermittler- und Erziehungstätigkeit vereint werden konnten und die Ring-Symbolik als politisches Ordnungsprinzip darin ihren Platz fand. Boehm wurde 1891 im litauischen Birkenruh geboren und besuchte zwischen 1909 und 1914 die Universitäten in Jena, Bonn, München und Berlin.421 Nach dem Krieg machten aus seiner Sicht die deutschen Gebietsverluste im Baltikum die Deutschtumsarbeit an den Grenzen dringend erforderlich, um dadurch die weiterhin beanspruchten östlichen Gebiete für die Zeit der Rückgewinnung ,,volklich“422 zu unterstützen und zu stärken. Boehms Auffassung war populär, denn in weiten Teilen der deutschen 419 420 421

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DLA Marbach A: Mohler, Briefe: Brief (15.08.1949) Hans Grimm an Armin Mohler. Boehm: Ruf. Auszüge abgedruckt in Gewissen (21.07.1920), 2, H. 28, S. 2-3. Details zu Boehms Leben liegen in einer ausführlichen Selbstauskunft mit dem Titel ,,Um das gefährdete Deutschtum“ vor, in: BArch Koblenz N 1077 NL Max Hildebert Boehm, außerdem in Ulrich Prehn: Auf dem rechten Weg zur ,,Volksgemeinschaft“. ,,Deutschtums“-Propaganda und ,,Führerauslese“ in der nationalpolitischen Bildungsarbeit Max Hildebert Boehms, in: Paul Ciupke (Hrsg.): ,,Die Erziehung zum deutschen Menschen“. Völkische und nationalkonservative Erwachsenenbildung in der Weimarer Republik, Essen 2007, S. 119–148. Demnächst erscheint hierzu von Ulrich Prehn: Max Hildebert Boehm und die geistige Mobilmachung der ,,Volksgemeinschaft“. Radikales Ordnungsdenken vom Ersten Weltkrieg bis in die frühe Bundesrepublik, phil. Diss. Hamburg 2010. Dabei plädierte Boehm ,,unmissverständlich [. . . ] für eine Instrumentalisierung von Methoden aus den unterschiedlichsten universitären Fachdisziplinen, um mit Hilfe rassenhygienischer, historischer, demoskopischer und anthropologischer Forschungsstrategien die ,Einheit des Volkes‘ zu erfassen“. Ingo Haar: ,,Revisionistische“ Historiker und Jugendbewegung: Das Königsberger Beispiel, in: Peter Schöttler (Hrsg.): Geschichtsschreibung als Legitimationswissenschaft 1918–1945, Frankfurt a.M. 1997, S. 52–103, S. 74.

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2. Konstruktion des Jungkonservatismus

Bevölkerung berührten die neuen Grenzziehungen und die dadurch entstandenen Gebietsverluste nach Abschluss des Versailler Vertrages den Kern des nationalen Selbstvertrauens. Nichts schien schlimmer als von nun an jenseits der Grenze, also außerhalb des klar umrissenen staatlichen, aber vor allem nationalen Ringes leben zu müssen.423 Nach 1918 stellten viele Historiker ,,das Volk bzw. das Volkstum als virtuelle[n] Gestalter seines Lebensraumes, als Bewahrer des essentiell Gültigen im Entwicklungsprozess der Nation, als Garant unverfälschter Gemeinschaftsformen“ in den Mittelpunkt und hielten seine Erforschung als Mittel zur Wiederherstellung deutscher Macht und Geltung für unerlässlich.424 Auch Boehm arbeitete an zentralen Stellen für die sogenannte Volkstumsarbeit. Ab 1920 gab er die Zeitschrift Der Grenzbote heraus und gehörte er zu den Gründungsmitgliedern des ,,Schutzbundes für die Grenz– und Auslandsdeutschen“. Im Politischen Kolleg, der Erziehungsanstalt der Ring-Bewegung, leitete er bis 1925 die ,,Arbeitsstelle für Nationalitätenprobleme“, ab 1926 saß er im Hauptausschuss des ,,Vereins für das Deutschtum im Ausland“.425 Nach Boehms Überzeugung übernahmen die deutschen Grenzbezirke überlebensnotwendige Aufgaben, weil das deutsche Volkstum dort seine entscheidenden Kämpfe bestritt, aus denen heraus die Kraft für die gesamtdeutsche Einheitlichkeit erwachsen würde.426 Die konkreten Raum- und Siedlungsforderungen Boehms dienten insofern dem ,,Volkstumsschutz“ wie der ,,Großdeutschen Machtwerdung“ in Europa: ,,Es wird alles davon abhängen, dass die deutsche Nation ihre abendländische Sendung glaubhaft zu machen und insbesondere aus ihrer Einbeziehung in den Osten heraus der französischen Vision von Balkan–Europa das Zielbild eines organisch befriedeten Abendlandes entgegenzusetzen versteht.“427

Die vom Versailler Vertrag vorgesehenen Gebiets-Abstimmungen boten dem ,,Schutzbund“ ein organisatorisches und propagandistisches Betätigungsfeld.428 Zusätzlich war die Grenztumsarbeit eng in studentische Aktivitäten 423

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Gerd Krumeich (Hrsg.): Versailles 1919. Ziele – Wirkung – Wahrnehmung, Essen 2001. Grundsätzlich zur Regierungs- und außerinstitutionellen Politik gegenüber Minderheiten und Grenzgebiete: Thomas Göthel: Demokratie und Volkstum. Die Politik gegenüber den nationalen Minderheiten in der Weimarer Republik, Köln 2002. Willi Oberkrome: Geschichte, Volk und Theorie. Das ,,Handwörterbuch des Grenz- und Auslandsdeutschtums“, in: Schöttle: Geschichtsschreibung, S. 104–127, S. 105. Über Boehm u. a.: Mohler: Konservative Revolution, S. 406–407. Über Organisation und Struktur des VDA vgl. Ulrich Prehn: ,,Volksgemeinschaft im Abwehrkampf “. Zur Organisation und Politik des Vereins für das Deutschtum im Ausland (VDA) in der Weimarer Republik, Hamburg 1997, S. 36–53. Max Hildebert Boehm (09.10.1922): Die Lebenskraft der alten Grenzen, in: Gewissen, 4, H. 33, S. 2-3. Max Hildebert Boehm (21.05.1923): Großdeutsche Machtwerdung, in: Gewissen, 5, H. 20, S. 1–2, hier 2. Max Hildebert Boehm (11.07.1921): Von der Verantwortung der Auswandernden, in: Gewissen, 3, H. 28, S. 3.

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eingebunden429 , an denen Boehm ebenfalls mitwirkte.430 Nach Moellers Tod und Konflikten mit Martin Spahn schied er aus dem Politischen Kolleg aus und führte seine Arbeitsstelle mit einem Teil seines ehemaligen Mitarbeiterstabes als eigenständiges ,,Institut für Grenz- und Auslandsstudien“ weiter.431 Dem Institut gab er ein klosterähnliches Gepräge, das eindringlicher als es der JuniKlub oder das Politische Kolleg je gekonnt hätten, eine Wissenschaftsgemeinde für angehende Deutschtums-Experten bilden sollte. In einer Werbeschrift hieß es: ,,Aus der engsten und unscheinbarsten Zelle heraus und ohne Lärm in der breiteren Öffentlichkeit sollte innerhalb der jungen Generation eine Verbindung zwischen außen- und binnendeutschen Kräften hergestellt und eine langsame und stetige Auswirkung dieser Tätigkeit auf die Deutschtumsarbeit in den Kampfgebieten selber und im Binnenland gesucht werden.“432

Ende der 1920er Jahre ging das Politische Kolleg in der Organisation der Deutschen Hochschule für Politik (DHfP) auf, in der Boehm bis 1935 als Dozent für sogenannte Ethnopolitik lehrte. Seine Veröffentlichung aus dem Jahr 1932, ,,Das eigenständige Volk“,433 bot nicht nur eine ,,umfassende Konzeption völkischer Wissenschaft“,434 sondern bildete schließlich auch eine der Grundlagen nationalsozialistischer Raumplanungen im Osten. Schon 1933, als er eine Professur für Volkstheorie und Volkstumssoziologie an der Universität Jena erhielt, begann Boehms Gelehrtenkarriere im Nationalsozialismus.435 Wenngleich er nach dem Krieg nicht mehr an einer Universität tätig werden konnte, gründete Boehm 1951 das anerkannte Nordostdeutsche Kulturwerk in Lüneburg und wurde Leiter der Nordostdeutschen Akademie, die sich explizit mit der Geschichte der nordostdeutsche Länder beschäftigt.

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Der ,,Verein deutscher Studenten“ (VdSt) hatte seinen Schwerpunkt u. a. auf das Verhältnis zu den Auslandsdeutschen gelegt und schon vor dem Krieg so genannte Grenzlandfahrten durchgeführt. 1919 wurden die Kontakte genutzt, um den ,,Deutschen Schutzbund für das Grenz- und Auslandsdeutschtum“ zu gründen. Petzinna: Erziehung, S. 119. Max Hildebert Boehm (30.05.1921): Klagenfurter Tagung, in: Gewissen, 3, H. 22, S. 3. BArch Koblenz R 118/48 Akten des Politischen Kollegs, Schriftwechsel Max Hildebert Boehm: Brief (12.05.1925) Max Hildebert Boehm an das Reichsministerium des Inneren. Parallel dazu entwickelte sich Königsberg unter Hans Rothfels, zur ,,Forschungsstätte für Fragen des Grenz- und Auslandsdeutschtums“. Vgl. auch, Ingo Haar/ Michael Fahlbusch/Matthias Berg (Hrsg.): Handbuch der völkischen Wissenschaften. Personen, Institutionen, Forschungsprogramme, Stiftungen, München 2008. BArch Koblenz R 118/48 Akten des Politischen Kollegs, Schriftwechsel Max Hildebert Boehm: Werbeblatt des Instituts für Grenz- und Auslandsstudien. Max Hildebert Boehm: Das eigenständige Volk. Grundlegung der Elemente einer europäischen Völkersoziologie Göttingen, Erstausgabe 1932, Reprint Darmstadt 1969. Haar: ,,Revisionistische“, S. 74. Wahrscheinlich wurde ihm wegen persönlicher Konkurrenz die ,,Mitgliedskarte der NSDAP“ vorenthalten, obwohl Boehm jeden ,,Zweifel an den ,Ernst meiner nationalsozialistischen Gesinnung‘ zurückwies“. Petzold: Wegbereiter, S. 335.

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2. Konstruktion des Jungkonservatismus

Laut Boehms Erinnerungen an die frühe Weimarer Republik und den Juni-Klub ,,trugen mancherlei Beziehungen und Wahlverwandtschaften dazu bei, dass sich aus kleineren Gruppen, aus freundschaftlichen und sachlichen Beziehungen der verschiedensten Art der umrahmende Kreis dieses seltsam vielfältigen Juni-Klubs als Marschkolonne und Stoßtrupp insgeheim Gleichgesinnter zusammenschloß“.436 In der Tat trafen in der betriebsamen Zeit nach dem Waffenstillstand von Winter bis Frühsommer 1919 die bis dahin nur lose miteinander bekannten Gruppierungen und Personen aufeinander und vernetzten sich enger, um den ,,Kampf der Ideen“ zu gewinnen. Boehms Kontakte aus seiner Zeit im amtlichen Propagandaapparat und innerhalb der prosperierenden Deutschtumsarbeit bildeten wichtige Verknüpfungspunkte während der Gründungsphase des Juni-Klubs. 2.3.3 Bildung und Konflikte des Juni-Klubs In der Gründungsphase des Juni-Klubs spielten vor allem die persönlichen Kontakte von Mitgliedern des Vereins Kriegerhilfe Ost e.V. (VKO) und die inhaltlichen Parallelen zum Verein Deutscher Studenten (VDSt) eine Rolle. Im November 1918 hatten sich drei ,,in ihrer Gymnasialzeit Alters- und Klassengenossen gewesene Persönlichkeiten“ – Alexander Ringleb, Walther Szagunn und Erich Keup – zu einer Beratung getroffen437 , aus der der VKO hervorging.438 Im VKO bündelten sich unter anderem durch das Engagement baltischer Emigranten die Interessen verschiedener Einrichtungen, die sich bis dahin für das deutsche Volkstum eingesetzt hatten, wie etwa der VDA.439 Während Erich Keup, Vertreter der Gesellschaft zur Förderung der Inneren Kolonisation (GFK), von Krupp-Direktor Alfred Hugenberg und vom Bund der Landwirte (BdL) unterstützt wurde440 , pflegte Alexander Ringleb den Kontakt zu Major von Willisen, der direkt nach der Revolution die Freikorps an den österreichischen Reichsgrenzen organisiert hatte und bis zum Sommer 1919 Chef der ,,Grenzschutz Ost“-Zentrale blieb.441 Diese Zentrale erhielt direkte Unterstützung vom Preußischen Kriegsministerium; zusätzlich flossen durch Ringlebs Vermittlung Geldmittel von den D436 437 438 439

440 441

Boehm: Ruf, S. 21. Nord-Ostakademie Lüneburg P 0/203: Alexander Ringleb, Vom Verein Kriegerhilfe zum Juniklub/Ring. Petzinna: Erziehung, S. 119. VDA, früher ,,Allgemeiner Deutscher Schulverein“: Schwierskott: Arthur Moeller, S. 54– 55; Ishida: Jungkonservative, S. 32; Prehn: ,,Volksgemeinschaft“. Über weitere Vernetzungen s.a.: Max Hildebert Boehm: Die Reorganisation der Deutschtumsarbeit nach dem Ersten Weltkrieg, in: Ostdeutsche Wissenschaft. Jahrbuch des Ostdeutschen Kulturrates, hrsg. von Max Hildebert Boehm, Fritz Valjavec, Wilhelm Weizsäcker, Bd. V, München 1958, S. 10–34. Petzinna: Erziehung, S. 118. Schwierskott: Arthur Moeller, S. 54.

2.3 Gruppenbildung und Ring

153

Banken.442 Der dritte VKO-Initiator Walther Szagunn war Keups Schwager und Vorsitzender des VDSt.443 Der antiliberale und antisemitische VDSt war in den 1880er Jahren gegründet worden und legte Wert auf ,,nationalpolitische Erziehung“ entweder durch Arbeit ,,im kleineren Kreis“ oder durch ,,Grenzlandfahrten“.444 Vor dem Hintergrund dieser Kontakte traf sich Boehm im März 1919 mit Karl Christian von Loesch – einem Studienkollegen Heinrich von Gleichens – , der ,,nach Berlin gekommen war, um eine Kulturorganisation konservativen Zuschnitts aufzubauen“.445 Boehm war von seiner letzten Station Bromberg nach Berlin übergesiedelt und im ständigen Kontakt mit dem ,,sympathischen Arbeitskreis“ des VKO.446 Loesch und Boehm – ,,der Schlesier und der Balte“ – verstanden sich auf Anhieb und Loesch bat um Vermittlung zu Major von Willisen.447 Als sich die beiden Männer trafen, führte Loesch zudem den sudetendeutschen Publizisten Hermann Ullmann ein. Dieser hatte während des Krieges in Berlin im Kriegspresseamt gearbeitet, gehörte dem VDSt an und leitete später die ,,Österreichische Mittelstelle“.448 Williesen nahm über Loesch erheblichen Einfluss auf die Gründung des ,,Deutschen Schutzbundes für das Grenz- und Auslandsdeutschtum“, in dem schließlich auch der VKO aufging.449 Die Dachorganisation ,,Deutscher Schutzbund“ wurde eingerichtet, um die zahlreichen Vereine und Organisationen gezielter koordinieren zu können, die sich gegen ,,Massnahmen, die auf eine Entdeutschung im Grenzdeutsch442

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447 448

449

Petzinna: Erziehung, S. 119, FN 4. ,,D-Banken“ galt als Kürzel der in Deutschland führenden Danat-Bank (Darmstädter und Nationalbank), Diskontgesellschaft, Deutsche Bank und Dresdner Bank. Über die finanziellen Verflechtungen und Unterstützer aus Ringlebs Sicht: Ostakademie Lüneburg, P 0/203: Alexander Ringleb, Vom Verein Kriegerhilfe zum Juniklub/Ring Vgl. auch StaMg 15/13/184 NL Brauweiler: Auszüge aus dem Briefwechsel Ringleb-Schwierskott, 07.05.1959-02.09.1959, Abschrift. Der VKO organisierte u. a. den Einsatz von ehemaligen Frontsoldaten in der ostdeutschen Landwirtschaft mit dem Ziel der Ansiedlung, daneben gab es ,,Aufklärungskurse“ für ,,speziell jüngere ehemalige Offiziere“. Ostakademie Lüneburg P 0/203: Alexander Ringleb, Vom Verein Kriegerhilfe zum Juniklub/Ring. Petzinna: Erziehung, S. 119. Ebd., S. 178. Boehm hatte mit Geheimrat Georg Cleinow, Herausgeber ,,Der Grenzbote“, in Bromberg beim Aufbau volkstumspolitischer ,,Volksräte“ mitgewirkt, die einer ,,Deutschen Vereinigung“ zusammengefasst als ,,Zentren gegen die drohende Polonisierung“ arbeiten sollten. BArch Koblenz N1077/1 NL Max Hildebert Boehm: Um das gefährdete Deutschtum, S. 131, Zitat 144. Ebd., S. 166. Ullmann vernetzte österreichische mit preußischer Deutschtumsarbeit. BArch Koblenz N 1077/1 NL Max Hildebert Boehm: Um das gefährdete Deutschtum, S. 170. Vgl. im Gewissen u. a. Hermann Ullmann (01.12.1920): Deutsch-Oesterreich nach den Wahlen, in: Gewissen, 2, H. 47, S. 3–4. Dieter Fricke (Hrsg.): Lexikon zur Parteiengeschichte. Gesamtverband Deutscher Angestelltengewerkschafte – Reichs- und freikonservative Partei, Köln 1983-1986, S. 290– 310.

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2. Konstruktion des Jungkonservatismus

tum hinzielen“ einsetzten.450 Loesch ging zu Recht davon aus, mit einer Vereinigung der Einzelaktionen politisches Gewicht gewinnen zu können. Mit nahezu 160 Bünden und Vereinen, die sich unter das Dach des Schutzbundes stellten, konnte dieser tatsächlich zu einem Machtfaktor aufsteigen.451 Trotz personeller und inhaltlicher Verbindungen zwischen Schutzbund und RingBewegung – das ,,Schutzbundhaus“ wurde auch Heimstatt von Juni-Klub und Redaktion – veröffentlichte Karl Christian von Loesch im weiteren Verlauf lediglich zwei Artikel im Gewissen. Nicht nur strategisch und inhaltlich variierende Schwerpunkte, sondern auch mangelnde Sympathie zwischen Loesch und Gleichen dürften hierfür eine Rolle gespielt haben.452 Parallel zu Loeschs Aktivitäten initiierte sich der Juni-Klub. Hans Roeseler, der für den VKO das organisierte ,,was man heute gerne public relations nennt“453 , brachte im März 1919 die verschiedenen Herren zu einem ersten Treffen im Lokal ,,Weihenstephan“ nahe der Potsdamer Brücke zusammen.454 Zu Beginn traf sich die kleine Gruppe täglich in Heinrich von Gleichens Wohnung, in deren Nähe die ,,Arbeitsstätten“ aller Beteiligten lagen.455 Zu den Gründungsmitgliedern gehörten neben Heinrich von Gleichen, der mit den ,,Solidariern“ organisatorische Vorarbeit geleistet hatte, Boehm, Moeller, Otto de la Chevallerie (Initiator des ,,Hochschulrings Deutscher Art“), Albert Dietrich (Studienfreund von Boehm), Fritz Ehrenforth (aktiv im Schutzbund), Paul Fechter, Alexander Ringleb (der sich explizit als Treuhand-Vermögensverwalter und weniger als Publizist zur Verfügung stellte456 ), Karl Hoffmann 450

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BArch Berlin R 8039/2 Deutscher Schutzbund – Schutzgemeinschaft: 2. Entwurf ,,Deutscher Schutzbund“, o. D., [1924, C.K.]. Vgl. auch BArch Berlin R 8039/1 Deutscher Schutzbund – Schutzgemeinschaft: Sonderdruck aus Nr. 7, Der Tag vom 9. Januar 1921 ,,Was der Deutsche Schutzbund ist, und was er nicht ist.“ von Erich Lilienthal. BArch Koblenz N 1077/1 NL Max Hildebert Boehm: Um das gefährdete Deutschtum, S. 173. Der weiterhin bestehende ,,Zweckverband Ost“ von Alexander Ringleb war eine Industrie- und Unternehmervereinigung und legte darauf Wert, öffentlich nicht als Schutzbundorganisation in Erscheinung zu treten. Ein Hinweis auf das hohe Potenzial im Spendenbereich ist die Tatsache, dass eine ,,Zentralstelle zur Bekämpfung der Schwindelfirmen“ eingerichtet werden musste, die u. a. Spendentrickbetrüger ausfindig machen sollte. BArch Berlin R 8039 Deutscher Schutzbund – Schutzgemeinschaft/1: Brief (31.08.1920) Alexander Ringleb, Zweckverband Ost an Freiherr von Wrangel, Deutscher Schutzbund. BArch Koblenz N 1077/1 NL Max Hildebert Boehm: Um das gefährdete Deutschtum, S. 168. Boehm beschrieb ihn als ,,fesselnden Redner“, mit ,,Temperament“, der ,,am stärksten seine Suggestionskraft zweifellos im persönlichen Gespräch“ entfalte. BArch Berlin R 8034 III/286 Presseausschnittsammlung – Reichslandbund: Max Hildebert Boehm (17.12.1930) ,,Karl C. v. Loesch“, in: D.A.Z. BArch Koblenz N 1077/1 NL Max Hildebert Boehm: Um das gefährdete Deutschtum, S. 144. Schwierskott: Arthur Moeller, S. 56; Petzinna: Erziehung, S. 120; Boehm: Ruf, S. 25. Ebd., S. 26. Nord-Ostakademie Lüneburg P 0/203 Alexander Ringleb Vom Verein Kriegerhilfe zum Juniklub/Ring. Ringleb berichtete zudem mindestens bis 1920 an Alfred Hugenberg in vertraulichen Dossiers über einzelne Klub-Mitglieder und Veranstaltungen. Vgl. BArch

2.3 Gruppenbildung und Ring

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(Mitarbeiter Ringlebs), Wilhelm von Kries, Franz Röhr (Mitarbeiter von Adam Stegerwald), Werner Wirths und Hans Roeseler. 2.3.4 Ideelle Grundlagen: Die 33 Sätze Im März und April 1919 entstanden ,,Die dreiundreissig Sätze“ als eine Art Grundsatzmanifest des Juni-Klubs, das jedoch keine ,,feste Form“ vorgeben sollte.457 Mehr noch: das Manifest sollte das ,,Misstrauen, das wir allen Programmen als einer Erscheinungsform des politischen Rationalismus entgegenbrachten“ verdeutlichen.458 Demnach lagen die 33 Sätze in einer paradoxen Doppelfunktion vor, denn zum einen bildeten sie einen Wertekanon ab, den alle Eingeweihten verinnerlichten und der die nach außen wirkende Konsistenz der Gruppe ausmachte. Zum anderen proklamierte der Juni-Klub, keine Anhaltspunkte zu geben, die einer politischen Richtungszuordnung gleichkämen. Indem die Gründungsmitglieder darauf bestanden, kein verbindliches Programm zu erstellen, unterstrichen sie den intellektuell-kreativen Charakter des Klubs. Jedoch sollte der Klub auch als ein Vorbild für die nationale Einheit stehen, in dem individuelle Bedürfnisse und Meinungen zugunsten der ,,Volksgemeinschaft“ beherrscht würden. Die Kompromissformel beider Ansprüche in Form eines Grundsatzmanifestes konnte insofern kaum helfen, Konflikt zu vermeiden. Beispielsweise galt Hans Roeseler, trotz seiner Verdienste in der Gründungsphase, als eine schillernde Figur, dem keiner seiner Kollegen endgültiges Vertrauen schenkte.459 Seine Klubmitgliedschaft verlief turbulent, da er sich anscheinend offen um Mitsprache in der Führungsriege bemühte. Trotz aller propagierten Offenheit wollten die Klub-Vorderen und Gewissen-Herausgeber jedoch keine ,,systematische Opposition“ zulassen, die die Juni-KlubLeitung Heinrich von Gleichen und Moeller in Frage stellte. Stadtler begründete seinen Wunsch nach Ausschluss Roeselers, weil dieser die Arbeit des Klubs lähme.460 Offenbar vermisste Stadtler an dem sieben Jahre jüngeren Mitstreiter ein entschlossenes Sendungsbewusstsein, wie er es von Mitgliedern des innersten Kreis der Ring-Bewegung erwartete. Statt zur ,,wirklichen Gemeinschaft“ vorzudringen, womit wohl ein gewisses Maß an Anpassung und Zurückhaltung gemeint war, setzte Roeseler durch, dass er strategisch

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Koblenz N 231/30 NL Alfred Hugenberg, Allgemeine und politische Korrespondenz: Briefe von Alexander Ringleb. Petzinna: Erziehung, S. 123. Boehm: Ruf, S. 23. BArch Koblenz N 231/25 NL Alfred Hugenberg: Brief mit Anhang (01.09.1920) Alexander Ringleb an Alfred Hugenberg. BArch Koblenz N 1324/3 NL Martin Spahn: Brief (22.01.1921) Eduard Stadtler an Martin Spahn.

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2. Konstruktion des Jungkonservatismus

am Organisationsbetrieb beteiligt wurde. Er wurde als Vertreter der RingBewegung in den Vorstand der Deutschen Hochschule für Politik gesandt und konnte unter Mithilfe von VDSt-Mitstreitern wie Walther Szagunn durchsetzen, dass er zukünftig an der Leitung des Politischen Kollegs beteiligt werde.461 Stadtler schäumte vor Wut, konnte aber wenig ausrichten. Ein weiterer Hinweis, dass Roeseler im Richtungsstreit des Juni-Klubs zur ,,inneren Opposition“ gehörte, war seine gute Bekanntschaft mit Rudolf Pechel, der sich 1923 mit Heinrich von Gleichen überwarf.462 Vor diesem Hintergrund erscheinen die 33 Sätze als mythische Überhöhung der eigenen Fähigkeiten, die ,,eine innere Gliederung unserer Gruppe“ bewirken sollten, ,,die sinnbildlich und vorbildlich für alle äußeren Organisationen sein soll, welche aus ihr hervorgehen werden“.463 Die Hälfte der 33 Sätze setzte sich dementsprechend mit Funktion und Form der Mitgliedschaft im Juni-Klub auseinander. Diese beruhte vor allem auf Vertrauen, denn Neumitglieder sollten nur ,,durch Kooptation auf Vorschlag zweier ,Paten‘ nach einer zweimonatigen Besuchszeit“ zugelassen werden können. Unterschieden wurde zwischen ordentlichem Mitglied, Verkehrsgast, förderndem und auswärtigem Mitglied, wodurch der exklusive, hierarchische Zugang zum innersten Bereich des Klublebens unterstrichen wurde.464 Die letzten Sätzen des Grundsatzmanifestes betonten den GeschlossenheitsCharakter des Klubs: ,,Man soll wissen, dass wir als Gruppe das sind.“ Gegen die Menschen und Kreise, ,,die wir als unsere Gegner empfinden“, müsse sich der Juni-Klub mit dem festen Willen zur Geschlossenheit aufstellen. Im Ton einer politischen Bewegung sollte das Programm elitäre, intellektuelle ,,Werbekraft“ ausstrahlen. Allen Formulierungen lag das Strukturprinzip des Rings zugrunde, durch das das Individuum der Gemeinschaft ,,einverleibt“ wurde. Jede Persönlichkeit konnte sich demnach nur in der ringhaften Gemeinschaft mit Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, mit Tradition und Mythos verbinden.465 Eine übergroß-verpflichtende Vergangenheit und eine erwartungsgroß-erlösende Zukunft ließ die Gegenwart der Protagonisten verblassen. Sie wurde zum schnöden Übergangsstadium, in dem allen Fein461

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463 464 465

Roeselers Beiträge im Gewissen: Hans Roeseler (10.06.1919): Der Zerfall Deutschlands, in: Gewissen, 1, H. 9, S. 1; ders. (05.06.1919): Erzbergers Entlastungsoffensive, in: Gewissen, 1, H. 17, S. 1; ders. (28.07.1920): Warum brauchen wir eine Hochschulreform?, in: Gewissen, 2, H. 29, S. 4; ders. (04.08.1920): Der Göttinger Studententag, in: Gewissen, 2, H. 30, S. 3. Pechel und Roeseler wurden Ende der 1920er Jahre Freunde, ein Briefwechsel lässt sich bis 1941 nachverfolgen. BArch Koblenz N 1160 I/92/48 NL Rudolf Pechel: Korrespondenz Hans Roeseler und Rudolf Pechel 1924–1941. BArch Koblenz N 1160/144 NL Rudolf Pechel: Der Juni-Klub. Die Dreiunddreißig Sätze. BArch Koblenz R 118/12 Akten des Politischen Kollegs: Satzungen des Juni-Klub. Detailliert bei Petzinna: Erziehung, S. 60–64, 77–107. Über die Einbindung des Individuums in kollektive ,,gegenkulturelle Lebenswelten“ mit den Mythen ,,Reich“, ,,Nation“, ,,Preußischer Sozialismus“. Vgl. Lenk: Deutscher Konservatismus, S. 132–138.

2.3 Gruppenbildung und Ring

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den durch Willenskraft und leidenschaftlicher Tat getrotzt werden musste. Im Dezember 1919 veröffentlichte Boehm im Gewissen den programmatischen Artikel ,,Was wir wollen“ und fasste den Ring-Gedanken zusammen als eine ,,Linie“, die gehalten werden solle: ,,Vergangenheit ist uns Verwurzelung, der Sinn unserer Bewegung ist Wachstum. Vergangenheit ist Mittelpunkt, von dem die Radien ausgehen: Aber der Ring will sich weiten.“ 466 Ähnlich wie die 33 Sätze auf keine wie auch immer geartete politische Fundierung eingingen, sondern nur auf ,,bestimmte Grundüberzeugungen“467 , bezogen sich auch Gewissen-Artikel selten explizit auf den Konservatismus als politische Leitidee des Grundsatzmanifestes. Dennoch lassen sie konservative Ideale und Topoi gut erkennen. In einem seiner Leitartikel von 1920 über ,,Die Konservative Schuld“468 setzte Moeller deutlicher als zuvor auseinander, welche politische Dimension in einer Ring- und spiralförmigen Geschichtsdeutung liegen könnte. Zunächst stellte er das Versagen des Alt-Konservatismus fest, der die konservativen Werte parteipolitisch operationalisiert und ihnen dadurch den ,,geistige[n] Odem ausgeblasen“ habe. Die parteipolitische Umsetzung konservativer Anliegen habe zur ,,geistigen Verwahrlosung“ geführt, unter der schließlich die ganze Nation leide, die ursprünglich unter der Obhut der Oberschicht gestanden habe, also ,,Männern anvertraut war, die zwar auch jetzt noch Männer der männlichen Bewährung bleiben, die aber aufhörten, Männer der geistigen Selbstvollendung zu sein“. Indem der vormals elitäre Konservatismus in die parlamentarischen Gefilde vorgedrungen sei, auch in die der konstitutionellen Monarchie, wurde er eingehegt und angepasst und seiner geistigen Potenz beraubt. Ohne seine vorwärts strebende Erhabenheit im Denken fehle dem Konservatismus jedoch sein wesentlicher Gehalt: ,,Der Konservativismus in Deutschland vergaß völlig, dass das zu Erhaltende ursprünglich ein zu Erringendes gewesen war. Und er vergaß, dass es nur dann erhalten werden kann, wenn es immer wieder errungen wird.“ Im Konservatismus sah Moeller die Kraft des organischen Wandels verankert und insofern legte er weniger Wert auf radikalen Umbruch, um den Weg für konservative Werte freizumachen. Sein Augenmerk, so betonte er selbst, lag auf der Erkenntnis und Entschlüsselung konservativer Botschaften, wie sie sich in allen Realitäten von Natur, Gesellschaft und Staat eingeschrieben hätten und fortentwickelt werden müssten. Moeller bezog sich in seinen Erläuterungen regelmäßig auf Ideen, in denen die Gleichläufigkeit des ,,Konservatismus in der Natur“ mit dem in der Politik hergestellt wurde.469

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Max Hildebert Boehm (17.12.1919): Was wir wollen! in: Gewissen, 1, H. 36, S. 1–2. BArch Koblenz N 1160/144 NL Rudolf Pechel: Juni-Klub. Die Dreiunddreissig Sätze. Moeller van den Bruck (17.03.1920): Die Konservative Schuld, in: Gewissen, 2, H. 11, S. 1–2. BArch Berlin R 118/34 Akten des Politischen Kollegs: Brief (05.12.1922) Moeller an Jakob von Uexküll.

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2. Konstruktion des Jungkonservatismus

Moeller analysierte eine notwendige gegenwärtige konservative Politik als spiralförmigen Aufstieg, der nach dem Prinzip des Ringes eine kontinuierliche Selbstvergewisserung beinhalte. Moellers Argumentationsfigur bestand wie so oft aus Antipoden, die er durch eine überpointierte Begrifflichkeit in Gefechtsstellung brachte. Die Ideen der Aufklärung summierte er zur ,,Weltdemokratie“, der er die ,,Welthierarchie“ entgegensetzte470 , die ,,den großen Gedanken der Hierarchie im deutschen Idealismus wieder aufgenommen“ habe. Entscheidend am Jungkonservatismus war nach Moellers Auffassung die Tatsache, dass dieser nicht einer Gesellschaftsschicht vorbehalten bliebe, sondern seinen ursprünglich Gemeinschaft stiftenden Charakter zurückgewonnen habe. Durch die Kriegsniederlage sei der Konservatismus ,,der Gemeinschaft zurückgegeben, in der er ursprünglich ruht“, wodurch ,,jetzt die Rechte und die Linke sich als Glieder desselben Volkskörpers erkennen.“ Ab 1923 galt das von Moeller veröffentlichte ,,Dritte Reich“ als eine Art Inkarnation des Nachkriegskonservatismus und Bibel der Ring-Bewegung. Ursprünglich sollte Moellers Abrechnung mit dem Liberalismus und Beschwörung des konservativen Menschen ,,Die dritte Partei“ heißen, aber Heinrich von Gleichen habe ihn davon überzeugt, dass der Reichsbezug auf die Leserschaft verbindlicher wirke.471 In seiner geschichtsphilosophischen Auslegung gelang Moeller, das Reich als Klammer des konservativen Menschen darzustellen. Ernst Krieck sah Moellers Entwurf des konservativ ,,wiedergeborenen Menschen“ gekennzeichnet durch dessen ,,Verwurzelung in den ewigen Untergründen, seine organische Verbundenheit mit den großen Zusammenhängen des Lebens“.472 In dieser Quintessenz scheint eine Gemeinsamkeit der Interpretationen des Ring-Symbols und des Konservatismus im Gewissen durch. Trotz aller jungkonservativen Beschwörungen von Handeln und Tat stand beides sehr viel mehr als beim alten Konservatismus erst am Ende einer langen Bewusstseinskette, die der konservative Mensch durchlaufen sollte. 2.3.5 Zentrum und Kreise der Ring-Bewegung Zum Legendenkorpus der Ring-Bewegung gehörte die Ausnahmerolle Moellers, um dessen Leben und Werk sich der Ring-Kosmos bewegte. Vor allem in den Erinnerungen der Teilnehmer avancierte Moeller zum geistigen ,,Mittelpunkt eines recht aktiven, wenn auch kaum in die breitere Öffentlichkeit

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472

Moeller van den Bruck (03.03.1924): Europäisch, in: Gewissen, 6, H. 9, S. 1–3. ,,Leider sollte es sich zeigen, dass gerade dieses Buch, das wie viele berühmte Bücher mehr bewundert als gelesen wurde, falsch betitelt war.“ DLA Marbach A: Mohler/Briefe: Brief (12.10.1948) Hans Schwarz an Armin Mohler. Ernst Krieck (03.12.1923): Das Dritte Reich, in: Gewissen, 5, H. 48, S. 2–3.

2.3 Gruppenbildung und Ring

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dringenden Kreises“.473 Der Kluballtag entsprach nicht ganz Moellers zurückhaltendem Wesen, aber seine Anhänger wussten sein Verhalten sinnstiftend zu deuten: ,,Er selbst hat wohl kaum persönlich bei den größeren Veranstaltungen das Wort ergriffen. Es sprachen die anderen. Er aber war trotzdem der Mittelpunkt, wirkte mehr und entscheidender durch sein Da-Sein als etwa durch sein Wort, das er lieber eindringlich an den Einzelnen richtete. Der Schweiger mit dem verhaltenen, umschatteten Gesicht, aus dem die ernsten, blauen Augen einen durchdrangen, so erschien er uns.“474

Boehms ,,Ruf der Jungen“ stellte Moellers und Heinrich von Gleichens Klubvorsitz und Freundschaft als tragendes Gerüst der Organisation in den Mittelpunkt, die durch die unterschiedlichen Charaktere und Rollen der beiden Männer ihre Stabilität erhielt.475 Die Konstellation im organisatorischen Bereich des Juni-Klubs konnte auf die Arbeit in der Gewissen-Redaktion übertragen werden: während Moeller die emotionale Führungsrolle innehatte – zur Lösung oder auch Verschleierung ,,interner Beziehungsprobleme“ –, übernahm Gleichen den funktionalen Part – für die ,,Lösung von Fragen, die zu tun haben mit von ,außen‘ bestimmten Aufgaben und Zielen“.476 Die Ring-Aktivisten standen vor der Aufgabe, einerseits die sammelnde Kraft des Rings in eine reale Organisationsform zu übertragen und andererseits den exklusiven Gründungscharakter des Juni-Klubs zu verstetigen, also die Abgeschlossenheit aufrecht zu erhalten und gleichzeitig neue Anhänger zu gewinnen. Da laut Ring-Gedanke der Juni-Klub die geistige Vorhut übernahm, sollten seine Mitglieder im Bewusstsein ihrer Überlegenheit gegenüber den zu erziehenden Massen wirken. Die Quadratur des elitären ,,Aktionskreises“477 gelang nach Boehms Erinnerung nur bis Ende 1920, danach setzten schon Momente von Erstarrung ein.478 Um ,,Ängstlinge“, Konjunkturritter, ,,Kompromißnaturen und geistige Schieber“ fernzuhalten479 , mussten die Grundsätze strikt eingehalten werden, zudem bewirkten die Aufnahmegebühr von 100 RM und der monatliche Beitrag von 30 RM eine natürliche Sicherung der Klassengrenzen. Oberhalb dieser Klassengrenze sollte der Klub wachsen.480 Ende 1920 wurden größere 473 474 475 476 477 478 479 480

BArch Berlin R 8034III/315 Presseausschnittsammlung – Reichslandbund, Personalia Moeller van den Bruck: F. (23.04.1936) Moeller van den Bruck, in: Frankfurter Zeitung. BArch Berlin R 8034III/315 Presseausschnittsammlung – Reichslandbund, Personalia Moeller van den Bruck: F. (23.04.1936) Moeller van den Bruck, in: Frankfurter Zeitung. Boehm: Ruf, S. 16–17. Vgl. Jürgen Frese über ,,familiär strukturierte Gruppen“: Jürgen Frese: Dialektik der Gruppe, in: Gruppendynamik im Bildungsbereich, 9.1982 H. 3/4, S. 5–33, S. 7f. BArch Koblenz N 1077/1 NL Max Hildebert Boehm: Um das gefährdete Deutschtum, S. 150. Boehm: Ruf, S. 21. BArch Koblenz N 1160/144 NL Rudolf Pechel: Der Juni-Klub. Die Dreiunddreißig Sätze. Den ,,intimen Zuschnitt verlor der Klub im Zuge der regelhaften Ausgestaltung des Klublebens und seiner personellen Erweiterung.“ Petzinna: Erziehung, S.121.

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2. Konstruktion des Jungkonservatismus

Räumlichkeiten in der Motzstraße 22 bezogen, in denen dienstags oder mittwochs die Informations- und Ausspracheabende zur festen Einrichtung wurden. Pechel erinnert sich, dass an solchen Abenden regelmäßig 120 bis 150 Mitglieder teilnahmen.481 In der Hochzeit der Juni-Klub-Aktivitäten wurde eine weitere Klubniederlassung in München eingerichtet, in der Oswald Spengler und Karl Haushofer verkehrten. In Hamburg, Stuttgart, Halle, Dresden, Breslau und anderen Städten gab es feste Sympathisantenkreise oder Stützpunkte.482 Ab 1923 änderte sich die Struktur der Berliner Informationsabende: immer dienstags traf sich der Klub obligatorisch, einmal im Monat fand je ein Gesellschaftsabend statt und ein Abend wurde von den ,,jüngeren Herren durchgeführt“, zwei weitere Abende im Monat blieben in der ,,bisherigen Form bestehen“.483 Neben diesen Abenden fanden auch andere Veranstaltungen statt, die von Mitgliedern in die Räume des Juni-Klubs vermittelt wurden.484 Jenseits der Erinnerungen und Beschwörungen, dass im Klub Männer verschiedener Richtungen ohne verpflichtende Bindung aufeinander treffen sollten, machen Boehms Erinnerungen deutlich, wie politische Präferenzen und soziale Herkunft den Kluballtag bestimmten. Für den katholischen Konservatismus standen die Mitglieder Spahn, Brauweiler und Stadtler. Letzterer eröffnete den Informationsabend oft ,,durch einen Bericht zur Lage“ nach dem ,,die oft sehr angeregte Aussprache“ folgte. Stadtlers engagierte Haltung dürfte einen nicht geringen Anteil an der angeregten Stimmung gehabt haben. Für ihn war der Juni-Klub nur eine Zwischenlösung auf dem Weg seines persönlichen Aufstiegs. Durch die Führungsrolle, die sein Doktorvater Martin Spahn als Leiter des Politischen Kollegs schließlich einnahm, hoffte Stadtler auf Beistand, wenn er sich innerhalb des Klubs und der Bewegung für eine aktivistische und sozial orientierte Strömung einsetzte. Zur katholischen Fraktion wurden auch Franz Röhr von den christlichen Gewerkschaften sowie Heinrich Herrfahrdt gezählt. Der VDSt und seine Vertreter Hans Roeseler, Walter Szagunn, Fritz Ehrenforth, der enge Mitarbeiter von Boehm, Carl Georg Bruns, sowie Hermann Ullmann bildete eine weitere Fraktion innerhalb des Klubs.485 Eine dritte Gruppe macht Boehm in den vorrangig in der Presse arbeitenden Männern 481

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Gemäß dem Selbstverständnis des Klubs gab es keine offiziellen Mitgliedsverzeichnisse, aber Schwierskott bezieht sich auf den internen Geschäftsbericht für 1925/26, um die von Pechel genannten Zahlen zu unterstreichen. Schwierskott: Arthur Moeller, S. 60– 61. Petzold: Wegbereiter, S. 114. BArch Koblenz R 118/10 Akten des Politischen Kollegs, H. 2: Brief (05.07.1923) Wilhelm Rosenberger an Eduard Spranger. DLA Marbach A: Paul Ernst/61: Brief (04.08.1922) H. M. Elster an Paul Ernst. Andere Juni-Klub-Mitglieder dieser Fraktion, unter anderem Karl Maßmann, Erich von Oettingen, Karl Baron Manteuffel-Katzdangen veröffentlichten keine Artikel im Gewissen.

2.3 Gruppenbildung und Ring

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aus: Wirths, Schotte, Hans Heinrich Schaeder, Walther Schulz, Frithjof Melzer und Fritz Hesse schrieben zudem im Gewissen, die genannten Paul Fechter und Fred de la Trobe jedoch nicht. Schließlich nannte Boehm die Gelehrtennatur Karl Hoffmann, die auslandserfahrenen Wilhelm von Kries und Rudolf Böhmer, den Unternehmer Paul Lejeune-Jung, sowie Cäsar von Schilling, Hans Schwarz, Gustav Steinbömer und Albert Dietrich als Teilnehmer der Klubabende. Regelmäßig lud der Klub interessante und wichtig erscheinende Persönlichkeiten in die Runde ein. Nach einem kleinen Essen saß man ,,bei einer schlechten Tasse Tee“ zusammen.486 Wenn sich die Gelegenheit ergab wurden Gastautoren des Gewissens eingeladen und der jeweilige Artikel für einen Themenabend genutzt.487 Bei offenen Abenden und ausreichender Beteiligung war auch ,,Fassbier als Getränk vorgesehen“.488 Stadtler berichtete von einem der Informationsabende, der geladene ,,amerikanische Professor kam aus der Verwunderung nicht heraus und notierte andauernd“, denn die Vorträge und Diskussionen seien außerordentlich bedeutend und taktisch klug angelegt gewesen.489 Trotz sommerlicher Temperaturen hatten an die 60 Teilnehmer in den Klub gefunden und hörten Vorträge über die Situation im Baltikum, in Russland und Polen, Karl Hoffmann ,,weitausholend über die Weltlage“, den Unternehmer Lejeune und den Stadtplaner Martin Mächler über ,,den Wiederaufbau Nordfrankreichs“ und abschließend Stadtler selbst zur ,,innendeutschen Gegenwartslage und Zukunftsentwicklung.“ Bei Zusammentreffen dieser Größenordnung war Gleichen, Gastgeber und Netzwerker, in seinem Element und ,,spielte Klaviatur, sowie nur er es kann“.490 1921 kam es im Klub jedoch zu einer ,,ziemlich schweren Krisis“491 , da die Aktivitäten des Politischen Kollegs zunehmend die des Klubs in den Schatten stellten. Anfang des Jahres hatte der pragmatisch orientierte Gleichen die Fusion von Klub und Kolleg vorgenommen, aber spätestens mit Martin Spahns 486

487

488 489 490 491

Die Quantität solcher Besuche bleibt ungeklärt, denn alle Erinnerungen heben lediglich Oswald Spengler, Thomas Mann und Adolf Hitler hervor. BArch Koblenz N 1077/1 NL Max Hildebert Boehm: Um das gefährdete Deutschtum, S. 153–155; Ostakademie Lüneburg P 0/203 Alexander Ringleb: Vom Verein Kriegerhilfe zum Juniklub/Ring. ,,Sie haben vielleicht Meydenbauers Aufsatz neulich im Gewissen ,Deutsche – Hellenisches’ beachtet, den der Vergleich des Ablaufs der griechischen Geschichte und der politischen Ereignisse der deutschen Geschichte besonders interessiert. Ueber dieses Thema wollen wir morgen in kleinem Kreise, hier in den Klubräumen, sprechen.“ BArch Koblenz R 118/35 Akten des Politischen Kollegs: Brief (24.02.1925) H. v. Gleichen an Martin Spahn. BArch Koblenz R 118/35 Akten des Politischen Kollegs: Brief (20.09.1922) W. v. Kries, Vorstand des JUNI-Klubs, an Karl Hoffmann. BArch Koblenz N 1324/3 NL Martin Spahn: Brief (14.07.1921) Eduard Stadtler an Martin Spahn. Ebd. DLA Marbach A: Hans Grimm/1983.0002: Brief (30.10.1921) Moeller van den Bruck an Hans Grimm.

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2. Konstruktion des Jungkonservatismus

Übertritt vom Zentrum in die DNVP im Herbst 1921 trat die Flügelbildung innerhalb des Klubs offen zutage. Neben den ,,persönlichen Gegensätzen“ waren die strategisch unterschiedlichen Ziele der Einrichtung ein Problem. Nicht alle Klub-Mitglieder wollten unbedingt an der politischen Erziehungsarbeit des Kollegs mitwirken.492 Klub und Kolleg wurden wieder getrennt, aus Sicht des Juni-Klubs, um ,,aus dem Sog einer völligen Identifizierung mit der Domäne Spahns und der DNVP“ herausgelöst zu sein.493 So wie sich der Klub insgesamt auf einer ressentimenthaften Grundlage konstituiert hatte, wurden auch die internen Beziehungen durch Ausgrenzungen bestimmt. Die Flügelbildung war zwar nach der Ablösung vom Politischen Kolleg aufgehalten worden, aber persönliche Gegensätze blieben bestehen und die Auseinandersetzungen während der Klubabende wurden aggressiver. Wilhelm von Kries, der sich 1923 mit Gleichen den Vorsitz teilte, war Teil einer Opposition zu den Gründern des Klubs. Die Auseinandersetzung wurde offensichtlich, als Pechel aus der ,,Gesellschaft der Freunde des Gewissens“ austrat und Gleichen ihn aufforderte, sich zu erklären.494 Pechels Begründung für sein Ausscheiden war sachlich und direkt. Er vermisse schon längere Zeit im Gewissen ,,was uns seine Förderung nahelegte.“495 Seit Beginn der französischen Besetzung des Ruhrgebietes habe er ,,jede positive und produktive Anregung vermisst“ und er sah die Gewissen-Rhetorik gefährlich nah zu den ,,ganz dumm nationalistischen Blättchen rücken“. Jede ,,sachlich wertvolle Kritik“ würde mit inflationär verwendeten Schlagworten zunichte gemacht. Der Vorwurf der Unsachlichkeit traf Gleichen hart und er reagierte pikiert. Anfang Mai kam es zum offenen Streit zwischen Kries und Gleichen über das weitere Vorgehen angesichts der prekären politischen Lage, wie Moeller in einem Brief erklärte. ,,Die Sache gedieh schließlich zu einer Pistolenforderung. Und, damit hat jetzt ein Ehrengericht aufgeräumt. Wir haben anderes zu tun. Wenn geschossen werden soll, dann findet sich dazu am Rhein reichliche Gelegenheit. Im Übrigen hat die Opposition den Vorsitz, den sie bis dahin mit Gleichen teilte, niedergelegt und schaltet künftig aus. Wir werden endlich freie Hand und vor allem freien Rücken haben habe. Dieser ständigen Behinderung durch Besserwisserei und gleichzeitig Nichtstuer im eigenen Hause musste einmal ein Ende gemacht werden. Wir konnten so nicht weiterarbeiten.“496

Mit Schrecken musste Moeller erkennen, wie sehr das Leitsymbol des Ringes unterschiedliche Interpretationen zuließ und keineswegs vorab konstituierend wirkte. Gleichzeitig zeigten Moellers Aussagen, dass intellektuelle 492 493 494 495 496

Petzinna: Erziehung, S. 126. Ebd., S. 138. BArch Koblenz N1160/144 NL Rudolf Pechel: Brief (01.05.1923) H. v. Gleichen an Rudolf Pechel. BArch Koblenz N1160/144 NL Rudolf Pechel: Brief (11.05.1923) Rudolf Pechel an H. v. Gleichen. DLA Marbach A: Hans Grimm/1983.0002: Brief (05.05.1923) Moeller van den Bruck an Hans Grimm.

2.3 Gruppenbildung und Ring

163

Eitelkeiten als Triebfeder einer jungkonservativen Profilierung wirkten. Moeller fühlte sich gemaßregelt und die Renegaten sollten ausgeschlossen werden, aber leisteten weiterhin Widerstand. Im Dezember 1923 wandten sich von Kries, Lejeune-Jung und Pechel an Martin Spahn und baten um Unterstützung, den derzeit ,,entarteten und kompromittierten“ Klub zu retten, bevor die Mehrheit austreten würde.497 Spahns DNVP-Beitritt hatte mit verursacht, dass aus Sicht vieler Mitglieder der Klub zu einem ,,machtpolitischen Instrument“ geworden war. Deshalb forderte die Opposition die Reduzierung aller Klub-Aktivitäten auf die ursprüngliche Form, um wieder ,,die Keimzelle und Mittelstelle politischer Gedanken, aber nicht das Instrument aktiver Politik“ zu sein. Die Forderung konnte nicht durchgesetzt werden und der Klubzusammenhalt war aufgerieben. Im Mai 1924 wurde der Klub per Mitgliederbescheid mit der Begründung aufgelöst, die Mitgliederzahl sei zu groß geworden wodurch innere Geschlossenheit verloren gegangen sei, interne Gruppierungen sich gebildet hätten und man nun in ,,neutralerem Rahmen“ einen Gesellschaftsklub gründen wolle.498 Aus Moellers Sicht hatte die Klub-Auseinandersetzung insgesamt eine positive Auswirkung auf das Auftreten des Gewissens. Gegenüber Hans Grimm resümierte er Ende 1923, das Gewissen habe ,,gut seine Linie gehalten. Es wird jetzt fast ganz von den engsten Kreisen geschrieben. Oben: Gleichen, Schotte, Spahn. Ferner: Brauweiler und Hoffmann. Unten: Schwarz, Brock usw.“499 In der Tat waren an keinem anderen Jahrgang so wenige Autoren beteiligt wie am fünften im Jahr 1923. Obwohl dieser Umstand die wöchentliche Drucklegung erschwerte deuteten die Herausgeber den Personalmangel nicht als Rückschritt, sondern als Bestätigung, eine schlagkräftige intellektuelle Eliteeinheit zu bilden.500 2.3.6 Der Ring im Gewissen Der Juni-Klub benötigte das Gewissen als Kommunikationsplattform, um seine Interna in wirksamer Form zu vervielfältigen, um Sympathisanten zu erreichen und um den Anliegen der Ring-Bewegung nachhaltigen Ausdruck zu verleihen. Inhaltlich diente in den Artikeln, trotz unterschiedlicher Formulierungen, das Ring-Symbol zur Kennzeichnung von Freund und Feind. Als Stadtler im August 1920 ein Resümee seiner antibolschewistischen Arbeit zog, ordnete er die verschiedenen organisatorischen Ausprägungen in 497 498 499 500

BArch Koblenz N 1324/184 NL Martin Spahn/Korrespondenz mit Vereinen und Verbänden: Brief (17.12.1923) R. v. Bruch an Martin Spahn. BArch Koblenz N 1160/144 NL Rudolf Pechel: Brief (02.05.1924) Heinrich von Gleichen, Vorstand Juni-Klub, an Rudolf Pechel. DLA Marbach A: Hans Grimm: Brief (27.11.1923) Moeller an Hans Grimm. Vgl. in Kap. I ,,Kommunikation und Vermittlung“.

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2. Konstruktion des Jungkonservatismus

einen historischen Ablauf.501 In den Mittelpunkt seines geschichtspolitischen Artikels stellte er die Ignoranz von Unternehmern und Politikern gegenüber der Erkenntnisbefähigung der ,,Gemeinschaft der Jungen“. Der Ring fungierte als Vorstellung einer Einheit der Erkenntnisfähigen, und zugleich als nationales Sinnbild, indem er als ,,deutscher Ring“ zum ,,europäischen Gewissen“ aufstieg. Heinrich von Gleichen transponierte den Ring von einem Geschlossenheits-Ideal in ein Bekenntnis zur Entschlossenheit, das nur ohne Bindung an Programm und Partei in die notwendigen Schritte umgesetzt werden könne. Die unendliche Ring-Linie wurde in Gleichens Ausführung zur Basis persönlichen Tuns; nur wer auf dieser Basis stehe, könne als eine Führungspersönlichkeit die aktuellen Erfordernisse bewältigen.502 Zwei Jahre später konkretisierte Gleichen das Profil eines Mannes, der mit diktatorischen Mitteln und Geschichtsbewusstsein die Macht im Lande übernehmen sollte.503 Obwohl Gleichen betonte, die Herkunft dieser Führergestalt sei ,,nicht an Stand und Klasse gebunden“ – ,,er kann ein General oder ein Junker sein, er mag auch aus der besitzlosen Intelligenzschicht herkommen“ – machte er deutlich, dass eine diktatorische Exekutive nur mit gebildeter und intellektueller Unterstützung Erfolg haben könnte: ,,Ohne eine solche Gruppe, wie sie auch dem Freiherrn vom Stein zur Verfügung stand, ist auch der stärkste Staatsmann heute isoliert.“ Gleichens Brückenschlag zum preußischen Reformpolitiker Stein war aus Sicht der Ring-Elite dringend geboten, drohte doch im Dezember 1923 die rechte Bewegung im Kleinkrieg um kurzfristige Machtinteressen zu zerbrechen. Im Sinne des Ring-Gedankens, nach dem jede aktuelle Aktion durch eine geschichtsmächtige Tradition legitimiert wird, musste Gleichen darauf bestehen, dass die geistige Elite auch die Deutungshoheit gegenüber den rechten Aktivisten behalten müsse: ,,Die vaterländische Aufgabe verlangt Hingabe aus Leidenschaft, verlangt den Gehorsam einem höheren Gesetz gegenüber, als es die überkommene Form, heute ein Zufall, gebietet.“504 Das Ring-Symbol war auch im Menschen- und Führerideal Boehms die Vorlage einer inneren Gefasstheit und Geschichtsanbindung, denn nur ,,die Berührung mit dem edelsten und tiefsten Wollen der deutschen Überlieferung weckt den Willen nicht zur zuchtlosen Wucherung, aber doch zu allseitigem freiem Wachstum nach dem inneren Richtmaß der Persönlichkeit“. 505 Boehm sah in einem vorgegebenen innersten Kern den Ausgangspunkt zur Entwicklung einer Persönlichkeit. Um deutlich zu machen, dass die persönliche Entwicklung innerhalb determinierter Grenzen vollzogen würde, stellte er 501 502 503 504 505

Eduard Stadtler (25.08.1920): Zwei Jahre Antibolschewist, in: Gewissen, 2, H. 33, S. 1–2. Heinrich von Gleichen (25.07.1921): Programm-Politik, in: Gewissen, 3, H. 30, S. 1–2. Heinrich von Gleichen (03.12.1923): Der revolutionäre Staatsmann, in: Gewissen, 5, H. 48, S. 1–2. Ebd., S. 2. Max Hildebert Boehm (17.12.1919): Was wir wollen!, in: Gewissen, 1, H. 36, S. 1–2.

2.3 Gruppenbildung und Ring

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diesem ringähnlichen Bild den ,,bloßen Leistungsmensch“ gegenüber. Dieser sei ,,ein unnatürliches Ergebnis willkürlicher zweckgebannter Züchtung des Mechanisierungs-Zeitalter“. Während Gleichen sich sorgte, die ,,Geistesaristokratie“ könne beim Sturz des Weimarer ,,Systems“ zu kurz kommen, stilisierte Moeller, über die funktionale Elitenbildung hinaus, den Außenseiter. Im ,,unverbildeten Außenseiter“ sah Moeller den Kern einer in sich geschlossenen Erkenntnisfähigkeit. Moellers eigene Geschichte als Autodidakt trat 1919 in seinem Bekenntnis: ,,Und weil auch ich Auslandsdeutscher war. Weil wir den Ring kennen, den man um uns geschlossen hatte“506 genauso zutage wie in seinen Gewissen-Artikeln über den deutschen Nationalismus, der sich aus einem weltpolitischen Außenseiterstatus entwickele.507 Moeller zielte publizistisch auf die Zusammenfassung aller intellektuellen Rechten, die ,,überhaupt in politischen Betracht kommen“, um diese ,,sozusagen geschlossen gegen den literarischen Linksblock“ anzusetzen.508 Der Herausforderung dieser Aufgabe war sich Moeller bewusst, denn ohne eine gemeinsame verbindliche politische Ideologie wie auf der Linken waren solche Zusammenschlüsse, wie die Erfahrungen des Juni-Klub lehrten, immer schwierig: ,,Nicht zufällig sind alle diese Deutschen irgendwie Aussenseiter. Und auch jetzt noch fällt es schwer genug, sie in diejenige Richtung zu bringen, die nun einmal die ihre ist – oder doch es sein sollte. Das Gewissen sucht dies zu tun.“ Hans Schwarz bemühte sich, Moellers metaphysische Gedankengänge in materielle Forderungen umzuwandeln und gleichzeitig dem Werdegang seines spiritus rector zu huldigen. Er ergänzte die Außenseiter-Stilisierung Moellers durch Abstufungen in ,,Erkennende“ und ,,Berufene“, letztere bildeten in seinem Bild einen inneren, auserwählten Kern, um den herum die Erkennenden die ,,völkische Gemeinschaft“ bildeten: ,,Um den Schaden einer leeren Nachahmung alter intellektueller Bildung zu verhüten, muß der Erkennende zeigen, daß nur der Berufene dahin taugt, daß er keinen Wert auf eine Laufbahn legt, die eine Mehrzahl wählte, um in einer Kaste zu bleiben und standesgemäß heiraten zu können.“509

Im Gegensatz zu überkommenen Bildungsstrukturen und Gesellschaftsschranken setzte Schwarz das Ideal der völkischen Gemeinschaft. Moeller, oft auch beschrieben mit der ,,Kraft in Gegensätzen zu leben“, tauchte in diesem 506 507

508 509

DLA Marbach A: Hans Grimm: Brief (23.03.1919) Moeller van den Bruck an Hans Grimm. Moeller van den Bruck (16.01.1922): Einheit, in: Gewissen, 4, H. 3, S. 1–2; ders. (03.07.1922): Die Nationalisierung der Demokratie, in: Gewissen, 4, H. 27, S. 3; ders. (25.06.1923): Nationalistisch, in: Gewissen, 5, H. 25, S. 1–2; ders. (16.07.1923): Radek noch einmal. Die Arbeiter- und Bauernregierung – Der dritte Standpunkt, in: Gewissen, 5, H. 28, S. 1. BArch Koblenz R 118/34 Akten des Politischen Kollegs: Brief (09.07.1923) Moeller van den Bruck (ungezeichnet) an Hans Grimm. Hans Schwarz (08.12.1920): Gemeinschaft, in: Gewissen, 2, H. 48, S. 2-3.

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2. Konstruktion des Jungkonservatismus

Ideal als ein Weltweiser auf, der außerhalb jeder konventionellen Eingrenzung zur Erkenntnis gelangt und deshalb den Nukleus der ,,Volksgemeinschaft“ bilde. 2.3.7 Der Ring bleibt: Vom Juni-Klub zum Herrenklub Die Vorgänge, die zur Auflösung des Juni-Klubs führten und die Gründung des Herrenklubs begleiteten, sind weitgehend dargestellt.510 Innerhalb des Klubs drifteten mit der Zeit die politischen Einstellungen und Strategien immer mehr auseinander. Heinrich von Gleichen nahm Martin Spahns Eintritt in die DNVP 1924 zum Anlass, um die Differenzen mit ihm zu forcieren.511 Dies lag weniger daran, dass Gleichen die DNVP-Inhalte missbilligte, sondern an seinem Plan, den Klub auf eine exklusivere Klientel auszurichten. Um nicht Moellers offenen Widerspruch herauszufordern, organisierte Gleichen bis zu dessen Tod im Frühjahr 1925 lockere Übergangseinrichtungen wie den ,,Ring der Tausend“. Da Moeller sich schon im Laufe des Jahres 1924 zurückzog, konnte Gleichen die Redaktion des Gewissens gemäß seiner Ziele beeinflussen. Die Veröffentlichungen während der Transformationsphase 1924/25 hatten eine wichtige Funktion, um eine glaubwürdige und legitime Basis der Klub-Neuausrichtung zu schaffen. Kurz vor der Mitgliederversammlung, die die Auflösung des Juni-Klubs beschloss, veröffentlichte Brauweiler einen programmatischen Artikel ,,Neuer deutscher Adel“,512 in dem er sich mit den Prinzipien einer ,,funktionellen“ Oberschicht auseinandersetzte: ,,Sie bedeutet einmal den Apparat der natürlichen Auslese, zum andern ist sie der Träger der ganzen geistigen Tradition des Volkes, Erziehung und Kultur, und wird deshalb – in Tugenden und Lastern – das Vorbild für die niederen Schichten.“ Da als Auswahlkriterium der Geburtsadel allein nicht mehr zeitgemäß sei, 510

511 512

Schoeps. Deutscher Herrenklub; Ishida: Jungkonservative; Stephan Malinowski: ,,Führertum“ und ,,Neuer Adel“. Die ,Deutsche Adelsgenossenschaft‘ und der ,Deutsche Herrenklub‘ in der Weimarer Republik, in: Heinz Reif (Hrsg.): Adel und Bürgertum in Deutschland. Entwicklungslinien und Wendepunkte im 20. Jahrhundert, Berlin 2002, S. 174–211. 1932 geriet der ,,Herrenklub“ in die Schlagzeilen, weil er daran beteiligt gewesen sein soll, sein Mitglied Franz von Papen als Reichskanzler zu installieren. Nach 1933 konnte Gleichen durch geschicktes Taktieren – der Klub hieß von nun ,,Deutscher Klub“ – und Eintritt in die NSDAP, die Zeitschrift Der Ring bis 1943 herausbringen und den ,,Herrenklub“ unter neuem Namen bis zur Fusion mit dem ,,Club von Berlin“ 1937 am Leben erhalten. Bis zu seinem Tod 1952 war Gleichen bestrebt, das von ihm wahrscheinlich mehr denn je konstatierte ,,Elite-Problem“ durch verschiedene Klubgründungen zu lösen. Gleichens letzte Klubgründung ,,Deutscher Klub von Berlin“ existierte ,,zumindest bis zur Mitte der fünfziger Jahre“. Petzinna: Erziehung, S. 279. DLA Marbach A: Merkur/Heinrich von Gleichen: Brief und Anhang (13.09.1947) H. v. Gleichen an Herrn Moras: ,,Zur Wiederkehr der Gleichen“, S. 2. Heinz Brauweiler (14.04.1924): Neuer deutscher Adel, in: Gewissen, 6, H. 15, S. 2–5.

2.3 Gruppenbildung und Ring

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müsse eine ,,bewußte verbandsmäßige Zusammenfassung des Adels und der Gebildeten“ mit den Führern der Berufsstände geschaffen werden. Neben Gleichen und Brauweiler veröffentlichte Walther Schotte weitere Leitartikel, die den Organisationsumbruch der Jungkonservativen begleiteten, die DNVP als legitime parteipolitische Vertretung offen unterstützten und die politische Agenda im Sinne des angestrebten Herrenklubs kommentierten.513 Im August 1924 versuchte Eduard Stadtler noch einmal die grundsätzliche Linie des Gewissens zu bestimmen, die der Strategie Gleichens und Schottes nicht entsprechen konnte.514 Stadtler erklärte, man habe im Gewissen in den vergangenen fünf Jahren zu erklären versucht, dass alle politischen Richtungen und Klassen nur verschiedene ,,Folien ein und desselben Geistes“ seien. Stadtler klagte die DNVP an, sie spekuliere seit ihrem Wahlerfolg im Mai nur noch auf die Regierungsmacht anstatt als Zugpferd der nationalen Opposition deren Geist zu sammeln und zu vertreten. Mit dieser Forderung stand Stadtler mittlerweile fast allein im Gewissen, in deren Spalten die Artikel zum Thema Führer- und Oberschichtsammlung überwogen und die Frage nach einer revolutionierenden rechten Politik kaum noch gestellt wurde. Gleichens und Schottes Artikelzahl nahm während des Jahrgangs 1924 deutlich zu, außerdem erschienen vermehrt Artikel des Religionsphilosophen Erich Brock, des Dichters Hans Schwarz und des radikalkonservativen Orientalisten Edgar Pröbster. Brocks und Schwarz‘ Ausführung sublimierten den funktionalen Elitegedanken, Pröbster steuerte außenpolitische Kompetenz bei. Im November erschien Moellers letzter Artikel, im Dezember wurde der Herrenklub offiziell gegründet. Mit Gründung des Herrenklubs konnte Gleichen seine strategischen Ziele in den Grundsätzen festschreiben, so dass die ,,freie Bildung eines Führerstandes“ als unangefochtenes Prinzip des Herrenklubs galt. In ihm sollte die machtorientierte Synthese aus Geistes-, Geld- und Geburtsadel endlich vollzogen werden, ohne deren Führerprivilegien ständig neu aushandeln zu müssen. Hier konzentrierte sich ,,ökonomisches, soziales und kulturelles Kapital“, das durch handverlesene Mitglieder bewusst ausgeweitet wurde.515 Der dynamische Aspekt einer funktionalen Elite und das bewahrende Moment der Aristokratie konnten auf diese Weise gleichzeitig wirksam werden.516 Um den Begriff ,,jungkonservativ“ und das Ring-Symbol auch weiterhin glaubhaft verwenden zu können, unternahmen Gleichen und Schotte eine 513

514 515 516

Walther Schotte (28.04.1924): Das Testament des Führers, in: Gewissen, 6, H. 17, S. 1–3; Heinrich von Gleichen (14.07.1924): Oberschicht und Führung, in: Gewissen, 6, H. 28, S. 1–3; Heinz Brauweiler (28.07.1924): Nationale Wirtschaft, in: Gewissen, 6, H. 30, S. 1– 3. Vgl. auch in Kap. II. ,,Im Spannungsfeld: Intellektuelle und Politik“. Eduard Stadtler (31.08.1924): Die Krise der nationalen Opposition, in: Gewissen, 6, H. 35, S. 1–2. Malinowski: ,,Führertum“, S. 198–199. Gerstner: Rassenadel, S. 93.

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2. Konstruktion des Jungkonservatismus

Uminterpretation der Juni-Klub-Grundsätze. Es zahlte sich aus, dass 1919 und später kein Programm festgeschrieben worden war. Dort wo der JuniKlub ein Ideal vertrauensvoller Gliedschaft entworfen hatte, die eine geistige Elite fördern und fordern sollte, gab der Herrenklub an, die Ring-Bewegung habe immer schon Führerpersönlichkeiten gesucht, die ,,durch ihre politische oder gesellschaftliche Stellung, durch ihren wirtschaftlichen, sozialen oder verbandspolitischen Einfluss, durch ihre persönliche Eignung und ihre Leistungen zum Einsatz“ aufgefordert wurden.517 Organisatorisch wurde die Einrichtung für die solvente Zielgruppe Adel, Beamtenschaft, Großkapital und Industrie518 von der für den Nachwuchs getrennt. So ließen sich radikale Potenziale, aus denen Opposition hätte erwachsen können besser kanalisieren.519 Die Forcierung der Zielgruppe bei gleichzeitig vermeintlicher Entradikalisierung der Forderungen schlug sich in den deutschlandweit entstehenden Herrengesellschaften nieder, zu denen nur mit hohen Eintrittsgeldern Zugang bestand.520 Entsprechend der Neuausrichtung rückte eine ebenfalls schon lange im Gewissen formulierte Forderung in den Mittelpunkt der Organisation. Sachverständigkeit und parteiinteressenfreies Expertentum war den politisch Handelnden immer schon empfohlen wurden, nun rückten die Tugenden in den Bereich der Klubmitglieder selbst:521 Weil die oft uneinheitliche Meinung in der ,,nationalen Bewegung“ ihre Behinderung bedeute lege ,,die Ring-Bewegung ein besonderes Gewicht darauf, je weniger sie nach ihrem Grundgedanken Auffassungen oder Verhaltensweisen verpflichtend machen kann und will, die Urteilsbildung zu unterstützen, wobei die nationalpolitische Verantwortung und das nüchterne Sachverständnis zusammengefügt werden sollen“.522

Das Ring-Symbol hatte mit dieser Konnotation jeglichen individuell ausgestaltbaren, metaphysischen Interpretationsbereich eingebüßt, den es zu 517 518 519

520

521

522

StaMg 15/13/181 NL Brauweiler: Der Jungkonservative Klub. Schoeps: Deutscher Herrenklub, S. 47. Wilhelm Rosenberger leitete die ,,Mittelstelle des Ringes“, zudem wurde die ,,Jungkonservative Vereinigung“, dann ,,Jungkonservativer Klub“ eingerichtet. Schoeps: Deutscher Herrenklub, S. 40-41. ,,Das hohe Eintrittsgeld soll lediglich die Sicherstellung der Kosten [...] bezwecken, allerdings auch gleichzeitig ungewünschte Elemente fern halten.“ BArch Koblenz R 118/35 Akten des Politischen Kollegs: Brief (16.04.1924) H. v. Gleichen an Martin Spahn. Heinrich von Gleichen (04.02.1920): Diktatur der Sachverständigen. In Beilage ›Liga zum Schutz der deutschen Kultur‹, in: Gewissen, 2, H. 5, S. 6; Alexander Ringleb (17.03.1920): Korruption, in: Gewissen, 2, H. 11, S. 1; Emil Kloth (12.09.1921): Die Verknöcherung der deutschen Gewerkschaften, in: Gewissen, 3, H. 37, S. 3; Hans Heinrich Schaeder (02.03.1921): Max Weber als Politiker, in: Gewissen, 3, H. 9, S. 2–3; Ernst Utitz (01.03.1920): Sachlichkeit, in: Gewissen, 2, H. 9, S. 2–3; Heinrich Herrfahrdt (14.04.1924): Berufsstände und Verwaltung. Beilage ›Die ständische Bewegung‹, in: Gewissen, 6, H. 15, S. 3–4. Heinz Brauweiler (21.03.1926): Der Ring, in: Die Standarte. Sonderbeilage des Stahlhelm, H. 12, S. 1.

2.4 Kommunikation und Vermittlung

169

Beginn noch in Teilen geboten hatte. Die Organisationspraxis hatte gezeigt, dass die Deutungsmacht nicht auf alle Gleichgesinnte verteilt werden konnte. Deshalb deuteten die Jungkonservativen des Herrenklubs das Ring-Symbol in seiner einfachsten Form als eine Einschließung gewollter und Ausschließung nicht-gewollter Meinung. Den Blick schärfen, also ,,Urteilskraft“ entwickeln, könne und dürfe nur derjenige, der teilhat. Wie gezeigt wurde, pflegte die jungkonservative Ring-Sammlung im JuniKlub und noch mehr im Übergang zum Herrenklub ein ausgesprochenes Elite-Ideal, das wenige Momente einer politischen Bewegung in sich hatte, geschweige denn klassen- und schichtübergreifend wirken sollte. Durch die Festlegung der 33 Sätze und verstärkt durch die Ring-Aufrufe im Gewissen konnte das Ideal einer interesseübergreifenden und schrankenlosen Sammlung auf einer ideellen Ebene erzeugt werden. Doch schon in der organisatorischen Praxis und in vielen Artikeln des Gewissens zeichnete sich die tatsächliche Beschaffenheit des Rings als ein machtorientierter politischer Zusammenschluss ab, der den Einschluss einer überlegenen Elite anstrebte. Im Laufe des Jahres 1924 konkretisierte sich das Ziel, eine unabhängige, diktatorisch ausgestattete Funktionselite schaffen zu wollen, denn eine ,,Nation braucht eine unabhängige Oberschicht, die selbständiger Träger des nationalen Wollens ist und von der aus die erforderliche Suggestivkraft der nationalen Idee auf ein Volk ausgeht“.523 Der Juni-Klub hatte nicht geschafft, den Anforderungen gerecht zu werden, als vorbildliche Gemeinschaft, im Sinne eines geschlossenen Kreises der Erkenntnis und Ring der Auserwählten, zu wirken.

2.4 Kommunikation und Vermittlung: Die politische Wochenzeitschrift Gewissen ,,Die wahre Zeitschrift soll auf gleicher Höhe mit ihrer Zeit seyn; [...] Da sich indeß annehmen läßt, daß das Höchste und Beste jeder Zeit dem größern Theile fremd ist, so muß insofern die wahre Zeitschrift über ihrer Zeit und ihr voraus seyn, aber ohne je die Beziehung zur Gegenwart ganz aufgeben zu dürfen.“524

Während die Verwirklichung des Ring-Ideals in der alltäglichen Praxis des Juni-Klubs nur schwerlich gelang, konnte die ebenfalls unter dem Ring firmie523 524

Heinrich von Gleichen: Oberschicht und Nation, in:, Alfred Bozi/Alfred Niemann (Hrsg.): Die Einheit der nationalen Politik, Stuttgart 1925, S. 233–249, hier 235. Friedrich Wilhelm Schelling (1813), Vorrede zu ,,Allgemeine Zeitschrift von Deutschen für Deutsche“, zitiert nach vom Bruch: Zeitschriften im Strukturwandel, S. 50.

170

2. Konstruktion des Jungkonservatismus

rende Zeitschrift Gewissen wirksamer als ein sinnstiftender jungkonservativer Bezugspunkt auftreten. Gleichwohl waren die Probleme und Konflikte ähnlich gelagert wie im Klub, konnten aber von der Redaktion glaubwürdiger als Teil des Profils interpretiert werden. Im folgenden Teilkapitel steht die Zeitschrift Gewissen aus medienhistorischer Perspektive in ihrer Funktion als Kommunikationsort und Vermittlungsinstanz der jungkonservativen Strömung im Mittelpunkt. In seiner grundlegenden Dissertation ,,Zusammenstellung politischer Zeitschriften der Nachkriegszeit in Deutschland“ aus dem Jahr 1928 ordnete Helmut Hüttig das Gewissen in die Kategorie ,,Allgemein nationale Zeitschriften“ ein.525 Das Gewissen, so Hüttig, ,,begann mit sensationeller, reklamehafter Aufmachung, ging aber, als es einen festen Leserkreis gewonnen hatte, zu ruhiger Form über“. Sein zentrales inhaltliches Merkmal sei ,,die politische Theorie der ,Dreigliederung‘“ gewesen, die man ,,für die Rettung hielt“.526 Eine weitere Perspektive auf das Gewissen bietet ein Artikel der Frankfurter Zeitung aus dem Jahr 1936, in dem sich ein gewisser F. an die Nachkriegszeit erinnerte, als man orientierungslos den Wunsch hatte, an etwas ,,Neuem mitzubauen“. In der Masse des Gedruckten habe er die Zeitschrift Gewissen gefunden, die ,,wie immer auch der einzelne zu dem dort Gesagten stehen mochte, eine Auseinandersetzung notwendig machte“.527 Das Gewissen sei von der geistigen Richtung Moeller van den Brucks bestimmt gewesen, aber auch durch einen Kreis von ,,Männern und Jünglingen, die sich ungeachtet ihres amtlich bekundeten Lebensalters als ,die Jungen‘ fühlten, als die Jungen jedenfalls in der Politik, und dies insofern mindestens mit Recht, als sie unbelastet durch bisherige politische Tätigkeit und Festlegung auf offizielle Standpunkte erscheinen mussten.“ Der sich erinnernde F. wies damit auf das Redaktions-Gebot der Überparteilichkeit hin und gleichzeitig auf die sich daraus ergebenden Komplikationen in der täglichen Redaktionsarbeit. Anhand der zeitgenössischen Einschätzungen und Erinnerungen wird deutlich, dass das Gewissen als Kernstück und verbindendes Element des jungkonservativ-intellektuellen Zirkels wahrgenommen wurde. Ihm gelang es, Selbstbeschreibungen, Ideen, Utopien und die Kritik am Bestehenden nachhaltig und öffentlichkeitswirksam zu transportieren. Deshalb können 525

526 527

Helmut Hüttig: Die politischen Zeitschriften der Nachkriegszeit in Deutschland. Von der ersten Milderung der Pressezensur bis zum Locarnovertrag, Leipzig 1928, S. 7. Über das Medium Zeitschrift vgl. auch Hansjürgen Koschwitz: Der früheste Beleg für das Wort ,,Zeitschrift“, in: Publizistik, 13.1968 H. 1, S. 41; ders: Zeitschrift. Zur Entstehungsgeschichte eines Pressebegriffs, in: Buchhandelsgeschichte. Aufsätze, Rezensionen und Berichte zur Geschichte des Buchwesens, 2002, H. 1, B19-B24. Vgl. auch die umfassend auf formalen Kriterien beruhende Definition von Ernst Herbert Lehmann: Einführung in die Zeitschriftenkunde, Leipzig 1936, S. 81. Hüttig: Politischen Zeitschriften, S. 33. BArch Berlin R 8034 III Presseausschnittsammlung – Reichslandbund, Personalia Moeller van den Bruck: Frankfurter Zeitung (23.04.1936): Moeller van den Bruck.

2.4 Kommunikation und Vermittlung

171

jungkonservative Positionsentwicklungen in der Zeitschrift Gewissen nachgelesen werden, wobei drei publizistische Phasen erkennbar sind: Die erste – hier vorgestellte – Phase war geprägt von der chancenreichen, politisch unfixierten Nachkriegszeit und der Person Moeller. Die zweite Phase ab Ende 1925 und mit der vollständigen Ausbootung Eduard Stadtlers als Herausgeber verdeutlicht die Konstituierung elitärer Strukturen und machtpolitischer Bindungen. Schließlich zeigt die dritte Phase parallel zur Weltwirtschaftskrise und den Präsidialkabinetten die vollständige Etablierung antisemitischer, rassistischer und autokratischer Ideen, wie beispielsweise Walter Schottes eindeutige Kriegserklärung von 1930 an den ,,Kulturbolschewismus“ und die Juden zeigte.528 Während der hier untersuchten ersten Phase gehörte etwa nur die Hälfte der Autoren aus dem inneren Kreis auch dem Juni-Klub an, zahlreiche externe Schriftsteller, Wissenschaftler oder Politiker schrieben auch für das Gewissen. Diese Konstellation beruhte teils auf pragmatischen Notwendigkeiten und wurde zugleich als Beleg angesehen, dass sich die Zeitschrift über den exklusiven Juni-Klub hinaus an ein Publikum wandte und an den politischen Diskussionen der Republik teilnahm. Zunächst werden die Rahmenbedingungen des Gewissens auf dem politischen Pressemarkt beleuchtet, danach Infrastruktur und journalistisches Selbstverständnis der Zwischenkriegszeit untersucht, auch in Hinblick auf den Redaktions-Standort Berlin, um anschließend das äußere und inhaltliche Profil der politischen Zeitschrift einzuordnen. Dazu gehören äußere Gestaltung, Vertrieb, Finanzierung und die Organisationsabläufe in der Redaktion. Vor diesem Hintergrund erhalten die inhaltliche Entwicklung des Blattes, Sprache und Themenkonjunkturen innerhalb der sieben Jahrgänge von 1919 bis 1925 eine deutlichere Akzentuierung. Abschließend werden der Umgang mit Autoren und mögliche Leserprofile untersucht.

528

Vgl. Alan E. Steinweis: Conservatism, National Socialism, and the Cultural Crisis of the Weimar Republic, in: Jones/Retallack: Between reform, S. 329–346, S. 343. ,,Während Gewissen sich zu Lebzeiten von Moeller van den Bruck um eine gewisse ,Äquidistanz‘ von links und rechts bemüht hatte und in erster Linie um Anhänger in der jungen Generation geworben hatte, vertrat der Ring eine andere soziale Basis als die des ,Juni-Klubs‘. Als offiziöses Sprachrohr des ,Herrenklubs‘ nahm das Blatt von der revolutionär-konservativen Rhetorik Abschied, die zur Zeit Moeller van den Brucks in den Publikationen der ,Ring-Bewegung‘ vorherrschend gewesen war und zeigte sich zum Konservatismus herkömmlicher Prägung viel offener als Gewissen.“ Michel Grunewald: Eine konservative Stimme in der deutschen Staatskrise. ,Der Ring‘ und seine Werben für den ,Neuen Staat‘ (1928–1933), in: Grunewald/Puschner: Milieu intellectuel conservateur, S. 481– 508, S. 484–485.

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2. Konstruktion des Jungkonservatismus

2.4.1 Zeitschriften im Kontext politischer und wirtschaftlicher Interessen Schon vor dem Krieg war die prosperierende Presse zum Leitmedium eines modernen und dichten Nachrichtennetzes aufgestiegen; die Verzahnung mit der und Professionalisierung durch die Kriegspropaganda hatten diesen Trend verstärkt. Bis 1918 hatte die Pressezensur noch retardierend auf die Entwicklung des Pressemarktes im Deutschen Reiches gewirkt,529 mit ihrer Aufhebung begann ein quantitativer und qualitativer Aufholprozess. Auf dem nun weitgehend zensurbefreiten und umkämpften Medienmarkt der Weimarer Republik musste sich die 1919 gegründete Wochenzeitschrift Gewissen durchsetzen. Während der unmittelbaren Nachkriegszeit fanden kleinere Wochenzeitschriften günstige Chancen vor, während später die publizistische Diversität abnahm und die Konkurrenz durch täglich erscheinende Zeitungen ,,auffällig zu[nahm]“.530 Eine zeitgenössische Untersuchung nannte für die Nachkriegszeit 271 explizit politische Zeitschriften, von denen die meisten wie das Gewissen in Berlin erschienen.531 Die Neugründungszahlen lagen 1919 am höchsten und verwiesen auf viele hoffnungsvolle Projekte, die in der politischen Gemengelage unmittelbar nach Ende des Krieges entstanden.532 Neben den parteieigenen gab es parteiorientierte Blätter, von denen die DNVP bis Ende der 1920er knapp die Hälfte für sich eingenommen hatte.533 Während ihrer erfolgreichen Zeit bekannten sich die Zeitungen der Verlage Mosse und Ullstein sowie der Berliner-Börsen-Courier und die Frankfurter Zeitung zur DDP, das katholische Zentrum fand traditionell in der Germania oder Kölnischen Volkszeitung seine Interessen vertreten. Die Rote Fahne der KPD, Die Freiheit der USPD und der Vorwärts der SPD markierten das politisch gestaffelte Pressefeld.534 Die publizistische Vielfalt des frühen Weimarer Pressemarktes kennzeichnete von Beginn an ein ausgeprägtes journalistisches Selbstbewusstsein in 529

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Jörg Requate: Journalismus als Beruf. Entstehung und Entwicklung des Journalistenberufs im 19. Jahrhundert; Deutschland im internationalen Vergleich, Göttingen 1995, S. 25; S. 244-264. Kübler: Kriegszeit, S. 58; Stöber: Deutsche Pressegeschichte, S. 209. Insgesamt nahm die Zahl an Wochenzeitschriften ab. Stöber: Erfolgverführte, S. 84. Hüttig gab 124 wöchentlich erscheinende Zeitschriften an, 114 davon in Berlin. Hüttig: Politischen Zeitschriften, S. 88–89. Von den etwa viertausend Tageszeitungen, die in der Weimarer Republik erschienen, waren die Hälfte Partei- und Parteirichtungszeitungen, von denen sich wiederum ein Drittel explizit ,,rechts“ einordnete. Jedoch kann die vermeintlich parteilose andere Hälfte der Zeitungstitel auch zu einem Gutteil eher rechts als links verortet werden. Gebhardt: ,,Mir fehlt eben ein“, S. 13. Ca. 500 zählten zum DNVP-Spektrum. Jürgen Wilke: Grundzüge der Medien- und Kommunikationsgeschichte. Von den Anfängen bis ins 20. Jahrhundert, Köln 2000, S. 346. Ebd., S. 346–348.

2.4 Kommunikation und Vermittlung

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Hinblick auf die eigene Meinungsfähigkeit. Das Gewissen agierte insofern typisch für die unmittelbare Nachkriegszeit, indem es sich durch einen offenen Autorenstamm zu profilieren suchte, der nach eigener Aussage anders als in der Parteipresse durch eine überparteiliche Sammlung im Sinne der Ring-Bewegung zustande gekommen sei.535 Das breite Autorenspektrum ergab sich teils aus der beabsichtigten überparteilichen Außenwirkung und war zugleich Ergebnis redaktioneller Zwänge. Das oft als indifferent wahrgenommene Profil der politischen Zeitschrift Gewissen entstand vor dem Hintergrund, dass ihre Autoren in bürgerlichen Berufen verankert waren oder aus dem schriftstellerischen Bereich kamen und nicht primär politische Journalisten waren. Die Kommunikation der politisch positionierten Medien war zwar durch die in der Weimarer Reichverfassung gewährte Meinungsfreiheit formal gesichert, aber ohne ein explizites Gesetz zur Pressefreiheit faktisch eingeschränkt.536 Der kaum gesicherte Status der Pressefreiheit trug in der politisch aufgeheizten Pressearbeit zur täglichen Gratwanderungen zwischen erlaubten und belangbaren Veröffentlichungen bei, wobei die ,,Kommunikationsbehinderungen“ des Pressemarktes vor allem moralisch begründet waren und häufig progressive und linke Veröffentlichungen trafen.537 Im Gegenzug ließ sich das staatliche Verbotsrecht von Seiten republikfeindlicher Herausgeber instrumentalisieren, indem diese ein Verbot offen herausforderten, um es schließlich als Argument gegen die Regierung zu verwenden. Das Vorgehen der Gewissen-Redaktion, als die Zeitschrift 1922 für zwei Monate verboten wurde, war bestes Beispiel hierfür.538 Wie sehr die Presse im politischen Kampf vereinnahmte und vereinnahmt wurde539 zeigten auch die Überfälle und Übernahme von Verlagsbetrieben während der Aufstände im Winter 1918/19 und beim Kapp-Putsch im März 1920. Die Inbesitznahme von Druckorten war nicht bloß symbolische Handlung, sondern Teil der politischen Machtkämpfe. Wilke sieht im Zugang zur 535 536

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Tendenzen der Auflagen u. a. Kübler: Kriegszeit, S. 47. ,,Die Presseverbände hatten [...] die Diskussion der Weimarer Verfassung verschlafen.“ Rudolf Stöber: Pressefreiheit und Verbandsinteresse. Die Rechtspolitik des ,,Reichsverbands der deutschen Presse“ und des ,,Vereins Deutscher Zeitungs-Verleger“ während der Weimarer Republik, Berlin 1992, S. 40. Die WRV verstand Pressefreiheit nur als ,,Meinungsäußerungsfreiheit im Rahmen der allgemeinen Gesetze“. Koszyk: Deutsche Presse, S. 337–345. Von gesetzlicher Seite wurden eher schützende als Freiheit gewährende Normen aufgestellt. Ernst Fischer/Stephan Füssel: Zensur, in: dies. (Hrsg.): Geschichte des deutschen Buchhandels im 19. und 20. Jahrhundert. Bd. 2 Die Weimarer Republik 1918–1933, München 2007, S. 71–82, S. 71. ,,Besonders die Abhängigkeit der Presse von politischen Entwicklungen deutete darauf hin, dass von einer freien Presse im idealtypischen Sinne ebenso wenig die Rede gewesen sein kann wie von einer reinen Demokratie.“ Meier: Zwischen Milieu, S. 59–60. Vgl. in Kap. II. ,,Im Spannungsfeld: Intellektuelle und Politik“. Wilke: Grundzüge, S. 341.

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2. Konstruktion des Jungkonservatismus

Öffentlichkeit die politische Bedeutung der Presse: ,,Mit dem Aufstieg der Presse zu einer eigenen ,Gewalt‘, wurde sie im 20. Jahrhundert zu einem Faktor, ohne den keine Macht errungen oder gesichert werden kann. Gewalt gegen die Presse ist [. . . ] daher selten bloß ,Lärm‘. Sondern die Gewaltakte gegen sie waren (oder sind) in der Regel strategisch. Es ging (oder geht) dabei immer um den öffentlichen Diskurs und seine Grenzen.“540 Nur wer verkünden konnte, dass er an der Macht war, besaß sie und konnte sie auch ausüben.541 Inwiefern die Kommunikation innerhalb des Pressemarkte auch Funktionen in persönlichen Auseinandersetzungen und für die intellektuelle Selbstvergewisserung übernahm, zeigt das Beispiel Gewissen. Moeller führte im Juni 1922 trotz des permanenten Platzmangels im Gewissen eine eigene Rubrik ,,Kritik der Presse“ ein, in der er mit den Konkurrenzblättern inhaltlich und sprachlich abrechnete. Max Hildebert Boehm erinnerte sich außerdem, dass zur publizistischen Gewohnheit des Gewissens das ,,lebendige dialektische Gespräch“ zwischen den Zeitungsredaktionen gehörte, so dass ,,immer wieder auch Mitarbeiter [. . . ] von ausserhalb des engsten Kreises [des Gewissens] zu Worte kamen“.542 Mit dem Hinweis auf ,,dialektische Gespräche“ war die Überzeugung verbunden, dass sich im Gewissen zwischen rechten und linken Positionen ausgetauscht würde. Tatsächlich können in den Artikeln inhaltliche und personelle Tendenzen in die eine oder andere Richtung unterschieden werden, aber rechte, radikal konservative oder unternehmerfreundliche Artikel waren in allen Jahrgängen in deutlicher Überzahl. ,,Linke“ Positionen erschienen nur vermeintlich in Artikeln über die Arbeiterbewegung oder zum Schlagwort Sozialismus, aber bedeuteten keine reale Berücksichtigung sozialistischer oder kommunistischer Positionen. Es gehörte zur beabsichtigten Außenwirkung des Gewissens als ,,dritter Standort“ oder auch Zeitschrift einer ,,dritten Partei“ wahrgenommen zu werden, in der die inhaltliche Synthese rechter und linker Positionen stattfände. Auf diese Weise inszenierten die Herausgeber sich und ihre Zeitschrift als vorbildhafte Einrichtung einer dritten Einheit und schufen eine jungkonservative Binnenlogik, die zur Basis ihrer moralischen Überlegenheit und ihres strikten Sendungsbewusstseins wurde. Neben den politischen bestimmten zwei weitere Faktoren den Pressemarkt: zum einen die wirtschaftliche Situation und zum anderen die Wirtschaftsvertreter selbst. Auflagenhöhe und somit das Annoncengeschäft waren abhängig von der aktuellen Wirtschaftslage und der Kaufkraft. Während der Hyperin540

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Jürgen Wilke: Gewalt gegen die Presse. Episoden und Eskalationen in der deutschen Geschichte, in: ders. (Hrsg.): Unter Druck gesetzt. Vier Kapitel deutscher Pressegeschichte, Köln/Weimar/Wien 2002, S. 129–198, S. 193. S.a. Koszyk: Deutsche Presse, S. 29 und 52. Über Formen solcher Wechselwirkungen vgl. Daniel/Marszolek/Pyta/Welskopp (Hrsg.): Politische Kultur. BArch Koblenz N 1077/1 NL Max Hildebert Boehm: Um das gefährdete Deutschtum, S. 157.

2.4 Kommunikation und Vermittlung

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flation bedeutete die Herstellung und der Versand einer Zeitschrift ein nicht kalkulierbares Risiko, denn der angegebene Preis vom Tag der Drucklegung war zum Zeitpunkt des Versandes an die Abonnenten längst veraltet. Hinzu kamen immer wiederkehrende Störungen im Betriebsablauf wenn Gas-, Wasser-, Elektrizitäts- oder Verkehrseinrichtungen streikten.543 Ein ständiges Thema war in allen Presse- und Buchverlagen sowie Druckereien die Papierkontingentierung, wodurch längerfristige Planungen fast unmöglich wurden. In den Briefen von Verlegern an ihre Autoren wurden immer wieder Bitten um nicht allzu lange Artikel vorgetragen, mit dem Hinweis, man wisse nicht wie viel Papier zur Verfügung stehe. Trotz dieser technischen Restriktionen erschienen in der Weimarer Republik täglich rund 12 Millionen und wöchentlich 20 Millionen Zeitungs- und Zeitschriftenexemplare.544 Eine Reihe von Gewissen-Autoren publizierte über den Ring-Verlag auch Bücher. Die Veröffentlichungsbedingungen von Buchproduktionen in anderen Verlagen geben Einblick in die problematische Arbeitssituation, von denen auch der Ring-Verlag betroffen gewesen sein muss. Auf dem Höhepunkt der Inflation im September 1923 korrespondierte Eugen Diederichs mit Ernst Krieck über eine Veröffentlichung der Krieck‘schen Pädagogik-Arbeiten. Um dem Autor die ungünstigen Vertragsbedingungen plausibel zu machen, erklärte Diederichs: ,,Die Aussichten im Buchhandel sind natürlich trübe genug. [...] Für Buchbinderkosten langte das Geld nicht, geschweige denn, daß irgendwelche Aussicht dazu da ist, dass man Papier kauft. Man hat etwa noch für ein halbes Jahr Papier und wenn diese Vorräte dann zu Ende gehen, ist guter Rat teuer, das heißt, wenn die Verhältnisse nicht irgendwie anders geworden sind.“545

Die Beschreibungen aus dem Hause Diederichs veranschaulichen die prekäre Situation, in der Buch- wie Zeitungsmacher zwischen Gesinnung und betriebswirtschaftlichem Kalkül abwägen mussten. Anders als im DiederichsVerlag besaß jedoch keiner der Gewissen-Herausgeber professionelle verlegerische Erfahrung. Die Finanzierungsschwierigkeiten, die die GewissenHerausgabe ständig begleiteten, dürften deshalb auch an der mangelnden 543

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DLA Marbach A: Paul Ernst 61.1763/5: Brief (06.11.1920) Werner Wirths an Paul Ernst. Streiks blieben bis zur wirtschaftlichen Stabilisierung an der Tagesordnung. Vgl. auch Alfred Döblins Bericht über Großstreiks in Ruth Glatzer (Hrsg.): Berlin zur Weimarer Zeit. Panorama einer Metropole 1919–1933, Berlin 2000, S. 91. Wilke: Grundzüge, S. 355. DLA Marbach A: Diederichs/Ernst Krieck 95.2: Brief (18.09.1923) Eugen Diederichs an Ernst Krieck. Wie schwierig die verlegerische Gratwanderung zwischen unternehmerischem Kalkül und Idealismus war, zeigte sich ein Jahr später, als Krieck einen höheren Anteil einforderte und Diederichs mangelnde inhaltliche Überzeugung vorwarf. Diederichs bot zukünftig 15 % statt 10 % und verbat sich weitere Unterstellungen ,,inwieweit ich Idealist bin, ebenso wenig wie ich Ihnen schreiben würde, wenn einer Ihrer Schüler missrät: Ihre pädagogischen Theorien scheinen mit Ihrer Praxis nicht in Einklang zu stehen“. Ebd.: Brief (22.12.1924) Eugen Diederichs an Ernst Krieck.

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2. Konstruktion des Jungkonservatismus

kaufmännischen Kompetenz in der Redaktion gelegen haben. Ähnliche Defizite gab es in der Redaktionsorganisation, wie die häufigen Verlagswechsel bis 1921 oder die fehlende Routine im Abonnements-Service zeigten. Der Zeitschriftenbereich war ähnlich wie der gesamte Presse- und Buchmarkt durch den Einfluss von Unternehmern und Industriellen von ,,gegenläufigen Tendenzen“ bestimmt: Einerseits gab es eine wachsende Konzentration und Monopolbildung großer Verlagsunternehmen wie die Querfinanzierung des Medienunternehmers Alfred Hugenberg zeigt. Andererseits kennzeichnete eine ,,zunehmende Fragmentierung und Politisierung“ das Bild, ,,denn eine große Anzahl [...] Klein- und Kleinstverlage hatte sich in der unmittelbaren Nachkriegszeit um politische Gruppierungen herum gebildet“.546 Einerseits profitierten Großunternehmen von den offenen Marktbedingungen und dem Presserecht und konnten Einfluss üben und andererseits blieben immer auch noch journalistische Nischen möglich. Für das Fortkommen der Gewissen-Redaktion spielte der Medienunternehmer Alfred Hugenberg eine wichtige Rolle.547 Der Krupp-Manager und DNVP-Mitgründer Hugenberg schuf seit 1917 durch Zukäufe und Vernetzungen, ,,eine Zentrale für eine schwerindustrielle Gesamtpolitik [. . . ], die unabhängig von den offiziellen Verbänden und deren Organen Einfluss auf die veröffentlichte Meinung ausüben konnte“.548 Hugenberg konnte erfolgreich agieren, weil er nicht allzu plump die Industrieinteressen in seinen Blättern und Anzeigenvertrieben verkünden ließ, sondern subtile Einflussnahme bevorzugte. Die Strategie der flächendeckenden indirekten Einflussnahme nutzte unter anderem das Kalkül der Provinzpresse aus, krisenresistent und unabhängig erscheinen zu wollen.549 Auch das Gewissen bezog die Hugenberg-Finanzierung indirekt über das Politische Kolleg. Martin Spahn führte hierfür die notwendigen Verhandlungen mit Hugenberg. Die finanzielle Einflussnahme trat zudem in den Hintergrund, weil eine ,,Gesellschaft der Freunde des Gewissen“ zur Förderung und Finanzierung gegründet wurde;

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Scheideler: Zwischen Beruf, S. 194. Vgl. Heidrun Holzbach: Das ,,System Hugenberg“. Die Organisation bürgerlicher Sammlungspolitik vor dem Aufstieg der NSDAP, Stuttgart 1981; Rudolf Stöber: Deutsche Pressegeschichte. Von den Anfängen bis zur Gegenwart, Konstanz 2005, S. 236–237; Klaus Wernecke/Peter Heller: Der vergessene Führer, Alfred Hugenberg. Pressemacht und Nationalsozialismus, Hamburg 1982. Jörg Requate: Kommerzialisierung der Presse im frühen 20. Jahrhundert. Konsumierendes und fragmentiertes Publikum, in: Zimmermann: Politischer Journalismus, S. 121– 137, S. 130. Wilke: Grundzüge, S. 350. Nahezu 1 500 deutsche Zeitungen sollen ihren politischen Teil im Wesentlichen durch Textmatern bestritten haben, dazu kamen in gleicher Stärke die Bildmatern. Die Materndienste waren deutschlandweite Lieferdienste für vorgefertigte Artikel. Meier: Zwischen Milieu, S. 71. Bekanntester und erfolgreichster Matern-Dienst war Hugenbergs ,,Wipro“ (Wirtschaftsstelle für die Provinzpresse), Koszyk: Deutsche Presse, S. 229.

2.4 Kommunikation und Vermittlung

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Details zu Finanzierungsstrukturen des Gewissen folgen in diesem Teilkapitel weiter unten. Während Hugenberg das Gewissen mitfinanzierte, bewegten sich zudem einige Autoren in seinem Unternehmensbereich, zu dem etwa die internationale Nachrichtenagentur Telegraphen-Union gehörte.550 Der erste Verleger des Gewissens, Dr. Rudolf Dammert, hatte zu den Mitgründern der Telegraphen-Union gehört,551 wo ab 1921 auch Wilhelm von Kries angestellt war. Neben Nachrichten- und Anzeigenagenturen gehörte der Scherl Verlag, in dem zahlreiche bekannte Zeitungen und Illustrierte wie Die Woche oder Der Tag erschienen, zum wichtigsten Standbein des Medienunternehmens von Hugenberg. Hermann Ullmann saß im Direktorium des Scherl-Verlags und gab außerdem Der Deutsche552 und die Politische Wochenschrift heraus.553 Für den Scherl-Verlag ,,unentbehrlich“ war außerdem der Pressedienst der Ring-Bewegung“554 , der 1921 von Hanns J. Frosch und Boehm als ein Verbreitungsinstrument der Gewissen-Artikel eingerichtet worden war, indem mit verschiedenen Provinzzeitungen Vereinbarungen über die regelmäßige Abnahme von Artikeln getroffen wurden. Die Redaktion versprach sich dadurch ,,manches geistig in die Hand zu bekommen“.555 Gleichzeitig hatte Frosch auch eine Kulturkorrespondenz eingerichtet, über die er deutschlandweite Zeitungsveröffentlichungen thematisch sammelte und Autoren zur Verfügung stellte. Korrespondenzbüros mit professionellen Zeitungsausschnittsammlungen waren zu dieser Zeit weit verbreitet556 und erschienen als eine naheliegende Verdienstmöglichkeit für Pressemitarbeiter. Politische Meinungskämpfe, Kommunikationsbehinderungen oder wirtschaftliche Verflechtungen waren Teil des Pressmarktes in Weimar. Das publizistische Selbstverständnis, überparteiliche und unabhängige Meinungshoheit herzustellen, war Reaktion auf und zugleich Basis dieser Gemengelage. 550

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Eine systematische Darstellung der Unternehmensstruktur bei Holzbach: System, S. 259–313. Die ,,Transocean GmbH“ gehörte indirekt zum Hugenberg’schen Einflussbereich – sie ging aus einer Gründung des Auswärtigen Amtes für den Auslandsnachrichtendienst 1915 hervor –, durch Vergesellschaftung und Kapitaldeckung konnte Hugenberg auch hier seinen Einfluss geltend machen Koszyk: Deutsche Presse, S. 231–231, S. 240. U. a. arbeitete Kristian Kraus (äußerer Kreis) bis 1919 für die Transocean. Koszyk: Deutsche Presse, S. 230. Dies nicht ganz freiwillig und als Dammerts Anteile in die Minderheit gerieten, schied er aus. Die Zeitschrift war als Organ des Deutschen Gewerkschaftsbundes 1921 gegründet worden, Ullmann leitete die Redaktion bis 1924. Koszyk: Deutsche Presse, S. 296. Gebhardt: ,,Mir fehlt eben ein“, S. 158. Ende der 1920er Jahre wurde Ullmann wegen seiner anhaltenden Kritik am Verlagsführer und DNVP-Spitzenpolitiker Hugenberg aus dem Direktorium entlassen, woraufhin er sich in der Politischen Wochenschrift offen gegen ihn positionierte. Petzold: Wegbereiter, S. 113. DLA Marbach A: Hans Grimm/Moeller van den Bruck: Brief (15.02.1921) Moeller van den Bruck an H. Grimm. Schwierskott: Arthur Moeller, S. 62 FN 102. te Heesen: Zeitungsausschnitt.

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2. Konstruktion des Jungkonservatismus

Ein Blick auf die journalistische Professionsgeschichte verdeutlicht den Zusammenhang.557 2.4.2 Publizistisches Selbstverständnis und journalistische Arbeitssituation Der moderne Journalistenberuf entwickelte sich während des 19. Jahrhundert aus dem Wunsch nach bürgerlicher Teilhabe und begründete schon in dieser Phase das hohe Gut einer vermeintlich unabhängigen Meinung.558 Die seit Beginn des 20. Jahrhunderts aufstrebende wissenschaftliche Zeitschriftenforschung trug zur Professionalisierung und zum Selbstbewusstsein des Berufs bei, auch weil sie Zeitungs- und Zeitschriftenredaktionen als Zentren des Fortschritts mit einer ,,geschlossenen geistigen Führung“ deklarierte:559 ,,Für die Perspektive der Literatur, die sich um die Jahrhundertwende, aber auch darüber hinaus, mit den Zeitungen und ihrer Funktion befasste, ist der Befund gleichwohl eindeutig, dass das Publikum geführt werden müsse und nicht umgekehrt die Zeitungen dem ,Massenpublikum‘ folgen dürften.“560

Journalisten und Redakteure sollten vermitteln, die Sprache von Mächtigen und Denkern in publikumskonforme Worte fassen und formen. Karl Büchers Formel, nach der Journalisten ,,die eigentliche schöpferische Geistesarbeit in Politik, Kunst und Wissenschaft zutage“ fördern und diese wie Metall ,,in kleine Münze“ prägen und ,,also zirkulationsfähig“561 machen, verweist auf das politische wie publizistisches Bedürfnis, die Öffentlichkeit als relevante Größe im politischen Prozess kalkulieren und beeinflussen zu können.562 Die damit verschränkte Entwicklung in den Bereichen Marketing, Werbung und Propaganda, vorangetrieben schließlich durch die Erfahrungen des Ersten Weltkrieges und die ,,Frage nach einer effizienteren Meinungsbeeinflussung in

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Für die Zeit nach 1945 liegt eine Reihe von Untersuchungen vor; für die Transformationsphase von 1920 bis in die BRD und DDR fehlen noch entsprechende Analysen. Vgl. u. a. Hans Mathias Kepplinger (Hrsg.): Angepaßte Außenseiter. Was Journalisten denken und wie sie arbeiten, Freiburg/München 1979; Walter A. Mahle: Journalisten in Deutschland. Nationale und internationale Vergleiche und Perspektiven, München 1993; Schönbach/Stürzbecher/Schneider: Oberlehrer; Hans Wagner (Hrsg.): Idee und Wirklichkeit des Journalismus, München 1988. Requate: Journalismus, S. 24. Vgl den Hinweis bei, Hans Bohrmann/Peter Schneider: Zeitschriftenforschung. Ein wissenschaftsgeschichtlicher Versuch, Berlin 1975, S. 18 FN 39; vgl. auch Bernd Pütter: Politische Zeitschriften in Deutschland. Medienökonomie und Redaktionsforschung, Wiesbaden 1997, S. 2. Requate: Kommerzialisierung, S. 124. Karl Bücher: Gesammelte Aufsätze zur Zeitungskunde, Tübingen 1926, S. 53. Lutz Hachmeister: Theoretische Publizistik. Studien zur Geschichte der Kommunikationswissenschaft in Deutschland, Berlin 1987, S. 13.

2.4 Kommunikation und Vermittlung

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In- und Ausland“563 , sind unübersehbar. Auch der Historiker Martin Spahn, in leitender Position der Ring-Bewegung und Autor im Gewissen, gehörte Anfang der 1920er Jahre als Gründer des Kölner Instituts für Zeitungskunde zu den Initiatoren einer Zeitungswissenschaft, die nicht nur Inhalt sondern auch die ,,Formung der öffentlichen Meinung“ planbar machen wollte.564 Hält man sich vor Augen, dass zu Beginn des 20. Jahrhunderts als Ideal einer ,,öffentlichen Meinung“ ihre Einheit und weniger ihre Pluralität galt, kann nachvollzogen werden, wie nachhaltig dieses Paradigma das Leitbild der Zeitungswissenschaft und der Publizistik in der Weimarer Republik prägte.565 Zu dieser Zeit war zwar der Beruf des Verlegers längst anerkannt, aber der Journalistenberuf weiterhin ohne regulierte Strukturen, berufsmäßige Ausbildung oder Standards.566 Die Zugänge zum Journalismus verliefen vor unterschiedlichen beruflichen Hintergründen, konnten aus Gründen des vorherigen Scheiterns geschehen oder waren der Weg zu einer Karriere.567 Zeitungs- und Zeitschriftenveröffentlichungen boten Gelegenheits- und Hauptschriftstellern, Ärzten, Rechtsanwälten und Lehrern – also durchweg 563 564

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Rüdiger vom Bruch: Gelehrtenpolitik, Sozialwissenschaften und akademische Diskurse in Deutschland im 19. und 20. Jahrhundert, Stuttgart 2006, S. 388. Schon 1908 hatte Spahn in einem Vortrag in Anlehnung an Karl Lamprecht die Zeitung als Geschichtsquelle aufgewertet. Gabriele Clemens: Martin Spahn und der Rechtskatholizismus in der Weimarer Republik1983, S. 63; Hans-Georg Klose: Zeitungswissenschaft in Köln. Ein Beitrag zur Professionalisierung der deutschen Zeitungswissenschaft in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, München 1989. Karl Bücher hatte 1916 das erste Universitätsinstitut für Zeitungskunde in Leipzig gegründet. Hachmeister: Theoretische Publizistik, S. 27. Das Selbstbild des Berufstands als ,,soziale Elite“ und ,,Vermittler“ lässt sich bis in die 1970er Jahre nachzeichnen, vgl. Hans Mathias Kepplinger: Angepaßte Außenseiter. Ergebnisse und Interpretationen der Kommunikatorforschung, in: ders.: Angespasste, S. 7–28. Viele Arbeiten der Profession bieten Einblick in das Selbstverständnis und Handeln von Journalisten und Publizisten; z. B.: Emil Löbl: Kultur und Presse, Leipzig 1903; Robert Brunhuber: Das deutsche Zeitungswesen, Leipzig 1908; Martin Mohr: Zeitung und Zeit. Vorschläge und Forderungen zur wissenschaftlichen Lösung eines sozialen Grundproblems, München/Leipzig 1919; Emil Dovifat: Die Zeitungen, Gotha 1925; Karl d’Ester: Zeitungswesen, Breslau 1928; Otto Groth: Die Zeitung. Ein System der Zeitungskunde, Mannheim/Leipzig/Berlin 1928-30. Zur wissenschaftlichen Etablierung des Faches vgl. auch Ute Daniel, Die Geburt der Medientheorie aus dem Geist der Propaganda: Entstehungskontexte der Medienforschung in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, in: Jürgen Reulecke/Volker Roelcke (Hrsg.): Wissenschaften im 20. Jahrhundert: Universitäten in der modernen Wissenschaftsgesellschaft, Stuttgart 2008, S. 55–77. Wie etwa eine spezifische Berufsvertretung neben der Gesamtinteressenvertretung ,,Reichsverband der Deutschen Presse“. Meier: Zwischen Milieu, S. 56 und 297. Ein Abriss der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Journalismus in: Rühl: Theorie. Requate: Journalismus, S. 25. ,,German journalists developed an early corporate ethos [. . . ].” Retallack: German Right, S. 233. Über das disparate Berufsbild des Journalisten im Verlauf des 20. Jahrhunderts zwischen Wunsch nach Einfluss und der Wirklichkeit täglichen Redigierens, vgl. auch Cecilia von Studnitz: Kritik des Journalisten. Ein Berufsbild in Fiktion und Realität, München 1983.

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2. Konstruktion des Jungkonservatismus

dem mittleren und gehobenen Bildungsbürgertum – die Möglichkeit zum Nebenerwerb.568 Nicht selten wurde die journalistische Tätigkeit nach einer ,,Negativentscheidung“ gegen eine Tätigkeit in Staat oder Wirtschaft gewählt.569 Oft ließ die ökonomische Situation von Schriftstellern und Publizisten keine andere Möglichkeit zu, als durch so viele Projekte wie möglich Geld zu verdienen. Die prekäre Arbeitssituation war durch den Krieg verschärft worden570 , das Verlagsrecht benachteiligte selbst erfolgreiche Autoren und die Diskussion um Mindesttarife in den Redaktionen dauerte bis weit in die Weimarer Republik hinein.571 Die Inflationszeit von 1921 bis 1923 bedeutete schließlich für ,,nahezu alle Schriftsteller ein ökonomisches Desaster“ und auch für Journalisten, trotz der kurzfristigeren Honorarzahlungen, ,,enorme reale Einkommensverluste“.572 Vor dem Hintergrund eines prekären Arbeitsmarktes und publizistischen Elitismus, wurde der Journalistennachwuchs oftmals entlang seiner politischen Meinung protegiert, gefördert und kooptiert.573 In Anbetracht einer fehlenden offiziellen ,,Berufsvorbildung“ waren Karrieren häufig von Mentoren und persönlichem Kontakt zu etablierten Journalisten abhängig. Durch diese Form von ,,Selbsterneuerung“ gepaart mit einer andauernden ,,gesellschaftliche[n] Deklassierung und [eine] in der Regel desolate materielle Situation“ verfestigte sich ein überhöhter Selbstanspruch und elitäres Selbstbild von Journalisten und Publizisten.574 Während unterschiedliche Berufserfahrungen auf die journalistische Tätigkeit Einfluss nahmen, bildeten sich innerhalb der Redaktionen verschiedene Tätigkeitsfelder von Auslandskorrespondenz über Bildredaktion bis zur ressortspezifischen freien Mitarbeit heraus.575 Angesichts des entstandenen Qualitätsgefälles und des journalistischen Fachkräftemangels führten die 568

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,,Die Berufszählung von 1907 registrierte einen Anstieg der haupt- und nebenberuflichen Schriftsteller und Journalisten seit 1895 um 60 % [...]“. Scheideler: Zwischen Beruf, S. 33. Kepplinger: Angepasste, S. 8–9. Scheideler: Zwischen Beruf, S. 114–116. Ebd., S. 34–37, 118–120. Ebd., S. 198-199. Für die Provinzpresse: Klaus Wernecke: Die Provinzpresse am Ende der Weimarer Republik, in: Elgar Blühm/Hartwig Gebhardt (Hrsg.): Presse und Geschichte II. Neue Beiträge zur historischen Kommunikationsforschung, München 1987, S. 365–404, S. 376–380. Kepplinger: Angepasste, S. 15. Franz Schauwecker gelten, u. a. Redakteur der Nationalpost, förderte auf diesem Posten den gleichaltrigen ehemaligen Freikorpskameraden und späteren Auslandskorrespondenten Hans Tröbst. Vgl. Gebhardt: ,,Mir fehlt eben ein“, S. 168 und 225. Vgl. auch Konstanze Rohde: Die Karriereleiter. Ausbildung und Einkommen im Journalismus von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zur Gegenwart, in: Kepplinger: Angepasste, S. 189–209; Scheideler: Zwischen Beruf, S. 69 Meier: Zwischen Milieu, S. 297. ,,Die meisten Formen der redaktionellen Ausdifferenzierung waren Konsequenz des ökonomischen Konkurrenzdenkens“, wie etwa die Unterscheidung von Serviceleistungen, Informationen aus aller Welt und aus der Region. Stöber: Erfolgverführte, S. 114.

2.4 Kommunikation und Vermittlung

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Repräsentanten des Interessenverbandes der Presse in den 1920er Jahren eine langwierige Diskussion um die Professionalität und Profession des Journalistenberufs.576 In diesem Zusammenhang wurde nicht selten ein Berufsmotiv gezeichnet, das sich vor allem auf Berufung577 bezog und zwischen bloß ,,informierender Journalistik“ und ,,meinungsbildender Publizistik“ unterschied.578 Recherchen für Nachrichten und ,,investigativer Journalismus [wurden] noch in Weimarer Zeit gerne in die Nähe des erpresserischen Revolverjournalismus gerückt“ und gering geschätzt.579 Eine ,,Meinung“ in der Veröffentlichung zu vertreten, galt hingegen als seriös und erhöhte durch ihr kritisches Räsonnement die intellektuelle Glaubwürdigkeit des Vermittlers. Vor diesem Hintergrund genossen Parteizeitungen ein hohes Ansehen, während die zunehmende und durch Werbung finanzierte Massenpresse als ,,farblos“ und fremdgesteuert galt. Journalistisches Sendungsbewusstsein der Zwischenkriegszeit hing also weniger von öffentlicher Bestätigung in Form von hohen Auflagenzahlen ab, sondern ergab sich aus der verbreiteten Haltung, nach der Journalisten von einem Status quo der Erkenntnis ausgingen, um einen Vermittlungsauftrag an das Publikum wahrzunehmen. Aus diesem Grunde fühlten sie sich weniger beeinflussbar und sahen den Leser an der Erkenntnis des Journalisten teilhaben.580 Insofern erklärt sich der überwiegend feststellende, erklärende, bewertende Duktus journalistischer Arbeiten dieser Zeit. Aber den Zeitgenossen waren politisch eindeutige Meinungen und Antworten allemal lieber, als abwägende Kompromisse, die mehr Fragen aufzuwerfen schienen. Ähnlich sah es auch der Reichspresseverband, der in der moralischen und intellektuellen Überlegenheit des Journalisten die Legitimation seiner Arbeit sah: ,,Wir verlangen vom Journalisten, er sei ein Mitteiler alles dessen, was am heutigen Tage wissenswert gewesen, aber der Ton liegt auf dem wert; wir erwarten vom Journalisten, er sei ein Unterrichter des ganzen Volkes und sein Bildner.“581 In parteigebundenen wie vermeintlich freien politischen Zeitschriften, wurde der überwiegende Teil der deutschen Journalisten beispielsweise ,,nicht müde, die Deutschen darin zu bestärken, dass sie bedroht seien, 576

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Stöber: Pressefreiheit und Verbandsinteresse, S. 8. Zur zeitgenössischen Einschätzung: Dr. Karl Jaeger: Unser Journalisten“stand“, in: Deutsche Presse. Zeitschrift für die gesamten Interessen des Zeitungswesens, 16, (24.03.1926) H. 12, S. 1–2. Auf denselben Konflikt verweist die ,,jahrelange Auseinandersetzung um ein Journalistengesetz, das Arbeits- und Anstellungsbedingungen“ regeln sollte. Stöber: Pressefreiheit, S. 52–59. Vom Bruch: Gelehrtenpolitik, S. 388. Hachmeister: Theoretische Publizistik, S. 28, 98. Stöber: Erfolgverführte, S. 112. Vgl. auch die zeitgenössische Kritik von Karl Kraus im ,,Liede von der Presse“ aus dem Jahr 1922 ein: ,,Im Anfang war die Presse, Und dann erschien die Welt“. Hans Mayer: Der Widerruf. Über Deutsche und Juden, Frankfurt a.M. 1996, S. 56. N.N. (12.03.1927): ,,Das Wesen des Journalisten und seine Würde“, in: Deutsche Presse. Zeitschrift für die gesamten Interessen des Zeitungswesens, J. 17, H. 10, S. 1–2.

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umstellt von Feinden, unterdrückt durch die Entente und den Versailler Friedensvertrag“.582 Die allgemeine politische Mobilisierung und Fixierung auf ein ,,Dafür oder Dagegen“ waren zugleich Produkt und Bedingung journalistischer Arbeit. Darüber hinaus bemühten sich viele Journalisten um eine Trennlinie zu konkurrierenden Meinungen, indem das eigene politische Profil umso unabhängiger und sachverständiger dargestellt wurde. Gelegentliche wie auch hauptberufliche Journalisten legten darauf Wert, ihre eigene Interessenungebundenheit bei gleichzeitiger Meinungsstandfestigkeit deutlich zu machen und setzten damit das in der politischen Kultur von Weimar tradierte Gegensatzpaar von ,,Gesinnungslosigkeit“ und ,,Unabhängigkeit“ fort. Während Diplomatie, Kompromiss und bürokratische Verfahren als gesinnungslos Sphären galten, galt als unabhängig, wer seinen starken ,,Charakter“ durch ihre Ablehnung unter Beweis stellte.583 Auch Moeller sah Anfang 1919 in einem Zeitschriftenprojekt einen Erfolg versprechenden Weg zur ,,Sammlung der Kreise und Kräfte [...], die zur Stunde das Einzige ist, was wir von [sic] unseren Gegnern voraus haben“.584 Inwieweit die Aktiven der Ring-Bewegung innerhalb des Pressemarktes vernetzt waren, ist durch Joachim Petzolds Untersuchung585 und zuletzt durch die Arbeit Berthold Petzinnas erläutert worden586 . Viele Juni-KlubMitglieder standen im engen Kontakt mit anderen Zeitungen oder gaben selbst welche heraus. Für das medienhistorische Verständnis des Gewissens kann festgehalten werden, dass es sich durch Propagierung eines überparteilichen Autorenstammes auf dem publizistischen Massenmarkt der unmittelbaren Nachkriegszeit zu profilieren suchte. Das unerschütterliche Sendungsbewusstsein der Gewissen-Herausgeber und Autoren war eine in der Zwischenkriegszeit verbreitete journalistische Haltung, die Meinungsartikel höher schätzte als Nachrichten, denen unterstellt wurde, nur mit Blick auf die Auflagenhöhe recherchiert worden zu sein. 2.4.3 Idee und Raum: Das Gewissen in Berlin In Berlin ließ sich die Redaktion des Gewissens Anfang 1920 nach verschiedenen Bürowechseln zentral, aber abseits des Zeitungsviertels, in der Motzstrasse nahe dem Nollendorfplatzes nieder. Viele Autoren lebten wie Moeller 582 583 584

585 586

Pross: Zeitungsreport, S. 56. Requate: Journalismus, S. 393–397. Universitätsbibliothek Erlangen Ernst Meyer-Bamberg-Sammlung 3001: Brief (20.01.1919) Moeller van den Bruck an Unbekannt. Moeller bedankt sich für die Zusendung einer Zeitschriftennummer, stellt seine eigene Mitarbeit in Aussicht und äußert sich zu ähnlichen Bestrebungen in seinem Umfeld. ,,Fast alle rechtsorientierten Zeitungen und Zeitschriften haben jungkonservative Autoren zu Wort kommen lassen.“ Petzold: Wegbereiter, S. 113–114. Petzinna: Erziehung, S. 122.

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in dem ländlichen und durch locker gesiedelte Villen geprägten Lichterfelde und begaben sich für ihre tägliche Arbeit ins Stadtzentrum. Im Erdgeschoss des Hauses in der Motzstraße 22 befand sich ein an russischer Küche orientiertes Restaurant, im ersten Stock lagen die Büros Heinrich von Gleichens, der Redaktion, des Verlages und des Politischen Kollegs, den zweiten Stock nahm die Geschäftsstelle des ,,Deutschen Schutzbundes“ ein.587 Aus technischer und wirtschaftlicher Sicht war die Standortwahl naheliegend, da sich in der Hauptstadt schon seit der Vorkriegszeit der wichtigste Pressemarkt Deutschlands entwickelt hatte. Daneben waren Regierungs- und Landes-Einrichtungen, Unternehmens- und Bankenzentralen hier angesiedelt, lebten Politiker, Wissenschaftler und Kulturvertreter vor Ort, so dass Verbindungen und Netzwerke intensiv gepflegt werden konnten. Gleichzeitig bedeutete der Standort im linksliberalen und proletarischen Berlin aus radikal konservativer Sicht, einen Vorposten in ,,Feindesland“ innezuhaben.588 Bei aller Skepsis und allen vorgetragenen Klischees, gingen die Jungkonservativen davon aus, nur innerhalb Berlins und von hier aus eine ,,geistige Revolutionierung“ stattfinden lassen zu können. Seit November 1918 überschlugen sich die Ereignisse in der Stadt und die politisch Aktiven hatten den Eindruck, die Geschicke des ganzen Landes im Mikrokosmos Berlin wahrnehmen und bestimmen zu können. Entsprechend versuchte etwa Eduard Stadtler vor Ort die Kräfte zu bündeln und Zauderer wie Martin Spahn zu überzeugen: ,,Es ist mir einfach rätselhaft, wie Sie in dieser bewegten Zeit, wo die nicht-radikalen Elemente ihre letzte Energie aufbieten, um der Anarchie Herr zu werden, in einem bayerischen Ort zurückgezogen und tatenlos dahinleben können. Von Berlin kommt letzten Endes doch in Policis die Rettung oder sie kommt überhaupt nicht mehr.“589

Zwischen 1910 und 1925 verdoppelte sich die Einwohnerzahl Berlins von zwei auf über viereinhalb Millionen Menschen; 1920 wurde per Gesetz die neue Einheitsgemeinde Berlin gebildet, so dass sich eine wirtschaftliche Konzentration sondergleichen auf dem Gebiet der Stadt Berlin vollzog. Acht Städte, 59 Landgemeinden und 27 Gutsbezirke bildeten von nun an ,,Groß587 588

589

BArch Koblenz N 1077/1 NL Max Hildebert Boehm: Um das gefährdete Deutschtum, S. 181. Detlef Briesen: Weltmetropole Berlin? Versuch, sich einem deutschen Mythos über die Zeit zwischen den Weltkriegen zu nähern, in: Gerhard Brunn/Jürgen Reulecke (Hrsg.): Metropolis Berlin. Berlin als deutsche Hauptstadt im Vergleich europäischer Hauptstädte 1871–1939, Bonn 1992, S. 151-186; Constantin Goschler (Hrsg.): Wissenschaft und Öffentlichkeit in Berlin, 1870–1930, Stuttgart 2000, S. 15. Grundsätzlich zum Spannungsverhältnis von Intellektualität und Urbanität: Walter Prigge (Hrsg.): Städtische Intellektuelle. Urbane Milieus im 20. Jahrhundert, Frankfurt a.mM. 1992. Vgl. auch Peter Alter (Hrsg.): Im Banne der Metropolen. Berlin und London in den zwanziger Jahren, Göttingen 1993. BArch Koblenz N1324/3 Martin Spahn: Brief (28.04.1919) Eduard Stadtler an Martin Spahn.

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berlin“.590 ,,Die Eingemeindung der in ihrer Mehrzahl stärker mittelständisch bis bürgerlich geprägten Vororte hatte die soziale Polarisierung“ verstärkt, während der Konzentrationsprozess zugleich auch höhere Produktivitätsraten bedingte. Leistungsfähigkeit und Produktivität gehörten vor allem nach der überwundenen Hyperinflation zu den kursierenden Kennzeichnungen der Stadt.591 Die damit zusammenhängenden sozialen Umschichtungen äußerten sich unter anderem in der Entwicklung einer ausgeprägten Angestelltenkultur, in veränderten Lebensgewohnheiten bei der Nutzung von Medien und Freizeitgestaltung592 oder neuen Berufen. Die Teilhabe an Bildung war nicht mehr auf den Schulbesuch beschränkt, sondern fiel in den individuellen Entscheidungsbereich und ,,die Bildungsangebote waren vielfältig und wurden mehr und mehr erweitert: Veranstaltungen in Bibliotheken, Kurse und Vorträge in Volksbildungseinrichtungen, Ausstellungen in Museen, Theateraufführungen“.593 Die Kombination aus individuellem Möglichkeitsüberschuss und damit verbundener Orientierungslosigkeit rief eine faszinierte Furcht hervor, die sich unter anderem in Büchern und Filmen der Zeit spiegelte.594 Vor diesem Hintergrund waren die Herausgeber des Gewissens in einem zwiespältigen Verhältnis mit Berlin verbunden. Sie brauchten einerseits die Metropole für ihre politischen Kontakte und Versuche der Einflussnahme, aber lehnten andererseits die Phänomene der Urbanisierung ab. GewissenAutoren betonten deshalb in ihrer Korrespondenz mit Kollegen in der Provinz, wie sehr das ,,bessere“ Leben und die Produktion ,,besserer“ Arbeiten außerhalb Berlins gelängen. Da nicht nur die Autoren, sondern auch der überwiegende Teil der Gewissen-Leser in Berlin gelebt haben dürfte, zeugten solche Aussagen über die angebliche Qualität der Provinz eher von rhetorischem Bemühen, die Reichweite des Gewissens auszudehnen, als von einer tatsächlichen Lesermehrheit außerhalb der Hauptstadt. Die lokal begrenzte Verbreitung, trotz einer postalisch und telegraphisch gut ausgebauten Infrastruktur in Deutschland, war nicht nur das Problem 590

591 592 593 594

Mit den Berliner Verkehrsbetrieben entstand ,,das größte kommunale Unternehmen der Welt, das mit Straßen-, Bus- und U-Bahnlinien zur Beschleunigung des Stadtlebens beitrug.“ Ernst Fischer/Stephan Füssel: Kultur und Gesellschaft: Signaturen der Epoche, in: dies.: Geschichte, S. 5–28, hier 13–15. Peter de Mendelssohn: Zeitungsstadt Berlin. Menschen und Mächte in der Geschichte der deutschen Presse, Frankfurt a.M. 1982, S. 312–313. Lehnert: Fragmentierte, S. 206. Ute Schneider: Buchkäufer und Leserschaft, in: Fischer/Füssel: Geschichte, S. 149–196, hier 151. Vgl. auch Detlef Lehnert: Fragmentierte Gesellschaft und moderne Massenbewegungen. Zur politischen Kultur der Berliner Republikzeit, in: Alter: Im Banne, S. 196–218, S. 201. Außerdem Michael Bienert: Die eingebildete Metropole. Berlin im Feuilleton der Weimarer Republik, Stuttgart 1992; Bärbel Schrader: Kunstmetropole Berlin 1918–1933. Die Kunststadt in der Novemberrevolution, die ,,goldenen“ zwanziger Jahre, die Kunststadt in der Krise; Dokumente u. Selbstzeugnisse, Berlin 1987.

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politischer Zeitschriften mit geringer Auflage wie das Gewissen. Die föderale Konkurrenz süd- und westdeutscher etablierter Tageszeitung beeinträchtigte eine repräsentative nationale Verbreitung sogar auflagenstarker Berliner Tageszeitungen wie der D.A.Z. Oft wurde auch nicht die Notwendigkeit gesehen, über Berlin und Berliner Verhältnisse hinaus zu gehen. Insgesamt korrespondierte der publizistische Berlin-Zentrismus mit einem Misstrauen gegenüber der Stadt und ihrer Zentralgewalt in den Lokalteilen der Provinzpresse.595 Das Gewissen reagierte auf gelegentliche Vorwürfe aus der Provinz, es werde zu sehr aus der Perspektive der Hauptstadt argumentiert, mit dem Verweis auf die politische Brisanz der Berliner Verhältnisse und auf die Bequemlichkeit provinzieller Verhältnisse: ,,Und nun auch ihr, stille Freunde der Provinz, im kleinen Nest. Laßt euch nicht daran genügen, daß ihr mit der Montagspost das ’Gewissen’ bekommt, und daß ihr es vielleicht einmal einem ebenso stillen Bekannten in die Hand drückt oder gar bei dem Buchhändler, der es nun schon eine Weile mit mehr Sorgfalt als Gewinn auslegt, noch ein Extraexemplar ersteht – nein, geht in die Versammlungen eurer einzelnen Parteien und sorgt für politische Schulung als Quell für den weiteren Blick.“596

Die Mahnungen an die Leser in der Provinz formulierten Berliner Gewissen-Autoren aus einer intellektuellen und teils aus einer ins Körperliche übertragenen Haltung, die sich aus dem Bild generierte, an vorderster Front der politischen Überzeugungsarbeit und des nationalen Wiederaufbaus zu wirken. Womöglich spielten die großstädtischen Alltagserfahrungen eine nicht unwichtige Rolle für diese Stilisierung. In der Hauptstadt waren die Lebensbedingungen und alltäglichen Auswirkungen der Kriegsfolgen, Versorgungsschwierigkeiten und wirtschaftlichen Notsituation besonders drückend. Im ersten Nachkriegswinter wurden die Kohlenvorräte knapp; Sperrstunden und verordnete Ruhetage für Theater und Kinos sollten Energie sparen; das Berliner Tageblatt kommentierte diese ,,ungeheuerlichen Bestimmungen“ als unmenschlich.597 Lebensmittelkarten wurden im gesamten Reichsgebiet ausgegeben, aber in Berlin waren Grundnahrungsmittel regelmäßig knapp. 1919 stand dem Berliner Bürger pro Kopf und Tag 335 Gramm Brot, 42 Gramm Fleisch und 357 Gramm Kartoffeln zur Verfügung. Anlässlich eines Besuchs bei seinem guten Bekannten Hans Grimm wurde Moeller 1920 darum gebeten, seine Lebensmittelkarten mitzubringen, um die Gästeversorgung sicherzustellen. Dennoch lockte der Besuch auf dem Land mit raren Köstlichkeiten: ,,Die Aussicht endlich wieder Milch trinken zu können, ist für meine Frau sehr wichtig. Das Viertelliter, das ihr hier für ein Vierteljahr aus Gesundheitsgründen zugebilligt worden war, ist unlängst 595

596 597

Wernecke: Provinzpresse, S. 375. Dieser Narzissmus fiel auch städtischen Zeitgenossen auf, vgl. Ernst Troeltsch: Die Fehlgeburt einer Republik. Spektator in Berlin 1918 bis 1922, Frankfurt a.M. 1994, 20.10.1919, S. 90. Friedrich Tobler (09.04.1923): Die Fratze der Provinz, in: Gewissen, 5, H. 14, S. 3–4. Berliner Tageblatt (25.01.1919), Morgenausgabe, Beiblatt, in: Glatzer: Berlin, S. 38.

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abgelaufen.“598 Ähnlich knapp war die Versorgung mit Textilien, so dass vor allem ehemalige Kriegsbekleidung im Handel erhältlich war. Doch die Bekleidungsfrage blieb nicht von der aktuellen Politik verschont. In einem Gebrauchtladen konnte Moeller umgearbeitete amerikanische Uniformen erstehen, die ,,sehr zu empfehlen“ seien. Aber die Ölmäntel ,,sehen infernalisch nach Frankreich aus! Sie haben jenen bleichen himmelblauton, den das Volk heute durch die Straßen trägt“.599 Moellers Ausführungen standen stellvertretend für die Auffassung der Gewissen-Redaktion, dass es ein notwendiger Teil ihrer Arbeit sei, trotz der Widrigkeiten in Berlin auszuharren, um am Puls der Zeit und des Geschehens zu bleiben. Das Gewissen bediente gängige Stereotype vom ,,Wasserkopf “ Berlin600 und war darauf bedacht, den Autoren der Provinz entgegenzukommen. Nach einem Besuch im Weserbergland schrieb Moeller an Grimm: ,,Wir haben die Zeit in freudiger Erinnerung, wie eine Bestätigung, dass wir eigentlich gar keine Großstadtmenschen sind.“601 Der eingenommene Blick von der Peripherie ins Zentrum evozierte zugleich die seherische und intellektuelle Fähigkeit, von außerhalb sachverständiger und ganzheitlicher auf den wesentlichen Kern blicken zu können. Es ging nicht darum, eine rationale Perspektive gutzuheißen, sondern – wie in den Appellen an die Überparteilichkeit – den Blick immer auf das große Ganze zu gewährleisten. Der Kontakt mit den Lesern in der Provinz ließ die eine oder andere Klarstellung jedoch notwendig erscheinen. Im April 1921 stellte Boehm fest: ,,Für das geheime Deutschland, daß auch dem ,Gewissen‘ seine Lesergemeinde stellt, ist es stillschweigende Uebereinkunft, daß ungesunde Großstadtgebilde Berlin als eine bösartige Wucherung am deutschen Volkskörper anzusehen. Der Wiederhall, den unsere Stimme draußen im Reich und über seine Grenzen hinaus in bedrängter Mark findet, gibt uns freudige Gewähr, daß wir nicht als Ausdruck der undeutschesten der deutschen Städte empfunden werden. Und es ist unser Stolz, daß mitten in dem ruhelosen Asphaltmeer Berlins die stille Arbeitsstätte, die unserer politischen Arbeit den Rückhalt gibt gerade von auswärtigen Besuchern wie eine entrückte Insel empfunden wird, die gewissermaßen seelisch außerhalb Berlins liegt.“602

Indem er den Nachteil des Standorts zur notwendigen Grundlage umfunktionierte, beschrieb Boehm die jungkonservative Strategie zur Absetzung von der ,,Macht Berlin“: ,,Um aber diesen Kampf führen zu können, um den stillen Kräften des Landes den Weg zu bahnen, um der fernen Ziele willen, heißt es, den Feind im eigenen Lager aufzusuchen.“ Das Gewissen ging auch auf 598 599 600 601 602

DLA Marbach A: Hans Grimm/Moeller van den Bruck: Brief (12.09.1920) Moeller van den Bruck an Hans Grimm. DLA Marbach A: Hans Grimm/Moeller van den Bruck: Brief (13.10.1921) Moeller van den Bruck an Hans Grimm. Lehnert: Fragmentierte, S. 213. DLA Marbach A: Hans Grimm/Moeller van den Bruck: Brief (06.10.1920) Moeller van den Bruck an Hans Grimm. Max Hildebert Boehm (18.04.1921): Unser Standort, in: Gewissen, 3, H. 16, S. 2.

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Rückmeldungen von Lesern aus der Provinz ein, die kritisierten, dass Artikel zu sehr auf kleinteilige oder gar persönliche Auseinandersetzungen vor Ort eingehen würden, worauf Boehm entgegnete: ,,Die Nähe zu den Zentralstellen und ihren für die Nation lebenswichtigen Entscheidungen macht ein unmittelbares Eingehen auf das Persönliche auch da zur unerläßlichen Notwendigkeit, wo wir es wohl verstehen können, daß der persönliche Streit ferner Stehenden kleinlich oder sogar peinlich erscheint.“

Aus dem äußeren Kreis der Autoren folgte unter anderem ein Plädoyer für das Wachstumspotenzial der Stadt, das als Zentrifugalkraft für das gesamte Reich wirken könne. Der Stadtplaner Maximilian Loham versuchte im Artikel ,,Groß-Berlin als deutsche Aufgabe“603 das Misstrauen gegen die Hegemonie Berlins und Preußen zu zerstreuen, indem er den notwendigen ,,Konzentrationspunkt“ Deutschlands dort festmachte, wo ,,alle Wege des Welthandels“ sich kreuzten. Letztlich wandte sich Lohams Appell an die Berliner direkt, denn so wie sich von Monarchie getrennt wurde und vom Bürokratismus getrennt werden sollte, sollten auch alte Fassaden weichen: ,,Kraftvoll und siegesgewiß werden die Männer der deutschen Zukunft an die Aufgabe herantreten, ein neues, großes, auf Grund der wirtschaftlichen Forderungen mit feiner Künstlerhand harmonisch aufgebautes Berlin zu schaffen.“ Neben dem Stadtplaner konnte auch der Philosoph Albert Dietrich Berlin etwas abgewinnen, denn durch Fichtes, Schleiermachers und Hegels Wirken habe man hier einen ,,Genius loci“, der sich ab und an auf das ,,Niveau des Berliner Publikums“ auswirke.604 Artikel mit Berlin-Bezügen unterstrichen die tendenziell positive Bewertung technischer Modernisierungen durch Gewissen-Autoren, aber auch das pessimistische Menschenbild, dem oft ein Bedrohungsszenario folgte. Das ambivalente Verhältnis der Gewissen-Redaktion zu Berlin drückte sich in einer Haltung aus, die den intellektuellen Mut und Weitblick des Jungkonservatismus betonen sollte: Es gehöre schon viel Kraft und Disziplin dazu, in Berlin zu leben und zu arbeiten, jedoch gebe es für die politische Aufklärung im Sinne des Gewissens keine andere Möglichkeit, als direkt vom ,,Ort des Geschehens“ aus zu berichten. Die Botschaft der Gewissen-Autoren unterfütterte die elitäre Vorreiterrolle, die der gesamten Ring-Bewegung zugeschrieben wurde.

603 604

Maximilian Loham (30.05.1921): Groß-Berlin als deutsche Aufgabe, in: Gewissen, 3, H. 22, S. 4. Albert Dietrich (19.09.1921): Meditation über Rudolf Steiner, in: Gewissen, 3, H. 38, S. 2– 3. Dietrich berichtet von einem Vortrag Rudolf Steiners, den er als ,,moderne Propagandarede“ verurteilte, in dem eine ,,ordinäre Melodie vorgegeigt“ wurde. Vgl. auch Asmus Gendrich (26.12.1921): Wintermärchen, in: Gewissen, 3, H. 52, S. 2–3

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2. Konstruktion des Jungkonservatismus

2.4.4 Äußere Gestaltung, Leser, Vertrieb und Finanzierung Nachdem der Pressemarkt, auf dem sich das Gewissen bewegte, politisch, wirtschaftlich, mental und räumlich abgesteckt wurde, werden in den folgenden Abschnitten die Daten zur äußeren Gestaltung, zur Finanzierung, zu den Lesern, die Werbung, der Vertrieb und der Sprachstil der Artikeln untersucht. Diese Details verdeutlichen zum einen die Bedingungen der ZeitschriftenHerausgabe und geben darüber hinaus Hinweise, mit welchen publizistischen und redaktionellen Methoden versucht wurde, die beabsichtigte Außenwirkung des Gewissens zu erreichen. Die Untersuchung der inhaltlichen Gestaltung geht abschließend der Frage nach, wie die Herausgeber mit dem Problem umgingen, professionelle Autoren für das Blatt zu gewinnen. Layout

Die vier Seiten jeder Gewissen-Ausgabe waren während der sechs Jahrgänge in Folioformat, gleichbleibend strukturiert und in Frakturschrift gesetzt.605 Nach der Übernahme der Herausgeberschaft durch Eduard Stadtler im Januar 1920 wurde der Titel breiter und fetter gesetzt und in der Kopfzeile mit dem Zusatz ,,Gewissen. Herausgegeben für den Ring von Ed. Stadtler“ versehen. In der Dachzeile folgten die Preisangabe, Jahrgang, Heftnummer und Datum. Bis zur Ausgabe 45 im November 1921 war das Titelblatt mit einer Headline versehen, die in Schlagworten die zentralen Artikelthemen enthielt. Die Titelseite begann immer mit einem Überblicks- und Kommentarartikel in zwei Spalten, auch Spitzglosse genannt, der Leitartikel begann in der dritten Spalte und führte dann bis zur zweiten oft auch dritten Seite weiter. Ab Mai 1921 wurde die mittlere Spalte des Titelblattes für einen Inhaltsangabe-Kasten ,,Aus dem Inhalt“ genutzt. Die regelmäßigen Aufrufe an die Postbezieher des Gewissens und Anzeigen für die Ringprämien erschienen in kleinen Kästen rechts oder links unten auf der Titelseite. Auf der zweiten Seite begann im unteren Drittel der Feuilletonabschnitt, optisch getrennt durch einen Balken, der auf der dritten Seite ein-, zwei- oder dreispaltig fortgeführt wurde. Ab Juni 1921 fand in der mittleren Spalte der zweiten Seite die ,,Wochen-Chronik“ ihren Platz, die etwa ein halbes Dutzend Ereignisse der abgelaufenen Woche in einem bis zwei Sätzen kritisch erfass605

Selten und nur in späteren Jahrgängen wurde die Inhaltsangabe auf der Frontseite auch in Antiqua gesetzt. Die Schriftkontinuität der Zeitschrift hatte einen kulturpolitischen Hintergrund, der seit dem 19. Jahrhundert zwischen der gotischen, ,,altdeutschen“ Fraktur und ,,lateinischen“, ,,französischen“ Antiqua unterschied. Peter von Polenz: Die Ideologisierung der Schriftarten in Deutschland im 19. und 20. Jahrhundert, in: Böke/ Jung/Wengeler/Stötzel (Hrsg.): Öffentlicher Sprachgebrauch, S. 271–282. International wirkte die konsequente Nutzung der Fraktur-Type als ,,typographischer Stacheldrahtzaun“, d. h. wurde die Rezeption deutscher Presse im Gegensatz zur französischen oder britischen, international behindert. Mendelssohn: Zeitungsstadt, S. 304–305.

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te.606 Auf Seite drei und vier folgten entweder kürzere Artikel oder begann eine Presse-Rubrik. Von Juni bis August 1919 lautete die Rubrik ,,Chronik der Weltrevolution“ und berücksichtigte internationale Pressestimmen. Im Juni 1921 folgte an dieser Stelle die Rubrik ,,Kritik der Presse“ zu Beginn vom ,,Chronisten“, also Heinrich von Gleichen verfasst, ab der letzten Augustausgabe 1921 übernahmen Moeller die Rubrik, der sie ohne Namen erscheinen ließ. Das Impressum befand sich auf der letzten Seite in einem längs über die Seite gezogenen Kasten, der die optische Trennung zum Anzeigenteil bildete. Bis etwa Mai 1922 erschienen unter diesem Kasten verschiedene kommerzielle Annoncen, danach wurden die Anzeigen oberhalb des Impressums gesetzt. Schon zwischen Juli und Oktober 1919 hatte sich der Anzeigencharakter stark verändert. Bis dahin war meist die gesamte letzte Seite mit Geschäftsanzeigen bestückt – vom Klavierverkauf über den Reichsverband für weibliche Hausangestellte bis zum Dienstleistungsangebot von Detektiven. Ab Herbst 1919 konzentrieren sich die Anzeigen nur noch auf Verlage, Zeitungen, Zeitschriften und Bücher aus dem Umfeld des Gewissen. Mit der Übernahme durch den Ring verengte sich das Anzeigenaufkommen auf Ring-eigene Flugschriften, Bücher und Veranstaltungsankündigungen, das kaum noch vom redaktionellen Teil unterschieden werden konnte. Das Gewissen bestand in der Regel aus einem Bogen, so dass vier Seiten Mantelteil entstanden. Die zunächst unregelmäßigen, dann kontinuierlich erscheinenden Beilagen bestanden aus einem halben Bogen, wodurch zwei zusätzliche Seiten entstanden. 1919 lag die programmatische Beilage Der Ring bei, in der auch die Ringbücherei vorgestellt wurde. Mitte 1921 erschien eine Anzeigen-Beilage, in der Kopfzeile als redaktioneller Teil des Gewissens ausgewiesen, woraus sich die offizielle Beilage Gewissen entwickelte, die aber insgesamt nur dreimal erschien: im November 1922 aus Anlass der Eröffnung der ,,Hochschule für nationale Politik“, im April 1924 und Februar 1925 folgte je eine Beilage Gewissen unter Karl Hoffmanns außenpolitischer Ressortleitung. Einen ähnlichen Schwerpunkt legte Walther Schotte im März 1924 und Januar 1925 in der Beilage ,,Die Weltpolitik“. Anfang 1924 bis Juli 1925 erschienen ,,Die Manen“, in denen historischen Persönlichkeiten in Form von Zitaten und Gedenken eine Referenz erwiesen wurde; dazu gehörten im Januar 1924 die Armeeführer der Napoleonischen Kriege, im April Otto von Bismarck, im Juni Friedrich der Große, im November 1924 Friedrich List – mit einem letzten Beitrag von Moeller – und im Juni 1925 zu Moeller selbst. Regelmäßiger und für das Profil des Gewissen bedeutsamer waren die Beilagen ,,Ständische Bewegung“ und ,,Der Grenzkampf“. Ab Februar 1923 bis Juli 1925 veröffentlichte Heinz Brauweiler das Mitteilungsblatt ,,Ständische 606

Schwierskott interpretierte Moellers Motiv zur Einrichtung dieser Rubrik, die wichtigsten politischen Ereignisse antithetisch zusammenstellen zu wollen, ,,um das Chaotische der Situation zu betonen“. Schwierskott: Gewissen, S. 167, FN 21.

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Bewegung“ der ,,Vereinigung für ständischen Aufbau“ als Beilage mit eigener fortlaufender Nummerierung. Brauweiler schrieb die Leitbeiträge, zusätzlich waren historische Texte oder anonyme Artikel abgedruckt, vereinzelt auch Beiträge von Wilhelm Büffelberg, Ludwig Schemann, Constantin Frank, Josef Nellessen, dem österreichischen Ständeverfechter Julius Bunzel und dem Juristen Heinrich Herrfahrdt zu finden. Max Hildebert Boehm war Leiter der ,,Arbeitsstelle für Nationalitätenprobleme“ im Politischen Kolleg und gab ab August 1923 deren Mitteilungsblatt ,,Der Grenzkampf “ heraus. Entsprechend der Arbeitsstellenstruktur des Politischen Kollegs veröffentlichten die Mitarbeiter (Rolf Schierenberg, Karl C. Loesch, Friedrich Heiß, Ernst Leibl, Harry Laeuen, Edgar Stahff, Axel de Vries) Artikel im ,,Grenzkampf “. Die letzte Grenzkampf-Beilage erschien im Mai 1925, zwei Monate später beendete auch Brauweiler seine Beilagenproduktion. Erscheinungsweise und Preise

Bis Ende 1919 blieb Werner Wirths für die Herausgabe verantwortlich, auch wenn die Zeitschrift schon seit dem Frühjahr 1919 für die Ring-Bewegung in Anspruch genommen wurde. Das Gewissen erschien bis zum Dezember des Jahres im Verlag ,,Die neue Zeitung“, ab der Ausgabe vom 3. Dezember wurde der Verlag Dr. Dammert607 , Vossstrasse 18 im Impressum genannt. In derselben Ausgabe wurde auch zum ersten Mal auf der Titelseite ,,Das Programm des Ringes“ angekündigt, obwohl die offizielle Übernahme erst noch folgte. In der Vossstrasse war auch ab März 1920 der ,,Verlag Das Gewissen“ eingerichtet; ab der Ausgabe vom 8. Dezember 1920 lautete die Verlagsadresse schließlich Motzstraße 22, in der auch die Zentrale des Juni-Klubs und des Ring-Verlags angesiedelt waren.608 Der Ring-Verlag war von Heinrich von Gleichen gemeinsam mit Martin Mächler gegründet worden, und gab ab der ersten März-Ausgabe 1923 offiziell das Gewissen heraus. Durch den Verlag sollten die zahlreichen Flugschriften, Bücher und die Zeitschrift koordiniert erscheinen.609 Von Januar 1920 bis Juli 1925 galt Eduard Stadtler als offizieller Herausge607 608

609

Chefredakteur des Dammert-Verlags war Dr. Josef Räuscher, der u. a. auch beim ,,Politischen Handwörterbuch“ mitgewirkt hat. Von Oktober 1922 bis April 1923 wurde die Adresse des Verlags ,,Gewissen“ Am Karlsbad 10 (W35), von April 1923 bis Januar 1924 Kaiserallee 171 (Wilmersdorf) angegeben. Danach lautete die Verlagsadresse wieder wie vormals Motzstrasse 22. Ostakademie Lüneburg P 0/203: Alexander Ringleb, Vom Verein Kriegerhilfe zum Juniklub/Ring. 1925 übergab Gleichen die ,,verlagstechnische Leitung“ an den Verleger Vowinckel, wandelte den Verlag in eine Kommanditgesellschaft und erhoffte sich durch die Einbindung eine solidere Finanzsituation. BArch Koblenz R 118/35 Akten des Politischen Kollegs: Brief (27.02.1925) H. v. Gleichen an Martin Spahn; Brief (31.03.1925) H. v. Gleichen an Martin Spahn. Die Situation blieb prekär, 1928 beklagte er sich über das ,,allgemein sehr schlechte“ Buchgeschäft, vor allem über die ,,Überschwemmung des Marktes mit Massenprodukten kapitalkräftiger jüdischer Verleger wie S. Fischer, Zsolnay-Verlag, Ullstein usw.“ (DLA Marbach A: Hans Grimm/Br.A.: Brief (28.04.1928)

2.4 Kommunikation und Vermittlung

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ber der Zeitschrift. Danach übernahm Heinrich von Gleichen die Leitung, ab 1928 erschien das Gewissen nur noch als Beilage der neu eingeführten Zeitschrift Der Ring. Schließlich ging das Gewissen 1929 in der ebenfalls im RingVerlag erscheinenden Standarte auf.610 Neben Stadtler als Herausgeber wurde Werner Wirths mit der ersten Januarausgabe 1920 zum ,,Verantwortlichen Schriftleiter“. Diese Konstellation blieb bis zur Ausgabe vom 24. April 1922 bestehen, danach folgte Walther Schulz auf Wirths Posten. Schulz blieb bis zur Ausgabe vom 19. März 1923 verantwortlich, auf ihn folgte Hanns J. Frosch zunächst stellvertretend und ab dem 6. August des Jahres und bis über den Herausgeberwechsel im Juni 1925 hinaus auch hauptamtlich.611 Die Zeitschrift erschien immer mit dem Datum vom Montag und wurde meist bis zum Mittwoch der Woche ausgeliefert. In August und September 1922 war die Veröffentlichung verboten worden, ab Oktober 1922 erschien das Gewissen wieder in gewohnter Form.612 Neben Betriebsstörungen und Zustellproblemen konnten tagespolitische Entwicklungen dazu führen, dass die Erscheinungsweise durch die Gewissen-Redaktion verändert wurde. Nach den Reichstagswahlen im Juni 1920 erklärte etwa eine Notiz auf der Titelseite die verspätete Auslieferung, da man angesichts der ,,innenpolitischen Verwirrungen [...] nicht mechanisch auf dem Erscheinungstage“ beharren wollte.613 Der erste Jahrgang war vierteljährlich zum Abonnementspreis von 1,50 RM zu erhalten, für den 1. Januar 1920 wurde eine 100 %ige Preissteigerung angekündigt, begründet mit dem ,,gehaltvollen Inhalt“ des Gewissens und der zusätzlichen ,,Möglichkeit, sich eine ganze Bücherei kostenlos durch Werbung neuer Bezieher zu beschaffen“.614 Der Jahresbezugspreis erhöhte sich noch im April 1920 von 13,20 RM auf 14,60 RM. Ohne weitere Begründung folgte im Mai ein weiterer Preisaufschlag auf 21 RM und im nächsten Heft die Ankündigung wegen ,,der dauernden Erhöhungen der Gebühren im Postwesen“ künftig die Versandkosten aus dem Abonnementspreis heraus zurechnen und von den Bestellpostämtern gesondert einziehen zu lassen.615 Das Gewissen versuchte Vergünstigungen für Jahresbezieher einzurichten, um verbindliche Verkaufszahlen zu sichern, hatte aber gleichzeitig das Problem der ständigen Geldentwertung. Im Mai 1922 waren für das Jahresabonnement 40 RM fällig, ein Jahr später 1 000 RM. Während beispielsweise der Roggenbrotpreis in dieser Zeit von 7,70 auf 481 RM, also um 6 200 % gestiegen war, erhöh-

610 611 612 613 614 615

Heinrich von Gleichen an H. Grimm.) Im gleichen Jahr löste Gleichen den Verlag auf und gab den ,,Ring“ im Selbstverlag heraus. Grunewald: Konservative Stimme, S. 483. Ebd. Unter Heinrich von Gleichen folgten dann Friedrich Vorwerk und Georg Schröder. Zum Verbot vgl. Kap. II.1 ,,Im Spannungsfeld: Intellektuelle und Politik“. Gewissen (16.06.1920) 2, H. 23, S. 1. Gewissen (03.12.1919) 1, H. 34, S. 2. Gewissen (19.05.1920) 2, H. 19, S. 4.

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te sich das Gewissen-Abonnement im gleichen Zeitraum nur um 2 500 %.616 Anhand der allgemeinen Preisentwicklung kann davon ausgegangen werden, dass die Preissteigerungen des Gewissens kaum den Kostensteigerungen in der Produktion entsprachen. Ähnlich wie im gesamten Handel konnte erst wieder mit der Rentenmark eine finanzielle Deckung erreicht werden.617 Leser, Vertrieb und Werbung

Verschiedene Einschätzungen und Erinnerungen aus dem Autoren-Kreis geben an, das Gewissen sei eine ,,stark gelesene Wochenzeitung“ gewesen.618 Schon 1920 sollen die monatlichen Abonnementszuwächse bei etwa 400 gelegen haben;619 für Oktober 1922 gab die Redaktion 4 000 zahlende Abonnenten an, die sich jedoch Anfang 1923 wieder auf 1 400 reduzierten.620 Diese Zahlen ähneln den Ergebnissen in Hüttigs Untersuchung, die auf Selbstauskünfte von 33 politischen Zeitschriften beruhte, von denen etwa die Hälfte eine Auflage unter 6 000 angab.621 Mit einer Auflage von 4 000 Exemplaren hätte sich das Gewissen der Reichweite der Kreuzzeitung oder dem Hersfelder Intelligenzblatt (beide 7 000 Exemplare in 1925)622 angenähert, aber es bestehen berechtigte Zweifel an den durch die Gewissen-Redaktion verbreiteten Zahlen. Über eine punktuelle Verbreitung durch Kontaktpersonen dürfte das Gewissen kaum hinaus gekommen sein. Die nach eigenen Aussagen hohen Leserzahlen in auslandsdeutschen Kreisen, wo 1922 durch Verbreitung und Weiterleitung von Gewissen-Exemplaren angeblich bis zu 80 000 Personen die Zeitschrift gelesen hätten, bleiben ebenso unbelegt.623 Das Gewissen beschrieb die eigene Leserstruktur als ,,Bezieher in Nord- und Südamerika, in unseren früheren Kolonien in Südwestafrika und in den abgetrennten und 616 617 618

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Bis zur Einleitung der durch Gold gedeckten Währungsreform im April 1924, erreichte der Einzelpreis einer Gewissen-Ausgabe die Spitze von 150 Milliarden RM. Durch die eingeführte Rentenmark änderte sich der Jahresbezugspreis zunächst auf 80 Goldpfennig und lag Anfang 1924 wieder bei 0,80 RM, Ende 1925 bei 1,25 RM. DLA Marbach A: Grimm/Msp. Anderer: Manuskript von Max Hildebert Boehm ,,Heinrich von Gleichen“. Stadtler gab an, im Januar 1920 habe es 500 und bis Mitte Februar 250 neue Abos gegeben. BArch Koblenz N 1324/95 NL Martin Spahn: Brief (13.02.1920) Eduard Stadtler an Martin Spahn. DLA Marbach A: Ernst/Heinrich von Gleichen 61: Brief (24.06.1920): H. v. Gleichen an Paul Ernst. ,,Dennoch wurde zielbewußt an dem wenig lukrativen Unternehmen festgehalten und der unverkaufte Rest der damaligen Auflage von 3 000 Exemplaren zu Propagandazwecken kostenlos verteilt.“ Petzold: Wegbereiter, S. 103. Hüttig: Politischen Zeitschriften, S. 90. Zum Vergleich 1925: der lokal begrenzte ,,Gießener Anzeiger“: 19 000, die Kölnische Volkszeitung: 24 000; Zeitungen mit nationaler Reichweite wie B.Z. am Mittag: 170 000, Vossische Zeitung: 36 000; Hamburger Fremdenblatt: 150 000. Horst Heenemann: Die Auflagenhöhen der deutschen Zeitungen. Ihre Entwicklung und ihre Probleme, Berlin 1930, S. 73–86. ,,An unsere Leser!“, in: Gewissen (2.1.1922) 4, H. 1, S. 3.

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besetzten Gebieten des Kontinents, [. . . ] in den deutschen Teilen Russlands, Rumäniens und der Tschecho-Slowakei“. Die Gewissen-Redaktion versuchte, gezielt bei intellektuellen Leitfiguren auch anderer politischer Richtungen bekannt zu werden. Eine ,,Propagandaversendung“ des Gewissens ging unter anderem an ,,Dr. Ackerknecht–Stettin, Heinrich Mann, Thomas Mann, Wilhelm Michel–Weltbühne, Wilhelm Schäfer–Ludwigshafen, Gerhart Hauptmann, Dr. Geheeb-Simplizissimus, München“624 . Moeller glaubte, das Gewissen würde von ,,allen Politikern gelesen, die irgendwie geistig eingestellt sind“, wenngleich er zugab, für die meisten seien die Inhalte ,,zu hoch“.625 Die Erwähnung der Gewissen-Lektüre durch Thomas Mann und sein persönlich ausgedrücktes Lob in einem Brief an Gleichen bestätigte den Herausgebern ihren Anspruch, mit der Zeitschrift vor allem in der intellektuellen Oberschicht zu wirken. Inwieweit Manns Interesse am Gewissen jedoch repräsentativ war, bleibt offen. Mit seinem Bekenntnis zur Republik 1922 wandte sich Thomas Mann demonstrativ von den Forderungen der Republikgegner ab, weshalb er im Gewissen entsprechend als ,,Mann über Bord“ geschmäht wurde.626 Bei der studentischen Zielgruppe schien das Gewissen durchaus anzukommen; Moeller nahm 1922 an, dass es dort ,,stark gelesen“ würde: ,,die Leserschaft ist wohl die beste, die es in Deutschland überhaupt gibt“.627 Aus einem Brief Ernst Kriecks an Moeller geht hervor, dass in Kreisen der Hochschullehrer das Gewissen zumindest zur Kenntnis genommen wurde.628 Als Hinweis für die Wahrnehmung des Gewissens erweisen sich die Rückmeldungen durch andere Zeitschriften und Zeitungen. 1921 stellte Stadtler fest: ,,Das Gewissen wird jetzt immer mehr zitiert. Fast jede Nummer wird 624 625 626

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DLA Marbach A: Hans Grimm/Moeller van den Bruck: Brief (04.12.1922) Moeller van den Bruck an Hans Grimm. DLA Marbach A: Hans Grimm/Moeller van den Bruck: Brief (30.07.1921) Moeller van den Bruck an Hans Grimm. ,,Las in der guten Zeitung ,Das Gewissen‘ vortreffliche Artikel von Oppeln-Bronikowski und Moeller v. d. Bruck und schlief dann ein.“ Tagebucheintrag vom 4. März 1920, in: Thomas Mann, Tagebücher 1918–1921, Frankfurt a.M. 1979, S. 391. Werner Otto (23.10.1922): Mann über Bord. Zu Thomas Manns Vortrag: Von deutscher Republik, in: Gewissen, 4, H. 35, S. 2. Andere Artikel zu Thomas Mann: Heinrich Riedinger (17.04.1919): Thomas Mann. Betrachtungen eines Unpolitischen, in: Gewissen, 1, H. 2, S. 2–3; Werner Wirths (04.02.1920): Die Idyllen des Thomas Mann, in: Gewissen, 2, H. 5, S. 2–3; Erich Brock (23.07.1923): Thomas Manns Manifest zum Schutze der Republik, in: Gewissen, 5, H. 29, S. 2-3; ders. (08.06.1925): Thomas Mann als Prophet des Westens, in: Gewissen, 7, H. 23, S. 2-4. DLA Marbach A: Paul Ernst/Moeller van den Bruck 61.2249/6: Brief (20.12.1922) Moeller van den Bruck an Paul Ernst. Krieck über den Konflikt bezüglich seiner Berufung an die Universität Jena: ,,Meine beiden Gewissen-Artikel vom Frühjahr haben dann dem Fass den Boden ausgeschlagen. Ich blicke mit vergnügtem Grinsen auf diese Episode zurück. Aber sie sehen: das Gewissen übt schon gewisse Einflüsse.“ BArch Koblenz R 118/34 Akten des Politischen Kollegs: Brief (10.07.1923) Ernst Krieck an Moeller van den Bruck.

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2. Konstruktion des Jungkonservatismus

in den Münchner Neuesten Nachrichten exzerpiert.“629 In privaten Briefwechseln verweisen einzelne Aussagen auf das spezifische Profil des Gewissens, das den Lesern durch eine Art eindeutige Mehrdeutigkeit nicht immer ganz geheuer war. Senatspräsident Deinhardt aus Jena beschwerte sich beim Gewissen-Mitarbeiter Brauweiler: ,,Es ist alles nur zerfließender Nebel, den man nicht fassen kann.“630 Andererseits fand der ehemalige Kolonialbeamte und Geheime Regierungsrat Rudolf Böhmer das Gewissen ,,im großen und ganzen ausgezeichnet“, so dass er auf eigene Kosten verschiedene Ausgaben ,,an Leute in Deutschland, in Südwestafrika und in Südafrika“ versenden ließ.631 Ähnlichen Einsatz zeigte Graf Brockdorff in Würzburg, von wo aus er Moeller mitteilte, er habe einen ,,valutastarken Auslandsdeutschen mit einem Werbeschreiben über Ziele und Arbeit des ,Ringes‘ bekannt gemacht“.632 Über diesen Kontakt sollten ,,besonders wirksame Nummern des ,Gewissens‘“ verteilt werden, um ,,Auslandgeld“ einzuwerben. Moeller ließ Heinrich von Gleichen den Brief beantworten und dieser betonte, dass ,,gerade in Auslandsdeutschenkreisen das Gewissen viel Anklang findet“.633 In der Deutschen Zeitung war Anfang 1922 zu lesen, dass das Gewissen ,,auf einer national unbedingt zuverlässigen und politisch versierten Leserschaft basiert“.634 Weitere Hinweise auf mögliche Lesergruppen ergeben sich durch die im Gewissen veröffentlichten Anzeigen, wobei sich Inhalte und Stil der direkten Ansprache in Form von Aufrufen, Appellen und konkreten Spendenbitten im Laufe der Jahrgänge veränderten. Noch unter der Herausgeberschaft der Studentengruppe Werner Wirths erschienen in einem Kasten auf der dritten Seite, Aufrufe an ,,Bürger! Arbeiter!“, die das Gewissen ,,durch Einsendung eigener geistiger Beiträge“ unterstützen sollten.635 Im Verlauf des Jahres wurden solche Arbeiter-Appelle durch den Hinweis abgelöst, dass unverlangt zugesandte Manuskripte nur bei ausreichend Rückporto zurückgesandt würden. Geht man von den Hochrechnungen über die politischen Zuordnungen von Tageszeitungen und Sozialstruktur zu ihren Lesern aus, dann wurden nationalistische und rechtsorientierte Blätter überwiegend vom Mittelstand

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635

BArch Koblenz N 1324/3 NL Martin Spahn: Brief (23.08.1921) Eduard Stadtler an Martin Spahn. StaMg [ohne Ziffern] NL Brauweiler 2: Brief (28.12.1923) Deinhardt an Heinz Brauweiler. DLA Marbach A: Hans Grimm/Briefe von ihm und an ihn: Briefe (16.06.1920 und 23.06.1920) R. Böhmer an H. Grimm. BArch Koblenz R 118/34 Akten des Politischen Kollegs: Brief (03.11.1923) Graf Brockdorff an Moeller van den Bruck. BArch Koblenz R 118/34 Akten des Politischen Kollegs: Brief (08.11.1923) H. v. Gleichen an Graf Brockdorff. BArch Berlin R8034 III Presseausschnittsammlung – Reichslandbund, Personalia Eduard Stadtler: N. N. (31.01.1922) Die Angstpolitik der Mitte, in: Deutsche Tageszeitung. Gewissen (17.04.1919) 1, H. 2, S. 3.

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und von Beamten gelesen.636 Themen und interne Aussagen im Gewissen lassen erkennen, dass neben diesen beiden Zielgruppen auch versucht wurde, Großunternehmer, Politiker, Landwirte und Akademiker zu erreichen. Insgesamt hatte die Zeitschrift ,,unter Lehrern, Landwirten, Offizieren, Studenten, hohen Beamten – insbesondere aus dem Innen- und Außenministerium – eine nicht unbeträchtliche Zahl von Lesern“637 . Bei diesen Lesern gelang es dem Gewissen anscheinend erfolgreich, an ,,tradierte Bestände“ der politischen Weltdeutung anzuknüpfen und emotionale Anschlussmöglichkeiten anzubieten.638 Jedoch ließ die Öffentlichkeitsarbeit des Gewissens, trotz aller Appelle und Sammlungsaufrufe, zu wünschen übrig. Obwohl Heinrich von Gleichen umfangreiche Korrespondenz mit einem ,,sehr grossen Kreis interessierter Persönlichkeiten“ pflegte, um das Gewissen über die Mitglieder des JuniKlubs hinaus bekannt zu machen, kursierten die Informationen über die Ausgestaltung des Ringes und somit des Gewissens weitgehend nur in den Kreisen, die ohnehin schon an den Zielen der Bewegung interessiert waren.639 Erschwerend kam hinzu, dass in der öffentlichen Wahrnehmung die Organisationshintergründe des Rings und der Zweck des Gewissens durch den Schwerpunkt der studentischen Schulungsarbeit im Politischen Kolleg überdeckt wurden. Die Freiheit stellte noch Ende 1920, die Verknüpfungen verwechselnd, fest: ,,Die verschiedenen nationalistischen Studentenverbände und Biertimpelvereinigungen haben sich zu einem Verband zusammengeschlossen, der den stolzen Namen Hochschulring für deutsche Art trägt. Die Vereinigung gibt eine Wochenzeitschrift ,Das Gewissen‘ heraus, die von dem bekannten Antibolschewisten Dr. Eduard Stadtler geleitet wird.“

Da sich die Rezeption des Gewissens bei linker wie rechter Presse auf den nominellen Herausgeber Stadtler konzentrierte, erzielte das Gewissen zwar immer wieder Außenwirkung, wurde dann aber auf dessen Anliegen reduziert: ,,[...] Es fällt uns nicht ein, uns etwa mit dem Blatte in eine politische Polemik einzulassen. Das hieße Perlen vor die Säue tragen. Aber wenn in Zukunft wieder irgendein Arbeiterführer das Opfer eines Attentats werden sollte, so wissen wir, dass auch das Blatt des ehrenwerten Herrn Eduard Stadler das seinige zu einem solchen Attentat beigetragen hat.“640

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Meier: Zwischen Milieu, S. 348. Grunewald: Auch Kommunisten, S. 427. Gabriele Kämper: Die männliche Nation. Politische Rhetorik der neuen intellektuellen Rechten, Köln 2005, S. 13–14. So habe man doch eine ,,wachsende Zahl von Menschen“ gewonnen, indem sie ,,von unserer kleinen und von keiner Massenorganisation legitimierten Gruppe unmittelbar und persönlich ins Gespräch gezogen“ worden sind. BArch Koblenz N1077/1 NL Max Hildebert Boehm: Um das gefährdete Deutschtum, S. 158. BArch Berlin R8034 III Presseausschnittsammlung – Reichslandbund, Personalia Eduard Stadtler: N.N. Ein Ring für politische Morde, in: Freiheit, (21.07.1921).

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2. Konstruktion des Jungkonservatismus

Die Verbreitung des Gewissens in Reichswehrkreisen und somit bei einem Teil der alten Eliten des Kaiserreiches, wird durch Veröffentlichungen641 und darüber hinaus durch die Zusammensetzung der ,,Gesellschaft der Freunde des Gewissens“ deutlich, deren Mitglieder zugleich das Gewissen bezogen. Unter den Mitgliedern gab es eine relativ hohe Zahl Militärangehöriger, meistens a. D., – wie Oberleutnant a. D. Paul Fleck, Hauptmann a. D. Hubert Gräfer, Major a. D. Ewald Hecker oder Korvettenkapitän a. D. Harald von Jorck, sowie Staatsbedienstete, verzeichnet als Regierungsrat, Oberkonsistorialrat, Ministerialrat, Regierungsassessor oder Kommerzienrat. Eine weitere Gruppe in der Gesellschaft bildeten Unternehmer, gefolgt von einer kleinen Gruppe Akademiker, in der Werner Sombart der prominenteste war. Schließlich gibt das Mitgliederverzeichnis der Förderer, anders als die Liste der Gewissen-Autoren, einen bemerkbaren Frauenanteil wider. Nur in einem Fall handelte es sich um die Ehefrau eines männlichen Mitglieds (Elsbeth Reuter aus Berlin), ansonsten nennt das Verzeichnis acht Frauen: zwei Lehrerinnen, zwei ausgewiesene Akademikerinnen, eine Adelige sowie drei Frauennamen ohne jeden Zusatz. Insgesamt verzeichnete das Mitgliederverzeichnis der ,,Gesellschaft der Freunde des Gewissens“ aus dem Jahr 1921 115 eingetragene Personen sowie als Organisationen das Politische Kolleg und die ,,Deutsche Bücherei des Börsenvereins der Deutschen Buchhändler“.642 Von den 140 Mitgliedern haben 36 auch für das Gewissen geschrieben; die verbleibenden Mitglieder boten einen Querschnitt der wirtschafts- und bildungsbürgerlichen Klientel der Zeitschrift. Die meisten Mitglieder stammten aus Berlin und Umgebung, aber auch aus Braunschweig, Düsseldorf, Bochum, Hannover, Breslau, Nürnberg oder Frankfurt am Main. In Breslau konnte die Gesellschaft eine eigene Dependance aufmachen, die Kontakte ins Rheinland liefen über Heinz Brauweiler und in den Süden Deutschlands bis spätestens Ende 1923 über Oswald Spengler.643 Bis Ende 1922 soll die Gesellschaft 300 Mitglieder verzeichnet und im Krisenjahr 1923 sogar weitere 100 aufgenommen haben.644 Der Jahresbeitrag betrug 1921 100 RM und wurde im September 1922 auf 500 RM heraufgesetzt.645 Die exorbitante Preissteigerung lag zum einen an der permanenten Geldentwertung, wurde aber auch mit der gezielten Förderung studentischer Leser begründet, die das Gewissen im Gegenzug preiswerter beziehen konnten. Die Gewissen-Redaktion bemühte sich um langfristige Anbindung sei641 642 643 644 645

,,Notiz für die Bayrischen Reichswehroffiziere in Würzburg“, in: Gewissen (14.04.1920) 2, H. 14, S. 4. BArch Koblenz R 118/12 Akten des Politischen Kollegs: Gesellschaft der Freunde des Gewissens; auch Schoeps 1974, S. 228. Schwierskott: Arthur Moeller, S. 68. Petzold: Wegbereiter, S. 103. Schwierskott: Arthur Moeller, S. 57.; BArch Koblenz R 118/12 Akten des Politischen Kollegs: Brief (22.09.1922) ,,Gesellschaft der Freunde des Gewissens“ an Karl Hoffmann.

2.4 Kommunikation und Vermittlung

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ner Leser, brauchte aber über ein Jahr, bis verlässliche Vertriebsstrukturen eingerichtet waren. Die Redaktion griff dabei auf bewährte Mittel des Pressevertriebs wie Rabatte und Abonnementsprämien zurück, um bisherige Leser zu halten und neue zu gewinnen. Bis Juli 1919 verschickte der Verlag jede Ausgabe direkt an Abonnenten, danach konnte ,,bei jeder Postanstalt bestellt werden“.646 Ab Heftnummer 12 erschienen Vordrucke für die AbonnementsBestellung bei der Post, die wöchentliche Zustellung erfolgte frei Haus. Mit diesem Abonnement-System war noch keine dauerhafte Kundenbindung gewährleistet, denn die vierteljährlichen Abos liefen immer wieder aus und mussten vom Leser verlängert werden; erst die Jahresabonnements enthielten automatische Verlängerungen. Gegen Ende jeden Monats erschienen deshalb dringende Bitten im Gewissen ,,An unsere Abonnenten! Vergessen Sie nicht. . . .“. Zwei Monate nach Umstellung auf den Postvertrieb gab es erhebliche Beschwerden wegen ,,mangelhafter Zustellung“; vermutlich funktionierte die Übermittlung der Bestellungen von der Post an den Verlag nicht reibungslos. Im Gewissen wurde empfohlen, von nun an den Betrag auf ein gesondertes Konto einzuzahlen. Der Postvertriebsweg barg weitere Tücken, denn die Kunden konnten das Abonnement am Postschalter nur für ein Vierteljahr verlängern, während der Verlag zunehmend Wert auf Jahresabonnements legte. Um diese abzuschließen, mussten sich die Leser an den Verlag wenden, der dann an die jeweiligen Postfilialen die Bezieher meldete.647 Ab Mai 1920 konnten nur noch Jahresabonnements eingerichtet werden, man erhoffte sich Verwaltungsreduzierung und Kostenersparnis, hatte aber gleichzeitig durch die Geldentwertung steigende Kosten.648 Vor dem Hintergrund der notwendigen Kundenbindung wurde auch die Ringbücherei Anfang Dezember 1919 eingerichtet. Der Wechsel zum Verlag Dr. Dammert ermöglichte eine Ausweitung des Vertriebs, so dass Kundenbetreuung und Versand für die Zeitschrift wie für die Bücher in einer Hand lagen. Die zunächst zurückhaltend und in den nächsten Monaten immerhin auf der Titelseite im größeren Format platzierten Werbekästen, lockten mit Werbeprämien in Form von ,,guten Büchern, wie die in ernster Arbeit ausgewählte Ringbücherei sie nennt“.649 Von nun an war in der Zeitschrift die 646 647 648 649

Gewissen (24.06.1919) 1, H. 11, S. 4. Gewissen (24.12.1919) 1, H. 37, S. 4. Gewissen (26.05.1920) 2, H. 20, S. 4. Gewissen (17.12.1919) 1, H. 36, S. 1. In einer ersten Beilage zum Gewissen waren die Titel der Bücherei aufgelistet: Neben Klassikern wie das Nibelungenlied, von Tacitus, Martin Luther und Schiller gab es zeitgenössische Bestseller von Johann Plenge und Ferdinand Tönnies und konservative Grundsatzschriften von Justus Möser, Freiherr vom Stein und Josef von Görres. Thomas Manns ,,Betrachtungen eines Unpolitischen“ und Stefan Georges ,,Stern des Bundes“ waren ebenso gelistet wie die meisten Bücher der Herausgeber und einiger zukünftiger Autoren wie Martin Spahn, Paul Ernst und Ernst Krieck. Programmatische Verbindungslinie zwischen der Ringbücherei und der Bewegung sollte

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2. Konstruktion des Jungkonservatismus

Werbung für den Gewissen-Bezug immer verbunden mit den Ring-Grundsätzen.650 Die Anwerbung neuer Bezieher zahlte sich für Abonnenten durch eine Gutschrift auf dem ,,Ringkonto“ aus. Hatte ein Mitglied neue Abonnenten für das Gewissen geworben, teilte er dies per Postkarte dem Verlag mit, woraufhin das Guthaben auf dem Ring-Konto heraufgesetzt wurde.651 Für ein Vierteljahresabonnement gab es 1 RM und für ein Halbjahresabonnement 2 RM. Die freundliche Bitte um Anwerbung neuer Bezieher forcierte im April 1920 deutlich im Ton: ,,Jeder Abonnent unserer Wochenzeitung muß es als seine Pflicht erachten, mindestens einen Bezieher in jedem Monat uns zuzuführen. Der Wert der von uns als Ringwerbeprämie bezogenen Bücher sind der Maßstab für das Interesse, das unsere Leser unserer Zeitung entgegenbringen.“652

Ob das Marketinginstrument der Abo-Prämie tatsächlich positive Auswirkungen auf die Abonnementszahlen hatte, bleibt ungewiss. Um den Kundenstamm zu pflegen und für künftige Werbung nutzen zu können, fehlten dem Verlag oft die Anschriften der Postbezieher, deren Angaben nur bei der jeweils zuständigen Postfiliale hinterlegt waren. Deshalb kamen ab Dezember 1919 zu den Bestellaufrufen und Werbeprämienankündigungen Aufrufe hinzu, die um die Übermittlung der Adresse baten. Diese Kundenstammliste wurde bald mehr als notwendig, denn Mitte Januar 1920 hatte das Postzeitungsamt in Berlin dem Verlag immer noch nicht den laufenden Bedarf gemeldet. Da die ersten beiden Nummern des Monats deshalb verspätet ausgeliefert wurden, versandte der Verlag zur Sicherheit die nächste Nummer direkt an diejenigen Kunden, deren Adressen ihm bekannt waren. Die Zustellprobleme blieben bestehen und die wartenden Leser beschwerten sich beim Verlag und der Schriftleitung. Da die Redaktion keinen Einfluss auf den Postvertrieb hatte, veröffentlichte sie die Aufforderung, die Postbezieher mögen sich zunächst an das zuständige Postamt wenden.653 Um neu gewonnene Jahresabonnenten nicht sofort zu verärgern, versandte der Verlag die ersten sechs Wochen des Jahrgangs 1920 direkt und kostenfrei per Streifband. Im März 1920 musste der nunmehr eingerichtete ,,Verlag Gewissen“ handeln und konnte die Beschwerden nicht mehr an die Postämter verweisen. In Ausgabe 10 des Jahres erschien ein Umfragevordruck für alle Leser, die das Gewissen nicht pünktlich ,,montags, spätestens mittwochs“ zugestellt bekamen. Neben der Sammlung aller Beschwerdefälle konnten auf diese Weise diejenigen Kundendaten erhoben werden, die bisher auf die freundlichen Appelle

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die ,,unverwischbare Linie, die von den frühesten Tagen unseres Volkes bis in die Gegenwart hineinreicht“ bilden. Beilage Gewissen, in: Gewissen (03.12.1919) 1, H. 34, S. 5. Beilage Gewissen (03.12.1919), in: Gewissen, 1, H. 34, S. 5. 1921 wurden für ein Abonnement 4 RM gutgeschrieben. DLA Marbach A: Paul Ernst/ Werner Wirths 61: Postkarte (o.D.) Paul Ernst an Gewissen-Redaktion. Gewissen (14.04.1920) 2, H. 14, S. 4. Gewissen (25.02.1920) 2, H. 8, S. 3.

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nicht reagiert hatten. Noch im selben Monat wurde das Verfahren mit der Post abschließend geklärt.654 Der Appell, zukünftig die Post nur noch als Zustellerin zu nutzen, lässt darauf schließen, dass der Verlag des Gewissen die Kundenverwaltung endgültig und ausschließlich übernehmen wollte. Nach der Standardisierung des Verfahrens und der Einrichtung der ,,Gesellschaft der Freunde des Gewissens“ Mitte 1920 ließen die dringenden Appelle in den Spalten der Zeitschrift nach. Die Bestellscheine behielten ihr Layout und die Hinweise für die Bezugswege wurden nicht mehr in jedem Heft und dann nur noch im Bereich des Impressums gesetzt. Ein halbes Jahr nach Umstellung des Vertriebsweges begann durch den gegründeten Selbstverlag eine gewisse Routine einzukehren. Ebenfalls Mitte 1920 begann auf der letzten Seite unter dem Ring-Symbol die regelmäßige Veröffentlichung einer Auflistung der ,,Schriften der Mitarbeiter des ,Gewissen‘“; ab Januar 1921 im Wechsel mit Anzeigen des Politischen Kollegs. Die Werbung für weitere Veröffentlichungen der Gewissen-Autoren sollte auf die Verkaufszahlen des Gewissens rückwirken. Mit dem zusätzlichen Einsatz ,,für das Schriftliche unserer Mitarbeiter“ hätten sich die Abverkäufe der Büchertische ,,im Juni-Klub und bei den Veranstaltungen, Kursen usw. des Politischen Kolleg“ erhöht und ,,wir hoffen nun, dass der immer wiederholte Hinweis im Gewissen im Laufe der Zeit einen ganz beträchtlichen Absatz zur Folge haben wird.“655 In der ersten Ausgabe 1922 erschien ein Inhaltsverzeichnis des vorherigen Jahrgangs, aber dieser Service blieb ohne Fortsetzung. Veröffentlichungen der Gewissen-Autoren innerhalb und außerhalb des Heftes wurden unregelmäßig und nur nach Bedarf bekannt gemacht und verweisen auf uneindeutige, redaktionelle Aufgabenteilung in Bezug auf Öffentlichkeitsarbeit und Koordination. Durch die Einrichtung einer Rubrik ,,Verlagsnachrichten“ ab März 1921 konnten verschiedene Mitteilungen – von der vorübergehenden Schließung der Klubräume über den Hinweis, während der Sommeraufenthalte das Gewissen an Bekannte zu versenden, bis zu den Ankündigungen der Informationsabende – gebündelt werden. Neben den erwähnten Abonnementsnachrichten und Bestellaufrufen, wurden die Leser in ähnlicher Aufmachung angesprochen, um für den Ring zu werben. Diese Form annoncierter Ring-Werbung bildete das letzte Glied der verschiedenen Kommunikationsformen im Gewissen. Schon seit April 1919 hatte sich Eduard Stadtler in seinen Artikeln engagiert, im Juni 1919 erschienen Moellers und von Gleichens erste Artikel, 654

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Den Lesern wurden die unterschiedlichen Bezugswege als ,,Postüberweisung“ und ,,Postabonnement“ vorgestellt; im ersten Fall fungierte die Post nur als Zustellerin und der Verlag wickelte Auftrag und Rechnung ab, im zweiten Fall war die Post Zwischenhändlerin und lieferte auf eigene Rechnung. BArch Koblenz R 118/34 Akten des Politischen Kolleg: Brief (09.07.1923) Moeller van den Bruck an Ernst Krieck.

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im Juli folgte Boehm, aber ein offizieller Verweis auf die Ring-Bewegung erschien erst im September 1919. Nach der im Juni erfolgten Gründung des gleichnamigen Klubs und der im Anschluss konzipierten Ring-Bewegung, fiel die Verlautbarung im September-Heft noch bescheiden aus. Mit der offiziellen Übernahme durch den Ring 1920 gestalteten sich die Sammlungsaufrufe entsprechend umfangreicher, in Form von Beilagen und großformatigen Anzeigen aus. Aber auch die Ring-Werbung war nicht obligatorisch, sondern erschien unregelmäßig im Gewissen. Wie gezeigt wurde, bemühte sich die Gewissen-Redaktion um eine längerfristige und kalkulierbare Anbindung ihrer Leserschaft. Nach Selbstauskunft erreichte das Gewissen zwar eine Auflage von bis zu 4000 Exemplaren, aber real dürften die Verkaufszahlen niedriger gelegen haben. Zu Werbezwecken verschickte die Redaktion unter anderem regelmäßig an Deutsche, die im Ausland lebten oder intellektuelle Persönlichkeiten, daneben gehörten Studenten, Lehrer und Reichswehr zur Zielgruppe des Gewissens. Ab Dezember 1919 sollten mit Werbeprämien aus der Ringbücherei neue Leser gewonnen werden; zugleich kämpfte der Verlag mit unzuverlässiger Postzustellung an die Abonnenten. Erst mit Einrichtung des Selbstverlags des Gewissens ging man dazu über, Kundendaten, Bestellungen und Versand zentralisiert zu steuern. Bis Mitte 1920 waren zuverlässige Vertriebsstrukturen aufgebaut. Jedoch konnte keine der Werbe- und Vertriebsmaßnahmen die Verkaufszahlen des Gewissens so steigern, dass annähernd der Finanzierungsbedarf der Zeitschrift gedeckt gewesen wäre. Finanzierung

Finanzkoordinator und Treuhänder der gesamten Ring-Bewegung war Alexander Ringleb, der durch private und berufliche Kontakte zu den ,,D-Banken“ an einer systematischen Förderung der Bewegung arbeitete. Um den Finanziers die Förderung ohne öffentliche Aufmerksamkeit zu gestatten, richtete Ringleb ein Sammlungskonto bei einem Pfandbrief-Institut ein, über das sämtliche Geldeingänge weiter verteilt wurden.656 Jedoch flossen die durch Ringleb organisierten Spenden in die gesamte Arbeit des VKO und nur ,,ein geringer Bruchteil“ ging dem Juni-Klub und über diesen Weg den GewissenAutoren zu. Ringleb kontaktierte zudem regelmäßig Albert Vögler und Karl Fehrmann vom Stinnes-Konzern, mit denen er die Finanzierung der journalistischen Mitarbeiter des Juni-Klubs aushandeln konnte. Bald sah Ringleb die Notwendigkeit, auch bei Hugenberg anzufragen, brauchte aber einige Zeit, um ,,die eigenbrödlerische und eigenwillige Art H.s“ schließlich zu

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Ein ,,Gremium aus den Leitern dieses Instituts“ übernahm, ,,die Geldeingänge und deren Verwendung laufend zu überwachen“ Schwierskott: Arthur Moeller, S. 70. Diskrete Finanzierung dieser Art war üblich, vgl. Koszyk: Deutsche Presse, S. 164.

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überwinden.657 Martin Mächler, der ,,sich im Juni-Klub-Kreis sehr vorsichtig bewegte“, ,,durch Heirat über ein Millionen-Vermögen“ verfügte und sich gemeinsam mit Heinrich von Gleichen um die organisatorische Vernetzung der Bewegung kümmerte, war neben Ringleb ein weiterer Finanzbeschaffer der Ring-Bewegung.658 Gerade in den Finanzierungsfragen tat sich im Hintergrund des Gewissens, bei aller ideellen Gemeinsamkeit, eine Kluft zwischen unterschiedlichen Methoden des politischen Engagements auf: Finanzwirtschaftlich geschulte Männer wie Mächler und Ringleb auf der einen Seite und vorrangig sendungsbewusste Intellektuelle wie Moeller oder Stadtler auf der anderen Seite spiegelten die Spannweite wider. Ringleb ordnete seine Interessen nicht rigoros der geistigen Führung des Rings unter, denn er sah in Moellers Arbeitsweise und Veröffentlichungspolitik Nachteile für die Finanzierungsstrategien. Moellers oft uneindeutige Position gegenüber kapitalstarken Unternehmen, machte es aus Ringlebs Sicht schwierig, deren Vertrauen zu gewinnen. Im Juni-Klub-Mitglied, Gewissen-Autor und kunsthistorischen Religionsphilosophen Albert Dietrich sah er eindeutigeres Potenzial für eine solide Grundlegung kapitalistischer, ganzheitlicher Weltanschauung. Nach Ringlebs Meinung war Dietrich in der Lage, dem Bolschewismus eine wirksame Konzeption unter dem Motto ,,Kapital i s t Arbeit“ entgegensetzen zu können.659 Gegenüber Moeller betonte Ringleb, dass mit so einem Konzept ,,aus Stinnes und Hugenberg ein Doppelgespann“ würde, das bereit wäre, ,,jeden Millionenbetrag aus den zugeknöpften Taschen“ zu ziehen. Aber Moeller war bewusst, dass dieses Grundlagenkonzept auch seine eigene Position gefährdete und er ging auf Distanz zu Dietrich, dessen Arbeit zu Ringlebs Leidwesen zudem bald versandete. Nach Karl-Heinz Weißmanns Einschätzung verlief die Trennung zwischen Gewissen und industriellen Geldgebern kategorisch; schon die ,,primitive Herstellungsart“ der Zeitschrift und ihre Forderungen würden diesen Schluss zulassen.660 Tatsächlich aber verliefen die Kontakte zwischen Gewissen und Unternehmern vielfältig und intensiv, unter anderem waren in der zur finanziellen Unterstützung des Gewissens gegründeten ,,Gesellschaft der

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Ostakademie Lüneburg P 0/203: Alexander Ringleb, Vom Verein Kriegerhilfe zum Juniklub/Ring, 19.06.1959. Mächler war Wirtschaftswissenschaftler und Stadtplaner; 1918 veröffentlichte er ,,Die Großsiedlung und ihre weltpolitische Bedeutung“; im Gewissen veröffentlichte er 1922 einen Artikel über die gemeinschaftsbildenden Aufgaben der Politik: Martin Mächler (13.02.1922): Staatspolitik, in: Gewissen, 4, H. 7, S. 3. 1922/23 befand er sich mit den Eignern des Schutzbundhauses in der Motzstrasse 22 in einem Rechtsstreit wegen beauftragter und zurückgezogener Umbauplanungen. Ostakademie Lüneburg P 0/203: Alexander Ringleb, Vom Verein Kriegerhilfe zum Juniklub/Ring, 19.06.1959. Weißmann: Das Gewissen, S. 121.

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Freunde des Gewissen“ auch eine Reihe Unternehmer vertreten.661 Auch der berufliche Hintergrund zahlreicher Gewissen-Autoren war entweder unternehmerisch oder durch Tätigkeit innerhalb des Wirtschaftsressorts geprägt. Das Gewissen veröffentlichte im Sinne von Unternehmerinteressen oder Artikel von Unternehmern. Zwar betonte die Gewissen-Publizistik die Einhegung wirtschaftlicher Aktivitäten zugunsten nationaler Bedürfnisse, aber die unternehmerische Zentral- und Entscheidungsgewalt wurde nie in Zweifel gezogen. Damit sprach man zum einen die Konkurrenzsorgen des breiten Mittelstands an und befand sich zum anderen innerhalb eines weltweit geführten protektionistisch orientierten Wirtschaftsdiskurses. Alles in allem lagen genügend Gründe für mittelständische Unternehmer und Wirtschaftspolitiker vor, das Gewissen zu unterstützen.662 Wie weite Teile des Verlagswesens der Nachkriegszeit und trotz der ,,Gesellschaft der Freunde des Gewissens“ stand die Finanzierung des Gewissens immer auf wackeligem Untergrund. Petzinna weist auf das Dilemma hin, dass eine Zeitschrift mit intellektuellem Profil ihren Wirkungskreis per se beschränkte und ,,Gruppen mit materiellen und praktischen Prioritäten“ sogar abstoßen konnte.663 Die Gewissen-Herausgeber bemühten sich, trotz inhaltlicher Abweichungen, um einen guten Kontakt zur D.A.Z., die zum Einflussbereich Hugo Stinnes gehörte. Stinnes hatte schon Stadtlers ,,Antibolschewistische Liga“ unterstützt und im Gewissen durfte man auf ähnliche Zuwendungen hoffen.664 Im Sommer 1920 vereinbarten beide, dass Boehm die politische Leitung der D.A.Z. übernehmen solle.665 Deren Chefredakteur Fritz Klein war ,,Vertrauensmann der hinter dem Blatt stehenden industriellen Kreise“666 und pflegte über die ,,Organisation Escherich“ und den Schutzbund Kontakte zu den Jungkonservativen; für das Gewissen kommentierte er beispielsweise 1921 aus österreichischer Sicht die ,,Entscheidung über

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Die Liste ist abgedruckt in Schoeps: Deutscher Herrenklub, S. 223–228. Mendelssohn: Zeitungsstadt, S. 290. Vgl. hierzu in Kap. II ,,Wirtschaftsautoritarismus“. Petzinna: Erziehung, S. 131. Stinnes beobachtete die politische Rechte ,,mit gemischten Gefühlen“, neigte aber 1923 und 1924 dazu, Deutschland ,,von einem autoritären Regime, vermutlich einer Art Direktorium“ regiert zu sehen und er ,,hätte nichts dagegen gehabt, wenn dies durch eine Aktion von rechts bewerkstelligt worden wäre, nur mußte es von einem breiten Rückhalt getragen werden.“ Gerald D. Feldman: Politische Kultur und Wirtschaft in der Weimarer Zeit: Unternehmer auf dem Weg in die Katastrophe, in: Zeitschrift für Unternehmensgeschichte, 43.1998 H. 1, S. 3–18, S. 13-14. BArch Koblenz N 1324/3 NL Martin Spahn: Brief (02.08.1920) Eduard Stadtler an Martin Spahn. Koszyk: Deutsche Presse, S. 135. Über die Entwicklung der Norddeutschen Allgemeinen Zeitung von einer regierungstreuen Publizistik über den Kauf durch Reimar Hobbing, der das Blatt zu einer ,,deutschen Times“ machen wollte, bis zum Verkauf an Hugo Stinnes 1920 und der damit verbundenen nunmehr schwerindustriellen Ausrichtung des Blattes, vgl. Mendelssohn: Zeitungsstadt, S. 269–301.

2.4 Kommunikation und Vermittlung

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Westungarn“.667 Paul Fechter, kein Gewissen-Autor, aber ein Freund Moellers, ging zusammen mit Werner Wirths ebenfalls in den Redaktionsstab der D.A.Z.668 Von dort, beziehungsweise über den Stinnes eigenen Reimar Hobbing Verlag flossen Gelder ans Gewissen.669 Gewissen-Artikel waren überwiegend positiv auf grossindustrielle Persönlichkeiten wie Stinnes ausgerichtet. Einzelne Aussagen konnten jedoch Interessen lukrativer Geldgeber widersprechen, deshalb war die über das Politische Kolleg laufende indirekte Finanzunterstützung durch Alfred Hugenberg immer wieder mit Auseinandersetzungen verbunden. Im September 1922 – das Gewissen war gerade für zwei Monate auf Grundlage des Republikschutzgesetzes verboten worden – beklagte sich Hugenberg bei Spahn, die Gewissen-Redaktion würde sich allzu sehr auf eine ,,für unerschöpflich gehaltene Finanzkraft“ aus den Wirtschaftskreisen verlassen. Die Aufwendungen für das Gewissen seien unverhältnismäßig hoch und aus seiner Sicht wäre es am besten ,,sich noch einmal verbieten zu lassen und dann aufzuhören“.670 Hugenbergs Macht wurde bald noch deutlicher, als die Korrespondenz des Ring-Verlages sich kritisch über seine sorgsam organisierte Agitation gegen Stresemann äußerte. Entgegen den Äußerungen der ebenfalls industrienahen D.A.Z. empfahl die Ring-Korrespondenz Stresemann als Außenminister. Hugenberg war empört über diese ,,törichten Auseinandersetzungen“ und verringerte daraufhin für alle Mitarbeiter, die am Tropf des Politischen Kollegs hingen, die Geldzuwendungen.671 Eine unabhängige Finanzierungquelle sollte durch die Ringbücherei entstehen, in der eigene und fremde Buchproduktionen als Werbeprämien angeboten wurden. Insgesamt reichten jedoch die Mitgliedsbeiträge der ,,Gesellschaft der Freunde des Gewissens“, Abonnementseinnahmen sowie Verkäufe von Buchproduktionen aus dem Ring-Verlag nicht aus, die Kos667

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Fritz Klein (25.07.1921): Die Entscheidung über Westungarn. Deutschland und Mitteleuropa, in: Gewissen, 3, H. 30, S. 4. ,,Klein war ein begabter, interessanter, aber zwiespältiger Mann, Angehöriger einer versprengten deutschsprachigen Minderheit, der im Krieg als Offizier im österreichischen Heer gedient hatte und sich in großdeutschen Vorstellungen bewegte, die mit den tatsächlichen Gegebenheiten nach dem Krieg nicht in Einklang standen.“ Mendelssohn: Zeitungsstadt, S. 294.; Kurt Koszyk: Publizistik und politisches Engagement. Lebensbilder publizistischer Persönlichkeiten. (hrsg. von Walter Hömberg; Arnulf Kutsch; Horst Pöttker), Münster 1999, S. 483–486. Petzold: Wegbereiter, S. 113.; DLA Marbach A: Hans Grimm/Moeller van den Bruck: Brief (12.09.1922) Moeller van den Bruck an Hans Grimm: ,,Diese Kreise haben uns jetzt Mittel gegeben, um unseren alten Plan einer Hochschule für politische FührerAusbildung zu verwirklichen. An dem Ausbau der D.A.Z., der im Herbst beginnen soll, werden wir einen ganz bestimmten Anteil nehmen, Mitarbeiter vielleicht Schriftleiter stellen. Die Zeitung ist jetzt sehr schlecht. Aber sie wird besser werden. Und vielleicht einmal sehr gut.“ Schwierskott: Arthur Moeller, S. 72 FN 118. Petzold: Wegbereiter, S. 129. BArch Koblenz R 118/36 Akten des Politischen Kollegs: Brief (23.09.1923) Alfred Hugenberg an Martin Spahn; Petzold: Wegbereiter, S. 129–130.

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2. Konstruktion des Jungkonservatismus

ten zu decken. Zudem war das Blatt wie jede Postvertriebspresse von den kurzfristigen Preissteigerungen und Geldentwertungen betroffen. Hinzu kam, dass die Einnahmen der Zeitschrift nicht allein in die Betriebskostenabrechnung des Gewissens flossen, sondern in einen Finanztopf, aus dem auch die Geschäftsräume des Juni-Klubs und des Politischen Kollegs bezahlt wurden.672 Durch die Kontakte Ringlebs konnte immerhin sicher gestellt werden, dass ,,den journalistischen Mitarbeitern des Juni-Klubs regelmäßig Gehälter gezahlt [wurden], die mittleren Beamtengehältern entsprachen und eine feste Anstellung ermöglichten“.673 Zu den Gehaltsbeziehern gehörten Moeller, Stadtler, Gleichen, Boehm, Heinrich Herrfahrdt und Karl Hoffmann. Letzterer erhielt 1921 als Vollzeitmitarbeiter 3.000 RM monatlich, Anfang 1922 wurde auch hier wegen der Geldentwertung um 500 RM aufgebessert mit der Aussicht auf weitere ,,Teuerungszulagen“.674 Probleme bereiteten hingegen die Honorare freier Autoren, bei denen es immer wieder zum Verzug kam. Im Laufe des Jahres 1921 zahlte das Gewissen für einen Leitartikel zunächst 40 bis 60 RM und gegen Ende des Jahres bis zu 300 RM, für Feuilletonbeiträge schwankten die Honorare zwischen 25 bis zu 300 RM.675 Nach der Inflation betrug das Honorar für einen Feuilletonbeitrag, also für etwa 1/3 Seite, 30 bis 60 RM, aber der verantwortliche Schriftleiter sah sich regelmäßig in der Situation, auch populären und wichtigen Autoren ,,Liquiditätsschwierigkeiten“ mitteilen zu müssen.676 Für besonders begehrte Artikel, etwa von Hans Grimm, wurde auch mehr Geld in Aussicht gestellt: ,,Das Honorar beträgt in solchen Fällen, wie Sie ja wissen, 100 Mark. Es ist sozusagen unser Ausnahmehonorar. Mehr können wir beim besten Willen nicht zahlen. Wir setzen immer noch Nummer für Nummer zu. Das macht der niedrige Verkaufspreis von 50 Pf, bei dem wir aus Verbreitungsgründen bleiben wollen, so lange es geht.“677

Alle Beteiligten wussten, dass die Bezahlung beim Gewissen immer auf niedrigem Niveau lag und dass, wer Geld verdienen musste, dies primär woanders tat.678 Nach Aussage Eduard Stadtlers konnte es im Frühjahr 1921 durch Heinrich von Gleichens interne Umstrukturierung gelingen, ,,den 672 673

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Schwierskott: Arthur Moeller, S. 70. Petzold: Wegbereiter, S. 104. Ein regelmäßiges Gehalt bezogen diejenigen Gewissen-Autoren, die auch hauptamtlich beim Juni-Klub angestellt waren und über das Politische Kolleg abgerechnet wurden. BArch Koblenz R 118/12 Akten des Politischen Kollegs, Handakten Dr. Karl Hoffmann: Brief (23.12.1921) Politisches Kolleg an Karl Hoffmann. BArch Koblenz N 1324/159 NL Martin Spahn: Honorarabrechnungen für die Wochenzeitschrift Gewissen, für den Ring, 1921-1922. Der Vorgang von 1926/27 war symptomatisch: DLA Marbach A: Ernst/Hanns J. Frosch 61: Briefe (04.05.1926, 22.07.1927) Frosch an Paul Ernst. DLA Marbach A. Hans Grimm/Moeller van den Bruck: Brief (13.11.1920) Moeller van den Bruck an H. Grimm. ,,Finde ich einmal die Zeit dazu [Aufsätze zu schreiben, C.K.], dann muss ich sehen, dass ich damit verdiene und schreibe für ausländische Blätter [...] weil ich dann das Geld

2.4 Kommunikation und Vermittlung

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Ausgaben-Etat so herunter zu drücken, dass das Gewissen sich jetzt aus den Einnahmen hält.“679 Dieser Zustand dürfte jedoch angesichts der Inflation und Auseinandersetzung mit Hauptgeldgebern nicht lange angehalten haben. Im Sommer 1924 disponierte Hugenberg seine gesamte Unterstützung für die Ring-Bewegung um; dem Leiter des Politischen Kollegs, Martin Spahn, teilte er mit, dass die finanzielle Förderung zunächst eingestellt werden würde.680 Da ein Großteil der Finanzen des Ring-Verlages und des Gewissens über das Politische Kolleg eingingen, traf die Ankündigung fehlender Zuschüsse und Personalreduzierung die Redaktionsarbeit im Kern. Auf der anderen Seite beflügelte der Sparkurs Gleichens Pläne, die Ring-Bewegung in ein Oberschichten-Kartell umzuwandeln, von dessen solventen Mitgliedern wiederum das Gewissen profitieren würde.681 Bis zum Abschluss dieser Umwandlung behielt Hugenberg aber Einblick in die Geschäfte des Ring-Verlages, da sein Tochterunternehmen VERA (Verlagsanstalt GmbH) weiterhin die Finanzaufsicht wahrnahm.682 2.4.5 Inhaltliche Gestaltung: Artikelformen, Sprache, Veröffentlichungspolitik Das Gewissen stellte eine hybride Presseform dar: es erschien im Format einer Zeitung, kommentierte und beurteilte die Ereignisse der Woche im Zeitschriften-Stil und bot im Feuilleton auch Artikel mit Rundschau-Charakter.683 Das heterogene Konzept ergab sich aus der politischen und strategischen Rich-

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brauche.“ BArch Koblenz R 118/34 Akten des Politischen Kolleg: Brief (16.07.1923) Paul Ernst an Moeller van den Bruck. BArch Koblenz N 1324/3 NL Martin Spahn: Brief (21.03.1921) Eduard Stadtler an Martin Spahn. BArch Koblenz R 118/35 Akten des Politischen Kollegs: Brief (17.06.1924) Alfred Hugenberg an Martin Spahn; Brief (25.06.1924) Martin Spahn an H. v. Gleichen. Vgl. in Kap. I ,,Der Blick nach innen: Gruppenbildung im Zeichen des Ringes“ Das Controlling bzw. die Revisionspflicht durch die VERA war eine der Auflagen für Hugenbergs Unterstützung. Im April 1925, im Zuge der Verlagsumgestaltung, wollte Gleichen die Aufsicht endgültig loswerden. BArch Koblenz R 118/35 Akten des Politischen Kollegs: Brief (16.04.1925) Heinrich von Gleichen an Martin Spahn. Rundschauen vereinten schon seit Mitte des 19. Jahrhunderts auf oft unterhaltsame Weise verschiedene Wissensgebiete; vgl. Ulrich Mölk/Susanne Friede (Hrsg.): Europäische Kulturzeitschriften um 1900 als Medien transnationaler und transdisziplinärer Wahrnehmung. Göttingen 2006. Ein Beispiel ist die Deutsche Rundschau, die ihr nationalpolitisches Profil schärfte, nachdem Rudolf Pechel sie 1919 übernommen hatte. Wenngleich die Deutsche Rundschau ähnliche Positionen vertrat wie das Gewissen und beide einen erzieherischen Impetus pflegten, unterschieden sie sich durch Anspruch und Auftreten. Während Pechels Zeitschrift immer um eine Auswahl politischer, wissenschaftlicher und literarischer Themen bemüht war, standen im Gewissen die strategischen Ziele mit Blick auf die Tagespolitik, anhand derer die Artikel ausgewählt wurden, im Vordergrund.

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2. Konstruktion des Jungkonservatismus

tung, die die Redaktion verfolgte. Boehm erinnerte sich an den Aufbau der Zeitschrift: ,,Stehende Rubriken waren ein grösserer Leitartikel, den vielfach Moeller van den Bruck, manchmal Stadtler oder andere von uns schrieben, ferner ein Spitzglosse, die scharf zu den aktuellen Ereignissen Stellung nahm und auch in den Ministerien beachtet wurde und schliesslich die ,Kritik der Presse‘, in der wir ohne Nennung von Autoren polemisch zu vielen Äusserungen der Zeit Stellung nahmen.“684

Artikelformen

Die Spitzglosse nahm auf der Titelseite des Gewissens eine bis drei Spalten ein und erschien in den meisten Fällen anonym; in weniger als der Hälfte aller Gewissen-Ausgaben war sie namentlich gekennzeichnet. Vor allem in den Spitzglossen der Jahre 1919, 1920 und 1921 gaben sich die Autoren zu erkennen, ab 1922 nahm die Zahl deutlich ab, 1925 erschienen nur noch vier namentlich unterzeichnete Spitzglossen. Einer der Gründe für diese Tendenz lag in der Profilbildung der Zeitschrift, die zu Beginn vor allem über einzelne Personen und persönliches Statement verfolgt wurde. Mit dem Namen konnte für den Leser eine verbindliche Meinungsführerschaft verbunden werden, in späteren Jahrgängen sollte die Spitzglosse hingegen die Meinung der Zeitschrift und nicht mehr die eines einzelnen Mitarbeiters präsentieren.685 Der Herausgeber Stadtler veröffentlichte in neun Ausgaben eine Spitzglosse, außerdem waren Boehm, Gleichen unter dem Pseudonym Hutten und Chronist, Albert Dietrich, Heinz Fenner, Alexander Ringleb, Hans Roeseler, Franz Röhr und Friedrich Tobler als Autoren vertreten. Die Spitzglosse erfüllte zwei wichtige Funktionen: zum einen war sie so wie bei den meisten Zeitungs- und Zeitschriftentitelblättern als thematischer Einstieg in die Ausgabe gedacht. Entweder zu einem konkreten Ereignis oder zur politischen Gesamtsituation verfasst, gab dieser Kommentar immer ein generelles Urteil ab. Zum anderen setzte die Spitzglosse lokale oder eng begrenzte Ereignisse in einen globalen Zusammenhang und griff gezielt einzelne Personen an. Als Spitzglosse erschien am 17. Juli 1922 auch die ,,Zuschrift“ des amerikanischen Journalisten Fred W. Elven zum Attentat auf Rathenau, woraufhin das Gewissen zwei Monate nicht erscheinen durfte.686 Nach der Spitzglosse bildete der ausführliche Grundsatz- oder auch Leitartikel den Kern jeder Gewissen-Ausgabe. Er begann in der dritten Spalte der ersten Seite und erstreckte sich mindestens bis zur dritten Spalte der zweiten Seite, in einigen Fällen – etwa bei Moeller – waren Artikel noch länger. Grund684

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BArch Koblenz N 1077/1 NL Max Hildebert Boehm: Um das gefährdete Deutschtum, S. 157. Boehms Erinnerung an die Eigenschaften der Spitzglosse traf zu, aber Moeller war quantitativ nicht überdurchschnittlich mit Leitartikeln vertreten. Über Wandel und Funktion der Zeitungs-Glosse: Stöber: Deutsche Pressegeschichte, S. 174. Vgl. in Kap. II ,,In Spannungsfeld: Intellektuelle und Politik“.

2.4 Kommunikation und Vermittlung

207

satzartikel wurden überwiegend von Autoren des inneren Kreises geschrieben und waren immer namentlich gekennzeichnet. Länge und inhaltliche Positionierungen dieses Beitrags trugen zur Profilierung des Gewissens bei, weil in ihnen in meist essayistischer Form über Grundfragen und Anliegen des Jungkonservatismus referiert wurde. Moellers Artikel erschienen, bis auf zwei Ausnahmen, an dieser Stelle. Die Inhaltsanalyse in Teil II der vorliegenden Untersuchung beruht vor allem auf einer Auswertung der Grundsatzartikel. Im unteren Drittel der zweiten und dritten Seite jeder Gewissen-Ausgabe erschien der Feuilletonbeitrag. Offensichtlich gab es für Stil und Zweck seiner Beiträge keine Vorgaben, die Schwerpunkte der Hauptbeiträger Paul Ernst, Hans Schwarz und Werner Wirths – beispielsweise leitbildartige Entwürfe für eine kommende Menschengattung, mythische Essays rund um Preußen oder die kulturkritische Auseinandersetzung mit der Gegenwartskunst – verdeutlichten vielmehr die Spannweite des Feuilletons. Schließlich bildete die ,,Wochen-Chronik“ eine im Kasten prominent gesetzte Rubrik auf Seite 2. Die Beiträge kamen meist von Moeller und erwähnten schlaglichtartig nationale und internationale Begebenheiten in ein bis zwei Sätzen. Durch die aneinander gereihten, scheinbar unabhängig voneinander vorgefallenen Ereignisse ergab sich für den Leser der Eindruck einer Stimmung oder ganzheitlichen Bedeutung, die alle Ereignisse miteinander verband. Diese Form der Aufbereitung ausgesuchter Schlaglichter zur kaum subtilen Vermittlung einer Wertung der Gesamtsituation, war und ist eine geläufige Form in politischen Zeitschriften. Mit einfachen Mitteln kann auf diese Weise eine politische Situation unterstützt oder diskreditiert werden. Nachdem Moeller die Rubrik ,,Kritik der Presse“ von Heinrich von Gleichen übernommen hatte, baute er sie kontinuierlich zu einem Terrain persönlicher Angriffe auf konkurrierende oder konträre Publizisten aus, wie er selbst schrieb: ,,Sonst sind die Vorstöße gegen das Literatentum durchweg von mir. Ich werde da allwöchentlich, so ganz nebenher, einige Last los, die ursprünglich in ein Buch kommen sollte. [...] Die ,Kritik der Presse‘ scheint mir der richtige Ort.“687 Sprache

In der Publizistik der Zwischenkriegszeit diente die ,,scharfe Waffe“ des gedruckten Wortes zur Unterfütterung politischer Meinungen, die sich, meist sachverständig im Ton, um die Vermittlung einer logisch vermeintlich nicht zu hintergehende Tatsache bemühten.688 Ähnlich gestaltete sich der Stil der Gewissen-Artikel. 687 688

DLA Marbach A: Hans Grimm/Moeller van den Bruck: Brief (19.12.1921) Moeller van den Bruck an Hans Grimm. ,,Die Arbeit in der politischen Presse würde für ihre besten Vertreter den Hauptreiz verlieren, wenn die deutsche Zeitung den lebensvollen Charakter politischer Stellungnahme mit dem hippokratischen Zug angeblicher Parteilosigkeit vertauschen sollte.“,

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2. Konstruktion des Jungkonservatismus

Überschriften stellten durch die deutliche Benennung eines Faktums, Ortes oder Umstandes meist ein Subjekt in ihr Zentrum. Für einzelne Autoren waren bestimmte Formulierungen charakteristisch. Stadtler titelte regelmäßig mit Schlagworten wie ,,Rettung“, ,,Schicksal“, ,,Idee“, ,,Widerstand“, die er antithetisch verband: ,,Annehmen oder Ablehnen“, ,,Versumpfung oder Krise“, ,,Spiel und Gefahr“. Boehms Titel banden das Subjekt in eine Genetivkonstruktion, sodass ein eher erzählender als appellativer Eindruck entstand: ,,Ruf der Jungen“, ,,Mauserung der Demokratie“, ,,Die Lebenskraft der alten Grenzen“, ,,Der Aufmarsch der Paneuropäer“. Ähnliches fand auch bei Heinrich von Gleichen statt, aber überwiegend setzten seine Titel auf Einfachaussagen: ,,Die Partei“, ,,Die Aufgabe“, ,,Die Herausforderung“, ,,Zum Steuerchaos“. Die Artikelüberschriften zu Moellers Texten unterschieden sich strukturell wenig von denen der anderen Herausgeber, fielen jedoch durch die bildhafte Wortwahl auf: ,,Parteiendämmerung“, ,,Das unheimliche Deutschland“, ,,Das deutsche Gesicht“. Viele Moeller-Artikel waren nur mit einem Adjektiv überschrieben, wodurch die Kernaussage des Artikels – die Frage nach der ,,richtigen“ Haltung – unterstrichen wurde: ,,Europäisch“, ,,Konservativ“, ,,Demokratisch“, ,,Reaktionär“, ,,Frankophil“, ,,Nationalistisch“. So wie diese kleine Auswahl den sendungsbewussten Stil der GewissenAutoren widerspiegelt, entsprach auch der Sprachduktus der Artikel in weiten Teilen dem publizistischen Standard der Zwischenkriegszeit. In ihrer Sprachwahl und Wirkung stachen Moellers Artikel hervor, denn er beherrschte in seiner Argumentationsführung eine durchaus scholastische Routine. Jeder Artikel begann mit einer These, die, je unwahrscheinlicher sie klang, umso dichter mit Argumenten belegt wurde. (,,Mit großem Freimute dürfen wir aussprechen, dass wir Erkenntnisse über Amerika haben, die Amerika selbst nicht hat.“689 ) Ähnlich erging es den Absätzen, die im weiteren Verlauf in Rede (,,Darin liegt nicht die Überhebung einer Nation ...“, ,,Was uns von Amerika trennt, ist nicht ...“, ,,Amerika braucht deshalb nicht ...“) und Gegenrede (,,Was uns von Amerika trennt, das sind vielmehr ...“, ,,Wir glauben dem amerikanischen Idealismus ...“) gegliedert waren. Nach der Belehrung (,,Aber auf diese materiellen Beweggründe legen wir keinen Wert ...“, ,,Es ist die große Gefahr des Idealismus ...“) folgte entweder die Konklusion oder in den meisten Fällen eine ahnungsvolle Aussicht auf die zwangsläufige, weil ,,logisch hergeleitete“ Entwicklung (,,Und doch hat Amerika gerade in Versailles die Unterwertigkeit des eigenen Denkens erfahren ...“, ,,Es ist keine Frage für uns, dass ein Amerika, welches zu Erkenntnissen gelangt, dieser Rechtlichkeit willens und dieser Tapferkeit [zur Revision des Versailler Vertrages, C.K.] fähig ist.“). Die Zuschreibung der seherischen Gabe, die Moeller schon zu Lebzeiten

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Dr. Ernst Feder: ,,Parteilose Zeitungen“, in: Deutsche Presse. Zeitschrift für die gesamten Interessen des Zeitungswesens, 17, (03.09.1927) H. 36 , S. 477-478, hier 478. Moeller van den Bruck (25.04.1921): Stellung zu Amerika, in: Gewissen, 3, H. 17, S. 3.

2.4 Kommunikation und Vermittlung

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erfuhr, ging nicht nur auf seine persönliche Haltung zurück, sondern knüpfte unmittelbar an seiner Sprache an. In ihrem Nachruf auf Moeller stellte die Rheinische Allgemeine Zeitung fest: ,,Seiner Darstellungsweise fehlte das Diskursive, das sich in Erörterungen fortspinnen und schließlich in glatten und runden Lehrsätzen fangen läßt. Sein Stil war völlig persönlich, ungemein eindrucksvoll, zur Nachahmung reizend und sich doch jeder Nachahmung entziehend.“690

Veröffentlichungspolitik

Neben dem Verfassen eigener Artikel musste sich die Redaktion wöchentlich darum bemühen, eine thematisch pointierte und alle Artikelformen berücksichtigende Ausgabe des Gewissens bereitzustellen. Auf welche Weise wurden die Artikel jeder Ausgabe zusammengestellt? Und wie ging die Redaktion mit freien Autoren um? Die Untersuchung der Redaktionskorrespondenz machte deutlich, dass der Anspruch der Herausgeber auf Pünktlichkeit und auf Artikel, die mit dem eigenen Weltbild korrespondierten, regelmäßig mit zwei Problemen kollidierte: zum einen mit der rechtzeitigen Artikeleinwerbung und zum anderen mit der Länge der Artikel. Hinzu kam, dass das politische Engagement der Herausgeber und Autoren die Kräfte band, sodass Moeller die Redaktion oft im Alleingang verantwortete: ,,Die Dinge, die wir betreiben, gehen weiter. Auch Spahn kommt nach wie vor alle vierzehn Tage auf drei Tage von Köln herüber. Gleichen ist unermüdlich. Stadtler bereitet Escherich für die Politik vor. Boehm diktiert täglich einen Aufsatz. Und ich komme vor allem, was es da Tag für Tag zu tun gibt, für mich zu sehr viel weniger, als ich möchte und müsste. An Bucharbeit ist nicht zu denken.“691

Während einer Kur in Bad Wörishofen im Sommer 1921 musste sich Moeller ernsthafte Sorgen um die Redaktion machen. Nach allem was er aus der ,,Motzstraße höre, bezw. nicht höre, scheint meine Anwesenheit in Berlin dringend notwendig zu sein“.692 Da die freien Autoren nur geringe Honorare erhielten – und diese nicht immer regelmäßig – bestritt vor allem Moeller seine Korrespondenz mit Bitten um Artikel oder Mahnungen ausstehender Artikel. Moellers Position als Richtung weisender Kopf des Gewissens verlieh seinen Briefen eine gewisse Autorität. Zudem hoffte man wohl auf die natürliche Ausstrahlung seiner geistigen Schaffenskraft, schließlich war allen Beteiligten bekannt, mit welchem ,,ungeheuren Ernst [er] an die Behandlung

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BArch Berlin R 8034III Presseausschnittsammlung – Reichslandbund, Personalia Moeller van den Bruck: Rheinische Allgemeine Zeitung (07.06.1925). DLA Marbach A: Hans Grimm/Moeller van den Bruck: Brief (25.06.1921) Moeller van den Bruck an Hans Grimm. DLA Marbach A: Hans Grimm/Moeller van den Bruck: Brief (25.09.1921) Moeller van den Bruck an Hans Grimm.

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2. Konstruktion des Jungkonservatismus

geistiger Dinge heranging“.693 Dennoch zeugte Moellers Redaktionskorrespondenz vom ständigen Kampf um die Einhaltung des Redaktionsschlusses. Die Bewältigung des verlegerischen Alltags kann auch am Beispiel eines Buchprojekts der Gewissen-Redaktion veranschaulicht werden: das ,,Jahrbuch der Jungen“ sollte zu Weihnachten 1920 im Buchhandel ausliegen.694 Der Sammelband, der schließlich unter dem Titel ,,Junge Front“ erschien, wurde von Julius Koehler verlegt, dessen größte Schwierigkeit in der pünktlichen Zusammenstellung aller Beiträge zum ersten Juli des Jahres lag. Der Veröffentlichungsprozess der ,,Jungen Front“ veranschaulichte das Maß an Koordination und Termindruck, das hinter der Außenkommunikation einer vermeintlich rein sendungsbewussten und in sich geschlossenen Bewegung stand. Der Termin zum 1. Juli 1920 konnte nicht eingehalten werden, der Verleger sprach persönlich in der Redaktion vor und machte Druck, den Moeller an den säumigen Beiträger für die Einleitung, Martin Spahn, weiterleitete: ,,Ohne diesen Beitrag kann der Band nicht in Satz gehen. Ja, ich bin außer Stande, an Koehler überhaupt Manuskripte zu senden, bevor ich Ihr Manuskript habe.“695 Das Weihnachtsgeschäft konnte nicht mehr geschafft werden, aber dennoch sollten die Beiträge ,,nun doch so schnell wie möglich in Satz gehen“. Moeller übte sich Ende September 1920 in größter Nachsicht gegenüber dem wichtigen aber unzuverlässigen Kopf des Politischen Kollegs: ,,Ich darf diesen Brief nicht schließen – nichts für ungut: aber ich darf ’s wirklich nicht –, ohne Sie um Ihr Manuskript zu bitten. Ich freue mich sehr auf Ihre Ausführungen.“696 Die Probleme bei der Zusammenstellung für die ,,Junge Front“ veranschaulichen, dass die lockere Konzeption sich im Moment der Verstetigung und Professionalisierung rächte, denn der Ring ließ sich nicht auf Programmpunkte und verbindliche Mitgliedschaften reduzieren. Es gelang der Gewissen-Redaktion nie, einen festen Verlag für sämtliche Veröffentlichungen zu gewinnen, denn die jeweilige Projektabwicklung war aus verlegerischer Sicht zu ungewiss.697 Eine inhaltlich profilierte Buchreihe zu gestalten gelang keiner der Unternehmungen im Bereich der RingBewegung. Sogar die zielgerichtete Bildungsarbeit des Politischen Kollegs war auf Material angewiesen, das von außen herangetragen wurde.698 Intern 693

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BArch Berlin R 8034 III Presseausschnittsammlung – Reichslandbund, Personalia Moeller van den Bruck: Harald Laeuen: Moeller van den Bruck. Zur zehnjährigen Wiederkehr seines Todestages, in: Die Mannschaft (31.05.1935). BArch Koblenz N 1324/95 NL Martin Spahn: Brief (19.05.1920) Moeller van den Bruck an Martin Spahn. BArch Koblenz N 1324/95 NL Martin Spahn: Brief (31.07.1920) Moeller van den Bruck an Martin Spahn. BArch Koblenz N 1324/95 NL Martin Spahn: Brief (27.09.1920) Moeller van den Bruck an Martin Spahn. ,,Moeller van den Bruck bezeichnete es gelegentlich als bedauerlich, dass es uns nicht gelang, die Produktion unserer Gruppe in einem Verlag zu konzentrieren.“ BArch Koblenz N 1077/1 NL Max Hildebert Boehm: Um das gefährdete Deutschtum, S. 159. Erst 1930 äußerte Martin Spahn gegenüber Kröner von der Cotta’schen Verlagsbuch-

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bestimmten Druck, Gegendruck und die moralische In-die-Pflichtnahme politischer Mitstreiter die publizistische Arbeit im Gewissen. Alles pressierte und nichts schien rechtzeitig zur Veröffentlichung bereit zu liegen. So wie Moeller seine Mitarbeiter drängte, der politischen Agenda mit Veröffentlichungen gerecht zu werden, so versuchten gleichzeitig die Kollegen auf seine Arbeit Einfluss zu nehmen: ,,Drücken Sie bitte auch auf Möller [sic] van den Bruck, damit dessen Buch über ,Die neue Partei und das neue Reich‘ nicht bis in den Sommer hinein verzögert wird. Wir haben keine Zeit zu verlieren.“699 Stadtlers eilige Hoffnung blieb unerfüllt, denn Moellers Buch erschien erst drei Jahre später, 1923, unter dem Titel ,,Das dritte Reich“. Neben Zeitdruck gab es auch Probleme, journalistisch pointierte Texte einzufordern. Wenn Schriftsteller für das Gewissen Artikel schrieben, offenbarte sich häufig am Umfang der Artikel die Diskrepanz zur journalistischen Routine. Die Redaktion musste regelmäßig Kürzungen anmahnen: ,,Da Ihre Manuskripte für den beschränkten Raum, der unserer Zeitung zur Verfügung steht, meist zu umfangreich sind, möchte sich Sie, sehr verehrter Herr Doktor, inständig bitten, nach Möglichkeit nicht über 2 höchstens 3 Schreibmaschinenseiten Ihres Formats hinauszugehen.“700

Die Probleme der Artikeleinwerbung und der Länge der Artikel führte zu Verzögerungen in der Durchsetzung redaktioneller Standards. Erst im Oktober 1920, nach anderthalb Jahren Veröffentlichungspraxis, wurden die Autoren systematisch darauf hingewiesen, Maschinen geschriebene Manuskripte einzureichen. Auch bei der Versendung von Belegexemplaren an Autoren mangelte es an routinierten Abläufen.701 Zur Veröffentlichungspraxis des Gewissens gehörte auch, die Verwendung von Pseudonymen. Einige Autoren verdoppelten auf diese Weise ihre Veröffentlichungsquote, wie etwa Heinrich von Gleichen, der 56 Artikel unter seinem Namen, 90 weitere unter den Pseudonymen ,,Chronist“ und ,,Hutten“ veröffentlichte. Max Hildebert Boehm nutzte sein Pseudonym ,,Hadubert“ etwa zwölf Mal, Hans Heinrich Garbe veröffentlichte als ,,Asmus Gendrich“ 18 Artikel, Wilhelm von Kries veröffentlichte 27 Artikel unter seinem Namen und elf weitere als ,,Osterling“. Aus dem äußeren Kreis veröffentlichte der bayrische Heimatdichter Franz Xaver Osterrieder einen Artikel unter ,,Bavaricus“ und der Herausgeber von Die Freischar Artur Zickler schrieb unter ,,Florian Geyer“. Außer den beiden letzten Pseudonymen war allen gemeinsam, dass sie

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handlung, nun endlich ,,nach langem und schwerem Bemühen so weit zu sein [zu] glauben, dass wir uns ein ideenmäßig einheitliches Schrifttum aufzubauen vermögen“. DLA Marbach Cotta-Archiv Br.8: Schreiben (17.05.1930) Martin Spahn an Kröner. BArch Koblenz N 1324/95 NL Martin Spahn: Brief (13.02.1920) Eduard Stadtler an Martin Spahn. DLA Marbach A: Paul Ernst/Werner Wirths 61: Brief (17.06.1920) Wirths an Paul Ernst. DLA Marbach A: Paul Ernst/Werner Wirths 61: Brief (07.10.1920) Wirths an Paul Ernst.

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2. Konstruktion des Jungkonservatismus

nur bis einschließlich 1921 verwendet wurden.702 Das Nachlassen der Pseudonym-Verwendung korrespondierte mit zwei Entwicklungen der Zeitschrift, die sich gegenseitig bedingten: Zum einen setzte die Redaktion zunehmend auf Autoren, die sich als zuverlässige Schreiber und Ring-Aktive bewährt hatten, und zum anderen schrumpfte insgesamt das Reservoir an Autoren, aus dem die Redaktion schöpfte. Die durch die Pseudonyme suggerierte vielfältige Autorenschaft gehörte ab 1922 nicht mehr zum angestrebten Profil des Gewissens. Diese Entwicklung mag auch damit zusammengehangen haben, dass die Herausgeber und insbesondere Moeller sich nur schwer auf neue Autoren einlassen konnten. Zwar verfolgte man das Ziel, den festen Autorenstamm zu vergrößern, um ,,unsere Leser daran zu gewöhnen, dass sie von bestimmten Mitarbeitern in bestimmten Abständen immer wieder Beiträge erwarten können“.703 Aber frühzeitig war klar, dass im Großen und Ganzen ,,in Deutschland die Schreiber“ fehlten. Für den Redaktionsalltag brauchte das Gewissen zuverlässige Mitarbeiter, die ihr Sendungsbewusstsein mit journalistischem Handwerkszeug verbinden konnten. Das Politische Kolleg als Kaderschmiede sollte helfen, diesen propagandistischen Missstand zu beseitigen.704 Aber wenn auch eine Reihe junger politischer Talente durch die Schulungen gingen und sich an das Kolleg erinnerten, ,,in der ich sehr gern meine politische Reife entwickelte“705 , profitierte das Gewissen nur in Einzelfällen. Die Bemühungen der Gewissen-Herausgeber, Autoren aus dem weiteren Umfeld der Ring-Bewegung zu gewinnen, machten den Mangel an journalistisch geschulten oder schriftstellerisch professionellen Autoren im inneren Kreis deutlich. Verbandsorganisatoren oder Akademiker, aber auch diejenigen Schriftsteller, die nur selten in der Presse veröffentlichten, mussten sich mit den Anforderungen einer politischen Wochenzeitschrift immer wieder auseinandersetzen. An der Spitze der ,,unprofessionellen“ Schreiber stand Heinrich von Gleichen selbst, der sich schwer tat, pointiert und journalistisch versiert zu schreiben: ,,Er suchte das Wort, aber es floss ihm nicht leicht von der Feder.“706 Gleichens politisches Sendungsbewusstsein verhalf ihm

702

703 704 705 706

Weitere Pseudonyme, unter denen maximal vier Artikel gekennzeichnet waren, lauten Firn, Alemanne, Anachronist, Caligari, Diffort, Föderalist, Hannibal, Harke, Lübbering, Marlborough, Minimax, Murner, Narziss, Ruperti, Scaevola, Sincerus, Simson, Sterling, Windegg. DLA Marbach A: Paul Ernst/Moeller van den Bruck 61: Brief (14.05.1924) Moeller van den Bruck an Paul Ernst. DLA Marbach A: Hans Grimm/Moeller van den Bruck: Brief (15.02.1921) Moeller van den Bruck an Hans Grimm. Barch Koblenz R 118/34, Akten des Politischen Kolleg: Brief (24.12.1924) Carl Meissner an Moeller van den Bruck. DLA Marbach A: Grimm/Msp. Anderer: Manuskript Max Hildebert Boehm ,,Heinrich von Gleichen“.

2.4 Kommunikation und Vermittlung

213

dennoch zu mehr als 150 Artikeln; damit lag er dicht hinter Eduard Stadtler an der Spitze der Veröffentlichungszahlen zwischen 1919 und 1925. Die Mitarbeiterzahlen pro Jahrgang lassen erkennen, dass nach einem Hoch 1920 die Beauftragung freier Mitarbeiter immer schwieriger wurde. Mit abnehmender Autorenzahl nahm auch die Bandbreite der Artikel deutlich ab. Etwa 75 verschiedene Autoren wirkten am ersten, über 100 am zweiten Jahrgang mit. 1921 sank die Zahl der Autoren wieder auf 82, der Großteil steuerte nur ein bis zwei Artikel bei. 1922 standen nur 68 Autoren zur Verfügung (auch durch den zweimonatigen Ausfall der Zeitschrift bedingt); 1923 entstanden die Hefte mit nur 52 Autoren, 1924 stieg die Zahl wieder auf 58, 1925 auf 61 Autoren. Das propagandistisch wertvollste Jahr 1923 war gleichzeitig das schwierigste für die Redaktion und Moeller setzte freie Autoren, die er gewinnen wollte, auch moralisch unter Druck. Die ,,geistige Lage“ der Rechten sei vor allem durch Halbqualität gekennzeichnet und ,,Von einer Woche zur anderen sehe ich bei der Leitung des Gewissens, wie schwer es fällt, dagegen aufzukommen.“707 Für die Vorleistungen des Gewissens, Werbung auch für Bücher der freien Autoren zu machen, erwartete er als Gegenleistung Artikellieferungen. Rechte, nationalistische oder völkische Schriftsteller für das Gewissen zu gewinnen, bedeutete keine Garantie, dass im Sinne der Redaktion geschriebene Artikel eintrafen. Die Erfahrungen mit Wilhelm Schäfer lehrten dies. Schäfer, um die Jahrhundertwende gefördert von Richard Dehmel, hatte 1922 mit seiner Veröffentlichung und Volkstums-Mystik ,,Die dreizehn Bücher der deutschen Seele“ großen Erfolg. Im Oktober hielt er im Juni-Klub einen Vortrag zur ,,deutschen Judenfrage“ und bemerkenswerterweise reagierte Moellers Ehefrau Lucy in ihrem einzigen Artikel im Gewissen auf diesen Vortrag. Sie kritisierte Schäfers eingeschränkte Sichtweise auf das ,,Problem“, denn es ginge nicht mehr allein um die kulturellen Unterschiede, die nicht zu überbrücken seien, sondern um das davon untrennbare politische Problem. Schäfer reagierte auf die Kritik wiederum mit einem Gewissen-Artikel und wies den Vorwurf der Politikferne zurück. Während Moellers Ehefrau Schäfer aufforderte, strikte Ausgrenzungsmaßnahmen gegen Juden zu formulieren, entwarf Schäfer in seinem Artikel das Bild vom Dichter als Hohepriester der Kultur, der wie ein Missionar im ,,Tempel des Volkes“ jedem seine Erkenntnis kund gebe und allein damit seinen politischen Beitrag leiste. Bemerkenswert an diesem Disput war die Tatsache, dass er zu den wenigen Fällen gehört, in denen das Gewissen Artikel streitender Autoren veröffentlichte. Womöglich hatte Lucy kraft ihrer Position auf eine Veröffentlichung bestanden, woraufhin die Gegenrede kaum abgelehnt werden konnte. Abgesehen vom offenen Widerspruch Schäfers gegenüber Moellers Frau, 707

BArch Koblenz R 118/34 Akten des Politischen Kollegs: Brief (09.07.1923) Moeller van den Bruck an Ernst Krieck. Ähnlicher Hinweis in BArch Koblenz R 118/34 Akten des Politischen Kollegs: Brief (09.07.1923) Moeller van den Bruck an Paul Ernst.

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2. Konstruktion des Jungkonservatismus

ärgerte dieser sich über Schäfers Schreibstil: ,,Schäfers Aufsatz ist schwach und überheblich, dabei, obwohl er von Sprache spricht, gar nicht gut geschrieben. Wir mussten ihn nehmen, schon weil er als offene Antwort auf jenen offenen Brief einging.“708 Schäfers Grundsätze entsprachen in keiner Weise den Sprachvorlieben Moellers. Gerade weil beide Männer über die gleiche Thematik publizierten, musste Moeller Sätze wie ,,Zwischen dem Stil, den unserer Staatsmänner, Gelehrten, Journalisten und angebliche Dichter zu reden und zu schreiben pflegen, und der Gesinnung, in der wir unser Volk am Rand der Verkommenheit sehen, besteht ein ursächlicher Zusammenhang.“ ablehnen. In seinen Augen zog Schäfer viel zu schlicht und ohne jeden metaphysischen Katalysator die Argumentationslinien. Der Kontakt mit den Autoren war immer dort gut und versprach kontinuierliche Mitarbeit, wo er über persönliche Beziehungen verlief. Wenn Moeller jedoch seine Ansprüche durchsetzen wollte, dann musste er in der Konsequenz auch Artikeländerungen verlangen und diese waren nur mit ausführlichen inhaltlichen Begründungen durchsetzbar, wollte er die Autoren nicht verlieren. Die Situation wurde umso schwieriger, wenn der Autor als Koryphäe auf seinem Gebiet galt wie etwa Hans Grimm, der durch seine Aufenthalte in den englischen Kolonien als ausgewiesener Kenner des englischen ,,Wesens“ galt. Als er über seine persönliche Bekanntschaft mit Moeller dem Gewissen einen Artikel zukommen ließ, ergaben sich die üblichen Probleme. Der Artikel war zu lang für eine Ausgabe, Moeller kündigte deshalb in seinem Dankschreiben zunächst die Aufteilung des Artikels auf zwei Nummern an. Entgegenkommende Gesten dieser Art mussten zwei Jahre später eingestellt werden, denn ,,wir haben mit ,Fortsetzungen‘ schlechte Erfahrungen gemacht. Und uns entschlossen, ganz von ihnen abzusehen. Eine Wochenzeitung muss irgendwie abgeschlossen sein. Unsere Leser haben ganz recht.“709 Abgesehen von den Kürzungen, bemühte sich Moeller in seiner Korrespondenz mit Grimm, diesen für bevölkerungspolitische Artikel mit EuropaBezug zu gewinnen.710 Während Moeller auf inhaltliche Überzeugungsarbeit setzte, erklärte Heinrich von Gleichen gegenüber Grimm sehr viel pragmatischer den strategischen Einsatz von Autoren. Wenn sich das Gewissen im Zuge der steuerpolitischen Auseinandersetzung positionieren wolle, sein ein Artikel von Grimm sinnvoller als von Gleichen. Grimm könne in einem Artikel wenigstens ,,eine agitatorische Forderung“ aufstellen, die ,,viel besser von einer Persönlichkeit aus[geht], die wie Sie eine bestimmte politische Tendenz dahinter stellt, und dafür die Kraft des Ausdrucks findet, während dies mir angesichts der praktischen Gegeneinwendungen nicht gelingen würde.“ 708 709 710

DLA Marbach A: Hans Grimm/Moeller van den Bruck: Brief (24.11.1922) Moeller van den Bruck an Hans Grimm. DLA Marbach A: Hans Grimm/Moeller van den Bruck: Brief (12.02.1922) Moeller van den Bruck an Hans Grimm. Vgl. in Kap. II ,,Gegen den Versailler Vertrag“.

2.4 Kommunikation und Vermittlung

215

Gleichen kalkulierte, dass dem Schriftsteller Grimm steuerpolitische Maximalforderungen kaum angekreidet würden, während solche Äußerungen von ihm selbst durch seine politische Vernetzung und Position angreifbar wären. Die Veröffentlichungspolitik im Gewissen wurde zusätzlich erschwert, wenn ein angemessener Ausgleich zwischen Artikeln fester Autoren, Experten und Akademiker gesucht wurde. Namentlich gekennzeichnete Artikel von Akademikern waren im Gewissen hoch angesehen, so dass der einzige Professor im inneren Autoren-Kreis, Martin Spahn, immer wieder zur Artikelproduktion gedrängt wurde. Auf gelehrte Grundsatzartikel setzte Moeller unter anderem, um ,,im Gewissen, unter dem Strich, einigermassen Linie zu halten.“711 Dem Orientalisten Hans Heinrich Schaeder konnte er im Oktober 1922 jedoch keinen weiteren Artikel abringen, obwohl er klagte und schmeichelte: ,,Gerade diejenigen Mitglieder des Kreises, die ,schreiben‘ können, schalten aus oder versagen sich. Dietrich [Religionsphilosoph, C.K.] sitzt hinter seiner Doktorarbeit. Hermann Albrecht [Novellist, Ostmystiker, C.K.] ficht in Bromberg gegen Polen. usw. Es wäre schön, wenn ich in bestimmten Abständen mit Beiträgen von Ihnen bestimmt rechnen könnte.“712

Die Kontakte zu den Gelehrten waren mühsam – Stadtler kommunizierte nur über den Umweg Spahn mit Dietrich – und erschwerend kam hinzu, dass sich gerade die Akademiker und Universitätsgelehrten kaum auf inhaltliche Abmachungen festlegten; Themenplanung war hierdurch kaum möglich. In Anbetracht dieser Bemühungen – und der möglichen Konkurrenz die in Albert Dietrich erwuchs713 – war Moeller umso erleichterter 1923 mit Erich Brock einen jungen, wenngleich bis dahin erfolglosen, Religionsphilosophen gewinnen zu können: ,,Aber ich darf Ihnen sagen, wie überaus selten der Fall ist, dass wir aus diesem grösseren Kreis einen Mitarbeiter gewinnen. Sie sind, in der geistespolitischen Richtung, beinahe der erste und einzige Fall eines Deutschen aus der nachrückenden Generation, der in unserem Sinne umwertet.“714

Erst 1924 machte die Redaktion auch hier Versuche, gewisse Standards einzuführen und bat

711 712 713

714

BArch Koblenz R 118/34 Akten des Politischen Kolleg: Brief (26.10.1922) Moeller van den Bruck an H. H. Schaeder. Ebd. Alexander Ringleb war überzeugt, dass der ,,nur den Lebensjahren nach jüngere D[ietrich] mit der Tiefe und Breite seines Verstandes ein schöpferisches Volumen ausmachte, dessen Inhalt M[oeller] nicht erreichte“. BArch Koblenz R 118/34 Akten des Politischen Kolleg: Brief (02.08.1923) Moeller van den Bruck an Erich Brock; Ebd. Bl. 61: Brief (Abschrift, o.D.) Erich Brock an Moeller van den Bruck.

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2. Konstruktion des Jungkonservatismus

,,uns doch nach Möglichkeit immer im Voraus über die Themen der Beiträge zu unterrichten, die wir von Ihnen erwarten können. Wir halten dies mehr und mehr auch mit den übrigen Mitarbeitern so, und erreichen auf diese Weise eine inhaltliche Einheitlichkeit.“715

Solche Bestrebungen hingen aber auch mit der zunehmenden Unpässlichkeit Moellers zusammen, der nicht mehr permanent alle Artikelfäden in der Hand halten konnte. Im Sommer 1924 begab er sich in einen ausgedehnten Urlaub und überließ Brauweiler als offiziellem Vertreter die Redaktion.716 Bis dahin hatte Moeller in zentraler Position und durch eine koordinierte Veröffentlichungspolitik versucht, das Gewissen inhaltlich zu profilieren. Resümiert man die mediengeschichtliche Perspektive auf die jungkonservative Zeitschrift lassen sich folgende Punkte festhalten: Nach der offiziellen Übernahme des Gewissens dauerte die organisatorische Findungsphase der Zeitschrift, ihrer Redaktion und des Verlages bis Mitte 1920 und bis zur Gründung eines Selbstverlages an. Das Gewissen musste sich in der Nachkriegszeit auf einem wachsenden und umkämpften Pressemarkt behaupten und setzte zunächst auf ein überparteiliches Auftreten, das durch einen breiten Autorenkreis untermauert werden sollte. Probleme des Pressemarktes betrafen auch das Gewissen, wie etwa die ruinöse Preisentwicklung oder Behinderungen in der Auslieferung. Von Beginn an bemühte sich das Gewissen durch Abonnementsvergütung, Prämien und Verbesserung der Vertriebswege um eine höhere Kundenbindung. Inwieweit diese Maßnahmen wirkten, bleibt uneindeutig. Laut Aussage eines Mitarbeiters im Politischen Kolleg, habe die Gewissen-Redaktion auf Anfrage eine ,,viel zu hoch“ angesetzte Auflagenziffer angegeben, um ,,in der Öffentlichkeit die Bedeutung der Zeitschrift“ zu unterstreichen.717 Die Instrumente wie Werbeinserate oder Dienstleistungen wie Bücherverzeichnisse fanden nur unregelmäßig im Gewissen ihren Platz. Insgesamt bestätigt sich der Eindruck, dass die Herausgeber der Zeitschrift in den ersten beiden Jahren wenig verlegerische Erfahrung hatten. Inhaltlich standen Glossen, essayistische Grundsatzartikel und ein Rundschau-ähnliches Feuilleton im Vordergrund. In der redaktionellen Arbeit führte die hohe Zahl verschiedener Autoren und der Anspruch auf aktuelle politische Bezüge zu Problemen, so dass Akquise und Koordination entsprechender Artikel zu den mühsamen Hauptaufgaben der Redaktion gehörte, die überwiegend von Moeller geleitet wurde. Nach dem Krisenjahr 1923 blieb die Zahl der Autoren, auf die das Gewissen zurückgreifen konnte, kontinuierlich niedrig und das Profil der Zeitschrift wurde mehr denn je vom inneren Kreis der Autoren bestimmt. Die Finanzierung des Gewissens speiste sich aus vier Quellen: 715 716

717

BArch Koblenz R 118/34 Akten des Politischen Kolleg: Brief (28.04.1924) Moeller van den Bruck an Ernst Krieck. BArch Koblenz R 118/34 Akten des Politischen Kolleg: Brief (23.05.1924) Moeller van den Bruck an Hans Grimm; Ebd.: Brief (13.06.1924) Moeller van den Bruck an Erich Brock. Schoeps: Deutsche Herrenklub, S. 178 FN 93.

2.4 Kommunikation und Vermittlung

217

erstens koordinierten die Organisatoren und Finanzbeschaffer Heinrich von Gleichen, Alexander Ringleb und Martin Mächler die Geldflüsse, zweitens floss bis 1924 Geld aus der Großindustrie von Alfred Hugenberg und Hugo Stinnes, drittens war der Mittelstand in der Finanzierungs-Gesellschaft ,,Freunde des Gewissen“ versammelt und viertens flossen die Einnahmen des Ring-Verlages zum Teil auch in das Gewissen. Die Finanzierung des Blattes war immer prekär, so wurden unter anderem nur sechs Vollzeitstellen über die Gehaltsliste beim Politischen Kolleg finanziert, während die freien Autorenhonorare mitunter nur verzögert gezahlt werden konnten. Die Aufbruchs-Stimmung des Zeitschriftenprojekts von 1919 ging in Anbetracht der verlegerischen und redaktionellen Probleme verloren, wie Moellers Klage über mangelndes Talent bei rechts denkenden Journalisten verdeutlichte. Als sich Hugenberg 1924 aus der Finanzierung der Ring-Bewegung vollständig zurückzog, weil er die Wirkung des Gewissens nicht mehr für ausreichend hielt, begünstigte dies den von Gleichen angestrebten organisatorischen Umbau in eine exklusive Herrengesellschaft mit angeschlossener Korrespondenz, dem Gewissen. Das Profil des Gewissens begann sich endgültig zu ändern nachdem Moeller ab Mitte 1924 nicht mehr in der Redaktion hauptverantwortlich arbeitete und die Veröffentlichungen koordinierte.

3. „Der Ruf will gehört sein“ – das Profil des Gewissens ,,Unser Kreis prätendiert nicht Führung. Wir sind Rufer, Vortrupp und Gefolgschaft. Nur Männer, die hart im Lebenskampf standen, sollen auf der Höhe der Leistung ihre erprobte Kraft ganz ihrem Volke geben. Diese Männer rufen wir.“1

Ende 1920 charakterisierten die Ring-Aktiven in der Gewissen-Beilage ,,Merk- und Werbeblatt“ ihre Zeitschrift als ,,Stimme“ und ,,Ausdruck einer letzten Gewissheit“.2 Man hoffe, dass ,,sie der Nation sagen wird, wie sie handeln soll. Die Stimme ist Ruf. Und der Ruf will gehört sein.“ Bei aller intellektuellen und parteifeindlichen Zurückhaltung, formulierten Moeller, Stadtler, Boehm und Gleichen hier einen deutlichen Anspruch auf Mitsprache im politischen Tagesgeschäft. Anders als die Legendenbildung zu Moellers Arbeit impliziert, fassten er und seine Mitherausgeber das Gewissen immer auch als Instrument der ,,Tagestaktik“ auf.3 Die Herausgeber teilten die Ressorts untereinander auf, um in ihren Beiträgen auf tagespolitische Relevanz eingehen zu können. Moellers Blick aufs große Ganze kollidierte dabei mit Problemen der Aktualität: ,,Sehen Sie, wenn ich im Gewissen die Außenpolitik übernommen habe, da muss ich hart an den Ereignissen bleiben, dicht hinter ihnen her. Ein Zurückstellen für die nächste oder übernächste Nummer ist nicht möglich.“4 Die im Gewissen erörterten politischen Vorschläge und prognostizierten Entwicklungen schienen sich in den ersten krisengeschüttelten Jahren der Republik zu bestätigen. Insofern sah man sich in der Redaktion an innenpolitischen Entwicklungen, die die parlamentarische Demokratie schwächten, durchaus beteiligt. Moeller fasste befriedigt zusammen: ,,Wir sind sehr bemüht, Einfluss zu üben, persönlich, publizistisch, psychologisch und was da so in Frage kommt.“5 Kurzfristig dürften die Jungkonservativen jedoch kaum solchen Einfluss ausgeübt haben, wie sie wünschten. Langfristig wirkten sie jedoch über das ,,Streben nach intellektueller Macht“6 hinaus auf die 1 2 3 4 5 6

Heinrich von Gleichen (01.03.1920): Wir rufen!, in: Gewissen, 2, H. 9, S. 1. Gewissen (12.12.1920), in: Merk- und Werbeblatt des Gewissen, in: Gewissen, 2, H. 49, S. 6. BArch Berlin R 8034 III Presseausschnittsammlung – Reichslandbund, Personalia Moeller van den Bruck: Rh. Allgm. Zeitung (07.06.1925). DLA Marbach A: Hans Grimm/Moeller van den Bruck: Brief (20.12.1920) Moeller van den Bruck an Hans Grimm. DLA Marbach A: Hans Grimm: Brief (27.11.1923) Moeller van den Bruck an Hans Grimm. Dupeux: Intellektuellen, S. 3.

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3. ,,Der Ruf will gehört sein“ – das Profil des Gewissens

politische Entwicklung, indem sie Begriffe und Vorstellungen der allgemeinen politischen Auseinandersetzung aufgriffen und radikal interpretierten. Vor dem Hintergrund der kulturkritischen Vermittlungstätigkeit während der Vor- und Nachkriegszeit und den Erfahrungen im Propagandaapparat, gepaart mit den Bedingungen des Pressemarktes, einer selbstbewussten journalistischen Haltung und schließlich innerhalb einer politischen Situation, deren Zukunft ungewiss war, bedeutete die Gewissen-Publizistik zum einen Kommunikation unter Gleichgesinnten und verstand sie sich zum anderen auch als ernsthafte und notwendige Aufklärungsarbeit einer breiter gebildeten, unternehmerischen und parteipolitisch engagierten Öffentlichkeit. Die Zeitschrift Gewissen bot auf verschiedenen Ebenen den idealen Ort, um unterschiedliche intellektuelle Akteure und deren politisches Engagement zusammenzuführen: – Das Gewissen bot eine überparteiliche Bühne, auf der Zustände kritisiert und Sicherheitsabstand zum parteipolitischen Betrieb gehalten wurden. Die Zeitschrift bot einen Sichtschutz, damit in der Öffentlichkeit nicht in erster Linie das parteipolitisch finanzierte und orientierte Engagement wahrgenommen würde. Auf diese Weise fungierte das Gewissen als Transmissionsriemen politischer Ideen und radikaler Strategien zwischen Öffentlichkeit und Parteipolitik.7 – Die Zeitschrift war ein Kommunikationsort, in dem konkret und oftmals personalisiert Stellung bezogen werden konnte. Die eigene Aussage wurde so zum konstruktiven Teil des politischen Einspruchs, den das Gewissen erhob. Gleichzeitig konnte die medial gebundene Präsenz der intellektuellen Gruppe als Sicherheits- und Sinnversprechen für Autoren wie Leser wirken. Hier in der Zeitschrift Gewissen wurde eine ,,Gemeinschaft Gleichgesinnter“ präsentiert, die Vorbildcharakter entwickeln sollte für die politischen Eliten.8 – Mit ihrer Sprache und Themensetzung knüpften die Gewissen-Artikel an einen gängigen Stil in der politischen Kultur der Weimarer Öffentlichkeit an: Die Gegenwart wurde kritisiert, Einigkeit und Orientierung gefordert, in die Jugend alle Hoffnung gesetzt.9 Die Texte im Gewissen waren durch eine ,,emotionale Qualität“ gekennzeichnet, in der sich ,,Überzeugungen, Argumente, Projektionen und Wunschproduktionen“ zusammenfanden und jedem Leser Anschlussmöglichkeiten boten.10 Die Aufnahmefähigkeit ihrer als spezifisch jungkonservativ deklarierten Forderungen 7 8

9 10

Rüdiger Graf : Die Zukunft der Weimarer Republik. Krisen und Zukunftsaneignungen in Deutschland 1918–1933, München 2008, S. 53. Vgl. Martin H. Geyer: ,Die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen‘. Zeitsemantik und die Suche nach Gegenwart in der Weimarer Republik. in: Hardtwig: Ordnungen, S. 165–190, S. 180. Graf : Zukunft, S. 72–75. Kämper bezieht sich auf Foucaults Überlegungen in ,,Die Ordnung des Diskurses“. Kämper: Männliche Nation, S. 13.

3. ,,Der Ruf will gehört sein“ – das Profil des Gewissens

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wurde dadurch erhöht; diese wurden im Zusammenhang mit dem weit verbreiteten Krisendiskurs zusätzlich legitimiert. Indem die Gegenwart als Durchgangsstadium zu einer national geeinten und mächtigen deutschen Zukunft beschrieben wurde, galt zugleich der Aufklärungs- und Erziehungsgestus als erforderliches Mittel zur ,,Realisierung der neuen Zeit“. In den folgenden Teilkapiteln werden die zentralen Bezugs- und Themenfelder der Gewissen-Publizistik analysiert, im politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Kontext verortet und mit persönlichen Motiven und Handlungen der Autoren abgeglichen. Die Themenfelder lassen sich auch als elementare Ziele des Jungkonservatismus formulieren: politischer Einfluss, nationalistische Elite-Erziehung, vollständige Revision des Versailler Vertrages, deutsche Hegemonie in Europa und ein kapitalistisch-autoritaristisches Wirtschaftssystem. Die nationalistischen, elitär und männlich orientierten Erziehungsideale der Jungkonservativen werden anhand der Ideen und Karrieren der Erziehungs-Wissenschaftler Martin Spahn und Ernst Krieck deutlich. Verschiedene Überlegungen zu nationalistischen Bildungskonzepten, ihr Kontext in der Weimarer Republik und die Einrichtung einer eigenen jungkonservativen Schulungseinrichtung sowie die darauf folgenden internen Konflikte werden ebenfalls erläutert. Anschließend steht die Funktion des Opfer-Diskurses rund um den Versailler Vertrag im Mittelpunkt. Bis zum Kurswechsel der deutschen Außenpolitik im Jahr 1924 konnte das jungkonservative Gewissen davon ausgehen, durch Publizistik und persönliche Kontakte, reale Einflussmöglichkeiten auf die Machtlogik der Politiker zu haben. Als sich die politische Agenda spätestens mit dem Vertrag von Locarno veränderte, hingen die Maximalforderungen des Gewissens im luftleeren Raum und änderten sich die Aussagen. Eine ähnliche Entwicklung lassen die im Gewissen verbreiteten Ordnungskonzepte für Europa erkennen. Ob bei der Wahrnehmung der Vorgänge in Russland, der Gefahr einer vermeintlichen ,,Bolschewisierung“ Deutschlands, den Interpretationen eines ,,deutschen Sozialismus“, Annäherungen an den Faschismus und Rassismus, Ständestaatkonzepten und autoritären Diktaturvorschlägen: alle hierfür relevanten Beiträge bezogen sich auf populäre Ordnungsvorstellungen vom ,,Dritten Weg“ und liefen letztlich auf die Forderung nach einem autoritären, de-pluralisierten deutschen Hegemonialstaat in Europa hinaus. Die Basis aller jungkonservativen, rhetorisch verbrämten Forderungen und Handlungsanweisungen waren die Werte und Erfahrungen der kapitalistischen Weltwirtschaft. Im jungkonservativen Weltbild bildete die deutsche Wirtschaft einen unumstrittenen Leitsektor innerhalb der Politik, der sich wiederum ausschließlich nach nationalen Interessen auszurichten habe. Während aller Jahrgänge veröffentlichten auch Politiker, Unternehmer und Journalisten im Gewissen und äußerten sie sich zu korporativen Wirt-

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3. ,,Der Ruf will gehört sein“ – das Profil des Gewissens

schaftsprogrammen, der wirtschaftlichen Versorgung, Produktivität, Handel, Industrie und Geldpolitik. Regelmäßig forderte die Zeitschrift Unternehmer dazu auf, als Experten für nationalwirtschaftliche Zusammenhänge auch in der Politik Machpositionen einzunehmen. Angesichts der wirtschaftlich schwierigen Situation Deutschlands und der weltweit protektionistischen Tendenzen knüpften die Gewissen-Autoren auch hier an ernsthaft diskutierte Maßnahmen zum Wiederaufbau Deutschlands mithilfe einer ,,nationalen Wirtschaft“ an. Die vier Themenkomplexe werden für die vorliegende Untersuchung getrennt untersucht, aber bildeten freilich ein zusammenhängendes Netz an Ideen und Plänen, die das Gewissen-Profil und damit das jungkonservative Weltbild charakterisierten. Kern dieser Vorstellung war eine autoritäre Elite, die in einem räumlich ausgedehnten deutschen Staat, der in Europa die Vormacht einnehme, die politisch ausführende Kaste bilden sollte, während die Masse durch Indoktrinierung und Zwang eine gefügige Volksgemeinschaft bilde. Schauen wir zunächst auf das Spannungsfeld zwischen konservativen Bezügen und Transformationen, zwischen intellektuellen Deutungen und politischem Machtstreben, in dem die Herausgeber und Autoren zwischen 1919 und 1925 agierten. Welche ideelle Legitimation führten die jungkonservativen Autoren an und welche Politikdiagnosen und Gegenentwürfe vertraten sie? Was unternahmen sie, um ihre Utopien Wirklichkeit werden zu lassen? In welchem Verhältnis standen die Veränderungen der innenpolitischen Agenda der Weimarer Republik mit jungkonservativen strategischen Positionen? Wie gestalteten sich die Beziehungen zu den Völkischen, den Nationalsozialisten und zur DNVP?

3.1 Transformationen des Konservatismus ,,Der konservative Mensch lebt im Bewusstsein der Ewigkeit, die alle Zeitlichkeit umschließt. Aber er sieht die Gegenwart nach der Seite der Zukunft geöffnet.“11

Um sich als Vordenker eines erneuerten Konservatismus und einer politischen Sammlungsbewegung zu profilieren, plädierten die Jungkonservativen für eine Rückbesinnung auf ursprüngliche Vorstellungen des Konservatismus, knüpften an radikalisierte Vorstellungen des Vorkriegskonservatismus an und boten ihre Synthese als modernisierte konservative Variante an. Da die Jung11

Moeller van den Bruck (12.06.1922): Reaktionär, in: Gewissen, 4, H. 24, S. 1.

3.1 Transformationen des Konservatismus

223

konservativen ihre eigenen Aussagen in die Tradition einer überzeitlichen konservativen Grundüberzeugung stellten, konnten sie der konservativen Parteipolitik der Weimarer Republik vorwerfen, einem unzeitgemäßen Elitekonzept anzuhängen und unverrückbare konservative Werte zu ignorieren. Tatsächlich bot der Konservatismus eine ideale Folie für dieses Vorgehen, durch das die Jungkonservativen radikale politische Ordnungskonzepte entfalteten und überzeitlich begründeten. 3.1.1 Konservative Grundwerte und radikale Potenziale Der Konservatismus war zu Beginn des 19. Jahrhunderts mit einem Set an ontologischen und gesellschaftlichen Grundwerten erstmals sichtbar als politische Kraft aufgetreten.12 In den folgenden Jahrzehnten wandelten sich zwar seine Form oder die Positionen, die er verteidigte,13 jedoch nicht das grundsätzliche Verständnis von Geschichte, Mensch und Gesellschaft.14 Zum ideellen konservativen Kern15 gehört die Vorstellung von der Ungleichheit der Menschen. Demnach existiert jede Gemeinschaft nur durch eine konkrete Ordnung ihrer einzelnen Teile und jede gesellschaftliche Fortentwicklung kann nur auf Basis eines spezifischen Bewusstseins geschehen. Gleichwohl begründeten solche Grundwerte und Paradigmen zunächst nur eine weltanschauliche Grundhaltung und mussten im nächsten Schritt zu einem je nach Trägerschicht formulierten politischen Konzept entwickelt werden. Zum Inbegriff für eine konstruktive politische Auseinandersetzung mit der Kollision von Tradition und Moderne wurde der preußische Freiherr vom

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Sven-Uwe Schmitz: Konservativismus, Wiesbaden 2009, S. 55-57. Hardtwig: Nationalismus, S. 185. ,,Der ,Konservatismus‘ ist ein solcher objektiver, geschichtlich eingebetteter, dynamisch sich abwandelnder Strukturzusammenhang, [. . . ], und man erlebt, handelt ,konservativ‘ [. . . ] aus diesem Strukturzusammenhang heraus [. . . ], sei es, dass man ihn einfach partiell oder ganz reproduziert, sei es, dass man ihn, an eine besondere lebendige Situation angepasst, weiterbildet.“ Karl Mannheim: Konservatismus. Ein Beitrag zur Soziologie des Wissens. Herausgegeben von David Kettler, Volker Meja und Nico Stehr, Frankfurt a.M. 1994, S. 92–98, hier S. 96. Nipperdey: Deutsche Geschichte II, S. 316–317. Vgl. auch den ausführlichen Überblick zur Konservatismusforschung: Larry Eugen Jones/James N. Retallack: German Conservatism Reconsidered: Old Problems an New Directions, in: dies. (Hrsg.): Between reform, S. 1–30. ,,Wie für alle anderen politischen Bewegungen ist stattdessen von einem fortdauernden Konflikt zwischen Idealen und Interessen auszugehen.“ Axel Schildt: Konservatismus in Deutschland. Von den Anfängen im 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart, München 1998, S. 17. All jenen Forschungsrichtungen, die diesen Kern spätestens in der Weimarer Republik für aufgelöst halten, hält von dem Bussche entgegen: Wenn gerade in der Weimarer Republik die Positionen weniger klar umrissen waren und die Rechte heterogener erschien, sollte dies nicht dazu verleiten ,,diesen schwierigen Konservatismus als nicht-existent oder eigentlich unkonservativ zu bezeichnen“. von dem Bussche: Konservatismus, S. 16.

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3. ,,Der Ruf will gehört sein“ – das Profil des Gewissens

Stein.16 Dessen soziale Reformen im preußisch-obrigkeitlichen Sinne17 galten vielen Konservativen als Anstoß, die ,,soziale Frage“ und ihre Lösung so zu bedenken, dass nicht in die ,,natürliche Ordnung“ eingegriffen werden müsse.18 Die Jungkonservativen der frühen 1920er Jahre verehrten vom Stein für seine industriefördernde, arbeitsregulierende und gleichzeitig auf das Nationale ausgerichtete Politik: ,,Von Karakter aus eine durch und durch unabhängige Natur, so folgte er einem eigenen inneren Gesetze und fand die Kraft für seine Tat in seiner eigenen Unbedingtheit.“19 Auch das Konzept der unbedingten persönlichen Vernunft verblieb als Konstante im konservativen Denken über alle Brüche hinweg. Die Stabilität von Ordnungen sieht der Konservative vorrangig durch einen gemeinsamen Wertehorizont aller Mitglieder der Gemeinschaft gewährleistet – im Gegensatz zur materiellen Gleichheit. Der gemeinsame Wertehorizont wird häufig, aber nicht allein, durch den Bezug auf geschichtliche Ursprünge belegt, woraus sich zusätzliche Einschluss- und Ausschlusskriterien für die gesellschaftliche Ordnung der Gegenwart ergeben. Vor diesem Hintergrund und ermöglicht durch eine ,,permanent reflexive“20 Haltung war der Konservatismus immer wieder fähig, auf Modernisierungserscheinungen wie etwa den Nationalismus21 zu reagieren und neue Ordnungskategorien sowie unterschiedliche ,,Lebensordnungen und Handlungsfelder“ mit tradi-

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Hoffmann: Das deutsche Volk, S. 89. Bei Steins Reformen ,,spielten [. . . ] seine Abneigung gegen Bürokratie und Zentralismus ebenso eine Rolle wie die Idee, die Nation durch Teilnahme an den Geschäften zu erziehen; die kommunale Selbstverwaltung hatte ihren Sinn eigentlich darin, die erste Stufe eines Repräsentativsystems für den Gesamtstaat zu sein; zudem griff Stein gerne auf alteuropäisch ständische Vorstellungen zurück, an die er anknüpfen wollte.“ Nipperdey: Deutsche Geschichte II, S. 33–69, hier 65. ,,Ähnlich dem ideologischen Widerstand, die die Konservativen gegen bestimmte politische Neuerungen an den Tag legten, speiste sich auch ihr Gefühl der Verpflichtung gegenüber der Allgemeinheit und insbesondere gegenüber denen, die sich in Not befanden, aus eben dieser ideologisch-theologisch-christlichen Grundlage – im Falle der Gesellschaft aus jener Dimension von Verantwortung und Verpflichtung zur Hilfe von Bedürftigen von Seiten derjenigen, die über Besitz und Vermögen geboten.“ Doron Avraham: In der Krise der Moderne. Der preußische Konservativismus im Zeitalter gesellschaftlicher Veränderung 1848–1876, Göttingen 2008, S. 198; Vgl. auch Kurt Lenk/ Berthold Franke (Hrsg.): Theorie der Politik. Eine Einführung, Frankfurt a.M. 1991, S. 75–76. Gleichen über vom Steins Einstellung zur ,,revolutionären Tat“, in: Heinrich von Gleichen (03.12.1923): Der revolutionäre Staatsmann, in: Gewissen, 5, H. 48, S. 1. Vgl. auch Heinz Brauweiler (16.07.1923) Im Geiste des Freiherrn vom Stein, in: Gewissen, 5, H. 28, S. 3–4. Axel Schildt: Konservatives Menschenbild – Konstanz und Wandel, in: Burghart Schmidt (Hrsg.): Menschenrechte und Menschenbilder von der Antike bis zur Gegenwart, Hamburg 2006, S. 220–229, S. 223. ,,Nur indem man den Geist der Nationen aufreizt und in Gärung bringt, kann man es dahin bringen, alle ihre moralischen und physischen Kräfte zu entwickeln.“ Freiherr vom Stein, zitiert bei Hoffmann: Das deutsche Volk, S. 89.

3.1 Transformationen des Konservatismus

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tionellen Denkstilen zu verbinden.22 Neben nationalistischen fanden auch rassistische23 und antisemitische24 Ordnungs- und Mobilisierungsmuster ins konservative Denken Eingang, deren Dynamik sich entfalten konnte, weil sie ,,die Existenz eines dringlichen gesellschaftlichen Problems“ suggerierten.25 Die antisemitische ,,Krisenideologie“26 konnte als Klammer, ähnlich wie Anti-Pluralismus und Anti-Liberalismus, alle Schattierungen von konservativen bis völkischen Überzeugungen verbinden.27 Zur konservativen Eigentümlichkeit gehört zum einen, dass kein initiierendes Werk, kein Aufruf oder konstituierendes Ereignis vorliegt, auf das Konservative im Sinne eines traditionsbildenden Identitätsrahmens zurückgreifen könnten.28 Kurt Lenk sieht darin eine konservative ,,Ideologiefreiheit“ begründet, mit der ,,rationale Legitimationen [...] von vornherein als etwas Künstliches, Abstraktes uns Lebensfremdes“ angesehen waren. Konservative nahmen ,,für sich stets die lebendige Erfahrung, das Konkrete und Anschauliche“ in Anspruch.29 Zum anderen bietet der Konservatismus keine gesellschaftliche Utopie im klassischen Sinne.30 Konservative Zukunftsent22 23

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Breuer: Ordnungen, S. 17. Peter E. Becker: Wege ins Dritte Reich. Sozialdarwinismus, Rassismus, Antisemitismus und völkischer Gedanke. Teil 2, Stuttgart, New York 1990, S. 512–518, hier S. 514; Stuart Hall: Rassismus als ideologischer Diskurs, in: Nora Räthzel (Hrsg.), Theorien über Rassismus, Hamburg 2000, S. 7–16. Das Tivoli-Programm von 1892 galt als Fanal antisemitischer Bekenntnisse innerhalb der Konservativen Partei, und ging auf die Initiative der so genannten StoeckerBewegung zurück, war aber nicht die erste antisemitische Einbindung. Das Zusammengehen konservativer Politik und antisemitischer Gruppen oder Interessen war regional unterschiedlich ausgeprägt und konnte in Teilen die Grenze zwischen beiden völlig unkenntlich machen. James N. Retallack: The German Right 1860–1920. Political Limits of the Authoritarian Imagination, Toronto 2006, S. 273–277. Vgl. auch Werner Bergmann: Geschichte des Antisemitismus, München 2004; Walter Laqueur: Gesichter des Antisemitismus. Von den Anfängen bis heute. Aus dem Englischen von Klaus-Dieter Schmidt, Berlin 2008. Vgl. auch die zeitgenössische Literatur: Constantin Frantz ,,Der Untergang der alten Parteien und die Parteien der Zukunft“ von 1878 oder das ,,Programm für die konservative Partei Preußens“, 1884 von Paul de Lagarde verfasst. Retallack: German Right, S. 308. In den Diskussionen um Warenhandel, den Wert körperlicher Arbeit, Freihandel, Aktienmarktzusammenbrüchen, Eisenbahnskandale, Protektionismus und im Diskurs über den moralischen Gehalt des kapitalistischen Systems, wendete sich oftmals die Ursachensuche während der Kredit- und Finanzkrise gegen diejenige gesellschaftliche Gruppe, der traditionell die vermeintliche Ausbeutung des ,,kleinen Mannes“ unterstellt werden konnte: die Juden. Retallack: German Right, S. 304. Hans-Ulrich Wehler: Das Deutsche Kaiserreich 1871–1918, Göttingen 1994, S. 114. Edmund Burke wird in diesem Zusammenhang als derjenige anerkannt, der dem Konservatismus als erster eine politische Sprache verlieh. Edmund Burke: Reflections on the Revolution in France: and on the proceedings in certain socities in London relative to that event, London 1790. Lenk/Franke: Theorie, S. 79. Utopie meint im wörtlichen Sinne ,,ohne Ort“, also den Entwurf eines Gesellschaftssystems, das noch nirgends existiert. Seit der Zeit der Aufklärung wurde das ,,fingierte Ideal“

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3. ,,Der Ruf will gehört sein“ – das Profil des Gewissens

würfe orientieren sich vielmehr an konservativ interpretierter Vergangenheit, auf deren Basis Erwartungen an die Zukunft formuliert werden. Da der Konservatismus seine Utopien immer aus seinem eigenen Mythos generiert, mussten konservative Denker der Moderne zunehmend auch die Mythen modernisieren. Beispielhaft zeigten sich solche Modernisierungsphänomene, als im 19. Jahrhundert die christlich-konservativen Werte mit der Säkularisierung kollidierten, so dass bisherige Traditionszusammenhänge nicht mehr umstandslos Orientierung boten. Vor allem im protestantischen Milieu Preußens konnte schließlich der Nationalismus zu einer ,,Quasireligion“ zugunsten des Staates aufsteigen31 oder fanden religiöse Motive wie das von der ,,Wiedergeburt“ Eingang in den nationalistischen Diskurs.32 Beide Aspekte, individuelle Interpretationen konservativer Ideen und durch Geschichte legitimierte Utopien, unterstreichen den oft konstatierten heterogenen Charakter des konservativen Wertegebäudes und seiner Ordnungskonzepte.33 Da die weltanschaulichen Ränder des Konservatismus auf diese Weise zu zerfasern scheinen, ist er nicht als Ideologie interpretierbar, sondern muss immer mit Blick auf seine Trägergruppen und auf die historisch jeweils gültige Politik-Definition untersucht werden. Gleichermaßen war die Verbindung nationalistischer, rassistischer oder antisemitischer Mobilisierungsideen mit konservativen Interessen um 1900 bis nach dem Ersten Weltkrieg kein Dirigismus von oben nach unten, sondern Teil einer komplexen Selbstmobilisierung in weiten Teilen der sich modernisierenden Gesellschaft.34 Nicht zuletzt hatte die Zunahme und Differenzierung von Interessen- und Lobbyverbänden eine Formveränderung der politischen

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weniger im Raum angesiedelt, sondern in die Zeit verlagert, so dass utopische Entwürfe immer auch das Verhältnis zum Fortschritt verhandeln. Christian Geulen: Geschichte des Rassismus, Bonn 2007, S. 248. Peter Walkenhorst: Nationalismus als ,,politische Religion“? Zur religiösen Dimension nationalistischer Ideologie im Kaiserreich, in: Blaschke (Hrsg.): Religion im Kaiserreich, S. 503–529; Nipperdey: Deutsche Geschichte II, S. 439. Rainer Hering: ,,Des Deutschen Volkes Wiedergeburt“. Völkischer Nationalismus und politische Erneuerungspläne, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, 42.1994 H. 12, S. 1079–1084. Aus streng konservativer Sicht wird diese Heterogenität oft mit der von Sozialismus und Liberalismus abgeglichen und zugunsten der konservativen ,,Theoriefähigkeit“ entschieden. Diese Sichtweise in Johann Baptist Müller: Konservatismus – Konturen einer Ordnungsvorstellung, Berlin 2007, S. 4–19, hier 14. ,,Hence, as historians, we should stop arguing that Conservatives ,discovered‘, ,co-opted‘, ‘instrumentalized‘ or ,tamed‘ radical antisemitism. Instead we should recognize the central role that antisemitism played in Conservative ideology and practice at a crucial phase of the party’s development.“ Retallack: German Right, S. 313–314. Vgl. Auch Richard J. Evans: Society and politics in Wilhelmine Germany, London/New York 1978; David Blackbourn: Class, religion and local politics in Wilhelmine Germany. The Centre Party in Württemberg before 1914, Wiesbaden 1980; Larry Eugen Jones/James N. Retallack (Hrsg.): Elections, mass politics and social change in modern Germany: new perspectives, Cambridge 1992.

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Einflussnahme und Kultur bewirkt, wie das Beispiel des radikalen, organisatorisch weit verzweigten ,,Bundes der Landwirte“35 oder des ,,Alldeutschen Verbandes“ (ADV)36 zeigte. Nach 1918 differenzierten und weiteten sich gesellschaftliche Spielräume und Interpretationsmuster für Konservative weiter aus – man konnte Monarchist sein, großdeutsch denken oder vor allem die christlichen Werte betonen. Insofern gestaltete sich der konservative Identitätsrahmen zunehmend über die jeweilige soziale Praxis.37 Neben der trägerschichten- und situationsabhängigen Komponente, lässt sich am jungkonservativen Denkkollektiv der frühen 1920er Jahre auch erkennen, wie das konservative ideelle Arsenal zur Verfügung stand, um eine dogmatische Weltdeutung zu entwickeln.38 Der Konservatismus wurde von 35

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Puhle: Radikalisierung, S. 166–167. Eine kritische Zusammenfassung der Forschung zum BdL: Retallack: German Right, S. 80–84. Vgl. auch Elke Kimmel: Methoden antisemitischer Propaganda im Ersten Weltkrieg. Die Presse des Bundes der Landwirte, Berlin 2001. ,,Der 1890 als Protest gegen den Helgoland-Sansibar-Vertrag gegründete Alldeutsche Verband war einer der wirkungsmächtigsten Agitationsverbände im Kaiserreich und in der Weimarer Republik weiterhin sehr bedeutend. Auch wenn er zahlenmäßig nicht über 50 000 Mitglieder hinaus kam, so war er doch durch die hohe gesellschaftliche Stellung und die berufliche Wirksamkeit seiner Mitglieder aus dem Bildungs- und Besitzbürgertum [...] vom großem Einfluss.“ Rainer Hering: Ungleiche Menschen, ungleiche Rechte – Zum Menschenbild des extremen Nationalismus in Deutschland. 1890 bis 1933, in: Schmidt: Menschenrechte, S. 140–155, S. 141. Neben der Kartellpolitik der Parteien konstituierte sich ,,ein neues System von Vorfeld-Organisationen [. . . ], die soziale Interessenvertretung und politische Propaganda verbanden“. Axel Schildt: Der deutsche Konservatismus – Kontinuitäten und Brüche im 20. Jahrhundert, in: Grunewald/Puschner (Hrsg.): Milieu intellectuel conservateur, S. 27–48, S. 31. Bösch spricht in Bezug auf die Vereinsstrukturen von der ,,Koinzidenz dreier Deutungsmuster“: ,,Hochschätzung christlich geprägter Werte und Bräuche“, ,,Verbundenheit mit der engeren und weiteren Heimat, aus der sie die Überlegenheit der eigenen Gruppe ableiten“, und ein harmonisch-berufsständischer Gesellschaftsentwurf. ,,Als konservativ zu bezeichnende Personen maßen in der sozialen Praxis selbstverständlich jeder Komponente ein anderes Gewicht bei und füllten sie in verschiedenen historischen Konstellationen mit anderen konkreten Inhalten.“ Frank Bösch: Das Konservative Milieu. Vereinskultur und lokale Sammlungspolitik in ost- und westdeutschen Regionen (1900– 1960), Göttingen 2002, S. 15. Eine ausführliche Diskussion des Ideologiebegriffs kann an dieser Stelle nicht geleistet werden; es sei aber darauf verwiesen, dass einer grundsätzlichen Verneinung des ideologischen Gehalts im Konservatismus skeptisch zu begegnen ist, da diese Grundsätzlichkeit selbst schon wieder den Keim des Dogmas in sich trägt. Der marxistische Ideologiebegriff verweist darauf, dass ,,in der Ideologie [...] nicht das System der realen Verhältnisse“ repräsentiert ist, ,,die die Existenz der Individuen beherrschen [,] sondern das imaginäre Verhältnis dieser Individuen zu den realen Verhältnissen, unter denen sie leben“. Die ,,Existenz“ einer Ideologie materialisiert sich nach dieser Interpretation ,,in einem Apparat und dessen Praxis oder dessen Praxen“, ist also ein Herrschaftsinstrument. Louis Althusser: Ideologie und ideologische Staatsapparate. Aufsätze zur marxistischen Theorie, Hamburg 1977, S. 135–137. Einen begriffs- und ideengeschichtlichen Abriss zu ,,Ideologie“ bietet nach wie vor: George Lichtheim: Das Konzept der Ideologie, Frankfurt a.M. 1973, S. 7–63.

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den Jungkonservativen als eine begründende Ideologie der Vergangenheit wahr- und ernst genommen, und die ex-post-Weltdeutung übernahm in der jungkonservativen Gegenwart eine ideologische Funktion. Mithilfe konservativer überzeitlicher Werte bezüglich organischer Gemeinschaften und Hierarchien formulierten Jungkonservative ein interessengebundenes Ideengebäude für die Gegenwart nach dem Ende des Krieges.39 Jungkonservative produzierten keine eigenen konservativen Themen, sondern interpretierten die Gegenwart auf der Grundlage konservativer Ideenmuster. 3.1.2 Schnittstellenstrategie: Populismus im Jungkonservatismus Die ,,paradoxe Situation“, dass die auf Erneuerung zielenden Jungkonservativen einerseits den politischen Status quo ablehnten und Strategien für eine neue ständestaatliche Ordnung entwarfen und andererseits auf ebenjener gegenwärtigen politischen Bühne zu verwirklichten suchten, gehört zur eigentümlichen Beschaffenheit der konservativ-revolutionären Strömung insgesamt.40 Ihr verbindendes Element lag im Widerstand zu allen staatlichen Interventionen, der ganz in konservativer Tradition staatsfreie und selbstorganisierte Sphären betonte, die durch ,,lebendige Beziehungen“ gestaltet werden müssten.41 Da der politische Konservatismus dem Populismus zahlreiche Anknüpfungspunkte bot42 , konnten konservative Ideen und rechtspopulistische Erklärungsmuster ineinander greifen, um Fortschritt und Modernisierung durch die Anbindung an Erfahrung und Tradition ,,des Volkes“ zu fordern.43 Um ihre politische Strategie mit einem verbindlichen Nutzen legitimieren zu können, integrierte die vorrangig elitär ausgerichtete jungkonservative 39

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[...], ideology is much more visible as a rationalization than a cause. It appears because actors found it necessary to explain why they had caused tremendous destruction or loss of life.” Isabel V. Hull: Absolute destruction. Military culture and the practices of war in imperial Germany, Ithaca, NY 2006, S. 330. Lenk: Konservatismus, S. 107. Karin Priester: Populismus. Historische und aktuelle Erscheinungsformen, Frankfurt a.M. 2007, S. 17. Ebd., S. 19. Als Instrument zur weltanschaulichen Komplexitätsreduzierung tritt der Populismus immer mit dem vermeintlichen Gütesiegel auf, in der Sprache des Volkes zu reden. Vor allem in Modernisierungs-Phasen, die zu Veränderungen und Orientierungslosigkeit in der sozialen Lebenswelt führten, erlebten populistische Erklärungsmuster regelmäßig Konjunkturen. Vgl. Tim Spier: Populismus und Modernisierung, in: Frank Decker (Hrsg.): Populismus. Gefahr für die Demokratie oder nützliches Korrektiv? Wiesbaden 2006, S. 33–58; Vgl. auch Richard Faber (Hrsg.): Populismus in Geschichte und Gegenwart, Würzburg 2008. ,,Im konservativen wie auch im populistischen ,Denkstil‘ (Karl Mannheim) rangiert das auf Erfahrung und Tradition beruhende Wissen des Volkes vor dem rationalen, abstrakten Expertenwissen.“ Priester: Populismus, S. 20.

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Publizistik durchgängig populistische Rhetorik und Motive.44 Die Berufung auf das Gemeinwohl (statt auf demokratische Prozesse), im Sinne einer funktionierenden Gesellschaft, gehörte schon zu Zeiten Lorenz vom Steins zu den entsprechenden Begründungsmustern, war aber hier noch konkret auf die Aufrechterhaltung der ständischen Ordnung bzw. Klassengesellschaft bezogen. Mit der Ausdifferenzierung und Entgrenzung innergesellschaftlicher Barrieren geriet der ,,einfache Mann aus dem Volk“ zur Chiffre für einen parteifreien, allgemeingültigen gesunden Menschenverstand, der in der Politik anzuwenden sei.45 Populistische Konservative der Zwischenkriegszeit konnten vor allem gegen den intervenierenden Staat und seine ,,planenden Technokraten“ wettern46 , und gleichzeitig eine ,,sachverständige“ Elite als politische Führungsschicht propagieren.47 Der qualitative Unterschied, so die populistische Begründung, liege in der Anwendung des ,,gesunden Menschenverstandes“. Zu den ,,klassischen populistischen Leitmotiven“ gehörte auch die individuelle Selbstbestimmung, die abgegrenzt wurde von ,,Bevormundung und Fremdbestimmung [sei es] des Kapitals, der Bürokratie, der politischen Eliten, des amerikanischen Kulturimperialismus, der Intellektuellen, der Experten, der Kulturindustrie bis hin zur Chimäre von Weltverschwörungen mit antisemitischen Anklängen.“48 Wenngleich die rein individuelle Selbstbestimmung kaum zum konservativen Wertekanon zählte, gehörten Kollektivismus und Formalismus auf jeden Fall zu seinen Gegnern, so dass das populistische Leitmotiv vom ,,Ideal staatsfreier ökonomischer Selbständigkeit und Selbstorganisation“ als politisches Instrument im Konservatismus der Zwischenkriegszeit Anwendung fand. Zudem bot die permanent wahrgenommene Krise in Folge des Versailler Vertrages oder in Form von Regierungskrisen ideale Angriffsflächen für die populistische Neue Rechte, um das Feindbild abstrakter Fremdbestimmung zu zeichnen. Mithilfe des Populismus ließen sich konkrete Lebenswelten verteidigen und die vermeintlich bessere Vergangenheit (des mittelalterlichen Deutschlands) idealisieren.49 In der jungkonservativen populistischen Variante vollzog sich das Argumentationsmuster wie folgt: Die alten Eliten haben enttäuscht (empathische Ablehnung intellektueller, bürokratischer und dynastischer Bevormundung durch eine abgeschlossene Kaste), wir sind anders (durch Erlebnis und Tat zur Erkenntnis gelangt) und wir sind nur da, um zu verkünden (überparteiliche 44 45 46 47

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Ebd., S. 14. Lenk/Franke: Theorie der Politik, S. 80. Priester: Populismus, S. 9. Parteien und Eliten werden von Populisten nicht grundsätzlich abgelehnt, aber ihre Tendenzen zur Oligarchisierung (Robert Michels) und zur Ausbildung eines Establishments. Deshalb kann eine Elite oder Partei populistisch überzeugen, wenn sie ihre überparteiliche Interessenfreiheit betont. Priester: Populismus, S. 60–61. Ebd., S. 25. Ebd., S. 28–29.

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Propheten), dass das Volk sich nicht bevormunden lassen darf (gegen jede Form abstrakter Einmischung); die Gegenwart muss überwunden werden (außenpolitische Beschneidung, innenpolitische Zerrissenheit), das Volk muss sich auf seine individuelle Bestimmung besinnen (nationale Überlegenheit) und allesamt müssen wir uns auf eine bessere Zukunft zu bewegen (Utopie des Volksstaats). Indem sich die Jungkonservativen anhand dieser Argumentationsstrategie nicht als isolierte Vordenker, sondern als geistige Vorkämpfer inszenierten, entstand auf einer weiteren Ebene ein aktivistisches Selbstbild. In der jungkonservativen Selbstdarstellung als eine Art elitäre Volksbefreiungsbewegung lag eine wesentliche intellektuelle Leistung der Gewissen-Autoren, durch die immer wieder ein existenzieller Zusammenhang zwischen Elite und Volk evoziert wurde. Die Pointe jungkonservativer Argumentation lag in der Verknüpfung eines volksnahen Populismus mit den elitären Elementen des Konservatismus und schließlich dem dynamischen Anspruch des Faschismus.50 In der Konsequenz inszenierten sich die Jungkonservativen als Denker aus dem Volk und für das Volk, blieben aber realiter immer auf Distanz zu ihm. Beispielhaft lässt sich dieses Muster in einem Resümee des Jahres 1921 erkennen, in dem Eduard Stadtler verschiedene populistische Elemente verwendete, sie mit jungkonservativen Ideen verband und daraus seinen Appell zum Neubeginn ableitete.51 In der Auftaktaussage, das abgelaufene Jahr ,,war das Siechtum des neuen deutschen Staates“, trafen gleich drei populistische Elemente aufeinander: Krankheit, Neuheit und der Staat. Stadtler lehnte nicht den Staat an sich, sondern seine neue Form und den sich daraus ergebenden siechenden Staatsorganismus ab. Im nächste Absatz folgte der positive Gegensatz: ,,Staat ist Wille. Staat ist Kampf.“ Die empathischen, erlebnisorientierten Attribute Wille und Kampf sollten an den persönlichen Lebenshorizont des Lesers anknüpften, um sogleich mit krisenhaften Gegenwart konfrontiert zu werden. Denn die Gegenwart sei ,,Formalstaat“, also ein abstrakt gedachtes Staatsgebilde; seine Vertreter machten sich Gedanken bis zur ,,Selbstzerfleischung“, isoliert ,,im Wallotbau“ und in den ,,unzähligen Reichs- und Landesämtern“. Stadtlers Rückblick auf das Jahr 1921 beschrieb ein zwangsläufiges Versagen in allen staatlichen Obliegenheiten, beschleunigt durch unfähige Politiker, so dass ,,auch die letzten, staatliches Eigenleben garantierenden Dämme eingerissen worden“ waren. Mit dem Verweis auf 50

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Die Ambivalenz in allen dreien kam hier wesentlich zum Tragen: ,,Die von Populisten erhobene Forderung nach Dezentralisierung, Selbstbestimmung und größerer politischer Partizipation steht zwar in diametralem Gegensatz zu faschistischen und anderen autoritären Doktrinen, hingegen lassen sich auf sozialpsychologischer Ebene zahlreichen Gemeinsamkeiten feststellen. Dazu gehören Fremdenfeindlichkeit, latenter und manifester Antisemitismus sowie Intellektuellen- und Kulturfeindlichkeit.“ Priester: Populismus, S. 40. Eduard Stadtler (02.01.1922): 1922, in: Gewissen, 4, H. 1, S. 1.

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das Eigenleben verband Stadtler die populistische Leitlinie der organischen Selbstorganisation mit der konservativen Überzeugung einer legitimen Staatlichkeit. Indem Stadtler die parlamentarische Kultur abstrahierte, entwarf er das Bild einer autistischen Bürokratenwelt: ,,Der einzelne Abgeordnete geht seinen eigenen Weg. Hie und da lässt er sich von dem leer laufenden Apparat des Parlamentarismus disziplingemäß schieben. Zwischen Parteiführern und verantwortlicher Regierung spielen einige verantwortungslose Fäden.“

Stadtler verurteilte nicht die parteipolitische Arbeit, sondern ihre verantwortungslose Ausführung. Mit seinem Vorwurf hob er das Anliegen des ,,Volkes“ in die politische Arena, denn ,,nirgendwo aber offenbart sich im Parlament heute der verzweifelte Lebenswille des Volkes“. Durch die Konstruktion von Lebenswille versus parlamentarische Maschinerie bot er eine einprägsame Forderung nach neuem politischem Personal, deren Legitimation in der Tatsache gründe, dass es den Volkswillen verkörpere und zum Tragen bringe: ,,Wird das Volk den neuen Formenzusammenbruch bewältigen? Wird die deutsche Nation in der Auflösung des ,Staates‘ aus staatlichem Willen ihre neue staatliche Form finden? Wird aus den Ruinen neues Leben erblühen? Laßt uns glauben! Und kämpfen! Bereit sein, ist alles. Die Stunde der Frontgeneration naht.“

Neben Stadtlers populistischen Eindeutigkeiten boten auch Moellers Gewissen-Artikel entsprechende Muster. Im ersten Januarheft 1922 forderte Moeller unter dem Titel ,,Freiheit“52 , das deutsche ,,Schicksal“ nicht über sich ergehen zu lassen. Auf stilistischer Ebene bediente sich Moeller volksnaher Attribute, um gegenwärtige Grenzen und zukünftige Möglichkeiten des Fortschritts aufzuzeigen. Er vermied jeden Verweis auf eine irgend geartete Planbarkeit, sondern verblieb ganz in der metaphysischen Formierung des Ausgangspunktes. Moeller sprach mit emotionaler Nähe in der Wir-Form und beschrieb das deutsche Wesen mit den Attributen Selbsterhaltungstrieb, Unverwüstlichkeit, Gelassenheit und Vertrauen: ,,Es gibt vielleicht nur eines, das uns der Erniedrigung, in der wir jetzt leben, einmal ein Ende machen lassen könnte. Das ist die Wut. Der Furor war noch immer der Begleiter unserer Langmut. Er brach regelmäßig dann aus, wenn es uns zu dumm in der Welt wurde.“

Zum Auslöser der Wut würde schließlich der Zwang, mit dem die Entente die Deutschen fremdbestimme. Die Argumentationskette Moellers, die schließlich mit dem Aufruf zur Selbstorganisation endete (,,Das sind wir uns selbst schuldig.“), bildete ein klassisches populistisches Muster. In der direkten Ansprache und der eigenen Vergemeinschaftung schuf er Nähe und ließ er den gegenwärtigen Zustand die persönliche Lebenswelt seiner Leser bedrohen, wogegen nur die Revolte gegen das Establishment Abhilfe zu schaffen versprach. 52

Moeller van den Bruck (02.01.1922): Freiheit, in: Gewissen, 4, H. 1, S. 1–2.

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3.1.3 Politische Willensbildung nach jungkonservativer Lesart Rechtspopulistische Deutungsmuster kombinierte die jungkonservative Interpretation vor allem im Themenfeld der politischen Willensbildung mit konservativen Gesellschaftsideen. Die auf einem Ungleichheits-Postulat beruhende Gesellschaft war demnach nur funktionsfähig, wenn sie in einer ,,organischen“ Hierarchie beherrscht werde.53 Deshalb bedeutete aus konservativer Sicht die republikanisch verfasste Demokratie eine Auflösung der politischen Grenzen zwischen Gemeinwesen und politischem Arkanbereich und somit die größte anzunehmende Bedrohung politischer Stabilität.54 Konservative konnten nur schwer die Vorstellung ertragen, dass mit dem parlamentarischen System auch der politische Exekutivbereich seine bisherigen Schranken verlieren sollte.55 Politische Macht, lautete zugespitzt die Schlussfolgerung, kann nicht jedem Mitglied einer Gemeinschaft per se zustehen, sondern müsse die politische Elite im Kampf erringen56 , um sich, abhängig vom akklamatorischen Zuspruch des Volkes, zu bewähren. Die jungkonservative Publizistik richtete sich zwar an die politische Elite, musste aber gemäß ihrem Erziehungs-Anspruch gleichzeitig den Eindruck vermeiden, die Interessen der breiten Bevölkerung zu vernachlässigen. Um nationale Einheit beschwören zu können, wurde deshalb versucht, diese rhetorisch und emotional zu integrieren und gleichzeitig von einer konkreten und selbständigen Mobilisierung abzuhalten.57 Moeller gab sich in einem Brief 1919 angesichts der allgemeinen Politisierung pessimistisch: ,,Nun, man weiß natürlich, was man davon zu halten hat. Aber auch der Skeptiker muß 53

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Stefan Breuer: Ordnungen der Ungleichheit. Die deutsche Rechte im Widerstreit ihrer Ideen 1871–1945, Darmstadt 2001, S. 11–13; Kurt Lenk: Wem gehört das Volk? Vom konservativen Blick auf die Massen, in: Herfried Münkler/Richard Saage (Hrsg.): Kultur und Politik. Brechungen der Fortschrittsperspektive heute, Opladen 1990, S. 143–150, S. 143. Alf Lüdtke (Hrsg.): Herrschaft als soziale Praxis. Historische und sozial-anthropologische Studien, Göttingen 1991, S. 26–27. Münkler/Saage: Kultur und Politik, S. 147; vgl. auch Karl Mannheim: Mensch und Gesellschaft im Zeitalter des Umbaus, Darmstadt 1958 (Originalausgabe 1935). Hering: Ungleiche Menschen, S. 143. Demokratie ist im konservativen Denken als ein Funktionswert anerkannt, der sich im Wahlakt als äußerste Form ausdrückt. Carl Schmitt fand für die konservativ-reduzierte Auffassung von Demokratie den positiven Begriff der Akklamation, vgl. Carl Schmitt: Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus, Berlin 1996. Lohnend könnte eine vertiefende Untersuchung sein, ob und wie die emotionale Rhetorik der Zwischenkriegszeit ein Bindeglied zwischen der Verehrung des Rausches in Kreisen der Bohème und einer extrem emotionalen Politikinszenierung des NS bildete. Vgl., Günter Schödl: ,,Blinden Dingen Gesicht“. Zur Bedeutungs- und Wirkungsgeschichte des Begriffes Rausch im 19. Jahrhundert, in: Arpád von Klimó/Malte Rolf (Hrsg.): Rausch und Diktatur. Inszenierung, Mobilisierung und Kontrolle in totalitären Systemen, Frankfurt a.M. 2006, S. 59–78.

3.1 Transformationen des Konservatismus

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mit den Massen rechnen.“58 Öffentlich äußerte er jedoch, es sei ein ,,Revolutionsgewinn“, dass durch die breite Politisierung der Deutschen und trotz aller Feindschaft im Land, sogar ,,ein Hauch schicksalsmäßiger Verbundenheit“ entstanden sei.59 Verbundenheit sollte sich aber nicht über die parlamentarische Mitsprache und Artikulationsverfahren breiter Bevölkerungsschichten herstellen, bildete sie doch in der jungkonservativen Interpretation die vorpolitische Grundlage der politischen Willensbildung. Um schließlich zentrale Begriffe des politischen Alltags wie ,Demokratie‘, ,Volkswille‘ und ,Mitsprache‘ vereinnahmen zu können, bot die Weimarer Reichsverfassung (WRV), die im Detail uneinheitlich war und einige Kompromisse aufwies, erheblichen Interpretationsraum.60 Nicht nur in der jungkonservativen Publizistik, sondern in der gesamten zeitgenössischen Diskussion um legitime Formen der politischen Mitsprache griffen Republikaner und Antirepublikaner auf Ideen und Begriffe von ,,wahrer Demokratie“ und ,,wahrem Volkswillen“ zurück.61 Da sich beide Seiten von der konstitutionellen Staatsidee abgrenzten und das ,,Volk“ zum Träger der Staatsgewalt proklamierten62 ging der Streit fortan um die Frage, inwieweit das Volk politikfähig sei63 , auf welche Weise der Wille des Volkes zum Ausdruck kommen sollte und welche Staatsorgane legitimer Ausdruck dieses Willens seien.64 Da aus radikal konservativer Sicht das Volk einen organischen Teil des Staates bildete, galt es auch nur in Form einer politischen Einheit als handlungsfähig. Deshalb empfanden konservative Republikgegner den in der Verfassung festgeschriebenen freien Bürger als einen völlig unterkomplex

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DLA Marbach A: Hans Grimm: Brief (10.10.1919) Moeller van den Bruck an Hans Grimm. Moeller van den Bruck (11.11.1919): Der Revolutionsgewinn, in: Gewissen, 1, H. 31, S. 1– 3. Peukert: Krisenjahre, S. 47–48. Vgl. auch Ulrich Preuß: Die Weimarer Republik – ein Laboratorium für neues verfassungsrechtliches Denken, in: Andreas Göbel u. a. (Hrsg.): Metamorphosen des Politischen. Grundfragen politischer Einheitsbildung seit den 1920er Jahren, Berlin 1995, S. 177–187. Christoph Gusy: Demokratisches Denken in der Weimarer Republik – Entstehungsbedingungen und Vorfragen, in: ders. (Hrsg): Demokratisches Denken in der Weimarer Republik, Baden-Baden 2000, S. 11–36. Gusy: Demokratisches, S. 25–26. Bruendel geht auf populäre Positionen während der frühen Weimarer Republik bei Thomas Mann, Max Wundt oder Otto von Gierke ein, die ,,zwischen dem ,deutschen‘ und dem ,demokratischen‘ Gedanken keine Vermittlung“ anerkannten. Steffen Bruendel: Zwei Strategien intellektueller Einmischung: Heinrich und Thomas Mann im Ersten Weltkrieg, in: Gilcher-Holtey: Zwischen den Fronten, S. 87–115, S. 109. Gusy: Demokratisches, S. 30. Vgl. Moritz Föllmer/Andrea Meissner: Ideen als Weichensteller? Polyvalenz, Aneignung und Homogenitätsstreben im deutschen Nationalismus 1890–1933, in: Raphael: Ideen, S. 313–336, S. 319–322.

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bzw. unvollständig angelegten politischen Akteur.65 Wenn Republikgegner und -befürworter also über die Gestaltung eines Selbstverwaltungsorgans wie den Reichswirtschaftsrat diskutierten, dann gingen Republikaner von einem Organ freier Bürger zur Artikulation des politischen Willens aus, während Antirepublikaner in diesem Organ die ,,volkliche“ Form eines bestehenden politischen Willens sahen.66 Die Demokratie-Diskussion wurde umso brisanter, da der republikanische Parlamentarismus vielen als Fremdkörper, oktroyierte Bestimmung und ,,trojanisches Pferd des Kriegsgegners“ galt.67 Sogar ,,vernunftrepublikanische“ intellektuelle Wortführer erklärten, dass die deutsche kulturelle Entwicklung einen Sonderweg innerhalb Europas genommen habe und dass das parlamentarische Staatssystem nicht den historischen Voraussetzungen Deutschlands entspräche.68 Die Demokratie-Interpretation der Jungkonservativen argumentierte – teils entlang der Reichsverfassung69 – für eine ,,deutsche Demokratie“, die sich für die meisten Gewissen-Autoren aus dem vorpolitischen Wesen der Deutschen ergab. So entgegnete Moeller dem Reichskanzler Joseph Wirth, der nach der Ermordung Walther Rathenaus den Feind der Republik rechts stehen sah, dass die Bedrohung des Staatswesens und der deutschen Nation vielmehr im politisch unterentwickelten Wesen der Deutschen liege. Indem Moeller kurzerhand das Problem aus der politischen Sphäre hob und auf das ,,Wesen“ der Deutschen übertrug, diskreditierte er die parteipolitischen und parlamentarischen Einrichtungen zur politischen Willensbildung. Da Moeller auf diese Weise sein Diktum ,,Alles ist politisch“ auf einen subjektiven und persönlichen Bereich bezog, formulierte er in der Konsequenz einen metaphysischen Demokratiebegriff.70 In dieser Demokratievorstellung definierten sich die Teilnehmer ausschließlich anhand ihrer Zusammengehörigkeit: Nur wenn jedes Individuum seine existenzielle Aufgabe darin begründet sehe, so 65 66 67 68

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Hannes Siegrist: Bürgerlichkeit und Antibürgerlichkeit in historischer Perspektive, in: Meuter/Otten: Aufstand der Bürger, S. 35–50. Gusy: Demokratisches, S. 30. Axel Schildt: Westlich, demokratisch. Deutschland und die westlichen Demokratien im 20. Jahrhundert, in: Doering-Manteuffel: Strukturmerkmale, S. 225–239, S. 228–229. ,,Im Umkreis der ,Vernunftrepublikaner’ herrschte eine Stimmung selbstzerstörerischer Prophetie, ein Gefühl, dass letztlich der machtgeschützte Kulturstaat und die parlamentarische Demokratie doch nicht zusammenfinden konnten.“ Lepenies: Kultur und Politik, S. 66–67. Carl Georg Bruns (28.04.1920): Reichspräsident und Demokratie, in: Gewissen, 2, H. 16, S. 4. Vgl. auch ,,Verwendung des Demokratiebegriffs bei den Neuen Rechten“ bei PfahlTraughber: Konservative, S. 42–46. Die Ausgestaltungsmöglichkeiten der diktatorischen Kompetenzen durch §48 sind ein Beispiel hierfür: Achim Kurz: Demokratische Diktatur? Auslegung und Handhabung des Artikels 48 der Weimarer Verfassung 1919–25, Berlin 1992. Vgl. die staatsrechtliche Diskussion insbesondere um Carl Schmitts identitären Demokratiebegriff: Oliver Lepsius: Staatstheorie und Demokratiebegriff in der Weimarer Republik, in: Gusy: Demokratisches, S. 366-414.

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Moeller, dass es nur durch und für die Volksgemeinschaft lebe, bilde dies die Grundlage für eine wehrhafte und erfolgreiche Demokratie. ,,Nicht rechts steht der Feind. Nicht links steht der Feind. Er ist in uns. Er ist unsere gutmütige Natur, unsere leidenschaftslose Natur, unsere undämonische Natur. Auch dies gehört zu unserem Schicksal, daß wir zu unserem Genius gezwungen werden müssen, der immer ein Dämon ist. Das deutsche Volk, das so oft schon in die Enge seiner Verzweiflungen getrieben wurde, hat am Ende nie einen anderen Ausweg gefunden, als den sprichwörtlichen seines Furors, ob es nun ein barbarischer war, oder morgen ein proletarischer sein wird. Auch eine Demokratie ist zu denken, die schließlich an die letzte Wand ihrer Ausflüchte gedrängt wird und nachdem sie wieder und wieder betrogen wurde und als Lohn für ihr Wohlverhalten stets nur Mißhandlungen empfing, sich zur Wehr setzt mit den Kräften einer Sechzig-Millionen-Kraft.“71

Moellers virtuose Handhabung der Begriffe rechts, links und Demokratie bildete einen zentralen Aspekt der jungkonservativen Strategie, Deutungshoheit zu gewinnen.72 Demokratische Praxis verstand Moeller demnach als Modus einer ,,gefühlsmäßigen Anteilnahme“ an der Macht und als ein ,,enthusiastisches Zustimmen zu den Entscheidungen dessen, der diese Macht ausübt“.73 Sein streng antiliberaler Demokratie-Begriff bezog sich auf eine ,,modifizierbare Staatsform, deren Akzeptabilität davon abhängt, ob eine bestimmte Form des Konservativismus in ihr realisiert ist“.74 Durch Moellers Erörterungen mutierte der Demokratie-Begriff in der Gewissen-Publizistik zu einem frei verfügbaren Wert an sich, der die ,,Volksgemeinschaft“ auf einer überparteilichen – oder auch über-politischen – Grundlage vereinte. In Moellers Vision sollte eine ,,dritte Partei“ diese Verwirklichung in einem ,,Dritten Reich“ vornehmen. Solche Begriffsumdeutungen rekurrierten auf konservative Werte und hatten eine moderne Funktion. Denn durch Loslösung der Demokratie von den systemischen Einrichtungen wie Parteien und Parlamentarismus wurden scheinbar auch Klassengrenzen aufgehoben und jedes Individuum zum ,,Teil eines transzendenten Kollektivs, der Nation“, wodurch sich der Eindruck vermittelte, Moeller trage ,,dem Anspruch der Massen auf politische Beteiligung Rechnung“.75 Wenn also die ,,Nationalisierung“ als einzige Grundlage einer so vorgestellten Demokratie fungierte, dann ließ sich aus jungkonservativer Sicht die Ablehnung der meisten Parteien als Demokratieverfälscher gut 71 72

73

74 75

Moeller van den Bruck (03.07.1922): Die Nationalisierung der Demokratie, in: Gewissen, 4, H. 27, S. 3. ,,Das von Moeller präferierte Vokabular lässt sich leicht in geschlossenen Wortlisten zusammenfassen, etwa: deutsch – geistig, idealistisch, natürlich, Weltanschauung, individualistisch; französisch – skeptisch, formal, äußerlich, höfisch, künstlich, weltanschauungslos, charakterlos usw.“ Ketelsen: Stabilisierte Mobilität, S. 235. Denis Goeldel: , Revolution‘, ,Sozialismus‘ und ,Demokratie‘: Bedeutungswandel dreier Begriffe am Beispiel von Moeller van den Bruck. in: Gangl/Raulet: Intellektuellendiskurse, S. 37–51, S. 44. Lobenstein-Reichmann: Liberalismus, S. 184. Goeldel: ,Revolution‘, S. 49–50.

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3. ,,Der Ruf will gehört sein“ – das Profil des Gewissens

begründen. Moellers Definition der Demokratie ,,als ein Gebilde, in dem Staat und Volk zu einer Einheit verschmolzen sind“ konnten sich zahlreiche Gegner der Reichsverfassung anschließen.76 Indem der Demokratie-Begriff im Gewissen als ein über-politischer Identitätszusammenhang inszeniert wurde, klammerte er Aspekte der Mitsprache oder Teilhabe vollständig aus. Die jungkonservative ,,Erziehung zur Nation“ galt faktisch nur im Bereich der ,,Oberschicht“, allen anderen Bevölkerungsteilen drohte dieses Konzept mit einer gewalttätigen Taktik. Bis 1925 verfestigte sich schließlich die jungkonservative Interpretation einer ,,deutschen Demokratie“ als Diktatur, als Walter Schotte den von Moeller angedeuteten ,,Zwang des Genius“ zu einer expliziten Forderung von Gewalt als Mittel ihrer Durchsetzung ausgebaut hatte.77 Moeller hatte in diesem und in anderen Appellen an das deutsche Wesen die jungkonservative Denk-Strategie angewandt, indem er den irrationalen Gehalt seiner Weltsicht scheinbar versachlichte, um anschließend innerhalb der so geschaffenen Begründungszusammenhänge rationale, machtpolitische Ziele zu formulieren.78 Dieses Vorgehen wandte er auf sämtliche ,,genuin politische Themen“ an, denen er ,,charakterlich-moralische“ und ,,geistig-kulturelle“ Werte beistellte und so in unpolitische Sphären transponierte. Neben der Ausdeutung der demokratischen Sphäre lassen sich im Gewissen auch im Zusammenhang mit dem konservativen Begriff Überparteilichkeit und der Schlagworte Schiebertum, Bürokratie und Persönlichkeit populistische Argumentationsstrategien nachvollziehen.79 Die Jungkonservativen inszenierten sich zwar als eine überparteiliche Oppositionsbewegung außerhalb der Parteien, pflegten aber enge Kontakte zur DNVP, unterstützten im Gewissen den DNVP-Oppositionskurs oder waren Parteimitglieder. Das Gewissen und die DNVP verband neben Republikfeindschaft und der Vertretung ähnlicher Interessengruppen auch ihr politisches Selbstverständnis, überparteilich zu agieren. In der überparteilichen, dritten Figur spiegelte sich der Versuch einer Synthese aus rechts und links wider, die als eine metaphysische, ,,gefühlsmäßige“ Erkenntnisebene oberhalb der herkömmlichen, rationalen Erklärungsmuster galt. Im Gewissen wurde der dritte Standpunkt als Kernbotschaft der Ring-Bewegung angegeben, der es ermöglichte, jede Persönlichkeit zunächst unabhängig von ihrer politischen Einfärbung ansprechen zu können: 76 77 78

79

Sontheimer: Antidemokratisches, S. 168. Walther Schotte (29.06.1925): Demokratie oder Diktatur, in: Gewissen, 7, H. 26, S. 1–3. Synnöve Clason: Schlagworte der ,Konservativen Revolution‘. Studien zum polemischen Wortgebrauch des radikalen Konservatismus in Deutschland zwischen 1871 und 1933, Stockholm 1967. ,,Der Topos der ,Überparteilichkeit‘ ist ein ,zutiefst konservatives Prinzip‘, ja die grundlegende Ideologie der Konservativen, die in Richtungsstreitigkeiten innerhalb der preußischen Bürokratie nach den Napoleonischen Kriegen – in der Auseinandersetzung um Restauration oder Reform des preußischen Staates – entstand.“ Rainer Hering: Konstruierte Nation. Der Alldeutsche Verband 1890 bis 1939, Hamburg 2003, S. 402.

3.1 Transformationen des Konservatismus

237

,,Dieser dritte Standpunkt schließt ein, dass wir jenseits von allen Parteien stehen. Parteien sind Vergangenheit, die sich festgelegt hat. In den Parteien, von denen in Deutschland schon immer alle Hemmungen ausgingen, stockt heute unser ganzes politisches und, was schlimmer ist, geschichtliches Leben. Für uns sind die Dinge ewig, aber, da sie zugleich zeitlich sind, sind sie nicht starr, sondern fließend.“80

Seit seiner politischen Formierung im 19. Jahrhundert unterschied der Konservatismus zwischen egoistischen – also nicht dem Gemeinwohl verpflichteten – Partei-Interessen und seinen eigenen überparteilichen Interessen. Indem der Überparteilichkeits-Topos mit der Eigenschaft des ,,gesunden Menschenverstandes“ verbunden wurde, in dessen Folge das ,,Gemeinwohl“ verwirklicht werden könne, wurden im Gegenzug parlamentarische und bürokratische Entscheidungsprozesse grundsätzlich delegitimiert. So wurde der angeblichen Zerrissenheit der Parteienlandschaft immer wieder der ,,volksgemeinschaftliche“ Identifikationsrahmen gegenübergestellt. Da die Behauptung der eigenen Überparteilichkeit in erster Linie innerhalb politischer Auseinandersetzungen genutzt wurde, verschleierte er jedoch nur mühsam den dahinter stehenden Herrschaftsanspruch konservativer Politik.81 Den Überparteilichkeits-Anspruch brachte die Gewissen-Redaktion auf verschiedene Weise zum Ausdruck. Das Stereotyp vom egoistischen Parteipolitiker als Feind der ,,Volksgemeinschaft“ äußerte sich im Gewissen beispielsweise 1919 durch Forderungen nach Austausch parteipolitisch besetzter Ministerialstellen: ,,An ihre Stelle müssen unparteiische Männer mit gesundem Menschenverstand und Arbeitsfreudigkeit aus allen Ständen gewählt werden, die nur für das Gemeinwohl arbeiten.“82 Auch die Tatsache, dass im Umfeld des Gewissens ,,lange Zeit ein ehemaliger Kommunist als Mitläufer dabei“ war, wurde als Bestätigung der inhaltlich überparteilichen Ausrichtung genutzt.83 Der vermeintliche Kommunist Fritz Weth verfasste zwischen 1920 und 1923 etwa 40 Artikel für das Gewissen, in denen er als Kenner der Arbeiterbewegung auftrat und die russische Politik oder Aktionen der KPD bewertete. Dieser Blick über den Tellerrand der überwiegend aus dem bürgerlichen Milieu stammenden Ring-Aktiven und GewissenAutoren hatte jedoch kaum etwas mit ,,Überparteilichkeit“ zu tun. Weths Nähe zur kommunistischen Politik beschränkte sich auf die Bewunderung der diktatorischen Fähigkeiten Lenins und der Organisationskraft der KPD.

80 81

82 83

,,Was ist der Ring?“ (12.12.1921), in: Gewissen, Beilage Merk-und Werbeblatt, 2, H. 49, S. 6. Rainer Hering: ,,Parteien vergehen, aber das deutsche Volk muss weiterleben“. Die Ideologie der Überparteilichkeit als wichtiges Element der politischen Kultur im Kaiserreich und in der Weimarer Republik, in: Schmitz/Vollnhals: Völkische, S. 33–43, S. 35. N.N. (20.05.1919): Freier Handel oder Zwangswirtschaft?, in: Gewissen, 1, H. 6, S. 1–2. DLA Marbach A: Mohler, Briefe: Brief (12.10.1948) Hans Schwarz an Armin Mohler.

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3. ,,Der Ruf will gehört sein“ – das Profil des Gewissens

Für die Konstruktion des jungkonservativen Überparteilichkeitsbildes war Weth jedoch ein wertvoller Beiträger.84 Da sich der Jungkonservatismus an Persönlichkeiten und nicht, wie es hieß, an Parteibüchern orientierte, appellierte Stadtler an eine Art innere Freiheit jedes Politikers. Sein Bemühen, allen politischen Instanzen gerecht zu werden, führte mitunter zu paradoxen Aussagen ohne jeden politischen Gehalt und deren Mobilisierungsrhetorik kaum ausreichte, um zu überzeugen: ,,In allen Parteien und in allen Berufen sind auch schon die Männer da, welche mit ihrem Volk und für Ihr Volk gegen Partei und gegen Klasse die wahre Einheitsfront realisieren wollen! Dabei kann jeder seiner Religion, seiner idealen Parteienanschauung, seinen Stammesgefühlen, seiner Standessolidarität innerlich treu bleiben.“85

Stadtlers Beispiel macht deutlich, wie sehr der Verweis auf die eigene Überparteilichkeit eine emotionale Leerformel bildete und ,,die Funktion der Dramatisierung und emotionalen Mobilisierung“ für die eigene Sache übernahm.86 Der emotionale Publizistik-Stil konnte integrieren und politische Heimaten schaffen, die jenseits des Parteiwesens lagen und zugleich den eigenen Machtanspruch legitimierten. Die zeitgleich in der soziologischen Wissenschaft und politischen Öffentlichkeit geführte Debatte um Möglichkeiten zur Objektivierung und Disziplinierung von Werten und Gefühlen stand dem emotionalisierten Politikstil in keiner Weise entgegen. In der Presse wurde zur gleichen Zeit über ,,Sachverstand“ und Überprüfbarkeit von Urteilen diskutiert und stilistisch ,,ein neues, spezifisch modernes Spektrum emotionaler Artikulationsmöglichkeiten“ entwickelt.87 Die in Zeitungen und Zeitschriften kreierten emotionalen Distinktionen boten den Lesern Orientierung und stießen Pro84

85 86 87

Fritz Weth (01.12.1920): Zur deutschen Arbeiterbewegung, in: Gewissen, 2, H. 47, S. 2– 3; ders. (23.02.1921): Arbeiterschaft und Wirtschaftsgemeinschaft, in: Gewissen, 3, H. 8, S. 3; ders. (12.12.1920): Proletariat und Führung. Stimmen zum Merk- und Werbeblatt, in: Gewissen, 2, H. 49, S. 4; ders. (15.08.1921): Rußlands Schicksal und die deutsche Arbeiterschaft, in: Gewissen, 3, H. 33, S. 1–2. Weth bewies durchaus Empathie für intellektuelle Handarbeiterphantasien. Als Reaktion auf einen Artikel Pechels (Rudolf Pechel (25.04.1921): Der Michael-Kohlhaas-Bund, in: Gewissen, 3, H. 17, S. 3–4.) schrieb ihm Weth über ein Konzept für einen ,,Kampfbund“, geführt von Intellektuellen – ,,wenn sich noch ein aufrechter“ findet – und mit Arbeitermitgliedern, gesichtet ,,nach moralischer Eignung, sowie auf seine Kampffähigkeit“. Die Finanzierung sollte durch Schutzgelderpressung solventer ,,Nestbesitzer“ geschehen, vermutlich sollten davon Anteile an Bedürftige gehen: ,,Ueberhaupt gibt es keine bessere Möglichkeit, in Deutschland populär zu werden.“ BArch Koblenz N 1160/I/144 NL Rudolf Pechel: Brief (26.04.1921) Fritz Weth an Rudolf Pechel. Eine Reaktion Pechels ist nicht überliefert. Eduard Stadtler (04.02.1920): Die wahre Einheitsfront, in: Gewissen, 2, H. 5, S. 1–2. Hering: Konstruierte, S. 404. Frank Bösch/Manuel Borutta: Medien und Emotionen in der Moderne, in: dies. (Hrsg.): Die Massen bewegen, Frankfurt a.M. 2006, S. 13–42. Forschungsüberblick zur Diskussion in: Jürgen Gerhards: Soziologie der Emotionen. Fragestellungen, Systematik und Perspektiven, Weinheim 1988, S. 24–51.

3.1 Transformationen des Konservatismus

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zesse der Identitätsbildung an. Auch das Gewissen stellte in jeder Ausgabe ein Bündel wiederkehrender emotionaler Bezugspunkte bereit, die durch scheinbar unverrückbare Annahmen untermauert wurden. Politikerwartungen wurden durch utopische Selbstkundgaben wie ,,Über alles geht uns Bejahung und positives Streben“88 unterstrichen und Handlungsanweisungen in ein emotionales Gruppenbild gebunden: ,,Es hat Jeder an seiner Stelle zu stehen. Er kann es, wenn er weiß, daß auch der Andere an der seinen steht. Jeder von uns trägt zu der Front bei, die wir bilden.“89 Rechtspopulistische Zuspitzungen überparteilicher Topoi und emotionale Ausdrucksformen dienten in der Gewissen-Publizistik der Leser-Integration und entschärften zu keinem Zeitpunkt das rein elitäre Politikkonzept. Ganz in konservativer Tradition galt die politische Persönlichkeit als legitimer Vertreter des ,,Gemeinwohls“, wodurch der Überparteilichkeits-Anspruch nicht den engen Kontakten zu DNVP-Mitgliedern widersprach. Um die zu befürwortenden einzelnen Politikerpersönlichkeiten zu unterstützen, sollten GewissenArtikel immer auch den Beweis erbringen, dass das parlamentarische System von klandestinen Strukturen durchzogen sei. Die jungkonservative Kurzformel sah ,,Bürokratie“ als Auswuchs eines korrupten Systems und Ursache für ,,Schiebertum“. Heinrich von Gleichen betonte die angebliche Originalität des Gedankens, habe er sich doch schon vor dem Krieg gegen die ,,Subalternisierung der führenden Schichten“ eingesetzt90 und auch im Gewissen gab er sich betroffen: ,,Wer in die Hilflosigkeit mechanischer Führung unserer Amtsbürokratie und Parteibürokratie hineinschaut, muß verzagen.“91 Oskar Hergt, Karl Helfferich, Alfred Hugenberg und Adam Stegerwald galten als Vorbilder für eine Systemteilhabe von Politikern, die sich nicht von bürokratischen Strukturen korrumpieren ließen. Um die Verkommenheit des Systems und die Scheinheiligkeit der politischen Mandatsträger zu demonstrieren, griffen Gewissen-Artikel auf gängige Stereotype zurück. Das Vorgehen war ,,kennzeichnend für breite Teile der Gesellschaft der Weimarer Republik“, deren tief sitzender Zynismus ,,überall ,Betrug, ,Verrat‘, ,Korruption‘ und den Einfluss sinisterer Kräfte erkannte und dabei jede Autorität mit aggressivem Hohn und Spott zu überziehen vermochte.“92 Moellers Veröffentlichungspolitik im Gewissen zielte darauf ab, ,,dass der Schwindel und Selbstbetrug aufgedeckt wird, den Spießbürger in Staatsstellung mit dem asketischen Gerede

88 89 90 91 92

Eduard Stadtler (07.01.1920): Zum Geleit. Vom Herausgeber, in: Gewissen, 2, H. 1, S. 1. Max Hildebert Boehm/Heinrich von Gleichen/Moeller van den Bruck/Eduard Stadtler (19.12.1921): Die neue Front. Die Herausgeber, in: Gewissen, 3, H. 51, S. 1. Gleichen über seine Schrift ,,Die Sturmvögel“ von 1912. DLA Marbach D: Merkur: Brief (13.09.1947) H. v. Gleichen an Hr. Moras. Chronist [P] (16.06.1920): Verantwortung, in: Gewissen, 2, H. 23, S. 1. Geyer: ,,Gleichzeitigkeit“, S. 175.

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3. ,,Der Ruf will gehört sein“ – das Profil des Gewissens

treiben“.93 Zusätzlich wurde im Gewissen der Schiebertum-Diskurs um die gängigen Stereotype zu Arbeitern, Juden und Frauen erweitert.94 Indem in den Artikeln immer wieder die Grenze zu einer moralisch verwerflichen Politik gezogen wurde, erschien das eigene jungkonservative politische Engagement umso notwendiger. Auf diese Weise konnten zudem Politiker und ihre öffentlichen Zuschreibungen leicht verortet werden. Mit wenigen Signalwörtern und Formulierungen war beispielsweise Matthias Erzberger erkennbar und zu verleumden. Der Zentrums-Rivale von Martin Spahn fungierte im Gewissen immer wieder als Synonym für Schiebertum oder als Angriffsfläche für die Behauptung, das ,,alte System“ habe seine schlechtesten Anteile in das ,,neue System“ herübergerettet. ,,Mechanische Politik ist vom Leben losgelöste Politik, ist Politik des Berufs, nicht der Berufung. Erzbergers überragende Stellung in der Regierung leitet sich vor allem daraus her, daß er ein solches erdrückendes Maß an technischer Berufseignung zur Führung der Alten besitzt.“95

Die Artikel Spahns und Stadtlers zeugten von einer persönlichen Abneigung gegen den Finanzminister, die sich bis in die Vorkriegszeit zurückverfolgen lässt.96 Im Juni 1919 kündigte Stadtler an: ,,Im nächsten Gewissen rechnen wir in rücksichtsloser Weise mit Erzberger ab.“97 Im Juli resümierte Boehm die Verhandlungstaktik der Erzberger’schen Waffenstillstandkommission, die im Jahr zuvor noch für die alte Regierung mit Polen über die Demarkationslinie verhandelt hatte.98 Erzberger habe durch seine ,,feige“ Waffenstillstandstaktik die ,,Ostmark“ verraten, obwohl die deutschen Truppen noch im Herbst 1918 einen erfolgreichen Eroberungszug hinter sich gebracht hätten.99 Der Vorwurf des Dolchstoßes ließ sich emotional noch steigern, indem Boehm darauf hinwies, die ,,zersetzenden Literaten“ unter Erzberger hätten zur größten Schmach mit den Polen auf Französisch verhandelt. Als Erzberger vor dem Gerichtsgebäude, in dem wegen Helfferichs Ver93 94 95

96

97 98 99

DLA Marbach A: Hans Grimm: Brief (30.07.1921) Moeller an Hans Grimm. Alexander Ringleb (17.03.1920): Korruption, in: Gewissen, 2, H. 11, S. 1. Albert Dietrich (19.08.1919): Das junge Deutschland und die nationale Idee, in: Gewissen, 1, H. 19, S. 1. Ähnlich auch Hutten [P] (19.08.1919): Die freie Bahn der Tüchtigen, in: Gewissen, 1, H. 19, S. 3; Hutten (17.12.1919): Die Versklavung Deutschlands, in: Gewissen, 1, H. 36, S. 1. 1911 hatte Spahn in einer internen Parteiwahl mit einer Kampfkandidatur gewonnen, seitdem bekämpften sich beide. Stadtler (29.08.1921): Zentrumskrisis, in: Gewissen, 3, H. 35, S. 1–2, hier 2. Vgl. auch BArch Berlin III/449 Presseausschnittsammlung – Reichslandbundes, Personalia Martin Spahn. ,,Spahns Tätigkeit innerhalb der Zentrumspartei in der Zeit von 1917 bis 1921 kann daher als das verzweifelte Bemühen beschrieben werden, die Richtung Erzberger im Zentrum niederzukämpfen und das Zentrum auf seine Vorstellungen von konservativer Politik hin zu orientieren“. Clemens: Martin Spahn, S. 90. BArch Koblenz N 1324/3 NL Martin Spahn: Brief (27.06.1919) Eduard Stadtler an Martin Spahn. Max Hildebert Boehm (01.07.1919): Die verstoßene Ostmark, in: Gewissen, 1, H. 12, S. 4. Wehler: Gesellschaftsgeschichte IV, S. 34.

3.1 Transformationen des Konservatismus

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leumdungen in der Hetzschrift ,,Fort mit Erzberger“ verhandelt wurde, angeschossen wurde, äußerte Gleichen sein Befremden über die allgemeine Anteilnahme, die sogar aus der DNVP komme. Erzberger, ,,das Verhängnis unseres unglücklichen Volkes“, profitiere von dem Attentat, weil es ihn in ,,freiere reinere Sphären“ hebe.100 Darüber hinaus nahmen Stadtlers Artikel immer die gesamte Karriere des Zentrumsmannes als Spiegel gesellschaftlicher Verkommenheit und außenpolitischer Nöte in den Blick.101 Kurz vor Erzbergers Ermordung im August 1921 forcierte Stadtler seine Angriffe: ,,Im Kampf gegen Erzberger lasse ich jetzt nicht mehr locker.“102 Nach Erzbergers Ermordung akzentuierte er das entstandene politische Vakuum im Zentrum und nahm Joseph Wirth als neuen ,,kleinbürgerlichen“, enttäuschenden Exponenten der Macht ins Visier.103 Boehm betonte den schicksalhaften Charakter von Attentaten, der sich auch nicht durch Ausnahmegesetze eindämmen ließe104 und Wilhelm von Kries sah in Wirths Reaktion auf die Ermordung einen ,,politischen Amoklauf “.105 Die Autoren des Gewissens rechtfertigten die Ermordung Erzbergers nicht eindeutig, aber indem sie das Attentat als Teil und Ergebnis eines unzulänglichen politischen Systems einordneten, konnten sie einerseits ihre Genugtuung begreiflich machen und andererseits ihre Beweisführung gegen die parlamentarische Demokratie ausbauen. Während Berufspolitiker als Personifizierung des ,,Schiebertums“ dienten, sah die Gewissen-Publizistik im Berufsbeamtentum den ,,Bürokratismus“ vergegenwärtigt. Beamte würden ähnlich wie Parteipolitiker eine effiziente Staatspolitik behindern. Obwohl ein Großteil aus der kaiserlichen Verwaltung übernommen worden war und der Republik skeptisch gegenüberstand, galten sie als ausführende Organe des parteipolitisch beeinflussten Verwaltungsrechts und deshalb per se als unfähig, sachverständige Entscheidungen zu fällen. Mit dem Bild der Beamten wurde immer auch die unlautere Aneignung von Entscheidungsgewalt verbunden, wodurch Überschriften wie ,,Ein Jahr Parlamentarismus. Verdoppelung der Bürokratie, 15 Prozent aller

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Chronist [P] (04.02.1920): Erheblichkeiten, in: Gewissen, 2, H. 5, S. 1. Vgl. zu Erzberger Wehler: Gesellschaftsgeschichte IV, S. 167; 410–412; Klaus Pflieger: Matthias Erzberger als Opfer politischer Gegner, in: Christoph E. Palmer/Thomas Schnabel (Hrsg.): Matthias Erzberger, 1875–1921. Patriot und Visionär, Stuttgart 2007, S. 119–139. Eduard Stadtler (14.01.1920): Deutsche Krisis, Zentrumskrisis!, in: Gewissen, 2, H. 2, S. 1–2; ders. (21.01.1920): Herr Minister Erzberger!, in: Gewissen, 2, H. 3, S. 1–2; ders. (18.02.1920): Weltpolitik und Führung, in: Gewissen, 2, H. 7, S. 1–2; ders. (10.03.1920): Erzbergers Aufstieg und Fall, in: Gewissen, 2, H. 10, S. 1–2. BArch Koblenz N 1324/3 NL Martin Spahn: Brief (23.08.1921) Eduard Stadtler an Martin Spahn. Eduard Stadtler (05.09.1921): Scheidung der Geister, in: Gewissen, 3, H. 36, S. 1–2; ders. (26.09.1921): Der Kanzler der ,,kleinen Koalition“, in: Gewissen, 3, H. 39, S. 1–2. Hadubert (05.09.1921): Attentate und Ausnahmegesetze, in: Gewissen, 3, H. 36, S. 3. Wilhelm von Kries (12.09.1921): Politische Groteske, in: Gewissen, 3, H. 37, S. 1–2.

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3. ,,Der Ruf will gehört sein“ – das Profil des Gewissens

Deutschen sind Beamte geworden“106 einen entsetzten Duktus erhielten. Als Gegenmittel zur Bürokratisierung empfahl man, ,,an die Spitze der Regierung Leute zu bringen, die über jeden Verdacht unsauberen Umgangs und unsauberer Moral erhaben sind“. Die in der WRV gewährte ,,institutionelle Garantie des Berufsbeamtentums“107 stand ganz im Gegensatz zu den jungkonservativen Forderungen, dass eine verantwortliche Stellung im Staat nur durch nachgewiesene persönliche Leistung erlangt werden könne. Auch alle Maßnahmen der Reichsregierung, die zur Zentralisierung von Kompetenzen auf Reichsebene führten, wurden aufs Schärfste kritisiert. Je entfernter die Entscheidungswege von den Belangen der Bevölkerung installiert würden, desto einheitlichere und langwierigere Entscheidungen würden produziert.108 Der Zentralisierung von Zuständigkeiten hielten alle GewissenAutoren ein Plädoyer für Regionalismus entgegen. So kritisierte Fritz Ehrenforth an den auf Landesebene zusammengefassten Landwirtschaftskammern vor allem die Tatsache, dass der bisherige Ehrenvorsitzende der selbstverwaltenden Körperschaften in ein Beamtenverhältnis überstellt würde.109 Als Abwehrmaßnahme gegen die korrumpierenden bürokratischen Strukturen forderten die Jungkonservativen, ihre Folgen, wie jedes gesellschaftlich abweichende Verhalten, durch Pflicht und Zwang zu sanktionieren. Die Forderungen leiteten sich, wie an anderer Stelle auch, aus der christlichen Opferrhetorik ab. Gleichen verlangte Opfer von den Deutschen, um die klandestinen Strukturen innerhalb der Volksgemeinschaft zu beseitigen.110 Stadtler teilte dem Zentrum mit, es müsse wissen, ,,daß das Christentum heute nur dann rettende Kraft bekommt, wenn es aus dem Opfertode eines entarteten Parteiwesens wiedergeboren wird“.111 Während die krisenhafte Gegenwart zum einen mit einer Opfergabe ausgelöscht werden sollte, galt zum anderen die Ausgrenzung und Bestrafung störender, krankmachender Elemente als hilfreichste Maßnahme. Rudolf Pechel gab die konkrete Parole ,,Kampf bis aufs Messer dem Schiebertum“ aus, denn: ,,Sie sind ein Geschwür am Volkskörper, sie gehören nicht zum deutschen Volk und seiner Gemeinschaft. Sie handeln nach Schieberbrauch, sie sollen behandelt werden nach Schieberrecht.“112 106 107 108

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Eduard Stadtler (28.01.1920): Ein Jahr Parlamentarismus. Die Schriftleitung, in: Gewissen, 2, H. 4, S. 1. Wehler: Gesellschaftsgeschichte IV, S. 361–371. Für den geburtsadeligen Heinrich von Gleichen war die ,,Frage der Bürokratie“ während seiner gesamten Karriere als politischer Organisator ,,eine Schicksalsfrage unserer Nation“. Als er 1932 an der Installation der Präsidialkabinette beteiligt war, sah er in den Kompetenzen der ,,untergeordneten Subalternität“ eine erhebliche Behinderung. DLA Marbach A: Paul Fechter: Brief (28.09.1932) H. v. Gleichen an Paul Fechter. Fritz Ehrenforth (01.09.1920): Landwirtschaftliche Selbstverwaltung, in: Gewissen, 2, H. 34, S. 4. Chronist (24.11.1920): Totensonntag, in: Gewissen, 2, H. 46, S. 1. Eduard Stadtler (17.11.1920): Aufgabe des Zentrums, in: Gewissen, 2, H. 45, S. 1–2. Rudolf Pechel (30.03.1921): Die gemeinsame Front, in: Gewissen, 3, H. 13, S. 2; ähnlich

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Den populistisch eingesetzten Assoziationsketten von Schiebertum und Bürokratismus stellte die Gewissen-Publizistik das Bild der willensstarken Persönlichkeit entgegen. Stadtler legte bei der Auswahl der Artikel auf das historische ,,Schwergewicht geniale[r] Personalleistungen“ oder aktueller ,,geniale[r] Einzelleistung“ wert.113 Der Kapp-Putsch beweise jedoch, dass zurzeit von ,,genialen Personalleistungen“ keine Rede sein könne.114 Als Vorbild galt vielmehr Bismarck, dessen persönliche Leistung in der Verbindung der ,,Reichsidee“ mit der Reichsgründung gelegen habe.115 Führungsqualitäten beruhten demnach auf der Fähigkeit, die Politik der Gegenwart mit quasi geschichtlichen Gesetzmäßigkeiten zu begründen. Da sich Parteien jedoch nur anhand von Gegenwart und Verfahren legitimierten, glaubte das Gewissen, im Parteiensystem würde die Entwicklung männlicher Führungsqualitäten unterdrückt. Die Folgen sah Schotte 1920 im ,,Parteibonzentum, das heute mehr oder weniger die Zentralen der Parteien und Fraktionen und die Presse beherrscht, und dessen Unmännlichkeit schon seit Jahren unser öffentliches Leben verdirbt“.116 Schotte setzte auf die Persönlichkeiten innerhalb der Parteien, um das interne ,,Parteibonzentum“ zu unterwandern und aufzulösen. Die Gewissen-Artikel der ersten beiden Jahrgänge äußerten sich noch hoffnungsvoll, sogar den Nachwuchs in der DDP für sich gewinnen zu können. Vor allem Stadtler wollte die Kopfzahl der eigenen Unterstützer durch Abwerbung erhöhen.117 Langfristig sahen die Gewissen-Autoren in Unternehmern und Industrieführern diejenigen Persönlichkeiten, die effizient und national orientiert in die Parteipolitik eingreifen könnten. Mit dem Wort ,,Sachverständige“ bürgerte sich ein Begriff ein, der verdeutlichte, dass politische Entscheidungen nur Erfolg versprechend seien, wenn ihnen kein parteiinterner Kompromissdiskurs vorausging, sondern auf Erfahrung und Tatkraft von Persönlichkeiten beruhten.118 Diese Erwartungen von antirepublikanischer Seite an die deutschen Wirtschaftsführer korrespondierten mit dem Bild, das Unternehmer

113 114 115 116 117

118

auch: Walther Schotte (09.02.1925): Der Wels auf dem Trockenen. Eine Richtigstellung, in: Gewissen, 7, H. 6, S. 1; Eduard Stadtler (22.07.1919): Friedens-Sabotage, in: Gewissen, 1, H. 15, S. 1; ders. (21.01.1920): Herr Minister Erzberger!, in: Gewissen, 2, H. 3, S. 1–2; ders. (20.06.1921): Das Zentrum und sein Erzberger, in: Gewissen, 3, H. 25, S. 1–5; ders. (23.02.1925): Staat und Wirtschaft, in: Gewissen, 7, H. 8, S. 1–2. BArch Koblenz N 1324/3 NL Martin Spahn: Brief (13.02.1920) Eduard Stadtler an Martin Spahn. Martin Spahn (31.03.1920): Tatsachen. In Beilage Der Ring, in: Gewissen, 2, H. 12, S. 5. Clemens: Martin Spahn, S. 102. Walther Schotte (31.03.1920): Parteien, Parteimänner und Persönlichkeiten. In Beilage Der Ring, in: Gewissen, 2, H. 12, S. 6. Max Hildebert Boehm (06.10.1920): Mauserung der Demokratie, in: Gewissen, 2, H. 39, S. 4; Eduard Stadtler (23.09.1919): Offener Brief an die jungen Demokraten, in: Gewissen, 1, H. 24, S. 3. Eduard Stadtler (06.06.1921): Der Ruf nach Wirtschaftlern, in: Gewissen, 3, H. 23, S. 1– 2; Heinrich von Gleichen (14.01.1920): Sachverständige, in: Gewissen, 2, H. 2, S. 2–3;

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3. ,,Der Ruf will gehört sein“ – das Profil des Gewissens

und Manager gern von sich selbst zeichneten.119 Zudem war seit den kriegswirtschaftlichen Erfahrungen, als sich durch Vernetzung externer Experten mit dem politischen Entscheidungsbereich ein ,,dauerhafter Kontakt“ entwickelt hatte, in der Politik wirtschaftlicher Sachverstand populär.120 Einer sachverständig getroffenen Entscheidung maßen Jungkonservative jedoch nur dann die Kraft zur Veränderung bei, wenn sie aus einer Position der Macht und des Machtwillens getroffen worden war. Deshalb sollten wirtschaftliche Experten nicht nur eingebunden, sondern zur uneingeschränkten politischen Maßgabe befähigt werden. Die meisten Gewissen-Autoren sahen in einer ,,Wirtschaftsdiktatur“ die Lösung der innen- und außenpolitischen Probleme und richteten zunächst ihre Hoffnungen auf den rheinischen Wirtschaftsmagnaten Hugo Stinnes.121 Insgesamt liefen die wirtschaftsautoritär überformten politischen Forderungen auf die Normierung einer dualen Gesellschaft hinaus: ,,strenge Kandare für die Knechte, aber freie Bahn für die Herren“.122 Das Gewissen bewegte sich mit der Kritik an individuellen Bürgerrechten zum einen und an bürokratischen und regelhaften Ausformungen von Entscheidungsprozessen zum anderen in einem Politikdiskurs, der die gesamte Staatsrechtslehre der 1920er und 1930er Jahre beherrschte.123 Die populistische Delegitimierungsstrategie der Gewissen-Publizistik gegenüber dem republikanischen Parlamentarismus konzentrierte sich auf die plastische Interpretation der Stereotype ,,Schiebertum“ und ,,Bürokratismus“. Matthias Erzberger wurde bis über seinen Tod hinaus als Inkarnation des einen und das Berufsbeamtentum wurde als Auswuchs des anderen gesehen. Der positive Gegenentwurf zu beiden Feindbildern bildete die Politikerpersönlichkeit,

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Heinrich von Gleichen (04.02.1920): Diktatur der Sachverständigen. In Beilage Liga zum Schutz der deutschen Kultur, in: Gewissen, 2, H. 5, S. 6. Stefan Unger: Die Wirtschaftselite als Persönlichkeit. Zur Selbstdarstellung von Unternehmern und Managern im Ruhrgebiet während der Zwischenkriegszeit, in: Volker R. Berghahn/Stefan Unger/Dieter Ziegler (Hrsg.): Die deutsche Wirtschaftselite im 20. Jahrhundert. Kontinuität und Mentalität, Essen 2003, S. 295–316; vgl. auch Moritz Föllmer: Die Verteidigung der bürgerlichen Nation. Industrielle und hohe Beamte in Deutschland und Frankreich 1900–1930, Göttingen 2002. Margit Szöllösi-Janze: Politisierung der Wissenschaften – Verwissenschaftlichung der Politik. Wissenschaftliche Politikberatung zwischen Kaiserreich und Nationalsozialismus, in: Stefan Fisch/Wilfried Rudloff (Hrsg.): Experten und Politik: wissenschaftliche Politikberatung in geschichtlicher Perspektive, Berlin 2004, S. 79–100, S. 88. Eduard Stadtler (11.02.1920): Oberste Wirtschaftsleitung, in: Gewissen, 2, H. 6, S. 6. Zu Stinnes vgl.: Eduard Stadtler (21.07.1920): Stinnes - Hué , in: Gewissen, 2, H. 28, S. 1–2; Heinrich von Gleichen (10.11.1920): Der politische Unternehmer, in: Gewissen, 2, H. 44, S. 1–2; Hadubert [P] (28.11.1921): Panik, in: Gewissen, 3, H. 48, S. 1; Martin Spahn (05.12.1921): Staat und Wirtschaft, in: Gewissen, 3, H. 49, S. 1; Eduard Stadtler (05.02.1923): Die Ruhrinvasion, in: Gewissen, 5, H. 5, S. 1; N.N. (14.04.1924): Hugo Stinnes, in: Gewissen, 6, H. 15, S. 1. Meuter/Otten: Bürger im Spiegelkabinett, S. 20. Sontheimer: Antidemokratisches, S. 153, 171.

3.2 Im Spannungsfeld: Jungkonservative und Politik

245

die mit Machtanspruch, Charisma und Sachverstand vermeintlich überparteiliche Entscheidungen treffe. Das Gewissen sah Wirtschaftskompetenz als eine herausragende Führungsqualität, der sich sämtliche gesellschaftliche Interessen unterzuordnen hätten.

3.2 Im Spannungsfeld: Jungkonservative und Politik ,,Unser Volk steht vor der Aufgabe, eine neu gefestigte Beziehung zwischen Politik und Geist zu stiften.“124

3.2.1 Diagnose: Krise und Übergang Als sich die jungkonservative Strömung im Gewissen artikulierte fand dies zeitgleich mit einer ganzen Reihe intellektueller Krisendiagnosen statt.125 Nach dem Krieg war das Bewusstsein ,,der Sicherheit und des Optimismus, jene[. . . ] Gewissheiten des bürgerlichen Zeitalters“, verschwunden und hatte dem aus der Kriegszeit verlängerten Gefühl der Bedrohung in allen Lebens- und Politikbereichen Platz gemacht.126 Die Zeit zwischen 1914 und 1924 bedeutete eine ,,radikale Konfrontation“ mit dem ,,Verlust materieller Schutzzonen“, mit politischen Unsicherheiten und den ,,vielfältigen Möglichkeiten weltanschaulicher Alternativen“.127 Erwartungen und Hoffnungen richteten sich allgemein auf ,,sozial-utopische Projekte“128 und radikale Ordnungsmodelle, die Lösungen versprachen.129 Der relativ jungen Erscheinung des öffentlichen, auf dem politischen Medienmarkt und zwischen ,,Geist und

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Max Hildebert Boehm (17.12.1919): Was wir wollen!, in: Gewissen, 1, H. 36, S. 1–2. Helga Scholten: Einführung in die Thematik. Wahrnehmung und Krise, in: dies. (Hrsg.): Die Wahrnehmung von Krisenphänomenen. Fallbeispiele von der Antike bis in die Neuzeit, Köln 2007, S. 5–11, S. 8. Zur Tradition der bürgerlichen Krisensemantik seit der Aufklärung: Reinhart Koselleck: Kritik und Krise. Eine Studie zur Pathogenese der bürgerlichen Welt, Frankfurt a.M. 2006. Vgl. auch im Kontext des Technikdiskurses: Angela Schwarz: Allmacht oder Ohnmacht. Technikvorstellung und Krisenwahrnehmung im Übergang vom 19. ins 20. Jahrhundert, in: Scholten: Wahrnehmung, S. 203–222, S. 221. Bernd Weisbrod: Die Politik der Repräsentation. Das Erbe des Ersten Weltkrieges und der Formwandel der Politik in Europa. in: Mommsen: Der Erste Weltkrieg, S. 13–42, S. 41. Martin H. Geyer: Verkehrte Welt. Revolution, Inflation und Moderne, München 1914– 1924, Göttingen 1998, S. 379–380. Geyer: ,,Gleichzeitigkeit“, S. 170. Geyer: Verkehrte Welt, S. 397–399.

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3. ,,Der Ruf will gehört sein“ – das Profil des Gewissens

Macht“130 agierenden Intellektuellen kam hierbei eine wichtige Rolle zu. Vor dem Hintergrund der zahlreichen Krisenszenarien erschien es legitim, dass Intellektuelle die Nähe zum Machtapparat suchten, da sich ihre intellektuelle Kritik nicht bloß gegen Auswüchse oder separate Sphären der Gesellschaft richtete, sondern dem universalen und grundsätzlichen Zustand von Staat und Gesellschaft galt. Politischen Intellektuellen wurde durchaus zugetraut, zur Verwirklichung kollektiver Zukunftsentwürfe beitragen zu können, wobei ihre Beiträge eine fatale Wirkung entfalteten: ,,Je schneller und radikaler die Autoren die Gegenwart überwinden wollten, in desto drastischeren Farben mussten sie die Gegenwart charakterisieren. Das war Ausdruck einer dezisionistischen Haltung, die ,Krise‘ als offene Entscheidungssituation entwarf.“131

Innerhalb der radikalkonservativen politischen Publizistik und Presse verbanden sich kritische Gegenwartsdiagnosen oft mit der Mahnung, keine allzu positiv ausgemalten Zukunftsszenarien zu entwerfen.132 Indem vor einem leichtfertigen Optimismus gewarnt wurde, hob man den vitalistischen und aktiv-gestaltbaren Part der Zukunft hervor. Die Jungkonservativen betonten auf diese Weise zudem die eigene Ernsthaftigkeit und grenzten sich von anderen Bewegungen oder radikalen Positionen ab.133 Sie interpretierten die krisenhafte frühe Republik als eine ,,Wende“, dessen Erleben im RingSammelband ,,Die neue Front“ beredten Ausdruck fand. Neben Moeller, Gleichen und Boehm ,,sah sich der Jurist Heinrich Herrfahrdt ,mitten in einer großen Wandlung des Staates‘“ und Karl Hoffmann ,,meinte, man befinde sich zwischen zwei Zeitaltern und das der wirklichen Weltgeschichte beginne gerade erst“.134 Das neue Zeitalter, im jungkonservativen Diskurs fundamental ausgestaltet durch Moellers ,,Dritten Reich“, sei zwar dem deutschen Volk vorbestimmt, aber müsse hart erkämpft werden.135 Deshalb kreiste die Gewissen-Rhetorik meist um Formulierungen von ,,Aufgaben“, wodurch die optionierte Zukunft vorhersagbar blieb und gleichzeitig abhängig gemacht wurde von der aktiv gestalteten Gegenwart.136 Die Ring-Bewegung bot sich 130

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Erich Brock (20.08.1923): Geist und Macht, in: Gewissen, 5, H. 33, S. 2 und 5. Vgl. dazu die Sammlung zeitgenössischer Auseinandersetzungen: Michael Stark (Hrsg.): Deutsche Intellektuelle, 1910–1933. Aufrufe, Pamphlete, Betrachtungen, Heidelberg 1984. Moritz Föllmer/Rüdiger Graf /Per Leo: Die Kultur der Krise in der Weimarer Republik, in: Föllmer/Graf : Krise, S. 9–41, S. 25. Über ein positives Verständnis eines ,,Geistes der Utopie“ bei linken Schriftstellern (Ernst Block, Gustav Landauer, Kurt Hiller): Klaus Vondung: Die Apokalypse in Deutschland, München 1988, S. 225–257. Graf : Zukunft, S. 98–104. In diesem Rahmen kritisierten die Autoren der politischen Rechten wiederum Oswald Spenglers Pessimismus, der die Kräfte und den Willen des Deutschtums übersehe. Ebd. S. 109. Ebd., S. 179. Ähnliche ,,Aktivitätskonzeptionen“ bei Hans Zehrer, Ewald von Kleist-Schmenzin, Ernst Jünger, Edgar Julius Jung etc. Graf : Zukunft, S. 317–318. U. a.: Walter Franke (03.06.1919): Unsere kulturelle Aufgabe im gegenwärtigen Augenblick, in: Gewissen, 1, H. 8, S. 3–4; Günther Axhausen (15.08.1921): Aufgaben der

3.2 Im Spannungsfeld: Jungkonservative und Politik

247

als ernsthafte ,,Realisierung der neuen Zeit“137 an, wobei sich die gegenwärtige Krise nur überwinden ließe, wenn die Politik ,,auf das noch unklare Gefühl eines kommenden Unglücks“ abstelle und Führungspersönlichkeiten ihren ,,unerschrockenen Blick in die Zukunft“ richteten.138 Diese Fähigkeit schrieben Jungkonservative immer auch historischen Figuren und Haltungen der Romantik und des Idealismus zu, wodurch wiederum politische FührungsTugend in einen überzeitlichen Rahmen projiziert wurde, die der Politik der Gegenwart scheinbar fehlte. Die überzogenen Erwartungshaltungen gegenüber Politikern korrespondierten mit deren teils irrationalen Vorstellungen: Politisches Handeln galt oft als Notwendigkeit und politische Pläne gerieten in der Weimarer Republik zur ,,Kunst des Unmöglichen“, die auf Vorsehung statt Voraussicht, auf Prophezeiung statt Prognose setzte.139 Die Jungkonservativen untermauerten die Neigung, Politik als eine Form von Prophetie anzusehen, deren Einlösung davon abhing, inwieweit politische Persönlichkeiten eine aufrechte Haltung bewahrten. Vor diesem Hintergrund lässt sich auch erklären, warum die von seinen Anhängern vorgenommene Stilisierung Moellers zu einem Propheten und Seher des zukünftigen deutschen Schicksals einen wirkungsmächtigen Bezug bot. Durch die Kombination utopischer Versprechungen mit dem Plädoyer für sachverständige Kompetenz entwickelte das Gewissen zudem erste Züge von politischer Planungseuphorie. Diese Haltung im Denken war Teilstück einer größeren gesellschaftspolitischen Transformation, während der Planung und Expertenwissen zum höchsten Gut politischen Handelns geriet. Der im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts entwickelte antiindividualistische Planungsbegriff unterschied sich vom bis dato verbreiteten liberalen Fortschrittsglauben.140 Im ,,Mythos Planung“ vereinten sich vielmehr überdimensionierte Planungen mit Vorstellungen rationalen Handelns und eine emotionale Erwartungshaltung mit Utopien von besseren Gemeinschaftsformen. Als zu Beginn der 1920er Jahre um einen gezielten nationalen Aufbau diskutiert wurde, steuerte das Gewissen radikalkonservative Begründungs-

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deutschen Frau, in: Gewissen, 3, H. 33, S. 3–4; Paul Ernst (25.08.1920): Die Aufgabe des Staatsmannes, in: Gewissen, 2, H. 33, S. 3–4; Werner Mahrholz (15.09.1920): Die gesellschaftliche Aufgabe des Schriftstellers, in: Gewissen, 2, H. 36, S. 2–3; Martin Spahn (09.03.1921): Die Aufgabe der Parteien, in: Gewissen, 3, H. 10, S. 2; Hans Schwarz (01.10.1923): Die Aufgabe des Humanismus, in: Gewissen, 5, H. 39, S. 2–3. Graf : Zukunft, S. 244. Heinrich von Gleichen (1922): Staatsführung in Krisis, in: Die Neue Front, S. 379-387, hier 382. Lepenies: Kultur und Politik, S. 95. Anselm Doering-Manteuffel: Ordnung jenseits der politischen Systeme: Planung im 20. Jahrhundert, in: Geschichte und Gesellschaft, 34.2008, H. 3, S. 398-406, S. 399.

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3. ,,Der Ruf will gehört sein“ – das Profil des Gewissens

muster bei, die in das den Planungs-Mythen positiv gegenüberstehende ,,öffentliche Meinungsklima“141 einflossen. Ein historischer Begründungszusammenhang für ihre Forderungen bot sich den Jungkonservativen in der Anknüpfung an einen nationalstaatlichen Mythos. Der Mythos Preußen bildete im jungkonservativen Denken die Folie für einen perfekt gelenkten, aus ,,Blut und Boden“ gebildeten Staat. Die Gewissen-Herausgeber und Autoren betrachteten sich in diesem Zusammenhang als ein Experten-Kollektiv, das durch Erkenntnisvorsprung einen eigenen Plan zur Lösung der nationalen Probleme bereithielt. Albert Dietrich stellte den Zusammenhang zwischen preußischem Mythos und Planung her, indem er Mitte 1919 schrieb: ,,Preußen ist in der Welt gehaßt worden, weil es so lebendig revolutionär war, weil es handelte, verwandelte, wo andere verhandelten, weil es erfüllte, wo andere versprachen.“142 Die schicksalhafte Bestimmung eines ,,Volkes“ müsse, laut Moeller, durch aktives Handeln einer begrenzten Zahl von Eingeweihten, einer Erkenntnis-Elite, manifestiert werden. Indem die Elite den Schicksals-Plan umsetze, könne aus der Niederlage nach dem Krieg ein europäischer Triumph werden oder in den Worten Moellers: ,,Aber es ist auch möglich, daß unser Zusammenbruch einen Durchgang bedeutete. So werden Menschen geprüft und wird ihnen durch Demütigungen in das Bewußtsein gebrannt, daß sie als Volk in der Welt sind, um sich als Nation zu behaupten. Wenn unser Zusammenbruch diesen Sinn hat, dann wird es der Gegenbewegung vorbehalten sein, und Niemandem außer ihr, diesen Sinn so wahr und so absolut zu machen, wie die Wirklichkeit immer wahr und immer absolut ist.“143

Das verdichtete Bild von der Krise als Zusammenbruch und Durchgang korrespondierte mit Moellers gesamten auf Absolutheit zielenden Ideenentwürfen und Deutungen. Moeller suchte und entwarf ideelle Strukturen, schicksalhafte Bestimmungen und Begrenzungen der Völker und schließlich eine absolute Form, innerhalb der die deutsche Nation in der Lage sei, die Folgen der Moderne für sich machtpolitisch zu nutzen. In Moellers ,,politischem Existenzialismus“144 spiegelte sich insofern und trotz aller christlich abgeleiteten Formulierungen auch eine ,,radikale Distanzierung von Gott, von der christlichen Tradition, vom gesamten abendländischen Wertekanon“ und gleichzeitig

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Doering-Manteuffel: Ordnung, S. 401. Albert Dietrich (01.07.1919): Die Katastrophe!, in: Gewissen, 1, H. 12, S. 1–2. Moeller van den Bruck (08.01.1923): Das deutsche Gesicht, in: Gewissen, 5, H. 1, S. 1–3. ,,Von ,politischem Existenzialismus‘ soll dann die Rede sein, wenn die Bewältigung jener Krise, die die entfremdete Subjektivität im menschlichen Selbstverständnis hervorgerufen hat, auf dem Feld des Politischen gesucht wird (und dies häufig im Handstreich, mit Entschlossenheit und ohne Geduld). Michael Großheim: Politischer Existenzialismus. Versuch einer Begriffsbestimmung, in: Meuter/Otten: Aufstand, S. 127–163, S. 152. Vgl. auch Stefan Breuer: Moderner Fundamentalismus, in: Berliner Journal für Soziologie, 10.2000 H. 1, S. 5–19.

3.2 Im Spannungsfeld: Jungkonservative und Politik

249

die ,,Furcht vor dem Chaos, vor der Überfülle von Möglichkeiten“, die es zu beherrschen gelte.145 Die jungkonservativen Gegenwartsdiagnosen und Zukunftsentwürfe der frühen Weimarer Republik standen im Kontext einer politischen Kultur, die durch erhebliche Erwartungshaltung gegenüber der Machbarkeit von politischem Handeln gekennzeichnet war. Im Gewissen verbanden sich tagespolitische Themen mit jungkonservativen Prophetien bezüglich einer nationalen Selbstverwirklichung, wodurch der Mythos von der Planbarkeit des nationalen Schicksals publizistisch unterfüttert wurde. 3.2.2 Jungkonservative, Gewissen und DNVP Die jungkonservative Abgrenzung vom Alt-Konservatismus im Duktus eines konservativen Neuanfangs und einer Wiedergeburt war Teil einer notwendigen Selbstvergewisserung. Obwohl sich die Jungkonservativen von der altkonservativen Strömung in der DNVP oder ihrem Parteiprogramm deutlich unterscheiden wollten, wurde zugleich der Parteibegriff in die eigenen Forderungen aufgenommen und als positiver Gegenentwurf zum Parlamentarismus gestaltet. In ihrem Werbeblatt zur Ring-Bewegung formulierten die Jungkonservativen ,,[. . . ] Partei sein ist für uns gleichbedeutend mit: Standpunkt haben. Deshalb stellen wir uns auf den dritten Standpunkt als den Einzigen, der heute [...] notwendig ist. Wir stellen uns rechts auf ihn. Und wir stellen uns links auf ihn. Wir erwarten, daß die Ereignisse [...] alle Parteiverhältnisse umschichten werden. Und dann hoffen wir allerdings, daß die Not uns auf einer einzigen Linie verbinden wird, auf der aus der Nation heraus sich eine Front herstellt, eine Front der Nation, und wenn man will, eine neue Partei: eine dritte Partei.“146

Gleichzeitig entwickelte die DNVP eine erhebliche Anziehungskraft, so dass viele der radikalkonservativen bis neurechten Aktivisten an der parteipolitischen Peripherie präsent und mit der DNVP verbunden blieben. Die Deutschnationalen integrierten, ohne das konservative Label zu führen,147 eine Reihe verschiedener rechter Gruppierungen aus der antirepublikanischen Bewegung und wurden nach 1918 zur erfolgreichsten konservativen Partei, die dazu beitrug, dass sich aus dem Umbruch ein breites konservatives Milieu entwickelte.148 Innerhalb zahlreicher nationalistischer Vereine 145 146 147 148

Breuer: Arthur Moeller, S. 146. Gewissen Merk- und Werbe-Blatt (12.12.1920): Was ist der Ring?, in: Gewissen, 2, H. 49, S. 6. Bösch: Konservative Milieu, S. 36, 42. ,,Im Zeichen der Revolution sahen sich die Konservativen einer ähnlichen Repressionserfahrung ausgesetzt wie die Katholiken und Sozialisten im frühen Kaiserreich. Zumindest in ihrer subjektiven Erfahrung wähnten sie sich derartig vom ,Marxismus’ bedroht, dass sie in Form des Milieus ihre eigene Gegenwelt ausbauten.“ Bösch: Konservative Milieu, S. 218. Ein Forschungsüberblick zur DNVP bei Jones/Retallack: German

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3. ,,Der Ruf will gehört sein“ – das Profil des Gewissens

konnte sich zudem eine konservative Grundüberzeugung auch ,,organisatorisch verfestigen“.149 Der DNVP gelang es auf diese Weise als stärkster konservativen Partei in der Weimarer Republik, radikale Elemente und ,,die alte Kernklientel der konservativen und christlich-sozialen Gruppierungen [...] für sich zu mobilisieren“,150 zwischen 1919 und 1923 konnte sie ihre Mitgliederzahl fast verdreifachen. Der kontinuierliche Stimmenzuwachs bei den Reichstagswahlen bis 1924 verdeutlichte, dass das DNVP-Potenzial überregional bis in die Großstädte, in die Industriegebiete und in katholische Gebiete hineinreichte.151 Trotz dieses reichsweit erfolgreichen Organisationsapparates, der unweigerlich auch Bewegungen wie den Ring tangierte, interpretierten die Jungkonservativen ihre Kontakte zur DNVP, aber auch zur DVP und zu Unternehmern, als Ergebnisse einer selbstständigen Strategie. Sogar ihre finanzielle Abhängigkeit von Alfred Hugenberg deuteten die Jungkonservativen als eine Kooperation von ,,Geist und Macht“ auf Augenhöhe: ,,Wir halten uns frei. Wenn auch einzelne aus Pietät oder Tatendrang Tagesarbeit für diese oder jene Partei leisten, so tun sie es, um durch den Einsatz ihrer Kraft eine Menschengruppe oder eine bedeutende Persönlichkeit auf unsere Ideen und Grundsätze zu verpflichten.“152

Noch in den Erinnerungen von Gewissen-Autoren blieb mitunter die Überzeugung bestehen, man habe als außerparlamentarisches Oppositionsorgan erheblichen Einfluss auf die DNVP-Politik nehmen können. Hans Schwarz behauptete, die Jungkonservativen hätten den späteren DNVP-Chef Hugenberg ,,zu Geldzuwendungen herangezogen“ und letztlich durch die Drohung überzeugt, ,,dass andernfalls die gesamte jüngere nationale Intelligenz womöglich nach links gehen würde“.153 Die Geldbeschaffung sei auch der einzige Grund für Gleichens Annährungen an die DVP und Kontakte zu den Völkischen gewesen.154 Die finanzielle Vernetzung mit den D-Banken im Vorfeld der Juni-Klub-Gründung begründete der Verbindungsmann Alexander Ring-

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Conservatism, hier S. 20–21; vgl. auch Wolfram Pyta: Dorfgemeinschaft und Parteipolitik. 1918–1933; die Verschränkung von Milieu und Parteien in den protestantischen Landgebieten Deutschlands in der Weimarer Republik. Düsseldorf 1996. Peter Lösche/Franz Walter: Katholiken, Konservative und Liberale: Milieus und Lebenswelten bürgerlicher Parteien in Deutschland während des 20. Jahrhunderts, in: Geschichte und Gesellschaft, 26.2000 H. 3, S. 471–492, S. 478. Rohe: Wahlen, S. 134. Larry Eugen Jones: Die Rückwirkungen der Inflation auf die Entwicklung des deutschen Parteiensystems in der Weimarer Republik. in: Otto Büsch/Werner Abelshauser/Gerald D. Feldman/Monika Wolk/Wolfgang Wölk (Hrsg.): Historische Prozesse der deutschen Inflation 1914 bis 1924. Ein Tagungsbericht, Berlin 1978, S. 288–295, S. 291. Gleichzeitig kriselte es im traditionalistischen katholischen Milieu; die Wanderungstendenzen vom Zentrum in die DNVP brachten dies zum Ausdruck. Lösche/Walter: Katholiken, S. 481; Rohe: Wahlen, S. 133. Eduard Stadtler (02.06.1920): Die Rettung der Mitte, in: Gewissen, 2, H. 21, S. 1–2. DLA Marbach A: Mohler 99.1: Brief (12.10.1948) Hans Schwarz an Armin Mohler. Ebd.

3.2 Im Spannungsfeld: Jungkonservative und Politik

251

leb mit der ,,finanztechnischen Erfahrung welterfahrener Banken“, die nun zur Verfügung stände, ,,um in geeigneten Zeitpunkten die im größten Umfang nach Deutschland einströmenden Rubel sowie überhaupt die politisch zusammengebrachten, finanziellen Kampfmittel des Radikalismus mattzusetzen“.155 Während die Politiker auf ihren gesicherten Mandaten zu sitzen schienen, inszenierten sich die Jungkonservativen als intellektueller Stoßtrupp an der publizistischen Front. Insofern wurde finanzielle Unterstützung aus interessegebundenen Kreisen nicht korrumpierend, sondern bestätigend empfunden, befand man sich doch seit der Novemberrevolution 1918 im politischen Kampf. Die tendenzielle Verschleierung der Geldquellen, wie sie Ringleb durch ein Sammlungskonto bei einem Pfandbrief-Institut betrieb, ging zum einen auf die Intention der Geldgeber zurück und war zum anderen ein strategisches Mittel, um ,,Geschäftsanteile von linksradikal abhängigen Druckereien und Verlagen aufkaufen“156 zu können. Hugenberg wiederum pflegte ein funktionales Verhältnis zur ,,nationalen Intelligenz“, die ihm für seine Machtpolitik hilfreich erschien. Beim Finanzorganisator Ringleb traf Hugenberg auf Verständnis für diese Einstellung, der dann auch bereitwillig Dossiers über verschiedene Juni-Klub-Mitglieder und Gewissen-Autoren anfertigte.157 Im Fall des Berliner Wohnungsdirektors und DDP-Mitgliedes Walter de Laporte ließ sich Hugenberg ausführlich über dessen Karriere, politisches Bekenntnis zur Demokratie und gleichzeitiges Engagement gegen eine Westverständigung und für die Ring-Bewegung ,,als eifriger Leser und Werber für die Wochenzeitschrift ,Das Gewissen‘“ informieren.158 Hugenbergs Kalkül, auf die meinungsbildenden Prozesse des vermeintlich überparteilich agierenden Pressemediums Einfluss nehmen zu können, ging

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Ostakademie Lüneburg P 0/203 Personen R: Alexander Ringleb, Vom Verein Kriegerhilfe zum Juniklub/Ring, S. 3. Zur Finanzierung vgl. in Kap. I: ,,Kommunikation und Vermittlung“. Ostakademie Lüneburg P 0/203 Personen R: Alexander Ringleb, Vom Verein Kriegerhilfe zum Juniklub/Ring, S. 4. BArch Koblenz N 231/30 NL Alfred Hugenberg / Allg. u. polit. Korrespondenz: Berichte über Walther Schotte; Walter Laporte und ein Informationsabend des Juni-Klubs. ,,Typisch jedoch für das Subventionssystem Alfred Hugenbergs war es, daß er den JuniKlub einerseits zentral und in einer der Führungsspitze bekannten Weise unterstützte, andererseits aber noch gesonderte Verbindungen zu einzelnen Mitgliedern pflegte.“ Holzbach: System Hugenberg, S. 158. BArch Koblenz N 231/30 NL Alfred Hugenberg: Brief und Bericht (17.08.1920) Alexander Ringleb an Alfred Hugenberg. Um den politischen Nutzen auszuloten, interessierte sich Hugenberg auch für Laportes strategische Position innerhalb der Partei oder persönliche Gepflogenheiten; ließ sich berichten, dass er ein ,,starker Frauenliebhaber“, ,,klug, sehr belesen und fleissig“ sei und englische Freunde habe.

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3. ,,Der Ruf will gehört sein“ – das Profil des Gewissens

in vielen Fällen auf.159 Er unterstützte auch die Auswahl Martin Spahns zum Leiter des Politischen Kollegs, der zu seiner wichtigsten Kontakt- und Vertrauenspersonen innerhalb der Ring-Bewegung wurde. Ihm gegenüber äußerte Hugenberg Kritik und Änderungswünsche am Kurs des Klubs und des Gewissens.160 Als er die finanziellen Rückstellungen, die dem gesamten RingKomplex zur Verfügung gestellt waren, reduzierte, gab Hugenberg gegenüber Spahn jedoch keine inhaltlichen Gründe an, sondern ,,eine unausweichliche Notwendigkeit“ in Anbetracht der voranschreitenden Finanzkrise.161 Mit dem durch Stellenabbau reduzierten Personal des Politischen Kollegs stand Hugenberg schließlich eine schlagkräftige Truppe zu verfügen, der er mehr Erfolg zuzutrauen schien als dem unübersichtlichen Konglomerat ,,mittelmäßiger Kräfte“ zuvor.162 Diese Nutzbarmachung war den Herausgebern und Autoren anscheinend selbst wenig bewusst. Anfang 1925, als die Personal- und Informationspolitik Hugenbergs bekannt wurde, gab sich Spahn zwar empört, aber glaubte nicht, dass Hugenberg der eigentliche Anstifter gewesen sei.163 Hugenberg war auch auf parteipolitischer Ebene mit Spahn verbunden. Seit dem Sommer 1921 hatte sich der öffentlichkeitswirksame Übertritt Martin Spahns vom Zentrum in die DNVP angebahnt. Hugenberg und Stadtler überzeugten den Professor schließlich davon, dass eine nationalistische Politik mit dem Zentrum keine Chance habe.164 Als sein Parteikollege und Reichskanzler Konstantin Fehrenbach im April 1921 das Londoner Protokoll annahm, in dem die vorläufige deutsche Schuldensumme festgelegt worden war,165 warf Spahn ihm Unterwürfigkeit vor, anstatt dass er den ,,märtyrerhaften aber edleren“ Weg wähle.166 Nach Fehrenbachs Rücktritt wurde der von Spahn kaum weniger verachtete bisherige Außenminister Joseph Wirth zum Kanzler. Dessen vorbehaltlose Annahme des Londoner Ultimatums 159 160 161 162

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BArch Koblenz N 1324/86 NL Martin Spahn: Brief (18.09.1920) Martin Spahn an Alfred Hugenberg. BArch Berlin R 118/36 Akten des Politischen Kolleg: Brief (23.09.1922) Alfred Hugenberg an Martin Spahn. BArch Berlin R 118/36 Akten des Politischen Kolleg: Brief (02.10.1922) Alfred Hugenberg an Martin Spahn BArch Berlin R 118/36 Akten des Politischen Kolleg: Brief (04.10.1922) Alfred Hugenberg an Martin Spahn. unserer Bewegung“. BArch Berlin R 118/12 Akten des Politischen Kollegs: Rundbrief (Feb. 1922) Dr. Rosenberger. ,,Naturgemäß ist es nunmehr für mich, und ich nehme an, auch für alle anderen an der Sache Beteiligten unmöglich, mit Vertretern von Ihnen Rücksprache zu pflegen, wenn wir nicht durch Sie die absolute Bürgschaft bekommen, dass wir nicht das Opfer von Hinterhältigkeiten werden [...].“ BArch Berlin R 118/35 Akten des Politischen Kollegs: Brief (12.02.1925) Martin Spahn an Alfred Hugenberg; vgl. auch Brief (14.02.1925) Martin Spahn an Alfred Hugenberg. Holzbach: System Hugenberg, S. 129. Peukert: Weimarer Republik, S. 63. Martin Spahn (24.04.1921): Nichtswürdig die Nation, die nicht ihr Alles setzt an ihre Ehre, in: Gewissen, 3, H. 17, S. 1–2.

3.2 Im Spannungsfeld: Jungkonservative und Politik

253

dürfte einer der Auslöser für Spahns endgültigen Rückzug gewesen sein. Spahns Übertritt wurde während eines DNVP-Parteitages als Schlag gegen das Zentrum und Erzberger inszeniert.167 In der DNVP angekommen, veröffentlichte Spahn einen durchaus optimistisch formulierten Kommentar zu ,,Staat und Wirtschaft“168 , wonach Deutschland durch vereinte Wirtschaftskräfte und ihre Führer wieder an Macht gewinnen könnte. Spahns GewissenArtikel argumentierten von nun an unumwundener gegenüber der politischen Situation und waren nicht mehr allein um eine historische Einordnung der Tagespolitik bemüht. Parallel zur Konferenz von Genua im Frühjahr 1922, mit der die von Wirth im Jahr zuvor ausgerufene Erfüllungspolitik vorerst an den beträchtlichen Reparationsforderungen der Alliierten scheiterte, wandte sich Spahn sogar direkt an die ,,Führer der Rechten“ und die ,,Führer der Wirtschaft“, politisch einzugreifen, um der drohenden französischen Konfrontation zuvorzukommen.169 Während Spahn die prominenteste Figur an der Schnittstelle zwischen Partei und Ring-Bewegung darstellte, pflegten auch andere Parteimitglieder Kontakte.170 Unter anderem war die DNVP ab 1919 an einem ,,intellektuellen Diskussionsforum“ namens ,,Staatspolitische Gesellschaft“ beteiligt, in der DNVP- und Juni-Klub-Mitglieder aufeinander trafen. Max Hildebert Boehm war zeitweise Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft, die sich wiederum ,,in scharfem Gegensatz zu Hugenberg“171 stellte. Hieraus ergab sich einiges Konfliktpotenzial, denn das Politische Kolleg arbeitete mindestens bis 1925 mit der Arbeitsgemeinschaft zusammen.172 Neben Martin Spahn traten bis spätestens 1924 auch Stadtler vom Zentrum und Reinhold Georg Quaatz von der DVP in die DNVP ein. Ähnlich interessengebunden waren Fritz Ehrenforth, Mitglied im Landwirtschaftsrat und im landwirtschaftlichen Reichsausschuss sowie Franz Röhr, Mitarbeiter des christlichen Gewerkschaftsführers und preußischen Ministers Adam Stegerwald, zu dem auch Hermann Ullmann engen Kontakt hatte.173 Auch im äußeren Kreis gab es Vertreter der preußischen Landwirtschaftskammer, DNVPMitglieder, Fabrik-Besitzer, Lobbyvertreter und Ministeriale. Parallel zu den vielen Kontakten bemühten sich die Jungkonservativen im Gewissen, dem Gesamtphänomen DNVP kritisch entgegenzutreten. Zum einen gab es die starke monarchistische Fraktion innerhalb der Partei 167 168 169 170 171

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BArch Koblenz N 1324/3 NL Martin Spahn: Brief (24.08.1921) Eduard Stadtler an Martin Spahn; Brief (25.08.1921) Eduard Stadtler an Martin Spahn. Martin Spahn (05.12.1921): Staat und Wirtschaft, in: Gewissen, 3, H. 49, S. 1. Martin Spahn (03.04.1922): Der Weg ins Freie, in: Gewissen, 4, H. 14, S. 1–2. Holzbach: System Hugenberg, S. 159. BArch Koblenz N 1077/1 NL Max Hildebert Boehm: Um das gefährdete Deutschtum, S. 152. Die ,,Staatspolitische Gesellschaft“ war nach Boehms Meinung ,,Keimzelle der späteren Volkskonservativen Partei und damit auch der CDU“. Petzinna: Erziehung, S. 133. Hachmeister: Theoretische Publizistik, S. 84.

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3. ,,Der Ruf will gehört sein“ – das Profil des Gewissens

und zum anderen bestand die paradoxe Situation, dass die DNVP in die Entscheidungs- und Bürokratieprozesse des Reichstags eingebunden war, gegen die man im Gewissen so heftig opponierte. Um inhaltliche Zustimmung deutlich zu machen, ohne die Partei zu goutieren, wurden einzelne Personen hervorgehoben.174 Um die möglichen verderblichen Auswirkungen des parlamentarischen Systems auf inhaltliche Überzeugungen herauszustreichen stellte Boehm in seiner Kritik des deutschnationalen Parteiprogramms fest: ,,Die Grundgefahren der Deutschnationalen sind einerseits unschöpferische und zugleich untaktische Reaktion, andererseits Liberalisierung statt Annäherung an den Sozialismus. Verführend wirkt das Massenressentiment der Revolutionsenttäuschten, das der Rechten unsicheren Scheinanhang zuführt und sie zu Demagogie verlockt. Auch der wachsende Antisemitismus liefert ihr billige und nicht unbedenkliche Parolen.“175

Stadtler schätzte die internen Auseinandersetzungen der DNVP ähnlich ein: man stritt um die falschen ,,Gesichtspunkte Philosemitismus und Antisemitismus“.176 Für die Einigung aller Klassen und die Vertretung einer nationalistischen Politik im Parlament war aus Sicht der Gewissen-Autoren dieser Themenbereich zunächst nachrangig. 1924, als sich die Regierungsbeteiligung der Partei abzeichnete, empfahl Walther Schotte der DNVP schließlich einen pragmatischen Umgang mit dem ungeliebten System. Die Partei solle ,,als Regierungs- oder Oppositionspartei nicht [...] naiv und grobschlächtig ins Werk [setzen], was der Glaubenskampf der nationalen Opposition als solcher fordert. Ihre Mission besteht darin, in verantwortlicher Regierungsarbeit oder in verantwortlicher Parteiopposition scharf Front zu machen gegen die Erfüllungspolitik, wie es Helfferich in seinem zu Vermächtnis gewordenen Aufsatz getan hat, die nachrevolutionäre Politik in Praxis abzubauen und außenpolitische Bewegungsfreiheit wiederzugewinnen.“177

Reinhold Georg Quaatz war eine DNVP-Persönlichkeit, der aus GewissenSicht ,,unabhängige Urteilskraft“ zugetraut wurde. Der ehemalige Beamter bei der preußischen Staatseisenbahn und Verkehrsexperte seiner Partei engagierte sich im Westen des Landes für die Organisation berufsständischer Einrichtungen.178 Im Gewissen schrieb er 1920 regelmäßig über die not174

175 176 177 178

Chronist [P] (30.06.1920): Reichstags-Eröffnung, in: Gewissen, 2, H. 25, S. 1 und 3; Chronist (21.04.1920): Zwei Reden: Scheidemann und Heim, in: Beilage Gewissen, in: Gewissen, 2, H. 15, S. 6; Asmus Gendrich (17.11.1920): Der deutsch-nationale Parteitag in Hannover, in: Gewissen, 2, H. 45, S. 4. Max Hildebert Boehm (28.01.1920): Deutschnationale Volkspartei, in: Beilage Liga zum Schutze der deutschen Kultur, in: Gewissen, 4, H. 4, S. 5. BArch Koblenz N 1324/3 NL Martin Spahn: Brief (27.06.1919) Eduard Stadtler an Martin Spahn. Walther Schotte (28.04.1924): Das Testament des Führers, in: Gewissen, 6, H. 17, S. 1–3. Stadtler war begeistert von Quaatz’ Engagement, er sei ,,ununterbrochen tätig“: BArch Koblenz N 1324/3 NL Martin Spahn: Brief (21.10.1920) Eduard Stadtler an Martin Spahn. R. G. Quaatz (1876–1953) war bis 1919 im preußischen Staatsdienst, 1920-1923 Syndikus der Essener Handelskammer und 1920–1933 DNVP-Abgeordneter im Reichstag. 1933 wurde er aufgrund seiner jüdischen Herkunft aus dem Aufsichtsrat der Dresdner Bank und als Geschäftsführer der Vereinigung niederrheinisch-westfälischer

3.2 Im Spannungsfeld: Jungkonservative und Politik

255

wendige Entstaatlichung der Wirtschaft. Anknüpfend an die Erfahrungen der Kriegswirtschaft forderte Quaatz weiterhin die nationale Ausrichtung wirtschaftlicher Entscheidungen, aber gleichzeitig müsse der Staat sich aus den entsprechenden Organen zurückziehen. Die Begründung für diese Form von ,,Wirtschaftssolidarität“ generierte Quaatz aus den bekannten Volksgemeinschafts-Vorstellungen: ,,Wir suchen uns zu besinnen auf die Eigenart unseres Volkes. Wir versuchen aus den gesunden Elementen unserer Volkswirtschaft die Grundlagen eines neuen organisatorischen Gedankens herauszufinden. Wir glauben ihn gefunden zu haben in dem Gedanken der wirtschaftlichen Selbstverwaltung.“179

Auch DNVP-Mitglied Paul Lejeune-Jung schrieb im Gewissen. Er war studierter Historiker, während des Krieges in der Kriegsrohstoffabteilung tätig, Besitzer einer Zellstofffabrik und bot ideale Voraussetzungen, um die gegenwärtigen Versorgungsprobleme mit historischer Sinndeutung verbinden zu können. Anfang 1921 traf er sich mit Stadtler zum Gedankenaustausch und hinterließ den ,,besten Eindruck: in der Idee fest. Nicht minder fest im praktischen Wollen“.180 Im Gewissen veröffentlichte er jedoch nur einen Artikel, in dem er einen historischen Abriss der Kolonialkonferenzen vorlegte, die Großbritannien seit 1887 mit seinen Dominien austrug.181 Lejeune-Jungs Huldigung des ,,angelsächsischen Bund der Nationen“ und seine Kritik am Zentralstaat zielte zunächst, ebenso wie Quaatz‘ Forderungen, auf den Ausbau der Selbstverwaltungsorgane und die Zurückdrängung formaler, zentraler staatlicher Instanzen. Darüber hinaus zeichnete er eine klare Strategie, um Deutschlands Hegemonie innerhalb ,,Mittel-Europas“ aufbauen zu können. Eine ideelle Nahtstelle zwischen Partei und Ring-Bewegung stellte der DNVP-Vordenker Friedrich Brunstädt dar, dessen Veröffentlichung zu ,,Deutschland und der Sozialismus“ Ende 1924 in Auszügen auch im Gewissen abgedruckt wurde.182 Obwohl Brunstädt versuchte, eine konstruktive

179 180 181

182

Handelskammern entlassen. Bis 1945 war er als Rechtsanwalt in Berlin tätig, danach wurde er Dozent an der Kirchlichen Hochschule in Berlin und unterstützte die CDUGründung in Berlin. Reinhold Georg Quaatz (08.09.1920): Was wir wollen, in: Gewissen, 2, H. 35, S. 3–4. BArch Koblenz N 1324/3 NL Martin Spahn: Brief (08.02.1921) Eduard Stadtler an Martin Spahn. Paul Lejeune-Jung (18.07.1921): Die britische Reichskonferenz, in: Gewissen, 3, H. 29, S. 3. Lejeune-Jung (1882-1944) war katholischer Rheinländer, Unternehmer in der Papierindustrie. Bemerkenswert ist sein politischer Werdegang vom Zentrums-Mitglied zur DNVP, deren Parteivorstand er angehörte; 1930 kehrte er wieder ins Zentrum zurück. BArch Berlin R 8034 III/273 Presseausschnittsammlung – Reichslandbund, Personalia Paul Lejeune-Jung. Nach 1933 konnte Lejeune sich politisch nicht mehr betätigen, ab 1941 war er in Kontakt mit dem Goerdeler-Kreis und dort als Wirtschaftsminister vorgesehen. Im August 1944 verhaftete ihn die Gestapo, im September wurde er in Berlin-Plötzensee hingerichtet. Vgl. Internet-Auftritt der Gedenkstätte Plötzensee: http://www.gdw-berlin.de/bio/ausgabe_mit.php?id=54, 18.5.2009. In dieser Schrift ordnete Brunstädt die sozialistische Bewegung als Teil der nationalen

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3. ,,Der Ruf will gehört sein“ – das Profil des Gewissens

konservative Politik zu formulieren, die über die Ablehnung der Republik von Weimar hinausginge183 pflegte er einen durchaus jungkonservativen Denkstil, indem er seine Konservatismusvorstellung durch metapolitische, mystisch verklärte Staats- und Volksideen begründete. Das Verhältnis der Jungkonservativen zur DNVP beruhte, wie gezeigt wurde, auf der Überzeugung, politischen Einfluss üben zu können. Die faktische Abhängigkeit des Gewissens von Geldzuwendungen des DNVP-Politikers Hugenberg wurde aus jungkonservativer Sicht als Bestätigung der eigenen Arbeit gesehen. Sie blendeten zudem Hugenbergs funktionales und nicht auf Vertrauen basierendes Verhältnis zum Gewissen und zum Juni-Klub weitgehend aus. Das Gewissen pflegte darüber hinaus weitere Kontakte zu DNVP-Politikern, die im Gewissen im parteipolitischen Sinne veröffentlichten. Der Wandel von einer kritischen Haltung gegenüber der DNVP-Programmatik zur offenen Unterstützung ließ sich unter anderem an den Veröffentlichungen des parteipolitisch konvertierten Martin Spahns ablesen. 3.2.3 Versuch der Teilhabe: Stadtler und die Reichstagswahl 1920 Während Martin Spahn sein Parteiengagement öffentlich zurückhaltend präsentierte, konzentrierte sich Eduard Stadtler nach Beendigung seiner antibolschewistischen Liga-Organisationen auf einen populären parteipolitischen Einfluss. Schon zur Wahl der Nationalversammlung im Januar 1919 hatte er gehofft, für das Zentrum, dessen Mitglied er zu diesem Zeitpunkt noch war, in die Versammlung einziehen zu können. ,,Von der Weimarer Tribüne“ hätte er gern ,,die Sprache der neuen Zeit geredet“, um seinen ,,jetzigen politischen Bestrebungen entscheidenden Rückhalt zu schaffen.“184 Stadtlers widersprüchliche Haltung gegenüber den politischen Einrichtungen der Republik spiegelte sich in seinem Verständnis vom Verhältnis zwischen Revolution und Parlament. Während er im Mai 1919 in einem GewissenArtikel die Durchsetzung der ,,Weltrevolution“ unter deutscher Federführung nur nach Abschaffung des Parteiensystems voraussagte185 , äußerte er gegenüber Spahn, er würde gern das Parlament von innen heraus ,,geistig [...] revolutionieren“.186 Die Gewissheit, unter Berliner Politikern eine geistige ,,Bombe einschla-

183 184 185 186

,,Verwirrung“ und ,,Selbstentfremdung“ Deutschlands während des 19. Jahrhunderts ein. Friedrich Brunstädt (14.12.1924): Deutschland und der Sozialismus, in: Gewissen, 6, H. 50, S. 2–3. Bussche: Konservatismus, S. 94-105. BArch N 1324/3 NL Martin Spahn: Brief (11.02.1919) Eduard Stadtler an Martin Spahn. Eduard Stadtler (03.05.1919): Die Idee der Weltrevolution, in: Gewissen, 1, H. 4, S. 1. BArch Koblenz N 1324/3 NL Martin Spahn: Brief (21.02.1919) Eduard Stadtler an Martin Spahn.

3.2 Im Spannungsfeld: Jungkonservative und Politik

257

gen“ lassen zu können, zog Stadtler aus seinen Erfahrungen mit der Tagespolitik. Die Regierung sei ,,dummdreist“, mache taktische Fehler und selbst der von ihm geschätzte Gustav Noske habe keinen ,,Schimmer von Geistigkeit“ und versenke sich in ,,militärischem Kleinkram“. Mit solchem Personal als Konkurrenz hoffte Stadtler auf einen Aufstieg innerhalb des Systems. In diesem Sinne bezeichnete Stadtler seine neuen Mitstreiter aus dem Solidarier-Kreis und dem Juni-Klub als ,,politische Geistesrevolutionäre“187 , die nun ,,unserm armen Volke die Wege zur Rettung zeigen“.188 Nach Gründung des Klubs und im sicheren Kreis engagierter, außerparlamentarischer Gleichgesinnter, ging Stadtler scheinbar auf Distanz zum Parlamentarismus. Mittlerweile setzte er auf eine Strategie der ,,Parteiüberwindungsbestrebungen“, um interessierte Politiker sukzessive aus den Parteien abziehen zu können, damit diese sich von innen heraus zersetzten. Die Überzeugungsarbeit sollte vor allem bei den Intellektuellen in und außerhalb der Parteien ansetzen, bei ihnen sei ,,der Boden außerordentlich günstig“.189 Stadtlers Strategie zielte auf die radikalkonservativen Kräfte in DNVP und DVP, weshalb er sich Anfang 1920 um eine ,,Einheitsfront“ beider Parteien bemühte.190 Stadtlers Haupttätigkeit bestand aus Besprechungen mit Politikern auf verschiedenen Ebenen, um diese in ihrer parteipolitischen Arbeit zu beeinflussen.191 Bis zu den ersten Reichstagswahlen im Juni 1920 machte sich Stadtler Hoffnung, mit einer eigenen ,,Arbeitsgemeinschaftsliste“ antreten zu können. Nach einer Veranstaltung in Sachsen mit ,,2000 Menschen, Bürgerlichen und Proletariern“192 habe er zusammen mit Vertretern des MittelstandsKartells, des Verbands sächsischer Industrieller, dem Kaufmännischen Verein und Industrie- und Arbeitsgruppen beschlossen, dass er als Kandidat aufgestellt werden solle. Unter dem Motto ,,Wirtschaftskabinett“ kursierte 187 188 189 190

191

192

Ebd. BArch Koblenz N 1324/3 NL Martin Spahn: Brief (27.06.1919) Eduard Stadtler an Martin Spahn. Ebd. Eduard Stadtler (04.02.1920): Die wahre Einheitsfront, in: Gewissen, 2, H. 5, S. 1–2. Mit dem Parteiprogramm der DVP konnten die Gewissen-Herausgeber schwerlich übereinstimmen, schließlich stand in ihm auch das Bekenntnis zum Liberalismus und zur Monarchie: Dohna, Graf Alexander (28.01.1920): Die Deutsche Volkspartei, in: Beilage Liga zum Schutze der deutschen Kultur, in: Gewissen, 2, H. 4, S. 6. Die Annäherungen ergaben sich im weiteren Verlauf durch informelle Kontakte. Lösche/Walter: Katholiken, S. 479. Vgl. auch Ludwig Richter: Die Deutsche Volkspartei 1918–1933, Düsseldorf 2002. 1921, während eines typischen Arbeitstages von Stadtler kam er zu Besprechungen mit dem Leiter des Landesverbandes VDA über die Zukunft seiner Liga, im Reichstag mit Gustav Stresemann und anschließend im Künstlerhaus mit verschiedenen Abgeordneten der DNVP und DVP. Alle Treffen endeten mit dem Beschluss, sich zu einer weiteren Besprechung zu treffen. BArch Koblenz N 1324/3 NL Martin Spahn: Brief (07.03.1921) Eduard Stadtler an Martin Spahn. BArch Koblenz N 1324/3 NL Martin Spahn: Brief (30.04.1920) Eduard Stadtler an Martin Spahn.

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3. ,,Der Ruf will gehört sein“ – das Profil des Gewissens

Stadtlers Idee, mit der er insgesamt 100 000 Mark an Spenden einsammeln konnte. Auf einer vorzuschlagenden Liste hatte Stadtler namhafte Vertreter einflussreicher Wirtschafts- und Arbeitnehmerkreise aufgeführt: Stinnes, Hugenberg, Albert Vögler, Carl Legien, Otto Hué und Adam Stegerwald sollten die Industriearbeitsgemeinschaft vertreten, vorneweg Alexander von Wangenheim vom BdL die Landarbeitsgemeinschaft, Reinhold Georg Quaatz das Verkehrswesen. Stadtler, Spahn, Gleichen, Boehm, Röhr, Herrfahrdt, Weth wurden, neben Georg Bernhard und August Müller, als ,,Vorkämpfer“ geführt. Ob Stadtler von allen aufgeführten Kandidaten die Zustimmung erhalten hatte, bleibt fraglich. Im Gewissen unterstützte Gleichen den Plan Stadtlers, aber forderte zusätzlich, das Kabinett mit diktatorischer Gewalt auszustatten. Da Gleichen, anders als Stadtler, keine Rücksichten auf Anhänger aus der Arbeiterbewegung nehmen wollte, konnte er konsequenter eine ,,Diktatur der Sachverständigen“ fordern.193 Noch kurz vor der Wahl war Stadtler sicher, in höchsten Kreisen Anhänger gefunden zu haben: Reichswehrchef Hans von Seeckt habe sich ,,dritten gegenüber als Anhänger meiner Ideen bezeichnet“194 , und mit Albert Vögler verhandele er über die Besetzung des Kabinetts. Stadtler war irritiert, dass Vögler bei der Besetzung des Innenressorts für Carl Severing, den preußischen Innenminister, plädierte, für das er Adam Stegerwald favorisierte. Aber über Personalien glaubte er noch verhandeln zu können, enttäuschter war er über die Tatsache, dass Vögler, als wichtiges DVP-Mitglied, in der entscheidenden Planungsphase wegen Familienangelegenheiten ,,für 3 Tage entwischt“ war: ,,Zum Davonlaufen“ sei das!195 Aus der Arbeitsgemeinschaftsliste wurde schon aufgrund des Reichswahlgesetzes nichts, aber Stadtler glaubte dennoch, mit seiner Propaganda und Kontaktarbeit die DVP für den Plan eines Wirtschaftskabinetts gewonnen zu haben. Im Gewissen ließ Stadtler kein Wort über seine Vernetzung in die Parteipolitik verlauten, stattdessen setzte er sich mit dem Vorwurf auseinander, der Ring würde sich aus verantwortungsvoller Politik heraushalten. Er und Gleichen standen vor dem Problem, ihr ernsthaftes politisches Engagement bekannt zu machen, ohne den Eindruck zu erwecken, an irgendeine Parteipolitik angebunden zu sein. Stadtler stellte deshalb im Gewissen fest: ,,Wir selbst wissen uns politisch so lichtstark, dass wir die Farblosigkeit der mattschillernden oder völlig verblassten Parteiideale ablehnen; so gesinnungsfest, daß wir uns der Gesinnungslosigkeit des kompromißlerisch feigen Parteiformalismus mit Bekenntnisfreudigkeit entgegenwerfen: so willenskräftig, daß wir der mechanistisch–fatalistischen Tateinstellung der Parteiführer (von den Massen ganz zu schweigen) den Krieg erklären.“196 193 194 195 196

Heinrich von Gleichen (04.02.1920): Diktatur der Sachverständigen, in: Beilage Liga zum Schutz der deutschen Kultur, in: Gewissen, 2, H. 5, S. 6. BArch Koblenz N 1324/3 NL Martin Spahn: Brief (10.06.1920) Eduard Stadtler an Martin Spahn. Ebd. Eduard Stadtler (02.06.1920): Die Rettung der Mitte, in: Gewissen, 2, H. 21, S. 1–2.

3.2 Im Spannungsfeld: Jungkonservative und Politik

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Die ,,Kriegserklärung“ beinhaltete Stadtlers Plan, nationalistische Wirtschaftspolitiker aus DNVP und DVP mit Wirtschaftsvertretern zusammenzubringen, um ein Kabinett zu bilden. Gleichen nahm in derselben GewissenAusgabe deutlicheren Abstand von parteipolitischen Verbindungen und stellt mit Blick auf die Reichstagswahlen fest: ,,Unser Volk erhofft von keinem Parteimann mehr wahrhafte Wendung des Geistes. Ihre Versprechungen blieben zu oft unerfüllt, hundertmal Lüge.“197 Nach der Wahl im Juni 1920 mussten die bürgerlichen Parteien Zentrum, DDP und DVP eine Minderheitenregierung bilden. Die DVP hatte knapp 14 % der Stimmen erhalten und bildete mit DDP und dem gleichstarken Zentrum eine Koalition, in der sie nur das Wirtschafts- und Justizressort und die Vizekanzlerschaft erhielt. Stadtler äußerte sich entsetzt, dass die ,,führenden Männer der Wirtschaft“ während der Koalitionsverhandlungen versagt hätten. Die ,,alte Mitte“198 sei zwar zerfallen, aber die Parteien hatten dennoch nach Parteiproporz die Posten verteilt. Als Vögler dann endlich in Berlin eintraf, berichtete Stadtler an Spahn, war dieser konsterniert vor ,,fertige Tatsachen“ gestellt gewesen.199 Stadtler war von der mangelnden Entschlusskraft der beteiligten Politiker und Wirtschaftsvertreter enttäuscht und sah durch Stinnes’ und Vöglers Passivität die große Chance verpasst, eine ,,interfraktionelle Wirtschaftsvereinigung im Parlament“ einzurichten. Im Gewissen äußerte Stadtler jedoch vor allem seinen Verdruss über den parlamentarischen Wahlvorgang: ,,In dem Eingeständnis, daß Wahlen zwar einen mehr oder weniger guten Stimmungsbarometer für Massenstimmungen, aber durchaus keine adäquate Ausdrucksform des Volkswillens bilden, begegnet sich heute das deutsche Volksbewußtsein mit der klaren Einsicht führender Politiker aller Parteien.“200

Stadtlers Frustration über die zurückhaltenden Wirtschaftsführer lag ein Grundproblem in der deutschen Arbeitgeberschaft zugrunde, die zwar weitgehend kritisch dem allgemeinen freien Wahlrecht gegenüberstand, aber sich ebenso in einer ,,unübersehbaren patriarchalischen Behäbigkeit“ auf dem politischen Parkett bewegte.201 Großindustrielles Engagement in der Politik, wie das von Hugo Stinnes, war eher die Ausnahme als die Regel. Wirtschaftsführer bevorzugten die indirekte, diskrete Beeinflussung wie sie der Pressemarkt möglich machte.202 Ein ,,Wirtschaftskabinett“, in dem parteilose Interessenvertreter aus der Wirtschaft saßen, würde erst zwei Jahre 197 198 199 200 201 202

Chronist [P] (02.06.1920): Die brennendste Frage, in: Gewissen, 2, H. 21, S. 1. Eduard Stadtler (11.06.1920): Regierungsbildung und Erzberger, in: Gewissen, 2, H. 22, S. 1–2. Feldman: Hugo Stinnes, S. 632. Eduard Stadtler (11.06.1920): Regierungsbildung und Erzberger, in: Gewissen, 2, H. 22, S. 1–2, hier 2. Koszyk: Deutsche Presse, S. 162. Ebd., S. 164.

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3. ,,Der Ruf will gehört sein“ – das Profil des Gewissens

später, 1922 unter Reichskanzler Cuno gebildet werden. Die Chance der ersten Reichstagswahl im Sommer 1920 sah Stadtler mutwillig vertan und er grollte Vögler und Stinnes – der seine Silberne Hochzeit gefeiert hatte – aber auch dem zaghaften Spahn: ,,Immer heisst es, die Situation ist noch nicht reif. Ich sehe nur noch den Mangel an grossem Wollen. Familie, Eigensorgen und Eigengeschäft haben in solchen Momenten einfach zurückzutreten. Von jedem einfachen Musketier hat das Deutsche Reich im Krieg das ganze Opfer, das letzte Opfer verlangt, und jetzt werden Hochzeitsfeste, sonntägliche Familienfreuden und Berufsangelegenheiten vor den Ruf des Landes gestellt.“203

Im Gewissen griff Stadtler die Wirtschaftsführer nicht direkt an, aber malte in düsteren Farben die Folgen der Kompromisspolitik an die Wand: ,,So wird keine Mitte, so wird keine neue Politik, so wird keine neue Führung werden. Die Koalition erweitert sich zwar nach rechts, saugt von dort parlamentarische Zahlenkraft auf, aber der Schwerpunkt bleibt der alte: leere Mitte.“204

Einen deutlichen Vorwurf gegenüber Stinnes bildete der letzte Absatz in Stadtlers Artikel, in dem er Parallelen zu Wilhelm II. skizzierte, der als schwacher Politiker ,,im öffentlichen Leben jedem Problem“ ausgewichen sei. Auf diese Weise würde ,,den anderen, die für den Zusammenhang von politischer Macht, wirtschaftlicher Macht und geistiger Macht eine feine Nase haben, das Feld überlassen“.205 Kurz danach bat er Vögler noch einmal auf Spahn einzuwirken, damit dieser sich aktiv in die Regierungspolitik auf Seiten des parteilosen Außenministers Walter Simons einbringe, um ,,innerhalb der neuen Regierung eine Macht“ aufzurichten.206 Insgesamt müssten die ,,vorhandenen Kräfte“ besser ausgenützt werden, denn ,,das Hochschul-Projekt geht nicht voran, das Gewissen laboriert mit finanziellen Schwierigkeiten, die Kräfte des Juni-Klubs liegen brach, Spahn verkrümelt sich in Zeitungsartikeln und Lehrtätigkeit an falschem Ort“. Nach der enttäuschenden Wirtschaftsinitiative verlagerten sich viele Aktivitäten der Ring-Bewegung auf den Ausbau der außerparlamentarischen Organisationsstrukturen.207 Im Gewissen behielt man die kritische Beobachtung und Kommentierung der Parteipolitiken bei, da weiterhin darauf gesetzt wurde, durch persönliche Einflussnahme die Tagespolitik bestimmen zu können.208 Durch die Gründung des Münchner Juni-Klubs hatte sich der 203 204 205 206 207 208

BArch Koblenz N 1324/3 NL Martin Spahn: Brief (16.06.1920) Eduard Stadtler an Martin Spahn. Eduard Stadtler (23.06.1920): Politik der Mitte, in: Gewissen, 2, H. 24, S. 1–2. BArch Koblenz N 1324/3 NL Martin Spahn: Brief (29.07.1920) Eduard Stadtler an Albert Vögler. Ebd. BArch Koblenz N 1324/3 NL Martin Spahn: Brief (27.08.1920) Eduard Stadtler an Martin Spahn. Eduard Stadtler (14.07.1920): Überwindung der Parteipolitik, in: Gewissen, 2, H. 27, S. 1–2.

3.2 Im Spannungsfeld: Jungkonservative und Politik

261

Austausch mit katholischen Publizisten wie Carl Muth und Paul Nikolaus Cossman und Politikern in Bayern verstärkt. Stadtler hoffte sogar auf neue Impulse für eine eigene Parteienbildung.209 In seinen Ausführungen gegenüber Spahn bewies er strategische Einsichten in die Operationalisierbarkeit persönlicher Feindschaften: ,,Wir müssen im Laufe des Winters zu einer Parteien-Umgruppierung kommen. Das Auftreten Erzbergers zwingt dazu. Da es im Parteileben immer leichter ist, Menschen durch eine Anti-Einstellung zu solidarisieren, wird das Antierzbergertum, das als Sprengmittel für das Alte wirkt, zugleich Bindemittel für das Neue werden.“210

Aber Spahn äußerte Bedenken gegenüber Stadtlers neuem Projekt, wie er auch dessen Vortragsinhalte nicht ganz plausibel und passend fand.211 Die Kluft zwischen strategischer Politik und taktischer Gelehrtheit tat sich in der Beziehung zwischen Stadtler und Spahn immer wieder auf. Während der eine darauf drängte, dass die Zeit reif sei für eine grundsätzliche politische Erneuerung und sich durch direkte Reaktionen bestätigt fühlte (,,Am Donnerstag Gevelsberg [...] Überfüllter Saal, stürmische Zustimmung, keine Diskussion“212 ), verharrte der andere aus seiner Sicht in einer veralteten Gelehrtenhaltung bloßer Kommentierung. Stadtler forderte politische Bekenntnisse und deutliche Positionierung, um politische Relevanz zu erreichen; wissenschaftliche Reputation allein reichten nicht mehr aus. Gleichzeitig beobachtete Stadtler misstrauisch konkurrierende Vereinsgründungen und Projekte aus rechtsoppositionellen Kreisen, die nicht im direkten Kontakt mit der Ring-Bewegung standen.213 Er hoffte bei jedem politischen Projekt, dass im Zweifelsfalle eine schlechte Umsetzung die eigenen Bemühungen im besseren Licht stehen lassen könnten.214 209 210 211

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BArch Koblenz N 1324/3 NL Martin Spahn: Brief (10.09.1920) Eduard Stadtler an Martin Spahn. Ebd. ,,Im Parteigetriebe komme ich mit meinen Ideen nicht durch, in der Wirtschaft habe ich kein Fundament, den Plan vom Roten Tag haben Sie glatt negiert und ziehen Sie mir auch noch das Politische Kolleg unter den Füssen weg. Dabei haben Sie seit Jahren immer erklärt, es sei schade, dass ich nur Agitator sei.“ BArch Koblenz N 1324/3 NL Martin Spahn: Brief (21.10.1920) Eduard Stadtler an Martin Spahn. Ebd. ,,Ich finde, dass vor allem Gerber und Glatzel sich ungemein wichtig dünken und einem Zusammengehen mit uns eigentlich nur aus geistig-monopolistischen Gründen ausweichen [...]“ BArch Koblenz N 1324/3 NL Martin Spahn: Brief (26.02.1921) Eduard Stadtler an Martin Spahn. Z. B. unterstützten DVP-Politiker die Gründung einer ,,Freien Deutschen Volkshochschule“: ,,Wenn die Sache gelänge, wäre es das parteipolitische Gegenstück zur Jäckh’schen Politischen Hochschule und insofern wäre es möglich, gerade aus der Gegenüberstellung der beiden die Jäckh’sche Hochschule auf das Niveau einer Parteihochschule herunter zu drücken und unsere Sache wirklich in die Höhe zu heben.“ BArch Koblenz N 1324/3 NL Martin Spahn: Brief (11.09.1920) Eduard Stadtler an Martin Spahn.

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3. ,,Der Ruf will gehört sein“ – das Profil des Gewissens

Stadtlers Bemühungen um eine parteipolitische Einheitsfront von DNVP und DVP scheiterten insgesamt an seinen verfehlten und teils unbegründeten Erwartungen an die Unternehmer. Diese sollten nach Stadtlers Ansicht in einem ,,Wirtschaftskabinett“ die Federführung der Einheitsfront übernehmen, aber er schätzte jeweilige Eigeninteressen falsch ein und war entsprechend enttäuscht von den politischen Überzeugungen seines Umfeldes. In der Auseinandersetzung mit seinem Förderer Martin Spahn über Art und Umfang des politischen Aktivismus zeigten sich die Grenzen von Stadtlers Einsatz innerhalb des Jungkonservatismus. Und auch im Gegensatz zu den wenig aufdringlich inszenierten Kontakten seines Mitherausgebers Heinrich von Gleichen zur DNVP agierte und publizierte Stadtler offener und angreifbarer. Im Herbst 1921 setzte sich das Gewissen intensiv mit der Reichsregierung auseinander, da Stadtler wegen eines Artikels gegen Kanzler Wirth verhaftet wurde. 3.2.4 Stadtlers Verhaftung und Gewissen-Verbot Im Oktober 1921 leitete der Oberreichsanwalt ein Strafverfahren wegen ,,diplomatischen Landesverrats“ gegen Eduard Stadtler ein.215 Anlass war die Veröffentlichung eines Artikels in der Täglichen Rundschau, in dem Stadtler dem Reichskanzler Wirth unter anderem vorwarf, eine Politik der Doppelmoral zu führen. Der Artikel ,,Ehrliche Politik“ war am 12. Oktober in der Täglichen Rundschau erschienen, ähnliche Aussagen hatte Stadtler schon im Mai 1921 unter dem Titel ,,Ehrliches Kabinett“ im Gewissen platziert.216 Stadtlers Angriff auf Reichskanzler Wirth lautete zugespitzt: Was solle das Ausland von Wirths Absage an die Gewaltpolitik halten, wenn es erfahren sollte, ,,daß Wirths gar kein Pazifist ist“, sondern ,,weitgehendes Verständnis“ für Militär wie auch Einwohnerwehren aufbringe? Die Formulierung, er sei kein Pazifist, reichten dem Reichskanzler aus, um persönlich ,,den Reichsjustizminister mit der sofortigen Verfolgung des Vergehens“ zu beauftragen, berichtete der Berliner Lokalanzeiger.217 Nach der Verhaftung Stadtlers und der Durchsuchung seiner Privaträume – bei der jedoch keine weiteren Hinweise auf Landesverrat gefunden wurden218 – entbrannte in der Presse eine heftige Auseinandersetzung über Recht und 215

216 217 218

§92 des Strafgesetzbuches sah vor, dass einen diplomatischer Landesverrat beging, wer ,,vorsätzlich Staatsgeheimnisse [...], von denen er weiß, daß ihre Geheimhaltung einer anderen Regierung gegenüber für das Wohl des Deutschen Reiches oder eines Bundesstaates erforderlich ist, dieser Regierung mitteilt oder öffentlich bekannt macht“. Eduard Stadtler (16.05.1921): Ehrliches Kabinett, in: Gewissen, 3, H. 20, S. 1–2; ders. (12.10.1921): Ehrliche Politik!, in: Tägliche Rundschau, H. 239. BArch Berlin R 8034III/446 Presseausschnittsammlung – Reichslandbund, Personalia Eduard Stadtler: Berliner Lokalanzeiger (14.10.1921): Zur Verhaftung Eduard Stadtler. Sonderarchiv Moskau ZChiDk Fonds 567 Op.1 d.4281 Akten zum Strafverfahren we-

3.2 Im Spannungsfeld: Jungkonservative und Politik

263

Unrecht gegenüber Stadtler.219 Während gemäßigte Zeitungen die Aussagen der Justiz akzeptierten, gegen Stadtler würde wegen eines ,,gewöhnlichen, gemeinen Verbrechens“ ermittelt,220 fanden antirepublikanische Zeitungen wie die Tägliche Rundschau in dem Vorfall weitere Hinweise für eine Gängelung rechter Publizisten: ,,Wenn Stadtler sich in seinen Aufsätzen in Gegensatz zu Mitgliedern der Regierung stellte, so geschah dies lediglich, um außenpolitische Wirkungen zu erzielen. Schließlich sei es ja auch ein jedem Deutschen durch die Verfassung gewährleistetes Recht, seine Meinung frei zu äußern. Dürfe dieses Recht nicht mehr ausgeübt werden, dann wäre St. allerdings ein Opfer des Systems Wirth und sein Schicksal könne jeden Tag auch andere Publizisten treffen.“221

Der Vorwurf des Landesverrats war in der Tat etwas prekär, denn wenn Stadtlers Andeutungen tatsächlich einem Verrat glichen, hätte dies auch seine Aussagen über Wirths Meinung bezüglich der Einwohnerwehren eingeschlossen. Stadtlers Belangung wegen Geheimnisverrats erschien insofern politisch wenig umsichtig, wenngleich die Berliner Zeitung die Situation eher lakonisch beurteilte: ,,Bisher zeigte er sich so schlecht informiert, daß es verwunderlich wäre, wenn er [Stadtler] Staatsgeheimnisse zu verraten hätte.“ Während seiner Vernehmung beteuerte Stadtler, seine Ausführungen hätten seine politische Meinung wiedergäben und beruhten keineswegs auf Akteneinsicht oder anderen Nachrichten.222 Stadtler wurde am nächsten Tag wieder entlassen, und die Mehrheit der Pressekommentare ergriff seine Partei gegen die ,,hochnotpeinliche Anklage“.223 Der Vorfall bot ergiebiges Material, um den Reichskanzler als hintertriebenen und zugleich tollpatschigen Interessenpolitiker darzustellen. Am 24. Oktober erschien im Gewissen eine Beilage ,,Zum Fall Stadtler“, die einen Pressespiegel und Martin Spahns Ehrenerklärung zusammenstellte.224 Da der Oberreichsanwalt keine weiteren belastenden Materialien finden konnte, machte er einen Vorschlag, der

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220 221 222

223 224

gen Landesverrats gegen Eduard Stadtler: Bericht (19.10.1921) des Oberreichsanwaltes Ebermayer an das Reichsjustizministerium. Artikel in D.A.Z., Rote Fahne, Der Tag, Münchner Neuesten Nachrichten, Kreuz-Zeitung, Berliner Tageblatt, Freiheit, Deutsche Tageszeitung, Hannoverscher Kurier zwischen 13. und 25. Oktober 1921. BArch Berlin R 8034III/446 Presseausschnittsammlung – Reichslandbund, Personalia Eduard Stadtler: Germania (14.10.1921); D.A.Z. (14.10.1921). BArch Berlin R 8034III/446 Presseausschnittsammlung – Reichslandbund, Personalia Eduard Stadtler: Tägliche Rundschau (14.10.1921). Sonderarchiv Moskau ZChiDk Fonds 567 Op.1 d.4281 Akten zum Strafverfahren wegen Landesverrats gegen Eduard Stadtler: Bericht (19.10.1921) des Oberreichsanwaltes Ebermayer an das Reichsjustizministerium. BARCH Berlin R 8034III/446 Presseausschnittsammlung – Reichslandbund, Personalia Eduard Stadtler: N.N. ,,Die Aufgeregten“, in: Der Tag (15.10.1921): Martin Spahn (24.10.1921): Der Universitätsprofessor Dr. Martin Spahn schreibt uns zu der Verleumdung der Germania, in: Beilage Gewissen: Der Fall Stadtler, in: Gewissen, 3, H. 43, S. 5.

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3. ,,Der Ruf will gehört sein“ – das Profil des Gewissens

letztlich dem Kanzler schadete und die angreifbare Position der Regierung verdeutlichte. Es erscheine ihm nunmehr erforderlich ,,eine Erklärung des Herrn Reichskanzlers darüber herbeizuführen, ob den sehr allgemein gehaltenen Behauptungen Stadtlers bestimmte konkrete Vorgänge zu Grunde liegen, die diesen allgemein gehaltenen Behauptungen einen gewissen Hintergrund geben und ihnen eine gewisse Bedeutung verleihen [...].“225

Wirth sollte in einem vertraulichen Gespräch mit dem Oberreichsanwalt angeben, auf welche geheimen Begebenheiten Stadtler hingewiesen habe. Nach diesem Gespräch und weiteren Befragungen von Wiederaufbauminister Walther Rathenau und Angehörigen des Reichswehrministeriums, musste das Verfahren gegen Stadtler im Dezember 1921 eingestellt werden. Die amtliche Reaktion auf Stadtlers Artikel war zwar nachvollziehbar, aber nützte letztlich, da die Anklage nicht aufrecht gehalten werden konnte, vor allem dem Gewissen und seinem Herausgeber Stadtler. Im Jahr darauf geriet das Gewissen erneut in Konflikt mit der Justiz. Am 19. Juli 1922 verhängte der Berliner Polizeipräsident aufgrund des Republikschutzgesetzes ein Verbot des Gewissens. Am gleichen Tag durchsuchten Beamte wie schon im Jahr zuvor die Wohnung von Eduard Stadtler, weil eine Anzeige wegen ,,Geheimbündelei“ vorgelegen habe. Stadtlers Tätigkeit beim ,,Stahlhelm“ und die für den Heimatbund Ostpreußen abgehaltenen ,,politischen Kurse“ schienen ihn zu belasten, aber eine Durchsuchung der Redaktionsräume brachte den Beamten keine weiteren Hinweise.226 Zur Begründung des Gewissen-Verbots, die in der letzten Juli-Ausgabe der Zeitschrift abgedruckt wurde, gab der Polizeipräsident an, dass der Inhalt des Artikels ,,Das Urteil eines amerikanischen Republikaners“227 ,,eine offensichtliche Verleumdung und Beschimpfung des Reichskanzlers und der Mitglieder der Regierung“ enthalte und das Heft deshalb ,,auf die Dauer von sechs Monaten von der Zustellung ab verboten“ werde.228 Mit dem ,,Gesetz zum Schutz der Republik“ sollten nach der Ermordung Walther Rathenaus im Juli 1922 rechte, radikalkonservative und völkische Einrichtungen stärker als bisher in den Blick genommen werden. In einem ,,Verzeichnis rechtsgerichteter Vereine und Vereinigungen“, die ab Juli unter Beobachtung gestellt waren, wurde auch der ,,Deutsche Ring“ mit Hauptsitz in Berlin aufgeführt.229 Wohl auch deshalb konnte die Behörde auf den 225

226 227 228 229

Sonderarchiv Moskau ZChiDk Fonds 567 Op.1 d.4281 Akten zum Strafverfahren wegen Landesverrats gegen Eduard Stadtler: Bericht (19.10.1921) des Oberreichsanwaltes Ebermayer an das Reichsjustizministerium. BArch Berlin R 8034 III/446 Presseausschnittsammlung – Reichslandbund, Personalia Eduard Stadtler: Berliner Lokal Anzeiger (21.07.1921): Die Haussuchung bei Dr. Stadtler. Fred W. Elven (17.07.1922): Das Urteil eines amerikanischen Republikaners. An die Schriftleitung der Wochenschrift ,Gewissen‘, in: Gewissen, 4, H. 29, S. 1. Gewissen (24.07.1922), 4, H. 30, S. 1. BArch Berlin R 8005/2 Deutschnationale Volkspartei/Geheimakten Hergt: Brief (10.07.1922) Staatsminister Hergt mit Anhang an alle Oberpräsidenten der Bezirke.

3.2 Im Spannungsfeld: Jungkonservative und Politik

265

Gewissen-Artikel vom 19. Juli kurzfristig reagieren. In dem Artikel hatte der Autor Fred W. Elven zunächst seine ausdrückliche Bewunderung für das politische Engagement der Ring-Bewegung ausgedrückt, dann die Reichsregierung angegriffen und ihr schließlich die Schuld an der Ermordung Rathenaus zugesprochen: ,,Herr Wirth behauptet, der Feind stehe rechts. Wir Amerikaner sind der Ansicht, daß starkes Empfinden allein einen Staat fest begründen kann, und daß jene, die Zwietracht stiften unter den Bürgern des Landes weiten Kreisen der Bevölkerung die Mitarbeit an seiner Wohlfahrt verleiden, die durch Schmähungen und Verdächtigungen Haß säen und böse Ernte vorbereiten, als die schlimmsten Feinde des staatlichen Gemeinwesens betrachtete werden müssen.“230

Zwei Wochen vor Drucklegung hatte Rudolf Pechel mit dem Verfasser des Artikels Fred W. Elven korrespondiert, ein nach eigenen Angaben aus Deutschland stammender Herausgeber der amerikanischen Cincinnatier Freien Presse. Pechel gratulierte zum Artikel, der in der Redaktion schon vorab allen zugänglich gemacht worden war und ,,grösste Freude bereitet und lebhafte Genugtuung ausgelöst“ habe, und versprach, den Beitrag über das Gewissen hinaus bekannt machen zu wollen.231 Elven trat im Artikel zum einen als Vertreter der USA auf, das als leuchtendes Beispiel für die Kraft ,,innerer Nationalisierung“ galt. Zum anderen betonte er seine ,,Blutsverwandtschaft“ mit den Deutschen, wodurch die Kritik die notwendige Legitimation und Glaubwürdigkeit erhielt. Die Strategie der Gewissen-Redaktion, einen amerikanischen Staatsbürger deutscher Herkunft, das ,,Urteil“ sprechen zu lassen, war wohl auch eine vorauseilende Reaktion auf das Republikschutzgesetz, das wenige Tage nach Erscheinen des Artikels erlassen wurde. Bevor der Artikel veröffentlicht wurde war sichergestellt, dass Elven nicht mehr im Land war und so konnte das Gewissen relativ gefahrlos auch folgende Passage veröffentlichen: ,,Aber nirgendwo in der weiten Welt wird man es verstehen, daß das deutsche Volk Männern die Leitung seine Geschicke überläßt, die an seinen besten Interessen zu Verrätern werden, indem sie in einer Zeit, da das Volk der Einigkeit so dringend bedarf, es innerlich zerreißen, durch widerliche Hetze die Bürger gegeneinander aufbringen, die sittlichen Grundlagen des Staates durch wüste Appelle an schlechte Instinkte vernichten und dadurch dem am Rhein stehenden erbarmungslosen Feind unmittelbar in die Hände arbeiten.“

Dieses Urteil ging weit über die Vorwürfe von ,,Schiebertum“, struktureller Korruption und Bürokratismus hinaus, und unterstellte der Reichsregierung vorsätzlichen Landesverrat. Der argumentative Anschluss an die Dolchstoßlegende war offensichtlich und hier wie dort war das Schicksal des Opfers

230 231

Fred W. Elven (17.07.1922): Das Urteil eines amerikanischen Republikaners. An die Schriftleitung der Wochenschrift ,Gewissen‘, in: Gewissen, 4, H. 29, S. 1. BArch Koblenz N 1160/144 NL Rudolf Pechel: Brief (07.07.1922) Rudolf Pechel an Fred W. Elven.

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3. ,,Der Ruf will gehört sein“ – das Profil des Gewissens

im Rahmen der politischen Instrumentalisierung völlig nebensächlich.232 Die Argumentationsstrategie Elvens nahm den Vorwurf auf, der Feind stehe rechts und kehrte ihn gegen seinen Absender Wirth, der die ,,widerliche Hetze“ bewusst einsetzen würde. Ohne einen Gegenbeweis aufbringen zu müssen drückte Elven den Kanzler auf diese Weise in die Defensive. Aus dieser Sichtweise machte die Anwendung des Republikschutzgesetzes gegen das Gewissen die Zeitschrift zu einem Opfer politischer Willkür. Die Gewissen-Redaktion legte gegen das Verbot durch einen Anwalt Beschwerde ein, dessen Begründung weitere Aspekte der Gewissen-Strategie deutlich machte.233 Der Vorwurf der Verleumdung wurde zurückgewiesen, da der Artikel nicht ,,wider besseres Wissen“ abgefasst worden sei, sondern ,,nur eine Überzeugung und Urteile zum Ausdruck bringt. Daß diese gegen besseres Wissen aufgestellt, wird dem Artikelschreiber unmöglich bewiesen werden können.“234 Die Argumentation nahm Bezug auf das Grundrecht der freien Meinungsäußerung und verwies gleichzeitig auf die Lücke in der WRV, welchen Stellenwert Presseveröffentlichungen bei der Meinungsäußerung einnahmen. Zudem wurden Elvens amerikanische Staatsbürgerschaft und die Tatsache angeführt, dass der Artikel in Form eines Briefes veröffentlicht worden sei: ,,Es besteht kein Anhalt dafür, daß die Redaktion sich mit den hier ausgesprochenen Gedanken identifizieren wollte.“ Darüber hinaus habe der Artikelschreiber keine ,,Beschimpfungen“ vorgebracht, sondern ,,Urteile, die allerdings z. T. in recht scharfer Form gegeben sind“. Die Begründungsspirale wurde noch ein wenig weiter gedreht, als der Anwalt auf den legitmierenden Kontext verwies, in dem die ,,Urteile“ erschienen seien, ,,lediglich als solche referiert in einer Zeitschrift, die parteilos und nur auf das nationale Moment eingestellt ist. Für dieses nationale Moment zu kämpfen hat die Redaktion wegen ihrer besonderen Einstellung ein Recht und daher ein besonderes Interesse an der Veröffentlichung einer Auslandskritik.“235

Anfang August 1922 setzte Heinrich von Gleichen nach und schickte dem 232 233

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235

Boris Barth: Dolchstoßlegende und politische Desintegration. Das Trauma der deutschen Niederlage im ersten Weltkrieg 1914-1933, Düsseldorf 2003. Im Zuge des Erlasses des Gesetzes zum Schutz der Republik war beim Reichsgericht der ,,Staatsgerichtshofes zum Schutze der Republik“ eingerichtet worden. Als Verfassungsgericht sollte diese Instanz vor allem bei Meinungsverschiedenheiten zwischen Reich und Ländern bei Anwendung des Republikschutzgesetzes entscheiden. Wollte ein Verein oder eine Organisation Beschwerde gegen das durch Landesstellen ausgesprochene Verbot einreichen, stand ihnen auf Reichsebene der Staatsgerichtshof zur Verfügung. BArch Berlin R 3009/62 Staatsgerichtshof zum Schutze der Republik: Brief (31.07.1922) Preußischer Minister des Inneren Severing an den Staatsgerichtshof zum Schutze der Republik mit Anlage (21.07.1922) Rechtsanwalt Brugsch an den Preußischen Minister des Inneren Severing. BArch Berlin R 3009/62 Staatsgerichtshof zum Schutze der Republik: Brief (31.07.1922) Preußischer Minister des Inneren Severing an den Staatsgerichtshof zum Schutze der Republik mit Anlage (21.07.1922) Rechtsanwalt Brugsch an den Preußischen Minister des Inneren Severing.

3.2 Im Spannungsfeld: Jungkonservative und Politik

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Oberreichsanwalt am Staatsgerichtshof eine Ausgabe der Ring-Veröffentlichung ,,Die neue Front“.236 Er wolle klarstellen, dass das Gewissen, anders als in der Öffentlichkeit kolportiert, kein ,,Hetzorgan“ sei, sondern ,,auf ruhige sachliche Form immer Wert“ gelegt habe. Den Artikel Elvens habe man aus reiner Pietät nicht kürzen wollen. Eine Woche später wandelte der Staatsgerichtshof den Vorwurf der Verleumdung in ,,öffentliche Beschimpfung“,237 verkürzte das Verbot auf zwei Monate und verhängte eine Geldstrafe von 5 000 Reichsmark.238 Im Gegensatz zur öffentlichen Strategie waren im Hintergrund der Veröffentlichung des Elven-Artikels Gelder aus vermutlich verschiedenen Quellen geflossen. Durch eine Sammlung bei interessierten Kreisen hatte die Gewissen-Redaktion im Winter 1923, als Honorierung des Elven-Artikels, 600 000 RM erhalten. Anfang 1923 berichtete Gleichen an Spahn von seiner Reise nach München, während der er mit ,,allen Leuten gesprochen“ habe, allerdings auch ein ,,Rencontre“ gehabt habe.239 Zu der Duellforderung war es gekommen, weil ,,Konsul Metzger umlaufenden Klatsch bis zu dummer Taktlosigkeit verdichtete und mich befragte, ob das für die Elven’sche Schrift bestimmte Geld nicht für illegale Zwecke verwendet würde“. Der Vorwurf ,,illegale Zwecke“ bezog sich wahrscheinlich auf das Verbot des Gewissens, aber war aus Sicht der Jungkonservativen gegenstandslos. Da sich das Gewissen in dem Verfahren als Opfer politischer Willkür inszeniert hatte, meinte Gleichen, durch den Vorwurf seinen guten Ruf als zuverlässiger Organisator der nationalen Rechten zu verlieren. Erschwerend kam hinzu, dass der geschwätzige Konsul auch gegenüber ,,Dritten diese Ansicht gesagt hatte“ und Gleichen sich gezwungen sah, ,,ihm einen Zeugen zu schicken, um zum mindesten festzustellen, ob er bei dieser unverschämten Bemerkung bleibt“. Gleichen berichtete nicht über den Ausgang der Begegnung; vermutlich war sie mehr frühmorgendliches Ritual zur Genugtuung als tatsächliche Schießerei gewesen.240 236 237 238

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BArch Berlin R 3009/62 Staatsgerichtshof zum Schutze der Republik: Brief (08.08.1922) H. v. Gleichen an Staatsgerichtshof. BArch Berlin R 3009/62 Staatsgerichtshof zum Schutze der Republik: Beschluß St. R. 201 (14.08.1922). Im März 1923 wurde der von Gleichen ebenfalls im Ring-Verlag herausgegebene ,,Politische Wochenbrief “ für 3 Monate verboten, u. a. wegen ,,heftiger Verleumdungen gegen die Persönlichkeit des Preussischen Ministers des Innern“. Gleichens Beschwerde, vorgetragen durch Rechtsanwalt Brugsch wurde abgewiesen. BArch Berlin R 3009/112/2/20 Staatsgerichtshof zum Schutze der Republik: Verbot des Politischen Wochenbriefs des Freiherrn von Gleichen, Bl. 1–6. BArch Koblenz R 118/35 Akten des Politischen Kollegs: Brief (31.01.1923) H. v. Gleichen an Martin Spahn. Ute Frevert: Ehrenmänner. Das Duell in der bürgerlichen Gesellschaft, München 1995; Friedhelm Guttandin: Das paradoxe Schicksal der Ehre. Zum Wandel der adeligen Ehre und zur Bedeutung von Duell und Ehre für den monarchischen Zentralstaat, Berlin 1993.

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3. ,,Der Ruf will gehört sein“ – das Profil des Gewissens

Das zweimonatige Verbot des Gewissens im Sommer 1922 spiegelte die Radikalisierung der nationalistischen Opposition und die einsetzenden Gegenmaßnahmen von Seiten der Regierung wider. Die Abwehrmaßnahmen gerieten jedoch zum Triumph für die Zeitschrift. Durch einen Einspruch mussten Teile des Vorwurfs fallen gelassen werden, so dass sich das Gewissen zum Opfer politischer Willkür stilisieren konnte. Innerhalb der radikalkonservativen Opposition versuchte Gleichen den Ruf des Gewissens als ein rechtschaffenes Organ der Konservativen Revolution unbedingt aufrecht zu erhalten. Dem jungkonservativen Gewissen war wichtig, vor allem mit Blick auf die Beiträger aus Parteien und Unternehmen, als rechtlich unangreifbare und ehrenhafte Institution zu erscheinen. 3.2.5 Positionen innerhalb des Rechtsradikalismus Neben den Kontakten zur DNVP und DVP pflegte das Gewissen auch Kontakte zu völkischen Gruppierungen und setzte es sich mit der nationalsozialistischen Bewegung auseinander. Während der frühen Weimarer Republik war die rechtsoppositionelle Gemengelage durch erhebliche Konkurrenzkämpfe in Bezug auf Strategien und Deutungshoheiten gekennzeichnet.241 Vertreter einer konservativ-revolutionären Vorstellung wollten während dieser Phase nationalistische und radikal konservative Ideenmuster bei den Eliten der republikanischen Gesellschaft implementieren, während sich die völkische Bewegung schon seit der Jahrhundertwende, als sie die imperialistische Politik des Kaiserreiches unterstützt hatte, an ein breites Publikum richtete.242 Das völkische Spektrum reichte von der Sprachbewegung über Antisemiten, den nationalistischen Studentenbünden bis zu alldeutschen, antislavischen und antikatholischen Bewegungen.243 Im Zentrum der heterogenen Sammlung244 stand von der Zeit des Wilhelminismus bis in die

241 242

243 244

Geyer: Verkehrte Welt, S. 279. Die Eckpfeiler der völkischen Bewegung Sprache, Rasse, Religion spiegelten sich in ihren Organisationszweigen wider, die – bei allen personellen und inhaltlichen Überschneidungen – neben der Konservativen Revolution als eigenständige radikale Bewegung betrachtet werden sollte. Puschner: Handbuch, S. 27. Zu Beginn der 1920er Jahre war schon keine eindeutige Zuordnung rechter Gruppierungen ins ,,völkische“ Lager mehr möglich, später wurden meist antisemitische oder auch ,,radau-antisemitische“ Gruppen als ,,völkisch“ bezeichnet. Ulrich Herbert: ,,Generation der Sachlichkeit“. Die völkische Studentenbewegung der frühen zwanziger Jahre, in: Bajohr: Zivilisation, S. 115–144, S. 126–131. Auch die Selbstbezeichnungen der einzelnen Mitglieder wechselten; wer sich 1922 zu den ,Völkischen‘ gezählt hatte, konnte sich 1927 als Anhänger der ,Konservativen Revolution‘ bezeichnen und 1930 zum ,Neuen Nationalismus‘ rechnen, ohne die eigenen Positionen wesentlich geändert zu haben.“ Bergmann: Geschichte, S. 76.

3.2 Im Spannungsfeld: Jungkonservative und Politik

269

1930er Jahre der weit vernetzte ADV245 , dessen Mitglieder Paul Dehn oder Justus Hashagen auch im Gewissen schrieben. Seine Massenbasis generierte sich seit dem Ersten Weltkrieg aus Teilen der Jugendbewegung, Studenten und dem Mittelstand.246 Bei allen strategischen Unterschieden, führten die Überschneidung in Zielen und Zielgruppen Völkische und Jungkonservative immer wieder zusammen. Um einen Zusammenhalt aller rechten Organisationen zu vermitteln – der jedoch zu keinem Zeitpunkt der Weimarer Republik bestand – verwandten Gewissen-Autoren in der Auseinandersetzung mit den völkischen Verbänden die Bezeichnung ,,nationale Opposition“ oder ,,vaterländische Verbände“. In Gewissen-Artikeln wurde oft nur implizit auf die rassistisch-antisemitischen Inhalte der Völkischen eingegangen, die aus jungkonservativer Sicht nachrangig zu berücksichtigen waren. Vielmehr standen in den Jahren 1922 bis 1924 die Aktionen im Mittelpunkt der Gewissen-Kritik, wobei die Jungkonservativen in ihren Urteilen immer wieder schwankten. Einerseits kritisierten sie die traditionellen Völkischen als typisch bürgerliche Vertreter einer alten Welt, die in Gezank und ,,Kastengeist“ verstrickt seien.247 Andererseits konnten die Jungkonservativen für ihre Netzwerkarbeit innerhalb der Politik nicht auf die völkisch Aktiven verzichten, da eine Reihe von ihnen auch zur Führungselite in der Weimarer Republik gehörte. Bei den Versuchen, den jungkonservativen Kreis innerhalb der völkischen und nationalsozialistischen Vernetzung einzuordnen und abzugrenzen, wird in Erinnerungen und in der Forschung auch der Besuch Adolf Hitlers im Juni-Klub im Juni 1921 erwähnt. Rudolf Pechel hatte den Kontakt hergestellt und Gleichen lud Stadtler, Boehm, Moeller sowie Franz Evers zu einem vertraulichen Treffen in seine Wohnung.248 Inhalte des Gesprächs sind nicht überliefert und auch Moellers Urteil (,,Pechel, der Kerl begreift’s nie“249 ) lässt keine konkreten Rückschlüsse über die jungkonservative Position zur nationalsozialistischen Bewegung zu. Der Ausspruch diente häufig als Beleg für eine elitär begründete Abneigung der Jungkonservativen gegenüber dem proletenhaften Hitler, aber insgesamt kann Breuer zugestimmt werden, dass ein ,,immer wieder zitierter Kommentar zu einer Unterredung mit Hitler nicht ausreicht, um daraus auf eine grundsätzliche Distanz zum National245 246 247

248 249

Hering: Konstruierte; Puschner: Handbuch, S. 14–18; vgl. auch Schildt: Konservatismus, S. 121–122; Breuer: Grundpositionen, S. 39–40. Mosse: Völkische, S. 163–248, S. 252. Heinz Hagenlücke: Formverwandlungen der Politik in Deutschland im Übergang vom Kaiserreich zum Weimarer Republik, in: Mommsen: Erste Weltkrieg, S. 107–124, hier. 122. BArch Koblenz N 1160/144 NL Rudolf Pechel: Brief (30.05.1921) H. v. Gleichen an Rudolf Pechel. Moellers Freund Pechel notierte diesen Satz in seinen Erinnerungen und interpretierte die Zusammenkunft als Misserfolg für die Jungkonservativen: ,,Unser Bedarf an Hitler war für immer gedeckt.“ Mauersberger: Rudolf Pechel, S. 273.

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3. ,,Der Ruf will gehört sein“ – das Profil des Gewissens

sozialismus zu schließen“.250 Im Gewissen wurde ein Austausch mit den Nationalsozialisten nicht erwähnt, erst im Dezember 1922 nahm Stadtler Stellung zu Hitlers Bewegung, der er lediglich einen Platz innerhalb der Opposition zur Republik zuwies: ,,Die durch Hitler in München ausgelöste nationalsozialistische Bewegung erscheint uns weder als Treibhaus-Doktrinarismus, wie ihn Naumann züchtete, noch als eine Mistpflanze, wie sie die deutsche Revolutionsdemokratie im Parteidunghaufen zustande bringt. Es handelt sich um eine ursprüngliche Kampfbewegung und sie weist alle Merkmale einer elementaren Machtpolitik auf.“251

In der nationalsozialistischen ,,Kampfbewegung“ sah Stadtler eine Möglichkeit, endlich den ,,senilen Parlamentarismus“ auszuhebeln; zugleich streute er dezent aber eindeutig seine Zweifel ein, ob diese ,,Führung der Massen zur Staatsführung“ fähig sei. Da sich auch immer mehr Studenten und Jugendliche an der NS-Bewegung orientierten, musste dies auch im Gewissen Erwähnung finden, wurde jedoch als Betrachtung ,,von links“ deklariert. Im Januar 1923 beurteilte das Gewissen die Entstehung der nationalsozialistischen Bewegung als kaum verwunderlich, da die ,,nationalen Sozialisten“ eine erfolgreiche Jugendarbeit als ,,Auslese [betrieben], die jede parteipolitische Bindung ablehnt und sich gegen Bürgertum und gegen das parteipolitische Proletariat gleichermaßen wehrt.“252 Über die Respektierung der mobilisierenden Potenziale hinaus setzte die Gewissen-Publizistik nicht auf einen Ausbau der Kontakte zu den Nationalsozialisten. Gleichwohl orientierten sich Herausgeber und Autoren weiterhin nach München, wo nach dem angeblichen Trauma der kurzen Räterepublik auch noch andere rechtsextreme Bewegungen ihren Sitz genommen hatten.253 Allen Kontakten, die vor allem Gleichen und Stadtler vorantrieben, war gemeinsam, dass sie letztlich mithilfe der ,,vaterländischen Verbände“ zur Errichtung einer Diktatur führen sollten. Während Heinrich von Gleichen den umtriebigen Erich Ludendorff254 , Stabschef unter Paul von Hindenburg und Planer des Raumgewinnungsprojektes ,,Oberost“, lobte und ihm sogar seine Beteiligung am Kapp-Putsch nachsah255 , setzte Stadtler auf den paramilitärisch orientierten Georg Escherich, von dessen Einwohnerwehr er sich wahrscheinlich große Volksnähe und Mobilisierungskraft erhoffte. Escherich war in den frühen 1920er Jahren eine wichtige Figur des Münchner Rechtsextremismus. Als Gründer und Leiter der bayrischen Ein250 251 252 253 254 255

Breuer: Anatomie, S. 136, Schwierskott: Arthur Moeller, S. 142ff. Zur Unterredung mit Hitler vgl. auch Mauersberger: Rudolf Pechel, S. 136 und 272–275. Eduard Stadtler (25.12.1922): Nationalsozialismus, in: Gewissen, 4, H. 44, S. 1–2. Fritz Dessau (08.01.1923): ,,Von Links gesehen“, in: Gewissen, 5, H. 1, S. 3. Wehler: Gesellschaftsgeschichte IV, S. 401. Vgl. auch Bettina Amm: Die Ludendorff-Bewegung. Vom nationalistischen Kampfbund zur völkischen Weltanschauungssekte, Hamburg 2006. Heinrich von Gleichen (31.03.1920): Die Komödie der Unzulänglichkeit, in: Gewissen, 2, H. 12, S. 1.

3.2 Im Spannungsfeld: Jungkonservative und Politik

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wohnerwehr (Orgesch) war er aus Sicht der Jungkonservativen ein nahe liegender Bündnispartner im Kampf um den Zusammenhalt der nationalistischen Opposition. Die paramilitärische Orgesch war Anfang 1920 von Escherich, General von Epp und Ernst Röhm gegründet worden. Nach dem Kapp-Putsch schloss sich der Stahlhelm an, so dass der ,,Selbstschutzverband“ deutschlandweit agieren konnte.256 Die Orgesch hatte zwar ihren Hauptsitz in München und fungierte als ,,Arm der bayerischen Reaktion“, aber war intensiv bis nach Norddeutschland verzweigt und wurde auch vom großgrundbesitzenden Adel finanziell unterstützt.257 Fritz Klein, späterer Kontaktmann der Gewissen-Redaktion zur D.A.Z., war Mitglied der Orgesch und gab deren Korrespondenzblatt Aufbau heraus.258 Offiziell wurde die Orgesch 1921 gemäß dem Vertrag von Spa verboten.259 Zwar war nach einem Ultimatum der Entente bis zum Frühjahr 1921 die Entwaffnung zu großen Teilen durchgeführt, aber auch nach dem offiziellen Auflösungstermin der Einwohnerwehren entstanden immer wieder neue Verbände, so dass auch die interalliierte Kontrollkommission weiterhin im Lande blieb. Auch nach dem Verbot blieb das Interesse der Jungkonservativen an der Orgesch bestehen. Hinweis hierfür war eine Mitteilung Moellers an Paul Ernst im Sommer 1921, dass der Artikel ,,Von der Zivilisation zur Barbarei“ nicht veröffentlicht würde, ,,da es uns in der augenblicklichen politischen Situation nicht günstig erscheint, die alten militärischen Organisationen kritisch anzugreifen, wie es Ihr Aufsatz vom weltanschlichen Standpunkt zweifellos tut“.260 Die Kontakte blieben soweit bestehen, dass die Überwachungsstellen des Innenministeriums noch 1923 im Vorfeld des bayrischen Putschversuchs davon ausgingen, Gleichen, Stadtler und Spahn gehörten ebenfalls ,,zum Kreis der Orgesch“.261 Parallel zum Verbot der Orgesch und zum Auseinanderfallen der bewaffneten Reaktion intensivierten Gleichen und Stadtler ihre Reisetätigkeit in

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Geyer: Verkehrte Welt, S. 117–123. Horst G.W. Nußer: Konservative Wehrverbände in Bayern, Preußen und Österreich 1918–1933. Mit einer Biographie von Georg Escherich 1870–1941, München 1973, S. 194. BArch Berlin R 1501/113462 Reichsminister des Inneren: Bericht (11.05.1923) Reichskommissar für Überwachung der öffentlichen Ordnung an das Reichsministerium des Innern. BArch Berlin R 1501/113460 Reichsminister des Inneren: Akten betreffend Organisation Escherich, Band 1 und 2. Reaktionen im Gewissen: Eduard Stadtler (14.07.1920): Spaa. – Parteipolitik. Der Herausgeber, in: Gewissen, 2, H. 27, S. 1; Moeller van den Bruck (28.07.1920): Spaa als Wendepunkt, in: Gewissen, 2, H. 29, S. 1–2. DLA Marbach A: Paul Ernst/Werner Wirths 61: Brief (08.06.1921) Werner Wirths an Paul Ernst. BArch Berlin R 1501/113462/VII Akten betreffend Organisation Escherich, Bd. 3: Bericht des Reichskommissars für Überwachung der öffentlichen Ordnung an das Reichsministerium des Inneren, 11.05.1923.

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3. ,,Der Ruf will gehört sein“ – das Profil des Gewissens

die bayrische Landeshauptstadt.262 Stadtler musste erkennen, dass Escherich durch das Verbot an ,,Machtbasis“ verloren hatte, aber auch voller Tatendrang für neue Projekte sei. Dennoch konnte oder sollte Escherich nicht öffentlichkeitswirksam eingebunden werden: er war kein eingetragenes Mitglied im Klub und im Gewissen veröffentlichte er nur zwei Artikel. Als Escherisch an anderer Stelle Kritik an der putschbereiten Rechten in Bayern äußerte, kam das den Berliner Ring-Vorstellungen entgegen.263 Im Sommer 1922 bemühte sich auch Gleichen durch Organisationsappelle, die rechte Opposition von einem Putsch abzubringen, nach dessen Verlauf die gleichen Posten nur mit anderen Männern besetzt würden; den Hinweis auf das Desaster des Kapp-Putsches musste Gleichen gar nicht offen aussprechen. Den Paramilitärs, Völkischen, dem Stahlhelm264 und den Nationalsozialisten warf er vor, kurzfristige Spektakel zu veranstalten: ,,Mit primitiven Kundgebungen beruhigen sich die völkischen Kreise. Manches verzagende Herz wird aufgerüttelt und neugekräftigt. Lärmende Versammlungen werden abgehalten. Aber im Primitiven liegt auch die Ursache der politischen Bedeutungslosigkeit dieser nationalen Opposition. Von Volksversammlungen und vom Vereinstisch her führt nun einmal kein Weg zum staatspolitischen Einfluß. Wohl lebt der Geist der Opposition. Aber ihr fehlt die politische Linie, die von einer Zentral–Stelle ausgehen muß, aber nicht von einer parlamentarischen Partei ausgehen kann.“265

Eine zentrale Koordinationsstelle der nationalen Opposition bot sich nach Gleichens Meinung mit dem Ring, der dafür sorgen könnte, die Strukturen eines autoritären Staates im Untergrund aufzubauen, die im Moment der Machtübernahme wirksam greifen könnten. Gleichens Machtanspruch wurde jedoch nicht anerkannt, denn im darauf folgenden Jahr schlossen sich die ,,Vereinigten Vaterländischen Verbände“ unabhängig vom Ring zusammen.266 262 263

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265 266

BArch Koblenz N 1324/3 NL Martin Spahn: Brief (26.03.1921) Eduard Stadtler an Martin Spahn. Vgl. BArch Berlin R 8034 III/113 Presseausschnittsammlung – Reichslandbund, Personalia George Escherich. Von den ,,vaterländischen Verbänden“ wurde Escherich zurechtgewiesen, er würde der ,,Sache des Deutschtums“ einen schlechten Dienst erweisen. Gleichens Angriff dürfte sich auch gezielt gegen Stadtler gerichtet haben, der Mitglied des ,,Stahlhelms“ war. Wieland Vogel: Katholische Kirche und nationale Kampfverbände in der Weimarer Republik, Mainz 1989, S. 23–30, hier 29. Ende der 1920er engagierte sich auch Brauweiler im ,,Stahlhelm“ und wurde politischer Beauftragter. Im Sommer 1930 griff ihn Eduard Stadtler, ebenfalls im Bundesvorstand, öffentlich an; im Zuge der Auseinandersetzung trat Brauweiler von seinem Posten zurück. Vgl. BArch Berlin R 8034 III/51 Presseauschnittsammlung – Reichslandbund, Personalia Heinz Brauweiler. Vgl. auch ebd. ,,Schicksalsstunden des Stahlhelms. Der Gegensatz StadtlerBrauweiler“, in: Berliner Börsen Zeitung (13.06.1930). 1932 trat auch Stadtler, aus Protest gegen die Form der Unterordnung unter Hitler, von seinen Ämtern zurück. Ebd.: ,,Letzte Nachrichten“, in: Berliner Lokal Anzeiger (Dez. 1932). Heinrich von Gleichen (19.06.1922): Zwischenstaate, in: Gewissen, 4, H. 25, S. 1–2. Fricke: Lexikon, S. 314.

3.2 Im Spannungsfeld: Jungkonservative und Politik

273

Während Inflation und Reparationsverhandlungen im Verlauf des Jahres 1922 eskalierten, steigerte sich auch die nationalistische Kampfbereitschaft entlang der Erinnerung am ,,Geist von 1914“.267 Als Frankreich gemäß seiner Sanktionsandrohungen am 11. Januar 1923 vom linken Rheinufer übersetzte und ins Ruhrgebiet einmarschierte, verwandelte sich aus Sicht des Gewissens Deutschland endlich in einen ,,Kriegsschauplatz“.268 Nun schienen die Bedingungen für eine gewaltsame Volkserhebung – unter Anleitung der ,,nationalistischen Verbände“ – gegeben, denn: ,,Die Franzosen marschieren. Mit gewaltiger Heeresstärke mitten im Frieden in ein wehrloses Land hinein. Sie erobern Stadt um Stadt. Zeche um Zeche. Dorf um Dorf. Niemand stellt sich ihnen entgegen. Ihr kriegerischer Ruhm mehrt sich von selbst. Und im Übermut schießen sie deutsche Arbeiter nieder.“269

Die meisten Gewissen-Autoren setzten sich von Beginn an für einen gewaltsamen Widerstand im Ruhrgebiet ein. Die publizistische Verlängerung des Kriegserlebnisses fand hier seine Manifestation und das Gewissen übernahm, so wie die Kriegspropaganda fünf Jahre zuvor, die Aufgabe, die Erlebnisse des Kriegsschauplatzes in eine deutschlandweite, nationale Erzählung zu übersetzen und zu verbreiten.270 Walther Schulz stellte im Artikel ,,Hoffnung“ klar, dass jetzt die Zeit gekommen sei, in der ,,ein gewaltiges, alle ergreifendes Erlebnis“ zum straffen Zusammenschluss der unterschiedlichen Generationen (,,ältere Generation“, ,,Kriegsteilnehmergeneration“ und ,,erwachende Jugend“) führen muss. Die Kriegsrhetorik des Gewissens wurde im Februar 1923 schlagartig ausgeweitet, als die Regierung ihre Widerstandspolitik einleitete. Denn ,,so herrlich aber die nationale Widerstandsbewegung des Volkes ist, und so beglückend das Gefühl, daß der Staat mitgerissen wurde“, so beunruhigend sei gleichzeitig dieser Vorgang, denn schließlich zeichne sich ,,nationale Politik“ durch ,,bewusste und überlegene Führerkunst“ aus.271 In den folgenden Monaten konkurrierte das Gewissen mit der amtlichen Widerstands-Rhetorik und um die Deutungshoheit ,,nationaler Politik“.272 267 268 269 270

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Hans Mommsen: Die politischen Folgen der Ruhrbesetzung, in: Krumeich: Schatten des Weltkriegs, S. 305–312, S. 307. N.N. (15.01.1923): Kriegsschauplatz, in: Gewissen, 5, H. 2, S. 1. Eduard Stadtler (22.01.1923): En avant!, in: Gewissen, 5, H. 3, S. 1–2. ,,Sicherlich war der ,Ruhrkampf ‘ von 1923 kein wirklicher Krieg, es war ein nachgespielter Krieg, eine zu Teilen sehr gewalttätige Kriegsmimikry. Aber die Formen der militärischen Besetzung zeigten deutlich das Nachwirken der noch nicht bewältigten Kriegserfahrung der Jahre von 1914–1918.“ Gerd Krumeich: Der ,,Ruhrkampf “ als Krieg: Überlegungen zu einem verdrängten deutsch-französischen Konflikt, in: ders.: Schatten des Weltkriegs, S. 9–24, S. 24. N. N. (19.02.1923): Was ist heute nationale Politik?, in: Gewissen, 5, H. 7, S. 1. Max Hildebert Boehm (12.03.1923): Eiserne Ration, in: Gewissen, 5, H. 10, S. 1–3; Martin Spahn (19.03.1923): Die Kampflage, in: Gewissen, 5, H. 11, S. 1–3; Eduard Stadtler (02.04.1923): Auf Leben und Tod, in: Gewissen, 5, H. 13, S. 1–2; schon deutlich rassistisch akzentuiert: Heinrich von Gleichen (26.03.1923): Die Entfesselung des Deutschen, in: Gewissen, 5, H. 12, S. 1–3. Vgl. auch Krumeich: ,,Ruhrkampf “ als Krieg, S. 17–20.

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3. ,,Der Ruf will gehört sein“ – das Profil des Gewissens

Mit Beginn der Ruhrbesetzung durch Frankreich im Januar 1923 sah die rechte Opposition Chancen für einen grundlegenden Macht- und Politikwechsel. Von den Gewissen-Herausgebern wirkte Moeller als einziger verzagt ob der Aussicht, dass Deutschland sich nun in den offenen Konflikt mit Frankreich begab. Sein existenzielles Weltbild ließ ihn den nahen Untergang vermuten: ,,Wer sich mit dem Gedanken durchdrungen hat, daß unser Zusammenbruch unser Ende als Volk bedeuten kann, der muß sich mit großer Klarheit eine Rechenschaft auch über diese Möglichkeit geben, daß die Gegenbewegung vielleicht nur eine Bewegung im Dunkel ist: ein letztes Aufleuchten – und dann ein Verzucken.“273

Den Untergang vermuteten auch andere in der Redaktion, reagierten aber mit umso größerem Hass auf die Franzosen. Walter Schotte hoffte auf eine breite Bewegung zum Widerstand, denn nun habe auch die Masse feststellen müssen, dass Frankreich ,,den freien und souveränen deutschen Staat“ endgültig zerstören werde.274 Der überwiegende Teil der Kommentare und Grundsatzartikel stand von nun an im Zeichen des Widerstands gegen die Franzosen und versuchte, eine Kontinuität zum Kriegsbeginn 1914 herzustellen. So wie damals das ,,Augusterlebnis“ die Deutschen geeint habe müsse nun die Besetzung durch Frankreich die Deutschen ,,entfesseln“275 und einen ,,Volkskampf “ auslösen.276 In der gleichen Kontinuität standen die Vorwürfe an diejenigen Vertreter von Reichs- und Landesregierungen, die Zweifel am Erfolg des Widerstands äußerten. Die Unterscheidung zwischen ,,Front und Etappe“ knüpfte direkt und nachvollziehbar an die gerade mal vier Jahre zurückliegenden Erfahrungen des Krieges an.277 Eine ähnliche Wirkung hatte auch die Nennung des ,,Dolchstoßes“, um dem Leser den Zusammenhang zwischen der Schwäche der Regierung und einem eventuellen Scheitern des Ruhrwiderstandes zu verdeutlichen.278 Die Aussichten, aus dem Ruhrgebiet-Widerstand eine reichsweite Aktion abzuleiten, hielten die politisch Aktiven im Gewissen und in der Ring-Bewegung in Atem. Beflügelt durch die konspirativen Verbindungen nach Bayern

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Moeller van den Bruck (08.01.1923): Das deutsche Gesicht, in: Gewissen, 5, H. 1, S. 1–3, hier 2. Walther Schotte (12.02.1923): Souveränität oder Neutralisierung, in: Gewissen, 5, H. 6, S. 1–2. Heinrich von Gleichen (26.03.1923): Die Entfesselung des Deutschen, in: Gewissen, 5, H. 12, S. 1–3. Eduard Stadtler (19.02.1923): Was ist heute nationale Politik?, in: Gewissen, 5, H. 7, S. 1; Erich Lilienthal (12.03.1923): Bündnisfähig, in: Gewissen, 5, H. 10, S. 3. Martin Spahn (04.06.1923): Der Kampf geht weiter, in: Gewissen, 5, H. 22, S. 1–2; Heinz Brauweiler (06.08.1923): Die Blockade des Ruhrgebiets, in: Gewissen, 5, H. 31, S. 1–2; ders. (07.05.1923): Werde hart!, in: Gewissen, 5, H. 18, S. 3–4; Walther Schotte (13.10.1923): Vogel-Strauß-Politik, in: Gewissen, 5, H. 41, S. 1–2. Eduard Stadtler (22.01.1923): En avant!, in: Gewissen, 5, H. 3, S. 1–2.

3.2 Im Spannungsfeld: Jungkonservative und Politik

275

machte sich in der Redaktion die Hoffnung auf einen Regierungssturz breit.279 Moeller hielt derweil die Stellung: ,,Die Dinge liegen in diesen Tagen noch so, dass ich von 9 Uhr morgens bis 9 Uhr abends in der Motzstrasse sein muss, wo ich jetzt mein zweites Arbeitszimmer habe.“280 Zugleich breitete sich im Gewissen Unruhe aus, da zum einen der akute wirtschaftliche Ausverkauf befürchtet wurde281 und zum anderen die nationalistische Oppositionsbewegung im Allgemeinen und die Ring-Bewegung im Besonderen noch nicht den erwünschten Organisationsgrad erreicht hatte, der akut erforderlich schien.282 Dennoch blies Stadtler zum sofortigen Angriff ,,En Avant!“, war er doch überzeugt, dass der Ruhrwiderstand einen Ausnahmezustand darstellte, dessen Potenzial genutzt werden müsse: ,,Der Kampf, der im Ruhrgebiet gegen feindliches Unrecht und Willkür geführt worden ist, darf nicht so enden! Man gebe sich keiner Täuschung darüber hin: erleben wir wieder einen Verständigungsfrieden nach dem Muster von Versailles, so ist es unmöglich, nochmals einen solchen moralischen Abwehrkampf zu führen.“283

Die Veröffentlichungspolitik des Gewissens mit immer schärferen Ausfällen gegenüber der Regierung führte zu handfesten Konflikten innerhalb des JuniKlubs. Rudolf Pechel, der zusammen mit Wilhelm von Kries zu den internen Kritikern des Klubvorstands Moeller und Gleichen gehörte, äußerte erhebliche Bedenken am radikalen Stil der Zeitschrift. Ihre Artikel würden mehr ,,Angriff “ als ,,Aufbau“ betreiben und ,,auch für das Gewissen ist es wie für jedes andere Blatt gefährlich, den endgültigen Untergang Deutschlands terminmässig von Woche zu Woche zu vorauszusagen.“284 Weitere Argumente wurden Pechel durch Oswald Spengler aus München an die Hand gegeben, denn dieser berichtete wenig schmeichelhaft von Stadtlers und Gleichens rücksichtslosen Methoden, die Münchner Juni-Klub-Filiale auf den eigenen Kurs zu bringen.285 Spätestens seit Mai 1923 wurde jedoch auch im Gewissen deutlich, dass 279

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Petzold: Wegbereiter, S. 146–147; u. a. Max Hildebert Boehm (12.03.1923): Eiserne Ration, in: Gewissen, 5, H. 10, S. 1–3; Walther Kayser (23.04.1923): Widerstand oder Preisgabe?, in: Gewissen, 5, H. 16, S. 1–2; Walther Schotte (09.04.1923): Freiheitskriege oder Interessenkämpfe, in: Gewissen, 5, H. 14, S. 1–2. DLA Marbach A: Hans Grimm/Moeller van den Bruck: Brief (12.04.1923) Moeller van den Bruck an Hans Grimm. Walther Schotte (12.02.1923): Souveränität oder Neutralisierung, in: Gewissen, 5, H. 6, S. 1–2. Heinz Brauweiler (19.02.1923): Stärkung der inneren Front, in: Gewissen, 5, H. 7, S. 2; Walther Schulz (26.02.1923): Wie weit ist es in der Nacht? Eine Vision, in: Gewissen, 5, H. 8, S. 2; Martin Spahn (15.01.1923): Wendepunkt, in: Gewissen, 5, H. 2, S. 1–2. Heinz Brauweiler (07.05.1923): Werde hart!, in: Gewissen, 5, H. 18, S. 3–4. BArch Koblenz N 1160/144 NL Rudolf Pechel: Brief (11.05.1923) Rudolf Pechel an H. v. Gleichen. BArch Koblenz N 1160/144 NL Rudolf Pechel: Brief/Abschrift (07.10.1923) Oswald Spengler an Rudolf Pechel. 1925 entzweite Pechel sich auch mit dem zurückhaltenden Martin Spahn, der als DNVP-Politiker eine Verurteilung des Locarno-Vertrages in

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3. ,,Der Ruf will gehört sein“ – das Profil des Gewissens

der Ruhrwiderstand nicht nur ein schwieriges, sondern ruinöses Unterfangen war. Der in Düsseldorf lebende Heinz Brauweiler appellierte in seinen Artikeln deshalb an die Durchhaltekräfte vor Ort286 und Gleichen wie Stadtler riefen die ,,nationalistischen Verbände“, also Freikorps und andere bewaffnete Einheiten, zum Eingreifen auf.287 Der wirtschaftsprotektionistische Kurs des Gewissens erlebte während des Ruhrwiderstands gegenüber der Schwerindustrie seine Grenzen, da diese sich zur gleichen Zeit durch die Inflation Vorteile verschaffte. Nach Abbruch des Widerstands im September äußerte sich Gleichen verzweifelt über die vergebene Chance der Eliten aus Wirtschaft, außerparlamentarischer Organisation und Parteien: ,,Die führenden Männer derjenigen Kreise, die sich das Steuer des Staates aus den Händen reißen ließen, nachdem sie selbst nicht genügend, Weitblick, Entschlossenheit und Initiative gezeigt hatten, dürfen nicht länger tatenlos zusehen, was aus dem Deutschen Reich gemacht wird.“288

Die Strategie der Gewissen-Herausgeber beruhte auf der Annahme, dass der Motor jeder größeren politischen Bewegung die Arbeitgeber seien. Brauweiler hatte aus dem Rheinland nach Berlin berichtet, dass ,,gerade die Unternehmerschaft [es sei], die den Widerstand aufrecht erhalte, vielmehr als die Arbeiterschaft“.289 Daran anknüpfend bat ihn Moeller um einen Artikel, in dem die ,,psychische Initiative“ von Industrieführern wie Fritz Thyssen hervorgehoben werde, die erst zur Entschlusskraft der Arbeiter geführt habe. Die Interpretation des Ruhrwiderstands bewegte sich auf diese Weise konsequent in den Bahnen einer seinsmäßigen Gesellschafts- und Geschichtsauffassung, die jeden Materialismus als Ausgangspunkt für Bewusstseins- oder Lebenszustände negierte. Die ,,Wahrheit“, dass ,,der Entschluss zum Widerstand zuerst gefasst und erklärt worden ist von Industrieführern des Ruhrgebiets“ und die Betonung der ,,tapferen Haltung“ Thyssens gegenüber der französischen Kommission, stand in Brauweilers Artikel ,,Staat und Wirtschaft“290 im Mittelpunkt, ging aber direkt auf Moeller zurück. Die Aufgabe des Widerstandes und die ,,qualitative Veränderung der deutschen Politik“, die sich von nun

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Pechels ,,Deutsche Rundschau“ unterbringen wollte. BArch Koblenz N 1166/99/55 NL Rudolf Pechel, Korrespondenz Rudolf Pechel und Martin Spahn 1925. Heinz Brauweiler (23.04.1923): Nach einer Vierteljahr, in: Gewissen, 5, H. 16, S. 2–3; ders. (07.05.1923): Werde hart!, in: Gewissen, 5, H. 18, S. 3–4; ähnlich: Martin Spahn (04.06.1923): Der Kampf geht weiter, in: Gewissen, 5, H. 22, S. 1–2. Heinrich von Gleichen (15.05.1923): Sagen, was ist!, in: Gewissen, 5, H. 19, S. 1–2; Eduard Stadtler (23.07.1923): Der tote Punkt, in: Gewissen, 5, H. 29, S. 1–2. Heinrich von Gleichen (17.09.1923): Der Endkampf um den Staat, in: Gewissen, 5, H. 37, S. 1–3. BArch Koblenz R 118/34 Akten des Politischen Kolleg: Brief (23.08.1923) Moeller van den Bruck an Heinz Brauweiler. Heinz Brauweiler (17.09.1923): Staat und Wirtschaft, in: Gewissen, 5, H. 37, S. 3–4.

3.2 Im Spannungsfeld: Jungkonservative und Politik

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an auf den status quo des Versailler Vertrages einließ291 , setzte aus jungkonservativer Sicht viel zu früh ein und beendete die Hoffnungen, dass die Wirtschaftsführer des Rheinlandes als Notfall-Diktatoren auch die politische Macht übernähmen. Bis zum Herbst 1923 hatten auch Hugenberg und der finanziell sowie seit 1921 auch parteipolitisch abhängige Spahn ein umfangreiches politisches Engagement gegen die Regierung entfaltet. Spahn und Hugenberg korrespondierten über Details der Machtsicherung im Falle des Umsturzes.292 Die DNVP und ihre Unterstützer im Gewissen waren sich einer erfolgreichen Machtübernahme im Falle des Falles sicher, weil Informationen kursierten, nach denen die englische Regierung ,,sich mit einer aus einem Rechtsputsch hervorgegangen deutschen Regierung verbinden werde“.293 In Berlin, erläuterte Spahn, könne zwar nach einem Putsch der Druck einer Zeitung gewährleistet werden, aber die logistische Herausforderung liege im Vertrieb des Gedruckten außerhalb des Zeitungsviertels. Die Erfahrungen der Verlagsbesetzungen im Winter 1918/1919 waren noch in guter Erinnerung und hatten gezeigt, wie wichtig die Macht über das gedruckte Wort und seine Verteilung war, wenn die politische Macht kurzfristig gesichert werden muss. Nötig sei auch, ,,unter allen Umständen dafür Sorge zu tragen, dass in der Provinz einige Druckereien zur Hand sind, die ein vierseitiges Blatt täglich in genügender Auflage herausbringen können“. Zur Absicherung müsse auch die Reichswehr zur Verfügung stehen. Zu diesem Zeitpunkt war die Regierung unter Reichskanzler Cuno jedoch schon zurückgetreten und es bildete sich ein Kabinett aus DVP, DDP, Zentrum und SPD unter Gustav Stresemann. Als die ,,Katastrophenpolitik“ beendet wurde, ,,musste man notgedrungen im Kreise der Deutschnationalen Volkspartei und des Juni-Klubs eigene Putschpläne zurückstellen“.294 Als im September der bayrische Regierungspräsident von Kahr den Ausnahmezustand verhängte, hoffte die rechte Opposition in Berlin auf die Fernwirkung der autoritären Maßnahmen. Stadtler äußerte im Gewissen jedoch seine Zweifel, ob eine ,,unpolitische Militärdiktatur“ ausreiche, die reichsweite Krise aufzulösen.295 Deshalb bemühte er sich, die Krise in Bayern im eigenen Sinne zu verschärfen. Er setzte sich für eine ,,Dreimännerdiktatur“ ein: ,,Stinnes am Rhein, Seeckt in Berlin und Escherich in München“, aber verkannte die

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Hans Mommsen: Die politischen Folgen der Ruhrbesetzung, in: Krumeich: Schatten des Weltkriegs, S. 305-312, S. 305. BArch Koblenz R 118/36 Akten des Politischen Kolleg: Brief (28.08.1923) Martin Spahn an Alfred Hugenberg. BArch Koblenz N 1160/144 NL Rudolf Pechel: Brief/Abschrift (07.10.1923) Oswald Spengler an Rudolf Pechel. Petzold: Wegbereiter, S. 148. Eduard Stadtler (01.10.1923): Wende?, in: Gewissen, 5, H. 39, S. 1–2.

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3. ,,Der Ruf will gehört sein“ – das Profil des Gewissens

Widerstände in München gegen seine brachialen und selbstverliebten Überredungskünste.296 Gleichen befürwortete, unterstützt von Schotte, den Schritt der bayrischen Führungskräfte und empfahl Preußen ebenfalls die Verhängung des Ausnahmezustandes, um diktatorische Entscheidungsbefugnisse in die Hände zu bekommen.297 Um die Möglichkeiten für den Chef der Heeresleitung Hans von Seeckt, ein autoritäres Direktorium in Berlin einzusetzen, offenzuhalten, musste aus Stadtlers wie Gleichens Sicht vor allem verhindert werden, dass die Münchner Nationalsozialisten eine separate Putschaktion vornahmen.298 Zur gleichen Zeit warf Boehm allen konspirativen Aktionen vor, der Gefahr Vorschub zu leisten, dass währenddessen im Rheinland der Separatismus durch Frankreich weiter befördert werde.299 Ebenfalls im Oktober 1923 war Moeller hingegen noch damit beschäftigt, die Aufgabe des Ruhrwiderstands und damit einhergehend die erneut durch Frankreich zugefügte Niederlage zu verarbeiten.300 Nach dem Putschversuch in München im November 1923 wechselten Moeller und Paul Ernst einige Briefe, die den Disput zwischen Herausgeber und Autor über die Abwägung tagespolitischer Taktik mit prinzipiellem Sendungsbewusstsein widergaben. Als Ernst im November den Hitler-Putsch in einem Artikel kommentieren wollte, sah Moeller sich in der Zwickmühle. Die Stellungnahmen zu den Ereignissen mussten strategisch das gesamte völkische Lager berücksichtigen und gleichzeitig die ablehnende jungkonservative Position hervorheben. Deshalb versuchte Moeller zu erklären, dass die ,,Münchner Vorgänge“ vom Gewissen nur politisch kommentiert würden und nicht, wie in Ernsts Artikel, ,,geistig und sittlich und menschlich“.301 Ernst verweigerte die weitere Mitarbeit bis der Artikel im Februar 1924 schließlich erschien.302 Moeller selbst anerkannte zwar im Gewissen den ,,guten Willen“ Hitlers, aber noch deutlicher äußerte er seine Resignation, dass sich anscheinend nur martialische Revolverhelden der deutschen Erneuerung annehmen würden: ,,Es sind deutscheste Menschen, leidenschaftlich und durchdrungen von unserem Schicksal. Aber gerade sie geben das Beispiel eines deutschesten Verhängnisses. Sie sind, wer weiß, die Vorform des Lebens in Deutschland in dem nächsten Menschenalter. Aber immer sehen

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BArch Koblenz N 1160/144 NL Rudolf Pechel: Brief/Abschrift (07.10.1923) Oswald Spengler an Rudolf Pechel. Heinrich von Gleichen (06.10.1923): Bayern, das Reich und Altpreußen, in: Gewissen, 5, H. 40, S. 1–2; Walther Schotte (05.11.1923): Der vergessene Bismarck, in: Gewissen, 5, H. 44, S. 1–2. Petzold: Wegbereiter, S. 148. Max Hildebert Boehm (29.10.1923): Rheinkrisis, in: Gewissen, 5, H. 43, S. 3. Moeller van den Bruck (22.10.1923): Frankophil, in: Gewissen, 5, H. 42, S. 1–3. DLA Marbach A: Paul Ernst/Moeller van den Bruck 61: Brief (14.05.1924) Moeller an Paul Ernst. Paul Ernst (11.02.1924): Vornehmheit, in: Gewissen, 6, H. 6, S. 2–3.

3.2 Im Spannungsfeld: Jungkonservative und Politik

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wir nur, daß sie bestätigen, wie sehr eine Sache vom Manne verfehlt wird, die nur vom Staatsmanne erfasst werden kann.“303

In Moellers Augen war die ,,leidenschaftliche“ Aktion von München Ausdruck einer krisenhaften Vorstufe der deutschen Nationalisierung. Erst durch den kathartischen Gang durch das ,,deutsche Verhängnis“ könne die Form im ,,nächsten Menschenalter“ erreicht werden. Währenddessen sah sich Stadtler in seiner pessimistischen Einschätzung der Münchner Militärdiktatur bestätigt, die nicht konsequent genug die nationalsozialistische Bewegung eingehegt habe. Nach Hitlers Verurteilung rief er ,,die ,Männer der Tat‘ wie die Männer der ,höheren Einsicht‘ auf[,] ihr Verantwortungsgefühl gegenüber dem eigenen Gewissen“ zu entwickeln; bisher habe sich nur ein Abgrund ,,Verantwortungslosigkeit als Innenform der objektiven Unzulänglichkeit“ aufgetan.304 Stadtlers Deutung des Putsches und seiner Folgen stellte die Aktion als solche nicht in Frage, sondern ging auf die individuelle Fähigkeit und Tatkraft der Teilnehmer ein. Damit unterstrich er die positive Bedeutung von Ausnahmezustand und Krise, in deren Kontext er vor allem die Möglichkeit zu Aktion, Tat und Bewegung sah. Auch Gleichen machte seine ausdrückliche Verachtung gegenüber dem Versagen der Putschisten deutlich, als er Hitlers Namen in seinem Leitartikel zum Thema Selbstdisziplin und Hingabe als ,,vaterländische Aufgabe“ kein einziges Mal erwähnte.305 Zugleich setzte er sich intensiver für eine Zusammenfassung der sogenannten ,,Vaterländischen Verbände“ ein, um weitere unabgesprochene Aktionen zu verhindern.306 Den Prozess gegen Ludendorff und ,,seinen Mitarbeiter“ Hitler kommentierte Gleichen in Form einer Analyse.307 Ludendorffs christlicher Hintergrund und sein Engagement für eine ,,deutsche Kirche“ erschienen ihm zu unausgewogen, schließlich müsse eine reichsweite Konfession auch die konservativen Kräfte des Zentrums gewinnen. Für unausgegoren und geradezu kontraproduktiv hielt Gleichen das Wirtschaftsprogramm der NSDAP, dessen Ansätze zu restriktiv seien und zu wenig attraktiv, um ,,nationalpolitische Wirtschaftler“ zu gewinnen. Strategische Unklugheit konzedierte er dem NSDAP-Parteiprogramm auch in der ,,Judenfrage“, deren 303 304

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Moeller van den Bruck (26.11.1923): Der politische Mensch, in: Gewissen, 5, H. 47, S. 1– 5, hier 1. Eduard Stadtler (24.03.1924): Tat, Erkenntnis und Verantwortung, in: Gewissen, 6, H. 12, S. 1–2; ähnlich: ders. [N.N.] (07.04.1924): Trommler der Nation, in: Gewissen, 6, H. 14, S. 1. Heinrich von Gleichen (03.12.1923): Der revolutionäre Staatsmann, in: Gewissen, 5, H. 48, S. 1–2. BArch Koblenz R 118/35 Akten des Politischen Kollegs: Brief (12.12.1923) H. v. Gleichen an Martin Spahn; N.N. [Heinrich von Gleichen] (10.12.1923): ,,Zur Kritik!“, in: Gewissen, 5, H. 49, S. 1. Heinrich von Gleichen (10.03.1924): Ludendorff als Politiker, in: Gewissen, 6, H. 10, S. 1-4.

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3. ,,Der Ruf will gehört sein“ – das Profil des Gewissens

Berücksichtigung zwar ehrenvoll, aber viel zu offen und aggressiv sei, um breitere Anhängerschaft zu gewinnen. Gleichen empfahl Ludendorff, von der ,,rechtsradikalen Massenbewegung“ Hitlers Abstand zu nehmen und sich besser ,,auf das kühle, nüchterne Urteil ihm Gleichgesinnter, aber parteipolitisch unverbundener Freunde“ zu verlassen. Nach Gleichens Einschätzung war die derzeitige Krise vor allem eine Staatskrise, die entsprechend sachlich und sachverständig zu lösen sei. 3.2.6 Stabilisierung und Tendenzwechsel In der sich abzeichnenden Stabilisierungsphase der Republik befürchtete das Gewissen zu Recht einen abnehmenden Zusammenhalt im rechten Lager. Der Industrie wurde die ansatzlose Wiederaufnahme der geschäftlichen Beziehungen, etwa durch die im November 1923 begonnenen MICUM– Abkommen, übel genommen (,,Herr Stinnes hätte die Macht, die Reichsregierung zu zwingen, Politik zu treiben, deutsche Politik. Herr Stinnes und mit ihm die Herren Vögler, Belsen, Lübsen, Klöckner und Silverberg. Sie sind Macht. Aber sie haben keinen politischen Willen, nur ein empfindliches Nationales Gewissen [...]“308 ) und mit Schrecken beobachtete man die Umkehrung des Widerstandselans in separatistische Tendenzen.309 Zur gleichen Zeit nahm im Gewissen die allzu kritische Haltung gegenüber der DNVP ab, denn in ihr sah man die einzige Instanz, ordnend einzugreifen. Mit den DNVP-Wahlerfolgen vom Mai und Dezember 1924 zeichnete sich ab, dass die radikalkonservative Opposition zur Republik in einheitliche, staatsorientierte Bahnen gelenkt werden könnte. Und da die DNVP mittlerweile bereit war, einer Regierung beizutreten, setzte sich auch im Gewissen eine staatstragende Ausrichtung durch,310 regelmäßig durchbrochen von Stadtlers Missbilligung dieser ,,bedenklichen Taktik.“311 Das Netzwerk der adelig-elitären Herrenklubs war eines der Standbeine Gleichens und die Modellierung des Gewissens zu einem ebenso elitären staatstragenden Verlautbarungsorgan korrespondierte mit dieser Entwicklung. Ab Ende 1924 erschienen die Gewissen-Veröffentlichungen stringenter an der DNVP-Politik ausgerichtet, zudem verstärkte sich die Tendenz zu grund308 309

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311

Walther Schotte (13.10.1923): Vogel-Strauß-Politik, in: Gewissen, 5, H. 41, S. 1–2. Max Hildebert Boehm (29.10.1923): Rheinkrisis, in: Gewissen, 5, H. 43, S. 3. Vgl. Christian Kleinschmidt: Rekonstruktion, Rationalisierung, Internationalisierung. Aktive Unternehmensstrategien in Zeiten des passiven Widerstandes, in: Krumeich: Ruhrkampf, S. 133-147, S. 142-145. Walther Schulz (12.05.1924): Der Wahlausgang: Von Rechts gesehen, in: Gewissen, 6, H. 19, S. 5; Heinz Brauweiler (07.07.1924): Der Hintergrund, in: Gewissen, 6, H. 27, S. 1–3; Walther Schotte (13.10.1924): Die Kunst des Möglichen, in: Gewissen, 6, H. 41, S. 1–3. Eduard Stadtler (07.07.1924): Bedenkliche Taktik. Die Schriftleitung, in: Gewissen, 6, H. 27, S. 1.

3.2 Im Spannungsfeld: Jungkonservative und Politik

281

sätzlichen Reflexionen. Aus dem Anspruch der nationalen Erziehung wurden die Massen zunehmend ausgeblendet. Der ausschließliche Blick auf die Elitenbildung gelang, weil sich Heinrich von Gleichen in der Ring-Bewegung als Vertreter der ,,Oberschicht“ endgültig etablierte und, nach den Erfahrungen des abgelaufenen Jahres, nicht mehr auf eine ,,Revolutionierung“ der Massen durch einen außerparlamentarischen Aufstand im Sinne der Jungkonservativen zu hoffen war.312 Auch Stadtler musste schließlich eingestehen, dass die Strategie der Rechtsopposition geändert und an einer Politik auf Staats- und Parteiebene ausgerichtet werden müsste.313 Schon im April 1924 ließ Walther Schotte in einem Artikel die geänderte Kritik gegenüber parteipolitischer Praxis erkennen. Bis dahin hatte noch weitgehend die Forderung im Vordergrund gestanden, dass die konservativen Parteien ihre Politik im Sinne der ,,nationalen Opposition“ umsetzen sollten. Den Tod des DNVP-Politikers Karl Helfferich nahm Schotte zum Anlass, parlamentarische von außerparlamentarischer radikalkonservativer Arbeit zu trennen. Laut ,,Testament des Führers“314 habe die DNVP als Regierungs- wie auch als Oppositionspartei dafür Sorge zu tragen ,,verantwortlich“ und ,,scharf “ gegen die Erfüllungspolitik vorzugehen. Schotte schätzte die Möglichkeiten der DNVP, wenn sie erst mal in der Machtposition einer Regierungspartei sei, sehr hoch ein, um die ,,nachrevolutionäre Politik“ abzubauen und ,,außenpolitische Bewegungsfreiheit“ wiederzugewinnen. Gleichzeitig – und hier lag Schottes Neuerung und kaum verhüllter Appell an die außerparlamentarische Opposition – sollten Verbände, Vereine und Klubs sich als gesellschaftliche Standbeine dieser Politik verstehen. Im Oktober 1924 unterstützte Schotte den Regierungskurs der DNVP zusätzlich, indem er die europäische Perspektive für eine ,,konservative“ Politik positiv bewertete.315 Er unterstützte damit Heinrich von Gleichen, der schon im Jahr zuvor für ein offenes Bündnis mit England geworben hatte; auch Schotte sah im ,,konservativen Angelsachsentum“ eine Garantiemacht für eine deutsche Hegemonie auf dem europäischen Kontinent. Innerhalb des Gewissens wurden ab 1924, neben der OberschichtenSammlung, außenpolitische316 und weltwirtschaftliche Themen317 verstärkt 312

313 314 315 316 317

Heinrich von Gleichen (21.01.1924): Die Politik der vaterländischen Verbände, in: Gewissen, 6, H. 3, S. 1–3; Eduard Stadtler (07.07.1924): Bedenkliche Taktik. Die Schriftleitung, in: Gewissen, 6, H. 27, S. 1. Eduard Stadtler (31.08.1924): Die Krise der nationalen Opposition, in: Gewissen, 6, H. 35, S. 1–2. Walther Schotte (28.04.1924): Das Testament des Führers, in: Gewissen, 6, H. 17, S. 1–3. Walther Schotte (10.11.1924): ,,Deutsche Demokratie und konservatives Angelsachsentum“, in: Gewissen, 6, H. 45, S. 1–3. Hans Grimm (22.09.1924): Kolonialpläne, in: Gewissen, 6, H. 38, S. 1–3; Karl Hoffmann (07.04.1924): Singapore, in: Beilage Gewissen, in: Gewissen, 6, H. 14, S. 3–4, Erich Brock (28.04.1924): Deutschland und das Weltkapital, in: Gewissen, 6, H. 17, S. 2– 4; Hans Meydenbauer (13.10.1924): Exportpolitik?, in: Gewissen, 6, H. 41, S. 3–4; Fritz

282

3. ,,Der Ruf will gehört sein“ – das Profil des Gewissens

behandelt. Der Trend setzte sich 1925 fort; gleichzeitig flossen in die Begründungen für Elitenbildung und wirtschaftlichen Raumgewinn deutlichere antisemitische und biologistische Argumente als bisher ein.318 Der politische Höhepunkt des Jahres, die Wahl Hindenburgs zum Reichspräsidenten, verursachte im Gewissen eine zusätzliche Annäherung an die inhaltlichen Linien der DNVP.319 Diese Entwicklung fiel jedoch bei parteipolitisch weniger engagierten Autoren auf keine Gegenliebe. Hans Grimm begründete seinen Rückzug vom Blatt damit, dass er nicht mehr sicher sei, ob wirklich ,,jeder brennend nationale Mensch willkommen“ sei: ,,Bis vor kurzem schien es [...], daß das ,Gewissen‘, [...] die erste und einzige Zeitschrift sein könne, die dem parteifremden und fortwährend im latenten deutschen Kampfe stehenden Auslandsdeutschen (eigentlich sind wir das heute alle) ,deutsche Politik‘ zum ersten Mal als kochend heisse eigene Sache zeigen sollte. Bis vor kurzem schien es, als suchten ,Ring‘ und ,Gewissen‘ tatsächlich eine ,geistige Rechte‘ zu schaffen, als die unbedingt notwendige geistige Waffe einer neu nationalisierten Oberschicht und eines neu nationalisierten Volkes.“320

Doch mittlerweile nähere Gleichen sich allzu deutlich der landwirtschaftlichen Klientel an, die Grimm kaum als ,,Kerntruppe“ einer künftigen Oberschicht gelten ließ. Um das Gewissen endgültig umzuorientieren, war für Gleichen die Hürde in Form von Stadtlers Herausgeberschaft nicht besonders hoch. Er war mit Stadtler schon öfter während der Arbeit in der Motzstraße 22 aneinandergeraten und als Gleichen im Herbst 1925 die Positionen endgültig klären wollte, ging ihm Stadtler aus dem Weg.321 Diesem musste schon längst klar geworden sein, dass der tatsächliche Herausgeber Gleichen war: ,,Das ,Gewissen‘ hat sich aber aus dem ursprünglichen antibolschewistischen Massenorgan, dem Sie damals Ihren Stempel aufdrückten, als ich Sie zur Herausgeberschaft aufforderte, inzwischen zu einem immer ausgesprocheneren Oberschichtsorgan entwickelt. Das Gewissen wendet sich an die jungkonservative Intelligenz, ist eben das Organ der RING-Bewegung, wie ich sie führe, dergegenüber Sie sich ja ebenso zurückhalten, wie Sie seit Jahr und Tag zur Komposition des Gewissens nur indirekt beitragen.“

Obwohl Stadtlers quantitative Leistung für die Zeitschrift Gleichens Vorwurf

318

319 320 321

Nonnenbruch (06.10.1924): Der deutsch-französische Handelsvertrag, in: Gewissen, 6, H. 40, S. 3. Heinrich von Gleichen (28.02.1925): Die Verantwortung der Herrschaft, in: Gewissen, 7, H. 9, S. 1–3; Karl Hoffmann (16.03.1925): Unruhe im Orient, in: Gewissen, 7, H. 11, S. 1– 3; Hans Kister (09.02.1925): Jahreswende in Südwest, in: Gewissen, 7, H. 6, S. 2–3; Harry Laeuen (27.07.1925): Die soziale Frage, in: Gewissen, 7, H. 30, S. 2–4; Walther Schotte (07.12.1925): Deutschland und die koloniale Welt, in: Gewissen, 7, H. 49, S. 1–3. Martin Spahn (06.04.1925): Führerschaft und Präsidentenwahl, in: Gewissen, 7, H. 14, S. 1–3; Werner Wirths (27.04.1925): Parole Hindenburg, in: Gewissen, 7, H. 17, S. 2. DLA Marbach A: Hans Grimm/Br.A.: Brief (12.01.1925) Hans Grimm an H. v. Gleichen. ,,Ich weiss nicht, ob mit solchem wiederholten Ausweichen meinen Aufforderungen zu gemeinsamen Besprechungen und Veranstaltungen gegenüber eine Absicht Ihrerseits verbunden ist.“ BArch Koblenz R 118/35 Akten des Politischen Kollegs: Brief (07.10.1925) H. v. Gleichen an Eduard Stadtler.

3.2 Im Spannungsfeld: Jungkonservative und Politik

283

entkräftete, blieb die Tatsache bestehen, dass Stadtlers Antibolschewismus und Weltrevolutions-Beschwörungen 1925 nicht mehr den Bedürfnissen der Republikgegner entsprachen. Diese traten mit profilierteren Inhalten und Strategien auf; das Gewissen, Motor und Produkt dieses Prozesses, orientierte sich endgültig am parteipolitischen Einfluss der DNVP. Die Entwicklung korrespondierte mit einer vorübergehenden vermeintlichen Erlahmung der rechtsoppositionellen Bewegung. Gleichen verhandelte ,,immer wieder mit ordentlichen Leuten von den drei Gruppen [DNVP, NSDAP, Völkische; C.K.]“, meinte aber ,,natürlich nur wenige“ fähige Männer gewinnen zu können.322 Die Stabilisierung der Republik hatte bei allen Politikern das Bedürfnis nach spektakulären Angriffen gegen das System beeinträchtigt. Gleichens Sekretär Hans Rosenberger konstatierte wenig später ,,Stagnation und Konsolidierung“ in der gesamten radikalkonservativen Opposition.323 Nachdem das Gewissen 1925 vollständig unter die Kontrolle Heinrich von Gleichens gelangt war und der Jungkonservatismus als eine unzweifelhaft elitäre Grundlage des Herrenklubs gedeutet wurde, setzte sich auch in der Öffentlichkeit das Bild der jungkonservativen internen Fraktionen durch. Stadtlers Gegen-Gründung zu Gleichens ,,geistiger Adelssammlung“ war der ,,Bund der Großdeutschen“, und in der Presse galt es als naheliegend, dass Stadtler Teile der Deutschnationalen für den Bund gewinnen wolle, um eine eigene Partei zu gründen. Auf der anderen Seite wurde die reichsweite Aktivität des Herrenklubs als Vorbereitung zur Übernahme der DVP durch Gleichen gedeutet. Beide Wahrnehmungen machten deutlich, wie wenig überzeugend in den Jahren zuvor der überparteiliche Anspruch der RingBewegung und des Gewissens transportiert worden war, da doch beide führenden Vertreter im Moment der Auflösung sofort als eindeutige Parteigänger identifiziert wurden.324 Insgesamt wird deutlich, wie die Entwicklungen im rechtsextremen Lager und während des Krisenjahres 1923 auf die Publizistik des Gewissens einwirkten. Die Ruhrbesetzung interpretierten die Jungkonservativen als existenzielle Herausforderung und gemäß ihrer kriegspropagandistisch geschulten Fernsicht als Fortsetzung des Weltkriegs. Im Herbst 1923 wuchsen im Gewissen jedoch die Befürchtungen, dass der von der Rechtsopposition getragene ,,Abwehrkampf “ zersplittere, zudem formierte sich in den eigenen Reihen Widerstand gegen den brachialen Kurs des Gewissens. Den ,Ruhrkampf ‘ interpretierten die Gewissen-Herausgeber vor allem von den RuhrUnternehmern ausgehend, die die Arbeiterschaft mitziehen sollte. Umso enttäuschter war das Gewissen nach Abbruch des Widerstands und mit der 322 323 324

DLA Marbach A: Hans Grimm: Brief (03.11.1925) H. v. Gleichen an Hans Grimm. DLA Marbach A: Hans Grimm: Brief (09.09.1927) H. Rosenberger, Mittelstelle des Ringes, an Hans Grimm. BArch Berlin R 8034III/446 Presseausschnittsammlung – Reichslandbundes, Personalie Eduard Stadtler: Nationalliberale Correspondenz (11.03.1926): Stadtler und Gewissen.

284

3. ,,Der Ruf will gehört sein“ – das Profil des Gewissens

Erkenntnis, dass die Ruhrindustrie wieder ihren Geschäften nachging. Neue Hoffnungen setzte man in den Ausnahmezustand in Bayern, gab sich aber deutlich distanziert, als der Hitler-Ludendorff-Putsch im November scheiterte. Die Auswirkungen des Krisenjahres und schließlich die Wahlerfolge der DNVP führten schließlich zu einem lesbaren Kurswechsel im Gewissen, der mit Stadtlers Ausbootung 1925 zugunsten einer ausschließlich elitären Orientierung entschieden wurde. Die Fraktionsbildung im Hintergrund des Gewissens und die strategische Vereinheitlichung der Veröffentlichungen waren zum einen Ausdruck konkreter Machtansprüche. Zum anderen markierte die Veränderung auch das Ende einer politischen und intellektuellen Phase der Weimarer Republik: Die unmittelbare Nachkriegszeit ging zu Ende. Ein Putsch oder eine nationalistisch ausgerichtete Revolte gegen die Regierung wurden von weiten Teilen der Rechtsopposition endgültig ausgeschlossen und eindeutige Feindbilder, etwa auf Regierungsebene, erodierten. Das bisherige jungkonservative Denkkollektiv löste sich auf, aber der rechtsintellektuelle Beitrag, den das Gewissen zur politischen Kultur der Republik geleistet hatte, blieb wirksam und trug zur Radikalisierung der politischen Kultur bei.

3.3 Jugend, Männer, Führer: Nationalistische Erziehungskonzepte im Gewissen Im folgenden Teilkapitel werden nationalistische Erziehungskonzepte und männliche Elite-Vorstellungen der Gewissen-Publizistik untersucht. Die Forderungen der Gewissen-Autoren richteten sich an eine ,,Junge Generation“, wobei der Terminus nicht allein die jüngeren Geburtsjahrgänge ansprechen sollte, sondern alle politisch engagierten Republikgegner, die sich für eine neue, andere, eben ,,junge“ Form von Staat und Gesellschaft engagierten. Mit der Einrichtung des Politischen Kollegs sollte der jungkonservative Anspruch umgesetzt werden, die geistig-politische ,,Oberschicht“ in Deutschland zu solidarisieren und im eigenen Sinne zu schulen.325 Im Erziehungsdiskurs des Gewissens spielte der Verweis auf das Politische Kolleg als Ort des Geschehens eine wichtige Rolle, denn aus Sicht der Herausgeber und Autoren wurde hier der Beweis der eigenen Erziehungsberechtigung erbracht. Neben der Arbeit des Politischen Kollegs und seines Leiters Martin Spahn fanden auch aristokratische Elitevorstellungen Heinrich von Gleichens oder völkische Erziehungsideen Erich Kriecks im Gewissen ihren Platz, wo325

Detaillierte Überblicke zur Entstehung und Einrichtung des Politischen Kollegs liegen vor bei Petzinna: Erziehung, S. 143–189; Berthold Petzinna: Das Politische Kolleg. Konzept, Politik und Praxis einer konservativen Bildungsstätte in der Weimarer Republik, in: Ciupke: Erziehung, S. 101–118; Erich Nickel: Politik und Politikwissenschaft in der Weimarer Republik, Berlin 2003.

3.3 Jugend, Männer, Führer: Nationalistische Erziehungskonzepte im Gewissen

285

durch eine Mischung aus Forderungen nach ,,Führerausbildungsstätte“ und ,,Menschenzucht“ zustande kam. Durch die Verknüpfung sehnsuchtsvoller Jugendidealisierung, archaischer Männlichkeitsbilder und Überhöhung politischer Führungsfiguren ergab sich eine heikle Gemengelage, die den nationalistischen Bildungskonzepten, die im Gewissen verhandelt wurden, ein erhebliches radikales Potenzial verlieh. 3.3.1 Ideal und Projektionsfläche: „Junge Generation“ und Jugend ,,Fluchwürdiger als Klassenkampf ist der stille Kampf zwischen den Alten und den Jungen in einem Volke, das um seine Freiheit zu kämpfen hat!”326

Eingrenzung des Generationenbegriffs

Der Generationen-Begriff war keine originäre Bezugsgröße im Jungkonservatismus, sondern ein weit verbreiterter Topos, der in den 1920er Jahren gleich auf zweifache Weise eine Konjunktur erlebte. Erstens wurde der Begriff von Zeitgenossen verwendet, um Erfahrungen und Erinnerungen an das Umbrucherlebnis des Krieges in einen kollektiven Zusammenhang zu stellen.327 Populärstes Beispiel war die ,,Generation von 1914“, anhand der die individuellen Erinnerungen an die Aufbruchsstimmung des Kriegsanfanges in ein kollektives Erinnern transformiert wurde und in der Gegenwart nach 1918 Identität stiften konnte.328 Darüber hinaus flossen im Begriff ,,Junge Generation“ biologische und mentale Bezüge zusammen. Aufrufe und Appelle an die ,,Junge Generation“ vermittelten Aufbruch, Erneuerung und Kraft und gaben ein Versprechen auf die gesellschaftliche Zukunft, das sich zugleich auf die körperliche Vergänglichkeit bezog. Zweitens erlebte der Generationen-Begriff in der wissenschaftlichen 326 327

328

Walther Schulz (05.02.1922): Hoffnung, in: Gewissen, 4, H. 5, S. 3. Wolfgang Kruse: Gibt es eine Weltkriegsgeneration?, in: BIOS. Zeitschrift für Biographieforschung, Oral History und Lebensverlaufsanalysen, 18.2005, H. 2, S. 169–173. Tatsächlich sei ,,Generation“ ein entökonomisierter Konterbegriff zu ,,Klasse“ gewesen. Bernd-A. Rusinek: Krieg als Sehnsucht. Militärischer Stil und »junge Generation« in der Weimarer Republik, in: Jürgen Reulecke (Hrsg.): Generationalität und Lebensgeschichte im 20. Jahrhundert, München 2003, S. 127–144, S. 129. Roseman gibt zu bedenken, dass die ,,Generation von 1914“ ,,eher eine literarische und intellektuelle Vorstellung war, als der sich zur Generation bildende Ausdruck realer Erfahrungen einer spezifischen Jahrgangskohorte“. Mark Roseman: Generation als ,Imagined Communities‘. Mythen, generationelle Identitäten und Generationenkonflikte in Deutschland vom 18. bis zum 20. Jahrhundert, in: Ulrike Jureit/Michael Wildt (Hrsg.): Generationen. Zur Relevanz eines wissenschaftlichen Grundbegriffs, Hamburg 2005, S. 180–199, S. 192; Hans Mommsen: Generationenkonflikt und politische Entwicklung in der Weimarer Republik, in: Reulecke: Generationalität, S. 115–126.

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3. ,,Der Ruf will gehört sein“ – das Profil des Gewissens

Auseinandersetzung eine zwar nicht erste, aber bis heute nachhaltige Konzeptionalisierung. Karl Mannheims Aufsatz über ,,Das Problem der Generationen“329 von 1928 bietet auch der aktuellen Forschung einen Grundlagentext, der die Subjektivität und den Konstruktionscharakter des Generationenzusammenhanges betont und in diesem eine soziokulturelle Ordnungskategorie sieht.330 Demnach dient der Generationen-Begriff zum einen als Identitätsbegriff, mit dem Sozialisationsbedingungen als Erfahrungen gedeutet werden, die das gegenwärtige Denken und Handeln beeinflussen. Zum andere kann innerhalb und durch Generationen der ,,soziale[...] Mechanismus kulturellen Wandels“ sichtbar werden331 , da sie ,,altersspezifische[...] Wahrnehmungen der gesellschaftlichen Gegenwart“ ausdrücken. Da sich die generationelle Identität kollektiv ausprägt, werden gruppen- bzw. generationenspezifische, überindividuelle Muster erkennbar. Diese ,,auf altersspezifische Erlebnisschichtung basierende Gemeinschaft“ deutet ,,Ereignisse und Lebensinhalte aus derselben Bewusstseinsschichtung“ heraus.332 Deshalb können gemeinsame Deutungsmuster auch gemeinsame Handlungsmuster bedingen. Für die Untersuchung der jungkonservativen Gruppierung im Hintergrund des Gewissens ergeben sich daraus drei wichtige Impulse: (1) Der Erfahrungszusammenhang einer generationellen ,,imagined community“ wurde nach 1918 unter dem Signet ,,jungkonservativ“ durch Handlungen der Gegenwart wirkungsmächtig. Die jungkonservativen Akteure kamen zwar aus ähnlichen bildungsbürgerlichen Strukturen und gehörten ähnlichen Geburtskohorten an, hatten aber individuelle Prägungen in der Vorkriegs- und Kriegszeit erlebt. Individuelle Erfahrungszusammenhänge in eine kollektive Identität fließen zu lassen war nach 1918 anhand einer gemeinsamen Deutung

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Karl Mannheim: Das Problem der Generationen (1928), in: Wissenssoziologie. Auswahl aus dem Werk. Eingeleitet und herausgegeben von Kurt H. Wolff, Neuwied/Berlin 1964; Jürgen Zinnecker: »Das Problem der Generationen«. Überlegungen zu Karl Mannheims kanonischem Text, in: Reulecke: Generationalität, S. 33–58. Jureit/Wildt: Generationen, S. 7. Vgl. auch Beate Fietze: Historische Generationen. Über einen sozialen Mechanismus kulturellen Wandels und kollektiver Kreativität, Bielefeld 2009, S. 13–68; Wolfgang Knöbl: Eine Geschichte des soziologischen Nachdenkens über Generationen, (Oberseminar des Graduiertenkollegs Generationengeschichte), Göttingen 01.06.2005, online unter: http://www.generationengeschichte.uni–goettingen.de/ kngen.pdf, 20.05.2009. Vgl. auch Björn Bohnenkamp/Till Manning/Eva-Maria Silies (Hrsg.): Generation als Erzählung. Neue Perspektiven auf ein kulturelles Deutungsmuster, Göttingen 2009; Jürgen Reulecke: Einführung: Lebensgeschichten des 20. Jahrhunderts - ein ,,Generationencontainer“, in: Reulecke: Generationalität, S. VII– XV, VIII; Bernd Weisbrod: Generation und Generationalität in der Neueren Geschichte, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, 2005, H. 8, S. 3–9. Fietze: Historische, S. 89. Jureit/Wildt: Generationen, S. 9.

3.3 Jugend, Männer, Führer: Nationalistische Erziehungskonzepte im Gewissen

287

der Vergangenheit und einer Verständigung über notwendige Veränderungen der Gegenwart möglich.333 (2) Innerhalb des jungkonservativ-generationell bestimmten Kollektivs traten bis zur Mitte der 1920er Jahre feine Unterschiede zutage, die durch spezifische Zeiterfahrungen während der Kriegszeit bedingt waren. Die verdichtete Zeiterfahrung des Ersten Weltkriegs ließ die Generationenübergänge in den ersten Jahren der Republik zusammenschmelzen.334 Aber ab etwa 1924/25 machte es für die Deutung der Gegenwart einen Unterschied, ob der Krieg im Alter von knapp 40, 30 oder 20 Jahren erlebt worden war.335 Spätestens ab Ende der 1920er Jahre begann dann die Selbsthistorisierung ,,junger Weltkriegsteilnehmer“, die sich in einem spezifischen Stil der Kühle und Härte ausdrückte, mit dem sie sich von der Gruppe der Älteren, ,,die als gefühlig und zu sehr auf Personen statt auf ,die Sache‘ bezogen kritisiert wurden“ absetzen wollten.336 Eben zu diesen Älteren gehörte auch ein Großteil der Gewissen-Autoren. Interne Konflikte der Gewissen-Autoren können als feine Unterschiede in den generationellen Erfahrungszusammenhängen erklärt werden. (3) Die ,,Junge Generation“, als deren Teil sich die Jungkonservativen verstanden, konnte nur durch den öffentlichen Diskurs und die sprachliche Vermittlung als Ausdruck und Träger eines kulturellen Wandels in Erscheinung treten. Auf diese Weise wirkte das Gewissen an der ,,Produktion massenmedialer Diskurse“337 mit und konnte es sie durch das öffentliche Sprechen über den eigenen Generationenzusammenhang verfestigen. Als zusätzliche Bindemittel traten neben der Anknüpfung an die Kriegserfahrungen und Kriegsfolgen auch Mythen und tradierte Deutungsmuster – etwa der sogenannten Befreiungskriege gegen Frankreich – und die Bezüge zu

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Michael Wildt: Generation als Anfang und Beschleunigung, in: Jureit/Wildt: Generationen, S. 160–179, S. 163–164. Nach 1918 zerteilten und spalteten die Kriegsjahre ,,auf engstem zeitlichen Raum [...] die natürliche Überlagerung und Überlappung der intergenerativen Zusammenhänge derart, dass die hiervon hauptsächlich betroffene Altersstufe der jungen Weltkriegsteilnehmer eine rapide ,Selbsthistorisierung‘ erfährt“. Alexander Honold: ,,Verlorene Generation“. Die Suggestivität eines Deutungsmusters zwischen Fin de siècle und Erstem Weltkrieg, in: Sigrid Weigel (Hrsg.): Generation. Zur Genealogie des Konzeptes - Konzepte von Genealogie, Paderborn 2004, S. 31–56, S. 36. Jureit/Wildt: Generationen, S. 11. Ulrich Herbert: Drei politische Generationen im 20. Jahrhundert, in: Reulecke: Generationalität, S. 95–114, S. 98. Zum Stil der Kälte: Helmut Lethen: Verhaltenslehren der Kälte: Lebensversuche zwischen den Kriegen, Frankfurt a.M. 1999. Über die ,,generationsspezifische Relevanz des Haltungsbegriff “ am Beispiel der Jugendbewegung gegen Ende der 1920er Jahre vgl. Sabine Autsch: Haltung und Generation – Überlegungen zu einem intermedialen Konzept, in: BIOS. Zeitschrift für Biographieforschung, Oral History und Lebensverlaufsanalysen, 13.2000, H. 2, S. 163–180. Jureit/Wildt: Generationen, S. 23.

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3. ,,Der Ruf will gehört sein“ – das Profil des Gewissens

Jugend und Männlichkeit.338 Der Übernahme des Gewissens vorgelagert war die Einrichtung des Juni-Klubs, in dem ,,Ideen, Meinungen, Absichten und Visionen“ der jungkonservativen Ring-Bewegung im persönlichen Kontakt ausgehandelt wurden.339 Durch die Medialisierung der Aushandlungen wirkten diese ,,über die konkrete Gruppe hinaus“ und konnten weitere Individuen ,,werben“.340 Die politischen Strukturveränderungen boten anders als vor 1914 den politisch engagierten Männern die Gelegenheit, öffentlich und außerhalb des konventionellen staatlichen Machtapparates als Elite aufzutreten. Als jungkonservatives Kollektiv und Zeitschriften-Herausgeber waren sie eine neue generationelle Erscheinung in der medialen Öffentlichkeit, bis etwa 1924/25 ihre Deutungsmuster an Wirksamkeit und Einfluss verloren, sich veränderten und verändert wahrgenommen wurden. In der Gewissen-Publizistik und ihrer jungkonservativen Identitätsstiftung spiegelte sich somit auch der politischkulturelle Wandel: ,,Neue“ kulturelle Orientierungen entstanden, indem tradierte Kulturelemente mit aktuellen Interpretationsangeboten rekombiniert, neubewertet und rekontextualisert“ wurden.341 Erziehung, Jugend und generationelle Differenzierung

Die Überlegungen, die im November 1920 zur Gründung des Politischen Kollegs führten, waren kein Einzelphänomen in der Bildungslandschaft der Weimarer Republik, denn die Mangeljahre des Krieges hatten in Deutschland und anderen europäischen Ländern geradezu einen ,,Bildungsboom“ ausgelöst.342 Der Bildungsdiskurs der Weimarer Republik setzte auf eine umfassende Erziehungspolitik, die Auswege aus der krisenhaften Gegenwart zu bieten schien.343 Zu den charakteristischen Elementen dieser ,,eigenartigen Fixierung der öffentlichen Bildungsabsichten“ gehörte die Sehnsucht nach Einheit. Diese motivierte Bildungspolitiker und Pädagogen, die Überzeugungen der Lebensreformbewegung und Erfahrungen der Kriegspädagogik in einem ganzheitlichen Ansatz konsequent fortzusetzen. Man wollte der angenommenen Vereinzelung in der Massengesellschaft und der Zerrissenheit zwischen Klassen und politischen Richtungen entgegenwirken: ,,Erziehung 338 339 340 341 342 343

Christina Benninghaus: Das Geschlecht der Generation. Zum Zusammenhang von Generationalität und Männlichkeit um 1930, in: Jureit/Wildt: Generationen, S. 127–158. Mannheim: Problem, S. 548. Anke Wahl: Die Veränderung von Lebensstilen. Generationenfolge, Lebenslauf und sozialer Wandel, Frankfurt a.M. 2003, S. 59. Fietze: Historische, S. 178. Levsen: Elite, S. 214. ,,Erziehung in der Moderne“ als eine ,,Antizipation der Zukunft, Vorwegnahme einer anderen und besseren Welt“. Tenorth: Erziehungsutopien, S. 177. Dieter Langewiesche/Heinz-Elmar Tenorth: Bildung, Formierung, Destruktion. Grundzüge der Bildungsgeschichte von 1918–1945, in: dies. (Hrsg.): Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte. Band 5, 1918–1945, Die Weimarer Republik und die nationalsozialistische Diktatur, München 1989, S. 1–24, S. 1.

3.3 Jugend, Männer, Führer: Nationalistische Erziehungskonzepte im Gewissen

289

galt als eine ideale Strategie, angesichts von Revolutionsfurcht und bei einem weitgehenden Konsens des Antiradikalismus, das Neue dennoch möglich zu machen.“344 Darüber hinaus erfuhr der Status des Erziehers eine Aufwertung, denn weite Teile der akademischen Pädagogen plädierten dafür, die Erziehung als eine ,,quasi-ständische Aufgabe“ zu begreifen, die autonom von staatlicher Steuerung stattfinden solle.345 Zudem eröffneten die Modernisierungsschübe im Medien- und Freizeitbereich neue Möglichkeiten der Weiterbildung – etwa in den neu gegründeten Volkshochschulen –, und bekam die Reformpädagogik die Chance, sich trotz erheblicher Kontroversen346 in staatlichen Institutionen zu etablieren. Wenngleich der Beitrag zur Gesellschaftsveränderung alle Alters- und Bevölkerungsschichten umfassen sollte, galten die größten Hoffnungen der Jugend. Diese Hoffnungen wurzelten in den kultur- und gesellschaftskritischen Prägungen der Jahrhundertwende, in der Entwicklung einer eigenen Jugendkultur, in der Jugendbewegung347 und der zum Mythos erhobenen ,,Generation von 1914“.348 Die Ring-Bewegung verfolgte mit ihrem Erziehungsanspruch zwei Ziele: zum einen sollte die reale Jugend vor allem der Studentenschaft für die Bewegung gewonnen werden, zum anderen diente der Jugend-Begriff als emotionale und integrative Klammer für die gesamte Bewegung. Das Politische Kolleg sollte zur Umsetzung des ersten Zieles beitragen, während das zweite Ziel vornehmlich im Gewissen verfolgt wurde. Moeller hatte schon in ,,Das Recht der jungen Völker“ den Begriff der Jugend in eine metaphysische Kraft transformiert und als Frage der grundsätzlichen Einstellung formuliert: ,,Jugend eines Volkes ist bereitsein; ist Anwartschaft, ist Recht auf Geltung. Jugend hängt von seinem Mute zu sich selbst ab. Jugend ist ein Entschluß.“349 Der in den Gewissen-Artikeln verwandte Begriff ,,Jugend“ transportierte Assoziationen mit Charaktereigenschaften, die von Führungspersönlichkeiten erwartet 344 345

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347 348 349

Langewiesche/Tenorth: Bildung, S. 13. Heinz-Elmar Tenorth: Erziehungsutopien zwischen Weimarer Republik und Drittem Reich, in: Wolfgang Hardtwig/Philip Cassier (Hrsg.): Utopie und politische Herrschaft im Europa der Zwischenkriegszeit, München 2003. S. 175–198, S. 187. Nach Aufhebung der geistlichen Schulaufsicht 1918 musste die ,,politisch-professionelle Aufsicht über die Schulen neu besetzt werden [...], zugleich fehlte im Bildungsföderalismus“ eine einheitliche Instanz zur Durchsetzung des Verfassungsauftrags. Tenorth: Erziehungsutopien, S. 183. Vgl. auch Inge Hansen-Schaberg: Die Praxis der Reformpädagogik. Dokumente und Kommentare zur Reform der öffentlichen Schulen in der Weimarer Republik, Bad Heilbronn 2005. Vgl. auch Jon Savage: Teenage. Die Erfindung der Jugend (1875–1945), Frankfurt a.M. 2008. Mosse: Gefallen, S. 86. Moeller van den Bruck: Recht, S. 24. Vgl. auch Frank Trommler: Mission ohne Ziel. Über den Kult der Jugend im modernen Deutschland, in: Thomas Koebner/Rolf-Peter Janz/ Frank Trommler (Hrsg.): ,,Mit uns zieht die neue Zeit“. Der Mythos Jugend, Frankfurt a.M. 1985, S. 14–49, S. 15.

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3. ,,Der Ruf will gehört sein“ – das Profil des Gewissens

wurden. So versammelte die Aussage ,,Reif im Geiste und entschlossen zur Tat steht Deutschlands Jugend da“350 Qualitäten wie Entschlusskraft, Willen und Zukunftsfähigkeit.351 Für die mittlere und ältere Generation im Gewissen, die ihre Adoleszenz im ,,Glanz der Wilhelminischen Zeit“ erlebt hatten, komponierte der Jungkonservatismus – hier in den Worten Stadtlers – eine eigene Legitimationslinie, damit sie sich auch nach 1918 als ,,Junge Generation“ begreifen konnten. ,,Mit Begeisterung hing sie an dem inneren Wesen der Epoche. Kritisch forschte sie nach ihren Schwächen. Voller neuer Gedanken schaute sie in das neue Zeitalter, in das Jahrhundert der sozialen Solidarität. Da kam der Weltkrieg. Aus den Jünglingen wurden die großen Kämpfer. Aus den Kämpfern die frühgereiften Männer. Das Schwärmen zerrann wie Nebel im Trommelfeuer der Granaten, im Trommelfeuer der seelischen Erlebnisse. Die Vollmenschen des freien kritischen Geistes, der gedämpften Leidenschaft, der hochwertigen Willenskraft kehrten aus den Schützengräben und von der Gefangenschaft zurück.“352

Stadtler konstruierte einen gemeinsamen Ursprung und vermittelte den Gewissen-Autoren und Lesern einen existenziellen und generationellen Sinn für die Teilhabe an gesellschaftspolitischen Erziehungsutopien der Gegenwart. Der intellektuelle Status der Gewissen-Herausgeber wurde zusätzlich durch den Verweis auf die dringende Bildung einer politischen Führungsschicht untermauert, die sich an den geistigen Vorgaben der Ring-Bewegung orientieren müsse. Moellers Artikel gaben jedoch auch zu erkennen, dass er zwischen Resignation über die nachwachsende politische Generation und Hoffnung auf den Erfolg seiner Ideen-Vermittlung schwankte.353 Der jungkonservative Jugendbegriff konnte bis etwa 1925 – Moellers Todesjahr – seine integrative Wirkung entfalten. Bis dahin waren Vorstellungen von Jugend und die Projektionen ihrer Kraft von den Vorkriegserfahrungen geprägt und hatte der ,,Hunger nach sichtbarer Verjüngung“ das Grauen des Krieges überdauert – vor allem bei denjenigen, die an der geistigen Propagandafront gekämpft hatten. Hier lag auch die diskursive und mentale Nahtstelle zur Konjunktur von Männlichkeitsstereotypen, denn der Jugendkult – ob bürgerlich oder proletarisch initiiert – vereinigte die Ideale ,,Natürlichkeit, Virilität, Muskelkraft und von allen Konflikten gereinigte jugendliche Leidenschaft“.354 Der Jugend-Mythos stand bis zur Mitte der 1920er Jahre 350 351

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Eduard Stadtler (03.06.1919): Schicksal und Hoffnung!, in: Gewissen, 1, H. 8, S. 1. So auch die privat geäußerte Überzeugung: ,,und dabei fühle ich es in mir, dass wir beide unserm lieben Lande, unserm armen Volke die Wege der Rettung zeigen könnten.“ BArch Koblenz N1324 NL Martin Spahn: Brief (27.06.1919) Eduard Stadtler an Martin Spahn. Eduard Stadtler (03.06.1919): Schicksal und Hoffnung!, in: Gewissen, 1, H. 8, S. 1. Zu Richard Dehmels Tod bemerkte er, dass dessen relative Erfolglosigkeit in der Nachkriegszeit an der Ignoranz der Jugend liege: Moeller van den Bruck (18.02.1920): Gedenken an Dehmel, in: Gewissen, 2, H. 7, S. 2. Birgit Dahlke: Proletarische und bürgerliche Jünglinge in der Moderne. Jugendkult als Emanzipationsstrategie und Krisenreaktion um 1900, in: Ulrike Brunotte/Rainer Herrn

3.3 Jugend, Männer, Führer: Nationalistische Erziehungskonzepte im Gewissen

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als universale Einstellung gegen alles Schwache und Alte, wurde aber ab etwa 1925 konkreter gefasst ,,aus der Erfahrung der Geschichte, vor allem der des Krieges“.355 Mitte der 1920er Jahre wurde die so genannte Frontgeneration älter, die ,,verlorene Generation“ rückte nach und die öffentliche Meinungsführerschaft der ,,Gründerzeitgeneration“, die ähnlich wie Moeller während der Kriegszeit 35 bis 45 Jahre alt gewesen war, ließ deutlich nach.356 Als die unmittelbare Nachkriegszeit mit ihren Krisen auslief gab auch der Druck nach, der den Krieg zu einem gemeinsamen Erfahrungshorizont der politischen Generationen in der Republik geformt hatte. Die organisierte Jugendbewegung erlebte ab Mitte der 1920er Jahre eine deutliche Militarisierung357 ; ein weiterer Indikator für diesen Trend war der Boom der Kriegsliteratur und Heldenverehrung gegen Ende der 1920er Jahre.358 Die Geburtskohorten drifteten mit ihren Identifikationsmustern und Erinnerungsdeutungen auseinander; die Gründerzeitgeneration zeigte sich enttäuscht über die nachwachsende Jugend, die sie als unpolitisch, erlebnishungrig und romantisch feldlagernd beurteilte.359 Die Bildungskonzepte erlebten ähnlich wie der Jugenddiskurs nach ,,emphatischem Aufbruch [. . . ] bald die Auskühlung in neuer ,Sachlichkeit‘“.360 Der Verlust an Bindekraft innerhalb des Jungkonservatismus ging mit nachlassendem Erfolg des Politischen Kollegs einher. Für den Großteil der Gewissen-Autoren bedeutete die Transformationsphase zur Mitte der 1920er Jahre auch Veränderungen ihres politischen Engagements, das während der Zeit des Juni-Klubs dezidiert außerparlamentarisch und oppositionell gestaltet war. Der Elan der unmittelbaren Nachkriegszeit ließ bei den jungkonservativen Republikgegnern deutlich nach, auch erkennbar am Wandel des Juni- in den Herrenklub. Der politische Nachwuchs konnte immer weniger für das jungkonservative Elite-Konzept gewonnen werden.

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(Hrsg.): Männlichkeiten und Moderne. Geschlecht in den Wissenskulturen um 1900, Bielefeld 2008, S. 111–130, hier 127. Frank Trommler: Mission ohne Ziel. Über den Kult der Jugend im modernen Deutschland; in: Koebner/Janz/Trommler: Mit uns zieht, S. 14–49, S. 22; vgl. auch Haar: Revisionistische, S. 57. Peukert: Weimarer Republik, S. 26. Dietrich Heither: Verbündete Männer. Die Deutsche Burschenschaft – Weltanschauung, Politik und Brauchtum, Köln 2000, S. 172-249. Ein Beispiel ist die deutschlandweite Formierung des ,,Jungstahlhelm“ ab 1924: Joachim Tautz: Militaristische Jugendpolitik in der Weimarer Republik. Die Jugendorganisationen des Stahlhelm, Bund der Frontsoldaten Jungstahlhelm und Scharnhorst, Bund Deutscher Jungmannen, Regensburg 1998. René Schilling: ,Kriegshelden‘. Deutungsmuster heroischer Männlichkeit in Deutschland 1813–1945, Paderborn/München/Wien/Zürich 2002, S. 315. Vgl. auch Dirk Schumann: Einheitssehnsucht und Gewaltakzeptanz. Politische Grundpositionen des deutschen Bürgertums nach 1918. (mit vergleichenden Überlegungen zu den britischen ,middle classes‘), in: Mommsen: Erste Weltkrieg, S. 83–105. Fritzsche: Politische Romantik, S. 137–138; Trommler: Mission, S. 25. Langewiesche/Tenorth: Bildung, S. 13.

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3. ,,Der Ruf will gehört sein“ – das Profil des Gewissens

Für diese Wahrnehmungstransformation steht beispielhaft eine Auseinandersetzung von 1926 zwischen den Gewissen-Autoren Hanns Martin Elster, Jahrgang 1888, und Paul Ernst, Jahrgang 1866. Der Literaturwissenschaftler Hanns Martin Elster machte sich mit Anfang Dreißig einen Namen als Besitzer des Horen-Verlags.361 Paul Ernst schickte ihm das Manuskript seines ,,Kaiserbuchs“ und legte für Werbezwecke die Empfehlungen und Unterschriften bekannter Persönlichkeiten bei. Elster nahm das Manuskript an, war aber gleichzeitig empört, denn auf der Liste würden ,,Vertreter der jungen Generation“ fehlen: ,,Stattdessen stehen darunter alle möglichen Oberlehrer, Universitätsprofessoren, Hofräte, Adelspersonen und Grossindustrielle und dazu nur wenige Schriftsteller, die von dem genannten Kreise ihre Förderung und Nahrung nehmen. Die wirklich freien Schriftsteller fehlen unter dem Aufruf gänzlich.“362

Elster war zum Zeitpunkt dieses Briefes 38 Jahre alt, aber er sah sich als Schriftsteller und Intellektueller immer noch durch überkommene Funktionseliten ,,gegängelt“. Er warf dem 60jährigen Dichter vor, jüngere Persönlichkeiten nicht berücksichtigt zu haben, weil er die Leistung der Nachkriegsintellektuellen nicht gleichwertig anerkenne: ,,Nur dürfen Sie nicht mit Vorurteilen gegen unsereinen arbeiten, nur weil er keine Vorkriegstitel besitzt, und weil meine Generation sich ihrem Lebensalter nach erst nach vier Schützengrabenjahren bekannt machen konnte.“ An Elsters Vorwürfen gegen Ernst fällt das Spannungsverhältnis zwischen der Suche nach Nähe und Anerkennung und dem Bemühen um Abgrenzung von traditionellen Formen der Reputation auf. Elster wünschte stellvertretend für Schriftsteller seines Alters, an der Leistung der Gegenwart gemessen zu werden und er warf Ernst vor, zu sehr in wilhelminischer Ämter- und Ranghörigkeit verwurzelt zu sein. Ähnlich wie in Gewissen-Artikeln Berufspolitikern unterstellt wurde, nur durch bürokratische Verfahren und Konspiration an die Macht gekommen zu sein, deutete sich auch in diesem Konflikt das Sujet der überdauernden wilhelminische Bürokratie an; in den Worten Heinrich von Gleichens: ,,Das Prinzip des ewigen Geheimrats, der alle Ministerwechsel überdauert und recht eigentlich die Fäden in der Hand behält...“363 Den Wilhelminismus einerseits als alte, überkommene ,,Fassadenwelt“ zu entlarven, 361

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Elster, geboren 1888 und Kriegsteilnehmer, gab ab 1920 die ,,Deutschen Dichterhandschriften“ im Verlag Lehmann heraus; um 1924 war er Herausgeber der Zeitschrift Die Deutsche Jugend; ab 1926 war er Mitglied in der ,,Deutschen Schiller-Stiftung“, Herausgeber von Die Horen und 1925 bis 1932 Inhaber des Horenverlages, der dann von List übernommen wurde; NSDAP-Eintritt 01.05.1933; ab 1933 Schatzmeister der dt. Gruppe des P.E.N.-Clubs, außerdem 1933-34 Chefredakteur bei Das Dritte Reich; 1934–36 Redakteur der NS-Beamtenzeitung; nach dem Krieg wurde er Verlagsleiter bei der von Heinrich Droste gegründeten Buchgemeinschaft ,,Deutscher Bücherbund“. DLA Marbach A: Ernst 61: Brief (07.07.1926) Hanns Martin Elster an Paul Ernst. Heinrich von Gleichen (04.02.1920): Diktatur der Sachverständigen. In Beilage Liga zum Schutz der deutschen Kultur, in: Gewissen, 2, H. 5, S. 6.

3.3 Jugend, Männer, Führer: Nationalistische Erziehungskonzepte im Gewissen

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aber andererseits für die persönliche Entwicklung nicht zu diskreditieren, gab sich hier als subthematisches Dilemma der Gewissen-Publizistik zum Thema Jugend und Erziehung zu erkennen. 3.3.2 Selbstbehauptung als männliche Elite Wie schon im Kontext der Juni-Klubgründung ausgeführt, wurden nach dem Krieg die Reihen und Außengrenzen männlicher Korporationen fester geschlossen.364 Die Teilnahme oder Mitgliedschaft in Kreisen oder Zirkeln waren mit Formen von Aufnahmeriten verbunden, seien es die Gepflogenheiten des George-Kreises oder ,,männlichkeitsstiftende Rituale“ 365 wie das Fechten in Studentenverbindungen.366 Nach dem Krieg verbreiteten sich solche Formen der Initiation, rückten militaristische Männlichkeitscodes mitten in den Alltag und übernahm der Korpsgeist in paramilitärischen Einwohnerwehren oder Verbänden wie dem ,,Stahlhelm“ identitätsstiftende Funktionen für die teilnehmenden Männer. Im Juni-Klub entsprach solchen Ritualen die Aufnahme durch Vertrauensbekundung und die Angabe von mindestens zwei Fürsprechern. Der Klub verlor zwar durch zunehmende Mitgliederzahl seinen intimen Charakter, aber die Exklusivität und Beschränkung auf männliche Mitglieder wurde zu keinem Zeitpunkt aufgehoben. Vor diesem Hintergrund korrespondierte in der Sprache und in den Schreibstrategien des Gewissens das Elite-Erziehungs-Konzept mit spezifischen Männlichkeitsbildern. Die in der Weimarer Republik kursierenden Kriegserinnerungen und Gegenwartskritiken waren häufig von archaischen Deutungsmustern und einem hypertrophen Männlichkeitskult durchzogen, die sich unter anderem aus Motiven der Angst vor Veränderung und Bedrohung speisten.367 Die Überhöhung der eigenen körperlichen und mentalen Sinnhaftigkeit war auch Zeichen einer männlichen Identitätssicherung angesichts der auf Frauen ausgeweiteten Bürgerrechte, der egalisierenden Massengesellschaft, nationaler Gebietsverluste oder gar der Russischen Revolution.368 Hatte im Wilhelminismus das Weiblichkeitspostulat noch als natürliche Ergänzung des 364

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Levsen untersucht dies für die Universität Tübingen und stellt fest, dass diskriminierendes Verhalten männlicher Studenten im Universitätsalltag bedeutete, den Frauen ,,ihre Gleichberechtigung und intellektuelle Gleichwertigkeit abzustreiten und das Bild einer hierarchischen Geschlechterordnung aufrechtzuerhalten. [. . . ] Die Rituale des Korporationslebens jedoch trugen bedeutend dazu bei, das traditionelle Geschlechterbild zu erhalten und zu bestärken.“ Levsen: Elite, S. 84. Ebd., S. 100. Vgl. Svenja Goltermann: Körper der Nation. Habitusformierung und die Politik des Turnens 1860–1890, Göttingen 1998. Sombart: Die deutschen Männer, S. 16. Vgl. auch Klaus Theweleit: Männerkörper – zur Psychoanalyse des weißen Terrors. Männerphantasien; Bd. 1 und 2, Reinbek bei Hamburg 1980. Ulrike Brunotte/Rainer Herrn: Statt einer Einleitung. Männlichkeiten und Moderne –

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3. ,,Der Ruf will gehört sein“ – das Profil des Gewissens

Männlichen gegolten, wurde es nun zum Inbegriff unnatürlicher Zustände stilisiert.369 Krisendiagnosen der Männlichkeit überschnitten sich häufig mit Überhöhungen der Jugend, da die ,,moderne Zivilisation“ und ihre Folgen vermeintlich das ,,Gesetz der Natur außer Kraft“ setze und in besonderer Weise Jugend und Männer zu bedrohen schien.370 Solche Verarbeitungsstrategien und stereotypen Konstruktionen waren nicht auf ehemalige aktive Kriegsteilnehmer beschränkt. Die Motive überhöhter Männlichkeit wurden auch von nicht-aktiven Männern in der Nachkriegszeit fortgeschrieben, wie im Falle einiger Gewissen-Autoren, und in radikal dichotomischen Weltbildern zugespitzt.371 Mit dem Bild tradierter Geschlechterordnungen konnte auch auf Ideale von Ordnung, Sicherheit, natürlicher Harmonie und Vertrautem verwiesen werden372 , in denen der männliche Part immer die Aufgaben übernahm, zu entscheiden und zu schaffen: ,,Dem Begriff der Tat entsprach das Pathos des Willens, der Entschlossenheit, Männlichkeit und Gestaltungsfähigkeit, das in der Forschung oft mit dem Begriff des Dezisionismus verbunden wird und insbesondere in der ,Deutschen Rundschau‘, ,Der Neuen Preußischen Zeitung‘, dem ,Tag‘ sowie der ,Deutschen Allgemeinen Zeitung‘ gepflegt wurde.“373

Auch im Gewissen folgte man der existenziellen Argumentationskette von Willen – Erlebnis als Tat – Männlichkeit, wobei sich die intellektuellen Zeitschriften-Herausgeber und Autoren darauf konzentrierten, als Vorbild einer ,,neuen Elite“ aufzutreten.374 Unter dem männerbündischen Symbol des Ringes sprachen sie im Gewissen über ihre exklusive Identität, wodurch sie konkrete Bezüge für ihr eigenes Überlegenheitsgefühl und das ihrer Leser schufen. Die erste öffentliche Veranstaltung des Juni-Klubs fand zwar vor weiblich dominiertem Publikum im Berliner Lyzeum Klub statt, aber sollte keineswegs ein Zeichen in Richtung weiblicher Mitgliedschaften setzen. Vielmehr sollten Frauen den ihnen vorgesehenen Platz in der nationalen Gemeinschaft einnehmen. Insofern konnten die Männer der Ring-Bewegung die Vorträge vor Frauen als erzieherische Maßnahme akzeptieren.375

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Pathosformeln, Wissenskulturen, Diskurse, in: dies. (Hrsg.): Männlichkeiten, S. 9–23, S. 17. Theweleit: Männerkörper, Bd. 1, S. 236–255. Vgl. auch die Untersuchung des ,,Männerbundtheoretikers“ Hans Blüher: Claudia Bruns: Politik des Eros. Der Männerbund in Wissenschaft, Politik und Jugendkultur (1880–1934), Köln 2008. Roseman: Generation, S. 190. Über die enge Verbindung des Kriegserlebnisses und Männlichkeitsbilder: Ernst Hanisch: Männlichkeiten. Eine andere Geschichte des 20. Jahrhunderts, München 2005. Kämper: Männliche Nation, S. 15. Graf: Zukunft, S. 276–277. Seemann: Konzept, S. 27. Vorstellungen von ,,heldischer Maskulinität und nationaler Identität“ waren schon länger miteinander verknüpft, aber nach dem verlorenen Krieg kippte die Idealisierung männlicher Ehre in ein Bewusstsein von Bedrohung und Entmännlichung. Ute Planert: Kulturkritik und Geschlechterverhältnis. Zur Krise der Geschlechterordnung zwischen

3.3 Jugend, Männer, Führer: Nationalistische Erziehungskonzepte im Gewissen

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Trotz antifeministischer Semantiken und einer ausschließlich männlich konnotierten Weltsicht, nach der die gesellschaftliche Dichotomie in männliche und weibliche Sphären erhalten bleiben sollte, entdeckten radikalnationalistische Antidemokraten das Potenzial der weiblichen Wählerschaft. Bei Reichstagswahlen kam etwa die Hälfte der DNVP-Wählerstimmen von Frauen.376 Den antidemokratischen Aktivistinnen wurde von männlicher Seite jedoch nur zugestanden, in eigenen Zusammenschlüssen den Kampf gegen die Republik organisatorisch und publizistisch zu unterstützen.377 Nationalistinnen standen vor dem Dilemma einerseits von der organischen Determination der Geschlechter und davon abgeleitet der Gesellschaft und des Staates überzeugt zu sein. Andererseits stießen sie mit ihrem politischen Engagement und publizistischen Einsatz zur Durchsetzung dieser Weltanschauung regelmäßig an die Grenzen männlicher Bereitschaft, ihre Beiträge gleichwertig anzuerkennen.378 Nationalistinnen der DNVP erzielten jedoch die meiste Wirkung durch ihre publizistische Tätigkeit.379 Vor diesem Hintergrund entstand unter anderem der ,,Ring Nationaler Frauen“ (RNF), der sich an den Vorgaben der Ring-Bewegung orientierte, aber eigenständig versuchte, ,,eine möglichst große Zahl rechtsgerichteter Frauenverbände zu einer ,nationalen Frauenbewegung‘ zusammenzuschließen“.380 Beda Prilipp

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Jahrhundertwende und ,Drittem Reich‘, in: Hardtwig: Ordnungen, S. 191–214, S. 202; Schilling: ,Kriegshelden‘, S. 313. Vgl. den Forschungsüberblick ,,Männer- und Geschlechterforschung“ und ,,Männerbund“: Bruns: Politik, S. 23–35. Christiane Streubel: ,,Eine wahrhaft nationale Frauenbewegung“. Antidemokratinnen in der Weimarer Republik, in: Eva Schöck-Quinteros/Christiane Streubel (Hrsg.): ,,Ihrem Volk verantwortlich“. Frauen der politischen Rechten (1890–1937), Berlin 2007, S. 199– 229, S. 203. Vgl. auch Heinsohn: Konservative Parteien. Uwe Puschner: Völkische Diskurse zum Ideologem »Frau«, in: Schmitz/Vollnhals: Völkische Bewegung, S. 45–75. Der Lebensweg Käthe Schirrmachers von der Frauenbewegung zum konservativen Nationalismus in der DNVP veranschaulicht diese Ambivalenz. Ihr Einsatz für Frauenrechte innerhalb des radikalkonservativen Lagers führte kaum zu Erfolge, sie galt als Außenseiterin. Mit den Ring-Aktiven kam sie nicht näher in Kontakt, lediglich Eduard Stadtler begab sich 1925 scheinbar auf Augenhöhe mit ihr. Tatsächlich sah er sich aber veranlasst, ihre Sichtweise auf das Kaiserreich zu maßregeln, das nicht, wie Schirrmacher behauptete, ein ,,Männerstaat“ gewesen sei. Vielmehr, so schrieb Stadtler ihr, sei das Kaiserreich an der ,,Feminisierung der Männerwelt zu Grunde gegangen“. Damit machte Stadtler seine Ablehnung eines intellektuellen Beitrags weiblicher Nationalistinnen mehr als deutlich. Anke Walzer: Käthe Schirmacher. Eine deutsche Frauenrechtlerin auf dem Wege vom Liberalismus zum konservativen Nationalismus, Pfaffenweiler 1991, S. 91. Walzer zitiert aus einem Brief Stadtlers vom 23.11.1925. Beda Prilipp gab mit Ilse Hamel die Zeitschrift ,,Die Deutsche Frau“ heraus und war Redakteurin beim Tag. Lenore Kühn vom RNF gründete die ,,parteioffizielle Presse der DNVP“ und gab 1924 und 1925 zusammen mit Walther Schotte die Monatsschrift Frau und Nation heraus. Streubel: Eine wahrhaft, S. 204–205. ,,Der Ring Nationaler Frauen zeigt in der Publizistik seiner Anhängerinnen somit eine enge Bindung an die von Männern dominierte Ideologie antidemokratischen Denkens.“ Ebd., S. 215. Streubel: Eine wahrhaft, S. 202.

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3. ,,Der Ruf will gehört sein“ – das Profil des Gewissens

gehörte zu den bekanntesten Vertreterinnen des RNF, die erst 1925 und nur einen einzigen Artikel über den RNF im Gewissen veröffentlichte, bezeichnenderweise im Feuilleton.381 Diese Geringschätzung war symptomatisch und schlug sich in einer systematischen Marginalisierung nieder: ,,Betrachtet man die Chancen dieser Autorinnen, in den von Männern geführten Blättern zur Sprache zu kommen, so waren sie am schlechtesten in Zeitschriften, die nur alle zwei bis vier Wochen erschienen. Die Seiten dieser Druckschriften war bis auf wenige Ausnahmen für männliche Publizisten reserviert, die über einen gewissen Bekanntheitsgrad verfügten.“382

Aus bürgerlicher, konservativer Perspektive trug die geschlechtsdeterminierte organische Aufgabenverteilung einer Gesellschaft zur Selbsterhaltung bei, da jedes Gesellschaftsmitglied mit einem bestimmbaren Kontingent an Fähigkeiten ausgestattet war und sich daraus, ähnlich wie in der ständischen Gliederung, seine gesellschaftliche Aufgabe ableite. Üblicherweise beschränkten sich aus dieser Sicht die positiven Anteile der Weiblichkeit auf ihre Fruchtbarkeit. Auch im Gewissen galt das Volk als ,,der liebende, der hegende, mütterliche Leib, dem wir alle leibhaft entsprossen sind, und dem wir durch unerklärliche bluthafte Bande verbunden bleiben; Volk ist der breite und dunkle, der inbrünstig verehrte Wurzelgrund unseres Wesens“.383 Auch beim Blick auf innenpolitische Konstellationen bot die Projektion der geschlechterspezifischen Zuschreibungen ein binnenlogisches Erklärungspotenzial.384 Mit Geschlechter-Attributen unterschied Moeller etwa eine linke geistige Fähigkeit zur ,,Vernunft“ vom rechten, quasi natürlich gewachsenem und deshalb überlegenem Verstand, der allein in der Lage sei, ,,die Verheerungen zu durchschauen, die von der Vernunft in den Menschen angerichtet werden“.385 Die Überlegenheit dieser Eigenschaft liege am männlichen ,,Wesen des Verstandes“, der einen Charakter benötige, wie ihn allein der konservative Mensch besitze. Der konservative Mensch bringe darüber hinaus ,,von Hause aus“ die Gabe mit, ,,zu urteilen und zu schließen, zu erkennen, was wirklich, was als Erscheinung nicht geleugnet werden kann“. Den Gegenpart zum kon-

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Beda Prilipp (23.02.1925): Ring Nationaler Frauen, in: Gewissen, 7, H. 8, S. 5–6. Streubel: Eine wahrhaft, S. 206. Max Hildebert Boehm (17.12.1919): Was wir wollen!, in: Gewissen, 1, H. 36, S. 1–2. Moellers Interpretationen erscheinen von Theodor Däubler inspiriert, dessen ,,Nordlicht“-Epos eine ,,hochmoderen Theorie des Patriarchats“ ausbreitete. Während Däubler jedoch ,,die Polarität Mann-Frau, männlich-weiblich zur Achse der Menschheitsentwicklung“ machte, betonte Moeller mit seinen dichotomischen Beschreibungsmustern vor allem den Zwang zur Beherrschung des ,,Weiblichen“. Vgl. Sombart: Die deutschen Männer, S. 139. Vgl. auch zum wilhelminischen Männlichkeitssyndrom Anette Dietrich: Weiße Weiblichkeiten. Konstruktionen von ,,Rasse“ und Geschlecht im deutschen Kolonialismus, Bielefeld 2007. Moeller van den Bruck (17.03.1920): Die Konservative Schuld, in: Gewissen, J. 2, H. 11, S. 1–2.

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servativ-männlichen Ideal zeichnete Moeller in der Regel mit den Attributen links, vernünftig, weiblich, schwach, unsittlich, urteilslos und mittelmäßig.386 Die gleiche Dichotomie wandte Moeller an, um die rassische Wertigkeit verschiedener Volksgruppen zu beurteilen. In seiner Rückmeldung auf Paul Ernsts Manuskript zum Thema ,,Rasse“, das im Sammelband ,,Die Neue Front“ veröffentlicht wurde, ging Moeller auf die nach seiner Meinung ungenaue Trennung zwischen den baltischen Volksgruppen der Esten und Letten ein. Moeller schlug vor, nur den Letten alle unschönen Rasseeigenschaften zuzuschreiben, da sie erfahrungsgemäß das grausamste Volk unter den Balten seien: ,,Ich erinnere mich meiner eigenen Beobachtungen im Baltikum vor dem Kriege. Und ich erinnere an die Erfahrungen während der Revolution, die eine Bestätigung brachten: an die lettischen Garden der Sowjet-Regierung, den grausamen lettischen Hinrichtungskommissar in Petersburg, an die berüchtigten Flintenweiber von Riga. Dagegen sind die Esten doch sehr viel ruhiger und patriarchalischer. Und ich glaube, wir müssen da gerechterweise unterscheiden.“387

Die hier auftretende bedrohliche Weiblichkeit, in ihrer vermännlichten Form mit der Flinte in der Hand, trat häufig in Kriegserinnerungen in Verbindung mit der ,,roten Horde“ auf und drückte männlich-bürgerliche Ängste in doppelter Codierung aus.388 Moellers Ausführungen im Privaten deuteten diese Bedrohungsformen an, aber fanden sich weniger in Texten des Gewissens. Ängste vor Statusverlust und vor der Auflösung von Ordnung bildeten vielmehr die Grundierung in Idealbildern, in denen Frauen nicht in Erscheinung traten. Jungkonservative Männlichkeitsbilder zeigten vorrangig ruhige, sachliche und ernste Charaktere, die sich mutig und in festen Grenzen bewegend der verfahrenen nationalen Situation stellten. In den Worten Gleichens:

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Ähnlich auch in Moeller van den Bruck (02.06.1920): Der Mangel an Männern, in: Gewissen, 2, H. 21, S. 3–4. Moellers Dichotomie beinhaltet den weiteren Aspekt ,,Versehrtheit“ versus ,,Unversehrtheit“: Vgl. dazu: ,,Die Berührung mit weiblicher ,Versehrtheit‘ oder Sterblichkeit, so die zugrundeliegende Vorstellung, infiziert den Mann – oder den Geist - und gefährdet somit dessen Unsterblichkeit / Unversehrtheit.“ Christina von Braun: Der Eros des Zweifels. Zur Rolle des Intellektuellen in der modernen Gesellschaft. Radioessay, Südwestfunk Stuttgart, S2 (DLA Marbach) 07.12.1997, S. 8. Moellers Völkerkonzept muss im Zusammenhang dieses Aufklärungstopos gesehen werden. Auch wenn Moeller sein Weltbild ,,metaphysisch“ begründet, d. h. den Franzosen mit weiblichen Konnotationen versieht, die Deutschen dazu auffordert ihre eigenen männlichen Eigenschaften wiederzuentdecken, dann bedeutet das trotzdem einen realen Bezug. Denn im zeitgenössischen Diskurs konnte dieser Gedankengang nicht anders enden, als in der Feststellung, dass Deutsche sich nicht mit Franzosen vermischen dürfen. Auch wenn Moeller das nicht biologistisch begründet, war sein Konzept so gestaltet, dass es nur rassistisch gedeutet werden konnte. DLA Marbach A:Paul Ernst 61: Brief (22.03.1921) Moeller van den Bruck an Paul Ernst. Theweleit: Männerkörper, Band 2, S. 35. Das vorgeschobene Weib mit der Flinte unterm Rock, decodierte Theweleit als ,,proletarische Hure“, die Kastrationsangst verbreitet: Theweleit: Männerkörper, Band 1, S. 81.

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3. ,,Der Ruf will gehört sein“ – das Profil des Gewissens

,,Der Ruf nach Kerls wird laut. Hinaus mit allen Federfuchsern, Literaten und Schiebern aus den Stellen, wo öffentliche Verantwortung Gedanken und Wort bestimmt [sic], und heran mit Leuten, die auf sich selbst stehen, heran an die Notarbeit, an die Stellen des Dammbruchs.“389

Die idealisierten Männerbilder zeichneten sich vor allem durch die Fähigkeit des Aushaltens und Ertragens aus, wodurch die in der Weimarer Republik so populären Männer der Tat mit Philosophen und Denkern auf eine Stufe gestellt werden konnten: ,,In der Tat: niemals in der Geistesgeschichte Europas ist ein Denker so sehr von Grund auf zugleich Mann gewesen und Mann geblieben. Hegel ist zugleich der erste und letzte Denker des Festlandes gewesen, dessen Weltbild nicht aus der Flucht vor dem Leben entstand, sondern ganz und gar die härteste Wirklichkeit zum Grunde hatte.“390

Während über die Ideale und Sehnsüchte der Männer im Gewissen breit verhandelt wurde, äußerten sich nur wenige Autoren konkret zu ihren Vorstellungen von Frauen. Entweder wurden weibliche Attribute, wie bei Moeller, sofort in metaphysische Deutungen übertragen oder stillschweigend vorausgesetzt. Wenn Frauen explizit thematisiert wurden, vermittelten die Texte ein deutliches Unbehagen. Günther Axhausen, der sich im Gewissen für eine Sportpflicht für Männer einsetzte391 , machte seine zwiespältige Haltung gegenüber nationalistischen Frauen deutlich: ,,Es ist eine Selbstverständlichkeit, daß der Kreis besonders der politischen Rechte bei der gesteigerten Bedeutung der Frau im öffentlichen Leben eine entsprechende Erweiterung erfahren mußte, [...]. Leider aber droht sich diese angestrebte Gleichstellung von Mann und Frau nach heutiger Gewohnheit in extreme Forderungen zu verlieren durch völlige Entfernung vom Ausgangspunkt und unter Verkennung oder absichtlicher Nichtbeachtung der von der Natur gegebenen Verhältnisse und Aufgaben der Frau.“392

Axhausen sah die natürlichen Sphären der Geschlechtertrennung und dadurch den Handlungs- und Entscheidungsbereich der Männer bedroht. Die Abwehrstrategie Axhausens basierte auf einer bewährten Formel antifeministischer Hegemonieansprüche, indem er das Verhalten der kritisierten Frauen als unweiblich, also nicht-natürlich diffamierte. Hierfür wählte er Zuschreibungen, die im gesellschaftlichen Diskurs als Zeichen für Unfruchtbarkeit decodiert werden konnten, denn es beginne ,,sich allmählich ein Typus Frau herauszubilden, der durch die Einwirkung des Parlamentarismus ein Gemisch von Demagogie, Verknöcherung, Blaustrumpftum und Bürokratie darstellt“. Axhausen konstruierte mit den Attributen ein Frauenbild, das dem Fruchtbarkeitsideal entgegengestellt wurde und Ängste vor dem ,,Aussterben“ der Deutschen wenig subtil provozierte. 389 390 391 392

Chronist (12.05.1920): Fallen Entscheidungen?, in: Gewissen, 2, H. 18, S. 1. Asmus Gendrich (25.08.1920): Hegel, in: Gewissen, 2, H. 33, S. 3. Günther Axhausen (24.10.1921): Sportpflicht, in: Gewissen, 3, H. 43, S. 4. Günther Axhausen (15.08.1921): Aufgaben der deutschen Frau, in: Gewissen, 3, H. 33, S. 3–4, hier 3.

3.3 Jugend, Männer, Führer: Nationalistische Erziehungskonzepte im Gewissen

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Das Angst-Motiv kam in einem Bericht Albert Dietrichs über einen ,,Pazifistischen Frauenkongress“ in Bremen 1922 in einer weiteren Bedeutung zum Tragen.393 Da die teilnehmenden und vortragenden Frauen hauptsächlich aus dem demokratischen oder sozialistischen Lager stammten, konnte Dietrich an ihnen beschreiben, wie die politische Unfähigkeit von Frauen nach seiner Meinung der nationalen Gefährdung Tür und Tor öffnete. Über den Vortrag einer sozialistischen Lehrerin zum Thema ,,Pazifismus und Sozialismus“, äußerte Dietrich, er habe bisher schon ,,sozialistische Hetzreden in den verschiedensten Sach- und Wertabstufungen gehört; niemals jedoch ist mir ein leichtfertigeres, inhaltsloseres, doktrinäreres und vor allem unvornehmeres Redemachwerk zu Ohren gekommen“. Mehr noch als bei den Rednerinnen, erschien Dietrich die Gefahr in der weiblichen Zuhörerschaft zu liegen: ,,Nie habe ich deutlicher die katastrophalen Folgen der Unverfrorenheit und scheinlogischen Beweisglätte an den Gesichtern weiblicher Zuhörer studieren können. [...] Hier möchte ich hinzufügen, daß mich ein tiefes Grauen und namenloser Ekel gegen die bewußt fanatisierende Frau noch sie so stark ergriffen hat, wie an jenem Abend [...].“

Die ,,fanatisierende Frau“ war ein Bild, das im Zuge des politischen Emanzipationsschubs in der Weimarer Republik möglich geworden war. Die Assoziationen und emotionale Abwehr dieses Bildes gingen jedoch zurück auf das der ,,hysterischen Frau“, die schon um die Jahrhundertwende männliche Ängste und Machtansprüche hervorgerufen hatte.394 Wie gezeigt, knüpften die Männlichkeitsbilder im Gewissen an vorhandene konservative und bürgerliche Wert- und Weltbilder an. Frauen wurden innerhalb der jungkonservativen Ring-Bewegung vereinzelt zugelassen, aber insgesamt versuchten die rechtsintellektuellen Männer, den eigenen Aktionsbereich von Frauen getrennt zu halten. Im organischen Weltbild des Gewissens sollten männliche und weibliche Attribute erklären, dass getrennte Sphären nach Geschlechtern ebenso wie nach Völkern und Rassen eine notwendige Voraussetzung für den Erhalt des gesamten ,,Organismus“ seien. Diese Deutung fungierte auf persönlicher und politischer Ebene als Verarbeitungs- und Abwehrstrategie gegen die Marginalisierung der eigenen Person – als Mann, Intellektueller und Deutungsbeherrscher – sowie des eigenen Volkes. 3.3.3 Primat der Ungleichheit: Heinrich von Gleichens Elitenbildung Der jungkonservative Elitismus bezog zumindest in den ersten Jahren rhetorisch die gesamte Bevölkerung ein. Der emotionalen Integration der Ge393 394

Albert Dietrich (24.04.1922): Pazifistischer Frauenkongress, in: Gewissen, 4, H. 17, S. 2– 3. Franziska Lamott: Die vermessene Frau. Hysterien um 1900, München 2001; Elisabeth Bronfen: Das verknotete Subjekt. Hysterie in der Moderne, Berlin 1998.

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3. ,,Der Ruf will gehört sein“ – das Profil des Gewissens

wissen-Leser in die jungkonservative Erziehung der Nation lag ein zutiefst bürgerliches Motiv zugrunde, denn der bürgerliche Blick auf die Massen war seit der Zeit der Nationalisierungsbewegung mit dem Anspruch verbunden, die Massen zu einem Nationalbewusstsein zu erziehen.395 Die erzieherische Prämisse der Jungkonservativen richtete sich an das Innere und den Kern eines jeden Menschen, da sie in der Tradition des deutschen Idealismus der Ansicht waren, zunächst den Willen des Menschen und erst im zweiten Schritt die Umstände des Daseins wandeln zu müssen.396 Jedoch war das jungkonservative Erziehungsideal von einer subjektbezogenen Synthese genauso weit entfernt wie von christlichen Gemeinschaftsbezügen des Idealismus. Im Kern richtete der Jungkonservatismus sein Augenmerk auf Funktion und Wirkung einer ent-individualisierten Erziehung.397 Vor diesem Hintergrund wurde im Gewissen weniger über die Erziehung der Bevölkerung, sondern über die Masse als zu beherrschendes Objekt gesprochen; sie wurde eingeordnet, beurteilt und geformt und auf diese Weise übten Autoren wie auch Leser ihre Herrschaft über sie aus.398 Um aus der ungeformten und unterentwickelten Masse eine ,,volkliche Entität“ und Gefolgschaft zu formen, wurde zudem vorgeschlagen, eine ,,Gesinnungspflege“ unter Zwang anzuwenden, denn ,,Freiwilligkeit allein genügt nicht.“ 399 Die schreibende Herrschaft über die Masse schuf einen wichtigen Teil der jungkonservativen Identität. Durch direkte Ansprache und emotionale Einbindung des Lesers machte das Gewissen diesen zum emotionalen Teilhaber jungkonservativer Überlegenheit.400 Die Masse war aus diesem Grund so gut wie nie Adressat intellektueller Überzeugungsarbeit, sondern Objekt verschiedener Entwicklungsmissionen, sei es auf dem Weg zu einem ,,Volk“ oder ,,zur Klasse an und für sich“.401 395 396 397 398 399

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Andreas Schulz: Lebenswelt und Kultur des Bürgertums im 19. und 20. Jahrhundert, München 2005, S. 19-25. Asmus Gendrich (14.10.1919): Der Kulturdiktator, in: Gewissen, 1, H. 27, S. 1–2. Asmus Gendrich (24.10.1921): Politisierung und Entpolitisierung, 1, in: Gewissen, 3, H. 43, S. 2–3; vgl. auch Föllmer/Graf/Leo: Kultur der Krise, S. 28. Vgl. auch Michael Gamper: Masse lesen, Masse schreiben. Eine Diskurs- und Imaginationsgeschichte der Menschenmenge 1765-1930, München 2007. Heinz Brauweiler (09.04.1923): Gesinnung und Form, in: Gewissen, 5, H. 14, S. 3; entsprechend für den Wirtschaftswiderstand im Ruhrgebiet: ders. (19.02.1923): Stärkung der inneren Front, in: Gewissen, 5, H. 7, S. 2; ähnlich auch: Heinrich von Gleichen (28.04.1920): Selbsthilfe, in: Gewissen, 2, H. 16, S. 1–2; ders. (01.03.1920): Wir rufen!, in: Gewissen, 2, H. 9, S. 1; ders. (16.02.1925): Öffentliche Moral, in: Gewissen, 7, H. 7, S. 1–3. Alf Lüdtke: Einleitung: Herrschaft als soziale Praxis, in: ders. (Hrsg) Herrschaft als soziale Praxis. Historische und sozial-anthropologische Studien, Göttingen 1991, S. 9-63. Hermann Birschel (28.04.1920): Die Stellung der Landarbeiter in der Landwirtschaft, in: Gewissen, 2, H. 18, S. 3–4; Landrat a.D. von Dewitz (05.08.1919): Obligatorische Gewinnbeteiligung der Angestellten, in: Gewissen, 1, H. 17, S. 3; Walter de Laporte (13.06.1921): Um den deutschen Arbeiter, in: Gewissen, 3, H. 24, S. 3; Otto Leibrock (18.08.1920): Gewinnbeteiligung in Form von Kleinaktien. In Beilage ›Gewissen‹, in:

3.3 Jugend, Männer, Führer: Nationalistische Erziehungskonzepte im Gewissen

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Während die Masse als passives Entwicklungsobjekt galt, widmeten sich unterschiedliche Autoren den Prinzipien und Qualitäten einer gelungen Führungsauswahl. Hierbei galt das ,,Individuum“ als Todfeind der volklichen Entität, während die ,,Persönlichkeit“ als willensstarke Führungsfigur ihr erst zum Ausdruck verhelfe.402 Die politische Legitimation der Führung ergab sich aus verschiedenen Auswahlkriterien, die im Jungkonservatismus von ,,Sachverstand“ bis ,,Geistesadel“ reichten.403 In Moellers Definition der Führungsqualitäten verband er seinen persönlichen, intellektuellen Habitus des Außenseiters mit metaphysischen, irrationalen Prämissen seiner Weltdeutung. Aus seiner Sicht lag eine wichtige Führungsqualität in einem unvorhersehbaren, nicht kalkulierbaren Auftreten. Die Ausnahmeerscheinung sollte das Spiel auf der politischen Bühne bestimmen: ,,Der Führer war für [Moeller] ein Abweichler, eine überraschende Erscheinung, auch ein Stück Irrationalität.“404 Moellers ,,Snobismus des Absoluten“405 forderte von den politischen Führern in Deutschland eine unhintergehbare Existenz, einen absoluten Willen zur Durchsetzung und Authentizität des Auftretens. Seine Nietzsche-Rezeption war an diesem Punkt längst in eine Antizipation diktatorischer Macht gekippt. Für Nietzsche hatte die absolute Form immer als Mittel gegolten, um eine dionysische Existenz leben zu können, während Moeller die Form als letztlichen Zweck derselben sah. Allen voran sah Heinrich von Gleichen eine politische Elite dann legitimiert, wenn sie durch Auswahl und Erziehung eine moderne Adelsform eine ,,Geistesaristokratie“ begründete. Gleichens Positionen bildeten im Jungkonservatismus eine Schnittstelle zwischen adeligen Statusinteressen und rechten Ordnungsvorstellungen und auch als Person vernetzte er die verschiedenen Kreise. 1882 als Sohn von Alfred auf Tannroda und Birkigt und Antonie Freiin von Gemmingen-Hornberg geboren, hatte Heinrich von Gleichen eine standesgemäße Erziehung genossen, die Landwirtschaft erlernt und seinen Dienst in der Armee geleistet.406 Nach seinem Studium in Lausanne, Leipzig, Kiel und Berlin folgte eine Promotion in Jura. Bereits 1915 wurde er als Leutnant der Reserve ,,wegen

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Gewissen, 2, H. 32, S. 5–6. Ein Forschungsüberblick: Timm Genett: Angst, Haß und Faszination:. Die Masse als intellektuelle Projektion und die Beharrlichkeit des Projizierten, in: Neue Politische Literatur, 44.1999 H. 2, S. 193–240. Franz Schauwecker (29.06.1925): Individuum, Individualität und Persönlichkeit, in: Gewissen, 7, H. 26, S. 2–3; Hans Schwarz (22.09.1920): Der Abbau des Individualismus, in: Gewissen, 2, H. 37, S. 4. Gerstner: Rassenadel, S. 93-94. Mergel: Führer, S. 108-109. Mergel bezieht sich u. a. auf einen Artikel Moellers: ,,Der Außenseiter als Weg zum Führer, in: Der Tag, 15.1.1919, Wiederabdruck in ders.: Der politische Mensch, Breslau 1933, S. 65–75 Mosse zitiert Jacques Laurent: Les bêtises, Paris 1971. Mosse: Gefallen, S. 70. Angaben nach Deutsches Biographisches Archiv, Neue Folge bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts (DBA II) Online Version, München 2005ff. Vgl. auch Malinowski: Vom König, S. 426–429. Anders als häufig zu seinen Lebzeiten kolportiert war Heinrich kein

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3. ,,Der Ruf will gehört sein“ – das Profil des Gewissens

einer Herzschwäche als kriegsdienstuntauglich eingestuft und fand in verschiedenen Wirtschafts- und Propagandastellen der Obersten Heeresleitung Verwendung“. Aus diesen Verbindungen ergaben sich schließlich sein Vorsitz des ,,Bundes deutscher Gelehrter und Künstler“ und die Kontakte zu Moeller sowie Boehm. 1919, als er zu den Mitinitiatoren des Juni-Klubs gehörte, ,,verfügte der [37–jährige, C.K.] Baron [. . . ] über einen weiten Horizont, wichtige Kontakte zu einigen kommenden Männern der Rechten und über eine gewisse Organisationserfahrung“.407 Stadtler charakterisierte Heinrich von Gleichen in seinen Erinnerungen als ein ,,eklektisches Organisationstalent“: er habe ,,zwar schnell Kontakt zu anderen Personen herzustellen und für seine Pläne zu begeistern“, aber dann die geknüpften Beziehungen nicht zu pflegen und auszubauen gewusst. Später fand Schwierskott diese Beschreibung in einem Gespräch mit Boehm bestätigt, der Gleichen als ,,ein organisatorisches Talent ersten Ranges“ beschreibt, ,,ein Mann der schnellen und energischen, zugleich freilich auch einer nicht ganz stetigen Initiative“.408 Gleichens gesellschaftliches Auftreten galt als souverän und überzeugend. Boehm attestierte ihm, neben seinem ,,vorzüglichen“ Aussehen, ,,ritterlichen Freimut, persönliche Reserve“ ein starkes männliches Kontaktbedürfnis und die herausragende Fähigkeit beim ,,Einwirken von Mann zu Mann“.409 Charakteristisch für Gleichens Umgang mit Menschen erscheint eine Aussage über seinen Kontrahenten Stadtler in einem Brief von 1923: ,,Mit Stadtler habe ich mich bestens ausgesprochen ohne ins Detail zu gehen.“410 Gleichens adelige Prägung hielten ihn davon ab, massentauglich zu agieren. Vielmehr suchte er den politischen Erfolg mithilfe netzwerkartiger Verbindungen, in deren Mittelpunkt während der ersten Nachkriegsjahre der konservative Utopist Moeller stand.

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direkter Nachkomme Friedrich Schillers, im Gegensatz zu seinem älteren Vetter Alexander von Gleichen-Rußwurm. Er hatte im Rahmen einer ,,Studienfahrt“ mehrere Monate in England verbracht und war 1905 als Referendar ,,als Einjähriger in ein Ulanenregiment“ eingetreten. Er schlug jedoch nach dem Studium keine Beamtenlaufbahn ein, sondern betätigte sich ,,für verschiedene Wirtschaftsbetriebe u. a. als Buchprüfer [. . . ], bevor er 1908 Gutspächter wurde“ Vgl. Malinowski: Vom König, S. 427. Schwierskott: Arthur Moeller, S. 45, FN 25. Schwierskott bezieht sich auf Stadtlers Memoiren ,,Als Antibolschewist“. Vgl. auch über den ,,Mann der Querverbindungen“. BArch Berlin R 8034 III/150 Presseausschnittsammlung Reichslandbund: G. R. (Dez. 1931): Männer im Vordergrund. XVII: Heinrich Freiherr von Gleichen. Gleichen galt als ,,Verbindungsmann zu hohen Stellen“, jedoch auch als unleidlicher Mitarbeiter, wie die beiden Rauswürfe aus angesehenen Positionen im Generalstab bzw. der Betriebsstelle für Kriegswirtschaft zeigten. BArch Koblenz N 1077/1 NL Max Hildebert Boehm: Um das gefährdete Deutschtum, S. 144–145. BArch Berlin R 118/35 Akten des Politischen Kolleg: Brief (31.01.1923) H. v. Gleichen an Martin Spahn.

3.3 Jugend, Männer, Führer: Nationalistische Erziehungskonzepte im Gewissen

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Gleichen war überzeugt von der ,,Führung durch Berufung“ und misstraute bürokratischen Aufstiegsmöglichkeiten aus der zweiten Reihe.411 Er anerkannte aus dieser Perspektive etwa den Anführer der Russischen Revolution Lenin, den er zum Gegenentwurf der bürokratischen Verwaltungsdienerschaft stilisierte und dessen ,,Kraft und Stil“ in ,,genial-radikale[r] Weise“ Lösungen zu suchen er bewunderte.412 Die Initiatoren des gescheiterten Kapp-Putsches beurteilte Gleichen hingegen mit aristokratischer Herablassung: Wolfgang Kapp – ,,in völliger Hilflosigkeit der revolutionären Situation gegenüber“ –, General von Lüttwitz und auch Ludendorff – ,,tüchtige Männer vom Militär aber von bekannter Naivität, was die politische Beurteilung der Lage betraf “ –, seien mangelhaft vorbereitet gewesen und hätten keinen Mut bewiesen: ,,Unser Volk treibt führerlos und unbetreut dem Abgrunde entgegen. Rettung ist nur zu erwarten von mutigen Männern produktiven Könnens.“413 Im Artikel ,,Politisches Führertum“414 beschränkte Gleichen den Elite- und Führergedanken nicht auf Willensbildung und Charakterprägung, sondern ordnete er das Prinzip Führertum geschichtlich ein. In preußischer Interpretation nannte er die Befreiungskriege gegen Frankreich und das ,,gigantische Werk“ Fürst von Bismarcks zur ,,staatspolitischen Sammlung unseres Volkes“. Während beide historischen Situationen die organische Ordnung als Grundlage eines ,,politischen Führertums“ gezeigt hätten, strebe der Marxismus die Nivellierung und Selbstzerstörung solcher Ordnungen an. Eine funktionsfähige und effektive Führungsschicht erwachse jedoch nur aus einer körperschaftlich organisierten und konfliktfreien ,,Volksgemeinschaft“. Gleichen äußerte sich nicht zu Verfahrensfragen, sondern stellte die Regierung als Zentrum der politischen Willensbildung heraus, während Parteien und Partei-Programme lediglich die Entschlussfähigkeit der Verantwortlichen lähmten: ,,Wenn Politik eine Sache der Möglichkeit ist, dann kommt es darauf an, dass Möglichkeiten nicht den Menschen beherrschen, sondern der Mensch zum Herren der Möglichkeiten wird.“ 415 In ,,Oberschicht und Führung“416 baute er den Führergedanken aus und verknüpfte Aristokratie, Führerauslese und Herrenmenschentum:

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Chronist [P] (24.12.1919): Erzberger-Organe: Otto Drießen, in: Gewissen, 1, H. 37, S. 1; Hutten [P] (04.11.1919): An Dr. Geßler, den Wiederaufbauminister, in: Gewissen, 1, H. 30, S. 1. Heinrich von Gleichen (31.03.1920): Die Komödie der Unzulänglichkeit, in: Gewissen, 2, H. 12, S. 1. Ebd. Heinrich von Gleichen (12.12.1920): Politisches Führertum. Stimmen zum Merk- und Werbeblatt, in: Gewissen, 2, H. 49, S. 3. Heinrich von Gleichen (02.03.1921): Die Partei, in: Gewissen, 3, H. 9, S. 3–4, hier S. 4. Heinrich von Gleichen (14.07.1924): Oberschicht und Führung, in: Gewissen, 6, H. 28, S. 1–3.

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3. ,,Der Ruf will gehört sein“ – das Profil des Gewissens

,,Aristokratie bedeutet die politische Herrschaft einer in sich geschlossenen Minderheitsgruppe innerhalb einer breiteren Oberschicht, die mit politischer Macht ausgestattet die Nation in ihrer Spitze repräsentiert. Aristokratie bedeutet die persönliche Verkörperung des geschichtlichen Wollen eines Volkes durch einen Stand.“

Ab 1924 und mit dem Kurswechsel innerhalb des Ringes wurde immer deutlicher, dass die wenigen Artikel Gleichens, in denen er gesamtgesellschaftliche Forderungen stellte, rein strategisch angelegt waren. Gegenüber Hans Grimm äußerte Gleichen, dass er ein ,,Bekenntnis zur Nation“ eher funktional begriff: zum einen bot es eine klassenübergreifende Identitätsebene an und zum anderen ließ sich mit ihm die Aufforderung verbinden, die grundlegende wirtschaftlich-gesellschaftliche Konstitutionsform Kapitalismus und seine Produktionsprozesse rechtmäßig anzuerkennen.417 In seiner Schrift ,,Oberschicht und Nation“ würde deutlich, dass ein modernisierter konservativer Elitismus nur realisiert werden könne, wenn man zum einen die ,,klein-bürgerliche Interessenschicht“ aus ,,Konzern-Beteiligten oder Gemüsehändlern“ marginalisiere und die alte Elite auch mal vor den Kopf stoße. Sein Einfluss und Status innerhalb der Oberschicht ließe sich zudem nur wahren, wenn er auch ,,taktische Konzessionen“ mache und die ,,Verbindung mit proletarischen Freunden“ einschränke.418 Parallel zu seinem geistig-konservativen Bekenntnis spitzte Gleichen im Gewissen auch machtpolitische Äußerungen zu. Seine Artikel aus dem Jahr 1924 ,,Die Politik der Vaterländischen Verbände“ oder ,,Die völkische Frage“ entstanden vor dem Hintergrund deutlicher Differenzen innerhalb der radikalnationalistischen Opposition. Indem Gleichen langfristige Pläne zum autokratischen Umbau des Staates entwarf, wollte er Rechtsoppositionelle für sich gewinnen, die von den militaristischen Eskapaden der Völkischen enttäuscht waren. In den folgenden Monaten verstärkte Gleichen seine Ablehnung der ,,unheimlichen Gehässigkeit in der völkischen Bewegung, dem Gegner zum Nutzen und der Nation zum Schaden“.419 Gleichen erweiterte seine autoritäre Staatsvorstellung durch rassistische Komponenten, die adeliges Führungspotenzials belegen sollten: ,,Das herrische Vorstoßen germanischer Volksstämme zeigte schon früh diesen Karakter. Dort, wo Führerschichten sich erhielten, wie in den preußischen Siedlungsgebieten bis hinauf in die baltische Landschaft, blieb der rassemäßige Karakter dieser Schicht unverkennbar.“420

Gleichen verwandte die von Hans F. Günther popularisierte ,,Rassenkarte“, nach der in Deutschland der ,,ostisch-alpine Rassetypus“ vorherrsche, 417 418 419 420

DLA Marbach A: Hans Grimm Br.A.: Brief (03.03.1925) Brief Heinrich von Gleichen an Hans Grimm. Ebd. Heinrich von Gleichen (24.03.1924): Offener Brief, in: Gewissen, 6, H. 12, S. 2–3. Heinrich von Gleichen (14.07.1924): Oberschicht und Führung, in: Gewissen, 6, H. 28, S. 1–3, hier S. 2.

3.3 Jugend, Männer, Führer: Nationalistische Erziehungskonzepte im Gewissen

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hingegen der zur Führung geeignete ,,nordische Herrenmensch“ im ,,niedersächsischen Gebiet nur noch in dünner Schichtung“ vorzufinden sei.421 Ende 1924 verfasste Gleichen schließlich einen der Schlüsseltexte des Jungkonservatismus, in dem er festhielt: ,,Erst der konservative Standpunkt befreit die Führung des Staates von Interessen, die mit Staat und Nation nichts zu tun haben.“422 Gleichen zog zwar eine deutliche Grenze zum parteipolitischen Altkonservatismus, der mit seinem Festhalten an überkommenen Einrichtungen ein ,,Konservatismus der Institutionen“ gewesen sei, während der neue konservative Wille ein ,,Konservatismus der Persönlichkeiten“ bedeute. Sein strategisches Ziel war aber ganz in altkonservativer Tradition ein souveräner, autoritärer Herrscherstaat: ,,Wir jungen Konservativen müssen darüber klar sein, daß unser Ziel des nationalen reichskonservativen Aufbaus nicht in raschem Sturm erobert werden wird, sondern in lang andauernden zähen politischen Ringen, bei dem das Menschenmaterial entscheidend sein wird, das wir von Rechts her aufbringen.“423

Heinrich von Gleichen bewies insofern Ausdauer im ,,politischen Ringen“, als er bis 1933 mit dem elitären Herrenklub ein Forum für adelige und bürgerliche Eliten betrieb, das durch indirekte und direkte Beeinflussung einen autoritären Staat installieren half. 3.3.4 Führer durch Erziehung: Martin Spahn und die Einrichtung des Politischen Kollegs Während Heinrich von Gleichen eher informelle Netzwerkarbeit zur Elitenbildung betrieb, galt das im November 1920 gegründete Politische Kolleg als offizielle politische Weiterbildungsstätte für verschiedene Berufsgruppen im Sinne der Ring-Bewegung. Die von Martin Spahn und Max Hildebert Boehm publizistisch vorbereitete und propagierte Einrichtung stellte sich die Aufgabe, ,,politische Bildung zu schaffen und politisch erzieherisch“ zu wirken. Die nationalistische und strategische Ausrichtung gab die Leitlinie der Schulungen vor und sollte die ,,politische Sonderart“ der Deutschen herausstellen, um den ,,Weg unseres Volkes“ nach dem Krieg wieder aufwärts führen zu können.424 Martin Spahn spielte nicht umsonst trotz seiner zurückhaltenden Art eine zentrale Rolle innerhalb des Jungkonservatismus, stellte er doch zum einen ein generationelles Bindeglied zum Bildungsbürgertum des Kaiserreiches dar 421 422 423 424

Cornelia Essner: Die ,,Nürnberger Gesetze“ oder die Verwaltung des Rassenwahns 1933–1945, Paderborn 2002, S. 21–49; Becker: Wege, S. 230–286. Heinrich von Gleichen (17.11.1924): Jungkonservativ, in: Gewissen, 6, H. 46, S. 1–2. Ebd., S. 2. Heinrich von Gleichen (28.02.1925): Die Verantwortung der Herrschaft, in: Gewissen, 7, H. 9, S. 1–3. Nickel: Politik, S. 110.

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3. ,,Der Ruf will gehört sein“ – das Profil des Gewissens

und bot er zum anderen eine umfangreiche, nationalkonservativ ausgerichtete und anerkannte wissenschaftliche Kompetenz. Beide Aspekte unterfütterten die angestrebte glaubwürdige politische Außendarstellung im Gewissen und in der gesamten Ring-Bewegung. Deshalb anerkannte Boehm folgerichtig, dass Spahn ,,noch zu jener älteren Generation von Historikern [gehörte], die zu einer grossen geschichtlichen Schau unter universalem Gesichtswinkel ohne alle spezialistischen Scheuklappen auf breitem Bildungsfundament das Zeug besassen. Er sprach sachlich und dabei fesselnd und konnte dabei nicht nur den Verstand, sondern auch das nationale Gefühl seiner Hörer erreichen.“425

Der katholische Spahn kämpfte während seiner akademischen Laufbahn immer wieder mit dem Vorwurf der Voreingenommenheit, weshalb er umso mehr bemüht schien, als anerkannter unabhängiger Wissenschaftler zu gelten. Da er zugleich seine Erkenntnisse und Fähigkeiten in politisches Engagement umsetzen wollte, können Spahns changierende Haltung und sein Spannungsverhältnis zu Wissenschaft und Politik exemplarisch für den Typus eines Gelehrten-Politikers im Autoren-Kreis des Gewissens nachvollzogen werden. Spahn, Jahrgang 1875, stammte ursprünglich aus Westpreußen und hatte die Universitäten in Bonn, Innsbruck und Berlin besucht.426 Boehm beschrieb Spahns äußere Erscheinung mit ,,manch professoralen Zügen älteren Schlages“, die durch seine Herkunft als Sohn eines ,,bekannten Zentrumspolitikers“ und Aufwachsens in einer ,,politischen Atmosphäre des Elternhauses“ erklärbar seien.427 Spahn hatte noch bei Adolf Treitschke Vorlesungen gehört und sich in seinen Forschungen auf Verfassungsfragen und das Zeitungswesen konzentriert. Nach seiner Habilitation 1898 erlangte der Historiker Bekanntheit durch seine ,,von oben angeordnete Berufung“428 als Ordinarius an der Universität Straßburg. Um die Quote katholisch besetzter Ordinarien an der erst 1872 gegründeten Universität zu erhöhen, forcierte die preußische Regierung die Berufung des erst 26jährigen Spahn. Der Vorgang und somit Spahn wurden von akademischer Seite scharf kritisiert, zeichnete sich in ihm doch ein unerhörtes politisches Eingreifen in die Wissenschaft ab. Das Zentrum warf Spahn vor, als preußisch-borrussischer Handlanger und Anti-Ultramontanist aufzutreten, und in der Tat war Spahns nationalistische Einstellung ausschlaggebend für seine Wahl zum Ordinarius gewesen.429 Die 425 426 427 428 429

BArch Koblenz N 1077/1 NL Max Hildebert Boehm: Um das gefährdete Deutschtum, S. 216. Deutsches Biographisches Archiv, Neue Folge 1237, München 1989ff. BArch Koblenz N 1077/1 NL Max Hildebert Boehm: Um das gefährdete Deutschtum, S. 215. Schwierskott: Arthur Moeller, S. 61. Clemens: Martin Spahn, S. 34–37; Vom Bruch: Gelehrtenpolitik, S. 14-15. ,,Im Zusammenhang mit dem Fall Spahn werden die Mechanismen sichtbar, mit denen die Regierung versuchte, die nationalen, katholischen Minderheiten (etwa die Elsässer) für das Reich zu gewinnen“ Jürgen Strötz: Der Katholizismus im deutschen Kaiser-

3.3 Jugend, Männer, Führer: Nationalistische Erziehungskonzepte im Gewissen

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junge Universität, an die Spahn 1901 kam, war modern strukturiert, ausgestattet mit finanzieller Grundversorgung und betrieb einen kontinuierlichen Ausbau von Seminaren, Instituten und Laboratorien.430 Straßburg stand beispielhaft für einen strukturellen und generationellen Umbruch in der gesamten Universitäts- und Wissenschaftslandschaft, mit dem sich auch ein dynamischer Wissenschaftsbegriff in einer pluralisierenden Gesellschaft etablierte. Bis zur Jahrhundertwende hatten Professoren als gravitätische Instanzen nationaler Grundwertefragen gegolten, die sich mitunter für ,,visionäre politische Optionen“ einsetzten.431 Die ,,kaiserreichliche Gelehrtenpolitik“ lebte weniger durch politische Einmischung, als vielmehr vom immensen Sozialprestige, das den Professoren eine ,,überparteilich-objektive“ Deutungshoheit zubilligte.432 Durch die explosionsartige Zunahme an Studenten und den Ausbau zum universitären Großbetrieb differenzierten sich ab 1900 die Anforderungen an Professoren aus, deren Stellen jedoch nicht proportional zur Studentenquote anstiegen.433 Ab dem späten Kaiserreich setzten sie ihr Sozialprestige nicht mehr nur zur Repräsentation ihrer Universität ein, sondern agierten zunehmend – so wie andere Teile der Gesellschaft auch – in Vereinen, Verbänden oder Parteien. Der Geltungsanspruch der geschichtswissenschaftliche Leitdisziplin434 bildete sich auch in Spahns historischen Schriften zu bildungspolitischen und erzieherischen Fragen ab. ,,Der Kampf um die Schule“ erschien 1907 und fünf Jahre später ,,Nation, Erziehung und konfessionelle Schule“. Während des Krieges bezog er Stellung zu ,,Deutschen Lebensfragen“ (1913) oder in der Schrift ,,Im Kampf um unsere Zukunft“435 von 1915. Der katholische Spahn verehrte, wie viele zeitgenössische Historiker, Bismarck als einen ,,Vollstrecker der Idee des preußisch-deutschen Staates“436 und versuchte in einer Biographie über ihn, die Distanz zwischen Katholizismus und preu-

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reich 1871-1918. Strukturen eines problematischen Verhältnisses zwischen Widerstand und Integration. Teil 2: Wilhelminische Epoche und Erster Weltkrieg, Hamburg 2005, S. 121–127, hier 127. Vom Bruch: Gelehrtenpolitik, S. 15. Ebd., S. 22. Ebd., S. 23. Zwischen 1869 und 1910 verdreifachte sich die Hochschullehrerschaft, während sich die Studentenzahl im gleichen Zeitraum vervierfachte. Vom Bruch: Gelehrtenpolitik, S. 19. Über das Fach und sein Personal: Lutz Raphael: Geschichtswissenschaft im Zeitalter der Extreme. Theorien, Methoden, Tendenzen von 1900 bis zur Gegenwart, München 2010, S. 66–80; Bernd Faulenbach: Nach der Niederlage. Zeitgeschichtliche Fragen und apologetische Tendenzen in der Historiographie der Weimarer Zeit, in: Schöttler (Hrsg.): Geschichtsschreibung, S. 31–51. Martin Spahn: Der Kampf um die Schule in Frankreich und Deutschland. Ein Vortrag. Kempten/München 1907; ders.: Nationale Erziehung und konfessionelle Schule, Kempten/München 1912; ders.: Deutsche Lebensfragen, 3. Aufl., Kempten/München 1914; ders.: Im Kampf um unsere Zukunft, Mönchen-Gladbach 1915. Clemens: Martin Spahn, S. 13.

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3. ,,Der Ruf will gehört sein“ – das Profil des Gewissens

ßisch-deutschem Nationalismus zu überbrücken.437 Von seinem Schüler Eduard Stadtler wurde Spahn schon 1913 gedrängt, sich als wissenschaftliche Koryphäe, Vorbild und Vaterfigur in einer politischen Bewegung zu etablieren. Jedoch mangelte es Spahn nach Stadtlers Meinung an entscheidenden Führungsqualitäten: ,,In all Ihren Kundgebungen vermisst man den warmen Ton der Liebe, und wenn er sich lebendig durchringt, tönt’s doch gebrochen. Ich wette, dass Sie die ganze Zentrumspartei, Jung und Alt, mitreissen würden, wenn Sie es fertig brächten, die treue Liebe zur Sache, die intime Freunde an Ihnen bewundern, mehr nach aussen trügen.“438

Spahn hatte zwar von 1910 bis 1912 als Zentrumsabgeordneter im Reichstag gesessen, aber nur mäßiges Interesse an Kundgebungen und ähnlichen Aktionen entwickelt. Vielmehr wollte er seine Kompetenz in gezielte Expertise umsetzen. Während des Krieges knüpfte er, auf der Grundlage seiner reichstreuen und nationalistischen Positionen, Kontakte zu rheinisch-westfälischen Industriekreisen. Durch Vermittlung Albert Vöglers erstellte Spahn ein ,,geschichtliches Gutachten“ für die Eisen- und Stahlindustrie. Darin konstruierte er eine staatsrechtlich-historische Begründung des deutschen Anspruchs auf das Erzbecken von Briey und Longwy, an dem die rheinische Industrie schon länger großes Interesse hatte.439 Nach dem Krieg verließ Spahn Straßburg440 und wurde für die Fächer mittlere und neue Geschichte sowie Zeitungskunde an die neu gegründete Universität Köln berufen.441 Trotz der kulturkritischen Auseinandersetzung mit dem wilhelminischen Bildungssystem überdauerte nach 1918 das Zutrauen in eine gelehrte Fähigkeit zur Objektivierung, die es ihr zu ermöglichen schien, wissenschaftliche Vorgaben in ,,praktische Alltagsarbeit“ zu übersetzen.442 Wie die Karriere Spahns veranschaulicht, hatte dieser Typus des modernen Gelehrten kaum etwas mit politischer Neutralität zu tun: ,,Denn gerade eine scheinbar unpolitische, nur wissenschaftliche Dignität geschuldete Gelehrtenreputation ließ sich umso wirkungsvoller im öffentlichen Meinungskampf instrumentalisieren.“443 Als sich während der Republik der Universitätsbetrieb und der soziale Status seiner Professoren vom ,,idealerweise charismatischen Gelehrten zum normalen Staatsbeamten“ wandelten, fand sich die Mehrzahl 437

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Martin Spahn: Bismarck, 2. Aufl., Mönchen-Gladbach 1915. Hintergrund war auch die Absicht ,,die Annäherung des katholischen Volksteils an den preußisch-deutschen Staat [zu] fördern und den Katholiken die Identifikation mit den Vertretern des preußischen Staates [zu] ermöglichen“. Clemens: Martin Spahn, S. 14. BArch Koblenz N 1324 NL Martin Spahn: Brief (12.12.1913) Eduard Stadtler an Martin Spahn. Nickel: Politik, S. 106. Clemens: Martin Spahn, S. 64. Stegerwald hatte sich beim Kölner Bürgermeister Adenauer für Spahns Berufung eingesetzt. Clemens: Martin Spahn, S. 63. Vom Bruch: Gelehrtenpolitik, S. 25. Ebd., S. 21.

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nur schwer damit ab.444 Institutionelle Neuentwicklungen und ein Aufschwung im gesamten Bildungssektor relativierten zudem die Universität als einzigartigen Ort von Wissenschaft und Bildung. Martin Spahn hatte in der Vergangenheit innerhalb der traditionellen Wissenschaftslandschaft seine Reputation erlangt und nahm nach 1918 an der Diffundierung von gelehrtem Wissen in den außeruniversitären Bereich teil, indem er 1921 die Leitung des von der Industrie geförderten Politischen Kolleg übernahm. Spahn bewegte sich nach 1918 in einem Spannungsfeld zwischen den Anforderungen von Wissenschaft und Politik. Er trat als integrativer, objektivierender Nationalstaatshistoriker auf, der mit seiner umfangreichen Bismarck-Biographie die borrussische Geschichtsschreibung zur Reichsgründung durch einen katholischen Anspruch auf nationale Einheit erweiterte. Da er sich primär als nationaler Deutscher mit katholischen Wurzeln verstand, konnte ihn dies jedoch innerhalb des Zentrums isolieren. Als er 1921 zur DNVP wechselte, ergab sich daraus ein weiterer Konflikt. Sein politisches Engagement kollidierte mit seiner wissenschaftlichen Arbeit, denn die langen Abwesenheitszeiten in Köln führten zu Querelen, so dass er schließlich die Universität Köln im Streit mit dem Kölner Oberbürgermeister Konrad Adenauer und der Universitätsverwaltung verließ. Das Kultusministerium, bei dem seit Monaten Beschwerden des Universitäts-Kuratoriums über Spahns Vernachlässigung seiner Pflichten eingegangen waren, hatte sich hingegen durch Nicht-Reaktion auf die Seite Spahns gestellt.445 Die rechte Presse sah im Vorgehen gegen den politisch aktiven Professor eine Verleumdungskampagne, aber Spahn selbst enthielt sich einer konkreten politischen Positionierung: er gab an, wegen der heruntergekommenen Wohnung in Köln und einer fehlenden wissenschaftlichen Bibliothek zum Schluss gekommen zu sein, dass er und seine Familie besser in Berlin leben könnten.446 Der Vorgang könnte als verwaltungsinterne Interessenkollision bewertet werden – schließlich ging es letztlich um die Gehaltszahlungen an Spahn. Aber der ,,Fall Spahn“ hatte auch eine nationale Perspektive, denn Spahns Umzug nach Berlin fiel ,,zeitlich mit der drohenden Besetzung Kölns durch die Franzosen zusammen“, so dass er ,,der Flucht vor den Franzosen verdächtigt und ihm zusätzlich der Verstoß gegen nationale Pflichten vorgeworfen“ wurde.447 Die Konflikt-Gemengelage offenbarte den nationalen Symbolwert wissenschaftlicher Einrichtungen und Personen und spezifische Kommuni444 445

446 447

Nickel: Politik, S. 34. BArch Berlin R 8034/III Presseausschnittsammlung – Reichslandbund: Kreuz-Zeitung (01.09.1923): Die Vorwürfe gegen Professor Martin Spahn; Vorwärts (29.04.1924): Der Fall Spahn. BArch Berlin R 8034/III Presseausschnittsammlung – Reichslandbund: Deutsche Tageszeitung (05.08.1923): Die Angriff auf Prof. Spahn. ,,Das Disziplinarverfahren gegen Spahn kam, vermutlich wegen seiner Wahl in den Reichstag 1924, nicht zum Abschluss, so dass Spahn weiterhin sein Ordinariat an der Kölner Universität bekleidete.“ Clemens: Martin Spahn, S. 63.

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kationsstrukturen der öffentlichen politischen Kultur. Sämtliche Argumente, Vorwürfe und Ankündigungen des Falls waren durch Presseartikel veröffentlicht worden und sogar die Avisierung einer Gerichtsklage gegen Adenauer ließ Spahn über diesen Weg der Öffentlichkeit mitteilen. Zuvor jedoch, als die Ring-Bewegung längst initiiert und im Gewissen die nationale Erziehung ausgerufen war, rührte sich Spahn aus jungkonservativer Sicht viel zu zögernd vom Nebenkriegsschauplatz Köln weg. Da die Pläne für eine eigene Ausbildungsstätte gediehen und Spahn als anerkannter Universitäts-Professor dringend an der Spitze gebraucht wurde platzte Stadtler angesichts Spahns lavierender Aussagen der Kragen: ,,Es geht nicht an, daß Sie von uns wie eine Primadonna nur Impresario–Arbeit verlangen. Wenn wir auch zäh sind, durchhalten, durchkämpfen, wir tun es doch nicht Ihrer Person wegen, sondern der Sache wegen. Von Ihnen verlangen wir deshalb, dass Sie sich auch selbst durchkämpfen. Das geht nicht von Köln aus. Das geht nicht vom rheinischen Bauernverein aus, das kann nur von Ihnen selbst aus geschehen. Wir stehen Ihnen zur Seite, treu und zäh und voller Anerkennung. Sie haben aber heute die Wahl, selbst zu den Wilhelminern und zur Generation der alles Könnenden, aber nicht durchgreifenden Menschen sich zu schlagen, oder mit uns JUNGEN das Neue in fröhlichem Kampf zu gestalten.“448

Stadtler kritisierte die mangelnde Hingabe in Spahns Aktivitäten und zielte mit dem letzten Satz geradewegs auf das bildungsbürgerliche Leistungsideal der Kaiserzeit, in dem das politische Engagement eine nachrangige Rolle gespielt hatte. Spahn wollte zwar politischen Einfluss nehmen, aber stand dem radikalpolitischen Alltagsgeschäft naserümpfend gegenüber. Als er endlich nach Berlin zog, hatte er weiterhin Schwierigkeiten, sein wissenschaftliches Arbeitsfeld mit den Anforderungen politischer Tagesgeschäftigkeit zu verbinden. Gegenüber den Kollegen vom Gewissen reagierte der Kolleg-Leiter meist mit dem Aufschub dringend geforderter Antworten. Spahn ließ sich auch als Leiter des Politischen Kollegs nicht vollends in die jungkonservativen Sammlungsbestrebungen einbinden. Er hielt Distanz, kritisierte oder schwieg während persönlicher Auseinandersetzungen. Nur als Gewissen-Autor entwickelte er die größtmögliche Nähe zur jungkonservativen Haltung und schuf einen Teil ihrer Positionen mit. Diese Gratwanderung veranschaulichte das intellektuelle Selbstverständnis eines Gelehrten-Politikers nach 1918, der in der Verquickung von Politik und Wissenschaft seinen Stand gefährdet sah und diese zugleich voran trieb.449 Neben der Persönlichkeit des Kolleg-Leiters Spahn, fällt ein weiterer Aspekt bei der Einrichtung der jungkonservativen Bildungsstätte ins Auge. Denn 448 449

BArch Koblenz N 1324/3 NL Martin Spahn: Brief (02.08.1920) Eduard Stadtler an Martin Spahn. Spahn, der zusammen mit Stadtler in den letzten Jahren der Weimarer Republik zu den ,,treibenden Kräften“ gehörte, die für eine Koalitionsregierung der NASDAP, der DNVP und dem Stahlhelm plädiert hatten, wurde nach seinem Übertritt zur NSDAP zwar weitgehend zur ,,Seite gedrängt“, konnte aber seinen Lehrstuhl in Köln behaupten und relativ unbehelligt den Zweiten Weltkrieg überstehen. Petzold: Wegbereiter, S. 323–325.

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deren Gründung fand auch vor dem Hintergrund der im Aufbau befindenden Politischen Wissenschaften statt.450 Ähnlich wie im jungen Fach Soziologie begann sich hier die Überzeugung von der Gesellschaftslehre und somit von der Planbarkeit und Steuerung von Gesellschaft durchzusetzen. Wissenschaftler, linksliberale Politiker und Publizisten entwickelten gemeinsam und neben ihrem Engagement im parlamentarischen Konstituierungsprozess auch Institutionen außerhalb des staatlichen Hochschulsystems.451 Zu den bekanntesten politischen Bildungseinrichtungen gehörte die durch Reichs- und preußische Ministerien geförderte selbstständige ,,Deutsche Hochschule für Politik“ (DHfP). Die Vorüberlegungen zur Gründung einer ,,Staatsbürgerschule“ gingen nach Aussage des Gründungsmitglieds Ernst Jäckh auf das Jahr 1914 zurück,452 während dem er als Leiter des Werkbundes auch in Kontakt mit Moeller stand. Bei den regelmäßigen Treffen dürfte er mit Moeller über seine Ansichten, dass ,,Kunst und Politik einfach zwei Seiten derselben Münze“ seien, ebenso geredet haben, wie über seine Pläne für eine politische Bildungsstätte.453 Die von Friedrich Naumann gegen Ende des Krieges gegründete ,,Staatsbürgerschule“ wurde schließlich zur Keimzelle der DHfP, die im Herbst 1920 offiziell gegründet wurde. Mit der DHfP beabsichtigte Jäckh, Politiker, Lehrer, Interessenvertreter und Beamte praxisorientiert zusammenzuführen, um in Arbeitsgruppen Grundlagen zur parlamentarischen Demokratie zu entwickeln.454 Das kurz nach der DHfP eingerichtete Politische Kolleg verstand sich als antidemokratische Konkurrenzeinrichtung; entsprechend gab es organisatorisch einige Unterschiede.455 Schon im Herbst 1919 hatte Moeller seinen Freund Hans Grimm über den Plan informiert, die Ring-Bewegung plane eine eigene ,,Politische Hochschule“, die mit ,,Werbekraft und Ausstrahlung“ die junge Generation heranziehe.456 Aber um sie auf ,,breite Grundlage“ zu stellen, müsse der Ring erheblich Geldmittel aufbringen, sonst würde nur ein ,,Kümmer-Institut“ gelingen. Der Plan sah vor, eine renommierte Persönlichkeit als Bürgen für die Geldgeber an die Spitze des Instituts zu stellen. 450

451 452 453 454

455

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Rainer Eisfeld: Ausgebürgert und doch angebräunt: Deutsche Politikwissenschaft 1920-1945, Baden-Baden 1991; Manfred Gangl: Das Politische. Zur Entstehung der Politikwissenschaft während der Weimarer Republik, Frankfurt a.M. 2008. Nickel: Politik, S. 13; Langewiesche/Tenorth: Bildung, S. 14. Nickel: Politik, S. 48–62, hier 52. Jäckh habe Moeller geradezu vom ,,Schöngeist“ zum deutschen Nationalisten ,,bekehrt“. Campbell: Deutsche Werkbund, S. 114–115. Zu Beginn entstanden vier Abteilungen: Allgemeine Politik, Soziologie und Sozialpolitik, Kulturpolitik und politische Pädagogik sowie staatswissenschaftliche Fortbildung. Nickel: Politik, S. 81. Die DHfP hatte eingeschriebene Studenten, die am Ende ihrer Ausbildung in der Lage sein sollten in staatlichen Stellen für den konstruktiven Ausbau der Republik zu arbeiten; über weitere Unterschiede: Eisfeld: Ausgebürgert, S. 34. DLA Marbach A: Hans Grimm: Brief (10.10.1919) Moeller van den Bruck an Hans Grimm.

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Die Wahl Martin Spahns schien Moeller gegenüber Grimm rechtfertigen zu müssen: ,,Geldgeber wollen nun einmal eine Gewähr und sehen sie beinahe ausschließlich in einer anerkannten und erfolgreichen öffentlichen Wirksamkeit. Im Übrigen ist Spahn ein geistiger Mensch und politischer Karakter, mit dem wir durchaus arbeiten könnten. Er ist heute völlig zentrumsfern und erzbergerfrei. Er gehört unbedingt zu uns. Und das ist selbstverständlich das Entscheidende.“457

Da bekannt war, dass Jäckh eine überparteiliche politische Hochschule anstrebte, hatte sich Heinrich von Gleichen mit ihm im schon im Januar 1920 zu einer ,,offenen Aussprache“ getroffen, um die jeweiligen Projekte vorzustellen.458 Laut Gleichen sicherte Jäckh zu, dass seine Einrichtung nicht mit der von Gleichen vorgestellten kollidieren würde, weil sie als reine ,,Parteischule für Demokraten“ konzipiert sei. In Jäckhs Eröffnungs-Ankündigung im August stellte er aber auch die ,,Erziehung zum Führer“ als Lehrziel heraus, wodurch sich Gleichen hintergangen fühlte.459 Nunmehr erschien die Gründung einer festen Bildungseinrichtung notwendiger als zuvor, denn die RingBewegung brauchte zur Bestätigung ihrer Überzeugungen auch vorweisbare Erfolge. Politische Schulungen für Studenten, Offiziere und Lehrer waren naheliegende Maßnahmen, um den jungkonservativen Erziehungsanspruch in die Tat umsetzen zu können. Stadtler war ohnehin schon enttäuscht von der mangelhaften Initiative einzelner Wirtschaftsvertreter, deshalb drängte er, aktiv zu werden bevor andere zuvor kämen: ,,Man braucht sich nicht zu wundern, wenn unreife Jugend, blinde Masse des Proletariats und verantwortungslose Tageshelden demnächst dem Ruf des Landes folgen, und – mit den besten Absichten alles vernichten. Die Schuld vor der Geschichte fällt dann auf die, die solches Tun durch ihr Versagen provozierten.“460

Ende Juni verhandelte Stadtler nach eigener Aussage mit Hugo Stinnes eine ganze Nacht über die Finanzierung des nationalen Hochschul-Projektes.461 Je länger Jäckhs Hochschule allein auf dem politischen Bildungssektor in Berlin auftrat, desto schwieriger würde es für eine Konkurrenzeinrichtung, Teilnehmer zu werben, denn ,,der Verbrauch der Generation von 1914 geht so rasch vor sich, dass nur noch die Metzgergesellen, 20jährige Draufgänger und die Desperados des äussersten Radikalismus als Menschen von Courage übrig bleiben“.462 457 458 459 460 461 462

Ebd. Heinrich von Gleichen (18.08.1920): Führer-Ausbildung, in: Gewissen, 2, H. 32, S. 1–2. Ebd. Über die Kontakte vgl. auch Nickel: Politik, S. 115–118. BArch Koblenz N1324/3 NL Martin Spahn: Brief (16.06.1920) Eduard Stadtler an Martin Spahn. BArch Koblenz N1324/3 NL Martin Spahn: Brief (02.08.1920) Eduard Stadtler an Martin Spahn. BArch Koblenz N 1324/3 NL Martin Spahn: Brief (12.08.1920) Eduard Stadtler an Martin Spahn.

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Während Gleichen gehofft hatte, dass die DHfP als eine Parteischule fungiere, empörte sich Stadtler wiederum über die ,,rein parteidemokratische Sache“.463 Um von den Verzögerungen im eigenen Lager abzulenken, äußerte er gegenüber Albert Vögler zudem den Verdacht des Ideenklaus.464 Die Gründung der DHfP würde lediglich beweisen, ,,mit welch starker parteipolitischer Witterung diese Herren unser Projekt aufgegriffen haben um es für sich unter Ausnutzung gegnerischer Schwäche und eigner, staatlicher Machtpositionen zu beschlagnahmen.“ Unter Pseudonym berichtete Hans Heinrich Garbe von der Eröffnungsveranstaltung der DHfP und gab sich empört über den dort aufgestellten Vergleich mit der ehrwürdigen französischen Kaderschmiede ,,École libre des sciences politiques“. Die deutsche Variante einer Staatsbürgerschule schien sich in seinen Augen ohne Leidenschaft zu präsentieren: ,,Alles in allem: der Gesamteindruck war betrübend, um nicht zu sagen beschämend. [...] So hörte man überall wieder die alte Leier: mit jener wirklich trostlosen und angestrengten Bescheidenheit eines durch und durch loyalen Untertan–Deutschlands wurden alle ,Garantien der Harmonie und Freiheit‘ aufs neue beteuert, auf Grund deren wir nicht nur in entscheidendem Maße besiegt sind, auf Grund deren wir vor allem beherrscht werden.“465

Auch hier schien das Motiv der auf Ämter fixierten Untertanen-Mentalität des Wilhelminismus auf und wurde als Vorwurf gegen die republikanische Bürokratie gerichtet. Das Politische Kolleg sollte den Gegenentwurf darstellen. Da Stadtler und Gleichen die Eröffnung des Politischen Kollegs zum 1. November 1920 forcierten, verstärkten sie den Druck auf den entschlusslahmen Spahn.466 Stadtler versuchte seinen Doktorvater vom Konzept einer jungkonservativen Hochschule als Verbindung aus Wissenschaft und Politik zu überzeugen. ,,Diese ganze politische Bewegung“ sei eine Verbindung aus ,,einem wissenschaftlich-politischen, einem idealpolitischen und einem pädagogischpolitischen Anspruch“ und deshalb könnte Spahn ihr ,,stärkster Exponent“ werden.467 Gleichen setzte Spahn ebenfalls unter Druck, indem er im Gewissen einen scharfen Angriff gegen das Versagen der ,,politischen Professoren“ veröffentlichte: ,,Männer, die den Inhalt ihres Idealismus nicht mehr wirklich erlebt haben, die ihren vorgefaßten Standpunkt aus der Kritik am Zusammenbruche begründen und sich schmollend und grollend gegen das eigene Volk wenden, können uns heute nicht helfen. [...] Wer kann, wer soll unser Mitstreiter sein? Wer ist letzten Endes mehr berufen, als der Denker, der 463 464 465 466 467

BArch Koblenz N 1324/3 NL Martin Spahn: Brief (10.09.1920) Eduard Stadtler an Albert Vögler (Durchschlag). BArch Koblenz N 1324/3 NL Martin Spahn: Brief (17.11.1919) Eduard Stadtler an Martin Spahn. Asmus Gendrich (03.11.1920): Ecole liberale?, in: Gewissen, 2, H. 43, S. 2–3. BArch Koblenz N 1324/3 NL Martin Spahn: Brief (12.08.1920) Eduard Stadtler an Martin Spahn. BArch Koblenz N 1324/3 NL Martin Spahn: Brief (11.09.1920) Eduard Stadtler an Martin Spahn.

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Wissenschaftler, der deutsche Gelehrte, der politische Professor? [...] Aber wir müssen unerbittlich in unseren Anforderungen an Ihn sein. Und von Ihm müssen wir verlangen, daß er unerbittlich gegen sich ist.“468

Nachdem sich Spahn im Oktober 1920 endlich entschied, die Leitung des Politischen Kollegs zu übernehmen, rieb sich erwartungsgemäß sein Anspruch auf ,,Wissenschaftlichkeit“ und Expertise an den kurzen politischen Vortragsformen, die im Kolleg gepflegt werden sollten. Zudem schien er darauf zu achten, welche Vita die jeweiligen Vortragenden vorwiesen. So strich Spahn sogar die Vorträge Stadtlers aus dem Programm. Sein Hochschulkollege Friedrich Brunstädt unterstützte Spahns Maßnahmen, da er sich neben den ,,Jünglingen“, die am Politischen Kolleg vortragen sollten, nicht ernst genommen fühlte. Der Streit offenbarte den Konflikt innerhalb des beruflich heterogen zusammengesetzten Kreises im Hintergrund des Gewissens. Während Spahn für eine politikwissenschaftliche und gelehrte Ausrichtung der Jungkonservativen eintrat, wollten Aktive wie Stadtler praxisorientierter auftreten. Stadtler warf Spahn vor, vom Ring-Konzept abzuweichen, da die Kurse des Politischen Kollegs ,,nicht so sehr wissenschaftlich-zünftlerisch als politisch-erzieherisch gedacht waren“.469 Stadtler sah sich seines Fundamentalrechtes auf Erziehung beraubt und drohte mit seinem Abgang: ,,Wenn das Politische Kolleg mitten drin zwischen Wissenschaft und Leben stehen soll, wenn es die Sache des Juni-Klubs ist, wenn sein Lebensorgan das Gewissen ist, wenn ich selbst der Künder draussen bin und mir wird im Kolleg nicht Dozenten– und Führermöglichkeit gegeben, dann ist meine Aufgabe in der JuniKlubbewegung zu Ende.“470

Stadtlers Drohung, sein gesamtes Engagement für die Ring-Bewegung einzustellen, dürfte ernst gewesen sein, wenngleich er wegen seines eigenwilligen Auftretens kurzfristig wohl keine alternative politische Bühne gefunden hätte. Trotz aller Gegensätze bemühte sich die DHfP um einen Ausgleich mit den antirepublikanischen Kräften vom Politischen Kolleg, wodurch Hans Roeseler als ehemaliger Funktionär in der Deutschen Studentenschaft und Ring-Aktiver aus dem engeren Kreis in den Verwaltungsrat der DHfP gesandt werden konnte.471 Moeller bewertete jedoch die Versuche Jäckhs zur ,,Neutralisation“ von Konkurrenten als ,,Machenschaften und Quertreibereien“.472 Die RingBewegung sei dadurch auf einen ,,eigenen Standpunkt“ gezwungen worden, 468 469 470 471

472

Hutten (13.10.1920): Politische Professoren, in: Gewissen, 2, H. 40, S. 1. BArch Koblenz N1324/3 NL Martin Spahn: Brief (21.09.1921) Eduard Stadtler an Martin Spahn. BArch Koblenz N 1314/3 NL Martin Spahn: Brief (21.10.1920) Eduard Stadtler an Martin Spahn. Schwierskott: Arthur Moeller, S. 62. Hans Roeselers kritischer Artikel zur DHfP war ein Abdruck aus seiner eigenen Zeitschrift ,,Die Hochschule“: Hans Roeseler (03.11.1920): Die deutsche Hochschule für Politik, in: Gewissen, 2, H. 43, S. 2–3. DLA Marbach A: Hans Grimm: Brief (06.10.1920) Moeller van den Bruck an Hans Grimm.

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womit Moeller die gängige Freund-Feind-Figur als Grundlage des jungkonservativen Identifikationsbereichs beschrieb. Die Gründung der demokratischen Staatsbürgerschule DHfP bot insofern den geeigneten Widerpart, um die eigenen Ansprüche davon abzugrenzen.473 Im Januar 1921 veröffentlichte Heinrich von Gleichen einen programmatischen Leitartikel zum Politischen Kolleg 474 , in dem er die Notwendigkeit erläuterte, die lose verbundene Ring-Bewegung von der Mitgliedersammlung zur Mitgliederschulung überzuleiten. Der Artikel ließ erkennen, dass er das Politische Kolleg vor den Juni-Klub-Mitgliedern und Gewissen-Lesern rechtfertigen musste, weil mit ihm der ursprüngliche Gedanke einer geschlossenen geistigen Vorhut aufgegeben wurde. Gleichen erklärte, dass ,,Der Ruf der Jungen“, dem das Gewissen Stimme gebe, und der im sich weitenden ,,Ring widerhallt“ bisher ,,von einer Gruppe junger Politiker ausgegangen“ sei, die sich ,,mit mannigfach ausstrahlender Wirkung begnügt hat, ohne sich als geschlossene Gemeinschaft für eine breitere Öffentlichkeit herausstellen zu wollen.“475 Nach zwei Jahren intensiver ,,Selbstschulung“ im kleinen Kreis des Juni-Klubs, müsse man nun aber nach außen treten und ,,politische Aufbauarbeit“ leisten. Mit dieser Beschreibung betrat Gleichen die bekannten Pfade rechtsintellektueller Doppeldeutigkeit. Einerseits spielte er mit dem Bild der zurückgezogenen, kontemplativen Denker und bot andererseits das der konsequent handelnden, selbstlosen ,,Kopfarbeiter“. Beide Umschreibungen vermittelten intellektuell hochwertige Eigenschaften wie Glaubwürdigkeit und Selbstlosigkeit. Die Nennung einer ,,Gruppe junger Politiker“ war ein Hinweis in eigener Sache, der die Zuschreibungen Kompetenz und nationale Gesinnung ohne parteiprogrammatische Behinderung vermitteln sollte. Gleichens Artikel war an Gewissen-Leser und Juni-Klub-Mitglieder gerichtet, denen er plausibel machen musste, warum der Klub seine Eigenständigkeit kurzfristig aufgab und zur ,,Verstetigung seines Grundbaues“ mit dem Politischen Kolleg vereinigt worden war. Ab Mai 1921 übernahm das Gewissen offiziell die Funktion als Mitteilungsblatt des Politischen Kollegs; gleichrangig mit den ,,Verlagsnachrichten“ sollten 473 474

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Eisfeld: Ausgebürgert, S. 43–55. Ende Dezember 1920 fand sich im Gewissen ein erster Hinweis auf die Einrichtung einer Arbeitsstelle ,,für das Problem einer berufsständischen Vertretung“ beim Politischen Kolleg; Mitte Januar 1921 wurde die ,,Arbeitsstelle für Nationalitäten und Stammesprobleme“ in ähnlicher Weise vorgestellt. Heinrich Herrfahrdt richtete das Archiv des Politischen Kollegs ein und rief im Februar im Gewissen dazu auf, Literatur und Pressematerial an das Archiv weiterzuleiten, damit ,,sachlich geordnete Nachrichten und Aufsätze über sämtliche Gebiete des öffentlichen Lebens, über einige Gebiete auch Literaturnachweise; Personalien, einschl. Veröffentlichungen der für uns wichtigsten Persönlichkeiten“ zur Verfügung gestellt werden können. Heinrich Herrfahrdt (09.02.1921): o.T., in: Gewissen, 3, H. 6, S. 3. Chronist (26.01.1921): Politisches Kolleg, in: Gewissen, 3, H. 4, S. 1.

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nun an dieser Stelle auch Bekanntmachungen des Kollegs erscheinen.476 Am 16. Mai veröffentlichte Heinrich von Gleichen einen weiteren programmatischen Artikel, der zuvor schon in der Deutschen Rundschau abgedruckt worden war. In seinem Bildungskonzept stellte er eine politische Führerkaste in Aussicht; um Widerstände und Kritik an der Umsetzung aufzufangen, wandte Gleichen sich direkt an die Mitarbeiter des Politischen Kollegs: ,,Jeder der Mitglieder [des Politischen Kollegs, C.K.] ist sich bewußt, daß es sich hier um Anfänge handelt, die eine lange und schwere Bewährung noch vor sich haben. Aber ein anderer Weg ist nicht möglich. In der politischen Bildungsarbeit entwickelt sich nur von einem innersten Kern ausgehend die Sicherheit des Willens auf die es ankommt.“477

Neben Martin Spahn saßen Heinrich von Gleichen und der im ,,Deutschen Schutzbund“ aktive Rechtsanwalt Rudolf von Broecker im Vorstand des Politischen Kollegs.478 Ein Verwaltungsrat mit Vertretern der Industrie und des Reichslandbundes sowie Reinhold Quaatz und Alfred Hugenberg verteilte die Finanzmittel.479 Das Kolleg gliederte sich in sechs Arbeitsstellen, die das Spektrum der jungkonservativen Problem-Agenda widerspiegelten und jeweils ihren Beitrag zum Schulungswesen leisteten.480 Jedoch arbeiteten nur die Arbeitsstelle für Nationalitätenprobleme unter Max Hildebert Boehm481 , die Arbeitsstelle für Außenpolitik unter Spahn (darin Karl Hoffmann mit dem Schwerpunkt Weltpolitik und Moeller mit dem Schwerpunkt Kriegsschuld) und die Arbeitsstelle für berufsständische Fragen unter Heinrich Herrfahrdt (Heinz Brauweiler war nur zeitweise vertreten) produktiv. Weniger erfolgreich war die Arbeitsstelle Paul Fechters, die ,,die Beeinflussung der Volksstimmung und der öffentlichen Meinungsbildung durch die Feuilletons der Tageszeitungen und durch populäre Trivialliteratur untersuchen“ sollte.482 Trotz persönlicher Erfahrungen während der Kriegspropaganda, 476 477 478 479

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Dennoch schaffte es die Redaktion erst in Heft 47 am 21. November die erste Ankündigung für einen Lehrgang zu setzen. Heinrich von Gleichen (16.05.1921): Das Politische Kolleg, in: Gewissen, 3, H. 20, S. 2–3. Broecker (1875–1944) veröffentlichte nur einmal im Gewissen: Rudolf Broecker (20.02.1922): Der deutsche Gedanke, in: Gewissen, 4, H. 8, S. 2–3. Hugenberg konnte auf diesem Wege die DNVP-Linie im PK unterbringen, sowie Spahn vom Parteiübertritt überzeugen. Petzinna: Erziehung, S. 149; Clemens: Martin Spahn, S. 163. Im Verwaltungsrat des Kollegs saß auch Albert Vögler, der sich zwar vom Finanzier Hugenberg zurückgezogen hatte und ,,mehr Wert auf die Zusammenarbeit mit der DDP und dem Zentrum legte“, aber dennoch die Unterstützung des Juni-Klubs nicht aufgeben wollte. Petzold: Wegbereiter, S. 117–118. StaMg 2:15/13/191 NL Brauweiler: Bericht über das politische Kolleg, seine Art und Tätigkeit in den Jahren 1929/25, von Martin Spahn, in: Mitteilungen des Politischen Kolleg Nr. 2. Die Zusammenarbeit lief, bis 1925/26 ein Streit zwischen Spahn und Boehm zu dessen Ausscheiden führte. Boehm machte sich mit seiner Arbeitsstelle als ,,Institut für Grenz- und Auslandsstudien“ selbstständig. Petzinna: Erziehung, S. 167; Prehn: Auf dem rechten Weg. BArch Koblenz R 118/48 Akten des Politischen Kollegs: Schriftwechsel Max Hildebert Boehm 1925–1927. Petzinna: Erziehung, S. 151.

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auf die Fechter im nächsten Umfeld hätte zugreifen können, kam er über eine Materialsammlung nicht hinaus. Eine weitere Arbeitsstelle wurde vom Gewissen-Autor Kurt Ziesché aus Breslau geleitet, mit der der katholische Theologe die geistesgeschichtliche und historische Genese des Volkstumbegriffs erhellen sollte. Ab 1925 bekam der Moeller-Vertraute Hans Schwarz eine eigene Arbeitsstelle zur Klärung ,,metapolitischer Grundfragen“.483 Die ,,nationalpolitischen“ Lehrgänge fanden meist über sechs bis vier Tage statt, vereinten 30 bis 40 Teilnehmer und dienten der Schulung und Bildung persönlicher Netzwerke.484 Inhaltlich sollten die Lehrgänge nicht auf tagesaktuelle Fragen eingehen, sondern der ,,geistigen Vorarbeit“ gewidmet sein und die internatsmäßige Gestaltung den ,,rege[n] Gedankenaustausch zwischen Lehrern und Hörern“ intensivieren.485 Nach Abschluss eines Lehrgangs sollten die Teilnehmer in der Lage sein, zu den ,,wesentlichsten Fragen“ in der Politik einen ,,subjektiv-deutschen Standpunkt“ vertreten zu können. In einer Art geistigem Schneeballsystem sollte diese ,,politische Erziehungsgrundlage“ in die Gesellschaft hineingetragen werden und sich verbreiten.486 Die Leiter und Mitarbeiter der Arbeitsstellen entfalteten ,,eine rege Vortragstätigkeit.“487 Es kam zu einer regionalen Aufteilung, nach der Walther Schotte im industriellen Westen agitierte, wo auch Brauweiler tätig war. Stadtler konzentrierte sich auf Ostpreußen, ,,wo sich ein Kreis meist jüngerer Adliger unter Führung des Grafen Eulenburg-Gallingen für die Verbreitung der Ideen des Jungkonservatismus einsetzte“.488 Gegenüber Stadtlers Werbemaßnahmen bei Studenten hegte Gleichen wiederum allergrößte Bedenken, da er befürchtete Stadtlers Auftreten und Jargon blieben nicht

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Ebd., S. 151–152; Schwierskott: Arthur Moeller, S. 63 FN 88. Ebd., S. 65. BArch Koblenz R 118/1 Akten des Politischen Kollegs, Heft 1: Brief (09.11.1922) Rosenberger an Graf Brockdorff; BArch Koblenz R 118/1 Akten des Politischen Kollegs, Heft 3: Brief (10.02.1922) R. v. Broecker an den Generalverband der Deutschen Raiffeisengenossenschaft. ,,Für die Auswirkung unserer Lehrgänge ist es unbedingt nötig, dass die Mahlzeiten gemeinsam eingenommen werden. Da die Studenten ohnehin nur 4½ Tage beisammen bleiben, bilden die gemeinsam eingenommenen Mahlzeiten die Hauptgelegenheit, dass die Studenten untereinander Fühlung nehmen und die Angehörigen der verschiedenen Verbände die Hemmungen im Verkehr untereinander überwinden, die im ersten Augenblick immer vorhanden sind.“ BArch Koblenz R 118/4 Akten des Politischen Kollegs, Heft 1: Brief (23.05.1923) Martin Spahn an Dr. Harms. BArch Koblenz R 118/23 Akten des Politischen Kollegs, Heft 2: Grundsätzliches und praktische Vorschläge zur Ausgestaltung der Tagungen des Politischen Kollegs, o.D. ,,Unter den studentischen Teilnehmern an den Kursen des PK befanden sich einige, die später in der Politik und in der Wirtschaft bemerkenswerte Karrieren durchliefen“, z. B. Werner Best oder Theodor Oberländer. Nickel: Politik, S. 112. Petzinna: Erziehung, S. 157. Petzold: Wegbereiter, S. 133.

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,,unwidersprochen“.489 Anstatt zum Ausgleich Stadtler in Arbeiterkreisen für die Schulungen werben zu lassen, übertrug Gleichen diese Aufgabe an Arbeitgeberverbände. Kaum verwunderlich reagierten die örtlichen Arbeiter ,,teilnahmslos und misstrauisch, oft auch ablehnend“.490 Die Werbemaßnahmen in Arbeiterkreisen wurden ohnedies halbherzig vorgenommen, denn vielmehr sahen die Jungkonservativen das NachwuchsReservoir im studentischen Milieu. Boehm machte sich Anfang 1921 nach Bonn auf und berichtete über seine Erfolge bei der ,,Fühlungnahme“ mit Studenten und Professoren491 und auch Roeseler war in verschiedenen Universitätsstädten unterwegs. Die Teilnehmerzahlen aus der Studentenschaft bestätigten die eingeschlagene Strategie, denn bis einschließlich 1925 waren etwa die Hälfte der 1250 Lehrgangsteilnehmer Studenten, davon die meisten der Rechts- oder Politikwissenschaft.492 Sogar Moeller nahm aktiv an den Lehrgängen für Studenten teil, die ihm den geeigneten Resonanzraum für seine nationalprophetische Haltung boten und positive Rückmeldung gaben: ,,Ich mache wieder die Erfahrung, dass ich mit den Jüngsten am besten verstehe, sofort, ohne weiteres. Bei den Älteren muss ich mich immer erst irgendwie übersetzen, bevor begriffen wird, was gemeint ist.“493 Die enge Verbindung zu Studenten beruhte wohl auch auf einer Faszination für das radikale Potenzial im Studentenmilieu, das mit stetiger Agitation gefördert wurde. Martin Spahn stand als Leiter des Politischen Kollegs ,,in besonders enger Verbindung“ zu einigen Jugendverbänden und zum DNVP-finanzierten Deutschen Hochschulring (DHR).494 Unter dem Dach des DHR gründete sich 1920 der ,,Hochschulring Deutscher Art“, zu dessen Vorsitzenden auch der Gewissen-Autor Otto de la Chevallerie gehörte.495 Chevallerie arbeitete 489 490 491 492

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BArch Koblenz N1160/144 NL Rudolf Pechel: Brief (22.01.1921) H. v. Gleichen an Rudolf Pechel. BArch Koblenz N1160/144 NL Rudolf Pechel: Brief (27.04.1921) H. v. Gleichen an Rudolf Pechel. BArch Koblenz N 1160/144 NL Rudolf Pechel: Bericht (Dez. 1920) über meine Fühlungnahme mit den akademischen Kreisen in Bonn a.Rh. BArch Koblenz R 118/53 Akten des Politischen Kollegs, Heft 1: Berichte über die nationalpolitischen Lehrkurse des PK im Zeitraum 1921–1925. ,,Der hohe studentische Anteil erklärt sich nicht zuletzt daraus, dass da Kolleg gewissermaßen als Denkfabrik und Schulungszentrum hinter dem ,Deutschen Hochschulring’ (DHR) stand, dessen Zentrale sich mit dem Kolleg in der Motzstr. 22 unter einem Dach befand und dem in dem in den frühen 20er Jahren bald der größte Teil der deutschen Studenten angehörten.“ Petzinna: Erziehung, S. 160. DLA Marbach A: Hans Grimm: Brief (30.10.1921) Moeller van den Bruck an Hans Grimm. Die Studenten stellten ,,eine wichtige Zielgruppe für die national-konservativen Bestrebungen der jungkonservativen Kreise um das Politische Kolleg dar“. Die DNVP unterstützte finanziell ,,und nahm auch Einfluss auf die politischen und erzieherischen Fragen der Aktivitas“. Clemens: Martin Spahn, S. 160–161. Ab 1919 verbreitete sich der DHR ,,beinahe explosionsartig“ durch Zusammenschluss

3.3 Jugend, Männer, Führer: Nationalistische Erziehungskonzepte im Gewissen

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eng zusammen mit Erich von Lölhöffel, der die Deutschnationale Studentenschaft leitete und auch im Gewissen schrieb. Ab 1922 spaltete sich die ,,Deutsche Studentenschaft“, in der sich alle Hochschulvereinigungen seit 1919 eine gemeinsame ,,Verfassung“ gegeben hatten, weil es erheblichen Streit um die Zugehörigkeit von jüdischen Studenten ehemaliger deutscher Gebiete in Österreich oder Böhmen gab.496 Solche Spaltungstendenzen ergaben sich aus Sicht der Gründungsstudenten auch durch den generationellen Wechsel innerhalb der Universitäten. Gewissen-Autor und DHR-Aktivist der ersten Stunde Walther Schulz resümierte in seinem Bericht zur Gründung der Hochschulring-Bewegung, ihm bereite die ,,rasche Ausdehnung der Bewegung“ Sorgen, weil sich ,,Massenbewegung und Erziehungsarbeit“ schwer vereinen ließen.497 Zusätzlich erschwert würde der innere Zusammenhalt, ,,da die Kriegsstudenten, aus deren Einstellung heraus ja die Bewegung entstanden war, allmählich die Hochschulen verließen und es auf der andern Seite gewissermaßen zum guten Tone gehörte, Hochschulringmann zu sein, ohne daß die eigentlichen Grundideen recht begriffen und verdaut waren“. Einige der ,,Kriegsstudenten“, die den DHR in seiner Anfangsphase prägten, schrieben sporadisch für das Gewissen, wo sie wiederum zu den jüngsten Autoren gehörten (zwischen 1889 und 1902 geboren): Otto de la Chevallerie, Erich Lölhöffel, Hans Fritzsche, Hans Gerber, Wilhelm Glasebock, Friedrich Heiß, Heinz-Dietrich Wendland und Wilhelm Zietz. Zum inneren AutorenKreis gehörten Harry Laeuen, Hans Roeseler und Walther Schulz.498 Die Organisationsfülle und Schulungstätigkeit in den studentischen Kreisen führte mitunter zu Kollisionen, so dass sich DNVP-Studentenschaft und Kolleg gegenseitig die Teilnehmer und Vortragenden streitig machten.499

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wichtiger studentischer Korps und Verbindungen und fungierte ab Frühjahr 1920 als Dachorganisation der verschiedenen ,,Hochschulringe deutscher Art“ (HdA). Der DHR trug bis zu seinem Ende 1933 zur Radikalisierung der ohnehin stark nationalistischen, antisemitischen Studentenschaft bei, von der sie 75 % bis 90 % umfasste. Vgl. Gerhard Fließ/Jürgen John: Deutscher Hochschulring (DHR), in: Fricke: Lexikon, Band 2, S. 116– 127; Herbert: Generation, S. 122. Erich von Lölhöffel (23.01.1922): Das Ende der deutschen Studentenschaft, in: Gewissen, 4, H. 4, S. 3. Vgl. auch den Bericht in BArch Koblenz R 57 Deutsches AuslandsInstitut: H. O. Wagner (o.D.) Das Amt für Grenz- und Auslandsdeutschtum des Deutschen Hochschulrings im Jahre 1923/24, hier S. 4 Walther Schulz: Die Hochschulring-Bewegung. Ihre Grundlagen und Auswirkungen (Schriftenreihe des DHR 3), Berlin 1927, S. 42. Zu weiteren Verbindungen zwischen Studenten und Politischem Kolleg vgl. Harald Lönnecker: Das »Grundrauschen der völkisch-antisemitischen Publizistik«. Personen, Schriften und die Hochschule für nationale Politik in der Weimarer Republik, in: Gemeinschaft für Deutsche Studentengeschichte : GDS-Archiv für Hochschul- und Studentengeschichte, 2006, H. 8 S. 8–24. Unter anderem musste Ende 1923 eine Schulungswoche abgesagt werden, weil zeitgleich die Vertretertagung der DNVP und die Führertagung des Hochschulrings Deutscher Art stattfand. BArch Berlin R8005/346 Deutschnationale Volkspartei/Deutschnationale Studentenschaft: Schulungswoche und Vertretertag August 1924.

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3. ,,Der Ruf will gehört sein“ – das Profil des Gewissens

Das Politische Kolleg konzentrierte sich außerdem auf Teilnehmer aus der bürgerlichen Jugendbewegung500 , der Turn- und Sportbewegung, den Volksschulen und der Reichswehr.501 Die Lehrgänge für die Landwirtschaft wurden vom Deutschen Landwirtschaftsrat und dem Reichslandbund begrüßt, persönliche Kontakte ergaben sich durch Walther Schotte, Martin Ehrenforth und Rudolf von Bröcker.502 Leiter der Lehrgänge für ,,Führer aus der Turn- und Sportbewegung“ war der Diplom-Turnwart aus dem Sudetenland Edgar Stahff. Im Gewissen stellte er zur dringenden Verbindung von ,,Deutschtum und Leibesübungen“ fest, dass zu den Prinzipien des Turnvaters Jahn im Kampf gegen das napoleonische Frankreich zurückgekehrt werden müsse. Erst in der ,,körperlichen Ertüchtigung“ und ,,im Streben nach der Höchstleistung wird der Mann für den Kampf ums Sein und Nichtsein gestählt. Hier auf dem Spielplatz, wo alle unter Einsatz des gesamten Könnens bei freiwilliger Unterordnung im Streben nach Macht ein einziges Ziel erkämpfen, da ist der fruchtbare Boden zu finden, wo staatsbürgerliche Mannestugenden reifen können.“503

Stahff verknüpfte das soldatische Männlichkeitsideals mit Körperertüchtigung, Sport und gemeinschaftlichem Training zu einem männlichen Erziehungsideal und wandte sich zudem ausdrücklich an die sportlichen Anführer und Leiter, die lernen sollten, eine ,,freiwillige Unterordnung“ herbeizuführen. Die Verbindung des Spielerischen mit dem Machtbegriff verschleierte nur spärlich den Aspekt der Wehrtüchtigkeit, der letztlich die ,,staatsbürgerliche Mannestugend“ auszeichnen sollte.504 500

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Hans Blüher, einer der wichtigsten Vertreter der Jugendbewegung, war häufiger Gast im Juni-Klub. Heinrich von Gleichen dachte im Winter 1921 sogar an ein engeres ,,Zusammengehen mit dem Hamburger Kreis Gerber-Lambach-Glatzel“, wodurch die ,,FichteGesellschaft“ und der ,,Jungdeutsche Bund“ in den eigenen Einflussbereich hätten gebracht werden können. BArch Koblenz N1324 NL Martin Spahn 3: Brief (26.02.1921) Eduard Stadtler an Martin Spahn. Frank Glatzel war Führer des ,,Jungdeutschen Bundes“, der mit Vertretern des Juni-Klubs (Otto de la Chevallerie, Martin Ehrenforth, Wilhelm Stapel) eng verbunden war, vor allem seit diese sich gemeinsam mit dem Bund auf der Lauensteiner Tagung im August 1919 zur ,,großen Tatgemeinschaft“ verbunden hatten. Petzinna: Erziehung, S. 134, 137, 162. Zwischen 1921 und 1925 fanden insgesamt 42 Lehrkurse statt. Weitere Werbemaßnahmen zielten auf den ,,Jungdeutschen Orden“, ,,Stahlhelm“, ,,Nationalverband Deutscher Offiziere“. Nationale Gewerkschaften und der Deutsche Gewerkschaftsbund gingen auf Distanz zum PK, wenngleich einzelne Mitglieder im Juni-Klub verkehrten. Petzinna: Erziehung, S. 164. BArch Koblenz R 118/3/1 Akten des Politischen Kollegs, Nationalpolitische Kurse: Brief (12.05.1924) Martin Spahn an Fürst von Bismarck. Spahn berichtet, dass landwirtschaftliche Kammern, Landbund und Bauernvereine regelmäßig ihre Vertreter an das Politische Kolleg entsenden. Edgar Stahff (02.06.1924): Deutschtum und Leibesübungen. In Beilage ›Der Grenzkampf‹, Nr. 4, in: Gewissen, 6, H. 22, S. 5. Ähnlich auch: Josef Klein (16.05.1921): Sportliche Jugenderziehung, in: Gewissen, 3, H. 20, S. 4. Stahff, geb. 1891, war Leiter der 1921 gegründeten ,,Mittelstelle für deutsche Leibesübungen“, 1933 trat er in die NSDAP ein und wurde Sturmmann bei der Waffen-

3.3 Jugend, Männer, Führer: Nationalistische Erziehungskonzepte im Gewissen

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Ab dem Sommer 1921, mittlerweile war die Lehrtätigkeit in das Johannes-Stift in Spandau verlegt, weiteten sich die Kolleg-Aktivitäten deutlich aus, so dass bei Hugenberg um Ausgleich der höheren Kosten für Kursvorbereitungen, Mitarbeiter, Räume und Bücherei gebeten wurde.505 Der Finanzier Hugenberg strebte jedoch keine breit aufgestellte Lehreinrichtung an, sondern hoffte, dass sich Martin Spahn und der DNVP-Vordenker Friedrich Brunstädt zu Zugpferden einer DNVP-Schulungsstätte entwickeln würden.506 Aus anderen Gründen drängte auch Gleichen Spahn zu mehr öffentlicher Verbindlichkeit. Mit Gespür für jeden Standesdünkel erkannte er, dass sein eigener Name öffentlich zu häufig im Zusammenhang mit dem Politischen Kolleg genannt wurde, so dass er überlegte, ,,dass ich doch nicht an die Dozenten herantreten will, sondern Sie [Spahn, C.K.] bitten möchte, mit individuellen Briefen den Herren zu schreiben“. Es müsse bei den angefragten Gelehrten, wie etwa Otto Hoetzsch, ,,falsch verstanden werden“, wenn sich Spahn nicht direkt an seine Kollegen wenden würde. 1922 richtete das Politische Kolleg eine ,,Hochschule für nationale Politik“ ein, zu deren allgemeinen Vorlesungswesen Teilnehmer mit deutscher Staatsangehörigkeit und höherem Schulabschluss zugelassen wurden. Die Eröffnungsansprachen von Spahn, Reinhold Georg Quaatz und Otto de la Chevallerie erschienen in einer Beilage des Gewissens. In seiner Rede ging Chevallerie auf das schwindende ,,Gefühl des Verbundenseins und des Aufeinanderangewiesenseins im Dienste einer gemeinsamen Sache“ ein, das an den deutschen Universitäten zur Entfremdung von Studenten und Dozenten geführt habe.507 Deshalb plädiere er für neue und intensivere ,,Wege zur Hochschulgemeinschaft“; die Einrichtung einer nationalen Hochschule sah er als ,,Arbeitsgemeinschaft“, aus der ein nationaler Zusammenhang erwachsen könne. Der abgedruckte Vorlesungsplan für das Lehrjahr vom ,,13. November 1922 bis zum 18. Mai 1923“ machte den Begegnungsstätten-Charakter der neugegründeten Einrichtung deutlich, in der Hochschullehrer wie Männer

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SS. Außerdem: Edgar Stahff (26.01.1925): Zur Bedeutung der Leibesübungen, in: Gewissen, 7, H. 4, S. 3. BArch Koblenz N 231/14 NL Alfred Hugenberg: Brief (16.07.1921) H. v. Gleichen an Alfred Hugenberg. ,,Für den richtigen Geist und die befruchtenden Gedanken werden Sie und er dann schon sorgen. Die übrigen Kräfte müssen dann in erster Linie Durchgangskräfte sein, die bei Ihnen die richtige Ölung für andere Stellungen erhalten und demnächst entsprechend auch gern von anderen Seiten übernommen werden.“ BArch Koblenz R 118/36 Akten des Politischen Kollegs: Brief (11.10.1922) Alfred Hugenberg an Martin Spahn. Friedrich Brunstädt (1883-1944) war bis 1925 Professor für Philosophie in Erlangen, danach bis zu seinem Tod für Systematische Theologie in Rostock. Er galt als Theoretiker der DNVP und machte das Johannesstift in Spandau zu einem sozialkonservativen ,,braintrust“. Otto de la Chevallerie (20.11.1922): Hochschule für Nationale Politik. Ansprachen bei der Eröffnung am 13. November 1922: Hochschulgemeinschaft, in Beilage Gewissen, in: Gewissen, 4, H. 39, S. 3–4.

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3. ,,Der Ruf will gehört sein“ – das Profil des Gewissens

der Praxis aus Militär, Wirtschaft und Politik Vorlesungen hielten. Im Lehrjahr 1922/23 gab es insgesamt 34 Vorlesungsreihen mit 30 Dozenten, unter ihnen bekannte Gastdozenten wie Ludwig Curtius oder Otto Hoetzsch.508 Zu dieser Zeit meldete Hugenberg Bedenken am Konzept des Kollegs an. Da seine Unterstützung darauf abzielte, der DDP-nahen DHfP Konkurrenz zu machen, maß er die Schulungsarbeit des Politischen Kollegs an ihren quantitativen Ergebnissen und erst in zweiter Linie an der langfristigen Implementierung radikalnationalistischer Ideenmuster. Vor dem Hintergrund der steigenden Inflation und mangelnder nachweisbarer Erfolge stellte er Spahn im Juli 1922 vor die Wahl: entweder er ändere das Konzept, so dass die Vorlesungen am Kolleg ,,auf breiterer Grundlage“ abgehalten werden, um Vorteile im ,,Wettbewerb mit der Politischen Hochschule“ zu erlangen, oder die finanzielle Unterstützung bliebe aus.509 In jedem Falle müssten ,,mit scharfem Messer noch einmal“ alle Ausgaben des Kollegs gekürzt werden, wobei Hugenberg vor allem das Gewissen zur Disposition stellte.510 Neben Hugenbergs Eingriffen in das Politische Kolleg nahmen ab 1924 und mit Beginn der Stabilisierungsphase sowie Spahns Einzug in den Reichstag als DNVP-Abgeordneter, Erfolg und Wirkung des Kollegs ab.511 Zudem entfremdete sich Spahn zusehends von Gleichen, der ihm mitteilte, den geplanten Herrenklub im Stockwerk unter den Büros des Kollegs in der Motzstraße 22 einrichten zu wollen. Spahn pochte darauf, dass das Haus ,,für die Unterbringung nationaler Vereinigungen“ gedacht sei und deshalb ein ,,luxuriöser Klub“ darin keinen Platz habe.512 Entscheidend für den Misserfolg des Politischen Kollegs war jedoch, dass Hugenberg schließlich im Sommer 1924 seine finanzielle Unterstützung weitgehend beendete, so dass nur ein Rumpfbetrieb aufrecht erhalten bleiben konnte.513 Hugenbergs Konzentration der Kolleg-Arbeit auf Martin Spahn führte zu weiteren Trennungen, so dass bislang feste Mitarbeiter in anderen Verbänden stärker aktiv wurden. Eduard Stadtler ging in den Stahlhelm, später ,,stieg er bis in den Vorstand der DNVP auf “. Heinz Brauweiler orientierte sich ähnlich und wurde ,,Politischer Berater“ des Stahlhelm-Führers Franz Seldte.514 Als ein weiteres Symptom für die Auflösung des jungkonservativen Zu508 509 510

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Petzold: Wegbereiter, S. 124. BArch Koblenz N1324/86 NL Martin Spahn: Brief (12.07.1922) Alfred Hugenberg an Martin Spahn. Vgl. auch Schwierskott: Arthur Moeller, S. 63. Deutliche Sparmaßnahmen im Bereich der Werbung des Politischen Kollegs sind für die Zeit seit Anfang 1923 überliefert, vgl. BArch Berlin R 8005/359 Deutschnationale Volkspartei: Rundschreiben (Januar 1923) des Politischen Kollegs zum 19. Nationalpolitischen Lehrgang für Studenten. Petzold: Wegbereiter, S. 148; Schwierskott: Arthur Moeller, S. 65. BArch Koblenz R 118/35 Akten des Politischen Kolleg: Brief (14.04.1924) Martin Spahn an H. v. Gleichen. BArch Koblenz R 118/36 Akten des Politischen Kolleg: Brief (17.06.1924) Alfred Hugenberg an Martin Spahn; Brief (08.12.1924) Martin Spahn an Alfred Hugenberg. Nickel: Politik, S. 112.

3.3 Jugend, Männer, Führer: Nationalistische Erziehungskonzepte im Gewissen

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sammenhalts kann auch der im Herbst und Winter 1924 per Hauspost ausgetragene Disput zwischen Spahn und Gleichen gesehen werden. Im Zentrum standen die Zuständigkeiten von Politischem Kolleg und Ring und wie so oft das Bemühen, dem eigenen Standpunkt und somit der ,,eigenen“ Einrichtung ein intellektuell überlegenes Profil zukommen zu lassen. Gleichen war beleidigt, weil im Prospekt des Kollegs der Ring-Verlag nicht erwähnt worden war und Spahn hielt die Ring-Werbeschrift für anmaßend, in der das Kolleg auf eine ,,Akademie der Politik“ reduziert worden sei.515 Zusätzlich drängte auch Hugenberg auf Trennung der Geschäftsangelegenheiten der beiden Männer.516 Als diese sich schließlich auseinander dividiert hatten, konnten wieder normalisierte Beziehungen aufgenommen werden, bis Spahn sogar der ,,Eintracht“ wegen in den Herrenklub eintrat.517 Nach allen Erfahrungen und mit Blick auf die Konflikte in der politischen Bildungsarbeit der Ring-Bewegung stellte Spahn 1925 resigniert fest: ,,Ist das überhaupt noch eine Nation, zwischen deren geistigen Arbeitern solche Abgründe klaffen?“518 Das Politische Kolleg bestand eng verbunden mit der DNVP noch bis 1933. Aber der Plan, nach dem eine geistige Elite-Keimzelle als Leitbild für den politischen Nachwuchs an der Spitze der Ring-Bewegung agieren sollte war gescheitert. Die Gründung des Politischen Kollegs im November 1920 hatte für den Jungkonservatismus neben der Gewissen-Publizistik einen weiteren Schritt an die Öffentlichkeit bedeutet. Das Kolleg sollte als dezidierte Konkurrenzeinrichtung zur republikanischen DHfP den politischen Nachwuchs für die jungkonservative Machtpolitik aus- bzw. weiterbilden. Die alters- und berufsbedingten unterschiedlichen Auffassungen der Jungkonservativen über Art und Wirkung einer wissenschaftlich fundierten politischen Erziehungsarbeit, äußerten sich in der konkreten Umsetzung des Politischen Kollegs. Der Werdegang des Kolleg-Leiters Martin Spahn von seiner Sozialisation im wilhelminischen Universitätsbetrieb bis zum außerparteilichen Engagement nach 1918, spiegelte eine gewisse Zerrissenheit gegenüber den vereinnahmenden Forderungen der nur wenige Jahre jüngeren Intellektuellen wider. Eine wichtige Zielgruppe des Politischen Kollegs waren Studenten, die zugleich eine Schnittmenge mit den Interessen der DNVP darstellten; elitäre Selbstbilder 515 516 517

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BArch Koblenz R 118/35 Akten des Politischen Kolleg: Brief (18.11.1924) Martin Spahn an H. v. Gleichen; Brief (25.11.1924) H. v. Gleichen an Martin Spahn. BArch Koblenz R 118/36 Akten des Politischen Kolleg: Brief (20.12.1924) Alfred Hugenberg an Martin Spahn. Clemens: Martin Spahn, S. 165. Der Herrenklub bezog Räume in der Vossstrasse, wo auch die neu eingerichtete ,,Mittelstelle des Ringes“ einzog. Spahn und Gleichen korrespondierten distanziert, aber tauschten sich über das Notwendigste aus. BArch Koblenz R 118/35 Akten des Politischen Kolleg: Brief (02.07.1925) H. v. Gleichen an Martin Spahn; Brief (16.09.1925) H. v. Gleichen an Martin Spahn. Über den weiteren Verlauf des PK bis zum ,,lautlosen“ Eingehen 1933, vgl. Clemens: Martin Spahn, S. 163–168; Petzinna: Erziehung, S. 215–218. BArch Koblenz R 118/46/1 Akten des Politischen Kolleg, Korrespondenz mit Dozenten: Brief (27.02.1925) Martin Spahn an Karl Haushofer.

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3. ,,Der Ruf will gehört sein“ – das Profil des Gewissens

nationalistischer Studentengruppen bildeten die Anknüpfungspunkte für die Werbearbeit des Politischen Kollegs. Mit der 1922 gegründeten ,,Hochschule für nationale Politik“ wurde der Erziehungsarbeit ein universitätsähnlicher Anschein verliehen. Langfristig wurden hier Vorstellungen einer FührungsElite generiert, aber kurzfristig scheiterte das Bildungskonzept als die Finanzierung gedrosselt und dann ganz eingestellt wurde. 3.3.5 Führer durch Formung: Ernst Krieck – völkischer Autor des Gewissens Das Erziehungsideal einer männlichen Elite wurde im Gewissen durch völkische Pädagogen wie Ernst Krieck ergänzt. Krieck war ein Prototyp des politisch motivierten wissenschaftlichen Pädagogen im Ring-Kreis, der jedoch, anders als Martin Spahn, sein Sendungsbewusstsein offensiv vertrat. Im Gewissen veröffentlichte er zwischen 1920 und 1924 knapp 20 Artikel, in denen sein Konzept einer ,,Totalanschauung des menschlichen Lebens & Werdens“ im Mittelpunkt stand. Wenngleich Krieck in manchen Texten von ,,Überlieferung“ und dem ,,gemeinsamen Gedächtnis“ eines Volkes sprach kann seine rassistische Grundannahme nicht übersehen werden.519 Rassismus prägte Kriecks Weltbild zu Beginn der 1920er Jahre und verhalf ihm auch zu einer wissenschaftlichen Karriere während des Nationalsozialismus.520 Geboren 1882 in einer badischen bäuerlich-handwerklichen Familie, hatte Krieck nach der Realschule das Lehrerseminar in Karlsruhe besucht. Neben seinem Volksschuldienst von 1900 bis 1924 betrieb er ,,ausgedehnte literarisch-philosophische Studien“521 und veröffentlichte auf dieser Grundlage 1910 seine erste Abhandlung ,,Persönlichkeit und Kultur“.522 Während des Ersten Weltkrieges arbeitete er an seinem Manuskript zu ,,Philosophie der Erziehung“, das er 1917 Eugen Diederichs zur Veröffentlichung anbot.523 Krieck entwarf eine ganzheitliche Erziehungsideologie, die in allen Bildungsbereichen von der Volksschule bis zur Universität Anwendung finden sollte. Seinen totalitären Entwurf verstand er auch als Generalangriff ,,gegen die Fachherren der Philosophie & der Pädagogik, denen ich keine Wahrheit erspart habe“.524 519

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Vgl. Ernst Krieck: Die Revolution der Wissenschaft. Ein Kapitel über Volkserziehung, Jena 1920; zitiert nach Ernst Hojer: Nationalsozialismus und Pädagogik. Umfeld und Entwicklung der Pädagogik Ernst Kriecks, Würzburg 1997, S. 69. Vgl. auch Helmut Wojtun: Die politische Pädagogik von Ernst Krieck und ihre Würdigung durch die westdeutsche Pädagogik, Frankfurt a.M. 2000. NDB, Bd. 13, Berlin 1982, S. 36. Ernst Krieck: Persönlichkeit und Kultur: kritische Grundlegung der Kulturphilosophie, Heidelberg 1910. Ernst Krieck: Philosophie der Erziehung, Jena 1922. DLA Marbach A: Diederichs 95.2: Brief (28.12.1917) Ernst Krieck an Eugen Diede-

3.3 Jugend, Männer, Führer: Nationalistische Erziehungskonzepte im Gewissen

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Kriecks Lebenslauf und Aussagen veranschaulichten, dass er sich innerhalb der wissenschaftlichen Pädagogik der Weimarer Republik als Außenseiter fühlte und er vor diesem Hintergrund den Entwurf einer ,,Totalanschauung“ begründete, durch die er die herkömmliche, aus seiner Sicht lebensferne Pädagogik wieder rückbesinnen wolle. Sein Selbstbewusstsein erfuhr nach 1918 Bestätigung, als ihm für seine Kritik an den demokratischen Prinzipien des Bildungssystems der Republik gesellschaftliche und auch wissenschaftliche Anerkennung zuteilwurde.525 So verlieh ihm schon 1923 die Universität Heidelberg für sein Buch ,,Philosophie der Erziehung“ die Ehrendoktorwürde. Im Gewissen trug seine rassistische Grundierung dazu bei, dass der oft unkonkret verwandte Begriff ,,Weitergabe“ eine körperliche Anbindung erfuhr. Kriecks völkische Erziehungsentwürfe basierten auf der Annahme, dass die Deutschen ein ,,Volk im Werden“ waren, und seine Jugend ,,Ausdruck der heraufdrängenden, zukunftsbildenden Kräfte“ seien.526 Die Aussage ,,Was ein Volk einmal tief erlebt und wahrhaft gestaltet hat, kann nicht mehr in ihm untergehen, solange es lebt“527 war aus völkischer Sicht nicht originell, aber ergänzte im Gewissen die Ideale von Haltung und innerer Einstellung durch biologistische Kriterien. Nach Kriecks Überzeugung galt für jede Existenz, dass sie durch Erziehung in eine Gemeinschaft einzubinden sei. Die ,,Idee der organischen Gemeinschaft“ war bei Krieck völkisch-politisch zu verstehen, denn er strebte nichts weniger als den ,,organischen Volksstaat“ an.528 Wenngleich Kriecks Erziehungsgrundsätze im Gewissen honoriert wurden, stießen seine konkreten Pläne zur Angleichung des Bildungssystems auf gegenteilige Meinungen. Schon 1919 hatte Hans Heinrich Garbe die Volkshochschule als weitere Separierung im Bildungsbereich begrüßt, wodurch alle Volksteile ihrem Stand angemessen erzogen werden könnten: ,,Wir verlangen von dieser edelsten Volksbildungsanstalt, die ein würdiges Gegenstück zur Universität werden soll, daß in ihr produktive Geister mit voller Verantwortlichkeit und voller menschlicher und fachlicher Hingebung geistige Führer werden und geistig Führer erziehen.“529

Garbe sprach sich zwar für das Ziel ,,Bildung-für-alle“ aus, aber er unterschied zwischen den Ausbildungswegen der Universität und der Volkshochschule

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richs. Fünf Jahre zuvor hatte Krieck sich beim Diederichs-Verlag um eine Anstellung beworben, war aber abgelehnt worden. Diederichs erklärte ihm: ,,Nun kommen zwar immer neue Pläne, die bei mir auf Schaffung von Organisationen für Volksbildungszwecke hinausgehen, aber ich glaube Sie sind da weniger praktisch da zu sehr philosophisch eingestellt.“ Ebd.: Brief (13.10.1912) Eugen Diederichs an Ernst Krieck. Bernd Zymek: Schulen, in: Langewiesche/Tenorth: Handbuch, S. 155-190, S. 165. Ernst Krieck: Volk im Werden, Oldenburg i. O. 1932; Graf: Zukunft, S. 241. ,,Individualismus und Gemeinschaft“ (Stimmen zum Merk- und Werbeblatt), in: Gewissen (12.12.1920), 2, H. 49, S. 3. Vgl. Krieck, Revolution, S. 4; zitiert nach Hojer: Nationalsozialismus, S. 72. Asmus Gendrich [P] (07.10.1919): Die deutsche Volkshochschule, in: Gewissen, 1, H. 26, S. 1–2.

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und somit zwischen einem akademisch elitärem Refugium und einheitlichen Schulungseinrichtungen für die Masse. Die Trennung der Erziehungssphären für die Elite einerseits und der breiten Bevölkerung andererseits wurde im Gewissen auch in der Diskussion um die Lehrerausbildung gefordert. Im Mai 1920 veröffentlichten Paul Ernst und Moeller Artikel530 , in denen sie die Umstellung der Volksschullehrerausbildung auf Universitätsniveau kritisierten.531 Unter dem Titel ,,Bildung. Eine Aussprache mit Volksschullehrern“532 äußerte Moeller seine Vorbehalte gegen eine Einbindung der Volksschullehrerausbildung in den wissenschaftlichen Betrieb. Er begründete die Vorteile der gesondert geführten pädagogischen Akademien mit der Bewahrung eines eigenen Standes, der sich von dem der Gelehrten unterscheiden müsse. Krieck kritisierte diese Position als unverantwortlich, da konkrete GegenVorschläge für die notwendige Reform in der Lehrerausbildung fehlten.533 Der Volksschullehrer, so Krieck, habe zudem Anrecht auf eine Ausbildung an der Universität wie jeder andere erzieherische Beruf auch. Der ,,Haken, der das Problem zurzeit unlösbar“ mache, sei das grundsätzliche Fehlen einer ,,wissenschaftlich-weltanschaulichen Pädagogik“ an der Hochschule. Unter dem Primat des Gemeinschaftsideals sollte die gesamte Wissenschaft nicht mehr individuell orientierte oder fachlich eingeschränkte Forschung betreiben, sondern auf ein übergeordnetes Ziel ausgerichtet sein und intern normiert werden können.534 Damit näherten sich Kriecks Vorstellungen denjenigen Adolf Reins an, der über seine Ideen für eine ,,politische Universität“ auch im Gewissen schrieb.535 530 531

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Paul Ernst (05.05.1920): Barbarisierung, in: Gewissen, 2, H. 17, S. 2–3. Die Reichsverfassung Art. 143 sah vor, dass die Lehrerbildung ,,nach den Grundsätzen, die für die höhere Bildung allgemein gelten, einheitlich zu regeln“ sei. Die akute Ausbildungssituation für Lehrer war nach 1918 miserabel, Reformen beschränkten sich auf den ,,Abbau der Überfüllung“. Im Lauf der 1920er Jahre richteten die Länder unabhängig voneinander Pädagogische Akademie für die Ausbildung ein, die sich bis 1933 jedoch nicht fest etablieren konnten. Sebastian Müller-Rolli: Lehrer, in: Langewiesche/ Tenorth: Handbuch, S. 240-258, S. 241–243. Moeller van den Bruck (19.05.1920): Bildung. Eine Aussprache mit deutschen Volksschullehrern, in: Gewissen, 2, H. 19, S. 3. Ernst Krieck (02.06.1920): Barbarisierung, Bildung und Volksschullehrer, in: Gewissen, 2, H. 21, S. 4. Vgl. seine Ausführungen über sozialdemokratische ,,willkürliche“ Wissenschaftspolitik in Ernst Krieck (26.11.1923): Wissenschaft oder Parteipolitik, in: Gewissen, 5, H. 47, S. 4. Als Krieck 1937 zum Rektor der Universität Heidelberg berufen wurde, würdigte eine Pressemitteilung seinen ,,Kampf um die Wissenschaftsreform und die Erneuerung der deutschen Hochschule“ die bis 1920 zurückreiche. Ernst Kriecks verdienstvoller Grundgedanke sei ,,die Wiedergewinnung einer Sinneinheit, einer gemeinsamen tragenden Grundlage und eines gemeinsamen Zieles aller Fakultäten, aller Fächer und Zweige der Wissenschaft“. BArch Berlin R 8034 III/253 Presseausschnittsammlung – Reichslandbund: Volksdeutscher Dienst Pressemitteilung (19.02.1937) Ernst Krieck Rektor der Universität Heidelberg. Vgl. auch Arnt Goede: Adolf Rein und die ,,Idee der politischen Universität“, Berlin 2008.

3.3 Jugend, Männer, Führer: Nationalistische Erziehungskonzepte im Gewissen

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Paul Ernsts Gegenposition verweigerte zwar nicht die Politisierung der Wissenschaften, war aber darauf bedacht, den akademischen Gelehrtenstand als geschlossene geistesaristokratische Kaste hermetisch abzuriegeln.536 Die Meinungen zum prinzipiellen Ausschluss der Volksschullehrer von der Universität hatten offensichtlich zu einigen Reaktionen geführt, denn die Redaktion sah sich veranlasst, im Juni 1920 einen weiteren Ernst-Artikel zur näheren Erklärung zu veröffentlichen. Damit wolle man ,,die vielen Missverständnisse, die ihr erster Aufsatz in den beteiligten Kreisen, die aus Vorurteil und persönlicher Gereiztheit das Grundproblem nicht erkennen konnten oder wollten, hoffentlich endgültig beseitigen“.537 Das Bildungselitenkonzept, das Moeller und Ernst vertraten unterschied nicht nur zwischen Elite und Masse, sondern hierarchisierte auch die Elite. Doch der übersteigerte Auserwählungsprozess ließ sich anscheinend einem Teil der Gewissen-Leser, die dem Mittelstand nahe standen, nur schwer vermitteln. Der Volkspädagoge Krieck stellte 1920 kurz nach diesem Disput in einem Briefwechsel mit Paul Ernst seine Ambitionen einer ,,Totalanschauung“ klar, die alle Teile der Gesellschaft erfassen und den Nährboden einer ,,tragenden Gemeinschaft“ bilden sollte.538 Die gesamte Erziehungslehre müsse aus der ,,bisherigen schulmeisterlichen Enge & Froschperspektive“ herausgeholt werden.539 Erst daraus erwachse diejenige Führerkaste, aus der ein Diktator hervorgehen könne: ,,Wir müssen uns auf eine oder zwei Generationen gedulden & inzwischen tun, was unseres Amtes ist: pflügen, säen, den Geist revolutionieren, nicht organisieren.“540 Krieck spielte auf die zeitgleiche Einrichtung des Politischen Kollegs an, dem er vorwarf eine politische Führerelite zu schaffen, ohne den Gemeinschaftswillen zu fördern. Das Konzept des Politischen Kollegs richte sich zwar an verschiedene Berufsgruppen, aber wirke zu wenig in die breite Bevölkerung hinein. Für solche Überzeugungsleistungen brauche man im Moment noch ,,Propheten“, so Krieck, der in beklemmender Weise prognostizierte, wie seine ,,Totalanschauung“ in letzter Konsequenz umgesetzt werden müsse: ,,Das Werk des Diktators – ich hab’s während des Krieges schon stets gefordert – wird dann allerdings sein, an jede Straßenkreuzung Galgen zu bevölkern.“ Krieck veröffentlichte hauptsächlich 1921 und 1923 im Gewissen. Zu den charakteristischen Artikeln zählten ,,Das einige deutsche Bildungsideal“ oder ,,Staat und Schule“541 , in denen seine Nähe zum Völkischen durch einen 536 537 538 539 540 541

Vgl. auch Paul Ernst (22.09.1920): Die höhere Bildung, in: Gewissen, 2, H. 37, S. 2–3. DLA Marbach A: Paul Ernst 61.1763/1: Brief (07.06.1920) W. Wirths an Paul Ernst; Paul Ernst (11.06.1920): Die Bildung des Volkschullehrers, in: Gewissen, 2, H. 22, S. 2. DLA Marbach A: Paul Ernst 61.2071/9: Brief (21.10.1920) Ernst Krieck an Paul Ernst. DLA Marbach A: Paul Ernst 61.2071/3: Brief (01.11.1920) Ernst Krieck an Paul Ernst. DLA Marbach A: Paul Ernst 61.2071/9: Brief (21.10.1920) Ernst Krieck an Paul Ernst. Ernst Krieck (06.06.1921): Das einige deutsche Bildungsideal, in: Gewissen, 3, H. 23, S. 2– 3; ders. (19.12.1921): Staat und Schule, 1, in: Gewissen, 3, H. 51, S. 1–2; ders. (26.12.1921): Staat und Schule, 2, in: Gewissen, 3, H. 52, S. 2–4.

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3. ,,Der Ruf will gehört sein“ – das Profil des Gewissens

vehement vertretenen Fortschrittspessimismus deutlich wurde. Anfang 1923 beklagte er sich in einem Artikel über das ,,verluderte Volk“ der Deutschen, weil die Vereinzelung und Maschinisierung bis in den ,,kleinen Lebenskreis“ verbreitet sei. Der ,,Moloch Fortschritt“ lasse die Menschen vereinsamen und ihre Perspektive grausam erscheinen: ,,Uns fehlt aber die gemeinsame Lebensgrundlage, das organische Sein, der große Gehalt – das Volkstum.“542 In den infernalischen Untergangsszenarien, die er den Deutschen regelmäßig voraussagte, spitzte sich letztlich die Rettung immer auf einen männlichmythischen Helden zu: ,,Der Bann der Zwangsläufigkeiten – das Wort Schicksal wäre zu hoch gegriffen – in dem wir dahinvegetieren, [. . . ] könnte nur zerbrochen werden durch die Tat eines ganzen Mannes, einer dämonischen Natur, in der das Schicksal des Ganzen verflochten wäre, um mit ihr zu siegen oder unterzugehen. Tragisches Menschentum ist weltgeschichtliche Mannheit, die das Ganze wagt, um das Ganze zu gewinnen.“543

Kriecks Hauptthema war weniger die kulturelle nationale Erneuerung als vielmehr die staatliche ,,Züchtung“ des Volkes nach vorgegebenen Normen. Kriecks Artikel über ,,Typenzucht“ gehörten hier zu den eindeutigen Texten im Gewissen.544 Er legte sich zwar nicht auf physische Formen der ,,Züchtung“ fest, aber ließ keinen Zweifel daran, dass von der Norm abweichende Erscheinungen zum ,,Wohle der Gemeinschaft“ nicht zu dulden und ,,niederes Gesindel“ nicht zum politischen Leben zuzulassen seien. Kriecks Vorstellungen einer Art ,,Reinheitsgebot“ war seine Leitlinie für die Gestaltung Deutschlands, die er eindeutiger als andere Gewissen-Autoren formulierte: ,,Nicht nur dem gemeinen Verbrecher, auch allen Tagedieben, allen Schmarotzern an Volksgesundheit und Volkswohlstand, allen, die ihr Leben verludern, sind mit kurzem Prozess die bürgerliche Ehre und politischen Rechte auf Lebenszeit abzuerkennen.“545

Eine perfekte Sinn- und Formgebung der deutschen Volksgemeinschaft sah Krieck in Moellers ,,Drittem Reich“546 . In religiöser Verklärung lobte Krieck dieses ,,Grundbuch“ des Rings, das ,,leidenschaftlich durchglüht, doch voller Distanz und vornehmer Haltung bei aller Schärfe seiner Kritik“ sei. In ,,Das Dritte Reich“ meinte Krieck das Ideal eines totalen Staates zu erkennen, in dem alle Existenzgrundlagen auf ,,Ursprung und Ursinn“ zurückgeführt würden. In Kriecks überschwänglichen Artikel wurde jedoch auch eine gewisse Zurückhaltung gegenüber der so wenig fassbaren Geistigkeit Moellers deutlich.547 542 543 544 545 546 547

Ernst Krieck (08.01.1923): Der tragische Mensch, in: Gewissen, 5, H. 1, S. 2–3, hier 3. Ebd. Vgl. Ernst Krieck (30.03.1921): Soziale Demokratie, 1, in: Gewissen, 3, H. 13, S. 2–3. Ernst Krieck (26.03.1923): Zucht – Freiheit – Menschenwürde, in: Gewissen, 5, H. 12, S. 2–3. Ernst Krieck (03.12.1923): Das Dritte Reich, in: Gewissen, 5, H. 48, S. 2–3. Außerdem: Ernst Krieck (04.07.1921): Vom Lande Baden, in: Gewissen, 3, H. 27, S. 2–3;

3.3 Jugend, Männer, Führer: Nationalistische Erziehungskonzepte im Gewissen

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1928 berief ihn der preußische Kultusminister Becker als Professor an die Universität Frankfurt am Main. Drei Jahre später kam es zum offenen Konflikt mit der Republik. ,,Anlässlich einer Sonnwendfeier der studierenden Jugend hielt Krieck im Juni [...] eine Ansprache, in der er wie schon früher von dem Symbolwort ,geschichtlich-völkischer Erneuerung‘ von dem ,dritten Reich‘ sprach“.548 Der preußische Kultusminister strafversetzte ihn an die Pädagogische Akademie in Dortmund und wegen seines soeben erschienenen Buches ,,Nationalpolitische Erziehung“ wurde ein Disziplinarverfahren eingeleitet. Kriecks Konzept der Volksgemeinschaftserziehung entsprach in keinem Moment den demokratisch-republikanischen Vorgaben der Weimarer Bildungspolitik und auch seine weitere Karriere ließ kein Zögern in der Absage an die Republik erkennen.549 Schon unter der Regierung Papen wurde Krieck wieder in Frankfurt am Main eingesetzt, wo er 1933 der ,,erste nationalsozialistische Rektor einer deutschen Universität“ wurde550 und unter anderem von allen Professoren die Teilnahme an der Bücherverbrennung verlangte.551 Aber die bürokratischen Auflagen, als erster NS-Rektor zu amtieren, schienen mit seiner ,,Totalanschauung“ nicht übereinzustimmen, denn schon 1934 äußerte er die ,,Sehnsucht danach, mich auf meine ursprüngliche Lebenslinie und meine eigene Arbeit zurückziehen zu können“.552 Wie am Beispiel Ernst Kriecks deutlich wird, fanden auch rassistische Elite-Zuchtkonzepte prominenten Platz im Gewissen. Krieck leitete von seiner ,,Totalanschauung“ ab, dass der Erziehungsberuf einen politischen Rang einnehmen müsse, womit er unter anderem die Zulassung der Volksschullehrerausbildung an der Universität forderte. Zusätzlich postulierte er

548

549 550

551

552

ders. (28.01.1924): Die bedrohte Südwestmark, in: Gewissen, 6, H. 4, S. 1–2; sowie ders. (17.03.1924): Ritterliche Dichtung, in: Gewissen, 6, H. 11, S. 2–3. Bemerkenswert hieran ist die Erwähnung, dass Krieck ,,schon früher“ in diesem Sinn gesprochen habe. Vgl. Internationales biographisches Archiv: Personen aktuell (ein Spiegel unserer Welt in den Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft und Kultur), herausgegeben vom Munzinger-Archiv, Ravensburg 1973ff, 37, 12.09.1949. Vgl. die zeitgenössischen Reaktionen für und gegen Krieck in BArch Berlin R 8034 III/253 Presseausschnittsammlung – Reichslandbund. NDB, Bd. 13, 1982, S. 38. Ab 1937 war Krieck Rektor der Universität Heidelberg, seine Berufung ,,seitens der philosophischen Fakultät der Universität Heidelberg [war] unter Druck der SS-Machthaber, namentlich in der medizinischen Fakultät erfolgt war“ wo Krieck ,,durch ähnliche Einflüsse im April 1937 auch noch Rektor der Universität Heidelberg“ wurde. Munzinger Archiv, 37, 1949. 1947 starb Krieck im Internierungslager Moosburg. Vondung: Apokalypse, S. 211, 213. Die Besetzung des Rektorats mit Ernst Krieck war nach machtpolitischer Logik des Nationalsozialismus folgerichtig, da die Frankfurter Universität während der 1920er Jahre reformorientiert und progressiv arbeitete. Notker Hammerstein: Das Beispiel Frankfurt am Main, in: Karl Strobel (Hrsg.): Die deutsche Universität im 20. Jahrhundert. Die Entwicklung einer Institution zwischen Tradition, Autonomie, historischen und sozialen Rahmenbedingungen, Vierow 1994, S. 89–96. DLA Marbach A: Karl Jaspers 75.12490/4: Brief (26.01.1934) Ernst Krieck an Karl Jaspers.

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3. ,,Der Ruf will gehört sein“ – das Profil des Gewissens

der Wissenschaft, sich politischen Zielen und Vorgaben unterordnen zu müssen. Ähnlich wie beim Konflikt zwischen Eduard Stadtler und Martin Spahn über den wissenschaftlichen Anspruch des Politischen Kollegs, gab es auch zwischen Krieck auf der einen und Moeller sowie Paul Ernst auf der anderen Seite unterschiedliche Vorstellungen inwieweit ,,Wissenschaft“ als eine separate Sphäre neben und nicht in der Politik zu begreifen sei. Es liegt nahe, in dem Disput auch generationelle Differenzen zu erkennen. Stadtler und Krieck waren 1886 bzw. 1882 geboren und gehörten der so genannten Frontgeneration an; Ernst, Spahn und Moeller waren hingegen 1866, 1875 und 1876 geboren und standen für die ,,Gründerzeitgeneration“. In jeweils unterschiedlichen persönlichen Entwicklungs- und Berufsphasen hatten die Männer die wilhelminische Sozialisation und den Ersten Weltkrieg erfahren, womit ein Indiz für die unterschiedlichen Bewertungen gegeben ist. Dieser Unterschied lag weniger im Wissenschafts-Begriff, sondern vielmehr im Politik-Begriff begründet, den die älteren Gewissen-Autoren zum Teil unkonkret und metaphysisch deuteten, während die Jüngeren den Bezug der Politik zur Handlungsebene zumindest rhetorisch konkreter einforderten. 3.3.6 Dem Individuum enge Grenzen setzen – Erziehung im Gewissen Neben den Diskussionen um das Politische Kolleg oder Kriecks völkischen Zuchtvisionen kursierten im Gewissen weitere Beiträge zu nationalistischen Erziehungskonzepten und entsprechenden Einrichtungen. Die Autoren Heinz Brauweiler, Max Hildebert Boehm, Hans Schwarz und Adolf Rein gehörten wie Stadtler und Krieck zur Geburtenkohorte der 1880er Jahre. Auch an ihren Positionen zur Erziehung fällt auf, dass sie den Primat des Politischen als Handlungsmaßgabe betonten und im Kern die hierarchische Organisation des gesamten Bildungswesens forderten. Ihre Akzente ergänzten sich im Gewissen zu einer ständischen Staatsvorstellung, in der das Solidaritätsprinzip jedes Individualrecht außer Kraft setzte und an dessen Spitze eine Führerkaste herrschen sollte. Beispielsweise plante Heinz Brauweiler im Zuge seiner ,,Ständischen Bewegung“ auch eine Führerschulung, die er 1921 durch den in Hagen gegründeten katholischen Ketteler-Bund als Oppositionseinrichtung zum Zentrum einleitete.553 In den Bund traten vorrangig katholische Adelige ein, er berief sich auf die ,,Grundsätze der katholischen Staats- und Gesellschaftslehre“ und schulte seine Mitglieder zur Verbreitung dieser Grundsätze.554 Während Brauweilers 553

554

StaMg 2:15/13/133 NL Heinz Brauweiler: Einladung (03.05.1921) zur Gründungsversammlung des ,,Ketteler-Bundes“ in Hagen. Zur gesamten Gründungsgeschichte vgl. Petzinna: Erziehung, S. 65–76. StaMg 2:15/13/133 NL Heinz Brauweiler: Ketteler-Bund e.V.-Satzung.

3.3 Jugend, Männer, Führer: Nationalistische Erziehungskonzepte im Gewissen

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Schulungskonzept deutlich parteipolitisch und honoratiorenhaft geprägt war, entwickelte der fünf Jahre jüngere Hans Schwarz ein radikales Kameradschaftsideal, in dem der Einzelne ohne die Gruppe keine Bedeutung hatte: ,,Die Freiheit aber um der Freiheit willen ist eine Kinderei und enthüllt bei Erwachsenen eine Zimperlichkeit, die sich im Dienen zu verlieren fürchtet. Solche Vorstellungen halten den neuen Menschen auf, ohne den die Nation eine Phrase bleibt. Die Freiheit gehört der Nation, der Einzelne hat nur durch die Nation Anteil an ihr. Darum ist in den Führerschichten der Sinn für Geschlossenheit so stark, daß dem Individuum enge Grenzen gezogen werden. Seine Aufgabe ist eine Bereitschaft.“555

Existenzberechtigung durch Einordnung in die Gemeinschaft war auch eine der Grundlagen, die Boehm für einen ,,Korporativismus der Bildung“ forderte. Er klagte die Einrichtung eines ,,Reichsschulausschusses“ als formale Augenwischerei des herrschenden ,,Bildungssozialismus“ an, in dem alle Entscheidungen von oben nach unten dirigiert würden. Zum Aufbau eines Bildungswesens, das von allen Einrichtungen getragen würde und vor allem gleichlautende, nach nationalen Belangen formulierte Prinzipien vermittle, müsste eine ,,Kammer der Bildung“ eingerichtet werden.556 Im Rahmen einer Delegitimierungsstrategie staatlicher Einrichtungen forderte Boehm eine ,,körperschaftliche Bildungsinitiative“ in der sich alle Bildungsanstalten zu einer ,,deutschen Bildungsfront“ zusammenschließen müssten. Einen anderen Zugang zum Umbau des deutschen Bildungssystems wählte der Historiker und Philosoph Adolf Rein, seit 1919 Privatdozent an der jüngst gegründeten Universität Hamburg. Langfristig schwebte ihm eine Umkehrung der wissenschaftlichen Prinzipien vor, so dass eine ,,politische Universität“ zum Schmelztiegel aller national relevanten Lebensbereiche würde. Im Gewissen formulierte Rein 1921 die Voraussetzungen, um die durch das ,,moderne Leben“ verschleierten Einsichten wieder freizulegen: ,,Der Vorrang des Sittlichen, des Geistig–Seelischen über das nur Politische ist unbestritten und unbestreitbar. Aber muß denn Staat und Kultur, Politik und Seele kontraponiert werden? Werden hier nicht Gegensätze aufgebaut, die der Intellekt ergreift, aber das Leben nicht kennt. [. . . ] Man kann das Leben nicht halbieren wollen. Es ist ein unteilbares Ganzes.“557

Auch Boehm unterstrich die akademische Forderung nach einer umgewerteten Wissenschaft als Unterbau nationaler Politik:

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557

Hans Schwarz (17.11.1924): Die neue Nation, in: Gewissen, 6, H. 46, S. 2–3. Max Hildebert Boehm (05.05.1920): Korporativismus der Bildung, in Beilage ›Gewissen‹, in: Gewissen, 2, H. 17, S. 6; ders. (12.05.1920): Kammer der Bildung, in: Gewissen, 2, H. 18, S. 3. Adolf Rein (30.03.1921): Modephilosophie und Politik, in: Gewissen, 3, H. 13, S. 2–3. Adolf Rein forderte aus dieser Sicht konsequent, dass die Staatsrechtslehrer ihre Wissenschaft primär nach nationalen Bedürfnissen und nationalistischer Überlegenheit des deutschen Staatswesens ausrichten müssten. Adolf Rein (17.04.1922): Staatsrechtslehrer an die Front, in: Gewissen, 4, H. 16, S. 2–3.

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3. ,,Der Ruf will gehört sein“ – das Profil des Gewissens

,,Die neue Politik verlangt eine geistige Befruchtung durch eine neue Wissenschaft. Und diese neue Wissenschaft ist nicht etwa ein neuer Forschungszweig, sondern es handelt sich um die Einschaltung eines inneren nationalpolitischen Verantwortungsbewußtseins, daß auf Methode, Stoffauswahl, Darstellung und Formulierung gleichmäßig seine Wirkung ausübt.“558

Alle Gewissen-Autoren, von Moeller über Boehm und Rein bis Gleichen bauten ihre bildungspolitischen Forderungen auf den Grundsatz auf, dass jeder Deutsche ein politisches Bewusstsein nur durch Ein-, Unter- und Überordnung entwickeln könne. Die inhaltlichen Unterschiede im nationalen Erziehungs-Ideal können auf den Erfahrungshorizont und die Sozialisation der jeweiligen Autoren zurückgeführt werden, die entweder – wie Spahn, Ernst und Moeller – bis Mitte der 1870er oder – wie Krieck, Brauweiler, Boehm und Rein bis Mitte der 1880er Jahre geboren worden waren. An den biographischen Ausführungen zu Martin Spahn und Ernst Krieck wurde zudem deutlich, wie der persönliche Werdegang innerhalb oder außerhalb des traditionellen Wissenschaftsbetriebes die politische Haltung beeinflussen konnte. ,,Das Politische“ fungierte in der gesamten jungkonservativen Interpretation als Codierung des deutschen Nationalismus. Aber während ältere Autoren die rein geistige Leistung als Legitimation eines eigenen Standes innerhalb der Nation betonten, gingen jüngere Autoren dazu über, den Leistungsbegriff als überwölbende politische Kategorie zu definieren. Den Forderungen nach einer politischen Wissenschaft oder politischen Universität lag die Annahme zugrunde, dass sich intellektuelle Leistung nur auf der politischen Handlungsebene legitim vollziehe. Damit spiegelten die GewissenAutoren auch den Transformationsprozess wider, der zur Mitte der 1920er Jahre in der Weimarer Republik die Wahrnehmungen der verschiedenen Geburtskohorten differenzierte. Vom Reden über die ,,Junge Generation“ und ihren Auftrag zum Wiederaufbau Deutschlands gingen die nachwachsenden politisch und intellektuell Engagierten dazu über, das ,,Erlebnis“ als eine manifeste Form von Erfahrung und als eigene politische Kategorie zu definieren. Insgesamt sahen die jungkonservativen Autoren die Fähigkeit zur politischen Konsequenz nur in einer männlich exklusiv ausgebildeten Führungsschicht angelegt. So wie auf internationaler Ebene der deutsche Nationalismus als eine männliche Sphäre gedeutet wurde, galt die innergesellschaftlich Fähigkeit, sich mit allen Mitteln durchzusetzen, als Aufgabe einer männlichen Elite. Die im Gewissen verhandelten jungkonservativen Ideenmuster waren insofern auch Teil einer politischen Radikalisierung, in der jedwede Form von Gewalt zum legitimen Mittel der politischen Vergemeinschaftung avancierte.559 558 559

Max Hildebert Boehm (22.05.1922): Politische Wissenschaft, in: Gewissen, 4, H. 21, S. 2. Hannah Arendt: Was ist Politik? Fragmente aus dem Nachlass, München/Zürich 1993, S. 124-125.

3.4 Gegen den Versailler Vertrag

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3.4 Gegen den Versailler Vertrag In der Diskussion um die Revision der Friedensbedingungen lassen sich für die 1920er Jahre zwei Phasen unterscheiden, die sich auch im Gewissen niederschlugen. Bis etwa 1924/25 waren die im Gewissen formulierten Revisionsforderungen und Handlungsanweisungen eine radikale Steigerung der deutschen kompromisslosen Politik. Bei den Gewissen-Herausgebern konnte während dieser Zeit der Eindruck entstehen, nicht nur an reale Möglichkeiten der Diplomatie anzuknüpfen, sondern diese sogar zu beeinflussen. Als sich die außenpolitische Strategie der deutschen Regierung änderte, griff die radikale Haltung des Gewissens ins Leere, und auch innerhalb des rechten politischen Lagers nahm die Wirkung bzw. Akzeptanz der jungkonservativen Maximalforderungen in dem Moment ab, als das hermetische Weltbild der Jungkonservativen, in dem die komplette Außerkraftsetzung des Friedensvertrages als einziges Mittel für die europäische Ordnung galt, keinen Anknüpfungspunkt mehr an die politische Realität fand. Seit dem Beginn der Verständigungspolitik unter Außenminister Stresemann 1923 und der Anerkennung der Friedensbedingungen verlor der Versailler Vertrag als Kommunikationsfeld für radikale Forderungen an Bedeutung. Zwar hörte der Versailler Vertrag nie auf, als Symbol der ,,Schmach“ zu gelten, aber mit dem Abschluss des Locarno-Vertrages 1925 entschärfte sich zumindest auf außenpolitischer Ebene die Diskussion. Deutschland rückte von seiner kompromisslosen Revisionsforderung gegenüber den Allliierten ab und ging auf reale internationale Bedingungen ein. Dieser Schwenk in der deutschen Außenpolitik kann auch in der Gewissen-Publizistik als entscheidender Wandel nachgelesen werden, mit dem die Jungkonservativen versuchten, wieder an reale Machtlogiken anzuknüpfen. Die Veröffentlichungen des Gewissens können dementsprechend als Reaktionen auf die politische Agenda und Kommunikation mit den politischen Akteuren gewertet werden, auf die die Jungkonservativen Einfluss nehmen wollten. Im Kern ging es um die Bereiche Gebietsabtretungen, Kriegsschuldfrage, Reparationszahlungen und alliierte Sanktionen. Als im Oktober 1918 das deutsche Waffenstillstandsersuchen mit dem Wunsch nach einem Frieden gemäß der ,,14 Punkte“ an den amerikanischen Präsidenten Wilson erging,560 entstand zur gleichen Zeit im Auftrag der 560

Wilson forderte für künftige Friedensverhandlungen und Friedenszeiten keine Geheimdiplomatie, uneingeschränkte Schifffahrt, Beseitigung von Handelsschranken, beschränkte Rüstung, ,,kolonialen Ausgleich“ unter allen imperialen Staaten, Räumung russischer Gebiete und Unterstützungsleistungen zum Wiederaufbau, Räumung und Wiederherstellung der Souveränität Belgiens, Räumung des französischen Gebietes inklusive Elsass-Lothringen, Grenzziehungen gemäß der ,,Nationen“ in Italien, Österreich-Ungarn und dem Balkan, Selbstständigkeit der Türkei, internationalen Status der Dardanellen, einen unabhängigen polnischen Staat und schließlich die Gewähr-

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3. ,,Der Ruf will gehört sein“ – das Profil des Gewissens

militärischen Propagandaabteilung Moellers Schrift ,,Das Recht der jungen Völker“. Moeller wie die deutsche Regierung und Öffentlichkeit blendeten aus, dass die Alliierten nach dem ,,Diktatfrieden von Brest-Litowsk“ und der darauffolgenden Westoffensive der deutschen Armee kaum mehr Veranlassung sahen, der deutschen Regierung Kompromisse im Sinne der 14 Punkte vom Januar des Jahres anzubieten.561 Der Vertragsentwurf, den die deutsche Delegation im Mai 1919 in Paris entgegennahm, beruhte vielmehr auf zwei Interessenlagen: Während die amerikanisch-britische Linie daran interessiert war, ein funktionierendes Weltwirtschaftssystem und Deutschland weitgehend produktionsstark zu erhalten562 , wollte Frankreich soweit es geht Deutschland militärisch und wirtschaftlich ausschalten, weil es sonst seine Sicherheit in permanenter Gefahr sah.563 Die im Vertragsentwurf enthaltenen Zugeständnisse an Frankreich dominierten in der öffentlichen Wahrnehmung, so dass bis Mitte Juni 1919 auch innerhalb der Parteien weitgehende Übereinstimmung herrschte, diesen Entwurf abzulehnen. Moellers Privatkorrespondenz angesichts der drohenden Folgen einer Nicht-Annahme ließ Zweifel an der deutschen Haltung erkennen: ,,Was dann? Dann wird alles unberechenbar. Aber den Mut zu dem Wagnis müssen wir – müssten wir – jedenfalls erbringen. Es ist der letzte und einzige Mut, den wir überhaupt aufbringen können.“564 Das Gewissen kritisierte die bedingte Annahme des Vertrags aufs Schärfste, da die deutschen Regierungsvertreter auf diese Weise ohne Verstand und Führungskraft der wirtschaftlichen Ausbeutung Deutschlands Vorschub leisten würden. Hans Roeseler stellte im Juni 1919 fest, dass die Regierung Scheidemann mit der Ablehnung der Vertragsbedingungen zwar richtig reagiert habe, aber auch ,,undurchführbare und vorschnell abgefasste Gegenvorschläge“ vorgelegt habe.565 ,,Gründliche und sachliche“ Ausarbeitung hätte Zeit gebracht, um ,,den drohenden Zerfall des Reiches dadurch aufzuhalten [. . . ] dass wir das Gewissen unserer deutschen Volksgenossen schärfen, ihren Reichswillen festigen und unablässig tätig sind, gerade die lauen und das sind zum großen Teil unsere bürgerlichen Kreise, bei ihrer Pflicht zu Deutschland zu halten.“

Am 23. Juni stimmte die Nationalversammlung der bedingungslosen Unter-

561 562 563 564 565

leistung dieser Vorkehrungen durch einen Völkerbund. Vgl. 14-Punkte-Programm von Präsident Wilson, 8. Januar 1918, online unter http://www.dhm.de/lemo/html/ dokumente/14punkte/index.html, 25.03.2009. Gottfried Niedhart: Die Außenpolitik der Weimarer Republik, München 1999, S. 3–4; Krüger: Außenpolitik, S. 33-36. Peter Krüger: Versailles. Deutsche Außenpolitik zwischen Revisionismus und Friedenssicherung, München 1993. Niedhart: Außenpolitik, S. 7. DLA Marbach A: Hans Grimm: Brief (23.04.1919) Moeller van den Bruck an Hans Grimm. Hans Roeseler (10.06.1919): Der Zerfall Deutschlands, in: Gewissen, 1, H. 9, S. 1.

3.4 Gegen den Versailler Vertrag

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zeichnung des Friedensvertrages zu, am 9. Juli ratifizierte sie ihn, drei Tage später hoben die Alliierten ihre Blockade Deutschlands auf. Die Rhetorik des Gewissens schwankte in dieser Zeit zwischen Frustration und Pathos, denn man sah die Vertragsannahme als verpasste machtpolitische Chance an. Stadtler warf der Regierung aus SPD und Zentrum vor, kurzfristige ,,Stimmungspolitik“ zu betreiben, ,,wobei Verzweiflung, Ratlosigkeit, Illusionismus und Hoffnungsfreudigkeit sich gegenseitig die Hand reichen“.566 In den folgenden Wochen verschärfte das Gewissen die Angriffe gegen die Regierung und den Vizekanzler Matthias Erzberger.567 Mit den stereotyp angegriffenen Unterzeichnern des Friedensvertrages als ,,geistlose Tagestaktiker“ einer ,,senilen Diplomatie“ bot sich der Gewissen-Publizistik zugleich eine Negativ-Folie, um eigene Tatkraft zu suggerieren, mit der man ,,ernüchtert vom Weltkrieg kühn der Zukunft ins Antlitz schauen, selbst als Verkünder einer neuen Zeit“ aufstehe.568 Am 10. Januar 1920 trat schließlich der Friedensvertrag in Kraft. Im Gewissen wurde dies lediglich mit einem Artikel auf der dritten Seite zur Kenntnis genommen, denn längst war der Vertrag als Symbol der Unterdrückung in den Sprachhaushalt einer apokalyptischen Gegenwartsdiagnose eingegangen: ,,Solange dieser Frieden unverändert bleibt, dauert für das geknebelte Deutschland der Krieg fort. Ohne Macht kein Recht. Deutschland wird vergewaltigt, erdrückt und ausgepresst.“569 3.4.1 „Ein Riesenprojekt zur wirtschaftlichen Ausbeutung“ Gewissen-Argumentationen banden politische und wirtschaftliche Fragen immer zusammen in einen ganzheitlichen Revisionsanspruch. Obwohl die Jungkonservativen den Handlungsspielraum der deutschen Regierung deutlich überschätzten, knüpfte ihre Strategie durchaus an politische Gegebenheiten und die Diplomatie der deutschen Außenpolitik an, die sich bemühte, ,,mittels des Wirtschaftspotentials, Deutschland den Rang einer vorherrschenden Großmacht zu erhalten“.570 Den bisherigen Diplomaten waren Fachleute aus der Wirtschaft an die Seite gestellt, so dass letztlich an die Stelle ,,der autokratischen Militärimperialisten“ liberale ,,Wirtschafts- und 566 567

568 569 570

Eduard Stadtler (24.06.1919): Nach der Entscheidung, in: Gewissen, 1, H. 11, S. 1. Albert Dietrich (01.07.1919): Die Katastrophe!, in: Gewissen, 1, H. 12, S. 1–2; Vgl. auch Eduard Stadtler (01.07.1919): Charakterköpfe der Zeit: Erzberger der ,,Rangebenbürtige“, in: Gewissen, 1, H. 12, S. 2; Hans Roeseler (05.06.1919): Erzbergers Entlastungsoffensive, in: Gewissen, 1, H. 17, S. 1. Eduard Stadtler (22.07.1919): Friedens-Sabotage, in: Gewissen, 1, H. 15, S. 1. Paul Dehn (07.01.1920): Das Inkrafttreten des Friedens, in: Gewissen, 2, H. 1, S. 3–4. Peter Grupp: Deutsche Außenpolitik im Schatten von Versailles 1918-1920. Zur Politik des Auswärtigen Amts vom Ende des Ersten Weltkriegs und der Novemberrevolution bis zum Inkrafttreten des Versailler Vertrages, Paderborn 1988, S. 46.

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3. ,,Der Ruf will gehört sein“ – das Profil des Gewissens

Finanzimperialisten“ getreten waren, die in den Verhandlungsdelegationen Ansehen und Mitspracherecht genossen.571 Den Wirtschaftsvertretern kam während der Verhandlungsphase eine besondere Rolle zu, weil sie das wirtschaftliche Potenzial Deutschlands vor dem Krieg aufgebaut und während des Krieges zusammen mit staatlichen Stellen effizient eingesetzt hatten und nun für die künftige Zahlungspotenz des Staates die Basis zur Verfügung stellen mussten. Das Ziel der deutschen Diplomatie rund um den Versailler Vertrag ,,war klar, Deutschland sollte ein maßgebender Faktor der Weltpolitik bleiben, nun aber weniger als Militär- denn als Wirtschaftsmacht“.572 Das Gewissen verlangte keinen Bruch mit den alten Eliten, sondern forderte die Wirtschaftsführer dazu auf, die sich nun eröffnenden Chancen zur Machtausübung radikal zu ergreifen, um eine innenpolitische Wirtschaftsdiktatur und einen außenpolitischen Wirtschaftsimperialismus aufzubauen. In den Worten Heinrich von Gleichens: ,,Befreien wir uns deshalb und bekennen wir uns zur Diktatur der Sachverständigen, der Sachverständigen der inneren und der äußeren Politik, der Wirtschaft und der Verteidigung auf der Grundlage körperschaftlich gegliederter und verantwortlicher Volksgemeinschaft der Arbeit.“573

Schotte urteilte, dass die deutsche Regierung ohne langfristige Überlegungen in die Verhandlungen gegangen sei, während die Alliierten eine präzise Vorstellung von den Folgen des Vertrages hätten. Unter dieser Prämisse sah auch Zentrumsmitglied Erich Klein im Versailler Vertrag einen langfristigen gut durchdachten Plan der Alliierten und nicht den Ausdruck ihrer Emotionalität oder Rache.574 Die Tatsache, dass Deutschland aus dem während der Friedenskonferenz gegründeten Völkerbund ausgeschlossen blieb, der nichts weiter sei ,,als ein internationaler Handelstrust, der einen ehemaligen Konkurrenten erst noch eine Weile draußen lässt, um ihn ganz in seine Gewalt zu bekommen“, war nach Kleins Ansicht ein Beweis für die eigentlichen Ziele des Versailler Vertrages575 : ,,Nicht ein Dokument der Rache und des Hasses,

571 572

573 574 575

Ebd., S. 45. Ebd., S. 139. Vgl. auch Klaus Schwabe: ,,Gerechtigkeit für die Großmacht Deutschland“- Die deutsche Friedensstrategie in Versailles, in: Krumeich: Versailles 1919, S. 71-86., der auf eine weitere Diskrepanz in der deutschen Diplomatie hinweist: ,,Auf der einen Seite stand die ideologische Berufung auf die Novemberrevolution und die Aufforderung an die Welt, sich mit dem neuen demokratischen Deutschland solidarisch zu erweisen, auf der anderen, sobald es um die Rechtsgrundlagen des Friedens ging, das Abstreiten des mit der Revolution gegebenen staatsrechtlichen Bruches. Der Glaubwürdigkeit der deutschen Friedensstrategie konnte diese sich widersprechende Haltung nicht dienlich sein.“ Ebd., S. 79-80. Hutten (11.02.1920): Ende und Anfang. Sturmflut im Osten, in: Gewissen, 2, H. 6, S. 1. Erich Klein (05.08.1919): Das Riesenprojekt zur wirtschaftlichen Ausbeutung, in: Gewissen, 1, H. 17, S. 1–2. Vgl. zum Kontext: Joachim Wintzer: Deutschland und der Völkerbund 1918–1926, Paderborn 2006.

3.4 Gegen den Versailler Vertrag

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so wird einst die Zukunft sprechen, sondern ein Riesenprojekt zur wirtschaftlichen Ausbeutung!“ Eine Artikelserie zur systematischen Auswertung der Vertragsbedingungen stellte ebenfalls deren wirtschaftlichen Ausbeutungscharakter fest,576 schließlich beruhe die politische und wirtschaftliche Lebensfähigkeit eines ,,neuzeitlichen Staats“ auf Bodenschätzen und Industrien wie dem Kohlebergbau.577 Dieses Motiv würde die Polen in der Oberschlesien-Frage umtreiben und mehr noch die Franzosen, die schon vor Beginn der Friedensverhandlungen klargestellt hätten, dass sie das Ruhrgebiet als Entschädigung erhalten wollten. Die Einkreisungs- und Ausbeutungs-Theorien der Artikel wurden durch weitere Stereotype unterfüttert: die Polen galten als schlecht qualifizierte Fremdarbeiter im Osten und die Franzosen als raffgierige UnternehmerRentiers im Westen. Während das Gewissen die langfristigen Motive der Alliierten anklagte, forderte es zugleich, die gegenwärtige Lage auszunutzen. Heinrich von Gleichen hatte schon im Dezember 1919 gefordert, die Reparationsforderungen als Eskalationsmittel einzusetzen, damit Frankreich das Ruhrgebiet besetzen müsse.578 Frankreich, in der Rolle des Gewaltherrschers, würde international isoliert werden, so Gleichens Hoffnung, und Deutschland in eine legitime Opferrolle bringen. Je erniedrigter Deutschland in der Weltöffentlichkeit präsentiert werde, desto höher könnte das Potenzial angesetzt werden, mit dem sich Deutschland zukünftig auf der Weltbühne als Vormacht durchsetzen könnte.579 Gleichen schätzte zwar die französische Sonderrolle innerhalb der Alliierten richtig ein, aber gleichzeitig überschätzte er die Fürsorge Englands für eine Stabilisierung Mitteleuropas. Sein ,,Strategievorschlag“ wurde im Gewissen zwar nicht weiter verfolgt, aber die Einschätzung, dass Frankreich um jeden Preis, unabhängig von Deutschlands Zahlungen, das Ruhrgebiet besetzen würde, hielt sich hartnäckig.580 Internationale Beurteilungen, die den Versailler Vertrag als wirtschaftspolitisch unverhältnismäßig einschätzten, machte sich das Gewissen ebenfalls zu eigen. So zog Moeller unter anderen die deutsche Übersetzung von John

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Krumeich: Versailles 1919. Auch die Bolschewiki sahen im Versailler Vertrag ,,die Fortführung des ,imperialistischen Krieges‘ mit anderen Mitteln.“ Hans Hecker: Karl Radeks Werben um die deutsche Rechte:. Die Sowjetunion und der ,,Ruhrkampf “, in: Krumeich: Schatten, S. 187–205, S. 192. Paul Dehn (28.10.1919): Aus dem Friedensvertrag. Deutschlands Kohlenverpflichtungen, in: Gewissen, 1, H. 29, S. 4. Hutten (17.12.1919): Die Versklavung Deutschlands, in: Gewissen, 1, H. 36, S. 1. Überlegungen zur Eskalation des Konflikts mit Frankreich wurden mit anderer Motivation auch von Ruhr-Unternehmern angestellt, die sich davon erhofften, wenigstens eine weitere ,,Bolschewisierung“ vor Ort zu verhindern. Feldman: Hugo Stinnes, S. 627-628. Reinhold Georg Quaatz (20.10.1920): Frankreich und die Ruhr. In Beilage Gewissen, in: Gewissen, 2, H. 41, S. 5.

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3. ,,Der Ruf will gehört sein“ – das Profil des Gewissens

Maynard Keynes Buch ,,The Economic Consequenses of the Peace“581 heran. Keynes wies in einem Kapitel ,,Europa vor dem Krieg“ unter anderem darauf hin, die unsichere europäische Lage vor 1914 sei durch eine übermäßige Bevölkerung verschärft worden, deren Lebensunterhalt auf eine verwickelte und weltweit abhängige Organisation angewiesen war. Keynes bezog sich auf die Bevölkerungsgleichungen von Robert Malthus, um daran seine Theorie zum Gleichgewicht der Märkte zu entwickeln. Aber Moeller sah in dem Hinweis in erster Linie die Bestätigung seiner eigenen Theorie, nach der allein die Deutschen zu einem exponentiellen Wachstum angelegt seien. Dieses für die Weltwirtschaft unabdingbare Wachstum der Deutschen, sei durch die europäischen Länder mit England an der Spitze und durch den Krieg versucht worden, einzudämmen.582 Da die weltwirtschaftliche Schwäche nach dem Krieg durch den deutschen Im- und Export aufgefangen werden könnte, leitete man im Gewissen aus diesem Zusammenhang wirtschaftliche und politische Forderungen ab: ,,Will man die deutsche Wirtschaft in ihrer ungeheuren Leistungsfähigkeit, will man das deutsche Volk mit seinem noch immer unvergleichlichen Arbeitsfleiß in die Weltwirtschaft so wieder einfügen, daß von diesem stärksten Motor aus Antriebe ausgehen, welche alle internationalen Störungen überwinden, dann muß man unserem Volk und seiner Wirtschaft militärisch–politischen Schutz gewähren.“583

Die Alliierten kamen mit ihren Bedingungen den Deutschen zugunsten wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit entgegen,584 aber im Gewissen wurden die Zugeständnisse allein den deutschen Wirtschaftsvertretern vor Ort zugeschrieben, einer ,,neue[n] deutsche[n] Macht [. . . ] Stinnes – Hué, die Exponenten der deutschen Kohle-Arbeitsgemeinschaft“.585 In der Zusammenarbeit des Industriemagnaten Hugo Stinnes mit dem Vorsitzenden der Bergarbeiterverbände Otto Hué, die sich auf der Konferenz vehement für die Zechenindustrie und Arbeitsplätze der Bergleute einsetzten, meinte Stadtler eine prototypische, korporative Zusammenarbeit zu erkennen, die – und hierauf hoffte man im Gewissen besonders – auch außenpolitische Wirkung zeigen könnte.586 581 582 583 584 585 586

John Maynard Keynes: The economic consequences of the peace (The collected writings, vol. 2) London 1971. Moeller van den Bruck (08.09.1920): Lenin und Keynes, in: Gewissen, 2, H. 35, S. 1–2. Walther Schotte (12.02.1923): Souveränität oder Neutralisierung, in: Gewissen, 5, H. 6, S. 1–2. Meyer: Reparationspolitik, S. 331. Eduard Stadtler (21.07.1920): Stinnes – Hué, in: Gewissen, 2, H. 28, S. 1–2. Feldman: Hugo Stinnes, S. 515, 533. Stinnes trat bei der Konferenz in Spa mit ,,hochfahrenden Äußerungen“ und ,,anmaßende[m] Ton“ auf, der auch den verständnisvollen Lloyd George ,,vor den Kopf stieß“. Der Gewerkschaftsvertreter Hué beeindruckte hingegen mit einem ,,nüchterne[n] Plädoyer zugunsten der deutschen Bergleute“. Ebd., S. 624. Vgl. auch Gerald D. Feldman: Politische Kultur und Wirtschaft in der Weimarer Zeit:. Unternehmer auf dem Weg in die Katastrophe, in: Zeitschrift für Unternehmensgeschichte, 43.1998 H. 1, S. 3–18

3.4 Gegen den Versailler Vertrag

339

Die interalliierte Konferenz in Paris im Januar 1921, auf der ein erster Zahlungsplan für Deutschland festgelegt wurde,587 kommentierte das Gewissen dann relativ unaufgeregt. Franz Röhr unterstrich noch einmal die Grundüberzeugung des Gewissens, dass ,,die wirtschaftliche Auspowerung Deutschlands“ nicht Ziel, sondern Mittel der Entente sei, denn ,,das wahre Ziel ist die Vernichtung Deutschlands als Volk“.588 Obwohl die Forderungen auf den ersten Blick tatsächlich dramatisch waren, äußerte Gleichens Artikel verhaltenen Optimismus über ,,Die Kohlenpolitik Frankreichs“589 , durch die Deutschland den Zwiespalt zwischen England und den USA auf der einen und Frankreich auf der anderen Seite außenpolitisch nutzen könne.590 Mit dieser Einschätzung lag das Gewissen zum Teil auf der Linie des deutschen Außenministers.591 Das Gewissen verlangte von der deutschen Außenpolitik, über eine Ausweich-Taktik hinauszugehen und selbst ein Ultimatum zu stellen. Da der deutschen Regierung keine materiellen Druckmittel zur Verfügung standen, entwarf Stadtler in einer ,,vorweggenommenen Rede des deutschen Außenministers“ ein ultimatives Szenario, in dem der europäische Friede und die Wirtschaftskraft allein von der vollständigen Wiederherstellung des Deutschen Reiches und seiner Souveränität abhingen.592 Der Hinweis auf die für Europa notwendige deutsche Handels- und Produktionsleistung war während der Londoner Konferenz im März 1921 tatsächlich ein erörterter Aspekt, aber Stadtlers Artikel zielten auf ein Bedrohungsszenario, in dem das ,,überbevölkerte“ Deutschland ein Pulverfass bildete, das den Europäern alsbald um die Ohren fliegen würde. Die tatsächliche Rede des deutschen Außenministers in London provozierte zwar die Alliierten mit einem ,,unannehmbar niedrigen Angebot“ und Revisionsforderungen, aber blieb hinter den Vorstellungen des Gewissens zu587

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Bis dahin lag die anrechenbare Reparationsschuld Deutschlands bei 20 Milliarden Goldmark. Außenpolitische Optionen für Deutschland, an diesen Bedingungen etwas zu ändern waren zwischen 1919 und 1923 ,,faktisch nicht gegeben“. Gerd Meyer: Die Reparationspolitik. Ihre außen- und innenpolitischen Rückwirkungen, in: Karl-Dietrich Bracher/Manfred Funke/Hans-Adolf Jacobsen (Hrsg.): Die Weimarer Republik 1918 bis 1933. Politik, Wirtschaft, Gesellschaft, Bonn 1998, S. 327–342, S. 330. Franz Röhr (16.02.1921): Zwischen Paris und London, in: Gewissen, 3, H. 7, S. 2. Chronist [P] (26.01.1921): Die Kohlenpolitik Frankreichs, in: Gewissen, 3, H. 4, S. 3–4; ähnlich: Chronist [P] (09.02.1921): Zahlen, in: Gewissen, 3, H. 6, S. 3. Der Plan sah die Zahlung von insgesamt 226 Milliarden Goldmark über 42 Jahre verteilt und 12 % des deutschen Exportwertes vor. Innerhalb der Entente war aber auch schon klar, dass dieser Plan zunächst den Beginn der Reparationszahlungen sichern sollte, damit Frankreich an den Wiederaufbau gehen könnte und die europäische Wirtschaft wieder in Gang komme. Darüber hinaus wurde davon ausgegangen, dass die Zahlungen reduziert werden müssten. Krüger: Außenpolitik, S. 121–122. Ebd., S. 126. Eduard Stadtler (23.02.1921): Simons spricht in London. Eine vorweggenommene Rede des deutschen Außenministers im Londoner St. James Palast, in: Gewissen, 3, H. 8, S. 1– 3.

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3. ,,Der Ruf will gehört sein“ – das Profil des Gewissens

rück. Frankreich besetzte daraufhin, um seine Forderungen zu begleichen, die Rheinstädte Duisburg, Ruhrort und Düsseldorf.593 Der englische Premierminister Lloyd George versuchte, die französische unnachgiebige Haltung aufzufangen, um eine vollständige Ruhrbesetzung zu verhindern und äußerte sich kritisch zu den juristischen Grundlagen des Versailler Vertrages. Die Gewissen-Redaktion verstand Lloyd Georges Rede als deutliches Entgegenkommen, habe er doch zu bedenken gegeben, dass der Vertrag hinfällig sei, wenn sich die Alleinverantwortung Deutschlands für den Kriegsausbruch nicht untermauern lasse.594 Lloyd Georges Rede habe ,,uns einen Dienst erwiesen“595 äußerte Moeller und ergänzte im Gewissen, ,,Lloyd George hat uns den Ball zugeworfen, den wir gegen ihn ausspielen werden“.596 Wie wenig jedoch die Lösung der aktuellen Krise im Interesse des Gewissens lag, zeigte sich an der Ausblendung des ,,diplomatisches Kraftaktes“ des britischen Premiers und des strategischen Vorteils, der sich daraus ergeben hatte.597 Denn angesichts der wirtschaftlich schwierigen Situation waren die Engländer durchaus geneigt, die deutschen Gegenvorschläge zum Zahlungsplan zu berücksichtigen damit Frankreich keinen Anlass fände, das Ruhrgebiet zu besetzen. Das ,,Londoner Ultimatum“ nach der Konferenz vom Mai 1921 kam den deutschen Forderungen sehr entgegen, aber die Regierung unter Kanzler Fehrenbach hatte sich mittlerweile durch interne Blockaden handlungsunfähig manövriert und trat zurück. Die außen- und innenpolitischen taktischen Fehler der Regierung und das rigorose Festhalten an der Regelung der Friedensbedingungen als eine politische Grundsatzfrage beeinträchtigte die Verhandlungsposition der Deutschen deutlich.598 Die Gewissen-Publizistik trug zum öffentlichen Klima bei, das die deutschen Politiker in der Illusion bestärkte, allein aus einer unnachgiebigen Position heraus verhandeln zu dürfen. Der bisherige Finanzminister Wirth wurde Reichskanzler und die neue Minderheitenregierung mit SPD-Beteiligung nahm das Ultimatum von London an. Mit der Konkretisierung außenpolitischer Zusagen und dem Beginn der sogenannten Erfüllungspolitik von Seiten der deutschen Regierung begann im Gewissen der gezielte Aufruf zum ,,Widerstand“.599 Der Hauptvorwurf gegen die Regierung lautete, die Annahme des Ultimatums sei keine ,,wohlerwogene, vorbedachte politische Aktion“ gewesen sei, sondern

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Niedhart: Außenpolitik, S. 11–12. Heinrich von Gleichen (09.03.1921): Die Herausforderung, in: Gewissen, 3, H. 10, S. 1–2. DLA Marbach A: Hans Grimm/Moeller van den Bruck: Brief (11.03.1921) Moeller an Hans Grimm. Moeller van den Bruck (16.03.1921): Lloyd George, in: Gewissen, 3, H. 11, S. 1–3. Krüger: Außenpolitik, S. 129–130. Ebd., S. 132. Eduard Stadtler (09.05.1921): Der deutsche Widerstand, in: Gewissen, 3, H. 19, S. 1–2.

3.4 Gegen den Versailler Vertrag

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,,ein Erzeugnis der Angst vor aktivem Handeln“.600 Im Verlauf des Jahres 1921 mehrten sich im Gewissen die mehr oder weniger offenen Aufrufe zum bewaffneten Aufstand gegen die Regierung in Berlin.601 Die deutsche Erfüllungspolitik unter Kanzler Wirth und Wiederaufbauminister Rathenau stand ab Mitte 1921 vor dem Problem, dass sich die Wirtschaftsdaten deutlich verschlechterten. Die bis dahin gefestigte Inflationsrate nahm beträchtlich zu und die Regierung war zunehmend auf die Zusagen aus der Wirtschaft angewiesen, um ihre Erfüllungspolitik – die erste Rate von 1 Milliarde Goldmark war im August gezahlt worden – aufrecht erhalten zu können.602 Im Gewissen war die zunehmende materiell schwierige Situation ein Grund mehr, an eine systematische ,,Unterjochungspolitik“ durch die Entente zu glauben.603 Lloyd Georges Bemühungen um eine generelle europäische Lösung, damit eine Blockbildung verhindert werde und um endlich die wirtschaftliche Erholung einzuleiten, mündeten im April 1922 in der Konferenz von Genua.604 Während der Genua-Konferenz wollte die deutsche Regierung schließlich ihre Handlungsfähigkeit unter Beweis stellen und schloss in Rapallo mit Russland einen zwar lange vorbereiteten, aber dann doch ad hoc vollzogenen Handelsvertrag ab. Der Inhalt des Vertrages war wenig spektakulär, da er vor allem die seit Kriegsende noch offenen Fragen zwischen Deutschland und der UdSSR regelte. Seine Wirkung war dennoch immens, denn er befreite zum einen die Russen aus der außenpolitischen Isolation und nährte zum anderen die illusionäre Erwartungshaltung in der deutschen Öffentlichkeit, durch souveräne und rücksichtslose Außenpolitik den Vertrag von Versailles außer Kraft setzen zu können.605 Im Gewissen begrüßte und überschätzte man den RapalloVertrag, aber fragte sich auch, ob nun ein lang gehegtes Feindbild drohte, abhanden zu kommen: ,,Bedeutet der deutsch-russische Vertragsabschluß, daß die deutsche Regierung sich wirklich von sich aus zu der politischen Erkenntnis durchgerungen hat, die wir seit Jahr und Tag vertreten?“606 Moeller sah im 600 601

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Wilhelm von Kries (23.05.1921): Der Irrtum von Lloyd George, in: Gewissen, 3, H. 21, S. 1–2. Z. B.: Hans Martin Elster (02.05.1921): Gegenwehr gegen ,,Sanktionen“, in: Gewissen, 3, H. 18, S. 4; Eduard Stadtler (13.06.1921): Zwei Fronten, in: Gewissen, 3, H. 24, S. 1–2; ders. (14.11.1921): Der letzte Schützengraben, in: Gewissen, 3, H. 46, S. 1–2. Krüger: Außenpolitik, S. 138–145. In diesem Zusammenhang nahmen auch Artikel über die Versorgungsinfrastruktur zu, in denen für eine grundsätzliche Aufwertung und straffere korporative Einbindung landwirtschaftlicher Betriebe agitiert wurde: Frithjof Melzer (05.12.1921): Notstandsaktion, in: Gewissen, 3, H. 49, S. 3; ders. (10.10.1921): Der Druck auf die Lebenshaltung, in: Gewissen, 3, H. 41, S. 2–3; Fritz Ehrenforth (09.03.1921): Das Existenzminimum des deutschen Volkes, in: Gewissen, 3, H. 10, S. 3; ders. (22.05.1922): Die Nahrungssorgen unserer Großstädte, in: Gewissen, 4, H. 21, S. 3–4. Krüger: Außenpolitik, S. 152–155, hier 155. Ebd., S 166-183. Wilhelm von Kries (24.04.1922): Der deutsch-russische Vertrag, in: Gewissen, 4, H. 17, S. 2–3.

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3. ,,Der Ruf will gehört sein“ – das Profil des Gewissens

deutsch-russischen Zusammengehen ähnlich wie schon ein Jahr zuvor in Spa einen weltpolitischen Wendepunkt, weil die deutsche Ostorientierung zwei ,,junge“ Völker zusammenführe, die nun gemeinsam gegen Frankreich Politik betreiben könnten.607 Frankreich, mit schärferem Kurs gegen Deutschland unter Ministerpräsident Poincaré, und auch England nahmen der deutschen Diplomatie den Vertrags-Coup übel. Als die deutschen Teilnehmer nicht die durch den Rapallo-Vertrag vorgezeichnete unnachgiebige Linie gegenüber den Westalliierten weiterverfolgten, sondern einen Kompromiss zwischen Reparationsforderungen und deutschen Moratoriumswünschen forcierten,608 deutete das Gewissen dies als machtpolitische Schwäche: ,,Es zeigte sich, daß der deutsch-russische Vertrag die politischen Spannungen zur Krise geballt hatte. [. . . ] In diesem Augenblick galt es, die Nerven zu behalten. [...] statt dessen – fielen wir um. Ein kleiner Wink von Lloyd George genügte, um Deutschland von der russischen Kampffront zu lösen und in die englische Linie zu stellen.“609

Während des Gewissen-Verbots im Juli und August 1922 verschärften sich zum einen die Inflationsspirale und zum anderen die Auseinandersetzung zwischen Deutschland und Frankreich über die Einhaltung der Moratoriumsbeschlüsse. Auf Reichskanzler Wirth folgte im November der parteilose HAPAG–Direktor Wilhelm Cuno. Im Gewissen nahm man Cunos unternehmerischen Hintergrund zur Kenntnis, aber da er sich an die letzte von Wirth verfasste Reparationsnote hielt, gab ihm das Gewissen keinen weiteren Kredit, denn: ,,er hat damit von vornherein auf die Freiheit einer eigenen außenpolitischen Entscheidung verzichtet“.610 Um den Krieg als einen lange geplanten Wirtschaftskrieg einzuordnen, interpretierten die Jungkonservativen nicht nur jede Reparationsverhandlung in diesem Sinne, sondern arbeiteten sie sich auch an der Frage nach der Kriegsschuld und der völkerrechtlichen Grundlage der Artikel 231 und 227 ab. Demnach waren Deutschland und seine Verbündeten ,,Verursacher“ des Krieges und das ehemalige Oberhaupt des Deutschen Reiches unter Anklage zu stellen.611 Mit einer Art juristisch-geschichtsethischer Aufarbeitung 607

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Moeller van den Bruck (15.05.1922): Die deutsch-russische Seite der Welt, in: Gewissen, 4, H. 20, S. 1–3. Anders als Dupeux, der darauf hinweist, Moeller habe Rapallo zwar als günstig, aber ohne Enthusiasmus begrüßt. Louis Dupeux: Im Zeichen von Versailles. Ostideologie und Nationalbolschewismus in der Weimarer Republik. in: Gerd Koenen/Lew Kopelew/Mechthild Keller (Hrsg.): Deutschland und die russische Revolution 1917-1924, München 1998, S. 191–218, S. 210. Krüger: Außenpolitik, S. 180–187. Eduard Stadtler (22.05.1922): Rückblick – Ausblick!, in: Gewissen, 4, H. 21, S. 1–2. Heinrich von Gleichen (27.11.1922): Staatspolitik, in: Gewissen, 4, H. 40, S. 1–2; ähnlich: Caligari (27.11.1922): Cuno, in: Gewissen, 4, H. 40, S. 2–3. Eberhard Kolb: Der Frieden von Versailles, München 2005, S. 94. Vgl. auch Wolfgang Jäger: Historische Forschung und politische Kultur in Deutschland. Die Debatte 1914-1980 über den Ausbruch des 1. Weltkrieges, Göttingen 1984; Michael Dreyer/

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der Kriegsschuldvorwürfe korrespondierte die Gewissen-Publizistik auch in diesem Bereich durchaus mit der deutschen Verhandlungsstrategie.612 Da sich Moeller schon seit der Vorkriegszeit mit der europäischen Völker-Gemengelage beschäftigte, setzte er sich im Gewissen mit der Schuldfrage als einem europäischen Problem auseinander. Grundsätzliche habe sich die ,,Ursache des Weltkrieges [...] aus der Ueberlieferung der Völker“613 ergeben, unter denen England eine besondere Rolle einnehme.614 Englands spezifische Politikeigenschaft sei, ,,die Völker zwar nicht zu verstehen, aber sie zu verwenden“. Es habe ,,gerade durch diesen Trick erreicht, daß die Welt mehr und mehr englisch wurde“. Analog zu seinem Alterskonzept der Völker, agierten in Moellers Ausführungen die jungen und alten Völker gemäß shakespearhafter Charaktere: ,,Man braucht sich nur eine Rechenschaft über die Psychologie, die Vergangenheit, die Geschichte der einzelnen Nationen zu geben, um die Rolle zu erkennen, die einer jeden von ihnen, freiwillig oder unfreiwillig, auf der Szene des großen Dramas zufiel.“615 In diesem Drama fiel Deutschland die Rolle zu, die vertrackte Abhängigkeit Amerikas von England durch souveränes Auftreten in der Weltpolitik auszuhebeln.616 Moellers dichotomisches Denkmuster deutete die weltpolitische Lage als das Aufeinandertreffen eines

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Oliver Lembcke: Die deutsche Diskussion um die Kriegsschuldfrage 1918/19, Berlin 1993; Thomas Würtenberger/Gernot Sydow: Versailles und das Völkerrecht, in: Krumeich: Versailles 1919, S. 35–42. Feststellung unverhältnismäßiger Forderungen: Carl Georg Bruns (18.02.1920): Die Auslieferung, in: Gewissen, 2, H. 7, S. 2–3; im Sinne der Dolchstoßlegende: Asmus Gendrich (25.11.1919): Werturteil und Tatsache, in: Gewissen, 1, H. 33, S. 3; aus Angst vor deutschem Bevölkerungszuwachs: Moeller van den Bruck (18.08.1920): Schuld von Genf, in: Gewissen, 2, H. 32, S. 1 und 3. Laut der von Karl Kautsky im Dezember 1919 herausgegebenen ,,Deutschen Dokumente zum Kriegsausbruch 1914“ hatte Deutschland zwar eine leichtsinnige, aber keine planmäßige Kriegspolitik betrieben; die These ging den Beratern des AA nicht weit genug, unter ihnen auch der Historiker Hans F. Helmolt, der 1925 einen Artikel im Gewissen veröffentlichte: Hans F. Helmolt (14.12.1925): Metternich und sein Biograph, in: Gewissen, 7, H. 50, S. 2. Moeller versuchte 1920 über den Kontakt zum emeritierten Wirtschaftswissenschaftler Lujo Brentano ebenfalls an einer Kriegsschuldkommission teilnehmen zu können. BArch Koblenz N 1001/39 NL Lujo Brentano: Brief (Okt. 1920) Moeller an L. Brentano. Staatlich subventionierte Lobbyarbeit betrieb auch die ,,Arbeitsgemeinschaft für die Interessen des Grenz- und Auslandsdeutschtums“, die durch Veröffentlichungen der Deutschen Rundschau ,,politische Willensbildung“ betrieb. Mauersberger: Rudolf Pechel, S. 160–190. Moeller van den Bruck (11.08.1924): Die versäumte Schuldfrage, in: Gewissen, 6, H. 32, S. 1–3. Moeller van den Bruck (05.05.1920): Stellung zu England, in: Gewissen, 2, H. 17, S. 1–3. Moeller van den Bruck (11.08.1924): Die versäumte Schuldfrage, in: Gewissen, 6, H. 32, S. 1–3. Schon anhand des Sieges des republikanischen Präsidentschaftskandidaten Harding gegenüber dem Demokraten Wilson zeige sich, so der USA-Kenner Scheffauer, wie emotional die USA die Aufarbeitung des ,,von Wilson ihm aufgebürdeten Krieg vollzog“. Hermann Georg Scheffauer (10.11.1920): Das Ende des Wilsonismus, in: Gewissen, 2, H. 44, S. 3.

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3. ,,Der Ruf will gehört sein“ – das Profil des Gewissens

rationalen und von außen gewonnenen mit dem aus dem Charakter des Wesens erwachsenen Verstandes. Im Gewissen habe man schon seit Jahren darauf hingewiesen, dass der gesamten Schuldfrage nur beizukommen sei, ,,wenn wir endlich dazu übergehen, die formale von der psychologischen Schuld zu unterscheiden, den äußeren Anlaß des Krieges von der inneren Bereitschaft zu ihm zu sondern“.617 Demnach habe Russland formale und ,,juristisch greifbare“ Schuld und Frankreich gleichzeitig formale wie psychologische Schuld, weil es den Krieg sowohl ,,betrieben“ als auch ,,vorbereitet“ habe. England schließlich habe ,,wesentlich psychologische“ Schuld, weil es denjenigen Zustand der Einkreisung herbeigeführt habe, den die anderen für ihre Zwecke ausnutzten. Moellers eher konventionelle Schlussfolgerung verfolgte nicht an dieser Stelle vorrangig die Bestätigung gängiger Einkreisungstheorien, sondern die Legitimation eines deutschen Ehrgefühls im Angesicht der Niederlage. Dementsprechend war die sinnhafte Deutung des Krieges als eine nationale Katharsis auf dem Weg zur deutschen Wiedergeburt eng verbunden mit der Kriegsschuldfrage. Indem der Weltkrieg in einen historischen und gleichzeitig schicksalhaften Prozess eingeordnet wurde, erschienen auch die gegenwärtigen Folgen als vorherbestimmt und die Einkreisung als ein notwendiger Vorgang, mit dem die Deutschen in eine kathartische Notlage hineingezwungen worden seien.618 In einem Dossier fasste Moeller 1920 seine Argumente, die er auch in verschiedenen Gewissen-Artikeln gegen den Kriegsschuldvorwurf vortrug, zusammen.619 Das Dossier bildete die Grundlage einer Besprechung zwischen ihm, Heinrich von Gleichen, Rudolf Pechel sowie dem ehemaligen Vorwärts-Redakteur Erwin Barth, dem Franzosen Baron Baudran und dem Inder Charakarman Pillai. Die Männer verstanden sich als vorbereitender Ausschuss für eine ,,Liga für das Recht der Völker“, die sich an der britischen Anti-Kriegsorganisation ,,Union of democratic control“ orientiere.620 Die ,,Union“ war während des Krieges vom britischen Journalisten und LabourPolitiker Edmund Dene Morel gegründet worden, der den Krieg vor allem durch machtversessene Geheimdiplomatie verursacht sah. Da Morel sich für ein baldiges Ende des Krieges eingesetzt hatte und anschließend für eine europäische Organisation zur Koordination der Interessen und für die Unantastbarkeit der Grenzen, galt er in Großbritannien als Spion Deutschlands 617 618 619 620

Moeller van den Bruck (30.05.1921): Die Rückkehr zur Schuldfrage, in: Gewissen, 3, H. 22, S. 1–2. Gerd Krumeich: Versailles 1919. Der Krieg in den Köpfen., in: ders.: Versailles 1919, S. 53–64, S. 63. BArch Koblenz N 1160/144 NL Rudolf Pechel: Anhang, Moeller van den Bruck ,,Unser Standpunkt“. BArch Koblenz N 1160/144 NL Rudolf Pechel: Brief (03.11.1920) H. v. Gleichen an Rudolf Pechel. Vgl. auch Sally Harris: Out of control. British foreign policy and the Union of Democratic Control, 1914–1918, Hull 1996.

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und den deutschen Nationalisten wiederum als möglicher Bündnispartner.621 Die Zusammenkunft der führenden Ring-Aktiven mit interessierten Nationalisten anderer Länder im Jahr 1920 hätte das Initial einer transnationalen Aktion gegen die Friedensbedingungen sein können, jedoch barg Moellers Dossier weniger Gemeinsamkeiten mit den Forderungen der ,,Union of democratic control“ als auf den ersten Blick schien. Zwar ging Moeller in vier Bemerkungen seines 9-seitigen Dossiers zustimmend auf Forderungen der ,,Union“ ein, aber im Wesentlichen legte er dar, auf welche Weise die Auflagen des Versailler Vertrages Deutschland, ,,wider seine Natur gezwungen [haben], ein Element der Unordnung zu werden“, so dass die gesamte ,,europäische Zukunft“ in Gefahr sei.622 Moellers These von der vorsätzlichen Unterdrückung Deutschlands durch die Entente, weil es die ,,grössere Arbeitskraft“ und ,,technische Begabung“ hätte, gipfelte in der Forderung nach mehr Raum für das ,,deutsche Problem der Überbevölkerung“. Moeller lehnte den Völkerbund ab, ging auf eine mögliche europäische Organisation nicht ein und formulierte mit kaum verhohlener Gewaltandrohung das ,,Lebensrecht“ auf Land, das durch ,,Natur und Geschichte“ den Deutschen gegeben worden sei.623 Nach diesen deutlichen radikalnationalistischen Prioritäten in Moellers ,,Standpunkt“ verwundert es kaum, dass über weitere Zusammenkünfte oder Planungen der ,,Liga für das Recht der Völker“ nichts bekannt ist. Im Gewissen wurde die Verbindung zur ,,Union“ nicht erwähnt, aber Morels Veröffentlichungen in der britischen Zeitschrift Foreign Affairs wurden wie in weiten Teilen der deutschen Presse rezipiert und als Beleg einer ,,unabhängigen“ Meinung zu Deutschlands Unschuld verstanden. Nicht nur Moeller sah den Hauptverursacher des Wirtschaftskriegs gegen Deutschland in England. Bei der Bewertung der Prozesse gegen deutsche Kriegsverbrecher am Strafgerichtshof in Leipzig, sah Werner Wirths in England die hauptsächliche Triebkraft für die systematische Kränkung, an der sich deutsche ,,Formaljuristen“ beteiligten.624 Die Auflage des Versailler 621

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Im Frühjahr 1921 gründete sich der ,,Arbeitsausschuss Deutscher Verbände“, der bis 1931 etwa 2 000 Mitglieder zählte, von der katholischen Caritas bis zum Deutschen Städtetag, und sich mit einer breiten Pressearbeit gegen die ,,Kriegsschuldlüge“ einsetzte. In einer der Broschüren ,,Was jedermann von der Schuldfrage wissen muß! 60 Selbstzeugnisse der Entente“ von 1922 wurde zum Beleg der alliierten Verleumdung u. a. wurde auch E.D. Morel ausführlich zitiert. BArch Koblenz N 1160/144 NL Rudolf Pechel: Anhang, Moeller van den Bruck ,,Unser Standpunkt“, S. 2; zum Protokoll einer Sitzung vom 20.12.1920 in einem Brief (03.11.1920) H. v. Gleichen an Rudolf Pechel . BArch Koblenz N 1160/144 NL Rudolf Pechel: Anhang, Moeller van den Bruck ,,Unser Standpunkt“, S. 8. Artikel 227 und 228 der VV sahen die juristische Ahndung von Kriegsverbrechen der Deutschen vor, die zunächst vor einem internationalen Gerichtshof, dann aber in Deutschland selbst stattfanden. Gerd Hankel: Die Leipziger Prozesse. Deutsche Kriegsverbrechen und ihre strafrechtliche Verfolgung nach dem Ersten Weltkrieg, Hamburg

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3. ,,Der Ruf will gehört sein“ – das Profil des Gewissens

Vertrags, dass deutsche Kriegsverbrecher in Deutschland vor Gericht gestellt werden sollten, hatte keine Entsprechung auf französischer oder englischer Seite gefunden und bot deshalb ein radikaloppositionelles Einfallstor. Und laut Paul Dehn mache England ,,einen Beutezug im Werte von vielen Milliarden, es erntete, wo die Deutschen gesät hatten“.625 Dehn hatte schon zu Beginn des Krieges zusammen mit der Deutschnationalen Buchhandlung in Hamburg eine groß angelegte Schriftenreihe ,,England und die Völker“ herausgegeben626 , die darlegen sollte, dass ,,England alle Völker, mit denen es in Verbindung trat, ausgenutzt und geschädigt hat, nicht selten durch grobe Vertragsbrüche und schließliche Vergewaltigung“.627 Dehn hielt an seiner rassistisch und antisemitisch unterfütterten Charakterisierung Englands kontinuierlich von der Vorkriegszeit bis in die 1920er Jahre fest, wobei er lediglich die jeweiligen Vorzeichen seiner Interpretation verschob. Entlang seiner normativen Weltsicht argumentierte Dehn eine Schuld Englands am Kriegsausbruch ebenso wie am Versailler Vertrag. Dies angenommen, wurden Dehns Texte aus der Vorkriegs- und Kriegszeit in rechten Kreisen als Schlussfolgerungen mit intellektueller Voraussicht gedeutet.628 Auch Wilhelm von Kries, Englandkenner und durch seinen Aufenthalt in China mit den wirtschaftlichen Verflechtungen der Vorkriegszeit vertraut, setzte 1921 in ,,Die Schuldfrage“629 die englische Außenpolitik als reine Wirtschaftspolitik in Szene. Schon seit den 1890er Jahren habe England eine durch die weltwirtschaftlichen Bedingungen begünstigte, offensichtlich kriegstreibende Politik verfolgt. Aufgrund Deutschlands Überlegenheit als Exportnation habe ein bewaffneter Konflikt der Großmächte über Deutschland hinaus zu einem ,,Weltbrande“ führen müssen. Kries führte aus, gerade die größenwahnsinnig scheinende deutsche Kriegserklärung an gleichzeitig drei Länder habe allen Zeitgenossen vor Augen geführt, dass eigentlich England die kriegstreibende Kraft gewesen sei und die Einkreisung Deutschlands forciert habe. Erst die Nachkriegspolitik und Nachgiebigkeit im Zeichen der

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627 628 629

2003, S. 11. Werner Wirths (30.05.1921): Versailles in Leipzig, in: Gewissen, 3, H. 22, S. 3; ders. (04.07.1921): Versailles – Leipzig, in: Gewissen, 3, H. 27, S. 2. Paul Dehn (17.12.1919): Aus dem Friedensvertrag. Der Raub der deutschen Schutzgebiete, in: Gewissen, 1, H. 36, S. 4. Paul Dehn, geboren 1848, hatte eine Buchhändlerlehre gemacht, arbeitete als Redakteur bei der Vossischen Zeitung; er studierte in Strassburg, Stuttgart, München, Wien, Berlin; er reiste anschließend durch den Orient, war überzeugter Kolonialist und Antisemit; in Berlin schrieb er u. a. für die Schlesische Zeitung, das Deutsches Volksblatt, Dresdner Wacht, Reichsbote, Kreuzzeitung und arbeitete aktiv im Alldeutschen Verband, ab 1919 war er Mitglied des Gesamtvorstandes und bis 1923 Vorstandsmitglied der Hamburger Alldeutschen. Hering: Konstruierte Nation, S. 307. Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen Cod. Ms. Hübbe-Schleiden 64: Brief (03.12.1914) Paul Dehn an Hübbe-Schleiden, Beilage 1, Anlage. BArch Berlin R 8034 III/32 Presseausschnittsammlung – Reichslandbund: Alldeutsche Blätter, 10.08.1918. Wilhelm von Kries (02.05.1921): Schuldfrage, in: Gewissen, 3, H. 18, S. 2–3.

3.4 Gegen den Versailler Vertrag

347

deutschen Niederlage und ,,menschlich unsichere“ Führung habe ,,England auf die Spur“ gebracht, die Kries durch die amerikanische Außenpolitik vorgegeben sah. Nach der Abrechnung mit England und erst in der letzten Spalte des Artikels äußerte Kries schließlich seine außenpolitischen Hoffnungen auf die USA. Zwei Jahre nach der Enttäuschung über Präsident Wilson hofften die Jungkonservativen, dass die US-amerikanische Regierung unter Präsident Harding den wirtschaftlichen Schulterschluss mit Deutschland suchen werde. Die jungkonservative Interpretation der Reparationen als langfristig geplante wirtschaftliche Ausbeutung durch die westlichen Alliierten korrespondierte mit der Einschätzung bezüglich der im Versailler Vertrag festgelegten Gebietsverluste. 3.4.2 Gebietsverluste: Projektionsfläche für jungkonservative Experten Mit Max Hildebert Boehm arbeitete ein Intellektueller der sogenannten Grenzlandarbeit und Volkstumsforschung in der Gewissen-Redaktion. Die unter anderem durch die Grenzlandarbeit angestoßenen ,,Grenzdebatten“ standen im Zentrum zahlreicher politischer Auseinandersetzungen und fungierten geradezu als ein Scharnier, das ,,das internationale System, die deutsche Politik und die deutsche Öffentlichkeit zusammenband“.630 Auf gesellschaftlicher Ebene radikalisierten sich die Forderungen nach einer Grenzrevision, befördert durch die wissenschaftlich gestaltete Volkstumsforschung, bis hin zu einem aggressiven Expansionsstreben.631 Die Argumentation gegen die Gebietsabtretungen auf Grundlage eines ,,Deutschtums“-Konzepts, mit der die Situation nach dem Versailler Vertrag als unhaltbar beschrieben und für die Zukunft geopolitische Machtansprüche formuliert wurden, knüpften an das ius sanguinis im deutschen Staatsbürgerrecht an. Das Abstammungsprinzip war vom Kaiserreich in die Verfassung der Weimarer Republik übernommen worden und stimulierte die

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Vanessa Conze: ,Unverheilte Brandwunden in der Außenhaut des Volkskörpers‘. Der deutsche Grenz-Diskurs der Zwischenkriegszeit (1919–1939), in: Hardtwig: Ordnungen, S. 21–48, S. 25. Mit Blick auf den Wandel in der Geographie seit 1900: Guntram H. Herb: Von der Grenzrevision zur Expansion: Territorialkonzepte in der Weimarer Republik, in: Iris Schröder/Sabine Höhler (Hrsg.): Welt-Räume. Geschichte, Geographie und Globalisierung seit 1900, Frankfurt a.M. 2005, S. 175–203. Über die Verquickung verschiedener Wissenschaftsstränge in der so genannten Volkstumsforschung: Michael Fahlbusch: Grundlegung, Kontext und Erfolg der Geo- und Ethnopolitik vor 1933, in: Irene Diekmann/Peter Krüger/Julius Schoeps (Hrsg.): Geopolitik. Grenzgänge im Zeitgeist, Potsdam 2000, S. 103–146. Über interdependente Entwicklungen von Siedlungspolitik und Volkstumsforschung: Uwe Mai: ,,Rasse und Raum“. Agrarpolitik, Sozial- und Raumplanung im NS-Staat, Paderborn 2002.

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3. ,,Der Ruf will gehört sein“ – das Profil des Gewissens

Grenzdebatte.632 Während diese sich radikalisierte, änderte sich gleichzeitig die außenpolitische Haltung auf Regierungsebene gegenüber den Alliierten, die bis Ende 1923 und bis zum offensichtlichen Scheitern des offiziell ausgerufenen ,,Ruhrwiderstand“ zwischen Blockade und kompromissloser Revisionsforderung geschwankt hatte. Mit der Amtsübernahme Stresemanns wurde schließlich auf außenpolitischer Ebene die ,,Unverletzlichkeit von Grenzen [. . . ] als völkerrechtliches Prinzip akzeptiert“ und der Weg zu Erleichterungen rund um den Grenzverkehr ermöglicht.633 Innenpolitisch blieben die Gebietsabtretungen vor wie auch nach Stresemanns Kurswechsel von zentraler Bedeutung, die sich in emotionalen und hitzigen Debatten in Presse, Wissenschaft und Politik über die Möglichkeiten zur Revision der Grenzbestimmungen ausdrückte. Das Gewissen nahm in dieser Diskussion eine Vermittlerfunktion ein, denn hier veröffentlichten ,,Experten“, die ihre Argumente scheinbar sachlich vortrugen und auf diese Weise zur völkerrechtlichen, außenpolitischen Dimension der Grenzfragen ,,alternative Grenzdiskurse“ anboten.634 Insgesamt vertrat das Gewissen einen kompromissfreien Revisionismus, der nur die Vorstufe für weitere Gebietsansprüche bildete. Gewissen-Publizistik versuchte auf zwei Ebenen zu belegen, dass die nach deutschen machtpolitischen Kriterien geforderten Grenzänderungen und -erweiterungen internationale Gültigkeit hätten. Zum einen sollten die neuen Grenzen mithilfe wirtschaftlicher und kulturhistorischer Argumente delegitimiert werden, zum anderen sollten die Veröffentlichungen zum sogenannten deutschen Bevölkerungsproblem expansive Gebietsforderungen legitimieren. So wie alle Bestimmungen des Versailler Vertrages deutete das Gewissen auch die Gebietsabtretungen als Folge einer schicksalhaften Fehlperzeption der Entente, die sich in der Zukunft gegen diese wenden würde. Die Gebietsverluste galten als vorsätzliche Zersprengung des ,,deutschen Volkstums“ und bildeten die Grundlage für eine Facette im deutschen Opfer-Mythos, den das Gewissen rund um die Folgen des Versailler Vertrag konstruierte. In Moellers Zusammenfassung alliierter Fehler wandte er wie so oft das Motiv des Nicht-erkennen-Könnens an, um die höhere Berufung der deutschen Nation zu betonen.635 Auf Kosten Deutschlands würde nur scheinbar das Selbstbestimmungsrecht in Europa angewandt und in der Konsequenz gegen eine 632

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Jochen Baumann/Andreas Dietl/Wolfgang Wippermann: Blut oder Boden. Doppelpaß, Staatsbürgerrecht und Nationsverständnis, Berlin 1999, S. 26–27. Vgl. auch Roger Brubaker: Staats-Bürger. Deutschland und Frankreich im historischen Vergleich, Hamburg 1994; Dieter Gosewinkel: The Dominance of Nationality? Nation and Citizenship from the Late Nineteenth Century Onwards: A Comparative European Perspective, in: German History, 26.2008 H. 1, S. 92–108. Conze: ,Unverheilte Brandwunden‘, S. 30. Vgl. auch Jochen Oltmer: Migration und Politik in der Weimarer Republik, Göttingen 2005. Conze: Unverheilte, S. 35. Moeller van den Bruck (10.06.1919): Das Ende der Irredenta, in: Gewissen, 1, H. 9, S. 1–2.

3.4 Gegen den Versailler Vertrag

349

natürliche Ordnung des Kontinents verstoßen. Moeller verwies in seiner ,,Beweisführung“ für die deutschen Gebietsansprüche auf Tirol als Heimat des mittelalterlichen Dichters Walther von der Vogelweise, auf Elsass-Lothringen als alemannisches Gebiet und auf Schlesien, wo die Polen erst durch die preußische Besiedelung zu Menschen erzogen worden seien. Deutschland sei das einzige Land in Europa, das eine Kulturmission habe und berechtigt sei, diese auszuführen. Die Klage über mangelnden Raum für die deutsche Bevölkerung und die Sorge, den Deutschen ginge alsbald Nahrung und Siedlungsraum aus, hatte mit der tatsächlichen demographischen Entwicklung wenig zu tun.636 Der mangelnde Raum war vielmehr Projektionsfläche. Ähnlich wie Ortega y Gasset 1930 eine Bevölkerungsexplosion seit der Jahrhundertwende festzustellen meinte, die zur Agglomeration der Massen und ihrer ,,vollständigen sozialen Macht“ führe, bezog sich auch Moeller in seinen Artikeln auf Bilder zur Überbevölkerung, die offensichtlich aus der Vorkriegszeit stammten.637 Zum einen erschien der ,,Osten“ – im Jahr des ,,Ruhrwiderstands“ auch die Grenze zum Westen – als Ursprungsbecken des deutschen Volkstums; eine Überzeugung, die während der Kriegszeit durch Propaganda und Kriegsziele fest geschrieben worden war.638 Zum anderen beinhaltete die Klage über den mangelnden Raum zugleich den utopischen Verweis, dass, wenn erst einmal die wirtschaftlichen und räumlichen Einschränkungen der Gegenwart überwunden seien, die demographische Entwicklung der Deutschen auch ihren ,,natürlichen“ expansiven Aufschwung nehmen könnte.639 Kontinuitäten zum imperialistischen Großmachtdenken der Kaiserzeit zeigten sich auch beim Autor Johannes Mannhardt. Mannhardt war in der Nachkriegszeit eine zentrale Figur in der Deutschtumsarbeit und referierte in einem seiner beiden Gewissen-Artikel über das ,,Deutschtum im Ausland“640 . Schon 1914 hatte er auf Bitten einiger Hamburger Kaufleute eine Denkschrift verfasst, in der er die ,,Erforschung des Deutschtums im Ausland“ als politisches Mittel für die Propaganda benannte.641 Das Ziel der Propaganda, ,,Schulung und Erziehung zum Deutschtum“, sei die ,,Erhaltung der Rasse“, 636 637

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Langewiesche/Tenorth: Bildung, S. 3. Frank Deppe: Politisches Denken im 20. Jahrhundert. Band 2: Politisches Denken zwischen den Weltkriegen, Hamburg 2003, S. 92. Über die entgegengesetzten Einschätzungen einer Unter- oder Überbevölkerung während der Vorkriegszeit vgl. Thomas Etzemüller: Ein ewigwährender Untergang. Der apokalyptische Bevölkerungsdiskurs im 20. Jahrhundert, Bielefeld 2007, S. 48–52. Michel Grunewald: ,,Reichseuropa“ gegen ,,Paneuropa“. Die Europa-Auffassung der jungkonservativen Zeitschrift ›Gewissen‹, in: ders.: Europadiskurs, S. 313–341, S. 326. Matthias Weipert: ,,Mehrung der Volkskraft“. Die Debatte über Bevölkerung, Modernisierung und Nation 1890–1933, Paderborn 2006, S. 54–55. Vgl. u.a Felix Kuh (17.04.1922): Bevölkerungspolitik und Rationalismus, in: Gewissen, 4, H. 16, S. 2–3. Johannes W. Mannhardt (11.08.1920): Deutschtum im Auslande, in: Gewissen, 2, H. 31, S. 2–3. BArch Koblenz R 57/474 Deutsches Auslands-Institut/verschieden Berichte und Manu-

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3. ,,Der Ruf will gehört sein“ – das Profil des Gewissens

womit eine wichtige Voraussetzung für die Eroberung der entsprechenden Gebiete geschaffen wäre. Nach 1918 griffen die Jungkonservativen auf den gleichen Zusammenhang zurück, um zu begründen, dass es ,,zwischen Deutschen im Deutschen Reich, in Europa und in der ganzen Welt besondere Bindungen [gibt], die es wachzuerhalten gilt und jeder Deutsche muss sich dessen bewusst werden, dass nach 1918 [. . . ] eine ,gesamtdeutsche Verantwortung für den mitteleuropäischen Raum‘ besteht“.642 Dieses modifizierte Mitteleuropa-Denken begründete ein jungkonservatives Sendungsbewusstsein, das vor der Revision des Versailler Vertrages nicht Halt machte, sondern eine europäische Neuordnung forderte.643 Als in unmittelbarer Nachkriegszeit in Eupen-Malmedy, Schleswig, Ostpreußen und Oberschlesien Volksabstimmungen über die Zugehörigkeit der Provinzen befinden sollten, deckten sich die propagandistischen Ziele im Gewissen mit denen der deutschen Außenpolitik. Die Abstimmungen boten dem Gewissen konkrete Bezüge, um für die Zukunft eine gewaltige Unabhängigkeitsbewegung in sämtlichen abzutretenden Gebieten zu prophezeien. Im Falle der endgültigen Abtretung der Gebiete würde diese Irredenta ganz Mitteleuropa erfassen und alle Gebiete des deutschen Volkstums zum deutschen Kernland zurückführen. Im Juli 1920 fand die Abstimmung über den Verbleib Ostpreußens statt, das historisch, territorial wie auch spirituell als Wurzel und Keimzelle der deutschen Nation angesehen wurde, denn ,,Nur wo Gräber sind, gibt es Auferstehung“.644 Neben dem preußischen Juristen Hermann Albrecht veröffentlichten zu diesem Themenkomplex auch Carl Georg Bruns, Rechtsberater der deutschnational beeinflussten Volksräte in Westpreußen, Hanns Martin Elster, Verleger mit Kriegserfahrungen, Karl Hoffmann, der sich unter anderem im Zweckverband Ost engagierte, Rolf Schierenberg, Assistent des Volkstums-Experten Boehm, Elisabeth Siewert, westpreußische Novellistin, Friedrich Tobler, Botaniker und Kolonial-Experte und schließlich Max Hildebert Boehm, der ab 1923 mit einer eigenen Beilage ,,Der Grenzbote“ im Gewissen das Volkstums-Thema zum Profil des Jungkonservatismus beitrug. Vor der Abstimmung in Oberschlesien im März 1921 äußerten sich vor allem Heinrich von Gleichen, Wilhelm von Kries und Walther Schotte zu den möglichen und tatsächlichen Folgen. Kries war als Direktor der ,,Grenzspende für Oberschlesien“ in den Propagandaapparat eingebunden, der schon kurz nach dem Waffenstillstand durch örtliche Verbände, Vereinigungen und Zeitungen aufgebaut worden war.645 Über das Thema Gebietsverluste schrieben hauptsächlich Autoren, die

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skripte: Johann Wilhelm Mannhardt: Erforschung und Förderung des Deutschtums im Auslande. Ein Vorschlag für Hamburg. Grunewald: Reichseuropa, S. 328. Ebd., S. 331. Hermann Albrecht (28.07.1920): Licht im Osten, in: Gewissen, 2, H. 29, S. 3. Koszyk: Deutsche Presse, S. 72.

3.4 Gegen den Versailler Vertrag

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persönliche Erfahrungen vor Ort gemacht hatten oder in entsprechenden Organisationen aktiv waren. Die Gewissen-Redaktion war überzeugt, ihren Lesern ein gut informiertes Artikel-Aufgebot zu bieten. Auf diese Weise erzeugten die Veröffentlichungen des Gewissens den Eindruck von Expertentum und entsprachen den Anforderungen, die der Jungkonservatismus insgesamt an Sachverständige in der Politik stellte. Als ,,sachverständig“ auf dem Gebiet der Deutschtumspflege galten auch Johannes Schmidt-Wodder, der 1920 nach der Volksabstimmung Mitgründer des Schleswiger Wählervereins war und die deutsche Minderheit in Dänemark vertrat oder der Elsässer Karl Brill, der in den 1920er Jahren in Berlin die Elsass-Lothringische Heimatstimme herausgab oder Richart Michler, der als Geschäftsführender Sekretär des ,,Österreichisch-Deutschen Volksbund“ 1920 im Gewissen über den ,,Anschluss Deutschösterreichs“ veröffentlichte,646 für den sich auch der aus Böhmen stammende Hermann Ullmann einsetzte. Nicht so sehr funktionale Probleme des angeblichen ,,Bevölkerungsproblems“ spielten in Moellers Artikeln eine Rolle, sondern dessen internationale Dimension, in der er die deutsche Bevölkerung als absolute Größe verortete. Moeller interpretierte das deutsche Bevölkerungspotenzial als einen Hauptgrund für alliierte Kriegsplanungen und für die harten Bedingungen des Friedensvertrages: ,,Gleichwohl ist es [Deutschlands] Menschenüberschuß gewesen, der den militärischen Ehrgeiz der Franzosen gereizt, und der entsprechende Arbeitsüberschuß, der die kommerzielle Eifersucht der Engländer erregt hat.“647 Moeller sah im Krieg den Ausdruck zivilisatorischer Zwangsmaßnahmen gegen das wachsende kulturelle und biologische Deutschtum. Folgerichtig ging Moeller auf Distanz zu pragmatischen, inländischen Lösungen wie sie der preußische Landwirtschaftsreferent Fritz Ehrenforth im Gewissen anmahnte. Dieser warb vor allem für Siedlungsprojekte und bäuerliche Strukturen, um dem Versorgungsengpass der städtischen Bevölkerung entgegenzuwirken.648 Moeller musste befürchten, dass solch lösungsorien646

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Johannes Schmidt-Wodder (21.05.1923): Das deutsche Volk und der Norden, Schleswig-Holstein und Dänemark, in: Gewissen, 5, H. 20, S. 3–4; u. a. Karl Brill (14.07.1924): Hexenkessel Elsaß-Lothringen, in: Gewissen, 6, H. 28, S. 3–4; ders. (19.01.1925): Das ,,assimilierte“ Elsaß-Lothringen, in: Gewissen, 7, H. 3, S. 2–3; Richart Mischler (26.05.1920): Der Anschluß Deutschösterreichs, in: Gewissen, 2, H. 20, S. 6. Vgl. zu dessen Agitationsarbeit in Berlin: Landesbibliothekszentrum Speyer NL Maximilian Pfeiffer N 51a-M 8 bis 30: Korrespondenz Richart Mischler (Volksbund) und Maximilian Pfeiffer (MdR). Moeller van den Bruck (21.10.1919): Was der Außenminister nicht sagte!, in: Gewissen, 1, H. 28, S. 1–2. Fritz Ehrenforth (08.12.1920): Ländliche Siedlungen, in: Gewissen, 2, H. 48, S. 3–4; ders. (10.11.1920): Stadt und Land, in: Gewissen, 2, H. 44, S. 4; ders. (15.09.1920): Städtischer Wohnungsbau und ländliche Siedlung, in: Gewissen, 2, H. 36, S. 3; ders. (19.01.1921): Preußische Aufgaben und deutsche Ernährung, in: Gewissen, 3, H. 3, S. 3; ders. (23.03.1921): Bevölkerungsproblem und Wirtschaft, in: Gewissen, 3, H. 12, S. 2– 3; ders. (22.05.1922): Die Nahrungssorgen unserer Großstädte, in: Gewissen, 4, H. 21, S. 3–4.

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3. ,,Der Ruf will gehört sein“ – das Profil des Gewissens

tierte Argumentation dazu führte, dass das ,,Bevölkerungsproblem“ seine europäische Brisanz verliere: ,,Da Land in Deutschland immer wertvolles Land ist, wird sich seine Urbarmachung lohnen, nicht heute, nicht morgen, aber auf eine fruchtbare Dauer. Und schließlich wird glücklich sein, wer Land besitzt. Nur wird darin immer erst eine Lösung des Bevölkerungsproblems für den Einzelnen liegen: und nicht für die Nation.“649

Wie sehr Moeller daran gelegen war, die Argumente des deutschen Bevölkerungsdiskurses und der deutschen Gebietsansprüche als Ordnungsproblem für ganz Europa jenseits jeder Problemlösung aufrecht zu erhalten, geht aus seiner Korrespondenz mit dem völkischen Schriftsteller und Gewissen-Autor Hans Grimm hervor. Hans Grimm, der dem Gewissen ab 1921 mehrere Artikel zuführte, war zwar kein Juni-Klub-Mitglied aber ein enger Freund Moellers.650 Schon 1919 wollte Moeller seine Artikel veröffentlichen, kritisierte jedoch an den Entwürfen eine mangelnde Betonung der deutschen Raumnot auf dem europäischen Kontinent. Grimms Bezüge lagen in der Tat in Afrika und in der kolonialpolitisch ausgelösten Konkurrenz Deutschlands zu England. Grimm war nach einem Studium in Lausanne651 und einer kaufmännischen Ausbildung in England nach Südafrika übergesiedelt, wo er bis 1910 lebte und arbeitete.652 Trotz aller Ressentiments gegenüber Parlamentarismus und Liberalismus galt Grimms Bewunderung der englischen Kolonialpolitik, die er als vorbildhaft für die deutschen ,,Bedürfnisse“ ansah: ,,Eine Politik ohne England und ohne Angelsachsentum ist niemals möglich, im Guten nicht und Bösen nicht, für ein Volk dessen größte Not Raumlosigkeit ist.“653 Zu Beginn des Ersten Weltkrieges ließ sich Grimm in Deutschland als freier 649 650 651

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Moeller van den Bruck (13.10.1920): Das Bevölkerungsproblem, in: Gewissen, 2, H. 40, S. 1–2, hier 2. Petzinna: Erziehung, S. 281. Dies und im folgenden NDB, Bd. 7, Berlin 1966, S. 83-85. Julius Hans Grimms Vater war Rechtshistoriker, national-liberaler Landtagsabgeordneter und einer der Gründer des Deutschen Kolonialvereins 1884. Auch Grimms Mutter stammte aus konservativer Familie, ihr Onkel war Mitgründer der Deutschkonservativen Partei und ihr Schwager Paul Freiherr Gautsch von Frankenthurn österreichischer Ministerpräsident. 1875 in Wiesbaden geboren, wuchs Hans Grimm in einer gutbürgerlichen, karrierebewussten Familie auf. Seine Kindheit und Jugend habe er ,,träumerisch nach innen lebend [...] durch einen Unfall stark sehbehindert“ und unter Allergien leidend verbracht. Der Artikel in der NDB betont, dass Grimm ,,um der eigenen Festigkeit und Unabhängigkeit willen“ eine auslandskaufmännische Ausbildung begann. Wahrscheinlich sollte so auf Grimms ,,Charakterstärke“ hingewiesen werden. Ebd., S. 83. 1896 bis 1900 arbeitete er als Angestellter einer deutschen Importfirma in Port Elizabeth (Südafrika). Die folgenden neun Jahre war Grimm selbständiger Einfuhrkaufmann und Hafenagent der Deutschen Ost-Afrika-Linie in East London und führte gleichzeitig eine Pachtfarm außerhalb der Stadt. 1910 war noch einmal in Afrika unterwegs, als Presseberichterstatter in Deutsch-Südwest. Vgl. NDB, S. 84. Hans Grimm (17.03.1924): ›England‹. Ein Hinweis von Hans Grimm, in: Gewissen, 6, H. 11, S. 3–4.

3.4 Gegen den Versailler Vertrag

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Schriftsteller nieder, studierte Staatswissenschaften und war 1914/15 am Kolonialinstitut in Hamburg tätig. Als Grimm nach seinem Fronteinsatz als wissenschaftlicher Hilfsarbeiter in der Auslandsabteilung der OHL arbeitete, lernte er Moeller kennen.654 Die Erfahrungen der Kolonialzeit gepaart mit denen des Weltkriegs und der deutschen Niederlage formten Grimms Weltsicht. In seinen Romanen erschien die Weite der kolonialen Besitzungen in Afrika in scharfem Kontrast zum begrenzten und nach dem Versailler Vertrag nochmals verengten ,,Raum“ der Deutschen. Nachdem er 1913 noch ,,Südafrikanische Novellen“ veröffentlicht hatte und 1918 den Roman ,,Der Ölsucher von Duala“ verfasste Grimm Mitte der 1920er Jahre das politisch-programmatische Werk ,,Volk ohne Raum“.655 Sein Plädoyer für die Möglichkeit der freien Entfaltung im kolonialen Raum entstand ,,vor dem Hintergrund eines gesellschaftlichen und vor allem demographischen Strukturwandels, der seine Obsession vom ,Volk ohne Raum‘ nicht als individuelle Spinnerei, sondern als offenbar gelebte Erfahrung weiter Teile seiner Leserschaft erscheinen“ ließ.656 Die verbreitete Auffassung von der ,,deutschen Raumnot“ wurde in Grimms Roman dialoghaft verbunden mit Rassismus, der Ablehnung des Sozialismus und den politischen Zuständen der Weimarer Republik.657 Darüber hinaus betrieben Grimms männliche Helden ihre Zivilisationsflucht indem sie sich in einsame, erbarmungslose Weiten begaben und dadurch den Protagonisten klassischer Abenteuerromane glichen, die vor der kulissenhaft gestutzten schwarzen Bevölkerung in tragischer Selbstbehauptung den Neuanfang wagen wollten, jenseits aller Klassen- und Standesunterschiede.658 Auch auf sprachlicher Eben vermittelte ,,Volk ohne Raum“ Begriffe und Symboliken, die dem bevölkerungswissenschaftlichen Diskurs der Zwischenkriegszeit entsprachen.659 654 655

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Schwierskott: Arthur Moeller, S. 43. Hans Grimm: Südafrikanische Novellen, München 1921; ders.: Die Ölsucher von Duala. Ein afrikanisches Kriegstagebuch, (Erstausgabe 1918) Hamburg 1931; ders.: Volk ohne Raum, München 1926. Vgl. auch die vergleichende Einordnung bei Heike Wolter: ,,Volk ohne Raum“ - Lebensraumvorstellungen im geopolitischen, literarischen und politischen Diskurs der Weimarer Republik. Eine Untersuchung auf der Basis von Quellen zu Leben und Werk Karl Haushofers, Hans Grimms und Adolf Hitlers, Münster 2003. Karin Priester: Rassismus und kulturelle Differenz, Münster 1997, S. 53. Ebd., S. 58. ,,Der Raum ist das umkämpfte Terrain individueller Selbstfindung, steht aber in mehrfacher Gegnerschaft zu den Kräften, die sich ihr widersetzen.“ Ebd., S. 59–60. Ebd., S. 63–65. Nach Erscheinen von ,,Volk ohne Raum“ begann Grimms aktive Zeit in der völkischen Bewegung und das durch den Titel seines Buches geprägte Schlagwort wandelte sich zunehmend in das von den Nationalsozialisten umgesetzte Konzept der Osteuropa-Kolonialisierung. Nachdem Grimm der NSDAP beigetreten war, wurde er 1933 Präsidialrat der Schrifttumskammer in der Reichskulturkammer und arbeitete an zahlreichen Schriften über das deutsch-englische Verhältnis. Bis zu seinem Tod 1959 sah er sich als ,,politischer Dichter“ und vertrat er seine Meinung der 1920er und 30er Jahre. ,,Allerdings wird aufgrund des vorgegebenen volkstümliche traditionellen Gestus das

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3. ,,Der Ruf will gehört sein“ – das Profil des Gewissens

Moeller wollte im Gewissen das ,,Bevölkerungsproblem“ systematisch etablieren, konnte aber nicht auf ausreichend versierte und bekannte Autoren zurückgreifen. Zur Popularisierung wollte er Grimms kolonialpolitische Projektionsleistungen nutzen, um den Anspruch auf die verlorenen und noch zu besetzenden europäischen Ostgebiete als Akt der nationalen Selbstbehauptung und Selbstbestimmung zu inszenieren. Mit Blick auf ein ArtikelManuskript von Grimm bat Moeller den Autor, neben den schwierigen deutsch-englischen Handelsbeziehungen deutlicher zu betonen, wie wichtig der Ausbau der amerikanisch-deutschen Handelsbeziehungen sei, um die Grenzrevisionen durchzusetzen.660 Zusätzlich versuchte er, Grimm davon zu überzeugen, seine Kolonialerfahrungen in den Dienst der aktuellen Bedürfnisse auf dem europäischen Kontinent zu stellen. Zur Untermauerung seines Völkerkonzepts zog Moeller immer mehr Details aus dem aktuellen Bevölkerungsdiskurs heran und war davon überzeugt, mit diesem Thema eine publizistische Marktlücke schließen zu können: ,,Wir sind ja eigentlich die einzige Zeitung oder Zeitschrift, die erkannt hat, dass hier das Problem aller Probleme liegt.“661 Während des Jahres 1920 setzte Moeller seine Bemühungen fort, Grimm von der jungkonservativen Vorreiterrolle in den bevölkerungspolitischen Fragen zu überzeugen: ,,Seien Sie versichert: das Bevölkerungsproblem marschiert. Es ist ja so einleuchtend. Jeder versteht es, den man es einmal klar gemacht hat. Das Gewissen wird es zu seinem außenpolitischen Programmpunkt erheben. Und ich glaube fest: es wird schließlich im Vordergrunde aller politischen Erörterungen stehen.“662

Umso enttäuschter war Moeller, als Grimm zu erkennen gab, zunächst lieber an seinem Roman ,,Volk ohne Raum“ weiterzuarbeiten, als ein Artikelkonzept zu entwerfen. Moeller appellierte an Grimms Sendungsbewusstsein: ,,Wenn wir hier auf Dokumente der Raumnot stoßen, dann sollen sie Ihnen gleich zugehen. Aber es kommt nicht oft vor. Es ist ein schlummerndes Problem. Alle leiden unter ihm; irgendwie. Doch keiner weiß eigentlich von ihm. Es muss den Menschen erst gezeigt werden, dass es da ist; und warum es da ist.“

Grimm setzte 1921 schließlich durch, in seinem ersten Gewissen-Artikel663 die Beziehungen zu England zu thematisieren und erst in den folgenden

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Moment ,moderne Statistik‘ manchmal bis zur Unkenntlich verarbeitet.“ Ute Gerhard: Statistik und symbolische Formierung von Massen. Diskurstheoretische Überlegungen zu mentalitätsgeschichtlichen Aspekten der Zwischenkriegszeit, in: Schmitz/Vollnhals: Völkische Bewegung, S. 77–90, hier 83. DLA Marbach A: Hans Grimm/Moeller van den Bruck: Brief (o.D., wahrscheinlich 1919) Moeller van den Bruck an Hans Grimm. DLA Marbach A: Hans Grimm/Moeller van den Bruck: Brief (05.12.1920) Moeller van den Bruck an Hans Grimm. DLA Marbach A: Hans Grimm/Moeller van den Bruck: Brief (13.11.1920) Moeller van den Bruck an Hans Grimm. Hans Grimm (02.02.1921): Westler oder Clear your mind of cant! Von einem Auslandsdeutschen, in: Gewissen, 3, H. 5, S. 1–3.

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Artikeln die Inbesitznahme des ,,Raumes“ als Sinnbild für die Überwindung innerer Gegensätze. Grimm argumentierte, dass die ,Überbevölkerung‘ wie die ,,Pest im eigenen Hause“ wirke, denn sie halte massenhaft ,,Träger an Ressentiments“ vor, die sich dem ,,Schicksale widersetzen“.664 Nationale Politik müsse sich gegenüber dem ,,System des Westens“ behaupten, in dem vor allem England den ,,Kolonialraub“ an Deutschland verschulde, ,,der Tausende deutscher Pioniermenschen aus ihrem Gottesberufe in die toll überfüllte Heimat zurückwarf und seelische vernichtete“. Grimms Beschreibungen der ,,Raumnot“ beschränkten sich kaum auf den demographischen Aspekt, sondern betonten die Auswirkungen auf alle Lebensbereiche: Vom Selbstbestimmungsrecht665 bis zur Dichtung666 waren nach Grimms Auffassung alle nationalen Identitätsgefilde durch den verknappten Raum beeinträchtigt. Um ,,soziale Reibung“ im engen Deutschland zu vermeiden sei ,,die einzige Lösung ohne internationalen Schaden [. . . ] nationaler Raum, alles andere ist Bluff, ist Schwindel, ist im besten Falle Dilettantismus; alles andere kann allenfalls dem Gelde, aber niemals den Völkern dienen“.667 Neben den politischen, wirtschaftlichen und bevölkerungspolitischen Argumentationslinien des Gewissens, die eine ,,alternative“ Grenzziehung jenseits des Völkerrechts begründen sollten, formulierten die Artikel auch kulturhistorische Begründungen. Im Zusammenhang mit den Gebietsabtretungen und einer angeblichen deutschen Kulturmission baute Moeller seine Interpretation des Versailler Vertrages durch nationalerzieherische Komponenten weiter aus.668 Wie schon zuvor der ,,Erziehungskrieg“ aufgrund mangelnder deutscher Selbsterkenntnis verloren gehen musste, deutete er die Friedensauflagen als eine Art Prüfung und Bedingung zur nationalen Selbstfindung durch Demütigung, Entblößung und Wut.669 Ausgehend von dieser kathartischen Deutung versuchte Moeller in einem Manuskript mit dem Titel ,,Die neuere deutsche Kunst“ den Brückenschlag zwischen Kunst, Politik und Wirtschaft und der vermeintlich unentrinnbaren deutschen Aufgabe innerhalb Europas zu schlagen. Der Friede von Versailles und seine drastischen wirtschaftlichen Einschränkungen würden, so Moellers These, auch zum Absterben der Kunst führen, denn das ,,architektonische Jahrhundert“ in Deutschland und die damit einhergehende Absatzbewegung von Frankreichs Fassadenkunst seien durch die Friedensbedingungen 664 665 666

667 668 669

Ebd., S. 3. Vgl. über die ökonomischen Abhängigkeiten vom europäischen Ausland: Hans Grimm (27.02.1922): Herr Lloyd George, in: Gewissen, 4, H. 9, S. 1. Grimm über die ,,Männer des Schrifttums“, die während des Krieges ,,ihre Arbeit nicht taten“: Hans Grimm (04.12.1922): Vom deutschen Versagen des deutschen Schriftstellers, in: Gewissen, 4, H. 41, S. 2–3. Hans Grimm (22.09.1924): Kolonialpläne, in: Gewissen, 6, H. 38, S. 1–3, hier 3. Moeller van den Bruck (28.10.1919): Haldane-Clemenceau und das Verständnis der Völker, in: Gewissen, 1, H. 28, S. 3. Schivelbusch: Kultur der Niederlage, S. 276–278.

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3. ,,Der Ruf will gehört sein“ – das Profil des Gewissens

abgebrochen worden.670 Wie Moeller schon kurz vor dem Krieg im ,,Preußischen Stil“ anhand der Baukunst einzelner Architekten den innerlichen Zustand eines ganzen Volkes abgelesen hatte, sah er in Peter Behrens, Alfred Messel und Hans Poelzig die Begründer eines deutschen Stiles, ,,in dem sich das moderne Leben [. . . ] ausdrücken ließ“. Während sich Frankreichs Konstitution damit begnügen könne, bloß Möbel zu entwerfen, ginge es im ,,überbevölkerten“ Deutschland um wirtschaftliche Prosperität und entsprechende Bauten: ,,Warenhäuser, Fabrikanlagen, Großbanken, Bürohäuser, Gasanstalten, Elektrizitätswerke, Getreidesilos, Schulen, Theater und Museen“. In Moellers Aufzählung fanden alle Bereiche des täglichen Lebens in ihrer baulichen Ausdrucksform Erwähnung und erlangten Anteil an der nationalen Monumentalität. Technischer Fortschritt in der Architektur war Moeller seit frühester Jugend ein selbstverständlicher Anspruch; die Aufgabe von Politik und Kultur sah er in der Verbindung von Stil, Monumentalität und Zweck. Moellers Einschätzung entsprach der zeitgenössischen Diskussion in der Architektur, blendete jedoch jegliche soziale Funktion des Bauens aus. Allein in Monumentalbauten sah er ein Stilmittel zur nationalen Vergegenwärtigung, während etwa ,,Kleinsiedlungen“ keine Kultur ausdrücken könnten. Ließe sich die entscheidende Ausdrucksform, ,,das Monumentale“ wegen Geldmangel nicht umsetzen, würden zwangsläufig auch alle anderen Kunstbereiche von der Bildhauerei bis zur Malerei verarmen. Der gezeichnete Leidensweg deutscher Architekturkunst nach Abschluss des Versailler Vertrags lief auf eine nationalerzieherische Handlungsanweisung hinaus. Noch einmal rief Moeller die Schmach des verlorenen Krieges anhand des Isenheimer Altarbildes von Matthias Grünewald in Erinnerung. Grünewald, mystisch beeinflusster spätmittelalterlicher Maler und Bildhauer und Zeitgenosse Albrecht Dürers, reüssierte nach dem Ersten Weltkrieg zur Ikone einer deutschen Ursprungskunst. Das Altarbild, ,,dieses größte deutsche Kunstwerk“, war im elsässischen Colmar entstanden, in München ausgestellt und nach Abtretung des Elsasses an Frankreich dorthin wieder zurückgebracht, wo es als ,,Symbol für die Unzerstörbarkeit alles Deutschen“ wirke. Grünewalds Kunstwerk sei in unmittelbarer Nähe zum ,,französischen Einfluss“ entstanden, aber völlig unabhängig davon geblieben: ,,geistig, ganz Inhalt, und erfüllt von metaphysischen Gehalten“. Diese Überlieferung ließe sich laut Moeller wieder finden in Künstlern wie Ernst Barlach oder Franz Marc. Ihre Kunst habe die nationale Aufgabe, ,,alles Deutsche in Europa zu vereinen“. Etwa zur gleichen Zeit als Moeller das Manuskript anfertigte veröffentlichte Werner Wirths im Gewissen einen Artikel ,,Der Isenheimer Altar“.671 Durch die Rückgabe des Altarbildes in das nun wieder französische Colmar 670 671

DLA Marbach A: Moeller van den Bruck, Prosa: Moeller van den Bruck, ,,Die neuere deutsche Kunst“, o. D. Werner Wirths (04.11.1919), Der Isenheimer Altar, in: Gewissen, 1, H. 30, S. 2.

3.4 Gegen den Versailler Vertrag

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sei das mittelalterliche Kunstwerk zum ,,Wahrzeichen deutscher Ewigkeitskunst“ aufgestiegen. Wirths beschrieb die Details des Altars in religiöser Verzückung, pries die ,,grandiosen Visionen“ des Meisters und schilderte den abgebildeten gekreuzigten Heiland und seine Mutter, bis kein Zweifel mehr bestand: Hier ist Deutschland geopfert worden und die ,,geharnischten Krieger“ sind die romanisch-französischen Wächter, die Deutschland an der Wiederauferstehung hindern wollen. Die bekannten Motive aus Moellers Interpretation französischer Kunst wurden in Wirths Artikel zur existenziellen Dichotomie. Denn die manieristische Form französischer Kultur galt nicht nur als minderwertig, sondern Wirths sagte ihr voraus, sie würde im Ringen um die letzte Wahrheit vernichtet werden. Die Auseinandersetzung mit dem abhanden gekommenen ,,Isenheimer Altar“ stand beispielhaft für den in der gesamten Kommentierung des Versailler Vertrags gepflegten Opferdiskurs. Das Altarbild war Nationalsymbol und Allegorie eines deutschen Martyriums.672 Das Gewissen interpretierte Deutschland als Weltmacht sui generis, deren natürlich gegebenes Wachstum durch den Versailler Vertrag systematisch aufgehalten worden sei. Gewissen-Autoren wandten politische, wirtschaftliche und historisch-kulturelle Argumentationslinien an, um einen Anspruch auf Grenzrevision und langfristig auch zusätzliches Land zu konstruieren. Deutschland war aus jungkonservativer Sicht wie ein kultureller Außenseiter der Weltpolitik von den blinden Zivilisationen ähnlich einem verkannten Genie ausgestoßen und erniedrigt worden. Diese Überzeichnung verdeutlicht frappante Strukturähnlichkeiten des jungkonservativen Weltbildes mit dem christlichen Opferbild, das sich in säkularer und radikalnationalistischer Variante hier wiederfindet. Der Topos vom Opfer, das durch Leiden zur Erkenntnis gelangt, zog sich durch die gesamte Gewissen-Publizistik. An die Stelle des christlichen Gottes projizierte Moeller den überzeitlichen Wert des deutschen Volkstums, das durch den verlorenen Krieg der eigenen ,,Wiedergeburt“ einen Schritt näher gekommen sei. Eine weitere Projektionsebene dieses Weltbildes zeichnete sich auf persönlicher Ebene ab, denn die Gewissen-Autoren des inneren Kreises sahen sich als elitäre, zu Höherem berufene Außenseiter. Die evozierten Bilder knüpften an eine traditionelle konservative Weltdeutung an, in der die Ungleichheit und der ,,Primat der Gruppe gegenüber Einzelnen [...] als Widerspiegelung ontologischer Grundgegebenheiten“ galt.673 In der jungkonservativen Interpretation erlangte der organische Gemeinschaftsgedanke einen weltpolitischen und universalen 672

673

,,Märtyrerpropaganda“ gehört zur gängigen Verarbeitungsstrategie nach einer Niederlage, die zunächst das ,,mentale Ghetto“ der nationalen Selbstwahrnehmung zementiert und sich im nächsten Schritt an einen Wiederaufstieg orientiert. Schivelbusch: Kultur der Niederlage, S. 268. Panaoitis Kondylis, Konservatismus. Geschichtlicher Gehalt und Untergang, Stuttgart 1986, S. 168.

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3. ,,Der Ruf will gehört sein“ – das Profil des Gewissens

Charakter und bildete dieser den ideellen Humus für ihre unerschütterlichen Revisionsforderungen in der aktuellen Politik. 3.4.3 „We are friends now“674 Nach den Enttäuschungen des Krisenjahres 1923 und dem Ende der französischen Ruhrbesetzung änderten sich die Richtmaße der offiziellen deutschen Position zum Versailler Vertrag und schließlich auch der jungkonservativen Publizistik. Während der Verhandlungen über die Annahme des umstrittenen Dawes-Gutachten zeichnete sich gar eine pragmatischere Linie zur Konfliktlösung ab. Seine Annahme markierte Deutschlands außenpolitische Wende, da der Dawes-Plan die erste Vereinbarung nach Ende des Krieges war, die zur ,,Entpolitisierung der Reparationen“ führte.675 Zum einen gab Frankreich mit seiner Zustimmung mögliche Sanktionsrechte preis und ordnete sich dem weltwirtschaftlichen Primat der USA und Großbritanniens unter. Zum anderen ging Außenminister Gustav Stresemann davon aus, dass eine Lösung des europäischen Konflikts nur tragfähig sei, wenn ,,Sieger und Unterlegene wirtschaftlich nebeneinander leben könnten.“676 Trotz einer gewissen Entradikalisierung im Auftreten, hatte das Gewissen jedoch keinerlei Interesse daran, in der Diskussion um den Versailler Vertrag die politische Konfliktlinie von der wirtschaftlichen zu trennen. Im Gegenteil: seine Publizistik war vollständig darauf ausgerichtet, sämtliche Friedensbedingungen weiterhin allein unter politischen Gesichtspunkten zu betrachten. In diesem Sinne erkannte Moeller folgerichtig, dass mit dem Dawes-Plan die grundlegende Bestimmung des Versailler Vertrages, nach der Deutschland den Krieg verursacht habe, als außenpolitischer Verhandlungspunkt seine Schlagkraft verliere.677 Der Verlauf der jungkonservativen Kommentierung des Versailler Vertrages verdeutlichte das spezifische Vorgehen der meisten GewissenArgumentationen. Innerhalb einer politischen Konfliktbeschreibung wurde die deutsche Rolle immer auf eine Ebene oberhalb der realen, repräsentativen oder diplomatischen Politik transponiert. Zugleich wurden apolitische Zusammenhänge auf dieser Ebene angesiedelt – wie etwa der des deutschen Volkstums. Diese Ebene wurde sodann einer machtpolitischen, sachlich verbrämten Diskussion unterzogen. So konnte durch Entpolitisierung einzelner Kategorien der politischen Gegenwart die Voraussetzung geschaffen werden, um schließlich den Gesamtkomplex jungkonservativer Argumente und For674 675 676 677

Erich Lilienthal (31.10.1925): ,,,We are friends now‘“, in: Gewissen, 7, H. 44, S. 2–3. Niedhart: Außenpolitik, S. 16. Ebd., S. 20. Moeller van den Bruck (11.08.1924): Die versäumte Schuldfrage, in: Gewissen, 6, H. 32, S. 1–3.

3.4 Gegen den Versailler Vertrag

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derungen zu politisieren. Diese Strategie ging insofern auf, als das Gewissen dazu beitrug, dass in der Debatte um die Reparationsfragen auch noch 1924 die Position unnachgiebiger Härte in Bezug auf eine reine Gesamtlösung der Friedensbedingungen im Rennen blieb. Aus jungkonservativer Sicht ließen sich außenpolitische Aktion und Reaktion, Diplomatie und Beschlüsse der Alliierten zu situativen und unsachverständigen Handlungen degradieren und von einer angeblich politisch überzeitlichen und überwölbenden Bedeutung Deutschlands entkoppeln. Die unterstellte Verständnislosigkeit ausländischer Politiker gegenüber Deutschland, so die Binnenlogik des Gewissens, lag nicht in deren Bösartigkeit begründet, sondern in einem grundsätzlichen Unvermögen, das deutsche Wesen zu begreifen. ,,Unsere Feinde sind politische Völker. Sie sind in Geschichte erfahren und wissen, daß es in ihr eine Umkehr gibt. Gegen diese Umkehr suchen sie sich zu sichern, kurzsichtig [. . . ] So haben sie sich als Sieger selbst dazu verurteilt, in ständiger Ungewissheit zu leben.“678

Nachdem die Reparationsfrage durch Annahme des Dawes-Plans diplomatische entdramatisiert worden war, kommentierte das Gewissen die Trennung von wirtschaftlichen und politischen Sphären resigniert als deutsche Außenpolitik ,,ohne nationalen Gedanken“.679 Während im Gewissen die jungkonservative Argumentationslogik beibehalten wurde, schlug man gleichzeitig einen pragmatischeren Ton in Bezug auf außenpolitische Möglichkeiten an. Stresemanns Aushandlungspolitik eines westeuropäischen Sicherheitspaktes im Vorfeld des Locarno-Vertrages, in dem die deutschen Westgrenzen zwar garantiert werden mussten, aber die besetzten Gebiete auch geräumt wurden, stieß im Gewissen sogar auf Respekt. Der Ton blieb freilich von oben herab und vermittelte den Eindruck eines desillusionierten Pathos, der nach fast sechs Jahren radikaler Revisionspropaganda auch in tagespolitischen Ergebnissen gewisse Erfolge für Deutschland ablesen konnte. Walther Schotte äußerte sich entsprechend zum Abschluss des Locarno-Vertrages: ,,Dabei wollen wir unsern persönlichen Eindruck nicht verhehlen, daß in Locarno erfolgreich gearbeitet worden ist – wenigstens für den Sicherheitspakt.“680 Das Gewissen griff den innenpolitischen Gewinn durch die Locarno-Ergebnisse auf, aber blieb in der außenpolitischen Bewertung auf den wirtschaftlichen Konkurrenten England fixiert. Dessen Freundschaftsbekundungen im Rahmen der Locarno-Verhandlungen seien ,,Symptom dafür, daß England den Zeitpunkt für gekommen hält, um den etwa seit 1905 gesteuerten, gegen Deutschland gerichteten außenpolitischen Kurs endgiltig [sic] herum-

678 679 680

Moeller van den Bruck (07.01.1924): Das unheimliche Deutschland, in: Gewissen, 6, H. 1, S. 1–3. Edgar Pröbster (27.10.1924): Auswärtige Politik ohne nationalen Gedanken, in: Gewissen, 6, H. 43, S. 3. Walther Schotte (26.10.1925): Locarno, in: Gewissen, 7, H. 43, S. 1–3.

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3. ,,Der Ruf will gehört sein“ – das Profil des Gewissens

zuwerfen. England hat dasjenige von Deutschland genommen, was zu nehmen war, und es findet, daß der Rest von Deutschland durchaus geeignet ist, ihm gute Dienste zu leisten.“681

Obwohl das Gewissen insgesamt eine pragmatischere Auslegung der deutschen Politik publizierte, vertieften sich in den Artikeln zugleich die Feindbildstereotype. Die Umsetzung des Dawes-Planes wurde nicht nur im Gewissen, sondern in der gesamten radikal konservativen und republikfeindlichen Presse als eine erneute ,,Versklavung“ Deutschlands, diesmal durch die amerikanische Finanzpolitik interpretiert.682 Während innenpolitische Leistungen durchaus Anerkennung finden konnten, bemühte sich das Gewissen die in der deutschen Öffentlichkeit manifesten Ängste vor einer sukzessiven Okkupation durch die Westmächte aufrecht zu erhalten. In der Beurteilung der USA bestimmten zudem alte und neue Ängste aber auch Anerkennung die Diskussion683 , denn die amerikanische Wachstumsdynamik und das ökonomische Potential des US-amerikanischen Kapitalismus waren den Europäern und insbesondere den Deutschen ein zwiespältiges Vorbild für Fortschritt und Moderne.684 Die im Gewissen geäußerte relative Bewunderung für die USA bezog sich vor allem auf ihre Leistungsfähigkeit als ,,Spätankömmling im Kreis der Industrienationen“685 und der scheinbar optimalen Koppelung von Arbeits- und Kapitalinteressen. Freilich ging man im Gewissen nicht soweit, den Amerikanern einen weltmachtpolitischen Status zuzugestehen. Vielmehr wies man ihnen eine Schiedsrichterrolle für die europäischen Konflikte zu, die sich zugunsten Deutschlands auswirken würde. Das amerikanische Volk galt zwar als wesensverwandt mit dem deutschen – nicht zuletzt wegen der zahlreichen deutschen Auswanderer –, aber ,,unreif “ im Auftreten.686 Schon im Mai 1921 hatte Emmy Voigtländers Gewissen-Artikel über die ,,verborgenen Zusammenhänge“ der Friedensverhandlungen den antikapitalistischen und gleichzeitig antiamerikanischen Argumentationsstrang in der

681 682

683 684 685 686

Erich Lilienthal (31.10.1925): ,,We are friends now“, in: Gewissen, 7, H. 44, S. 2–3. Die von den USA geleitete Expertenkommission schlug vor, Deutschlands Finanzen unter internationale Verwaltung zu stellen, wodurch die notwendige Währungsreform in Deutschland abgesichert und zugleich die Reparationen als regelmäßige Transferleistung gewährleistet würden. Wehler: Gesellschaftsgeschichte IV, S. 251. Krüger: Außenpolitik, S. 247. Deppe: Politisches Denken 1, S. 83. Vgl. auch Christof Mauch/Kiran Klaus Patel (Hrsg.): Wettlauf um die Moderne. Die USA und Deutschland 1890 bis heute, Bonn 2008. Schivelbusch: Kultur der Niederlage, S. 300. Moeller van den Bruck (25.04.1921): Stellung zu Amerika, in: Gewissen, 3, H. 17, S. 3; Hermann Georg Scheffauer (09.05.1921): Amerika und die Schuldfrage, in: Gewissen, 3, H. 19, S. 3; ders. (16.03.1921): Die Sendung der Deutsch-Amerikaner, in: Gewissen, 3, H. 11, S. 4; Henry Louis Mencken (31.10.1921): Amerikanische Gedanken über Entwaffnung, in: Gewissen, 3, H. 44, S. 2–3; Wilhelm von Kries (12.12.1921): Mut, in: Gewissen, 3, H. 50, S. 1.

3.4 Gegen den Versailler Vertrag

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jungkonservativen Debatte angelegt.687 Sie warf der Entente vor, mit den Reparationen lediglich das ,,internationale Kapital“ im Fluss halten zu wollen. Die USA boten als finanzwirtschaftliche Macht eine Zielscheibe für antikapitalistische und antisemitische Vorurteile, die auch von Gewissen-Autoren in ihre außenpolitischen und wirtschaftlichen Erklärungsmuster aufgenommen wurden: ,,Der Unterschied zu Amerika ist nur der, daß wir außer internationalen Faktoren und dem jungen wurzellosen Reichtum des Krieges und der Revolution bodenständige Kapitalmächte besonders in der Industrie besitzen, die ihrerseits in und mit der Zeit gewachsen sind.“688 Die USA, so interpretierte das Gewissen, waren nun mal eine junge, verführbare Nation, und sie hatten sich auf die Seite des ,,internationalen Kapitals“ gestellt, wodurch sie zu seinem ,,neureichsten“ Vertreter aufgestiegen waren. Dieses Zurechtrücken des jungkonservativen Weltbildes, nachdem 1919 noch alle Hoffnungen auf ein machtpolitisches Bündnis mit den USA gelegen hatten, eben weil die USA eine junge Nation seien, folgte einem häufigen Muster, das von Moeller vorgegeben wurde: ,,Aber niemals werden die Amerikaner [ihre] Sendung erfüllen können, wenn es den zureichenden amerikanischen Verstand nicht gibt, durch den sie ihr geistig gewachsen werden.“689 Die Völker-Abstufungen, die er 1919 mit ,,Das Recht der jungen Völker“ vorgenommen hatte, ließen mögliche Kooperationen mal in die eine oder andere Richtung, bis auf den eindeutigen ,,Erbfeind“ Frankreich, durchaus zu. Als sich gemäß radikalnationalistischer Interpretation mit dem Dawes-Plan die USA in Deutschland einkauften, konnte auf derselben Grundlage wie fünf Jahre zuvor die USA nun negativ beurteilt werden.690 Die Einschätzungen im Gewissen stimmten mit Teilen der DNVP überein.691 Im Verlauf des Jahres 1924 und dann 1925 nahmen im Gewissen die Artikel zur radikalen Revision des Versailler Vertrages ab, wenngleich die Position nicht aufgegeben wurde. Da der Themenkomplex Versailler Vertrag auf 687 688 689 690 691

Emmy Voigtländer (16.05.1921): Verborgene Zusammenhänge, in: Gewissen, 3, H. 20, S. 3–4. Walther Schotte (13.11.1922): Die kapitalistische Republik, in: Gewissen, 4, H. 38, S. 1–2. Moeller van den Bruck (25.04.1921): Stellung zu Amerika, in: Gewissen, 3, H. 17, S. 3. Walther Schotte (04.08.1924): Die Enteignung, in: Gewissen, 6, H. 31, S. 1–3. Im Zuge der Verhandlungen über die Annahme des Dawes-Planes spaltete sich die DNVP-Reichstagsfraktion und ein Teil von ihr stimmte dem Plan im August 1924 zu. Im Vorfeld hatte sich der Parteivorsitzende Oskar Hergt um eine Mehrheit gegen die Annahme des Dawes-Gutachtens bemüht, aber Agrar- und Industrie-Lobbyisten in der DNVP sahen die wirtschaftlichen Vorteile überwiegen. Büttner: Weimar, S. 339. Im Gewissen wurde versucht, die Position Hergts zu stützen, wenngleich die gesamte DNVP-Entwicklung kritisch kommentiert wurde; vgl.: Walther Schotte (28.04.1924): Das Testament des Führers, in: Gewissen, 6, H. 17, S. 1–3; Walther Schulz (12.05.1924): Der Wahlausgang: Von Rechts gesehen, in: Gewissen, 6, H. 19, S. 5; Martin Spahn (19.05.1924): Nach den deutschen und französischen Wahlen, in: Gewissen, 6, H. 20, S. 1–3; Eduard Stadtler (07.07.1924): Bedenkliche Taktik. Die Schriftleitung, in: Gewissen, 6, H. 27, S. 1; ders. (27.10.1924): Die Wahlparole, in: Gewissen, 6, H. 43, S. 1–2.

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3. ,,Der Ruf will gehört sein“ – das Profil des Gewissens

internationaler Ebene differenzierter behandelt wurde, sah sich die Rechtsopposition um ein Vehikel ihrer maximalen politischen und wirtschaftlichen Forderungen gebracht. Insgesamt bildete der Versailler Vertrag weiterhin die Folie, auf der das Gewissen die Erklärung einer systematisch geplanten Unterdrückung Deutschlands entwerfen konnte. Indem die Friedensbedingungen beklagt und gleichzeitig als ,,logische“ Folge der alliierten Verschwörung gedeutet wurden, konnte sich die Hybris des Krieges unerschüttert fortsetzen. Das entworfene Bild passte in den allgemeinen utopischen Erwartungshorizont, der die politische Kultur der Zwischenkriegszeit bestimmte. In der Phase 1919 bis 1923 konnte die jungkonservative Machtlogik noch an die der deutschen Regierung anknüpfen. Mit dem Beginn der Verständigungspolitik unter Stresemann veränderte sich der reale Handlungsspielraum der deutschen Regierung und die bisherigen Maximalforderungen im Gewissen verloren die Verbindung. Die Autoren konnten ab Mitte 1924 die innenpolitische Stabilisierung Deutschlands nicht mehr ignorieren, wobei dem mittlerweile federführenden Heinrich von Gleichen die Entradikalisierung auf politischer Ebene entgegenkam, da er eine Sammlungspolitik der ,,Oberschichten“ im Kreis von Lobbyisten und Parteipolitiker anstrebte. Während das Gewissen einerseits einen etatistischen Kurs einschlug und regierungspolitisches Handeln nicht mehr in Gänze aburteilte, flossen zunehmend radikale Stereotype in die Publizistik. Das Leitmotiv außenpolitischer Urteile bildete die Annahme, die Alliierten könnten nicht erkennen, wozu Deutschland durch seine ,,natürlichen“ Anlagen in der Zukunft fähig sei. Der Glaube an eine deutsche Höherwertigkeit, aus der sich eine Verpflichtung zum expansiven Machtstreben ableite, war und blieb die Prämisse der Gewissen-Publizistik, die das jungkonservative Weltbild prägte.

3.5 Ordnung Europas Im jungkonservativen Denken sollte die moderne Welt in einem konservativen Sinne geordnet werden. Man wollte den wirtschaftlichen, technischen und auch politischen Fortschritt nutzen, um Deutschland den ihm angeblich zustehenden herausragenden Rang innerhalb Europas zukommen zu lassen. Ähnlich wie in der Publizistik gegen den Versailler Vertrag verschoben sich während der hier untersuchten sechs Jahrgänge des Gewissens die Aspekte in den Argumentationen. Bis etwa 1923 standen zentrale Begriffe der gesellschaftlichen Mobilisation und Integration im Mittelpunkt der Veröffentlichungen. Die in allen politischen Lagern populären Begriffe ,,Revolution“ und ,,Sozialismus“ wurden genutzt, um ihnen durch permanente Um-Interpretation eine allein nationale Bedeutung zu verleihen. Zugleich standen außenpolitische Kooperationen wie die mit Russland zur Diskussion, womit das Gewissen an reale außenpolitische Optionen Deutschlands anknüpfte.

3.5 Ordnung Europas

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Gegen Ende des Krisenjahres 1923 und mit dem verständigungspolitischen Kurswechsel der deutschen Regierung traten in den Gewissen-Artikeln häufiger als bis dahin rassistisch untermauerte Argumente auf. Zudem verfestigten sich außenpolitische Stereotype und stellten die Gewissen-Autoren den Staat als ordnungspolitischen Faktor zunehmend in den Mittelpunkt. Im Folgenden wird zunächst die Auseinandersetzung der Gewissen-Publizistik mit der Novemberrevolution in Deutschland, der vermeintlich drohenden Bolschewisierung und den Nationalisierungs-Versuchen der Kommunisten während der Ruhrbesetzung untersucht. Von dieser Diskussion ausgehend, kann nachvollzogen werden, wie sich die inhaltliche Radikalisierung und gleichzeitige pragmatische Staatsorientierung der jungkonservativen (Schreib-)Strategie vollzog. 3.5.1 Die Bedeutung der Revolution im Gewissen Max Hildebert Boehm beschrieb in seinen Erinnerungen, wie er zusammen mit Moeller van den Bruck und Hans Grimm den 9. November 1918 erlebte. Schon im Oktober hatte Boehm mit Albert Dietrich an einer Versammlung in Nord-Berlin teilgenommen, während der ihn mehr noch als der ,,schäumende Hass des Klassenkampfes“ die Tatsache erschreckte, dass ,,so viele Intellektuelle auf der Seite der Revolution standen“. Schließlich, am 9. November vormittags, auf dem Weg in die Innenstadt, marschierten endlose, aber ordnungsgemäße Kolonnen an ihm vorbei: ,,Selbst in der Revolution war für ein ,bisken Ordnung‘ gesorgt. Denn Marschordner hielten den ,spontanen Volkswillen‘ im Zaum. Sonst hätte doch die Polizei den ganzen Rummel verboten.“692 Den Mittag des Tages verbrachten Boehm, Moeller und Grimm gemeinsam in einer ,,Mittelstandküche“ bei Pellkartoffeln in brauner Soße. Die Herren schauten wohl missmutig aus den Fenstern des Lokals, wo sie ,,das Fluten des entfesselten Pöbels durch die Leipzigerstrasse gemeinsam mitansehen mussten“.693 Auf dem Weg zum Potsdamerplatz konnten sich die Gemüter nicht aufhellen, sah man doch, dass ,,bleichen Offizieren die Achselstücke abgerissen wurden, Lastwagen mit gröhlenden Matrosen und Soldaten“ daher fuhren.694 Für die geistigen Vordenker eines neuen Deutschlands bestand die Tragik des Augenblicks darin, dass sich so gar kein erhebendes Gefühl einstellen wollte. Auch ein großer Teil der Berliner Bevölkerung wusste nicht recht mit den Geschehnissen umzugehen 692 693 694

BArch Koblenz N 1077/1 NL Max Hildebert Boehm: Um das gefährdete Deutschtum, S. 122. DLA Marbach A: Hans Grimm/80. Geburtstag: Brief (21.03.1955) M. H. Boehm an Hans Grimm. BArch Koblenz N 1077/1 NL Max Hildebert Boehm: Um das gefährdete Deutschtum, S. 122.

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3. ,,Der Ruf will gehört sein“ – das Profil des Gewissens

und die Revolutionstage hinterließen ein zwiespältiges Gefühl, wie Harry Kesslers Erinnerungen bestätigen: ,,Erster Sonntag nach der Revolution. Am späten Nachmittag bewegten sich große Massen von Spaziergängern über die Linden bis zum Marstall, um die Spuren der Gefechte an den Gebäuden zu sehen. Alles sehr friedlich in spießbürgerlicher Neugier; namentlich die sehr auffallenden Einschläge am Marstall wurden begafft.“695

Trotz des lokalen Eindrucks, hier habe nur ein zahmer Revolutionsabklatsch stattgefunden, erschien den Zeitgenossen die Gesamtsituation in Deutschland unübersichtlich und mit offenem Ausgang. Vor allem in Berlin bündelten sich, als die Soldaten heimkehrten und die Lebensmittelknappheit drastische Ausmaße annahm, sichtbar die Folgen des verlorenen Krieges.696 Der gesamte Komplex der ,,Revolution von 1918/19“ offenbarte in seinen Widersprüchen und Gegenläufigkeiten ein Abbild der gesellschaftlich ambivalenten Entwicklung Deutschlands, denn keine der politischen Richtungen und Gruppen ließ sich eindeutig den Sphären ,,revolutionär“ oder ,,reaktionär“ zuordnen.697 Beispielsweise griffen die in dieser Zeit gebildeten Bürgerräte zum einen auf bestehende bürgerliche Organisationsstrukturen zurück und verwendeten zum anderen den sozialistischen Räte-Begriff für sich. Im Berliner Bürgerrat, mit dem Eduard Stadtler seine antibolschewistische Propaganda abstimmte, saßen auch Mitglieder der DNVP698 und der Vorsitzende war im März 1919 auf Anfrage Stadtlers bereit, die Bürgerräte von ,,einer Gegenrevolution und Diktatur“ zu überzeugen.699 Die regierende Sozialdemokratie hingegen ,,wollte keine Revolution auf Bajonetten, sondern eine demokratische Willensbildung“,700 und beides galt aus rechtsintellektueller Sicht als schändliche Mittelmäßigkeit.701 Der Revolutions-Begriff blieb im Gewissen als Code für einen Wechsel bestehen, da nach jungkonservativer Meinung eine Umwälzung weiterhin ausstand, wenngleich diese weder von Parteizentralen noch von spontanen Massenversammlungen ausgehen dürfe.702 Im Januar 1919 schrieb Moeller aus Berlin an den in der Provinz 695 696 697

698 699 700 701 702

Berlin, 17. November 1918. Sonntag, in: Harry Graf Kessler: Tagebücher 1918 bis 1937. Hrsg. von Wolfgang Pfeiffer-Belli, Frankfurt a.M. 1996, S. 30. Hans-Joachim Bieber: Bürgertum in der Revolution, Hamburg 1992, S. 228. Andreas Wirsching: Die paradoxe Revolution 1918/19, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, 2008, 50.51, S. 6–12, S. 12, vgl. auch Sebastain Haffner: Die deutsche Revolution 1918/19, Köln 2008; Karl Heinrich Pohl: Obrigkeitsstaat und Demokratie. Aspekte der ,,Revolution“ von 1918/19, in: Manfred Hettling (Hrsg.): Revolution in Deutschland? 1789–1989. 7 Beiträge, Göttingen 1991, S. 46–69, S. 53–54. Bieber: Bürgertum, S. 198. Ebd., S. 228. Über die unterschiedlichen Interessenlagen im Bürgertum, vgl. Michael Epkenhans: Das Bürgertum und die Revolution 1918/19, Heidelberg 1994. Wirsching: Paradoxe, S. 10. Vgl. auch Schivelbusch: Kultur der Niederlage, S. 251–253. Die Frage, ob die Veränderungen im Winter 1918/19 einer Revolutions-Definition standhalten, bleibt in der Forschung ein Diskussionspunkt. Lenk sieht ein ,,revolutionäres Bewusstsein“ bei den Akteuren der Umwälzung als Voraussetzung: Kurt

3.5 Ordnung Europas

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lebenden Grimm über seinen Zwiespalt angesichts von Kriegsniederlage und Revolution: ,,Ich glaube, es hat noch nie eine geschlagene Nation in einer solchen Stimmung gegeben. Die Menge freilich ist oberflächlich wie immer. Aber die Einzelnen sind sehr besonnen geworden. Und von den Einzelnen wird schließlich eine Wirkung auch auf die Menge ausgehen.“703

Anhand der Beschreibung des ,,Einzelnen“ als revolutionäres Subjekt erweist sich, wie die Jungkonservativen den Revolutionsbegriff codierten und im Kern als Radikalisierung der Eliten begriffen. Unterhalb der Eliten stand hingegen Formung und nicht Revolution im Mittelpunkt. Nach Moellers Ansicht barg die Niederlage eine erzieherische Chance, denn je härter danach die Entbehrungen folgten, desto eher glaubte er, dass alle ,,Elemente“ im deutschen Volk zusammengeführt würden. Moeller schauderte, ,,wenn er sich die vom Marxismus mobilisierten Volksmassen vergegenwärtigt“,704 stattdessen galt der ,,Einzelne“ schon durch seine solitäre Erscheinung als ein auserwählter Charakter. Neben den Ähnlichkeiten mit Moellers metaphysischer Gesellschaftsfigur des ,,Außenseiters“, vereinte der ,,Einzelne“ auch ,,Besonnenheit“ und ,,Wirkung auf die Menge“, womit der jungkonservative Prototyp eines sachverständigen Führers entworfen war. Die Arbeiter- und Soldatenrätebewegung interpretierten die Jungkonservativen als Ausdruck nationaler Bedürfnisse, die von den demokratischen Parteien zur eigenen Machtsicherung ausgenutzt worden seien. Da die bürokratische Parteipolitik die Entfaltung des revolutionären Potenzials verhinderte, sah das Gewissen auch keinen existenziellen Bruch im politischen System. Nach jungkonservativer Ansicht zeigten sich die Politiker nun unfähig, den Ausnahmezustand zu nutzen, um die Arbeiterschaft vom Kommunismus zu entkoppeln, so dass die revolutionäre Energie gegen das Ausland hätte geleitet werden können.705 Vor allem enttäuschte die mangelnde Rückwirkung auf die ,Volksgemeinschaft‘, denn anstatt eine Splittung in Parteien und Bürgerkriegsfraktionen zu verursachen, sollte eine Revolu-

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Lenk: Theorien der Revolution, München 1973, S. 19. Neuere Untersuchungen rücken diskursive und repräsentative Elemente in den Vordergrund und plädieren für eine funktionalistische Begriffsbestimmung und für Fragen nach Akteuren, Profiteuren, Sprechakten, Inszenierungen und Instrumentalisierungen: Nicole Wiedenmann/Kay Kirchmann: Revolution als Selbstmandatierung und -inszenierung. Eine begriffsgeschichtliche Annäherung an eine problematische Kategorie, in: Sven Grampp/Kay Kirchmann/Marcus Sandl/Rudolf Schlögl/Eva Wiebel (Hrsg.): Revolutionsmedien – Medienrevolutionen, Konstanz 2008, S. 24-64. Vgl. auch Boris Barth: Die Revolution 1918/19 und das Problem massenmedialer Kommunikation, in: ebd., S. 347–366. DLA Marbach A: Hans Grimm: Brief (20.01.1919) Moeller an Hans Grimm. Werth: Sozialismus, S. 87. Kurz vor dem Waffenstillstand überlegten Ludendorff und Prinz Max von Baden, dass eine Volkserhebung gegen die alliierten Forderungen durch die SPD mobilisiert werden könne. Schivelbusch: Kultur der Niederlage, S. 239.

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tion aus Sicht des Gewissens vor allem Veränderungen ,,an Geist und Seele“ herbeiführen.706 Um zu unterstreichen, warum die Novemberrevolution zu missbilligen, aber grundsätzlich ein Umsturz zu befürworten sei, erklärten die GewissenAutoren die Ereignisse vom November 1918 zu einem Krankheitsfall und griffen dabei auf gängige Körper-Codes zurück.707 Im jungkonservativen Europa-Bild lag Deutschland als eine Art ruhender Pol zwischen dem unterentwickelten Russland und dem dekadenten Frankreich, beide Länder seien ,,zersetzt“ vom ,,radikalen Getue“, sei es seit der Revolution von 1789 oder der von 1917.708 Im Moment der Schwäche gegen Ende des Krieges habe Deutschland von beiden Ländern ,,infiziert“ werden können. Deshalb seien die Umwälzungen nicht mehr als eine ,,Nervenkrise“ gewesen und diese ,,kam nicht aus dem Volke, sie kam nicht einmal aus der Masse, sie war eine peripherische zerebrale Entzündung am Volkskörper, der dem ganzen erlag, weil er schwach und von Kräften war.“709 Die zentrale politische Funktion des revolutionären Zustands definierte Stadtler als eine ,,unabänderliche Fortsetzung des Weltkrieges“ zu einer ,,Weltrevolution“, die durch die ,,ideelle Formulierung“ der Deutschen in die Welt getragen würde.710 Ideell formuliert werden sollte laut Stadtler ein Staat, in dem ,,nicht die Masse [herrscht], sondern das Volk, nicht der künstliche Parteikörper, sondern der Gesellschaftsorganismus, nicht der Demos (Demokratie), sondern die Sozietät (Sozialismus)“. Außenpolitisch sah Stadtler die ,,Weltrevolution“ als einen ausgleichenden Prozess zwischen Ost und West, wobei Deutschland die Rolle zukam, die Gegenpole Russland und Frankreich zu überwinden und hinter sich zu lassen.711 Um die dynamische Entwicklungen und die notwendige Gegenwehr zu unterstreichen, benutzte Stadtler das Bild der Krisis gekoppelt mit einem männlich-weiblichen Dualismus. Russland stand für die männliche, ursprüngliche, kaum zähmbare Kraft, während Frankreich das zänkische Weib und eine zwar verweichlichte, aber dennoch gefährliche Form darstellte. In diesem Bild gab es keine logische oder gegebene Zuordnung für Deutschland und genau deshalb erschien Deutschlands 706 707

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G. Knoerzer (17.06.1919): Wo bleibt die Revolution von Geist und Seele, in: Gewissen, 1, H. 10, S. 3. Vgl. Moritz Föllmer: Der ,,kranke“ Volkskörper. Industrielle, hohe Beamte und der Diskurs der nationalen Regeneration in der Weimarer Republik, in: Geschichte und Gesellschaft, 27.2001 H. 1, S. 41-67.; Eduard Stadtler (16.09.1919): Radikale Gesinnung, in: Gewissen, 1, H. 23, S. 1–2. Max Hildebert Boehm (17.12.1919): Was wir wollen!, in: Gewissen, 1, H. 36, S. 1–2. Eduard Stadtler (03.05.1919): Die Idee der Weltrevolution, in: Gewissen, 1, H. 4, S. 1. Koenen weist darauf hin, dass der Begriff ,,Weltkriegsrevolution“ erstmals 1917 in Stadtlers Kriegstagebuch auftauchte. ,,Der Begriff bezeichnete [in dieser Phase] negativ die Entbindung der durch den Krieg gebündelten sozialen und nationalen Energien in Militärmeutereien und Streiks, die zur Auflösung aller staatlichen und gesellschaftlichen Ordnung führen konnten.“ Koenen: Russland-Komplex, S. 234. Vgl. auch Grunewald: Auch Kommunisten, S. 428-429.

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Rolle als aus diesem Bild herausgelöst und übergeordnet. Deutschland habe zwar in beide Richtungen zu kämpfen, aber nicht Vernunft könne zum Sieg verhelfen, sondern nur die ,,Erweckung“ all jener Eigenschaften, die weder dem ,,männlichen Russland“ noch dem ,,weiblichen Frankreich“, sondern einzig den Deutschen innewohnten: ,,Junges Deutschland! Du Geschlecht des Krieges – erwache zu Tat! Räume alten Schutt hinweg! Schließe den Ring! Großes liegt hinter Dir. Größeres harret Deiner, Deutschland – nein Europa – ruft!“712 Stadtlers Idee einer antibolschewistischen, deutschen Weltrevolution beruhte auf einem mit gutem Spürsinn eingesetzten Eklektizismus aus kursierenden Bedrohungs- und Aufstiegsszenarien: das Übergreifen der bolschewistischen Weltrevolution müsse Deutschland durch einen organischen Sozialismus überbieten, woraufhin es sich ,,aus der Asche der Krieges zu neuer historischen Geltung“ erheben könne.713 Moeller interpretierte den Revolutionsbegriff als den zerstörerischen Ausgangspunkt einer Expansion, sie war ,,letzen Endes nichts anderes als eine Art nationaler Befreiungskrieg“.714 Die ,,Revolutionierung“ hatte bei Moeller kein konkretes Ziel, sondern war ähnlich wie die Begriffe ,,Demokratie“ oder ,,Sozialismus“ eine emotionale Folie für die Harmonie- und Einheits-Sehnsucht, die der ,Volksgemeinschaft‘ zugeschrieben wurde. Solch eine ,,innere Revolutionierung“ würde schließlich ,,tief in die Eingeweide der europäischen Menschheit“ eingreifen.715 Funktional und inhaltlich waren in solchen Aussagen Parallelen zum faschistischen Revolutionsbegriff greifbar, denn hier wie dort verband sich ein radikaler Nationalismus mit dem Mythos einer deutschen Wiedergeburt.716 Diese irrationale und emotional aufgeladene Verbindung wurde zum Amalgam einer vermeintlich rationalen Utopie, in der eine soziale, kulturelle und politische, aber keineswegs ökonomische Umwälzung die Gesellschaft bzw. ,Volksgemeinschaft‘ höher entwickeln sollte.717 Insgesamt unterschied sich der jungkonservativ kreierte Revolutionsbegriff jedoch vom faschistischen, weil der Jungkonservatismus keine Massenmobilisierung als revolutionäres Mittel vorsah. Er klammerte aktivistische Aspekte 712 713 714 715 716

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Eduard Stadtler (05.01.1921) 1921, in: Gewissen, 3, H. 1, S. 1. Koenen: Russland-Komplex, S. 239. Goeldel: Revolution, S. 43. Moeller van den Bruck (23.02.1921): Antwort an Barrès, in: Gewissen, 3, H. 8, S. 2–3. Diese Transformationsleistung des Irrationalen in eine rationale Kategorie der Politik hat schon Max Weber als zentral im rationalen Denken der Moderne gesehen. Walter M. Sprondel/Klaus Eder: Max Weber und die Rationalisierung sozialen Handelns, Stuttgart 1981. Priester sieht darin eine Erklärung für den sakralen Gehalt des Faschismus: Priester: Rassismus, S. 105. Der Vergleich bezieht sich auf den italienischen Faschismus und deutschen Nationalsozialismus und lehnt sich in Teilen an Griffin, der sich auf G. L. Mosses Studien bezieht: Roger Griffin: Revolution from the Right: Fascism, in: David Parker (Hrsg.): Revolutions and the revolutionary tradition. In the West 1560-1991, London 2000, S. 185-201, S. 199. Vgl. auch Hans Roeseler (03.06.1919): Nationalbewusstsein und Revolution, in: Gewissen, 1, H. 8, S. 2–3.

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und somit die politisch-pragmatische Frage nach dem revolutionären Subjekt aus, sondern setzte auf eine selbsternannte ,,neue Elite“ als ,,Träger der Erkenntnis“. Die ,,junge Generation“ fungierte als Label für diese ErkenntnisElite, stellte jedoch nicht klar, auf welchen Wegen diese revolutionäre Avantgarde mit der revolutionären Öffentlichkeit in Kontakt treten solle. Tatsächlich hatte der Jungkonservatismus kein Interesse, sich mit der Arbeiterbewegung oder anderen unkontrollierbaren massenhaften Erscheinungen zu verbinden. Das im Gewissen verbreitete Menschenbild war so tief im alten, patriarchalischen Konservatismus und im Bewusstsein der eigenen, gebildeten, elitären Überlegenheit und ergo ihrer organisch vorgegebenen Herrschaftsposition verwurzelt, dass aus dieser Perspektive der Kommunismus von falschen Prämissen ausging, denn ,,jedes kommunistische Experiment scheitert an der Unvollkommenheit der menschlichen Natur.“718 Die Masse sei unfähig zur Selbsthilfe, so dass ,,der große Einzelne helfen, der geborene Führer, der reine, ungebrochene deutsche Mensch, der sein Volk züchtigt, weil er es lieb hat.“719 Mit demselben Ziel plädierte Gleichen für rechtliche Möglichkeiten, einen Arbeitsdienst einzuführen.720 Jedoch verstummte selbst diese rhetorische Einbeziehung der Arbeiter in die jungkonservative Revolutionsidee nach 1919 weitgehend.721 Bei der Integration des Mobilisierungs-Begriffs ,,Revolution“ in ihre politische Argumentation betonten die Jungkonservativen drei Elemente, die eine ,,nationale Revolution“ ausmachten: Erstens müsse die Revolution von einer auserwählten, radikalen Elite an- und ausgeführt werden, zweitens sollte sich die nationale Erhebung nach außen richten, also in Verlängerung des Kriegszustands zu einer ,,Weltkriegsrevolution“ führen und drittens müsse die Revolution das Bewusstsein und nicht die ökonomischen Grundlagen verändern. Moeller versuchte auch hier an Hegel anzuknüpfen, als er den Dreischritt Reinigung, Aufbruch und Höherentwicklung als Zweck der Revolution ausmachte.722 718 719

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P. Mohr (02.09.1919): Wie können wir friedlich sozialisieren? in: Gewissen, 1, H. 21, S. 1 Vgl. außerdem Albert Dietrich (19.08.1919): Das junge Deutschland und die nationale Idee, in: Gewissen, 1, H. 19, S. 1; Asmus Gendrich [P] (14.10.1919): Der Kulturdiktator, in: Gewissen, 1, H. 27, S. 1–2; ähnlich auch: Robert Prechtl (16.04.1919): Das Wesen der Revolution. Aus Robert Prechtl’s ,,Deutsche Arbeits-Demokratie“ (Spiegel-Verlag), in: Gewissen, 1, H. 2, S. 4. Hutten (07.10.1919): Pfarrer Hartmanns Erwiderung, in: Gewissen, 1, H. 26, S. 3. Hatten 1919 noch verschiedene Autoren über zwanzig Artikel mit explizitem Revolutionsbezug veröffentlicht, setzten ab 1920 nur noch Stadtler und Moeller die Akzente. Moeller van den Bruck (11.11.1919): Der Revolutionsgewinn, in: Gewissen, 1, H. 31, S. 1– 3. Von Zeitgenossen wurde das Moeller-Narrativ ergänzt, indem er als ein Fortdenker der Hegel’schen Prämissen gedeutet wurde: ,,Schon in der italienischen Schönheit spürt man den Bann, den nicht nur der große Weltblick Hegels, sondern auch seine Sprachkraft auf Moeller ausgeübt hat. Die Kapitelüberschriften mit ihrer inneren Dialektik zeigen die Nähe der Phänomenologie, die Betrachtungsweise vor allem der frühen Kapitel die der Philosophie der Geschichte. In Moellers Verhältnis zum Sinn der Individuen

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3.5.2 Russland-Bild und Antibolschewismus Nach 1918 beeinflussten mindestens drei Deutungsmuster die deutsche Perspektive auf Russland. Erstens hatten der vorläufige Sieg an der Ostfront zu Beginn des Jahres und der Vertrag von Brest-Litowsk dazu beigetragen, dass die ,,geradezu utopischen Horizonte“ in Richtung einer deutschen Osterweiterung an vermeintlich reale Möglichkeiten anknüpfen konnten.723 Zweitens verursachte die Revolution im eigenen Land im November 1918, so geordnet sie in Teilen auch stattfand, dass die Angst vor einer möglichen ,,Bolschewisierung“ in Deutschland einen konkreten Bezugspunkt erhielt. Nachdem Deutschland nun zu den besiegten Mächten gehörte, verbreitete sich in der bürgerlichen Öffentlichkeit ein Gefühl der Bedrohung und in der Politik ein rhetorisches Muster, das sich die Ängste zunutze machte.724 Und drittens korrespondierten die stereotypen Bolschewismus-Formeln mit den schon lange in Deutschland kursierenden ambivalenten, von Sehnsucht durchsetzten Bildern vom Land Russland. Die deutsche Russophilie war zugleich ein Abwehrreflex Richtung Frankreich, denn Russlands ,,Seele“ galt als ,,Antithese zur flachen ,Zivilisation‘ des Westens, als das Gegengift gegen seinen Rationalismus, seinen Materialismus und seine ,Oberflächlichkeit‘“.725 An die 360 000 russische Emigranten waren vor dem Bürgerkrieg in Russland geflohen und konzentrierten nun ihr kulturelles Leben in Berlin. ,,Sie gründeten Verlage, Zeitungen und kulturelle Einrichtungen der verschiedensten Art, die sich binnen weniger Jahre zu einen ,Russischen Berlin‘ als einer Stadt in der Stadt agglomerierten.“726 Die nach 1918 von Rückwanderern, Flüchtlingen oder russischen Oppositionellen verfassten Kolportagen und Berichte beschrieben die revolutionären Vorgänge in diesem ,,ursprünglichen“ Land mit Abscheu und zugleich Bewunderung.727 Nähe und Exotik prägten

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hat sich ein Wandel vollzogen; sie sind ihm nicht mehr nur Faktoren, in denen sich jeweils sein bestimmter Nationalzug verwirklicht, wie er sie noch in den Deutschen zu deuten versuchte: sie sind ihm jetzt im Sinne Hegels Träger des Weltgeistes selber und damit seine Funktionär geworden. Er bohrt jetzt tiefer; er sucht nicht nur die historische Rolle der Einzelnen, sondern ihren historischen Sinn zu erfassen, das Drama der fernen Mächte hinter der Welt, das dem Leben der Individuen erst seinen Sinn gibt.“ Fechter: Moeller, S. 55. Aribert Reimann: Von der Mentalität zur Spezialität? Neuere Forschungen zur Geschichte des Ersten Weltkrieges, in: Neue Politische Literatur, 49.2004 H. 2, S. 220–246, S. 238. Vgl. u. a. Ulrich Kaiser: Realpolitik oder antibolschewistischer Kreuzzug? Zum Zusammenhang von Rußlandbild und Rußlandpolitik der deutschen Zentrumspartei 1917-1933, Bern/Frankfurt a.M. 2005; Gerd Koenen/Lew Kopelew/Mechthild Keller (Hrsg.): Deutschland und die russische Revolution 1917-1924, München 1998. Dupeux: Im Zeichen von Versailles, S. 192. Koenen: Russland-Komplex, S. 218; Schneider: Buchkäufer, S. 151; Scheideler: Zwischen Beruf, S. 194. Koenen: Russland-Komplex, S. 218ff.

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deshalb die in Deutschland kursierenden Bilder, in denen entweder russische Ressourcen ,,ungeahnte Möglichkeiten“ eröffneten oder Deutschland zu erdrücken drohten.728 Moellers Einleitungen zu den von ihm herausgegebenen Dostojewski-Bänden standen beispielhaft für diese Sichtweise.729 Eduard Stadtlers Erfahrungen in russischer Kriegsgefangenschaft und anschließend in Moskau dienten ihm als Ausweis für bolschewistisches Expertentum, das er in leidenschaftlichen Antibolschewismus umsetzte. Der Versailler Vertrag sei ein taktischer Fehler der Entente, da der Bolschewismus sich wie eine Epidemie über Europa ausbreite, gegen die nur ein vollständig handlungsbefugtes Deutschland als Bollwerk stehen könne.730 Stadtlers Argumente reihten sich 1919 in eine deutschlandweite ,,BolschewismusFurcht mit bisweilen geradezu hysterischen Zügen“ ein,731 die Demokraten bis Radikalkonservative nutzten, um die Entente zur Lockerung der Friedensbedingungen zu bewegen.732 Moeller thematisierte seit der Kriegszeit Russlands strategische Bedeutung für Deutschland, unter anderem hatte er den deutschen Propagandakrieg mit seinen Expansionsthesen gen Osten unterstützt. Nach dem drakonischen Vertrag von Brest-Litowsk äußerte sich Moeller in der Zeitschrift ,,Stimme aus dem Osten“ befriedigt über den Zusammenbruch der ,,unrussischen“, ,,imperialistischen“ Dynastie.733 Zum einen betrachtete er die Gebietsverluste Russlands als einen natürlichen Vorgang, der das Land wieder auf seinen 728

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Gregor Thum: Ex oriente lux - ex oriente furor. Einleitung, in: Gregor Thum (Hrsg.): Traumland Osten. Deutsche Bilder vom östlichen Europa im 20. Jahrhundert, Göttingen 2006, S. 7–15, hier 8. BArch Berlin R 8034III/315 Presseausschnittsammlung – Reichslandbund, Personalia Moeller van den Bruck [134]: Moeller (02.07.1818): Dostojewski, ein politisches Mißverständnis, in: Norddeutsche Allgemeine Zeitung. Im Gewissen ehrte, neben Moeller, auch Heinrich Riedinger den russischen Dichter als panslawistischen Ideenstifter, der durch den Bolschewismus im eigenen Land entehrt worden sei. Moeller van den Bruck (31.10.1921): Dostojewski der Politiker, in: Gewissen, 3, H. 44, S. 2–3; Heinrich Riedinger (11.05.1919): Panslawismus und Bolschewismus, in: Gewissen, 1, H. 5, S. 2–3. Eduard Stadtler (20.05.1919): Wehe den Siegern!, in: Gewissen, 1, H. 6, S. 1. Auch einer der ,,ersten und agilsten in der Zunft der deutschen ,Russlandkenner‘“ Karl Nötzel, u. a. im Vorstand des ,,Schutzverbandes deutscher Schriftsteller“, veröffentlichte 1921 zwei Artikel im Gewissen. Nötzel (1870-1945) war in Moskau geboren, aus dem Zarenreich nach Deutschland übergesiedelt und legte in verschiedenen Büchern vor und nach dem Krieg dar, dass der Bolschewismus eine über Jahrhunderte gewachsene Gesellschaftslehre der russischen Intelligenz sei, in der sich Denken und Seelenrichtung des russischen Volkes widerspiegele. Koenen: Russland-Komplex, S. 140–141. ,,Die Bolschewismus-Furcht war freilich kein auf Deutschland beschränktes Phänomen. Auch in Großbritannien war nach dem Krieg die Besorgnis vor einer Machtübernahme der radikalen Linken manifest [...].“ Schumann: Einheitssehnsucht, S. 96–97. Größeres Echo erfuhr schließlich ein Artikel des DNVP-Politikers Paul Eltzbacher in Der Tag, in dem er erklärte, Deutschland müsse sich den Bolschewismus völlig zu eigen machen, um der ,,Versklavung“ durch die Entente zu entgehen. Dupeux: Die Intellektuellen, S. 200–201. BArch Berlin R 8034III/315 Presseauschnittsammlung – Reichslandbund, Personalia

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Kern reduziere und ,,zum russischen Ich zurück“ bringe. Zum anderen sah er in der Revolution einen notwendigen Befreiungsschlag des Russentums vom verwestlichten Zarentum. Da aber die ,,russische Seele“ von Natur aus fatalistisch und religiös orientiert sei, käme sie ohne ,,Anhalt, Gefäß und Symbol“ nicht aus, womit Moeller die intensive russische ,,Hingabe“ an den Kommunismus erklärte und das Eingreifen Deutschlands rechtfertigte. Der revolutionäre Vorgang in Russland schaffe mit einem tabula rasa das verwestlichte Zarentum ab, jetzt müsse Deutschland den Vorgang weitertragen und für die eigene Großmachtpolitik nutzen.734 Russland galt zwar nach Moellers ursprünglicher Vorgabe in ,,Das Recht der jungen Völker“ als ein junges Volk, aber die rhetorisch konstruierten graduellen Unterschiede seines Grundlagentextes ließen ausreichend Spielraum, um es gegenüber Deutschland als ein zu missionierendes kulturelles Entwicklungsland erscheinen zu lassen. Neben der grundsätzlichen Beschäftigung fand im Gewissen auch eine Beobachtung der aktuellen Entwicklung in Russland statt. Stadtlers Mitarbeiter Heinz Fenner hatte Erfahrungen vor Ort gesammelt und berichtete 1919 als ehemaliger Redakteur der St. Petersburger Nachrichten im Gewissen über den Bürgerkrieg und die paramilitärischen Gefechte an der Grenze zum Baltikum.735 Der Um- und Ausbau der maroden Roten Armee so kurz nach Ende des Krieges in eine leistungsstarke und politisch geschulte ,,Rote Bauern- und Arbeiterarmee“ verlangte dem jungkonservativen Elitedenken Respekt ab.736 Cäsar von Schilling warf Russland jedoch vor, sich mit Hilfe ,,außenpolitischer Agenten der Bolschewiki“ an der wirtschaftlichen Ausbeutung Deutschlands durch die Entente zu beteiligen.737 Ab 1920 geriet zunehmend die Revolutionierungspolitik der russischen Führung in die Kritik. Forderungen nach einer ,,bedingten“ Zusammenarbeit mit Russland, wie sie Fritz Weth im August 1920 stellte, wurden im Jahr darauf von ihm selbst zurückgezogen.738 Nachdem Russland 1921 eine schwere Hungersnot überwinden musste, bahnte es sich ab 1922 unter anderem durch Gründung der UdSSR den Weg zurück auf die weltpolitische Bühne. Den Vertrag von Rapallo zwischen Deutschland und Russland begrüßte das

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Moeller van den Bruck [135]: Moeller: Die einzige Gewissheit, in: Stimme aus den Osten, (08.04.1818). Dupeux: Im Zeichen von Versailles, S. 193. In diesem Zusammenhang wurde auch wieder der qualitative Unterschied zwischen Esten und Letten unterstrichen, letztere seien unzuverlässig und würden mit den Bolschewisten fraternisieren. Heinz Fenner (02.09.1919): Der neue Feldzug gegen SowjetRußland, in: Gewissen, 1, H. 21, S. 2; ders. (09.09.1919): Zur Lage an der russischen Nordwestfront, in: Gewissen, 1, H. 22, S. 1–2; ,,Von 100 000 Mann im April 1918 wuchs die Rote Armee auf eine Million im Oktober, 1,5 Millionen im Mai 1919 und fünf Millionen 1920.“ Manfred Hildermeier: Die Russische Revolution 1905–1921, Frankfurt a.M. 1989, S. 275. Cäsar von Schilling (06.07.1920): Zwischen Spaa und Moskau, in: Gewissen, 2, H. 26, S. 4. Fritz Weth (04.08.1920): Die Rede des Außenministers Simons, in: Gewissen, 2, H. 30, S. 4; ders. (12.01.1921): Kommunismus und Gewerkschaft, in: Gewissen, 3, H. 2, S. 2–3.

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Gewissen, blieb aber misstrauisch gegenüber seinen möglichen Folgen.739 Als einziger positiver Fixpunkt in der sowjetischen Politik rückte die Figur des Parteiführers Lenin in den Mittelpunkt der Gewissen-Publizistik, dessen pragmatischer Radikalismus als vorbildhaft für Deutschland gesehen wurde. Die Bewunderung galt Lenins Fähigkeit, geschickt und zielorientiert zu handeln, ohne seine Glaubwürdigkeit als Führer einer fundamentalistischen Politik zu verlieren.740 Eine strategische Partnerschaft mit Russland wurde im Gewissen überhaupt nur dann in Erwägung gezogen, wenn es sich um ein von Lenin diktatorisch geführtes Russland, in keinem Fall ein bolschewistisches Russland handelte.741 Ohne sich dem russischen Bolschewismus positiv nähern zu müssen, konnte auf diese Weise strategische Nähe zur Sowjetunion erzeugt werden.742 Heinrich von Gleichen bezog sich in zahlreichen Artikeln auf das Vorbild Lenin, der sich zum charismatischen und der Masse enthobenen Führer stilisieren ließ. Inwieweit Gleichen über die Förderung des Revolutionsführers durch die kaiserliche Regierung Kenntnis hatte bleibt fraglich, ebenso, ob er über die erheblichen finanziellen Mittel, die von Deutschland an die bolschewistische Partei transferiert wurden, Bescheid wusste. Deutlich wurde jedoch, wie sehr Gleichen den propagandistischen Kraftakt, den die Bolschewiki auch mit Hilfe eigener Zeitungen geleistet hatten, bewunderte.743 Wenngleich er die Rolle und die ,,Machenschaften“ des Revolutionsvermitt739

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Vgl. in Kap. II ,,Gegen den Versailler Vertrag“. Über Reaktionen in anderer Presse und die unkoordinierten Reaktionen auf Regierungsebene vgl. Koszyk: Deutsche Presse, S. 115-127. Insofern sind Revolutionen immer auch ,,medial bedingte Kommunikationszusammenhänge“: Grampp et al.: Revolutionsmedien, S. 22. Grunewald: Auch Kommunisten, S. 424. Diese Annäherung unterschied sich von der des ,,Nationalbolschewismus“, der sich auf gewisse Weise den Aktivismus der sowjetkommunistischen Nationalisierungsstrategie zu Eigen machten. Zu den bekannten Nationalbolschewisten gehörte etwa Hans von Hentig, der einen Artikel auch im Gewissen platzierte. (Hans von Hentig (20.05.1919): Der Ausgang der Revolution. Ein soziales Märchen, vorgelesen im Jakobinerklub zu Nantes im Jahre 1792, in: Gewissen, 1, H. 6, S. 2–3.) Hentigs Aufforderungen, dass die ,,Elite der Intelligenz“ an der Seite der deutschen Arbeiterbewegung ein Bündnis mit Moskau eingehen solle, bedeuteten nichts anderes, als dass am Ende eine ,,neue Herrenkaste mit den klügsten und fähigsten Köpfen“ entstehe. Nationalbolschewistische und jungkonservative Ziele waren ähnlich, während sich ihre politischen Strategien unterschieden. Dupeux: Im Zeichen von Versailles, S. 209. Vgl. auch Louis Dupeux: »Nationalbolschewismus« in Deutschland 1919-1933. Kommunistische Strategie und konservative Dynamik, München 1985. Auch Otto Strasser, der so genannte linke Nationalsozialist, veröffentlichte 1925 im Gewissen und setzte sich mit Für und Wider des sowjetischen Machapparates auseinander. U. a.: Otto Strasser (27.10.1920): Bilder aus Halle, in: Gewissen, 2, H. 42, S. 3–4; ders. (05.01.1925): Ostasiatische Probleme, in: Gewissen, 7, H. 1, S. 3; ders. (31.01.1925): Der Sturz Trotzkis, in: Gewissen, 7, H. 5, S. 3. Grunewald: Reichseuropa, S. 335–336. Jens Ruchatz: Lenins Medienrevolution als Exempel. Eine medientheoretische Klarstellung, in: Grampp et al.: Revolutionsmedien, S. 325-346.

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lers Alexander Parvus-Helphand abschätzig kommentierte, klang gleichzeitig eine gewisse Bewunderung für den umtriebigen ,,Macher“ der Russischen Revolution durch.744 ,,Geist und Macht“745 – in Lenin konnten die radikalkonservativen Autoren die perfekte Synthese dieses Anspruchs verkörpert sehen. Lenin habe längst erkannt, dass eine internationale bolschewistische Revolution kaum umsetzbar sei und wisse, ,,daß der nationale Gedanke stärker ist als die Solidarität des Proletariats, und [er] versucht, den russischen Bolschewismus zur nationalen Bewegung zu entwickeln“.746 Im März 1920 steigerte Gleichen sein Lob und ließ persönliche Wünsche einfließen: ,,Aber der Mann hat Kraft und Stil, ist eine historische Persönlichkeit überragenden Formats, und wird wohl auch das Literatengeschmeiß um sich herum geschichtlich weit überleben.“747 Während Gleichen in Lenin einen Diktator mit Stil sah, ordnete Moeller den Revolutionsführer in die russische Geschichte ein. Lenins Politik sei nicht durch Ideen oder Theorien begründet worden, sondern ,,durch den Anschluß an Iwan [...], dessen Wiederkehr er selbst ist. Wenn irgendwo in einem Lande der Marxismus durch sein Anwendung widerlegt wurde, dann ist dies in Rußland geschehen.“748 Mit einer strikt nationalistischen Perspektive auf das politische Programm der neuen russischen Führung bewertete das Gewissen allein ihre Methoden zur Macht-Durchsetzung positiv, ohne auf die ideellen Motive einzugehen. Die Jungkonservativen bewerteten die bolschewistische Revolution im Sinne einer nationalen Befreiungsbewegung749 , denn Lenin habe in seinem Land ein politisches Regime errichtet, das dem Temperament des russischen Volkes entspreche: ,,Lenin lehrt uns weiter, daß die Kräfte eines Volkes zwar internationalistisch drapiert werden können, daß sie aber in ihrer natürlichen

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Hutten (10.12.1919): >Sozialisten< und ihre Herr. Neuer Mammonismus, in: Gewissen, 1, H. 35, S. 1. Alexander Ringleb berichtet in seinen Erinnerungen, dass der Mitinhaber des Ring-Verlages Martin Mächler ,,die Personalien und intimsten Lebensumstände“ der ,,ärgsten Feinde“ der Ring-Bewegung, u. a. über ,,den tatarischen Juden Helphand [...] dem Kreis zutrug. ,,Ein entsprechender Angriff unserer Seite im ,Gewissen’ führte dann folgerichtig eines Tages Heinr. V. Gleichen und mich wegen Beleidigung vor das Berliner Schöffengericht.“ Ostakademie Lüneburg P 0/203 Personen R: Alexander Ringleb: Vom Verein Kriegerhilfe zum Juniklub (aus meinen Akten 1918/19, 20/21), S. 8. Bialas/Fuchs: Intellektuelle. Heinrich von Gleichen (03.06.1919): Führer der Internationale, in: Gewissen, 1, H. 8, S. 1–2. Heinrich von Gleichen (31.03.1920): Die Komödie der Unzulänglichkeit, in: Gewissen, 2, H. 12, S. 1; ähnlich ders. (14.07.1920): Lenins Bekenntnis zum persönlichen Führertum, in: Gewissen, 2, H. 27, S. 2–3; Paul Ernst (08.09.1920): Deutsch und Russisch, in: Gewissen, 2, H. 35, S. 2–3. Moeller van den Bruck (04.08.1920): Stellung zu Russland, in: Gewissen, 2, H. 30, S. 1–3. In den frühen 1920er Jahren konnten sie damit auf zahlreiche nationale Bewegungen anspielen, die sich gegen eine ,,Fremdherrschaft“ auflehnten. Deppe: Politisches Denken 1, S. 28–29, 263.

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Einfachheit volklich bleiben: national.“750 Das Russland-Bild der GewissenAutoren knüpfte zum einen an die Tradition der bürgerlichen Russland-HassLiebe an und mystifizierte die ,,russische Seele“ zum Inbegriff von Ursprünglichkeit und Chaos, die es zu beherrschen gelte. Zum anderen bewertete man die Politik der Bolschewiki, bis auf die diktatorischen Fähigkeiten Lenins, negativ. Bis etwa 1922 vertrat das Gewissen, forciert durch Moellers ausdrückliche Ostorientierung, diese dichotomische Sichtweise. Schon 1923, als die deutschen Kommunisten öffentlich Unterstützung durch sowjetische Parteikader erhielten, und spätestens 1924 mit dem Tod Lenins, distanzierte sich das Gewissen auch vom Land Russland. 3.5.3 Proletariat, Sozialismus und Kommunismus Nach wie vor hält sich in Teilen der Literatur die Auffassung, dass im jungkonservativen Denkkollektiv zwei gegensätzliche Strömungen vorherrschten, die jeweils prominent von Eduard Stadtler und Heinrich von Gleichen vertreten wurden. Während Gleichen von Beginn an sein Konzept einer autoritären Staatsdoktrin verfolgt habe, habe sich Stadtler die ersten Jahre nach der Revolution bemüht, seine Auffassung sozialistischer Ideen in den Jungkonservatismus einzubringen.751 Tatsächlich aber berührte die Auseinandersetzung der beiden Männer eher Methoden und Stilelemente als Inhalte der jungkonservativen Strömung. Da im Gewissen offen für ein Zusammenwirken rechter und linker Politiker geworben wurde und der Begriff Sozialismus inflationär in den Artikeln kursierte, könnte zwar angenommen werden, dass um die Verwendung sozialistischer Ideen gerungen wurde. Jedoch diente in der gesamten Gewissen-Publizistik der Sozialismus-Begriff nur als Code für nebulöse soziale Versprechungen und als Instrument für eine FreundFeind-Bestimmung innerhalb der ,,Volksgemeinschaft“. In keinem Fall sollte die Klassenhierarchie angetastet werden, sondern lediglich ,,alle diejenigen Genossen einer Gemeinschaft, Bürger eines Staates werden, die noch die Ehre und die innere Einheit ihrer geliebten Vaterrede über Klassenkampf und Terror setzen“.752 Der Unterschied zwischen Gleichens und Stadtlers Strategie lag in der Frage, aus welcher Schicht bzw. Interessengruppe die Männer für ein diktatorisches Gremium an der Staatsspitze stammen sollten. Gleichen setzte auf die Wirtschaftsführer, erweiterte diesen Ansatz um Vertreter aus dem einflussreichen Adel. Stadtler sah sich womöglich selbst als Kandidat für eine Spitzenposition in der ,,Volksregierung“, auf jeden Fall sah er die Parteien als Reservoir für ,,die geistig Freiesten“ an, die zu ,,führenden Kräften des 750 751 752

Eduard Stadtler (30.03.1921): Der Sieg Lenins, in: Gewissen, 3, H. 13, S. 1–2. Weißmann: Das Gewissen. Albert Dietrich (01.07.1919): Die Katastrophe!, in: Gewissen, 1, H. 12, S. 1–2.

3.5 Ordnung Europas

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Volkstums“ aufsteigen könnten. Den Gemeinwirtschaftsbegriff verwandte er ebenfalls nicht im sozialistischen Sinne, denn Stadtler lehnte Verstaatlichungen oder Planwirtschaft ab und orientierte sich an Bedürfnissen des Mittelstandes. Womit Stadtler sich von Interessengruppen der Großindustrie entfernte waren unspezifische Aussagen, die den ,,Abbau des privatkapitalistischen Wirtschaftssystems zu einem gemeinwirtschaftlichen“ System forderten.753 Auch Moellers Sozialismusbegriff verwies auf ein kapitalistisches Wirtschaftssystem, in dem ,,Unternehmer und Arbeiter voneinander abhängig sind und sich miteinander solidarisch fühlen“, wobei eine streng hierarchische Ordnung beibehalten bleiben sollte.754 Auf der einen Seite positionierten sich die Jungkonservativen mit antikapitalistischen Argumenten gegen demokratische, ,,westliche“ Werte. Auf der anderen Seite warf Moeller dem marxistischen Sozialismus vor, die Arbeiter von der Nation zu entfremden und einen veralteten Klassenkampf zu predigen, wo doch nach den Erfahrungen und Folgen des Krieges klar sei, dass der ,,Freiheitskampf “ die Solidarität zwischen Arbeitern und Unternehmern verlange.755 Wenn im Gewissen auf den ,,dritten Standpunkt“ verwiesen wurde, den die Jungkonservativen ,,überparteilich“ einnähmen, bedeutete ,,deutscher Sozialismus“ analog dazu einen scheinbar natürlichen und harmonischen Rahmen, in dem sich jedes Gesellschaftsmitglied einfügte und schon mit diesem Vorgang eine ,,Bindung an Verantwortung für das Ganze“ schuf.756 Der jungkonservative Sozialismus-Begriff sollte auf diese Weise integrieren ohne Klassengrenzen aufzuheben.757 Da sich die Gewissen-Publizistik an ein gleichgesinntes Publikum richtete, an Akademiker, Journalisten und Manager in politischen Funktionen, bildete die Thematik ,,Proletariat“, so wie ,,Arbeitnehmer“ in den Wirtschaftsartikeln, einen Projektionsrahmen jungkonservativer Weltdeutung. Hierbei nahmen einige Artikel angeblich proletarische Perspektiven und Forderungen ein oder traten als Plädoyer für eine korporative Umgestaltung des Staates auf. Insbesondere der ,,Kommunist“ Fritz Weth formulierte in seinen 36 Gewissen-Artikeln vermeintliche Bedürfnisse der Arbeiter; auch Fritz Dessau oder Franz Röhr bemühten sich um eine emotionale Einbindung und Aufwertung des Arbeiterbildes.758 Insgesamt wurden aber die Position der Belehrung

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Eduard Stadtler (17.06.1919): Der Weg zur Tat, in: Gewissen, 1, H. 10, S. 1. Goeldel: Revolution, S. 42. Werth: Sozialismus, S. 87–89. Max Hildebert Boehm (11.02.1920): Korporativismus, in: Gewissen, 2, H. 6, S. 3; Grunewald: Reichseuropa, S. 235; Werth: Sozialismus, S. 105. Pfahl-Traughber: Konservative Revolution, S. 41-42. Z. B.: Franz Röhr (07.10.1919): Zur wirtschaftlichen Lage, in: Gewissen, 1, H. 26, S. 3–4; Fritz Weth (01.12.1920): Zur deutschen Arbeiterbewegung, in: Gewissen, 2, H. 47, S. 2– 3; Fritz Dessau (03.10.1921): Organisation und Arbeiterschaft, in: Gewissen, 3, H. 40,

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3. ,,Der Ruf will gehört sein“ – das Profil des Gewissens

und die Furcht vor einer allgemeinen ,,Proletarisierung“ nicht aufgegeben.759 Moeller definierte ,,proletarisch“ als einen Bewusstseinszustand, der sich ohne nationalisierende Gegenstrategie in jeder Bevölkerungsschicht verbreiten könne.760 Deshalb stand im Mittelpunkt aller Artikel, die sich mit der zugespitzten Klassenkonfrontation seit der Revolution auseinandersetzten, die Transformation des proletarischen in ein nationalistisches Bewusstsein. Auf einer weiteren Ebene wurde die Klassen-Rhetorik als dichotomisches Erklärungsmuster für die Innen- und Außenpolitik genutzt, wobei der Proletariat-Begriff als veränderbarer Bewusstseinszustand, jedoch die ,,Bourgeoisie“ als eine statische Größe definiert wurde. Innenpolitisch diente der Bourgeois-Begriff der Diffamierung bürgerlicher Dekadenz, außenpolitisch half er, die Welt nach Ende des Krieges zu erklären, denn ,,Deutschland nach Versailles war die proletarisierte Nation; der Westen war die Bourgeoisie; der Kampf gegen den Westen der internationale, genauer der inter-nationale Klassenkampf; der Sieg über den Westen würde die Erlösung der Welt bringen“.761 Das in der Weimarer Republik populäre Begriffspaar Deutscher Sozialismus transportierte die einfache Botschaft, nach der Volksgemeinschaft und Kapitalismus eine harmonische Einheit bilden könnten und müssten.762 Das Gewissen versuchte sich an einer Profilbildung und vor allem Heinrich von Gleichen bemühte sich um eine Abgrenzung jungkonservativer Interpretationen von Organisationskonzepten aus der Kriegszeit, die auf Walther Rathenau und Wichard von Moellendorff zurückgingen. Obwohl sich deren Konzept nicht wesentlich von jungkonservativen Vorgaben unterschied, stilisierte das Gewissen den Republikaner und Amtsträger Moellendorff zur bourgeoisen Verkörperung eines technokratischen Planwirtschaftlers. Während Rathenau schon 1915 aus der Kriegsrohstoffabteilung ausgeschieden war, verblieb der von ihm protegierte Moellendorff im Amt und trieb die organisierte Kriegswirtschaft voran. Moellendorff wollte nach 1918 im Reichswirtschaftsministerium die Strukturen ausbauen, scheiterte aber zum einen bei den Unternehmern mit den zwangswirtschaftlichen Elementen seiner Pläne

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S. 2–3; ders. (22.01.1923): Arbeiterschaft und Landesfeind, in: Gewissen, 5, H. 3, S. 2–3; Erich Brock (23.03.1925): Der Glaube an das Proletariat, in: Gewissen, 7, H. 12, S. 1–3. Wilhelm von Kries (14.04.1920): Was die Arbeiter nicht wissen! , in: Gewissen, 2, H. 14, S. 2–3; Walter Laporte de (13.06.1921): Um den deutschen Arbeiter, in: Gewissen, 3, H. 24, S. 3; Chronist [P] (10.03.1920): Bewegung, in: Gewissen, 2, H. 10, S. 1. Moeller van den Bruck (27.02.1922): Proletarisch, in: Gewissen, 4, H. 9, S. 1–3; ähnlich: Paul Ernst (08.09.1924): Die allgemeine Proletarisierung, in: Gewissen, 6, H. 36, S. 2–3. Schivelbusch: Kultur der Niederlage, S. 281. Werth: Sozialismus verweist auf u. a. Friedrich Naumann, Oswald Spengler, Ferdinand Tönnies, Walther Rathenau, Wichard von Moellendorff und auch Moeller van den Bruck. Über Strömungen in der Sozialdemokratie, die das nationale mit dem sozialistischen Element verbinden wollten, vgl. Stefan Vogt: Nationaler Sozialismus und soziale Demokratie. Die sozialdemokratische Junge Rechte 1918-1945, Bonn 2006.

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und zum anderen am ,,bemerkenswerten Mangel an politischer Taktik“.763 Beide Aspekte wurden im Gewissen ganz im Sinne der Unternehmer heftig angegriffen.764 Der jungkonservative Sozialismus-Begriff fungierte insgesamt als politischer Kampfbegriff, mit dem ein national-wirtschaftliches Ordnungskonzept dem Bolschewismus gegenübergestellt wurde. Tatsächlich verschleierte der Begriff, dass mit der ,,Entfesselung aller [. . . ] zu Gebote stehenden Produktivkräfte“765 eine radikal konservative organische Ordnung der Nation durchgesetzt werden sollte.766 Im Zuge dessen folgte die Auseinandersetzung mit dem Bolschewismus, selten auch Kommunismus genannt, einer klaren Delegitimierungsstrategie. Als Interpretationsleitfaden gab Moeller 1920 an: ,,Bolschewismus ist in Deutschland unmöglich. Aber in Deutschland ist Sozialismus möglich. Bolschewismus ist Aufhebung des Gleichgewichtes in einem Lande, das immer, auch wenn Katastrophen darüber hin brechen, schwer in sich selbst ruht. Sozialismus dagegen ist Statik durch Organisation als Selbstschutz eines Volkes, das sein Leben in der Enge und trotz hundert überlieferten Gegensätzen einrichten muß. Unsere sozialistische Außenpolitik kann nur deutsche Volkspolitik sein.“767

Eine ,,Statik durch Organisation“ beinhaltete keine gleichberechtigten Strukturen wie etwa in der marxistischen Rätetheorie ausgeführt, sondern bedeutete Hierarchie ohne Konflikte. Von oben nach unten müsse das Führerprinzip durchgesetzt werden; von unten sollte eine neutralisierte – weil ,,nationalisierte“ – Arbeiterschaft bereit stehen. Nichts anderes als die Überwindung des ,,mechanischen Machtgedankens des Proletariats“ war das Ziel und ,,be763 764

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Werth: Sozialismus, S. 73. Chronist (28.01.1920): Mechaniker Moellendorff, in: Gewissen, 2, H. 4, S. 4; Heinrich von Gleichen (08.12.1920): Zwei Welten?, in: Gewissen, 2, H. 48, S. 1–2. Vgl. auch H. v. Gleichens misstrauische Einschätzung der Absichtserklärungen: Hutten (30.09.1919): Moellendorffs Absage an die Planwirtschaft, in: Gewissen, 1, H. 25, S. 2–3. Breuer: Grundpositionen, S. 112. Auch dem Sozialismus-Begriff Moellers lag das Motiv zugrunde, dass – auf Deutschland bezogen – aus Erkenntnisvorsprung eine ,,natürliche“ Herrschaftsposition – in Europa – erwachse. In einem Manuskript Moellers, das um 1920 entstand, fasste er verschiedene Aspekte (u. a. Kriegserfahrungen, die Feindschaft mit England und Frankreich, die Konzepte von Plenge, Naumann sowie Moellendorff und Spengler, seine eigene Interpretation der ,,jungen Völker“, Karl Hoffmanns Neuerscheinung ,,Das Ende des kolonialpolitischen Zeitalters) zusammen, um über den Sozialismus abschließend zu befinden: ,,Sozialismus, wie er heute in Deutschland wissenschaftlich verstanden wird, bedeutet vielmehr Organisation, höchste Staatlichkeit, zusammenfassende Regelung des wirtschaftlichen Lebens nach einheitlichen Gesichtspunkten. [. . . ] Die Völker aber werden vielleicht schon sehr bald erkennen, dass in Deutschland inzwischen die Vorarbeit geleistet wurde, die allein die zerstörenden Tendenzen des Sozialismus in aufbauende verwandeln kann.“ DLA Marbach A: Arthur Moeller van den Bruck 94.45.28/1: (o. D. ) Die neuen deutschen Ideen. Von Moeller van den Bruck, Verfasser des ,,Recht der jungen Völker“, S. 3 und 13. Moeller van den Bruck (11.02.1920): Sozialistische Außenpolitik, in: Gewissen, 2, H. 6, S. 1–2.

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3. ,,Der Ruf will gehört sein“ – das Profil des Gewissens

stimmte Formen des körperschaftlichen Gedankens“ waren bloße Mittel zur Vorbereitung.768 In Stadtlers Plädoyers für die Einrichtung von Räten war nie die Rede davon, dass aus der Mitte einer Betriebs- oder Arbeitergruppe ein Volksbeauftragter gewählt werden solle. Im Juni 1919 beschrieb er seine Vorstellungen eines Staatsumbaus, der arbeitsgemeinschaftliche Basis und diktatorische Herrschaft beinhaltete, indem ,,Reichsbürgerrat und Gewerkschaften, Unternehmer und Arbeiter in der Industriegemeinschaft, Landwirtschaft, geeinte freie Berufe, Mittelstandorganisationen“ zu einem ,,Gesamtkongreß des schaffenden deutschen Volkstums zusammenfinden, um gegenüber dem alten Parteiwesen ihre politisches Selbstverwaltungsrecht und im Staat ihre politisches Mitführungsrecht offiziell zu erklären“.769 Auf dieser ständisch geordneten Basis müsste eine ,,Volksregierung“ entstehen, ,,um der Diktatur eines parteifreien, aber programmfesten starken Mannes den Weg zu ebnen, der dann mit einem Ministerium von starken Persönlichkeiten aller Stände den Zusammenschluß der Parteien auf dem Boden seines Aktionsprogrammes erzwingen würde [...]“. Versiert und eingängig gelang es Albert Dietrich einen volksgemeinschaftlichen Sozialismus zu formulieren, der sich deutlich vom Kommunismus und Partei-Sozialismus abgrenzte. Auf der einen Seite müsse die ,,liberale kapitalistische Reaktion besiegt“ werden – womit die bürgerlichen Interessen eines ,,freien Spiels der Kräfte“ gemeint waren – und auf der anderen Seite müsse die ,,Arbeiterschaft erwachen und die Ausführung eines Programms verwerfen, das wirtschaftsfremd und in sich tot ist“. Der von Albrecht entworfene ,,Gemeinschaftssozialismus“ wollte ,,die Bourgeoisie überwinden, nicht damit alle Proletarier werden, sondern damit alle diejenigen Genossen einer Gemeinschaft, Bürger eines Staates werden, die noch die Ehre und die innere Einheit ihrer geliebten Vatererde über Klassenkampf und Terror setzen“. 770 Der kommunistischen ,,Diktatur des Proletariats“ wurde der ,,Volksstaat“ entgegengestellt, in dem jeder Teil der Volksgemeinschaft durch soziale Reformen eingebunden werden sollte und an dessen Spitze ,,vertrauensvolle“ Führungspersönlichkeiten stünden. Michel Grunewald stellt in seiner Analyse des Sozialismus-Begriffs im Gewissens fest: ,,Von allen Argumenten, die die Autoren von Gewissen geltend machten, war ihre Auffassung, dass Sozialismus nur national vorstellbar sei, wohl das wichtigste.“ Nach jungkonservativer Interpretation des populären und oft zitierten Dritten Weges sollte weder Hochkapitalismus noch Planwirtschaft, sondern ein starker Staat den Produzenten genügend Spielraum geben, um die wirtschaftliche Expansion voranzutrei-

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Fritz Weth (12.12.1920): Proletariat und Führung. Stimmen zum Merk- und Werbeblatt, in: Gewissen, 2, H. 49, S. 4. Eduard Stadtler (17.06.1919): Der Weg zur Tat, in: Gewissen, 1, H. 10, S. 1. Albert Dietrich (01.07.1919): Die Katastrophe!, in: Gewissen, 1, H. 12, S. 1–2.

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ben, die letztlich der nationalen Machtexpansion zugutekomme.771 Wenn im Gewissen eine ,,Diktatur der Wirtschaft“ abgelehnt wurde, dann bezog sich dies nur auf eine liberale Wirtschaftsordnung einerseits und sozialistische Betriebsstrukturen andererseits. An der Tatsache, dass die Wirtschaft mehr denn je machtpolitischer Leitsektor Deutschlands werden müsse und Unternehmer in die nationale Machtpolitik eingebunden werden, wurde im Gewissen nie gezweifelt. Das Sprechen über die Arbeiter und die Auseinandersetzung mit dem Kommunismus erlebten im Gewissen 1923 während der Ruhrbesetzung seinen Höhe- und Endpunkt. Schon im Juni 1921 hatte Moeller seinen Artikel ,,Sind Kommunisten Deutsche?“ mit Blick auf die kommunistischen Aufstände in Mitteldeutschland verfasst.772 Er zählte darin eine Reihe gemeinsamer rechter und linker Feindbilder auf und ließ den Eindruck entstehen, dass eine Annäherung möglich sei. Aber Moellers Botschaft, dass Kommunisten ,,abgeirrte Deutsche“ seien, die nur dann dem Wiederaufbau Deutschlands dienen würden, wenn sie sich zu allererst unter einen nationalistischen Primat stellen, war letztlich ein Aufruf zur Konversion. Moellers Artikel war zugleich ein Appell an nationalistische Verbände, die kommunistische Schlagkraft durch gezielte Abwerbung der Arbeiter zu schwächen: ,,Die Rechte muß wissen, daß es keine Möglichkeit für die Nation gibt, sich von diesem Frieden freizumachen, solange die deutsche Arbeiterschaft nicht mit der Nation, sondern wider sie ist. Es gibt keinen Freiheitskampf für ein Volk, das Bürgerkrieg im Rücken hat!“773

Bis zum Spätherbst 1922 deuteten noch einzelne Gewissen-Artikel von linksdeklarierten Autoren an, dass sich linke und rechte Aktivisten notwendigerweise annähern könnten, aber spätestens mit der Besetzung des Ruhrgebietes wurde im Gewissen die KPD als Konkurrenzeinrichtung im Wettbewerb um die Arbeiter angesehen.774 Schließlich wollten das Widerstands-Potenzial der Arbeiterbewegung Kommunisten wie Radikalkonservative für sich nutzen.775 Als die französischen Truppen einrückten lag für Moeller der Beweis auf der 771

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Grunewald ist insofern zu widersprechen, dass der Jungkonservatismus deshalb ein Konzept ,,linker Leute von rechts“ sei. Vielmehr bedeutete vor allem die Wirtschaftskonzeption eine Modernisierung des bis dahin unter liberalen Vorzeichen verstandenen Kapitalismus, der von nun an sehr viel enger an die Staatsräson gebunden werden sollte. Mit linken Positionen hatten diese Vorstellungen nichts zu tun. Grunewald: Auch Kommunisten, S. 436. Moeller van den Bruck (27.06.1921): Sind Kommunisten Deutsche?, in: Gewissen, 3, H. 26, S. 1–2; Grunewald: Auch Kommunisten, S. 442. Moeller van den Bruck (27.06.1921): Sind Kommunisten Deutsche?, in: Gewissen, 3, H. 26, S. 2. Fritz Weth (09.10.1922): Zwischen den proletarischen Parteien, in: Gewissen, 4, H. 33, S. 1–2; Fritz Dessau (11.12.1922): Betriebsrätebewegung und Außenpolitik, in: Gewissen, 4, H. 42, S. 1–2. ,,Das Jahr 1923, insbesondere die Ruhrbesetzung, bot der Moskauer Führung eine Gelegenheit, aus damaliger Sicht vielleicht für längere Zeit die letzte, Revolution in Deutschland und über Deutschland hinaus voranzutreiben.“ Hans Hecker: Karl Radeks

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Hand, dass jede Ergebenheit in das nationale Schicksal zum Untergang führe: ,,Nationalismus ist heute in Deutschland: Widerstand.“776 Und nur durch die Symbiose von Sozialismus und Nationalismus, also von proletarischer Harmonie und elitärem Geist, könne der Widerstand Erfolg haben. Dieses Argument stand nationalbolschewistischen Forderungen nahe, zielte jedoch anders als diese auf eine Distanzierung von den Sowjets oder russischen Kooperationen, denn ,,der Nationalist muss sich mit der Tatsache [...] auseinandersetzen, dass es Millionen von Deutschen gibt, die von der Idee der Nation marxistisch weggezogen sind.“ Moellers Werbung der Arbeiter für einen Nationalismus mit Sozialversprechen trat in Konkurrenz zum Anliegen des Deutschlandbeauftragten der Kommunistischen Internationale Karl Radek.777 Mithilfe Radeks Vorgaben änderte die KPD im Sommer 1923 ihre internationalistische Strategie, nachdem der ehemalige Freikorps-Kämpfer und Widerständler Leo Schlageter wegen Sabotageakte im Ruhrgebiet von der französischen Besatzungsmacht hingerichtet worden war.778 Schlageter stieg zum Märtyrer der deutschen Rechten auf. Radeks Strategie knüpfte daran an, als er auf einer Tagung in Moskau vorschlug, nun ,,bestimmte nationalistische Elemente in die kommunistische Propaganda aufzunehmen, ja, sogar mit einigen deutschen Nationalisten eine ,Front [...] gegen das ententistische und deutsche Kapital‘ herzustellen“.779 Eine solche Taktik der ,,Einheitsfront von unten“ war im Sinne der ,,damaligen außenpolitischen Linie Moskaus[,] eine ,Arbeiterregierung‘ zustande kommen [zu lassen], um den ,internationalen Faschismus‘ in Schach“ halten zu können.780 Radeks rhetorischer Clou lag darin, Schlageter

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Werben um die deutsche Rechte: Die Sowjetunion und der ,,Ruhrkampf “, in: Krumeich, Schatten des Weltkriegs, S. 187–205, S. 204. Moeller van den Bruck (25.061923) ,,Nationalistisch“, in: Gewissen, 5, H. 25, S. 2. Vgl. online http://www.dhm.de/lemo/html/biografien/RadekKarl/index.html, 08.05.2009. Zum Schlageter-Mythos s.a. Manfred Franke: Albert Leo Schlageter. Der erste Soldat des 3. Reiches. Die Entmythologisierung eines Helden, Köln 1980; Christian Fuhrmeister: Ein Märtyrer auf der Zugspitze? Glühbirnenkreuze, Bildpropaganda und andere Medialisierungen des Totenkults um Albert Leo Schlageter in der Weimarer Republik und im Nationalsozialismus, in: zeitenblicke, 3.2004, H. 1, online: http:// www.zeitenblicke.de/2004/01/index.htm, 20.04.2009. Über die KPD während dieser Phase vgl. Olaf Kistenmacher: Vom »Judas« zum »Judenkapital«. Antisemitische Denkformen in der Kommunistischen Partei Deutschlands der Weimarer Republik, 1918-1933, in: Matthias Brosch/Michal Elm/Norman Geißler/Brigitta Elisa Simbürger/ Oliver von Wrochem (Hrsg.): Exklusive Solidarität. Linker Antisemitismus in Deutschland, Berlin 2007, S. 69-86. Wolfgang Wippermann: Faschismustheorien. Die Entwicklung der Diskussion von den Anfängen bis heute, Darmstadt 1997, S. 15. Die Radek-Rede ,,Leo Schlageter, der Wanderer in Nichts“ wurde am 26. Juni 1923 in der ,,Roten Fahne“ veröffentlicht. Abgedruckt in Herrmann Weber (Hg.): Der deutsche Kommunismus, Dokumente 1915-1945, Köln 1973, S. 142–147. Grunewald: Auch Kommunisten, S. 447-448; Hecker: Karl Radeks, S. 198-201

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als Faschisten zu bezeichnen und im nächsten Schritt als bündnisfähig zu deklarieren, indem er seinen Mut als ,,Soldat der Konterrevolution“ hervorhob.781 In seiner Argumentation griff Radek nicht nur auf nationalistische, sondern auch antisemitische Argumente zurück.782 Er stellte die ,,Kreise der deutschen Faschisten, die ehrlich dem deutschen Volk dienen wollen“, vor die Wahl, entweder gegen den ,,Ententekapitalismus“ oder ,,gegen das russische Volk“ zu kämpfen. Radek bot damit eine ,,Einheitsfront schlechthin“ gegen den Westen an. Wie in vielen nationalistischen Zeitungen wurde auch im Gewissen Schlageter Bewunderung gezollt783 und Moeller selbst nahm sich vor diesem Hintergrund der Rede und des Anliegens von Radek an. In ,,Wanderer ins Nichts“784 betonte er, dass die Richtung der Radek-Rede zu erwarten gewesen sei, da für Sowjetrussland die Weltrevolution in immer weitere Ferne gerückt und die Kraft des Weltkapitalismus, der in alle Lebensbereiche eindringe, unbestritten sei. Radek suche nach Auswegen aus dem sowjetkommunistischen Dilemma und benutze das ausgebeutete deutsche Volk als Synonym für das ausgebeutete Proletariat. Die Bolschewiki würden trotz oder gerade wegen aller nationalistischen Rhetorik den ,,Klassenkampf über den Kampf der Nationen und die Interessen der Partei über die des Volkes“ stellten.785 Da die Kommunisten gemäß ihrer materialistischen Weltauffassung die organische Gesellschaftsordnung und Verbundenheit der ,,Stände“ auflösen wollten, könne kein ,,Stand“ außer den Arbeitern ein Interesse daran haben. Radek könne deshalb ,,keine Kopfarbeiter für sich gewinnen. Wohl aber werden die Geistesarbeiter die Sache des Volkes als die ihre führen“.786 Indem der Kommunismus den Widerstand der ,,Geistesarbeiter“ herausfordere, würden die sich im Gegenzug – so hoffte Moeller – der Nationalisierung des gesamten Volkes annehmen. Radeks Anfrage nach möglichen deutschnationalistisch-kommunistischen Zweck-Koalitionen beantwortete Moeller mit einer Absage, indem er auf die deutsche Vormacht in Europa verwies: 781

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,,Protokoll der Konferenz der Erweiterten Exekutive der Kommunistischen Internationale, Moskau 12.-23. Juni, Hamburg 1923, S. 112f., zitiert nach Dietrich Möller: Der skeptische Revolutionär. Karl Radek und Deutschland, in: Karl Eimermacher/Astrid Volpert (Hrsg.): Stürmische Aufbrüche und enttäuschte Hoffnungen. Russen und Deutsche in der Zwischenkriegszeit, München 2006, S. 247-290, hier 266-267. George L. Mosse: Die Geschichte des Rassismus in Europa, Frankfurt a.M. 1997., S. 219-220. Vgl. N. N. (04.06.1923) Schlageter, in: Gewissen, J. 5, H. 22, S. 3. Der Titel von Moellers Artikel in Anlehnung an die Rede Radeks: (02.07.1923): Der Wanderer ins Nichts, in: Gewissen, 5, H. 26, S. 1–2. ,,Solange der Bolschewismus nicht darauf verzichtete, in Deutschland die proletarische Revolution zu forcieren, erschien Moeller allenfalls eine Verständigung von Mensch zu Mensch, nicht aber von Bewegung zu Bewegung möglich.“ Breuer: Anatomie, S. 146-147. Moeller van den Bruck (02.07.1923): Der Wanderer ins Nichts, in: Gewissen, 5, H. 26, S. 2.

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,,Selbstverständlich ist es schon aus raumpolitischen Gründen das Gegebene, daß das deutsche Volk sich in einem Weltkampfe, den Deutschland gegen den Westen, den Ententekapitalismus, den Weltkapitalismus führt, sich auf den ,Osten‘ stützt – nicht auf irgendeine Regierung, sondern auf den Osten als solchen, und damit auf Russland.“787

Mit beiden Verweisen – zum einen auf die ideelle Schwäche des Marxismus und zum anderen auf die geopolitische Situation – signalisierte Moeller im Sommer 1923 den endgültigen Rückzug von der zu Beginn 1920 ,,noch relativ offenen“ strategischen Position gegenüber den Bolschewiki.788 Hatte er damals noch den Unterschied zwischen ,,Russland“ und ,,Kommunisten“ gemacht, äußerte er nun sein generelles Misstrauen gegen den Osten: ,,Wie aber, wenn der Osten, wenn Russland gar nicht tragfähig ist?“789 Moeller trennte außerdem zwischen einer internationalen Option auf Kooperation mit der UdSSR, die sich gegen die Friedensbedingungen des Versailler Vertrages richte und einer innenpolitischen Absage jeglicher ,,bolschewistischen Politik“ in Deutschland. Mit dieser streng machtpolitischen Haltung zog sich Moeller von weiteren Auseinandersetzungen mit Russland und den Sowjets im Gewissen zurück. Nach der Debatte mit Radek und dem Ende des Austausches zwischen Jungkonservativen und Kommunisten790 , konnten nicht mehr wie bisher russlandfreundliche Artikel erscheinen. Dem Wirtschaftsexperten und späteren Mitherausgeber des Völkischen Beobachter Fritz Nonnenbruch beschied Moeller im September 1923, einen zu russlandfreundlichen Artikel vorgelegt zu haben: ,,Wir sind da sehr viel skeptischer und erblicken in der Aeusserung dieser Skepsis geradezu eine gebotene Taktik gegenüber Russland. Jedenfalls: Ihre Forderung eines deutsch-russischen Zusammengehens überzeugt uns nicht.“791 Die Gewissen-Autoren verwandten den populären Sozialismus-Begriff, um soziale Versprechungen und nationalistische Forderungen zu einer Klammer für ein national-wirtschaftliches Ordnungskonzept zu verbinden. Mit den Schlagworten ,,Dritter Weg“ und ,,Deutscher Sozialismus“ verbanden sie Instrumentarien einer radikalen Ordnungspolitik, wobei sie bis 1923 den Eindruck vermittelten, möglicherweise mit sowjetischen Kadern kooperieren zu können. Danach änderten sich im Gewissen die Äußerungen zur Arbeiterbewegung und zum Kommunismus deutlich. Da die sowjetische Führung ihre 787

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Ebd., S. 2. Die Auseinandersetzung Radek/Moeller van den Bruck wurde über das Gewissen hinaus zur Kenntnis genommen. Im gleichen Jahr wurde eine Broschüre herausgegeben, in der beider Beiträge, sowie ein Artikel von Graf Ernst zu Reventlow und Paul Frölich abgedruckt waren. BArch Koblenz Zsg. 2/149–20 Zeitgeschichtliche Sammlung/Ruhrkampf: Schlageter. Die Auseinandersetzung 20/1923. Grunewald: Auch Kommunisten, S. 449. Moeller van den Bruck (30.07.1923): Wirklichkeit. Eine Antwort, in: Gewissen, 5, H. 30, S. 1–3. Grunewald: Auch Kommunisten, S. 445-427. BArch Koblenz R 118/34, Akten des Politischen Kollegs: Brief (13.09.1923) Moeller van den Bruck an Fritz Nonnenbruch.

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Revolutionierungs- und Nationalisierungspolitik in Deutschland verstärkte, zog Moeller alle bisherigen Kooperationsüberlegungen zurück. Von nun an war seine ,,Ostorientierung“ misstrauisch, resignativ und er schrieb über Russland nur noch im Kontext seiner Ordnungsvorstellungen zu Europa. 3.5.4 Die Ordnung Europas nach Völkern und Rassen Gewissen-Artikel zum Themenkomplex Russland standen im Kontext der jungkonservativen Europa-Entwürfe, die maßgeblich durch Moellers Idee vom ,,Recht der jungen Völker“ bestimmt waren und ab 1923/24 verstärkt thematisiert wurden. Diese Entwürfe reihten sich in einen übergreifenden Europa-Diskurs ein, der in der Zwischenkriegszeit Bürgertum wie Adel beherrschte, die von West und Ost eine Bedrohung europäischer oder auch ,,abendländischer“ Interessen ausgehen sahen.792 Michel Grunewald ordnet die Gewissen-Aussagen innerhalb des Europa-Diskurses als einheitlich und kontinuierlich auf völkischer Basis verfasst ein.793 Von einer völkischen Basis als Motivation für die Europa-Konzepte kann zwar ausgegangen werden, aber die Annahmen über Umfang und Radikalität der Veröffentlichungen lassen sich an dieser Stelle modifizieren. Das langfristige Ziel jungkonservativer Konzepte und utopischer Entwürfe war immer die Durchsetzung einer deutschen Vormacht in Europa, aber die argumentativen Methoden wandelten sich. Trotz aller Vorwürfe und Ressentiments gegenüber England betonten jungkonservative Europa-Ideen immer dessen unhintergehbare Macht als Inselstaat außerhalb von Kontinentaleuropa. Gewissen-Artikel unterstellten ein großes Interesse Englands an einer deutschen Hegemonialmacht auf dem Kontinent und stellten vor diesem Hintergrund die Machtsphären von England mit dem Commonwealth einerseits und Deutschland auf dem Kontinent andererseits fest. Umso irritierter zeigten sich die Artikel angesichts einer wirtschaftlichen Zusammenarbeit von England und Russland.794 Stattdessen forderte Moeller England zu einer ,,Partnerpolitik“ auf, die Deutschland auf dem Kontinent eine ,,asiatische Politik“ gegenüber Russland betreiben ließe, ,,die nicht auf Erwerb und Beherrschung gegründet ist, sondern auf Durch792

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Guido Müller: ,,Europa“ als Konzept adlig-bürgerlicher Elitendiskurse, in: Heinz Reif (Hrsg.): Adel und Bürgertum in Deutschland. Entwicklungslinien und Wendepunkte im 20. Jahrhundert, Berlin 2002, S. 235-268, S. 236. Grunewald: Reichseuropa, S. 333. Grunewald bezieht sich auf die Artikel: Hutten (07.07.1920): Ihr Jungen in allen Parteien, in: Gewissen, 2, H. 26, S. 1 und auf einen Artikel Helmut von den Steinens aus dem Jahr 1926. Moeller van den Bruck (25.02.1920): Unsere Entscheidung, in: Gewissen, 2, H. 8, S. 1– 2; Alexander Ringleb (11.02.1920): Dagoe und Oesel, das neue Gibraltar, in: Gewissen, 2, H. 6, S. 2–3; Eduard Stadtler (18.02.1920): Weltpolitik und Führung, in: Gewissen, 2, H. 7, S. 1–2; G. Buetz (06.06.1921): Der englisch-russische Handelsvertrag, in: Gewissen, 3, H. 23, S. 3.

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dringung des unendlichen Bereiches, das [sic] sich im Osten an Mitteleuropa anschließt“.795 Das Europa-Konzept Moellers löste sich zwar rhetorisch vom wilhelminischen Imperialismus, aber führte inhaltlich die deutsche Kriegszielpropaganda fort und weiter.796 Die Gebiete zwischen der neuen deutschen Ostgrenze und Russland galten demnach als deutsch und Russland darüber hinausgehend als möglicher Siedlungsraum. Kooperationen mit Russland galten solange als akzeptabel, bis die deutsche Machtpolitik in Osteuropa Fuß gefasst hätte. Die Expansion sollte vor allem Polen betreffen, wie einer der Experten für das deutsche Volkstum im Osten, Rolf Schierenberg, ausführte, um es ,,auf seine eigentlichen Grenzen zurückzuwerfen, und sich gegen seine Uebergriffe zu sichern. Und es ist weiterhin ein gleiches Interesse Rußlands wie Deutschlands, die polnische Frage gemeinsam auf eine Weise zu lösen, die die Voraussetzungen schaffen würde, für eine Weltpolitik Mittel- und Osteuropas gegen die ausbeutenden Staaten des westlichen Kapitalismus.“797

Die Motivation der meisten Gewissen-Autoren, Deutschland als ,,Vormacht“ in Europa zu begreifen, lag auch in der Gegnerschaft zu Frankreich begründet. Die Konfliktlinie Deutschland-Frankreich gehörte in Moellers Völkertableau zu den wenigen, die er seit seiner Schrift von 1919 ,,Recht der jungen Völker“ mit gleichbleibender Schärfe aufrecht erhielt.798 Im gleichen Maße, wie die Gewissen-Rhetorik die osteuropäischen Länder diskreditierte und dort das ,,deutsche Volkstum“ um sein Recht gebracht sah, zog sie im Westen die Grenze zu Frankreich höher, denn dort hörte nach jungkonservativer Auffassung Europa auf: ,,Der Westen ist nicht Europa“ stellte Moeller Ende 1919 fest.799 In seiner ,,Antwort“ an Maurice Barrès von 1921 entgegnete er dem französischen Nationalisten, dass dessen Ansprüche auf eine europäische Hegemonie aussichtslos seien, denn Frankreich sei von ,,den neuen Ideen ausgeschlossen [. . . ], nach denen jüngere Völker sich auf der Erde einzurichten suchen. Frankreich hat nur das Ende seiner Werbekraft zu fürchten. Und dieses Ende beginnt heute am Rheine“.800 Indem Frankreich von den ,,neuen Ideen“ ausgeschlossen wurde, konnte Deutschland als Speerspitze eines Europas der ,,jungen Völker“ gelten.

795 796 797 798 799 800

Moeller van den Bruck (10.03.1920): Vasallenpolitik, in: Gewissen, 2, H. 10, S. 2–3. Grunewald: ,,Reichseuropa“ gegen ,,Paneuropa“, S. 332. Rolf Schierenberg (30.07.1923): Die polnische Frage, in: Gewissen, 5, H. 30, S. 3–4. Werth: Sozialismus, S. 91. Moeller van den Bruck (10.12.1919): Die außenpolitische Entscheidung, in: Gewissen, 1, H. 35, S. 1–2. Moeller van den Bruck (23.02.1921): Antwort an Barrès, in: Gewissen, 3, H. 8, S. 2–3.

3.5 Ordnung Europas

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Rassismus

Neben politischen, geographischen und kulturellen Argumenten für eine europäische Solidarität unter deutscher Vormacht flossen von Beginn an auch solche Elemente in die Gewissen-Publizistik ein. Schon 1921 stellte Frithjof Melzer eine vorsätzliche ,,Verseuchung des Volkstums“ durch die französischen Truppen im Rheingebiet fest.801 Als schließlich 1923 französische Kolonialtruppen das Ruhrgebiet besetzten, konnte im Gewissen die ,,Beweisführung“ angetreten werden, dass Frankreich endgültig nicht nur Europa, sondern die ,,weiße Rasse“ verraten habe und allein Deutschland noch ihr ,,Rückgrat“ bilde.802 Schon im Februar fand in der Spitzglosse die rassistische Kommentierung des Einsatzes von Kolonialtruppen durch Frankreich statt: ,,Die Politik Frankreichs bedroht nicht Deutschland allein, bedroht und entscheidet über das Schicksal der weißen Rasse. [. . . ] Das deutsche Volk war und ist heute noch das Rückgrat der weißen Rasse. Mit dem tötlich [sic] gemeinten Angriff auf dieses Volk stößt Frankreich in das Herz der weißen Rasse.“803

Bis dahin waren rassistische Artikel vereinzelt von Ernst Krieck, Heinrich Riedinger, Kurt Hildebrand oder dem erwähnten Melzer veröffentlicht worden.804 Ab 1923 nahmen die Artikel im Gewissen, die sich explizit der so genannten Rassenhygiene annahmen, sprunghaft zu. Von der ,,Entfesselung des Deutschen“ über ,,Zucht“-Konzepte bis hin zu einer ,,biologischen“ Begründung deutscher Expansion äußerten Gewissen-Autoren ihren Rassismus.805 Im Zuge der politischen Stabilisierung Europas dienten rassistische Erklärungen zunehmend der Profilierung nationalistischer Weltdeutungen und die Jungkonservativen erhielten auf diesem Feld wie so of wegweisende Anstöße vom spiritus rector Moeller. Moeller hatte mit knapp 30 Jahren die Schriften des populären Vordenkers des Rassegedanken Arthur Graf Gobineau806 für sich entdeckt. Die systematische Ausarbeitung und positive Anreicherung durch Gobineaus Übersetzer 801 802 803 804

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Frithjof Melzer (23.05.1921): Verseuchung des Volkstums, in: Gewissen, 3, H. 21, S. 2. Grunewald: ,,Reichseuropa“, S. 334. N. N. (12.02.1923): Das Rückgrat, in: Gewissen, 5, H. 6, S. 1. ,,Rassistisch“ meint hier die Verwendung rassistischer Argumentationen, um eine biologische Auf- oder Abwertung vorzunehmen. Ernst Krieck (30.03.1921): Soziale Demokratie, 1, in: Gewissen, 3, H. 13, S. 2–3; Heinrich Riedinger (25.07.1921): Die Zerstörung der Liebe, in: Gewissen, 3, H. 30, S. 2; Kurt Hildebrand (09.10.1922): Die germanische Heldensage, in: Gewissen, 4, H. 33, S. 2–3. Heinrich von Gleichen (26.03.1923): Die Entfesselung des Deutschen, in: Gewissen, 5, H. 12, S. 1–3; Ernst Krieck (26.03.1923): Zucht – Freiheit – Menschenwürde, in: Gewissen, 5, H. 12, S. 2–3; Erich Brock (10.03.1924): Deutschlands Lage als biologisches Problem, in: Gewissen, 6, H. 10, S. 2–3. Joseph Arthur Comte de Gobineau: Essais sur L’inégalité des races humaines, Paris 1853/55; 1898-1901 von Ludwig Schemann auf Deutsch herausgegeben. Vgl. Becker: Wege ins Dritte Reich, S. 502, sowie den Kommentar zum ,,Wahlgermanen“ Gobineau bei Victor Klemperer: LTI. Notizbuch eines Philologen, Leipzig 2001, S. 163-167.

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3. ,,Der Ruf will gehört sein“ – das Profil des Gewissens

Ludwig Schemann inspirierte Moellers Auseinandersetzung mit ,,Rassefragen.“807 In einem Briefwechsel mit Schemann von 1909 gratulierte Moeller zu dieser ,,so vortrefflich zusammengetragenen“ Geschichtsschreibung der Rassetheorien.808 Schon damals sah Moeller, dass ,,sich der Rassegedanke immer mehr zu einem Nationalgedanken zuspitzt“ von der das ,,lebendige Leben unseres Volkes abhängt“ und die Deutschen zur kulturellen Führung in Europa berufe.809 In Moellers Denken bildete der Rassegedanke die Schnittstelle zwischen Volk und Nation, mit dem erst die ,,unsichtbaren Ursachen des Schicksals der Völker und Gesellschaften“ sichtbar würden. Den Rassetheoretikern des 19. Jahrhunderts warf er vor, durch den Primat der ,,Rassenreinheit“ die ,,Geistigkeit“ und somit die Notwendigkeit von ,,Rasseneinheit“ verkannt zu haben. Rassismus, wie er schließlich im Gewissen transportiert wurde, war an Moellers polymorpher Rasseauffassung orientiert – einem ,,metaphysischen Begriff “810 von Rasse, der zugleich geistige und biologische Anteile betonte. Anfang 1924 erschien im Gewissen ein Artikel Moellers, der die Bedrohungen der ,,deutschen Rasse“ in der Mitte Europas in düsteren Bildern beschrieb.811 Ohne näher auf die Möglichkeiten einer psychologischen Textexegese eingehen zu wollen, soll dennoch auf gewisse Ähnlichkeiten der Textsprache mit Moellers damaliger persönlicher Verfassung hingewiesen werden.812 Moellers düstere Deutschlandumschreibungen entstanden in einer Phase, während der auch sein eigener ,,totaler Verfall“ begann.813 Er beklagte in ,,Das unheimliche Deutschland“ die ,,Tragödie der deutschen Anständigkeit“ und einen fatalen Hang, mit ,,Unbekümmertheit“ in Kämpfe zu ziehen, ohne den Ausgang, und sei es eine Niederlage, auch zu nutzen. Moeller nahm wie so oft das Bild des genialen und unverstandenen Außenseiters als Vorlage für seine Begründung einer deutschen Auserwähltheit. Die ,,Feinde“ würden nur blind und ahnungslos ,,in den deutschen Nebel, in die deutschen Wälder, in Metaphysik und Metapolitik“ stoßen.814 Dieses ,,unbegreifliche“ deutsche Volk habe korrekt und treuherzig den Weltkrieg 807 808 809

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Universitätsbibliothek Freiburg NL 12 Karl Ludwig Schemann: Brief (02.02.1909) Moeller van den Bruck an Ludwig Schemann. Ebd. Stefan Breuer: Nationalismus und Faschismus. Frankreich, Italien und Deutschland im Vergleich, Darmstadt 2005, S. 18. Moeller van den Bruck: Die Deutschen, 8 Bde., Bd. 7: Scheiternde Deutsche, Minden i. W. 1907, S. 266-268. In Abgrenzung zu: Michel Grunewald: Moeller van den Bruck. Band 1, Geschichtsphilosophie. Band 2, Rasse und Nation: drei Texte zur Geschichtsphilosophie, Bern 2001., S. 48 FN 131. Moeller van den Bruck (07.01.1924): Das unheimliche Deutschland, in: Gewissen, J. 6, H. 1, S. 1–3. Diese Parallele sieht auch Breuer im ,,Dritten Reich“, vgl. Breuer: Anatomie, S. 44. Petzold: Wegbereiter, S. 170-172. Moeller van den Bruck (07.01.1924): Das unheimliche Deutschland, in: Gewissen, 6, H. 1, S. 1.

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erklärt und dadurch alle Völker, die ihn diplomatisch vorbereitet hätten, entlastet. Mit der durch den Zusammenbruch erfahrenen Ernsthaftigkeit nähme man jetzt die politische Sendung Deutschlands wahr, das Kernstück Europas zu sein: ,,Wir können gar kein Volk der europäischen Zerstreuung werden, können es schon deshalb nicht werden, weil wir dieses Land der unheimlichen Mitte von Europa sind und nach dem Willen unsrer Lagerung ein Europa immer nur durch Uns werden kann.“815

Im April 1924 sagte Moeller recht treffend voraus, dass auf das ,,Zeitalter der Weltpolitik“, dem Imperialismus, ,,die Geschichte der Rückzugstrassen“ folge, ,,auf denen sich Europa aus den anderen Weltteilen zurückzieht“ und auch dabei untereinander bekämpfen werde. Gleichzeitig betonte Moeller, dass der deutsche ,,Sonderfall unter den Völkern“ zwar ,,aus seinem Blute einen Erdteil aufgebaut hat, aber zu seiner eigenen Kultur immer nur in Ansätzen kam“.816 Um dieses angebliche Defizit aufzuholen, verlangte Moeller die ,,Nationalisierung der germanischen Rasse“, denn ,,Rasse hat immer nur Nationen geschaffen, welche dann Geschichte schufen“. Moeller spitzte seine These vom Januar 1924, das Bewusstsein bestimme das Sein, weiter zu: ,,Der Mittelpunkt der Welt ist immer dort, wo Menschen das Bewusstsein fassen, dieser Mittelpunkt zu sein.“817 Dieser Umstand gelte besonders für Europa und seine europäische ,,Rasse“. Die Rassenlehre des 19. Jahrhunderts sei vergangenheitsorientiert und regressiv gewesen. Moellers Fortschrittsglauben ließ ihn davon überzeugt sein, dass ,,Rasse sich immer wieder aus dem Mythos erneuert, der genau so ewig ist, wie die Natur, und wie das Gedächtnis von Völkern, die sich ihrer Rassenherkunft bewusst bleiben“. Der Kampf der Nationen untereinander sei insofern natürlicher Bestandteil des Rassenmythos, denn ,,Rasse ist ein Geheimnis. Sie geht verloren, verändert sich, entsteht wieder. Sie schlägt immer wieder durch. Sie saugt entweder auf oder wird aufgesogen. Rasse ist nicht. Rasse wird.“ Moeller folgte binnenlogisch seinem Primat der Nation, indem er die ,,Rasseneinheit“ über die ,,Rassenreinheit“ stellte, wodurch er ,,Körperlichkeiten und Geistigkeiten“ positiv ineinander aufgehen ließ. An diesem Punkt erfolgte ein Bruch in seiner Argumentation, denn nun schienen Rassen doch per se existent zu sein, ,,deren Blut und deren Geist lange verarbeitet und lange und tief eingeschmolzen werden müssen, damit sie nicht zersetzend, entartend, entrassend wirken können“. Die klassischen ,,entarteten Rassen“, Juden und indigene Afrikaner, galten in Moellers Europakonzept als Gefahrenherde für die europäische Rasse: der jüdische ,,Marx war blutmäßig unvertraut mit dem Willen in der abendländischen Geschichte“ und Frankreich versuche ,,mit dem dunklen und wilden Blute von Fremdkörpern und Kolonialtrup815 816 817

Ebd., S. 3. Moeller van den Bruck (07.04.1924): Rasse, in: Gewissen, 6, H. 14, S. 1–2. Auch abgedruckt in: Moeller van den Bruck: Recht der jungen Völker, S. 202–206. Ebd., S. 2.

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pen [seine Hegemonie zu stützen], das in die europäischen Blutbahnen die Zersetzung der Rasse hineinträgt“.818 Hatte Moeller im ersten Teil seines Artikels noch das Bewusstsein als Träger der Rasse bestimmt, setzte er nun das deutsche Volk absolut: ,,Wir sind ein Sondervolk unter den Völkern. Wir sind ein Großvolk, das aus seinem Blute einen Erdteil aufgebaut hat, aber zu seiner eigenen Kultur nur in Ansätzen kam.“ Moeller versuchte seiner Vorstellung von Rasse eine spezifische Note zu geben, indem er konstruierte, die ,,deutsche Rasse“ sei weniger durch biologische Determinanten als durch Nationalisierung des Germanentums entstanden, woran sie wieder anknüpfen müsse.819 Moeller materialisierte hier einen ,,Volksgeist“820 , den er national geordnet und immer im Fluchtpunkt von ,,Rasse“ sehen wollte: ,,Wenn wir heute wieder von Rasse sprechen, dann tun wir es mit dem Bewusstsein, dass es dieses Mal um Sein oder Nichtsein geht, und nicht um eine Theorie, die nur auf den Menschen angewandter Materialismus war.“821 Für Europa bedeutete dies nach Moellers Sicht, dass ,,Deutschland die Voraussetzung für Europa“ sei, so wie ,,Europa die Auswirkung von Deutschland sein kann“.822 Moellers völkisch-rassistischer Ansatz – der den Ortsgeist mit Biologismus anreicherte und einen Anteil Bewusstsein zuließ – war einigen Lesern des Gewissens nicht radikal genug.823 Drei Wochen nach dem ,,Rasse“-Artikel musste er auf eine Zuschrift reagieren, in der das Prinzip der ,,Rasseneinheit“ vor ,,Rasenreinheit“ angegriffen wurde. Moeller stellte zwar noch einmal ausdrücklich fest, dass die Rasse nur eine Vorstufe zur Nation sein könne und deshalb das Bewusstsein über die Bestimmung zur Nation die entscheidende Komponente einer Rasse sei. Im Umkehrschluss blieb aber die ,,blutmäßige Rassengrundlage“ unaufhebbar in Moellers Denken und untermauerte sie das radikale Potenzial seines Nationenkonzepts. Moellers zentrales Thema, das er in seinem letzten aktiven Jahr im Gewissen ausbreitete, blieb das ,,deutsche Wesen“ auf rassischer Grundlage und sein Fortschrittsprozess auf dem Weg zu Europas beherrschender Nation.824 Denn die deutsche Nation ,,ist die Mittle-

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Ebd., S. 2. Der Rassismus an sich stand nie zur Disposition, lediglich die ,,plumpen Verherrlicher“ der Rasse, denen intellektuelle Kurzsichtigkeit unterstellt wurde und die Unfähigkeit den entscheidenden ,,Schritt ins Weltpolitische“ zu tun. Moeller van den Bruck (07.04.1924): Rasse, in: Gewissen, 6, H. 14, S. 2. Breuer: Ordnungen, S. 75. Moeller van den Bruck (07.04.1924): Rasse, in: Gewissen, 6, H. 14, S. 1. Moeller van den Bruck (03.03.1924): Europäisch, in: Gewissen, 6, H. 9, S. 1–3. Zuschrift von Hermann Harder sowie Erwiderung von Moeller van den Bruck (28.04.1924): in: Gewissen , 6, H. 17, S. 3–4. Wie im ,,Preußischen Stil“ von 1916, bzw. 1922, nahm er auch Mitte 1924 noch einmal die ghibellinische (mittelalterliche Kaisertreue im Gegensatz zu propäpstlichen Guelfen/ Welfen) Variation auf, um seine These der ,,Rasseneinheit“ zu unterstreichen: Moeller van den Bruck (09.06.1924): Hie Waiblingen!, in: Gewissen, 6, H. 23, S. 1–3.

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rin zwischen dem Menschen und der Menschheit“ und in ihrem ,,Volkstum [ist] alles Leben“.825 Europa und Faschismus

Da die Trias aus Rasse-Volk-Nation die Basis in Moellers europäischem Völkerkonzept bildete, galt die Paneuropa-Bewegung, die den europäischen Nationalstaatsgrenzen entgegenwirken wollte, den Jungkonservativen als natürlicher Feind Europas. Moeller warf den Paneuropäern Oberflächlichkeit vor, wenn sie schlussfolgerten, ,,daß diese europäischen Völker nur vereinigt zu werden brauchen, um Europa auch in einem Zeitalter der Weltpolitik, der Großgruppierungen der Mächte und der Panbewegungen der Erdteile, Religionen und Rassen wenigstens noch als fünftes Kraftfeld behaupten zu können.“826 Vielmehr müsse jedes Volk radikal auf seinen eigenen Nationalismus zurückgeführt werden. Da die Grenzen als sichtbares Zeichen nationaler Souveränität galten und sich radikale Nationalisten wie die Jungkonservativen darum bemühten, einen umfangreicheren Grenzverlauf Deutschlands durch ein angebliches deutsches Volkstum zu begründen, konnten nationalistische Bewegungen in anderen europäischen Ländern nur begrenzt, im wahrsten Sinne des Wortes, akzeptiert werden. Radikalen Nationalisten, wie den italienischen Faschisten, stand das Gewissen entsprechend zwiespältig gegenüber, denn einerseits lagen die anti-liberalen und anti-republikanischen politischen Gemeinsamkeiten auf der Hand, aber andererseits konnte die jungkonservative elitäre Binnenlogik den italienischen Faschismus nicht als gleichrangig akzeptieren oder ihm einen ähnlichen Erkenntnisgewinn zugestehen. Seit seinen Italienreisen, Erfahrungen mit dem Futurismus und dem Erscheinen von ,,Die italienische Schönheit“ im Jahr 1913, nahm Italien in Moellers Völkertableau eine Sonderstellung ein. Das nationalistische Dilemma ergab sich aus der Idee vom ,,Recht der jungen Völker“, nach der einerseits eine Art Solidarität zwischen den als jung bezeichneten Völkern und Nationen bestehe, aber andererseits im Jungkonservatismus die deutsche Suprematie außer Zweifel stand. In Moellers Begründung folgte deshalb recht uneindeutig dem horizontalen Prinzip, von dem die deutsche Überlegenheit zu Russland und Frankreich abgeleitet wurde, das vertikale in Bezug auf Italien. Noch bevor Mussolini als Führer der faschistischen Bewegung an die Macht kam, stellte Moeller 1920 im Artikel ,,Stellung zu Italien“ klar: ,,Italien ist nicht Westen. Italien ist Süden und Osten zugleich.“827 Moeller sah in Italien zwar einen potenziellen Partner Deutschlands in der europäischen Politik, 825 826 827

Moeller van den Bruck (17.11.1924): Friedrich List, Beilage Die Manen 4, in: Gewissen, J. 6, H. 46, S. 5. Moeller van den Bruck (03.03.1924): Europäisch, in: Gewissen, 6, H. 9, S. 1–3; ähnlich auch Rolf Schierenberg (31.03.1924): Das Problem Europa, in: Gewissen, 6, H. 13, S. 5-6. Moeller van den Bruck (29.09.1920): Stellung zu Italien, in: Gewissen, 2, H. 38, S. 1–2.

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3. ,,Der Ruf will gehört sein“ – das Profil des Gewissens

jedoch müsse einkalkuliert werden, dass das ,,Verhängnis der italienischen Politik“ in ihrer ,,Schwäche“ liege. Diese Schwäche – der Krieg habe dies eindrücklich gezeigt – ,,haftet an seinen Menschen, an seiner Küstenlage, und heute besonders empfindlich an seinen Wirtschaftsbedingungen“. Der Bezug zu seiner ,,Ortstheorie“, die Moeller schon in ,,Die italienische Schönheit“ anwandte, um den seiner Meinung hybriden völkischen Status von Italien zu erklären, tauchte hier wieder auf. Die relative gegenseitige Anerkennung war zu Beginn der 1920er Jahre eine heikle Strategie europäischer radikalnationalistischer und faschistischer Bewegungen; sie gelang umso besser je fluider die inhaltlichen Positionen formuliert wurden.828 Zur Abgrenzung des eigenen Denkens sprach Moeller vom ,,deutschen Nationalismus“ und wies den Faschismus-Begriff allein den Italienern zu, so wie schon der Bolschewismus als rein russisches Phänomen galt. Während innenpolitisch um die Vereinnahmung von kursierenden Begriffen wie ,,Volk“ oder ,,Sozialismus“ gerungen wurde, versuchten die Jungkonservativen sich beziehungsweise Deutschland außenpolitisch mit Alleinstellungsmerkmalen zu versehen. Moeller hatte 1922 kurz nach Mussolinis ,,Marsch auf Rom“, den Artikel ,,Italia docet“829 verfasst. Darin betonte er die positiven Motive der Italiener und ,,die Lehre, die Italien uns erteilt [...], dass ein Volk nur dann zu seiner politischen Einheit gelangt, und sich in ihr behauptet, wenn es vorher seine enthusiastische Einheit hat“.830 Moeller betrachtete jedoch keineswegs den Faschismus als eine Weiterentwicklung des Nationalismus, sondern vielmehr als einen Teil ,,der konservativen Gegenbewegung, die durch Europa geht“.831 1923 lehnte Moeller es schließlich ab, ,,für den deutschen Nationalismus Radeks Wort vom ,deutschen Faschismus‘ zu übernehmen. Faschismus sei durchaus eine Sache der Italiener.“ Moeller wollte zum einen die deutsche Rechtsopposition nicht europäisch vereinnahmen lassen und zum anderen gab es konkrete politische Konflikte mit Italien. Die Minderheitenfrage

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Als Benito Mussolini 1923 Deutschland besuchte, ,,hielt er es für taktisch klug, jede grundlegende Ähnlichkeit zwischen dem Faschismus und den deutschen autoritären nationalistischen Gruppierungen zu bestreiten“. Stanley Payne: Geschichte des Faschismus. Aufstieg und Fall einer europäischen Bewegung, München 2001, S. 562. Ab Ende der 1920er Jahre ,,gingen jedoch Mussolini und eine Reihe anderer faschistischer Führer immer stärker, wenn auch nicht unbeirrbar, dazu über, Kontakte zu anderen nationalistischen Gruppen im Ausland zu pflegen und sie zu unterstützen.“ Ebd. S. 563-564. Moeller van den Bruck (06.11.1922), Italia docet, in: Gewissen, 4, H. 37, S. 1. Ebd., S. 1. Breuer: Anatomie, S. 127.

3.5 Ordnung Europas

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in Südtirol832 ließ eine Annäherung an den italienischen Faschismus nur eingeschränkt zu. Moellers Anerkennung und gleichzeitige Abgrenzung vom Faschismus korrespondierte mit Auffassungen deutscher Nationalisten, die den italienischen Faschismus vor Ort erlebten. Denn nach dem ,,Marsch auf Rom“ galt die ,,Schule des Fascismus“ durchaus als prototypische Bewegung, um einen ,,starken Staat“ auch in Deutschland durchzusetzen.833 Der junge Journalist und DNVP-Mitglied Gottfried Rösel, Gewissen-Autor des äußeren Kreises, berichtete aus Italien, dass er sich ,,tüchtig“ anstrenge ,,für Deutschland zu wirken, in dem ich zur rechten Zeit mit allen Dingen herausplatze, die wir gegen Italien auf dem Herzen haben und andererseits der D.nat. Volkspartei über die hiesigen Dinge berichte“.834 Rösel setzte sich demnach in Italien für die Tirol-Frage ein, indem er ,,den Italienern unter die Nase [rieb], dass Deutschland eine Grossmacht ist“.835 Nach einem halben Jahr Aufenthalt in Italien kam Rösel im Februar 1926 zu einem Urteil, das auch Moeller, wenngleich in metaphysischer Rhetorik, einige Jahre zuvor getroffen hatte: ,,Ich wundere mich oft, wie oberflächlich der Faschismus ist. Jedenfalls wird man sich auf die Dauer nicht auf ihn verlassen können. Es gehört nicht viel dazu, um das reiche Italien zur Blüte zu bringen.“836 Insgesamt wurden im Gewissen die radikalnationalistischen Bewegungen Europas pessimistisch bewertet, mehr denn je als sich 1924 eine politische Stabilisierung Europas durch den Dawes-Plan und Deutschlands Beitrittsaussichten zum Völkerbund abzeichnete. Während Moellers Artikel 1924 über seine metaphysischen Rassekonstruktionen von einem eigentümlichen Autismus beherrscht waren, widmeten sich Gleichen und Boehm konkreter einer europäischen Machtpolitik. Ähnlich wie die innenpolitische Fraktionierung der ,,nationalistischen Opposition“ beklagt wurde, urteilte das Gewissen, dass ,,das ganze alte Festland [. . . ] infolge seiner Selbstzerfleischung zu einem machtpolitischen Vakuum“ geraten sei, dessen einziger Nutznießer die USA seien, und dort nicht nur ,,die überseeische Judenheit“, sondern die gesamte ,,Weltfinanzherrschaft“. Boehm sprach

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Vgl. auch die Artikel von Georg von Tschurtschenthaler u. a.: (16.05.1921) ,,Mussolinis Kampfansage an das deutsche Volk“, in: Gewissen, 3, H. 20, S. 3. Zur Problematik der unterschiedlichen Sprachgruppen in Südtirol und zur ,,faschistischen Südtirolpolitik“ zwischen 1922 und 1939 vgl. auch Rolf Steininger: Die Südtirolfrage, in: Archiv für Sozialgeschichte, 40.2000, S. 203–230. Victor Wagner (09.10.1922): Die Schule des Fascismus, in: Gewissen, 4, H. 33, S. 3; ähnlich auch Artur Zickler (24.12.1923): Das junge Italien, in: Gewissen, 5, H. 51, S. 2; eine ,,kulturhistorische“ Würdigung durch Eduard Heyck (10.09.1923): Die Fasci und das mussolinische Italien, in: Gewissen, 5, H. 36, S. 2–3. DLA Marbach A: Paul Ernst 61.1847 8: Brief (16.12.1925) Gottfried Rösel an Paul Ernst. Ebd. DLA Marbach A: Paul Ernst 61.1847 10: Brief (26.02.1926) Gottfried Rösel an Paul Ernst.

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3. ,,Der Ruf will gehört sein“ – das Profil des Gewissens

im September von ,,Euramerika“, um die internationale Erfolglosigkeit der nationalistischen Bewegungen in Europa zu markieren.837 : ,,Die Frage muß mit allem Ernst gestellt werden, welche ernstzunehmenden Kräfte kontinentalen Ursprungs der Entfaltung von Euramerika überhaupt noch entgegenstehen. Vom verkleinbürgerlichten Sozialismus brauchen wir wohl nicht zu reden. [. . . ] Einen europäischen Kommunismus gibt es nicht. Die Marionetten Moskaus könne bestenfalls im Reichstag pfeifen und boxen. Bleiben noch die Radikalnationalisten und die Konservativen.“

Die radikalnationalistischen Gruppen ähnelten sich zwar in ihrer Struktur, aber ihnen fehle eine gemeinsame Idee, um ,,gegenüber der amerikanischen Gefahr“ zusammenzufinden. Das Potenzial hierfür sah Boehm wenig überraschend bei den deutschen Anführern der ,,nationalistischen Opposition“, damit ,,das Abendland im euramerikanischen Wahnsinn“ nicht untergehe.838 Einen Monat später verkündete auch Heinrich von Gleichen, die ,,Aussichten für Westeuropa sehen ungünstig aus“, da die Bedingungen des Völkerbundes die europäischen Staaten lethargisch machten.839 Gleichens Artikel stand im Kontext seiner Schlussfolgerungen aus den Erfahrungen des Jahres 1923, nach denen eine ,,Nationalisierung der Arbeiter“ gescheitert war und er im Jungkonservatismus eine Ausrichtung an der Staatsräson durchsetzen konnte. Ein allgemeiner Rechtsruck in Europa bestärkte seine Annahme, dass eine pragmatische ,,Westorientierung“ den radikalen Konservatismus in Deutschland endgültig an die Macht bringen könne.840 Gleichen sah 1924 in der Zurückdrängung der ,,weißen Rasse, vor allem ihres Hauptrepräsentanten das deutsche Volk“, die Folge eines mangelnden ,,europäischen Aktivismus“.841 Europa müsse sich von nun an als Bollwerk gegen die ,,schwarze“ und ,,asiatische“ Rasse rüsten, jedoch ließe die völkische Bewegung innerhalb Deutschlands an geeigneten Führungspersönlichkeiten zu wünschen übrig. Dabei sei es gerade ihre Aufgabe, ,,dem Deutschen in der Zukunft Europas den Platz [zu] bestimmen, wo er als unersetzlicher und unentbehrlicher Vorkämpfer der weißen Rasse seine völkische Kraft wieder entfalten kann“.842 Vor diesem Hintergrund wünschte Gleichen im Zuge der Reichspräsidentenwahl 1925, es stünde ein deutscher Mussolini zur Wahl, anstatt ein wilhelminischer Hindenburg.843 Trotz aller strategischen Rhetorik 837 838 839 840

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Max Hildebert Boehm (15.09.1924): Euramerika, in: Gewissen, 6, H. 37, S. 1–2. Vgl. auch Vanessa Conze: Das Europa der Deutschen. Ideen von Europa in Deutschland zwischen Reichstradition und Westorientierung (1920-1970), München 2005, S. 29. Heinrich von Gleichen (06.10.1924): Aussichten des Aktivismus, in: Gewissen, 6, H. 40, S. 1–3. Den Begriff ,,Westorientierung“ hob Gleichen in seinen Erinnerungen besonders hervor: DLA Marbach A: Merkur/Heinrich von Gleichen: Brief und Anhang (13.09.1947) Heinrich von Gleichen an Herrn Moras: ,,Zur Wiederkehr der Gleichen“, S. 2. Heinrich von Gleichen (06.10.1924): Aussichten des Aktivismus, in: Gewissen, 6, H. 40, S. 1–3. Heinrich von Gleichen (25.02.1924): Die völkische Frage, in: Gewissen, 6, H. 8, S. 1-5. Heinrich von Gleichen (20.07.1925): Der Glaube an den Staatsmann, in: Gewissen, 7,

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blieb Gleichen inhaltlich, mittlerweile erster Repräsentant des Jungkonservatismus, auf deutlicher Distanz zu europäischen radikalnationalistischen Bewegungen.844 Inwieweit Moellers und Gleichens rassistische Ausführungen die Veröffentlichungspolitik des Gewissens insgesamt beeinflussten, kann nicht im Detail nachvollzogen werden, aber erkennbar nahmen nach 1923 rassistische Argumentationsmuster in den Europa-Ideen zu.845 Deshalb muss die Frage gestellt werden, wie die völkischen und rassistischen Europa-Konzeptionen des Gewissens innerhalb der gesamteuropäischen faschistischen Bewegungen verortet werden können. Die jungkonservative Distinktion und rhetorische Abgrenzung vom italienischen Faschismus kann schließlich nicht verbergen, dass jungkonservative Ideen und Ausführungen auf einen mythischen Kern zurückgriffen, der auch im Faschismus in sakraler Form die nationale ,,Wiedergeburt“ prophezeite und erwartete.846 Zudem generierte sich die jungkonservative Erwartungshaltung aus der ,,Krise der klassischen Moderne“ und griff auf lebensideologische Denkmuster zurück, die seit

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H. 29, S. 1–2; ähnlich auch schon Franz Schauwecker (30.03.1925): Mussolini, in: Gewissen, 7, H. 13, S. 2–3. 1926 hielt Robert Fabre-Luce, Gründer der extrem rechten Organisation ,,Vers l’Unité“ eine Rede vor der Jungkonservativen Vereinigung, die mit einem Vorwort Heinrich von Gleichens veröffentlicht wurde. Hier gab Gleichen durchaus großmütig zu, dass auf der Basis der ,,christlich-konservativen Grundgesetze europäischen Lebens“ eine Aussprache ,,zwischen Nationalisten der europäischen Völker“ möglich sei. Gleichzeitig betonte er den Erkenntnis-Vorsprung der deutschen Nationalisten, insbesondere der Jungkonservativen. BArch Berlin R 8034 III/150 Presseausschnittsammlung – Reichslandbund: Die Neue Rechte in Europa. Vortrag gehalten in der Jungkonservativen Vereinigung zu Berlin am 23. Nov. 1926, mit einem Vorwort von Heinrich von Gleichen. 1927 wurde die deutsche Sektion der ,,Vers l’Unité“ gegründet, in die u. a. Martin Spahn und Heinrich von Gleichen eintraten. Müller: Europa als Konzept, S. 257 FN 27. U. a.: Elisabeth Siewert (24.11.1924): Das Dorf, in: Gewissen, 6, H. 47, S. 2–3; Paul Ernst (28.02.1925): Zucht und Luxus, in: Gewissen, 7, H. 9, S. 2–3; ders. (11.05.1925): Proletariat und Herrschaft, in: Gewissen, 7, H. 19, S. 2–3; Hans Schwarz (18.05.1925): Zur Deutung des Nationalismus, in: Gewissen, 7, H. 20, S. 2–3; Harry Laeuen (27.07.1925): Die soziale Frage, in: Gewissen, 7, H. 30, S. 2–4; Hans Kister (26.10.1925): Hin zur Negervolkheit, in: Gewissen, 7, H. 43, S. 3–4; Walther Schotte (07.12.1925): Deutschland und die koloniale Welt, in: Gewissen, 7, H. 49, S. 1–3. Vgl. Roger Griffin: Fascism, in: Brenda E. Brasher (Hrsg.): Encyclopedia of fundamentalism, New York 2001, S. 171–187. Da Griffins Definition auf einen ideologischen Kern des Faschismus zielt, betrachtet er auch diejenige Idee als faschistisch, die ,,nur im embryonalen Zustand im Kopf eine Ideologen und ohne Ausdruck in einer politischen Partei, geschweige denn einer Massenbewegung, existiert“. Roger Griffin: Völkischer Nationalismus als Wegbereiter und Fortsetzer des Faschismus. Ein angelsächsischer Blick auf ein nicht nur deutsches Phänomen, in: Heiko Kauffmann/Helmut Kellershohn/Jobst Paul (Hrsg.): Völkische Bande. Dekadenz und Wiedergeburt – Analysen rechter Ideologie, Münster 2005, S. 20-48, hier 40. Roger Griffin: Modernism and fascism. The sense of a beginning under Mussolini and Hitler, Basingstoke/Hampshire 2007.

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3. ,,Der Ruf will gehört sein“ – das Profil des Gewissens

der Jahrhundertwende in ganz Europa kursierten und in unterschiedlichen Faschismen der Zwischenkriegszeit zum Tragen kamen.847 Roger Griffins Merkmale des generischen Faschismus können insofern auch in der jungkonservativen Haltung und in der außenpolitischen Rhetorik erkannt werden. Jedoch fehlte dem Jungkonservatismus eine handlungs- und akteursorientierte Ausrichtung, die laut Emilio Gentile, Roger Eatwell oder Robert O. Paxton848 den Charakter des Faschismus wesentlich mitbestimmten. Sven Reichardt fordert deshalb zu Recht, ,,die Selbstbeschreibung und Selbstrepräsentation der Faschisten ernst zu nehmen“, jedoch ihre Handlungsvollzüge und Herrschaftsstruktur sowie den historischen Kontext gleichfalls in ein angemessenes Faschismusmodell einfließen zu lassen.849 Einen weiteren Hinweis gibt Stanley Payne, wenn er mit Blick auf einen generischen Faschismus-Begriff betont, dass weder ,,alle mutmaßlichen Faschismen“ auf eine ,,absolut gemeinsame Identität zu reduzieren“ seien, noch ,,alle radikalen nationalistischen Bewegungen in den europäischen Ländern“ als einzigartig gelten können.850 Die Frage nach der Schnittmenge von Faschismus und Jungkonservatismus, wie er sich im Gewissen produzierte und repräsentierte, kann dahingehend beantwortet werden, dass erstens beide auf ein ähnliches kulturelles, antibürgerliches und antiliberales Ideenreservoir der europäischen klassischen Moderne zurückgriffen und mit diesem daran 847

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Vgl. António Costa Pinto: Charisma and fascism in interwar Europe, London 2007; Adelheid Zinell: Europa-Konzeptionen der Neuen Rechten. Unter besonderer Berücksichtigung Frankreichs, Italiens und Belgiens, Frankfurt a.M. 2007; Martin Pugh: ,,Hurrah for the Blackshirts!“. Fascists and Fascism in Britain between the wars, London 2005. Emilio Gentile: Der Faschismus. Eine Definition zur Orientierung, in: Mittelweg 36, 16.2007, 1, S. 81-99; Roger Eatwell: Fascism. A history, London 1995; Robert O. Paxton: Anatomie des Faschismus, München 2006. Sven Reichardt: Neue Wege der vergleichenden Faschismusforschung, in: Mittelweg 36, 16.2007, 1, S. 9-25, hier 25. Etwas ausführlicher: Sven Reichardt: Was mit dem Faschismus passiert ist. Ein Literaturbericht zur internationalen Faschismusforschung seit 1990. Teil 1, in: Neue Politische Literatur, 49.2004, 3, S. 385–406. Vgl. auch Michael Mann: Der Faschismus und die Faschisten. Vorbereitende Überlegungen zur Soziologie faschistischer Bewegungen, in: Mittelweg 36, 16.2007 H. 1, S. 26–54. Zum Unterschied etwa der sozioökonomischen Merkmale Italiens und Deutschlands in den 1910er und 20er Jahren, vgl. Victoria de Grazia: Die Radikalisierung der Bevölkerungspolitik im faschistischen Italien: Mussolinis ,,Rassenstaat“, in: Geschichte und Gesellschaft, 26.2000, H. 1, S. 219–254. Ein Plädoyer für die vergleichende Faschismus-Forschung: Karl Heinz Roth: Faschismus oder Nationalsozialismus? Kontroversen im Spannungsfeld zwischen Geschichtspolitik, Gefühl und Wissenschaft, in: Sozial.Geschichte. Zeitschrift für historische Analyse des 20. und 21. Jahrhunderts, 19.2004, S. 31-52. Positionen dagegen bzw. für einen Faschismus-Begriff in Anlehnung an Max Webers Parteiensoziologie, der die charismatisch valierte Organisationsstruktur und sein Gewaltpotenzial betont: Breuer: Nationalismus und Faschismus, S. 39–60. Stanley Payne: Geschichte des Faschismus. Aufstieg und Fall einer europäischen Bewegung, München 2001, S. 561. Einen Überblick der unterschiedlichen FaschismusInterpretationen ebd. S. 537-560.

3.5 Ordnung Europas

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gingen, die ,,,entzauberten‘ Bedingungen der Moderne“ zu re-mythisieren.851 Zweitens war vor allem Moeller schon in der Vorkriegszeit von den Ideen des Futurismus und des ,,neuen Nationalismus Italiens“ fasziniert, die in Italien die Durchsetzung des Faschismus bedingten und die er wiederum in Deutschland verbreiten wollte.852 Und drittens richteten beide angesichts der disparaten Nachkriegsgegenwart ihre utopische Heilserwartung auf eine nationale Wiedergeburt. Denkstrukturen und nationale Utopie mögen vergleichbar gewesen sein, aber der Jungkonservatismus besaß nicht annähernd das politische Mobilisations- und Wirkungspotenzial, und wollte es auch nicht besitzen, wie der Faschismus.853 Insgesamt kann der Faschismus als spezifische aktivistische politische Form neben der und verwoben mit der elitär ausgerichteten des Jungkonservatismus angesehen werden. Einzelne Jungkonservative konnten zwar auch Faschisten sein, aber der Jungkonservatismus beschränkte sich auf das im Gewissen manifestierte intellektuelle Kommunikations- und Argumentationsmuster eines republikfeindlichen Netzwerkes. Deshalb würde die durchaus verhandelbare Frage, inwieweit eine erfolgreiche Umsetzung faschistischer Ideen als Richtmaß für die Kategorie Faschismus gilt oder ob die nicht umgesetzte aber gedachte Ordnung der Massen ein ausreichendes, also diskursives Kriterium für Faschismus bildet, an dieser Stelle zu keinem analytischen Mehrwert führen. Festzuhalten ist, dass im Rahmen seiner Selbstrepräsentation der Jungkonservatismus an der Generierung faschistischen Denkens in Deutschland beteiligt war, indem er radikalen Nationalismus mit modernen Ideen der staatlichen Machtpolitik verband. Als Heinrich von Gleichen im September 1923 den ,,Endkampf um den Staat“ ausrief, bedeutete dies eine pragmatische Kurskorrektor der jungkonservativen Politik und zugleich eine konkrete und deshalb auch radikalere jungkonservative Haltung.854 Die etatistische Hinwendung nach 1923 bedeutete, dass nicht mehr allein die Nationalisierung als 851 852 853

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Priester: Rassismus, S. 104. Breuer: Nationalismus und Faschismus, S. 164-165. Ähnlich elitär produzierte sich die ,,Jeune Droite“ in Frankreich, die Moeller als einen Vordenker honorierten, der sein Werk der ,,Mission der Rasse“ geweiht habe. Im Vorwort zur französischen Ausgabe von ,,Das Dritte Reich“ von 1934 ordnete Thierry Maulnier, führend in der ,,Jeune Droite“, zunächst Moellers Entwurf als grundlegend für den NS ein, aber betonte dann vor allem, dass das ,,Dritte Reich“ mehr noch durch seinen ,,Ruf der Verzweiflung und des Stolzes von Generationen, die tief verletzt und doch männlich sind“ wirke. Eine wichtige Triebfeder der Generation Moellers sei, dass sie sich, mehr als durch Mut und Gewaltwille, völlig sachlich klar, ,,persönlich uninteressiert“ zur Durchsetzung eines ,,schwierigen Werkes“ entschlossen hätte. StBPrK NL Moeller van den Bruck, K. 12, Mp. 8: Abschrift ,,Aus dem Vorwort der französischen Uebersetzung zum dritten Reich von Thierry Maulnier [sic] zum 58. Geburtstag Möller van den Brucks“. U. a. zur ,,Jeune Droite“ vgl. Eckert: Konservative Revolution in Frankreich?. Heinrich von Gleichen (17.09.1923): Der Endkampf um den Staat, in: Gewissen, 5, H. 37,

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3. ,,Der Ruf will gehört sein“ – das Profil des Gewissens

Bewusstseinsveränderung in der ,,Volksgemeinschaft“ diskutiert, sondern der Staat – in der Tradition Preußens – als absolute äußere Form der nationalen ,,Wiedergeburt“ und als ordnungspolitischer Primat aufgewertet wurde.855 3.5.5 Ständestaat als Diktatur: Heinz Brauweiler und Walther Schotte Beispielhaft für die etatistische Entwicklung in der Gewissen-Publizistik standen die Beiträge der Gewissen-Autoren Heinz Brauweiler und Walther Schotte. Beide definierten den Staat als machtpolitisches Bindeglied zwischen den innen- und außenpolitischen Ordnungsvorstellungen, aber akzentuierten dies auf unterschiedliche Weise. Ab 1924 setzten sich im Jungkonservatismus Schottes Vorgaben für einen diktatorischen Staat durch, während Brauweilers Staatskonzept zwar nicht weniger autoritär ausgerichtet war, aber mit dem verbrämenden Begriff ,,Ständestaat“ gemeinschaftsorientierter auftrat. An dieser Stelle werden die von Brauweiler und Schotte formulierten staatlichen Funktionen des Konzeptes erläutert, während seine wirtschaftliche Dimension im nächsten Teilkapitel ausgeführt wird. Innerhalb der politischen Krisendiagnosen während der Weimarer Republik bildete der Ständestaat-Diskurs ein Angebot für eine ,,neue Ordnung“, die je nach politischer Richtung im Detail unterschiedlich ausformuliert wurde.856 Der Begriff ,,Stand“ knüpfte zwar an idealisierte mittelalterliche Berufsordnungen an, wurde aber in den 1920er und 1930er Jahren als moderne Antwort auf Belange einer unter der industrialisierten Arbeitsteilung leidenden Gesellschaft angesehen. In allen politischen Strömungen wurden Ständestaatkonzepte als ein Mittel betrachtet, um ,,radikalen Fortschritt“ mit identitätsstiftender Rückversicherung verbinden zu können.857 Im Gewissen betonten die meisten Autoren den Zusammenhang von Führung und Erziehung als Voraussetzung für einen funktionierenden Ständestaat, anders ausgedrückt: ,,Ständische Gliederung und autoritärer Führerstaat gehörten von vornherein zusammen, auch völkische und Rassegedanken verbanden sich damit.“858 Neben grundsätzlichen Forderungen nach Abschaffung des Parlamentarismus859 , äußerten Autoren wie Stadtler auch machtpolitische Handlungsanweisungen für eine ,,rettende Arbeitssolidarität“, in der ,,die

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S. 1–3; im gleichen Heft mit gleicher Botschaft: Heinz Brauweiler (17.09.1923): Staat und Wirtschaft, in: Gewissen, 5, H. 37, S. 3–4. Parallelen beim ,,Staatskult“ vgl. Priester: Rassismus, S. 106. Paul Nolte: Ständische Ordnung im Mitteleuropa der Zwischenkriegszeit. Zur Ideengeschichte einer sozialen Utopie, in: Hardtwig/Cassier: Utopie, S. 234-255. Nolte: Ständische Ordnung, S. 237. Ebd., S. 251. Mergel: Führer, S. 101-103; Heinrich August Winkler: Unternehmerverbände zwischen

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ständische Berufsgemeinschaft der arbeitenden Menschen unter der schöpferischen Führung verantwortlicher Persönlichkeiten“ stehe.860 Außer solchen beschworenen Führungsqualitäten ließen Gewissen-Artikel die Ausgestaltung einer berufsständischen Organisation im Ungefähren, beschrieben aber immer eine Institution, die ihre Entscheidungen an der Spitze trifft und die Kompetenzen und Mittel besitzt, sie nach unten durchzusetzen. Die Legitimation und Notwendigkeit, einen ,,Ständestaat“ zu errichten, ergab sich aus jungkonservativer Perspektive wie schon in der Argumentation für einen ,,Deutschen Sozialismus“ aus der Kriegsniederlage und dem Versailler Vertrag, denn ,,aus der kapitalistischen Verelendung eines ganzen Volkes [...] folgt die korporativische Erhebung eines ganzen Volkes“.861 Historisches Vorbild für den Gemeinschaftsweg war die schlagkräftige ,,Volksgemeinschaft“ des Militärstaats von Preußen, in dem alle internen Konflikte zum Wohl der Expansion durch Organisation von oben eingehegt worden seien. Dass Deutschland durch die Gebietsabtretungen auf Preußen zurückgeworfen worden sei, konnte in diesem Zusammenhang als schicksalhaftes Zeichen gedeutet werden. Die preußisch-protestantische Staats-Hegemonie bildete in den Artikeln des Protestanten Walther Schotte und des Katholiken Heinz Brauweiler einen Fluchtpunkt. Brauweiler formulierte sein ,,Ständestaatkonzept“ weniger rigide als Schotte seine Pläne. Dieser Eindruck konnte jedoch nur entstehen, weil Brauweiler den Ständestaat als eine zeitliche und räumliche Entwicklung beschrieb, während Schotte allein die Möglichkeiten einer oktroyierten Diktatur auslotete. Beide Autoren stellten den engen Zusammenhang von Staat und Wirtschaft in den Mittelpunkt und ließen keinen Zweifel am Primat der unternehmerischen Entscheidung. Heinz Brauweiler, 1885 im niederrheinischen Mönchen-Gladbach geboren, war promovierter Jurist.862 Nach seiner Tätigkeit für die ZentrumsParlaments-Correspondenz und für die Westdeutsche Volkszeitung in Hagen arbeitete er von 1913 an als Chefredakteur beim Düsseldorfer Tageblatt, einem Organ des rechten Flügels des Zentrums. In dieser Position agitierte Brauweiler vehement gegen den Zentrumsabgeordneten Matthias Erzberger und ,,verfolgte den Plan einer verstärkt konservativen Umorientierung“863 der Zeitung. Brauweiler gehörte wie Martin Spahn zur innerparteilichen Opposition im Zentrum. Der ideelle Konflikt zwischen auf der einen Seite Brauweiler und Spahn

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Ständeideologie und Nationalsozialismus, in: Heinz Josef Varain (Hrsg.): Interessenverbände in Deutschland, Köln 1973, S. 228-258, S. 229. Eduard Stadtler (17.11.1920): Aufgabe des Zentrums, in: Gewissen, 2, H. 45, S. 1–2. Johann Heinrich Garbe (17.11.1920): Das Problem der politischen Gesamtgebilde, in: Gewissen, 2, H. 45, S. 2. StaMg 2: 15/13/167 NL Brauweiler: Lebenslauf Brauweiler, undatiert; außerdem Deutsches Biographisches Archiv, Neue Folge 1237, München 1989ff. Petzinna: Erziehung, S. 65.

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und auf der anderen Seite der Zentrums-Hauptströmung lag in ihrer uneingeschränkten Befürwortung preußischer Hegemonie innerhalb eines Staates, der sich durch Rückgriff auf Reichstraditionen legitimieren sollte. Der Reichsmythos wurde zwar in allen politischen Lagern gepflegt, aber während Altkonservative und Teile der Deutschnationalen dem ,,dahingeschwundenen Glanz des Kaiserreiches“ nachtrauerten, hofften Völkische und Jungkonservative im Sinne Moellers ,,auf die Errichtung eines neuen, eines dritten Reiches, welche den Sinn der deutschen Geschichte erfüllen und vollenden werde“.864 Die katholische Reichstradition knüpfte hingegen an großdeutsche Lösungen vor 1871 an, lehnte eine protestantische Führung ab und bezog auch sakrale Elemente in die Reichs-Utopie ein. Die Konfliktlinie in den Geschichtsdeutungen und Zukunftssentwürfen des politischen Katholizismus verlief nach 1918 entlang unterschiedlich gewichteter Reichstraditionen, in deren Linie man eher ein ,,Preußen-Deutschland oder Deutsches-Deutschland” befürwortete.865 Die Differenzen innerhalb des Zentrums verschärften sich, als Teile von ihm eine föderale Neugliederung und die Separierung der Rheinlande befürworteten866 , während dies aus Spahns und Brauweilers Perspektive reiner Landesverrat war und sie ein ,,Preußen–Deutschland” propagierten. Ihre Ordnungsvorstellungen wiesen zwar weiterhin katholische Bezüge auf, aber als strikte Anti-Ultramontanisten hatten sie sich schon zu diesem Zeitpunkt von der Mehrheit des politischen Katholizismus entfernt.867 1918 wollten Brauweiler und Spahn durch Gründung einer parteiübergreifenden Zeitschrift und Gesellschaft ihre Position innerhalb des Zentrums verteidigen und außerhalb der Partei ausbauen.868 Mit den Forderungen nach Bindung der dynamisch-kapitalistischen Wirtschaftsordnung und einer ständischen, antiindividualistischen Gesellschaftsordnung konnten Spahn und Brauweiler jedoch nur eine Minderheit der Zentrumspartei für sich gewinnen.869 Nach den Reichtagswahlen 1920, bei denen das Zentrum 15 % seiner Stimmen verlor, schied Brauweiler aus dem Zentrum und seiner Stellung in Düsseldorf aus.870 864

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Herfried Münkler: Reich-Nation-Europa, Weinheim 1996, S. 55; vgl. auch Jost Hermand: Der alte Traum vom neuen Reich. Völkische Utopien und Nationalsozialismus, Frankfurt am Main 1988, S. 112. Klaus Breuning: Die Vision des Reiches. Deutscher Katholizismus zwischen Demokratie und Diktatur (1929-1934), München 1969, S. 48. Breuning: Vision, S. 49. Walter Euchner/Helga Grebing (Hrsg.): Geschichte der sozialen Ideen in Deutschland. Sozialismus - katholische Soziallehre - protestantische Sozialethik; ein Handbuch, Essen 2000, S. 631 sehen hier vormoderne Ideen im radikalen Konservatismus. Anders Breuer: Anatomie, S. 102. Petzinna: Erziehung, S. 68. Vgl. auch Clemens: Martin Spahn, S. 90. Petzinna: Erziehung, S. 65–66. Brauweiler (1889-1976) arbeitete weiterhin als Journalist, Organisator einer ,,Ständischen Bewegung“ und als Dozent am Politischen Kolleg. 1926 trat er in den Stahlhelm

3.5 Ordnung Europas

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Im Gewissen veröffentlichte Brauweiler im April 1923 einen programmatischen Artikel, der rhetorischen Bezug auf die katholische Soziallehre nahm.871 ,,Gesinnungspflege“, erörterte er, reiche nicht aus, um den ,,idealen Staatsbürger“ zu erziehen, in gleicher Weise müsse auch das ,,Formproblem“ gelöst werden. Jeder Einzelne müsse organisiert und eingegliedert werden, auch ,,die Schwachen“, damit sie durch ,,ihre Nichtbeteiligung dem erstrebten Ziel“ nicht schaden könnten. Brauweiler betonte in seinen Texten zwar weniger als andere Autoren den Absolutheitsanspruch der Nation, aber umso deutlicher die umfassende Inklusion aller notwendigen ,,Glieder“ in das Ständekonzept, gegebenenfalls auch durch Zwang. Freiwilligkeit allein genüge nicht zur ,,Lösung des sozialen Problems“,872 deshalb müssten Grundsätze geschaffen werden, anhand derer sich der Einzelne verbindlich einordnen müsse.873 Die Inklusion ,,schwacher“ Leistungsträger bildete in seinem Denken jedoch keinen Akt der Akzeptanz, sondern war Voraussetzung für die wenn nötig zwangsweise ,,Verbesserung“ ihrer Leistung. Brauweilers Vorschläge waren nicht nur säkularisierte, sondern strikt leistungsorientierte und Gewinn maximierend ausgerichtete Organisationsvorgaben.874 Seine Rhetorik wies zwar bis etwa 1923 Ähnlichkeiten mit Stadtlers Appellen an das ,,Gemeinschaftsdenken“ auf. Aber während Stadtler Sozialreformen einsetzen wollte, um innerhalb einer massenhaften Bewegung die Abwehrhaltung zum Bolschewismus zu stärken, legte Brauweiler darauf Wert, in seinen Artikeln die Notwendigkeit ,,innerer Einheit“ als Voraussetzung von Veränderungen zu betonen. Der von der rechten Opposition ausgerufene ,,Ruhrkampf “ gegen die Franzosen war für Brauweiler eine geeignete Projektionsfläche einer ,,geformten“ Gemeinschaft. Auf ihr zeichnete er das Ideal von Reihen tapferer Arbeiter des Ruhrgebiets, die sich selbstlos in ihrer deutschen ,,Form“ dem französischen Feind entgegenstellen würden.875 Weitere Variationen seines Themas veröffentlichte er in Bezug auf die Inflation, die föderale Verfassung Deutschlands und das Parlaments.876 Im November 1923 sah er das Ende des parlamenta-

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ein, wo er 1927 politischer Referent im Bundesamt wurde. 1930 schied er aus dem Stahlhelm wieder aus, 1932/33 war Dozent an der DHfP. Eine Anstellung im Reichsarbeitsministerium scheiterte 1935, weil es in der NSDAP Vorbehalte gegen ihn gab. StaMg 2 15/13/143 und 167 NL Brauweiler. Heinz Brauweiler (09.04.1923): Gesinnung und Form, in: Gewissen, 5, H. 14, S. 3. Ebd., S. 3. Hierin auch Bezüge zum katholischen Integralismus des 19. Jahrhunderts; vgl. Nipperdey: Bürgerwelt und starker Staat, S. 400-423, hier 410. Zur leistungsgemeinschaftlichen Prägung des ,,Berufsstandes“ innerhalb der katholischen Soziallehre zunahm. Vgl. Euchner/Grebing (Hrsg.): Geschichte, S. 740-755, hier 740. Heinz Brauweiler (07.05.1923): Werde hart!, in: Gewissen, 5, H. 18, S. 3–4. Heinz Brauweiler (18.06.1923): Unser Unglück, in: Gewissen, 5, H. 24, S. 1–2; ders. (17.09.1923): Staat und Wirtschaft, in: Gewissen, 5, H. 37, S. 3–4; ,,Es ist der Einfluss des Parlaments, der Volksvertretung, der die Aufrichtung und Sicherung einer kraftvol-

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rischen Systems nahe und forderte offen die ,,einheitlich-nationale Diktatur“ als ,,Rettungswerk“ für Deutschland.877 Die Republik brach nicht zusammen und Brauweiler orientierte sich wieder an Grundsatzfragen. In der GewissenBeilage ,,Die Ständische Bewegung“, die seit 1923 erschien, wandte er sich ausdrücklich auch an den studentischen Nachwuchs. Im Frühjahr 1924 griff Brauweiler dem Schlüssel-Artikel Gleichens ,,Oberschicht und Führung“ vor und stellte in ,,Neuer deutscher Adel“ klar, eine ,,wesentliche gesellschaftliche Aufgabe“ liege darin, nicht nur eine Ober- sondern ,,Führungsschicht“ zu bilden.878 Brauweilers Radikalisierung zeichnete sich vollends in seinen Veröffentlichungen ,,Berufsstand und Staat“ sowie ,,Wirtschaftliche Selbsthilfe gegen das Londoner Abkommen“ aus dem Jahr 1925 ab. Sein Ständestaatkonzept war von dieser Zeit an völkisch-aktivistisch und stellte nicht mehr allein die Erziehungs- und Überzeugungsarbeit in den Mittelpunkt, sondern die praktische Umsetzung. Der ,,Stahlhelm“ erwies sich für Brauweiler als eine angemessene jugendlich-aktive, organisch gegliederte Vereinigung. Walther Schottes Veröffentlichungen im Gewissen stellten das Bindeglied zwischen Ständestaatkonzepten und strikt elitär-autoritären Forderungen dar. Er war Heinrich von Gleichens Vertrauter in der Ring-Bewegung und unterstützte im Gewissen dessen Elitekonzept und Forderung nach Schaffung einer autoritären Oberschicht.879 Schotte war Jahrgang 1886 und hatte während seines Studiums als Assistent des Historikers Wilhelm Dilthey gearbeitet.880 Seine Bemühungen, anschließend im staatlichen Archivwesen Karriere zu machen, scheiterten. 1916 wurde er aus dem ,,Kriegsarchiv des Großen Generalstabes in Berlin“, zu dem er erst ein Jahr zuvor abkommandiert worden war, wegen ,,Nichteignung“ entlassen.881 Vermutlich durch die hier geknüpften Kontakte erhielt Schotte bis 1917 eine Anstellung als Sekretär bei Friedrich Naumann und als Redakteur der Zeitschrift Mitteleuropa. 1920 übernahm er die Redaktion der Preußischen Jahrbücher882 und war er im Politischen Kolleg vor allem für die ,,Arbeitsstelle für Außenpolitik“ tätig. Ein Dossier, das Alexander Ringleb für den Finanzier Hugenberg anfertigte, beschrieb Schot-

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len, vollziehenden Gewalt verhindert. Ist aber diese Verhältnis von Volksvertretung und Regierungsgewalt ein naturnotwendiges?“ in: Heinz Brauweiler (15.10.1923): Staatsgewalt und Ständewesen, in: Gewissen, 5, H. 41, S. 3–4. Heinz Brauweiler (26.11.1923): Ausnahmezustand, in: Gewissen, 5, H. 47, S. 3–4. Heinz Brauweiler (14.04.1924): Neuer deutscher Adel, in: Gewissen, 6, H. 15, S. 2–3. Vgl. über das Konzept ,,Der autoritäre Staat“ Sontheimer: Antidemokratisches, S. 201– 207. Schwierskott: Arthur Moeller, S. 67 FN 99. Wolfgang Leesch (Hg.): Die deutschen Archivare 1500-1945. Biographisches Lexikon, Band 2, München/London/New York/Paris 1992, S. 547. Mit den Preußischen Jahrbüchern hatte Schotte ,,eine der angesehensten Zeitschriften Deutschlands“ übernommen und er verstand es den ,,wissenschaftlich-seriösen Charakter“ der Jahrbücher beizubehalten und gleichzeitig ,,die von ihm verfassten Leitartikel“ in Ton und Zielsetzung dem Gewissen anzupassen. Schwierskott: Arthur Moeller, S. 67.

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te als ,,reichlich impulsiv“ und gleichzeitig mit sehr guten ,,kombinatorischen Fähigkeiten“ ausgestattet.883 Ringleb vermittelte in seinem Bericht über ein Treffen mit Schotte den Eindruck, dass dessen Veröffentlichungspolitik in den Preußischen Jahrbüchern und private Kontakte zu Wirtschafts- und Adelsvertretern durchaus opportunistisch geprägt seien.884 Schottes Artikel im Gewissen rückten den Staat als oberstes Herrschafts- und Legitimationsprinzip in den Mittelpunkt und vermittelten durchaus den Eindruck einer akzeptierenden Haltung gegenüber der Exekutive. Seine autoritären Staatsentwürfe äußerte er auch in Kommentaren zur Abstimmung in Oberschlesien und Überlegungen zum ,,Selbstbestimmungsrecht“ Oberschlesiens als souveräne, nationalstaatliche Handlung.885 Die außenpolitische Stärke, hier im Falle der oberschlesischen Entscheidung, war für Schotte zentrales Merkmal für nationale Souveränität. Keine übergeordnete Institution oder Abmachung durfte in Schottes Augen die staatliche Macht einschränken; die Souveränität galt als das Maß jeder Entscheidung.886 Gleichzeitig sicherte nach seiner Meinung nur eine national orientierte, kapitalistische Wirtschaftsordnung die nationale Macht:

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BArch Koblenz N 231/30 NL Alfred Hugenberg: Brief mit Anhang (03.09.1920) Alexander Ringleb an Alfred Hugenberg. Petzold: Wegbereiter, S. 123-124. Schotte gehörte 1933 zum nationalkonservativen Kreis um Vizekanzler Papen, der glaubte, den neuen Reichskanzler Hitler von ,,unerwünschten Ambitionen“ abhalten zu können. Der vermeintliche Übergangskanzler Hitler sollte den Weg frei machen ,,für die Bildung einer echt präsidialen Regierung, für die Durchsetzung autoritärer Staatsführung, für die große Reform des Reichsaufbaus und der Verfassung, durch die allein der deutsche Staat gesunden kann“. Bis zum Frühjahr des Jahres hatten die Herausgeber des ,,Rings“ erkannt, dass ihr nationalkonservatives Programm eines ,,Neuen Staates“ versagt hatte und sie ordneten sich der ,,Lehre von der Totalität des neuen deutschen Reiches“ vollends unter. Petzinna: Erziehung, S. 274-278. ,,Logik der Totalität“, in: Der Ring, 25, 1933, S. 395; zitiert nach Petzinna: Erziehung, S. 278. Danach schied Schotte aus dem Herrenklub aus, aufgrund ,,persönlicher Differenzen“ und habe er emigrieren wollen. DLA Marbach D: Merkur: Brief (13.09.1947) H. v. Gleichen an Herrn Moras: ,,Zur Wiederkehr der Gleichen“. Schließlich leitete Schotte die Wirtschaftskorrespondenz ,,Berliner Briefe“ und war ab 1934 nur noch eingeschränkt tätig. Die Umstände bleiben unklar, aber seine Stellung im NS-Regime scheint fragil gewesen zu sein. 1942 wurde Schotte wegen Betruges zu zwei Jahren Zuchthaus verurteilt. Schotte äußerte nach 1945, er wolle ,,nach schweren Schicksalen“ in Gütersloh eine ,,dependance“ der Goethegesellschaft eröffnen. Außerdem plane er, eine Zeitung nach dem Vorbild konservativer englischer Wochenblätter herauszugeben. DLA Marbach A: Anton Kippenberg 64.1487: Brief (29.11.1945) Walther Schotte an Prof. Kippenberg. Walther Schotte (22.08.1921): Oberschlesien und Völkerbund, in: Gewissen, 3, H. 34, S. 3; ders. (28.11.1921) Von Volksbegehr und Volksentscheid, in: Gewissen, 3, H. 48, S. 3–4; ders. (02.01.1922) Oberschlesien ad acta?, 4, H. 1, S. 3. Vgl. Schotte über den aktiven Widerstand im besetzten Rheinland, zu dem sich der ,,,Souveräne Staat’ jetzt endlich bekennen“ solle, damit Deutschland nicht von den politischen Strategien anderer Staaten (England) abhänge: Walther Schotte (12.10.1923) Souveränität oder Neutralisierung?, in: Gewissen, 5, H. 6, S. 1–2.

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3. ,,Der Ruf will gehört sein“ – das Profil des Gewissens

,,Unsere Bewegung hat das Vertrauen zu den bodenständigen Faktoren der Kapitalbildung behalten, das Vertrauen, dass diese Faktoren Macht sammeln, nicht um den Staat zu beherrschen, sondern um ihn nicht in den Besitz innerlich staatsloser Menschen übergehen zu lassen und ihn einer besseren Zukunft des deutschen Volkes zu retten.“887

Der Staatsaufbau könne deshalb auch nicht zentralistisch organisiert werden, sondern müsse vielmehr den ,,Partikularismus [als] Erbe unserer nationalen Geschichte“ berücksichtigen und ,,sorgsam behüten“.888 Von einem autoritären Staatsmann verlangte Schotte, den ,,deutschen Stämmen“ ihre eigene Besonderheit, aber auch ,,das Bewusstsein der preußischen Größe beizubringen“. Während Brauweilers Ständesstaat-Rhetorik die Gewissen-Publizistik auch für nicht-preußische radikale Kreise zugänglich machte, wandte sich Schottes autoritäres Konzept primär an die preußischen Eliten. Insgesamt konkretisierten sich im Gewissen im Verlauf der Jahrgänge 1919 bis 1925 die ordnungspolitischen Muster und Forderungen einer ,,Ordnung Europas“. Während politische Begriffe für den innenpolitischen Gebrauch mit integrativen Aspekten codiert wurden, versuchten die Jungkonservativen anhand derselben Begriffe außenpolitische Abgrenzungen zu schaffen. Die Mobilisierung einer fortgesetzten ,,Revolution“ sollte gegen die Forderungen des Friedensvertrags gerichtet werden, die nationale Einheit des ,,Sozialismus“ wurde dem bolschewistischen Konzept der Klassengesellschaft entgegengestellt. Bis etwa 1922 blieb in der Gewissen-Publizistik offen, ob die Jungkonservativen eine Kooperation mit der sowjetischen Führung goutiert hätten. Als sich reale Chancen auf ein Zusammengehen ergaben – angedeutet durch den Rapallo-Vertrag, konkret gefordert während der Ruhrbesetzung – nahm das Gewissen, forciert durch Moellers Artikel, eine explizite Ablehnung vor. Wie in den folgenden Jahrgängen deutlich wurde, stand der Primat einer deutschen Vormacht in Europa mit Option auf eine Ostexpansion zu sehr im Mittelpunkt des radikalnationalistischen Denkens des Jungkonservatismus, als dass eine außenpolitische Diplomatie auf Augenhöhe in Erwägung gezogen wurde. Allein England galt den Gewissen-Autoren als machtpolitisch ebenbürtig. Durch den Staats-Bezug, der ab 1923/24 formuliert wurde, konnte die Erwartungshaltung, mit der das Gewissen der deutschen Innen- und Außenpolitik bis zu diesem Zeitpunkt gegenüber gestanden hatte, wieder an reale Bedingungen anknüpfen. Wie bei der Auseinandersetzung mit dem Versailler Vertrag, schwenkte 1924 die Gewissen-Publizistik ähnlich wie die DNVP zu einer pragmatischeren Haltung gegenüber den Staatsfunktionen der Republik. Hierbei boten einerseits radikalisierte Stereotype in den Urteilen zur Außenpolitik und andererseits autoritäre konkrete Staatskonzepte die Anbindung an die politische Gegenwart. In ganz Europa waren radikalnationalistische Bewegungen erfolgreich, gleichzeitig schien die außerparlamentarische rechtsoppositionelle Bewegung in Deutschland zu 887 888

Walther Schotte (13.11.1922) Die kapitalistische Republik, in: Gewissen, 4, H. 38, S. 2. Walter Schotte (05.11.1923) Der vergessene Bismarck, in: Gewissen, 5, H. 44, S. 1.

3.6 Wirtschaftsautoritarismus

403

stagnieren und der parteipolitische Pate der Jungkonservativen, die DNVP, deutlich an Boden zu gewinnen. Da sich also die machtpolitischen Koordinaten zugunsten der völkischen Partei verschoben und innerhalb Europas die nationalistische Konkurrenz zunahm, versuchte sich das Gewissen, von nun an allein unter Heinrich von Gleichens Maßgabe, daran auszurichten.889 Die Argumentationslinien in den Gewissen-Artikeln wurden durch antisemitische oder rassistische Stereotype häufiger als bis dahin untermauert. Die dreischrittige Argumentationsstruktur veränderte sich hingegen nicht: Ähnlich wie die Begriffe ,,Demokratie“, ,,Jugend“, ,,Revolution“ oder ,,Sozialismus“ transformierte die Gewissen-Publizistik auch rassistische Kategorien zunächst aus dem konkreten politischen Anwendungsrahmen auf eine metaphysische Ebene. Diese über-politische oder auch irrationale Ebene stand im jungkonservativen Denken wiederum als Basis jeder politischen Handlung zur Verfügung. Durch diese Form von Rationalisierung des Irrationalen konnten die entgrenzten oder auch entpolitisierten Kategorien wieder zu politisch eingesetzten Handlungsanweisungen transformieren.

3.6 Wirtschaftsautoritarismus Die Jungkonservativen verfolgten das strategische Ziel, für die politische Umsetzung ihrer Ordnungskonzepte, erfolgreiche und nationalistische Unternehmer zu gewinnen. Die inflationär verwandten Begrifflichkeiten zum Korporatismus und Ständestaat verschleierten nur spärlich, dass der Jungkonservatismus für einen kapitalistisch-autoritaristischen Staat plädierte, der von einer nationalistischen Unternehmeroligarchie geführt werden sollte. Deshalb wurden im Gewissen der wirtschaftlichen Produktivität und unternehmerischen Entscheidungskraft höchste Bedeutung und viel Platz eingeräumt, woraus sich die Fragen ergeben, wie sich die Gewissen-Autoren im Verhältnis zu Unternehmern und Arbeitnehmern, zu Kapitalismus und Arbeit und zum Außenhandel positionierten?

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Unter Gleichens Einfluss tendierte das Gewissen – dann unter der Bezeichnung Ring – weiter in diese Richtung, bis Ende der 1920er und Anfang der 30er Jahre kein ,,totaler“, sondern ein ,,essentieller“ Staat gefordert wurde, der – fast schon i.S. eines Manchesterliberalismus – alles tun sollte, ,,um die (irrationalen) Kräfte des Lebens in ihrer Entwicklung nicht zu behindern.“ Grunewald: Eine konservative Stimme, S. 491.

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3. ,,Der Ruf will gehört sein“ – das Profil des Gewissens

3.6.1 Begründung einer „Nationalen Wirtschaft“ ,,Überproduktion ist Brot.“890 Mit dieser Aussage stellte Alexander Ringleb innerhalb des Wirtschaftsdiskurses im Gewissen den existenziellen Zusammenhang zwischen jeglicher Produktion und dem ,,Überleben der Volksgemeinschaft“ her. In den ,,Stimmen zum Merk- und Werbeblatt“ – einer Beilage, die der Ring-Bewegung gewidmet war – wurden Ende 1920 alle namhaften Autoren versammelt, die zu spezifischen Anliegen des Rings Stellung nahmen. Neben Heinrich Herrfahrdts ,,Einigung der Berufsstände“891 und Karl Hoffmanns ,,Produktion und Macht“892 , fand Ringlebs Aussage im Rahmen seiner Auseinandersetzung mit ,,List gegen Marx“ statt. Ringleb stellte die beiden Ökonomen als Symbole für Theorie und Praxis gegenüber: ,,Was nützt uns Marx im Gehirn, wenn wir nicht Mark in die Knochen bekommen.“ Mit dieser Schlussfolgerung versuchte Ringleb die Marx’sche Prämisse, dass die industrielle Massenfertigung der Handarbeit die Grundlage entziehe, umzukehren. Die existenzielle Bindung von hoher Produktion und Wirtschaftlichkeit beschwor auch Hoffmann als ,,vollkommene Bedingtheit“. Ringleb und Hoffmann bezogen sich wie die meisten Gewissen-Autoren in ihren Begründungen einer ,,nationalen Wirtschaft“ auf den deutschen Volkswirtschaftler Friedrich List.893 Die Lehren des Nationalökonomen List, festgehalten in seiner populären Schrift von 1841, ,,Das nationale System der politischen Ökonomie“, erlebten in Wirtschaftskreisen der Weimarer Republik eine Renaissance.894 Die entscheidende Entwicklung zu einem Vorläufer der antiliberalen Nationalökonomie hatte List 1832 erfahren, als er sich nach einem Aufenthalt in den USA für den deutschen Eisenbahnbau und die Überwindung innerdeutscher Zollgrenzen einsetzte, um die Industrialisierung Deutschlands zu fördern. Sein Protektionismus sah eine Trias aus wirtschaftlichem Reichtum, politischer sowie militärischer Stärke vor, um die nationale Sicherheit zu gewährleisten. Um dieses Ziel zu erreichen, befürwortete er auch ,,eine friedliche oder auch erzwungene Annexion klei-

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Alexander Ringleb (12.12.1920): Stimmen zum Merk- und Werbeblatt: List gegen Marx, in: Gewissen, 2, H. 49, S. 3–4. Heinrich Herrfahrdt (12.12.1920): Stimmen zum Merk- und Werbeblatt: Einigung der Berufsstände, in: Gewissen, 2, H. 49, S. 3. Karl Hoffman (12.12.1920): Stimmen zum Merk- und Werbeblatt: Produktion und Macht, in: Gewissen, 2, H. 49, S. 3. Vgl. auch Roman Szporluk: Communism and Nationalism. Karl Marx versus Friedrich List, New York 1988. List hatte wegen seines radikal-liberalen Auftretens 1819 zunächst seine Professur in Württemberg verloren, wurde 1822 zu Festungshaft verurteilt und musste schließlich in die USA auswandern.

3.6 Wirtschaftsautoritarismus

405

nerer Nachbarländer“.895 Übertragen auf die deutsche Nachkriegssituation, bot List dienliche Hinweise für eine nationalistische Wirtschaftspolitik. In seinem letzten Gewissen-Artikel würdigte Moeller Friedrich List als ,,Politiker der Weite“, ,,Agitator“, ,,Praktiker“ und ,,Nationalpolitiker“.896 List habe erst durch sein erzwungenes Auslandserlebnis in den USA erkannt, ,,dass die Nation die Mittlerin zwischen dem Menschen und der Menschheit ist und im Volkstum alles Leben wurzelt“. Nach seiner Rückkehr habe sich List rigoros für die politische, nationale Einheit eingesetzt und ,,Wirtschaftseinheit“ und ,,Verkehrseinheit“ als Mittel zum Zweck einer mitteleuropäischen deutschen Nationalstaatspolitik, die sich vor allem der ,,englischen Wirtschaftslehre“ entgegenstelle. Abgesehen von den persönlichen Parallelen im Lebenslauf, die Moeller mit seiner Würdigung auftun wollte, ging es ihm um die Konstruktion einer genuin deutschen Wirtschaftslehre, die sich aus spezifisch deutschen Begebenheiten und Umständen entwickelt habe und deshalb ihre Legitimation für die wiederum spezifisch deutsche Nachkriegssituation erfuhr. Wie ließ sich sonst eine Wirtschaftspolitik propagieren, die aus streng nationaler Perspektive für den Nationalstaat eintrat und gleichzeitig versiert und ökonomisch erfolgreich auf dem internationalen Parkett agierte? List schien eine Antwort darauf zu geben, denn dessen Nationalismus sei ,,außenpolitisch erlebt, war ein Ehrgeiz für Deutschland in der Welt und kam aus einem Gefühle der Reizung durch andere Völker“. Nach Ende des militärischen Krieges dauerte auf den Welthandelsplätzen die Auseinandersetzung an und die Abschottungstendenzen der nationalen Wirtschaften wurden noch lange nach Friedensschluss aufrechterhalten.897 Aus Lists Vorgaben entwickelte Moeller den Primat einer wirtschaftspolitischen Konkurrenz der Völker unter nationalen Vorzeichen, womit er allgemeine zeitgenössische Reaktionen auf die Folgen der Demobilmachung und Nachkriegswirtschaftskrise in metaphysische Sinnzusammenhänge hob. Moellers Auseinandersetzung mit Lists Lehren war dabei keineswegs originell, denn anders als Moeller behauptete, schauten deutsche Wirtschaftsprotektionisten nicht mehr am historischen List und seiner ,,Theorie der produktiven Kräfte“ vorbei, wofür auch die Gründung der List-Gesellschaft e. V. 1925 ein Indiz war. Eine der List’schen Kernaussagen, so Karl Hoffmann, nach der die Produktionswerte vor allem durch die ,,Urproduktion“ – Bergbau und Landwirtschaft – geschaffen würden, zwängen gerade die Länder mit Bodenschätzen zu wirtschaftlichem und politischem Handeln. ,,Das Schicksal, das in der Erde liegt, nötigt [die Menschen], in ihrer wirtschaftlichen Handlungsweise politisch 895 896 897

Holger Schatz/Andrea Woeldike: Freiheit und Wahn deutscher Arbeit. Zur historischen Aktualität einer folgenreichen antisemitischen Projektion, Hamburg 2001, S. 58. Moeller van den Bruck (17.11.1924): Friedrich List, in Beilage Die Manen, Nr. 4, in: Gewissen, 6, H. 46, S. 5. Ulrich Kluge: Die Weimarer Republik, Paderborn 2006, S. 54.

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3. ,,Der Ruf will gehört sein“ – das Profil des Gewissens

zu denken und in ihrer politischen Handlungsweise ,wirtschaftlich‘, d. h. produktionswirtschaftlich zu denken.“ Eine Kompensation der verknappten Bodenschätze durch Gebietsverluste und Reparationen ließe sich durch Protektionismus beziehungsweise ,,wirtschaftlichen Grenzschutz“898 erzielen. Mit dem Verweis auf List kritisierte schließlich Hans Heinrich Garbe die zeitgenössische Volkswirtschaftslehre, die zu sehr den Aspekt der Wirtschaftslehre als den des Volkes betone.899 Ottmar Spann, der die ,,universalen Bindungen“ der Wirtschaft an das Gemeinschaftsleben in eine moderne Wirtschaftslehre eingeflochten habe,900 wurde an dieser Stelle positiv hervorgehoben, aber weiterhin blieb Friedrich List der Dreh- und Angelpunkt aller jungkonservativen nationalökonomischen Texte.901 Eine international autonome und national eingebundene Wirtschaft begründeten die Gewissen-Autoren nicht nur machtpolitisch, sondern auch mit den Zusammenhängen des Weltwirtschaftssystems. Wilhelm von Kries gab als ,,Zwang der Weltwirtschaft“ an, dass ,,deutscher Verbrauch und deutsche Erzeugung“ auf dem Weltmarkt ,,unersetzlich“ seien und die handelspolitische Zurückdrängung Deutschlands auch zur ,,wachsenden wirtschaftlichen Not“ im Ausland beitrüge.902 Kries hielt den Versailler Vertrag für ein Haupthemmnis des Welthandels und in der Tat schränkten die Friedensbedingungen eine eigenständige deutsche Außenhandelspolitik drastisch ein und setzten zudem eine Meistbegünstigtenklausel für die Alliierten fest. Das System der Ein- und Ausfuhrkontrollen und Bewirtschaftungen wurde erst mit der Währungsstabilisierung gelockert; bis dahin entwickelte Deutschland innerhalb des weltweiten, protektionistischen Wirtschaftsgeflechtes ein eigenes ,,recht umfangreiches Netz handelspolitischer Beziehungen“.903 Da alle Regierungen der Weimarer Republik die Außenwirtschaftspolitik als ,,ein Instrument der allgemeinen Außenpolitik“ auffassten, das Mittel zum Zweck der Revision des Versailler Vertrages war, sollte über den Weg der Handelsverträge, die festgeschriebene politische Ungleichbehandlung obsolet werden. Die Gewissen-Beiträge bezogen sich also auch hier auf aktuelle

898

899 900

901

902 903

Alexander Ringleb (17.12.1919): Wirtschaftlicher Grenzschutz, in: Gewissen, 1, H. 36, S. 2–3; ähnlich: ders. (25.11.1919): Planwirtschaft an den Grenzen – freie Binnenwirtschaft, in: Gewissen, 1, H. 33, S. 1–2. Asmus Gendrich (20.10.1920): Vom Geist der Volkswirtschaftslehre, in: Gewissen, 2, H. 41, S. 2–3. Im Gewissen fanden keine weiteren Auseinandersetzungen mit Spann statt, Anfang der 1930er kritisierte Heinz Brauweiler ,,am Universalismus Spanns die fehlende Betonung des staatlich-politischen Primats“. Winkler: Unternehmerverbände, S. 233. Zu den Positionen der älteren und jüngeren Generation in der Nationalökonomie, die im Gewissen weitgehend ignoriert wurden, vgl. Dieter Krüger: Nationalökonomen im wilhelminischen Deutschland, Göttingen 1983. Wilhelm von Kries (01.08.1921): Der Zwang der Weltwirtschaft, in: Gewissen, 3, H. 31, S. 1–2. Ambrosius: Staat und Wirtschaft, S. 28.

3.6 Wirtschaftsautoritarismus

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Strategien der Republik, lehnten aber die zunehmende Kompromissfähigkeit der Regierungen strikt ab, die 1925 schließlich im Locarno-Vertrag mündete. Neben Wilhelm von Kries behandelten auch Karl Hoffmann, Walther Schotte und Harry Laeuen außenpolitische Konstellationen, die den nationalen Handel tangierten. Hoffmann thematisierte die gewinnbringenden Rohstofferzeugerländer und Möglichkeiten für eine deutsche Teilnahme an der Ertragsausbeutung. Seine Schlussfolgerung ,,Was die Macht in der Politik ist, ist die Produktion in der Wirtschaft“904 war mehr als ein kapitalistisches Bekenntnis, sondern die Grundlage seines expansionistischen Denkens: ,,Die Machtbedingtheit steigt als Raumpolitik aus der Erde auf, und die Erzeugung der Werte steigt als Urproduktion aus der Erde auf.“ Deshalb waren Hoffmanns detailreiche Hintergrundartikel über ,,das kaspische Erdöl“, die ,,Ölfrage von Mossul“ oder die ,,Orientpolitik“905 , Mittel zur Verdeutlichung wie sehr ,,Ölmacht“ auch ,,Weltmacht“ bedeute, an der Deutschland nicht teilhabe. Gleichzeitig versuchte Hoffmann, die Reparationskonferenzen von Genua wie Lausanne als strategische Treffen der ,,Ölmächte“ zu diskreditieren. Hoffmann versuchte seine außenpolitischen Expansionspläne auch im Militär zu verbreiten. ,,Dank guter Beziehungen zu Offizierskreisen“ konnte er sich sogar an einer Manöverfahrt der deutschen Flotte beteiligen ,,und an Bord intensive Propaganda betreiben.“906 Im Gewissen veröffentlichte Hoffmann weitläufige Artikel, in denen er außenpolitische Konstellationen und vermeintliche Gefahrenherde des Welthandels darstellte. Seine Intention ließ keinen Zweifel daran, dass auch noch so weit entfernte Schauplätze im Interesse und unter ständiger Beobachtung der deutschen Außenpolitik liegen müssten. Dabei wandte Hoffmann die in Texten des Gewissens verbreitete Methode an, durch eine Mischung aus vermeintlicher Detailkenntnis und nebulöser Andeutung ein Bedrohungsszenario entstehen zu lassen: ,,Ganz Ostasien ist in eine zerwühlte Unordnung geraten. [. . . ] Eine kontinental angelegte Politik Sowjet–Rußlands, die den großen Binnenraum gen Osten in eine unheimliche Bewegung bringt und hierfür die formlose chinesische Masse mit ihrem Fragenkomplex, sowie jetzt auch japanische Interessen verwertet und einzuspannen trachtet, erschiene nicht völlig undenkbar. Den expansiven Kräften der amerikanischen Union träte damit eine feindselige Stauung entgegen [. . . ].“907

Hoffmanns Texte machten deutlich, dass als Schlüssel zu einem internationalen Gleichgewicht einzig eine autonome, nationale deutsche Wirtschaft galt. 904 905

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Karl Hoffmann (12.12.1920): Produktion und Macht, in: Stimmen zum Merk- und Werbeblatt, in: Gewissen, 2, H. 49, S. 3. Karl Hoffmann (29.05.1922): Das kaspische Erdöl und die Weltpolitik, Teil 1, in: Gewissen, 4, H. 22, S. 3–4; ders. (12.06.1922): Das kaspische Erdöl und die Weltpolitik, Teil 2, in: Gewissen, 4, H. 24, S. 3–4; ders. (15.01.1923): Die Ölfrage von Mossul, in: Gewissen, 5, H. 2, S. 3; ders. (07.05.1923): Orientpolitik, in: Gewissen, 5, H. 18, S. 1–2. Petzold: Wegbereiter, S. 133. Karl Hoffmann (24.09.1923): Das pazifische Erbe, in: Gewissen, 5, H. 38, S. 4.

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3. ,,Der Ruf will gehört sein“ – das Profil des Gewissens

3.6.2 Ordnungsvorstellungen von Staat, Wirtschaft und Arbeit Da die Weimarer Reichsverfassung eine Stärkung wirtschaftspolitischer Eingriffsmöglichkeiten des Staates vorsah, dies aber kaum im Detail formulierte, versuchten alle Beteiligten, eigene Interessen durchzusetzen. Die Auseinandersetzungen zwischen Interessenverbänden von Arbeitgeber und -nehmerseite nahmen auch vor diesem Hintergrund in den 1920er Jahren zu.908 Unternehmer richteten sich vor allem gegen einen ,,vom Staat gesteuerten und kontrollierten Kapitalismus“, wollten aber gleichzeitig institutionelle und selbstverwaltende Rechte übertragen bekommen.909 Staatliche Stellen standen vor dem Dilemma, die Wirtschaft in gewissem Maße steuern zu müssen, aber gleichzeitig – die Friedensbedingungen zwangen dazu – auf ihr Entgegenkommen angewiesen zu sein.910 Drei Aspekte bestimmten demnach die wirtschaftliche Aushandlungsphase bis 1924: Erstens konservative Bezüge und die Erfahrungen aus der produktionsintensiven Wirtschaftsorganisation des Krieges, zweitens die finanz- und produktionspolitischen Reaktionen auf die Kriegsfolgen und drittens die interpretationsreichen Vorgaben der Weimarer Reichsverfassung. Das Gewissen griff diese Aspekte auf und agitierte darüber hinaus für eine Stärkung der Unternehmerposition, ständische Selbstverwaltung und einen nationalen Arbeitsbegriff. Jedoch boten die jungkonservativen Erwartungen an Großunternehmer auch Konfliktpotenzial innerhalb der Gewissen-Redaktion und im Juni-Klub, da über Ausmaß unternehmerischer Autorität und Machbefugnis gestritten wurde. Von diesen Differenzen blieb die gemeinsame jungkonservative strategische Linie unberührt, die eine Ökonomisierung der Politik und den Primat der Wirtschaft in der politischen Exekutive propagierte, damit die deutsche Großmacht auf einer starken und expandierenden Basis wiederhergestellt werden könnte.

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,,An der Schnittstelle von Wirtschaft und Politik entstand ein Markt, auf dem die Akteursgruppen der Wirtschaft institutionelle Regelungen nachfragten im Tausch gegen politische (und finanzielle) Unterstützung.“ Clemens Wischermann/Anne Nieberding: Die institutionelle Revolution. Eine Einführung in die deutsche Wirtschaftsgeschichte des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, Stuttgart 2004, S. 201. Auf Arbeitgeberseite waren dies der 1876 gegründete Centralverband Deutscher Industrieller zur Beförderung und Wahrung der nationalen Arbeit (CVDI) und der ,,Reichsverband der Industrie“ (RdI). Feldman: Vom Weltkrieg, S. 38. Der Kompromisscharakter der Wirtschaftspolitik zeigte sich etwa an der erst 1923 erlassenen Kartellverordnung, durch die überhöhte Preise unterbunden und nichtkartellgebundene Unternehmen größerer Freiraum eingeräumt wurde, aber Kartelle keineswegs verboten wurden. Wischermann/Nieberding: Institutionelle Revolution, S. 275.

3.6 Wirtschaftsautoritarismus

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Konservative und kriegswirtschaftliche Bezüge

Erfahrungen aus der produktionsintensiven Kriegsphase fanden in der Nachkriegszeit ihre Fortsetzungen, eingerahmt durch die schwierigen internationalen Bedingungen und zerstörten ,,normalen Handelsbeziehungen auf den in- wie ausländischen Märkten“. Hinzu kamen immer wieder staatliche Eingriffe und ,,eine fast kontinuierliche Geldentwertung, die ihren Höhepunkt in der Hyper-Inflation von 1922/23 erreichte“.911 Der Wirtschaftsbereich wurde radikaler als bisher zu einem politischen Machtfaktor und musste angesichts nationaler und transnationaler Bedürfnisse und Blockaden koordiniert werden.912 Die Überlegungen im Gewissen griffen insofern reale Entwicklungen auf und beruhten auf eigenen Erfahrungen entweder in der Kriegspropaganda oder als Fabrikanten, Wirtschaftswissenschaftler oder Bankier. Martin Spahn formulierte den Schlüssel zum Erfolg als ,,Erneuerung von der Wurzel“: ,,Wir müssen in der Wirtschaft wieder zur Bildung von Ständen d. h. natürlichen Produktionsgemeinschaften gelangen.“913 Die Formulierung schloss an das konservative Denken des 19. Jahrhunderts an, nach dem die Aufgabe des Unternehmers als patriarchalischer und staatstreuer Lenker eines autonomen Wirtschaftsbetriebes darin lag, der drohenden Feindschaft von Kapital und Arbeit durch sozialpolitische Einstreuungen entgegenzuwirken. Die Jungkonservativen ordneten einem autoritären, effizienten Wirtschaftführer darüber hinaus die Aufgabe zu, auch gesamtpolitische Entscheidungen zu treffen, um das Bruttoinlandsprodukt als Waffe nationaler Expansion steigern und einsetzen zu können. Die Legitimation unternehmerischer Überlegenheit gegenüber Berufspolitikern ergab sich demnach aus sachorientiertem Expertenwissen, das den Unternehmern unterstellt und den Berufspolitikern abgesprochen wurde. Auch hier knüpfte man im Gewissen an altkonservative Werte an, die schon Julius von Stahl darauf zurückgeführt hatte, dass die politische Ordnung und ebenso die Verteilung der Güter ,,auf göttliche Fügung“ beruhten. Jede Persönlichkeit innerhalb dieser Ordnung beweise seine ,,sittliche Macht“, wenn es sich dieser Ordnung gemäß profiliere.914 Wo der Altkonservatismus die soziale Ungleichheit von einem ,,theokratischen Personalismus“ ableitete, ging der Jungkonservatismus von einem vermeintlich sachlich begründeten abso911 912

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Gerald Donald Feldman: Vom Weltkrieg zur Weltwirtschaftskrise. Studien zur dt. Wirtschafts- und Sozialgeschichte 1914-1932, Göttingen 1984, S. 39. Nach 1914 stieg der Finanzbedarf aller kriegführenden Länder ,,ins Unermessliche“ der in Deutschland durch Kriegsanleihen, Schatzwechsel und Steuererhöhungen zu decken versucht wurde. Friedrich-Wilhelm Henning: Deutsche Wirtschafts- und Sozialgeschichte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Deutsche Wirtschafts- und Sozialgeschichte im Ersten Weltkrieg und in der Weimarer Republik 1914 bis 1932, Paderborn 2003, S. 142. Martin Spahn (11.02.1920): Parteien, Klassen, Stände und der neue Staat, in: Beilage Liga zum Schutze der deutschen Kultur, in: Gewissen, 2, H. 6, S. 5. Lenk: Deutscher Konservatismus, S. 100.

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luten Wert der deutschen Nation aus und ersetzte das monarchische Prinzip durch einen Wirtschaftsautoritarismus der Experten.915 Wirtschaft und Staat bedeuteten nach jungkonservativer Interpretation zwei Seiten derselben autoritären Außen- und Innenpolitik. Die Artikel im Gewissen spiegelten deshalb die Diskussion um die Gewichtung beider Seiten wider und keinen grundsätzlichen Konflikt. Moellers kapitalismuszentrierter Autoritarismus lehnte pluralistische Gesellschaftsstrukturen und ,,bürgerlich-parlamentarische Verkehrsformen“ ab, weil sie einer freien Entfaltung wirtschaftlicher Kräfte entgegen ständen. Er wollte vielmehr, ,,ohne allerdings das Privateigentum anzutasten, die Nation in einen kollektiven Unternehmer verwandeln, der den einem jungen Volk zustehenden Anteil am Weltmarkt in Beschlag nehmen soll“.916 Ähnlich wie in Moellers Weltdeutung beruhten die strategischen Ziele der meisten GewissenAutoren auf den Erfahrungen der wirtschaftlichen Entwicklung Deutschlands vor dem Krieg. In dieser Zeit hatte Deutschland seine internationale Position soweit ausgebaut, dass es hinter England und den USA auf Platz drei der Weltindustrieproduktion lag.917 Die industrielle Kriegsproduktion und der einsetzende Protektionismus918 machten deutlich, wie sehr das wirtschaftliche Potenzial den Ausgang des Krieges mitentschied. Die Niederlage des Deutschen Reiches war aus dieser Sicht konsequenter Ausdruck der ,,markanten Überlegenheit der produktiven [alliierten] Kräfte“, weshalb ihr wie in vielen Ländern eine fortgesetzte ,,Politisierung der Ökonomie“ ebenso wie eine ,,Ökonomisierung der Politik“ folgte.919 Finanzmarkt

Im Gewissen bildete der internationale Finanzmarkt in den meisten Fällen die Folie für antikapitalistische Formulierungen, die dazu dienten, radikalnationalistische und antisemitische Forderungen einzukleiden. Die institutionalisierten Zentralisierungsbestrebungen im Deutschen Reich920 lehnte man strikt ab, denn die meisten Autoren sahen darin eine illegitime 915 916 917 918 919 920

Hier wieder eine ähnliche staatspolitische Denkfigur im alten und ,,jungen“ Konservatismus. Lenk: Deutscher Konservatismus, S. 101. Breuer: Ästhetischer Fundamentalismus, S. 230. Rolf Walter: Geschichte der Weltwirtschaft. Eine Einführung, Köln 2006, S. 191. Walter: Geschichte, S. 197. Deppe zitiert Paul Kennedy: Aufstieg und Fall der großen Mächte, Frankfurt a.M. 1989; Deppe: Politisches Denken 1, S. 378. Die Finanzverfassung wurde mit der Erzbergerschen-Finanzreform von 1919 grundlegend geändert, indem die Steuerhoheit – außer für Ertrags- und Aufwandssteuern – von den Gliedstaaten auf das Reich übertragen wurde. Die direkten Steuern, die dem Staat zufließen nahmen gegenüber den indirekten zu, außerdem wurden eine zentrale Reichsfinanzverwaltung und eine selbständige Reichsschuldenverwaltung eingeführt. Gerold Ambrosius: Staat und Wirtschaft im 20. Jahrhundert, München 1990, S. 8. Die bürgerlich-konservative Regierungskoalition nahm ab 1925 einen Teil dieser Reform wieder zurück. Ebd., S. 33.

3.6 Wirtschaftsautoritarismus

411

Autoritätsbildung der Zentralregierung am Werk. Eine generelle Kritik an der Reichszentrale äußerte unter anderem der Finanzexperte und Redakteur beim Berliner Tageblatt Hermann Zickert, in Hinblick auf den inflationären Geldkreislauf. Die Reichsregierung agiere in Fragen der Notenproduktion oder Kapitalflucht ,,gegenwärtig ebenso ratlos wie unglücklich.“921 Als aber die Regierung im Dezember 1919 die Kapitalflucht durch eine Generalamnestie für Steuersünder eindämmen wollte, kritisierte Zickert die Maßnahme als ordnungspolitisch zwar nachvollziehbar, aber nationalpolitisch widersinnig und innenpolitisch ungerecht.922 Der Begriff Kapitalflucht verwies nicht umsonst auf einen soldatischen Konnex, so dass Assoziationen mit einem Betrug an der ,Volksgemeinschaft‘ nahelagen. Zum gleichen Thema äußerte sich Karl Hoffmann in einer antisemitisch durchsetzten Rezension, die in ,,Kapitalflucht“, in ,,habsüchtigen Streiks“ und im ,,Verderbnis der Valutaspekulation“ eine ,,Verwahrlosung der einzelnen, und staatspolitisch indifferente Verantwortungslosigkeit einer Klasse“ sah.923 Hoffmann konkretisierte den in der ,,Kapitalflucht“ bloß angedeuteten Feind der Volksgemeinschaft als eine ,,Klasse“, wobei die enge Verknüpfung zwischen einem klassenkämpferisch verklausulierten Rassismus durchschien.924 Zickert schrieb bis Ende 1920 im Gewissen und urteilte über den Staatshaushalt, jede Mark Abgabe verschwinde in ihm wie in einem alles verschlingenden Moloch.925 Der Vorwurf richtete sich gleichermaßen gegen die ,,Zentrale“ Berlin wie gegen den Finanzminister Erzberger, der 1920 begann, die Staatsausgaben an die Steuerfinanzierung zu koppeln. Aus föderaler Sicht – im Gewissen formuliert als ,,landsmannschaftlich“ – war diese Prioritätenverschiebung ein Eingriff in die natürlichen Selbstverwaltungsrechte der Länder.926 Vor dem gleichen Hintergrund forderte Max Hildebert Boehm eine Gebietsreform, die sich aus den Bedingungen vor Ort ergebe und nicht von politischen Abwägungen abhängen dürfe.927 Denn ,,ein so aufgefaßter 921

922 923 924

925 926 927

Hermann Zickert (18.11.1919): Markfall. Die Katastrophe der deutschen Valuta, in: Gewissen, 1, H. 32, S. 3. Zickert veröffentlichte auch unter Pseudonym: Florian Geyer (11.12.1922): Rote Fahne und Nation, in: Gewissen, 4, H. 42, S. 2–3. Damit würden Steuerzahler als die ,,Ehrlichen zu den Dummen“ gemacht. Hermann Zickert (10.12.1919): Generalpardon, in: Gewissen, 1, H. 35, S. 4. BArch Koblenz R 118/12 / 341–348 Akten des Politischen Kollegs: Manuskript (o.D. [vermutl. 1921]) ,,Die Tragik des Judentums“ von Dr. Karl Hoffmann. Der Rassismus wird nicht ,,gegen das ,Klassenbewusstsein‘ eingesetzt“, vielmehr bilden ,,Klasse“ und ,,Rasse“ ,,die beiden antinomischen Pole einer permanenten Dialektik, [...] die im Mittelpunkt der modernen Geschichtsauffassungen steht“. Etienne Balibar/ Immanuel Wallerstein: Rasse-Klasse-Nation. Ambivalente Identitäten, Hamburg, Berlin 1992, S. 250. Hermann Zickert (07.01.1920): Reichsnotopfer, in: Gewissen, 2, H. 1, S. 4. Über die langfristige Verpuffung der Reform vgl. Wischermann/Nieberding: Institutionelle Revolution, S. 180-186; Ambrosius: Staat und Wirtschaft, S. 41. Max Hildebert Boehm (09.02.1921): Wirtschaftsprovinzen und nationale Gliederung, in: Gewissen, 3, H. 5, S. 2–3.

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3. ,,Der Ruf will gehört sein“ – das Profil des Gewissens

entscheidender wirtschaftlicher Einheitswille darf selbstverständlich nicht zentralistisch mißdeutet werden. Es liegen hier ganz im Gegenteil die modernsten Möglichkeiten des urdeutschen föderalistischen Gedankens.“ Dieser ,,urdeutsche“ oder auch ,,vertikale Gedanke“ sorge laut Boehm dafür, dass Gebiete nach ihren wirtschaftlichen Erträgen entstünden und sich infolgedessen auch die jeweilige Bevölkerung ,,homogener“ zusammenfassen lasse.928 Boehms Forderung war mit Blick auf die abgetretenen Landwirtschafts- und Industriegebiete formuliert, aber ging auch darüber hinaus: ,,Der vertikale Gedanke [. . . ] vereinigt dies konservative mit einem revolutionären Gepräge, insofern er überlieferte räumliche Schranken aufhebt und die deutsche Erde nach ihrer jeweils eigentümlichen Fruchtbarkeit, nach ihrem Ertrage für die Wirtschaft und damit zugleich auch der sozialen Sonderart ihrer Bevölkerung gliedert.“929

Boehms ,,vertikales Prinzip“ der Bodengliederung war in der Industrie schon angewandt worden. Aus Angst vor konkreten Sozialisierungsmaßnahmen hatte etwa der Stinnes-Konzern die ,,vertikale Sozialisierung“ durch Zusammenführung verschiedener Unternehmen zur ,,Union“ oder ,,IG“, oder die Eingliederung bisher familiengeführter Bergwerke zu Hüttenzechen, an denen sich die öffentliche Hand beteiligte, eingeleitet.930 Selbstverwaltung und Sachverständige

Mehr als die Struktur- oder Finanzpolitik stand die Produktions- und Handelspolitik im Mittelpunkt der Gewissen-Publizistik. Die meisten Autoren plädierten wie die Herausgeber für eine weitgehend parlamentarisch ungebundene ,,Selbstverwaltung“ der Wirtschaft. Damit war jedoch keine staatsunabhängige Wirtschaft gefordert, sondern die Einordnung staatlicher Institutionen in wirtschaftliche Strukturen, die sich wiederum an rein nationalistischen Interessen ausrichten sollten. Trotz der strukturellen Ähnlichkeiten, unterschied sich diese Form von Interessenverbindung von zeitgenössischen Konzepten zur korporativen Marktsteuerung.931 Die kriegswirtschaftliche Strategie Deutschlands wirkte auch hier nach und bewog den Staat zu zunehmender Einbindung der Wirtschaft mithilfe der Verbände, Kartelle und Syndikate.932 Während des Krieges hatten die Verbindlichkeiten in einem solcherart ,,organisierten Kapitalismus“ jedoch den Preis, dass die 928

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Ähnlich auch: Reinhold Georg Quaatz (22.12.1920): Politische Provinzen und Wirtschaftsprovinzen, in: Gewissen, 2, H. 50, S. 3; Heinrich Herrfahrdt (16.02.1921): Bezirkswirtschaftsräte und Wirtschaftsprovinzen, in: Gewissen, 3, H. 7, S. 4. Max Hildebert Boehm (09.02.1921): Wirtschaftsprovinzen und nationale Gliederung, in: Gewissen, 3, H. 5, S. 2–3. Feldman: Hugo Stinnes, S. 634-687. Vgl. Marc Lüdders: Die Suche nach einem Dritten Weg. Beiträge der deutschen Nationalökonomie in der Zeit der Weimarer Republik, Frankfurt a.M. u. a. 2004. ,,Waren es früher Syndikate und Interessenverbände, die die Mittel des Staates zu nutzen suchten, um ihre Ziele zu verwirklichen, so benutzte nun der Staat diese Organisationen zusammen mit den neugebildeten ,Selbstverwaltungskörpern‘ dazu, Vorräte zu vertei-

3.6 Wirtschaftsautoritarismus

413

Forderungen der Wirtschaft gegenüber dem Staat meistens durchgesetzt worden waren.933 Die hier geschaffenen gemeinwirtschaftlichen Elemente in der Versorgungs- und Kriegsgüterproduktion – wie etwa die Kriegsrohstoffabteilung unter Walther Rathenau und Wichard von Moellendorff934 – sollten in der Nachkriegszeit den Anknüpfungspunkt für eine stärkere Kontrolle der Wirtschaft bilden. Im Unterschied zu den bürokratisch-planwirtschaftlichen Überlegungen Moellendorffs forderten die Jungkonservativen jedoch frei agierende Entscheidungsträger. ,,Der Beamte mußte seine Präsentation, Sachverständiger a priori zu sein, gottlob aufgeben. Die Bahn wurde damit frei für das Wirken freier Sachverständiger. Was zunächst Experiment des Krieges und unserer nationalen Katastrophen–Krisis war, muß zu klarer Arbeitsmethode bewußt entwickelt werden.“935

In seinem Plädoyer für Sachverständige stellte Gleichen nicht die Prinzipien Planbarkeit, Kalkulation und Kontrolle in Frage, sondern sah er im Automatismus der Entscheidungswege des Beamtentums eine Gefahr für ,,klare Arbeitsmethoden“. Formalisierte und zugleich an praxisferne Individuen gebundene Entscheidungswege bedeuteten nach Gleichens Ansicht die unrechtmäßige Beteiligung nicht Eingeweihter in Wirtschaft und Politik. So wie der politische Entscheidungsbereich einer ausgewählten und kompetenten Elite vorbehalten bleiben sollte, galt auch die ausführende Ebene als ein Refugium gesonderter Kompetenzen. Mit dieser Annahme bewegte Gleichen sich im Horizont eines verbreiteten ,,erschütterten Glaubens“, der schließlich dazu führte, ähnlich wie im Politik- und Bildungsbereich auch in der Wirtschaft die ,,Rationalität nicht mehr im Individuum, sondern im speziellen, technischen Wissen von Experten [zu sehen], vor allem [in] ihrer vernünftigen Planung und Durchsetzung gesellschaftlicher Strukturen“.936 Im jungkonservativen Denken bedeutete der Entwurf einer ,,organisierten Selbstverwaltung“ und ,,Gemeinwirtschaft“, die gesamte Wirtschaft mit Expertise und Diktat als ,,Werksgemeinschaft“ zu führen.937 Ordnet man diese Haltung in den unternehmerischen Kontext ein, lassen sich Übereinstimmungen erkennen, denn die unternehmerische Sozialpolitik wurde während der gesamten Zwischenkriegszeit als ein Abwehrinstrument gegen staatliche und gleichermaßen gewerkschaftliche Intervention genutzt. In einer Kombination aus ,,betrieblicher Wohlfahrtspolitik, der

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len, die Produktion zu organisieren und die Kontrolle von Valuta und Außenhandel durchzuführen.“ Feldman, Vom Weltkrieg, S. 44. Vor allem im Bereich der Preisbestimmung; Henning: Deutsche Wirtschafts- und Sozialgeschichte, S. 178. Feldman: Vom Weltkrieg, S. 16. Heinrich von Gleichen (14.01.1920): Sachverständige, in: Gewissen, 2, H. 2, S. 2–3. Dieter Gosewinkel: Zwischen Diktatur und Demokratie. Wirtschaftliches Planungsdenken in Deutschland und Frankreich: Vom Ersten Weltkrieg bis zur Mitte der 1970er Jahre, in: Geschichte und Gesellschaft, 34.2008 H. 3, S. 327-359, S. 332. Gosewinkel: Zwischen Diktatur, S. 335.

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3. ,,Der Ruf will gehört sein“ – das Profil des Gewissens

,Herr–im–Haus’–Ideologie und autoritärer Repression“ versuchten vor allem Klein- und Mittelbetriebe, ihre Produktivität in einem konkurrierenden Umfeld aufrechtzuerhalten.938 In größeren Industrieunternehmen wurde die Rationalisierungsbewegung – inspiriert von den USA – aufgegriffen, um ,,betriebliche Sozialpolitik und wissenschaftliche Betriebsführung, autoritären Konservatismus und technizistische Ingenieurslogik, Wohlfahrt und Produktivismus“ auf höchstmöglichem Niveau miteinander zu verbinden.939 Die Großindustrie bevorzugte diese korporatistischen Strukturen, während der Mittelstand in einer ständestaatlichen Gliederung mehr Vorteile sah. Während der Korporatismus individuelle, unternehmensspezifische Kontrakte bevorzugte, berücksichtigte eine berufsständische Ordnung a priori auch die Zusammenhänge der Unternehmen untereinander, so dass die einen befürchteten und die anderen hofften, dass hiermit der ,,Bewegungsspielraum“ der Großindustrie eingeschränkt würde.940 Im Gewissen wurde zwar plakativ für beide Ordnungsformen geworben, aber da sich die Stände-Diskussion immer auf größere Zusammenhänge bezog, blieben die Ausführungen im Detail bemerkenswert nebulös.941 Wenn die Jungkonservativen konkret formulierten, dann äußerten sie ihre Hoffnung auf die Expertise von Unternehmern und Großindustriellen. Jedoch trafen sie bei letzteren nicht auf unbedingte Gegenliebe. Zwar setzten sich die Großunternehmer, vertreten vom Reichsverband der Deutschen Industrie, für die Schaffung unbürokratischer aber autoritär und technisch versierter Behörden ein. Und sie plädierten für unbedingte Produktionssteigerung bei gleichzeitigem Abbau sozialpolitischer Auflagen.942 Insgesamt stand jedoch der Reichsverband wie die meisten Unternehmer der Abschaffung der Monarchie ,,gleichgültig gegenüber“ und verhielt er sich gegenüber der Republik ansonsten abwartend bis fordernd.943 Im Gewissen wurde hingegen mehr politisches Engagement von Unternehmern gefordert, die als Männer der Praxis ihren ,,am nationalen Wohl orientierten Sachverstand“ einbringen sollten.944 Die Begründungsmuster der Gewissen-Artikel entsprachen durchaus in wei-

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Martin Fiedler: Betriebliche Sozialpolitik in der Zwischenkriegszeit. Wege der Interpretation und Probleme der Forschung im deutsch-französischen Vergleich, in: Geschichte und Gesellschaft, 22.1996 H. 3, S. 350-375, hier 355, 358. Fiedler: Betriebliche, S. 367. Winkler: Unternehmerverbände, S. 235. Nach 1918 zeichnete sich der der Korporatismus als eine ,,ordnungspolitische Alternative zwischen einer staatlich ,gelenkten Marktwirtschaft‘ ordoliberalen Zuschnitts und einer marktwirtschaftlichen, aber staatlich intensiv regulierten Wirtschaft keynesianischen Typs“ ab. Wehler: Gesellschaftsgeschichte IV, S. 271. Feldman: Vom Wetlkrieg, S. 46–50. Kluge: Weimarer Republik, S. 161. Winkler: Unternehmerverbände, S. 244.

3.6 Wirtschaftsautoritarismus

415

ten Teilen dem Selbstbild und Anspruch der Wirtschaftsführer.945 Dennoch enttäuschte aus Sicht des Gewissens vor allem Hugo Stinnes. In einem Brief an Hans Grimm äußerte Moeller seine Skepsis gegenüber Hugo Stinnes, der ihm zu wenig politisch ausgerichtet erschien. Stinnes wolle zwar die europäische Wirtschaft wieder flott kriegen und vor allem die französische klein halten, indem die wirtschaftlichen ,,Volkskräfte“ in direkter Konkurrenz ,,Stand wider Stand“ miteinander kämpften. Er sei ,,freilich skeptischer als der Praktiker. Ich glaube, dass die Wirtschaft die Lösung nur vorbereiten wird, aber dass nur die Gewalt sie wirklich wird austragen können.“946 Heinrich von Gleichen hingegen hielt an seinem Vertrauen in die politische Gestaltungskraft von Hugo Stinnes fest und beschwor den Großindustriellen: ,,Einer muss heute vorangehen, um das lebendige Beispiel des politischen Unternehmers zu beweisen, und die Herrschaft des Kriegs– und Revolutionsgeschäftsgeistes, der über dem Sumpfe unseres Staatsbankrottes schwebt, durch die Tat der verantwortungsbewussten Persönlichkeit zu brechen.“947

Heinrich von Gleichen setzte bis etwa 1924 seine Hoffnung in die starken Männer der Industrie, die mit Erfahrungen als leitende Manager und nationale Interessenvertreter eine expandierende National-Wirtschaft schaffen könnten. Die im Gewissen vertretenen Ambitionen waren nicht unbegründet, denn die Wirtschaftsführer des Rhein- und Ruhrgebiets stilisierten sich selbst gern zum charakterlich unfehlbaren Rückgrat der Nation.948 Aber konkret wollte vor allem die Großindustrie einen ,,starken, die privatkapitalistische Wirtschaftsform garantierenden und die gesellschaftlichen Gegensätze domestizierenden Staat“, der sich nicht in die Aktivitäten der Unternehmer einmischt, aber seine Exekutivgewalt vollständig für die wirtschaftlichen Interessen einsetzt.949 Die Optionen im Gewissen kamen diesen Vorstellungen zwar entgegen, 945

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Paul Ernst (06.08.1923): Gesellschaftliche Zerstörung und Neubildung, in: Gewissen, 5, H. 31, S. 2–3; Karl C. von Loesch (03.12.1923): Die Verantwortung der Wirtschaft, in: Gewissen, 5, H. 48, S. 3–4; Hutten [P] (23.06.1920): Der königliche Kaufmann, in: Gewissen, 2, H. 24, S. 1; Karl Müller-Franken (28.11.1921): Die politische Bewegung des erwerbstätigen Mittelstandes, in: Gewissen, 3, H. 48, S. 2–3; Friedrich Tobler (20.10.1920): Wissenschaft und Industrie, in Beilage Gewissen, in: Gewissen, 2, H. 41, S. 6; Johannes van de Kerkhoff (02.06.1920): Die Selbstverwaltungskörper der Außenhandelsstelle, in Beilage Gewissen, in: Gewissen, 2, H. 21, S. 5-6. DLA Marbach A: Hans Grimm: Brief (06.10.1920) Moeller van den Bruck an Hans Grimm. Heinrich von Gleichen (10.11.1920): Der politische Unternehmer, in: Gewissen, 2, H. 44, S. 1–2. Stefan Unger: Die Wirtschaftselite als Persönlichkeit. Zur Selbstdarstellung von Unternehmern und Managern im Ruhrgebiet während der Zwischenkriegszeit, in: Volker R. Berghahn/Stefan Unger/Dieter Ziegler (Hrsg.), Die deutsche Wirtschaftselite im 20. Jahrhundert. Kontinuität und Mentalität, Essen 2003, S. 295–316, S. 305. Winkler: Unternehmerverbände, S. 244.

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3. ,,Der Ruf will gehört sein“ – das Profil des Gewissens

aber sahen vor, dass die Wirtschaftsführer auch die politische Exekutivgewalt besetzen sollten. Bei aller Nähe zwischen den Positionen des Gewissens und den Zielen der Großindustrie in Bezug auf Protektionismus und Sozialpolitik, wich die moderne Interpretation der nationalökonomischen Prämissen Friedrich Lists von den Autonomieansprüchen der Unternehmerschaft ab. Der radikale Pragmatismus Hugo Stinnes‘, der um jeden Preis sein Wirtschaftsimperium durch die Inflationszeit bringen wollte, machte auch vor Konzessionen und Kompromissen keinen Halt, die aus republikfeindlicher, radikalkonservativer Sicht unpopulär waren.950 In der Gewissen-Spitzglosse zum Tode von Stinnes im April 1924 ehrte man dessen Einsatz für die deutsche Wirtschaft, aber äußerte sich auch enttäuscht über die Entwicklung in den letzten beiden Jahren, als Stinnes seinen Finanzbedarf decken musste. Aus dem nationalen Wirtschaftsführer war aus Sicht des Gewissens ein Handlanger des ,,internationalen Kapitals“ geworden: ,,Von da an verschob sich seine innenpolitische Stellung vom Führer einer nationalen Wirtschaft, die einem werdenden Staat Machtunterlagen schaffen sollte, zum Verfechter schwerindustrieller Interesse, die im Netz der Weltwirtschaft gefangen liegen und von der internationalen Finanz mitbestimmt werden. Stinnes hatte den Ausgangspunkt für die Politik verfehlt.“951

Nach dieser Enttäuschung setzte auch Gleichen nicht mehr auf einzelne Wirtschaftsvertreter, sondern er orientierte sich zunehmend an einem autoritär– korporatistischen Staatsumbau.952 Um eine ständische Interessenvertretung unter Leitung national orientierter Wirtschaftsführer umzusetzen interpretierte das Gewissen die Vorgaben der Weimarer Reichsverfassung als völlig unzureichend. In der Tat zeichnete sich die in der WRV fixierte Wirtschaftsordnung ,,durch politische Kompromisse und historischen Übergang“953 aus, denn während das Arbeitsrecht, die Arbeitsmarktordnung und die Finanzverfassung grundlegend geändert wurden, blieben Änderungsansätze für die Produktions-, Markt- und Geldverfassung stecken. Die WRV rührte nicht an der Eigentumsordnung, sondern legte nur allgemein fest, das Besitzrecht an das Gemeinwohl zu binden. Der Gemeinwohl- bzw. Sozialstaatsgedanke beeinflusste auch die Arbeitsmarktbeziehungen, in denen das uneingeschränkte Koalitionsrecht eingeführt wurde, jedoch mit dem Zusatz, dass der Staat zwangsschlichten kann, woraufhin fast alle wichtigen Tarifverträge zwischen 1924 und 1932 ,,durch staatlichen Schiedsspruch zustande“954 kamen. Naheliegend ent950 951 952 953 954

Petzold: Wegbereiter, S. 161. Vgl. auch zu den Unternehmerstrategien im Ruhrgebiet: Kleinschmidt: Rekonstruktion, in: Krumeich: Ruhrkampf, S. S. 133-147. N. N. [Heinrich von Gleichen] (14.04.1924): Hugo Stinnes, in: Gewissen, 6, H. 15, S. 1. DLA Marbach A: Hans Grimm / Br. A.: Brief (03.03.1925) H. v. Gleichen an Hans Grimm. Ambrosius: Staat und Wirtschaft, S. 8; Büttner: Weimar, S. 112-120. Ambrosius: Staat und Wirtschaft, S. 6; Feldman: Vom Weltkrieg, S. 52.

3.6 Wirtschaftsautoritarismus

417

täuschten aus jungkonservativer Sicht vor allem die Vorgaben der WRV für eine selbstverwaltete Wirtschaftsordnung. Der Reichswirtschaftsrat durfte nur Gesetzesvorschläge vorlegen und es wurde laut WRV mit ihm nur in Aussicht gestellt, dass Arbeitnehmer ,,gleichberechtigt in Gemeinschaft mit den Unternehmern an der Regelung der Lohn- und Arbeitsbedingungen sowie an der gesamten wirtschaftlichen Entwicklung der produktiven Kräfte“955 mitwirken sollten. Die Formulierung ,,gleichberechtigt“ interpretierten die Jungkonservativen jedoch nicht als gleich behandelte Interessen, sondern als Gebot zuvorderst nationale Interessen zu berücksichtigen, die durch eine Art ,,Expertokratie“ durchgesetzt würden. Heinrich Herrfahrdts Interpretation des Reichswirtschaftsrates als Vorstufe zur Durchsetzung eines korporativen Lobby-Staates stand beispielhaft für jungkonservative Vorschläge, die den Arbeitgeber-Positionen sehr nahe kamen.956 Herrfahrdt, Jahrgang 1890, hatte Jura in Bonn und München studiert und genoss als aktiver Offizier des Weltkrieges im jungkonservativen Kreis höchsten Respekt.957 Ab 1920 betätigte Herrfahrdt sich in der politischen Bildungsarbeit der Ring-Bewegung als Dozent am Politischen Kolleg,958 wo er sich nachdrücklich für eine berufsständische Ordnung als Gegenentwurf zum Parlamentarismus einsetzte. Deshalb waren ihm die Arbeit des vorläufigen Reichswirtschaftsrates und seine parlamentarische Anbindung kaum ausreichend, aber er sah in ihm immerhin die Form, die ,,wir in Zukunft auch für andere Zweige staatlicher Tätigkeit schaffen müssen“.959 Herrfahrdt kritisierte die nach seiner Meinung staatsrechtliche Unlogik nach der ein parteiisch 955 956

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Weimarer Reichsverfassung Art. 165. In der Regel wurde eine ,,Zweite Kammer“ neben dem Parlament gefordert, in der Industrievertreter die Mehrheit bildeten. ,,Die Ablehnung des bestehenden parlamentarischen Systems tritt in der offiziellen Zeitschrift der Arbeitgeber [,,Arbeitgeber“, Organ der Vereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände, C. K.] so offen und so häufig zutage, dass Zweifel am repräsentativen Charakter dieser Äußerungen kaum erlaubt sind.“ Winkler: Unternehmerverbände, S. 232. Angeblich hatte er sich ,,nur mit einem alten russischen Soldatenmantel und Pelzmütze getarnt“ aus russischer Gefangenschaft nach Hause durchgeschlagen. DLA Marbach A: Mohler 99.1: Brief (15.08.1949) Hans Schwarz an Armin Mohler. Herrfahrdt (1890-1968) hatte nach seiner Habilitation ab 1933 eine außerordentliche Professur an der Universität Marburg inne, 1934 trat er dem nationalsozialistischen Lehrerbund (NSLB) bei, 1935 gründete er als Ordinarius für Öffentliches Recht in Marburg eine Abteilung Ostasien, in der er ab 1937 ostasiatische Rechts- und Staatslehre lehrte. 2005 veranstaltete das juristische Seminar der Philipps-Universität Marburg eine Ausstellung ,,70 Jahre japanisches Recht“, in der die Leistungen Herrfahrdts hervorgehoben werden. Die Pressemitteilung geht weder auf Herrfahrdts beruflichen Werdegang, noch auf die Umstände der Rechtswissenschaft in den 1930er und 40er Jahren ein. Vgl. die Mitteilung der Pressestelle der Universität Marburg: http://web.uni-marburg.de/zv/ news/presse/2005_02_14_Japanisches%20Recht/2005_02_14_Japanisches_Recht.html, 18.05.2009. Heinrich Herrfahrdt (02.02.1921): Die Zersetzung des Parlamentarismus, in: Gewissen, 3, H. 5, S. 4.

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zusammengesetztes Gremium wie das Parlament über die diametral entgegen gesetzten ,,Interessen einzelner Volksgruppen“ entscheide. Die Lösung läge vielmehr in der ,,Mitwirkung von Berufs- und Interessevertretern in Verwaltung und Rechtssprechung.“960 Herrfahrdts Begründung verband die politischen Topoi ,,Überparteilichkeit“ und ,,Persönlichkeit“, mit einem kaum näher bestimmten Interesse am ,,Gemeinwohl“. Innerhalb dieser Trias konservativer Werte bewegten sich auch die jungkonservativen Begründungen für eine ,,ständische Berufs- und Interessenvertretung“, in der ,,Persönlichkeiten“ die Interessen ihrer unmittelbaren Lebenswelt ergo ,,Volksgruppen“ und nicht die von Parteien vertreten würden, woraus sich das Ideal einer GemeinwohlVertretung ergebe. Über Anforderungen an eine kapitalistische Selbstverwaltung, die sich aus dem Gemeinschaftsgedanken ableite, veröffentlichte der katholische Journalist Heinz Brauweiler an die 40 Artikel. Brauweiler wollte die herrschende bürgerlich-kapitalistische Wirtschaftsordnung keineswegs abschaffen, sondern über den schon existierenden Reichswirtschaftsrat die Bildung von Berufsständen vorantreiben, um eine Ständeverfassung zu etablieren.961 Brauweilers Ständerhetorik wirkte integrierend, trug aber auch zur Verdichtung des Experten- und Elitendiskurses im Gewissen bei. Da er davon ausging, dass ein kultur- und kapitalismuskritisches, antisozialistisches Ständeprogramm wenig massentauglich wirke, waren auch seine Organisationsgründungen auf Unternehmer ausgerichtet. Über den Kontakt zur wirtschaftlichen Elite wollte er sein Konzept zur Nationalisierung der Arbeiter in die Unternehmen zu bringen.962 Nach seinen Worten sollten ,,zunächst die geistig führenden Köpfe“ gewonnen werden, ,,die dann später erst nach unten wirken können.“963 Die innerhalb der kapitalistischen Wirtschaftsordnung herrschenden Konflikte sollten durch ständische Positionierung ,,Kraft des Unternehmers“ bei gleichzeitiger Einbindung der Arbeiterschaft aufgehoben werden. Insofern war die Konflikt-Überwindung von Kapital und Arbeit nicht im revolutionären Sinne gedacht, sondern evolutionär, die sich unter Anleitung der schon erwähnten ,,geistig führenden Köpfe“ organisch vollziehe.964 1921 gründete er gemeinsam mit Freiherr Ferdinand v. Lüninck den 960

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Heinrich Herrfahrdt (21.01.1924): Die Mitwirkung von Berufs- und Interessevertretern in Verwaltung und Rechtssprechung, in: Beilage: Die ständische Bewegung, in: Gewissen: 6, H. 3, S. 5–6. ,,Und hier ist zugleich der Weg gezeigt, auf welchem der Übergang zur ständischen Verfassung ohne Beseitigung und Antastung der Weimarer Verfassung möglich ist: der Ausbau und die Fortbildung des Artikels 165!“ Heinz Brauweiler (26.01.1921) ,,Der Weg zur ständischen Verfassung“, in: Gewissen, 3, H. 40, S. 2. Vgl. auch über Brauweilers ,,Hauptanliegen einer Verfassungsreform“ Clemens: Martin Spahn, S. 81. Clemens: Martin Spahn, S. 82. Zitat aus einem vertraulichen Exposé Brauweilers von Mitte Februar 1919, zitiert nach Petzinna: Erziehung, S. 69. Die in den Augen der Unternehmer als eine Bedrohung ihrer Leitungsfreiheit empfundenen Mitbestimmungsforderungen der Arbeiterschaft wurden durch deren Initiative

3.6 Wirtschaftsautoritarismus

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katholisch-adelig geprägten ,,Ketteler-Bund“, der sich als Wirtschafts- und Politikinteressenverband gegen die aktuelle Zentrumspolitik wandte.965 Auch Juni-Klub-Aktive und Gewissen-Autoren fanden ihren Weg in den Ketteler-Bund.966 Daneben spiegelte sich Brauweilers überkonfessionelle Stoßrichtung im Projekt ,,Bund der Arbeit“ und sollte schließlich mit dem Zeitschriftenprojekt Blätter für ständischen Aufbau967 und der angestrebten Sammlungsbewegung ,,Vereinigung für ständischen Aufbau“ umgesetzt werden. Neben den bis dahin vorrangig aus der Landwirtschaft968 stammenden Interessierten, fand Brauweiler bald auch Zugang zu industriellen Kreisen.969 Im Oktober 1921 konnte Brauweiler, unterstützt von Spahn und Stadtler, mit einer Ansprache im Industrie-Club Düsseldorf, in der er unter anderem die Idee einer Verfassungsänderung ausführte, eine indirekte finanzielle Unterstützung seiner Bewegung durch die Industrie erreichen.970 Brauweilers ständische Projekte stießen bei Arbeitgeberverbänden und christlichen Gewerkschaften ,,zunächst auf Interesse und zum Teil auf deutliche Sympathie“. Trotz dieser positiven Einstellung ,,ließen Bedenken taktischer und technischer Natur, aber auch Besorgnisse wegen befürchteter innenpolitischer Folgen wie einer möglichen unerwünschten Eigendynamik seines Konzepts die Dachorganisationen ein offenes Bekenntnis scheuen“.971 Unbehagen gegenüber Brauweilers persönlicher Dynamik waren wohl die vorrangigen Gründe,

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zur Bezähmung der Gewerkschaften, dem Stinnes-Legien-Pakt, deutlich. Dessen rechtsgültiger Status führte jedoch keineswegs zur Kompromissfähigkeit der Beteiligten oder Verminderung betriebsinterner Konflikte. Volker Hentschel: Die Sozialpolitik in der Weimarer Republik, in: Bracher/Funke/Jacobsen: Weimarer Republik, S. 197-217. StaMg 15/13/133 NL Heinz Brauweiler: Einladung zur Gründungsversammlung des ,,Ketteler-Bundes“ in Hagen. Die Namensgebung geht wahrscheinlich auf den Bischof Ketteler zurück, der 1867 die katholisch-borrussische Annäherung einleitete. Clemens: Martin Spahn, S. 9; Petzinna: Erziehung, S. 71-72. Der Industrielle Paul Lejeune-Jung teilte Brauweiler im Sommer 1921 mit: ,,Ich glaube, dass die mir nahestehenden Kreise wohl ausnahmslos dem Ketteler-Bund beitreten werden, soweit dies nicht bereits geschehen ist.“ Zitiert nach Petzinna: Erziehung, S. 72. Vgl. Ebd., S. 71. Brauweilers Netzwerk überschnitt sich mit dem von Spahn, denn auch das Politische Kolleg baute auf die engen Kontakt ,,zu Kreisen der Landwirtschaft“ auf. Petzinna: Erziehung, S. 163. Auf Initiative des ,,Zechenmagnaten“ Emil Kirdorf traf sich die ,,Arbeitsgemeinschaft rheinisch-westfälischer Berufsstände“ im Dezember 1921 um Brauweilers Vorschläge zu diskutieren, die insgesamt jedoch ,,zwiespältig“ auf Brauweilers Vortrag reagiert habe. Das Engagement blieb auf die Unterstützung durch 30 000 Mark für das Jahr 1922 beschränkt. Petzinna: Erziehung, S. 74-75. StaMg 15/13/134 NL Heinz Brauweiler: Brief (29.06.1922) R. G. Quaatz an H. Brauweiler. Über die verhaltene Reaktion der geladenen Gäste – z. B. Krupp-Direktor Otto Wiedfeldt, Syndikus der Essener Handelskammer Reinhold Quaatz – und die Entschließung eines Zweckverbands: Petzinna: Erziehung, S. 73-75. Korrespondenz in StaMg 2 15/13/134 NL Heinz Brauweiler. Vgl. auch Petzinna: Erziehung, S. 76.

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3. ,,Der Ruf will gehört sein“ – das Profil des Gewissens

ihn nicht über Maß zu unterstützen.972 Eine Annäherung an die christlichen Gewerkschaften schlug fehl; ihre Vertreter zogen sich im Herbst 1922 auch vom Politischen Kolleg zurück.973 Über finanzielle Unterstützung von Brauweilers Projekten ging das Engagement der Unternehmer schließlich nicht hinaus und auch dieses konnte nicht verhindern, dass das Erscheinen der Blätter für den ständischen Aufbau schon Ende 1921 eingestellt werden musste.974 Antikapitalismus und Arbeit

Brauweilers Engagement für einen Ständestaat markierte kein Alleinstellungsmerkmal des Gewissens oder des Jungkonservatismus, sondern ordnete sich in den Kontext konservativer Staatsvorstellungen einerseits und der zeitgenössischen Diskussionen zur Wirtschaftsordnung im Nachkriegsdeutschland ein. Einzelne Aspekte des Ständestaatkonzeptes, wie etwa Brauweilers Kapitalismuskritik, trugen jedoch zum wirtschaftsautoritären Profil des Gewissens bei. Zwischen 1919, als Brauweiler noch pauschal von einer Überwindung der ,,kapitalistischen Wirtschaftsordnung“ gesprochen hatte, und 1923 verschob er den Schwerpunkt seiner Argumentation hin zu einer ,,natürlichen Gliederung des Volkes“ und er unterschied zunehmend zwischen guten und schlechten Kapitalisten.975 Das Gegensatzpaar diente im Gewissen zur Unterscheidung zwischen vermeintlich nationalistisch integeren und das Gemeinwohl ignorierenden Unternehmern.976 Während der Ruhrkrise setzte sich Brauweiler mit deutlichen Worten für eine staatlich gelenkte Wirtschaftsordnung ein, schließlich denke ,,der sich selbst überlassene Egoismus der Wirtschaft [. . . ] weder an Staat noch an Gemeinwohl“977 , womit er auf die trotz des ausgerufenen ,,Ruhrwiderstands“ angestrebten industriellen Kooperationen mit Frankreich anspielte. Die Arbeiterklasse hielt Brauweiler für ,,ebenso brutal egoistisch [. . . ] wie das Kapital“. Brauweilers Kritik am ,,Kapital“ galt jedoch vor allem den internationalen, globalen Kapitalflüssen und Wirtschaftsbedingungen, die es einem schwachen Staat, wie es Deutschland 1923 in seinen Augen war, nicht ermöglichten, am internationalen Kapitalismus im großen Stil teilzuhaben. Die innenpolitische Harmonisierung sollte der Produktionssteigerung in Deutschland dienen, 972

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,,Ein Anschluss der Gewerkschaftsbewegung aber kann noch nicht erfolgen, dafür liegen die Begriffe und Entwicklungen doch noch zu sehr im Unklaren.“ StaMg 15/13/134 NL Heinz Brauweiler: Brief (08.07.1922) Vertretung der Christlichen Gewerkschaften an Heinz Brauweiler. BArch Koblenz R 118/46/1 Akten des Politischen Kollegs, Korrespondenz mit Dozenten: Brief (27.10.1922) Heinrich Brüning an Martin Spahn. Vgl. Petzinna: Erziehung, S. 75. StaMg 2 15/13/131 NL Heinz Brauweiler: ,,Der Bund der Arbeit. Ein Programm“ (Juli 1919). Vgl. zu unterschiedlichen Gewichtungen im Diskurs zur nationalen Solidarität der Weimarer Republik: Föllmer/Meissner: Ideen als Weichensteller?, S. 329. Heinz Brauweiler (17.09.1923): Staat und Wirtschaft, in: Gewissen, 5, H. 37, S. 3–4.

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um vom Welthandel und von Krediten unabhängig zu werden. Indem Brauweiler zwischen dem ,,brutalen egoistischen Kapital“ von außen und den kontrollierbaren Kapitalströmen innerhalb einer deutschen Wirtschaftsordnung unterschied, reihte er sich in gängige dichotomische Weltdeutungen der Zwischenkriegszeit ein. Mit der Kritik an einer Art ,,Raubtierkapitalismus“ waren zudem antisemitische Stereotype verbunden, die die Notwendigkeit eines nationalen Wirtschaftsprotektionismus als Barriere gegen ,,fremde Mächte“ unterstreichen sollten.978 Im folgenden Jahr nannte Brauweiler diese Konstellation ,,Nationale Wirtschaft“979 , in der weiterhin der Aspekt der Kontrolle eine Rolle spielte, aber noch deutlicher die Arbeitgeberinteressen betont wurden, die in einer ganzheitlichen Wirtschaftspolitik durchgesetzt werden müssten.980 Gegenüber der als ,,real“ definierten Wirtschaft waren die meisten Gewissen-Artikel immer wieder zu Zugeständnissen mit Blick auf Produktions- und Gewinnmaximierung bereit. Wie Brauweiler unterschieden auch die Autoren Walther Schotte oder Friedrich Luther zwischen einer produzierenden, realen Wirtschaft und der spekulativen Finanzwirtschaft. Der Verweis auf die Spekulanten drückte die vordergründig antikapitalistische und im Kern meist antiamerikanische und antisemitische Haltung des Gewissens aus. Die Forderungen nach Ausgrenzung der als unproduktiv diffamierten Kräfte im Inland waren durchgängig radikal, denn ,,die wirtschaftliche Produktion“ sei die Grundlage, ,,auf der die soziale Gemeinschaft“ erst entstehe. Der Psychologe und Privatgelehrte Luther folgerte daraus auch einen höheren ,,Rechtsanspruch des arbeitenden Menschen in der politischen Gemeinschaft“. Luthers Plädoyer widmete sich auf einer ersten Ebene der ,,arbeitenden Klasse“, enthüllte aber auf einer zweiten Ebene das antisemitische Stereotypentableau, in dem zur nicht-gewinnbringenden Arbeit ,,das Couponschneiden, die 978

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Matthew Lange: Antisemitic Elements in the Critique of Capitalism in German Culture, 1850-1933, Oxford/Bern/Berlin u. a. 2007, S. 268-269. Den Zusammenhang von Antisemitismus, der sich gegen einen als abstrakt wahrgenommen Status der Juden richtet, und Antikapitalismus, der sich gegen die abstrakten Formen von Kapital richtet, dekonstruiert Moishe Postone: Nationalsozialismus und Antisemitismus. Ein theoretischer Versuch, in: Michael Werz (Hrsg.): Antisemitismus und Gesellschaft. Zur Diskussion um Auschwitz, Kulturindustrie und Gewalt, Frankfurt a.M. 1995, S. 29-43. Heinz Brauweiler (28.07.1924): Nationale Wirtschaft, in: Gewissen, 6, H. 30, S. 1–2. Heinz Brauweiler (13.04.1925): Wirtschaftlichkeit, in: Gewissen, 7, H. 14, S. 1–3. Ab Ende der 1920er Jahre veröffentlichte Brauweiler hauptsächlich in ,,Der Arbeitgeber. Zeitschrift für die Vereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände“. In dieser Phase gab er auch die ,,Unterrichtsbriefe für die Schulungsarbeit der vaterländischen Bewegung“ heraus, in denen er auch über die ,,Judenfrage“ referierte: ,,Was von seiten [sic] des Staates zur Lösung der Judenfrage getan werden kann, ist [...] vor allem eine tiefgreifende Änderung unseres Wirtschaftsrechts, in der Richtung, dass das kapitalistisch-händlerische Erwerbsprinzip zurückgedrängt und jeder Wucher verpönt wird.“ BArch Koblenz Zeitgeschichtliche Sammlung 2/141: Heinz Brauweiler: Nachtrag zum vierten Brief. Zur Judenfrage, in: Schule der Politik, Fünfter Brief, o.D., S. 65-66.

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3. ,,Der Ruf will gehört sein“ – das Profil des Gewissens

Boden- und Börsenspekulation, Sportsiege, Spaziergehen und Lotterieloseinkauf “ zählten.981 Durch Personalisierung des ,,bösen“ Kapitalismus konnten Schuldzuweisungen leichter vorgebracht und zugleich positiv besetzte Persönlichkeiten als ,,gute“ kapitalistische Gegenkraft inszeniert werden. Einen Höhepunkt erreichte der antisemitisch codierte Antikapitalismus982 während der Ruhrbesetzung. Zwar bemühten sich die meisten Unternehmer um die Fortführung ihrer Geschäfte, aber im Gewissen standen jüdische ,,rassefremde“ Unternehmer im Mittelpunkt der Anfeindung, die durch Kriegsaufträge reich geworden seien und sich während der Inflation in ,,wirtschaftspolitischen Exzessen“ am Aufkauf und Ausverkauf beteiligt hätten: ,,Mit internationalen Kapitalkräften brachen sie schließlich in die Ruhrindustrie ein, von der sie heute mehr als 10 % beherrschen.“983 Ähnlich wie das Gegensatzpaar vom ,,schaffenden“ und ,,raffenden“ Kapitel wurde auch der Arbeitsbegriff in ,,ehrlich“ und ,,unehrlich“ unterschieden. Das so hergestellte nationalistische Arbeitsethos unterschied die einzelnen Mitglieder der arbeitsteiligen Gesellschaft nach ihrer volksgemeinschaftlichen Zugehörigkeit oder Ausschließung. Ähnlich wie Luther erklärte Gleichen 1919, ,,daß ehrliche Arbeit gerade in Deutschland bodenständig ist und daß unser Volk durch ein gesundes Selbstvertrauen und durch eine neue Volkssolidarität auch mit den Fremdelementen, Drohnen und Schiebern jeglicher Art und Geistesrichtung fertig wird und sich von ihrem Einfluß wieder befreien wird.“984

Die In- und Exklusionsrhetorik des jungkonservativen nationalistischen Arbeitsethos knüpfte deutlich an Meinungen der Vorkriegszeit an. Denn schon bis zum Beginn des Deutschen Reichs hatten sich die gegensätzlichen Stereotype vom ehrlichen ,,redlichen Erwerbsstreben“ zum ,,welschen nichtdeutschen oder liberalen Manchesterkapitalismus“ im öffentlichen Diskurs

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Friedrich Luther (17.04.1919): Das Recht der Arbeiterräte, in: Gewissen, 1, H. 2, S. 2– 3. Durchgängig auch bei Walther Schotte: ,,Seit der Revolution, seit der Staat den Willen und die Macht verloren hat, in die Welt hinaus zu wirken, hat das ,Kapital‘ seinen Siegeszug in Deutschland angetreten. die sich entwickelnde Wirtschaftskrise bot ihm nicht geringere Chancen der Spekulation, als die ,unbegrenzten Möglichkeiten‘ des Kolonialbodens dem modernen Kapital gewährt habe. Wir bekommen ,amerikanische Zustände‘.“ Walther Schotte (13.11.1922): Die kapitalistische Republik, in: Gewissen, 4, H. 38, S. 1–2. Die KPD der Weimarer Republik war ,,trotz ihres vermeintlich internationalistischen Selbstverständnisses auf eine spezifische Weise national war“ und betrieb die antikapitalistische Mobilisation der Arbeiterschaft über antisemitische Stereotype. Kistenmacher: Vom Judas, S. 71. Walther Schotte (13.10.1923): Vogel-Strauß-Politik, in: Gewissen, 5, H. 41, S. 1–2; ders. (09.02.1925): Der Wels auf dem Trockenen. Eine Richtigstellung, in: Gewissen, 7, H. 6, S. 1. Hutten [P] (07.10.1919): Pfarrer Hartmanns Erwiderung, in: Gewissen, 1, H. 26, S. 3.

3.6 Wirtschaftsautoritarismus

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voll ausgebildet.985 In der großen Finanzkrise der 1870er Jahre wurde das liberalkapitalistische Wirtschaftssystem mit der ,,Wucherei“ der Juden gleichgesetzt, eine retardierende Erklärung für den vermeintlichen Widerspruch, dass trotz aller Anstrengungen die Krise immer größere Ausmaße annahm.986 In diesem Kontext entwickelte sich, unterstützt durch veränderte Arbeitsformen und deren Bedeutungszuwachs, ein radikales Arbeitsethos. Arbeit bedeutete nicht mehr nur eine ,,Grundlage der sozialen und politischen Ordnung“, sondern stieg nun ,,zu einem zentralen Wert der modernen Welt“987 auf. Durch diesen Wandlungsprozess konnte Arbeit eine integrative Funktion gewinnen und stand dementsprechend nach der nationalen Niederlage im Ersten Weltkrieg im Mittelpunkt der Debatte nationaler Selbstvergewisserung. Dieser Diskurs durchzog auch die Debatte im Gewissen und verwies auf den starken traditionalistischen Strang in den vertretenen Meinungen. Neu war, dass der national intendierte Arbeitsbegriff schließlich mit modernen Forderungen nach Marktregulierung und rationaler Betriebsführung kombiniert wurde. Indem die ,,ehrliche Arbeit“ zu einem Wert an sich innerhalb der ,,Volksgemeinschaft“ avancierte und Produktivität mit Vitalität gleichgesetzt wurde, konnte sich auch die rassistische Konnotation im Arbeitsbegriff durchsetzen.988 Im Jungkonservatismus verband sich der Anspruch auf eine klassenüberwindende, nach nationalen Prioritäten gestaltete Kapital–Arbeit– Beziehung mit marktliberalen Vorstellungen. In der Konsequenz forderten die Jungkonservativen eine Ökonomisierung des volksgemeinschaftlichen Lebens. Der nationale deutsche Unternehmer wurde zum Gegenspieler des ,,westlichen Ausbeuters“ stilisiert, unter dem sich die Arbeitskräfte als ,,Kampfkraft“ einordneten.989 Die Gewissen-Forderungen bewegten sich damit auf der Grenze zwischen einer korporatistischen-faschistischen Doktrin einerseits und den Vorstellungen der liberalen Gegenbewegung zum

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Schatz/Woeldike: Freiheit und Wahn, S. 50. In diesem Zusammenhang auch der Ausspruch des Historikers Heinrich von Treitschke [, bei dem Martin Spahn Vorlesung hörte, C. K.]: ,,Die Juden sind unser Unglück!“ Schatz/Woeldike: Freiheit, S. 51. Sebastian Conrad/ Elisio Macamo/Bénédicte Zimmermann: Die Kodifizierung der Arbeit: Individuum, Gesellschaft, Nation, in: Jürgen Kocka/Claus Offe/Beate Redslob (Hrsg.): Geschichte und Zukunft der Arbeit, Frankfurt a.M. 2000, S. 449-475, hier 450-451. Fiedler: Betriebliche, S. 372. Über den Zusammenhang von Produktivität und Körperlichkeit vgl. Föllmer: Kranke Volkskörper. Zur Entwicklung vgl. Ulrich Herbert: Arbeit, Volkstum, Weltanschauung, Frankfurt a.M. 1995, S. 79-119. Auf der Basis der in den 1920er Jahren entwickelten betriebspolitischen Grundlage einer vollständigen Integration der Arbeitnehmer bis hin zur Förderung eines ,,Korpsgeistes“, der durch ein ,,industrielles Führertum“ ergänzt wurde konnte die nationalsozialistische Arbeitsordnung aufbauen. Werth: Sozialismus, S. 93.

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3. ,,Der Ruf will gehört sein“ – das Profil des Gewissens

Wohlfahrtsstaat andererseits. Beides wurde ab den 1930er Jahren als ein kapitalismuszentrierter hochmoderner Autoritarismus real wirksam.990 3.6.3 Wirtschaftsfrieden und Werksgemeinschaft Die jungkonservative Diskussion einer nationalen Wirtschaft und der in ihr organisierten Kapital-Arbeit-Beziehung, schloss auch die unternehmerischen Rahmenbedingungen ein. Denn die Arbeitgeber mussten sich auf institutioneller Ebene, neben dem Reichswirtschaftsrat, an zwei weiteren Schnittpunkten mit den Forderungen der Arbeitnehmer auseinandersetzen. Erstens sollte die im November 1918 geschlossene Zentralarbeitsgemeinschaft (ZAG) vorbeugen, dass der Staat die Lenkung und Kontrolle der Wirtschaft wieder preisgebe.991 Zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern gab es unterschiedliche Interpretationen der Reformtätigkeit dieses Gremiums; auch innerhalb der Gewerkschaften war man uneins, ob solch ein Organ eher auf Gleichberechtigung oder Disziplinierung von Arbeitern ausgerichtet sein sollte.992 Zweitens betraf die Auseinandersetzung über die gesetzlichen Mitspracherechte von Arbeitnehmern wesentliche Interessen der Arbeitgeber.993 Das Betriebsrätegesetz von 1920 beschränkte jedoch die Mitwirkung der Arbeitnehmer auf Unfallschutz, Betriebshygiene, Lehrlingsfürsorge, etc., also auf innerbetriebliche Wohlfahrtsmaßnahmen und blieb, ohne einen angemessenen Beitrag von Unternehmerseite, wirkungslos.994 Ähnlich wie die ZAG dazu beitrug, vor allem die Gemeinschaftsrhetorik zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern zu forcieren, bemühten sich Unternehmer, mithilfe von Werksgemeinschafts-Ideen, das Mitspracherecht der Arbeitnehmer auszuhebeln. Im Konzept zur Werks- oder auch Produktionsgemeinschaft sahen viele Unternehmer einen effektiven Weg, um den Betriebsfrieden und wirtschaftlichen Ertrag gleichzeitig sicherzustellen. 990

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Auch aktuell lassen sich der ,,untergründige faschistoide Humus und die explizit populistische Ader der Rechten [...] bestens vereinbaren [...] mit der hochmodernen Tendenz zu einer autoritären Regierung, die das Land als Unternehmer begreift“. Vgl. Catrin Dingler im Interview mit Rossana Rossanda: ,,Faschismus wiederholt sich nicht“, in: Jungle World 13 (26.03.2009), online: http://jungle-world.com/artikel/2009/13/33562.html Föllmer: Verteidigung der bürgerlichen Nation, S. 256-257. Über die interne Diskussion der christlichen Gewerkschaften: Euchner/Grebing (Hrsg.): Geschichte, S. 737-740. Die ZAG wurde schon ab 1920 vom Ruhrkohlebergbau als schweres Hindernis bei der Wiedereinsetzung patriarchalisch-autoritärer Unternehmensstrukturen angesehen. Kluge: Weimarer Republik, S. 167. Vgl. auch Feldman: Hugo Stinnes, S. 792-796; Michael Ruck: Gewerkschaften - Staat - Unternehmer. Die Gewerkschaften im sozialen und politischen Kräftefeld 1914 bis 1933, Köln 1990. Werner Plumpe: Betriebliche Mitbestimmung in der Weimarer Republik. Fallstudien zum Ruhrbergbau und zur chemischen Industrie, München 1999, S. 37-65, hier 65; Hentschel: Sozialpolitik, S. 203. Plumpe: Betriebliche, S. 45.

3.6 Wirtschaftsautoritarismus

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Aus dieser Sicht lag ein herausragendes nationales Interesse im ,,Wirtschaftsfrieden“, dessen Sicherstellung dementsprechend durch die Verhinderung von Streiks und Arbeitsniederlegungen gefördert würde. In der unmittelbaren Nachkriegszeit gehörten Streiks zu den Hauptgründen für Betriebsstörungen; bis 1923 gab es etwa 4 000 pro Jahr. Aber den längeren Atem hatten schon in dieser Phase in den meisten Auseinandersetzungen die Unternehmer.995 Im Gewissen bemühte man sich, in einer Mischung aus historischen und soziologischen Begründungen, Streikende als die natürlichen Feinde der Arbeiterschaft zu konstruieren. Joachim Tiburtius, 1919 unter anderem Referent im Reichsarbeitsministerium, stellte im Gewissen die Gewerkschaften durchaus als organischen Teil des Gesamtstaates dar, die den Streik jedoch ursprünglich nur eingesetzt hätten, um Forderungen nach verbesserten Arbeitsbedingungen zu unterstreichen.996 Nun sei aber der Streik zu einem ,,Ding-an-sich“ geraten. Da mit ihm nun versucht werde, politische Forderungen durchzusetzen, würde eine ,,Grundwahrheit der deutschen Arbeiterbewegung verfälscht“. Tiburtius geschichtliche ,,Wahrheit“ über die Arbeiter passte in das Gesamtensemble konservativer Geschichts- und Gegenwartsdeutungen, denn Arbeiter und Arbeitnehmer verkannten nach seinem Urteil ihre gegenwärtige nationale Aufgabe. So wie im Gewissen jedoch auch andere Krisenphänomene durchaus hoffnungsvoll gedeutet wurden, richtete auch Tiburtius den Blick in eine Zukunft, in der Schicksal und Tat aufeinanderträfen. Es würde schließlich eine Zeit kommen, in der die Arbeiter auch ,,diejenigen Berufsgenossen [. . . ], die zwar nicht dem äußeren Verbande, aber den inneren Gesetzen ihrer Organisation untreu werden“ als ,,Menschen minderer Ehre“ ansehen. Auch Heinrich von Gleichen sah im Wirtschaftsfrieden die Basis jeder politischen Entscheidung. Jeder Konflikt habe sich unterzuordnen, zur ,,Sicherung der deutschen Produktion im Lande und in den Werken zur Erhaltung der Notdurft unseres Volkes [. . . ] Um dieses Minimum geht es heute. Alles Übrige heißt Kampf um die Freiheit durch Selbsthilfe.“997 Der in der Republik kursierende euphemistische Begriff vom Wirtschaftsfrieden marginalisierte systematisch Arbeitnehmerinteressen. Die vermeintlich arbeitnehmerfreundliche ,,Idee der betrieblichen, klassenübergreifenden Produktionsgemeinschaft als Organisationsgrundlage der Arbeitsbeziehungen“998 lief auf eine wirtschaftsprotektionistische und ar-

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Wischermann/Nieberding: Institutionelle Revolution, S. 223-224. Joachim Tiburtius (10.03.1920): Das Einkommen der Hohenzollern in geschichtlicher Betrachtung, in: Gewissen, 2, H. 10, S. 4. Heinrich von Gleichen (25.07.1921): Programm-Politik, in: Gewissen, 3, H. 30, S. 1–2. Birgit Rehder: Christliche Antworten auf geöffnete Märkte:. Die Idee der betrieblichen Produktionsgemeinschaft in der Geschichte der deutschen Arbeitsbeziehungen, in: Jens Beckert/Wolfgang Streeck (Hrsg.), Transformationen des Kapitalismus, S. 91–110, S. 94.

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3. ,,Der Ruf will gehört sein“ – das Profil des Gewissens

beitgeberfreundliche Politik hinaus. Im Anschluss an die Einführung des neuen Tarifsystems, das die Klassen als Organisationsprinzip betonte, bemühten sich christliche Gewerkschaften und die protestantisch beeinflusste Arbeitsrechtswissenschaft um Interpretationsverschiebungen zugunsten einer ,,Interessengemeinschaft von Arbeit und Kapital“.999 Sie nutzten den 1919 gegründeten DGB als Kooperationsinstrument mit dem auch die ,,Leitidee einer christlich-nationalen Gemeinschaft“ entwickelt wurde.1000 Im Gewissen kamen ebenfalls protestantische und katholische Sozialethiker und Wirtschaftspublizisten zu Wort. Einer der Beiträger war der Theologe HeinzDietrich Wendland, wissenschaftlicher Assistent bei der ,,Apologetischen Centrale der Inneren Mission“ im Spandauer Johannesstift, wo auch die Lehrgänge des Politischen Kollegs stattfanden. Wendland galt in den 1920er Jahren als einer der ,,kenntnisreichsten Theoretiker des sozialkonservativen Protestantismus“, der eine ethische, gemeinschaftsorientierte Wirtschaftsordnung propagierte und diese auch in drei Gewissen-Artikeln vertrat.1001 Im Johannesstift arbeitete Wendland auch mit dem DNVP–Politiker und Vordenker Friedrich Brunstädt zusammen.1002 Im Gewissen kursierten von Unternehmerseite unterschiedliche Schwerpunkte des Werksgemeinschafts-Begriffs.1003 Während der Diskussion um das Betriebsrätegesetz verkündete der Unternehmer Kurt Woermann, dass ,,insbesondere die Frage der Betriebsräte nicht ein Frage von Paragraphen und Gesetzen, sondern eine Personenfrage“ sei.1004 Laut Woermann sollten verbindliche Regelungen nur auf Ebene einzelner Betriebe gelten, anstatt ,,St. Paragraphius“ ,,Orgien feiern“ zu lassen. Der Hamburger Jalousienfabrikant und überzeugte Monarchist Heinrich Freese gehörte zur älteren Generation der Gewissen-Autoren und hatte schon während der Kaiserzeit mit sozialreformerischen Maßnahmen für Aufsehen und Ansehen gesorgt und sich an Eingaben zur Verbesserung der ,,materiellen und moralischen Lage der unteren Klassen in Deutschland“ beteiligt.1005 Sein Modell einer ,,Konstitutionellen Werkmonarchie“ beruhte auf der Einführung von Arbeitervertretungen und Tarifvertrag (schon 1884), Gewinnbeteiligung (1888) und des Acht-Stunden-Tages (1892), wobei er jedoch nicht von seinem 999 1000 1001

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Rehder: Christliche Antworten, S. 96-98. Ebd., S. 99. Euchner/Grebing (Hrsg.): Geschichte, S. 1000. Wendland (1900-1992) wurde dann Privatdozent in Heidelberg, ab 1936 Professor in Kiel und übernahm 1955 in Münster die Leitung des Instituts für Christliche Gesellschaftswissenschaften der Evangelischtheologischen Fakultät. Euchner/Grebing: Geschichte, S. 998-999. Vgl. auch Wehler: Gesellschaftsgeschichte IV, S. 257. Kurt Woermann (18.11.1919): Betriebsräte der autonomen Wirtschaft, in: Gewissen, 1, H. 32, S. 2. StBPrK Sammlung Darmstaedter 2g1890/1912.116: Gedruckte Erklärung (o.D.) unterschrieben von Heinrich Freese. Vgl. auch BArch Berlin R8034 III/128 Presseausschnittsammlung – Reichslandbund.

3.6 Wirtschaftsautoritarismus

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Standpunkt abwich, dass ,,jeder soziale Fortschritt unvermeidlich verbunden ist mit der Entwicklung eines gewissen Klassengegensatzes“.1006 Ohne den ,,Herr-im-Haus“-Standpunkt aufgeben zu müssen, hatte Freese durch ein Prinzip vorweggenommener De-Eskalation all diejenigen Forderungen der Arbeitnehmer abgeschöpft, die dem Betriebsklima dienlich waren, aber keinen Bereich der Unternehmensentscheidungen tangierten. Mit diesem Erfahrungsschatz war der 66jährige Freese ein willkommener Gast im Gewissen. Im November 1919 setzte sich Freese für die Erhaltung der Akkordarbeit im Fabrikbetrieb ein, denn durch die direkte Kopplung von Arbeitsleistung und Arbeitslohn würde – ganz im Sinne der Produktionsgemeinschaft – eine motivierende Identifikation des Arbeiters mit seinem Unternehmen stattfinden.1007 Weitere aktive Unternehmer, die im Gewissen veröffentlichten, waren Ludwig von Winterfeldt– gleichzeitig Vorsitzender im berufsständischen Reichsausschuss der DNVP –, Paul Lejeune-Jung – im Ersten Weltkrieg in der Kriegsrohstoffabteilung tätig und danach u. a. Geschäftsführer des Vereins Deutscher Zellstofffabrikanten –, Otto Leibrock – Syndikus, Direktor und ab 1924 Vorstands-Mitglied der Knorr Bremse AG – und Johannes van de Kerkhoff – Seidenfabrikant aus Krefeld. Die Vertreter des Mittelstandes gingen davon aus, dass sie durch die berufsständischen werksgemeinschaftlichen Konzepte konkurrenzfähiger mit der Industrie werden könnten. Die wiederum stand der ,,Werbung für den Gedanken der Werksgemeinschaft“ in Teilen kritisch gegenüber, wie Brauweiler während des ,,Ruhrkampfes“ 1923 berichtete: ,,Aber die Mentalität der Industrie ist ein harter Stein.“1008 Insgesamt unterschieden sich die Aussagen zur Werksgemeinschaft in Fragen der Umsetzung, verwiesen aber alle auf das Konzept der ständischen Gliederung. In einem Wirtschaftsbetrieb sollten demnach nicht nur Arbeitsprozesse organisiert werden, sondern auch soziale und politische Aspekte innerhalb diese ,,Gemeinschaft“ ihre Regelung finden. Mit Blick auf Eduard Stadtlers Vorschläge für eine ,,Produktionsgemeinschaft“ wies Peter Fritzsche darauf hin, dass sie den totalen arbeitsgesellschaftlichen Planismus antizipierten, der einige Jahre später in Deutschland umfangreich einsetzte.1009 Die Arbeitnehmerposition innerhalb des angestrebten ,,Wirtschaftsfriedens“1010 verhandelten die Gewissen-Autoren hingegen nur oberflächlich. 1006 1007 1008 1009 1010

StBPrK Sammlung Darmstaedter 2g1890/1912.116: Gedruckte Erklärung (o.D.) unterschrieben von Heinrich Freese. Heinrich Freese (11.11.1919): Die Bedeutung der Akkordarbeit im deutschen Wirtschaftsleben, in: Gewissen, 1, H. 31, S. 3–4. Universitätsbibliothek Freiburg NL 12 Karl Ludwig Schemann: Brief (06.03.1923) Heinz Brauweiler an K. Ludwig Schemann. Peter Fritzsche: Breakdown or Breakthrough? Conservatives and the November Revolution, in: Jones/Retallack: Between reform, S. 299-328, S. 325. Eduard Stadtler (12.12.1920): Offener Brief an Minister Stegerwald, in: Gewissen: 2, H. 49, S. 1–2.

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3. ,,Der Ruf will gehört sein“ – das Profil des Gewissens

Konkreter war unter anderem die Auseinandersetzung mit der Position des christlichen Gewerkschaftsführers Adam Stegerwald1011 . Neben Fritz Weth schalteten sich Fritz Dessau, Franz Röhr und immer wieder Stadtler sowie Boehm in diese Diskussion ein. Im November 1920 hatte Adam Stegerwald auf dem Deutschen-Gewerkschaftsbund-Kongress in Essen einen Programmentwurf verkündet, ,,der größtes Aufsehen erregte.“1012 Der Gewissen-Autor Hermann Ullmann fasste in seinen Erinnerungen zusammen, dass Stegerwalds Sozial- und Wirtschaftsprogramm ,,eine Zusammenfassung der Richtungen Ketteler, Stöcker und Naumann“ gewesen sei, das ohne altes Parteischema auskomme.1013 In der Tat hatte Stegerwald in seiner Rede dazu aufgerufen, eine überkonfessionelle und vor allem antisozialistische neue Bewegung zu gründen, die den ,,rationalistischen und mechanistischen“ Parteienstaat aus den Angeln heben sollte.1014 Den Gewissen-Autoren des inneren Kreises erschien Stegerwalds Strategie jedoch nicht konsequent genug. In einem ,,Offenen Brief an Minister Stegerwald“ bedauerte Stadtler, dass sich die christliche Gewerkschaftsbewegung trotz dieser Ankündigungen der Zentrums-Parteiräson unterwerfe, anstatt ihr begrüßenswertes Anliegen einer ,,gegenseitigen Verantwortlichmachung von Unternehmertum und Arbeitnehmerschaft“ durchzusetzen.1015 Stegerwald, der zu dieser Zeit auch preußischer Minister für Volkswohlfahrt war, würde immer noch viel zu wenig seine Position gegen die Unternehmer aufgeben und damit den ,,Klassendualismus“ verfestigen. Auch Boehm unterstrich seine Forderung an den Minister, sich eindeutig gegen die linke Arbeiterbewegung zu stellen. ,,Stegerwalds Verantwortung“1016 liege vor allem in der Aufdeckung des ,,westlerisch“ verbrämten Marxismus (Rathenau, Parvus-Helphand, Wirth, Scheidemann werden genannt) und in der Entwicklung einer ,,geistigen Stoßkraft“, die es mit diesem aufnehmen könne. Den Stegerwald-Kurs anerkennen war eine Sache, aber seinen Vorsitz in einer Gewerkschaft ausblenden, ging aus jungkonservativer Sicht zu weit. Schließlich waren die aktuellen Gewerkschaften keine vorgesehene Ordnungseinheit in einem kapitalistisch-autoritären Staat nach jungkonservativer Vorstellung. Denn:

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Adam Stegerwald (1874-1945) wurde 1919 Vorsitzender des Gesamtverbandes der christlichen Gewerkschaften und des Deutschen Gewerkschaftsbundes, war 1920 bis 1933 MdR für das Zentrum, zwischen 1919 und 1932 u. a. preußischer und Reichsminister. 1921 war er zugleich preußischer Ministerpräsident. Ullmann: Publizist, S. 102. Ebd., S. 103. Euchner/Grebing: Geschichte, S. 751. Eduard Stadtler (12.12.1920): Offener Brief an Minister Stegerwald, in: Gewissen, 2, H. 49, S. 1–2. Max Hildebert Boehm (19.09.1921): Stegerwalds Verantwortung, in: Gewissen, 3, H. 38, S. 3.

3.6 Wirtschaftsautoritarismus

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,,Es ist auch unsere Überzeugung, dass heute noch die Gewerkschaften nötig sind. Aber wir sind nicht der Ansicht, dass sie mit dem letzten Ziele der Sozialreform zusammenpassen. Die Gewerkschaften sind Klassenorganisationen, und solange sie dies sind, ist wahrer sozialer Friede unmöglich.“1017

Gleichen vertrat dieselbe Meinung: Trotz seiner Ankündigung einer überkonfessionellen Sammlung würde Stegerwald weiterhin als christlicher Gewerkschaftsführer auftreten und deshalb Misstrauen wecken. Gleichen anerkannte Stegerwald als eine Integrationsfigur, aber fragte, ob er sich auch zum ,,politischen Handeln durchringen“ könne. Stegerwald ,,soll den Weg in die Zukunft und zur Freiheit mitbauen helfen. Dann muß die Zeit der ängstlichen Taktik aufhören. Dann muß entschlossen das, was von seinen Worten verkündigt wird, auch durch die Tat bekräftigt werden“.1018 Das Misstrauen gegenüber Gewerkschaften begründete sich unter anderem durch die bis 1921 andauernde Diskussion um Sozialisierungen im Versorgungssektor. Das Gewissen war strikt gegen jede Form der Verstaatlichung, vielmehr fungierte auch der Begriff ,,Sozialisierung“ als Code zur Durchsetzung eines sozialen Friedens innerhalb der kapitalistischen Wirtschaftsordnung. Zwar schlug ein Gewissen-Autor vor, dass eine ,,seelische Bindung“ zwischen Kapital und Arbeit, durch eine Beteiligung der Arbeiter am Betrieb möglich wäre, indem Arbeiter und Angestellte durch Kleinaktien Teilhaber an Betrieb und Umsatz werden sollen. Dadurch könne der Festlohn sinken, der Unternehmer bliebe weiterhin Privateigentümer des Betriebs und Streiks würden vermieden.1019 Aber Rudolf Böhmer, Mitarbeiter des DNVPFührers Karl Helfferich, erinnerte sich später, dass jenseits des Gewissens die soziale Frage und mit ihr die Sozialisierung für die jungkonservative Diskussion kein Thema war: ,,Ich weiß nicht, ob Sie zufällig an den wenigen Abenden im JuniKlub anwesend waren, an denen ich den Versuch machte, die soziale Frage auf das Tapet zu bringen. Es gelang mir nie, weil Heinrich von Gleichen mich stets unterbrach. Ich habe es dann aufgegeben und mich mehr und mehr zurück gezogen, weil ich mir keinen Erfolg von aller Arbeit versprach, solange das zur Zeit wichtigste Problem, das soziale entweder überhaupt nicht erörtert wurde oder nur in der Form der Werksgemeinschaft, die mit der Sozialisierung teilt, daß sich jeder unter ihr etwas anderes vorstellt, und daß sie ebenso wenig durchführbar und ebenso wenig tauglich zur Lösung des Problems ist, wie die Sozialisierung.[...]“1020

Zur Vervollständigung des binnenwirtschaftlichen Kreislaufs, wie er im Gewissen beschrieben wurde, steuerte Fritz Weth seine Interpretation der Arbeitnehmeraufgaben bei. Eben nicht die Marx’sche Klassenlogik und noch 1017 1018 1019 1020

BArch Koblenz R 118 34/14 Akten des Politischen Kollegs: Notiz von Moeller van den Bruck zu einer Replik auf einen Brief Leopold Zieglers, o.D. [vermutl. 1922]. Heinrich von Gleichen (13.03.1922): Stegerwald, in: Gewissen, 4, H. 11, S. 1–2. P. Mohr (02.09.1919): Wie können wir friedlich sozialisieren?, in: Gewissen, 1, H. 21, S. 1. BArch Koblenz N 1160 I/50/5 NL Rudolf Pechel: Brief (30.07.1928) R. Böhmer an R. Pechel.

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3. ,,Der Ruf will gehört sein“ – das Profil des Gewissens

weniger dessen ,,barbarische Methode“ des Klassenkampfes seien in der Lage die ,,proletarische Bewegung zu befreien“, sondern die vollkommene Integration der Arbeiterschaft in den Produktions- und Konsumprozess – ihr ,,ökonomisch durchdrungenes Leben“ – sei die Lösung. Indem die Arbeiterschaft durch ,,Konsumtionsverbände“ gebündelt und gezielt ihre selbst produzierten Waren erwerben würde, steigere sich auch deren ,,Spannkraft“ bis hin zum ,,Erwerb von Bildung“.1021 Erst durch die Teilhabe am Produktion-Konsum-Prozess erhalte das Individuum die Legitimität zur Gesellschaftsteilhabe. Im Vordergrund stand wiederum die nationale Selbstverwirklichung durch den Wirtschaftsprozess: Teilhabe an und Ausschluss von der volksgemeinschaftlichen Wohlfahrt ergaben sich aus der wirtschaftlichen Wertigkeit des Einzelnen in der Produktionsgemeinschaft. Während Unternehmer als handelnde Subjekte im Wirtschaftsleben gesehen wurden, kam den Arbeitnehmern nur der Rang beweglicher Objekte zu. Insofern referierten alle Gewissen-Autoren lediglich über Herkunft, Bedeutung und Strategie der Arbeiter- und Arbeitnehmerschaft1022 , denn ,,was die Arbeiter nicht wissen!“: Es sei die jungkonservative Aufgabe, ,,der arbeitenden Bevölkerung die Tatsachen, auf denen ihre Existenz beruht und immer beruhen wird, klarzulegen, und ihnen darzutun, daß es nur einen Weg aus dem Elend herausgibt: nämlich den Bedürfnissen des Marktes, insbesondere aber des Weltmarktes entgegenzukommen, um ihn sich dienstbar zu machen.“1023 : Die Gewissen-Autoren – Akademiker und aus bildungsbürgerlichem Milieu stammend – sahen im Inneren der Nation die größte Gefahr offensichtlich von Arbeitern und Arbeitnehmern ausgehen, die den Klassenkampf über die nationale Einheit der Volksgemeinschaft stellen würden. Diese Feindbestimmung korrespondierte mit der Einordnung des Versailler Vertrages, der als Bedrohung und vorsätzliche Beschneidung wirtschaftlicher Potenz von außen interpretiert wurde. Heinrich von Gleichen attestierte den Arbeitern einerseits einen ,,gesunden kritischen Instinkt“1024 , aber nur ,,sofern ihr der klare Blick nicht durch Fanatismus benommen ist“.1025 Letztlich richtete sich 1021 1022

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Fritz Weth (23.02.1921): Arbeiterschaft und Wirtschaftsgemeinschaft, in: Gewissen, 3, H. 8, S. 3. U. a.: Erich Brock (23.03.1925): Der Glaube an das Proletariat, in: Gewissen, 7, H. 12, S. 1–3; Paul Ernst (23.06.1920): Diktatur des Proletariats, in: Beilage Gewissen, in: Gewissen, 2, H. 24, S. 5–6; ders. (05.10.1925): Kunst und Proletariat, in: Gewissen, 7, H. 40, S. 2–3; Fritz Dessau (03.10.1921): Organisation und Arbeiterschaft, in: Gewissen, 3, H. 40, S. 2–3; Walter de Laporte (13.06.1921): Um den deutschen Arbeiter, in: Gewissen, 3, H. 24, S. 3; Reinhold Georg Quaatz (18.08.1920): Die zukünftige Organisation der Wirtschaft, in Beilage Gewissen, in: Gewissen, 2, H. 32, S. 5; Eduard Stadtler (27.10.1920): Führung der Arbeiterschaft, in: Gewissen, 2, H. 42, S. 1–2. Wilhelm von Kries (14.04.1920): Was die Arbeiter nicht wissen!, in: Gewissen, 2, H. 14, S. 2–3. Heinrich von Gleichen (04.02.1920): Diktatur der Sachverständigen, in: Beilage Liga zum Schutz der deutschen Kultur, in: Gewissen, 2, H. 5, S. 6. Chronist [P] (10.03.1920): Bewegung, in: Gewissen, 2, H. 10, S. 1.

3.6 Wirtschaftsautoritarismus

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der im Gewissen verhandelte ,,soziale Friede“ gegen die Arbeiter, die sich durch die Sozialreformen dem Bürgertum anzunähern drohten. Die Nivellierungstendenz von unten – eine ,,Bourgeoisierung“ der Arbeiter – sollte zum einen ,,revolutionär“ dereguliert werden, da die Arbeiter sonst ihrer nach konservativen Wertmaßstäben ,,eigentlichen Bestimmung zuwiderhandelten“.1026 Mit einer ,,seelischen Bindung“ sollte die radikal konservative Ansicht umgesetzt werden, eine ,,preußisch strenge Sozialisierung im Interesse der bürgerlich-kapitalistischen Wirtschaftsordnung“ durchzusetzen, soll heißen: strenger Dienst am Staat, Loyalität und Antiindividualismus. Im Gewissen galt deshalb der Ausbildung der führenden, strengen Hand an der Spitze dieser nationalen Wirtschaftsordnung die größte Sorge. Die GewissenAutoren und Herausgeber verhandelten zwar eine wirtschaftliche Ordnung im Sinne der deutschen ,,Volksgemeinschaft“. Konkrete Pläne oder persönliches Engagement über die Publizistik hinaus, beschränkten sich jedoch auf wirtschaftliche und politische Führungskreise, in denen das Gewissen Autoren und Ideen rekrutierte. Insgesamt knüpfte die im Gewissen geforderte nationale Wirtschaft an die wirtschaftspolitischen Diskussionen und Bedingungen während der Nachkriegszeit an und sah darüber hinaus die Unternehmer als Dreh- und Angelpunkt einer kapitalistisch-autoritaristischen Wirtschaftsordnung. Populistisch eingesetze Argumente unterfütterten die autoritären Zukunftsentwürfe, in denen Unternehmer die nationale Führung übernahmen, Ruhe nach Innen und Expansion nach außen durchsetzten. Die Fixierung auf ,,Persönlichkeiten“ zur Führung von Unternehmen und der Gesamtwirtschaft fand im Kontext der beginnenden Planungseuphorie nach den Erfahrungen des Ersten Weltkriegs statt. Den Selbstregulierungskräften der Gesellschaft wurde nicht zugetraut die krisenhafte Gegenwart zu verarbeiten, stattdessen sollte eine kalkulierte, ,,volksgemeinschaftliche“ Ordnung unter Anleitung von Experten eine geschlossen auftretende Expansionskraft entwickeln. Langfristig reihte sich die Debatte im Gewissen in ein rationalistischkapitalistisches Gesellschaftsverständnis ein, in dem das freie Spiel der Wirtschaftsführer unter den Primat nationaler Großmachtpolitik eingebunden werden sollte.1027

1026 1027

Meuter/Otten: Bürger im Spiegelkabinett, S. 20. Die nationalsozialistische Weiterführung des Arbeitsgedankens führte zu einer vollständigen ,,Militarisierung der Arbeit“. Trotz der niemals abgestrittenen ökonomischen Ungleichheit lautete der Sprachgebrauch, dass das Gegensatzpaar ,,Arbeitgeber“ und ,,Arbeitnehmer“ aufzugeben sei zugunsten ,,Wir sind alle Soldaten der Arbeit, von denen die einen befehlen und die anderen gehorchen“. Robert Ley, Führer der DAF, zitiert nach: Thamer: Nation als Volksgemeinschaft, S. 123-124.

4. Zusammenfassung Als Moeller van den Bruck in einem Gewissen-Artikel von 1922 die ,,Nationalisierung der Demokratie“ forderte, ließ sich an seinen Ausführungen auch sein intellektuelles Selbstverständnis nachvollziehen. Selbstgewiss wandte er sich erziehend, befähigt und berufen an sein Publikum: ,,Nicht rechts steht der Feind. Nicht links steht der Feind. Er ist in uns.“1 Moellers Anliegen und das seiner Autoren galt nicht einer Diskussion mit dem Lesepublikum, sondern der Mitteilung vermeintlich unhintergehbarer Tatsachen. Das Zitat verdeutlicht, wie sehr Moeller seine universalen Forderungen aus einer radikalen Subjektivität generierte, mit der er seine Handlungsaufforderung begründete. Er stellte jedes Individuum in den Sog ,,unseres Schicksals“, zu dem gehöre, ,,daß wir zu unserem Genius gezwungen werden müssen, der immer ein Dämon ist“. Moeller prägte den jungkonservativen Stil, indem er die größtmögliche Distanz zu allen Formen von gleichberechtigter Teilhabe einnahm und zugleich mit seinen Lesern auf emotionale Augenhöhe ging: Auch Ihr könnt am Genius teilhaben, sagte er ihnen, wenn Ihr anerkennt, was ich sage. Auf diese Weise nahm der spiritus rector des jungkonservativen Gewissens eine uneinnehmbare Position ein und signalisierte der Öffentlichkeit zugleich seine geistige und auf prophetischem Wissen gründende Zuständigkeit. Moellers Haltung bot die Folie, auf der sich der Jungkonservatismus als rechtsintellektuelle Strömung der frühen Weimarer Republik entfalten konnte. Der Jungkonservatismus war ein spezifisches Phänomen der deutschen Nachkriegszeit und frühen Weimarer Republik. Er wirkte vor allem als verbindende politische und generationelle Haltung unterschiedlicher Persönlichkeiten, deren zentrales Medium das Gewissen war. In ihm konstituierte sich das jungkonservative Denkkollektiv durch individuelle Einflüsse und Konstellationen der bürgerlich geprägten Männern, die an den radikalen Konservatismus der Vorkriegszeit anknüpften und sich auf eine in den Grundsätzen gleich lautende Weltdeutung für die Zeit nach dem verlorenen Krieg verständigten. Der Jungkonservatismus war deshalb keine neue Variante des Konservatismus, sondern die Synthese radikaler Anteile des Vorkriegskonservatismus und seines Elitismus, von Anti-Liberalismus und Nationalismus verbunden mit einer lebensideologisch geprägten Haltung im Denken und Auftreten. Der spezifische Beitrag der Jungkonservativen zur ,,Perfektionierung der politischen Leidenschaften“ und zur Verabsolutierung nationaler Werte ließ sich am Gewissen – die mediale Schnittstelle zwischen dem elitärem Kreis und der Öffentlichkeit – eindrücklich nachvollziehen. Die Zeitschrift war Kom1

Moeller van den Bruck (03.07.1922): Die Nationalisierung der Demokratie, in: Gewissen, 4, H. 27, S. 3.

434

4. Zusammenfassung

munikationsort und Vermittlungsinstanz unterschiedlicher, jungkonservativ gekennzeichneter Ideen und Forderungen. Erst durch die Bündelung und Präsenz unter einem gemeinsamen und interpretierbaren Symbol – dem Ring – und unter Bezug auf einen glaubwürdigen Ideenstifter – Moeller van den Bruck – bildete sich durch die medial verbreitete Wortergreifung und öffentliche Wahrnehmung die politische Strömung des Jungkonservatismus heraus. Die Versammlungen des Juni-Klubs vermittelten zwar den unmittelbar Beteiligten ein verbindendes Gefühl, aber erst durch den Eingriff in die öffentliche Diskussion wurde dieser Erfahrungszusammenhang in ein verbindliches Deutungsmuster transponiert. Um die inhaltlich und organisatorisch wechselseitige Entwicklung zwischen dem Medium Gewissen und dem elitären Zirkel Juni-Klub zu erfassen, konnte der Netzwerkbegriff gewinnbringend angewandt werden. Zum einen spielten persönliche Kontakte, Sympathien und Beziehungen für das Zustandekommen der politischen Strömung eine wichtige Rolle. Zum anderen verbanden sie sich, zusammen mit den kursierenden politischen Ideen und Zukunftsentwürfen, zu einem gemeinsamen sozialen Kontext und zu Motiven für die öffentliche Kritik. Durch die Berücksichtigung der Lebensdaten von über der Hälfte der insgesamt 280 Autoren und auf der Basis von über 1 500 begutachteten und katalogisierten Gewissen-Artikel der Jahrgänge 1919 bis 1925 baut die Untersuchung auf eine fundierte breite empirische Arbeitsgrundlage auf und bietet gleichermaßen eine qualitative wie quantitative Geistesgeschichte des Jungkonservatismus. Schon seit den künstlerischen Zirkeln und Zusammenschlüssen des fin de siècle waren Versuche unterschiedlicher Gruppen erkennbar, sich innerhalb der klassischen Moderne einer eigenen, oft überlegenen Identität zu versichern, aber auch nach Erkenntnissen zur Verbesserung der Gesamtsituation zu streben. Reformbewegung oder Avantgarde entwickelten sich nicht zwangsläufig zu gesamtgesellschaftlich orientierten Sinndeutungs-Einheiten, aber was hier im Kleinen geschah, erzeugte einen spezifischen Erfahrungszusammenhang, der nach 1918 für einen Teil der Intellektuellen die Basis für eine radikale Welterklärung und Generierung von Lösungsangeboten bildete. Während des Wilhelminismus hatten sich zudem viele der späteren Gewissen-Autoren als Mitglieder des Bildungsbürgertums einer unsicheren beruflichen und sozialen Zukunft ausgesetzt gesehen. Sie wollten – Moeller van den Bruck oder Eduard Stadtler stehen hierfür als besonders markante Beispiele – kulturelle und politische Mitsprache und Anerkennung, aber sie sahen sich der staatlichen Hegemonie und Ämterpatronage gegenüber. Ein unkonventioneller Lebenslauf, autodidaktische Prozesse und Konflikte mit der staatlichen Bürokratie prägten ihre bürgerlichen Lebenswege; ein ähnliches Ohn-Machts-Gefühl angesichts starrer Strukturen beschrieb auch der Adelige Heinrich von Gleichen für die Vorkriegszeit. Die Krise der Moderne begann für die späteren Gewissen-Autoren bereits vor dem Krieg mit Angst vor Status- und Bedeutungsverlust. Das antibürger-

4. Zusammenfassung

435

liche Außenseiter-Ethos entwickelte sich in dieser Phase aus der doppelten Frontstellung einerseits zu Ämterinhabern und Verantwortlichen, die sich geistig nicht zu rühren schienen, und andererseits gegen die nach Gleichberechtigung drängenden Arbeiter- und anderen Emanzipationsbewegungen. Die Orientierung nach oben und Distanzierung von egalitären Instanzen, wie etwa den Parteien, beruhte im jungkonservativen Fall auf persönlicher Betroffenheit und ideeller Prägung. Die jungkonservative Rhetorik blieb zwar antibürgerlich ausgerichtet, rekurrierte aber im Kern auf bildungsbürgerliche Denkmuster oder Topoi der Aufklärung.2 Anhand eines dezidierten Erziehungsdiskurses, der Forderung nach einem Ständestaat oder entscheidungsorientierten Führungspersönlichkeiten übten sie schließlich mit der Zeitschrift Gewissen eine schreibende Herrschaft über die Masse aus. Wohl jede politische Strömung nach 1918 knüpfte an Ideen der Vorkriegszeit an, gleichermaßen wirkte der Erste Weltkrieg transformierend oder auch verwerfend auf das Denken und Verhalten von Individuen und Gruppen nach 1918 ein. Die Wege der späteren Jungkonservativen kreuzten sich im kaiserlichen Propagandaapparat, wo die nach Anerkennung suchenden Publizisten, Schriftsteller und Wissenschaftler auf sukzessiv professionalisierte deutsche Kriegsinstitutionen trafen. Ein großer Teil der Autoren erlebte in der Propagandaarbeit eine intellektuelle Schützengrabengemeinschaft, aber weniger die realen Erfahrungen von Tod, Blut und Elend. Die intellektuelle Radikalisierung während dieser Zeit entsprang vielmehr einer Mischung aus sozialer Anerkennung und professioneller Einbindung in die kaiserliche Kriegszielpolitik und der Enttäuschung über die selbst entworfenen und nicht erreichten Kriegsziele. Zwischen Moeller, Gleichen, Stadtler und Boehm geriet das Erlebnis der Propagandatätigkeit zu einem der wenigen auch persönlich verbindenden Momente. Als Herausgeber des Gewissens sahen sie sich in dieser Tradition als Erzieher und geistige Vorkämpfer für eine aus ihrer Sicht bessere Welt und sie beriefen sich dabei auf vermeintlich universal gültige Werte. Ihre Gewissen-Publizistik war insofern modern und fortschrittlich, als sie sich – auch in der Propagandatradition – um einen sachlich-distanzierten Stil ihrer irrationalen Begründungszusammenhänge bemühte. Vor diesem Hintergrund konnten bisherige Befunde zu sozialen, mentalen und ideellen Kontinuitäten und Strukturprozessen dieser Phase durch die Untersuchung des jungkonservativen Netzwerks auf einer ideen-, medien- und generationssoziologischen Mikroebene ergänzt und differenziert werden. Das jungkonservative Gewissen war nicht nur Medium innerhalb der politischen Gegenwart, sondern es nahm auch eine zeitliche, ideelle und generationelle Scharnierfunktion ein. Es verband die kulturkritische Bohème, den preußischen Konservatismus und die intellektuelle Sinnsuche auf der einen Seite mit dem leidenschaftlichen Ungerechtigkeitsempfinden nach dem Krieg, der Ver2

Lenk: Deutscher Konservatismus, S. 129.

436

4. Zusammenfassung

absolutierung des Politikverständnisses und einem unbedingten Ordnungsdenken auf der anderen Seite. Die intellektuelle Leistung der Herausgeber und Autoren des inneren Kreises lag in der Fähigkeit, ihre Vorkriegserfahrungen mit den disparaten politischen und kulturellen Topoi ihrer Gegenwart zu einer Utopie zu synthetisieren und als ernsthaftes Politikkonzept anzubieten. In der Untersuchung der verschiedenen Themenbereiche konnte immer wieder die Argumentationsstrategie des jungkonservativen Gewissens dekonstruiert werden. Politische Begriffe wurden zunächst aus ihrem sachlichen oder parteipolitischen Zusammenhang gelöst und dann auf eine emotionale, irrationale, überzeitliche und metaphysische Ebene gehoben. Die Untersuchung der entgrenzten Neudefinitionen der Begriffe ,,Demokratie“, ,,Partei“, ,,Sozialismus“ oder ,,Revolution“ bildeten paradigmatische Beispiele für den anschließenden Prozess der scheinbaren Re-Rationalisierung. Die auf der metaphysischen Ebene angesiedelten entpolitisierten Begriffe wurden durch den Anspruch auf vollständige Politisierung überwölbt und gerieten auf diese Weise wieder in den rational geführten politischen Kommunikationsprozess. Ein ähnliches Verfahren ließ sich an den legitimierenden Motiven ,,Berufung“ und ,,Recht“ erkennen. Der Jungkonservatismus begründete einen angeblich rationalen Sachverstand mit einem irrationalen Berufungs-Motiv oder er legitimierte radikale Forderungen mit Motiven der Rechtschaffenheit oder Rechtlichkeit. Hierbei wurde in einem argumentativen Dreischritt der normative Inhalt des Rechtsprinzips auf eine metaphysische Ebene gehoben, dann dem politischen Gegner abgesprochen, sich auf dieser zu bewegen, wodurch im Gegenzug die Gewissen-Forderung als rechtlich korrekt erscheinen konnte. Diese Argumentationsstrategie fand auch in den jungkonservativen Anwendungsangeboten und Appellen an die Unternehmerschaft seine Anwendung. Kaum ein Themenbereich verdeutlichte die jungkonservativen Interessen so deutlich, wie die Forderungen nach Persönlichkeiten und Sachverständigen in der Politik. Hier spitzte sich die intellektuelle Machtvorstellung zu. Zum einen erschien im Gewissen Artikel, die für eine Diktatur durch wirtschaftserprobte Sachverständige plädierten. Zum anderen bemühten sich die Autoren, durch Kontakte zur DNVP, zu Hugo Stinnes oder Albert Vögler um die Vermarktung und Umsetzung ihrer Forderungen. Sie suchten die Nähe zur wirtschaftlichen Macht, um die akute politische Macht enteignen zu können. An der Schnittstelle von intellektuellem Sendungsbewusstsein und den Produktionsbedingungen seiner Vermittlung konnte aufgezeigt werden, wie sehr jedoch der Erfolg politischer Utopien abhängig war von der Macht, sie in der Öffentlichkeit glaubwürdig zu verbreiten. Mit seinen Interpretationstransformationen und binnenlogischen Argumentationen trug das Gewissen zur allgemeinen Emotionalisierung und ReMythisierung der politischen Kommunikation in der Weimarer Republik bei. So begriffen die jungkonservativen Intellektuellen den Krieg und mehr noch seine Folgen als eine universal gültige Ungerechtigkeit; diese anzuprangern erschien ihnen als unumgängliche politische Pflicht. In ihrer Deutung des

4. Zusammenfassung

437

verlorenen Weltkriegs flossen radikaler Konservatismus, christliche Motive, Populismus, Elitedenken, bürgerlicher Reformeifer, kapitalistische Wertvorstellungen, antisemitische Stereotype, rassistischer Chauvinismus und journalistischer Anspruch auf Meinungsführerschaft zusammen. Sie interpretierten die Nachkriegszeit als größtmögliche Krise und boten zugleich ihr Weltbild als Handlungsanweisung für eine bessere Zukunft an. Im Kampf um Wörter und um ,,Wahrnehmungs-, Denk- und Klassifikationsschemata“3 konnten diese Gemeinsamkeiten, gepaart mit den machtpolitischen Interessen, den jungkonservativen Zusammenhalt stützen. Innerhalb der zentralen Themenfelder des Gewissens politische Macht, Erziehung, Revision des Versailler Vertrages, außenpolitische Ordnung und innenpolitischer Wirtschaftsautoritarismus lassen sich im Verlauf der Jahrgänge die Interessenverschiebungen der Herausgeber und Autoren erkennen. Die Jahrgänge 1919 bis 1923 waren noch von der Aufbruchsstimmung der unmittelbaren Nachkriegszeit getragen. Die Zeitschrift hatte zwar immer mit finanziellen Schwierigkeiten zu kämpfen, die Redaktion musste sich oft um ausreichende und pünktliche Artikellieferungen bemühen, und Moeller äußerte regelmäßig Zweifel am Projekt einer erfolgreichen nationalen Erziehung, weil es an engagiertem rechtsintellektuellem publizistischem Potenzial fehlte. Aber insgesamt beruhte das Selbstvertrauen der Herausgeber während dieser Phase auf der Annahme, auf die Parteipolitik tatsächlich Einfluss üben zu können und auf diesem Wege, Führungsstrukturen, die Revisionspolitik oder Gemeinwirtschaftspläne zu verändern. Die darauf folgenden Veränderungen und Tendenzwechsel im jungkonservativen Denkkollektiv gingen eng mit den politischen Entwicklungen während und nach 1923 einher. Außerhalb des jungkonservativen Denkkollektivs veränderten sich die politischen Koordinaten, so dass sich die aus dessen Sicht bisherigen Einflussmöglichkeiten verringerten. Bis 1923 waren die jungkonservativen Hoffnungen zudem enttäuscht worden, dass prominente Wirtschaftsführer ihre ökonomische Macht für eine nationalistische Politikvorstellung der Jungkonservativen einsetzten. Im Jahr des ,,Ruhrkampfes“ versuchte das Gewissen, unter Heinrich von Gleichens Einfluss innerhalb des rechtsoppositionellen Lagers eine zentrale Position einzunehmen. Die Appelle für ein geschlossenes Vorgehen, um in Berlin eine Militärdiktatur zu errichten, verstärkten sich nach den Ereignissen vom November 1923. Ab 1924 war dann der radikale Umsturz nicht mehr Teil einer realen rechten Machtlogik; die Stabilisierung der Republik und die staatspolitische Annäherung der DNVP bewirkten auch im Gewissen eine verstärkt etatistische Tendenz. Heinrich von Gleichens Linie setzte sich gegen die des nominellen Herausgebers Eduard Stadtler durch, weil er die veränderte Machtlogik besser

3

Gilcher-Holtey: Prolog, S. 15.

438

4. Zusammenfassung

verinnerlichte und seine elitäre Interpretation des Jungkonservatismus darauf abstellte. Auch interne Verschiebungen markierten einen Übergang in der jungkonservativen Zusammensetzung. Die feinen Unterschiede in den Lebensdaten der Autoren und ihre individuelle Erfahrung der Kriegszeit als Männer im mittleren Alter oder junge Erwachsene traten vier Jahre nach Kriegsende offener als bis dahin zu Tage. Die unmittelbare Nachkriegszeit ging zu Ende und der überwölbende rechtsoppositionelle Identitätsrahmen ,,Junge Generation“ wirkte nicht mehr unabhängig vom biologischen Alter. Als sich die Deutungsmuster von Gründerzeit- und Frontgeneration differenzierten, kleideten die Vertreter der ersten – zu der Moeller gehörte – ihre politischkulturellen Utopien weiterhin in metaphysische Rhetorik, während jüngere Autoren zunehmend eine Praxisorientierung der intellektuellen Tätigkeit forderten. Das Auseinanderdriften konnte an den auftretenden Positionsunterschieden zu den Themen Erziehung und Wissenschaft und ihrem Abgleich mit dem Sozialprofil der jeweiligen Autoren deutlich nachgezeichnet werden. Der durchgängige Konflikt zwischen Eduard Stadtler und seinem nur elf Jahre älteren Doktorvater Martin Spahn beruhte im Kern auf unterschiedlichen Einschätzungen, inwieweit intellektuell-wissenschaftliches Engagement auch auf offensive Formen von Popularisierung zurückgreifen müsse. Der Tod der jungkonservativen Stil-Ikone Moeller van den Bruck 1925 markierte somit nur den äußeren Anlass für eine Zäsur, die den Abschluss eines gruppeninternen, generationellen und politischen Prozesses bildete. Mit der Studie zum jungkonservativen Denkkollektiv und zu seinem Konstitutionsort Gewissen wurde auf Mikroebene ein neuer Blick auf das rechtsintellektuelle Feld der frühen Weimarer Republik gerichtet. Durch die dichte Unterfütterung mit biographischen Daten sowie einer medien- und zeitgeschichtlichen Einordnung bietet die Untersuchung reichhaltigen Stoff für zukünftige Forschungen. So könnten etwa in synchronen und diachronen Vergleichsstudien die Lebenslaufdaten mit ähnlichen Gruppierungen verglichen und die biographischen Skizzen ausgeweitet und in weiteren Bezugsrahmen verortet werden. Anhand der ideengeschichtlichen Perspektive bieten sich Anknüpfungspunkte für Fragen nach transnationalen Transformationen des Konservatismus oder politischen Strategien der Neuen Rechten. Beide Felder können auch in Hinblick auf individuelle und transgenerationelle Kontinuitäten und Brüche zum Nationalsozialismus oder zur Bundesrepublik untersucht werden. Die mediengeschichtliche Aufarbeitung könnte ebenfalls durch vergleichende Studien die Kenntnisse über Formen, Bedingungen und Wirkung intellektueller Prozesse erweitern. Darüber hinaus stellt die vorliegende Studie über den Untersuchungsrahmen hinaus Fragen nach dem grundsätzlichen gesellschaftlichen Stellenwert von Intellektuellen: Welche Formen von Intellektualität und intellektueller Existenz entstehen unter welchen Bedingungen und welche Anteile am kulturellen Wandel einer Gesellschaft können ihnen zugeschrieben werden? Durch die konsequente

4. Zusammenfassung

439

Berücksichtigung biographischer und gesellschaftsgeschichtlicher Aspekte können solche Fragen womöglich nicht leichter, aber differenzierter und nachvollziehbarer beantwortet werden.

Grafik und Tabellen Organisationsvernetzung im Vorfeld des JuniKlubs

Abbildung 1: Organisationsvernetzung im Vorfeld des Juni-Klubs (Reiner Eisfeld: Ausgebürgert und doch angebräunt. Deutsche Politikwissenschaft 1920–1945, Baden-Baden 1991, S. 42)

442

Grafik und Tabellen

Übersicht: Autoren innerer und äußerer Kreis Von den 280 Autoren der Jahrgänge 1919 bis 1925 des Gewissens konnte über die Hälfte mit ihren Lebensdaten recherchiert werden. Um eine qualitative Unterscheidung der Autoren zu gewährleisten, die erkennen lässt, ob jemand kontinuierlich das Profil der Zeitschrift beeinflusste oder nur innerhalb eines kurzen Zeitraumes Akzente setzte, wird zwischen einem inneren und äußeren Autoren-Kreis unterschieden. Die Liste veröffentlichter Artikel pro Autor (als Zusatzmaterial zum Buch auf der Verlags-Website zugänglich) ergänzt die biographischen Angaben, aus denen die intensive oder lose Verbundenheit mit der Gewissen-Redaktion hervorgeht. In der Regel wurden Autoren, die weniger als fünf Artikel innerhalb aller Jahrgänge veröffentlichten, dem äußeren Kreis zugeordnet. Ausnahmen bilden Georg Bruns, Paul Dehn und Edgar Pröbster, die mit einer Artikelserie ihre Veröffentlichungszahl innerhalb eines kurzen Zeitraumes erhöhten, aber dennoch im äußeren Kreis zu verorten sind.

Autoren des Inneren Kreis Name

Geburtsdatum, Ort, Konfession

Hermann Albrecht

06.08.1881 (protestantisch) 13.01.1859 (Berlin) (protestantisch)

Karl Bleibtreu

Sterbedatum

Biographische Hinweise

Jurist, Oberregierungsrat 28.03.1965 Bleibtreu lebte ab 1885, nach 30.01.1928 abgebrochenem Studium, als freier Schriftsteller in Berlin, gab Zeitschriften heraus und gründete 1890 die Deutsche Bühne; 1908 siedelte er in die Schweiz über und schrieb weiterhin für deutsche Zeitschriften.

Übersicht: Autoren innerer und äußerer Kreis

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Name

Geburtsdatum, Ort, Konfession

Sterbedatum

Biographische Hinweise

Max Hildebert Boehm (auch Hadubert)

04.03.1891 (Birkenruh, Livland) (protestantisch)

Heinz Brauweiler

01.01.1885 (M’gladbach) (katholisch)

Erich Brock

30.08.1889 (London)

Fritz Dessau

---

Prof. Dr. phil.; Boehm hatte u. a. 09.11.1968 Philosophie und Soziologie studiert und lebte nach seiner Promotion 1914–16 als Schriftsteller in Straßburg; 1916–18 war er als Landsturmmann in Berlin und Mitau eingesetzt; 1918 ging er i. A. des AA in die Schweiz zur ,,Bekämpfung polit. Propag.“ der lett. Emigranten und war für die OHLA in ,,Oberost“ tätig; er war Hrsg. von Der Grenzbote und 1920–25 Leiter der Arbeitsstelle für Nationalitätenprobleme des Politischen Kollegs; 1926–45 war Boehm Leiter des Inst. f. Grenz- und Auslandsstudien u. des Ausschuss für Minderheitenrecht (bzw. 1935–39 der Dt. Ges. für Nationalitätenrecht); 1933–45 hatte er zudem eine Professur für Volkstheorie und Volkstumssoziologie in Jena inne; er war Förder-Mitglied der SS und Gaufachgruppenberater im NSRechtswahrerbund; 1951 gründete er die Nordostdeutsche Akademie in Lüneburg 1976 Brauweiler war promovierter Jurist und arbeitete als Journalist; bis 1920 war er Zentrums-Mitglied, danach betätigte er sich hauptsächlich als Publizist und Organisator der ständischen Bewegung; 1925 zog er von Düsseldorf nach Berlin; 1926–1930 war er Mitglied des Bundesvorstandes des ,Stahlhelms’, 1932/33 unterrichtete er an der Hochschule für Politik in Berlin und war danach Mitarbeiter am Reichsarbeitsblatt und Neue Wirtschaft; nach 1945 gründete und leitete er das ,,Soziale Seminar Kolping“ und des ,,Kath. Sozial-Sekretariats Berlin e.V.“; 1952–62 war er Geschäftsführer des Katholikenausschusses des Bistums Berlins Brock lebte ab 1925 in der Schweiz, und 27.01.1976 publizierte als (Religions-)Philosoph; er promovierte 1945 zur ,,Das Weltbild Ernst Jüngers“ und hatte ab 1963 eine Titularprofessur an der Universität Zürich inne --Laut Hans Schwarz ein ,,ehemaliger Kommunist“

444

Grafik und Tabellen

Name

Geburtsdatum, Ort, Konfession

Sterbedatum

Albert Dietrich (auch Hans Heinrich Garbe, Asmus Gendrich)

04.09.1890 (Berlin)

Fritz Ehrenforth

21.07.1895 (Wurow, Pommern) (protestantisch)

Paul Ernst

07.03.1866 (Elbingerode) (protestantisch) 23.06.1885 (St. Petersburg) 14.07.1882 (Dessau) (protestantisch)

Dietrich war promovierter Philosoph und 13.06.1958 Pädagoge; 1924–28 Oberassistent am Philos. Seminar in Berlin, ab 1930 Prof. an der Pädagogischen Akademie Cottbus; ab 1933 war er an der Hochschule für Lehrerbildung Halle, ab 1935 an der Hochschule für Lehrerbildung Hirschberg, 1944 Dozent an der Universität Tübingen 1940 Ehrenforth war Kriegsteilnehmer an der Front, promovierter Jurist und machte journalistische Erfahrungen; ab 1920 war er Leiter der Presseabteilung des Reichsausschusses der Deutschen Landwirtschaft, ab 1923 Referent u. GF im Dt. Landwirtschaftsrat 1933 Ernst studierte eine Zeit lang Theologie und Literaturwissenschaft, engagierte sich zunächst in der Sozialdemokratie, orientierte sich dann als freier Schriftsteller an der Neuromantik --Journalist, Schriftsteller

Heinz Fenner Heinrich von Gleichen (auch Chronist, Hutten)

Biographische Hinweise

Heinrich von Gleichen war promovierter 29.07.1959 Jurist, preußischer Beamter und Gutsbesitzer; Sohn von Alfred auf Tannroda und Birkigt und Antonie Freiin von Gemmingen-Hornberg; nach dem Studium in Lausanne, Leipzig, Kiel und Berlin wurde er als Leutnant der Reserve 1915 wegen einer Herzschwäche kriegsdienstuntauglich und in verschiedenen Wirtschafts- und Propagandastellen der OHL eingesetzt; ab 1917 Geschäftsführer des ,,Bundes deutscher Gelehrter und Künstler“ und ab 1919 im Vorsitz des Juni-Klubs, später im Herrenklub aktiv bis in die 1950er Jahre.

Übersicht: Autoren innerer und äußerer Kreis

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Name

Geburtsdatum, Ort, Konfession

Sterbedatum

Biographische Hinweise

Hans Grimm

22.03.1875 (Wiesbaden) (protestantisch)

Heinrich Herrfahrdt

22.10.1890 (Genthin)

Karl Hoffmann

30.04.1876 (Lübben) (protestantisch)

Ernst Krieck

06.07.1882 (Vögisheim) (protestantisch)

Hans Grimm begann ein Studium der 27.09.1959 Literaturwissenschaft, arbeitete u. a. am Kolonial-Institut in Hamburg, wechselte dann zur Ausbildung zum Auslandskaufmann nach England, lebte 13 Jahre in Südafrika und arbeitete während des 1. WK in der OHLA; nach 1918 ließ er sich im Wesergebiet nieder und war als Schriftsteller tätig 1969 Herrfahrdt war promovierter Jurist, nahm als Offizier am 1. WK teil; ab 1920 war er u. a. Dozent am Politischen Kolleg; ab 1926 Landgerichtsrat und PD für Staatslehre in Greifswald; 1932 habilitierte er sich und hatte ab1933 eine außerordentliche Professur an der Universität Marburg inne, 1934 trat der dem nationalsozialistischen Lehrerbund (NSLB) bei, 1935 gründete er als Ordinarius für Öffentliches Recht in Marburg eine Abteilung Ostasien, in der er ab 1937 ostasiatische Rechts- und Staatslehre lehrte. vor 1950 Hoffmann war promovierter Anglist und Lehrer und schon vor dem Krieg als Schriftsteller tätig; 1911–16 Mitarbeiter der Zf. Die Tat; 1915 Kriegsteilnehmer, 1919/20 GF des Ausschusses für vaterländische Arbeit der Dt. Burschenschaften; 1920/21 arbeitete er im Zweckverband Ost und übernahm dann die weltpolitische Abteilung am Politischen Kolleg Krieck besuchte das badische 19.03.1947 Lehrerseminar und arbeitete ab 1900 als Lehrer; 1923 wurde ihm wegen seines Buches ,,Philosophie der Erziehung“ von der Universität Heidelberg die Ehrendoktorwürde verliehen; er blieb Volkslehrer bis 1928, wurde dann als Professor an die Pädagogische Akademie in Frankfurt a.M. berufen; 1931 folgte eine Suspendierung, die 1932 nach dem preuß. Regierungswechsel wieder aufgehoben wurde; ab Mai 1933 war er Rektor der Universität Frankfurt; im April 1934 folgte eine Professur, ab 1937 das Rektorat an der Universität Heidelberg

446

Grafik und Tabellen

Name

Geburtsdatum, Ort, Konfession

Sterbedatum

Biographische Hinweise

Wilhelm von Kries (auch Osterling; Plex)

05.07.1886 (Westpreußen) (protestantisch)

Harry Laeuen

03.05.1902 (Stolp; Pommern)

Reinhold Georg Quaatz

05.05.1876 (Berlin) (protestantisch)

Dr. jur., Kries arbeitete mit Unterbrechung 24.11.1943 1906-19 als Beamter der Seezollverwaltung nach China, nach seiner Rückkehr setzte er sich als Leiter für die ,,Organisation und Rückführung der auswärtigen Stimmberechtigten für die Volksabstimmung in Westpreußen“ ein; 1920–21 war er Direktor der ,,Grenzspende für Oberschlesien“; ab 1921 arbeitete er als Chefredakteur bei der Telegraphen-Union, war 1924–26 und wieder 1930–39 als Korrespondent in London; 1928 war er Pressechef der DNVP; ab 1940 Gesandtschaftsrat I. Klasse im AA 1980 Laeuen studierte in Tübingen und übernahm dort Ende 1921 die Leitung des Hochschulrings Deutscher Art, im gleichen Jahr lernte er Boehm kennen und war ab 1923 sein Assistent; 1926 wurde er Leiter der Mitteleuropäischen Arbeitsstelle am Politischen Kolleg; ab 1928 der Osteuropäischen Arbeitsstelle; von 1932–33 war DNVP-Mitglied, der NSDAPEintritt erfolgte 1937; Laeuen war als Journalist für die Münchner Neueste Nachrichten, das Hamburger Fremdenblatt, Osteuropa, Das XX. Jahrhundert tätig, während der 1930er ging er als Korrespondent nach Warschau und Bukarest Quaatz war bis 1919 im preußischen 15.08.1953 Staatsdienst, 1920–23 Syndikus der Essener Handelskammer und 1920–33 DNVPAbgeordneter im Reichstag; 1933 wurde er aufgrund seiner jüdischen Herkunft aus dem Aufsichtsrat der Dresdner Bank und als Geschäftsführer der Vereinigung niederrheinisch-westfälischer Handelskammern entlassen. Nach 1945 wurde er Dozent an der Kirchlichen Hochschule in Berlin und unterstützte die CDU-Gründung in Berlin.

Übersicht: Autoren innerer und äußerer Kreis

Name

Geburtsdatum, Ort, Konfession

Sterbedatum

Biographische Hinweise

Heinrich Riedinger Alexander Ringleb

12.07.1869 (Einöd) 20.12.1884 (Berlin) (protestantisch) 1888 (Ennigerloh, Westfalen) (protestantisch)

nach 1968 ---

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Heinz Röhr

Hans Roeseler

08.05.1893 (Steglitz) (protestantisch)

Franz Schauwecker

1890 (Hamburg) (protestantisch)

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Bankier

Röhr war promovierter Jurist, kurzzeitig als 06.03.1934 Beamter tätig, bevor er persönlicher Sekretär des christlichen Gewerkschaftsführers Adam Stegerwald wurde, u. a. richtete er in Königswinter die Bildungsstätte ,,Unser Haus“ (später ,,Adam-Stegerwald-Haus“) ein nach Roeseler war promovierter Historiker, und 1945 in gab nach seinem Studium die Zeitschrift Russland Die Hochschule heraus; 1920 arbeitete er als verscholSekretär des Staatssekretärs August Müller len und ging danach zum Ullstein-Verlag; zusammen mit Werner Mahrholz gab er das Archiv für Politik und Geschichte heraus; er stieg zum Verlagsleiter bei Propyläen auf und wurde nach 1933 Generalbevollmächtigter des ,,Deutschen Verlages“, der u. a. die Zf. Signale herausgab und die Waffen-SS mit Büchern belieferte Schauwecker hatte u. a. in München und 13.05.1964 Berlin studiert, nahm aktiv am Krieg teil und arbeitete, ohne sein Studium zu beenden, anschließend als Schriftsteller und Journalist. Er wurde 1925 fester Mitarbeiter der Zf. Stahlhelm und 1928 von Der Vormarsch, gleichzeitig Anhänger des Herausgebers Friedrich Hielscher; 1925 bis etwa 1936 war er Lektor im FrundsbergVerlag; er engagierte sich im ,,Schutzverband deutscher Schriftsteller“ und in der ,,Gesellschaft für deutsches Schrifttum“ und wurde 1931 Vorsitzender des ,,Nationalverbandes dt. Schriftsteller“, nach 1933 veröffentlichte er u. a. Wehrertüchtigungsliteratur; nach 1945 gelegentliche journalistische Veröffentlichungen

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Grafik und Tabellen

Name

Geburtsdatum, Ort, Konfession

Sterbedatum

Biographische Hinweise

Walther Schotte

03.10.1886 (Berlin)

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Walther Schulz

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Schotte studierte Jura und Philosophie, in Heidelberg und Berlin, wo er auch als Assistent Wilhelm Diltheys tätig war; er promovierte 1910 und begann als Archivvolontär im Geheimen Staatsarchiv Berlin; nach seiner Staatsarchivarprüfung 1912 war er u. a. tätig in Koblenz, Schleswig, Danzig, Marburg; 1915 wurde er ,,garnisonsdiensttauglich“ geprüft und zum ,,Kriegsarchiv des Großen Generalstabes in Berlin“ abkommandiert, wo er im Oktober 1916 wegen Nichteignung aus Archivdienst und Staatsdienst entlassen wurde; 1916–17 war Schotte Sekretär von F. Naumann und redigierte die Zs. Mitteleuropa; 1919–35 war er Hrsg. der Preußischen Jahrbücher; ab 1927 gab er zudem Politik und Geschichte heraus; 1932 noch eng mit der RegierungPapen verbunden, zog sich Schotte kurz danach vom Herrenklub zurück und gab ab 1933 die Wirtschaftskorrespondenz Berliner Briefe heraus; nach 1934 war er nur noch eingeschränkt, nach eigener Aussage ,,wissenschaftlich“ tätig u. a. für das Dt. Kalisyndikat; 1942 wurde er wegen Betruges zu 2 Jahren Zuchthaus verurteilt; nach 1945 gehörte er zu den Mitgründern der ,,Freien Rheinischen Akademie“ in Gütersloh Studium, Drucker, Zf.-Herausgeber

Übersicht: Autoren innerer und äußerer Kreis

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Name

Geburtsdatum, Ort, Konfession

Sterbedatum

Biographische Hinweise

Hans Schwarz

17.03.1890 (Berlin)

Martin Spahn

07.03.1875 (Marienburg, Westpr.) (katholisch)

Schwarz studierte Philologie, Philosophie 25.07.1967 und Geschichte und betätigte sich als freier Schriftsteller und Lyriker; er meldete sich freiwillig zum Krieg, kam aber wegen Krankheit nicht zum Einsatz; 1920–26 war er Redakteur des Fachblattes des Reichsverbandes der dt. Juweliere, 1925 übernahm er die Arbeitsstelle für Metapolitik am Politischen Kolleg und engagierte sich im ,,Hochschulring Dt. Art“; 1928–33 war Schwarz StahlhelmMitglied, 1928–34 gab er die Zf. Der Nahe Osten heraus und leitete danach das Moeller-van-den-Bruck-Archiv in Berlin; 1936 wurde er wegen Verstoßes gegen §175 auf Bewährung verurteilt; 1937 begann Schwarz als Lektor beim Hans von Hugo Verlag; nach eigener Aussage hatte er Kontakte zum Goerdeler-Kreis; nach 1945 arbeitete er in Hamburg beim BergstromVerlag und als Lektor bei Rütten&Löning; Schwarz war Mitbegründer des ,,Friedenspreises des Deutschen Buchhandels“ Spahn war Professor und Historiker, ab 12.05.1945 1901 an der Universität Straßburg und ab 1920 an der Universität Köln, wo er u. a. das Zeitungswissenschaftliche Institut aufbaute; von 1910 bis 12 war er ZentrumsAbgeordneter, 1924 wechselte er in die DNVP-Fraktion, für die er bis 1933 im Reichstag saß; 1933 trat er in die NSDAP ein; 1940 wurde Spahn emeritiert

450

Grafik und Tabellen

Name

Geburtsdatum, Ort, Konfession

Sterbedatum

Biographische Hinweise

Eduard Stadtler

17.02.1886 (Hagenau, Elsass) (katholisch)

Stadtler studierte in Graz und Straßburg 05.10.1945 Philologie und wurde Oberlehrer im els.lothr. Schuldienst; 1911 begann er seine Promotion bei Martin Spahn und trat ins Zentrum ein; 1912 wurde er wegen parteipolitischer Betätigung aus dem Schuldienst entlassen, zog nach Köln, wo er 1912–14 Sekretär der ZentrumsJugendbewegung (Windthorstbünde) war; 1915 meldet er sich kriegsfreiwillig, geriet 1916 in russische Gefangenschaft; nach dem Frieden von Brest-Litwosk wurde er Leiter der Presseabteilung der Dt. Botschaft in Moskau; im gleichen Jahr wieder in Berlin begann er sich als Journalist und Organisator der ,,Antibolschewistischen Liga“ (später ,,Liga zum Schutze der deutschen Kultur“) zu betätigen; 1919–25 war er Herausgeber des Gewissens, ab 1926 Zf.–Herausgeber Das Großdeutsche Reich; Stadtler wurde Stahlhelm-Mitglied und stieg in den Bundesvorstand auf; fraglich ist wann er in die DNVP eintrat, ab 1932 saß er jedenfalls für sie im Reichstag; 1933 trat er aus der DNVP aus und wurde vorläufig in der NSDAP-Fraktion aufgenommen; 1933/34 war er Aufsichtsratsmitglied im Ullstein-Verlag und vorübergehend Leiter des Berliner Tageblattes; seit 1936 stand er u. a. wegen ,,klerikaler Verbindungen“ unter Beobachtung der Gestapo, 1938 wurde sein Buch ,,Bolschewismus als Weltgefahr“ auf den Index gesetzt

Übersicht: Autoren innerer und äußerer Kreis

451

Name

Geburtsdatum, Ort, Konfession

Sterbedatum

Hermann Ullmann

1884 (TeplitzSchönau, Böhmen)

Emmy Voigtländer Fritz Weth Werner Wirths

---

Ullmann studierte in Prag, Wien, 23.02.1958 Heidelberg und Berlin und wurde zunächst Lehrer in Salzburg und Linz; 1908–12 übernahm er die Redaktion des Kunstwarts, ab 1912 war er Hrsg. der Deutschen Arbeit; 1917 arbeitete er im Kriegs-Presseamt in Berlin; ab 1918 war er Abteilungsleiter im VDA und Mitgründer des ,,Dt. Schutzbundes“; 1921–24 war er Chefred. von Der Deutsche und 24–31 Herausgeber der Politischen Wochenschrift; 1926–29 arbeitete Ullmann für den ScherlVerlag, musste als Kritiker Hugenbergs gehen; 1930 war er an der Gründung der ,,Volkskonservativen Vereinigung“ beteiligt; Ullmann war DNVP-Mitglied und enger Brüning-Mitarbeiter; er übernahm 1933–37 die Bundesleitung des VDA bis zur Gleichschaltung; dann ging er nach Wien als Auslandsberichterstatter und 1942 in die Schweiz --Kunsthistorikerin

Hermann Zickert

--09.01.1891 (Jersey-CityHeights, USA)

-----

1885 (Eisleben)

1954

Biographische Hinweise

--Wirths studierte Geschichte, Philosophie und Literaturgeschichte in Berlin und Freiburg und war Kriegsfreiwilliger; 1919 gründete er mit väterlichem Geld ,,Das Gewissen. Zeitschrift für Volksbildung“, 1922 promovierte er; u. a. war er Leiter der Pressestelle des Dt. Schutzbundes und übernahm ab 1932 vom Dt. Schutzbund die Herausgabe der Deutschen Briefe; ab 1936 war er Chefredakteur von Deutsche Zukunft Zickert legte seine Promotion an der Bergbau-Universität in Freiberg in Sachsen ab, arbeitete u. a. als Redakteur beim Berliner Tageblatt und machte sich als Vermögensexperte einen Namen; ab 1931 lebte er in der Schweiz

452

Grafik und Tabellen

Ausgewählte Autoren des Äußeren Kreises Name

Geburtsdatum, Ort, Konfession

Sterbedatum

Biographische Hinweise

Kurt Anker

1882

1935

Hermann Birschel Theophile von Bodisco

1885

---

1873 (Reval) (protestantisch) 1875 (Waldheim, Sachsen) 1894 (Straßburg)

17.06.1944

Major, Ordonnanzoffizier des Kronprinzen Wilhelm, politischer Schriftsteller; Hrsg. von Ankers Militärpolitischer Wochenschau Dr. rer.pol, Volkswirt.; bis 1911 Landwirt, danach in der Landwirtschaftskammer Journalistin, Schriftstellerin

Carl Georg Bruns

1890 (Kiel)

27.02.1931

Friedrich Brunstädt

1883 (Hannover) (protestantisch) 1867 (Deidesheim, Pfalz) (katholisch) 1873 (Prag)

1944

1921

1871–1893 MdR, bayr. Landespolitiker, bis 1920 Leiter der berufsständischen Weinbauvereinigung

1942

Otto de la Chevallerie

1894 (Buer)

nach 1968

Paul Dehn

1848 (Berlin) (protestantisch)

1938

Dr. jur., Hofrat und Rechtsanwalt in Wien, Hrsg. Zeitfragen auf dem Gebiet der Soziologie Dr. rer. pol., Volkswirt, bis 1921 Führer in der Wandervogelbewegung, Mitbegründer des Hochschulrings Dt. Art Buchhändlerlehre, arbeitete als Redakteur bei der Vossischen Zeitung; Studium der Volkswirtschaft, reiste durch den Orient, überzeugter Kolonialist und Antisemit; ab 1890 war er in Berlin für die Schlesische Zeitung, Deutsches Volksblatt, Dresdner Wacht, Reichsbote, Kreuzzeitung, aktiv im Alldeutschen Verband, ab 1918 in Hamburg, ab 1919 Mitglied des Gesamtvorstandes ADV

Rudolf Böhmer Karl Brill

Franz von Buhl Friedrich Bunzel

1944

Kolonialbeamter; Schriftsteller; Geh. Reg.-Rat

nach 1964

Dr. jur., 1921–40 im els.-lothr. Pressedienst, 1923–40 Redakteur der Elsass-Lothringer Heimatstimme, 41–44 Leiter der Pressestelle der Stadt Straßburg, ab 1950 Redakteur Dr. jur., Rechtsberater der Dt. Volksräte in Posen; ab 1923 Leiter des Sekretariats ,,Verband der dt. Volksgruppen in Europa“, Redakteur bei Nation und Staat Dr. phil. u. theol.; DNVP-Mitglied, ab 1917 ao. Prof. a. d. Uni. Erlangen, ab 1925 Prof. f. syst. Theologie an der Uni. Rostock

Übersicht: Autoren innerer und äußerer Kreis

453

Name

Geburtsdatum, Ort, Konfession

Sterbedatum

Biographische Hinweise

Artur Dix

1875 (Kölln, Westpreußen)

1935

Karl Dunkmann

1868 (Aurich) (protestantisch) 1890 (München) 1888 (Köln) (protestantisch)

1932

Jurist, Nationalökonom; Redakteur der ,,National-Zeitung“; 1911–1920 Hrsg. Weltpolitik; 1916–18 Leiter des Pressebüros des Kaiserl. Militärbevollmächtigten in Sofia; u. a. 1923 Mitbegründer des ,,Transatlantic“Dienstes Religionswissenschaftler; Soziologe u. a. an der TH Berlin; Gründer des ,,Instituts für angewandte Soziologie“

1897 (Hürtigheim, Elsass) (protestantisch) 1870 (Schwandorf, Opf.) (katholisch)

---

1891 (St.Goar) (protestantisch)

1958

Walther Eckart Hans Martin Elster

Robert Ernst

Georg Escherich

Friedrich Everling

1978

Lehrer; Dichter; Dramatiker

1983

Dr. phil., Literaturwissenschaftler, Kriegsteilnahme an der Front; gab ab 1920 die ,,Deutschen Dichterhandschriften“ im Verlag Lehmann heraus; um 1924 war er Herausgeber der Zeitschrift Die Deutsche Jugend; ab 1926 Mitglied in der ,,Deutschen Schiller-Stiftung“, Herausgeber von Die Horen und Inhaber des Horenverlages 1925 bis 1932, der dann von List übernommen wurde; NSDAPEintritt 01.05.1933; ab 1933 Schatzmeister der dt. Gruppe des P.E.N.-Clubs, außerdem 1933-34 Chefredakteur bei Das Dritte Reich; 1934-36 Redakteur der NSBeamtenzeitung; nach dem Krieg wurde er Verlagsleiter bei der von Heinrich Droste gegründeten Buchgemeinschaft ,,Deutscher Bücherbund“. Dr. rer. pol.; Verleger; u. a. Leiter des ,,Bundes der Elsass-Lothringer im Reich“

1941

Dr. jur.; Forstrat; verschd. Auslandsaufenthalte und Expeditionen in Kolonialgebiete; nach 1918 Gründer der bayr. Einwohnerwehr und des bayr. Heimatschutzes Dr. jur., pol.; nach 1919 als preuß. Beamter entlassen, tätig als Rechtsanwalt, DNVP-Mitglied, 1924–33 MdR; ab 1933 wieder preuß. Beamter am Oberverwaltungsgericht Berlin; zeitweilig Hrsg. der Konservativen Monatsschrift

454

Grafik und Tabellen

Name

Geburtsdatum, Ort, Konfession

Sterbedatum

Biographische Hinweise

Rudolf Fischer

1900 (Antoniwald, Böhmen)

1961

Heinrich Freese

1853 (Hamburg) (protestantisch)

1944

Paul Friedrich

1877 (Weimar)

1947

Hans Fritzsche

1900 (Bochum)

1953

Hanns J. Frosch (auch Hans Waldemar Fischer)

1876 (Schweidnitz)

1945

Hans Gerber

1889 (Altenburg) (protestantisch)

1981

Wilhelm Glasebock

1900 (Krefeld)

nach 1963

Dr. phil.; Anglist; ab 1920 Chefred. Deutsche Arbeit; ab 1928 bei Politische Wochenschrift; nach 1945 u. a. Leiter der Pressestelle im Bundesverkehrsministerium Ab 1879 Fabrikbesitzer; führte Tarifverträge und sozialpol. Maßnahmen sowie 1892 u. a. den Acht-Stunden-Tag ein; 1890 Sachverständiger im preuß. Staatsrat Studium Philosophie und Geschichte; Kriegsteilnehmer an der Front; Feuilleton-Red. Bei Berliner Neueste Nachrichten; Essayist, Dramatiker Studium der Geschichte und VWL; ab 1923 DNVP-Mitglied; bis 1924 Chefred. Preuß. Jahrbücher; danach bei der Telegraphen-Union; ab 1932 Leiter des Nachrichtendienstes beim Dt. Rundfunk; ab 1933 NSDAP-Mitglied und Übernahme ins Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda; ab 1938 Leiter der Abteilung Deutsche Presse; 1942 Ernennung zum Ministerialdirektor; Leiter der Rundfunkabteilung; nach 1945 zweimal angeklagt, verurteilt, 1950 vorzeitig entlassen Dr. phil.; Philologe; Schriftsteller; Lyriker; 1909–22 in Hamburg als Feuilletonleiter, danach in Berlin als Redakteur; leitet die Kulturkorrespondenz für Dt. Zeitungen; zeitweise stellv. Chefredakteur des Gewissens Prof. Dr. jur.; Kriegsteilnehmer an der Front; ab 1923 PD; 1923–25 Internatsleiter der Dt. Burse; ab 1927 apl. Prof. Universität Marburg; ab 1929 Prof. an der Uni. Tübingen; 1933 dort im ,,Führerrat“; ab 1934 Universität Leipzig, 1941 Universität Freiburg Dr.jur.; ab 1923 im Vorstand der Deutschnationalen Studentenschaft; Journalist u. a. Berliner Lokalanzeiger, Der Tag; 1929–32 Stadtverordneter in Krefeld; nach 1945 Journalist u. a. für Deutscher Dienst

Übersicht: Autoren innerer und äußerer Kreis

455

Name

Geburtsdatum, Ort, Konfession

Sterbedatum

Biographische Hinweise

Alexander von GleichenRußwurm Wilhelm Gutsche

1865 (Unterfranken)

1947

Schriftsteller, Übersetzer; Kulturhistoriker

Walther Harich Wilhelm Hasbach

1888

1931

1908 Mitgründer des christl.-nationalen Elberfelder Stammverbandes der Gewerkschaft deutscher Eisenbahner; u. a. Vorsitzender der Gewerkschaft Dt. Eisenbahner; Mitglied Beamtenbund Schriftsteller; Literaturhistoriker

1849 (bei Mülheim/ Rhein) (katholisch)

30.04.1920

Julius Hashagen Friedrich Heiß

1877

1961

1897 (Pilsen)

1970

Hans F. Helmolt

1865 (Dresden) (protestantisch)

1929

Eduard Heyck

1862 (Doberan) (protestantisch)

1941

Philipp Hördt Hermann von der Hude

1891 (Weinheim) 1886

1933

1879 (protestantisch)

1940

Prof. der Nationalökonomie an der Universitä Greifswald und ab 1888 in Königsberg; ab 1893 Ordinarius für wirtschaftl. Staatswissenschaften an der Universität Kiel; 1894–97 Dozent an der Marineakademie; 1906 Emeritierung Prof. Dr. phil; Historiker an den Universitäten Bonn und Hamburg Kriegsteilnehmer an der Front; aktiv in studentischer Jugendbewegung; ab 1921 im Dt. Schutzbund aktiv; 1923–25 an Boehms Arbeitsstelle beim Politischen Kolleg und im Spandauer Stift; 1925 Gründung ,,Mittelstelle für Jugendgrenzlandarbeit“; Hrsg. und Verleger Volk und Reich Dr. phil.; Historiker; Mitarbeiter bei Karl Lamprecht; bis 1906 Verlagsredakteur am Bibliogr. Institut; ab 1908 pol. Redakteur; 1912–17 Herausgeber Weser Zeitung; 1917 in die Nachrichtenstelle des Reichsamt des Inneren berufen, 1922–29 Hrsg. Frankfurter Nachrichten Prof. Dr. phil.; Historiker; ab 1890 an der Universität Freiburg; ab 1892 ao. Prof. Universität Heidelberg; ab 1898 als Privatgelehrter in der Schweiz; u. a. ab 1901 Hrsg. Monographien zur Weltgeschichte Schüler von Ernst Krieck; Pädagoge, Studienrat; Publizist Regierungs-Assessor; lässt sich 1920 aus dem preuß. Staatsdienst entlassen; ab 1927 GF. der Wohnungsgesellschaft Dt. Ostbund

456

Grafik und Tabellen

Name

Geburtsdatum, Ort, Konfession

Sterbedatum

Biographische Hinweise

Josef Joos

1878 (Wintzenheim, Elsaß) (katholisch)

1965

Hans Jürgen (auch HansGeorg Fellmann)

1891 (Christfelde; Westpr.) (katholisch)

---

Otto Kayser

1893 (ChateauSalins) (protestantisch)

---

Johannes van de Kerkhoff

1876 (Odenkirchen) (katholisch)

---

Erich Klein

1889 (Bischofstein; Ostpreußen) (katholisch) 1895 (Weißkirch; Siebenbg.) (protestantisch) 1891 (Radegast; Anhalt) 1887 (Graz)

1959

Redakteur der Westdt. Arbeiterzeitung in Mönchen-Gladbach (vom Verband der kath. Arbeiter); 1919–20 Mitglied der verfassunggebenden Versammlung; 1920–33 M.d.R.; u. a. 1926–32 Mitglied des Bundesvorstandes des Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold; 1940 Verhaftung; nach 1945 in der kath. Männerfürsorge; 1960 Übersiedlung in die Schweiz Dr. phil.; Kunstgeschichte, Sprachen, Nationalökonomie, Philosophie; während des Krieges an der Front und in der Feldpressestelle des Großen Hauptquartiers;1918–21 Feuilleton-Leiter Westfälischer Merkur; 1922 Chefredakteur Trierer Zeitung; 22–27 Feuilletonist Essener Volkszeitung; ab 1927 Hrsg. Essener Lokal-Post Kriegsteilnehmer und Oberst-Leutnant a.D.; Studium und Lehre; Hrsg. Norddeutsche Blätter und Grenzdt. Heerschau; aktiv im VDA; GF des Schutzbundes für Grenz- und Auslandsdeutschtum Ab 1900 Geschäftsführer einer Seidenweberei; ab 1913 selbständiger Seidenfabrikant in Krefeld; in verschd. Vorständen; 1920–24 M.d.R. für die DNVP Dr. phil.; Studienrat; Literaturkritiker; ab 1925 Hrsg. Die Zeile; 1919–1928 Zentrums-Mitglied

Fritz Klein

Fritz Kloppe Felix Kraus

1936

nach 1963 1950

Öster. Offizier; Dr. rer. pol.; 1919–21 Redakteur Deutsche Tagespost; ab 1922 Deutsche Allgemeine Zeitung, ab 1925 als Chefredakteur; aktiv im VDA; ab 1933 Hrsg. Deutsche Zukunft Studium VWL, Philosophie, Geschichte; zeitweilig Studienrat; 1922–33 Chefredakteur Der Wehrwolf Besuch der landschaftlichen Kunstschule in Graz; Studium an der Kunstakademie in München; Maler; aktiv im sog. Kärnter ,,Abwehrkampf “; ab 1925 Journalist für Münchner Neueste Nachrichten

Übersicht: Autoren innerer und äußerer Kreis

457

Name

Geburtsdatum, Ort, Konfession

Sterbedatum

Biographische Hinweise

Kristian Kraus

1880 (Neunkirchen, Saarl.) (katholisch)

nach 1955

Walther de Laporte

1874 (Göttingen) (protestantisch)

---

Paul LejeuneJung

1882 (Köln) (katholisch)

1944

Erich Lilienthal

1879 (Berlin) (jüdisch)

1935

Karl C. von Loesch

1880 (Oberstephanshausen; Schlesien) (protestantisch)

Verbleib unbekannt

Studium; Schriftsteller; 1916–18 Leiter der Nachrichtenstelle der Kaiserl. Botschaft in Konstantinopel; bis 1919 Leiter der Presseabteilung des Saargebietsschutzes in der Reichsnachrichtenzentrale der ,,Transocean“; 1920–29 GF ,,Allgem. Pol. Nachrichtenbüro“; Gründer und Leiter ,,Dt. Matern Verlag“; GF verschiedener Korrespondenzfirmen Dr. jur.; aktiver Offizier 1895–1906; 1910–13 Syndikus der Handelskammer Göttingen, ab 1913 Direktor des Zentralrats für Wohnungswesen der Stadt Berlin, aktive Kriegsteilnahme, 1924–27 im Wehrministerium, 1924–32 Dozent am Institut für Siedlungswesen der Universität Berlin, ab 1934 Ortsgruppenführer Luftschutz in BerlinDahlem. Dr. phil., u. a. Theologie und Geschichte; ab 1910 in der Zellstoffindustrie, während des Krieges in der Kriegsrohstoffabteilung tätig, DNVP-Mitglied, 1924–30 M.d.R.; ab 1921 GF des Vereins Dt. Zellstofffabrikanten; Mitglied des Handelspolitischen Ausschusses; 1929 DNVP–Austritt u. Mitbegründung der Konservativen Volkspartei; 1932 Eintritt ins Zentrum; ab 1943 im Goerdeler-Kreis; 1944 verhaftet und hingerichtet Studium; Redakteur; Schriftsteller; bis 1922 Direktor des ,,Deutschen Auslandssekretariats“, Hrsg. der Dokumente des Fortschritts Prof. Dr. phil., Publizist; später Professur für Volkstumskunde; ausgedehnte Europa-Reisen; aktive Kriegsteilnahme; Mitgründer des ,,Deutschen Schutzbundes“; nach 1933 u. a. Mitglied der ,,Arbeitsgemeinschaft für Nationalitätenrecht“ der von Hans Frank gegründeten ,,Akademie für Dt. Recht“; Teilnehmer der Beratungen zum Generalplan Ost

458

Grafik und Tabellen

Name

Geburtsdatum, Ort, Konfession

Sterbedatum

Biographische Hinweise

Martin Mächler

1882 (Loham; Bayern)

1958

Werner Mahrholz

1889 (Berlin)

1930

Wilhelm Mannhardt

1883 (Hamburg)

1969

Karl Nötzel

1870 (Moskau) (protestantisch)

1945

Friedrich von OppelnBronikowski

1873 (Kassel) (jüdisch)

1936

Franz Xaver Osterrieder (auch Bavaricus) Franz Pauli

1869 (Abensberg)

1949

Ausbildung zum Schreiner; bis 1907 zur See gefahren, Weiterbildung zum Stadtplaner; Mitarbeit am Gesetzentwurf zur Bildung Groß-Berlin; 1926 Initiator des City Ausschusses; verbotene Schriften im NS; nach 1945 Prof. für Sonderfragen des Städtebaus an der TU Berlin Dr. phil.; aktive Kriegsteilnahme; Leiter der Berufsberatungsstelle der Universität München; Organisator der bayr. Volksbildungsarbeit; Sozialpolitiker in einem schlesischen Industriewerk; ab 1924 Redakteur bei der Vossischen Zeitung Prof. Dr. jur. et phil.; Soziologe; GF des Instituts für Grenz- und Auslandsdeutschtum; Leiter der Dt. Burse in Magdeburg; Hrsg. der Berichte d. Inst. für Grenz- und Auslandsdt.; ab 1929 Prof. für Volkstums- und Staatenkunde sowie Grenz- und Auslandsdeutschtum an der Universität Marburg; 1933 NSDAPEintritt; ab 1939 an der Universität Breslau; nach 1945 Direktor des Instituts für Volkswissenschaft in Marburg; 1958 Mitbegründer und Vorstand des Allg. Dt. Kulturverbandes Dr. phil., Schriftsteller; ca. 20 Jahre Aufenthalt in Russland; Übersetzer verschd. russ. Werke; eigene Schriften als Sozialphilosoph, in den 1920er Jahren Vorsitzender des Schutzverbandes dt. Schriftsteller in Bayern Dr. phil. h.c.; Schriftsteller; aktive Kriegsteilnahme; DNVP-Mitglied bis ca. 1921; 1920–23 im Sprachendienst des AA tätig; archäologische Studien und Veröffentlichungen Schriftsteller, bayrischer Heimatdichter

1888 (Düsseldorf) 1882 (Güstrow, Meck.) (protestantisch)

1944

Dr. phil.; Bibliothekar

1961

Dr. phil.; Publizist; 1919–1961 Hrsg. Die Deutsche Rundschau; 1942–45 KZ-Haft

Rudolf Pechel

Übersicht: Autoren innerer und äußerer Kreis

459

Name

Geburtsdatum, Ort, Konfession

Sterbedatum

Biographische Hinweise

Beda Prilipp

1875 (Berlin) (protestantisch)

1971

Adolph Rein

1885 (Eisenach) (protestantisch)

1979

Graf Ernst von Reventlow

1869 (Husum) (protestantisch)

1943

Albert Ritter (auch Karl von Winterstetten)

1872 (Weiler; Österreich) (katholisch)

1931

Hans Heinrich Schaeder

1896 (Göttingen) (protestantisch)

1957

Hermann Georg Scheffauer

1878 (San Francisco)

1927

Studium Akad. Hochschule für Musik; Schriftstellerin; Journalistin für Grenzboten, Kons. Monatsschrift, Hamburger Nachrichten, Vossische Zeitung; 1908–13 Theaterkritikerin der Kreuzzeitung, 1921–44 Redakteurin beim Scherl-Verlag Prof. Dr. phil., Historiker, 1910–13 Aufenthalt in England und USA; aktive Kriegsteilnahme, ab 1919 PD an der Universität Hamburg; ab 1927 ao. Professor und Direktor der Kolonial- und Überseegeschichtlichen Abteilung am Hist. Seminar; 1932 NSDAP-Beitritt, 1934–38 Rektor der Universität Hamburg, 1939–45 Leiter des Kolonial-Instituts, ab 1950 Präsident der Ranke-Gesellschaft, ab 1955 Mitherausgeber ,,Das HistorischPolitische Buch“. Kapitän-Lt. a.D.; 1888–99 bei der kaiserlichen Marine; danach Schriftsteller; ab 1920 Hrsg. Der Reichswart; ab 1924 M.d.R.; Mitglied der Dt.-Völkischen Freiheitspartei, mit der er 1927 zur NSDAP übertrat; 1934–36 Leiter der ,,Deutschen Glaubensbewegung“ Dr. phil.; Schriftsteller, Journalist; führte bis 1910 eine eigene Stickereifabrik; 1912–14 GF des Alldeutschen Verbandes in Wiesbaden; 1925–31 Chefredakteur Zentralarchiv für Politik und Wirtschaft in München Prof. Dr. phil., Orientalist; ab 1919 an der Universität Breslau, ab 1922 mit Professur in orientalischer Philologie; ab 1926 an der Universität Königsberg Direktor des semitischen Seminars; ab 1930 an der Universität Leipzig, 1931 Universität Berlin, ab 1933 dort Direktor des Seminars für orientalische Sprachen, nach 1945 an der Universität Göttingen Direktor des Seminars für den Nahen Osten Schriftsteller, Übersetzer; ging 1910 aus den USA nach Deutschland

460

Grafik und Tabellen

Name

Geburtsdatum, Ort, Konfession

Sterbedatum

Biographische Hinweise

Cäsar von Schilling Willy Schlüter

1883

1932

Journalist

1873 (Hamburg) (protestantisch) 1869 (Tondern) (protestantisch)

1935

Friedrich Solger

1877 (Berlin)

1965

Gustav Steinbömer (auch Gustav Hillard)

1881 (Rotterdam) (protestantisch)

1972

Helmut von den Steinen

1890 (Marburg) (jüdisch) 1903 (Elgg, Schweiz) (protestantisch) 1886 (Ganz, Ostpriegnitz)

1956 (Rhodos)

Prof. Dr. phil., Pädagoge, Privatsekretär von Ferdinand Tönnies; Mitarbeiter des Oscar-Helene-Heims; Hrsg. Zeitschrift für Krüppelfürsorge Dr. phil., Theologe; 1896–1920 Pastor in Wodder in Nordschleswig; 1909 Gründung des ,,Vereins für dt. Friedensarbeit in der Nordmark“; nach der Volksabstimmung 1920 in Dänemark lebend; führender Vertreter der dt. Minderheit; 1920 Mitbegründer des Schleswiger Wählervereins; Hrsg. Neue Tondernsche Zeitung; 1927 Mitgründer der Zf. Nation und Staat; begrüßte die NS-Machtübernahme, gleichzeitig gründet er die erfolglose ,,Deutsche Front“ und akzeptiert dann die NSDAPVertreter in Dänemark Prof. Dr. phil; Geologe; Paläontologe; ab 1907 PD an der Universität Berlin; 1910–13 Professur für Geologie an der Uni Peking; 1913–14 Leiter der Geologischen Reichsaufnahme in Peking; 1914–20 Kriegsgefangenschaft in Japan; 1921–53 an der Universität Berlin Major a.D. im Großen Generalstab, dann Dr. phil.; aus vermögender norddt. Kaufmannsfamilie; Kriegsteilnahme; kunsthistorische Promotion; am Theater Max Reinhardts; freier Schriftsteller Lyriker, Kulturforscher, Übersetzer

Johannes SchmidtWodder

Elisabeth (Brock-)Sulzer Walter Szagunn

1959 (Petersholm)

1981 (Zürich)

Dr. phil.; Lehrerin; Journalistin, Theaterkritikerin u. a. 1946–77 für die Tat, 1961–68 für die FAZ

1937

Dr. jur., VDSt–Aktiver; bis 1922 als Rechtsanwalt tätig, bis 1923 RegierungsRat; 1923 Justitiar der Dt. Rentenbank; 1925 im Vorstand der Dt. RentenbankKreditanstalt

Übersicht: Autoren innerer und äußerer Kreis

461

Name

Geburtsdatum, Ort, Konfession

Sterbedatum

Biographische Hinweise

Joachim Tiburtius

1889 (Liegnitz) (protestantisch)

1967

Johannes Tiedje

1879 (bei Hadersleben) (protestantisch)

1946

Ernst Tießen

1871 (Braunsberg)

1949

Prof. Dr. phil., Wirtschaftswissenschaftler; 1913–17 Referendar für Arbeitsfragen im Preußischen Kriegsministerium; 1918–25 Referent im Reichsarbeitsministerium zugleich Ober.-Regierungs-Rat; 1925–33 geschäftsf. Vorstandsmitglied der Hauptgemeinschaft des dt. Einzelhandels; Mitglied im Vorlfg. Reichswirtschaftsrat und Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung; ab 1935 Leiter der Forschungsstelle für Handel beim Reichskuratorium für Wirtschaftlichkeit; ab 1942 Lehrstuhlvertreter an der Universität Leipzig; nach 1945 Ordinariat an der FU Berlin; 1946–50 Stadtverordneter Berlin (CDU); 1951–67 Senator für Volksbildung in Berlin; 51–67 evangelischer Vorsitzender der Gesellschaft für christl.jüdische Vergangenheit in Berlin e.V. Studium Theologie, Philosophie; ohne Abschluss als Hauslehrer tätig; 1909 Mitarbeit bei Zf. Die christliche Welt; engagiert sich für die dänische Minderheit in Nordschleswig; 1910–15 als Freigemeindepfarrer in Königsberg; 1915–18 aktive Kriegsteilnahme; nach 1918 als ,,Sachverständiger für Schleswig“ beim AA tätig, ab 1922 als Ministerialrat im Reichsinnenministerium; Mitarbeit beim Dt. Schutzbund; VDA; Dt. Liga für Völkerbund; Weltbund für Freundschaftsarbeit der Kirchen; nach 1933 zunächst versetzt und 1936 frühpensioniert Prof. Dr. phil.; Geograph; 1894–94 Assistent am Geographischen Institut; PD für Geographie in Hamburg und Berlin; Kriegsteilnehmer; seit 1916 Mitglied der Wiss. Kommission beim Kriegsministerium und PD f. Geogr. an der Handelshochschule Berlin; ab 1919 dort Ordinarius und 1927 Rektor

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Grafik und Tabellen

Name

Geburtsdatum, Ort, Konfession

Sterbedatum

Biographische Hinweise

Axel de Vries

1892 (Wredensitz, Estland)

1963

Heinz Dietrich Wendland

1900 (Berlin) (protestantisch)

1992

Studium Jura; 1917 Kurier der estländischen Ritterschaft in Berlin; 1918–20 im Baltenregiment als Chef der Nachrichtenstelle; 1920/21 tätig auf dem väterlichen Gut, nach Enteignung 1921–40 Chefredakteur des Revaler Boten, seit 1934 der Estländischen Zeitung in Reval; 1921–23 dt. Stadtverordneter in Reval; ab 1924 Mitglied der estld. Staatsversammlung; 1926–33 Vorsitzender der Dt.-Balt. Partei in Estland; ab 1934 aus polit. Gründen in Haft; 1940–45 nach Umsiedlung Landwirt im ,,Warthegau“, jedoch als ,,erbbiologisch“ nicht fördertauglich eingestuft; 1945 im Treck nach Westen vertrieben; Mitbegründer der Dt.-Balt. Landsmannschaft in BW; FDP-Mitglied; 1949–53 Chefredakteur der Ostdt. Zeitung; ab 1950 Vorsitzender der Vereinigten Ostdt. Landsmannschaften; ab 1962 Leiter der Dt.-Balt. Landsmannschaft; Verfasser des ersten Entwurfs ,,Charta der Vertriebenen“ Prof. Dr. phil., Theologe; Mitgründer des Jungvölkischen Bundes; Redakteur Bannerträger; 1925–29 Wissenschaftlicher Ass. im Zentralausschuss für Innere Mission; ab 1925 Dozent an der Ev.sozialen Schule in Berlin-Spandau; ab 1929 PD an der Universität Heidelberg; ab 1937 o. Prof. an der Universität Kiel, dann Münster für christl. Soziallehre u. Sozialethik; 1934–37 Hrsg. Wort und Tat; 1955–70 Ordinarius und Direktor des Inst. für Christl. Gesellschaftswissenschaft in Münster

Quellen Archivalische Quellen Universitätsbibliothek Bonn Nachlass Erich Rothacker Bundesarchiv Berlin (BArch Berlin) RY 56 Deutscher Klub von Berlin R 43 II Reichskanzlei R 708 Kommissar des Reichskanzlers für die Ruhrabwehr (Zentralstelle Rhein Ruhr) 1923 R 901 Auswärtiges Amt R 1501 Reichsminister des Inneren R 1507 Reichsminister für die Überwachung der öffentlichen Ordnung, Nachrichtensammelstelle im Reichsministerium des Inneren, 1919–1933 R 3009 Staatsgerichtshof zum Schutze der Republik, 1922–1935 R 4901 Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung R 8005 Deutschnationale Volkspartei, 1918–1933 R 8032 Organisation Escherich und Nachfolgeorganisationen, 1919–1922 R 8039 Deutscher Schutzbund – Schutzgemeinschaft, 1919–1933 R 8034 II / IIII Presseausschnittsammlung – Reichslandbund NS 5 / VI Deutsche Arbeitsfront – Arbeitswissenschaftliches Institut NS 15 Hauptamt der Dienststellen des Reichsleiters Rosenberg RKK (ehem. BDC, Berlin Document Center) Zentrale Mitgliederkartei der NSDAP und Parteikorrespondenz Bundesarchiv Koblenz (BArch Koblenz) N 231 Nachlass Alfred Hugenberg N 1001 Nachlass Lujo Brentano N 1077 Teilnachlass Max Hildebert Boehm N 1160 I Nachlass Rudolf Pechel N 1324 Teilnachlass Martin Spahn R 57 Deutsches Auslandsinstitut R 118 Akten des Politischen Kollegs Zeitgeschichtliche Sammlung Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz Berlin (GeStPrK Berlin) I. HA, Rep. 92 Nachlass Wolfgang Kapp Staatsbibliothek Berlin Preußischer Kulturbesitz (StBPrK) Nachlass Moeller van den Bruck Sammlung Darmstaedter Nachlass Karl Bleibtreu Nachlass 244 Walther Eckart Nachlass Adolf von Harnack Briefsammlung Lehmann

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Quellen

Depot Rodenwaldt Stadt- und Landesbibliothek Dortmund Autograph Arthur Moeller Nachlass Max Tau Heinrich Heine Institut Düsseldorf Autographen Wilhelm Schäfer Universitätsbibliothek Erlangen 3001 Ernst Meyer–Bamberg–Sammlung Freies Deutsches Hochstift Frankfurt a.M. Handschrift 89 Friedländer – Prechtl Universitätsbibliothek Freiburg Nachlass 12 Karl Ludwig Schemann Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen Nachlass Wilhelm Hübbe-Schleiden Nachlass Hermann Nohl Universitätsbibliothek Heidelberg Heidelberger Handschriften Universitätsbibliothek Kassel Handschriften Wilhelm Schwaner Universität Köln Theatersammlung Handschriften Ostakademie Lüneburg P 0/203 Deutsches Literaturarchiv Marbach (DLA Marbach) A: Erwin Ackerknecht A: Rudolf Borchardt A: Cotta–Archiv A: Eugen Diederichs A: Paul Ernst A: Paul Fechter A: Hans Grimm A: Gustav Hillard A: Karl Jaspers A: Erich von Kahler A: Anton Kippenberg A: Ludwig Klages A: Gertrud Le Fort A: Arthur Moeller van den Bruck A: Armin Mohler A: Rudolf Pechel A: Reinhard Piper, Verlag A: Wilhelm von Scholz D: Merkur Zeitungsausschnittsammlung

Archivalische Quellen Universitätsbibliothek Marburg 691: Wilhelm Hermann 831: Paul Natorp Stadtarchiv Mönchengladbach (StaMg) Nachlass Brauweiler 2 Sonderarchiv Moskau ZChiDk Fonds 500 Fonds 567 Fonds 772 Bayerische Staatsbibliothek München Ana 390 II.A Carl Muth Literaturarchiv der Monacensia, Stadtarchiv München AKB: Georg Kerschensteiner AOT: Otto von Taube Universitäts- und Landesbibliothek Münster Nachlass Walther Schücking 3 und 4 Nachlass Hans Freyer1 Universitätsbibliothek Regensburg / Paul Ernst Archiv Nachlass K. A. Kutzbach Nachlass Paul Ernst Nachlass Max Wachler Nachlass Emma Ernst Landesbibliothekszentrum Speyer Nachlass Maximilian Pfeiffer Universitätsbibliothek Tübingen Md 782 Theodor Nöldeke Md 875 Carl Johannes Fuchs Hessische Landesbibliothek Wiesbaden Hs 396 Ludwig Jacobowski

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466

Quellen

Gedruckte Quellen Das Gewissen. Unabhängige Zeitung für Volksbildung, 1, 1919, H. 1–37. Gewissen. Für den Ring herausgegeben von Ed. Stadtler, 2–7, 1920–1925. (Mikrofilmausgabe der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg) Prinz Max von Baden: Erinnerungen und Dokumente, Stuttgart 1927. Bleuten, F. van: Dichterische Arbeit und Alkohol: Eine Rundfrage. Einleitung und Nachwort, in: Das literarische Echo. Halbmonatsschrift für Literaturfreunde, 9.1906/07, H. 2, S. 81– 146. Boehm, Max Hildebert: Ruf der Jungen. Eine Stimme aus dem Kreise um Moeller van den Bruck (Erstausgabe 1920) Freiburg 1933. Boehm, Max Hildebert: Moeller van den Bruck im Kreise seiner politischen Freunde, in: Deutsches Volkstum, 14.1932, 1. Septemberheft, S. 693–697. Boehm, Max Hildebert: Das eigenständige Volk. Grundlegung der Elemente einer europäischen Völkersoziologie Göttingen, Erstausgabe 1932, Reprint Darmstadt 1969. Boehm, Max Hildebert: Die Reorganisation der Deutschtumsarbeit nach dem Ersten Weltkrieg, in: Ostdeutsche Wissenschaft. Jahrbuch des Ostdeutschen Kulturrates, hrsg. von Max Hildebert Boehm, Fritz Valjavec, Wilhelm Weizsäcker, Bd. V, München 1958, S. 10–34. Burke Edmund: Reflections on the Revolution in France: and on the proceedings in certain socities in London relative to that event, London 1790. Eulenberg, Hedda: Im Doppelglück von Kunst und Leben, Düsseldorf 1952. Fechter, Paul: Talent und Genie, in: Die Literatur: Monatsschrift für Literaturfreunde, 27. Jahrgang des Literarischen Echo, 1925, H. 8, S. 449–455. Fechter, Paul: Moeller van den Bruck. Ein politisches Schicksal. (Die Deutsche Innerlichkeit), Berlin 1934. Fechter, Paul: Menschen und Zeiten. Begegnungen aus fünf Jahrzehnten, Berlin/Hamburg 1949. Feder, Dr. Ernst: ,,Parteilose Zeitungen“, in: Deutsche Presse. Zeitschrift für die gesamten Interessen des Zeitungswesens, 17 (03.09.1927) H. 36, S. 477–478. Gleichen, Heinrich von: Oberschicht und Nation, in: Alfred Bozi/Alfred Niemann (Hrsg.): Die Einheit der nationalen Politik, Stuttgart 1925, S. 233–249. Grimm, Hans: Südafrikanische Novellen, München 1921. Grimm, Hans: Volk ohne Raum, München 1926. Grimm, Hans: Die Ölsucher von Duala. Ein afrikanisches Kriegstagebuch (Erstausgabe 1918) Hamburg 1931. Herre, Paul/Jagow, Kurt (Hrsg.): Politisches Handwörterbuch, Band II, Leipzig 1923. Hillard, Gustav: Herren und Narren der Welt, Hamburg 1985. Hoffmann, Karl: Das Ende des kolonialpolitischen Zeitalters. Grundzüge eines wirtschaftsorganischen Genossenschafts-Imperialismus, 3. Auflage, Leipzig 1917. Hoffmann, Karl: Der kleineuropäische Gedanke, 3. Auflage, Leipzig 1918. Hoffmann, Karl: Burschenschaftliches Handbuch für Politik. Im Auftrag des Vaterländischen Arbeitsausschusses der Deutschen Burschenschaften, Leipzig 1920. Hoffmann, Karl: Die akademische Jugend und die Parteien, Leipzig/Berlin 1920.

Gedruckte Quellen

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Hofmannsthal, Hugo von: Reden und Aufsätze, Teil 3 1925–29, Aufzeichnungen aus dem Nachlass, hrsg. von Bern Schoeller, Frankfurt a.M. 1980. Jaeger, Dr. Karl: Unser Journalisten“stand“, in: Deutsche Presse. Zeitschrift für die gesamten Interessen des Zeitungswesens, 16 (24.03.1926), H. 12, S. 1–2. Kessler, Harry Graf: Tagebücher 1918 bis 1937, hrsg. von Wolfgang Pfeiffer-Belli, Frankfurt a.M. 1996. Keynes, John Maynard: The economic consequences of the peace (The collected writings, vol. 2) London 1971. Kjellén, Rudolf: Die Ideen von 1914: eine weltgeschichtliche Perspektive, Leipzig 1915 . Krieck, Ernst: Persönlichkeit und Kultur: kritische Grundlegung der Kulturphilosophie, Heidelberg 1910. Krieck, Ernst: Die Revolution der Wissenschaft. Ein Kapitel über Volkserziehung, Jena 1920. Krieck, Ernst: Philosophie der Erziehung, Jena 1922 Krieck, Ernst: Menschenformung: Grundzüge der vergleichenden Erziehungswissenschaft, Leipzig 1925. Krieck, Ernst: Volk im Werden, Oldenburg i. O. 1932. Lauryssens, Stan: The man who invented the Third Reich. The life and times of Arthur Moeller van den Bruck, Stoud, Gloucestershire 1999. Moeller-Bruck, Arthur: Die moderne Literatur in Gruppen und Einzeldarstellungen, Leipzig/Berlin 1899. Moeller-Bruck, Arthur und Hedda: Edgar Allen Poe, Werke. Kritische Ausgabe in 10. Bdn. Minden i. W. 1900. Moeller-Bruck, Arthur: Das Variete, Berlin 1902. Moeller-Bruck, ,,Deutscher Marlowegeist, in: Freistatt, 5.1903 H. 14, S. 269–270. Moeller-Bruck, Arthur: Moderne Literatur, modernes Leben – ein Gegensatz., in: Der Kunstwart, 17.1904 H. 23, S. 453–457. Moeller-Bruck, Arthur: Zur Entwicklung der Ästhetik, in: Magazin für Litteratur: Vereinsorgan der Freien Literarischen Gesellschaft zu Berlin, 73.1904 H. 1, S. 5–8. Moeller van den Bruck, Arthur: Das Theater français, Berlin 1905. Moeller van den Bruck, Arthur: Die Zeitgenossen: die Geister – die Menschen, Minden i. W. 1906. Moeller van den Bruck: Die Deutschen. Unsere Menschengeschichte, 5. Bd., Gestaltende Deutsche, Minden i. W. 1907. Moeller van den Bruck (Hrsg.): F. M. Dostojewski: Sämtliche Werke. Der Idiot. Roman. Erster Band. Erste Abteilung: Dritter Band, München, Leipzig 1909. Moeller van den Bruck (Hrsg.): F. M. Dostojewski. Sämtliche Werke. Die Dämonen. Roman erster Teil. Erste Abteilung: Fünfter Band, München, Leipzig 1906. Moeller van den Bruck: Der Außenseiter, in: Der Tag, 19 (15.01.1919) H. 6, S. 1–3. Moeller van den Bruck: Die italienische Schönheit, München 1913. Moeller van den Bruck: Der preußische Stil, München 1916. Moeller van den Bruck: Das Recht der jungen Völker. Sammlung politischer Aufsätze (Erstausgabe 1919) Berlin 1932. Moeller van den Bruck: Der Umsturz der Form, in: Der Tag, 20 (27.01.1920) H. 22, S. 1–3.

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Quellen

Moeller van den Bruck/Gleichen, Heinrich von/Boehm, Max Hildebert (Hrsg.): Die Neue Front, Berlin 1922. Moeller van den Bruck: Das dritte Reich (Erstausgabe 1923) Berlin 1931. Moeller, Ottomar: Die Baugeschichte von Düsseldorf, in: Beiträge zur Geschichte des Niederrheins BGNrh, 3.1888, S. 351–384. Plenge, Johann: Zweiter Nachtrag ,,Meine Anmeldung zum Bund Schlageter e.V.“. Moeller van den Brucks Bekehrung zur Idee. Unser Briefwechsel von September 1918, Münster 1935. Schauwecker, Franz: Im Todesrachen. Die deutsche Seele im Weltkriege, Halle 1919. Schauwecker, Franz: Der feurige Weg, Leipzig 1926. Schauwecker, Franz: Aufbruch der Nation, Berlin 1930. Schemann, Ludwig: Briefe Moeller van den Brucks an Ludwig Schemann (I.), in: Deutschlands Erneuerung, 18.1934 H. 6, S. 321–327. Schmitt, Carl: Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus (Erstausgabe 1923) Berlin 1996. Schulz, Walther: Der deutsche Hochschulring:. Grundlagen, Geschichte und Ziele. (Hochschul-Hefte: Serie C, Studentenwesen 1/2), Halle (Saale) 1921. Schulz, Walther: Die Hochschulring-Bewegung. Ihre Grundlagen und Auswirkungen (Schriftenreihe des DHR 3), Berlin 1927. Schulze-Pfaelzer, Dr. S.: ,,Moderne propagandistische Politik“, in: Deutsche Presse. Zeitschrift für die gesamten Interessen des Zeitungswesens, 17 (12.03.1927) H. 10, S. 292–294. Schwarz, Hans: Moeller van den Bruck, in: Deutsches Volkstum, 14.1932, 1. Septemberheft, S. 689–692. Spahn, Martin: Der Kampf um die Schule in Frankreich und Deutschland. Ein Vortrag. Kempten/München 1907. Spahn, Martin: Nationale Erziehung und konfessionelle Schule, Kempten/München 1912. Spahn, Martin: Deutsche Lebensfragen, 3. Aufl., Kempten/München 1914. Spahn, Martin: Im Kampf um unsere Zukunft, Mönchen-Gladbach 1915. Spahn, Martin: Bismarck, 2. Aufl., Mönchen-Gladbach 1915. Troeltsch, Ernst: Die Fehlgeburt einer Republik. Spektator in Berlin 1918 bis 1922. (Die andere Bibliothek 109), Frankfurt a.M. 1994. Ullmann, Hermann: Publizist in der Zeitenwende, München 1967.

Literatur Nachschlagewerke Alle im Folgenden genannten Nachschlagewerke sind online im ,,World Biographical Information System, WBIS“ verzeichnet, online unter: https://emedien.sub.uni–hamburg.de/ han/WBIS/db.saur.de/WBIS/welcome.jsf. Allgemeines Lexikon der Bildenden Künstler von der Antike bis zur Gegenwart, 37 Bände, herausgegeben von Ulrich Thieme und Felix Becker, Leipzig 1907–1950. Altpreußische Biographie, 2 Bände, herausgegeben von Christian Krollmann, fortgesetzt von Kurt Forstreuter und Fritz Gause im Auftrag der Historischen Kommission für ost– und westpreußische Landesforschung, Königsberg et al. 1941–1967. Biographisch-bibliographisches Kirchenlexikon. Begründet und herausgegeben von Friedrich Wilhlem Bautz, fortgeführt von Traugott Bautz, Hamm 1975–2009. (vgl. auch http:// www.kirchenlexikon.de) Biographisches Handwörterbuch der Erwachsenenbildung: Erwachsenenbildner des 19. und 20. Jahrhunderts, herausgegeben von Günther Wolgast, Stuttgart 1986. Biographisches Lexikon zur deutschen Geschichte: von den Anfängen bis 1945, Berlin 1971. Budde, Heinz (Hrsg.): Handbuch der christlich-sozialen Bewegung, Recklinghausen 1967. Carl, Victor (Hrsg.): Lexikon der Pfälzer Persönlichkeiten, Edenkoben 1998. Claus, Paul (Hrsg.): Persönlichkeiten der Weinkultur deutscher Sprache und Herkunft: Kurz–Biographien aus 16 Jahrhunderten, München 1991. Köhler, Albert (Hrsg.): Europäische Profile: Biographien führender Männer der Politik, Wirtschaft und Kultur, Mailand 1954. Decurtins, Carl (Hrsg.): Kleines Philosophen-Lexikon: von den Vorsokratiern bis zur Gegenwart, Affoltern 1952. Degener, Hermann (Hrsg.): Degeners Wer ist’s? Berlin 1928, 1935. Deutsche Biographische Enzyklopädie (DBE), 10 Bände, herausgegeben von Walther Killy und Rudolf Vierhaus, München et al. 1995–1999. Das Deutsche Reich von 1918 bis heute, herausgegeben von Cuno Horkenbach, Berlin 1931–35. Deutscher Wirtschaftsführer: Lebensgänge deutscher Wirtschaftspersönlichkeiten. Ein Nachschlagebuch über 1300 Wirtschaftspersönlichkeiten unserer Zeit. Bearbeitet von Georg Wenzel, Hamburg 1929. Deutsches Biographisches Archiv: Neue Folge bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts, herausgegeben von Willi Gorzny, München 1989ff. Deutsches Biographisches Jahrbuch, herausgegeben von Hermann Christern, Berlin 1925– 1932. Deutschnationale Köpfe: Charakterbilder aus der Vergangenheit und Gegenwart rechtsstehender Parteien, herausgeben von Hans von Arnim und Georg von Below, Leipzig 1928. Emödi, Paul (Hrsg.): Wer ist wer: Lexikon österreichischer Zeitgenossen, Wien 1937. Das Deutsche Führerlexikon: 1934/35, Berlin 1934.

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Literatur

Die Großen Deutschen: neue deutsche Biographie, 5 Bände, herausgegeben von Willy Andresen und Wilhelm von Scholz, Berlin 1935–37. Geißler, Max (Hrsg.): Führer durch die deutsche Literatur des 20. Jahrhunderts, Weimar 1913. Habermann, Alexandra/Klemmt, Rainer/Siefkes, Frauke (Hrsg.): Lexikon deutscher wissenschaftlicher Bibliothekare 1925–1980 (Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie, Sonderheft 42), Frankfurt a.M. 1985. Hellwig, Lothar Wilfried (Hrsg.): Persönlichkeiten der Gegenwart: Luftfahrt, Wissenschaft, Kunst, Berlin 1940. Hinrichsen, Adolf (Hrsg.): Das literarische Deutschland, Berlin/Rostock 1891. Internationales biographisches Archiv: Personen aktuell (ein Spiegel unserer Welt in den Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft und Kultur), herausgegeben vom Munzinger-Archiv, Ravensburg 1973ff. Jaksch, Friedrich (Hrsg.): Lexikon sudetendeutscher Schriftsteller und ihrer Werke für die Jahre 1900–1920, mit zwei Anhängen, Reichenberg 1929. Klee, Ernst (Hrsg.): Das Personenlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945? Frankfurt a.M. 2003. Kosch, Wilhelm (Hrsg.): Biographisches Staatshandbuch. Lexikon der Politik, Presse und Publizistik, 2 Bände, Bern/München 1963. Kosch, Wilhelm (Hrsg.): Das katholische Deutschland: biographisch-bibliographisches Lexikon, 3 Bände, Augsburg 1933–1938. Kosch, Wilhelm (Hrsg.): Deutsches Theater-Lexikon: biographisches und bibliographisches Handbuch, 4 Bände, Klagenfurt et al. 1953–1998. Kürschners Deutscher Gelehrten-Kalender: bio-bibliographisches Verzeichnis deutschsprachiger Wissenschaftler der Gegenwart, München 1925–1992. Kürschners Deutscher Literatur-Kalender, nebst Nekrolog 1901–1935, 1936–1970, Berlin 1907–1952. Kullnick, Heinz (Hrsg.): Berliner und Wahlberliner: Personen und Persönlichkeiten in Berlin 1640–1914, Berlin 1960. Kutzbach, Karl August (Hrsg.) Autorenlexikon der Gegenwart: schöne Literatur verfasst in deutscher Sprache, Bonn 1950. Leesch, Wolfgang (Hrsg.): Die deutschen Archivare 1500–1945. Biographisches Lexikon, Band 2, München/London/New York/Paris 1992. Müffling, Wilhelm von (Hrsg.): Wegbereiter und Vorkämpfer für das neue Deutschland, München 1933. Neue Deutsche Biographie (NDB), bisher 22 Bände, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 1953–2005. Österreichisches biographisches Lexikon 1815–1950; unter der Leitung von Leo Santifaller bearbeitet von Eva Obermayer-Marnach; herausgegeben von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Graz 1957ff. Reichshandbuch der deutschen Gesellschaft: das Handbuch der Persönlichkeiten in Wort und Bild, 2 Bände, Berlin 1930–31. Reichstags-Handbuch: Wahlperiode 1890–1933, herausgegeben vom Bureau des Reichstages, Berlin 1907–1934. Religion in Geschichte und Gegenwart (RGG): Handwörterbuch für Theologie und Religionswissenschaft, herausgegeben von Kurt Galling, 6 Bände, Tübingen 1959–1965.

Nachschlagewerke

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Ribbe, Wolfgang/Schäche, Wolfgang (Hrsg.): Baumeister, Architekten, Stadtplaner: Biographien zur baulichen Entwicklung Berlins, Berlin 1987. Scheibmayr, Erich (Hrsg.): Letzte Heimat. Persönlichkeiten in Münchner Friedhöfen 1784– 1984, München 1989. Schleswig-holsteinisches biographisches Lexikon, 5 Bände, herausgegeben im Auftrag der Gesellschaft für Schleswig-Holsteinische Geschichte von Olaf Klose, Neumünster 1970– 1979. Schumacher, Dirk (Hrsg.): M.d.R., die Reichstagsabgeordneten der Weimarer Republik in der Zeit des Nationalsozialismus: politische Verfolgung, Emigration und Ausbürgerung 1933–45; eine biographische Dokumentation, Düsseldorf 1991. Schumacher, Dirk (Hrsg.): M.d.L., das Ende der Parlamente 1933 und die Abgeordneten der Landtage und Bürgerschaften der Weimarer Republik in der Zeit des Nationalsozialismus: politische Verfolgung, Emigration und Ausbürgerung 1933–1945; ein biographischer Index (Veröffentlichung der Kommission für Geschichte des Parlamentarismus und der Politischen Parteien), Düsseldorf 1995. Schwarz, Max Theodor (Hrsg.): M.d.R., biographisches Handbuch der Reichstage, Hannover 1965. Schweizer Lexikon, 6 Bände, Luzern 1991–1992. Schweizerische Zeitgenossen-Lexikon = Dictionnaire suisse des contemporains = Dizionario svizzero del contemporanei, herausgegeben von Hermann Aellen, Bern et al. 1932. Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich, Band 1921/22, hrsg. vom Statistischen Reichsamt 1880–1942, Berlin 1921/22. Stockhorst, Erich (Hrsg.): Fünftausend Köpfe: wer war was im Dritten Reich, Wiesbaden 1967. Vereinigung der sozial- und wirtschaftswissenschaftlichen Hochschullehrer: Werdegang und Schriften der Mitglieder, Köln 1929. Weiß, Hermann (Hrsg.): Biographisches Lexikon zum Dritten Reich, Frankfurt a.M. 1998. Weiß, Ida (Hrsg.): Kärntner Lebensbilder, 3 Bände, Klagenfurt 1970–1974. Wer ist wer? Das Deutsche Who’s Who, begründet von Hermann Degener, herausgegeben von Walter Habel, Berlin 1955. Wertheimer, Fritz (Hrsg.): Von deutschen Parteien und Parteiführern im Ausland, Berlin 1930. Wininger, Salomon (Hrsg.): Große jüdische National-Biographie: mit mehr als 8000 Lebensbeschreibungen namhafter jüdischer Männer und Frauen aller Zeiten und Länder, Czernowitz 1925–1936. Wistrich, Robert (Hrsg.): Wer war wer im Dritten Reich? Anhänger, Mitläufer, Gegner aus Politik, Wirtschaft, Militär, Kunst und Wissenschaft, München 1983. Wrede, Richard (Hrsg.): Das geistige Berlin, Bd. 1, Leben und Wirken der Architekten, Bildhauer, Bühnenkünstler, Journalisten, Maler, Musiker, Schriftsteller, Zeichner. Fotomechanischer Neudruck der Originalausgabe 1897, Leipzig 1975.

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Literatur

Forschungsliteratur Abelshauser, Werner/Faust, Anselm/Petzina, Dietmar (Hrsg.): Deutsche Sozialgeschichte 1914–1945. Ein historisches Lesebuch, München 1985. Adorno, Theodor W.: Studien zum autoritären Charakter, Frankfurt a.M. 1982. Albert, Gert/Bienfait, Agathe/Sigmund, Steffen u. a. (Hrsg.): Das Weber-Paradigma. Studien zur Weiterentwicklung von Max Webers Forschungsprogramm, Tübingen 2003. Alheit, Peter: Biographie und Mentalität. Spuren des Kollektiven im Individuellen, in: Völter/ Dausien/Lutz/Rosenthal: Biographieforschung, S. 21–45. Alter, Peter: Nationalismus, Frankfurt a.M. 1985. Alter, Peter (Hrsg.): Im Banne der Metropolen. Berlin und London in den zwanziger Jahren. (Veröffentlichungen des Deutschen Historischen Instituts London Bd. 29), Göttingen 1993. Althusser, Louis: Ideologie und ideologische Staatsapparate. Aufsätze zur marxistischen Theorie. (Positionen 3), Hamburg 1977. Amm, Bettina: Die Ludendorff-Bewegung. Vom nationalistischen Kampfbund zur völkischen Weltanschauungssekte. (Reihe Soziologie), Hamburg 2006. Anderson, Benedict: Imagined communities. Reflections on the origin and spread of nationalism, London 2003. Andres, Jan/Braungart, Wolfgang/Kauffmann, Kai (Hrsg.): ,,Nichts als die Schönheit“. Ästhetischer Konservatismus um 1900. (Historische Politikforschung 10), Frankfurt a.M. 2007. Anz, Thomas: Vitalismus und Kriegsdichtung, in: Mommsen: Kultur und Krieg, S. 235–247. Anz, Thomas: Der Sturm ist da – Literatur im ,expressionistischen Jahrzehnt‘, in: Faulstich: Zweite Jahrzehnt 2007, S. 89–107. Arendt, Hannah: Was ist Politik? Fragmente aus dem Nachlass, München/Zürich 1993. Arnim, Hans Herbert von: Das System. Die Machenschaften der Macht, Rottenburg 2006. Autsch, Sabine: Haltung und Generation – Überlegungen zu einem intermedialen Konzept, in: BIOS. Zeitschrift für Biographieforschung, Oral History und Lebensverlaufsanalysen, 13.2000 H. 2, S. 163–180. Avraham, Doron: In der Krise der Moderne. Der preußische Konservativismus im Zeitalter gesellschaftlicher Veränderung 1848–1876. (Schriftenreihe des Minerva Instituts für Deutsche Geschichte Universität Tel Aviv 27), Göttingen 2008. Bajohr, Frank (Hrsg.): Zivilisation und Barbarei. Die widersprüchlichen Potentiale der Moderne; Detlev Peukert zum Gedenken. (Hamburger Beiträge zur Sozial- und Zeitgeschichte 27), Hamburg 1991. Balibar, Etienne: Der Rassismus: auch noch ein Universalismus, in: Bielefeld: Das Eigene und das Fremde, S. 175-188. Balibar, Etienne/Wallerstein, Immanuel: Rasse-Klasse-Nation. Ambivalente Identitäten, Hamburg, Berlin 1992. Bär, Jochen A.: Nation und Sprache in der Sicht romantischer Schriftsteller und Sprachtheoretiker, in: Gardt: Nation und Sprache, S. 199–228. Barlösius, Eva: Naturgemäße Lebensführung. Zur Geschichte der Lebensreform um die Jahrhundertwende, Frankfurt a.M. 1997. Barnouw, Dagmar: Weimar Intellectuals and the Threat of Modernity, Bloomington and Indianapolis 1988.

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Register Personenregister Adenauer, Konrad 309 Albrecht, Hermann 49, 57, 350 Anker, Kurt 51 Ansorge, Conrad 72 Avenarius, Ferdinand 74 Axhausen, Günther 298 Barlach, Ernst 89, 356 Barrès, Maurice 384 Barth, Erwin 344 Behrens, Peter 93, 115, 356 Bernhard, Georg 258 Bierbaum, Otto 74 Birschel, Hermann 52 Bismarck, Fürst Otto von 189, 243, 303, 307 Bleibtreu, Karl 47, 55, 74f., 78 Bodisco, Theophile von 46, 85 Böcklin, Arnold 62 Boehm, Max Hildebert 12, 27, 46f., 49, 55–57, 95, 103, 106f., 111, 121, 139, 149–155, 157, 159f., 164, 174, 177, 186f., 190, 200, 202, 204, 206, 208, 211, 219, 240f., 246, 253f., 258, 269, 278, 302, 305, 316, 318, 330f., 347, 350, 363, 391f., 411, 428, 435 Böhmer, Rudolf 52, 161, 194, 429 Bonsels, Waldemar 112 Borsig, Ernst 127 Brauweiler, Heinz 27, 47, 49, 56, 160, 163, 166, 189f., 194, 196, 216, 276, 317, 322, 330, 396–398, 402, 418–421, 427 Brill, Karl 52, 351 Brock, Erich 57, 99f., 163, 167, 215 Broecker, Rudolf von 316, 320 Brüning, Heinrich 56 Bruns, Carl Georg 52, 160, 350 Brunstädt, Friedrich 54, 255, 314, 321, 426 Buhl, Franz von 52 Bunzel, Julius 190 Chevallerie, Otto de la 154, 318f., 321 Cossman, Paul Nikolaus 261 Cuno, Wilhelm 342

Curtius, Ludwig

322

Däubler, Theodor 89 Dehmel, Richard 63, 72–78, 92f., 95, 98, 112, 213 Dehn, Paul 269, 346 Dessau, Fritz 375, 428 Diederichs, Eugen 77, 175, 324 Dietrich, Albert 49, 57, 154, 161, 187, 201, 206, 215, 248, 299, 363, 378 Dilthey, Wilhelm 36, 56, 400 Dix, Arthur 52 Doerschlag, Siegfried 125, 127 Dostojewski, Fjodr 84, 86f., 370 Dunkmann, Karl 54, 114 Eckart, Walther 51 Ehrenforth, Fritz 49, 56, 106, 154, 160, 242, 253, 320, 351 Elster, Hanns Martin 51, 292, 350 Elven, Fred W. 206, 265–267 Ernst, Paul 40, 47, 55, 74, 78f., 114, 207, 271, 278, 292, 297, 326f., 330 Ernst, Robert 54 Erzberger, Matthias 135, 240f., 244, 253, 335, 397, 411 Escherich, Georg 54, 270, 272, 277 Eulenberg, Herbert 68, 83, 112, 119 Everling, Friedrich 53 Evers, Franz 67, 73–75, 112, 269 Fechter, Paul 91, 95, 154, 161, 203, 316 Fehrenbach, Konstantin 252, 340 Fehrmann, Karl 200 Fenner, Heinz 49, 55, 125, 206, 371 Frank, Constantin 190 Freese, Heinrich 52, 426 Friedländer, Robert siehe Prechtel, Robert Friedrich, Paul 52, 114 Fritzsche, Hans 52, 319 Frosch, Hanns J. 177, 191 Garbe, Hans Heinrich

211, 313, 325, 406

512

Register

Gasset, Ortega y 349 George, Lloyd 340f. George, Stefan 40, 71, 76, 99, 293 Gerber, Hans 54, 319 Glasebock, Wilhelm 319 Gleichen, Heinrich von 12, 28, 43, 49, 55f., 104–106, 110, 114–116, 121, 127– 130, 134–136, 138, 153–156, 158f., 161– 164, 166f., 183, 189–191, 193, 195, 199, 201, 204, 206, 208, 211f., 214, 217, 219, 239, 241f., 246, 250, 258, 262, 266f., 269–271, 275f., 278–284, 292, 301–305, 312, 315–317, 321, 323, 336f., 339, 344, 350, 362, 368, 372, 374, 376, 391f., 395, 400, 403, 413, 415f., 425, 429, 435, 437 Gleichen–Rußwurm, Alexander von 114 Gobineau, Arthur de 90f., 385 Grabowsky, Adolf 127 Grimm, Hans 27, 47, 55, 107, 112, 163, 185f., 204, 214, 282, 304, 311, 352–355, 363, 415 Günther, Hans F. 304 Gundolf, Friedrich 112 Gutsche, Wilhelm 53 Harding, Warren 347 Hardt, Ernst 115 Harnack, Adolf von 111 Hashagen, Justus 54, 269 Hauptmann, Gerhart 72, 75, 193 Haushofer, Karl 160 Heiß, Friedrich 190, 319 Helfferich, Karl 52, 126f., 239f., 281, 429 Helmolt, Hans 114 Henning, Viktor 119f. Henry, Victor 54 Hergt, Oskar 239 Herre, Paul 119 Herrfahrdt, Heinrich 49, 57, 106, 160, 190, 204, 246, 258, 316, 404, 417 Hesse, Fritz 161 Heuss, Theodor 116 Heyck, Eduard 54 Hielscher, Friedrich 132 Hildebrand, Kurt 385 Hindenburg, Paul von 282, 392 Hintze, Otto 117 Hitler, Adolf 132, 135, 269, 278–280, 284 Hördt, Philipp 54 Hoetzsch, Otto 322 Hoffmann, Karl 47, 69f., 154, 161, 163, 189, 204, 246, 316, 350, 404f., 407, 411

Hofmannsthal, Hugo von 52, 72 Hué, Otto 258, 338 Hugenberg, Alfred 52f., 56, 59, 152, 176f., 200f., 203, 205, 217, 239, 250– 253, 256, 258, 277, 316, 321–323, 400 Jacobowski, Ludwig 81 Jäckh, Ernst 112, 311f. Joos, Josef 52f. Jünger, Ernst 131 Kaerrick, Less 86 Kerkhoff, Johannes van de 52, 427 Keup, Erich 152 Keynes, John Maynard 338 Kjellén, Rudolf 123 Klein, Fritz 52, 202, 271, 336 Kleiner, Fritz 54 Klinger, Max 62 Kloppe, Fritz 52 Krieck, Ernst 49, 57, 134f., 158, 175, 193, 221, 284, 324–330, 385 Kries, Wilhelm von 49, 56, 155, 161–163, 177, 211, 241, 275, 346, 350, 406 Laeuen, Harry 49, 55, 80, 190, 319, 407 Lagarde, Paul de 70 Laporte, Walter de 251 Laporte, Walther de 52 Legien, Carl 258 Leibl, Ernst 190 Leibrock, Otto 53, 427 Lejeune-Jung, Paul 53, 161, 163, 255, 427 Lenin, Wladimir Iljitsch 237, 303, 372f. Liliencron, Detlef von 72 Lilienthal, Erich 114, 116 List, Friedrich 189, 404f., 416 Lölhöffel, Erich von 319 Loesch, Karl Christian von 54, 56, 153f., 190 Loham, Maximilian 187 Ludendorff, Erich 270, 279f., 284, 303 Luther, Friedrich 421 Maase, Hedda 66–68, 78f., 82f., 85, 119 Mächler, Martin 161, 190, 201, 217 Mahrholz, Werner 52 Mankiewitz, Paul 127 Mann, Heinrich 193 Mann, Thomas 74, 98, 193 Mannhardt, Hedwig 46 Mannhardt, Johannes 349

Personenregister Marc, Franz 356 Marx, Karl 87, 387 Melzer, Frithjof 161, 385 Mereschkowski, Dmitri 84–86 Messel, Alfred 356 Michler, Richart 351 Moellendorff, Wichard von 376, 413 Moeller van den Bruck 12, 25, 27f., 35– 38, 40f., 44–47, 55, 57, 59, 61–97, 101– 107, 112, 114, 119, 121, 135, 145f., 148, 151, 154f., 157f., 162f., 165–167, 170f., 174, 182f., 185f., 189, 193, 199, 201, 204, 207–209, 211–217, 219, 231, 234–236, 239, 246–248, 269, 271, 274–276, 278f., 289, 296f., 301f., 311, 314, 316, 318, 326, 328, 330, 334, 338, 340f., 343, 345, 348f., 351–358, 361, 363f., 367, 370, 373, 375, 377, 379, 381, 384–396, 405, 415, 433– 435, 437f. Moeller van den Bruck, Lucy (geb. Kaerrick) 27, 46, 83, 85f., 185, 213 Moeller, Elise (geb. van den Bruck) 64f. Moeller, Ottomar 63–67 Moeller, Rudolf 68 Morel, Edmund Dene 344f. Müller, August 53, 258 Münchhausen, Börries von 112 Munch, Edvard 73 Mussolini, Benito 389f., 392 Muth, Carl 123f., 261 Natorp, Paul 134 Naumann, Friedrich 56, 127, 311, 400 Nellessen, Josef 190 Nietzsche, Friedrich 40, 70, 78, 104, 146 Nohl, Hermann 69 Nonnenbruch, Fritz 382 Noske, Gustav 126 Osterrieder, Franz Xaver

211

Papen, Franz von 56 Parvus-Helphand, Alexander 373 Pauli, Franz 100, 114 Pechel, Rudolf 31, 51, 95, 156, 162f., 242, 265, 269, 275, 344 Petrowna-Blavatzky, Helena 75 Pfeiffer, Maximilian 127 Piper, Otto 80 Piper, Reinhard 80, 86f., 90 Poe, Edgar Allen 80, 87 Poelzig, Hans 356

513

Poincaré, Raymond 342 Prechtel, Robert 52 Prilipp, Beda 46, 296 Pröbster, Edgar 167 Przybyszewski, Stanislaw 72f. Quaatz, Reinhold Georg 258, 316, 321

47, 57, 253–255,

Radek, Karl 380, 390 Rahsin, E. K. siehe Kaerrick, Less Rathenau, Walther 206, 234, 264, 341, 376, 413 Rein, Adolf 54, 326, 330f. Reventlow, Graf Ernst von 51 Riedinger, Heinrich 385 Ringleb, Alexander 27, 49, 53, 56f., 152, 154, 200f., 206, 217, 251, 400, 404 Röhr, Franz 49, 57, 128, 155, 160, 206, 253, 258, 339, 375, 428 Rösel, Gottfried 391 Roeseler, Hans 49, 139, 154f., 160, 206, 314, 318f., 334 Rogge, Heinrich 54 Rubner, Max 115 Schaeder, Hans Heinrich 54, 161, 215 Schäfer, Wilhelm 51, 193, 213 Schauwecker, Franz 49, 55, 98f., 106, 130–134 Scheidemann, Philipp 334 Schemann, Ludwig 91–93, 190, 386 Schierenberg, Rolf 190, 350, 384 Schilling, Cäsar von 125, 128, 161, 371 Schlaf, Johannes 72 Schlageter, Leo 380 Schmidt-Wodder, Johannes 54, 351 Schotte, Walther 49, 56, 114, 116, 161, 163, 167, 171, 189, 236, 243, 254, 274, 278, 281, 317, 320, 336, 350, 396, 400f., 407, 421 Schulz, Walther 49, 55, 161, 191, 273, 319 Schwarz, Hans 49, 55, 64, 80, 83, 85, 100f., 104, 106, 161, 163, 165, 167, 207, 250, 317, 330f. Seeckt, Hans von 258, 277f. Severing, Carl 258 Siemens, Carl Friedrich von 127 Siewert, Elisabeth 350 Simons, Walter 260 Solger, Friedrich 54 Sombart, Werner 196

514

Register

Spahn, Martin 47, 57f., 122, 127, 135, 137, 151, 160, 162f., 166, 176, 179, 183, 205, 210, 215, 221, 240, 252f., 256, 258f., 261–263, 267, 271, 277, 284, 305–324, 330, 398, 409, 419, 438 Spann, Ottmar 406 Spengler, Oswald 87, 90, 146, 160, 196, 275 Stadtler, Eduard 12, 47, 49, 55, 106f., 121–130, 135f., 138, 155, 160f., 163, 167, 171, 183, 188, 190, 193, 195, 199, 201f., 204, 206, 208, 211, 213, 215, 219, 230f., 238, 240–243, 252–254, 269–271, 275–277, 279, 281–284, 290, 302, 308, 310, 312, 314, 317, 322, 330, 335, 338f., 364, 366, 370, 374, 378, 396, 419, 427f., 434f., 437 Stahff, Edgar 190, 320 Stahl, Julius von 409 Stegerwald, Adam 49, 56f., 127f., 155, 239, 253, 258, 428f. Stein, Freiherr Heinrich Friedrich Karl vom und zum 164, 224, 229 Steinbömer, Gustav 57, 161 Steinen, Helmut von den 114 Stinnes, Hugo 126f., 201f., 217, 244, 258f., 277, 280, 312, 338, 412, 415, 436 Stresemann, Gustav 203, 277, 333, 348, 358f. Strindberg, August 73 Sulzer, Elisabeth 46 Szagunn, Walter 54 Szagunn, Walther 152f., 156, 160 Thoma, Hans 62 Thyssen, Fritz 276 Tiburtius, Joachim 53, 114, 127, 425

Tießen, Ernst 54 Tobler, Friedrich 54, 206, 350 Tönnies, Ferdinand 70 Treitschke, Adolf 306 Trobe, Fred de la 161 Troeltsch, Ernst 115f., 127 Ullmann, Hermann 253, 351, 428

49, 56, 153, 160, 177,

Violet, Bruno 54 Vögler, Albert 127, 200, 258–260, 308, 436 Voigtländer, Emmy 46, 360 Vries, Axel de 190 Wangenheim, Alexander von 258 Weber, Max 116 Wendland, Heinz-Dietrich 54, 319, 426 Weth, Fritz 57, 237, 258, 371, 375, 428f. Willisen, Major Friedrich Wilhelm Freiherr von 152f. Wilson, Woodrow 113, 333, 347 Winterfeldt, Ludwig von 427 Wirth, Albrecht 54 Wirth, Joseph 234, 241, 252f., 262, 264, 266, 340 Wirths, Werner 49, 56, 100, 106, 130– 134, 155, 161, 190f., 194, 203, 207, 345, 356 Woermann, Kurt 426 Woltmanns, Ludwig 90 Zickert, Hermann 49, 57, 411 Zickler, Artur 211 Ziesché, Kurt 54, 317 Zietz, Wilhelm 319

Sachregister Alkohol – Alkoholkonsum 73f., 80, 105 Alldeutscher Verband (ADV) 93, 227, 269 Ankers Militärpolitische Wochenschau 51 Antibolschewistische Liga 55 – Generalsekretariat zum Studium des

Bolschewismus 125, 127–129, 202, 256, 364 Autoritarismus – autoritär 28, 43, 221, 244, 272, 277, 396, 410, 424 Beilage Der Grenzkampf

189, 350

Sachregister Beilage Der Ring 189 Beilage Die Ständische Bewegung 400 Beilage Gewissen 189 Beilage Ständische Bewegung 189 Berliner Lokalanzeiger 262 Berliner Neueste Nachrichten 52 Berliner Tageblatt 411 Berliner Tageszeitung 57 Berliner Zeitung 263 Biographie 22, 29, 33–38, 102f., 105 Bühne und Welt 81 Bund der Elsaß-Lothringer im Reich 54 Bund der Großdeutschen 283 Bund der Landwirte (BdL) 152, 227, 258 Bund deutscher Gelehrter und Künstler 56, 111, 114–117, 128, 134, 302 Cincinnatier Freie Presse

265

DDP 53, 172, 243, 251, 259, 277, 322 Deutsche Allgemeine Zeitung (D.A.Z.) 52, 202f., 271 Deutsche Arbeit 56 Deutsche Bücherei des Börsenvereins der Deutschen Buchhändler 196 Deutsche Export Revue 52 Deutsche Hochschule für Politik (DHfP) 151, 156, 311, 313f., 322f. Deutsche Rundschau 31, 51, 316 Deutsche Zeitung 194 Deutsche, Der 56, 177 Deutscher Hochschulring (DHR) 318f. Deutscher Schutzbund für die Grenz- und Auslandsdeutschen – Deutscher Schutzbund 54–56, 117, 150, 153, 183, 202, 316 Deutsches Auslandssekretariat 114, 116f. Dioskuren, Die 57 DNVP 52f., 57, 59, 126, 162f., 166f., 172, 176, 222, 236, 239, 241, 249–262, 268, 277, 280–284, 295, 309, 318f., 321–323, 364, 391, 402, 426f., 436f. Dolchstoßlegende 118, 240, 265, 274 Dürerbund, Der 93 Düsseldorfer Tageblatt 56, 397 DVP 52, 250, 253, 257–259, 262, 268, 277, 283 Elite 15, 97, 99, 109, 135f., 147f., 163– 165, 167–169, 179f., 196, 220–222, 228– 230, 232, 248, 276, 281f., 284, 288, 291–

515

294, 299, 301, 303, 323f., 326, 336, 365, 368, 400, 413, 418, 433 – elitär 21, 37, 40, 42–44, 59 Elsass-Lothringische Heimatstimme 52, 351 England 113, 281, 337–339, 342–347, 352, 354, 383, 402, 410 Erziehung – nationale 60, 73, 103, 134, 153, 162, 166, 221, 232, 236, 281, 284, 289, 293f., 300, 312, 329, 332, 349, 355f., 365, 396, 400, 433, 435, 437 Eugen Diederichs Verlag 70, 141, 175 Expressionismus 99 Faschismus 221, 230, 367, 389–396, 423 – faschistische Ideen 12, 23, 25, 28 Feuilleton 188, 204, 207, 216, 296 Frankfurter Zeitung 170, 172 Frankreich 83f., 88f., 113, 186, 273f., 303, 337, 339f., 342, 344, 356, 358, 361, 366, 369, 384f., 387, 420 Freie Bühne, Die 73 Freiheit, Die 172, 195 Friedrichshagener Dichterkreis 62, 73, 93 Futurismus 89, 395 Gegenspiel, Das. Monatsblätter für deutsche Dichtung 51 Generation – generationelle 12, 22, 27, 33, 36, 47, 285–293, 305, 319, 433, 438 Germania 172 Geschlechterordnung – Mann; Frau 46, 119, 142, 196, 243, 285, 290, 294–296, 298, 320, 324, 328, 332, 366 Gesellschaft der Freunde des Gewissens 162, 176, 196, 199, 202f., 217 Gesellschaft zur Förderung der Inneren Kolonisation (GFK) 152 Gesellschaft, Die 72 Grenzbote, Der 55, 150 Grenzdeutsche Rundschau 51 Herrenklub 166–169, 280, 283, 291, 305, 322f. Historismus 62 Hochland, Das 123f. Hochschule für nationale Politik 189, 321, 324

516

Register

Hochschulring Deutscher Art 318 Horen, Die 51

55, 154,

Ideen von 1914 106, 108, 123 Inflation 118, 175, 180, 184, 191, 196, 205, 216, 273, 276, 322, 341f., 399, 409, 416 – Inflationszeit 50f. Institut für Grenz- und Auslandsstudien 55 Intellektuelle – Rechtsintellektuelle 12–20, 24, 29, 37, 40, 42, 44, 51, 59, 62, 69, 81, 107f., 115, 119, 138, 143f., 193, 220, 229, 246, 315, 323, 433f., 438 Irredenta 350 Isenheimer Altar 356 Italien 89–91, 113, 389–391, 395 Juni-Klub 12, 16, 28, 43, 45, 54, 56f., 59– 61, 95, 102, 117, 139, 144f., 151–155, 158–163, 165–169, 171, 182, 195, 199f., 204, 250f., 253, 256f., 260, 269, 272, 275, 288, 291, 293f., 302, 315, 352, 408, 419, 434 Kaiserreich – Wilhelminismus 39f., 42, 44, 47, 58, 62, 99, 103, 107, 196, 290, 292f., 307, 310, 330, 347, 349, 398, 426, 434 Kapp-Putsch 173, 243, 271f., 303 Katharsis 118, 121, 221, 242, 248, 279, 344, 355, 357, 367 Ketteler-Bund 330, 419 Kommunikation 16 – Sprache / Sprechen 17, 21f., 28, 31f., 41, 58f., 107, 173f., 199, 207, 220, 239, 287, 293, 310, 333, 395, 436 Konservatismus 11f., 15, 19, 22–25, 28f., 59, 90, 97, 125, 134, 147, 157f., 160, 222–233, 249, 281, 299, 304f., 357, 368, 390, 392, 397, 409, 414, 418, 425, 431, 433, 437f. Konservative Revolution 23–26, 28, 42f., 82, 97, 146, 228, 268 KPD 172, 237, 379f. Krieg – Erster Weltkrieg 19, 21f., 33, 37, 42– 44, 47, 49, 51, 53, 58f., 96f., 106–138, 142, 172, 178, 226, 228, 269, 273f., 285, 287, 291, 293, 308, 324, 330, 342, 352,

362, 376, 408, 410, 417, 423, 431, 433, 435, 438 Kriegsschuldfrage 108, 118, 342, 351, 358 Krise – Krisenhaftigkeit 18f., 58, 62, 229, 245, 247, 279, 288, 294, 366, 396, 431, 434, 437 Kunstwart, Der 56, 72, 93, 143 Lebensideologie 20, 24, 393, 433 Liberalismus 15, 92, 158, 225, 235, 247, 352, 379, 433 Liga für das Recht der Völker 344 Liga zum Schutz der deutschen Kultur siehe Antibolschewistische Liga/Generalsekretariat zum Studium des Bolschewismus literarische Echo, Das 74 Magdeburger Volksstimme 53 Medien 21f., 29, 32, 59, 109, 143, 160, 172f., 185, 251, 277, 288f., 309, 372, 433 Moderne – kulturelle 15, 17, 21, 24, 69, 226, 394, 434 Montagstisch 94f. Münchner Neueste Nachrichten 194 Mythos 18, 36, 57, 94, 101, 105, 109, 133, 135, 144, 156, 226, 247–249, 287, 289f., 328, 348, 367, 393, 398, 436 Nation und Staat 52 Nationalsozialismus 25, 58, 151, 222, 268–270, 272, 278f., 283, 324, 329, 438 Naturalismus 62f., 72, 74, 77 Netzwerk 11, 13f., 16f., 22, 31, 34f., 45, 50, 58, 106f., 128, 136, 152, 161, 182f., 244, 258, 269, 280, 302, 305, 317, 395, 434f., siehe auch Intellektuelle/Rechtsintellektuelle Neue Blätter für den Sozialismus 143 Neue Rechte 14, 23f., 26, 42–44, 60, 103, 165, 213, 229, 249, 283 NSDAP 54 Oberste Heeresleitung (OHL) 55, 96, 106, 110–112, 117, 302 Ordnung – -sentwürfe, -sdenken, -skonzepte 18, 21, 27, 36, 58, 60, 221, 223, 225f., 301, 352, 395f., 398

Sachregister Organisation Escherich (Orgesch) 202, 271

54,

Polen 111, 161, 215, 337, 349, 384 Politische Wochenschrift 177 Politisches Kolleg 55, 57f., 60, 104, 150f., 156, 160–162, 176, 183, 190, 195f., 199, 203–205, 210, 212, 216f., 252, 284, 288f., 291, 305–324, 327, 330, 400, 417, 420, 426 Populismus – populistisch 123, 346, 418, 431, 437 Preußen 94, 103, 116, 164, 187, 223, 226, 248, 278, 303, 306f., 350, 396f., 431 Preußische Jahrbücher 56, 400 Reichsausschuss der Deutschen Landwirtschaft 56 Reichswart, Der 51 Reichswirtschaftsrat 234, 417f., 424 Reimar Hobbing Verlag 203 Revolution 124–126, 183, 362–374, 376 Rheinlande, Die 51 Ring Nationaler Frauen (RNF) 295 Ring-Verlag 175, 183, 190f., 199, 203, 205, 216f., 323 Rote Fahne 172 Ruhrbesetzung 274, 283, 358, 363, 379, 402, 422 Russland 84, 86, 89, 112f., 121, 124, 126, 341, 344, 362, 366, 369–374, 382–384 Schmalzbacke, Die 68 Schwarzen Ferkel, Zum 68, 73f., 80 Sozialismus 174, 221, 362, 366f., 374– 383, 390 Sozialistische Monatshefte 52 SPD 53, 124, 172, 277, 335, 340 Spiegel, Der 52 Spitzglosse 188, 206, 216, 385, 416 Staatspolitische Gesellschaft 253 Ständestaat 221, 228, 296, 378, 396–403, 409, 414, 418, 420, 435 Stahlhelm, Der 132, 138, 264, 271f., 293, 322, 400 Tägliche Rundschau Tag, Der 81, 177 Tat, Die 69f., 143

52, 262f.

Überparteilichkeit 170, 173, 177, 182, 186, 220, 230, 236–239, 245, 283, 375, 418

517

Union of democratic control siehe Liga für das Recht der Völker USA 113, 265, 339, 343, 347, 360f., 391, 404, 410, 414 USPD 172 Verein Deutscher Studenten (VDSt) 152f., 156, 160 Verein für das Deutschtum im Ausland 150 Verein für deutsche Kunst im Ausland 114 Verein Kriegerhilfe Ost e.V. (VKO) 152– 154 Vereinigte Verbände heimattreuer Oberschlesier 54 Vereinigung für nationale Solidarität – Solidarier 124, 128, 130, 154, 257 Vereinigung für parteifrei Politik 130 Vereinigung für ständischen Aufbau 190, 330, 419 Verlag Dr. Dammert 177, 190, 197 Versailler Vertrag 60, 130, 150, 182, 221, 229, 277, 333–362, 370, 382, 397, 402, 406, 430 Völkisches Denken 25, 165, 213, 222, 225, 268f., 272, 278, 283f., 325, 327, 383, 400 Volkstumsarbeit – Deutschtumsarbeit; Grenztumsarbeit 150, 153, 316, 347, 349, 351, 389 Vorwärts, Der 172 Vossische Zeitung 52 Wehrwolf, Der 52 Werdandi-Bund 63, 73, 91, 93f. Werkbund, Der 62, 72, 93, 112, 114, 311 Westdeutsche Arbeiterzeitung 52 Wiedergeburt – nationale 60, 226, 249, 344, 357, 367, 393, 395f. Wiener Neue Freie Presse 52 Windthorst-Bünde 122 Wirtschaft – nationale 60, 222, 244, 336, 377, 379, 401, 404–431 Woche, Die 177 Zentrum 49, 53, 121f., 124, 127, 138, 162, 172, 240–242, 252f., 259, 277, 306, 308f., 330, 335, 397f., 428 Zukunft, Die 72