Lachen und Schweigen: Grenzen und Lizenzen der Kommunikation in der Erzählliteratur des Mittelalters 9783110254006, 9783110253993

This volume presents contributions about laughter and silence as special forms of communication in medieval and early mo

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German Pages 163 [164] Year 2016

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Table of contents :
Inhalt
Einleitung
Lachen oder schweigen? Inszenierungen von Macht und Ohnmacht an den Grenzen des Verstehens
Balancen von Nähe und Distanz. Das Wechselspiel von Gelächter und Schweigen in frühchristlicher Verkündigung und im komischen Roman des Mittelalters
Schweigen oder Verschweigen? Die Folgen der Namenlosigkeit im Lanzelet Ulrichs von Zatzikhoven
Lachen und Schweigen in Wolframs Parzival
Im Bann der Inszenierung – Lachen, Weinen und Schweigen in der verzögerten Anagnorisis von Mai und Beaflor
Beredtes Lächeln im Nibelungenlied
was betütt das lachen dein? – Lachen, Sprechen und Schweigen in komischen Kurzerzählungen
Verzeichnis der Beiträger/innen
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Lachen und Schweigen: Grenzen und Lizenzen der Kommunikation in der Erzählliteratur des Mittelalters
 9783110254006, 9783110253993

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Lachen und Schweigen

Trends in Medieval Philology

Edited by Ingrid Kasten, Niklaus Largier and Mireille Schnyder Editorial Board Ingrid Bennewitz, John Greenfield, Christian Kiening, Theo Kobusch, Peter von Moos, Uta Störmer-Caysa

Volume 26

Lachen und Schweigen Grenzen und Lizenzen der Kommunikation in der Erzählliteratur des Mittelalters Herausgegeben von Werner Röcke und Hans Rudolf Velten

ISBN: 978-3-11-025399-3 e-ISBN (PDF): 978-3-11-025400-6 e-ISBN (EPUB): 978-3-11-038520-5 ISSN: 1612-443X Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter http://dnb.dnb.de abrufbar © 2017 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Satz: Dörlemann Satz GmbH & Co. KG, Lemförde Druck und Bindung: CPI books Gmbh, Leck ♾ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany

Inhalt Werner Röcke und Hans Rudolf Velten Einleitung  1 Mireille Schnyder Lachen oder schweigen? Inszenierungen von Macht und Ohnmacht an den Grenzen des Verstehens  7 Werner Röcke Balancen von Nähe und Distanz. Das Wechselspiel von Gelächter und Schweigen in frühchristlicher Verkündigung und im komischen Roman des Mittelalters  21 Susanne Reichlin Schweigen oder Verschweigen? Die Folgen der Namenlosigkeit im Lanzelet Ulrichs von Zatzikhoven  41 Hans Rudolf Velten Lachen und Schweigen in Wolframs Parzival  77 Astrid Bußmann Im Bann der Inszenierung – Lachen, Weinen und Schweigen in der verzögerten Anagnorisis von Mai und Beaflor  101 Beatrice Michaelis Beredtes Lächeln im Nibelungenlied  129 Sebastian Coxon was betütt das lachen dein? – Lachen, Sprechen und Schweigen in komischen Kurzerzählungen  139 Verzeichnis der Beiträger/innen  157

Werner Röcke und Hans Rudolf Velten

Einleitung

Die Kommunikation im Mittelalter wird von der Rede bestimmt und ist in ein dichtes Netz von gestischen und rituellen symbolischen Handlungen eingebunden. Dies hat die literatur-, sprach- und geschichtswissenschaftliche Forschung der letzten beiden Jahrzehnte anhand der  – nicht nur rhetorischen  – Analyse verschiedener Texte, Dokumente und Bilder in zahlreichen Facetten herausgearbeitet.1 Dabei wurden die verschiedenen Sprechanlässe, Sprechakte, Sprechweisen und ihre Bedeutung differenziert und in ihren Funktionen bestimmt. Weniger Beachtung fanden dabei nonverbale Sprechakte wie das Lachen und das Schweigen, welche die menschliche Rede begrenzen, beenden oder in ganz andere Richtungen lenken können.2 Lachen und Schweigen sind Bestandteile der

1 Aus der Fülle von Studien dazu seien exemplarisch, ohne Unterscheidung des fachspezifischen Blickwinkels genannt: Harald Haferland: Höfische Interaktion. Interpretationen zur höfischen Epik und Didaktik um 1200, München 1989; Jean-Claude Schmitt: Die Logik der Gesten im europäischen Mittelalter, Stuttgart 1992 (frz. Orig.-Ausg. Paris 1990); Literarische Kommunikation und soziale Interaktion. Studien zur Institutionalität mittelalterlicher Literatur, Hrsg. von Beate Kellner/Ludger Lieb/Peter Strohschneider, Frankfurt a. M. 2001; Formen und Funktionen öffentlicher Kommunikation im Mittelalter. Hrsg. von Gerd Althoff, Stuttgart 2001; Christiane Witthöft: Ritual und Text. Formen symbolischer Kommunikation in der Historiographie und Literatur des Spätmittelalters, Darmstadt 2004; Horst Wenzel: Höfische Repräsentation. Symbolische Kommunikation und Literatur im Mittelalter, Darmstadt 2005; Peter von Moos: Rhetorik, Kommunikation und Medialität. Gesammelte Studien zum Mittelalter Bd.  2. Hrsg. von Gert Melville, Münster 2006; Jan-Dirk Müller: Höfische Kompromisse. Acht Kapitel zur höfischen Epik, Tübingen 2007; Anja Becker: Poetik der wechselrede. Dialogszenen in der mittelhochdeutschen Epik um 1200. Frankfurt a.  M. 2009; Caroline Emmelius: Gesellige Ordnung. Literarische Konzeptionen von geselliger Kommunikation in Mittelalter und Früher Neuzeit, Berlin, New York 2010. 2 Zum Schweigen vgl. die Monographien von Uwe Ruberg: Beredtes Schweigen in lehrhafter und erzählender deutscher Literatur des Mittelalters: mit kommentierter Erstedition spätmittelalterlicher Lehrtexte über das Schweigen, München 1978; Mireille Schnyder: Topographie des Schweigens. Eine Untersuchung zum deutschen höfischen Roman um 1200, Göttingen 2003 sowie Beatrice Michaelis: (Dis-)Artikulationen von Begehren. Schweigeeffekte in wissenschaftlichen und literarischen Texten, Berlin, New York 2011; zum Lachen: Komische Gegenwelten: Lachen und Literatur in Mittelalter und früher Neuzeit. Hrsg. von Werner Röcke/ Helga Neumann, Paderborn 1999; Sebastian Coxon: Laughter and narrative in the later Middle Ages: German comic tales 1350–1525, London 2008; Risus sacer – sacrum risibile: Interaktionsfelder von Sakralität und Gelächter im kulturellen und historischen Wandel. Hrsg. von Katja Gvozdeva/Werner Röcke, Berlin 2009; Laughter in the Middle Ages and Early Modern times: epistemology of a fundamental human behavior, its meaning, and consequences. Hrsg. von

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Kommunikation, die je nach Situation vielfältige Funktionen erfüllen: Sie stellen das Gesagte in Frage oder bestätigen es, sie heben die Rede auf eine andere Ebene und reflektieren sie, sie weisen ihr unterschiedliche Semantiken zu. Lachen und Schweigen erscheinen immer dann, wenn das Sprechen und Handeln an eine Kehre, eine Grenze oder einen Endpunkt gelangt sind. Sie bieten die Möglichkeit, das Gespräch auf nonverbale Weise fortzusetzen, es zu stimulieren und ihm eine ganz neue Wendung zu geben. Sie begrenzen aber auch das Sagbare und die Rede, sie machen gleichermaßen den Spielraum ihrer Lizenzen deutlich. Gleichzeitig sind sie selbst an Regeln und Lizenzen gebunden, was vor allem für ihren Einsatz in der höfischen und klerikalen Interaktion, im politischen Dialog, im ritterlichen Kampf oder in den literarischen Inszenierungsformen der verschiedenen Typen von höfischer und nicht-höfischer Kommunikation deutlich wird. Nachdem wir vor einigen Jahren versucht haben, die soziale und gemeinschaftsbildende Seite des Lachens in der Vormoderne in literarischen, dokumentarischen und ikonographischen Zeugnissen zu beschreiben,3 möchten wir nun in Fortführung dieses Projekts Bedeutungen und Funktionen des Lachens in Kommunikationszusammenhängen des Mittelalters analysieren, nicht nur in literarischen, sondern auch in religiösen und rituellen, die in jenen aufgehoben sind. Wir wollen dies in Verbindung mit einer anderen wichtigen nonverbalen Handlung tun, dem Schweigen. Dabei kommt es uns vor allem auf die Dynamik zwischen Lachen und Schweigen, ihre Rollen und Funktionen in der Interaktion literarischer Figuren und Erzählstimmen an, die wir besser herausarbeiten wollen. Erschien uns das Lachen bislang gewissermaßen als ein energetisches Feld interaktionalen Verhaltens, in welchem kulturelle Überzeugungen sichtbar gemacht bzw. die Veränderung sozialer Positionen angestoßen oder vollzogen werden, so interessieren uns nun vor allem die kommunikativen Prozesse, in welche Lachen und Schweigen eingebunden sind, sowohl in ihrer Beziehung aufund untereinander, als auch in ihrem Verhältnis zur Rede. Dabei brechen wir die Plessnersche anthropologische Dichotomie von Lachen und Weinen bewusst auf, indem wir ihr eine zweite Dichotomie, Lachen und Schweigen, gegenüberstellen. Aus dieser Perspektive wird das Lachen nicht allein als Grenzphänomen mensch­licher Erfahrung bestimmbar, sondern im Zusammenhang mit dem

Albrecht Classen, Berlin, New York 2010; Stefan Seeber: Poetik des Lachens. Untersuchungen zum mittelhochdeutschen Roman um 1200, Berlin, New York 2010; Valenzen des Lachens in der Vormoderne. Hrsg. von Christian Kuhn u. a., Bamberg 2012. 3 Lachgemeinschaften. Kulturelle Inszenierungen und soziale Wirkungen von Gelächter im Mittelalter und in der frühen Neuzeit. Hrsg. von Werner Röcke/Hans Rudolf Velten, Berlin, New York 2005.

Einleitung 

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Schweigen auch als ‚Begrenzungsweise‘ menschlicher Kommunikation. Wir sehen Lachen und Schweigen daher vor allem als kommunikative Kategorien, die wichtige Funktionen in der menschlichen Interaktion übernehmen.4 Für den vorliegenden Band waren daher folgende Fragen leitend: In welchem Verhältnis stehen Sprechen, Schweigen und Lachen innerhalb von Situationen und Szenen höfischer, religiöser oder urbaner Kommunikation in literarischen Texten? Wo gelangt das Sprechen an Grenzen, sodass es zum Schweigen oder Lachen kommt? Welche narrativen und rezeptionslenkenden Zwecke werden mit ihnen jeweils verfolgt, welche Möglichkeiten eröffnen sie? Dass das innertextuelle Lachen häufig einen außertextuellen Bezugsrahmen aufweist, in welchem ein Wissensvorsprung der Rezipienten modelliert werden kann, hatten wir bereits für das gemeinschaftliche Lachen festgestellt;5 inwiefern dies auch das Schweigen betrifft, wäre zu fragen. Welche Funktionen haben Lachen und Schweigen, für welche Haltungen (Scheitern, Widerspruch, Zustimmung) stehen sie, welche Alternativen der Handlung lassen sie zu? Welchen Anlässen und Normierungen unterliegt ihre Dynamik, wer muss oder darf schweigen, wer darf wann lachen? Es besteht kein Zweifel daran, dass es methodisch nicht einfach ist, ephemeren Formen der Kommunikation wie Schweigen und Lachen in einer historisch weit zurückliegenden Epoche näher zu kommen. Was ihre überlieferten Regelungen angeht, sind sicherlich didaktische und theologische Texte aus verschiedenen Institutionen wie Kirche, Kloster oder Hof von Belang.6 Aber wichtige Hinweise auf die Beantwortung der oben formulierten Fragen kommen eben aus den überlieferten literarischen Texten, vor allem aus der höfischen Erzählliteratur, die in ihren Inszenierungsformen menschlicher Kommunikation in Rede, Geste und ritueller Zeremonie ein umfangreiches Reservoir an Repräsentationen von Lachen und Schweigen bietet.7 Aus diesem Grund bilden Beiträge zum höfischen

4 Und somit grundsätzlich anders, als dies Helmuth Plessner mit „Lachen und Weinen“ als anthropologischen Kategorien getan hat. Helmuth Plessner: Lachen und Weinen. Eine Untersuchung nach den Grenzen menschlichen Verhaltens, Arnhem 1941. 5 Dazu v. a. Hans Rudolf Velten: Text und Lachgemeinschaft. Zur Funktion des Gruppenlachens bei Hofe in der Schwankliteratur. In: Röcke/Velten (Anm. 3), S. 125–143. 6 Vgl. etwa Jacques Le Goff: Le rire dans les règles monastiques du haut moyen âge. In: Haut Moyen Âge. Éducation et Société. Études offertes à Pierre Riché. Hrsg. von Michel Sot, Paris 1990, S. 93–103 (dt. in: Jacques Le Goff: Das Lachen im Mittelalter, Stuttgart 2004, S. 45–68). Vgl. dazu auch den Beitrag von Sebastian Coxon in diesem Band. 7 Für die französische Literatur bereits Volker Roloff: Reden und Schweigen. Zur Tradition und Gestaltung eines mittelalterlichen Themas in der französischen Literatur, München 1973; Albert Gier: Lästern, Lügen, Schweigen: syntagmatische und paradigmatische Strukturen im Escanor des Girart d’Amiens. In: Erzählstrukturen der Artusliteratur: Forschungsgeschichte und neue Ansätze. Hrsg. von Friedrich Wolfzettel, Tübingen 1999, S. 219–231. Für die mhd. Lite-

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und heldenepischen Erzählen im 13.  Jahrhundert den Kern dieses Bandes. Sie kreisen um den Begriff der „höfischen Kommunikation“, welcher zumindest einleitend eine kurze Erläuterung erfordert. Wir verstehen unter Hof weniger einen topographischen Ort (domus, pala­ tium), eine Institution oder einen festen Verband von Personen, sondern fassen ihn als curia,8 als einen offenen Raum kultureller und sozialer Kommunikation von untereinander rechtlich und sozial differenten Personen, in welchem sich spezifische Diskurse, Rituale und Gesten vollziehen und miteinander in Austausch treten.9 Nach Strohschneider halten Höfe in diesem Sinne keine ins­ titutionell gesicherten Sonderräume für die poetischen Formen kommunikativen Handelns bereit, wie sie sich etwa in der Neuzeit in Gestalt des Salons, der Dichterlesung, des Theaters usw. ausprägten.10 Literarische Kommunikation steht daher stets im Geflecht, auch in Konkurrenz mit und unter dem Druck anderer Formen höfischer Interaktion: ein okkasionelles, riskantes Geschehen, das das Gelingen bzw. Scheitern sowie die performativen Gelingensbedingungen von höfischen Sprechakten in den Mittelpunkt stellt.11 Es sind gerade kommunikative Akte wie das Lachen bzw. Lächeln und das Schweigen, also Formen der nonverbalen Kommunikation, welche das Gelingen von Sprechakten erlauben, aber auch stören, verzögern oder vereiteln, bzw. ihre verborgenen Bedingungen des Gelingens und Scheiterns enthüllen können. Schweigen und Lachen legen die Brüchigkeit und Ambivalenz höfischer Interaktion offen; so inszeniert der höfische Roman, vor allem der Artusroman, ein

ratur Tobias Bulang: Inszenierungen höfischer Kommunikation im Roman um 1200. Poetologische Lektüren von Hartmanns Lunete und Gottfrieds Brangäne. In: Euphorion 106.3 (2012), S. 277–298. 8 Nach den Beiträgen des Bandes Curialitas. Studien zu Grundfragen der höfisch-ritterlichen Kultur. Hrsg. von Josef Fleckenstein, Göttingen 1990. 9 Die neuere fachhistorische Hofforschung sieht die mittelalterlichen Fürstenhöfe als vielfältig institutionell strukturierte, kaum aber auch organisatorisch gesicherte Kommunikationsgefüge auf der Basis personaler Beziehungen. Vgl. dazu etwa Rudolf Schlögl: Der frühneuzeitliche Hof als Kommunikationsraum. Interaktionstheoretische Perspektiven auf die Forschung. In: Geschichte und Systemtheorie. Exemplarische Fallstudien. Hrsg. von Frank Becker, Frankfurt a. M. 2004, S. 185–225; Hof und Schrift. Teil 3 von Höfe und Residenzen im spätmittelalterlichen Reich. Hrsg. von Werner Paravicini u. a., Ostfildern 2007. 10 Peter Strohschneider: Institutionalität. Zum Verhältnis von literarischer Kommunikation und sozialer Interaktion in mittelalterlicher Literatur. Eine Einleitung. In: Kellner/Lieb/Strohschneider (Hrsg.) (Anm. 1), S. 1–27. 11 Vgl. dazu die auf Austin bezogene Performativitätsforschung, etwa die Beiträge von Sibylle Krämer u. Ekkehard König, in: Performanz. Zwischen Sprachphilosophie und Kulturwissenschaften. Hrsg. von Uwe Wirth, Frankfurt a. M. 2002.

Einleitung 

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Spiel mit der gescheiterten oder misslungenen Kommunikation, und es ist die Aufgabe des Helden, diese gestörte Kommunikation wieder flüssig zu machen, zu klären oder auf eine höhere Stufe zu heben (vgl. dazu die Beiträge von Susanne Reichlin und Hans Rudolf Velten in diesem Band). Die Sprache der Figuren ist hier gekennzeichnet von Dissimulation und Doppeldeutigkeit, von uneigent­ lichem Sprechen, in welchem wichtige Bezugspunkte nur angedeutet oder gar verschwiegen werden. Auch die Erzähler scheinen ohne Unterlass ihren Erzählfluss zurückhalten bzw. ihn aufheben zu wollen (empêchement de parole).12 Lachen und Schweigen, aber auch eine inszenierte emotionale Geste wie das Lächeln können als Kennzeichen von Macht oder Ohnmacht gelesen werden, je nach dem, in welcher Situation es von wem geäußert wird. In seinem Gegensatz zur Sprache kann Schweigen als „Abwesenheit oder Verborgenheit von artikulierter Stimme“ (Schnyder) verstanden werden und muss nicht unbedingt die unterlassene oder unterdrückte Rede bedeuten, sondern auch „die unhörbare Rede, das diffuse Gemurmel und die Unverständlichkeit eines Textes, die als vox confusa nicht mehr Teil von Sprache im Sinne der vox articulata ist.“13 Ähnliches gilt für das offene Gelächter, das Schmunzeln oder Lächeln bei Hofe, aber auch für Lachen und Schweigen ohne Rede, etwa als Reaktionen auf wahrgenommene Handlungen (vgl. dazu den Beitrag von Beatrice Michaelis). Über den engeren Bereich der höfischen Kommunikation hinaus ist jedoch zu beobachten, dass die Grenzziehungen und Transgressionen der Rede im Lachen und Schweigen sowie deren eigene Lizenzen zu den wichtigsten Elementen der Kommunikation gehören. Lachen und Schweigen übernehmen zentrale Funk­ tionen nicht nur im geselligen Gespräch in gemischt geschlechtlichen Gruppen,14 sondern es werden ihnen auch Funktionen zugewiesen, die die Pragmatik und Semantik des Sprechens, seine Performanz berühren und somit die Textualität von Kommunikation bedeutend erweitern (dazu der Beitrag von Stefan Seeber), wie auch das Problem der Modellierungsformen von Emotionen neu stellen (Beitrag von Astrid Bussmann). Daher ergänzt der vorliegende Band die Frage nach den Funktionsregeln von Lachen und Schweigen in höfischer Kommunikation durch diejenige nach verschiedenen Typen von nichthöfischer Kommunika-

12 Vgl. die Studie von Danièle James-Raoul: La parole empêchée dans la littérature arthurienne, Paris 1997. 13 Schnyder (Anm. 2), S. 7 f. 14 Dabei interessieren weniger das höfische Verhalten bei Tisch bzw. im Umgang mit dem anderen Geschlecht, also das, was spätere Zeiten ‚Konversationskultur‘ nennen werden. Rüdiger Schnell versucht, die Konversationskultur auch im Mittelalter zu erforschen. Vgl. Rüdiger Schnell: Konversationskultur in der Vormoderne – Geschlechter im geselligen Gespräch, Köln 2008.

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 Werner Röcke und Hans Rudolf Velten

tion, wie der religiösen (Beiträge von Mireille Schnyder und Werner Röcke) oder der urban-geselligen Kommunikation (Beitrag von Sebastian Coxon). Der vorliegende Band geht auf die Tagung „Grenzen und Lizenzen höfischer Kommunikation  – Lachen und Schweigen in Literatur und Kultur des Mittelalters“ zurück, die vom 14. bis zum 15. Mai 2010 an der Berliner Humboldt-Universität stattfand. Wir danken allen Kolleginnen und Kollegen für ihre Teilnahme an der Tagung und an ihren Debatten, bitten aber auch um Nachsicht für die lange zeitliche Verzögerung zwischen Tagung und Erscheinen des Tagungsbandes. Unser Dank gilt ebenso den Moderatorinnen und Moderatoren bei der Tagung: Katja Gvozdeva, Ingrid Kasten und Anita Traninger. Dem Berliner Sonderforschungsbereich 447: „Kulturen des Performativen“ danken wir für großzügige finanzielle Unterstützung und der Humboldt-Universität zu Berlin für weitgehende organisatorische Hilfe. Schließlich geht der Dank an Kollegen, Mitarbeiter und Hilfskräfte in Berlin – Katja Gvozdeva, die bei der Planung und Organisation mitgearbeitet hat, Björn Menrath, Axel Frank und Falk Quenstedt – sowie Siegen: Antje Wittstock und Katharina Goubeaud für die umfängliche redaktionelle Arbeit. Dem Verlag de Gruyter danken wir für die große Geduld, die vor allem Jacob Klingner mit uns hatte, sowie für die stets kompetente und freundliche Zusammenarbeit.

Mireille Schnyder

Lachen oder schweigen? Inszenierungen von Macht und Ohnmacht an den Grenzen des Verstehens Die folgenden Überlegungen beziehen sich auf drei sehr verschiedene literarische Szenen, in denen aber jeweils ein Lachen im Zentrum steht, das eine Leerstelle bildet, in dem ein Narrativ aus einer innerweltlichen Logik und Erwartung in eine Verhandlung von Transzendenz umschlägt.1 Es ist ein Lachen, das sich nicht an Sprachlichkeit anlehnt, das nicht Spott ist, der sich verbalisieren ließe, sondern Lachen, das Kleid eines Schweigens ist. Es ist nicht habitualisiertes Lachen, sondern es sind Lacher, die sozusagen zeichenlos sind, nicht bewusst gesetzt, nicht bewusst evoziert, Leerstellen der Kommunikation. Und als solche sind sie Ausdruck einer Unartikulierbarkeit gegenüber einem Phänomen, das im gewohnten kulturellen, begrifflich fassbaren Rahmen nicht mehr seman­ tisierbar ist. Genauer noch: in allen drei Beispielen ist das Lachen Reaktion auf transzendente Phänomene, bevor diese in einem Glaubenssystem semantisiert werden. Die Tatsache, dass diese Leerstellen in Texten beobachtet werden, in denen sie in einen spezifischen Verstehens- und Deutungszusammenhang gebracht sind, der letztlich auch kommunikationsbedingt und kommunikationsbedingend ist, sodass das spontane Lachen hier immer schon als solches gesetzt und in eine Sinnstruktur hineingebracht ist, macht deutlich, dass es hier nicht um psychologische oder anthropologische Fragen geht, sondern um Kultursemiotik und Kultursemantik.

1 Es handelt sich um folgende Stellen: Gen  1,17–18; Wolfram von Eschenbach: Parzival. Nach der Ausgabe Karl Lachmanns revidiert und kommentiert von Eberhard Nellmann, übertragen von Dieter Kühn, Frankfurt a. M. 1994 (Bibliothek des Mittelalters 8, 1–2), V. 151,7–153,20/ 814,1–815,10 und Konrad Steckels deutsche Übertragung der Reise nach China des Odorico de Pordenone. Kritisch herausgegeben von Gilbert Strasmann, Berlin 1968 (Texte des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit 20), S. 88–93 (Zeile 485–539).

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 Mireille Schnyder

1 Die biblische Urszene: Das negierte Lachen Eine Urszene von ungläubigem Lachen ist Abrahams und Saras Lachen, als sie hören, dass Sara ein Kind gebären soll. Mich interessiert nun aber nicht das in Isaak sich verkörpernde Gottes-Gelächter als Ausdruck der Allmacht, auch nicht in seiner theologisch prekären, in die Häresie führenden Geschichte,2 sondern mich interessiert im Folgenden das Menschen-Lachen. [15] dixit quoque Deus ad Abraham Sarai uxorem tuam non vocabis Sarai sed Sarram [16] et benedicam ei et ex illa dabo tibi filium cui benedicturus sum eritque in nationes et reges populorum orientur ex eo [17] cecidit Abraham in faciem et risit dicens in corde suo putasne centenario nascetur filius et Sarra nonagenaria pariet. (Gen 17,15–17)3 [15] Und Gott sprach zu Abraham: Sarai, deine Frau, sollst du nicht mehr Sarai nennen, sondern Sara soll ihr Name sein. [16] Ich will sie segnen, und auch von ihr will ich dir einen Sohn geben. Ich will sie segnen, und sie soll zu Völkern werden. Könige von Völkern werden von ihr abstammen. [17] Da fiel Abraham nieder auf sein Angesicht und lachte. Er sagte sich: Können einem Hundertjährigen noch Kinder geboren werden, und kann Sara, eine Neunzigjährige, noch gebären?4

Abraham lacht, weil er nicht glauben kann, dass ein altes Ehepaar noch ein Kind zeugen kann. Er lacht – und schweigt. Er formuliert seine Zweifel-Gedanken nicht laut und versteckt sein Lachen in der Adorations-Geste: er wirft sich nieder. Die eklatante Diskrepanz zwischen unterwerfender Körpergeste und zweifelndem Lachen macht dieses Lachen subversiv. Auch Sara, die heimlich die Prophezeiung der drei Engel hört, lacht: [10] […] quo audito Sarra risit post ostium tabernaculi [11] erant autem ambo senes provectae­ que aetatis et desierant Sarrae fieri muliebria [12] quae risit occulte dicens postquam consenui et dominus meus vetulus est voluptati operam dabo [13] dixit autem Dominus ad Abraham quare risit Sarra dicens num vere paritura sum anus [14] numquid Deo est quicquam difficile

2 Vgl. zu diesen Lesarten: Werner Röcke: Heiliger Spott. Lachende Überlegenheit und Glaubensgewissheit in der Literatur der Spätantike und des Mittelalters. In: risus sacer – sacrum ri­ sibile. Interaktionsfelder von Sakralität und Gelächter im kulturellen und historischen Wandel. Hrsg. von Katja Gvozdeva/Werner Röcke, Berlin, New York 2009, S. 31–46. 3 Biblia sacra iuxta vulgatam versionem. Hrsg. von Robert Weber/Roger Gryson, Stuttgart 2007. 4 Zürcher Bibel. Im Auftrag der Synode der Evangelisch-reformierten Landeskirche des Kantons Zürich nach dem Grundtext aufs Neue übersetzt. Hrsg. vom Kirchenrat der evangelischreformierten Landeskirche des Kantons Zürich, Zürich 2007. Alle Bibelzitate beziehen sich auf diese Ausgabe.



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iuxta condictum revertar ad te hoc eodem tempore vita comite et habebit Sarra filium [15] negavit Sarra dicens non risi timore perterrita Dominus autem non est inquit ita sed risisti. [10] […] Sara aber horchte hinter seinem Rücken am Eingang des Zelts. [11] Abraham und Sara aber waren alt und hochbetagt; Sara ging es nicht mehr, wie es den Frauen zu gehen pflegt. [12] Und Sara lachte bei sich: Nun da ich verbraucht bin, soll ich noch Liebeslust empfinden, und auch mein Herr ist alt. [13] Da sprach der Herr zu Abraham: Warum lacht Sara und sagt: Sollte ich wirklich noch gebären können, da ich doch schon alt bin? [14] Ist denn irgendetwas unmöglich für den Herrn? Übers Jahr um diese Zeit werde ich wieder zu dir kommen. Dann hat Sara einen Sohn. [15] Sara aber leugnete: Ich habe nicht gelacht. Denn sie fürchtete sich. Er aber sprach: Doch, du hast gelacht. (Gen 18,10–15)

Die Absurdität der Prophezeiung, die gegen Natur und Verstand die Zeugung und damit Begründung des Gottesvolks behauptet, wird durch ein Lachen quittiert. Und auch dieses Lachen ist explizit nicht versprachlicht: die Abwehr dieser erschreckenden Verrückung der Normalität vollzieht sich hinter dem Türpfosten und in der stillen Reflexion. Im Text ist das Lachen aber  – über die Rede des Engels/Gottes  – klar als Zeichen des Unglaubens gesetzt. Und indem über diese Setzung der Unglauben in den Machtbereich des Wunders, damit in Gottes Wirken geholt wird, ergibt sich die Angst. Das Lachen als Abwehr einer fremden Logik und Ordnung, damit auch einer fremden Machtstruktur, wird in der Angst vor dieser Ordnung negiert: „Sara aber leugnete: Ich habe nicht gelacht.“ Damit aber, mit diesem Leugnen, ist das nicht mehr lachende Subjekt Teil der neuen Ordnung geworden. Das Wort des Engels/Gottes, das Sara dann auf diesem Lachen behaftet („doch, du hast gelacht“), ist nicht nur Ausdruck des Wissens und Beharrens auf der Wahrheit gegenüber der vertuschenden und verleugnenden Rede Saras, sondern ist auch Kennzeichnung Saras als einer Gewandelten. In der Negierung des Lachens durch Sara und der Setzung dieses (vorherigen) Lachens durch den Engel Gottes ergibt sich ein paradoxes Narrativ des Wandels, in dem die Selbstkonstituierung des gewandelten Subjekts das Vorher negiert, die wundersame Installierung der neuen Macht und Wahrheit das Narrativ der erkennenden Anerkennung als Anfang aber braucht, als Moment des Wandels, der con-versio in das Gesetz Gottes als dem Gesetz des Wunders. In der Weltchronik von Rudolf von Ems (um 1230)5 wird diese Szene sehr bibelnah wiedergegeben, nur dass Saras Lachen noch stärker eingedeutscht wird:

5 Rudolf von Ems: Weltchronik. Aus der Wernigeroder Handschrift hrsg. von Gustav Ehrismann, Berlin 1915 (Deutsche Texte des Mittelalters 20).

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 Mireille Schnyder

die rede horte Sara. si stůnt dabi und hates sa spot und kriegis widir strit, wand si die tage und ouh die zit mit alter hate gar fúrkomin und hate ir solhe zil benomin in dén ir zit des solte gern das si solte kint gebern: durh das empfie si zeinim spote die rede und den geheiz von Gote, ê si des sit bas geinrit wart. (V. 4710–4720) Sara hörte diese Worte. Sie stand dabei und hatte auch gleich Spott und Abwehr dafür bereit, denn sie war in Tagen und Zeit weit vorangeschritten im Alter und es war ihr die Zeit der Bestimmung, ein Kind zu gebären, genommen. Deshalb nahm sie die Rede und den Befehl Gottes als Spott auf, bevor sie dann eines bessern belehrt wurde.

Herausgestellt wird hier das Moment der Abwehr dieser Anmaßung gegen jede Ordnung: spot und kriegis widir strit (V. 4712; „Spott und kriegerische Abwehr“). Gleichzeitig wird der Wandel von spöttischer Abwehr zu innerlicher Annahme deutlich gemacht, vor allem in dem einen, die Zeit in den Blick rückenden Vers: ê si des sit bas geinrit wart (V. 4720; „bevor sie dann eines bessern belehrt wurde“). Entscheidend für diese Grundszene eines abwehrenden Lachens gegenüber einer absurd erscheinenden Sache ist jedoch die transzendente Begründung der behauptenden Macht: es handelt sich um Gott. Was innerweltlich eine verständliche Reaktion ist, ein codierter Ausdruck gegenüber einer widernatürlichen oder irrationalen Behauptung, wird im Kontext der göttlichen Macht zum resistenten Unglauben, zur Dummheit. Die Grenze des Glaubens, an der sich dieses Lachen als widerstrit aufbaut, und die nur durch Anerkennung  – und das heißt im religiösen Kontext auch Erkenntnis der abgewehrten Wirkungsmacht  – überschritten werden kann, ist immer wieder Ort des Lachens. Dabei konstituiert sich die Grenze, gerade über dieses Lachen, das im Rückblick verneint wird, als Glaubensgrenze.

2 Die höfische Literaturszene: das revolutionäre und das vertuschende Lachen Es stellt sich die Frage, inwiefern im höfischen Kontext, respektive in dem in gewisser Weise durchcodierten und -signifizierten Kommunikations- und Wahrnehmungssystem des höfischen Romans, diese Leerstelle zwischen zwei Ord-



Lachen oder schweigen? 

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nungs- und Wahrheitssystemen als Moment eines die Sinn- und Signifikanzleere spiegelnden Lachens zu finden ist; oder wie hier ein Lachen Semantik der Transzendenz konstituiert. Im höfischen Roman wird nicht viel gelacht. Vielleicht lächelt mal eine Jungfrau, lacht man gemeinsam über die Bestrafung eines Spötters (in der Regel Keie), verlacht man einen Gegner oder geht lachend souverän über eine unhöfische Invektive hinweg. Ein Befund, den auch die Untersuchungen zum Lachen im höfischen Roman nicht wirklich ändern.6 Der höfische Roman ist, zumindest was die Protagonisten angeht, eine ernsthafte Sache. Was der Erzähler macht und was er für das Publikum macht, ist etwas anderes. Umso auffallender ist es, wenn einmal gelacht wird, und zwar so, dass es Thema wird. Im Parzival sind das im Wesentlichen zwei Stellen; zum einen Cunnewares Lachen beim Anblick von Parzival, zum andern das Lachen der Gralsgesellschaft bei der Taufe von Feirefiz.7 Bei beiden hier fokussierten Stellen geht es, so meine These, um Grenzziehungsmechanismen gegenüber einer fremden, in die Transzendenz gestellten Macht. Das Lachen wird so in dem in gewisser Weise durchcodierten und -signifizierten Kommunikations- und Wahrnehmungssystem des höfischen Romans zum Mittel der Konstituierung von Transzendenz.

2.1 Das revolutionäre Lachen der Cunneware Da, wo Parzival zuerst in die höfische Gesellschaft eintritt, inszeniert Wolfram eine Verhandlung von Ordnung, Hierarchie, Werten und Geltungen. Der fremd an den Artushof kommende Parzival, als Narr gekleidet, alles andere als ein vorbildlicher Ritter, provoziert bei der höfischen Cunneware ein Lachen, als sie ihn sieht. Parzival ist eine lächerliche Figur. Das Lachen Cunnewares gilt nun aber gerade nicht dieser Narrenfigur, sondern es ist schon lange im Artuskreis angekündigtes Zeichen für den Ritter, der den hôhsten prîs / hete od solt erwerben (151,14 f.; „der

6 Vgl. u. a. Christoph Huber: Lachen im höfischen Roman. Zu einigen komplexen Episoden im literarischen Transfer. In: Kultureller Austausch und Literaturgeschichte im Mittelalter. Kolloquium im Deutschen Historischen Institut Paris, 16.–18. März 1995. Hrsg. von Ingrid Kasten/ Werner Paravicini/René Pérennec, Sigmaringen 1998 (Beihefte der Francia 43), S. 345–358. Philippe Ménard: Le rire et le sourire dans le Roman courtois en France au moyen âge (1150– 1250), Genève 1969 (Publications romanes et françaises 105). 7 Gaweins Lachen bei der Erzählung von Clinschors Geschichte gehört eigentlich auch dazu, jedoch ist es anders instrumentalisiert, so dass es hier nicht berücksichtig wird. Vgl. Wolfram von Eschenbach, Parzival (Anm. 1), V. 655,3–657,11.

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den höchsten Preis hatte oder noch erwerben würde“). Es ist ein signifikantes Lachen, das aber kulturell nicht im Rahmen von Amusement oder Schadenfreude verortet ist, sondern im Kontext höfischer Wertzuschreibung und KonkurrenzOrdnung bedeutendes Zeichen ist. Anders als Saras Lachen, das Ausdruck des Unglaubens und distanzierende Geste der fremden Behauptung gegenüber ist, einer Behauptung, die nicht nur die natürliche Ordnung, sondern auch die Ordnung ihres eigenen Körpers aus den Fugen heben will, ist Cunnewares Lachen schon im Vorfeld in der höfischen Kommunikation codiert und entsprechend klares und eindeutiges Zeichen für das Exzeptionelle. Wobei dieses Exzeptionelle noch nicht das Transzendente ist, sondern einfach nur der beste Ritter. Dass nun aber in diesem ungerüsteten Narren der beste Ritter erkannt wird, macht diesen besten Ritter zum Exzeptionellen außerhalb des höfischen Rahmens und der höfischen (geltenden) Ordnung. Entsprechend muss die Akzeptanz und drohende Installierung dieser fremden Wertordnung durch den Truchsessen Keie geahndet werden. Die Missachtung der offen-sichtlichen höfischen Zeichenordnung durch die Anerkennung des Narren als Spitze der Ritterschaft, kann nicht geduldet werden. So bestraft Keie Cunneware für ihr Lachen mit heftigen Schlägen; mit Schlägen, die in einer etwas gezwungenen Metaphorik in den Kontext des Eides und der Wahrheitsbezeugung gestellt werden: ir rüke wart kein eit gestabt: doch wart ein stap sô dran gehabt, unz daz sîn siusen gar verswanc, durch die wât und durch ir vel ez dranc. (151,27–30) Ihrem Rücken wurde kein Eid abgenommen, obwohl ein Stab so (oft) drangehalten wurde, bis sein Sausen ganz ausgeleiert war; es drang ihr durch Kleid und Haut.

Darüber nun aber wird das erkennende Lachen – gerade über die verquere Metaphorik – zum Akt einer Wahrheitsbezeugung, und Cunneware assoziiert sich mit der Blutzeugin. Die Szene steht ganz im Kontext von Wahrheit, Erkenntnis und Zeugenschaft. Die drei Themen überschneiden sich im Lachen der Cunneware. Antanor bestätigt dann durch seine sein langes Schweigen brechenden Worte die von Cunneware erkannte Macht Parzivals. Und indem er Keie darauf hinweist, dass er für seine Taten von Parzival noch bestraft werden wird, kristallisiert sich deutlich die Situation heraus, in der zwei verschiedene Machtordnungen, Wertsysteme und Logiken aufeinandertreffen. Dabei wird in Antanors Rede der Fremde, der Erkannte, eng geführt mit Gott: Nicht nur beginnt Antanor seine



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Rede mit „Gott“, sondern er setzt Gott auch als Wissenden über die von ihm skizzierten Handlungszusammenhänge: got weiz, hêr scheneschlant, daz Cunnewâre de Lâlant durch den knappen ist zerbert, iwer freude es wirt verzert noch von sîner hende, ern sî nie sô ellende. (153,1–6) Gott weiß, Herr Seneschall, dass Cunneware de la Lande wegen des Knappen verprügelt wurde. Eure Freude wird deshalb noch von seinen Händen vernichtet, so weit weg kann er gar nicht sein.

Parzival wird Cunneware noch rächen. Wobei die rächenden Hände letztlich auch auf den so nebenbei phraseologisch ins Spiel gebrachten Gott bezogen werden könnten, auf Gott, der nie so fern sein wird, um nicht hier eingreifen zu können: ern sî nie sô ellende (153,6). Ohne diese Lesart forcieren zu wollen, geht es darum, die enge Verknüpfung des mit Parzival eindringenden anderen Ordnungsgefüges mit einer über Gott legitimierten Gerechtigkeit, oder besser: Wahrheit der Erkenntnis, zusammenzubringen. Das Lachen, das diesen Moment des Konfligierens von zwei verschiedenen Logiken und Ordnungssystemen indiziert, ist jedoch nicht das abwehrende, aus der Perspektive der fremden/neuen Ordnung ungläubige Lachen Saras, sondern es ist das erkennende, aufnehmende Lachen der Erwartenden, das aus der Perspektive der eigenen/alten Ordnung regellos ist. Damit wird das ungläubige Lachen, das im Moment der Erkenntnis negiert wird (bei Sara), zum über die Erwartung positivierten erkennenden Lachen, dem im Moment der Erkenntnis aber nicht geglaubt wird. Ist Saras Lachen in der Vergangenheit verortet, ist Cunnewares Lachen zukunftsgerichtet.

2.2 Das vertuschende Lachen bei der Taufe des Feirefiz Als am Ende der Parzivalgeschichte die ganze Gesellschaft auf der Gralsburg sich versammelt, stellt sich nicht nur heraus, dass Feirefiz als Heide den Gral nicht sieht, sondern er verliebt sich auch in die Gralsträgerin Repanse de Schoy. Um diese zu erlangen, müsse er aber zuerst die Taufe erhalten, wird ihm klargemacht. Darauf wendet sich Feirefiz an Parzival:

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‚hilf mir geselleschefte‘ sprach Feirefîz Anschevîn, ‚bruoder, umb die muomen dîn. holt man den touf mit strîte, dar schaffe mich bezîte und lâz mich dienen umb ir lôn. ich hôrte ie gerne solhen dôn, dâ von tjoste sprîzen sprungen unt dâ swert ûf helmen klungen.‘ (814,22–30) ‚Hilf mir zur Verbindung‘, sprach Feirefîz Anschevîn, ‚Bruder, mit deiner Verwandten. Erringt man die Taufe mit Kampf, so bring mich schnell dahin und lass mich um ihren Lohn dienen. Ich hörte schon immer gern den Klang vom Splittern im Kampf und wenn Schwerter auf Helmen klangen‘.

Fereifiz kennt als Mittel der Minnewerbung den Kampf und glaubt damit alles Begehrte zu erlangen. Das Kampfparadigma für die Taufe wird von Parzival und Anfortas mit einem Lachen quittiert: der wirt des lachte sêre, / und Anfortas noch mêre (815,1 f.; „Der Gastgeber lachte sehr darüber und Anfortas noch mehr“). Es ist ein Lachen über die Verwechslung der Ebenen: die weltliche Minnewerbung wird als Rahmen für die geistliche, religiöse Minnewerbung gesehen. Aber auch hier indiziert das Lachen den Zusammenprall von zwei Ordnungen und den Übergang von einer in die andere: der innerweltliche Minnekult, der mit Kampf und Lohnerwerb im Bereich physischer Tüchtigkeit steht und im Rahmen des Heidentums Gültigkeit hat, trifft auf den christlichen Kult, der den Menschen in einen Transzendenzbezug stellt und damit auch die Minne dieser Transzendenz unterstellt. In seiner an das Gelächter anschließenden Rede stellt Parzival dann die zwei Taufparadigmen einander gegenüber: die (heidnische) Vorstellung von Feirefiz einer Taufe mit dem Schwert und die rechte Taufe, die auch den Minneerfolg garantiert: ‚kanstu sus touf enpfâhen‘, / sprach der wirt, ‚ich wil si nâhen / durh rehten touf in dîn gebot.‘ (815, 3–5; „Wenn Du so Taufe erhalten kannst – ich werde sie dir durch die wahre Taufe zuführen.“ Dafür braucht es aber den Ordnungswechsel: Feirefiz muss seinen Göttern (und seiner bisherigen Minneherrin) absagen: Jupitern dînen got / muostu durch si verliesen / unt Secundilln verkiesen (815, 6–8; „Jupiter, deinen Gott, musst du um ihretwillen verlieren und Sekundille absagen“). Das Lachen der Gralsherren ist Amüsement über den Unverstand des Andern, ist aber auch ein Lachen, in dem die Unverständlichkeit der Taufe vertuscht wird. Denn indem die Differenz der heidnischen Kampftaufe zur christlichen Taufe nur behauptet und noch nicht eingelöst wird, setzt sich das Lachen an die Stelle der



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Erklärung. Die radikale Differenz zwischen erzwungenem (erkämpftem) Lohn und gnadenhaftem Lohn, die durch die heidnische Vorstellung negiert wird, wird nur durch das Lachen und den Verweis auf einen späteren Zeitpunkt (morgen fruo gib ich dir rât, 815,9) aufrechterhalten. Das Inkommensurable wird gerade verschwiegen und nur durch die Negation der heidnischen Vorstellung einer Kriegshandlung als ein Anderes, Wahres bezeichnet. So öffnet sich einerseits in diesem Lachen die grundlegende Trennung zwischen Heidentum und Christentum, verwischt anderseits dieses Lachen aber auch die Grenze, die erst durch den rituell vollzogenen Akt der Taufe sich konstituiert, indem sie erst da erkannt und überschritten werden kann. Erst nach der Taufe kann Feirefiz den Gral sehen. Erst die Taufe füllt die kommunikative und semantische Leerstelle des Lachens von Parzival und Anfortas.

3 Die kulturelle Grenzszene: Das irritierte Lachen In dem Reisebericht des Franziskanermönchs Oderich von Pordenone, der in den Jahren 1314/18–1330 bis nach Indien und China reiste und danach (1330/31) seinen Bericht diktierte, erzählt er, wie er nach Cansaye (Camsay/Hangtschou) kommt, einer Stadt, die in ihrer Anlage und Schönheit mit Venedig vergleichbar ist.8 Sie ist bewohnt von ettlich gar tugntlich leút vnd cristn, haidn vnd abgóttrer der mérer tail vnd gar vil chaẃffleẃt, (Z. 500 f.; „vielen sehr tugendsamen Menschen und Christen, zum größten Teil aber Heiden und Götzendienern und vielen Kaufleuten“), wie es in der deutschen Übersetzung von Konrad Steckel von 1359 heißt. Oderich kam da im Haus eines reichen Herrn unter, der von den Franziskanern schon bekehrt worden war. Eines Tages nun nimmt dieser ihn mit auf eine Besichtigungstour, um daß lant vnd den sit dez glaubn hie (Z. 509 f.; „das Land und die Glaubensgewohnheiten hier“) zu sehen. In einem Boot setzen sie zu einer Insel mit einem großen Minster über, wo der Führer einem geistlichn haidnischn mann („einem heidnischen Geistlichen“) ruft und ihn bittet, dem Fremden, der ist her chómen von dem occident, daß ist von den landn, da die sun vnder get („der aus dem Okzident hergekommen ist, das heißt aus dem Land, wo die Sonne untergeht“), etwas zu zeigen, da er von ze sagn hab in seinen landn (Z. 515 f.; „wovon er

8 Oderich von Pordenone, Reise nach China (Anm. 1).

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was erzählen kann in seinem Land“).9 Es geht also darum, dem Fremden Seltsamkeiten und Neuigkeiten vorzuführen. Der Geistliche nimmt daraufhin zwei Körbe mit Brot und führt Oderich in einen großen Garten, in dessen Mitte sich ein kleiner Berg erhebt, dicht bewachsen mit Bäumen. Der Geistliche klingelt mit einem Glöcklein, worauf verschiedene Tiere vom Berg her gelaufen kommen, zahm und freundlich: Die tír warn affn, merchaczen, murment vnd ándrew tyr, dew in andern landn sind, die da habnt eztleichn tail der menschn gestalt an írn gliden vnd an írn werichn, vnd machtn sich her zu jm gar wol gezognlichn vnd gar ardenlichn, vil mer dann tawsnt. (Z. 522–525). Die Tiere waren Affen, Meerkatzen, Murmeltiere und andere Tiere, die in andern Ländern sind, die aber alle etwas von der menschlichen Gestalt haben an ihren Gliedmaßen und in ihrem Gehabe. Und sie kamen zu ihm, ganz wohlerzogen und ordentlich, viel mehr als dreitausend.

Der Geistliche gibt den Tieren die Brot-Brosamen. Und dann heißt es: Do si geessn hetn, do leẃt er aber. Do lieffn si wider an ír stett. Dez lacht jch vnd vragt, waß ez bedeẃt vnd waß ez wér. Do antwúrt er vnd sprach, ez wérn menschn sell vnd aller maist edler leẃt. ‚Die speisn vnd nern wír hie durich got.‘ Do sprach jch: ‚Fúrbar, ez sind tyr vnd bestie, daß ist, daz nicht menschlichn sel noch vernunft noch die wírdichait hiet der vntódleichait.‘ (Z. 526–531). Als sie gegessen hatten, da läutete er wieder. Da liefen sie wieder an ihre Orte zurück. Darüber lachte ich und fragte, was das zu bedeuten hätte und was es sei. Da antwortete er und sagte, es seien menschliche Seelen vor allem von adligen Leuten. ‚Die ernähren wir hier um Gottes willen‘. Da sagte ich: ‚Wahrlich, das sind doch Tiere und Bestien, das heißt etwas, was nicht menschliche Seele oder Vernunft oder die Ehre der Unsterblichkeit hat‘.

Der Geistliche lässt sich aber nicht belehren, auch wenn ihm Oderich den Irrtum gern ausgetrieben hätte: er belaib in seiner herttichait alß ein adamaß („er blieb in seiner Verstocktheit wie ein Diamant“, Z. 535), wie es in der deutschen Übersetzung heißt. Oderich aber lacht, auch in der lateinischen Version: Dum autem sic viderem ista, multum cepi ridere dicens: ‚Tu michi dicas quid hoc indicare vellit‘ (S. 92, Abschn. 7.). Und dieses Lachen von Oderich irritiert. Nicht nur findet sich sonst kein weiteres Lachen des reisenden Franziskaners in seinem Bericht,

9 Im lateinischen Text heißt es: Ideo sibi ostendas aliquid quod ipse videre possit si hic est mira­ bile, ut si vereteretur ad suas contratas etiam dicere possit: tale quid novum vidi in Camsay. Oderich von Pordenone: Reise nach China (Anm. 1), S. 90, Abschnitt 5.



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sondern es wird auch von Mandeville nicht nachgelacht, der diese Episode in seinem Reisebuch aufnimmt. In Erwartung von mirabilia und curiosa (Seltsamkeiten, Fremdheiten), die sich zuhause erzählen lassen, kommt Oderich in den Genuss einer Tierfütterung. Dass er dafür aber in einen religiös codierten Raum geführt wurde und der Protagonist dieser Handlung nicht der weltliche Konvertit und Gastgeber ist, sondern die Fütterung von einem geistlichn haidnischn mann (Z.  512) ausgeführt wird (unum illorum religiosorum), lädt die Handlung mit einer religiösen Signifikanz auf, die Oderich nicht verstehen kann. Und da lacht er. Da, wo die Vorführung der zahmen Tiere in der idealen Gartenanlage im religiös definierten Bezirk eine Signifikanz ausstellt, die Oderich nicht verständlich und auch noch nicht gedeutet ist. Das Lachen geht der Frage nach der Bedeutung dieses Handelns und Geschehens voran: Dez lacht jch vnd vragt, waß ez bedeẃt vnd waß ez wer (Z. 526 f.). Es ist kein Staunen, kein sich Wundern, sondern ein Lachen. Die folgende Erläuterung des Mönchs, dass es sich hier um Menschenseelen handle, die ihrer Tugendhaftigkeit gemäß nach dem Tod in verschiedenen Tieren wiedergeboren worden seien, weist Oderich dann dezidiert und argumentativ deutlich zurück: es sind Tiere und Bestien, denn sie sind weder durch Vernunft noch durch Unsterblichkeit ausgezeichnet. Sein Gegenüber antwortet: verum non est (S. 92, Abschn.  7); jch het nicht war („ich hätte nicht recht“, Z.  531). Die Konfrontation der Wahrheiten löst sich nicht auf. Oderich lässt sich so wenig überzeugen wie der andere, dessen Missionierung an seiner diamantharten Verstocktheit scheitert. Es prallen zwei Glaubenswahrheiten aufeinander, auf denen die semantisierende Wahrnehmung der an sich harmlosen Szene gründet. Das Lachen von Oderich zeigt genau diesen Moment an, wo die auffallende, unterhaltende Szene durch den religiösen Kontext zu einer signifizierten Seltsamkeit und darüber signifikanten Fremdheit wird, deren Sinnsystem er aber nicht entziffern kann. Der Opakheit dieser mit unverstandenem Sinn aufgeladenen Szene gegenüber kann keine Haltung eingenommen werden. Weder argumentativ noch habituell gibt es hier eine eigene Position. Das Lachen ermöglicht die Distanzierung in der Verwunderung, noch vor der Abwertung. Damit ist dieses Lachen anders aufgeladen als die Lacher, die als Gesten der Überlegenheit oder Abgrenzung schon in das eigene Sinnsystem eingebaut sind und dadurch das Fremde, das Andere, das Gegenüber mit spezifischer Signifikanz überschreiben. Dies wäre das Lachen nach der grenzsetzenden Argumentation – ein Lachen, das bei Oderich auffallend nicht vorkommt. Dieses Lachen, das schon codiert ist, das rhetorisch eingesetzt wird zum Mittel der Semantisierung und Ordnungsstiftung, zum Mittel der Erzähl-, d.  h. auch Deutungsmacht, findet sich im Kontext religionspolitischer Rhetorik.

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4 Das (ein)ordnende Lachen Riccoldus von Monte Croce (* um 1243) kommt in seiner in der Mitte des 14. Jahrhunderts in die Volkssprache übersetzten Peregrinatio ausführlich auf den Koran zu sprechen.10 Dabei geht es ihm darum, den Koran (lex Sarracenorum) in sechs Schritten zu dekonstruieren, als ausufernd, konfus, unverständlich, lügnerisch, irrational und gewalttätig.11 Es ist das fünfte Kapitel, in dem die Absurdität und damit die Lächerlichkeit des Korans und der islamischen Glaubensvorstellungen vorgestellt werden. Da, wo es um die Jenseitsvorstellungen geht, wird nun ridikülisiert. Das gelingt noch einfacher, da (traditionellerweise) dem Islam die Kunst der allegorischen Lektüre abgesprochen wird: Et hec omnia non exponunt per similitudinem sed accipiunt ad litteram (S. 186; „Und dies alles legen sie nicht gleichnishaft aus, sondern verstehen es nach dem Buchstaben“). Die lächerliche Absurdidät der Versprechungen im Paradies, die Riccold genüsslich vorstellt, wird beendet mit dem Hinweis: Talia dicunt Sarraceni et expectant de paradiso. Certe si de paradiso equorum, mulorum et asinorum dice­ retur esset ridiculum dicere (S. 186; „Solches sagen die Sarracenen und erwarten sie vom Paradies. Sicher, selbst wenn vom Paradies der Pferde, Maulesel und Esel solches gesagt würde, wäre es lächerlich zu sagen“). Das hier provozierte Lachen ist nicht mehr offen, ist nicht erstaunt, ist auch nicht fragend distanzierend, sondern ist das in das eigene Wertsystem einfügende Lachen der Abwertung und des Ausschlusses. Die Grenze ist schon gezogen und soll nicht noch verhandelt werden. Es ist kein Grenzphänomen mehr, sondern ein Mittel der Selbstvergewisserung und Abwehr. Dieses Lachen interessiert hier nun aber nicht mehr. Auch wenn es sehr viel häufiger zu finden ist, geradezu inflationär dann in den Schriften zu den Türken in der frühen Neuzeit.

10 Riccold de Monte Croce: Pérégrination en Terre Sainte et au Proche Orient. Text latin et traduction. Lettres sur la chute de Saint-Jean d’Acre. Traduction. Par René Kappler, Paris 1997 (Textes et traductions des classiques français du Moyen Âge 4). 11 De lege Sarracenorum: quod est larga / quod est lex confusa / quod est lex oculta / quod est lex mendacissima / quod est lex irrationabilis / sexto et ultimo: quod est lex violenta. (Riccold de Monte Croce, Pérégrination (Anm. 10), S. 187).



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Literaturverzeichnis A Texte und Quellen Biblia sacra iuxta vulgatam versionem. Hrsg. von Robert Weber/Roger Gryson, Stuttgart 2007. Riccold de Monte Croce: Pérégrination en Terre Sainte et au Proche Orient. Text latin et traduction. Lettres sur la chute de Saint-Jean d’Acre. Traduction. Par René Kappler, Paris 1997 (Textes et traductions des classiques français du Moyen Âge 4). Oderich von Pordenone: Reise nach China. Konrad Steckels deutsche Übertragung der Reise nach China des Oderico de Pordenone. Kritisch herausgegeben von Gilbert Strasmann, Berlin 1968 (Texte des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit 20). Rudolf von Ems: Weltchronik. Aus der Wenigeroder Handschrift hrsg. von Gustav Ehrismann, Berlin 1915 (Deutsche Texte des Mittelalters 20). Wolfram von Eschenbach: Parzival. Nach der Ausgabe Karl Lachmanns revidiert und kommentiert von Eberhard Nellmann, übertragen von Dieter Kühn, Frankfurt a. M. 1994 (Bibliothek des Mittelalters 8, 1–2). Zürcher Bibel. Im Auftrag der Synode der evangelisch-reformierten Landeskirche des Kantons Zücke nach dem Grundtext aufs Neue übersetzt. Hrsg. vom Kirchenrat der evangelischreformierten Landeskirche des Kantons Zürich, Zürich 2007.

B Studien Huber, Christoph: Lachen im höfischen Roman. Zu einigen komplexen Episoden im literarischen Transfer. In: Kultureller Austausch und Literaturgeschichte im Mittelalter. Kolloquium im Deutschen Historischen Institut Paris, 16.–18. März 1995. Hrsg. von Ingrid Kasten/Werner Paravinci/René Pérennec, Sigmaringen 1998 (Beihefte der Francia 43), S. 345–358. Ménard, Philippe: Le rire et le sourire dans le Roman courtois en France au moyen âge (1150–1250), Genève 1969 (Publications romanes et françaises 105). Röcke, Werner: Heiliger Spott. Lachende Überlegenheit und Glaubensgewissheit in der Literatur der Spätantike und des Mittelalters. In: risus sacer – sacrum risibile. Interaktions­felder von Sakralität und Gelächter im kulturellen und historischen Wandel. Hrsg. von Katja Gvozdeva/Werner Röcke, Berlin, New York 2009, S. 31–46.

Werner Röcke

Balancen von Nähe und Distanz. Das Wechselspiel von Gelächter und Schweigen in frühchristlicher Verkündigung und im komischen Roman des Mittelalters 1 Zusammenhänge Lachen und Schweigen werden in der Regel nicht aufeinander bezogen. Zwar unterscheiden wir verschiedene Formen des Lachens, neben dem lauten, meist kollektiven Gelächter auch durchaus leise Formen des Lächelns oder nur Schmunzelns. Gerade das kollektive Gelächter aber ist laut und sehr körperlich, das bis zum Herausprusten oder überbordenden Trompeten gesteigert werden kann: da schlagen Hände auf den Tisch, trampeln Füße und bringt der Mund bestenfalls ein keuchendes Husten hervor. Schweigen sieht anders aus. Mit Schweigen assoziieren wir eher eine introvertierte Körperhaltung, die sich nach außen abschließt und sich gerade nicht körperlich-stimmlich mitteilt. Dennoch haben Lachen und Schweigen etwas Gemeinsames. Zwar verweigern sie eine direkte Mitteilung, teilen aber dennoch etwas mit.1 Beide sind Formen des Nicht-Sagens, in denen aber sehr viel gesagt wird. Die Frage ist nur: Was wird lachend und schweigend gesagt? Dabei ist mir die Copula „und“ besonders wichtig. Meine Ausgangsfrage also lautet, ob und inwieweit in dem Umstand, dass Gelächter und Schweigen aufeinander bezogen werden, eine besondere Mitteilung oder  – allgemeiner gesagt – Form der Kommunikation möglich ist. Denn dass Lachen und Schweigen als Formen von Kommunikation zu gelten haben, ist spätestens seit Luhmann/ Fuchs: Reden und Schweigen (1989)2 und Althoffs Verlachen-Aufsatz (2005)3 anerkannt. Die Frage ist nur, welche Kommunikationsleistungen gerade durch die Verbindung von Gelächter und Schweigen möglich werden.

1 So auch Mireille Schnyder: Topographie des Schweigens. Untersuchungen zum deutschen höfischen Roman um 1200, Göttingen 2003, S. 7  ff und zuletzt Beatrice Michaelis: (Dis-) Artikulationen von Begehren. Schweigeeffekte in wissenschaftlichen und literarischen Texten, Berlin 2011. 2 Niklas Luhmann/Peter Fuchs: Reden und Schweigen, Frankfurt a. M. 1989. 3 Gerd Althoff: Vom Lächeln zum Verlachen. In: Lachgemeinschaften. Kulturelle Inszenierungen und soziale Wirkungen von Gelächter im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit. Hrsg. von Werner Röcke/Hans Rudolf Velten, Berlin, New York 2005, S. 3–16.

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 Werner Röcke

In der Lachen- und Schweigenforschung ist bislang  – wenn ich richtig sehe – ausschließlich das eine oder das andere, das Lachen oder das Schweigen gesehen worden. Dennoch ist vor allem in der Literatur des Mittelalters und – in diesem Fall besonders wichtig – in der christlichen Verkündigung seit ihren Anfängen gerade der Zusammenhang von Lachen und Schweigen zwar nicht häufig, aber doch immerhin signifikant belegt. Dabei fällt auf, dass es sich bei den literarischen und den Texten der christlichen Verkündigung, die diesen Zusammenhang thematisieren, um Texte handelt, die gewissermaßen stigmatisiert sind: Sei es, dass es sich um komische und Schwanktexte mit einer ausgeprägten Lust an Gewalt, Körperidolatrie und Übervorteilung handelt, die wir den ‚Nicht-mehr-schönen-Künsten‘4 zurechnen, sei es, dass sie – zumindest aus christlich-orthodoxer Sicht – als häretisch einzustufen sind. Offensichtlich, so verstehe ich diese analoge Stigmatisierung, verweist gerade die Verbindung von Gelächter und Schweigen auf ein besonderes Problem, ist gerade aus dem Grunde aber auch besonders interessant. Was also, so lautet meine Ausgangsfrage, ist an der Verbindung von Schweigen und Gelächter so problematisch, dass es stigmatisiert oder gar als häretisch ausgegrenzt wird? Um dem auf die Spur zu kommen, stelle ich zwei – vielleicht unzulässig generalisierende – Beobachtungen an meinem Textmaterial an den Anfang. (1) In den mir bekannten Texten ist die Verbindung von Gelächter und Schweigen in der Regel ein Indikator extremer Gegensätze, seien sie nun sozialer, politischer oder religiöser Art. Raum  – herrschaftstheoretisch formuliert könnte man vielleicht sagen: Der Raum, der diese Verbindung konstituiert, ist ein Raum, in dem die Übermacht Gottes über die Menschen oder die Herrschaft von Menschen über Menschen ausgeübt wird, sei es nun ein feudaler Hof, ein Gericht, ein Land, in dem Herrschaft praktiziert wird und alltäglich ist, oder aber das Kreuz von Golgatha. (2) Die Verbindung von Gelächter und Schweigen steht in einem engen Verbund mit Gewalt, sie ist  – zugespitzt formuliert  – eine Form der Codierung von Gewalt. Der Urtext für diesen Zusammenhang von Gelächter, Schweigen und Gewalt in der Literatur des Mittelalters ist wohl Wolframs Parzival, genauer: die Veränderungen, zu denen Cunneware und Antanor am Artushof angesichts des närrisch gekleideten Parzival förmlich gezwungen werden, so dass Cunneware

4 Im Anschluss an: Die nicht mehr schönen Künste. Grenzphänomene des Ästhetischen. Hrsg. von Hans Robert Jauss, München 1968 (Poetik und Hermeneutik III).



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lacht und Antanor sein Schweigen bricht, beide damit aber den Truchsess Keie zu einem maßlosen Ausbruch brutalster Gewalt provozieren.5 Damit sind die Eckdaten genannt, die im Folgenden meine Textauswahl und Textinterpretation leiten: Lachen, Schweigen, Herrschaft und Gewalt. Sie treten – so meine Ausgangsthese – vor allem in zwei extrem unterschiedlichen Texttypen in Erscheinung: (1) in Texten der frühchristlichen Verkündigung von der Passion Jesu, die – wie der Begriff passio signalisiert – von Gewalt, Leiden und Sterben erzählen, die körperlichen und affektiven Reaktionen Jesu aber unterschiedlich akzentuieren: Während die kanonischen Evangelien des Neuen Testaments den auf die Vorhaltungen seiner Richter und auf die Spottreden des Pöbels teils schweigenden, teils aber auch sprechenden Jesus vorführen, den lachenden Jesus aber nicht kennen, verbindet eine bestimmte Gruppe neutestamentlicher Apokryphen, die ich hier heuristisch schon einmal als „gnostisch-häretisch“ vorstelle, das Schweigen und Reden Jesu mit seinem Gelächter. Wir werden zu prüfen haben, welche Funktion dem Schweigen, Reden und Gelächter dabei jeweils zukommt, wie sie aufeinander bezogen sind und welche Bedeutung dem Umstand zukommt, dass sie im Kontext der Androhung und des Vollzugs extremster Gewalt stehen. Ich werde diese Zusammenhänge exemplarisch an der koptisch-gnostischen Apokalypse des Petrus6 aus dem zweiten Jahrhundert erörtern und  – allerdings nur ergänzend – kurz auf einen zweiten Text der sog. Nag-Hammadi-Bibliothek eingehen,7 die insgesamt für den Zusammenhang von Passion, Schweigen und Gelächter in der gnostischen Lehre oder Irrlehre  – das kommt auf die Sichtweise an  – sehr interessant ist. „The mocking laughter“, schreibt John Dart in seiner wichtigen Studie The laughing saviour (1976), „can be traced through out the Nag hammadi library … it seems at times that the more Gnostic the text, the more audible the

5 Wolfram von Eschenbach: Parzival. Mittelhochdeutscher Text nach der 6. Ausgabe von Karl Lachmann, Übersetzung von Peter Knecht, Berlin, New York 1998, VV. 151,11–153,20. Vgl. zum Thema der Gewalt: Waltraud Fritsch-Rössler: Lachen und Schlagen. Reden als Kulturtechnik in Wolframs ‚Parzival‘. In: Verstehen durch Vernunft. Fs. für Werner Hoffmann. Hrsg. von Burkhardt Krause, Wien 1997 (Philologica Germanica 19), S. 75–98. 6 Neutestamentliche Apokryphen in deutscher Übersetzung. Hrsg. von Edgar Hennecke/Wilhelm Schneemelcher, Bd. II. 6. Aufl. Tübingen 1997, S. 633–643 („koptisch-gnostische Apokalypse des Petrus“). 7 Der ‚Zweite Logos des grossen Seth‘ ist Anfang des 3.  Jahrhunderts wahrscheinlich in Alexandria entstanden und ebenfalls in koptischer Sprache überliefert. Ich lege die Ausgabe Nag Hammadi Deutsch. Hrsg. von Hans Martin Schenke/Hans-Gebhard Bethge/Ursula Ulrike Kaiser, 2. Bd: NHC V, 2–XIII, 1, BG 1 und 4. Berlin, New York 2003 zugrunde. Zur religionsgeschichtlichen Einordnung sowie zur Datierung und Überlieferung vgl. die Einleitung S. 569–580.

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laughter“.8 Natürlich wäre es unsinnig, die gnostische Vorstellung vom schweigenden, redenden und lachenden Christus ins Mittelalter zu verlängern, angesichts der erstarkenden und gegenüber Abweichlern zunehmend gnadenlosen Orthodoxie hätte diese Vorstellung keine Grundlage. Dennoch ist auffällig, dass die deutlich heilsgeschichtliche Codierung von Schweigen und Gelächter auch in der Literatur des Mittelalters auftaucht. Ich werde in diesem Zusammenhang kurz auf Hartmanns von Aue Gregorius eingehen. (2) Ein zweiter – nicht mehr theologischer, sondern höchst weltlicher – Funktionszusammenhang von Schweigen, Gelächter und Gewalt betrifft die literarische Inszenierung von Nähe und Distanz zwischen sozial und habituell strikt getrennten Personen bei Hofe, die gleichwohl Formen der Annäherung und der – so der ethnologische Terminus  – ‚Meidung‘9 praktizieren. In diesem Spiel von Annäherung und Meidung nun kommt Lachen und Schweigen die wichtigste Rolle zu. Die maßgeblichen Spieler sind dabei einerseits der Fürst, d.  h. der Herr des Hofs, andererseits sein Gegenspieler: in der Regel eine Narren- oder narrenähnliche Figur, die dem Fürsten zwar auf Augenhöhe gegenüberzutreten versucht, sich dabei aber fortwährend vom Gewalt- und Machtpotenzial des Fürsten bedroht sieht. Dabei geht es keineswegs um Bagatellen, um harmlose Scherze oder Streiche, sondern in der Regel um Leben und Tod. Narrenfiguren dieser Art sind z.  B. der italienische Gonella, der in den Novellen Franco Sacchettis sein Spiel der Annäherung und Meidung mit dem Markgrafen von Ferrara treibt.10 Eine vergleichbare Narrenfigur ist auch der Bauer und Narr Marcolphus,11 der

8 John Dart: The discovery and significance of the Nag Hammadi Gnostic Library, New York, Toronto 1976, S. 131. 9 Wörterbuch der Völkerkunde, begründet von Walter Hirschberg. Neuausgabe, 2.  Aufl. Berlin 2005, S. 250 f. Dabei handelt es sich um einen Begriff, der „generell Verbote und Verhaltensvorschriften unterschiedlicher Art umfasst und Speise-, Kontakt- und Verhaltenseinschränkungen ein(schließt).“ Vgl. dazu auch Michel Parsoff/Michel Perrin: Taschenwörterbuch der Ethnologie. Hrsg. von Justin Stagl, 3. Aufl. Berlin 2000, S. 167. 10 Zu Leben und literarischer Überlieferung Gonellas vgl. Die Begebenheiten der beiden Gonella. Hrsg. von Albert Wesselski, Weimar 1920 und Enzyklopädie des Märchens, Bd. 5 (1987), Sp. 1397–1400. Es werden zwei Narrenfiguren mit dem Namen Gonella am Hof der Este von Ferrara unterschieden, von denen der ältere unter dem Markgrafen Obizzo III. (1294–1352), der jüngere unter Niccolò III. (1383–1441) oder noch später tätig gewesen sein soll. 11 Zur Überlieferungs- und Textgeschichte des lateinischen Dialogus sowie der deutschen Bearbeitungen vgl. Werner Röcke: Die Freude am Bösen. Studien zu einer Poetik des deutschen Schwankromans im Spätmittelalter, München 1987, S. 85–142 (Kap. III: Die Metamorphose des häßlichen Helden. Die deutschen Bearbeitungen des ‚Dialogus Salomonis et Marcolphi‘) sowie Sabine Griese: Salomon und Markolf. Ein literarischer Komplex im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit. Studien zur Überlieferung und Interpretation, Tübingen 1999 (Hermaea N. F. 81).



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zunächst im lateinischen Dialogus Salomonis et Marcolphi, dann auch in den verschiedenen deutschen Bearbeitungen des Spätmittelalters den ebenso weisen wie mächtigen König Salomon der Bibel in sein intrikates Spiel von Gelächter und Schweigen einbindet. Schließlich rechne ich dazu auch den witzigen Pfarrer vom Wiener Kalenberg, der die Bauern seiner Pfarre am Wiener Hof gerade durch demonstratives Schweigen allgemeinem Gelächter preisgibt.12 Es geht also um ein sehr widersprüchliches Textmaterial, aber gerade das kann ja vielleicht den Blick auf das Problem von Schweigen und Gelächter schärfen.

2 Das Schweigen und das Gelächter des leidenden Christus Bekanntlich ähneln die Passionsberichte der neutestamentlichen Evangelien einander in Aufbau und Abfolge des Passionsgeschehens. Das gilt auch für Auftreten und Kommunikationsverhalten Jesu. Dieser ist vor dem Hohen Rat (San­ hedrin) und dem Hohen Priester, also den höchsten jüdischen politischen und theologischen Autoritäten Israels, der Gotteslästerung angeklagt, wird auch vor Pilatus, den Repräsentanten der römischen Besatzungsmacht, gestellt und schließlich den römischen Soldaten zu einem Hohn- und Spottritual der Demaskierung dieses ‚Königs der Juden‘ überantwortet: Sie realisieren seine Krönung und seinen Herrschaftsantritt mit Dornenkrone und ‚Zepter‘, vollziehen damit aber seine Schändung und Erniedrigung. Jesu Reaktionen auf diese Eskalation seiner Entrechtung und seines Leidens sind nicht einheitlich, betreffen aber nur zwei Kommunikationsformen: Schweigen und Reden. Um was für ein Schweigen und was für ein Reden handelt es sich dabei? Zwar sind die Evangelientexte in dieser Hinsicht nicht eindeutig. Dennoch wird erkennbar, wann Jesus schweigt und wann er redet. So z. B. schweigt er angesichts der Anschuldigungen falscher Zeugen vor dem Hohenpriester, er habe behauptet, den Tempel Gottes zerstören und in drei Tagen wiederaufbauen zu können.13 Auf die Frage des Hohenpriesters aber, ob er der Christus, der Sohn Gottes sei, antwortet er mit dem schlichten Satz: „Du hast es gesagt“ und verkündet seine künftige Herrschaftsposition „zur

12 Zur Überlieferungs- und Textgeschichte von Philipp Frankfurters Geschicht des Pfaffen vom Kalenberg vgl. Röcke (Anm.  11), S.  154–162 (Kap. V: Das Komische und das Böse. Formen des Lachens in Philipp Frankfurters ‚Geschicht des Pfarrers vom Kalenberg‘). 13 Mat. 26, 59–63. Vgl. Mc 14,55–61.

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Rechten der Macht“, also Gottes, „auf den Wolken des Himmels.“14 Dementsprechend schweigt er auch vor Pilatus zu allen Anschuldigungen der Ältesten und Hohenpriester Israels, bestätigt aber dessen politische Fragen („Bist Du der König der Juden“) wiederum mit einer einfachen Zustimmung: „Du sagst es.“15 Jesus also spricht, so verstehe ich diese Texte, wenn er seinen Status und seine Machtvollkommenheit als Sohn Gottes und als Christus, d.  h. als ‚Gesalbter‘ und Messias der Juden, verkünden kann. Zwar durchleidet er die tiefste Erniedrigung, doch erweist sich gerade darin seine Überlegenheit als Gottessohn und König der Juden. Dem entspricht dann allerdings auch, dass er auf die falschen Anschuldigungen der falschen Zeugen ebenso schweigt wie auf die Verspottungs- und Verhöhnungsrituale der Soldaten. Zwar erfüllen sich damit die Verheißungen der alttestamentlichen Propheten vom Leiden des Gottesknechts, der geschlagen, geschmäht und bespuckt werden wird,16 doch vollziehen die Spottrituale gerade dadurch seine Erhöhung. Dementsprechend verstehe ich Jesu Schweigen als Schweigen der Überlegenheit; als Schweigen der unendlichen Distanz dessen, der demnächst zur Rechten Gottes sitzen wird, und gegenüber denen, die ihn mit ihren falschen Anschuldigungen gar nicht erreichen können. Wer schweigt, spricht, hatten wir einleitend  – im Anschluss an Mireille Schnyder und Beatrice Michaelis – gesagt.17 Jesu Schweigen also spricht von seiner Überlegenheit, seinem Machtanspruch als Messias und seinem Selbstverständnis als leidender Gottesknecht, der gerade in seiner Erniedrigung erhöht wird. Es ist dieser Punkt der Dialektik von Erniedrigung und Erhöhung des Christus, der in der gnostischen Theologie auf eine Art und Weise weitergedacht worden ist, die in der späteren Orthodoxie als häretisch verurteilt worden, für die Frage nach dem Verhältnis von Schweigen und Gelächter aber außerordentlich interessant ist. Denn gerade gnostische Überlieferungen von der Passion Christi kennen neben dem schweigenden und redenden auch den lachenden Christus, der auf diese Weise  – so meine These  – den Ausdruck seiner Überlegenheit über seine Verächter noch verschärft. Jesus lacht, wie es in der koptischgnostischen Apokalypse des Petrus heißt, über die „Blindheit“ seiner Feinde, die nicht wissen, was sie tun, wenn sie ihn quälen und kreuzigen, sondern „Blindgeborene“ sind und Blinde bleiben.18 Es ist ein Lachen spöttischer Exklusion und

14 Mat. 26, 64. Vgl. Mc 14,61–62. 15 Mat. 27, 11. Vgl. Mc 15,2. 16 Vgl. z. B. Jes. 50,6: „[…] den Rücken bot ich denen, die mich schlugen, und die Wangen denen, die mich rauften; mein Angesicht verhüllte ich nicht, wenn sie mich schmähten und anspieen.“ 17 Schnyder (Anm. 1), Michaelis (Anm. 1). 18 Apokalypse des Petrus, S. 643 (vgl. Anm. 6)



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spöttischer Überlegenheit über all jene, die nichts verstehen, sondern meinen, in Passion und Kreuzigung ihn, den Christus, auch nur erreichen oder gar berühren zu können. Der Grund für diese Überlegenheit liegt in einer der wichtigsten Voraussetzungen gnostischen Denkens, das die irdische Existenz des himmlischen Erlösers, seine Passion und seine Kreuzigung als „Schein“ abtut und deshalb auch als „Doketismus“ (griech.: dokein – scheinen) bezeichnet wird.19 Damit aber ist der gnostische Erlöser, ganz anders als in der orthodoxen Lehre von Christi Leiden und Tod, an die Materialität der Passion nicht gebunden, ja es ist gar nicht er selbst, der die Passion erlitten hat, sondern lediglich sein Abbild, das sogar – wie in der Apokalypse des Petrus – verflucht werden kann, weil er der bösen Welt zugehört, während der Christus selbst dem pneumatischen Reich des jenseitigen Gottes zuzurechnen ist. Der Begriff ‚Gnosis‘ meint nicht eine bestimmte Schule des spätantiken Christentums, sondern lediglich einen begrifflichen Rahmen für verschiedene christliche Gruppen des 2.  Jahrhunderts, die sich durch ein weitgehend übereinstimmendes Ensemble theologischer Überzeugungen auszeichnen und von orthodoxen Theologen der Häresie verdächtigt werden.20 Der Kern dieser Überzeugungen ist die Annahme eines extrem dualistischen Weltbildes, das die Schöpfung in Geist und Materie, göttliche und irdische Welt, Gut und Böse unterscheidet. Der lachende Christus nun ist Geist (Pneuma), der zwar in die Welt gelangt, damit aber seine göttlich-pneumatische Existenz nicht verliert. Nur sein Abbild ist Teil der bösen Welt, nur dieses wird gekreuzigt und leidet körperlich. Ich diskutiere hier nicht die Frage, warum dieser gnostische Dualismus und „Doketismus“ der orthodoxen Lehre vom Heilshandeln Jesu gerade in und durch sein tatsächliches stellvertretendes Leiden diametral entgegenstand und deshalb auch – so schon von Irenäus von Lyon in seiner Schrift Adversus haereses (180–

19 Vgl. Art. Doketismus. In: Religion in Geschichte und Gegenwart, Bd. 2, 4. Aufl. Tübingen 1999, Sp. 925–927. Zum Zusammenhang von Christi heiligem Spott und doketistischer Theologie vgl. Guy G. Stroumsa: Christ’s Laughter. Docetic Origins Reconsidered. In: Journal of Early Christian Studies 12.3 (2004), S. 267–288. Ausgangspunkt von Stroumsas Artikel ist die These, dass die doketistische Lehre vom Gelächter Christi über die Kreuzigung Simons von Cyrene mit der Interpretation Isaaks als Typus der „figura“ Christi durch die frühen Kirchenväter und dessen Namensdeutung als „Er wird lachen“ zusammenzudenken sei (vgl. den Artikel Isaak. In: Religion in Geschichte und Gegenwart, Bd. 4, 4. Aufl. Tübingen 2001, Sp. 240 f.). Ausführlicher zu diesem Problemzusammenhang Werner Röcke: Heiliger Spott. Lachende Überlegenheit und Glaubensgewißheit in der Literatur. In: risus sacer – sacrum risibile. Interaktionsfelder von Sakralität und Gelächter im kulturellen und historischen Wandel. Hrsg. von Katja Gvozdeva/Werner Röcke, Bern, Berlin u.  a. 2009, S. 31–46, hier S. 36 ff. 20 Vgl. dazu den Artikel Gnosis. In: Religion in Geschichte und Gegenwart, 4. Aufl., Bd. 4. Tübingen 2001, Sp. 1045 ff. und Christoph Markschies: Die Gnosis, München 2001, S. 25 ff.

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185) – als häretisch verurteilt werden musste.21 Hier interessiert nur der Umstand, dass der Zusammenhang von Schweigen, Reden und Gelächter in religiös-christlicher Codierung zum ersten, in dieser Klarheit aber wohl auch zum letzten Mal in gnostischen Apokryphen des zweiten Jahrhunderts entworfen, dann aber bald und sehr konsequent bekämpft, unterdrückt und verdrängt worden ist. An die Stelle des schweigenden und „lachenden Heilands“22 trat nun immer stärker die Überzeugung, dass „Christus nie gelacht hat“ (Johannes Chrysostomos)23 und die Hinwendung der Gläubigen zu seinem tatsächlichen körperlichen Leiden. Im frühen Mönchtum ist diese Hinwendung zu Jesu Leiden und dementsprechende Abkehr von jeder Form von Gelächter bei den großen Theoretikern des frühen Mönchtums: Klemens von Alexandria, vor allem Origenes, dann auch Basilius dem Großen, mit Händen zu greifen.24 Unter dem Einfluss der dritten Seligpreisung nach Luk. 6, 21, 25 („Selig seid ihr, die ihr jetzt weint; denn ihr werdet lachen … Wehe euch, die ihr jetzt lacht, denn ihr werdet trauern und weinen“) wird das Lachen zwar nicht verdammt, aber erst in die Zukunft der erlösten Menschheit verschoben. Es ist ein Versprechen auf künftige Freude, angesichts der gegenwärtigen und notwendigen Bußübungen des Mönchs aber ausgeschlossen. Lachen oder Lächeln also sind, so lässt sich die Situation im frühen Mönchtum zusammenfassen, von der Gewissheit künftigen Heils und künftiger Seligkeit getragen. Es ist kein Lachen aus Überlegenheit wie beim pneumatischen Heiland der Gnosis, sondern ein Ausdruck heiterer Hoffnung und Gelassenheit, die sich der Heilswirkung des Rückzugs in die Einsamkeit (Apotaxis) und der Abkehr von allen irdischen und körperlichen Leidenschaften (Apatheia) durchaus bewusst ist. In der Einsamkeit aber schweigt der Büßer. Lacht oder lächelt er, so nur in der heiteren Gewissheit künftiger Erlösung. In der Literatur des Mittelalters sehe ich diesen Typus einer religiös codierten Verbindung von Lachen und Schweigen bislang nur in Hartmanns Gregorius,

21 Irenäus von Lyon: Adversus haereses. Gegen die Häresien, übers. und eingel. von Norbert Brax, Freiburg u. a. 1993 (8/2: 1993; 8/3: 1995; 8/4: 1997). Die Antihäresien-Schrift des Irenäus wird ca. 180–185 n. Chr. datiert. 22 Im Anschluss an Dart (Anm. 8). 23 So noch Joachim Suchomski: ‚Delectatio‘ und ‚Utilitas‘. Ein Beitrag zum Verständnis mittelalterlicher komischer Literatur, Bern, München 1975, S. 11–13 (Christus hat nie gelacht) im Anschluss an Johannes Chrysostomus. In: Matth. homil. VI. Diese Überzeugung beanspruchte auch in der neueren Forschung selbstverständliche Gültigkeit, wurde aber spätestens von Teodor Baconsky: Le rire des Pères. Essais sur le rire dans la patristique Grecque, Paris 1996, S. 101–123 (Le rire évangélisé) entschieden in Frage gestellt. 24 Vgl. dazu den Überblick bei Basilius Steidle: Das Lachen im alten Mönchtum. In: Benediktinische Monatsschrift 20 (1938), S. 271–280.



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und hier auch nur in der einen Erzählsequenz von Gregorius’ Begegnung mit dem Fischer, der ihm das Nachtlager verweigert, ihn mit Spott überschüttet und schließlich zu seiner Bußinsel bringt. Interessant scheint mir hier, dass Gregorius die Mitleidlosigkeit, die Härte und den Hohn des Fischers frohen Herzens (mit lachendem muote, V. 2815) erträgt und zunächst erst einmal heiter (lachend, V. 2821) weiterzieht.25 Hartmann betont, dass Gregorius auch den zweiten Spottangriff des Fischers, mit lachendem muote hinnimmt (V. 2946), ihn keiner Antwort würdigt, also schweigt (V. 2950) und erst anfängt zu sprechen, als er dem Fischer seine Sünden bekennen und seine Hoffnung auf Gottes Gnade verkünden kann. er sprach: ‚herre, ich bin ein man daz ich niht ahte wizzen kann mîner suntlichen schulde und suoche umb gotes hulde ein stat in dirre wüeste, ûf der ich iemer müeste büezen unz an mînen tôt vaste mit des lîbes nôt.‘26

Diese Verbindung von Schweigen, Heiterkeit und Sprechen ist – so meine These – für die religiös-christliche Codierung von Schweigen und Gelächter im Mittelalter charakteristisch, ist allerdings nicht sehr häufig belegt. Sie ist auf Zukunft angelegt, vor allem aber  – und das scheint mir im Vergleich mit der weltlichhöfischen Codierung von Schweigen und Gelächter besonders auffällig  – setzt sie auf Distanz zum Gesprächspartner: Sei es, dass man ihn – wie der lachende Christus der Gnosis seine Feinde – auslacht; sei es, dass man ihn – wie Gregorius den Fischer – keiner Antwort würdigt und lediglich dazu nutzt, den Weg in die Einsamkeit zu finden. Demgegenüber sehe ich die Besonderheit der weltlichhöfischen Codierung von Schweigen und Gelächter darin, dass sie Distanz mit Nähe oder zumindest Annäherung verbinden, und dies zwischen Kommunikationspartnern, die  – in sozialer und habitueller Hinsicht  – radikal voneinander getrennt sind. Im komischen Roman des Mittelalters wird – so lautet meine

25 Ich zitiere nach der Ausgabe Hartmann von Aue: Gregorius der gute Sünder. Mittelhochdeutsch/Neuhochdeutsch. Mittelhochdeutscher Text nach der Ausgabe von Friedrich Neumann, Übertragung von Burkhard Kippenberg, Nachwort von Hugo Kuhn, Ditzingen 1983. 26 Hartmann von Aue: Gregorius (Anm.  25), VV.  2955–2962. Vgl. dazu auch Uwe Ruberg: Beredtes Schweigen in lehrhafter und erzählender deutscher Literatur des Mittelalters, München 1978, S. 169, der in Gregorius’ schweigender Hinnahme der Schmähungen des Fischers eine Analogie zum Verhör Christi vor dem Hohen Rat (Mat. 26, 62–64) vermutet.

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These – ein Spiel der Annäherung und der „Meidung“,27 der Vergemeinschaftung und der erneuten Distanz in Szene gesetzt, als dessen wichtigste Handlungsmuster sich Gelächter und Schweigen erweisen.

3 Das Wagnis der Nähe von Fürst, Bauer und Narr Die literarischen Codierungen von Schweigen und Gelächter im komischen Roman des Mittelalters setzen an Begegnungen an: Begegnungen von Fürst und Bauer, Fürst und Narr oder narrenähnlichen Figuren, wie der komische Pfarrer vom Kalenberg28 oder Mischfiguren aus follus und Bauer wie der Markolf des lateinischen Dialogus Salomonis et Marcolphi.29 Dabei handelt es sich um Begegnungen bei Hofe, die aus dem höfischen Rahmen fallen und Aufmerksamkeit erregen, da sie offensichtlich im Kommunikationsrahmen des Hofes nicht vorgesehen sind. Peter Strohschneider hat die Höfe mittelalterlicher weltlicher Fürsten als „vielfältig institutionell strukturierte […] Kommunikationsgefüge auf der Basis personaler Beziehungen“ definiert, die einerseits auf wechselseitiger Sichtbarkeit, andererseits auf Vokalität und Hörbarkeit fußen.30 Dieses Kommunikationsgefüge nun ist sozial und habituell weitgehend exklusiv, erfolgt also ausschließlich zwischen Adligen, die sich eines bestimmten höfischen Codes bedienen und sich damit von allen anderen Ständen der Gesellschaft, vor allem den Bauern oder laboratores, unterscheiden. Dabei ist die Grenze zwischen höfischem und nichthöfischem Code als weitgehend intransigent zu denken. Wird sie dennoch überschritten, sind die vertrauten Wahrnehmungs- und Interaktionsmuster der Sichtbarkeit und Vokalität, auf denen die höfische Kommunikation fußt, in Frage gestellt. In meinem ersten Textbeispiel, einer Sequenz aus Philipp Frankfurters Pfarrer vom Kalenberg (Augsburg 1473), ist genau dies der Fall.31 Zum Abschluss des Besuchs der Wiener Herzogin Elsbet von Bayern in der fremden Welt seiner

27 Vgl. die Angaben in Anm. 9. 28 Vgl. die Angaben in Anm. 12. 29 Vgl. die Angaben in Anm. 11. 30 Peter Strohschneider: Institutionalität. Zum Verhältnis von literarischer Kommunika­ tion und sozialer Interaktion in mittelalterlicher Literatur. In: Literarische Kommunikation und soziale Interaktion. Studien zur Institutionalität mittelalterlicher Literatur. Hrsg. von Beate Kellner/Ludger Lieb/Peter Strohschneider, Frankfurt a. M. 2001, S. 1–26, hier S. 16. 31 Ich zitiere die geschicht des pfarrers vom Kalenberg nach Narrenbuch. Kalenberger, Peter Leu, Neithart Fuchs, Markolf, Bruder Rausch. Hrsg. von Felix Bobertag, Berlin, Stuttgart o.  J. (Deutsche National-Litteratur Bd. 11), S. 7–86.



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Dorfpfarre ist dem Pfarrer nach einer ganzen Reihe von Narreteien und Provokationen ein letzter faux pas unterlaufen: Er hat die Abreise der Herzogin verschlafen, sie also nicht aus seiner Pfarre verabschiedet und fürchtet nun, bei Hofe nicht mehr willkommen zu sein. Um seinen Zugang zum Hof zu ermöglichen, nutzt er eine Gruppe von Bauern seiner Pfarre, die ihn bitten, ihnen eine Audienz beim Herzog zu verschaffen und denen er seinerseits einredet, dass sie sich dazu nackt ausziehen müssten, weil der Herzog im Bade sei. Natürlich sitzt der Herzog nicht im Bad, sondern mit seinem Hofstaat zu Tisch. Gleichwohl unterstreicht die Nacktheit der Bauern nur die Transgression der Grenze zwischen Hof und Nicht-Hof, höfischer Kommunikation und naturhafter Wildnis, die hier vollzogen wird.32 Denn die Kleidung des Höflings ist einer der wichtigsten Indikatoren seines sozialen Status und seines Renommees. Im höfischen Raum „reziproker Sichtbarkeit“33 entscheidet gerade die Kleidung, gewissermaßen seine zweite (soziale) Haut, über Nähe oder Ferne eines Höflings zum Fürsten, den Mittelpunkt des Hofs, auf den alle Blicklinien des Hofs ausgerichtet sind. Fehlt die Kleidung, so eröffnet die Nacktheit die Begegnung mit einer fremden Welt, die auch das zweite Kriterium höfischer Kommunikation: die Vokalität, massiv tangiert. Denn der Pfarrer vom Kalenberg treibt seine Bauern schweigend in den höfischen Festsaal. Er schweig do stil recht alß ein stumb heißt es im Text,34 wohingegen seine Bauern sich vor Scham wie die Schafe eng aneinanderdrängen: Sie schlichen erßling noch den bencken, sie kunden do nit wol gedencken, do mit sie mochten decken sich, sie schmuckten sich so jemerlich in einander recht wie die schaf.35

Scham aber ist ein – allerdings paradox angelegter – Modus der Dissimulation. Er will etwas verbergen, macht es aber genau dadurch sichtbar.36 Dementsprechend suchen die Bauern in der Öffentlichkeit und Kleiderpracht des Hofes ihre

32 Zu Logik und Technik der Transgression von Grenzen sowie die entsprechende Forschungsdebatte vgl. Transgression – Hybridisierung – Differenzierung. Zur Performativität von Grenzen in Sprache, Kultur und Gesellschaft. Hrsg. von Kathrin Audehm/Hans Rudolf Velten, Freiburg i. Br., Berlin, Wien 2007, S. 9–17 (Einleitung). 33 Strohschneider (Anm. 30), S. 11. 34 Geschicht des pfarrers vom Kalenberg (Anm. 31), V. 1301. 35 Geschicht des pfarrers vom Kalenberg(Anm. 31), VV. 1309–1313. 36 Vgl. dazu Katja Gvozdeva/ Hans Rudolf Velten: Einleitung. In: Scham und Schamlosigkeit. Grenzverletzungen in Literatur und Kultur der Vormoderne. Hrsg. von Katja Gvozdeva/ Hans Rudolf Velten, Berlin, New York 2011, S. 1–24 (Trends in Medieval Philology 21).

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Nacktheit zu verbergen, heben aber gerade damit erst den Skandal ihrer Grenzüberschreitung hervor. Das Schweigen des Pfarrers, gewissermaßen ihres Cicerone in die fremde Welt des Hofes, setzt genau diesen paradoxen Charakter der Dissimulation, etwas zu verschweigen, gerade dadurch aber zu offenbaren, in Szene. Stumm betritt er mit seiner Herde nackter Bauern den Festsaal; nur mit Schweigen reagiert er auf die Empörung der Bauern, die sehr bald realisieren, dass sie von ihm betrogen worden sind, eben damit aber das Gelächter des Hofs provozieren: Junckher, sprach ein pawer uber laut, wir hetten im des nit getraut, das er uns solt zu narren machen. Allererst hubens an zu lachen der fürst vnd auch die massanei.37

Dabei handelt es sich um ein Gelächter über die Bauern, die in dieser Welt des Hofes nichts verloren haben, zugleich aber auch um ein Gelächter der Akzeptanz, da der Fürst ihnen eben die Gnade gewähren will, um deretwillen sie an den Hof gekommen sind und die Schande ihrer Nacktheit ertragen haben. Unter dem Gesichtspunkt ihrer besonderen Leistung für eine Kommunikation von Fürst und Bauern, höchsten und niedrigsten Ständen, erweisen sich Gelächter und Schweigen also als gleichermaßen höchst ambivalent. Denn beide, sowohl das Gelächter des Hofs, als auch das Schweigen des Pfarrers, dienen der Annäherung und der Distanz, dem Umgang miteinander und der „Meidung“: so der ethnologische Arbeitsbegriff für Kontakt-, Sprech- und Berührungsverbote in bestimmten familiären Konstellationen unterschiedlicher Kulturen.38 Denn vor allem für exklusive Gesellschaften wie die höfisch-feudale des Mittelalters gilt: „Distanz muss gewährleistet werden, Nähe entschärft werden.“39 Wird Nähe dennoch hergestellt, wo sie eigentlich ausgeschlossen ist, so bedarf es sog. „Überbrückungsrituale“,40 die eben diese Realisierung des nicht Realisierbaren

37 Geschicht des pfarrers vom Kalenberg (Anm. 31), VV. 1325–1328. Schon vorher war das Gelächter des Hofes betont worden, das die nackten Bauern hervorrufen: Ir wart gelachet an dem hof hernach gar offt manche stund do auß vil reinem süessem mund (VV. 1314–1316). 38 Vgl. die Angaben in Anm. 9. 39 Beatrix Pfleiderer: Anlächeln und Auslachen. Zur Funktion des Lachens im kulturellen Vergleich. In: Lachen  – Gelächter  – Lächeln. Reflexionen in 3 Spiegeln. Hrsg. von Dietmar Kamper/Christoph Wulf, Frankfurt a. M. 1986, S. 338–352, hier S. 340. 40 Pfleiderer (Anm. 39), S. 340.



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ermöglichen. Schweigen und Gelächter sind – so meine These – solche „Überbrückungsrituale“. Sie sind in dem Sinn widersprüchlich, dass sie in ihrem Vollzug immer auch dessen Rücknahme zum Ausdruck bringen. So z. B. ist das Schweigen des Pfarrers ein klares Zeichen des Abbruchs von Kontakt. Er schafft schweigend Distanz zu Fürst und Hof, erreicht genau damit aber, dass ein Gespräch zwischen Fürst und Bauern überhaupt möglich und der Wunsch der Bauern vom Fürsten erfüllt wird: kein gnad wol wir an euch nit sparn, / wes ihr do pit, des seit gewerdt.41 Dementsprechend ist auch das Gelächter des Hofs exklusiv und inklusiv zugleich, ermöglicht also gleichermaßen Annäherung und Distanz. Es ist dieses Spiel der Nähe und der „Meidung“, das die Kommunikation von Fürst und Bauern in der Balance hält. Letztere ist, wie es für Balancen charakteristisch ist, keineswegs gesichert, sondern muss je neu austariert werden. Im Besuch der Bauern am Wiener Hof der Geschicht des Pfarrers vom Kalenberg gelingt diese Balance. In anderen Texten so z. B. im Dialogus Salomonis et Marcolphi droht sie immer wieder zu scheitern. Den wichtigsten Grund dafür sehe ich darin, dass Schweigen und Gelächter in diesem Text sehr viel stärker politisch codiert sind, und d.  h. als Ausdrucksformen königlicher Macht, Herrschaft und Gewalt in Szene gesetzt werden.

4 Codierung von Gewalt: Schweigen und Gelächter in der Frag und antwort Salomonis vnd Marcolfi (1487) Langdon Gilkey hat die politische Funktion des Schweigens („The political meaning of silence“) dahingehend bestimmt, dass es als Instrument der Macht und Gewalt gegen Andere, also ausschließlich destruktiv verwendet werde.42 Diesem Schweigen, das einem aufgenötigt werde, könne man nicht entkommen, es bedrohe und überwältige und könne sogar – in „the absolute negation of communication“ – eine ultimative Zerstörung („ultimate destruction“) ankündigen.43 Zwar ist diese radikale Form destruktiven Schweigens im politischen Handeln auch mittelalterlicher Akteure durchaus vorstell- und belegbar. Im komischen Roman des Mittelalters hingegen bleibt das bedrohliche und zumindest poten-

41 Geschicht des pfarrers vom Kalenberg (Anm. 31), VV. 1340 f. 42 Langdon Gilkey: The political Meaning of Silence. In: Philosophy Today 27.2 (1983), S. 128– 132. 43 Gilkey (Anm. 42), S. 129.

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ziell gewaltförmige Schweigen mit Gelächter verbunden, wird also lachend gemildert oder sogar im gemeinsamen Gelächter des Hofes aufgehoben. Auch in diesem Fall also bleiben Schweigen und Gelächter in einer höchst prekären Balance, die jederzeit in Gewalt umschlagen kann. Im Folgenden versuche ich, das an der Auseinandersetzung zwischen dem König Salomon und dem Bauern und Narren Markolf deutlich zu machen. Die Frag und antwort Salomonis und Markolfi in der ersten vollständigen Ausgabe von Marx Ayrer (Nürnberg 1487)44 beginnt ohne jede Vorbereitung mit der Begegnung von König und Bauer, die  – wie wir sahen  – im Kommunika­ tionsgefüge des feudalen Hofs eigentlich nicht vorgesehen ist: König Salomon sitzt, versehen mit allen Attributen seiner Macht, auf dem Thron, vor ihm stehen Markolf und seine Frau Policana, die insbesondere durch ihre groteske Hässlichkeit die Grenze zwischen König und Bauer noch zusätzlich unterstreichen, die hier überschritten worden ist. Dementsprechend ist der Text als Spiel auf und mit dieser Grenze konzipiert: zunächst als Redewettkampf von König und Bauer, in welchem – wie der Name sagt – fortwährend geredet, nicht geschwiegen wird; dann aber – im sog. Schwankteil des Textes – als Wechselspiel von Annäherung und erneuter Distanzierung, wobei als Spielformen in zahlreichen Fällen Schweigen und Gelächter Verwendung finden. Auch in diesem Fall ist – wie im Pfarrer vom Kalenberg  – das Wechselspiel von Schweigen und Gelächter als Spiel auf Leben und Tod angelegt. Salomon nutzt in diesem Kampf das Schweigen – ganz im Sinne von Gilkeys „political meaning of silence“  – als Drohgestus und Machtinstrument gegen Markolf. So z.  B. soll Markolf mit König Salomon zusammen wachen; sollte er einschlafen, soll er sein Leben verlieren.45 Salomons wichtigste Waffe in diesem Wettkampf ist das Schweigen. Zwar sitzt er mit dem Bauern zusammen, schafft mittels seines Schweigens aber eine erneute Distanz zwischen Markolf und ihm selbst, die sich für Markolf allerdings nicht zur Lebensgefahr auswächst, sondern ihm ganz im Gegenteil die Möglichkeit listig-komischer Interventionen schafft, die dann auch in ein allgemeines Gelächter münden. Eben damit aber ist Markolf bei Hofe wieder wohlgelitten, die Nähe zwischen König und Bauer bis zur nächsten Runde des Wettkampfs wieder möglich geworden. Dabei scheint

44 Ich zitiere den Text nach dem Faksimiledruck im Anhang zu Michael Curschmann: Marcolfus deutsch. Mit einem Faksimile des Prosa-Drucks von M. Ayrer (1487). In: Kleinere Erzählformen des 15. und 16. Jahrhunderts. Hrsg. von Walter Haug/Burghart Wachinger, Tübingen 1993 (Fortuna Vitrea 8), S. 240–255. 45 „Salomō sprach … Aber wirstu mit mir nit wachen diße nacht. so soltu mir verfallē sein dein haubt.“ (Frag und antwort Salomōis vn marcolfi (Anm. 44), Bl. bjv).



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mir der dauernde Wechsel von Nähe und Distanz der eigentliche Inhalt dieses Spiels auf Leben und Tod. Er hält die Kommunikation von König und Bauer, die aus dem Regelsystem des Hofs ausgeschlossen ist und hier dennoch realisiert wird, in genau der Schwebe von Annäherung und „Meidung“, die – so jedenfalls in diesem Text – offensichtlich die einzige Möglichkeit darstellt, sie überhaupt zu vollziehen. Denn nur die performative Dimension dieser Kommunikation von König und Bauer, dass sie vollzogen und zugleich zurückgenommen, dass sie realisiert, zugleich aber auch negiert wird, lässt es zu, dass sie in diesem Text so demonstrativ in Szene gesetzt wird. In einem der aggressivsten Auftritte Markolfs bei Hofe wird eben dieser Schwebezustand von Abwehr und Akzeptanz des Störenfrieds und Regelverletzers an den unterschiedlichen Formen des Schweigens gezeigt, zu denen Markolf gezwungen werden soll oder aber selbst bereit sein könnte. Da Salomon ihm in einer neuen Runde ihres Wettkampfes befohlen hatte, nur auf nackte, nicht z. B. von Teppichen bedeckte, Fußböden auszuspeien, hat Markolf einem glatzköpfigen Adligen bei Hofe auf die Glatze gespuckt und damit dessen Ehre massiv verletzt. In einem wahren Wortschwall lächerlichster Argumente sucht Markolf das zu rechtfertigen, was den von ihm geschändeten Herrn allerdings nicht davon abbringt zu fordern, dass er schweigen oder aber vom Hof vertrieben werden solle. Schweigen und Vertreibung erweisen sich gleichermaßen als Form, bzw. Konsequenz unmittelbarer Gewalt. Zugleich aber, und das geht entschieden über das Schweigen als Demonstration von Macht und Gewalt hinaus, führt Markolf das Schweigen als Voraussetzung seiner erneuten Re-Integration in den Hof und darüber hinaus als Garantie höfischen Friedens an: es werd newer frid so will ich schweigen46 antwortet er auf die Vertreibungsdrohung des geschändeten adligen Herrn und sichert damit nicht nur seine gerade noch massiv bedrohte Nähe zum König, sondern eröffnet auch eine weitere Funktionsbestimmung von Schweigen und Gelächter bei Hofe, die sich gerade nicht in beider Gewaltförmigkeit zeigt, sondern deren Gegenteil ermöglicht: die Schaffung sozialer Kommunikation und sozialen Friedens zwischen Ständen, deren Kommunikation bei Hofe bislang weitgehend ausgeschlossen war. Dazu abschließend noch ein kurzer Ausblick auf das Ulenspiegel-Buch (1510). Bekanntlich sind im Ulenspiegel-Buch einzelne Historien übernommen worden, die auch von anderen Schwankhelden, wie z. B. Strickers Pfaff Amis oder vom italienischen Hofnarren Gonella erzählt werden; wie sie in das Ulenspiegel-

46 Frag und antwort Salomōis vn marcolfi (Anm. 44), Bl. biiijv.

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Buch gelangt sind, ist bislang nicht eindeutig geklärt.47 Eine der bekanntesten Erzählungen dieser Gonella-Überlieferung ist für die Frage nach der Funktion von Schweigen und Gelächter im komischen Roman besonders interessant. Historie 2748 erzählt von Ulenspiegels unsichtbarem Gemälde für den hessischen Landgrafen, das dessen edle Herkunft, Familiengeschichte und politische Macht darstellen soll, das aber – so Ulenspiegels Bedingung – nur ehelich Geborene sehen können. Die eheliche Geburt aber ist der Kernpunkt genealogischer Herrschaftslegitimation des Adels. Wird sie in Frage gestellt, kann das nur, sofern die Herrschaft trotzdem geschützt werden soll, schweigend übergangen werden. Das Schweigen des Landgrafen, der Fürstin und des ganzen Hofs tritt hier nicht, anders als in der Frag und antwort Salomonis und Markolfij, als Machtund Gewaltgestus in Erscheinung, sondern als Modus der Herrschaftssicherung. Zwar sehen der Landgraf und sein Gefolge nur die weiße Wand, doch müssen sie davon schweigen, um zumindest den Anschein legitimer Herrschaft zu wahren. Das ändert allerdings nichts daran, dass sie Ulenspiegels Schalkhaftigkeit unterliegen und sich, wenn nicht die ganze Angelegenheit verschwiegen wird, lächerlich machen würden. Lächerlich zu werden wäre allerdings die schlimmste Verkehrung sozialer Identität des Fürsten und muss deshalb unter allen Umständen vermieden werden. Das einzige Mittel, das dies zumindest für eine kurze Zeit ermöglicht, ist das Verschweigen der Schande; wenn das nicht mehr hilft, bleibt auch in diesem Fall nur noch Ulenspiegels Vertreibung vom Hof.

5 Zusammenfassung Schweigen und Gelächter, das bestätigt auch dieser kurze Blick auf das Ulenspie­ gel-Buch, sind wichtige soziale Gesten bei Hofe, um eine Kommunikation zwischen Fürst und Bauer  – so in Salomon und Markolf  –, oder Fürst, närrischem Pfarrer und Bauern  – so in der Geschicht des Pfarrers vom Kalenberg  – oder zwischen Fürst und Schalksnarr  – wie im Ulenspiegel  – überhaupt zu ermög­ lichen. Zwar folgen sie unterschiedlichen Regeln und dienen unterschiedlichen Zwecken. Gemeinsam aber ist ihnen das Ziel, Annäherung und „Meidung“, Nähe und Distanz, in eine Balance zu bringen, die – zumindest für die Zeit des Lachens und Schweigens – ein Miteinander erlaubt. Diese Form von Vergemeinschaftung

47 Ausführlich dazu Wolfgang Virmond: Eulenspiegel und seine Interpreten, Berlin 1981. 48 Ich zitiere nach der Ausgabe Ein kurtzweilig Lesen von Dil Ulenspiegel. Nach dem Druck von 1515 mit 87 Holzschnitten. Hrsg. von Wolfgang Lindow, Stuttgart 1978.



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ist zwar niemals gesichert, sondern steht je neu in der Gefahr zu scheitern. Das ändert aber nichts daran, dass im komischen Roman die Annäherung von oben und unten, Herr und Knecht zumindest versucht und in einer höchst labilen Balance von Nähe und Distanz auch praktisch vollzogen wird, wohingegen im religiösen Diskurs des Mittelalters Schweigen und Gelächter Überlegenheit und Abwehr indizieren. Dieser Befund ist aus dem Grund besonders erstaunlich, da die christliche Verkündigung auf die Realisierung einer „Gemeinschaft in Christo“, d.  h. auf Nächstenliebe, Gemeinde und Kirche zielt, die höfische Kommunikation auf die Ausgrenzung der niederen Stände, auf soziale Privilegien und Exklusivität des Adels. Offensichtlich sind – so verstehe ich diesen Befund – gerade Gelächter und Schweigen dazu geeignet, die gewohnten Blickweisen auf die Möglichkeiten religiöser und höfischer Kommunikation zu verkehren und neue Perspektiven zu eröffnen. Man muss sie nur im Schweigen hören, im Verborgenen sehen und in allem gebotenen Ernst auch das Gelächter vernehmen.

Literaturverzeichnis A Texte und Quellen Curschmann, Michael: Marcolfus deutsch. Mit einem Faksimile des Prosa-Drucks von M. Ayrer (1487). In: Kleinere Erzählformen des 15. und 16. Jahrhunderts. Hrsg. von Walter Haug/ Burghart Wachinger, Tübingen 1993 (Fortuna Vitrea 8), S. 240–255. Hartmann von Aue: Gregorius der gute Sünder. Mittelhochdeutsch/Neuhochdeutsch. Mittelhochdeutscher Text nach der Ausgabe von Friedrich Neumann, Übertragung von Burkhard Kippenberg, Nachwort von Hugo Kuhn, Ditzingen 1983. Hennecke, Edgar/Schneemelcher, Wilhelm (Hrsg.): Neutestamentliche Apokryphen in deutscher Übersetzung, Bd. II. 6. Aufl., Tübingen 1997. Irenäus von Lyon: Adversus haereses. Gegen die Häresien, übers. und eingel. von Norbert Brax, Freiburg u. a. 1993–1997. Nag Hammadi Deutsch. Hrsg. durch die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Bd. 2: NHC V,2–XIII,1, BG 1 und 4. Hrsg. von Hans Martin Schenke/Hans-Gebhard Bethge/Ursula Ulrike Kaiser, Berlin, New York 2003. Narrenbuch. Kalenberger, Peter Leu, Neithart Fuchs, Markolf, Bruder Rausch. Hrsg. von Felix Bobertag, Berlin, Stuttgart o.  J. (Deutsche National-Litteratur 11). Ein kurtzweilig Lesen von Dil Ulenspiegel. Nach dem Druck von 1515 mit 87 Holzschnitten. Hrsg. von Wolfgang Lindow, Stuttgart 1978. Wesselski, Albert (Hrsg.): Die Begebenheiten der beiden Gonnella, Weimar 1920. Wolfram von Eschenbach: Parzival. Mittelhochdeutscher Text nach der 6. Ausgabe von Karl Lachmann, Übersetzung von Peter Knecht. Berlin, New York 1998.

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C Nachschlagewerke Enzyklopädie des Märchens. Handwörterbuch zur historischen und vergleichenden Erzählforschung. Begr. von Kurt Ranke. Hrsg. von Rolf Wilhelm Brednich, 13 Bde. Berlin, New York 1977–2010, Bd. 5: Fortuna – Gott ist auferstanden, 1987. Parsoff, Michel/Perrin, Michel: Taschenwörterbuch der Ethnologie. Hrsg. von Justin Stagl, 3. A., Berlin 2000. Religion in Geschichte und Gegenwart: Handwörterbuch für Theologie und Religionswissenschaft. Hrsg. von Hans Dieter Betz, 4., völlig neu bearb. A., 9 Bde., Tübingen 1998–2007. Wörterbuch der Völkerkunde, begründet von Walter Hirschberg. Neuausgabe, 2. Aufl. Berlin 2005.

Susanne Reichlin

Schweigen oder Verschweigen? Die Folgen der Namenlosigkeit im Lanzelet Ulrichs von Zatzikhoven Grenzsituationen höfischer Kommunikation ist oft eine eskalierende Logik eigen, indem z. B. eine verbale Kommunikation in non- oder paraverbale Aggressionen wie Gewalt oder spöttisches Lachen umschlägt. Doch nicht nur das Ende, auch der Anfang einer Kommunikation stellt eine Grenzsituation dar. Einer der Beteiligten muss das initiale Schweigen brechen und ein erstes Kommunikationsangebot setzen. Dies ist deshalb so risikoreich, weil er dabei sich und den anderen einseitig festlegen muss, beispielsweise als Freund oder Feind, als hierarchisch gleichgestellt oder nicht, als bekannt oder unbekannt.1 Selbstredend entwickeln Gesellschaften ritualisierte Formen, die solche Grenzsituationen entschärfen. In den Kommunikationsgesellschaften, die uns die höfischen Epen zeigen, stellen der gruoz und die mit ihm einhergehenden Gesprächskonventionen eine solch ritualisierte Form des Gesprächsanfangs dar. Besonders prägnant wird dies (aufgrund des Misslingens) am Beginn des Erec sichtbar. Die Gruppe um die Königin begegnet auf der Heide einem bewaffneten Ritter, einer juncvrouwe und einem Zwerg. Die Königin möchte wissen, wer der

1 Dies zeigt prominent Niklas Luhmann: Soziale Systeme. Grundriss einer allgemeinen Theorie. Frankfurt a. M. 1999 (stw 666), S. 148–190, hier S. 165, der von der „Unwahrscheinlichkeit“ von Kommunikation ausgeht: „Wenn jeder kontingent handelt, also jeder auch anders handeln kann und jeder dies von sich selbst und den anderen weiß […], ist es zunächst unwahrscheinlich, daß eigenes Handeln überhaupt Anknüpfungspunkte (und damit: Sinngebung) […] findet.“ Auch wenn Luhmann die Annahme der Unwahrscheinlichkeit zugleich als ‚methodischen Schachzug‘ darstellt (S.  162  f.) und man sie als Ausgangspunkt einer Kommunikationstheorie mit gutem Recht kritisieren kann, so verdeutlichen seine Überlegungen doch, dass das Aufeinandertreffen zweier Unbekannten eine ‚Grenzsituation‘ darstellt, weil sie sich gegenseitig festlegen müssen, damit die Kommunikation in Gang kommt. Vgl. dazu auch Harald Haferland: Höfische Interaktion: Interpretationen zur höfischen Epik und Didaktik um 1200, Berlin 1988 (Forschungen zur Geschichte der älteren deutschen Literatur 10), S.  37, S.  139, der vom „Nullpunkt der Interaktion“ spricht, der in Gegenseitigkeit überführt werden muss. Aus einer anderen, stärker historischen Perspektive stellt Mireille Schnyder: Topographie des Schweigens. Untersuchungen zum deutschen höfischen Roman um 1200, Göttingen 2003 (Historische Semantik 3), S. 49, den Redeanfang als prekär dar: „Denn der Anfang des Redens führt [gemäß den antiken und mittelalterlichen Grammatikern und Theologen] in eine Gefahrenzone ersten Grades, vom kleinen Lapsus der falschen Pronuntiatio oder des Stammelns bis zu rhetorischem Regelverstoß oder religiöser Versündigung durch das Wort.“

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Ritter ist. Obwohl Erec ihr anbietet, sich zu erkundigen, um wen es sich handelt, schickt sie ein Edelfräulein los.2 Dieses geht zum Zwerg, grüßt ihn von ihm und der Königin3 und fragt, wer der Ritter sei. Das Prekäre des Kommunikationsanfangs zeigt sich hier schon vor dessen Scheitern: Die Königin nimmt das Risiko des Kommunikationsanfangs nur vermittelt auf sich, indem sie die tiefer gestellte Figur losschickt. Diese adressiert ihrerseits die Person mit dem geringsten Rang, den Zwerg.4 Gleichwohl definiert ihr gruoz das Verhältnis beider Gruppen zueinander:5 Die Dreiergruppe wird als freundlich und nicht feindlich gestimmte höfische Fremde eingestuft. Mit dem gruoz des Edelfräuleins geht jedoch auch die (durch die einseitige Risikoübernahme legitimierte) Forderung einher, Wissen über den anderen (und damit Erwartungssicherheit) zu gewinnen. Entsprechend fragt das Edelfräulein, wer der Ritter sei, scheitert damit aber kläglich. Der Zwerg fordert sowohl sie als auch später Erec, der ein zweites Mal nach dem Namen fragt (E: 80 f.), zum Schweigen auf.6 Beide werden durch einen Geißelschlag zur Umkehr gezwungen. Dabei zieht der Zwerg die Legitimität der Kommunikations-

2 und wunderte die künegîn, / wer der ritter möhte sîn […] Êrec der junge man / sîn vrouwen vrâ­ gen began, / ob er’z ervarn solde. / diu vrouwe des niht wolde (E: 14–21). Zitiert wird im Folgenden (unter der Sigle E) nach folgender Ausgabe: Hartmann von Aue: Erec. Hrsg. von Manfred Günter Scholz, übers. von Susanne Held. Frankfurt a. M. 2004 (Bibliothek des Mittelalters 5). Vgl. zu dieser Szene Uwe Ruberg: Beredtes Schweigen in lehrhafter und erzählender Literatur des Mittelalters, München 1978 (Münstersche Mittelalter-Schriften 32), S. 184–188; Haferland (Anm. 1), S. 140 f.; Haiko Wandhoff: Âventiure als Nachricht für Augen und Ohren. Zu Hartmanns von Aue Erec und Iwein. In: ZfdPh 113 (1994), S. 1–22, hier S. 2–11. Er betont, dass die unêre Erecs darin gründet, dass die Königin zuschaut. Die „Auskunftsverweigerung“ werde durch die „Peitschenschrift“ sichtbar gemacht (S. 6). Vgl. weitere Forschungshinweise im Kommentar von Scholz. 3 Der Rang der Königin wird explizit hervorgehoben: mîn vrouwe hât mich her gesant, / diu ist künegîn über daz lant (E: 34 f.). 4 E: 32–43. Das stellvertretende Grüßen hat zur Folge, dass sich die Grußsituationen vermehren: Das Edelfräulein grüßt zuerst den Zwerg von sich aus (E: 32) und dann von Seiten der Königin (E:  37). Bei Chrétien hingegen will die pucele mit dem (von ihr als zu niedrig eingeschätzten) Zwerg nicht sprechen, sondern direkt den Ritter adressieren. Der Zwerg verweigert ihr jedoch den Weg. (ChE:  161–164). Der Erzähler Chrétiens beschreibt den Zwerg als plains [de felenie] (ChE: 164), während der Zwerg im Erec nur durch sein Benehmen als unhöfisch dargestellt wird; vgl. dazu den Kommentar von Scholz, S. 625. Chrétiens Erec et Enide wird (unter der Sigle ChE) zitiert nach Chrétien de Troyes: Erec und Enide. Hrsg. und übers. von Ingrid Kasten, München 1979 (Klassische Texte des romanischen Mittelalters in zweisprachigen Ausgaben 17). 5 Zum Gruß in der höfischen Literatur vgl. Haferland (Anm. 1), S. 139–145, der auch betont, dass der Gruß die „einfachste Form“ ist, „doppelte Kontingenz [zu] reduzier[en]“; vgl. zudem Schnyder (Anm. 1), S. 194–198. 6 daz getwerc wolde ir niht sagen / unde hiez si stille dagen (E:  44  f.). Zu Erec sagt er: lâ dîn klaffen sîn (E: 83).



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eröffnung wer der ritter wære (E: 39), grundsätzlich in Zweifel: waz wolde si der mære, / wer mîn herre wære? / ir ensît niht wîse liute, / daz ir sô vil hiute / gevrâget von mînem herren (E: 86–90).7 Die boshafte Äußerung des Zwerges zielt, wie diejenige anderer außerhöfischer Figuren, ins Zentrum der höfischen Kommunikation. Weshalb wird innerhalb von Grußsituationen nach dem Namen gefragt und was offenbart ein Ritter, wenn er seinen Namen nennt? Die Ritter der höfischen Epen antworten auf die Wer-Frage gewöhnlich nicht nur mit ihrem Namen, sondern sie fügen den Vatersnamen und das Land ihrer Herkunft hinzu. Wâlwein, sô heizet mîn name, / des küniges Artûses swester barn (L: 2494 f.) antwortet z. B. im Lanzelet der Musterritter.8 Der Name gibt so den Platz in der Gesellschaft zu erkennen: die genealogische Herkunft, die gesellschaftliche Stellung und eine allfällige Landesherrschaft.9 Wenn ein Ritter also beim gruoz nach seinem Namen gefragt wird, wird er einerseits aufgefordert, auf die impliziten Zuschreibungen des Grüßenden zu reagieren. Andererseits wird durch eine Namensnennung die vordergründig duale Kommunikationssituation auf die größere Kommunikationsgemeinschaft hin geöffnet. Denn mit dem Namen ist in der gut informierten Artuswelt ein ruof verbunden, also Wissen, das über einen Ritter oder seine Familie zirkuliert.10 Zugleich ermög-

7 Bei Chrétien muss die pucele nicht nach dem Namen fragen, sondern den Ritter und seine Begleiterin herbeiholen (ChE: 152 f.). Der Zwerg versperrt ihr den Weg (ChE: 163–174) und begründet dies damit, dass sie nicht gut genug ist, um mit dem buen chevalier zu sprechen (ChE: 173 f.). Der Zwerg eröffnet auch Erec gegenüber das Gespräch und verlangt von ihm, den er als Vasall (vassaus) anspricht, die Umkehr (ChE: 210–212). Bei Chrétien geht es somit weniger um den (prekären) Aufbau einer Kommunikation als vielmehr um die Frage, wer Zugang zum fremden Ritter erhält. 8 Diese Aussage ist topisch für die Gawan-Figur und steht dafür, dass der Musterritter nichts zu verbergen hat; vgl. dazu Ruberg (Anm. 2), S. 228. Vgl. zur entsprechenden Stelle im Lanzelet Ernst Soudek: Die Funktion der Namensuche und der Zweikämpfe in Ulrich von Zatzikhovens Lanzelet. In: Amsterdamer Beiträge zur älteren Germanistik 2 (1972), S. 173–185, hier S. 177 f. 9 Vgl. dazu insbesondere Jan-Dirk Müller: Höfische Kompromisse. Acht Kapitel zur höfischen Epik, Tübingen 2007, S.  170–224, insbes. 175, 186, 188. Zu Name und Herkunft u.  a.: Beate Kellner: Kontinuität und Herrschaft. Zum mittelalterlichen Diskurs der Genealogie am Beispiel des Buches von Bern. In: Mittelalter. Neue Wege durch einen alten Kontinent. Hrsg. von Jan-Dirk Müller/Horst Wenzel, Stuttgart, Weimar 1999, S. 43–62, insbes. S. 55 f.; Annette Volfing: Medieval Literacy and Textuality in Middle High German. Reading and Writing in Albrecht’s Jüngerer Titurel, New York u. a. 2007 (Arthurian and Courtly Cultures), S. 33–46. 10 Haiko Wandhoff: Iweins guter Name. Zur medialen Konstruktion von adliger Ehre und Identität in den Artusepen Hartmanns von Aue. In: Mittelalter. Neue Wege. Hrsg. von Müller/ Wenzel (Anm. 9), S. 110–126, hier S. 117: Obwohl Laudine Iwein noch nie gesehen habe, entscheidet sie sich wegen des „Renommées“ seines Namens dazu, ihn zu heiraten.

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licht die Namensnennung künftige Zuschreibungen: Auch die gerade stattfindende Begegnung wird am Namen haften und den ruof des Ritters weiter prägen. Wenn z. B. Keie nach der kläglichen Niederlage gegen Erec seinen Namen nicht nennen möchte, so in Furcht davor, dass die aktuelle Demütigung mit seinem Namen prägend verbunden wird (Erec, 4744–4786). Der Sieger Erec hat dagegen das Recht, seinen Namen zu verschweigen.11 Gleichwohl wird er von Keie an der Stimme erkannt (E: 4816–4859). Der Name verweist also auch auf einen Körper, der mit dem sozialen Platz der Person zwar eng verknüpft ist, aber nicht auf liche Zuschreibungen reduziert werden kann.12 Der Name kann gesellschaft­ so in der erzählten Welt als semiotischer Knotenpunkt fungieren, der auf Herkunft, Körperlichkeit und gesellschaftliche Zuschreibungen verweist und diese Verweise bündelt. Wie zuletzt Jan-Dirk Müller nochmals zusammenfassend gezeigt hat, berichten die höfischen Romane häufig und gern von den Dissoziationen, Spannungen oder Inkohärenzen zwischen diesen verschiedenen Verweisdimensionen.13 Neben diesen intradiegetischen Dimensionen des Namens darf jedoch die Rolle der Namen auf der Erzählebene nicht vernachlässigt werden. Die Erzählung beginnt im Lanzelet: Ein fürste was geheizen Pant, / der was künic ze Genewîs (L:  44  f.).14 Die traditionelle Eröffnungsformel verdeutlicht, dass Namen dazu dienen können, mit wenigen Worten den Rahmen eines erzählten Geschehens zu setzen: Mit dem Ortsnamen wird zugleich ein Raum, mit dem Figurennamen eine sich erstreckende Zeit vorausgesetzt. Auch wenn damit in mittelalterlichen Erzählungen keine die verschiedenen Episoden überdauernde, kohärente ‚fiktionale Welt‘ gesetzt wird, so sind Namen, die Singuläres voraussetzen oder gar setzen,15 gleichwohl eine Form Erzählen zu ermöglichen: Die Namen schaffen

11 Vgl. dazu Schnyder (Anm. 1), S. 212–215; Stefan Seeber: Keie der arcspreche – Spott und Verlachen im höfischen Roman um 1200. In: Mitteilungen des Deutschen Germanisten-Verbandes (2010), S. 8–22, hier S. 12 f. 12 Wandhoff (Anm. 10), S. 116 f., S. 119. Iweins Identität sei zweigeteilt in einen „Körper, den man sehen, und eine[n] Namen, den man hören kann“. 13 Müller (Anm. 9), S. 170–224, insbes. S. 195–224. 14 Zitiert wird der Lanzelet (unter der Sigle L) nach Ulrich von Zatzikhoven: Lanzelet. Text  – Übersetzung  – Kommentar. Studienausgabe. Hrsg. von Florian Kragl, Berlin 2009, der der Handschrift W (Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. 2698) folgt. Vgl. zur Überlieferung und Edition Florian Kragl: Lanzelet. Bd.  2: Forschungsbericht und Kommentar, Berlin 2006, S. 797–821, S. 830–852. 15 Vgl. zur sprachphilosophischen Dimension der Namen aus der Perspektive analytischer Philosophie: Ursula Wolf: Einleitung. In: Eigennamen. Dokumentation einer Kontroverse. Hrsg. von ders., Frankfurt a. M. 1993 (stw 1057), S. 9–42, hier S. 10 f.



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„Vertrautheit mit der Welt […]. Erst dann und daraufhin lässt sich von ihm [dem Unbestimmten] eine Geschichte erzählen“.16 Diese traditionelle Form der Texteröffnung nimmt der Lanzelet-Erzähler jedoch gleich darauf wieder zurück, indem er – anders als der Erzähler von Chrétiens Lancelot oder der des Prosa-Lancelot – den Namen des Helden (und Sohn des Pant) nicht preisgibt.17 Bereits im Prolog hat er angekündigt, dass der Name des Protagonisten noch […] unbekant sei18 und dementsprechend bezeichnet er ihn dann als unser helt, der ungenande oder der êrbære usw.19 Dieses Nebeneinander von Namenssetzung (Vater) und Namensentzug (Sohn) verdeutlicht, dass

16 Hans Blumenberg: Arbeit am Mythos, Frankfurt a.  M. 2006 (stw 1805), S.  41. Gemäß Blumenberg schafft der Name einerseits „Appellationsfähigkeit“ (S. 22) und damit die Hoffnung der Beeinflussung durch Anrufung (im magischen, kultischen oder bloß performativen Sinne). Andererseits stehe der Name auch da, wo der eigene Horizont auf den des anderen trifft. Man könne die Anwesenheit des anderen auf dessen Namen delegieren (S. 28). 17 In Chrétiens Karrenritter weiß Lancelot seinen Namen, sagt ihn aber nicht; die Lesenden erfahren ihn aus dem Mund der Königin (ChL 3677); im Prosa-Lancelot weiß der Held seinen Namen nicht. Als er ihn erfährt, ist die Identitätssuche aber noch nicht abgeschlossen, und der Held verheimlicht den Namen weiterhin. Vgl. zur Namensnennung in diesen beiden Werken Uwe Ruberg: Die Suche im Prosa-Lancelot. In: Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur 92 (1963), S.  122–157, hier S.  124–127; René Pérennec: Artusroman und Familie. Das welsche buoch von Lanzelete. In: Acta Germanica 11 (1979), S. 1–51, hier S. 9–14. Müller (Anm. 9), S. 205–215, bezeichnet es für die Lancelot-Romane als charakteristisch, dass die Vaterposition unbesetzt ist. Sie müsse dann narrativ wieder gefüllt werden (S. 187). Reto R. Bezzola.: Le sens de l’aventure et de l’amour (Chrétien de Troyes). Paris 1947, S. 33–45; Walter Haug: Das Land, von welchem niemand wiederkehrt: Mythos, Fiktion und Wahrheit in Chrétiens Chevalier de la Charrette, im Lanzelet Ulrichs von Zatzikhoven und im Lancelot-Prosaroman, Tübingen 1978 (Untersuchungen zur deutschen Literaturgeschichte 21), S. 28, S. 31, S. 33. 18 noch denn was im unbekant, / wi er selbe was genant / und welhes adels er wære, / unz daz der helt mære / geschuof mit sîner manheit, / daz im sîn name wart geseit (Lanzelet, 31–36). Der Erzähler suggeriert damit, dass der Held selbst dafür verantwortlich sei, dass ihm sein Name gesagt werde. Er deutet damit die Heteronomie des Erzählers gegenüber der erzählten Welt an. Vgl. dazu unten Abs. 5–6. Vgl. zum Prolog James A. Schultz: ‚Lanzelet‘. A Flawless Hero in a Symmetrical World. In: PBB 102 (1980), S. 160–188, hier S. 161–164; Nicola McLelland: Ulrich von Zatzikhoven’s Lanzelet. Narrative Style and Entertainment, Cambridge 2000 (Arthurian Studies 46), S. 33–49; Almut Münch: Die Nebenfiguren in Ulrichs von Zatzikhoven Lanzelet: „iu enwirt mê niht geseit/von ir dewederem ein wort“ (V. 3674 f.), Frankfurt a. M. 2005 (Europäische Hochschulschriften. Reihe 1, Deutsche Sprache und Literatur; 1917), S. 37–64. 19 Vgl. z. B. L: 3476: unser helt; L: 1685: ritter âne namen; L: 1287: der ungenande; L: 1076: der jun­ gelinc; L: 1395: de[r] stolze […] wîgand […]; L: 1689: der êrbære; L: 1896: der junge ritter; L: 1903 f.: de[r] tiurliche […] wîgant, / des namen dâ nieman was erkant. Die rhetorische Figur dafür ist retar­ datio nominis oder die Antonomasie, d.  h. eine Apposition oder ein Charakteristikum steht (metonymisch) für den Protagonist bzw. bezeichnet ihn. Vgl. zur verspäteten Nennung des Helden Bezzola (Anm. 17), S. 33–61; Pérennec (Anm. 17), S. 9–11; Ruberg (Anm. 17), S. 126 f. Müller

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nicht nur im Rahmen einer ersten Begegnung in der höfischen Welt, sondern auch beim Erzählen ein initiales Schweigen20 gebrochen werden muss – und auf unterschiedliche Art und Weise gebrochen werden kann. Indem der Erzähler den Namen des Helden verschweigt, weist er in der Erzählung auf dieses initiale Schweigen zurück. In diesem Sinne soll im Folgenden genauer analysiert werden, wie und mit welchen Folgen in Ulrichs von Zatzikhoven Lanzelet der Name einerseits vom Erzähler, andererseits von den Figuren verschwiegen wird. Bevor dies analysiert werden kann, gilt es jedoch, zumindest ansatzweise, das Verhältnis von Schweigen und Verschweigen zu klären.

1 Schweigen vs. Verschweigen Verschweigen ist nicht gleich Schweigen. Dennoch fällt es schwer, den Unterschied, den die Silbe ausmacht, genauer zu bestimmen. Denn Schweigen ist ein paradoxer Kommunikationsakt: „Wer redet, braucht nicht zusätzlich zu betonen, er rede. Aber wenn das Schweigen verschwiege, daß es Schweigen ist, würde man es dann als Schweigen erkennen?“21 D. h. Schweigen ist erst aufgrund eines spezifischen Erwartungshorizontes, der unerfüllt bleibt, oder aufgrund verbaler oder nonverbaler Markierungen problemlos als Schweigen erkennbar.22 Entsprechend schwierig ist es deshalb zu entscheiden, ob ein Schweigen etwas mitteilen will oder nicht.23 Das plötzliche Verstummen, das trotzige Schweigen oder das taktische Verschweigen produzieren fast immer Erwiderungen und werden damit als Mitteilungen gedeutet. Dennoch wäre Schweigen kein so schwer greifbares Phä-

(Anm.  9), S.  199, postuliert für den Parzival, dass der gleichnamige Held seinen Namen dann erhalte, wenn er in die Geschichte eintritt. Seine kollektive Rolle sei im Namen vorgezeichnet. 20 Vgl. dazu Schnyder (Anm. 1) S. 47–68, hier S. 48: „[A]ußerhalb der vom Text […] eingerichteten Ordnung gehört dieses Schweigen [vor dem Reden] einer fremden Vorwelt an – und existiert doch nur da, wo Rede ist. Denn nur, weil diese in die ihr fremde Welt einbricht […], wird sie erschaffen.“ 21 Alois Hahn: Schweigen als Kommunikation und die Paradoxien der Inkommunikabilität. In: Norm und Krise von Kommunikation. Inszenierungen literarischer und sozialer Interaktion im Mittelalter. FS Peter von Moos. Hrsg. von Gert Melville u. a., Berlin 2006 (Geschichte. Forschung und Wissenschaft 24), S. 93–113, hier S. 93. Vgl. zu den Paradoxien des Schweigens auch Schnyder (Anm. 1), S. 47 f., S. 69 f., S. 80. 22 Hahn (Anm. 21), S. 93 f. 23 Ebd. S. 94. Hahn betont dementsprechend, dass man nicht nur nicht weiß, was ein Schweigen bedeutet, sondern auch nicht, ob es etwas bedeuten soll.



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nomen, wenn nicht davon ausgegangen würde, dass es auch ein nicht-signifikatives Schweigen gibt, d.  h. eines, das keine Kommunikation darstellt.24 In historischer Perspektive betonen sowohl Ruberg als auch Schnyder, dass bereits die antiken und mittelalterlichen Rhetoriker Schweigen als Bestandteil der Kommunikation verstanden haben.25 Schnyder zeigt aber zugleich an Augus­tinus auf, wie „unmöglich“ die Grenzziehung zwischen dem bedeutungsvollen (oder ‚beredten‘) und dem absoluten Schweigen ist: Auch wenn das ‚beredte‘ Schweigen in Kommunikationsprozesse eingebunden sei, habe es doch zugleich „Teil an dem, was dieser Sprache nicht zugänglich ist“.26 Auch in den nachstehenden literaturwissenschaftlichen Analysen wird sich die Schwierigkeit dieser Grenzziehung zeigen (Abs. 3, 5). Auf der einen Seite kann prinzipiell jedes Schweigen – sowohl in der Handlungswelt als auch von Seiten des Interpreten – als Kommunikation interpretiert werden. Auf der anderen Seite kann aber immer auch (mit sprachlichen Mitteln) beobachtet werden, was keine Kommunikation darstellt oder was aus einer Kommunikation ausgeschlossen wird. Aus dieser Perspektive werden dann etwa das ‚Schweigen‘, das einer Erzählung vorangeht, oder die (kulturellen) Grenzen höfischer Kommunikation sichtbar. Deshalb soll

24 Danièle James-Raoul: La parole empêchée dans la littérature arthurienne. Paris 1997 (Nouvelle bibliothèque du Moyen âge 40), S.  99, unterscheidet in Anlehnung an Rudolph Allers zwischen einem „silence significatif“ (oder „figure pleine“) und einem „silence muet“ (oder „figure du vide“). Ruberg (Anm. 2), S. 11, geht ebenfalls von der Differenz zwischen einem „beredten“ und einem „absoluten“ Schweigen aus und schränkt seine Untersuchung auf das „beredte Schweigen“ ein. Niklas Luhmann/Peter Fuchs: Reden und Schweigen. In: Reden und Schweigen. Frankfurt a. M. 1989 (stw 848), S. 7–20, hier S. 17 f., grenzen das in die Kommunikation einbezogene Schweigen von einem „Schweigen ohne Anschlussfähigkeit“ ab. Schnyder (Anm. 1), S. 66–68, versucht diese Unterscheidung stärker zu historisieren. Von Augustinus ausgehend differenziert sie zwischen dem „absoluten Schweigen“, zu dem das göttliche Wort und die Erkenntnis Gottes im ‚inneren Wort‘ gehören, und dem „sprachlichen Schweigen“, das ein „stummes Denken“ sei, aber deshalb auch an die Endlichkeit der Sprache gebunden ist. Sie weist aber auch auf die Unmöglichkeit solcher Grenzziehungen hin, vgl. dazu unten Anm. 29. Hahn (Anm. 21), S. 104, unterscheidet zwischen „Unausgesprochene[m]“ und „Unaussprechliche[m]“. Luhmann/ Fuchs (Anm. 24), S. 13, S. 18, formulieren differenziert: „Sollte man von einem transzendentalen Schweigen sprechen? Keineswegs! Denn es handelt sich ja nicht um etwas, was die Grenzen der Erfahrung überschreitet. Es geht nur um die Grenzen der Kommunikation, um die Grenzen der Gesellschaft.“ Schnyder (Anm. 1), S. 47–87, zeigt dagegen, wie dieses ‚Andere‘ der Kommunikation je nach Diskurs und historischem Zeitraum anders beobachtet und konzipiert wird. 25 Ruberg (Anm. 2), S. 11, zitiert dazu Papias, der wiederum die Definitionen von Augustinus und Isidor modifiziert. Schnyder (Anm. 1), S. 69 f. 26 Schnyder (Anm. 1), S. 69–71, hier S. 70; vgl. auch S. 80: „Eine Einbindung in die verbale Kommunikationsstruktur erfasst eine Seite der Wirkung des Schweigens, nicht aber das Phänomen. ‚Beredtes Schweigen‘ ist ein beruhigender Etikettenschwindel.“

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die Unterscheidung (signifikatives vs. absolutes Schweigen) im Folgenden nicht auf der Phänomen-, sondern auf der Beobachtungsebene angesiedelt werden:27 Ein ‚Schweigen‘ kann sowohl als signifikativ, und damit als Kommunikationsakt, als auch als Moment, das die Grenzen der Kommunikation zum Vorschein bringt, beobachtet werden. Auf den ersten Blick lässt sich das Verhältnis von Schweigen und Verschweigen als Effekt der oben diskutierten Unterscheidungen verstehen. Meist wird das Verschweigen als Nicht-Sagen-Wollen konzipiert, d.  h. als intentionales oder taktisches Schweigen, das deshalb auch als Mitteilung verstanden wird. Davon wird dann das Schweigen als Nicht-Sagen-Können abgegrenzt, d.  h. wenn etwas aus physischen, psychischen oder diskursimmanenten Gründen nicht gesagt werden kann.28 In narrativen Texten ist die Unterscheidung von Schweigen und Verschweigen jedoch komplexer, als mit der Unterscheidung von Nicht-SagenWollen und Nicht-Sagen-Können suggeriert wird. Denn das Verschweigen bzw. Nicht-Sagen-Wollen ist nicht als solches gegeben, sondern ist Behauptung des Erzählers, des Interpreten oder eine handlungsinterne Beobachtung. Die Unterscheidung zwischen Nicht-Sagen-Können und Nicht-Sagen-Wollen ist somit dem Rezipienten immer nur als Zuschreibung zugänglich. Dadurch verwischt die klare Grenzziehung zwischen Nicht-Können und Nicht-Wollen. So kann z.  B. Lanzelet mehrfach seinen Namen nicht sagen (weil er ihn nicht weiß), während sein Gegenüber unterstellt, dass er ihn verschweigt (d.  h. nicht sagen will). Wenn im Folgenden analysiert wird, inwiefern mittels des verschwiegenen Namens Grenzsituationen höfischer Kommunikation thematisiert werden, gilt es deshalb, vermehrt auch die Beobachter zu berücksichtigen.29 Entsprechend soll nicht primär nach den Gründen für die Namenlosigkeit des Helden gefragt, sondern ihre Folgen beobachtet werden. Es werden zuerst die Begegnungen des Helden mit ihm unbekannten Figuren analysiert: Situationen also, in denen einerseits das prekäre initiale Schweigen gebrochen werden muss und in denen andererseits

27 In Anlehnung an Luhmann/Fuchs (Anm. 24), S. 8 f., S. 17 f. 28 Vgl. James-Raoul (Anm. 24), S. 99 f., die zwischen einer „cessation involontaire de parler (on ne peut pas parler)“ und einer „abstention consciente de cette faculté (on ne veut pas parler)“ [Herv. D. J.-R.] unterscheidet. 29 Dabei ist auch zu bedenken, dass narrative Texte mit sprachlichen Mitteln vom Schweigen und Verschweigen erzählen. Jedes erzählte Schweigen ist somit Teil eines Sinngefüges und je nach Wortwahl und Szene ganz anders kulturell und historisch semantisiert. Vgl. dazu Ruberg (Anm. 2), S. 176–182, der Lexeme des Schweigens auflistet und diskutiert. Vgl. für die verschiedenen Formen und Konnotationen des Schweigens in der höfischen Literatur Schnyder (Anm. 1), S. 89–218.



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Lanzelet seinen Namen nicht sagen kann. Dies führt zu drei prominenten nonbzw. paraverbalen Reaktionen, nämlich Lachen, Schweigen und Gewalt. Der fehlende Name spielt jedoch nicht nur in der direkten Kommunikation eine wichtige Rolle, sondern auch bei den Gerüchten, die am Artushof über Lanzelet zirkulieren. Es wird ausführlich geschildert, wie über den Helden berichtet wird und wie dabei Verschweigen und Gerede, fehlender Name und fama einander bedingen. Dabei erlangt der Name des Helden schon Geltung, als er noch ungesagt ist. In einem dritten Schritt sind sodann die erzähltheoretischen Dimensionen des verschwiegenen Namens zu analysieren. Denn zum einen fallen die vielen Erzählerbemerkungen auf, in denen dieser hervorhebt, was er gerade verschweigt. Zum anderen verschweigt der Erzähler auch den Lesenden Lanzelets Namen und reflektiert so ansatzweise, welchen Stellenwert ein Name für den Aufbau eines Helden und einer sogenannten fiktionalen Welt hat. Abschließend ist zu untersuchen, wie sich diese verschiedenen Formen des Verschweigens auf den einzelnen Erzählebenen gegenseitig rahmen und wie hier Ironie und Schweigen eine eigentümliche Symbiose eingehen.

2 Namenlosigkeit des Helden Lanzelets Auszug aus dem Lebensraum der Kindheit erscheint vordergründig geradezu als Initiations- oder Schlüsselszene einer sich um den Namen rankenden ritterlichen Identitätssuche. Lanzelet wird von einer merfeine (L:  180) aufgezogen, nachdem sein Vater von seinen Vasallen getötet worden ist. Er wächst in einem nur von Frauen bewohnten Reich auf und will mit 15 Jahren den daraus entstehenden Mangel30 beheben und Ritterschaft schouwen (L:  304  f.). Beim Abschied fragt er die Meerfee, wer seine mâge seien, wan ich enweiz, wer ich bin. / di zît hân ich vertriben hin, / daz ich mich es innenclîche schamen – / ich en weiz niht mînes namen (L: 314–318). Der namenlose Held thematisiert also gleich am Beginn sein ‚Manko‘ selbst. Die Frage nach den Gründen der Namenlosigkeit wird so konsequent aufgeworfen, aber keineswegs kohärent beantwortet. Denn zuerst verweigert die Meerfee Lanzelet die Antwort vollständig: ern [Name] wirt dir nimer geseit (L: 320). Da sich der Held mit dieser Antwort nicht zufrieden gibt, entspinnt sich ein Dialog, in dem mehrere intertextuell bekannte Motive für die

30 Er was an allen enden / wîse und manhaft, / wan daz er umb ritterschaft / enwiste ditz noch daz, / wan er ûf ros nie gesaz (L: 294–298).

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Namenlosigkeit miteinander verknüpft werden. Als erstes verweist die Meerfee auf ihr schamen und […] manicvalt nôt (L: 322) und zitiert so das Motiv der vergangenen Schuld auf der Ebene der Elterngeneration an (Gregorius).31 Anschließend meint sie, der Held sei für die Kenntnis des Namens noch ze kint (L: 324). Damit wird die Doppeldeutigkeit von name als Eigenname und Tugendattribut aufgerufen: Erst wenn der Held sich ritters namen erworben hat, erhält er auch seinen Eigennamen.32 Dies wird nun mit dem dritten Motiv, der Rächer- oder Retterrolle, die zu einem Namen führt, verknüpft.33 Die Meerfee verlangt von Lanzelet, dass er sich für sie am besten Ritter und ihrem Feind (Iweret) rächen soll, dann erfahre er seinen Namen. Diese drei Begründungsmotive der Namenlosigkeit werden jedoch im weiteren Verlauf des Romans kaum weiterverfolgt. Lanzelet wird Iweret weder suchen noch nach ihm fragen. Ebenso wenig entwickelt er sich Schritt für Schritt zu einem tugendhaften Ritter, sodass er nach der dritten Aventiure ritters namen verdient hätte. Und auch Lanzelets Rache an Iweret ist dem Roman kaum mehr als eine Episode wert, bei der dann auch nicht die Rache, sondern die Minne zu Iblis im Vordergrund steht.34 Damit zeigt sich schnell, vor welchen Problemen die Interpreten und Interpretinnen des Lanzelet stehen. So ist aufgrund der unklaren Datierung35 offen, was als intertextueller Horizont des Textes vorausgesetzt werden kann. So hat man einerseits vermutet, es handle sich um Spuren einer früheren oder auch

31 Vgl. Ruberg (Anm. 17), S. 124, der die ähnliche Erklärung der Fee im Prosa-Lancelot auf diejenige im Lanzelet bezieht und sie als „Relikt aus älterer Lancelot-Tradition“ versteht. Vgl. zum Verschweigen des Namens aus Scham Schnyder (Anm.  1), S.  212–214; zum Verschweigen des Namens im Gregorius Ruberg (Anm. 2), S. 159–168. 32 Im Prosa-Lancelot beweist die Namensvergabe gemäß Ruberg (Anm. 17), S. 126, den Rang des besten Ritters und den „Platz in der genealogischen Kette“; ähnlich Müller (Anm. 9), S. 209 f. 33 Auch im Iwein und im Prosa-Lancelot hängt der Namenserhalt mit einer Retterrolle zusammen; vgl. Ruberg (Anm. 17), S. 123 f.; Müller (Anm. 9), S. 197 f.; Wandhoff (Anm. 10), S. 123 f. 34 Vgl. Schultz (Anm. 18), S. 166: „One tends […] to assume that Lanzelet, having been told the conditions under which he will learn his name, will constantly try to fulfill those conditions; but this is not the case at all.“ Wenn Lanzelet zum Sohn der Meerfee und Iweret komme, glaube er z. B., dass er nach Pluris reite. Ebenso bleibe Lanzelet selbst „indifferent to his namelessness“ (S. 167). 35 Der einzige sichere Datierungshinweis ist die im Epilog erwähnte Gefangennahme von Richard Löwenherz. Ulrich sagt, ihm sei das welsche buoch von Lanzelete durch eine der Geiseln bekannt geworden (L: 9322–9341). Der Terminus post quem ist somit um 1193/94, der Terminus ante quem muss sich auf die Rezeptionszeugnisse stützen (insbesondere Rudolfs Literaturkataloge, die Ulrich erwähnen); vgl. zur Datierungsfrage den Forschungsüberblick bei Kragl, Forschungsbericht und Kommentar (Anm. 14), S. 901–907; vgl. zur mittelalterlichen Rezeption des Lanzelet ebd., S. 1062–1070, und ders.: Studienausgabe (Anm. 14), S. 533 f.



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neben Chrétien bestehenden ‚anderen‘ Artustradition,36 andererseits sind die vielen, z.  T. auch tendenziell parodistischen Bezüge und Motivparallelen37 zu den höfischen Romanen kaum zu übersehen und so wird der Roman in der relativen Chronologie meist nach dem Erec und eine allfällige französische Vorlage nach Chrétien angesetzt.38 Ebenso ist umstritten, ob der Reihung der Episoden eine Struktur zu Grunde liegt oder nicht. Nachdem der Roman länger als strukturlos abqualifiziert worden ist,39 bauen spätestens seit Kurt Ruh die meisten Interpretationen auf einer Strukturanalyse auf.40 Meist wird dabei die Namensvergabe

36 Klaus Grubmüller: Die Konzeption der Artusfigur bei Chrétien und in Ulrichs Lanzelet. Mißverständnis, Kritik oder Selbständigkeit? Ein Diskussionsbeitrag. In: Chrétien de Troyes and the German Middle Ages. Papers from an International Symposium. Hrsg. von Martin H. Jones/ Roy A. Wisbey, London 1993 (Arthurian Studies), S. 137–149, hier S. 148 f., plädiert dafür, dass die französische Vorlage „unabhängig von Chrétien“ entstanden sei. 37 Vgl. z. B. die Aufzählung der Motivkorrespondenzen bei Kurt Ruh: Der Lanzelet Ulrichs von Zatzikhofen. Modell oder Kompilation? In: Deutsche Literatur des späten Mittelalters. Hamburger Colloquium 1973. Hrsg. von Wolfgang Harms/Peter L. Johnson, Berlin 1975, S. 47–55, hier S. 49, und Stefan Seeber: Poetik des Lachens. Untersuchungen zum mittelhochdeutschen Roman um 1200, Berlin 2010 (MTU 140), S. 124, Anm. 192. Seeber betont, dass zwar viele parodierende Bezüge möglich seien (z.  B. zu Iweins Brunnenabenteuer, Enites Pferd etc.), dass diese aber auch wieder so allgemein seien, dass daraus keine Schlussfolgerungen für die relative Chronologie gezogen werden könnten; ähnlich Silvia Ranawake: The Emergence of German Arthurian Romance: Hartmann von Aue and Ulrich von Zatzikhoven. In: The Arthur of the Germans. The Arthurian Legend in Medieval German and Dutch Literature. Hrsg. von ders./William H. Jackson, Cardiff 2000 (Arthurian Literature in the Middle Ages), S. 38–53, hier S. 49. 38 René Pérennec: Ulrich von Zazikhoven: Lanzelet. In: Mittelhochdeutsche Romane und Heldenepen. Hrsg. von Horst Brunner, Stuttgart 1993 (RUB 8914), S. 129–145, hier S. 142–144, nimmt z. B. eine Entstehung nach dem Erec und dem Parzival an, und die französische Vorlage möchte er nach Chrétien ansetzen; vgl. auch Ruh (Anm.  40), S.  49  f., S.  54  f., der von einer tionen „Umbesetzung“ des Artusromans Chrétiens spricht. Die meisten jüngeren Interpreta­ gehen ebenfalls von (möglichen) Bezugnahmen auf die Romane Chrétiens sowie zumindest Hartmanns Erec aus; vgl. dazu Kragl, Forschungsbericht und Kommentar (Anm.  14), S.  901– 907. 39 Vgl. zu den kritischen Urteilen der frühen Forschung u. a.: Ruh (Anm. 40), S. 48 f.; Münch (Anm. 18), S. 15–36; Kragl, Forschungsbericht und Kommentar (Anm. 14), S. 963 f. Ebenso wird der Text bis heute als ‚Unterhaltungsroman‘ bezeichnet; vgl. McLelland (Anm. 18), S. 46, S. 78. Pérennec (Anm. 41), S. 144, spricht wiederum von einer „provozierende[n] Trivialität“. 40 Ruh (Anm. 40), S. 51 f., betont die Zweiteiligkeit der Struktur sowie das „Gesetz der Steigerung“ im ersten Teil. Vgl. auch ders.: Höfische Epik des deutschen Mittelalters, Bd. II: Reinhart Fuchs, Lanzelet, Wolfram von Eschenbach, Gottfried von Straßburg, Berlin 1980 (Grundlagen der Germanistik 25), S. 34–49; sowie schon früher Soudek (Anm. 8), S. 181 f. Im ersten Teil geht es Ruh zufolge darum, das ritterliche Tugendsystem zu erlernen, im zweiten Teil muss Lanzelet sich für die Interessen der Gesellschaft einsetzen. Diese Strukturierungspunkte werden in der

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als zentraler Wende- oder Mittelpunkt des Romans bestimmt:41 Im ersten Teil irrt Lanzelet (dem Gros der Analysen zufolge) umher, kämpft gegen drei außerhöfische Väter (bzw. Onkel) und erobert dadurch jeweils eine Frau. Diese verliere er aber jeweils wieder, weil der angeborene und der erworbene Namen noch nicht zusammen gefunden haben.42 Lanzelet erfahre deshalb erst nach dem Kampf mit Iweret seinen Namen und seine Verwandtschaft (er ist ein Vetter von Artus). Nun könne er sich in die Artusgesellschaft integrieren, die er davor immer nur in­kognito besucht hat. Es folgt der zweite Teil, in dem Lanzelet erneut, nun aber im Verbund der Artusritter, drei Aventiuren besteht, doch werden nun nicht mehr Töchter, sondern Herrinnen ‚gerettet‘. Je nach Interpretation geht es in diesem zweiten Teil darum, Lanzelet in die Artuswelt zu integrieren,43 das Höfische

Folge von den meisten Interpreten übernommen und nur noch leicht variiert. Vgl. Pérennec (Anm. 17), S. 16–18, sowie ders.: Lanzelet, S. 133–140; Haug (Anm. 17), S. 52–61. Vgl. zu weiteren Strukturierungsvorschlägen generell den ausführlichen Forschungsüberblick bei Kragl, Forschungsbericht und Kommentar (Anm. 14), S. 963–1020. 41 Ruh (Anm. 40), S. 50, versteht die Namensfindung als „psychologisch formuliert: Zu-sichselber-kommen, Selbstverwirklichung“. Der strukturelle Mittelpunkt ist ihm zufolge jedoch nicht die Namensfindung, sondern der Sieg über Valerin, der die „Artuswürdigkeit“ des Helden beweist. Bei Soudek (Anm. 8), S. 175, steht dagegen die Namensfindung im Zentrum. Dabei gehen die meisten Interpretationen von einer „progressiven Struktur“ bezüglich des Minneverhaltens, der Ritterlichkeit und der Herrschaftstugenden des Helden aus. Die jüngeren Arbeiten nehmen aber zugleich einen statischen, immer schon perfekten Helden an; so Pérennec (Anm.  41), S. 133–139. Schultz (Anm. 18), S. 173–175, S. 181, deutet die Episode in Schâtel le mort, die Begegnung mit Iweret und Iblis sowie die Namensvergabe als Zentrum einer statischen Struktur, in der dreifach Lanzelets Vortrefflichkeit demonstriert werde. Vgl. auch Edith Feistner: Er nimt ez allez zeime spil. Der Lanzelet Ulrichs von Zatzikhofen als ironische Replik auf den Problemhelden des klassischen Artusromans. In: Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Literaturen 232 (1995), S. 241–254, hier S. 249; McLelland (Anm. 18), S. 75–78; Kragl, Studienausgabe (Anm. 14), S. 539–543, S. 552 f.; vgl. zudem unten Anm. 45, 47,55. 42 Gemäß Müller (Anm. 9), S. 186–192, ist die erste Hälfte des Romans eine „Irrfahrt“. Lanzelet habe den „angeborene[n] und den erworbenen Namen, Geburt und Bewährung“ noch nicht miteinander verknüpft. Deshalb verliere er auch die ‚gewonnenen‘ Frauen wieder (188 f.). Er erfahre zuerst den kollektiven Namen (riters name) und erst später den eigenen, nachdem er durch den symbolischen Tod in Schâtel le mort hindurchgegangen sei. Mit der Herrschaftsübernahme am Ende des Romans würden dann auch der „Name und durch Verdienst erworbener Ruhm“ zusammenfinden (S. 191); vgl. weitere ähnliche Interpretationen Anm. 47 und 55. 43 Ruh (Anm. 40), S. 52–54; Kragl, Studienausgabe (Anm. 14), S. 542; Haiko Wandhoff: Der epische Blick. Eine mediengeschichtliche Studie zur höfischen Literatur, Berlin 1996 (Philologische Studien und Quellen 141), S. 217 f., nimmt an, dass Lanzelet im zweiten Teil neben seiner eigenen êre die des Hofes verteidigen muss. Gemäß Pérennec (Anm. 17), S. 17 f., wird die vordergründige Integration des Helden durch die nicht vorhandene Idealität des Artushofes wieder relativiert.



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gegen das Außerhöfische zu verteidigen44 oder die Macht der Minneherrinnen zu brechen bzw. den „Bann des Minnedienstes“ aufzuheben.45 Seit einiger Zeit werden jedoch solche Interpretationen auf der Basis einer zweigeteilten, progressiven Struktur der Kritik unterzogen: Man schließe damit doch allzu sehr an die Chrétien-Hartmannschen Romane an und unterstelle eine sinnstiftende Progression  – oder gar Entwicklung  –, obwohl der Roman von einem durchgehend idealen Helden erzählt und die Art der Reihung der Episoden eher an die späthöfischen Romane erinnert.46 Deshalb wird vermehrt vorgeschlagen, dass nicht die Struktur, sondern der Erzähler oder die Erzählhaltung die verschiedenen heterogenen Episoden zusammenhalten.47 Der Erzähler

44 Armin Schulz: Der neue Held und die toten Väter. Zum Umgang mit mythischen Residuen in Ulrichs von Zatzikhoven Lanzelet. In: PBB 129 (2007), S. 419–437, hier S. 424, S. 428, schlägt vor, dass der Roman erzählt, wie eine „archaische Welt durch eine moderne höfische abgelöst“ wird. Lanzelet befreie die ersten drei Frauen aus ihrer endogamen Beziehung zum (heldenepisch dargestellten) Vater und löse sich so selbst aus der mythischen Welt seiner Kindheit (dem Feenreich). Der Held schaffe „mit brachialer Gewalt kulturkonstitutive Grenzziehung[en]“ (S.  431). Durch die Namensnennung werde er zu einem Teil der Artuswelt. Dementsprechend gehe es im zweiten Teil darum, die höfische Welt gegen die Eingriffe des Außerhöfischen zu verteidigen (S. 431–433). Dabei bleibe aber die Ambivalenz des Höfischen bestehen, insbesondere in Bezug auf die „Sphäre des Weiblichen“ (S. 433–436). 45 Feistner (Anm. 44), S. 251, liest Lanzelet in enger Korrespondenz zu Chrétiens Karrenritter. Lanzelet sei „wie sein klassischer Namensvetter [ein] Erlöser, freilich im ironisch-parodistischen Sinn. […] [E]r, für den die Frau ein Mittel zum Zweck ist, um sich als namenloser Ritter einen Namen zu machen, bzw. um den genealogischen Fortbestand zu sichern, […] holt die Minne von den Höhen literarischer Stilisierung auf die realitätshaltigere Ebene patriarchalischer Strukturen zurück“. 46 Schultz (Anm. 18), S. 167–182, hier S. 167, kritisiert überzeugend, dass die „progressive patterns“, die ihm zufolge nur auf der Oberfläche angesiedelt sind, zum Zentrum der Interpretation gemacht und auf eine Entwicklung des Helden bezogen werden. Stattdessen handle es sich um einen Text, der von einem statischen, d.  h. von Beginn an perfekten Helden erzähle und der symmetrisch um den Iweret-Kampf herum aufgebaut sei (S. 181 f.). McLelland (Anm. 18), S. 63–70, S. 75–78, postuliert ähnlich wie Schultz, dass der symmetrische Aufbau nicht einem „moral development“ entspreche. Vgl. zudem Ranawake (Anm. 40), S. 47; Seeber (Anm. 40), S. 83, S. 125, S. 104, Anm. 113, betont z. B., dass Lanzelet sowohl in der ersten Aventiure als auch in der dritten kurz vor der Namensnennung seinen Gegner tötet. Deshalb könne nicht von einer Entwicklung ritterlicher Werte die Rede sein. Zum anderen verweist er auf die „Divergenz zwischen dem Erzählerkommentar, der einen perfekten Helden insinuiert, und der Handlung […], die einen fehlbaren Helden zeigt, dessen Vergehen keine Folgen zeitigen.“; siehe dazu unten Anm. 50. Kragl, Studienausgabe (Anm. 14), S. 544 f., nimmt dagegen an, dass der Text seine Ereignisse übermotiviert und der Held alle Aufgaben allzu problemlos löst. 47 Seeber (Anm.  40), S.  114  f.; McLelland (Anm.  18), S.  49–61, S.  78. Schultz (Anm.  18), S. 165, betont, dass die Aussagen des Erzählers und das Verhalten des Helden besonders bzgl. der Minne nicht übereinstimmten. Kragl, Studienausgabe (Anm. 14), S. 553 f., postuliert im An-

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adressiert das Publikum, distanziert sich ab und zu vom Erzählten und reflektiert Erzählkonventionen. Mehrfach wurde diese Erzählhaltung als komisch, parodistisch oder ironisch beschrieben.48 Während McLelland vor allem den Unterhaltungsaspekt betont, versteht Seeber die Ironie zugleich als Kritik an problematischen Verhaltensformen des Helden oder des Artushofes.49 Dabei wird mehrfach problematisiert, wie schwer sich Ironie aufgrund der veränderten Kontexte und Rezeptionsgewohnheiten bestimmen lässt, da selbstredend auch Ironiesignale kontextabhängig sind.50 Vergleicht man die verschiedenen Interpretationen diesbezüglich miteinander, fällt auf, dass über die Ironie bei den Erzählerkommentaren Einigkeit, über Ironie auf der Handlungsebene dagegen Uneinigkeit herrscht. Ob beispielsweise durch das Zugleich von Brutalität und Idealität in einer Szene ein ironisch-kritischer Kommentar zum Rittertum gemacht wird51 oder ob es sich um  – aus der Perspektive des Textes  – unproblematische Gewalt handelt, lässt sich kaum entscheiden. Im Folgenden soll deshalb nicht von einer durchgängig ironischen Erzählweise ausgegangen, aber der Erzähler und seine Kommentare eng in die Argumentation einbezogen werden, da viele Verschweigensbehauptungen des Erzählers unter Ironieverdacht stehen. Die Diskussion über die ironische Verwendung von Motiven betrifft auch die Namenlosigkeit. Während die meisten Interpretationen nach den Gründen der

schluss daran die grundsätzliche Gegenläufigkeit von histoire und discours: Lanzelet „klettere auf verschiedenen Skalen Rang für Rang nach oben. Doch zahllose Erzählerkommentare und Figurenreflexionen zeichnen das Bild eines idealen, makellosen Helden.“ Die Gegenläufigkeit von Erzähl- und Handlungsebene ist ein ergiebiger Ansatzpunkt, auf den zurückzukommen ist. Doch ist zu beachten, dass der Erzähler und die Handlungsebene viel weniger kohärent sind, als Kragl suggeriert. Der Erzähler distanziert sich z. B. auch oft von seinem Helden, kurz darauf lobt er ihn wieder, vgl. dazu unten Abs. 5. 48 Pérennec (Anm. 17), S. 33, erkennt sowohl einen „humoristischen Suche-Roman“ als auch eine Erzählung „in einem neutraleren Farbton […] unter dem Zeichen der Reproduktion“; Feistner (Anm. 44), S. 245, 251, liest den gesamten Roman als „ironische Replik“ auf die klassischen höfischen Romane; vorsichtiger Ranawake (Anm.  40), S.  49. Gemäß Nicola McLelland: Stil und Dialog. Stilistische Variation im Lanzelet. In: Dialoge. Sprachliche Kommunikation in und zwischen Texten im deutschen Mittelalter, Hamburger Colloquium 1999. Hrsg. von Nikolaus Henkel u. a., Tübingen 2003, S. 41–59, hier S. 43, S. 46 f., entsteht Komik dadurch, dass verschiedene Stile und Motivtraditionen miteinander vermischt werden. 49 McLelland (Anm. 18), S. 49–61, 78; Seeber (Anm. 40), S. 120–127. 50 Kragl, Forschungsbericht und Kommentar (Anm.  14), S.  1043–1045; Feistner (Anm.  44), S. 252–254; Seeber (Anm. 40), S. 115–118. 51 Vgl. Seeber (Anm. 40), S. 120–127; dagegen lesen andere die bei Seeber erwähnten Beispiele unironisch; so Müller (Anm. 9), S. 191, zu Schâtel le mort; Hans Fromm: Komik und Humor in der Dichtung des deutschen Mittelalters. In: DVjs 36 (1962), S. 321–339, hier S. 332 f.



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Namenlosigkeit und der Namensfindung fragen,52 gibt es seit Pérennec die These, dass die Namenssuche im Lanzelet ein nur noch anzitiertes oder komisch gewendetes Motiv sei.53 Geht man von der episodischen und an Digressionen reichen Erzählweise aus, so prägen nicht die Gründe, sondern vielmehr die Folgen des verschwiegenen Namens den Roman.54 Die Namenlosigkeit des Helden produziert – so ließe sich in Anlehnung an das Thema des Sammelbandes formulieren – Grenzsituationen der höfischen Kommunikation. D. h. das Fehlen des Namens bringt konventionalisierte höfische Kommunikationsabläufe ins Stocken und macht so allenfalls Kommunikationskonventionen sichtbar. Wird dieses kommunikative Stocken mehrmals wiederholt, können unterschiedliche Lösungs- bzw. Anschlussmöglichkeiten durchgespielt und aufeinander bezogen werden.

3 Die nicht zu leistende Namensnennung Bei Lanzelets Auszug aus dem Feenreich hebt der Erzähler die ritterliche Unbedarftheit Lanzelets hervor: Er kann nicht reiten, und so bestimmt das Pferd seinen Weg.55 Am zweiten Tag reiten sie auf eine Burg zu, vor der ein Zwerg steht, der

52 Soudek (Anm. 8), S. 181: Lanzelet müsse erst das „ritterliche Ehr- und Tugendsystem“ erlernen, bevor er seinen Namen erhalte. Ruberg (Anm. 17), S. 125, glaubt, Lanzelet erhalte seinen Namen, weil er im Kampf mit Iweret zum Besten aller Ritter geworden sei. Ruh (Anm. 40), S. 50, versteht die Namensfindung als „Zu-sich-selber-kommen“. Ulrike Zellmann: Lanzelet. Der biographische Artusroman als Auslegungsschema dynastischer Wissensbildung, Düsseldorf 1996 (Studia humaniora 28), hier S. 224–250, liest die Namensvergabe als Übergang von der ado­ lescentia zur iuventus. Müller (Anm. 9), S. 188–191, nimmt an, dass Lanzelet neben dem Namen der Vater, der ihn „mit einem berühmten Geschlecht“ verbindet, fehle (S.  190); vgl. zudem Anm. 45, 47. 53 Pérennec (Anm. 17), S. 9–14, versteht den Lanzelet als parodistische Reaktion auf das Motiv der „Namensfindung“ als „Identitätssuche“ (S.  11). McLelland (Anm.  18), S.  68  f. nimmt an, dass das Motiv aus den höfischen Romanen übernommen worden sei. Da nun aber ein statischer Held (ohne Entwicklung) in späthöfischer Tradition damit konfrontiert wird, stelle es bloß noch ein Hindernis dar. Kragl, Forschungsbericht und Kommentar (Anm. 14), S. 1181–1185, und ders.: Studienausgabe (Anm. 14), S. 547–549, weist ähnlich wie Pérennec die „Identitätssuche im emphatischen Sinne“ zurück (S. 548). Es handle sich um eine bloße „Informationssuche“. 54 Als einziger kehrt Schultz (Anm. 18), S. 167, die Perspektiven um: „[…] namelessness has been introduced not for its effect on him [Lanzelet] but for its effect on us.“ Gemäß Schultz bewirkt die Namenlosigkeit einerseits „suspense“ und andererseits suggeriert sie Kohärenz, dadurch dass die Namensfrage lange offen bleibt und dann doch noch zum Abschluss gebracht wird. 55 Vgl. zu den Bezügen zu anderen ‚naiven‘ Helden (Parzival, Perceval) Zellmann (Anm. 55), S. 191–199. Vgl. Ruberg (Anm. 2), S. 226 f., zum schweigenden Tor Antanôr im Parzival. Vgl. gene-

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Lanzelets Pferd sogleich einen Geißelschlag versetzt. Lanzelet erkennt – anders als Erec – diesen Begrüßungsakt nicht als einen unhöfischen: der degen […] / di unzuht unhôhe wac (L: 434 f.). Ein zweiter Geißelschlag trifft ihn selbst und hat zur Folge, dass er der Burg nun doch zürnt (L: 440 f.). Dennoch rächt er sich nicht am Zwerg, wan er dûht in ze swach (L: 439), sondern fragt nach dem Namen des wirtes (L: 446), also nach einem Gleichrangigen. Er erfährt jedoch nur den Namen der Burg: Plûrîs (L:  448). Bei Lanzelets erster Begegnung außerhalb des Feenreichs interpretiert der jungelinc somit ein unhöfisches Verhalten als Normalfall. Erst der zweite Geißelschlag, dessen Gewalt ihm direkt gilt, verändert diese Haltung. Durch die Wiederholung wird sichtbar, dass kommunikative Grenzüberschreitungen zwar perspektivenabhängig sind, aber bei großer Intensität auch von kulturell wenig eingeübten Figuren erkannt werden. Lanzelets Missbilligung des Geißelschlags führt zu keiner Eskalation der Gewalt, sondern die Rache wird – wie die Frage nach dem wirt andeutet – aufgeschoben. Doch während Chrétiens Erzähler Erecs Aufschub der Rache (für den Geißelschlag) aufwändig verteidigt56 und so zu verstehen gibt, dass dieser problematisch sein könnte, stellt der Lanzelet-Erzähler die Rache nicht als dringlich dar.57 Gleichwohl wird der ungerächte Gruß drei- und fünftausend Verse später erneut aufgegriffen: Nach dem erfolgreichen Turnier am Artushof klagt Lanzelet Walwein von seinem Erlebnis in Pluris und tut seine Absicht kund, dahin zu reiten (L: 3502–3505). Er kommt jedoch zuerst nach Schâtel le mort (L: 3550) und damit zu der Aventiure, in deren Folge ihm sein Namen bekannt wird. Nachdem er auch noch Valerin (den Entführer Ginovers) am Artushof besiegt hat, macht er sich erneut nach Pluris auf. Nun verfügt er über Erzählungen des Artushofes und weiß deshalb im Voraus, was ihn erwartet (L: 5430–5469): Der Zwerg ist Teil einer Aventiure, bei der der Herausforderer gegen 100 Ritter kämpfen muss. Doch noch bevor Lanzelet in Pluris ankommt, wird betont, dass Lanzelet dem [getwerc] dâ vertruoc / […], daz ez in sluoc, / dô er zem êrst ûz reit (L: 5469–5471). Anders als im Erec wird also der am Beginn ungelöste Konflikt nicht mehr ausgetragen. Stattdessen wiederholt sich das, was Lanzelet bereits in seinen frühen Aventiuren begegnete: Er bringt die Aventiure siegreich hinter sich und muss dafür eine

rell zur „Absenz von Sprechfähigkeit“ von Kleinkindern und Stummen in der höfischen Literatur Schnyder (Anm. 1), S. 103–111. 56 ChE: 225–232. 57 Stattdessen entsteht der Eindruck, der Erzähler konfrontiere verschiedene Perspektiven auf den Helden und mit solchen des Helden. So wird Lanzelets Reiten aus Sicht der ihn verabschiedenden Damen aus dem Feenreich beschrieben (L: 410–413). Ebenso weist der Erzähler durch Einschübe auf die naive Sicht des Helden hin (L: 402, 432 f.).



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Frau (Königin) heiraten. Dieser kann er sich, anders als in den früheren Aventiuren, nicht mehr so leicht entziehen und gerät deshalb in eine einjährige Minnegefangenschaft.58 Der Erzähler kommentiert dies folgendermaßen: har zuo geriet der geiselslac, / der Lanzelete wart geslagen. / ez enkan iu nieman gesagen, / wie klein dinc dem man gefrumet / und waz im wol oder übel kumet (L: 5540–5544). Im Vordergrund steht somit nicht eine aufgeschobene Rache, die ein junger Ritter erst nach ritterlichen Lehrjahren vollziehen kann, sondern der erzählerische Witz, einem Detail nach vielen Einschüben (und spät im Erzählverlauf) noch eine (kausale) Wirkung zu geben. Gerade mittels der explizit thematisierten kausalen Motivation werden somit die Unveränderlichkeit des Helden oder die Grenzen einer progressiven Entwicklung sichtbar.59 Während also Lanzelet in seiner ersten Begegnung außerhalb des Feenreichs gewalttätig begrüßt wird, kommt es in den zwei nächsten Episoden zwar zum verbalen Gruß, doch stockt die Kommunikation bei der Namensnennung. Lanzelet trifft als zweites auf den Jüngling Johfrit, der ihn grüßt und bittet, etwas ruhiger zu reiten, damit sie aneinander vorbeikommen (L: 478–481). Er deutet zugleich Lanzelets ungelerntes Reiten als Minnebuße und bittet ihn am Ende wortreich, ihm (um der Geliebten willen) seinen Namen zu sagen: ich gesach, sît ich wart geborn, / nie man in disem lande, / den ich sô gern erkande. / dâ von vrâge ich âne nît / daz ir mir saget, wer ir sît; / iuwern namen sult ir mir zellen. […] durch die vrouwen, di ir minnent, / so ensult ir mich des niht verdagen, / swaz ir mir mit fuoge meget gesagen (L: 508–520). Lanzelet übernimmt sogleich den passionierten Redegestus seines Gegenübers. Er erklärt genauso wortreich, dass er zwar nichts verheimlichen möchte, aber dennoch seinen Namen nicht sagen könne: mînes namen ich iu niht gezeln kan, / wan ich in selbe nie bevant. / mîn friunde sint mir unbekant, / dar zuo hân

58 Aus dieser wird er erst wieder befreit, als die Botin der Meerfee dem Artushof von Lanzelets Gefangenschaft auf Pluris berichtet und die Artusritter ihn daraufhin befreien (L: 6158–6179). Die Botin bringt damit (sowie mit der Mantelprobe) zugleich das mære (L: 5709), das das Fastengebot am Artushof aufhebt. 59 Auch darauf weist der Erzähler in einer vielzitierten Stelle augenzwinkernd hin: dô muose aber briuten / der wipsælig Lanzelet (L: 5528 f.); vgl. dazu Anm. 95. Die Deutung der gesamten Pluris-Episode ist jedoch umstritten. In der Folge von Ruh (Anm. 40), S. 53, wird sie oft als Bewährung oder Bestätigung der Liebe zu Iblis gelesen; vgl. Pérennec (Anm. 17), S. 26; Kragl, Studienausgabe (Anm. 14), S. 541. Dagegen betont Schultz (Anm. 18), S. 176 f., dass hier Lanzelets Überlegenheit durch seine Wirkung auf Frauen demonstriert werde. Vgl. zudem zu dieser Episode in Bezug auf die drei vorangehenden Aventiuren: Pérennec (Anm. 41), S. 135–138; Feistner (Anm. 44), S. 249–251; Schulz (Anm. 47), S. 433 f.

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ich vermisset gar, / wer ich bin und war ich var (L: 524–528). Er berichtet zudem – was er später nie mehr tun wird60 – von seiner Kindheit im Feenreich (L: 530  ff). Anstelle des Namens bietet er somit Johfrit eine Erzählung, die das komische Reiten und das Verschweigen des Namens erklärt. Johfrits Antwort besteht erstmals in einem Lachen: Der rede lachen began / Johfrit, der hübsche man (L: 561 f.). Ihn erheitert, wie der Erzähler erklärt, die Diskrepanz zwischen dem unhöfischen Reiten und der höfischen Rede.61 Diesem lachen kommt zugleich eine extradiegetische Funktion zu: Es hebt die (komische) Diskrepanz zwischen den Aussagen und dem Verhalten des Helden hervor, die im Medium der Sprache tendenziell eingeebnet und deshalb nur schwer zu vermitteln ist. Trotz der agonalen Ausgangssituation (schmaler Weg, der für beide tendenziell zu eng ist62) kommt es somit in dieser Begegnung zu keiner aggressiven Konfrontation. Dank Johfrits Fehldeutung (Minnebuße63) wird vielmehr der diskursive Rahmen der Grußsituation verschoben: Referenzsystem ist nicht der ritterliche, sondern der Minne- und allenfalls Freundschaftsdiskurs. In diesem Rahmen wird Lanzelets Abweichung vom gewöhnlichen (Kommunikations-)Verhalten nicht als aggressiv wahrgenommen, sondern der Minne (und ihren Folgen) zugeschrieben. Entsprechend weckt das abweichende Verhalten Neugier nach der dahinter stehenden Erzählung. Johfrits Gruß und seine spezifische Form der Frage nach dem Namen erscheint so als Werben um die Erzählung (Lanzelets) und die Freundschaft.64

60 Seeber (Anm. 40), S. 89, Anm. 60, betont die Inkonsistenz der Figur, da Lanzelet bei Johfrit und bei Linier offen von der Namenlosigkeit spricht, aber beim Turnier in Djofle sagt, er empfinde die Namenlosigkeit als Schande (L: 3227). 61 sîn geverte dûht in spæhe. er jach, daz er nie gesæhe / deheinen kindischen degen, / der sô schœner worte kunde pflegen / und doch sô tôrliche rite (L: 563–567). Leicht anders gewichtet dies Seeber (Anm. 40), S. 104, der von einer „Differenz zwischen Anspruch und Wirklichkeit“ ausgeht: Johfrit lache über den höfisch aussehenden Ritter, der nicht reiten kann (S. 91). Das Lachen trage so auch „Züge einer Überlegenheit“ (S. 90). 62 Auch andernorts im Roman wird ironisch mit der traditionellen Wegsymbolik umgegangen. Vgl. dazu Pérennec (Anm. 17), S. 33–37; Feistner (Anm. 44), S. 245 f. 63 Vgl. zur Minnebuße Feistner (Anm.  44), S.  246, die es als intertextuelle Anspielung liest: Johfrit habe „zuviel Dichtung im Kopf“; Kragl, Forschungsbericht und Kommentar (Anm. 14), S. 1101. 64 Johfrit lehrt Lanzelet das Reiten und lädt ihn zu sich auf die Burg ein. Hierbei führt er ihn bei den vrouwen so ein, dass diese ihn höfisch grüßen und nicht nach Name und Herkunft fragen (L: 610). Damit wird eine weitere Lösung der Gruß- und Namensproblematik aufgezeigt: die Einführung durch einen Dritten. Die Drittperson bürgt für das Vertrauen und ermöglicht so eine Beziehung zwischen zwei Unbekannten, die es nicht notwendig macht, Vertrauensvorschüsse wie die Namenspreisgabe von ihnen zu erfordern.



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Nach der ersten Aventiure, die einerseits durch eine verkehrte Werbung der Wirtstochter, andererseits durch Lanzelets Bruch mit den Geboten der Gastfreundschaft ausgelöst wird (L:  742–1112),65 bereitet in der zweiten Aventiure erneut die Grußsituation Probleme. Anstatt mit einem Friedenszeichen66 reitet Lanzelet in voller Rüstung auf eine Burg zu und wird deshalb von den Männern des Burgherrn (Linier) angegriffen. Dank der Vermittlung von dessen Nichte wird er dem bereits zornigen Burgherrn vorgestellt: Dieser fragt, wer er sei, und Lanzelet antwortet salopp: ich bin mit vröude hi vor erzogen / und enweiz nuo, wer ich bin (L: 1674 f.). Der Burgherr gewan dô […] der mære [einen wüetenden sin] (L: 1676 f.). Er deutet Lanzelets Aussage als schimpf (L: 1678) und sperrt ihn in einen Turm. Die Namenlosigkeit wird als aggressives, ja spöttisches Verschweigen sowie als Überlegenheitsgeste67 gedeutet und führt zum Kommunikationsabbruch.68 Die Nichte kann das Schweigen zwischen den Gesprächspartnern aufheben, indem sie eine ritualisierte Lösung für die Anmaßung Lanzelets vorschlägt: Er soll die Aventiure der Burg auf sich nehmen, an deren Ende und Höhepunkt der Zweikampf mit dem Burgherrn steht. Wie bei der Begegnung mit dem Zwerg führt somit auch hier der kommunikative Stillstand nicht zu direkter, ungehemmter Gewalt, sondern zu einem Aufschub des Konflikts, der später durch die ritua­ lisierte Form der Aventiure gelöst (bzw. beendet) wird.69 Der Gesprächsabbruch hat jedoch zur Folge, dass Liniers Fehldeutung des nicht genannten Namens nicht korrigiert werden kann  – so wie dies in der Johfrit-Szene möglich war.

65 Die Szene hat gemäß Seeber (Anm. 40), S. 106 f. einen „komischen Reiz“, weil die Frau um den Mann wirbt und die Minne auf „sexuelles Begehren“ reduziert wird. McLelland (Anm. 51), S. 47 f. spricht diesbezüglich von Schwankstrukturen. 66 Jeder, der auf die Burg zureitet, muss einen Ölbaumzweig als Friedenszeichen mit sich führen (L: 1377–1396). Ansonsten fuor man sô übel mite, / daz er nimmer genas (L: 1390 f.). Der Erzähler kommentiert zweideutig: dirr sit was verborgen. / daz kom im ze sorgen, / dem stolzen wîgande, / der sîn selbes niht erkande (L: 1393–1396). 67 Denn im Kampf muss der siegreiche Ritter (wie anhand des Erec gesehen) seinen Namen nicht nennen. Seeber (Anm.  40), S.  103, betont, dass Liniers „Empfänglichkeit für Spott“ als „Zeichen mangelnder Größe“ beschrieben werde und generell Spott als unziemliches Verhalten erscheine (S. 100); ähnlich Seeber (Anm. 11), S. 9 f. 68 Doch zugleich scheint sich die Fehldeutung Liniers auf Lanzelet zu übertragen. Denn im Turm, ohne Licht und voller unsûberkeite (L:  1691), war im [der ritter âne namen] al sîn nôt ein gamen (L: 1685 f.). D. h. Lanzelet ist so sorglos, wie ihm das der Burgherr zuschreibt. Feistner schließt aus dieser Szene auf einen „geradezu provozierend fröhlichen Helden“ (Anm. 44, S.  246); Seeber (Anm.  40), S.  102, dagegen meint, dass Lanzelet seine „Situation“ nicht „adäquat“ einschätzen könne. 69 Die Aventiuren sind in dem Roman – im Vergleich mit den anderen klassisch höfischen Romanen – besonders stark ritualisiert. Der Held begegnet nicht einem Gegner, sondern er wird vorab genau darüber informiert und muss oft die Aventiure konkret auslösen (z. B. L: 1725–1759).

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Linier glaubt deshalb, einen leichtgewichtigen Gegner vor sich zu haben, der – wie er dem Publikum vor dem Kampf erklärt – allez zeim spil (L: 1882) nehme. Gleich darauf tötet Lanzelet den Burgherrn vor den Augen des geladenen Publikums und macht so die verheerenden Folgen des Gesprächsabbruchs sichtbar. In den Begegnungen mit Linier und Johfrit werden somit (Ver-)Lachen und (Ver-)Schweigen aneinander gekoppelt und zwar einmal auf eine eskalierende und einmal auf eine deeskalierende Art und Weise: Linier deutet das Nicht-Sagen des Namens als Verschweigen und leichtfertiges Verlachen seiner selbst und bricht die Kommunikation ab. Im ritualisierten Kampf will er sein Gegenüber zur Ernsthaftigkeit zwingen und bezahlt für seine Fehldeutung mit dem Tod. Dabei erscheinen Verlachen und Verschweigen als aggressive, Konflikte schürende Kommunikationsgesten, doch handelt es sich hierbei um Fehldeutungen, d.  h. Zuschreibungen. Zum Problem werden also nicht die Kommunikationsgesten ‚Verlachen‘ oder ‚Verschweigen‘, sondern deren Unterstellung. In der Begegnung mit Johfrit wird dagegen die deeskalierende Wirkung von lachen und Schweigen sichtbar. Johfrits lachen weist die aufgerufene Handlungsalternative des Verlachens der naiven Figur ab70 und verschiebt den Deutungsrahmen aus dem ritterlich-höfischen in den Minne­kontext. Dabei handelt es sich zwar auch um eine Fehldeutung, doch verweist diese intratextuell auf eine weitere Begegnung Lanzelets mit dem hübschen swîgære (L: 6641), die sehr viel später diesen Deutungsrahmen näher explizieren wird (L: 6575–6672): Weil er zu viel über seine Geliebte geredet hatte, muss der stumme Gilimâr (L: 6597) Buße tun, indem er schweigt. Sein Schweigen gilt nicht primär seinen Kommunikationspartnern, sondern ist an seine Geliebte gerichtet, der es die Selbstkontrolle und Heimlichkeit des Minneverhältnisses vor Augen führen soll. Weil die Artusritter, die ihm begegnen, um den Minnekontext wissen, deuten sie das Schweigen nicht als aggressiv.71 In allen diskutierten Szenen72 wird somit die eskalierende oder deeskalierende Wirkung des Schweigens in Relation zu unterschiedlichen Deutungsrah-

70 Vgl. dazu Seeber (Anm. 11), S. 12–20; Ruberg (Anm. 2), S. 226 f. 71 Feistner (Anm.  44), S.  250, liest dagegen den schweigenden Gilimâr als Negativbeispiel dafür, was geschieht, wenn sich die Männer den Frauen untertan machen. 72 Daneben wäre auch noch die am Beginn kurz erwähnte erste Begegnung mit Walwein zu diskutieren. Lanzelet antwortet auf Walweins höflichen Gruß aggressiv und stellt ihn als guote […] rede âne werc (L: 2453) dar. Dennoch gibt sich Walwein auf Lanzelets Unterstellung, er verheimliche seinen Namen, offen zu erkennen (L: 2494 f.), während Lanzelet nicht nur seinen Namen nicht sagt bzw. sagen kann, sondern auch vorgibt, er sei gar nicht der Gesuchte (L: 2518). Hier hat somit Lanzelet die Gesprächshaltung von Linier übernommen und unterstellt nun seinerseits, der andere verschweige etwas; vgl. dazu auch Anm. 8, 86.



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men plausibilisiert: Während das Schweigen im minnehöfischen und didaktischen Kontext für Selbstkontrolle und die Heimlichkeit des Minneverhältnisses steht,73 erscheint es im ritterlichen Kontext als aktives Verschweigen und damit als Verweigerungs- oder Überlegenheitsgeste. Es bringt eingespielte Kommunikationsabläufe ins Stocken und provoziert deshalb weitere vordergründig asemantische Reaktionen wie Lachen, Gesprächsabbruch und Gewalt. In beiden Kontexten erscheinen jedoch Lachen, Schweigen und Gewalt nicht als das radikal ‚Andere‘ der Sinnstiftung, sondern als mit dieser verknüpft. Sie erweisen sich als Effekt von Deutungen oder als erste Reaktion, die zu einer Deutung hinführt. Sie stellen somit weder einen gewöhnlichen Kommunikationsakt unter anderen dar, noch ein Handeln, das vollständig außerhalb des sinnstiftenden Kommunikationsgeschehens bliebe. Dies könnte auch für den Begriff der ‚höfischen Grenzsituation‘ Konsequenzen haben: Auch an ein Konventionen sprengendes, asemantisches Ereignis kann kommunikativ angeschlossen werden. Diese Anschlüsse sind zwar von Fehldeutungen geprägt und haben z.  T. eine eskalierende Wirkung, doch stabilisieren sie gleichwohl das Kommunikationsgeschehen. Die höfische Kommunikation zeichnet sich somit – so könnte man zumindest für den Lanzelet folgern  – gerade nicht durch stabile Grenzen aus, sondern durch eine kaum abzubrechende Anschlussfähigkeit, die die Grenzen der höfischen Kommunikation verschieb- und verhandelbar macht.

4 Verschweigen und Gerede oder Name und fama Wie viele der dem Weg des Helden folgenden Artusromane reiht auch derjenige Ulrichs von Zatzikhoven eine Begegnung seines Helden mit einem vordergründig kontingent eintreffenden Gegenüber an die nächste. Neben diesen stationenartigen Begegnungen und Kommunikationsreihen gibt es im Roman jedoch noch eine zweite dominante Kommunikationsachse, nämlich die zwischen Lanzelet und dem Artushof. Diese basiert nicht primär auf einzelnen Begegnungen, sondern vor allem auf Gerüchten.74 Indem die Erzählung das zirkulierende Gerede über

73 Zu Lanzelets Erziehung gehört neben dem Harfenspiel auch ze mâze […] swîgen (L: 261), sie folgt damit ganz den didaktischen Geboten. Vgl. dazu Ruberg (Anm.  2), S.  26–39; Schnyder (Anm. 1), S. 155–162. 74 Vgl. zur genaueren Bestimmung des Gerüchts Jürgen Fohrmann: Kommunikation und Gerücht. Einleitung. In: Die Kommunikation der Gerüchte. Hrsg. von Jürgen Brokoff u. a., Göttingen 2008, S. 7–13, hier S. 8, der betont, dass das Objekt des Gerüchts sich entzieht und Gesagtes nicht korrigierbar sei. Vgl. auch Jürgen Brokoff: Fama: Gerücht und Form. Einleitung.

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Lanzelet detailliert nachverfolgt, erzählt sie nicht nur vom Werdegang des einzelnen Ritters, sondern zugleich auch von der (intradiegetischen) Wahrnehmung seiner Aventiuren. Bereits bei Lanzelets erster Aventiure in Moreiz ist ein Artusritter (Orpilet) anwesend. Nachdem Lanzelet  – und nicht der Artusritter Orpilet, der sich vor dem Spott fürchtet (L: 947) – die Aventiure erfolgreich gemeistert hat, berichtet ihm Orpilet vom Artushof (L: 1263–1286). Er lobt die Milde und Würde von Artus und seinem Hof und endet: di gesehent, dêst der rât mîn! (L: 1286)75 Gleich darauf zieht Orpilet an den Artushof und erzählt da von den Taten des tiursten degen (L: 1332). Dabei berichtet er auch: ern wil sich nieman nennen, / swaz man redet oder tuot (L: 1348 f.). Der Artushof wünscht sich sogleich die künfte (L: 1354) des Namenlosen. Auch nach der zweiten Aventiure bringen die Zuschauer das lop des Siegers (d.  h. Lanzelets) zu Artus.76 Erec fragt: saget uns ieman, wer er sî? (L: 2265) und Orpilet antwortet: sô ist ez der helt balt, / der selbe niht sînes namen weiz (2268 f.). Die Identifizierung von Lanzelet als ein und derselbe Ritter ist somit trotz seiner Namenlosigkeit handlungsweltlich kein Problem. Dies bestätigt sich in der Folge mehrmals: Walwein muss in Reaktion auf die Erzählungen den namenlosen Ritter suchen gehen und erkennt ihn dank der detaillierten Erzählungen am Schild: Von sage hâter in bekant (L: 2377).77 Beim Turnier am Artushof wiederum, an dem Lanzelet an drei Tagen mit drei unterschiedlichen Farben kämpft, wird er ebenfalls als ein und derselbe Ritter erkannt: und reten alle gelîche daz, / daz ez der vremde tæte baz / dan ieman ûf dem velde; / und vermârtin ouch melde, / daz ez allez ein man solte sîn, / der in den tagen allen drîn / sô manigen het erschellet (L:  3343–3349). Sind die Taten außerordentlich, müssen sie einer einzigen Per-

In: Die Kommunikation der Gerüchte. Hrsg. von dems., S. 17–23, hier S. 18 f., der ausgehend von Vergils Fama das Gerücht als „Netz ohne Zentrum“ beschreibt, das nicht steuerbar sei. Georg Stanitzek: Fama/Musenkette. Zwei klassische Probleme der Literaturwissenschaft mit ‚den Medien‘. In: Schnittstelle: Medien und Kulturwissenschaft. Hrsg. von Georg Stanitzek/Wilhelm Vosskamp, Köln 2001 (Mediologie 1), S.  135–150, hier S.  138, hebt hervor, dass bei Gerüchten „Rezeption […] immer nur um den Preis gleichzeitiger Produktion zu haben ist.“ Dies bewirke nicht nur Dissimulation, sondern auch die Selektionskriterien und die Relevanzannahmen würden sich ständig verschieben. Vgl. zu Gerüchten in der höfischen Literatur Schnyder (Anm. 1), S. 177 f., S. 205 f., S. 329; Wandhoff (Anm. 2), S. 9 f., S. 22. 75 Für Lanzelets Antwort vgl. unten Anm. 84. 76 Nachdem Lanzelet Linier erschlagen hat, berichtet der Erzähler nicht, was der Held nun tut, sondern nur noch davon, wie über ihn geredet wird: Nuo ist ez komen alsô, / daz sich sîn manheit niht verhal / und sîn prîs ûz erschal […] daz sich sîn lop alsus für nam, / unz er zer massenîe kam, / der Artûs, der künic, pflac (L: 2250–2263). 77 Walwein erkennt ihn dank der detaillierten Beschreibungen der anderen, d.  h. am zerhauenen Schild mit dem goldenen Adler darauf (L: 2372 f., 2378 f.).



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son zugeschrieben werden, auch wenn diese wechselnde Farben trägt. Denn nur ein Ritter  – so scheint es  – kann der beste sein, und dieser ist auch namenlos erkennbar. Der Artushof reagiert auf die wiederholten Berichte vom namenlosen Helden zum einen mit dem Begehren, denjenigen zu sehen, von dem man bisher nur gehört hat:78 dô wunschte diu künigîn / Genovere, daz siu in solte sehen (L: 2276 f.). Zum anderen ist der Hof am mære, im doppelten Sinne von Neuigkeit und Erzählung, interessiert, die mit dem Ritter einhergehen:79 ‚Man‘ möchte wissen, weshalb er namelôs (L: 2295) ist bzw. wer er ist und was ihn davon abhält, an den Artushof zu kommen. Der künic Artûs muos in schouwen / ze diu, daz er erkande / den heldt, der sich niht nande (L: 3442–3444.). Deshalb wird Walwein ausgesandt, um den Helden an den Artushof zu holen.80 Der Artushof erfährt somit nicht nur durch Berichte vom namenlosen Held, sondern produziert seinerseits Gerede und Erzählungen, indem er Botschafter aussendet. Lanzelets Antworten bzw. Absagen an solche Vertreter des Artushofes betonen einerseits seine Inferiorität.81 Andererseits verweist auch Lanzelet auf das Gerede, das ihn mit dem Artushof verbindet. So fürchtet er, nicht genügend zu berichten zu haben: Was solt ich in [dem Artushof] ze rede geben?82, antwortet er Orpilet, der ihn als erster an den Artushof holen will. Zugleich will er das

78 Dieses Begehren, den Held zu sehen, ist nicht spezifisch weiblich konnotiert; vgl. z.  B. L: 2288 f.; 3427–3429; anders dagegen Wandhoff (Anm. 46), S. 215; vgl. dazu auch Anm. 90. 79 Als er nach dem Turnier eine Einladung von Artus ablehnt, ist die Reaktion des Hofes folgende: dô wær in allen liep gezalt, / wi ez umb sîne sache möht gestân, / wan er was sô wol getân […] di liute enkunden / verzîhen der ougen (L: 3464–3471). Tibald (Bruder von Ade, Lanzelets zweiter Frau) antwortet auf die Frage nach der Identität des Helden: daz mære / wirt iu sô schiere niht gesaget (L: 3218 f.). 80 Wandhoff (Anm. 46), S. 216, geht davon aus, dass alle Bewegungen in gegenseitige Sichtbarkeit (im Sinne des arthurischen Festes) münden, und diese alle Bewegungen bestätigt. In den Selbstbeschreibungen der Artusritter erscheint der Artushof sehr wohl als natürliches Zentrum, zu dem die Besten streben und von ihren Aventiuren erzählen: Des wundert balde / beidiu junge und alde, […], daz er niht wolde schouwen / beidiu ritter und vrouwen, / di zem hôhesten prîse wâren behart (L: 2739–2745). Auch Walwein stellt den Artushof als Spender von Vollkommenheit dar: gedenkent, frumer man: / swer mînes herren hof niht ensiht, / der enist vollekomen niht / in allen disen landen (L: 2468–2471). M. E. kann man aber diese Selbstbeschreibungen nicht beim Wort nehmen, sondern sollte eher die Dynamik analysieren, die aus der Diskrepanz zwischen dem Anspruch und Lanzelets Verhalten entsteht. 81 Nach der ersten Aventiure betont Lanzelet auch, dass er ‚noch‘ nicht genügend Erfolg gehabt habe: ez wære ein michel schande, / daz ich flüge ungeveder. / ich wil es eintweder / schaden vâhen oder vromen, / ê ich immer welle komen / zuo solcher zoumhefte (L: 1288–1293). 82 Vgl. den ganzen Satz: Was solt ich in ze rede geben, / di mit nîtspil ir leben / gehoehert hânt vil sêre? (L: 1295–1297).

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Gerede vermeiden, das er nicht kontrollieren kann. So wirft er Walwein vor, er wolle falsche mære erzeugen und ihn als Gefangenen mitbringen (L:  2430). Dessen höflichen Gruß stellt er als guote […] rede âne werc (L: 2453) dar,83 und als er sich beim Turnier erneut allen Fragen entzieht, erklärt der Erzähler: daz tet er niht durch bergen, / wan daz in dûhte ein schande, / daz er sîn selbes niht erkande. / er enwolt ze rede werden niet (L: 3226–3229).84 Mit dem negativ konnotierten Gerede wird hier die Tradition der üblen Nachrede aufgerufen. In den höfischen Romanen kennzeichnet sie etwa den Markehof und in den didaktischen Schriften ist die Warnung vor den falschen Zungen gängiger Topos.85 Doch ähnlich wie mit den bereits diskutierten Verweisen auf Scham oder Schande (als Erklärung der Namenlosigkeit) werden auch mit der üblen Nachrede traditionelle Motivierungen von Schweigen aufgerufen, die aber die Namenlosigkeit des Helden nicht oder höchst punktuell prägen. Stattdessen leuchtet der Roman narrativ aus, wie der verschwiegene Name zu fama, im doppelten Sinne von Ruhm und Gerücht, führt.86 Denn Lanzelet erzeugt nicht nur durch seine Taten, sondern auch durch seine Namenlosigkeit und sein Fernbleiben vom Artushof Gerede und Gerüchte, die ihm einen Ruf als außergewöhnlicher Ritter einbringen und ihn so auch ohne Namen erkennbar machen. Der ungenannte oder unbekannte Name deckt somit  – anders als im Iwein  – nicht etwas Verschwiegenes zu, sondern ermöglicht die kollektive Rede, die Lanzelet zu einem Teil der Artuswelt macht, bevor er dort persönlich erscheint.87 Die kollektive Rede erscheint aber durchaus ambivalent: Einerseits verschafft sie dem Ritter soziale Geltung, d.  h. Identifizierbarkeit, Anerkennung

83 Ebenso gibt er vor, er sei vielleicht gar nicht der Gesuchte: ir endurfent ruochen, wer ich bin. / ir hânt mich lîhte unreht ersehen (L: 2518 f.). Er spielt also einerseits die trügerischen Worte gegen die ‚Werke‘ aus und benutzt im gleichem Atemzug selbst trügerische Worte; vgl. dazu Anm. 75. 84 Lanzelet selbst antwortet auf Artus’ Einladung ganz ähnlich: herre, mir stânt mîniu dinc / sô nider (L: 3462 f.). 85 Vgl. Schnyder (Anm. 1), S. 176–178. 86 In der Forschung zu Gerüchten wird immer wieder betont, dass Fama oder Gerüchte sowohl Ruhm als auch negatives Gerede bedeuten und die beiden nicht zu trennen sind; vgl. Fohrmann (Anm. 77), S. 9, und Brokoff (Anm. 77), S. 18. 87 Wandhoff (Anm. 46), S. 214–218, geht davon aus, dass gerade die Differenz zwischen der „personalen Identität“ (Name und Ruf) und der „optischen Identität […] die absolute Verbindlichkeit des Gesichtssinns“ aufzeige. Erst die „optische Information“ habe für die Artusgemeinschaft Geltung. Ich möchte meine Argumentation auf ähnliche Stellen stützen wie Wandhoff, bin jedoch der Ansicht, dass die Szenen gerade nicht das Primat der „Sphäre der Sichtbarkeit“ aufzeigen, sondern dass der Name seine Geltung durch die zeitliche und räumliche Diskrepanz zwischen Hören und Sehen, aber auch zwischen zeitlich versetztem Hören und Hören erlangt, so wie dies Wandhoff (Anm. 10), S. 123 f., auch für den Iwein aufzeigt.



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und Ruhm, andererseits kann er diese Rede nicht kontrollieren, obwohl sie ihn, d.  h. seine soziale Identität und Wahrnehmung, bestimmt: Seinen Taten eilt sein Ruf voraus, so dass das ‚Eigene‘ immer schon durch das ‚Fremde‘ in Form der fremden kollektiven Rede vorgeprägt ist. Doch im Unterschied zu den ‚klassischen‘ Artus­romanen, in denen die Vermischung von Fremdem und Eigenem im Namen mit der Identitätsthematik verknüpft wird,88 stehen im Lanzelet nicht der Held, sondern kommunikationslogische und erzähltheoretische Fragen im Vordergrund. Fokussiert wird, wie der Held ze rede wird (L: 3229), d.  h. wie aus dem Helden die Erzählung über den Helden wird.89 Hierbei spielt die Interdependenz von (Ver-)Schweigen und Gerede eine wichtige Rolle: Denn einerseits führt der verschwiegene Name in der Handlungswelt zum Begehren nach Berichten über den Helden (am Artushof) oder sogar nach der Geschichte des Helden (bei Johfrit). Andererseits ist die (vom Erzähler berichtete) Geschichte des Helden wiederum durch das Gerede am Artushof geprägt und berichtet ihrerseits von den Gerüchten und Erzählungen des Hofes. Kommunikationslogisch gibt es keinen linearen Weg vom Ereignis (oder den Taten) zur Erzählung, sondern das Berichten der Taten ist genauso wie das Ausbleiben von Informationen ereignishaft und erzählenswert – oder kann es jederzeit werden.90 Die um Lanzelet kreisenden Gerüchte sind Teil der Erzählung, die auch die (extradiegetischen) Rezipienten im Unwissen über den Namen des Helden lässt. Damit sollen die Differenzen zwischen dem kollektiven, mündlich zirkulierendem Gerede und einer wohl schriftlich konzipierten Erzählung keineswegs eingeebnet werden. Doch die auffälligen Korrespondenzen werfen die Frage auf, wie das handlungsweltliche (Ver-)Schweigen und das erzähltheoretische (Ver-) Schweigen sich zueinander verhalten bzw. welche Effekte sich durch die gegenseitige Rahmung ergeben.

88 Vgl. Müller (Anm. 9), S. 191 f., S. 195–224. Er beschreibt für den höfischen Roman die Spannung zwischen der „Vereinzelung“ des Helden und seiner Funktion als „herausragender Repräsentant des Allgemeinen“. 89 Vgl. dazu für die klassischen höfischen Romane Wandhoff (Anm. 2), S. 9 f., S. 22; Wandhoff (Anm. 10), S. 123 f. 90 Vgl. Hedwig Pompe: Nachricht über Gerüchte. Einleitung. In: Die Kommunikation der Gerüchte. Hrsg. von Jürgen Brokoff, Göttingen 2008, S.  131–143, hier S.  132: „Es ist das unhintergehbare Ereignis der Kommunikation selbst, dessen funktional-operativer Status sich auch bei einer Gerüchtekommunikation ‚im Indikativ‘ vollzieht.“ Stanitzek (Anm. 77), S. 137, betont, dass im Medium des Gerüchts Informationen „nach eigenen, nicht vorsteuerbaren Kriterien aufgenommen und weiterverarbeitet“ werden und Gerüchte deshalb „selbstreferentiell“ seien. Dies gilt m.  E. nicht oder nur eingeschränkt für die Gerüchte im Lanzelet, ebenso erscheint mir die Opposition von Selbst- und Fremdreferentialität für Gerüchte wenig tragfähig.

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5 Die doppelte Bezüglichkeit des (Ver-)Schweigens des Erzählers Es wurde bereits mehrfach deutlich, dass der Roman sich weniger durch eine sinnstiftende progressive Struktur oder eine Identitätsdiskussion als vielmehr durch eine relativ elaborierte Erzählerrolle auszeichnet.91 Es gibt zwar keine langen Erzählerexkurse, doch markiert der Erzähler durch kurze Zwischenbemerkungen seine Distanz zur erzählten Handlung und den Formen, in denen er diese präsentiert. Ebenso spielt er sowohl mit brevitas-Behauptungen als auch mit Digressionen. So erklärt der Erzähler den Abbruch des Turniers am Artushof zuerst intradiegetisch: Lanzelet habe zu viele Kämpfer verletzt, und deshalb könne das Turnier nicht fortgeführt werden. Dann fügt er hinzu: waz touget daz mær gelenget? (L: 3424) Der Zusatz verweist auf das Darstellungsideal der Kürze, das den Abbruch des Turniers ebenfalls – aber nun kompositorisch – erklärt. Mit dieser doppelten Begründung spielt der Erzähler zwei Erzählebenen gegeneinander aus: die handlungsweltliche Kausalität gegen die kompositorischen Überlegungen einer anordnenden Instanz. Dieses Spiel mit zwei ganz unterschied­ lichen Erzähllogiken und Motivationsebenen lässt sich auch in vielen weiteren Erzählerbemerkungen beobachten, in denen das (Ver-)Schweigen des Erzählers aufgerufen wird. brevitas-Bemerkungen sind für die Darstellung von Sexualität nahezu topisch. Der Lanzelet-Erzähler scheint dieser Tradition zu folgen, wenn er sagt: ob er [Lanzelet] ie bî ir gelæge, / des enweiz ich niht, wan ichz niht sach (L:  2348  f.). Der Erzähler unterstellt, dass ein Handlungsgeschehen statt hat, ihm aber nicht vollständig zugänglich sei.92 Gleich darauf widerspricht er sich jedoch selbst: swaz in solches ie geschach, / daz enwas niht offenbære. / ez wære ein übel mære, / solten alliu dinc ûz komen. / dar nâch, als ichz hân vernomen, / sô ziuhe ichz für der wîbe wân (L: 2350–2355). Nun gibt er vor zu wissen, was sich abgespielt habe, dies aber

91 Vgl. für die Forschung zum Erzähler Anm. 50. Hierbei wird natürlich auch immer betont, dass der Erzähler keineswegs so kunstfertig sei wie derjenige des Parzival; so Kragl, Forschungsbericht und Kommentar (Anm. 14), S. 1045–1048; Seeber (Anm. 40), S. 127, der ihn jedoch in die Tradition des Parzival-Erzählers stellt. 92 Vgl. die ähnliche Formulierung des Erzählers, als Lanzelet auf Pluris erneut heiratet: dô muose aber briuten […] ich en weiz, ob erz ungerne tet, / wan diu künegîn was ein schoene maget. (L: 5528–5531). Vgl. dagegen die Szene mit Iblis: swes ê von in gegert was, / des wart dô begunnen, / doch wirs niht enkunnen / gesagen noch gezellen (L: 4668–4671), bei der der Erzähler nicht vorgibt, nichts zu wissen, sondern es nicht erzählen zu können.



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dem Publikum willentlich zu verschweigen.93 Solche Verheimlichungen würden dem als weiblich spezifizierten Publikum mehr Imaginationsfreiraum geben. Erneut wird so ein ‚Verschweigen‘, das sich auf das Wissen um ein vergangenes Geschehen bezieht, mit einem rhetorischen Verschweigen konfrontiert, das sich an den Wünschen und Bedürfnissen des Publikums ausrichtet. Korrespondierend dazu findet sich auch eine Reihe von Stellen, in denen der Erzähler hervorhebt, dass er etwas explizit nicht verschweigt. So kann z. B. nach dem Tod Iwerets niemand dessen Männern sagen, wer er [der Sieger des Kampfes, d.  h. Lanzelet] was und war er fuor (L: 4649). Der Erzähler fährt darauf fort: wi solt daz werden verswigen, / war der vremde ritter [Lanzelet] kam (L: 4658 f.). Er gibt im Gestus der Überbietung vor, seinen Rezipienten das Wissen zu präsentieren, das den Figuren fehlt. Er spielt damit das intradiegetische Publikum gegen das extradiegetische aus und suggeriert letzterem, dass es bevorzugt sei.94 All den analysierten Erzählerbemerkungen ist gemeinsam, dass sie ihren Witz aus der doppelten Signifikanz des (Ver-)Schweigens oder Nicht-Sagens des Erzählers gewinnen: Er kann entweder schweigen, weil er etwas nicht weiß, oder aus rhetorisch-kompositorischen Gründen, d.  h. weil das (explizite) Verschweigen Neugier weckt, sich besser geziemt oder dem Publikum mehr Imaginationsfreiräume lässt.95 Diese beiden Formen des (expliziten) Verschweigens stehen zugleich für zwei ganz unterschiedliche Verständnisse von Erzählen: Der erste Fall (Schweigen als Nicht-Wissen) impliziert, dass das erzählte Geschehen dem Akt des Erzählens gegenüber vor- und unabhängig ist. Im zweiten Fall (Schweigen als rhetorisches Verschweigen) wird dagegen angenommen, dass die erzählte Handlung durch den Erzählakt konstituiert wird und ihr logisch nachgeordnet ist. Doch können diese beiden Formen des erzählerischen (Ver-)Schweigens nur als explizit gemachte voneinander unterschieden werden. Als ‚bloßes‘ (und nicht beredtes) Schweigen sind sie ununterscheidbar bzw. auf beide Ebenen beziehbar.

93 Seeber (Anm. 40), S. 107, Anm. 123, zeigt auf, dass mehrfach sexuelle Situationen vor „textinternem Publikum“ erzählt würden. Er liest dies als ironische Erzählweise bzw. Darstellungsform. 94 Dieselbe Erzählergeste kann auch darauf zielen, das extradiegetische Publikum in zwei Gruppen zu unterteilen: swen nuo des lebens bevilt, / der mac mich wol gesweigen. […] / Swer aber mich gern vernimet, / dem sag ich von der vrouwen mêre (L: 4040–4045). Der Erzähler charakterisiert hier diejenigen, die nicht weiter zuhören wollen, als des Lebens überdrüssig, die anderen zeichnet er dagegen dadurch aus, dass er ihnen die Tugenden von Iblis mitteilt. Vgl. dazu den Kommentar von Kragl, Studienausgabe (Anm.  14), S.  587, der vermutet, dass es sich um ein „Ironiesignal, dessen Substanz sich gegen den hyperbolischen Frauenpreis“ richtet, handeln könnte. 95 Der Dialog mit dem Publikum zeigt sich auch darin, dass der Erzähler dieses mehrfach (topisch) zum Schweigen auffordert; vgl. L: 4655; 5684.

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Doch – wie gesehen – trennt der Lanzelet-Erzähler auch bei seinen expliziten Verschweigensbehauptungen diese beiden Erzählverständnisse nicht sauber voneinander: Vielmehr widerspricht er sich selbst und verschränkt sie so komisch ineinander.96 Dadurch wird die Ebenenunterscheidung zwischen der Erzähl- und der Handlungsebene verwischt und aufgezeigt, dass es der Grenzüberschreitungen bedarf, um der doppelten Bezüglichkeit des erzählerischen Verschweigens gerecht zu werden:97 Da das Schweigen in jedem Fall beide Erzählebenen betrifft, kann es – so wird hier sichtbar – nicht durch eine Ebene motiviert werden, auch wenn dies logisch in Widersprüche führt. Dieses erzählerische Spiel mit dem explizit gemachten (Ver-)Schweigen wendet der Erzähler auch auf die Namen an: So sagt er, als Johfrit zum ersten Mal auftritt: sprach Johfrit de Liez – / ich wæne, der knappe alsô hiez (L: 487 f.). Der Erzähler markiert, dass er den Namen nicht mit Sicherheit weiß, und unterstellt damit, dass dieser ‚außerhalb‘ der Erzählung bzw. unabhängig vom Erzählakt existiert. Bei Lanzelets Aventiure auf Pluris sagt er dagegen: wer die hundert rîter wæren; [gegen die Lanzelet kämpfen muss] / ez müese iuch beswæren / und billîch erdriezen. / ich saget, wie si hiezen, / wan daz mir si nieman nande (L: 5503–5507). Auch hier verweist er auf die beiden oben genannten (Ver-)Schweigensformen zugleich: Einerseits weiß er die Namen nicht, weil niemand sie ihm erzählt hat, andererseits verschweigt er sie absichtlich, um der brevitas willen. Nicht zuletzt ruft er damit – im Sinne einer abgewiesenen Alternative98 – die Erzähltradition der Namenskataloge auf, um so hervorzuheben, wie elegant er darauf verzichtet. Neben den Erzählgesten des Verschweigens und Nichtwissens gibt es auch bei den Namen das umgekehrte, nämlich das explizit gemachte ‚Ausplaudern‘ derselben: So wird Iblis’ Name erst am Ende eines sehr langen Tugendpreises bekannt gegeben: welt ir der vrouwen namen, / den sage ich iu, des sint gewis. / Siu hiez diu schœne Iblis, / der erwunschte lîp von sælicheit (L: 4058–4061). Der Dialog

96 So bemerkt der Erzähler z. B., er wolle die Anzahl Gefangener des Grafen verschweigen, denn man würde ihm die hohe Zahl sowieso nicht glauben: und vie grâve Ritschart / guoter knehte gelîche als vil, / daz ich ez iu verswîgen wil; / man geloubete mirs lîhte niht (L: 3368–3371). 97 Genau dies ignoriert McLelland (Anm.  51), S.  49, die postuliert, dass nicht Lanzelet und Galgandreiz die höfischen Regeln missachten, „sondern es ist der Erzähler, der die erzählerische Welt determiniert, in der seine Figuren agieren.“ 98 Vgl. Peter Strohschneider: Einfache Regeln  – Komplexe Strukturen. Ein strukturanaly­ tisches Experiment zum Nibelungenlied. In: Mediävistische Komparatistik. FS Franz Josef Worstbrock. Hrsg. von Wolfgang Harms/Jan-Dirk Müller, Stuttgart, Leipzig 1997, S.  43–75, hier S. 49 f., und Jan-Dirk Müller: Spielregeln für den Untergang. Die Welt des Nibelungenliedes, Tübingen 1998, S. 73 f., S. 140–144. Sie beschreiben die abgewiesene Alternative auf der Ebene der histoire, im obigen Beispiel läge sie dagegen auf der Ebene des discours.



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mit dem Publikum und die Verzögerung der Namensnennung verleihen dieser mehr Gewicht und suggerieren, dass das Publikum gespannt auf den Namen der Frau wartet, die am Ende mit Lanzelet sein Reich übernehmen wird. Bei Nebenfiguren hat die explizit gemachte Nennung der Namen dagegen eine andere Gestalt: Als Lanzelet zwei Ritter kämpfen sieht, sagt der Erzähler: zwên ritter vermezzen, / der namen wirt niht vergezzen: / der eine was genamet sus, / mit küenem herzen Kurâus, […] der ander heizet Orpilet […] (L: 681–687). Der Erzähler benennt die Figuren und deutet zugleich an, dass diese Namen auch ungesagt bleiben könnten, d.  h. keine (offensichtliche) erzählerische Funktion haben. Indem er sie gleichwohl nennt, rückt er die Namensnennung in die Nähe einer Digression und wirft implizit die Frage nach der Funktion der Namen in einer Erzählung auf. Diese Frage ist umso virulenter, als – wie erwähnt – der Held auch für die Rezipienten über 4700 Verse lang namenlos bleibt. Stattdessen wird Lanzelet als unser helt, ritter âne namen, de[r] stolze […] wîgand […] etc. bezeichnet.99 Auch ohne Namen ist der Held also für die Rezipienten (ganz ähnlich wie für den Artushof) erkenn- und identifizierbar. Blumenbergs These, dass sich erst mit Hilfe von Namen (vom Unbestimmten) erzählen lasse,100 stimmt somit nur in eingeschränktem Maße. Mit Namen kann zwar eine hohe Bestimmtheit erreicht werden, doch können auch andere Formen diese Bestimmung leisten, insbesondere die Namenlosigkeit in einer weitgehend benannten Welt. Das Spezifische am Lanzelet Ulrichs von Zatzikhoven scheint nun, dass die erzählerischen Formen des (Ver-)Schweigens auf die intradiegetischen Formen des Verschweigens bezogen werden können und sich gegenseitig sinnstiftend rahmen. An den handlungsweltlichen Grußsituationen zeigte sich, dass jeder Kommunikation ein Schweigen vorangeht, das je neu gebrochen werden muss. Im Lanzelet wird dieses Schweigen vor der Kommunikation nicht nur intradiegetisch dargestellt, sondern über den verschwiegenen Namen des Helden auf das Erzählen selbst bezogen: Auch jeder Erzählung geht ein Schweigen voran, das überwunden werden muss.101 Ähnlich wie beim Grüßen gibt es dafür ritualisierte Lösungen wie Prologe und Eingangsformeln. Im Lanzelet wird eine dieser Lösungen, nämlich das Setzen von Figuren mittels Namen, hinausgezögert. Dadurch wird das initiale Schweigen in den Text hinein verlängert. Diese Namenlosigkeit im Text ist selbstredend Teil von dessen Sinnsystem und dementsprechend hoch-

99 L: 3476; L: 1685; L: 1396; vgl. dazu Anm. 19. 100 Vgl. Abs. 1, Anm. 16. 101 Selbstredend entsteht keine Erzählung allein aus dem Schweigen, und so geht ihr immer eine Fülle von anderen Erzählungen voran, die sie erst ermöglichen. Vgl. dazu Anm. 20.

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gradig bedeutsam. Gleichwohl weist sie aber  – gerade dadurch, dass auch der intradiegetische Kommunikationsbeginn thematisiert und reflektiert wird – auf das dem Text vorausgehende, absolute Schweigen zurück, auch wenn es textuell nicht dargestellt oder eingeholt werden kann. Dieses initiale Schweigen findet eine Entsprechung im Schweigen am Ende eines Textes, in das sich jede Erzählung letztendlich auflöst.102 Auch auf dieses wird durch Erzählerkommentare hingewiesen. Nachdem Lanzelet und Iblis in ihr Herrschaftsgebiet zurückgekehrt sind, betont der Erzähler, dass ich an ein ende schiere komen / bin des mæres von Lanzelet (L: 9310 f.). In bekannter Epilogmanier bittet er um die Gunst des Publikums und betont, dass er die französische Vorlage getreu wiedergegeben habe (L:  9312–9325).103 Aber anstatt an diesem Punkt aufzuhören, kehrt er zum Motiv des ungnädigen Publikums zurück und sagt, er könne des liedes mêre erzählen, wenn es ihm gnädig sei. Nun berichtet er, dass Lanzelet seine Mutter zu sich holt, dass er und Iblis vier Kinder haben und an einem Tag sterben würden. Darauf folgt eine Art zweiter Epilog, der erneut den getreuen Umgang mit der Vorlage oder dem Stoff thematisiert: swaz iu anders ieman sage / von in, des hân ich niht vernomen. / wer möhtes alles ze ende komen, / waz wunders Lanzelet begienc? […] alsus endet sich daz liet. / Ditz mær ist ûz, daz ich kan (L: 9426–9433). Es folgt noch eine kurze Bitte um angemessenen Lohn.104 Erneut widerspricht sich somit der Erzähler, wenn er einerseits betont, er habe seiner Vorlage nichts hinzugefügt oder weggenommen,105 und andererseits suggeriert, dass es von seinem Helden so viel zu erzählen gebe, dass nie alles und vielleicht immer auch anderes erzählt werden könne. Erneut steht so das erzählerische Verschweigen zwischen zwei verschiedenen Erzählkonzeptionen: einer, die sich an einer Vorlage, und einer, die sich an einer Fülle von Erzählungen über einen Helden orientiert. Entsprechend bleibt auch (in vielleicht ganz programmatischer Hinsicht) offen, ob das Ende „im zweiten Anlauf“106 nun der genannten Vorlage entspricht oder ob es sich um einen Zusatz des Erzählers (oder eines anderen Tradierungsstrangs) handelt. Damit bleibt ebenfalls unbestimmt, wem das Nicht-Verschweigen des zweiten Schlusses zuzurechnen ist.

102 Vgl. dazu Schnyder (Anm. 1), S. 81–88. 103 Hier berichtet er auch, wie er das welsche […] buoch erhalten habe und nennt seinen eigenen Namen (L: 9324–9349). 104 In Handschrift P (Heidelberg, Cpg 371) folgt zudem eine Bitte um Gottes Beistand (L: 9445– 9449). 105 L: 9322–9325: als ich iuch berihte, / Sô enist dâ von noch zuo geleit, / wan als ein welschez buoch seit, / daz uns von êrst wart erkant. 106 Seeber (Anm. 40), S. 126.



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Selbstredend rücken diese Zuschreibungsprobleme und doppelten Bezüglichkeiten hier nur spielerisch in den Blick und zielen wohl eher auf ein Lächeln als auf eine ernsthafte Reflexion. Gleichwohl hat der doppelte Schluss zur Folge, dass das Ende der Erzählung stärker ins Bewusstsein rückt. Während am Erzählanfang oft Ermächtigungen der Erzählstimme beobachtet werden können,107 steht am Ende einer Erzählung die faktische Entmächtigung des Erzählers bevor: Mit dem Text endet auch die Erzählerfigur, die sich allenfalls noch durch Verweise auf die Namen des Autors oder Gönners über den Text hinausgehende Geltung verschaffen kann. Der Lanzelet-Erzähler verzögert diese ‚Auflösung‘, indem er nach einem ‚schieren‘ Ende (L:  9310) ein zweites Ende berichtet, das beim ersten Mal verschwiegen bzw. nicht erzählt worden ist. Man kann dies einerseits – wie Stefan Seeber108 – als (letzte) Ermächtigungsgeste des Erzählers lesen, der zeigt, dass alles Erzählte von seinem Willen abhängig ist. Andererseits widerspricht dies der nun bereits mehrfach herausgearbeiteten doppelten Bezüglichkeit der Erzählerstimme. Auch hier werden deshalb Autonomie und Heteronomie des Erzählers zugleich sichtbar: Zwar thematisiert die Erzählerfigur die Grenzen des Erzählens und scheint sie so zu überwinden oder zu verschieben, doch lenkt sie damit das Augenmerk zugleich auf das Schweigen am Ende einer Erzählung und damit auf ihre eigene Entmächtigung. Mit dem nicht verschwiegenen zweiten Ende wird somit wie mit der verzögerten Namensnennung auf ein ‚Außen‘ oder ‚Anderes‘ der Erzählung verwiesen: auf das Schweigen, das auf eine Erzählung folgt und mit dem die faktische Entmächtigung des Erzählers einhergeht.

6 Das Verschweigen des Namens: Grenzfigur des höfischen Erzählens Fragt man nun abschließend nach dem (Ver-)Schweigen als einer Grenzfigur der höfischen Kommunikation und des höfischen Erzählens, so zeigt sich eine paradoxe Situation. Das Verschweigen des Namens bringt zwar konventionalisierte Kommunikationsabläufe ins Stocken und macht so Kommunikationsgewohnheiten sichtbar. Gleichwohl verhindern Schweigen und Verschweigen keineswegs die Kommunikation, sondern führen eher zu einer Kommunikationsfülle. In der

107 Vgl. z. B. Christian Kiening: Zwischen Körper und Schrift. Texte vor dem Zeitalter der Literatur. Frankfurt a. M. 2003 (Fischer TB 15951), hier S. 113–129. 108 Seeber (Anm. 40), S. 126.

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Handlungswelt interpretieren die Figuren das Verschweigen des Namens je unterschiedlich, es kommt zu Gerüchten, Fragen, Lachen und Gewalt, doch immer wird es als Kommunikationsereignis verstanden, an das anzuschließen ist. Ebenso erscheint auf der Erzählebene das behauptete Verschweigen des Erzählers als Digression, und zwar auch dann, wenn brevitas behauptet wird. Das implizite Verschweigen des Namens gegenüber den extradiegetischen Rezipienten führt ebenfalls zu keinem Schweigen oder Unverständnis, sondern schafft Platz für andere Erzähl- und Bezeichnungsformen, insbesondere die Antonomasie. Die ‚Grenzen‘ der höfischen Kommunikation sind deshalb nicht als statischräumliche zu verstehen, sondern als differenztheoretische. Denn am Schweigen und Verschweigen zeigt sich, dass die Kommunikation auf ganz unterschied­ lichen Ebenen dazu tendiert, auch das zu thematisieren, was von ihr nicht gefasst werden kann oder ihr Anderes darstellt. Dadurch verschieben sich zwar die sog. Grenzen der Kommunikation ständig, während sich aber zugleich (neue) blinde Flecken des Kommunikationsgeschehens bilden. Dabei bleibt je neu etwas ausgeschlossen oder verschwiegen, wenn auch nicht immer dasselbe. Am historischen Material zeigte sich somit konkret, was auch in den theoretischen Überlegungen zu Schweigen und Verschweigen am Beginn postuliert wurde: In Bezug auf die Handlungswelt literarischer Texte ist eine Unterscheidung von Schweigen im Sinne des Nicht-Reden-Könnens und dem Verschweigen im Sinne des Nicht-Reden-Wollens wenig gewinnbringend. Ergiebiger war es zu untersuchen, wie in der Handlungswelt mit der Namenlosigkeit umgegangen wurde und welche Interpretationen derselben welche eskalierenden oder deeskalierenden Wirkungen hatten. Ebenso entzog sich auf der Phänomenebene literarischer Texte die Abgrenzung zwischen einem signifikativen Schweigen, das in Kommunikationsprozesse eingebunden ist, und einem absoluten Schweigen, das auf das ‚Andere‘ der Kommunikation verweist. Denn der Erzähler deutet gerade mittels einer Form des ‚beredten‘ Schweigens Grenzen der Kommunikation an, indem er behauptet, Ereignisse zu verschweigen oder auszuplaudern. Er verwischt die Erzähl- und Motivationsebenen und kann dadurch das dem Text vorangehende und ihn beendende Schweigen thematisieren. Dies gelingt auch deshalb, weil das Verschweigen des Erzählers Parallelen zu intradiegetischen Situationen des Verschweigens und stockenden Kommunikationsanfängen aufweist. Mittels dieser gegenseitigen Rahmung blitzen mehrere Formen des ‚Anderen‘ des Erzählens auf: Das Schweigen am Anfang und am Ende der Erzählung sowie das Zugleich von Autonomie und Heteronomie des Erzählers. In historischer Perspektive ist jedoch nicht nur signifikant, dass dieses ‚Außen‘ des Erzählens angedeutet wird, sondern in welchem Gestus und mit welchen Themen es verknüpft wird. Denn während in der modernen Literatur das ‚absolute Schweigen‘ und die Grenzen des Erzählens meist mit den großen



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ethisch-politischen Fragen des zwanzigsten Jahrhunderts verknüpft werden, wird dies hier mittels ironischer Erzählerkommentare und im Dienste des Lachens zur Sprache gebracht.

Literaturverzeichnis A Texte und Quellen Chrétien de Troyes: Erec und Enide. Hrsg. und übers. von Ingrid Kasten, München 1979 (Klassische Texte des romanischen Mittelalters in zweisprachigen Ausgaben 17). Hartmann von Aue: Erec. Hrsg. von Manfred Günter Scholz, übers. von Susanne Held. Frankfurt a. M. 2004 (Bibliothek des Mittelalters 5). Ulrich von Zatzikhoven: Lanzelet. Text – Übersetzung – Kommentar. Studienausgabe. Hrsg. von Florian Kragl, Berlin 2009.

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 Susanne Reichlin

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Schweigen oder Verschweigen? 

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Hans Rudolf Velten

Lachen und Schweigen in Wolframs Parzival* 1 Reden – Lachen – Schweigen: Systematische und kulturhistorische Bedingungen Lachen und Schweigen sind linguistisch gesehen Sonderformen der Kommunikation: Im Gegensatz zur Rede sind es non- bzw. paraverbale Sprechakte, redebegleitend und redeunterbrechend, von ihrer Präsenz abhängige, amorphe und vielsagende Effekte der Stimme, dabei oft selbstreferentiell.1 Beide entstehen erst in der Wahrnehmung des Anderen, es sind situative Marker, die über die Spannung zwischen dem Gehörten und dem Gemeinten, wie auch über den affektiven Zustand der Sprecher informieren. Ihre Bedeutung lässt sich überhaupt nicht allgemein festlegen, sie ist nur aus dem unmittelbaren Kontext der jeweiligen Kommunikationssituation und insofern in ihrem Verhältnis zum Reden zu erhellen.2 Denn es ist für die Wahrnehmung schwer zu bestimmen, ob Lachen oder Schweigen eine Mitteilung beinhalten oder Ausdruck einer Stimmung sind; auch ist die Erfahrung des Schweigens beim Publikum kaum je referenzlos.3 Schweigen

*  Der Beitrag ist die grundlegend veränderte und überarbeitete Fassung des Tagunsvortrags. Er wurde in der vorliegenden Form am 17. Juni 2015 als Antrittsvorlesung an der Universität Siegen gehalten. 1 Vgl. zur Linguistik des Schweigens Adam Jaworski: The Power of Silence. Social and Pragmatic Perspectives. Newbury Park, London, New Delhi 1993; Silence: interdisciplinary perspectives. Hrsg. von Adam Jaworski, Berlin 1997; Wolfgang Stadler: Pragmatik des Schweigens: Schweigeakte, Schweigephasen und handlungsbegleitendes Schweigen im Russischen, Frankfurt a. M. u. a. 2010; zur Gesprächsanalyse bereits Thomas J. Bruneau: Communicative Silences. In: Journal of Communication 23.1 (1973), S. 17–46. Zum Lachen aus linguistischer Sicht: Alan Partington: The linguistics of laughter: a corpus-assisted study of laughter-talk, London 2006; auch hier zur Gesprächsforschung Philipp J. Glenn: Initiating Shared Laughter in Multi-Party Conversations. In: Western Journal of Communication 53.2 (1989), S. 127–149; Helga Kotthoff: Konversationelle Karikaturen. Über Selbst- und Fremdstilisierungen in Alltagsgesprächen. In: Lachgemeinschaften. Kulturelle Inszenierungen und soziale Wirkungen von Gelächter im Mittelalter und in der frühen Neuzeit. Hrsg. von Werner Röcke/Hans Rudolf Velten, Berlin, New York 2005, S. 331–354. 2 Zum Schweigen als Redestrategie vgl. Fleur Ulsamer: Linguistik des Schweigens. Eine Kulturgeschichte des kommunikativen Schweigens, Frankfurt a. M. 2002, S. 51–141. 3 Vgl. Susan Sontag: „Silence doesn’t exist literally – as the experience of an audience“, und das gleiche kann für das Lachen gelten. Susan Sontag: The Aesthetics of Silence. In: Styles of

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kann als Abwehr und Verweigerung von Kommunikation aufgefasst werden,4 ja selbst außerhalb der Kommunikation als ihr Anderes verortet werden – Niklas Luhmann nennt dies „Schweigen ohne Anschlussfähigkeit“.5 Andererseits kann Schweigen innerhalb von Kommunikation auch als Zustimmung aufgefasst werden (qui tacet consentire videtur). Lachen ist ähnlich ambivalent: es kann als Freude und Spott, Überlegenheit und Unsicherheit, als Ausdruck von Überraschung und rhetorische Strategie aufgefasst werden, als gemeinschaftliches Einverständnis – und auch sein Gegenteil: Exklusion, Distanz und Fremdheit signalisieren. Aus der Ambiguität und dem Nuancenreichtum ergibt sich ein strukturell unscharfer, ja rätselhafter Charakter von Lachen und Schweigen in der Kommunikation: es ist sehr schwierig, ihre unterliegenden Motive und Intentionen auszumachen, sie erscheinen wie ein Vakuum in der Kommunikation, ein „Loch in der Sprache“, wie Sartre in Der Idiot der Familie formuliert.6 Diese Ambivalenz beinhaltet ein Risiko, und es ist noch höher als dasjenige, welches Kommunikation ohnehin schon darstellt. Wer zum falschen Zeitpunkt lacht oder schweigt, kann das Gelingen von Kommunikation, insbesondere von rituell geformter, stören oder gar verhindern. Um dieses Risiko einzudämmen, sind gesellschaftliche Normen erforderlich, wie mit Lachen und Schweigen umgegangen werden soll: Tatsächlich verfügen fast alle Gesellschaften über etablierte, teilweise sehr ausgeformte Regelungen, wer wann wo und gegenüber wem schweigen muss oder nicht schweigen darf, wie der Soziologe Alois Hahn feststellt.7 Diese Regelungen sind selbstverständlich historisch variabel, und es scheint so, als ob es zwischen Mittelalter und Neuzeit größere Differenzen gäbe als zwischen Antike und Mittelalter. Blicken wir auf die Grenzen und Lizenzen von Lachen und Schweigen im Mittelalter, erkennen wir einen schroffen Gegensatz: dort, wo Schweigen gefordert

Radical Will, New York, London 1969, S. 3–34 (dt.: Die Ästhetik des Schweigens. In: Susan Sontag: Gesten radikalen Willens. Essays. Übers. von Jörg Trobitius, Frankfurt a. M. 2011, S. 11–50). 4 Zum Schweigen als Negation vgl. Jean-Francois Lyotard: Der Widerstreit, München 1989, S. 35: „Das Schweigen zeigt nicht an, welche Instanz negiert ist, sondern es zeigt an, dass eine oder mehrere Instanzen negiert sind“. 5 Niklas Luhmann/Peter Fuchs: Reden und Schweigen, Frankfurt a. M. 1989, S. 17. 6 Jean Paul Sartre: Der Idiot der Familie. In: Gesammelte Werke. Schriften zur Literatur, Bd. 5, Reinbek 2004, S. 40. 7 Vgl. Alois Hahn: Schweigen, Verschweigen, Wegschauen und Verhüllen. In: Schweigen. Archäologie der literarischen Kommunikation XI. Hrsg. von Aleida Assmann/Jan Assmann, München 2015, S. 29–50, hier S. 31 ff.



Lachen und Schweigen in Wolframs Parzival 

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wird  – etwa in den monastischen Regeln  – ist das laute Lachen die größtmög­ liche Grenzverletzung.8 Dieses steht in unmittelbarem Zusammenhang mit dem sündhaften Reden, das in einer Systematik der Zungensünden (multiloquium, turpiloquium, stultiloquium) aufgeschlüsselt ist.9 Das in den Ordensregeln festgelegte Gebot der taciturnitas verschärft die Weltflucht durch Kommunikationsflucht, und das Lachen stört diese Bewegung als Ausdruck höchster Immanenz und Präsenz. Der Gegensatz von stillem Schweigen, das Demut signalisiert, und lautem Lachen, welches Hochmut und Narrheit bedeutet, ist biblisch vorgeprägt: so heißt es im Ecclesiasticus 21.23 der Vulgata: Fatuus in risu exaltet vocem suam, vir autem sapiens vix tacite ridebit („Der Narr erhebt laut seine Stimme im Lachen, während der weise Mann schweigt und lächelt“).10 Dies gilt in der Regel auch für höfische Erziehungslehren, welche ja auf geistliche Denk- und Argumentationsmuster zurückgreifen.11 Doch gerade der Hof ist der Ort, wo das Lachen Dignität zurückgewinnt und Schweigen gleichzeitig verdächtig wird: Je mehr die ethisch-rhetorische urbanitas, Scherz, Witz und Redegewandtheit als Inbegriff höfischer Kultiviertheit gilt12 (und Wolfram scheint dies bereits für sich in Anspruch zu nehmen), desto leichter kann Schweigen am Adelshof negativ als inadäquates Verstummen ausgelegt bzw. als ein Zeichen für geistige und soziale Unzulänglichkeit bewertet werden. Zur Gefahr schließlich wird Schweigen im Bereich der symbolischen politischen Kommunikation, wo es mit Ohnmacht und Gesichtsverlust in Verbindung gebracht wird, währenddessen Lachen bzw. die Fähigkeit, Lachen auszulösen, sowohl als ein Instrument

8 Zum Lachen und Schweigen in den monastischen Regeln vgl. den Aufsatz von Jacques Le Goff: Le rire dans les règles monastiques du haut moyen âge. In: Haut Moyen Âge. Éducation et Société. Études offertes à Pierre Riché. Hrsg. von Michel Sot, Paris 1990, S. 93–103. 9 Vgl. Carla Casagrande/ Silvana Vecchio: I peccati della lingua. Disciplina ed etica della parola nella Cultura Medievale, Roma 1987. 10 Biblia sacra: iuxta Vulgatam versionem adiuvantibus Bonifatio Fischer. Rec. et brevi apparatu critico instruxit Robertus Weber, 5. verb. Aufl. Stuttgart 2007 (Übers. M. R. V.). 11 Vgl. dazu Sebastian Coxon: do lachete die gote. Zur literarischen Inszenierung des Lachens in der höfischen Epik. In: Wolfram-Studien XVIII (2004): Erzähltechnik und Erzählstrategien in der deutschen Literatur des Mittelalters. Saarbrücker Kolloquium 2002. Hrsg. von Wolfgang Haubrichs u. a., Berlin 2004, S. 189–210. 12 Etwa in Baldesar Castiglione: Il libro del Cortegiano. Hrsg. von Walter Barberis, Torino 1998 (dt. Ausgabe: Das Buch vom Hofmann. Übers., eingel. u. erl. von Fritz Baumgart, Bremen 1960). Vgl. zu den Lachregelungen des zweiten Buches Peter Burke: Reden und Schweigen. Zur Geschichte sprachlicher Identität, Berlin 1994 sowie Werner Röcke: Inszenierungen des Lachens in Literatur und Kultur des Mittelalters. In: Kulturen des Performativen. Hrsg. von Erika Fischer-Lichte/Doris Kolesch, Paragrana 7.1 (1998), S. 73–93.

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der Gesichtswahrung oder der Gewaltvermeidung geschätzt, als auch als Beschämungs- und Erniedrigungsstrategie gefürchtet war.13 Die Regelungen des Lachens und Schweigens innerhalb geistlicher und weltlicher Ordnungen im Mittelalter zeigen unzweifelhaft an, in welch hohem Maße das Risiko der beiden prekären Kommunikationsformen für das Gelingen von Interaktion bekannt war. Lachen und Schweigen wurden nicht allein als Ausdrucksformen für normgerechtes oder normwidriges Verhalten aufgefasst, sondern auch als solche, denen eine gewisse Deutungsnotwendigkeit inhärent ist. Und gerade diese aus der Ambivalenz entstehende Deutungsnotwendigkeit macht beide so fruchtbar für die literarische Darstellung. Denn in der Literatur können Lachen und Schweigen rhetorisch und semantisch geformt und inszeniert werden, sie können als beredtes Schweigen und sprechendes Lachen auf die Unsagbarkeit von Erfahrungen, die Unaussprechlichkeit und überhaupt erst die Existenz von Gefühlen hinweisen, sie können als Medien von Macht bzw. Machtlosigkeit der Figuren verwendet werden, sie können Figurenverhalten an kulturelle Codes wie Klugheit/Vorsicht bzw. Narrheit/Übermut binden und es für theologische und ethische Programme anschließbar machen. Darüber hinaus verfügen Lachen und Schweigen über einen „performativen Überschuss“, insofern sie Textmerkmale sind, die mehr als nur eine Mitteilung senden wollen.14 Als individuelle und kollektive Ausdrucksformen von Befindlichkeiten und Stimmungen, als machtvolle Abwesenheit oder machtvolle Präsenz können sie ihre reine Zeichenhaftigkeit überschreiten und zur episodisch gebundenen Darstellung von Befindlichkeiten und Atmosphären dienen. Narratologisch gesehen treiben Lachen und Schweigen in ihrer Mehrdeutigkeit die Handlung voran. Sie verbinden und trennen Episoden und Figuren, sind Ausdruck von Konsens und Dissens, haben eigene Räume und Zeiten, die sie bestimmen, sind Anlässe des Missverständnisses und der Kommunikationsstörung, mit einem Wort: sie zeitigen Konsequenzen. Beide sind daher wichtige erzählerische Mittel für den Fortgang der Handlung. – Doch wie funktioniert das genau? Welche narrativen Strategien können anhand von Lachen und Schweigen überhaupt beobachtet werden, und sind damit poetologische Absichten ver­ bunden?

13 Vgl. dazu Gerd Althoff: Vom Lächeln zum Verlachen. In: Lachgemeinschaften: kulturelle Inszenierungen und soziale Wirkungen von Gelächter im Mittelalter und in der frühen Neuzeit. Hrsg. von Werner Röcke/Hans Rudolf Velten, Berlin, New York 2005, S. 3–16. 14 Zum performativen Charakter von Schweigen vgl. Claudia Benthien: Barockes Schweigen. Rhetorik und Performativität des Sprachlosen im 17. Jahrhundert, Paderborn 2006, S. 239–264.



Lachen und Schweigen in Wolframs Parzival 

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Diesen Fragen möchte ich im Folgenden an Wolframs von Eschenbach höfischem Roman Parzival nachgehen.15 Vorausschickend ist festzustellen, dass wir das Schweigen im Roman nicht mehr hören können, aber auch vom Lachen der Figuren können wir nur lesen. Was wir beim Lesen aber hören, ist die Stimme des Erzählers. Fast ausschließlich über sie erfahren wir etwas über das Schweigen und das Lachen der Figuren, wenn sie etwa von Parzival sagt, sîner muoter er gesweic (173,8), oder über Artus: der künec swîcte und was unvrô (322,13) bzw. der wirt begunde lachen (166,10), wenn sich Gurnemanz über den eigeschränkten Horizont seines Gastes amüsiert. Doch nicht immer werden Lachen und Schweigen aus auktorialer Perspektive dargestellt, bisweilen erscheinen sie auch als Figurenrede: wenn Vergulaht den Streit zwischen Liddamus und Kyngrimursel schlichten will und sie verärgert zum Schweigen auffordert: swîget iuwer wehsel­ maere (422,3). Wenn ich mich im Folgenden auf die an Episoden gebundene narrative Inszenierung von Lachen und Schweigen konzentriere, muss ich notwendigerweise andere Verweisebenen ausschließen. Weniger interessieren mich Formen und Situationen der Komik, des Spottes und der Ironie, wie auf der anderen Seite Schweigezeiten und Schweigeräume, die hier keine Rolle spielen.16 Auch versuche ich keineswegs im Sinne der Rezeptionssteuerung zu zeigen, wie Lachbelege im Text oder Erzählerironie auf der Rezeptionsebene funktionieren und eventuell zu Lachen führen können. Ferner muss ich mich strikt auf die ParzivalHandlung im Roman beschränken. Analog dazu könnte man die Rolle von Verschweigen und Lachen in der Gawan-Handlung des Romans analysieren, doch dies wäre genügend Stoff für eine eigene Untersuchung. Das beredte Schweigen sowie die höfische dissimulatio, das bewusste Verschweigen, gehören der GawanHandlung in genauso hohem Maße an wie ihre Einbindung in burleske Komik, Spott und dem Umgang mit ihm.17 Worauf ich mich im Folgenden konzentrieren

15 Ich stütze mich dabei auf folgende Ausgabe: Wolfram von Eschenbach: Parzival. Studienausgabe. Mhd. Text nach der sechsten Ausgabe von Karl Lachmann. Übersetzung von Peter Knecht. Mit Einführungen zum Text der Lachmannschen Ausgabe und in Probleme der ‚Parzival‘-Interpretation von Bernd Schirok. 2.  Aufl. Berlin, New York 2003. Versangaben in Klammern nach den Zitaten. 16 Vgl. dazu, mit zahlreichen Hinweisen auf Wolframs Parzival, die bislang reichhaltigste Studie zum Schweigen in der höfischen Epik: Mireille Schnyder: Topographie des Schweigens. Untersuchungen zum deutschen höfischen Roman um 1200, Göttingen 2003 (Historische Semantik 3), S. 219–377. 17 Vgl. dazu Martin H. Jones: The significance of the Gawan story in Parzival. In: A Companion to Wolfram’s Parzival. Hrsg. von Will Hasty, Columbia 1999, S.  37–76 sowie Sandra Linden: Spielleiter hinter den Kulissen? Die Gawanfigur in Wolframs von Eschenbach ‚Parzi-

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werde, sind Beobachtungen zu vier Episoden des Werkes, in welchen Lachen und Schweigen als aufeinander bezogen erscheinen: Parzivals Ankunft am Artushof, der Besuch auf der Gralsburg Munsalvæsche, die Blutstropfenszene sowie das Schlusskapitel.

2 Erste Szene: Parzival am Artushof – Cunnewâre lacht Im Parzival Wolframs gibt es je nach Zählung ca. 40 Lachbelege18 und fast ebenso viele zum Schweigen, Verschweigen und Verstummen. Das ist wesentlich mehr als in den meisten anderen höfischen Romanen, und das Werk kann daher mit Recht als ein Roman über höfische Kommunikation, ihr Gelingen und ihr Scheitern gelesen werden. Das überrascht auch nicht, vergegenwärtigt man sich, dass der Grund für das Schweigen vor dem Gral als ‚Frageversäumnis‘ eine der wichtigsten, wenn nicht sogar die Schlüsselfrage des gesamten Buches angesehen wird. Vor allem das Schweigen, aber auch das Lachen oder vielmehr Humor und Witz sind daher mehrfach untersucht worden, aber immer als Einzelphänomene und nicht als im episodischen Zusammenhang stehende kommunikative Akte.19 Strukturell scheint Schweigen eher die Parzival-Handlung zu betreffen mit dem Schweigen

val‘. In: Impulse und Resonanzen. Mediävistische Beiträge zum 80. Geburtstag von Walter Haug. Hrsg. von Gisela Vollmann-Profe u. a., Tübingen 2007, S. 151–166. 18 Stefan Seeber hat sie gezählt. Er unterscheidet das Wort lachen (36 Belege) vom Wortfeld. Vgl. Stefan Seeber: Poetik des Lachens: Untersuchungen zum mittelhochdeutschen Roman um 1200, Berlin 2010, S. 142. 19 Vgl. zum Schweigen z. B. Alois Wolf: Literarhistorische Aspekte von Parzivals Schweigen. In: Zeiten und Formen in Sprache und Dichtung. FS Fritz Tschirch zum 70. Geburtstag. Hrsg. von Karl-Heinz Schirmer/Bernhard Sowinski, Köln, Wien 1972, S. 74–95; Uwe Ruberg: Beredtes Schweigen in lehrhafter und erzählender deutscher Literatur des Mittelalters. Mit kommentierter Erstedition spätmittelalterlicher Lehrtexte über das Schweigen, München 1978; Beatrice Michaelis: Das Schweigen Parzivals – oder: alles eine Frage der Erlösung. In: Erlöser. Figurationen männlicher Hegemonie. Hrsg. von Sven Glawion, Bielefeld 2007, S. 29–40; zum Humor, Witz und Lachen Max Wehrli: Wolframs Humor. In: Wolfram von Eschenbach. Hrsg. von Heinz Rupp, Darmstadt 1966, S. 104–124; Karl Bertau: Versuch über tote Witze bei Wolfram. In: Ders.: Wolfram von Eschenbach. Neun Versuche über Subjektivität und Ursprünglichkeit in der Geschichte, München 1983, S. 60–109; Sebastian Coxon: Laughter and the process of civiliza­tion in Wolfram von Eschenbach’s Parzival. In: Un-civilizing processes? Excess and transgression in German society and culture. Perspectives debating with Norbert Elias. Hrsg. von Marx Fulbrook, Amsterdam 2007, S. 17–38.



Lachen und Schweigen in Wolframs Parzival 

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vor dem Gral, das als Konsequenz der Sündhaftigkeit, der falschen Erziehung des Helden oder als Anzeichen einer Wahrnehmungsstörung interpretiert wurde,20 während man Lachen eher mit Gawan und seiner teils burlesken Rolle als Befreier seiner Verwandten und Werber um Orgeluse in Verbindung brachte.21 In diesem Zusammenhang ist Lachen auch als Kennzeichen eines weiblichen Handlungsspielraums gesehen worden,22 bzw. als Anzeiger psychologischer und geistiger Reife und Entwicklung des Helden, und zuletzt als metaphorische Ausprägung einer Poetologie, die von der Ironie des Erzählers bestimmt wird.23 Ich beginne mit der Episode in Buch III, der Ankunft des jungen Parzival am Artushof. Seit dem ersten Zusammentreffen mit Rittern und seinem Ausbruch aus der mütterlichen Obhut in Soltane steht Parzival der Welt als scheinbar linkischer Dümmling gegenüber: Die Ritter lachten über seine kindliche Einfalt, der Fischer wird über seine Unfähigkeit, den Wert der Jeschute geraubten Spange einzuschätzen, ebenfalls lachen (sein munt der lachte, 143,4), der Knappe Iwanet lacht über die Tatsache, dass der Junge aus der Menge der anwesenden Ritter Artus nicht herauszulesen weiß. Parzivals lächerliche Ansprache bei Hofe (die vom Erzähler mit gagernde als ein trappe, 149,26) kommentiert wird, kontrastiert mit seiner vollkommenen Schönheit, mit welcher der Erzähler ihn im Blickfeld der Anwesenden beschreibt. Die Szene ist voll mit Bewegung, Heiterkeit und Lachen, denn der junge Ritter im Narrenkostüm kann nun wirklich nicht ernst genommen werden, und auch der bissige Spott Keies vermag der Szene ihre höfische Hochstimmung nicht zu nehmen. Parzival ist hier zwar noch der dumme Junge, der verlacht und verspottet werden kann, doch andererseits ist dieses Lachen auch ein inklusives Lachen, ein Begrüßungslachen, welches zwar Defizite aufweist, doch gute Laune zur Voraussetzung hat  – dass Artus ihm die gewünschte Rüstung überlässt, spricht ebenfalls dafür. Nun passiert es, dass Parzival beim Hinausgehen auch an der Königin und ihren Damen vorbeikommt, welche ihn unbedingt sehen wollen. Eine der Damen, Cunnewâre, so erfahren wir, die bislang alles Lachen vermieden hatte, bis sie den Ritter sähe, der den höchsten Preis wert sei, diese Dame beginnt plötzlich zu lachen:

20 Joachim Bumke: Die Blutstropfen im Schnee. Über Wahrnehmung und Erkenntnis im ‚Parzival‘ Wolframs von Eschenbach, Tübingen 2001 (Hermaea N. F. 94). 21 Joachim Bumke: Wolfram von Eschenbach. Stuttgart, 8., völlig neu bearb. Aufl. 2004, S. 125– 168. 22 Waltraud Fritsch-Rössler: Lachen und Schlagen. Reden als Kulturtechnik in Wolframs ‚Parzival‘. In: Verstehen durch Vernunft. FS für Werner Hoffmann. Hrsg. von Burkhardt Krause, Wien 1997 (Philologica Germanica 19), S. 75–98. 23 Seeber (Anm. 18).

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dâ saz frou Cunnewâre diu fiere und diu clâre, diu enlachte decheinen wîs, sine sæhe in die den hôhsten prîs hete oder solt erwerben: si wolt ê sus ersterben. allez lachen sie vermeit, unz daz der knappe für si reit: do erlachte ir minneclîcher munt, des wart ir rükke ungesunt. (151,7–20)

Dort bei ihnen saß auch in ihrem klaren Glanz und mit edlem Stolz die Dame Cunnewâre. Die lachte niemals, unter gar keinen Umständen, bis zu dem Tag, da ihr der vor Augen käme, der höchsten Ruhm auf Erden hätte oder gewinnen sollte. Anders wollte sie’s nicht tun, eher wollte sie sterben: Nicht das kleinste Lachen war ihr auf die Lippen gekommen bis zu dem Augenblick, da sie den Knaben dort unten reiten sah: Da kam ein Lachen über ihren süßen Mund. Das aber trug ihr Rückenschmerzen ein.

Viel ist um das erlachen gerätselt worden, ob es nun lautes helles Lachen bedeute oder nur ein feines Lächeln des Mundes, beides im semantischen Feld des mhd. Verbs möglich. Das Eruptive und Plötzliche der Geste scheint nicht für ein Lächeln zu sprechen. Dazu passt auch die Szene, die unmittelbar auf dieses Lachen folgt: Artusʼ Seneschall Keie packt Cunnewâre bei ihren Zöpfen und schlägt ihr auf den Rücken bis auf die Haut, eine skandalöse Tat, die das Transgressive und Bedroh­liche dieses Lachens, seine unerhörte Prophetie unterstreicht, und die die An­wesenden und den Erzähler regelrecht schockiert. Doch das Pendel schlägt wieder um, es kommt zu einer direkt anschließenden zweiten hervorgehobenen Handlung: Der verswigen Antanor, der durch swîgen dûht ein tôr, sîn rede unde ir lachen was gezilt mit einen sachen: ern wolde nimmer wort gesagn, sine lachte diu dâ wart geslagn. dô ir lachen wart getân, sîn munt sprach ze Keyen sân ‚got weiz, hêr scheneschlant, daz Cunnewâre de Lâlant durch den knappen ist zerbert, iwer freude es wirt verzert noch von sîner hende, ern sî nie sô ellende.‘ (152,23–153,6)



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Und da war noch der stille Antanor: Der galt als taubstumm und als ein Kretin, weil er immer schwieg. Bei ihm war aber das Reden, so wie bei dem Mädchen das Lachen, an ein und dieselbe Bedingung geknüpft. Er hatte nie ein Wort sprechen wollen, solange sie, die jetzt Schläge bekam, nicht lachte. Als aber ihr Lachen verklungen war, da sprach sein Mund zu Keye: „Gott weiß, mein Herr Seneschall, daß Cunnewâre de Lâlant um dieses Knaben willen verprügelt wurde; so wird denn einmal von seiner Hand Euer Glück zerfetzt werden, mag er jetzt auch als ein ganz hilfloses Waisenkind erscheinen.“

Antanor, den alle für einen Narren mit Sprachdefizienz halten, da er immer schweigt, weil er erst wieder sprechen will, wenn Cunnewâre lacht, dieser Antanor spricht auf einmal, und aus diesem Sprechen ist eine zweite Vorausdeutung zu erkennen: Der Fremde werde Keie einmal diese unhöfische Prügel heimzahlen. Hier folgen Lachen und Reden als ostentative kommunikative Akte direkt aufeinander, und beide werden von Keie, der in ihnen eine Überschreitung der höfischen Regeln erkennt, mit Prügel bestraft.24 Beide sind auf das Künftige ausgerichtet und lassen sich mit Arthur Danto als zukunftsbezügliche Prädikate25 verstehen, an denen die doppelte epistemische Struktur der Narration zwischen Figurenperspektive und Erzählerperspektive erkennbar wird. Keie versteht stellvertretend für die Artusgesellschaft das Lachen im Rahmen der höfischen Kommunikationsregeln als sinnlose und provokative Aussage: und lachet nû durch einen man / der niht mit ritters fuore kan (152,11  f.; „und lacht nun über einen, der keine Ahnung hat vom ritterlichen Leben“). Wir können annehmen, dass der Hof Keies Auffassung stillschweigend zugestimmt hat; schon das Schweigen Antanors hatte man ja als Narrheit gewertet, hatte dafür keine verstandesmäßig fassbare Erklärung, keine andere Deutungsmöglichkeit, als es aus der rationalen Ordnung auszuklammern.26 Auf der anderen Seite erfasst die Erzählerperspektive das Erzählte vom Ende her und konfiguriert das Lachen als ein Zeichen des Erkennens und Erwählens

24 Zum symbolischen Zusammenhang Lachen  – Sprechen  – Schlagen vgl. Fritsch-Rössler (Anm.  22). Zum Problem der Gewalt vgl. Werner Röcke: Provokation und Ritual. Das Spiel mit der Gewalt und die soziale Funktion des Seneschall Keie im arthurischen Roman. In: Der Fehltritt. Vergehen und Versehen in der Vormoderne. Hrsg. von Peter von Moos, Köln 2001, S. 343–361. 25 Arthur C. Danto: Narration and Knowledge (including the integral text of Analytic Philosophy of History), New York 1985, S. 349. 26 Schnyder (Anm. 16), S. 115.

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des ersehnten Helden.27 Hier scheint auf, dass Parzivals Weg in der absoluten Sicherheit des ‚Noch nicht‘ der Heilsgewissheit verläuft. Cunnewâres Lachen und Antanors Sprechen lassen für den an providentielle Schemata gewöhnten Hörer Figuren- und Erzählerperspektive auseinanderfallen, die Szene wird zum proleptischen Knotenpunkt der Erzählung. Das hat weitreichende narrative Konsequenzen: es gibt im dritten, vierten und sechsten Buch zahlreiche Rückbezüge darauf, wenn die Parzival im Kampf Unterlegenen regelmäßig zu Cunnewâre an den Artushof gesandt werden, um an die Erfüllung der Prophezeiung und an Keies Untat zu erinnern. Auf einen zweiten Punkt hat Christoph Huber hingewiesen: Wolfram bindet das Lachen der Cunnewâre genealogisch ein, wenn Cunnewâre als Schwester Laehelins und Orilusʼ, beides Erbfeinde von Parzival, hier privilegiert und später mit Clamide, dem gegnerischen Werber um Condwiramurs, Parzivals Geliebter und Frau, verheiratet wird. Dieses Lachen hat letztendlich auch die Kraft der Versöhnung verfeindeter Geschlechter.28 Die unterschiedliche Bewertung von Lachen und Schweigen auf der Figurenund Erzählerperspektive zeigt nicht nur, wie deren Mehrdeutigkeit narrativ genutzt wird, sie stellt auch die defizitäre Deutung durch Keie und den Artushof heraus.

3 Zweite Szene: Auf der Gralsburg: Parzival schweigt Bezogen auf die Szene am Artushof kann man die Episode im fünften Buch lesen, als Parzival auf der Gralsburg Munsalvæsche ankommt: Hier steht diesmal nicht ein Lachen im Mittelpunkt, sondern das Schweigen des Helden, was gleichbedeutend mit dem Frageversäumnis ist. Lässt man einmal die möglichen Motivationen beiseite, die Parzival zum Schweigen gebracht haben, und konzentriert sich ganz auf den Ablauf der höfischen Interaktion, so ist das Schweigen Parzivals nicht verwunderlich. Er wird zunächst in aller höfischer Form auf der Grals-

27 Vgl. dazu Katharina Philipowski: Das Gelächter der Cunnewâre. In: Zeitschrift für Germanistik N. F. 13.1 (2003), S. 9–25. Das Moment der Erwartung einer neuen Ordnung in Cunnewares Lachen betont auch Mireille Schnyder: Lachen oder Schweigen?, in diesem Band S. 13. 28 Christoph Huber: Lachen im höfischen Roman. Zu einigen komplexen Episoden im literarischen Transfer. In: Kultureller Austausch und Literaturgeschichte im Mittelalter. Transferts culturels et histoire littéraire au Moyen Âge. Hrsg. von Ingrid Kasten/Werner Paravicini/René Perennec, Sigmaringen 1998, S. 345–359.



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burg begrüßt, man zieht ihm die Rüstung aus, gibt ihm Wasser zum Trinken und zum Waschen und legt ihm den Mantel der Königin an, worauf er sich höflich bedankt. Nun geht er in den hell erleuchteten Palas hinauf, da ist die Rede von hundert Kronleuchtern, zahlreichen Polstern und Teppichen zum Ausruhen, riesigen Kaminen und einem besonders kostbar ausgestatteten Bett, auf dem der leidende Gralskönig Anfortas ruht. Die ganze Pracht kontrastiert mit dem Kummer der Ritter und Damen, die in Wehklagen und Weinen ausbrechen, als man eine blutende Lanze hereinträgt. Doch dann gibt es unermesslich viele Speisen, die von reich bekleideten Dienern kredenzt werden, und schließlich wird glanzvoll der Gral zum König gebracht. Jetzt sagt der Erzähler von Parzival: wol gemarcte Parzivâl die rîcheit unt daz wunder grôz: durch zuht in vrâgens doch verdrôz er dâhte ‚mir riet Gurnemanz mit grôzen triwen âne schranz, ich solte vil gevrâgen niht.‘ (239, 8–13) Die Pracht und das große Wunder bemerkte Parzivâl wohl; doch wollte er nicht ungezogen sein und scheute sich deshalb zu fragen. Er dachte: „Gurnamanz hat mir beigebracht – er ist mir gut und seine Treue ohne Scharte –, daß ich nicht viel fragen soll.“

In vormoderner Literatur werden Einblicke in die inneren Beweggründe der Figuren nur selten gegeben.29 Hier denkt Parzival an seinen Lehrmeister Gurnemanz, der ihm geraten hatte, besser nicht zu viel zu fragen – eine höfische Verhaltensregel, die man auch in der didaktischen Literatur wiederfindet. Die fokalisierte Perspektive, in der diese Mitteilung präsentiert wird, sollte allerdings skeptisch machen – sie gibt den Eindruck eines immer noch unerfahrenen Ritters wieder. Lesen wir die Szene auf der Gralsburg im Zusammenhang, sehen wir dieses Schweigen also episodisch, dann spielt die Überlegung Parzivals, zu schweigen, nur noch eine untergeordnete Rolle. Sein Schweigen ist eher Resultat aus einer Fülle von Eindrücken und kommunikativen Strategien, die sich gegenseitig verstärken und ihn zum Schweigen bringen. Was hier vorliegt, könnte man auch gescheiterte Kommunikation nennen, die auf unterschiedlichen Erwartungen seitens des Helden und der Gralsgesellschaft beruht.

29 Aber es gibt verschiedene Ansätze, diese im Gegensatz zur modernen Literatur seltenen und anderen Formen der Darstellung von Figurenleben zu untersuchen; vgl. etwa Gert Hübner: Erzählform im höfischen Roman. Studien zur Fokalisierung im Eneas, im Iwein und im Tristan, Tübingen 2003 und Jan-Dirk Müller: Höfische Kompromisse. Acht Kapitel zur höfischen Epik, Tübingen 2007, S. 170–224.

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Bernd Schirok hat in Anlehnung an Christa Maria Kordts Kommentar die Absicht der Gralsgemeinschaft herausgearbeitet, die Mitleidsfrage indirekt zu provozieren, da direkte Hinweise darauf sofort zum Scheitern des Erlösungsvorgangs geführt hätten. Nach Schirok seien die spezifische Inszenierung und die Behandlung Parzivals darauf ausgelegt, ihn zur Frage zu bewegen. Dies habe scheitern müssen, da Parzival, visuell geblendet von der Pracht und von der Fremdheit der Vorgänge, zur Passivität gedrängt worden sei, sodass die Kommunikationsanreize das Gegenteil von dem erreichten, was erhofft wurde. Auch Anfortas habe Fehler gemacht: er habe „mit seiner Äußerung die Frage, zu der er Parzival […] mit dem Geschenk des Schwertes veranlassen will, anschließend im Grunde selbst beantwortet“.30 Man könnte noch weiter gehen und das Schweigen des Helden sogar als situationsangemessen interpretieren (im Gegensatz zur herrschenden Meinung, die gerade die Inadäquatheit des Schweigens unterstreicht). Denn dieses Schweigen zeigt programmatisch, was kommunikativ nicht eingeholt werden kann, was die Grenzen der Sprache übersteigt: die Gegenwart des Numinosen.31 Es ist daher nicht allein als verweigerte Kommunikation zu verstehen, sondern trägt eine religiöse Valenz: es ähnelt dem Schweigen aus Ehrfurcht vor der Präsenz der Gottheit, die Parzival hier erfährt. Wenn wir nach dem Lachen in dieser Episode suchen, scheint es völlig ausgeklammert. Und doch: zwischen Parzivals Einkleidung und seiner Ankunft im Palas schaltet Wolfram eine kurze Szene dazwischen, die sehr aufschlussreich ist. Unter dem Stichwort schimpf wird folgendes erzählt: Ze hove ein redespæher man bat komn ze vrävellîche den gast ellens rîche zem wirte, als ob im wære zorn. des het er nâch den lîp verlorn von dem jungen Parzivâl. dô er sîn swert wol gemâl ninder bî im ligen vant, zer fiuste twanger sus die hant daz dez pluot ûzen nagelen schôz und im den ermel gar begôz.

30 Bernd Schirok: Die Inszenierung von Munsalvæsche: Parzivals erster Besuch auf der Gralsburg. In: Literaturwissenschaftliches Jahrbuch N. F. 46 (2005), S. 39–78, hier S. 61. Schweigen wird erst aus dem Mund Cundries zum Vorwurf: da erwarb iu swîgen sünden zil (316,23). 31 Im Sinn von Rudolf Otto: Das Heilige: Über das Irrationale in der Idee des Göttlichen und sein Verhältnis zum Rationalen, Breslau 1917, ND München 2004.



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‚nein, herre,‘ sprach diu ritterschaft, ‚ez ist ein man der schimpfes kraft hât, swie trûrc wir anders sîn: tuot iwer zuht gein im schîn. (229, 4–18) Da war so ein Redekünstler, der fuhr den starken Gast frech an und forderte ihn auf, bei Hofe zu erscheinen vor dem Herrn, als ob er wütend auf ihn wäre. Das hätte er beinahe mit dem Leben bezahlt bei dem jungen Parzivâl. Als der merkte, daß sein schönes buntes Schwert nicht bei ihm lag, da ballte er die Hand zur Faust mit solcher Gewalt, daß ihm das Blut aus den Nägeln schoß und ihm den Ärmel begoß. „Nein, mein Herr“, sprachen da die Ritter, „er hat das Amt und Privileg zu scherzen, so traurig es sonst auch hergeht bei uns. Ihr müßt gegen ihn edel und großmütig sein.“

Die Stelle ist lange kontrovers diskutiert worden. Ich sage nur so viel, dass ich hier ebenfalls einen „echten Hofnarren“32 sehe, der durch ironisches Sprechen den Gast scherzhaft provozieren, ein Lachen von ihm erhalten will. Doch Parzival versteht nicht. Er hat, so Volker Mertens, nicht gelernt, „Sprache situationsgerecht zu gebrauchen“.33 Die Gralsgesellschaft hatte wohl die Absicht, den Gast aufzumuntern, ihn in eine gelöste Stimmung zu bringen, die ihn wiederum zur Mitleidsfrage veranlassen könnte. Denn der Zugang zum Sakralen kann durch Komik ermöglicht werden, dies ist eine kulturell feststehende Relation im Mittelalter, wir sehen das im Osterspiel, in der Legende oder in der Buchmalerei.34 Diese kommunikative Strategie ist jedoch gescheitert, sicherlich nicht allein aus mangelnder Angemessenheit der Situation, sondern aus dem fehlenden Verständnis für die Valenzen des Lachens beim Helden. Die Kunst der spöt­tischen Rede besteht in der Differenz des als ob, das als unernstes Sprechen aufgefasst werden soll. Doch Parzival versteht das Ganze nicht als Spaß. Dass er sich des schimpfes niht versan bedeutet nicht nur, dass er „just im Moment auf einen solchen Schabernack nicht gefasst war, sondern dass ihm grundsätzlich für das sprachliche Zeichen der Ironie die Wahrnehmungsrezeptoren fehlen“.35 Die Unfä-

32 Joachim Bumke: Die Wolfram-von-Eschenbach-Forschung seit 1945, München 1970, S. 293; hier auch die Diskussion der verschiedenen Forschungspositionen. 33 Volker Mertens: Parzivals doppelte Probe. In: Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur 108 (1980), S. 323–339, hier S. 330. 34 Vgl. dazu Aaron R. Gurjewitsch: Le comique et le sérieux dans la littérature religieuse du Moyen Age. In: Diogène 89 (1975), S. 67–89 sowie Katja Gvozdeva/Werner Röcke: Einleitung. In: risus sacer – sacrum risibile: Interaktionsfelder von Sakralität und Gelächter im kulturellen und historischen Wandel. Hrsg. von Katja Gvozdeva/Werner Röcke (Publikationen zur Zeitschrift für Germanistik 20), Berlin 2009, S. 9–28. 35 Maike Retzer: Mythische Strukturen in Wolframs von Eschenbach ‚Parzival‘. Diss. Münschen 2006, S.  166; vgl. auch Johannes Keller: Parzivals Sprachlosigkeit. Eine Poetik des

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higkeit Parzivals, sprachliche Zeichen richtig zu deuten und registergerecht zu erwidern, wird am unterdrückten Zorn in der Geste der Selbstverletzung (er ballt die Faust bis sie blutet) bildkräftig. Was hier fehlt, ist die Souveränität, mit provokativen Scherzen umzugehen und sie durch Lachen unschädlich zu machen.36 Der Zusammenhang von Lachen und Schweigen ergibt sich in dieser Szene aus der unterschiedlichen Auffassung von Kommunikation und ihren Strategien. Die Gralsgemeinschaft darf nur indirekt kommunizieren, in dissimulativer oder in ironischer Rede, doch Parzival versteht nur direkte, offene Ansprachen im normierten Modus. Er hat keinen Sinn für Ambivalenzen und Nuancen, er beherrscht das Scherzen und Lachen noch nicht.37 Gleichzeitig beeinflussen Lachen und Schweigen aber auch die Atmosphären und Stimmungen der Episode. Während die Ankunft des Ritters zu Beginn noch mit freudiger Hoffnung verbunden ist, scheint sich nach dem gescheiterten Lachen die Atmosphäre des Trauerns und der fremden Pracht durchzusetzen, so, als ob die Interaktion sich verkrampft hätte. Schweigen als Kommunikationsabbruch bleibt somit die einzige Lösung für Parzival, auch wenn das niemandem nützt und er später dafür mehrfach gescholten und verdammt wird.

4 Dritte Szene: Die Blutstropfen im Schnee (Parzival schweigt immer noch, aber anders) Die Blutstropfenszene ist ebenfalls eine der Schlüsselszenen des Romans. Schon in Chrétiens Conte du Graal liegt ihre Bedeutung darin, dass hier verschiedene Themen gesammelt und reflektiert werden, die für die ganze Dichtung wichtig sind, wobei die Gedankenversunkenheit als sublimste Form höfischer Liebe im Zentrum steht.38 Wolfram verstärkt diese Einbindung der Episode in den Gesamtroman wieder durch zahlreiche Rück- und Vorausdeutungen. Er nimmt auch das Schweigen Parzivals als Minneversunkenheit auf, kontrastiert es jedoch, anders als Chrétien, mit komischen Szenen und Lachen.

(Miss-)Verstehens. In: Vom Verstehen deutscher Texte des Mittelalters aus der europäischen Kultur. Hrsg. von Dorothea Klein, Würzburg 2011, S. 219–231. 36 Das kann man wie Mertens als eine erste Probe auf die Mitleidsfrage lesen, doch scheint mir der Zusammenhang zwischen verhindertem Lachen und Schweigen treffender. 37 Coxon (Anm. 19), S. 33: „It represents an opportunity for Parzival to demonstrate his own ready wit and courtliness by not taking offence at a man who is licensed to jest.“ 38 Bumke (Anm. 20), S. 7.



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Bei Wolfram reitet Parzival nach dem Orilus-Kampf ziellos umher und verbringt die Nacht frierend im Wald. Am Morgen erreicht er eine Lichtung mit einem gefällten Stamm, in dessen Nähe er drei Blutstropfen im Schnee wahrnimmt, die aus der Wunde einer Wildgans stammen, die wiederum von Artusʼ Falken, der Parzival die Nacht über begleitet hatte, geschlagen worden war. Als Parzival die roten Blutstropfen auf dem weißen Schnee sieht, fühlt er sich an seine Geliebte erinnert: Cundwîer âmûrs, sich mac vür war / disiu varwe dir gelîchen (282,28 f.) und fällt in eine Art Trance, die von der Erinnerung an ihr Antlitz und ihre Schönheit beherrscht wird. Parzival verharrt regungslos, sus hielt er als er sliefe (283,23), heißt es. Doch seine Lanze ist erhoben, und so entdeckt ihn ein Knappe Cunnewâres, der dem in der Nähe lagernden Artushof sofort die Ankunft eines fremden Ritters verkündet. Die nun folgende Szene mit der Entdeckung Parzivals, der falschen Einschätzung seiner Absichten, der zweifachen Herausforderung durch Segramors und Keie und den beiden Zweikämpfen, welche mit schweren Stürzen der Gegner enden, oszilliert zwischen den atmosphärischen Polen Ruhe und Lärm, Schweigen und Lachen.39 Es beginnt mit dem übermütigen Kampfeseifer des Segramors, der Artus und Ginover sogar die Bettdecke wegzieht, um die Erlaubnis zum Zweikampf zu erhalten. Den Unfug quittieren die beiden mit einem königlichen Gelächter: sô daz si muosen wachen / und sîner unvuoge lachen (285,20). Dieses Lachen ist souverän, einerseits deshalb, da es eine spielerische Provokation mit Gelassenheit pariert, andererseits wegen seines inklusiven Charakters und der Akzeptanz von Scherzverhältnissen am Artushof.40 Der Kontrast zwischen dem sinnend-abwesenden Parzival hier, der in schmerzhafter Erinnerung versunken ist,41 und den sehr gegenwärtigen, lärmenden Rittern dort, macht sich vor allem in der sprachlichen Kommunikation bemerkbar: Sie fordern ihn großspurig heraus, spotten, drohen ihm, rechtfer­

39 Ich stütze mich im Folgenden auf die zeichentheoretische Interpretation Bumkes (Anm. 20) dieser Szene, sehe die Kommunikationsstörung jedoch nicht allein als Resultat einer Wahrnehmungsstörung bei Parzival (s.  u.). Kritisch dazu aus anderer Sicht: Walter Haug: Warum versteht Parzival nicht, was er hört und sieht? Erzählen zwischen Handlungsschematik und Figurenperspektive bei Hartmann und Wolfram. In: Wahrnehmung im ‚Parzival‘ Wolframs von Eschenbach. Actas do Colóquio Internacional 15 e 16 de Novembro de 2002. Hrsg. von John Greenfield, Porto 2004, S. 37–66. 40 Vgl. dazu Hans Rudolf Velten: Komik im Transfer. Zu Chrétiens ‚Le Conte du Graal‘ und Wolframs ‚Parzival‘. In: Wolframs Parzival-Roman im europäischen Kontext: Tübinger Kolloquium 2012. Hrsg. von Klaus Ridder, Berlin 2014 (Wolfram-Studien XXIII), S. 411–430. 41 Klaus Ridder: Parzivals schmerzliche Erinnerung. In: Literaturwissenschaft und Linguistik 29 (1999), S. 21–41.

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tigen sich, doch er schweigt zu alledem.42 Zur genaueren Charakterisierung dieses Schweigens werden sämtliche Beschreibungsformen der verschiedenen Arten des Sprachverlusts ins Feld geführt: Parzival spricht und fragt nichts, er schweigt stattdessen und nimmt nichts wahr, ist von der Liebe um den Verstand gebracht, ist wie besinnungslos – unversunnen hielt dâ Parzivâl.43 Kontrast und Fremdheit zwischen Parzival und dem Artushof werden somit vor allem in den Störungen der Kommunikation anschaulich gemacht. Die gesamte Interaktion besteht quasi aus Kommunikationsbrüchen. Selbst dann, als es Gawan gelingt, Parzival aus seiner Versunkenheit aufzuwecken, muss das Gespräch erst mühsam in Gang gebracht werden. Was Gawan sagt, hält Parzival zunächst für Spott und droht dem Freund. Nur mit Mühe gelingt es Gawan, Parzival wieder in die höfische Kommunikationsgemeinschaft einzubinden.44 Doch die Blutstropfenszene zeigt mehr als nur die Abhängigkeit des Kampfes von einer gestörten Kommunikation. Mit dem Schweigen Parzivals, dem Lachen des Königspaares und dem übermäßigen Spott der beiden Herausforderer rückt das ‚Andere‘ höfischen Sprechens, welches zugleich aber Teil der Sprache ist, ins Zentrum der Interaktion. Das Schweigen Parzivals liegt hier außerhalb der Grenzen von Kommunikation. Es dient als Erfahrungsraum für einen anderen Bewusstseinszustand, für Erinnerung und Schau, Einsicht und Umkehr. Ich finde nicht, dass Parzival selbst hier komisch wirkt, wie das seit Max Wehrli immer wieder einmal beobachtet wurde.45 Wolfram bildet ihn als Kontrastfigur zum heiteren, spottenden, groteskkomischen Artushof heraus. Seinem Schweigen liegt ein mystisches Substrat zugrunde, es ist „die in kontemplativer Schau überwundene Grenze der in der Sprache gebundenen Reflexion“,46 ein gerade auch in der Moderne zu beobachtender, „unaufhebbare[r] inkommunikable[r] Moment der Innerlichkeit des Anderen.“47 Schweigen ist dann nicht mehr ein Element in der Kommunikation oder eine Form des Verhaltens oder ein Versagen der Sprache im Sprechen, sondern Schweigen steht für den Bereich, in dem die Sprache versagt. Es wird zum Äquivalent dessen, was nicht in Worte zu fassen ist, was sich der begrifflichen Bestimmung entzieht, d.  h. es tritt für dasjenige ein, was jenseits von Zeit und Raum

42 „Der Widerspruch zwischen Parzival und den Artusrittern löst sich im Gelächter. Die ganze Szene ist auf Komik angelegt. Parzival ist komisch, der Artushof ist komisch, und der Kontrast zwischen beiden erst recht.“ Bumke (Anm. 20), S. 4. 43 Verszeilen 283,17; 283,23; 287,9; 288,2; 288,9; 287,9; 289,1. 44 Ich paraphrasiere hier Bumke (Anm. 20), S. 4 f. 45 Wehrli (Anm. 19), S. 9 ff. Näheres bei Bumke (Anm. 20), S. 4. 46 Schnyder (Anm. 16), S. 116. 47 Hahn (Anm. 7), S. 39.



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gedacht werden muss, das also nicht durch Differenzen gekennzeichnet werden kann, wie sie für die Bestimmung der Dinge dieser Welt und für die sie bezeichnende menschliche Sprache Geltung besitzen. Walter Haug hat dieses Schweigen – allerdings bezogen auf die Predigten von Meister Eckhart – als „Metapher für das Unsagbare“ bezeichnet.48 Das Schweigen von Parzivals contemplatio will somit nicht signifikativ sein und kann kommunikationslogisch auch nicht begründet werden. Dies schränkt die These von Joachim Bumke einer habituellen Wahrnehmungsschwäche des Helden in gewisser Weise ein, und zwar aus zwei Gründen: Erstens kann sie nicht fraglos auf die anderen Szenen übertragen werden, und zweitens trägt zur Störung der Kommunikation ebenso die Fehleinschätzung der Artusritter bei, allen voran Keie, die das Schweigen Parzivals als Verweigerung und somit als Angriff auf die höfische Verhaltensnorm interpretieren. Wie schon beim Lachen der Cunnewâre irren diese sich erneut und lesen das Verhalten Parzivals als signa data, als künstliche Zeichen im Sinn der augustinischen Zeichenlehre.49 So erkennen sie die Unmöglichkeit der Kommunikation bei ihrem Gegenüber nicht.50 Sie ernten dafür den Spott des Erzählers, sodass das Lachen zirkulieren und nun auf die Seite der Zuhörer wechseln kann. Die Blutstropfenszene zeigt verschiedene narrative Strategien Wolframs. Nicht allein scheint ihr Reiz darin zu bestehen, die höfische Kommunikation als deutungsbedürftig, als besonders prekär und reich an Möglichkeiten des Missverstehens zu charakterisieren. Darüber hinaus gelingt es, über die Schaffung zweier diametral entgegen gesetzter Wahrnehmungsräume  – hier der mit überschwänglicher höfischer Freude charakterisierte Artushof, der ganz innerhalb seiner kommunikativen Normen befangen ist, zu denen auch der höfische Umgang mit dem Lachen gehört, dort die meditative Vereinzelung in einem lediglich von Naturzeichen bestimmten Raum unter der Herrschaft des Schweigens  – Lachen und Schweigen als semantisch und emotional verdichtete Atmosphären in die großen Linien des Romans von Immanenz und Transzendenz, von Differenzierung und Ungeschiedenheit einzubin-

48 Walter Haug: Reden und Schweigen bei Meister Eckart. In: Positivierung von Negativität. Letzte kleine Schriften. Hrsg. von Ulrich Barton, Tübingen 2008, S. 301–312, hier S. 303. 49 Bumke unterscheidet mit Verweis auf Augustinus: De doctrina christiana, II,3 zwischen signa naturalia und signa data in der Wahrnehmung der Blutstropfen. Bumke (Anm. 21), S. 57. 50 Antanors Schweigen bei Parzivals Ankunft am Artushof und dessen Schweigen in der Blutstropfenszene sind daher strukturell verwandt  – sie machen das Unverständnis und die Kritik beider Figuren durch die Vertreter der höfischen Welt evident und legen dadurch eine Kommunikationsstörung bloß.

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den.51 Damit vermag das Schweigen auch einen Bewusstseinszusammenhang zur vorangegangenen Episode auf der Gralsburg herzustellen: Dort ist sein Schweigen noch fest in die Muster der höfischen Kommunikation eingebunden, ist Resultat eines komplexen Bezugsfeldes von Redemotivationen und Redehemmungen, aber es überschreitet nicht die Grenzen des Sagbaren und wird zum Anderen der Sprache.

5 Fragestellung und Wahl zum Gralskönig im Schlusskapitel: Parzival lacht Das XVI. Buch steht dann zunächst unter dem Schirm einer anderen Dichotomie, wenn es am Ende des 15. Buches von Feirefiz, Parzivals Halbbruder, heißt: er lachte und weinde tougen, (752,23: „er lachte scheinbar, doch heimlich weinte er auch“). Hier sind Lachen und Weinen eng aneinandergebunden und Ausdruck einer gemischten emotionalen Disposition: Feirefiz lacht aus Freude über das Auffinden seines Halbbruders Parzival, und er weint über die Nachricht vom Tod seines Vaters Gahmuret. Gleichzeitig verbindet der Erzähler das Weinen metaphorisch mit der Taufe: sîn heidenschiu ougen begunden wazzer rêren al nâch des toufes êren. (752, 24–26) Aus seinen heidnischen Augen tropfte Wasser: es war ganz so, als wollten sie ihn in der Taufe zum Christen adeln.

Die Tränen als Taufwasser können durchaus als eine Vorausdeutung auf die Taufe des Heiden im 16.  Buch gelesen werden. Nicht zuletzt deshalb interpretierte Ridder das XVI. Buch als Versöhnung der Widersprüche und sein Lachen als Erlösungsphantasie analog zur Osterfreude.52 Diese religiöse Semantik kann man dem Text nicht absprechen, doch betrifft sie hauptsächlich das Heilspara-

51 ‚Atmosphäre‘ verstehe ich im Sinne von Gernot Böhme als „Beziehung von Umgebungsqualitäten und menschlichem Befinden“. Vgl. Gernot Böhme: Atmosphäre: Essays zur neuen Ästhetik, Frankfurt a. M. 1995, S. 22. 52 Vgl. Klaus Ridder: Narrheit und Heiligkeit. Komik im ‚Parzival‘ Wolframs von Eschenbach. In: Wolfram von Eschenbach – Bilanzen und Perspektiven. Eichstätter Kolloquium 2000. Hrsg. von Wolfgang Haubrichs/Eckart-Conrad Lutz/Klaus Ridder, Berlin 2002 (WolframStudien XVII), S. 148.



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digma der Gralsgesellschaft zwischen trûren und lachen im Sinne der existenziellen Trauer und Freude, und nicht so sehr das Verhältnis von Lachen und Schweigen, um das es mir eigentlich geht. Daher will ich den Blick auf die Gesprächspassagen lenken. Hier kommt dem Lachen von Feirefiz, Parzival und Anfortas spezielle Bedeutung zu. Feirefiz will die Taufe mit strîte erringen (814,25), er will, sollte es nötig sein, auch darum kämpfen, um sich seinen Herzenswunsch, Repanse de Schoye zu heiraten, zu erfüllen. Über diese übermütige Einfalt – welche an die tumpheit Parzivals erinnert – amüsieren sich Parzival und der erlöste Anfortas und geben freudig ihre Zustimmung: Der wirt des lachte sêre / und Anfortas noch mêre (815,1 f.). Wolfram lässt dieses gemeinschaftliche Lachen – das erste von Parzival überhaupt – als Antwort auf ein schwankhaft anmutendes Ansinnen erklingen, und es bestimmt die gesamte Stimmung dieser Schlussepisode: heiter, scherzhaft, Widersprüche versöhnend. Auch die Inkonsistenzen des Kapitels können die Harmonie nicht stören, sodass Bertaus Diktum von der „betrunkenen Opernhaftigkeit des Schlusses“ ohne Widerspruch bleiben muss.53 Parzival schließlich ist zum vollendeten Ritter und Herrscher gereift; zu Beginn des Romans ist er der Verlachte, dann scheitert er an der Ironie des redes­ pæhen man, doch am Ende hat er gelernt selbst zu lachen und zu scherzen, hat höfisches Benehmen erworben.54 Diese Fähigkeit bindet den Schluss auch an das erste Buch zurück, indem es zwischen Parzival und seinem Vater Gahmuret eine Analogie herstellt: auch damals war Scherzen und Lachen Kennzeichen des souveränen Herrschers.55 Wo aber ist das Schweigen im 16. Buch? Es besticht durch Absenz. Alle sprechen mit allen, und lang anhaltende Probleme werden gelöst: Anfortas ist erlöst, Parzival König und nach fünf Jahren mit Condwiramurs und ihren Kindern wieder vereint, Trevrizent wird benachrichtigt und spricht sich mit Parzival aus, Sigune wird tot aufgefunden und gemeinsam mit dem Geliebten beerdigt, die Söhne Parzivals zu künftigen Erben bestimmt, Feirefiz lässt sich taufen und darf Repanse heiraten. Kommunikation funktioniert diesmal reibungslos auf Munsalvæsche, das Schweigen scheint keinen Raum mehr zu haben. Doch dann erscheint nach Feirefizʼ Taufe unvermittelt eine Schrift am Gral, die besagt, dass Gralsrit-

53 Karl Bertau: Über Literaturgeschichte. Literarischer Kunstcharakter und Geschichte in der höfischen Epik um 1200, München 1983, S. 68. 54 „From being a target or object of laughter and mockery, he himself becomes a mocking or laughing subject“. Coxon interpretiert das Lachen als ein Vermögen, das Höfischkeit ausdrückt und gelernt werden muss. Coxon (Anm. 19), S. 34 f. 55 In einer anderen Deutung des Lachens kommt Mireille Schnyder: Lachen oder Schweigen?, in diesem Band S. 15.

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ter künftig nicht mehr nach ihrem Namen gefragt werden dürfen. Das Schweigeverbot wandelt sich in ein Frageverbot, welches das Schweigen der anderen bedingt. Wird es gebrochen und die Herkunftsfrage gestellt, so müsse der betreffende Gralsritter das Land verlassen. Die Exklusion des Schweigens im 16. Buch wird somit in die Zukunft perpetuiert, indem ein Frageverbot es gewissermaßen einfordert, das Schweigen wird zur Norm eines gesellschaftlichen Reglements. Damit hat sich die Gralsgesellschaft  – und das ist bei diesem Happy End fast wohltuend – neue Probleme eingehandelt, die den allerletzten Teil des Buches, die Geschichte Loherangrins und der Fürstin von Brabant beherrschen.

6 Resümee Lachen und Schweigen erscheinen in Wolframs Parzivalroman als episodisch organisierte, aufeinander bezogene Formen der Kommunikation. Dies gilt vor allem für die hier diskutierten Schlüsselszenen der Parzivalhandlung. Denn tatsächlich gibt es keine anderen Episoden, die von Lachen und Schweigen derart geprägt sind, und dies gilt ebenso für die Gawanhandlung, wo Lachen eher im Zusammenhang von Dissimulation und Geheimnis  – Verschweigen  – erkennbar ist. In den vier untersuchten Szenen wurde deutlich, dass Wolfram die Ambivalenz und das daraus entstehende proteische Potential, das Lachen und Schweigen inhärent ist, in asymmetrischer Weise erzählerisch zu nutzen weiß: Erstens, um Störungen der Kommunikation zwischen Parzival und seiner Umwelt anschaulich zu machen, die vom einseitigen und unernsten Reden auf Munsalvæsche bis zum Kommunikationsabbruch in der Blutstropfenszene reichen. Das Erlernen von höfischen Codes des Sprechens und Verhaltens spielt hier eine Rolle, aber auch die defizitäre und erfolglose Anwendung dieser Codes auf Seiten derer, die sie angeblich beherrschen – der Artusgesellschaft und der Gralsgesellschaft. Die Szene auf Munsalvæsche zeigt auch, wie prekär und risikoreich sprachliche Kommunikation ist – zumindest das hat Parzival dort gelernt. Zweitens gebraucht Wolfram insbesondere das Schweigen, um die eingeschränkten Wahrnehmungsmöglichkeiten des Helden deutlich zu machen. Doch paradoxerweise steht sein kommunikationsloses Schweigen auf dem Plimizöl ebenso für eine erhöhte Wahrnehmungsfähigkeit, und sie ist es, die ihn von den höfischen Kommunikationskanälen der Artusgesellschaft absondert. Die mys­ tische Versunkenheit macht Schweigen zur Form der erinnernden Kontemplation, die den Rittern fremd ist. Lachen wird andererseits dafür eingesetzt, die Begrenzungen der Wahrnehmung der Artusritter, allen voran Keies, zu unterstreichen, sowohl anlässlich des Lachens von Cunnewâre, als auch auf dem Plimizöl, wo



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es zwar Ausweis konfliktlösender höfischer Sozialisation ist, doch gleichzeitig kaum in der Lage ist, Parzival zu integrieren. Bezogen auf das narrative Gerüst des Romans werden drittens Lachen und Schweigen in vielfacher Weise als auktorial erzählte Prolepsen und Metalepsen verwendet; Wolfram nutzt dabei die Mehrfachcodierung der nonverbalen Signale aus und kann so die Differenz zwischen Figuren- und Erzählperspektive zeigen. Dass Lachen und Schweigen eine besondere Rolle in der Erzählperspektive haben, zeigen einerseits die zahlreichen Verweise innerhalb der besprochenen Episoden, wie auch die Spannungen und Konflikte auflösende Funktion des Schlusskapitels im Zeichen des Lachens. Viertens schließlich sind neben Emotionen, Farben und der Aura der Dinge auch Lachen und Schweigen an der Tönung von Atmosphären und Stimmungen beteiligt. Dies zeigt nicht nur die beklemmende, durch die Erzählerstimme missbilligte Züchtigung Cunnewâres durch Keie, es ist auch an der verschwenderischen descriptio von Munsalvæsche und der aufwändigen, doch stummen Gralsprozession erkennbar, zu deren überwältigendem Eindruck das Schweigen des Helden zu passen scheint. Schließlich ist es ebenso in der kontrastiv angelegten Blutstropfenszene mit ihren Gegensatzpolen von Schweigen und Lachen, doch auch von Erinnerung und Präsenz, Ernst und Spiel, sakraler Meditation und weltlicher Lebensfreude zu greifen. Ich denke, dass die Prägnanz, Hervorgehobenheit und enge Relation von Lachen und Schweigen im Roman nicht allein ein Problembewusstsein im Hinblick auf die Mehrdeutigkeit und Störungsanfälligkeit höfischer Kommunikation schafft. Vielmehr haben sich beide als machtvolle erzählerische Mittel gezeigt, um das, was über die Grenzen der Kommunikation und ihren Mitteilungscharakter hinausgeht: Bereiche des Transzendenten und Innerlichen ansatzweise zu erfassen und erfahrbar zu machen.

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Astrid Bußmann

Im Bann der Inszenierung – Lachen, Weinen und Schweigen in der verzögerten Anagnorisis von Mai und Beaflor Die Szene, in der Parzival, fremd und im Narrenkleid, zum ersten Mal an den Artushof kommt und um den verhängnisvollen Zweikampf mit Ither bittet, hat in der Forschung einige Aufmerksamkeit gefunden, nicht zuletzt wegen der Merkwürdigkeiten, die die Ankunft des Knaben begleiten: Cunneware, die gelobt hat, nicht zu lachen, sine sæhe in die den hôhsten prîs / hete od solt erwerben (Parz. 151,14 f.),1 bricht bei Parzivals Anblick in Lachen aus: do erlachte ir minneclîcher munt (Parz. 151,19); Antanor, der Schweigen gelobt hat, bis Cunneware lacht (ern wolde nimmer wort gesagn, / sine lachte diu dâ wart geslagn; Parz. 152,27 f.), beginnt zu sprechen. Anders als Keie, der die Ritterlichkeit des vermeintlichen Narren nicht erkennt und deswegen den scheinbar transgressiven Charakter von Lachen und Sprechen mit Schlägen straft,2 erweisen sich Cunneware und Antanor als kompetente Zeichenleser. Während die Augen des Seneschalls an der täuschenden Oberfläche, der Textur des Narrenkleides, hängen bleiben, sehen Cunneware und Antanor die ritterlich-adelige Idealität, die unter Sacktuch und Kalbshaut (Parz. 127,1 und 7  f.) verborgen liegt. Mit ihrem Lachen und ihrem Sprechen zeichnen sie den schönen tumben Knaben als den aus, der er in der narratio erst sein wird; sie kennzeichnen Parzival als künftigen Artusritter und Gralskönig. Dabei gehört es zweifellos zu den Raffinessen von Wolframs Erzählweise, dass Cunnewares Lachen nicht nur den hôhsten prîs apostrophiert, den es doch erst zu beweisen gilt, sondern gleichzeitig auch die Voraussetzungen dafür bietet, diesen Beweis antreten zu können. Indem Parzival seine unterlegenen Gegner Kingrun, Clamide und Orilus zu Cunneware an den Artushof schickt und

1 Wolfram von Eschenbach: Parzival. Studienausgabe. Text nach der 6. Ausg. von Karl Lachmann. Einführung zum Text von Bernd Schirok, Berlin, New York 1999. – Einschlägig für Cunnewares Lachen ist neben Irene Erfen: Das Lachen der Cunnewâre. Bemerkungen zu Wagners Parsifal und Wolframs Parzivâl. In: Sprachspiel und Lachkultur. Beiträge zur Literatur und Sprachgeschichte. FS Rolf Bräuer. Hrsg. von Angela Bader/Annemarie Eder u.  a., Stuttgart 1994, S.  69–87; insbesondere Waltraud Fritsch-Rössler: Lachen und Schlagen. Reden als Kulturtechnik in Wolframs Parzival. In: Verstehen durch Vernunft. FS Werner Hoffmann. Hrsg. von Burkhardt Krause, Wien 1997 (Philologica Germanica 19), S. 75–98. 2 Keie wirft Cunneware vor, einen Unwürdigen durch ihr Lachen ausgezeichnet zu haben: ‚ez ist dem künge Artûs / ûf sînen hof unt in sîn hûs / sô manec werder man geriten, / und lachet nu durch einen man / der niht mit ritters fuore kann‘ (Parz. 152,7–12).

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schließlich Keie vom Pferd sticht, tilgt er die Schmach der Schläge, die neben der vrouwen auch ihn getroffen hat, und schafft sich  – in der von Ither gewonnen Rüstung – zugleich eine neue Identität als roter Ritter. Das irritierende, vieldeutige Lachen Beaflors, das ich im Folgenden näher betrachten will, hat mich immer schon an Cunnewares Lachen erinnert, ohne dass ich die Subjektivität einer solchen Konnotation leugnen oder einen gene­ tischen Zusammenhang zwischen beiden Szenen mutwillig konstruieren will;3 in der Summe überwiegen durchaus die narrativen Unterschiede zwischen Beaflors und Cunnewares Lachen. Ein Vergleich erfordert also Fingerspitzengefühl, jedoch lässt sich mit der nötigen Vorsicht die Parzival-Szene als Folie heranziehen, vor der sich der Blick auf Beaflors Lachen schärfen lässt. Beaflor ist die Heldin des (vermutlich) spätmittelalterlichen, anonym überlieferten Mai-und-Beaflor-Romans,4 der die früheste Bearbeitung des europaweit tradierten Mädchen-ohne-Hände-Stoffes in deutscher Sprache darstellt.5

3 Dass der anonyme Autor des Mai-und-Beaflor-Romans Wolframs Parzival durchaus kennt und (mitunter nicht ohne ironisches Kalkül) in seinem Text zitiert, zeigt etwa die zweifache Aufnahme von Parzivals berühmter Gralsfrage (‚œheim, waz wirret dier?‘; Parz. 795,29): Beaflors Sohn Lois zu Beaflor: ‚vrowe, waz wirret dir, / daz sag durch dine triwe mir‘ (MuB, V. 8823 f.); Beaflors Ziehvater Roboal zu Beaflor: ‚sagt mir, waz ist daz, / waz wirret dir, tohter min?‘ (MuB, V. 8838 f.). Vgl. dazu auch Ingrid Kasten: Ehekonsens und Liebesheirat in Mai und Beaflor. In: Oxford German Studies 22 (1993), S. 1–20, hier S. 1. 4 Seitdem neben die noch aus dem 19.  Jahrhundert stammende, einem „vorsichtigen Verfahren“ der Textkritik (Vorwort, S.  XVIII) verpflichtete Erstausgabe zwei diplomatisch orientierte Editionen (nach Leithandschrift A) getreten sind, liegt der Mai-und-Beaflor-Roman in drei Ausgaben vor: Mai und Beaflor. Eine Erzählung aus dem dreizehnten Jahrhundert. Leipzig 1848 (Dichtungen des Deutschen Mittelalters 7), Nachdruck Hildesheim 1974. Die Angabe eines Herausgebers fehlt. Seit Leitzmann wird zumeist A. J. Vollmer (im Verein mit Franz Pfeiffer) als Herausgeber angenommen (Albert Leitzmann: Zu Mai und Beaflor. In: ZfdA 67 (1930), S. 283 f.); neuerdings vermutet Fiedler eine diskontinuierliche, sukzessive Gemeinschaftsarbeit von Hans Ferdinand Massmann, Vollmer und Pfeiffer (als abschließend verantwortlichem Herausgeber) (Heiko Fiedler: ‚Der Herausgabe wäre es werth‘. Eine frühe Abschrift des Romans von Mai und Beaflor durch Wilhelm Grimm. In: Brüder Grimm Gedenken 13 (1999), S. 78–94). – Mai und Beaflor. Hrsg., übers., kommentiert und mit einer Einleitung von Albrecht Classen. Frankfurt a. M. u. a. 2006 (Beihefte zur Mediävistik 6). Die Ausgabe wurde überwiegend kritisch rezensiert. – Mai und Beaflor. Minneroman des 13. Jahrhunderts. Hrsg. von Christian Kiening/ Katharina Mertens Fleury. Elektronische Ausgabe. Zürich 2008 [http://www.ds.uzh.ch/ kiening/Mai_und_Beaflor/MaiundBeaflor.pdf (Stand: 31. Mai 2016)]. Ich zitiere nach der Ausgabe von Kiening/Mertens Fleury, wobei ich die Erstausgabe vergleichend hinzuziehe. 5 Einen guten Überblick über den Mädchen-ohne-Hände-Stoff bietet Christian Kiening: Genealogie-Mirakel. Erzählungen vom Mädchen ohne Hände. Mit Edition zweier deutscher Prosafassungen. In: Geistliches in weltlicher und Weltliches in geistlicher Literatur des Mittelalters. Hrsg. von Christoph Huber/Burghart Wachinger/Hans-Joachim Ziegeler, Tübingen 2000,



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Ohne Scheu vor grellen Effekten erzählt der Text von Liebe, Leid und der doppelten Ausstoßung seiner Protagonistin: Die römische Kaiser- oder Königstochter Beaflor wächst nach dem Tod ihrer Mutter zunächst bei Pflegeeltern (dem Senator Roboal und seiner Frau Benigna) auf, bis sie durch die inzestuöse Begierde ihres Vaters zur Flucht gezwungen wird; einem Vergewaltigungsversuch entkommt sie dabei nur knapp. Sie gelangt nach Griechenland und heiratet dort den Grafen (oder Fürsten) Mai, ohne allerdings ihre Herkunft oder den Grund ihrer Flucht zu offenbaren.6 Während ihr Mann in Spanien im Heidenkampf steht, gerät sie erneut in größte Gefahr, gerade als sie einen Sohn und Erben geboren hat, denn Mais Mutter Eliacha, die die Ehe ihres Sohnes mit der schönen Unbekannten zu hintertreiben sucht, verleumdet sie mittels gefälschter Briefe als Ehebrecherin, die als sichtbare Strafe für ihre Untreue einen Wolf geboren habe. Auf diese Weise will sie die Hinrichtung der ungeliebten Schwiegertochter erwirken. Wieder bleibt Beaflor nur die Flucht. Mit ihrem Sohn kehrt sie nach Rom zurück, wo sie sich im Haus ihrer Pflegeeltern vor ihrem Vater verbirgt, bis sie nach Jahren der Trennung erneut mit Mai vereint wird. Gegenüber dem Gesamtcharakter des Erzählstoffes, der sich mit Kiening als Hybridisierung hagiographischer und genealogischer Erzählmuster fassen lässt,7 fällt dabei die inhaltliche Zuspitzung auf. Der deutsche Roman wird als (legendarischer) Minneroman erzählt und entfaltet so eine in der genealogischen Dimension des Stoffes zwar potentiell angelegte, in der Erzähltradition aber nur sporadisch ausspekulierte Liebesthematik; die massierte Darstellung von Minne verdrängt nachgerade die Problematisierung legitimer Erbfolge, wie sie den erzählten Paarkonstellationen (Vater/Tochter, Frau/

S. 237–272. Geringfügig überarbeitet und ergänzt ist der Aufsatz erneut als Kapitel aufgenommen worden in: Christian Kiening: ‚Un‘heilige Familien. Sinnmuster mittelalterlichen Erzählens, Würzburg 2007 (Philologie der Kultur 1), hier S. 105–138 (Kapitel 4: Das Mädchen ohne Hände). 6 In der Forschung hat es sich eingebürgert, Beaflors Vater als Kaiser und Mai als Grafen zu bezeichnen, obwohl beide Titel im Roman nicht kohärent verwendet werden; ebenso wandelt sich die Namensform von Mais und Beaflors Sohn von Schoifloris zu Lois. 7 Kiening sieht die Geschichte vom Mädchen ohne Hände als „besonders prägnantes Beispiel eines Erzählstoffes, für den die Mischung geistlicher und weltlicher Elemente konstitutiv ist“; das subtile Gleichgewicht „adlige[r] Interessen und klerikale[r] Normen“ fasst er im Begriff des „Genealogie-Mirakel[s]“ (Kiening (Anm. 5), S. 239 (Zitat 1 und 2) und S. 240 (Zitat 3)). Die germanistische Forschung vernachlässigt diese Perspektive auf den Stoff zumeist, wenn sie die Überblendung geistlicher und weltlicher Sinnbildungsmuster als Charakteristikum des Maiund-Beaflor-Romans verrechnet und den Text in Anerkennung seiner Hybridität als ‚erbaulichen‘ oder ‚legendarischen Minneroman‘ rubriziert. Tatsächlich nimmt der deutsche Roman die hagiographischen Elemente aber gegenüber der Erzähltradition merklich zurück. Zugunsten der Liebesthematik werden Versatzstücke legendarischen Erzählens (etwa christliche Wunder) aufgegeben oder höfisch-säkular überformt.

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Mann) normalerweise eigen ist. Zentraler Konfliktpunkt der Handlung ist so weniger die ungewisse Abstammung der Heldin, die sonst die zweite Ausstoßung motiviert, als vielmehr ihre Tugend. Die „strukturelle Leerstelle Herkunft wird“, um eine prägnante Formulierung Kienings zu zitieren, „zur mora­lischen Leerstelle Keuschheit“ verschoben.8 Beaflor, die seit der Trennung von Mai noch nie / in aht iaren gelachet het (MuB, V.  8556  f.), lacht, als sie den geliebten Ehemann wiedersieht (MuB, V.  8881–8913, V.  9287). Dieses Lachen ist auffällig überdeterminiert, doch lässt der Vergleich mit der Parzival-Szene den Aspekt der Auszeichnung hervortreten, den Beaflors und Cunnewares Lachen teilen. So wie die schöne LalanderSchwester mit ihrem Lachen Parzival als denjenigen Ritter ausweist, der den hôhsten prîs erwerben wird, kennzeichnet Beaflor Mai als den ihr angemessenen Partner. Während Cunnewares Lachen aber in die Zukunft weist und magischvoraussetzungslos einem Jüngling gilt, den sie nie zuvor gesehen hat, ja, dessen Namen sie nicht einmal kennt, weiß Beaflor selbstverständlich, wen sie anlacht. Ihr Lachen weist immer schon zurück auf die Vergangenheit, auf ihre gemeinsame Geschichte mit Mai. Es ist Steigerung und Endpunkt eines hyperbolischen Tugendpreises, mit dem die junge Frau bereits bei ihrer Rückkehr nach Rom den verloren geglaubten Ehemann rühmt (etwa: so hohgelobter leye / wart nie gesehen pi vnser zit; und: de[r] allertiuriste […] man, / der riters namen ie gewan; vgl. insg. MuB, V. 7637–7702). Auffällig und für meine Interpretation noch bedeutsamer ist dabei der private Charakter dieser Auszeichnung: Anders als Cunneware, die Parzival durch ihr Lachen vor dem gesamten Artushof erwählt, lacht Beaflor ausschließlich im Beisein ihres Ziehvaters Roboal; allein ihm gegenüber zeichnet sie den geliebten Ehemann aus. Freilich besteht der eigentliche Reiz beider Szenen darin, dass sie nicht allein das Lachen (als Affektausdruck und Kommunikationsform) thematisieren, sondern dass sie es in ein dichtes Netz von Dichotomien einstellen. Bereits Wolfram verbindet Cunnewares Lachen und Antanors Sprechen unauflöslich miteinander (sîn rede und ir lachen / was gezilt mit einen sachen; Parz. 152,25  f.) und verklammert so Reden und Schweigen, Lachen und NichtLachen (das als andere Form des Schweigens verstanden werden kann).9 Die

8 Ebd., S. 256. 9 Fritsch-Rössler erweitert die Dichotomie von Lachen und Sprechen um Keies Schläge. Cunnewares Lachen und Keies Schlagen sieht sie dabei als Variationen von Antanors Sprechen, wobei sie das Lachen als spezifisch weibliches, das Schlagen als spezifisch männliches Substitut syntaktischer Rede begreift (Fritsch-Rössler (Anm.  1), S.  96). Gleichzeitig zieht sie Verbindungslinien zwischen der Lalander-Schwester und anderen Frauenfiguren des Parzival. Cunneware, die ihr Lachen gewinnt, steht dabei in wirkungsvollem Spannungsverhältnis zu Figuren wie Jeschute und Sigune, die ihr Lachen verlieren und nunmehr durch Weinen und Klagen ge-



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Beaflor-Szene ist in ihrer Konstruktion ähnlich komplex. Sie bricht die vertraute Dichotomie von Lachen und Weinen auf, indem sie sie mit der hier besonders interessierenden Leitdichotomie von Lachen und Schweigen verschränkt. Wie in der Cunneware-Szene wird dies durch die Spiegelung mit einer weiteren (männlichen) Figur erreicht: Mit Beaflor, die anders als Antanor zwar nicht völlig verstummt, wohl aber Mai ihre wahre Identität verschweigt (MuB, V. 8606–8612), ist die Dichotomie von Lachen und Schweigen verknüpft; durch Mai, der im tränenreichen Sentiment erstarrt (dem vuͤ rsten wurden die ougen vol; MuB, V. 8818), wird diese um den Aspekt des Weinens erweitert.10 Schon der Hinweis auf Mais Weinen deutet dabei an, dass sich jede Untersuchung von Beaflors Lachen notwendig mit einer Emotionalitätsdebatte überschneiden muss, wie sie für den Mai und Beaflor-Roman vor allem in jüngeren Beiträgen mit Verve geführt wird.11 Die Frage nach der im Text dargestellten Gefühlskultur, nach der literarischen Inszenierung von Emotionen und Emotionalität, die von Schulz zusätzlich mit der Frage nach den narrativ ausspekulierten Wahrnehmungsmustern verbunden worden ist,12 hat dabei die die Forschung

kennzeichnet sind (S. 79 f.). Über diesen Vergleich kann Cunneware (wie Beaflor) in die Dichotomie von Lachen und Weinen eingestellt werden, die in der eigentlichen Szene am Artushof so auffällig ausgespart wird: Zwar lässt der Eschenbacher die Freude, die aus Cunnewares Lachen spricht, in Leid (kumber und nôt; Parz. 153,15 ff.) umschlagen, als Cunneware und Antanor von Keie geschlagen werden, doch wird Weinen als Ausdruck dieses Leides nicht explizit erwähnt. 10 Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Angesichts der Tränenseligkeit spätmittelhöfischen Erzählens weint selbstverständlich auch Beaflor während der Schlussepisode (MuB, V. 8818–8821); ihr Lachen wird außerdem mit ihrer vorgängigen Trauer kontrastiert (MuB, V. 8555–8614), aber dennoch zielt der Roman vor allem auf eine Engführung zwischen der schon lachenden Beaflor und dem noch weinenden Mai ab. 11 Zuletzt Wolfgang Walliczek/Armin Schulz: Heulende Helden. ‚Sentimentalität‘ im späthöfischen Roman am Beispiel von Mai und Beaflor. In: Abweichende Lebensläufe, poetische Ordnungen. FS Volker Hoffmann, Bd. 1. Hrsg. von Thomas Betz/Franziska Meyer, München 2005, S. 17–48; Armin Schulz: Die Verlockung der Referenz. Bemerkungen zur aktuellen Emotionalitätsdebatte. In: PBB 128 (2006), S. 472–495. Erste Hinweise auf die Gefühlskultur des Romans finden sich bereits bei Albrecht Classen, der hinter der Tränenseligkeit der Figuren Ansätze zu realistischem und psychologisierendem Erzählen vermutet (Albrecht Classen: Kontinuität und Aufbruch. Innovative narrative Tendenzen in der spätmittelalterlichen deutschsprachigen Literatur – Der Fall Mai und Beaflor. In: Wirkendes Wort 48 (1998), S. 324–344, bes. S. 337). 12 Armin Schulz: Schwieriges Erkennen. Personenidentifizierung in der mittelhochdeutschen Epik, Tübingen 2008 (MTU 135); ders.: Hybride Epistemik. Episches Einander-Erkennen im Spannungsfeld höfischer und religiöser Identitätskonstruktionen: Die gute Frau, Mai und Beaflor, Wilhelm von Wenden. In: Literarische und religiöse Kommunikation in Mittelalter und Früher Neuzeit. DFG-Symposion 2006. Hrsg. von Peter Strohschneider, Berlin, New York 2009, S. 658–688.

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lange dominierende Inzestthematik abgelöst.13 Angesichts der schon erwähnten Rührseligkeit, der (nicht terminologisch gemeinten) Sentimentalität des Romans kann es dabei nicht überraschen, dass auch unter dem Vorzeichen der Emo­ tionalitätsforschung vor allem der „offensiv vorgeführte[…] Tränenreichtum der Protagonisten“ und die „massive Inszenierung ihrer affektiven Lähmungen“ die Aufmerksamkeit auf sich gezogen haben.14 Im Zentrum der interpretatorischen Bemühungen stehen so weiterhin Szenen wie Mais Selbstmordversuch, in denen sich Liebe im öffentlich inszenierten, hyperbolischen Schmerz beweist. Mit Beaflors Lachen konzentriere ich mich hingegen auf eine der wenigen Szenen, in der Liebe durch Freude ausgedrückt wird, zugleich aber der öffentlichen Wahrnehmung weitgehend entzogen ist. In den Blick gerät dabei die in der Forschung vielfach ausgesparte, durch ihre redundanten und retardierenden Elemente irritierende Schlussgestaltung des Mai-und-Beaflor-Romans. Es ist prima vista diese Künstlichkeit, die die Schlussgestaltung des deutschen Romans prägt, selbst wenn der Gestaltungswille des Autors zumeist im Inszenierungshandeln der Figuren aufgeht und so zugleich ausgestellt wie verborgen wird. Dreh- und Angelpunk der Inszenierung ist dabei (in planvoller Abweichung von der Erzähltradition) Beaflors Ziehvater Roboal.15 Als Vertrauter der Heldin

13 Danielle Buschinger: Das Inzest-Motiv in der mittelalterlichen Literatur. In: Psychologie in der Mediävistik. Gesammelte Beiträge des Steinheimer Symposions, Göppingen 1985 (GAG 431), S. 107–140; dies.: Skizzen zu Mai und Beaflor. In: Die mittelalterliche Literatur in der Steiermark. Akten des Internationalen Symposions Schloß Seggau bei Leibnitz 1984. Hrsg. von Alfred Ebenbauer/Fritz Peter Knapp/Anton Schwob, Bern u. a. 1988 (Jahrbuch für Internationale Germanistik, Reihe A, 23), S. 31–48; Ingrid Bennewitz: Mädchen ohne Hände. Der Vater-Tochter-Inzest in der mittelhochdeutschen und frühneuhochdeutschen Erzählliteratur. In: Spannungen und Konflikte menschlichen Zusammenlebens in der deutschen Literatur des Mittelalters. Bristoler Colloquium 1993. Hrsg. von Kurt Gärtner/Ingrid Kasten/Frank Shaw, Tübingen 1996, S. 157–172; Jutta Eming: Zur Theorie des Inzests. In: Genderdiskurse und Körperbilder im Mittelalter. Eine Bilanzierung nach Butler und Laqueur. Hrsg. von Ingrid Bennewitz/Ingrid Kasten, Münster, Hamburg, London 2002 (Bamberger Studien zum Mittelalter 1), S. 29–48; dies.: Question on the theme of incest in courtly literature. In: The court reconvenes. Courtly literature across the disciplines. Selected papers from the ninth Triennial Congress of the International Courtly Literature Society. University of British Columbia 25–31 July 1998. Hrsg. von Barbara K. Altmann/Carleton W. Carroll, Cambridge 2003, S. 153–160; dies.: Inzestneigung und Inzestvollzug im mittelalterlichen Liebes- und Reiseroman (Mai und Beaflor und Apollonius von Tyrus). In: Historische Inzestdiskurse. Interdisziplinäre Zugänge. Hrsg. von ders./Claudia Jarzebowsky/Claudia Ulbrich, Königstein i. Ts. 2003, S. 21–45. 14 Walliczek/Schulz (Anm. 11), S. 19. Zum Schwanken des Sentimentalitäts-Begriffs zwischen bloßer Rührseligkeit und dem Schiller’schen ‚Sentimentalischen‘ vgl. ebd., S. 19 ff. 15 Diese Funktion wächst der Helferfigur des römischen Exils durch die dem Mai-und-BeaflorRoman eigentümliche Zirkularität der Raumstruktur zu: Nur im deutschen Roman wird Rom



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ist er in den Inzestversuch ihres Vaters, aber auch in die Eheschließung und ihre Liebe zu Mai eingeweiht. Dieses Vorwissen erlaubt es ihm, die Wiedervereinigung des Paares zu arrangieren, wobei er freilich umständlich und mit bewusster Verzögerung vorgeht. Der Senator, der sich die Vorherrschaft über die Situation von Beaflor durch ein Blankoversprechen hat zusichern lassen,16 spannt das Paar in ein paradoxes Verwirrspiel ein, bei dem einerseits Beaflors wahre Identität durch eindeutige Gnorismata (Kleid und Krone, mit denen sie Mai zum ersten Mal begegnet ist; MuB, V. 8615–8622) beständig signalisiert wird, die junge Frau aber andererseits versprechen muss, Mai ihre Identität nicht vorzeitig preiszugeben (‚du solt aber niht vergezzen, / daz du dich niht erbaerst gein im‘; MuB, V. 8606 f.); wie eine Fremde soll sie dem geliebten Mann begegnen (‚erbiut ims in der mazz also / reht, als er nie wurd dein man‘; MuB, V.  8610  f.). Dass Mai diesem Spiel weitgehend verständnislos gegenübersteht, liegt nicht zuletzt daran, dass seine Vertrauten Cornelius und Effreide (die in der Zeit seiner Abwesenheit als Reichsverweser agiert haben) Beaflor zwar zur Flucht verhalfen, Mai aber die Rettung seiner Frau selbst dann nicht enthüllt haben, als die Intrige seiner Mutter aufgedeckt wurde.17 So muss er Beaflor und den gemeinsamen Sohn für tot halten. Obsessiv klagt er sich nicht nur des Mordes an seiner Mutter an, die er tatsächlich im Zorn erschlagen hat, sondern vor allem der Ermordung von Frau und Kind (etwa MuB, V. 6992–6995). Zusammen mit dem Taktieren Roboals, der Mai ebenfalls wesentliche In­formationen vorenthält, fügt sich das Schweigen der Reichsverweser zu einer Erzählstrategie, die auf eine Asymmetrie des Wissens, auf Distanzierung und

zum Ausgangs- wie Zielpunkt der Handlung, während es sonst zwar den Raum des zweiten Exils, nicht aber den Herkunftsraum der Protagonistin darstellt (vgl. dazu bereits Kiening (Anm. 5), S. 254). Zumeist kehrt die Heldin in Rom also nicht zu Vertrauten zurück, sie lebt vielmehr erneut unter Fremden und verschweigt daher weiterhin Namen, Herkunft und Vorgeschichte. 16 Er sprach: ‚wildu volgen mir, / swaz ich heint verpiute dir, / daz du daz behaltest wol, / so mach ich dich vrouden vol‘ (MuB, V. 8581–8584). 17 Das Schweigen der Reichsverweser ist im deutschen Roman umso auffälliger, weil es nicht plausibel begründet wird, es bleibt in der narratio unkommentiert. Explizit erläutert wird nur, dass die Reichsverweser ursprünglich vorgeben, den Mordbefehl tatsächlich ausgeführt zu haben, um Beaflors Flucht umso besser verbergen zu können (daz taten si umbe daz, / daz si ez helen dester was; MuB, V. 6185 f.); selbst ihre Ehefrauen weihen sie nicht ein. Warum sie das Geheimnis aber auch dann bewahren, als mit der Aufdeckung der Fälschung die Notwendigkeit dafür schwindet, bleibt unklar. Allenfalls ließe sich aus ihrem Gespräch in Roboals Haus vage schließen, dass sie immer schon vermuten, Beaflor sei auf See umgekommen: ‚min vrowe ist lei­ der stunt tot‘ (MuB, V. 8715). Die Konstruktion wird so durchsichtig auf ihre narrative Funktion: Mai soll offenbar in eine Situation gebracht werden, in der sich seine Liebe nicht in der aktiven Suche nach Beaflor, sondern in passiv erduldetem Leid und in exzessiven Bußübungen erweist.

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Vereinzelung abzielt. Trotz der körperlichen Nähe belässt der anonyme Autor das Paar so künstlich in einer Situation der Trennung, in der sich die Liebe in der Hyperbolik der Gefühlsäußerung erweist, im tränenreichen Leid Mais, der Beaflor nicht erkennt, und im ebenso tränenreichen Mitleid Beaflors, die natürlich weiß, wer Mai ist, ihr Schweigen aber gemäß ihrem Versprechen aufrechterhält. Vollkommen überzeugend ist das nicht in den Romanablauf integriert. Zwar soll die Konstruiertheit des Erzählsyntagmas durch zwei Exkurse bewältigt werden, in denen der Erzähler Beaflors Schweigen umständlich rechtfertigt (MuB, V. 8772– 8799, V.  9162–9191), doch wird die Künstlichkeit der Situation dadurch (unfreiwillig) eher betont als vermindert. Im Umkehrschluss erweist sich das freilich als interpretatorischer Fingerzeig, weil die gewählte Schlussgestaltung trotz aller Brüchigkeit offenbar zu wichtig war, um sie aufzugeben: Die Zeit der Trennung ist für Mai und Beaflor eine Zeit tiefster Trauer, in der sich beide dem höfischen Leben völlig entfremden. Beaflor lebt verborgen vor der Welt im Haus ihres Ziehvaters und lacht aus Trennungsschmerz nicht mehr, Mai pilgert barfüßig und bärtig von Kirche zu Kirche. Erst als es nach acht Jahren Mais Großen gelingt, den jungen Grafen zu einer Bußfahrt nach Rom zu bewegen, kommt es dank Roboal zur Wiedervereinigung mit der totgeglaubten Ehefrau. Sinnfällig erstreckt sich das Arrangement von Beaflors Ziehvater dabei über drei Tage und spielt so auf die Zeit zwischen Christi Tod und Auferstehung an. Der Senator nimmt den jungen Grafen und dessen Begleiter in sein Haus auf. Hier arrangiert er am ersten Tag ein Treffen, am zweiten Tag sogar zwei Treffen zwischen Mai und Beaflor, bei denen sich an ein Essen im engeren Familienkreis (Roboal und Benigna, Mai und Beaflor, der gemeinsame Sohn Lois sowie Cornelius und Effreide) zweimal sogar ein privates Gespräch des Ehepaares anschließt. Beaflor wird Mai dabei als Roboals Tochter vorgestellt; ihre wahre Identität wird verborgen, aber zugleich durch Kleid und Krone angedeutet. Ein ‚happy ending‘ scheint damit zum Greifen nahe, doch kommt es vorläufig nicht dazu, weil Mai und seine Reichsverweser die Ähnlichkeit der vermeintlich Fremden mit Beaflor zwar bemerken, Beaflor aber dennoch nicht erkennen. Die Wiedervereinigung vollzieht sich so erst am dritten Tag im öffentlichen Rahmen, als Mai in Begleitung von Roboal und Beaflors Vater den Papst aufsucht, um für die Ermordung von Frau und Kind Absolution zu erhalten. In auffälliger Staffelung weiht der Senator erst den Vater, dieser wiederum den Ehemann ein, bevor Beaflor Mai an der Spitze eines ritterlich-höfischen Festzuges zugeführt, die Totgeglaubte dem Leben wiedergegeben wird. Von Bea­ flors reuigem Vater übernimmt das Paar schließlich die Herrschaft in Rom, und so fügt sich alles zum märchenhaften Schluss: sy lebten so liebleichen / und auch so tugentleichen / das jn nach disem krancken leben / die ewig freúd ward gegeben (MuB, V. 9672–9675).



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Beaflors Lachen ist in diese Szenenfolge eingebunden und so der komplexen Raumregie unterworfen, die die Schlussgestaltung insgesamt prägt. Dabei wird dem öffentlichen Raum der Stadt Rom der vergleichsweise private Raum von Roboals Haus gegenüberstellt; im Haus selbst wiederum kontrastiert der sal oder palas, in dem Mais Gefolge untergebracht ist (MuB, V. 8542, V. 9024), mit der Privatheit von Beaflors Kemenate. Im Schutz dieses Binnenraums, zu dem neben der Kernfamilie (Roboal, Benigna und Lois) nur Mai und seine beiden Reichsverweser Zutritt haben (MuB, V. 8623–8661), findet die Protagonistin ihr Lachen wieder. Die drei Szenen, die um Beaflors Lachen kreisen, potenzieren das Moment der Exklusivität dabei noch, ist die junge Frau doch jeweils allein mit ihrem Ziehvater, wenn sie lacht oder zumindest über die Möglichkeit des Lachens spricht. Die gemeinsamen Szenen mit Roboal stehen damit auch in einem Spannungsverhältnis zu den Szenen, in denen Beaflor mit Mai allein ist, zumal sie in der narratio in unmittelbare Nähe gerückt sind. Die mit erheblichem narrativen und rhetorischem Aufwand inszenierten ersten beiden Lachen-Szenen füllen die Schilderung des ersten Abends aus (MuB, V.  8555–8614, V.  8881–8913), sie rahmen das erste gemeinsame Mahl wie das erste private Gespräch von Mai und Beaflor ein (MuB, V.  8659–8820). Die in ihrer fast lapidaren Kürze irritierende dritte Szene beschließt hingegen die Ereignisse des zweiten Tages (MuB, V. 9283–9294). Sie folgt dem zweiten privaten Gespräch des Protagonistenpaares (MuB, V. 9133–9260), ehe es am dritten Tag zur öffentlichen Wiedervereinigung kommt. Der deutsche Roman nähert sich dem Lachen seiner Heldin zunächst über Dichotomien an, vor allem über Beaflors ostentative Trauer, die bis zum völligen Verzicht, ja Unvermögen des Lachens gesteigert ist: ‚mir ist lachen so benomen, / daz ez mir niht chan wider chomen‘ (MuB, V. 8579 f.). Als Roboal (in der ersten Lachen-Szene) seiner Ziehtochter die Ankunft Mais in seinem Haus offenbart, kontrastiert er ihr gegenwärtiges Leid mit neuer Freude und künftigem Lachen: ‚du must heint lachen‘ (MuB, V. 8577). Geschickt verknüpft der Text auf diese Weise Trauer und Nicht-Lachen ebenso wie Freude und Lachen. Weil Beaflor allgemein als tot gilt und erst durch die Wiedervereinigung mit Mai ins Leben zurückkehrt, sind beide Dichotomien zudem mit der Grunddichotomie von Leben und Tod verschränkt, zumal die junge Frau die Zeit der Trennung, untröstlich und erstarrt in ihrem Leid, tatsächlich wie eine lebende Tote verbringt (si trouret et, swaz man ir tet; MuB, V.  8558). Zugleich wird die Schlussepisode immer schon von einer minnesangtypischen Frühlingstopik unterlegt (wand ez was in des mayen zit; MuB, V. 8248–8257), die das Wiedererwachen der Natur mit dem Neubeginn der Liebe, neuer Freude und neuem Leben korreliert, wie sie sich in Beaflors wiedergefundenem Lachen ausdrücken. So zitiert die verzögerte Wiedervereinigung des Paares nicht nur die erste Liebeswerbung Mais um Beaflor, die sich ebenfalls im

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Mai vollzogen hat (wan ez was in des maien zit; MuB, V. 2750–2755),18 das Lachen der Heldin wird auch zum Zeichen der Wiedergeburt und höchster Liebesfreude. Leitmotivisch durchziehen die Schlüsselbegriffe trûre, vröude und lachen dabei die gesamte Szene; die Wiederholung verdichtet sich im Begriff des Lachens sinnfällig zu einer figura etymologica: er sprach: ‚libev tohter min, waz magt das betenbrot gesin, daz dar umbe gebest mir, daz ich libev mere dir sagte, der du vreutest dich.‘ ‚daz la sein, wan nieman mich alhie chan vro gemachen, des ich iht welle lachen.‘ ‚wie denne, ob ich heint tun? mag aber daz lachen haben sun, dem du so sere bist gehaz? dir taet ein lachen michel baz denne daz trouren, daz tu tust. ich sag dir des tu lachen must, swie veint du dem lachen pist, du must lachen in churzer vrist.‘ (MuB, V. 8559–8574)

Durch die Spannung zwischen Beaflors gegenwärtiger Trauer und ihrer zukünf­ tigen, in greifbare Nähe gerückten Freude (heint, in churzer vrist) sind die LachenSzenen einander im Sinne von Verheißung und Erfüllung zugeordnet. Sie wiederholen damit in nuce einen Spannungsbogen, der den Roman bereits auf einer Makroebene prägt, seitdem Beaflor in ihrem hyperbolischen Tugendpreis auf Mai die Zustimmung ihres Ziehvaters zu dem unbekannten Ehemann vorausgesagt hat: ‚er muz dir wol gevallen, / vater, soldestu in sehen, / so muest du mir der warheit iehen‘ (MuB, V. 7688 ff.). Das Lachen, in dem die Spannung kulminiert,

18 Die Gleichordnung bestätigt sich zusätzlich, wenn das letzte private Gespräch von Mai und Beaflor das in der ersten Werbung vorgeprägte Reimpaar kurtois/franzois (,ir dunchet mich so chindis, / herre, chunt ir iht franzys?‘; MuB, V. 2240 f.) wieder aufgreift: ‚jch laß ew mein tochter lesen, / wellich már jr wolt jn franzeis. / mein tohter ist so gar kurteis‘ (MuB, V. 9202 ff.). Zudem knüpft die Schlussapotheose sinnfällig an die Metaphorik der Hochzeitsnacht an, wenn Beaflor als im Maientau leuchtende Rose beschrieben wird: als jn des maien tawe / liecht die rote rose, / suss lúcht die súesse lose (MuB, V. 9665 ff.; vgl. MuB, V. 3725–3728: als in des meien towe / leuhtet diu lihte rose / sus leuhte diu lose / mit rotem glossendem munde). Die Wiedervereinigung wird auf diese Weise als eine Art zweite Liebeswerbung profiliert, die die erste Werbung mit veränderten Bedingungen noch einmal durchspielt; durch ihre Endgültigkeit erweist sie sich dabei gegenüber der ersten Vereinigung als überlegen.



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ist vor dieser Folie nicht lediglich Ausdruck von Affekten (von Freude, von Liebe), es gewinnt vielmehr eine affirmative Funktion. Sinnfällig wird die zweite LachenSzene dadurch eingeleitet, dass Roboal zu lachen beginnt, noch bevor seine Ziehtochter ihr Lachen wiedergefunden hat (MuB, V. 8881 ff.). Sein Lachen ist nicht nur Freude über Beaflors Freude, es ist auch Reflex auf das vorgängige Verhalten des Liebespaares: Mai nämlich bricht, über den Anblick Beaflors zutiefst bewegt, in Tränen aus, und Beaflor kann nicht anders, als sympathetisch mitzuweinen (MuB, V. 8818–8821); der Senator honoriert den gemeinsamen Schmerz, der sich durch ihre Tränen am Körper ablesen lässt.19 In diesem Sinne fordert Roboal auch das Lachen seiner Ziehtochter ein, ja er macht von der Beweiskraft ihres Lachens das künftige happy ending explizit abhängig: ‚wizze, daz ich ende also, / daz du da von must wesen vro. / du hast aber noch gelachet niht. / du enlachest, ez ist gar enwiht‘ (MuB, V. 8893–8896).20 Ob Beaflor daraufhin lacht, wird jedoch irritierend uneindeutig erzählt, weil das Sprechen über das Lachen das eigentliche Lachen überlagert: si sprach: ‚billich ich lachen sol. ich lache im herzen wol. ich lache gerne, swenne du wil. ich han da her getrouret vil. daz sei nun verbazzen. ich wil min trouren lazzen, seit mir trouren ist gar benomen vnd lachen ist widerchomen.‘ si chust in vnd sprach also: ,ich wil lachen und wesen vro, wan daz hast tu gemachet, daz nu min herze lachet.‘ (MuB, V. 8897–8908)

Sicher legt die oft umständliche Erzählweise des anonymen Autors zunächst die Annahme nahe, dass Beaflor tatsächlich zu lachen beginnt; das Sprechen über

19 Dass Roboal lachen muss, als er mit Lois spricht (der wirt lachen des began; MuB, V. 8854), werte ich in diesem Zusammenhang ebenfalls nicht als Heiterkeit über die Wut des Knaben, sondern als Affirmation, denn Lois berichtet von dem unverständlichen Tränenausbruch seiner Eltern, den er beobachtet hat: ‚an im selben si sich rachen / mit weinen vnder in beiden‘ (MuB, V. 8846 f.). 20 Walliczek/Schulz verstehen die Darstellung überbordender Affekte als Versuch, die Authentizität der affizierten Figuren zu garantieren: „Das sichtbare, offenbar willentlich nicht kontrollierbare Übermaß immunisiert gegen jeden Verdacht auf Verstellung“ und ruft eben dadurch das Solidarhandeln von Dritten hervor (Anm.11), S. 40–45, bes. S. 41 [Zitat]. Durch Roboals Worte wird ein solcher Zusammenhang auch in der Erzählwelt reflektiert.

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das Lachen und das Lachen selbst würden dann umstandslos ineinander aufgehen. Bereits die schiere Länge von Beaflors Rede und der rhetorische Aufwand, mit dem der Begriff des Lachens erneut durch eine figura etymologica ausgezeichnet wird, würden diese Vermutung stützen. Doch bietet der Text auch eine lectio difficilior. Wenn man bereit ist, hinter Beaflors zweifacher Einschränkung ein narratives Kalkül zu vermuten, ist ihr Lachen nämlich planvoll zurückgenommen: Sie lacht im herzen, ihr herze lachet, sie lacht ein stummes, inneres Lachen, das von Dritten (etwa von Roboal) nicht wahrgenommen werden kann, sodass das eigentliche Lachen in der dritten Szene erst noch erfolgen muss. Über die drei Szenen, die das Lachen der Heldin umkreisen, wäre dann eine Steigerung vom Nicht-Lachen über das Lachen im herzen bis zum lauten Lachen angelegt,21 freilich ohne in der narratio eine formale Entsprechung zu finden. Denn das laute, offene Lachen wird mit irritierender Beiläufigkeit und ohne den rhetorischen Schmuck erzählt, der noch die ersten beiden Szenen prägt. Der Begriff des Lachens schrumpft auf ein schlichtes Adverb zusammen: lachent sy zuͦ jm sprach: / ‚vater, all mein vngemach, / den macht du wenden, wann du wil‘ (MuB, V. 9287 ff.).22 Die Annahme einer Steigerung hat dabei (trotz aller formalen Widerständigkeit) den Vorteil, die Verzögerung der Anagnorisis zu motivieren, weil der Senator die Wiedervereinigung des Paares erst arrangiert, nachdem Beaflor am Ende des zweiten Tages in seinem Beisein offen gelacht hat. Die allmähliche Intensivierung des Lachens reflektiert zudem Beaflors wachsenden, kaum noch reglementierbaren Liebesaffekt; sichtbarer Ausdruck sind die affektiven und kommunikativen Grenzüberschreitungen, die die Begegnungen mit Mai immer wieder prägen. Denn Beaflor gehorcht zwar dem Schweigegebot, doch kann sie die geforderte mâze in Trauer und Freude, durch die sie dem geliebten Ehemann als Fremde erscheinen soll, nicht einhalten: ‚wis weder trorich noch vro, / erbiut

21 Für diesen Hinweis danke ich Saskia Gall (Erlangen-Nürnberg). Zugleich bedanke ich mich bei den Teilnehmern des mediävistischen Oberseminars der FAU Erlangen-Nürnberg für die Möglichkeit, den vorliegenden Aufsatz vorab zur Diskussion zu stellen, und für die vielen anregenden Beiträge. 22 Der Mai-und-Beaflor-Roman ist ab V.  8951 (also ab dem Gespräch zwischen dem Kaiser und Mai, das Mais Audienz beim Papst vorbereitet) ausschließlich in der jüngeren Handschrift B (Ende 15.  Jahrhundert) überliefert; B ergänzt zudem drei weitere Lücken, die in der älteren Leithandschrift A (1.  Viertel 14.  Jahrhundert) durch Blattverlust entstanden sind. Es wäre verlockend, einige narrative Unbeholfenheiten der Schlussgestaltung (insbesondere die auffällige Kürze des Erzählens in der dritten Lachen-Szene oder bei der öffentlichen Wiedervereinigung) als Kürzungen von B zu erklären, doch gibt es dafür keine Belege, weil B in den gemeinsam überlieferten Partien vordringlich in der Lautung, nicht aber in der Textgestalt von A abweicht (vgl. dazu etwa die Einleitung in der Edition von Kiening/Mertens Fleury, S. V–X).



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ims in der mazz also / reht, als er nie wurd dein man‘ (MuB, V. 8609 ff.). Vielmehr brechen sich ihre Affekte Bahn, wenn sie am Abend des ersten Tages Mais tränenreiche Trauer teilt (MuB, V. 8820 f.) und wenn sie ihm am Ende des zweiten Tages sogar verliebte Blicke zuwirft (sie sieht ihn mit freúndes augen an; MuB, V. 9235) und regelrechte Minnegespräche mit ihm führt (MuB, V. 9255–9260). Es liegt nahe, die Steigerung des Lachens als Antwort auf die wachsende Vertraulichkeit zu lesen, die sich in der Interaktion mit Mai vom ersten zum zweiten Tag abzeichnet. Während das gemeinsame Weinen nur mehr ein stummes Lachen im herzen hervorruft, reagiert Beaflor auf die aufkeimende ‚Verliebtheit‘ mit lautem, offenem Lachen.23 Insofern muss auffallen, wie sehr sich Beaflors Lachen von den anderen in der Anagnorisis vorgeführten Affektausdrücken durch den Grad seiner Sichtbarkeit unterscheidet. Das Lachen überspringt zwar die Grenze von innen nach außen, ist aber (anders als Beaflors Weinen) der öffentlichen Wahrnehmung kaum zugänglich. Raffiniert wird es in der narratio dazu genutzt, um eine paradoxe (spezifisch vormoderne) Form von Innerlichkeit herzustellen. Walliczek und Schulz haben für den Mai-und-Beaflor-Roman unlängst zu bedenken gegeben, dass von Innerlichkeit (im Sinne empfindsamer Selbstbeobachtung) nicht gesprochen werden könne, weil sich die überbordenden Affekte immer schon körperlich manifestieren und gerade in ihrer Sichtbarkeit das Solidarhandeln der Adelsgemeinschaft auslösen;24 tatsächlich vermeidet es der Roman, Affekte wie Liebe, Freude und Trauer in inneren Monologen auszuspekulieren und so eine Innensicht auf seine Figuren zu eröffnen. Die sorgfältige Raumregie der Anagnorisis ermöglicht es dem anonymen Autor aber, die Ausdifferenzierung in ein Figureninneres und ein Figurenäußeres durch eine Ausdifferenzierung in verschiedene Räume zu er­setzen. Auf diese Weise ist Beaflors Liebesfreude zugleich vom Körper ablesbar (veräußerlicht) und heimlich (verinnerlicht), weil außer ihrem Ziehvater niemand ihr Lachen beobachten kann.25 Im Erzählsyntagma bleibt das Lachen dadurch merkwürdig isoliert. Es beschränkt sich auf die gemeinsamen Szenen mit Roboal. Auffällig genug vermeidet es der Text sogar, Mai und Beaflor im glück-

23 Zumindest für Mai ist dieses ‚Liebesgefühl‘ ausgesprochen prekär, denn natürlich darf er sich in die vermeintlich Fremde nicht tatsächlich verlieben, wenn er seine triuwe gegenüber der verstorbenen Ehefrau bewahren will. Ausgedrückt wird durch das ‚Verliebtsein‘ vermutlich ein unbewusstes, rein affektives Wiedererkennen, das der ratio nicht zugänglich und deswegen vom kognitiven Widererkennen (das bekanntermaßen nicht gelingt) geschieden ist. 24 Walliczek/Schulz (Anm. 11), S. 19–22. 25 Tatsächlich sind Roboal und Beaflor die einzigen Figuren, die in der narratio lachen (MuB, V. 8854, V. 8882, V. 9287, V. 9292). Von Mai und seinen Reichsverwesern wird allenfalls gesagt, dass sie in ihrer Trauer das Lachen vermeiden: die drey nie erlachten (MuB, V. 9040).

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lichen Lachen zu vereinen, obwohl die Korrespondenz von Affektausdrücken sonst gerne dazu genutzt wird, um die Reziprozität der Liebe zu zeigen. Offenbar gewinnt das Lachen sein Recht ausschließlich im Rahmen der Intrige. So wie das (Ver-)Schweigen der Heldin das Verwirrspiel überhaupt erst ermöglicht, so ist das wiedergefundene Lachen das Signal, das Spiel zu beenden. Der hohe Inszenierungsgrad des Schlusses ist von der Forschung immer schon erkannt und gerne in eine Theatermetaphorik gefasst worden: Von einem „aparte[n] Theaterspiel“ ist die Rede, das von Roboal (wie von einem Regisseur) orchestriert werde und „bei dem viele der Schauspieler selber nicht [wüssten], welche Rollen sie einnehmen“; nicht nur Classen hat dabei die „wirkungsvolle Komik“ dieses „Kostümspiel[s]“ betont.26 Freilich klingt in der Konzentration auf das Lustspielhafte der Inszenierung bereits an, dass die Forschung die repetitiven und retardierenden Momente der Schlussgestaltung im Ganzen eher vernachlässigt hat. Diese Irritation wird vor allem in den Inhaltszusammenfassungen des Romans offensichtlich, wie sie in den Vorworten der Editionen, im Rahmen literaturgeschichtlicher Aufrisse und Lexikonartikel erscheinen und regelmäßig das happy ending in so gedrängter Form präsentieren, dass sie die charakteristische Hinauszögerung der Anagnorisis nachgerade vertuschen. Besonders auffällig ist hier die Nacherzählung im Vorwort der Erstausgabe, die einerseits mit sugges­ tiven Ellipsen operiert („Das Uebrige versteht sich von selbst“) und andererseits das spontane Wiedererkennen insinuiert („Bei Tische wurden die beiden Gatten einander gegenübergesetzt, und es erfolgte eine Erkennungsscene, die beide für ihre langen unverschuldeten Leiden herlich belohnte“), das der Text so auffällig vermeidet.27 Dass die verzögerte Anagnorisis insgesamt wenig positives Echo findet, muss so kaum eigens hervorgehoben werden. Wilhelm Grimm steht vereinzelt, wenn er den deutschen Roman zwar als oberflächlich, gewöhnlich und wenig lebendig charakterisiert, den Romanschluss aber ausdrücklich von diesem Verdikt ausnimmt: „erst am Ende, wo Mai und Beaflor, die er nicht erkennt, sich

26 Classen (Anm. 11), S. 337 (Zitat 1, 2 und 4) und S. 338 (Zitat 3). Für die neuere Forschung vgl. etwa auch die Formulierung von Armin Schulz, das Einander-Erkennen müsse von Roboal „erst umständlich und komödienhaft arrangiert werden“ (Anm. 12), S. 234. 27 Vorwort zu: Mai und Beaflor (1848), S.  V–XVIII, hier S.  VIII. Wie die gesamte Ausgabe ist auch das Vorwort ohne Namensnennung geblieben, sodass man über Mutmaßungen nicht herauskommt, wenn man einzelne Arbeitsschritte einem der drei Herausgeber (Massmann, Vollmer und Pfeiffer) zuordnen will. Fiedler nimmt an, dass (von Maßmanns ersten Eingriffen abgesehen) der kritische Text und der Apparat von Vollmer stammen. Das Vorwort schreibt er in Übereinstimmung mit Leitzmann Pfeiffer zu, gegen Leitzmann sieht er Pfeiffer zudem verantwortlich für die Verbesserungen und Vorschläge, die die Anmerkungen nachträglich ergänzen. Vgl. dazu Fiedler (Anm. 4), S. 91; und Leitzmann (Anm. 4), S. 284.



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begegnen, kommen ein paar hübsche Stellen vor“;28 freilich beschränkt sich auch dieses Lob auf die effektvolle, affektiv besetzte Einzelszene. Bezogen auf das Handlungskontinuum überwiegen dagegen die kritischen Stimmen, die Anagnorisis wird allgemein als unnötig hinausgezögert beurteilt. Wächters launiger Hinweis, Beaflors Bitte an Roboal: ‚du machest sein aber gar zuͦ vil. / du solt ez kúrtzer machen‘ (MuB, V. 9290 f.) „könnte man dem Dichter selbst zurufen“,29 kann durchaus stellvertretend für die mehrheitliche Meinung der Forschung stehen. In ihrer Redundanz und ihrem „permanenten Hang zur Repetition“ wird die Schlussgestaltung so zum letzten Beweis für die vielbeschworene Epigona­ lität des anonymen Autors.30 Angesichts dieser Lage überrascht es kaum, dass die Forschung, die ohnehin ausgesprochen selektiv vorgeht und sich nur auf wenige Episoden des Gesamtromans konzentriert, die verzögerte Anagnorisis bislang nicht detailliert analysiert hat. So ist es vor allem Mertens, der im Rahmen einer Studie zur Hybridisierung geistlicher und weltlicher Identitätskonzepte (Herrschaft, Buße, Liebe) erste Deutungsansätze profiliert. Ungeachtet der Tatsache, dass die endgültige Enthüllung im Roman ausgesprochen kursorisch erzählt wird und vor allem ein Arrangement zwischen Roboal, Beaflors Vater und Mai bleibt, bei dem Beaflor zunächst nicht einmal anwesend ist, zielt für Mertens die Inszenierung immer schon auf die Öffentlichkeit der Wiedervereinigung ab: „Beaflor, die eingeweiht ist, muß geloben, sich erst im zeremoniellen Rahmen zu erkennen zu geben, wenn die größtmögliche Öffentlichkeit hergestellt ist“.31 Freilich unterstellt er hier Motivierungen, die im Text ungenannt bleiben, insofern Roboal (getreu der Idee des Blankoversprechens) die Bedingungen der Wiedervereinigung nicht konkretisiert (MuB, V. 8581–8584, V. 8606–8611); auf eine öffentliche Szene kann sich Beaflor also gerade nicht bewusst einlassen. Für Mertens wird jedenfalls die als Zeit der Prüfung und Bewährung angelegte Phase zwischen der ersten Begegnung und der Anagnorisis durchsichtig auf eine Liebeskonzeption, die private und öffent-

28 Zitiert nach Fiedler (Anm. 4), S. 85. Zu Grimms Kritik vgl. ebd.: „Der Inhalt ist märchenhaft und wäre einer bessern u. lebendigern Behandlung fähig, diese hier ist ziemlich oberflächlich u. gewöhnlich“. 29 Otto Wächter: Untersuchungen über das Gedicht Mai und Beaflor, Erfurt 1889, S. 29. 30 So exemplarisch Fritz Peter Knapp: Die Literatur des Spätmittelalters in den Ländern Österreich, Steiermark, Kärnten, Salzburg und Tirol von 1273–1439. Halbbd. 1: Die Literatur in der Zeit der frühen Habsburger bis zum Tod Albrechts II. 1358, Graz 1999 (Geschichte der Literatur in Österreich von den Anfängen bis zur Gegenwart 2,1), S. 339. 31 Volker Mertens: Herrschaft, Buße, Liebe: Modelle adliger Identitätsstiftung in Mai und Beaflor. In: German narrative literature of the twelfth and thirteenth centuries. FS Roy Wisbey. Hrsg. von Volker Honemann/Martin H. Jones u. a. Tübingen 1994, S. 391–410, hier S. 398.

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liche Ansprüche miteinander verschränkt: „Liebe soll sich nicht nur im spontanen Wunsch nach Nähe umsetzen, sondern in die Lebensplanung eingebunden werden“.32 Auch für Armin Schulz resultiert das komplizierte Schlussarrangement des Mai-und-Beaflor-Romans aus der Überblendung weltlicher und geistlicher Erzählmuster; auch er konzentriert sich vordringlich auf die öffentliche Wiedervereinigung von Mai und Beaflor. Dabei betrachtet er den Roman im Kontext anderer später Gattungshybriden, namentlich dem Wilhelm von Wenden und der Guten Frau, die anhand der krisenhaften Trennung und endgültigen Wiedervereinigung eines bereits durch Ehe legitimierten Paares Kompromisse zwischen höfisch-weltorientierten und radikal weltfernen, asketischen Lebensentwürfen ausspekulieren. Dies geschieht vor allem dadurch, dass die Protagonisten unterschiedliche Rollen durchleben (Mai etwa ist erst Herrscher und Liebender, dann Heidenkämpfer, dann Büßer und Pilger, um endlich wieder zum Herrscher aufzusteigen), wobei die sukzessiv entfalteten Teilidentitäten nicht widerspruchslos ineinander aufgehen müssen. Die massiven Aufschübe und Asymmetrien des Einander-Erkennens, die jeweils die Schlussanagnorisis der genannten Romane prägen, führt Schulz auf diese konfligierenden Teilidentitäten zurück: Die neue Rolle als Büßer, die dem antifamilialen Identitätsmodell der Legende verpflichtet ist, erweist sich gegenüber den alten Familienbindungen als widerständig; das hinausgezögerte happy ending lässt kurz die Möglichkeit aufscheinen, dass die Trennung der Familie irreversibel sein könnte, bis letztlich doch der Entwurf des höfischen Romans die Oberhand behält.33 Die auffällige Neutralisierung Mais, der Beaflor trotz Kleid und Krone nicht erkennt und der für die glückliche Wiedervereinigung so auf das Solidarhandeln von Dritten angewiesen bleibt, verbindet Schulz dabei mit der Entmächtigung des Legendenheiligen, der eine Figur der Widerfahrnis, ein weithin passives Objekt der göttlichen Fügung ist.34 Auch die Unkenntlichkeit Beaflors erklärt er auf der Folie von Legendenstrukturen. Am Beispiel der Alexius-Legende zeigt er auf, dass der Heilige, indem er aus den höfischen Sichtbarkeitszusammenhängen heraustritt, inkommensurabel wird; selbst für seine nächsten Verwandten bleibt er so lange unkenntlich, ja geradezu unsichtbar, bis er sich selbst entschließt, seine Identität zu offenbaren, oder bis Gott seine Unkenntlichkeit aufhebt.35 Im Sinne einer höfischen Umbesetzung des Legendenmusters ist es freilich nicht Gott, sondern Roboal, der (als

32 Ebd., S. 399. 33 Schulz (Anm. 12), bes. S. 664–667. 34 Ebd., S. 684 f. und S. 687. 35 Ebd., S. 674 und S. 683. Zur Alexius-Legende vgl. auch Schulz (Anm. 12), S. 361–365.



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Vertreter der Adelsgemeinschaft und Agent Beaflors) das Liebespaar zusammenführt, aber gerade darin gottgleich handelt.36 Und so überrascht es nicht, dass im Text diese Parallele überdeutlich markiert ist. Wenn über Mais durch einen Seesturm zerstreute Schiffe gesagt wird: daz er in noten helfen chan, / daz hat er wol schein getan / an disen ellenden hie, / die er so zeichenlichen lie / wider zu einander chomen (MuB, V. 8211–8215), so könnte das Zitat nicht nur Zeichen für Gottes Allmacht sein, sondern mit einigem Recht auch das Handeln des Senators beschreiben. Natürlich ist beiden Interpretationsansätzen durchaus zuzustimmen, wenn sie vordringlich auf die Öffentlichkeit der Wiedervereinigung spekulieren, zumal die Anagnorisis des dritten Tages im Text narrativ vorbereitet und auf diese Weise (zumindest punktuell) tatsächlich als Zielpunkt von Roboals Handeln etabliert wird. So sind die Treffen zwischen Roboal, Mai, dem Kaiser und dem Papst, die das letzte Treffen als Akt der öffentlichen Entsühnung Mais vorbereiten, immer schon in die Folge der privaten Treffen von Mai und Beaflor eingebunden (MuB, V. 8914–9022); zugleich verdichten sich am Abend des zweiten Tages die Hinweise darauf, dass am dritten Tag das happy ending stattfinden wird. Der Senator etwa weist wiederholt darauf hin, dass sein Arrangement am nächsten Tag (morgen) enden werde,37 er orientiert sich an der Frist, die sich der Papst als Bedenkzeit ausgebeten hat (disen tag), um über Mais Absolution und eine angemessene Buße zu entscheiden (MuB, V. 8980–8988). Handlungsfunktional ist die öffentliche Schlussszene zudem trotz ihrer narrativen Kürze unverzichtbar; sie hat die Aufgabe, das Defizit zu tilgen, das die Liebe von Mai und Beaflor bis dahin gekennzeichnet hat, wobei der legitimatorische Akt der tatsächlichen Zusammenführung des Paares mit Bedacht vorgeschaltet ist: Durch den privaten Konsens von Mai und Beaflor bleibt die Ehe zunächst ein nicht-öffentliches Arrangement zwischen beiden Liebenden (MuB, V. 2608–2645), zu dem Mai zwar die Zustimmung seiner Großen nachgerade erzwingen kann (MuB, V. 2946–2952), dem aber die Zustimmung durch Mais Mutter (MuB, V.  2645–2715) und durch Beaflors Vater versagt bleibt. Als ungelöster Rest fordert das Moment der Zustimmung insofern weiteres Erzählen geradezu heraus, da es zu einem endgültigen happy ending erst kommen kann, wenn die Elterninstanzen dauerhaft ausgeschaltet sind (wie es im Fall von Mais Mutter durch ihren Tod geschieht; MuB, V. 6906–

36 Schulz (Anm. 12), S. 683 und S. 685. 37 Zu Mai (und den Reichsverwesern): ‚jr herrn, jr súlt nicht clagen. / morgen so nymt ennde gar / ewr dingk, das wisset fúr war‘ (MuB, V. 9194 ff.); ‚jr wert morgen ledig gar‘, / sprach der wirt, ‚dz habt auf mir‘ (MuB, V. 9276 f.); zu Beaflor: ‚du wirdest morgen dauon pracht, / tochter, got geb dir guͦ t nacht‘ (MuB, V. 9293).

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6923) oder wenn die Zustimmung nachträglich erlangt wird. In der öffentlichen Schlussszene wird das Protagonistenpaar nun gleich durch drei Vaterinstanzen legitimiert: neben Beaflors leiblichem Vater gibt auch der Papst als Beaflors geistlicher Vater der Ehe seinen Segen. Implizit setzt zudem das gesamte Arrangement die Zustimmung durch Beaflors Ziehvater Roboal voraus, der schon in der InzestVorgeschichte als der bessere Vater (er vetert ir michels paz / danne ir vater; MuB, V.  1552  f.) gezeigt und so als die entscheidende Vaterfigur des Textes profiliert worden ist.38 Gleichwohl fügt sich der Roman den angebotenen Erklärungsmodellen nicht so bruchlos, wie es Mertens und Schulz suggerieren; sei es, dass sie durch ihre Konzentration auf die durch Roboal herbeigeführte und öffentlich vollzogene Wiedervereinigung des Protagonistenpaares mögliche andere Formen des Wiedererkennens negieren, obschon sie im Text durchaus eingespielt werden, sei es, dass sie (unausgesprochen) voraussetzen, dass Mai Beaflor gar nicht wiedererkennen solle. Einer solch einsinnigen Lesart, die nicht nur die mögliche Problematik von Mais Erkenntnisunfähigkeit, sondern auch die Paradoxien von Roboals Arrangement zurückdrängt, stehen freilich die bereits erwähnten Erzählerexkurse entgegen. Insbesondere der erste Exkurs (MuB, V. 8772–8799) verknüpft die Rechtfertigung von Beaflors Schweigen mit der Frage, wer unter der asymmetrischen Situation mehr leide: Mai, der Beaflor nicht erkennt, oder Beaflor, die Mai zwar erkennt, sich selbst aber nicht zu erkennen geben darf (MuB, V. 8785 ff.). Bezeichnenderweise ist es der junge Graf, der gerade wegen seiner Unwissenheit größeres Leid erdulden muss (ez hat michel mer der man / swaer vnd smerzen / an sinem senden herzen; MuB, V.  8782  ff.); Beaflors Leid, das ohnehin vor allem Mitleid ist, kann an sein Leid nicht heranreichen.39 Zugleich korrespondiert die Differenz von swaer vnd smerzen auffällig mit der unterschiedlichen Leiderfahrung, die bereits anlässlich der Meerfahrten im Text markiert worden ist (got siv doch niht sande / vber se also schier / […] / als Belaflorn die suzzen; MuB, V. 8150–8153). Anders als Beaflor, die mit ihrem Schiff in wunderbarer Leichtigkeit und Schnelligkeit das Meer überquert (ein auzgenomen wunder; MuB, V. 1966–1990, V. 7186– 7201), gerät Mai bei der Überfahrt in einen Seesturm. All seine Schiffe werden versprengt, sein Gefolge deutet das Unglück als göttliche Strafe (vgl. insges. MuB, V. 8129–8242). Damit mehren sich im Text die Anzeichen dafür, dass die verzö-

38 Vgl. für die Beaflor zugeordneten drei Vaterfiguren auch Kiening (Anm. 5), S. 257. 39 den was hertzenleichen we / paide vnd doch vngeleich. / Beaflor dy tugentreich / hett nicht laid, wann dz sy sach / an jrem leib den vngemach, / den er so pitterleich trug. / dauon sy jamer het genúg. / es tet jr an jm so we, / das sy sich gram, doch het er me / jamers vnd hertzen not / vmb seines lieben weybes tot, / die noch lebentig bey jm saß (MuB, V. 9048–9059).



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gerte Anagnorisis Mai gerade durch die Leiderfahrung prüfen, wenn nicht sogar strafen soll (die Situation schillert, wie so häufig im höfischen Roman, zwischen beiden Polen). Es bliebe freilich zu klären, worauf die von Roboal (und dem anonymen Autor) mit so viel Aufwand inszenierte Probe nun eigentlich abzielt. Angesichts eines Stoffes, der die Identifizierbarkeit seiner Protagonistin zumal in der Brieftausch-Episode massiv hinterfragt, ist es naheliegend, zunächst von einer Erkenntnisprobe auszugehen. Gerade dem Mai-und-Beaflor-Roman stände eine solche Probe gut an, denn der anonyme Autor verschärft die in der Fälschungsintrige verhandelte Erkenntnisproblematik, indem er sie mit der in der Erzähltradition häufig ausgeblendeten Minnethematik verbindet: So ergänzt er den üblichen Brief der Reichsverweser, der Mai die Geburt eines suns und erbeherren mitteilen soll (MuB, V.  5099–5126), um einen (Liebes)Brief Beaflors (MuB, V.  5129–5152). Zugleich spielt er die sexuelle Dimension der gegen seine Heldin erhobenen Vorwürfe raffiniert aus. In dem von Mais Mutter Eliacha untergeschobenen Brief wird nicht nur die Geburt eines wolfes annonciert (MuB, V.  5235–5252), vielmehr wird der in der Stofftradition gelegentlich unspezifisch bleibende Vorwurf der Promiskuität auf den Vorwurf des Ehebruchs mit zwei Geistlichen zugespitzt (‚bei der man zwene pfaffen hat / begriffen an der hantat‘; MuB, V.  5242  f.). Indem die Intrige so deutlich auf eine Desavouierung von Beaflors Tugend abzielt, unterstreicht der Erzähler die Frage nach der ungewissen Vergangenheit der Heldin; der in der Brieftausch-Episode latent angelegte Vertrauenskonflikt tritt deutlich zutage, umso mehr als die Trennung des Protagonistenpaares von vornherein als triuwe-Probe markiert worden ist (,vnser herre geb dir den sin, / daz du iht vergezzest min. / nu tu an mir din triwe schin‘; MuB, V. 4033 ff.). Vor diesem Hintergrund wird Mais Glaube an den untergeschobenen Brief, so sehr das Gelingen der Fälschung auch durch den Stoffzwang eingefordert sein mag, prekär, zumal der junge Graf in der Übergabesituation nicht einzig auf die Schrift zurückgeworfen ist, sondern zwischen dem wahren Botenbericht und dem falschen Brief (und damit auch zwischen Treue und Untreue Beaflors) wählen kann (MuB, V.  5315–5405). Obwohl der deutsche Roman Mai niemals explizit eine Schuld zuweist, sondern vordringlich die Schuld der (Schwieger) Mutter und des tumben Briefboten kommentiert, der sich durch Wein und Geld hat verführen lassen, scheint mir Mais umstandsloses (im Text auffällig unkommentiert bleibendes) Vertrauen in die Schrift nämlich nicht ausschließlich durch die Autorität des neuen Mediums gedeckt, sondern Folge seines Misstrauens in Beaflor zu sein.40 Eine solche Lesart ist trotz der Leerstelle in der Fälschungs-

40 Mit dieser These grenze ich mich besonders von Wenzel ab, der den Roman mehrfach medientheoretisch befragt hat. Für das Gelingen der Fälschung macht er vor allem den Medienwech-

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episode durchaus narrativ vorbereitet, denn letztlich kolportiert der junge Graf in seiner Entscheidung nur die Vorwürfe, die seine Mutter schon vor der Eheschließung gegen Beaflor erhoben hat (sie sei ein verchebest wip, verstozzen durch bohsheit bzw. vm vntat; MuB, V. 2653–2676) und die ihn immerhin so sehr beeinflusst haben, dass er in der Hochzeitsnacht mit übergroßer Erleichterung die Jungfräulichkeit seiner Braut konstatiert (,wol mich, daz du mich erlost, / hast von sorgen, die ich het‘; MuB, V. 3689 f.).41 Durch diese Zweifel aber erweist sich die Liebe des Paares vorläufig als defizient. Das problematische Gelingen der Fälschung bewältigen einige Adaptationen des Mädchen ohne Hände dadurch, dass sie vor das endgültige happy ending eine Wiedererkennungsszene setzen, die das Verkennen in der Briefintrige korrigieren soll. Im altfranzösischen Roman de la Manekine erzählt Philippe de Remi etwa, wie der König von Schottland seine lang vermisste Ehefrau Manekine wiederfindet, indem er ihren Ehering (aniaus) erkennt, mit dem der gemeinsame Sohn spielt (Bien pense que d’autele guise / Ert li aniaus que il donna / celi qu’a honeur couronna; Man., V.  6112  ff.); nur dadurch erreicht er ein Treffen mit Manekine, die sich bislang aus Angst vor ihm verborgen hat.42 Die komplizierte Schlussgestaltung des Mai-und-Beaflor-Romans ist scheinbar noch deutlicher als Reflex auf die Brieffälschung angelegt. Mit dem Protagonistenpaar und den Reichsverwesern versammelt Roboals Versuchsanordnung wie unter einem Brennglas alle Beteiligten der Fälschungsintrige in einem Raum, wobei er Mai und Beaflor

sel von Rede zu Schrift und die damit einhergehende Reduktion des Boten „vom Botschafter zum Briefträger“ verantwortlich. Vgl. Horst Wenzel: Boten und Briefe. Zum Verhältnis körperlicher und nichtkörperlicher Nachrichtenträger. In: Gespräche – Boten – Briefe. Körpergedächtnis und Schriftgedächtnis im Mittelalter. Hrsg. von dems., Berlin 1997 (PhSt 143), S. 86–105, bes. S. 102 (Zitat); und mit gleicher These: Hören und Sehen. Schrift und Bild. Kultur und Gedächtnis im Mittelalter, München 1995 (C. H. Beck Kulturwissenschaft), bes. S. 263–267. 41 Als Reflex auf eine zwar „verdeckte, im Text aber immer wieder thematisierte Angst“ um Beaflors Keuschheit liest neuerdings auch Matthias Meyer die Darstellung der Hochzeitsnacht oder den Brief der Reichsverweser: „Der Text inszeniert nun eine Erleichterung nach der anderen“. Anders als ich verknüpft Meyer diese Angst aber nicht mit dem Gelingen der Brieffälschung, sondern bemüht (wie andere vor ihm) die mediale Umbruchsituation: „Hier gilt die Evidenz der Augenzeugenschaft des Boten nichts, der schriftliche Brief, obwohl gefälscht, alles“ (Matthias Meyer: Von Briefen und Zauberbüchern. Schreiben und Lesen in Mai und Beaflor und im Reinfried von Braunschweig. In: Sprache und Literatur durch das Prisma der Interkulturalität und Diachronizität. FS Anton Janko. Hrsg. von Marija Javor Briški/Mira Miladinović Zalaznik/Stojan Bračič, Ljubljana 2009, S. 35–48, hier S. 39 [Zitat 1 und 2] und S. 41 [Zitat 3]). 42 „He thinks indeed that very similar was the ring that he gave to her whom he crowned in honor.“ Ich zitiere und übersetze nach Philippe de Remi: Le Roman de la Manekine. Edited from Paris BNF fr. 1588 and translated by Barbara Sargent-Baur with contributions by Alison Stones and Roger Middleton, Amsterdam, Atlanta 1999 (Faux titre 159).



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absichtsvoll nebeneinander, Cornelius und Effreide ebenso absichtsvoll dem Paar gegenüber setzt (den edelen graven beiden / ein tisch geriht wart gein in; MuB, V. 8690 f.). Zumindest für die Reichsverweser bestimmt der Senator die paradoxe Inszenierung dabei explizit als Erkenntnisprobe: daz tet der wirt durch den sin, / daz si die vrowen dester baz / gesehen ouch vnd vmbe daz, / ob si die vrowen erchanden (MuB, V.  8692–8695). Dass sein Arrangement für Mai implizit eine vergleichbare Funktion haben soll, kann meiner Ansicht nach vermutet werden, ohne den Text zu überfordern. Ein Indiz dafür ist etwa, dass der junge Graf erneut einer Rezeptionssituation ausgesetzt wird, in der ähnlich wie in der Briefsituation widersprüchliche Informationen gegeneinander ausgespielt und zugleich mit unterschiedlichen Medien verkoppelt werden (hier Körper versus Rede, dort Rede versus Schrift): Beaflors äußere Erscheinung (schin), ihr prächtiges Kleid (wat) und ihre Krone (chrone) (MuB, V. 8665–8687) zeigen Mai eine Identität an, die sie durch ihr (Ver)Schweigen und ihre doppeldeutigen Antworten auf seine Nachfragen zugleich leugnet und bestätigt (etwa MuB, V. 8800–8821). Freilich kommt Mai über ein bloßes Konstatieren von Ähnlichkeiten nicht hinaus (etwa: ‚dirre lihten vrowen schin / geleichet sich der vrowen min‘; MuB, V.  8671  f.) und so wird das redundante Durchspielen der immer gleichen Pattsituation im Text nicht durch ein Wiedererkennen am dritten Tag aufgefangen, obwohl die (märchenhafte) Dreistufigkeit der Anagnorisis eine solche Lösung erwarten ließe. Die Inszenierung als Erkenntnisprobe läuft damit ins Leere, die Rezipientenerwartung wird enttäuscht. Ich will nicht leugnen, dass dadurch auf den ersten Blick diejenigen Lesarten gestärkt werden, die vor allem auf die öffentliche Wiedervereinigung des Paares abzielen. Das Einspielen einer Erkenntnisprobe, das die Möglichkeit des Wiedererkennens zwar andeutet, aber letztlich nicht einlöst, lässt sich mit Schulz als abgewiesene narrative Alternative deuten, die im Umkehrschluss vor allem das tatsächlich Erzählte profiliert.43 Mais kognitive Blindheit würde dann betonen, dass die Wiedervereinigung nicht auf Initiative der Liebenden gelingen kann, sondern von Gott (oder einer gottähn­ lichen Figur) von außen herbeigeführt werden muss; das von Schulz aufgeworfene Legendenmuster, das mit der Passivität seiner Protagonisten kalkuliert, würde damit endgültig bestätigt. Mir scheint das freilich eine Deutung zu sein, die die Widersprüche des deutschen Romans unangemessen glättet, insofern sie eine Programmatik unterstellt, die in der narratio nicht gegeben ist. Ich fasse diese Textbeobachtungen daher mit dem Begriff des ‚narrativen Vergessens‘. Ein solcher Begriff hat in meinen Augen den Vorteil, dass er nicht zwangsläufig die

43 Armin Schulz: Fragile Harmonie. Dietrichs Flucht und die Poetik der ‚abgewiesenen Alternative‘. In: ZfdPh 121 (2002), S. 390–407, bes. S. 390–393.

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realisierte Alternative aufwertet, sondern vordringlich auf die Problematik des Vergessenen verweist.44 Aus dieser Perspektive wird ein privates Wiedererkennen nicht deswegen suspendiert, weil die legendentypische Entmächtigung der Protagonisten und die öffentliche Zusammenführung durch gottgleiche Helferfiguren ausgestellt werden sollen, sondern weil es Mais prekäre Zweifel in der Fälschungsepisode erneut ins Gedächtnis riefe. Offenbar kann die Krise des Paares, die der anonyme Autor doch selbst erst in den Text eingefügt hat, nur narrativ bewältigt werden, indem Mais Misstrauen situativ begrenzt und schließlich ganz aus dem Gedächtnis des Rezipienten getilgt wird;45 eine offensive Lösung, in der der junge Graf sein Fehlverhalten korrigiert, wird nicht ausspekuliert. Das komplizierte Schlussarrangement schlägt damit um in eine Liebesprobe, die die in den vorgängigen Klagereden (MuB, V.  7081–7088), Tugendpreisen (MuB, V. 7691–7702) und Minneexkursen (MuB, V. 3831–3839, V. 7712–7740) breit entfalteten, trotz der krisenhaften Trennung kaum hinterfragten Minnetugenden in Handlung überführt und so in ihrer Gültigkeit abschließend bestätigt. Natürlich inszeniert Roboal auf der Erzählebene sein Verwirrspiel, um selbst die Vollkommenheit von Mai zu prüfen, doch zielt das gesamte Arrangement immer auch auf den Rezipienten, der über Mais Liebe, triuwe und stæte die Implikationen der Fälschungsepisode vergessen soll. Zur Arbeit am Gedächtnis seines Publikums wählt der anonyme Autor dabei recht geschickt aus den Vorgaben der Minneexkurse: Die ideale Liebe des Protagonistenpaares zeichnet sich durch eine Seelenverwandtschaft aus, die topisch bis zur Herzenseinheit gesteigert ist;46 selbst-

44 Am Beispiel von Veldekes Eneasroman denkt bereits Herfried Vögel über die „erzählerische Arbeit am Gedächtnis des Lesers“ nach (Herfried Vögel: Das Gedächtnis des Lesers und das Kalkül des Erzählens. Zum Eneasroman Heinrichs von Veldeke. In: Erkennen und Erinnern in Kunst und Literatur. Kolloquium Reisensburg, 4.–7. Januar 1996. Hrsg. von Dietmar Peil/Michael Schilling/Peter Strohschneider, Tübingen 1998, S. 57–85, bes. S. 84, Anm. 110 [Zitat]). Die Manipulation des Lesers wertet Vögel dabei als Reaktion auf die problematische Biographie des Eneas (seine Flucht aus Troja, seine Treulosigkeit gegenüber Dido). Die vielberufene Rhetorisierung der Handlung (z.  B. durch descriptiones) ebenso wie die Ausweitung der LaviniaHandlung hätten die Funktion, die Leser-Erinnerung erzählerisch umzukodieren, die Problematik gleichsam aus dem Kopf des Lesers herauszuerzählen (vgl. bes. S. 61, S. 66, S. 76 und S. 84 f.). 45 Ähnlich verfährt der Text auch mit dem von Mai begangenen Muttermord. Die Tötung der Mutter ist argumentativ verkoppelt mit der Selbstbezichtigung, Frau und Kind ermordet zu haben (MuB, V. 6967–6997, V. 8920–8929, V. 8976 ff.). Sobald sich diese Bezichtigung als gegenstandslos erweist, wird auch die (ohnehin kaum problematisierte) Tötung der Mutter narrativ vergessen; die Notwendigkeit, zumindest für den Muttermord Absolution zu erhalten, besteht für Mai nicht mehr. 46 der herze het dev minne / durchvarn mit der sinne, / daz si vereinet waren / in allen den ge­ waren, / als ir herzen wan wer ein (MuB, V. 7725–7729).



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redend kennt sie daher keinerlei Zweifel: nieman chunde vnder in zwein / vinden wanch noch zwivels chraph (MuB, V.  7730  f.).47 Man mag dahinter den Versuch sehen, die Erkenntnisproblematik noch vor der Wiedervereinigung narrativ stillzustellen, doch vertieft der Autor dies mit Bedacht nicht. Er verlegt sich vielmehr darauf, wieder und wieder zu zeigen, dass Mai und Beaflor gleich denken und gleich fühlen (explizit bereits MuB, V. 3831–3839), wie es in der Herzenseinheit ebenfalls konventionell angelegt ist. Dass die Liebe dabei vornehmlich in überbordendem Leid inszeniert wird, scheint angesichts der ubiquitären Tränenseligkeit späthöfischen Erzählens fast banal, erfüllt zugleich aber eine Bedingung, die in der Erzählwelt aufgestellt worden ist. Beaflor nämlich setzt fraglos voraus, dass Mai so getriwen ist, dass er ebenso unter der Trennung leidet wie sie (‚ich weiz in so getriwen wol, / daz er ouch ist iamers vol‘; MuB, V. 7697 f.); sie behauptet ostentativ die Einheit mit dem Geliebten in iamer und not (MuB, V. 7699–7702). Durch die gezielte Vereinzelung der Protagonisten, die trotz der körperlichen Nähe künstlich in einer Situation der Trennung belassen werden, schafft sich der Roman dennoch narrative Spielräume, um verschiedene Ausdrücke von Liebe gegeneinander auszudifferenzieren. Namentlich Beaflor werden mit ihrem tränenreichen Mitleid, dem stillen Lachen im herzen, und dem lauten, offenen Lachen überraschend vielfältige Affektausdrücke zugeordnet, sodass die Einsinnigkeit, mit der Mai seine Liebe ausschließlich in maßloser Trauer beweist, umso auffälliger wird. Er leidet länger als Beaflor, die bereits am Ende des ersten Tages im herzen lachen kann, sein Leid ist aber auch intensiver. Denn durch die Konfrontation mit dem Ebenbild seiner totgeglaubten Ehefrau wird sein alter iamer (MuB, V. 8820) beständig erneuert: ‚nu ist mins iamers vil mehr / denne sein da vor waere‘ (MuB, V. 8668 f.; vgl. auch V. 9055–9062). Mit einer gewissen analytischen Grausamkeit ist die Inszenierung so geradezu darauf angelegt, Mais Leid auf die Spitze zu treiben und in seinem Tränenreichtum sichtbar zu machen. Offenbar kalkuliert der Text mit der Beweiskraft überbordender Affekte, um gegen den latenten Vorwurf der untriuwe anerzählen zu können. Der anonyme Autor nutzt die Verzögerung der Anagnorisis aber nicht nur, um mit Mais affektiven Lähmungen und Ergüssen Verhaltensmuster in Szene zu setzen, die aus den vorgängigen Krisenmomenten des Textes bestens bekannt sind; man denke etwa an Mais zur tobesucht und zum Selbstmordversuch gesteigerten Schmerzensausbruch, nachdem er die gefälschten Briefe gelesen hat (MuB, V. 5350–5372, V. 5425–5438). In seiner übermäßigen Trauer erscheint der

47 Vgl. auch Mais Klagerede: ‚div suzze starche minne / het vnser beder sinne / mit triwen durch­ vlozzen / vnd ensamt geslozzen. / zwivel noch arquam dehein / wart nie gesamt vnder vns zwein‛ (MuB, V. 7081–7086).

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junge Graf zudem auffällig neutralisiert.48 Mehr noch als Beaflor wird er zur Figur der Widerfahrnis, zum demütig-passiven Objekt von Roboals Arrangement,49 bis der Senator endlich das happy ending gottgleich gewährt. Mit dieser (legendentypischen) Entmächtigung zelebriert der Text eine Eigenschaft, die gerade in Liebesdingen für Mai neu ist. Zugeschrieben wird sie ihm erst seit der achtjährigen Trennungszeit, die er in passiver Buße verbringt; nur so findet er die „Distanz zur höfischen Welt“, die es ihm nach der Logik der Erzählung ermöglicht, diejenige „wiederzufinden, die diese Distanz seit ihrer Kindheit vorgelebt hat“.50 Aber auch Beaflor gewinnt seit der Trennung neue Eigenschaften, wenn der Text vermehrt ihre Liebe und ihr Begehren (gier) hervorkehrt.51 Fast scheint es, als wären bei der Wiedervereinigung die Rollen umgekehrt besetzt, ist es bei der ersten Liebeswerbung doch vordringlich Mai, dessen Liebe thematisiert wird (etwa MuB, V. 2216–2231), während für die fromme Beaflor die gotliche minne (MuB, V. 747) im Vordergrund steht: si ist doch gerne ane man, denn hintz ze got stet alle ir gir (MuB, V.  2960  ff.). Gerade weil die Heldin in Liebesdingen zunächst passiv agiert, ja kaum affiziert erscheint, hat die Forschung mangelnde Kohärenz in der Figurengestaltung moniert („sometimes, the figures of Bêaflôr and [to a smaller extent] Mai are almost torn into pieces“). Grund sei die scheiternde Integration geistlicher und weltlicher Identifikationsmodelle.52 Aber erst Kiening geht den entscheidenden Schritt weiter, wenn er vorsichtig eine (sicher eher funktional als psychologisch gemeinte) Entwicklung, eine Annäherung der Partner konstatiert.53 Ich bin geneigt, das Moment der Funktionalität noch weiter zuzuspitzen, geht es doch fraglos um die Darstellung von Merkmalsgleichheit, wie sie in der höfischen Literatur konventionell die Prädestination eines Paares indiziert. Im

48 Schulz (Anm. 12), S. 684 f. und S. 687. 49 er sprach: ‚das muͦ s an ew stan. / was mir gnade wirt getan, / das kompt alles von ew dar‘ (MuB, V. 9273 ff.). Ich bin versucht, Mais demütige Unterwerfung unter den Willen einer Vaterfigur als Kompensation früherer gâchheit zu lesen, erwachsen die Krisen der Handlung doch vordringlich daraus, die Ansprüche des Adelskollektivs eigenmächtig beiseitegeschoben zu haben: bei der Ehe mit Beaflor, die er als Liebesehe gegen feudale und familiäre Bedenken durchsetzt (so bereits Kiening (Anm. 5), S. 256) oder in der Briefintrige, als er ohne Rücksprache mit seinen Räten den Antwortbrief schreibt (MuB, V. 5406–5409). 50 Kiening (Anm. 5), S. 258. 51 Roboal der sach si an. / so daz sie so innerchlich ir man / mit triwen loben chunde / von des herzen grunde, / das geviel im wol an ir, / vnd das enzundet was ir gier / vnd ouch alle ir sinne / diu sicherliche minne / het verzert so gaenzlich (MuB, V. 7703–7711). 52 So exemplarisch Volker Honemann: Mai und Bêaflôr – on meaning and importance. In: ‚Vir ingenio mirandus‘. FS John L. Flood, Bd. 1. Hrsg. von William J. Jones/William A. Kelly/Frank Shaw, Göppingen 2003 (GAG 710), S. 155–171, hier S. 165 f. (Zitat S. 166). 53 Kiening (Anm. 5), S. 258.



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Mai-und-Beaflor-Roman ist sie bislang nur bedingt eingelöst worden. Gerade für Beaflor ist die Ausstellung eines Begehrens, das zunächst für Mai vorgeprägt ist, daher nicht als zeitliche Auffächerung (im Sinne einer allmählichen Entwicklung der Liebe) gemeint; prozessualisiert wird vielmehr das, was immer schon gleichzeitig gewesen ist. Indem ihre Keuschheit nämlich massiv betont wird, soll Beaflor gegen den Verdacht der Untreue und der sexuellen Zügellosigkeit immunisiert werden, der in der Briefintrige ausgespielt wird, gleichwohl kann ihr Begehren nicht vollständig ausgespart werden, ohne mit der Reziprozität eine der Basisregeln höfischer Liebe preiszugeben. Die narrativ eleganteste (weil ökonomischste) Lösung ist es, Keuschheit und Begehren im Nacheinander aufzulösen. Nicht ungeschickt dient die verzögerte Anagnorisis damit auch dazu, in der Gestaltung von Mai und Beaflor eine Lücke zu schließen, die die narratio bislang absichtsvoll gelassen hat. Beaflors Lachen stellt sich für mich ganz selbstverständlich in diesen Zusammenhang. Es ist Zeichen der Affiziertheit (der gernden gir; MuB, V. 8792), ebenso wie die wachsende Ungeduld, mit der Beaflor das Ende von Roboals Verwirrspiel einfordert: ‚vater, all mein vngemach, / den macht du wenden, wann du wil. / du machest sein aber gar zuͦ vil. / du solt es kúrtzer machen‘ (MuB, V. 9288–9291).54 Auch in der Unterwerfung bleibt das Herz letztlich widerständig; es spricht, trotz aller Demut, eine eigene Sprache. Mein abschließendes Urteil über die komplizierte Schlussgestaltung des Maiund-Beaflor-Romans muss insofern merkwürdig zwiespältig ausfallen. Es ist nicht so, dass die Anagnorisis einfach redundant (und daher schlecht) erzählt wäre; tatsächlich üben insbesondere die detailreichen Lachen-Szenen und die planvolle Engführung von Lachen, Weinen (und Schweigen) eine nachhaltige Faszination auf mich als Rezipientin aus. Dennoch wird mit erheblich narrativem Aufwand vordringlich das ausspekuliert, was der Text zuvor aus Figuren- wie Erzählerperspektive wieder und wieder vorausgesetzt hat: die bis zur Herzenseinheit gesteigerte Liebe von Mai und Beaflor, die in der durch Roboal herbeigeführten Wiedervereinigung ihre öffentliche Bestätigung findet. Wenn ich Erzählansätzen nachspüre, die diese Harmonie stören und andere Formen des happy ending einspielen, bestreite ich nicht grundsätzlich die Bedeutung dieser öffentlichen Schlussszene, doch versuche ich anders als etwa Schulz und Mertens nicht, zugunsten einer einsinnigen Lesart die Brüche zu negieren, die die verzögerte Anagnorisis bestimmen. Denn obgleich ich einzelnen Ambivalenzen (etwa der brüchigen, zwischen Liebender und Heiliger schwankenden Konzeption der Protagonistin) durchaus

54 Vgl. zuvor bereits: ‚nu tu genade an mir, / lieber vater, vnd end ez schir‘ (MuB, V. 8889 f.); ‚ich waiß wol vnnsern schmertzen, / das wenndet mein vater, wenn der wil. / mich duncket sein ze vil. / vns ist dy weyll gar zuͦ langk‘ (MuB, V. 9188–9191).

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eine narrative Funktion zuweisen kann, finde ich keine Deutung, die die Schlussgestaltung insgesamt integrieren würde. Insofern lese ich die der Anagnorisis eigentümlichen Mehrdeutigkeiten vordringlich als Zeichen narrativer Schwäche, als Restspuren eines missglückten Erzählexperiments: Die durchaus ambitioniert eingegangene Verknüpfung von Liebes- und Erkenntnisdefizit, die den deutschen Roman gegenüber der Stofftradition auszeichnet, trägt nicht über die Länge der narratio; die einmal aufgeworfene Krise des Paares bewältigt der Text nicht souverän kompositorisch, indem er Mais Misstrauen in der Brieffälschungs-Episode durch ein Wiedererkennen in der Schlussepisode korrigiert, sondern indem er das Defizit im Folgenden verschweigt. Für das happy ending kalkuliert der anonyme Autor mit dem Harmoniewillen und der Vergesslichkeit seines Publikums.

Literaturverzeichnis A Texte und Quellen Mai und Beaflor. Eine Erzählung aus dem dreizehnten Jahrhundert, Leipzig 1848 (Dichtungen des Deutschen Mittelalters 7), Nachdruck Hildesheim 1974. Mai und Beaflor. Hrsg., übersetzt, kommentiert und mit einer Einleitung von Albrecht Classen, Frankfurt a. M. u. a. 2006 (Beihefte zur Mediävistik 6). Mai und Beaflor. Minneroman des 13. Jahrhunderts. Hrsg. von Christian Kiening/ Katharina Mertens Fleury. Elektronische Ausgabe. Zürich 2008 [online: http://www.ds.uzh.ch/ kiening/Mai_und_Beaflor/MaiundBeaflor.pdf (Stand: 31. Mai 2016)]. Philippe de Remi: Le Roman de la Manekine. Edited from Paris BNF fr. 1588 and translated by Barbara Sargent-Baur with contributions by Alison Stones and Roger Middleton. Amsterdam, Atlanta 1999 (Faux titre 159). Wolfram von Eschenbach: Parzival. Studienausgabe. Text nach der 6. Ausg. von Karl Lachmann. Einführung zum Text von Bernd Schirok. Berlin, New York 1999.

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C Siglen und Abkürzungen GAG Göppinger Arbeiten zur Germanistik Man. Philippe de Remi: Le Romane de la Manekine MuB Mai und Beaflor MTU Münchener Texte und Untersuchungen zur deutschen Literatur des Mittelalters Parz. Wolfram von Eschenbach: Parzival PBB Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur PhSt Philologische Studien und Quellen ZfdA Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur ZfdPh Zeitschrift für deutsche Philologie

Beatrice Michaelis

Beredtes Lächeln im Nibelungenlied Es gibt nicht viel zu lachen im Nibelungenlied; umso mehr jedoch, so scheint es, wird darin gelächelt. Daher wird es mir im Folgenden um das beredte Lächeln im Nibelungenlied gehen. Das Lachen soll dabei aber nicht gänzlich unberücksichtigt bleiben; vielmehr wird es von entscheidender Bedeutung sein, wann und mit welcher kommunikativen Funktion jeweils gelacht und gelächelt wird und inwiefern es sich dabei um Modi der (Dis-)Artikulation handelt; Modi also, die ich in Abgrenzung von anderen Figuren der sprachlichen Absenz wie Schweigen, Leerstellen oder Unsagbarkeitstopoi benutze, um die besondere Form der Verschränkung von Artikulation und Nichtartikulation zu betonen. Durch die Einklammerung des „Dis-“ soll zudem die Möglichkeit einer Artikulation gerade durch ihr Gegenteil bzw. ihre Verformung impliziert werden. Damit geht es mir weder um ein absolutes Schweigen noch um ein lückenloses Reden, sondern um Formen der (Dis-)Artikulation als einem Sprechen bzw. Schreiben, das nur durch das simultane Schweigen oder verschweigende Anderssagen: hier durch das Lächeln, möglich wird bzw. seine Lizenz erhält.1 Mit Helmuth Plessner verstehe ich Lächeln als eine „Äußerung sui generis“ und „symbolisch reich aufgeladene, der Sprache verwandte Gebärde“.2 Plessner schreibt dem Lächeln – diesem „Ausdruck im Diminutiv“ – in seinem gleichnamigen Aufsatz die Funktion des beredten Schweigens zu, da ihm die Fähigkeit innewohne, die „natürliche Gebärde zur Gebärdensprache und Geste spielend zu verwenden“.3 Damit ist das Lächeln für Plessner die alles und nichts sagende „repräsentative Geste“ schlechthin. Dieser Funktion des Lächelns als beredtes Schweigen oder (Dis-)Artikulation möchte ich nun im Nibelungenlied nachspüren. Zum ersten Mal begegnet uns eine vom Text deutlich als Lächeln apostrophierte Geste während der Brautwerbungshandlungen in Aventiure sieben. Siegfried unterstützt hier Gunther in seinem Versuch, Brünhild zu erobern, seinerseits jedoch in Erwartung einer Gegenleistung – nämlich Kriemhild zur Frau zu erhalten. Allein, die Mission ist schwierig, da Brünhild im Ruf steht, bisher jeden Bewerber aus dem Feld geschlagen, will heißen getötet zu haben. Siegfried

1 Vgl. Beatrice Michaelis: (Dis-)Artikulationen von Begehren. Schweigeeffekte in wissenschaftlichen und literarischen Texten, Berlin, New York 2011. 2 Helmuth Plessner: Zu diesem Buch. In: Philosophische Anthropologie. Hrsg. u. mit einem Nachw. von Günter Dux, Frankfurt a. M. 1970, S. 5–6, hier S. 6. 3 Helmuth Plessner: Das Lächeln. In: Philosophische Anthropologie. Hrsg. u. mit einem Nachw. von Günter Dux, Frankfurt a. M. 1970, S. 173–186, hier S. 182.

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an­tizipiert die Gefahr, der sie auf Isenstein ausgesetzt sein werden und reist mit der Tarnkappe im Gepäck. Sie wird zum entscheidenden Hilfsmittel, an dem sich in der Folge ein doppeltes Wissensgefälle herausbildet. Siegfried setzt zum einen seine Mitreisenden nicht vollständig über seine Pläne in Kenntnis, sodass selbst Gunther zunächst überrascht ist, als ein unsichtbarer Siegfried ihm zur Hilfe eilt: ‚Waz hât mich gerüeret?‘ dâhte der küene man. dô sach er allenthalben; er vant dâ niemen stân. er sprach: ‚ich binz Sîfrit, der liebe vriunt dîn. vor der küneginne soltu gar ân’ angest sîn.‘4

Zum anderen agiert Brünhild auf der Basis des Sichtbaren (auch wenn sich in ihrer Wahrnehmung eine Differenz zwischen Sichtbarem  – Siegfried aufgrund seiner Erscheinung als der in ihren Augen geeignete Bewerber – und Gesagtem – Siegfrieds Beteuerung, Gunther sei sein Herr – abzeichnet), d.  h. sie verfügt als Ziel der List nicht über das nötige Wissen, um adäquat auf die Situation reagieren zu können. Vielmehr muss sie davon ausgehen, dass sie aufgrund der durch sie selbst festgelegten Regeln und ihrer bisherigen Erfahrungen vollkommene Kontrolle über das Geschehen hat. Nur wer demnach den Speer weiter schießt als sie und zudem den Stein wirft und ebenso weit springt, erhält als Sieger der Begegnung Brünhild (aus ihrer eigenen Hand) zur Frau. Der Verlierer jedoch bezahlt die Niederlage mit seinem Leben. Nicht nur diese Spielregeln, sondern auch Brünhilds imposante Erscheinung verursachen den Helden aus dem Burgundenland Angst und Sorgen, wie etwa an Gunthers Reaktion deutlich wird: Gunther der edele vil harte sorgen began.5 Zu Hagens großem Bedauern hatte man ihnen schon bei der Ankunft Rüstung und Waffen abgenommen: ‚unt heten wir daz gewant, des wir ze nôt bedurfen unt ouch diu swert vil guot, sô wurde wol gesenpftet der starken vrouwen übermuot.‘6 Brünhild, die Hagens Worte deutlich vernimmt, blickt mit smielen­ dem munde7 über ihre Schulter und entgegnet: ‚nu er dunke sich sô küene, sô traget in ir gewant, ir vil scharpfen wâfen gebet den recken an die hant.‘8 Kathryn

4 Nibelungenlied, 453. Ich verwende die hauptsächlich auf Hs. B beruhende Ausgabe von Bartsch und de Boor: Das Nibelungenlied. Nach dem Text von Karl Bartsch und Helmut de Boor, ins Neuhochdeutsche übersetzt und kommentiert von Siegfried Grosse, Stuttgart 1997. Angegeben ist die Strophen- und ggf. Zeilenzahl. 5 Nibelungenlied (Anm. 4), 441,4. 6 Nibelungenlied (Anm. 4), 446,2–4. 7 Nibelungenlied (Anm. 4), 447,2. 8 Nibelungenlied (Anm. 4), 447,3–4.



Beredtes Lächeln im Nibelungenlied 

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Starkey hat Brünhilds möglicherweise herausforderndes Lächeln als Beginn einer ganzen Reihe von nonverbalen Beleidigungen gedeutet, die sich zwischen Brünhild, Gunther, Hagen, Siegfried und Kriemhild ereignen; als „negative gifts“9, die in einer zyklischen Struktur stets nach Vergeltung rufen und gerade darin den Erfolg der performativen Geste erkennbar machen. Ich werde auf diesen Punkt zurückkommen. Damit drückt dieses Lächeln laut Starkey nicht immer nur einen politischen Vorteil aus, sondern kann – als performativer Akt begriffen – ebenso die jeweilige Situation beeinflussen resp. ihre Veränderung in Gang setzen. Der Verfasser unterscheidet lexikalisch zwischen einem höfischen Lachen, mit mittelhochdeutsch lachen (als Ausdruck der vröude, etwa in Strophe 709, in welcher Sieglinde und Siegmund Kriemhild und Siegfried in Xanten begrüßen, oder in den Strophen 1164 bis 1169, die an Rüdigers Hof spielen), und diesen „performative political smiles“10, mit mittelhochdeutsch smielen. Die verschiedenen Handschriften wiederum setzen unterschiedliche Akzente bei der Frage, wer dieses performative Lächeln erfolgreich ausführen kann. Starkey sieht in Anknüpfung an Elaine C. Tennants Überlegungen zu performativen Sprechakten in Aventiure elf (jener Aventiure, die den Bruch zwischen Kriemhild und Hagen markiert) die Geschlechterdifferenz als den entscheidenden Faktor für den Erfolg und Misserfolg performativen Lächelns. In Handschrift C scheint sich ein Unbehagen des Verfassers gegenüber der (dis-)artikulierenden Wirkung von Brünhilds Lächeln zu zeigen. Im Gegensatz zu Hss. A und B fügt er eine weitere Strophe hinzu, die die Bedeutung des Lächelns expliziert, was zur Folge hat, dass, laut Starkey, the performative quality of the smile is compromised by the verbal insult, the utterance of which fulfills the functions of the performative. The smile thus becomes redundant and consequently loses its power as a performative gesture.11

Während Starkey den Akzent vor allem darauf legt, ob es den Figuren mit dem Einsatz performativen Lächelns gelingt, ihren Machtanspruch zu unterstreichen und Reaktionen hervorzurufen, soll es mir stärker um die Beziehung des Lächelns zum Schweigen gehen, denn als nonverbale Äußerung eignet dem Lächeln ebenso wie dem Schweigen etwas Machtvolles, das immer auch Ausdruck eines situa-

9 Kathryn Starkey: Brunhild’s Smile. Emotion and the Politics of Gender in the Nibelungen­ lied. In: Codierungen von Emotionen in der Kultur und Literatur des Mittelalters und der frühen Neuzeit: Paradigmen und Perspektiven. Hrsg. von C. Stephen Jaeger/Ingrid Kasten, Berlin, New York 2003, S. 159–173, hier S. 167. 10 Starkey (Anm. 9), S. 168. 11 Starkey (Anm. 9), S. 169.

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tiven Wissensgefälles ist, welches wiederum mit Geschlechterpositionierungen korreliert. Mehr noch: Der performative Einsatz des Lächelns strukturiert damit ein für das Nibelungenlied konstitutives machtasymmetrisches Geschlechter- und Wissensdifferential, das sich zwischen Heimlichkeit und Öffentlichkeit, Reden und Schweigen, Wahrheit und Täuschung entfaltet und damit für die Erzählung äußerst produktiv ist. Ingrid Robles formuliert: [D]ie Struktur des Epos als Ganzes bestimmt sich durch das Wissen, das die Figuren zu einem bestimmten Punkt innehaben oder nicht innehaben. Wissen, Nicht-Wissen und Nicht-Wissen-Dürfen sind die entscheidenden Achsen, an denen entlang sich die Handlung des Nibelungenlieds entfaltet.12

Brünhilds Lächeln in der eingangs beschriebenen Szene nun konstituiert  – sichtbar für das Publikum, aber nur für einen Teil der an der Szene beteiligten Figuren – einen Akt der (Dis-)Artikulation, der die ‚Grenzen und Transgressionen‘, aber auch die ‚Lizenzen höfischer Kommunikation‘ indiziert und zugleich einen wirkungsvollen Schweigeeffekt im Text erzielt. Das Wissen um ihre vermeintliche Überlegenheit in dieser Kampfsituation findet in der Geste des Lächelns seinen kommunikativ wie narrativ wirksamen Einsatz. Es muss sich lächelnd (dis-)artikulieren, um den entscheidenden Vorteil Brünhilds – den überraschenden Effekt ihrer ungewöhnlichen Stärke – nicht durch eine verbale Vorwegnahme zunichte zu machen, wie auch um den Ausgang der Kampfhandlungen in der Schwebe zu halten. Dass sich die Königin bisher erfolgreich genealogischen, reproduk­tiven Zwängen entzogen hat und ihre eigene Welt über sê13 gestaltet, die einerseits durch (männliches) Wissen ‚domestiziert‘ wird, andererseits aber auch Furcht einflößt, beruht auf der stets wiederholten Performanz ihrer Stärke. Damit stellt sich im Sinne der Performativität über das beredte Lächeln aber auch eine phantasmatische transgressive Geschlechterasymmetrie ein. Brünhilds Weiblichkeit im Rahmen höfischer Vorgaben, etwa im Vergleich zur Kriemhild des ersten Teils, ist denn auch ambig. Die weiteren Ereignisse verstehe ich als narratives wie dispositivisches Bemühen, die Brünhild-Figur, ihren Körper, ihre Geschlechtlichkeit und ihr sexuelles Begehren im Sinne komplementär aufeinander bezogener Geschlechter innerhalb einer auf Reproduktion gerichteten Ordnung zu vereindeutigen.14

12 Ingrid Robles: Subversives weibliches Wissen im Nibelungenlied. In: ZfdPh 124.3 (2005), S. 360–374, hier S. 363. 13 Nibelungenlied (Anm. 4), 326,1. 14 Vgl. dazu auch Michaelis (Anm. 1), S. 197 ff.

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Auf dem Kampffeld aber beherrschen aus Brünhilds Perspektive nicht die männlichen Figuren das Geschehen, sondern sie. Dass jedoch Siegfried zuvor über gezielt verbreitete Informationen (sein vorgeblicher Vasallenstatus) und den listigen Einsatz symbolischer Gesten (der Steigbügeldienst) zuallererst Brünhilds Wissen prägt und im Zuge der List ein entscheidendes Wissensdefizit erzeugt, bestimmt die Vieldeutigkeit dieser Konfrontation. Schnell schlägt diese Ambivalenz wieder in ein reguläres Geschlechterverhältnis um, indem nun Hagen und Gunther Brünhilds an die Niederlage anschließendes Verhalten mit einem Lachen quittieren. Nach ihrer den Regeln entsprechenden Einwilligung, Gunthers Frau zu werden, versucht Brünhild eiligst, ihre Besitzverhältnisse zu regeln. Zunächst überlässt sie Dankwart, Hagens Bruder, die Verwaltung ihrer Schätze. Dieser jedoch wirft sie verschwenderisch unters Volk. Da Brünhild die Notwendigkeit erkennt, auch in ihrem neuen Reich über Mittel zu verfügen, die ihr Gefolgschaft und damit einen gewissen Machtstatus sichern können, unterbindet sie dies umgehend und lässt unter Aufsicht ihres eigenen Kämmerers Truhen mit Edelsteinen beladen, die mit ihr nach Worms geführt werden sollen. Gunther unt Hagene dar umb lachen began.15 Im Gegensatz zu Brünhilds Lächeln bedienen sich die Helden des offenen Lachens, das Starkey dennoch in Analogie zum Lächeln deutet: Die Umkehr der Machtverhältnisse bilde sich im Lachen der Männer ab. Dies ist sicher richtig, bietet jedoch keine Antwort auf die Frage, warum wir hier statt eines Lächelns das Lachen finden. Und auch Starkey hatte auf die sorgfältige Wortwahl des Verfassers zwischen lachen und smielen hingewiesen. Plessner behauptet zudem, dass Lächeln nie durch ein Lachen ersetzt werden könne, Lachen aber durchaus durch Lächeln substituierbar sei. Ich zitiere Plessner: Lächeln kann Anfangs- und Endphase des Lachens sein, es kann auch Lachen vertreten. Eine Vertretung in umgekehrter Richtung freilich ist unmöglich, und diese Unumkehrbarkeit läßt sich wiederum am einfachsten durch die Auffassung des Lächelns als eines verkürzten, verkleinerten, keimhaften Lachens begreifen. Das Entwickelte, Ausführliche, Große kann nun einmal das Unentwickelte, Skizzenhafte, Kleine nicht vertreten oder andeuten. Nur etwas, das noch Raum und Durchblick läßt, vermag dies von sich aus und bietet sich von selbst als Ersatz an.16

Wenn wir in Brünhilds einleitendem Lächeln weniger den Beginn einer Reihe von Beleidigungen sähen als die nur indirekt übermütige (Dis-)Artikulation eines Wissens von der eigenen Überlegenheit, derer sie sich als weibliche Figur bedient

15 Nibelungenlied (Anm. 4), 521,4. 16 Plessner (Anm. 3), S. 178.

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und die sie in eine superiore (und eigentlich männlich codierte) Position versetzt, so könnte das Lachen der Männer nun durchaus als ein unverdecktes Verlachen, ein nach den Kampfspielen weiterer Akt der Gewalt verstanden werden, der in einer logischen Reihe von List, Überwindung und Machtentzug (über die Verringerung des Besitzes) steht. Der Lautlosigkeit des Lächelns korrespondiert dabei seine Funktion des beredten Schweigens. Der Schall des Lachens wiederum verweist auf seine „Disposition zur Gewalt“, die in Mittelalter und Früher Neuzeit immer vorausgesetzt bleibt, wie Werner Röcke und Helga Neumann konstatieren.17 Wobei nicht gesagt werden soll, Lächeln könne nicht verletzen. Mir scheint seine Funktion im Nibelungenlied lediglich eine andere zu sein. Zugleich ließe sich die Hypothese aufstellen, dass das Lächeln in der Regel zu Beginn einer Handlungssequenz angetroffen werden kann, da gerade hier eine (Dis-)Artiku­ lation von Wissen den weiteren Fortgang des Geschehens andeutet. Lachen dagegen steht am Ende einer solchen Handlungssequenz, wenn Sieger und Verlierer feststehen. Im vorliegenden Fall sind die Rollen schließlich eindeutig verteilt: Brünhild muss sich als Verliererin ihrem Schicksal fügen. Zwar wird sie sich auf dem Schiff, das sie nach Worms bringt wie auch dort selbst in Brautnacht und darauf folgender Nacht gegen ihre Unterwerfung und damit auch geschlecht­liche Vereindeutigung wehren. Ein weiterer Einsatz der Tarnkappe und körper­ liche Gewalt aber führen zu Ende, was in Isenstein begann. Eine Möglichkeit zur Überprüfung dieser Hypothese bietet Aventiure zwölf. Brünhild sieht in Siegfried nach wie vor den Vasallen ihres Mannes, kann jedoch die Zeichen nicht mit Siegfrieds und Gunthers Worten aus der Brautwerbungshandlung in Übereinstimmung bringen. Hatte sie bereits bei der ersten Zusammenkunft mit Kriemhild und der anschließenden Ehebindung der beiden Tränen vergossen, weil sie darin eine Mesalliance sehen musste, so lässt sie auch in der Folge nicht davon ab, Gunther zur Offenlegung der Standesfrage zu bringen. In einer ersten Szene, die Sexualität und Wahrheit miteinander verschränkt, verweigert sie sich Gunther unter der Forderung, er möge sie über die genaueren Umstände der Brautwerbung aufklären. Statt der Wahrheit jedoch erfährt sie wie bereits geschildert körperliche Gewalt, die schließlich zum Sexualakt führt. Nach Siegfrieds und Kriemhilds Abzug aus Worms pflegt Brünhild weiterhin ihren Argwohn, der sich nur noch durch die Tatsache steigert, dass der vermeintliche Vasall Siegfried seinen Herrn nicht besucht. Auch deshalb fragt sie sich im Weiteren, ‚wie treit et alsô hôhe vrou Kriemhilt den lîp?‘18 Um endlich Klar-

17 Werner Röcke/Helga Neumann: Vorwort. In: Komische Gegenwelten. Hrsg. von Werner Röcke/Helga Neumann, Paderborn 1999, S. 7–12, hier S. 7–8. 18 Nibelungenlied (Anm. 4), 724,2.



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heit zu erlangen, plant sie, Siegfried und Kriemhild nach Worms zu holen. Im Gespräch mit Gunther dringt sie in einen listigen siten19 darauf, dass Siegfried als Lehensmann Gunthers unmöglich die Bitte abschlagen könne, an den Hof seines Herrn zu kommen. des ersmielte Gunther, dô si daz gesprach. er’n jahes im niht ze dienste, swie dicke er Sîfriden sach.20 Erneut (dis-)artikuliert sich im Lächeln ein Wissen bzw. wird eine Wissensasymmetrie verdeutlicht. Diesmal ist es Gunther, der über einen Wissensvorsprung verfügt, also weiß, dass es sich bei Siegfried nicht um seinen Lehensmann handelt, der dieses Wissen jedoch nicht teilen darf, um die Legitimität seiner Ehe mit Brünhild aufrechtzuerhalten. Anders jedoch als Brünhilds indirekt übermütiges Lächeln ließe sich im Rahmen des Handlungszusammenhangs Gunthers Lächeln als durchaus sardonisches vorstellen, wird er doch durch Brünhilds Nachfragen wiederholt an den mit List erworbenen Sieg erinnert. Während sich also Brünhilds Lächeln nur für das Publikum und Siegfried als irrtümlich erweist (sie geht aufgrund der sichtbaren Verhältnisse von ihrer Überlegenheit aus), zeigt auch Gunthers Lächeln Brüche, denn er und das Publikum wissen um das betrügerische Zustandekommen seiner Überlegenheit. Im weiteren Verlauf kommt es in Aventiure vierzehn zur Konfrontation zwischen Brünhild und Kriemhild, die zwischen drohendem Ehrverlust Brünhilds und der Infragestellung von Kriemhilds Status changiert. Nicht Lachen jedoch steht am Ende dieser Geschehnisse, sondern Brünhilds Weinen und Gunthers Forderung, Siegfried möge öffentlich schwören, nicht mit Brünhild geschlafen zu haben, um schließlich auch ein Verlachen seiner, des Königs, Person zu verhindern. Und noch etwas steht am Ende dieses Streits: Zum Zeichen ihrer Versöhnung vermerkt der Text über Gunther und Siegfried: dô sâhen zuo z’ein ander die guoten ritter gemeit.21 Wir erhalten keinerlei Anhaltspunkte, welche Art des Blickes beide miteinander tauschen; ebenso erfahren wir nichts von einem Lächeln. Dennoch scheint mir diese Szene sehr geeignet für den Austausch einer nonverbalen Geste, in welcher sich ein Wissen um die gemeinsame Schuld an den Vorgängen (dis-) artikuliert. In einer weiteren Szene offenbart sich die Brüchigkeit des Lächelns. Erneut manifestiert sich in ihm ein Wissen von der eigenen Überlegenheit und erneut erweist sich dieses als defizitär. Hagen betreibt mit Nachdruck nach den Vorfällen während des Besuches Siegfrieds und Kriemhilds am Wormser Hof dessen Ermordung. Siegfrieds angebliche Prahlerei, er habe noch vor Gunther mit Brünhild geschlafen, ist in Hagens Augen genug, um ihn als ernsthafte Bedrohung des

19 Nibelungenlied (Anm. 4), 727,4. 20 Nibelungenlied (Anm. 4), 728,3–4. 21 Nibelungenlied (Anm. 4), 861,4.

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königlichen Ansehens aus dem Weg zu räumen. Gunthers Herrschaftsanspruch ebenso wie sein Anspruch auf die Ehe mit Brünhild hängt von seiner öffentlich und damit sichtbar demonstrierten Überlegenheit ab. Siegfried gewährleistet diese zunächst, erhebt sich solchermaßen aber über Gunther. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass Gunther am Ende den Mord an Siegfried nicht wirklich bedauert: Siegfried ist der Einzige, der um den Betrug und damit auch um Gunthers Insuffizienz weiß. Auf Hagens Anraten wird ein Angriff der Sachsen fingiert, für den Siegfried umgehend seine Hilfe zusagt. Unwissentlich hilft Kriemhild Hagen in seinen Bestrebungen, als sie ihm im Vertrauen darauf, er werde Siegfried während der Kampfhandlungen schützen, die verletzbare Stelle am Körper ihres Mannes verrät. Zu spät erst erkennt sie ihren Fehler; ihre Bitte an Siegfried, nach der Absage des Angriffes nicht mit auf die Jagd zu gehen, bleibt unerfüllt. Siegfried besteht auf der Jagd, die ihm noch einmal Gelegenheit bietet, seine kämpferische und körperliche Stärke übermütig zur Schau zu stellen. Der Erzähler berichtet von seinem ausgiebigen und erfolgreichen Jagen, das seine Jäger schließlich dazu bewegt, ihn um Mäßigung zu bitten: ‚müg’ ez mit fuoge wesen, sô lât uns, her Sîfrit, der tier’ ein teil genesen. ir tuot uns hiute lære den berc und ouch den walt.‘ des begonde smielen der degen küene unde balt.22 In der konkreten Situation erscheint Siegfrieds Wahrnehmung seiner Überlegenheit und eine (Dis-)Artikulation dieses Wissens durchaus adäquat. Diese Adäquanz zerbricht jedoch unter dem Wissensdefizit, welches erneut Folge einer List ist. Auch am Ende dieser Episode findet sich wie schon nach Gunthers Lächeln kein Lachen, vielmehr ein Mord und weitere Tränen. Ein letztes Lachen allerdings hält womöglich Aventiure siebenundzwanzig bereit. Noch einmal finden wir das harmlose Lachen, diesmal Etzels, als Ausdruck höfischer Freude über die Ankunft von Kriemhilds Verwandtschaft (dem erwähnten Lachen Sieglindes und Siegmunds vergleichbar): Kriemhilt diu vrouwe in ein venster stuont. si warte nâch den mâgen, sô noch friunt nâch friunden tuont. von ir vater lande sach si manigen man. der künic vriesch ouch diu mære; vor liebe er lachen began.23

Kriemhild reagiert auf Etzels Lachen mit den Worten:

22 Nibelungenlied (Anm. 4), 940,1–4. 23 Nibelungenlied (Anm. 4), 1716.

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‚Nu wol mich mîner vreuden‘, sprach Kriemhilt. ‚hie bringent mîne mâge vil manigen niuwen schilt und halsperge wîze: swer nemen welle golt, der gedenke mîner leide, und wil im immer wesen holt.‘24

Wie schon in der Szene des Blickwechsels zwischen Siegfried und Gunther bleibt auch hier unklar, welche Geste eingesetzt wird. Wenn allerdings einerseits zutrifft, was ich bislang unterstellt habe, dass sich nämlich im Lächeln ein Wissen (dis-) artikuliert, das gerade nicht für alle Figuren sichtbar ist (das Publikum ist hier selbstverständlich auszunehmen) und dass die Lächelnden stets fälschlicherweise – hier liegt, so scheint es, die Tragik der Geschichte – von ihrer eigenen Überlegenheit ausgehen und diese performativ in Szene setzen, dann könnten wir behaupten, dass Kriemhild in dieser Szene lächelt. Im Wissen um ihre Macht und die ihr zugesagte Unterstützung sieht sie sich ihren Wünschen nah, will dies aber Etzel nicht wissen lassen, aus Furcht, er könne ihre Pläne noch durchkreuzen. Wenn jedoch andererseits im Lachen der Abschluss einer bestimmten Ereigniskette sowie die Herstellung einer neuen Machtordnung zu sehen ist und Kriemhild nun den Moment der Rache gekommen sieht, der ihr Jahrzehnte währendes Leid beendet, ist ebenso vorstellbar, dass Kriemhild wie Etzel, jedoch mit vollkommen anderer Funktion, schon jetzt lacht. Der Erzähler aber lässt dies offen und inszeniert in dieser letzten Phase vor dem Niedergang der Figuren eine Leerstelle, in der sich die (Dis-)Artikulation des Lächelns und die Antizipation des Gewaltaktes im Lachen kreuzen. Ich komme zum Schluss. Beredtes Lächeln wird im Nibelungenlied immer dann eingesetzt, wenn ein Wissensdifferential indiziert werden soll. Es verweist damit anders als das Lachen auf paradoxe Weise sowohl auf ein Wissen von Überlegenheit als auch auf dessen Brüchigkeit. Zugleich bringt die Geste des Lächelns eine asymmetrische Verteilung der Macht hervor. Sowohl männliche als auch weibliche Figuren setzen das (dis-)artikulierende Lächeln ein, da sie sich in Überlegenheit wähnen. Männer wie Frauen werden Opfer von Wissensdefiziten, die durch List erzeugt werden. Lächeln ist also nicht per se geschlechtsspezifisch, dennoch muss festgehalten werden, dass die Verteilung von Wissen entlang von Geschlechtergrenzen verläuft. Kriemhild wie Brünhild werden in besonderer Weise von der Verheimlichung eines männlichen Wissens affiziert. Insofern Macht und Wissen mit Geschlechterpositionierungen korrelieren, vermag es beredtes Lächeln, diese zu strukturieren. Eine Transgression regelhafter Geschlechterpo-

24 Nibelungenlied (Anm. 4), 1717.

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sitionen, wie wir sie etwa zu Beginn bei Brünhild oder am Ende bei der tötenden Kriemhild beobachten können, erfährt jedoch unmittelbare Bestrafung. Gleiches gilt im Übrigen für die männlichen Figuren, die im Moment des Wissensdefizits eine strukturell weibliche Position einnehmen: Gunther wird auf dem Kampffeld wie auch im Nachgang zur Kemenatenszene zu einer geschwächten, womöglich lächerlichen Figur; Siegfried wiederum bezahlt mit dem Leben. Wahrlich, es gibt nicht viel zu lachen im Nibelungenlied.

Literaturverzeichnis A Text Das Nibelungenlied. Nach dem Text von Karl Bartsch und Helmut de Boor, ins Neuhochdeutsche übersetzt und kommentiert von Siegfried Grosse, Stuttgart 1997.

B Studien Michaelis, Beatrice: (Dis-)Artikulationen von Begehren. Schweigeeffekte in wissenschaft­ lichen und literarischen Texten, Berlin, New York 2011. Plessner, Hellmuth: Das Lächeln. In: Philosophische Anthropologie. Hrsg. u. mit einem Nachw. von Günter Dux, Frankfurt a. M. 1970, S. 173–186. Ders.: Zu diesem Buch. In: Philosophische Anthropologie. Hrsg. u. mit einem Nachw. von Günter Dux, Frankfurt a. M. 1970, S. 5–6. Robles, Ingrid: Subversives weibliches Wissen im Nibelungenlied. In: Zeitschrift für Deutsche Philologie 124.3 (2005), S. 360–374. Röcke, Werner/Neumann, Helga (Hrsg.): Komische Gegenwelten, Paderborn 1999. Starkey, Kathryn: Brunhild’s Smile. Emotion and the Politics of Gender in the Nibelungenlied. In: Codierungen von Emotionen in der Kultur und Literatur des Mittelalters und der frühen Neuzeit: Paradigmen und Perspektiven. Hrsg. von C. Stephen Jaeger/Ingrid Kasten, Berlin, New York 2003, S. 159–173.

Sebastian Coxon

was betütt das lachen dein? – Lachen, Sprechen und Schweigen in komischen Kurzerzählungen 1 Einführung Als akustische ‚Leerstelle‘ steht Schweigen zunächst in einem gegensätzlichen Verhältnis zum lautstarken Lachen.1 Gerade diese Gegensätzlichkeit zieht sich wie ein roter Faden durch die abstrakt-theoretische Diskussion des Lachens in der Vormoderne.2 In der christlichen Tradition wird dem leisen Lächeln des Weisen das laute Lachen des Törichten gegenübergestellt: Fatuus in risu exaltet vocem suam, vir autem sapiens vix tacite ridebit lautet der Spruch im Ecclesiasticus (21:20), der bei den Schweigegeboten in frühchristlichen monastischen Regeln immer wieder zitiert und kommentiert wurde.3 Der Demütige schweigt – der Hochmütige lacht laut: auf dieses Prinzip hat man auch im hochmittelalter­ lichen moral-theologischen Zusammenhang mit Vorliebe rekurriert.4 Hinzu kommt aber, dass durch das ganze Mittelalter hindurch lautes Lachen (cachin­

1 Dass unter dem allgemeinen Begriff ‚Schweigen‘ – oder Nichtsprechen – ganz verschiedene Schweigeformen zu verstehen sind, wie Schweigen, Verschweigen, Verstummen, Sprachverlust und Sprachunfähigkeit zeigt Mireille Schnyder: Topographie des Schweigens. Untersuchungen zum deutschen höfischen Roman um 1200, Göttingen 2003 (Historische Semantik 3). Vgl. auch Claudia Benthien: Barockes Schweigen. Rhetorik und Performativität des Sprachlosen im 17. Jahrhundert, München 2006, S. 239–265. 2 Zur vormodernen Rhetorik des Lachens vgl. Gert Ueding: Rhetorik des Lachens. In: Vom Lachen. Einem Phänomen auf der Spur. Hrsg. von Thomas Vogel, Tübingen 1992, S. 24–44; und Stefan Seeber: Poetik des Lachens. Untersuchungen zum mittelhochdeutschen Roman um 1200, Berlin 2010 (MTU 140), S. 35–62. 3 Vgl. etwa die Benediktinerregel: os suum a malo vel pravo eloquio custodire, multum loqui non amare, verba vana aut risui apta non loqui, risum multum aut excussum non amare (iv 44–54); decimus humilitatis gradus est si non sit facilis ac promptus in risu, quia scriptum est: ‚Stultus in risu exaltat vocem suam‘ (vii 59). Text zitiert nach: Die Benediktsregel. Hrsg. von Ulrich Faust, Stuttgart 2009. 4 Vgl. etwa die karikierende Darstellung des laut lachenden (törichten) Mönchs bei Bernard von Clairvaux: Liber de gradibus humilitatis et superbiae. In: PL 182,941–972, hier 963: Ut enim vesica collecto turgida vento, punctoque perforata exiguo, si stringitur, crepitat dum detumescit; ac ventus egrediens non passim effusus, sed strictim emissus crebros quosdam sonitus reddit: sic monachus, ubi vanis scurrilibusque cor suum cogitationibus impleverit, propter disciplinam silentii non inveniens ventus vanitatis qua plenius egrediatur, inter angustias faucium per chachinnos excutitur.

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nus) mit sündhaftem Reden – mit vaniloquium, scurrilitas und derisio – in Verbindung gebracht wurde,5 wie nicht zuletzt in der Passionsgeschichte bei der Verspottung des leidenden und schweigenden Gottessohns vergegenwärtigt werden konnte.6 Im Grunde genommen greift die weltliche höfische Didaktik des 12. und 13.  Jahrhunderts auf dieselben geistlichen Argumentationsmuster zurück,7 vor allem wenn es darum ging, Kinder- und Frauenverhalten zu regeln: so warnt Thomasin von Zerklaere, unter anderem, vor lautstarkem klaffen und lachen (10217) beim Gottesdienst;8 und im Jüngling Konrads von Haslau werden spotten und lachen (139–42) als närrisch abgetan; nicht das bellen des hovewarts solle man sich zum Vorbild nehmen sondern das swigen des winde.9 Bis ins 16.  Jahrhundert hinein wurde in höfischen Erziehungsschriften lautes, die Gesichtszüge entstellendes Lachen strengstens verboten und vor bissigem Spott und ehrabträg­ lichem Scherzen gewarnt.10 Nichtsdestotrotz galten Witz und Redegewandtheit, mitsamt der Begleiterscheinung eines anständigen, sich in Grenzen haltenden Lachens, zunehmend als der Inbegriff höfischer Kultiviertheit. In einer solchen Kommunikationssituation wurde Schweigen am adligen Hof, wie dann auch in Humanisten-Kreisen, die das Ideal des homo facetus sorgfältig pflegten, eher

5 Im Buch der Sünden des Munds (Strassburg 1518) von Geiler von Kaysersberg wird etwa nutzloses Reden dadurch gekennzeichnet, dass es lautes Lachen hervorruft, denn Es stet keinem dap­ fern vernunfftigen menschen zuo/ das er von lachen das maul zerzerr/ das mann im die zen sehe/ vnd ha ha ha mach/ das man das bei der pfaltzen mocht horen ([Exemplar: Oxford, Bodleian, fol. THETA 583 (2)] Bl. 44rb). Zu dieser moraltheologischen Tradition im Allgemeinen vgl. Bettina Lindorfer: Bestraftes Sprechen. Zur historischen Pragmatik des Mittelalters, München 2009. 6 Vgl. Uwe Ruberg: Beredtes Schweigen in lehrhafter und erzählender deutscher Literatur des Mittelalters. Mit kommentierter Erstedition spätmittelalterlicher Lehrtexte über das Schweigen, Munich 1978 (Münstersche Mittelalter-Schriften 32), S. 119–138. 7 Vgl. Volker Roloff: Reden und Schweigen. Zur Tradition und Gestaltung eines mittelalter­ lichen Themas in der französischen Literatur, München 1973 (Münchener Romanistische Arbeiten 34), S. 24–72; RUBERG (Anm. 6), S. 19–41. 8 Text zitiert nach: Der Wälsche Gast des Thomasin von Zirclaria. Hrsg. von Heinrich Rückert, Quedlinburg 1852 (BNL 30). Nachdruck mit Einführung und Nachhang von Friedrich Neumann, Berlin 1965. 9 Text zitiert nach: Konrad von Haslau: Der Jüngling. Hrsg. von Walter Trauber, Tübingen 1984 (ATB 97). 10 Vgl. dazu die verschiedenen Beiträge von Rüdiger Schnell in: Konversationskultur in der Vormoderne. Geschlechter im geselligen Gespräch. Hrsg. von Rüdiger Schnell, Köln 2008; sowie Rüdiger Schnell: Verspotten und Verlachen. Grenzen und Lizenzen in Literatur und Gesellschaft des Spätmittelalters. In: Spott und Verlachen im späten Mittelalter zwischen Spiel und Gewalt. Hrsg. von Stefan Seeber/Sebastian Coxon, Göttingen 2010 (Mitteilungen des Deutschen Germanistenverbandes 57), S. 35–52, hier S. 37–44.



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negativ als inadäquates Verstummen ausgelegt und als ein Zeichen für geistige und soziale Unzulänglichkeit verstanden. Einen Mangel an Höflichkeit bezeuge es, so Erasmus in seinem De civilitate morum puerilium (1530), wenn ein sonst nicht verständliches, von anderen daher als bedrohlich empfundenes Lachen der versöhnlichen Erklärung bedarf; unter Umständen sei es sogar besser, einen harmlosen Lachanlass zu erlügen, als überhaupt nichts zu sagen.11 Ob implizit oder explizit: Bei der Thematisierung von Lachen und Schweigen spielt Sprechen angeblich immer eine Rolle. Indem man sich also für diese Verkoppelung interessiert, rückt man die kommunikativen Funktionen des Lachens und Gelächters in den Vordergrund. Als Extremformen nonverbaler Kommunikationen können Lachen und Schweigen aufeinander bezogen werden, können aber auch auf ein gesprochenes Wort antworten, dieses im Kommunikationsprozess ersetzen,12 oder weitere (verbale) Sprachhandlungen sogar hervorrufen. Aus gesellschaftlicher Perspektive besteht immer die Gefahr, dass die Intention, die hinter einem Lachen oder einem Schweigen steckt, unentzifferbar bleibt. Von außen kann man nicht unbedingt erraten, ob das Gegenüber ‚nur‘ schweigt oder etwas verschweigt. Insofern verbindet Lachen und Schweigen auch eine gewisse Deutungsnotwendigkeit, und es ist diese Deutungsnotwendigkeit, die beide so fruchtbar für die literarische Darstellung macht.13 Geht man davon aus, dass unterschiedliche Texttypen „Problemkonstellationen, die in einer historischen Kultur gegeben sind“, auf je unterschiedliche Art und Weise bearbeiten,14 so empfiehlt es sich, die narrative Inszenierung des Lachens und Schweigens in komischen Kurzerzählungen zu untersuchen. Denn eine literarische Tradition, die über Jahrhunderte hinweg Erzählhandlungen entwirft, die sich um Betrug und Täuschung, Fehltritte und Normverstöße, Grenzen und Lizenzen fast jeglicher Art drehen,15 scheint geradezu prädestiniert zu sein, sprachliche und nichtsprachliche Kommunikation zu thematisieren. Im Hinblick

11 Erasmus: De civilitate morum puerilium. On Good Manners for Boys. In: Collected Works of Erasmus. Literary and Educational Writings III. De conscribendis epistolis. Formula. De civilitate. Hrsg. von J. K. SOWARD, Toronto 1985 (Collected Works of Erasmus 25), S. 269–289, hier S. 277. 12 Vgl. Schnyder (Anm. 1), S. 127–129. 13 Vgl. etwa die Ausführungen zum verschweigenden bzw. prophetischen Lachen der MerlinFigur von Danièle James-Raoul: La parole empêchée dans la littérature arthurienne, Paris 1997 (Nouvelle Bibliothèque du Moyen Âge 40), S. 192–198. 14 Jan-Dirk Müller: Höfische Kompromisse. Acht Kapitel zur höfischen Epik, Tübingen 2007, S. 34. 15 Einen souveränen Überblick bietet Klaus Grubmüller: Die Ordnung, der Witz und das Chaos. Eine Geschichte der europäischen Novellistik im Mittelalter. Fabliau – Märe – Novelle, Tübingen 2006.

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auf die neuere Forschung zum literarischen Lachen stellt sich ferner die Frage, inwieweit der narrativen Verschränkung von Lachen, Sprechen und Schweigen eine ‚performative‘ Wirksamkeit zugeschrieben werden kann.16

2 Sprechen und Schweigen In den mittelalterlichen Kurzerzählungen wird fast unablässig geredet. Zum einen, so der Befund UDO FRIEDRICHs, stellen Sprachhandlungen wie „überreden, belehren, streiten, verhören, beichten“ usw. ‚privilegierte Handlungsformen“ in diesen Erzähltexten dar;17 zum anderen werde der Erzählvorgang oft durch längere Redepartien, Vorträge und Dialoge unterbrochen, in denen das Geschehen aus unterschiedlichen Perspektiven und mit Rückgriff auf unterschiedliche Normsysteme reflektiert wird.18 Das facete dictum steht dem facete factum keineswegs nach. Dabei sollte man nicht übersehen, dass bei der literarischen Gestaltung komischagonalen Sprechens und Handelns verschiedene Schweigeformen eine wichtige Rolle spielen, auch wenn sie ‚nur‘ vom Erzählverlauf impliziert werden und daher vom Rezipienten mitgedacht werden müssen. So wird die komische Sprengkraft vieler Schwankmären dadurch entzündet, dass gerade diejenigen Handlungsträger sprechen, die eigentlich schweigen sollten oder denen die Sprachfähigkeit unter ‚normalen‘ Umständen fehlt; oder dass diejenigen Figuren schweigen und verstummen, die eigentlich sprechen sollten. In anderen Worten: auf narrativer Ebene werden Schweigen und Reden auf eine Art und Weise eingesetzt, die die schwankhaften Erzählstrukturen hervorheben und damit auch zur Polarisierung von klugen und dummen Handlungsträgern entscheidend beitragen. In der Schwankwelt sind es einerseits die unterlegenen Figuren, die es wagen, zu schweigen und nicht zu reden, auch wenn sie dafür kräftige Schläge einstecken müssen. Im Betrogenen Gatten des Herrand von Wildonie, zum Beispiel, redet die auf Belohnung pochende aber letztendlich arg betrogene Gevatterin kein Wort,

16 Vgl. Werner Röcke: Inszenierungen des Lachens in Literatur und Kultur des Mittelalters. In: Paragrana 7 (1998), S. 73–93. 17 Udo Friedrich: Spielräume rhetorischer Gestaltung in mittelalterlichen Kurzerzählungen. In: Geltung der Literatur. Formen ihrer Autorisierung und Legitimierung im Mittelalter. Hrsg. von Beate Kellner/Peter Strohschneider/Franziska Wenzel, Berlin 2005 (PhStQ 190), S. 227–249, hier S. 234. 18 Friedrich (Anm. 17), S. 235–242. Vgl. auch Sebastian Coxon: Laughter and Narrative in the Later Middle Ages. German Comic Tales 1350–1525, London 2008, S. 108–130 (Kapitel 5: ‚Speech and Dialogue‘).

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als sie an der Stelle der ehebrecherischen Frau die restlichen Nachtstunden beim erzürnten Ehemann verbringt: Der wirt erwachte. dô er vant sîn wîp niht an dem bette sîn, er sprach: ‚welt ir noch spoten mîn?‘ sî sweic. er sprach: ‚nu legt iuch her!‘ sî sweic. den rigel zucte er und legte sî für sich unde sluoc, unz in selben dûhte genuoc. (V. 202–208)19

Unfreiwilliges Schweigen bedeutet schmerzvolle Ohnmacht und versinnbildlicht fehlende Selbstbestimmung. Schwache Ehemänner, die ihrer gesellschaftlichen Rolle nicht gewachsen sind, schauen daher dem Ehebruch ihrer Frauen schweigend zu und erheben erst Widerspruch, wenn es zu spät ist; man vergleiche das absurde Protestieren des ersten törichten Bauern in den Drei listigen Frauen – hier in der Version ‚C‘ von Hans Folz –, der gleich wieder verstummt, als seine Frau ihn daran erinnert, dass die Toten zu schweigen haben.20 Feiges Schweigen als narrativer Ausgang solcher Ehebruchsgeschichten bezeichnet den endgültigen Sieg der Frau und liefert somit ein einprägsames Bild der verkehrten Welt. Andererseits wird Schweigsamkeit überlegenen Figuren zugeschrieben, insofern als es Selbstbeherrschung angesichts äußerster Provokation bezeichnet und der erfolgreichen Ausführung einer listigen Gegenaktion dient. In Heinrich Kaufringers Rache des Ehemannes reagiert der Ritter also auf vorbildhafte Weise, als er beim Würfelspiel vom Liebhaber seiner Frau, dem betrunkenen Priester, unverschämt verlacht wird: er swaig darzuo und gedacht, wie in sein weib hett darzuo bracht mit irer bösen gscheidikait, das er sölich aribait an den zänen hett geliten. (V. 187–191)21

19 Text zitiert nach: Herrand von Wildonie: Vier Erzählungen. Hrsg. von Hanns Fischer. Zweite revidierte Auflage von Paul Sappler, Tübingen 1969 (ATB 51), S. 10–21. 20 Der pawr sprach: ‚Heincz, pey meyner eer, / wan ich dan nit gestorben weer, / du hest mirs frey­ lich nit getan; / so pin ich ye ein doter man.‘ / die fraw sprach: ‚sweyg, du narr, hab ru! / den doten hört nit swaczen zu. / wo hastu es gehöret vor?‘ (Fassung II, V. 41–47). Text zitiert nach Hans Folz. Die Reimpaarsprüche. Hrsg von Hanns Fischer, München 1961 (MTU 1), S. 75–85. 21 Text zitiert nach: Heinrich Kaufringer: Werke. Hrsg. von Paul Sappler, 2 Bde., Tübingen 1972/1974, Bd. I, S. 140–153.

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Am listigsten wirkt solches Schweigen, wenn es von anderen als geborene Stummheit wahrgenommen wird, wenn also der Protagonist in der Rolle eines wortlosen Narren auftritt, um die Geheimnisse seines Antagonisten in Erfahrung zu bringen: der verspottete Ritter in der Halben Birne (Version A) gelangt auf diese Weise in das Bett der lüsternen Prinzessin,22 deren fehlende Keuschheit er später vor der gesamten Hofgesellschaft auf dem Turnierplatz lautstark(!) bekanntzugeben droht. Die schwankhafte Darstellung von Reden und Schweigen gehört also zum Kernbestand dieser literarischen Tradition. Gleichwohl wird sie durch unterschiedliche Erkenntnisinteressen im Laufe der Jahrhunderte gefärbt. Vor dem Hintergrund des höfischen zuht-Diskurses lassen sich etwa mehrere Erzählungen verstehen, die das Reden und Schweigen von Königs- oder Ritterstöchtern thematisieren. Mit großer Schadenfreude wird im Konni Heinz des Kellners erzählt, wie eine dreiste Prinzessin einen Wortkampf in drei Runden gegen einen törichten Bauern verliert und, ihren eigenen Anordnungen zufolge, dazu verpflichtet wird, ihn zu heiraten.23 Dabei geht es nicht nur darum, dass die junge höfische Dame sich auf eine niedere Sprachebene begibt, die ihr überhaupt nicht zusteht, sondern dass sie besiegt wird, indem der närrische Bauer seine obszönen Sprüche anhand mehrerer Gegenstände aus seiner bäuerlichen Umwelt (einem Ei, dem Zahn einer Egge, und seiner mit Kot gefüllten Kappe) konkretisiert. In einem weiteren Text des späten 14. oder frühen 15. Jahrhunderts wird anständiges Verschweigen ironisiert, wenn eine Ritterstochter den peinlichen Namen des Gärtners – Hod (V. 68) – nicht aussprechen will, sondern ihn (auf noch unanständigere Weise) umschreibt: ‚So merck sein namen bas: / er heist recht als das, / das vnden an dem zers hangt‘ (V. 123–125).24 Höfisches Reden bzw. Schweigen wird auch auf der Erzählerebene in mehreren Kurzerzählungen thematisiert. Im Epilog der früheren Fassung (A) vom Pfaffen und Ehebrecherin, wo ein Priester eine wortwitzige Sünderin vergeblich zur Rede stellt, wird der Sieg der Frau als Beispiel für die Wirkungskraft der Redegewandtheit interpretiert:

22 deheines wortes er verjach,/ swaz diu dirne zuo im sprach,/ wan daz er si an kaffete (V. 331– 333). Text zitiert nach: Novellistik des Mittelalters. Märendichtung. Hrsg. von Klaus Grubmüller, Frankfurt a. M. 1996 (Bibliothek des Mittelalters 23), S. 178–207. 23 diu vrou gewan zornes hort ‚/ daz si wart unverwizzen, / si sprach: ‚daz ist verschizzen.‘ / Konnîs gelükke wart guot, / er zart’ ûf sinen kugelhuot, / daz ez daz liut allez sach, / vor in allen er dô sprach: ‚diz ist geschizzen, daz scheiz ich.‘ / er het diu vrouwen, dunket mich, / zem dritten mal ge­ wunnen (190–199). Text zitiert nach: Gesammtabenteuer. Hundert altdeutsche Erzählungen […]. Hrsg. von Friedrich H. Von Der Hagen, 3 Bde., Stuttgart 1850 (Nachdruck: Darmstadt 1961), Bd. III, S. 179–185. 24 Text zitiert nach: Codex Karlsruhe 408. Hrsg. von Ursula Schmid, Bern 1985 (Bibliotheca Germanica 16), S. 513–516.

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daz man merke dabi, wer noch wol geredet si, daz der dicke mac beliben, so man in wil vertriben. (V. 77–80)25

Dass diese als höfische Tugend aufgefasst werden soll, geht vor allem aus der Identifizierung des Dichters als Truchsess hervor: Ditz hübesche gelaeze / hat getihtet ein truhsaeze (V. 75–76). Anderswo wird mit dem Gedanken gespielt, dass schwankhaftes Erzählen an sich  – aus höfischer Perspektive  – ein ungebührliches Reden darstellt. Gegen Ende des Schreibers weigert sich der Erzähler auf den erotischen Ausgang seiner Geschichte näher einzugehen, indem er sich auf das Minneverbrechen des ‚Rühmens‘ beruft: eine spielerische Abwehrgeste, mit der er sich vermutlich als Protagonist seiner eigenen Erzählung entlarvt.26 Gelegentlich jedoch scheint der Reiz des Erzählten gerade darin zu liegen, dass innerhalb der Erzählwelt selbst ein Drang zum Verschweigen sich kundtut, an dessen Vereitelung sowohl Erzähler als auch Zuhörer teilnehmen. Im Betrogenen Gatten Herrands von Wildonie wird mittels einer fiktiven Quellenberufung scherzhaft verraten, dass die skandalöse Geschichte letzten Endes auf die geschlagene Gevatterin zurückgeht, die – von der Ehefrau nicht belohnt – ihr Schweigen gebrochen habe.27 Dieses Märe wird also der listigen Ehefrau zum Trotz erzählt. In der Treuen Magd beschenkt – oder besticht – eine ehebrecherische Frau ihren jungen Liebhaber sogar mit mehr als sechsczig pfunt (V. 360), damit er ihr Liebesabenteuer nicht offenbaren soll.28 Dass diese Maßnahme offensichtlich fehlgeschlagen ist, werden Textrezipienten kaum ohne Schadenfreude wahrgenommen haben.

25 Text zitiert nach: Schmid (Anm. 24), S. 580–581. 26 ob im darnach iht widervuor / als noch von aventiure geschiht, / des kan ich iu gesagen niht/ an einen schaden, den klage ich: / ob noch ein vrouwe minneclich / durch vriuntschaft und liebes kraft / hilft einem man uz sorgen haft, / wold er sich des rüemen, / den solde man vertüemen / ze walde von den liute (V. 288–297). Text zitiert nach: Schmid (Anm. 24), S. 495–502. 27 Nu möhte wir des wizzen niht, / von welhen dingen diu geschiht / waer geschehen, wan daz wîp, / der zerslagen wart der lîp, / diu sagte ez durch solchen muot: / diu frouwe wolte ir niht daz guot / geben, daz sî ir het benant; / dâ von wart uns daz maere bekant (V. 355–362). 28 Die edel fraw wol gethon / an dem dritten tag zu dem schreyber kam. / er kust si an irn roten munt. / sie gab im mer wenn sechsczig pfunt. / sie sprach: ‚liber schreyber, / jch bit euch, das ir dise mer / nymat sult offenbarn‘ (V. 357–363). Text zitiert nach: Schmid (Anm. 24), S. 720–729.

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3 Lachen und Sprechen Die narrative Schilderung von Lachen und Gelächter in komischen Kurzerzählungen ist innerhalb der letzten zehn Jahre mehrmals untersucht worden.29 „Wer lacht im Märe  – und wozu?“ hat beispielsweise KLAUS GRÜBMULLER gefragt, der, abgesehen von dem überlegenen bzw. dummen Lachen verschiedener Einzelfiguren, den Szenen kollektiven Gelächters eine besondere Bedeutung zumisst: in diesen Texten, so stellt GRUBMÜLLER fest, vertrete die „Öffentlichkeit als Lachgemeinschaft […] so immer das Organ des urteilenden Lachens“.30 Auf Mikroebene sozusagen lassen sich diese (vernünftigen) Überlegungen aber durchaus ergänzen, indem man zunächst die Verschränkung von Lachen bzw. Gelächter und Sprechen genauer in den Blick nimmt. Der nonverbale kommunikative Akt des Lachens wird in den meisten dieser Texte in seiner Körperlichkeit nicht beschrieben;31 stattdessen wird er kurz und schlicht mit dem mhd. Verbum lachen bezeichnet.32 Das heißt: die narrative Darstellung konzentriert sich in erster Linie auf den kommunikativen Sinn der jeweiligen Lachgeste, der in der Regel durch deren Konjunktur mit Sprechen bzw. Sprachhandlungen vermittelt wird. Dementsprechend wird lachen in der Form strafenden Gruppengelächters immer wieder mit mhd. schimpfen und spotten zusammengekoppelt. Im Ritter im Hemde zieht der Knecht eines Ritters aus Versehen die bruch (V. 37) seines tanzenden Herren herunter, was zum schallenden Gelächter der anwesenden Hoffrauen führt: Also wart er [der ritter] zu schalle. die frauwen sahen ez alle vnd begonden iren schympff machen vnd wurden sere lachen. (V. 39–42)33

29 Vgl. etwa Johannes Klaus Kipf: Mittelalterliches Lachen über semantische Inkongruenz. Zur Identifizierung komischer Strukturen in mittelalterlichen Texten am Beispiel mittelhochdeutscher Schwankmären. In: Komik und Sakralität. Aspekte einer ästhetischen Paradoxie in Mittelalter und früher Neuzeit. Hrsg. von Anja Grebe/Nikolaus Staubach, Frankfurt a. M. 2005 (Tradition – Reform – Innovation 9), S. 104–128; und Coxon (Anm. 18), S. 58–82. 30 Klaus Grubmüller: Wer lacht im Märe  – und wozu? In: Lachgemeinschaften. Kulturelle Inszenierungen und soziale Wirkungen von Gelächter im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit. Hrsg. von Werner Röcke/Hans Rudolf Velten, Berlin, New York 2005 (TMP 4), S. 111–124, hier S. 116. 31 Vgl. hierzu Coxon (Anm. 18), S. 58–63. 32 Zur Lexis vgl. (schon) Karl R. Kremer: Das Lachen in der deutschen Sprache und Literatur des Mittelalters, unveröffentlichte Dissertation, Universität Bonn 1961. 33 Text zitiert nach: Schmid (Anm. 24), S. 160–161.

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Der Spott (als verbale Sprachhandlung) wird durch heftiges Lachen (als nonverbale Sprachhandlung) dermaßen bekräftigt, dass das auf diese Weise bestrafte Mitglied der Hofgesellschaft sich dagegen nicht wehren kann.34 Dass die den Fehltritt bestrafende Lachgemeinschaft in diesem Fall eine Lachgemeinschaft von Frauen ist, macht umso deutlicher, dass dem höfisch-galanten Ritter diese Panne einer Katastrophe gleichkommt. Kulturelles Wissen darüber, wie man einem solchen Schicksal entgehen kann, ist gleichsam in der früheren Erzählung Dem kahlen Ritter gespeichert; denn hier rettet sich ein blamierter Ritter, dem unversehens die Perücke vom Kopf gerissen wird, indem er sich das kollektive Urteil aneignet, d.  h. indem er sich dem Verlachen und Spotten anderer anschließt und über sich selbst lustig macht: doch tet er sam die wîsen tuont: er begunde vaste schallen mit den andern allen, daz von sîner vröude wart ein schimpf. ez waer anders gewesen ein ungelimpf. dâ mite vergâzen si sîn. (V. 50–55)35

Bei einer solchen formelhaften Beschreibung von kollektivem Verlachen und Spotten wird ein Prinzip sozialen Verhaltens evoziert, dessen sprachlicher Inhalt weitgehend unpräzisiert bleibt. In den meisten Fällen müssen sich die Textrezipienten den Spott für sich selbst ausdenken. Das bedeutet, dass sich in solchen Szenen die Rezipienten nach einem erzählten Tatbestand richten müssen, dass etwa eine Figur von einer Lachgemeinschaft verlacht wird, ohne in der Form unmittelbarer Figurenrede zu erfahren, wie das vonstatten ging. Es geht hier also eher um kognitive Lenkung und Steuerung der Rezipienten, und weniger darum, dass sie ein konkretes vertextetes Angebot bekommen, an diesem Punkt textextern mitzulachen.36 Das Lachen einzelner Figuren dagegen wird auffällig oft an direkte Figurenrede gebunden, wobei es zwei grundsätzliche literarische Muster zu geben

34 Vgl. auch Rüdiger Schnell: Literarische Spielregeln für die Inszenierung und Wertung von Fehltritten. Das Beispiel der ‚Mären‘. In: Der Fehltritt. Vergehen und Versehen in der Vormoderne. Hrsg. von Peter Von Moos/Klaus Schreiner, Köln 2001 (Norm und Struktur 15), S. 265–315, hier S. 278–280. 35 Text zitiert nach: Franz Pfeiffer: Altdeutsche Beispiele. In: ZfdA 7 (1849), S. 374–376. 36 Vgl. dazu Sebastian Coxon: der werlde spot. Kollektives Höhnen und Verlachen in der Kleinepik des Strickers. In: Die Kleinepik des Strickers. Texte, Gattungstraditionen und Interpretationsprobleme. Hrsg. von Emilio González/Victor Millet, Berlin 2006 (PhStQ 199), S. 102– 116, hier S. 112–115.

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scheint. Zum einen wird das Lachen auf die defiziente oder komisch dumme Rede eines anderen bezogen, markiert diese in ihrer Unzulänglichkeit oder Inkongruität und grenzt sie zugleich ab.37 Zum anderen wird die Rede einer Figur mit einem Lachen eröffnet, was die kommunikative Bedeutung dieser bevorstehenden Rede im Voraus erhöht, ohne sie unbedingt semantisch schon festzulegen.38 Ein Textbeispiel, in dem beide Muster ineinandergreifen, findet man im Preller, wo eine Mutter ihre furchtbar ahnungslose Tochter fragt, was sie vom nackten Körper ihres zukünftigen Ehemannes hält (er muss eine Art Badeprobe bestehen): Die muter fragt sie der mer, wie er ir gevallen wer. ‚so man die worheit sprechen sol, er gevil mir allenthalben wol, daß ich es alles vertrug, wann an einer stet jst er so vngefug, das ist auch aus der moßen, man sol mich sein erloßen.‘ die muter begond lachen: ‚jch ler dich jn kleiner machen […]‘ (V. 39–48)39

Diese Dialogpartie wird quasi durch Lachen interpunktiert: es ist ein auf zwei Reden bezogenes Lachen, das sowohl die absurde Naivität der Tochter unterstreicht, d.  h. die in ihrer Äußerung steckende ungewollte Komik, als auch den Witz und gewollte Komik des Ratschlages der Mutter. Ein reziprokes Deutungsverhältnis macht sich hier bemerkbar. Dass dieses nicht bloß eine Frage der Erzählregie ist, sondern dass eine solche gegenseitige semantische Abhängigkeit auch auf der Handlungsebene zum Ausdruck kommt, erkennt man in Szenen, in denen ein Lachen ohne unmittelbaren Bezug zur Figurenrede in den Vordergrund gestellt wird. Ein Beispiel dafür stellt der bekannte Wendepunkt des Häsleins dar,40 wo der ritterliche Bräutigam, der schon am Hochzeitstisch neben seiner adligen Braut sitzt, das arme Mädchen mit dem Hasen kommen sieht:

37 Vgl. Das Gänslein, V.  85–91: dô sprach der münich: ‚crêde mich, / sô sint die gense siuber­ lich. / wie kumt daz wir niht gense hân? / die möhten sich vil wol begân/ an unser klôsterweide.‘ / des lachten si dô beide / des wirtes tohter und sîn wîp. Text zitiert nach Grubmüller (Anm. 22), S. 648–665. 38 Vgl. Heinrich Kaufringer: Chorherr und Schusterin, V. 70: er begund lachen und sprach: / ‚[…]‘. Text zitiert nach Sappler (Anm. 19), Bd. I, S. 105–111. 39 Text zitiert nach: Schmid (Anm. 24), S. 525–527. 40 Vgl. Kipf (Anm. 29), S. 110–116.

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der lachete unt tet einen kach und began sô sêre lachen von den selben sachen und mohte sich des niht enthaben, daz man in ieze wolte laben, und wider kûme kam ze sich. dô wolte vrâgen meneclich, wes er gelachet haete. des enthuop sich wol der staete. (V. 398–406)41

Während es den Textrezipienten ohne weiteres nachvollziehbar ist, warum der Ritter auflacht,42 fordert die Heftigkeit des plötzlichen und völlig unerwarteten Lachanfalls seine Mitwelt heraus; sie muss wissen, was der Anlass dafür ist und was damit kommuniziert sein soll. Aus Anständigkeit will der Bräutigam nichts über die Verführung (und die unglaubliche Naivität des Mädchens) sagen; die weitere Erzählhandlung dennoch wird dadurch bestimmt, dass auch seine scheinheilige Braut unbedingt (mit ernstes, V. 411) wissen will, was sein Lachen auf sich hat; and the rest is history. Dass der kommunikative Akt des Lachens an und für sich allein ambivalent ist und der sprachlichen bzw. erzählerischen Erläuterung bedarf, wird den Textrezipienten in jenen Erzählungen ferner vor Augen geführt, in denen ein listiger Handlungsträger auflacht und lügt. Im Kuhdieb von Hans Folz trifft ein Dieb, der sich in der Nacht verläuft, auf den Bauern, dem er vor kurzem eine Kuh gestohlen hat. Der gute Bauer erkennt sein Tier sofort, als er aber den Fremden des Diebstahls beschuldigt, reagiert der Dieb ganz unverfroren: Der dip sach yn strangs an und lacht/ und sprach: ‚ey, das mich got behüt!‘ (V. 22–23).43 Die Kluft zwischen der Figurenperspektive (des Bauern) und der Perspektive der besser informierten Rezipienten, wird an diesem zweideutigen Lachen greifbar, als Zeichen der freundlichen Aufrichtigkeit bzw. der unverschämten Schalkhaftigkeit, das der Bauer falsch interpretiert, weil er sich nach der Rede des Diebes richtet und nicht auf seine eigenen Augen vertraut.

41 Text zitiert nach: Grubmüller (Anm. 22), S. 590–617. 42 In den vorangehenden Versen wird der frühere Erzählverlauf noch einmal zusammengefasst: der wirt, der dâ wol wiste, / wie der hase wart gekouft, / und wie diu tohter wart zerrouft, / und wie der wehselkouf geschach, / […] (V. 394–397). 43 Text zitiert nach: Fischer (Anm. 20), S. 99–102.

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4 Lachen und Schweigen Beim thematischen Komplex von Lachen und Schweigen muss zuerst eingeräumt werden, dass in mehreren der hier untersuchten Texte ein auf Lachen bezogenes Schweigen, im Sinne eines eingeschüchterten Verstummens, ‚nur‘ impliziert und durch anderes suggeriert wird: so sieht sich der blamierte Ritter im Ritter mit dem Hemde dazu gezwungen, Hof und Land zu verlassen; genau so geht es dem Pfaffen im Pfaffen und Ehebrecherin (hier in der Fassung B von Hans Folz), der sich von der Kirche aufmacht, sobald er der Sünderin im Wortkampf erliegt.44 Am Hof und in der Kirche sind diese Figuren also nicht mehr präsent; am jeweiligen zugehörigen Ort ist ihre Stimme nicht mehr zu hören. In Konni Heinz des Kellners schließlich bekommt man nach dem Sieg des Bauern nur noch die spöttische Stimme der Hofgesellschaft zu hören;45 die Prinzessin selber ist – stumm – aus der Erzählung verschwunden. Schweigen im Sinne von Sprachverlust bzw. Sprachunfähigkeit wird dagegen in jenen Szenen in den Vordergrund gerückt, in denen ausnahmsweise die heftige Körperlichkeit des Lachanfalls thematisiert wird: wie etwa im Häslein, wo der Ritter zuerst überhaupt nichts zu sagen vermag, oder in der Meierin mit der Geiß, wo ein Ritter geradezu in einen bestialischen Zustand versetzt wird, als er erfährt, dass die Meierin mit ihm schlafen will: Lachen slug er an sein bein,/ vor lachen als ein bell er grein (V. 109–110).46 Als vox inarticulata soll ferner das Lachen des listigen Protagonisten im späteren Textfragment Dem armen Bäcker von Hans Folz wohl gelten, als er sich in einen Narren verwandelt, um sich an der schelmischen Frau seines Herren zu rächen: Man pracht den narn (dez warn sie fro); / do lacht er und sprach: ‚ja je je ja‘ (V. 63–64).47 Aus der Perspektive der anderen Erzählfiguren wird der vermeintliche Tor durch sinnloses Lachen mitsamt sinnlosem Reden in seiner Torheit bestätigt. Dass dieses Lachen aber gleichzeitig auf Kosten seiner Gegenspielerin geht, erkennt der Textrezipient. Lachen und Schweigen werden anders konfiguriert in Szenen, wo ein unausgesprochenes Verständnis zwischen ‚eingeweihten‘ Handlungsträgern herrscht. Der sprachlose Akt des Lachens in solchen komplizierteren Kommunikationssituationen wirkt also verschwörerisch ‚beredt‘, indem alles Sprechen unnötig ist.

44 Der red gund yederman do lichen / und guten schimpf darauß zu machen. / der pfaff sich offt seget und krewczt / und schyd sein stroß; im was geschneüczt (V. 87–90). Text zitiert nach: Fischer (Anm. 20), S. 140–145. 45 vil hart die liut begunnen / ruofen, wîb unde man: / ‚mîn vrou muoz den gebûren hân, / der als ein narre ist getân‘ (V. 200–203). 46 Text zitiert nach: Schmid (Anm. 24), S. 422–426. 47 Text zitiert nach: Fischer (Anm. 20), S. 4–6.

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Lautloses Lächeln kommt auch in diesem Zusammenhang vor, vor allem in Situationen, wo ein lautstarkes Lachen den Verdacht der Nichteingeweihten erregen würde. In Des Weingärtners Frau und der Pfaffe beklagt sich der betrogene Weingärtner über die schwere Krankheit seiner Frau, während sie den herbeigeholten Priester lautlos aber vielbedeutend angrinst: diu vrouwe schmuczert den pfaffen an ([n1] V.  65).48 Wo aber kein geheimes Verständnis herrscht, wirkt ein ungeklärtes Lächeln genauso provozierend und irritierend wie rätselhaftes Lachen. Lautloses Lächeln scheint immer die Möglichkeit des Verheimlichens und Verschweigens in sich zu bergen, wie nicht zuletzt in der Schlüsselszene in Heinrich Kaufringers Bürgermeister und Königssohn geschildert wird, in der die Frau des Bürgermeisters unbedingt erfahren will, warum ihr Mann auf einmal schmielt.49 In zwei weiteren Texten aus dem 15. Jahrhundert wird die literarische Funktionalisierung von Lachen und Schweigen auf die Spitze getrieben. Im Zweierlei Bettzeug des sogenannten Schweizer Anonymus schweigt und lacht zugleich ein fahrender Schüler, als er sich dem Spott des Bauern ausgesetzt sieht, der ihn für eine Nacht aufnimmt: ein grossen furz lies er do und sprach zuo dem schuoler also: ‚schuoler, das ist das bette din.‘ Der schuoler sweig und lachet sin. […] Der schuoler lachet aber als ee. […] den schuoler do des schimpfs verdroß. (V. 17–28)50

Die unmittelbare Nebeneinanderstellung von Schweigen und Lachen ist äußerst ungewöhnlich und wirkt zunächst fast widerspruchsvoll; dennoch lässt sie sich als Versuch verstehen, den fahrenden Studenten als positive Identifikationsfigur darzustellen. Denn anscheinend haben wir es hier mit einer narrativen Inszenierung des bekannten Ecclesiasticus-Spruches (21:20) zu tun: Fatuus in risu exaltet vocem suam, vir autem sapiens vix tacite ridebit. Dem Bauern, der sich sowohl verbal (durch seinen übertriebenen Spott) als auch körperlich (durch seine Lei-

48 Text zitiert nach: Maeren-Dichtung. Hrsg. von Thomas Cramer, 2 Bde., München 1979 (Spätmittelalterliche Texte 1–2), Bd. II, S. 153–158. 49 der burger da schmielen wart. / das nam war sein weib vil zart. / si sprach: ‚lieber herre mein, / was betütt das lachen dein?‘ / er sprach: ‚das sag ich dir nicht‘ (V.  185–189). Text zitiert nach: SAPPLER (Anm. 21), Bd. I, S. 41–52. 50 Text zitiert nach: Eine Schweizer Kleinepiksammlung des 15. Jahrhunderts. Hrsg. von Hanns Fischer, Tübingen 1965 (ATB 65), S. 9–12.

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besdünste) auslässt, wird ein Protagonist gegenübergestellt, der trotz arger Provokation sich selbst unter Kontrolle zu halten weiß. Demnach wird man sein lachen im Sinne eines überlegenen Lächelns lesen können. Dass der Student auf diese Weise nicht einmal sondern zweimal zu reagieren vermag, bevor er schließlich die Geduld verliert, lässt seine darauffolgende dreckige Gegenaktion als gerechtfertigt erscheinen. Der skatalogische Erzählzusammenhang scheint auch von Bedeutung zu sein im letzten Textbeispiel, dem Quacksalber des Hans Folz, wo ein schalkhafter Ich-Erzähler, gleichsam in der Rolle eines Eulenspiegels, von mehreren dreckigen Streichen erzählt, die er während seiner Wanderjahre gespielt haben soll. So behandelt er die sogenannte erbgrint (V.  91) eines Edelmannes auf höchst unappetitliche Weise: Ich lacht heymlich und dacht zulest: ‚was wolstu sunder salb zu kauffen? es hort der dreck auff den misthauffen.‘ ich nam sein haub, die er aufftrug, und schüt ym drein des drecks gleich gnug. (V. 244–248)51

Dieses ‚heimliche‘ Auflachen stellt wohl eine Sonderform des lautlosen – inneren oder versteckten?  – Lachens dar, welches weder akustisch noch visuell vom (erzählten) Gegenüber wahrgenommen wird. Umso deutlicher fungiert diese Lachgeste aus der Perspektive des Textrezipienten als Charakteristikum eines Tricksters, der sich über den voraussichtlichen Erfolg seines Streiches freut (wie im Übrigen an mehreren Stellen im Strassburger Eulenspiegelbuch zu finden ist).52 Dabei spielt die begleitende Gedankenrede eine entscheidende Rolle – ‚was wolstu sunder salb zu kauffen?/ es hort der dreck auff den misthauffen‘ (V. 245–246) –, die inhaltlich und in ihrer pointierten Witzform den parodistischen Weisheitssprüchen Markolfs ähnelt.53 Vermutlich liegt hier ein Versuch vor, die Rezipienten selber zum Lachen zu bringen, d.  h. mit dem Ich-Erzähler an einer Schlüsselstelle innerhalb der Erzählhandlung zu lachen, die ansonsten allzu befremdlich gewirkt hätte.

51 Text zitiert nach: Fischer (Anm. 20), S. 103–111. 52 Vgl. Sebastian Coxon: Lieber Meister, erzürnent Euch nit. The comic power of emotions in Dil Ulenspiegel. In: Machtvolle Gefühle. Hrsg. von Ingrid Kasten, Berlin 2010 (TMP 24), S. 120–138, hier S. 130. 53 Vgl. Sebastian Coxon: Gelächter und Gesundheit. Humanistische Thematik im Quacksalber des Hans Folz? In: Humanismus in der deutschen Literatur des Mittelalters und der Frühen Neuzeit. XVIII. Anglo-German Colloquium Hofgeismar 2003. Hrsg. von Nicola Mclelland/HansJochen Schiewer/Stefanie Schmitt, Tübingen 2007, S. 383–398, hier S. 387–389.



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5 Schlusswort Zum Schluss sollen nur noch zwei Punkte hervorgehoben werden. Erstens: Sich mit der Verbindung von Lachen bzw. Gelächter und Sprechen und Schweigen auseinanderzusetzen, heißt, sich auf die Bedeutungsvielfalt von Lachen als kommunikativem Akt zu konzentrieren. Bei der Literaturanalyse wird der Blick geschärft für die narrativen Strategien, die bei der Verschränkung von Lachen, Sprechen und Schweigen ausschlaggebend sind, wie auch für die thematischen Akzentuierungen, die diese mitbestimmen. Im Verlauf der auffällig langen Tradition komischer Kurzerzählungen kündet sich ein konkretes literarisches Interesse an diesen Kommunikationsformen an. Lachen, Sprechen und Schweigen werden nicht nur auf Figurenebene sondern auch auf Erzählerebene thematisiert. Sie fungieren nicht nur als kognitive Zeichen sondern wirken zuweilen auch performativ, da die komische Sprengkraft vieler der hier untersuchten Szenen nicht selten von der Unmittelbarkeit der witzigen oder närrischen Figurenäußerungen abhängt, bzw. von der ungleichen Wissensverteilung zwischen Figuren und Textrezipienten, die ohne Gedankenreden, Figurenschweigen und Figurenlachen nicht in dem selben Maße realisierbar wäre. Zweitens: Solche narrative Schilderung findet nicht in einem sozio-kulturellen Vakuum statt, sondern wird über die Jahrhunderte hinweg durch verschiedene Erkenntnisinteressen gefärbt. Höfische Perspektiven gehören sicherlich dazu, aber bei den Schwankmären, vor allem bei den Textbeispielen aus dem 15. Jahrhundert, gibt es offensichtlich auch andere – oder zumindest ein anderes: das städtische Interesse, wobei man vielleicht nicht immer und überall gleich scharf trennen soll. Bei einigen der hier vorgestellten Texte werden grundsätz­ liche Prinzipien höfischer Kommunikation abgehandelt oder narrativ umgesetzt; durch die Thematisierung von der Deutungsnotwendigkeit des Lachens und die Irritation bzw. Provokation, die daraus entsteht, wenn dieses ungeklärt bleibt, scheint etwa ‚face-to-face‘-Kommunikation problematisiert zu werden. Dennoch findet man auch dieselbe oder ganz ähnliche Motivik bei der Darstellung des Lachens (Redens und Schweigens) in Kurztexten aus eindeutig städtischem Milieu, nicht zuletzt bei Hans Folz, der schwankhafte Erzählwelten entwirft, die von Figurenlachen sehr geprägt sind. Das liegt wohl zum Teil an der Verbindlichkeit der Erzählmotivik dieser literarischen Tradition. Andererseits scheint im späten 15. und frühen 16. Jahrhundert das vielfältige Thema ‚zwischenmensch­ liche Kommunikation‘, die anhand der Extremformen von Lachen und Schweigen narrativ ausgefaltet wird, an Brisanz nicht verloren zu haben.

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Literaturverzeichnis A Texte und Quellen Die Benediktsregel. Hrsg. von Ulrich Faust, Stuttgart 2009. Codex Karlsruhe 408. Hrsg. von Ursula Schmid, Bern 1974 (Bibliotheca Germanica 16). Erasmus: De civilitate morum puerilium. On Good Manners for Boys. In: Collected Works of Erasmus. Literary and Educational Writings III. De conscribendis epistolis. Formula. De civilitate. Hrsg. von J.K. Soward, Toronto 1985 (Collected Works of Erasmus 25), S. 269– 289. Geiler von Keysersberg: Das bůch d[er] sünden des munds. Straßburg, Grüninger 1518 (Oxford, Bodleian, fol. THETA 583). Gesammtabenteuer. Hundert altdeutsche Erzählungen […]. Hrsg. von Friedrich H. von der Hagen, Stuttgart 1850 (ND Darmstadt 1961), Bd. III. Hans Folz: Die Reimpaarsprüche. Hrsg. von Hanns Fischer, München 1961 (MTU 1). Heinrich Kaufringer: Werke. Hrsg. von Paul Sappler, Tübingen 1972/1974, Bd. I. Herrand von Wildonie: Vier Erzählungen. Hrsg. von Hanns Fischer. Zweite, revidierte Auflage von Paul Sappler, Tübingen 1969 (ATB 51). Konrad von Haslau: Der Jüngling. Hrsg. von Walter Trauber, Tübingen 1984 (ATB 97). Maeren-Dichtung. Hrsg. von Thomas Cramer, München 1979 (Spätmittelalterliche Texte 2). Novellistik des Mittelalters. Märendichtung. Hrsg. von Klaus Grubmüller, Frankfurt a. M. 1996 (Bibliothek des Mittelalters 23). Eine Schweizer Kleinepiksammlung des 15. Jahrhunderts. Hrsg. von Hanns Fischer, Tübingen 1965 (ATB 65). Thomasin von Zerklaere: Der Wälsche Gast des Thomasin von Zirclaria. Hrsg. von Heinrich Rückert, Quedlinburg 1852 (BNL 30). Nachdruck mit Einführung und Nachhang von Friedrich Neumann, Berlin 1965.

B Studien Benthien, Claudia: Barockes Schweigen. Rhetorik und Performativität des Sprachlosen im 17. Jahrhundert, München 2006. Coxon, Sebastian: der werlde spot. Kollektives Höhnen und Verlachen in der Kleinepik des Strickers. In: Die Kleinepik des Strickers. Texte, Gattungstraditionen und Interpretationsprobleme. Hrsg. von Emilio González/Victor Millet, Berlin 2006 (PhStQ 199), S. 102–116. Ders.: Gelächter und Gesundheit. Humanistische Thematik im Quacksalber des Hans Folz? In: Humanismus in der deutschen Literatur des Mittelalters und der Frühen Neuzeit. XVIII. Anglo-German Colloquium Hofgeismar 2003. Hrsg. von Nicola McLelland/Hans-Jochen Schiewer/Stefanie Schmitt, Tübingen 2007, S. 383–398. Ders.: Laughter and Narrative in the Later Middle Ages. German Comic Tales 1350–1525, London 2008. Ders.: Lieber Meister, erzürnent Euch nit. The comic power of emotions in Dil Ulenspiegel. In: Machtvolle Gefühle. Hrsg. von Ingrid Kasten, Berlin 2010 (TMP 24), S. 120–138. Friedrich, Udo: Spielräume rhetorischer Gestaltung in mittelalterlichen Kurzerzählungen. In: Geltung der Literatur. Formen ihrer Autorisierung und Legitimierung im Mittelalter. Hrsg.



was betütt das lachen dein? 

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von Beate Kellner/Peter Strohschneider/Franziska Wenzel, Berlin 2005 (PhStQ 190), S. 227–249. Grubmüller, Klaus: Die Ordnung, der Witz und das Chaos. Eine Geschichte der europäischen Novellistik im Mittelalter. Fabliau – Märe – Novelle, Tübingen 2006. Ders.: Wer lacht im Märe – und wozu? In: Lachgemeinschaften. Kulturelle Inszenierungen und soziale Wirkungen von Gelächter im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit. Hrsg. von Werner Röcke/Hans Rudolf Velten, Berlin/New York 2005 (TMP 4), S. 111–124. James-Raoul, Danièle: La parole empêchée dans la littérature arthurienne, Paris 1997 (Nouvelle Bibliothèque du Moyen Âge 40). Kipf, Johannes Klaus: Mittelalterliches Lachen über semantische Inkongruenz. Zur Identifizierung komischer Strukturen in mittelalterlichen Texten am Beispiel mittelhochdeutscher Schwankmären. In: Komik und Sakralität. Aspekte einer ästhetischen Paradoxie in Mittelalter und früher Neuzeit. Hrsg. von Anja Grebe/Nikolaus Staubach, Frankfurt a. M. 2005 (Tradition – Reform – Innovation 9), S. 104–128. Konversationskultur in der Vormoderne. Geschlechter im geselligen Gespräch. Hrsg. von Rüdiger Schnell, Köln 2008. Kremer, Karl R.: Das Lachen in der deutschen Sprache und Literatur des Mittelalters. Un­veröffentlichte Dissertation, Universität Bonn 1961. Lindorfer, Bettina: Bestraftes Sprechen. Zur historischen Pragmatik des Mittelalters, München 2009. Müller, Jan-Dirk: Höfische Kompromisse. Acht Kapitel zur höfischen Epik, Tübingen 2007. Pfeiffer, Franz: Altdeutsche Beispiele. In: ZfdA 7 (1849), S. 374–376. Röcke, Werner: Inszenierungen des Lachens in Literatur und Kultur des Mittelalters. In: ­Paragrana 7 (1998), S. 73–93. Roloff, Volker: Reden und Schweigen. Zur Tradition und Gestaltung eines mittelalterlichen Themas in der französischen Literatur, München 1973 (Münchener Romanistische Arbeiten 34), S. 24–72. Ruberg, Uwe: Beredtes Schweigen in lehrhafter und erzählender deutscher Literatur des ­Mittelalters. Mit kommentierter Erstedition spätmittelalterlicher Lehrtexte über das Schweigen, München 1978 (Münstersche Mittelalter-Schriften 32). Schnell, Rüdiger: Literarische Spielregeln für die Inszenierung und Wertung von Fehltritten. Das Beispiel der ‚Mären‘. In: Der Fehltritt. Vergehen und Versehen in der Vormoderne. Hrsg. von Peter von Moos/Klaus Schreiner, Köln 2001 (Norm und Struktur 15), S. 265–315. Ders.: Verspotten und Verlachen. Grenzen und Lizenzen in Literatur und Gesellschaft des Spätmittelalters. In: Spott und Verlachen im späten Mittelalter zwischen Spiel und Gewalt. Hrsg. von Stefan Seeber/Sebastian Coxon, Göttingen 2010 (Mitteilungen des Deutschen Germanistenverbandes 57), S. 37–44. Schnyder, Mireille: Topographie des Schweigens. Untersuchungen zum deutschen höfischen Roman um 1200, Göttingen 2003 (Historische Semantik 3). Seeber, Stefan: Poetik des Lachens. Untersuchungen zum mittelhochdeutschen Roman um 1200, Berlin 2010 (MTU 140). Ueding, Gert: Rhetorik des Lachens. In: Vom Lachen. Einem Phänomen auf der Spur. Hrsg. von Thomas Vogel, Tübingen 1992, S. 24–44.

Verzeichnis der Beiträger Astrid Bußmann Wiss. Mitarbeiterin an der Universität Erlangen-Nürnberg. Arbeitet an einer Dissertation zum „Mädchen-ohne-Hände“-Stoff; Publ. zum höf. und späthöf. Liebes- und Gralsroman. Zuletzt erschien (zus. mit B. Bußmann): Die Fortsetzung als Bewältigung des Rätsels. Chretiens graal und lance qui saine in Wolframs Parzival, Wolfram-Studien XXIII (2014), S. 171–206. Dr. Sebastian Coxon Reader am University College London. Zahlr. Veröffentlichungen zu Lachen und Komik in der Vormoderne, wie die Monographie: Laughter and Narrative in the Later Middle Ages. German Comic Tales 1350–1525, 2008 sowie den Band: Spott und Verlachen im späten Mittelalter zwischen Spiel und Gewalt, hrsg. zus. mit S. Seeber, 2010. Dr. Beatrice Michaelis Stellvertretende Direktorin von MaxNetAging und Stellvertretende Akademische Geschäftsführerin des Max-Planck-Instituts für demografische Forschung in Rostock; Forschungsschwerpunkte in der Mediävistik und der Genderforschung, mehrere Arbeiten zum Schweigen. Buchveröffentl. u. a.: (Dis-)Artikulationen von Begehren. Schweigeeffekte in wissenschaftlichen und literarischen Texten, 2011. Dr. Susanne Reichlin Prof. für Germanistische Mediävistik mit einem Schwerpunkt auf der Texttheorie an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Forschungsschwerpunkte: Mittelalterliche Lyrik, Schwankerzählungen und Historische Erzählforschung. Buchveröffentl. (Auswahl): Fides / triuwe, hrsg. zus. mit S. Lepsius; Ökonomien des Begehrens, Okonomien des Erzählens. Zur poetologischen Dimension des Tauschens in Mären 2009. Dr. Werner Röcke Prof. em. für Ältere deutsche Literatur des Mittelalters an der Humboldt-Universität zu Berlin. Zahlr. Arbeiten zur Erzählliteratur und zur Historischen Anthropologie des Mittelalters und der Frühen Neuzeit, insbes. zu Lachen und Komik: Lachgemeinschaften (hrsg. zus. mit H. R. Velten, 2005); Risus sacer, sacrum risibile (hrsg. zus. mit K. Gvozdeva, 2008). Dr. Mireille Schnyder Prof. für Ältere deutsche Literatur an der Universität Zürich. Zahlr. Arbeiten zur Poetik, Medialität und historischen Semantik der Literatur des Mittelalters und der Frühen Neuzeit. Publikationen: Topographie des Schweigens. Untersuchungen zum deutschen höfischen Roman um 1200, 2003; Liebesgaben, hrsg. zus. mit M. Egidi u. a., 2012.

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 Verzeichnis der Beiträger

Dr. Hans Rudolf Velten Prof. für Deutsche Literatur und Sprache des Mittelalters an der Universität Siegen. Publikationen zu Komik, Lachen und Spott in Mittel­ alter und Früher Neuzeit, z. B. Lachgemeinschaften (hrsg. zus. mit W. Röcke, 2005); derzeit: Scurrilitas. Die Komik des Körpers in Literatur und Kultur des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit (ersch. 2017).