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German Pages 382 [386] Year 2011
Der Künstler in der Gesellschaft
Hans Mielich: „Übergabe des Recht- und Freiheitenbuches der Freien Reichsstadt Regensburg“, 1536, Stadtarchiv Regensburg. Nach den Forschungsergebnissen von Benno Jakobus Walde (Trier) ist Albrecht Altdorfer als Dritter von links dargestellt.
Der Künstler in der Gesellschaft Einführungen zur Künstlersozialgeschichte des Mittelalters und der Frühen Neuzeit
herausgegeben von Andreas Tacke und Franz Irsigler in Zusammenarbeit mit Marina Beck und Stefanie Herberg
Umschlagabbildung: Hans Mielich: „Übergabe des Recht- und Freiheitenbuches der Freien Reichsstadt Regensburg“, 1536 (Ausschnitt). Umschlagentwurf: Peter Lohse, Heppenheim, nach einer Vorlage von Stefan Heinz.
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme. © 2011 by WBG (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt Redaktion: Christiane Häslein und Stefan Heinz Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der WBG ermöglicht. Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Printed in Germany Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de
ISBN 978-3-534-23959-7 Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich: eBook (PDF): 978-3-534-71398-1 eBook (epub): 978-3-534-71400-1
Inhalt ANDREAS TACKE UND FRANZ IRSIGLER Vorwort ...................................................................................................... 7 I. Ordnungen, Anwendung, Verstöße MARINA BECK Die Grundlage aller Dinge Die Zunftordnung der Seidensticker, Maler, Glaser, Bildhauer und Steinmetzen der Stadt Ingolstadt ........................................................ 10 MARINA BECK Der lange Weg zum Meister Formular eines Lehrbriefs und die Gesellenordnung der Maler, Glaser und Sattler in Münster .................................................................... 37 FREDERIKE MAURER Jakob Biermann, Chirurgensohn aus Speyer Unerwünschter Goldschmiedelehrling in Köln ......................................... 70 STEFANIE HERBERG UND ALINE SCHMITT Gottfried Amberger, Junggeselle in Augsburg Ohne Heirat keine Werkstatt ..................................................................... 84 LUISE M. STOPPEL Jörg Ratgeb, Hintersasse in Heilbronn Kein Bürger- und Meisterrecht durch Leibeigenschaft von Frau und Kindern .............................................................................. 105 HANS PETER BRANDT Kunstspionage des Prager Edelsteinschneiders Matthias Krätsch für Kaiser Rudolf II. in der Reichsherrschaft Oberstein ............. 119 II. Arbeitsfelder DANICA BRENNER Veit Stoß, Schöpfer des Bamberger Altares Vertragsabschluss, Visierung und Endprodukt ........................................ 138 DANIELA ANTONIA DRUSCHEL Conrad Faber von Creuznach und der Frankfurter Traghimmel Ein zweites Standbein neben der Porträtmalerei ...................................... 159 STEFAN HEINZ UND SANDRA OST Hans Ruprecht Hoffmann, Bildhauer in Trier Die Rechnung über die Herstellung des Petrusbrunnens ......................... 175
6 ANDREAS GEIS UND ANDREAS TACKE Werkstattproduktion eines Rotschmieds in Nürnberg Das Inventar der Katharina Amman ........................................................ 195 III. Privilegien, Besitz DANICA BRENNER Agnes Dürers Druckprivileg Zehn Jahre Schutz der Werkstattrechte Albrechts ................................... 214 MARINA BECK UND JENS JAKUSCH Lucas Cranach der Ältere Der Wittenberger Maler, Drucker, Immobilienbesitzer und Betreiber einer Monopolapotheke mit Weinausschank .................... 231 STEFANIE HERBERG Bartholomäus Bruyn der Ältere in Köln Der Kauf von Haus und Werkstatt Stefan Lochners ................................ 249 BENNO JAKOBUS WALDE Albrecht Altdorfer in Regensburg Testament und Nachlassinventar als Quellen zu Besitz und Hausrat des Künstlers ....................................................................... 262 IV. Krise, Tod, Nachleben STEFANIE HERBERG Der verfluchte Maler? Jörg Breu der Ältere und der Bildersturm in Augsburg ........................... LUCAS DEMBINSKY Tilman Riemenschneider im Bauernkrieg Langer Aufstieg und schneller Fall in Würzburg Legende und Wirklichkeit ....................................................................... IRIS HOFFMANN Im Schatten des großen Vaters Die Leichenpredigt zum Tod Lucas Cranachs des Jüngeren in Wittenberg ........................................................................................... JULIANE E. E. JÖHNK Der Nachlass des Nördlinger Malers Hans Schäufelin Die Atelierausstattung für den Sohn, die Auszahlung der Ehefrau und die Versorgung der Mündel ..........................................
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V. Abbildungen ...................................................................................... 351 Abbildungsverzeichnis ............................................................................ 383 Literaturabkürzungsverzeichnis ............................................................... 384
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Vorwort Wer von den Malern Albrecht Altdorfer, Lucas Cranach und Albrecht Dürer oder von dem Bildschnitzer Tilman Riemenschneider hört, denkt bei diesen herausragenden Künstlern nicht an enge Zunftordnungen. An Vorschriften, die haarklein den Weg der Ausbildung und später der Meisterprüfung vorgaben, aber auch die Führung der eigenen Werkstatt und letztendlich den Verkauf der Kunstwerke regelten. An Paragraphen, die vor dem privaten bzw. intimen Bereich ebenfalls nicht Halt machten, denn eine Ausbildung konnte damals nur erfolgreich zu Ende führen, wer in der Lehrzeit keusch gelebt hatte. Meister hingegen konnte man wiederum nur werden – und damit das Recht zur Führung einer eigenen Werkstatt erlangen –, wenn man zuvor in den Stand der Ehe getreten war. Das Buch will erstmals im Überblick eine Einführung zu dieser in Vergessenheit geratenen Seite des Künstlerdaseins der deutschen Spätgotik und der Renaissance geben. Warum durfte beispielsweise der Sohn eines Chirurgen nicht das Goldschmiedehandwerk in Köln erlernen? Wie wirkten sich der Bauernkrieg und die Reformation auf den Kunstmark und damit auf die Wirtschaft aus? Warum betrieb im kaiserlichen Auftrag ein Prager Edelsteinschneider in (Idar-)Oberstein Kunstspionage? Wie sah der Schutz des geistigen Eigentums nach dem Tod des Künstlers aus? Wie war die Versorgung seiner Kinder, wenn sie noch unmündig waren, geregelt? Worin unterschied sich die Beerdigung eines Künstlers von der seiner Mitbürger? Für den einführenden Überblick konzipiert will der vorliegende Sammelband ein Thema aufbereiten, welches eine Schnittmenge zwischen Geschichts- und Kunstwissenschaft bildet. Bisher wurde es, wenn überhaupt, allein aus fachdisziplinärem Blickwinkel betrachtet, so dass mitunter der Blick aufs Ganze verstellt blieb. Die beiden Herausgeber haben sich oftmals mit solchen Grenzfällen beschäftigt; als ihre Hochschullaufbahnen sie an der Universität Trier zusammenführten, griffen sie die Gelegenheit beim Schopf und loteten das Thema einmal aus historischer und kunsthistorischer Perspektive in einer gemeinsamen Lehrveranstaltung aus. Im SS 2006 fand das interdisziplinäre Seminar „Sozialgeschichte der Kunst und des Künstlers, der Künstlerin im Spätmittelalter und der Frühen Neuzeit“ statt. Am Ende des Semesters stand fest, dass hier ein Terrain betreten war, welches sich zu bearbeiten lohnte. Es gehört zu den Glücksfällen der universitären Lehre, wenn der Funke bei einem Forschungsthema überspringt, denn es hatte sich ein Kreis von Studierenden der Fächer Ge-
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Vorwort
schichte und Kunstgeschichte gefunden, die in einem Projektseminar das Thema nicht nur vertiefen sondern auch zu einer gemeinsamen Publikation reifen lassen wollten. Ein Jahr später, im SS 2007 wurden weitere Interessierte für das Projektseminar „Texte und Bilder zur Sozialgeschichte des Künstlers im Mittelalter und der Frühen Neuzeit“ gewonnen. Ziel war es, Fallbeispiele zu erarbeiten, welche in einem Sammelband Aufnahme finden sollten. Anfänglich war die Aufarbeitung des Themas anhand von Sekundärliteratur angestrebt, doch gelangten schon bald einige Beiträge über diese hinaus. Das Befragen der Primärquellen selbst und die Auseinandersetzung mit dem bisherigen Forschungsstand führten zu neuen Ergebnissen. Im Grundsatz will das vorliegende Buch aber einführen, ein systematischer Überblick ist nicht beabsichtigt. Hinweise zu weiterführender Literatur wurden so gehalten, dass sie die Wissensdurstige, den Wissensdurstigen weiterleiten – eine bibliographische Vollständigkeit hätte jedoch den selbstgesetzten Rahmen gesprengt. Zur Dynamik derartiger studentischer Projekte gehört, dass durch andere Studienverpflichtungen und akademische Abschlussarbeiten bzw. dem Start ins Berufsleben für die Manuskriptfertigstellung ein längerer Zeitraum eingerechnet werden muss und dass zum Schluss aus dem Kreis der Autorinnen und Autoren sich ein Redaktionsteam bildet, welches die zeitraubende Redaktion des Manuskriptes zu tragen hat. Im vorliegenden Fall haben Marina Beck M.A. und Stefanie Herberg diese vorgenommen. Blickt man an den Anfang zurück, dann haben wir für Auskunft, Hilfe und Ratschläge zu danken PD Dr. Dorothea Diemer (Gilching), Dr. Volker Henn (Trier), Dr. Manfred Huiskes (Köln), Dr. Annette Kranz (München), Dr. Claudia Lichte (Würzburg), Dr. Christof Metzger (Wien). Während der Bearbeitung haben uns zahlreiche Personen und Institutionen weitergeholfen, allen sei an dieser Stelle unser Dank ausgesprochen; namentlich sind sie in den Beiträgen erwähnt. Die Endredaktion des Druckmanuskriptes hat Frau Dr. Christiane Häslein bewerkstelligt; für seine Unterstützung danken wir Stefan Heinz M.A. Die Wissenschaftliche Buchgesellschaft hat dankenswerterweise den Titel in ihr Verlagsprogramm aufgenommen, der Satz wird Danica Brenner M.A. (Trier) verdankt; noch verbliebene Irrtümer gehen allein zu Lasten der Herausgeber. Das wir unser Buch bebildern konnten, verdanken wir einem Druckkostenzuschuss des Ministeriums für Bildung, Wissenschaft, Jugend und Kultur des Landes Rheinland-Pfalz; für ihr überaus freundliche Hilfe bei der Antragstellung danken wir dort Frau Kerstin Volk. Da dieses Buch auch als Grundlage für Lehrveranstaltungen konzipiert ist, wären wir dankbar, wenn uns Vorschläge für Verbesserungen zugehen würden. Andreas Tacke, Franz Irsigler
I. Ordnungen, Anwendungen, Verstöße
MARINA BECK
Die Grundlage aller Dinge Die Zunftordnung der Seidensticker, Maler, Glaser, Bildhauer und Steinmetzen der Stadt Ingolstadt 1. Der Künstler als Handwerker Die Kunst der perspectiff ich pur // Bericht bin / und Contrafactur // Dem Menschen ich mit farb kan gebn // Sein gstalt /als ob diß Bild thu lebn // Stätt / Schlösser / Wasser, Berg und Wäld // Ein Heer / sam lig ein Fürst zu Feld // Kan ich so eigentlich anzeygn // Als stehe es da Leibhafftig eign.1 Die zitierte Charakterisierung des »Handmalers« stammt aus dem im Jahr 1568 herausgegebenen Ständebuch von Jost Amman, in dem Hans Sachs insgesamt 114 Stände auff Erden / Hoher und Nidriger / Geistlicher vnd Weltlicher / Aller Künsten / Handwercken vnd Händeln / u. vom grösten biß zum kleinesten / Auch von jrem Ursprung / Erfindung vnd gebreuchen beschreibt.2 Der Beruf des Malers wird in diesem Ständebuch unterteilt in Buchmaler, Glasmaler und Handmaler, wobei mit Handmaler laut Beschreibung derjenige gemeint ist, welcher die Darstellung der Perspektive, die Porträtmalerei, Landschaftsmalerei und Historienmalerei beherrscht und somit der gängigen Vorstellung des Malers als Künstler entspricht, während der Buchmaler und der Glasmaler jeweils auf bestimmte Bildträger (Papier und Pergament bzw. Glas) spezialisiert sind. Dennoch zählt der (Hand-) Maler zu den Handwerkern und wird als solcher bei Hans Sachs aufgelistet.3 Als Handwerker war er im Mittelalter und der Frühen Neuzeit an eine Zunft gebunden, welche mittels der Zunftordnungen „erzieherische, religiöse, soziale, politische, polizeiliche und wirtschaftliche Funktionen“4 ausüb1 2
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AMMAN (1568) 2006, S. 51: Der Handmaler. Das Ständebuch wurde 1568 in Frankfurt am Main bei Georg Raben im Verlag Sigmund Feyerabend gedruckt und u. a. den Künstlern als Arbeitsmaterial auf dem Deckblatt empfohlen: Allen Künstlern aber / als Malern / Goldschmiden / u. zu sonderlichem dienst in Druck verfertigt. Ebd., S. 7, 239. Vgl. allgemein zum Malerhandwerk GATZ 1936; zum Malerhandwerk im deutschsprachigen Raum TACKE 2001a und TACKE 2001b. ENDRES 1996, S. 380.
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te. Damit erfasste die Zunft ganzheitlich sämtliche Bereiche des handwerklichen Lebens, zu denen neben dem Arbeitsplatz auch das Haus und die Familie zählten. Gebunden war der Handwerker an die Zunft durch den Zunftzwang. Darunter versteht man den verpflichtenden Eintritt in die Zunft, um in einer Stadt in einem bestimmten Handwerk arbeiten zu dürfen. Nur Mitgliedern der Zunft war es gestattet, innerhalb der Stadt das Handwerk auszuüben und ihre Waren zu verkaufen. Daher war es generell nicht möglich, ohne Eintritt in die Zunft in einer Stadt Fuß zu fassen. Eine freie Ausübung der Kunst gab es während des Mittelalters und der Frühen Neuzeit nicht. Die einzige Ausnahme, wie man als »Künstler« unabhängig von einer Zunft arbeiten konnte, war die, als »Hofhandwerker« bzw. »hofbefreiter Handwerker« für einen Hof tätig zu sein.5 Daher steckte die Zunft mit ihrer Zunftordnung für die überwiegende Anzahl der Künstler den alltäglichen Rahmen ihrer Beschäftigung ab, indem sie die Mitglieder reglementierte und bestrafte, aber auch beschützte und unterstützte. So kontrollierte und regulierte sie beispielsweise die Menge, Güte und Preise der Produkte, um jedem Zunftmitglied die Möglichkeit zu geben, sein Einkommen zu erwirtschaften. Mittels der Zunftkasse half sie bei Krankheit oder Arbeitslosigkeit und richtete Stiftungen zum Totengedenken ein. Ferner überwachte sie die Ausbildung der Lehrlinge, das Benehmen der Zunft-mitglieder und strafte den unlauteren Wettbewerb innerhalb der Zunft.6 Um die Arbeitsbedingungen des Malers im Mittelalter und der Frühen Neuzeit besser fassen zu können, wird daher als Beispiel die Ordnung der Seidensticker, Maler, Glaser, Bildhauer und Steinmetze vom 28. Februar 1564 aus Ingolstadt analysiert.
2. Quelle Zunftordnung der Seidensticker, Maler, Glaser, Bildhauer und Steinmetzen der Stadt Ingolstadt, ratifiziert am 28. Februar 1564 mit Nachträgen vom April des selben Jahres. Stadtarchiv Ingolstadt: A XIV 28 oder 23 (ohne Blattzählung) A XIV 28 = A XIV 132e Die Wiedergabe des von Andreas Tacke und Ursula Timann transkribierten Textes erfolgt in der Regel buchstaben- und zeilengetreu unter Beibehaltung der Groß- und Kleinschreibung (in Zweifelfällen wurde an die 5
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Zur Definition siehe Teil I von HAUPT 2007, S. 13–181; zum Zunftzwang allgemein ENGEL 1993, S. 155f. ENDRES 1996, S. 380–397.
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moderne Schreibweise angeglichen). Es wurde bewusst auf eine Vereinheitlichung verzichtet, um den »Rohzustand« des Textes beibehalten zu können; also keine Vereinheitlichung nach SCHULTZE, Johannes: Richtlinien für die äußere Textgestaltung bei Herausgabe von Quellen zur neueren deutschen Geschichte, in: Blätter für deutsche Landesgeschichte, Bd. 102, 1966, S. 1–10. Vgl. den früheren, z. T. entstellenden Abdruck bei Hans KUHN, in: Sammelblatt des Historischen Vereins Ingolstadt, Bd. 57, 1939, S. 131–135 Beilage 1 (dort verwendet Kuhn wie wir abweichend vom Original eine Nummerierung der Artikel). Ordnung / der seidenstickher, maller, glaser / pildthauer unnd stainmetzen, den / 28. tag Februarij nach Christi / unnsers lieben Herren geburt 1564 ten / jarr von ainem erbarn rath / (doch uff widerrueffen) / ratificirt unnd geben / worden. [1] Erstlich, wan ainer alhie uff den ietztgemelten / hanndtwerckhen maister werden will, der / soll ain ehelichen burts brief unnd lehrnbrief / haben, er seÿ dan ains maisters oder burgers / sohn alhie zue Inngolstat, welchen den maistern / wissentlich ist, daz er alhie gelehrnet hab, soll es / seinen weeg haben. [2] Item wan ainer uff den gedachten hanndtwerchen / maister worden ist, der soll in ain hanndtwerch geben / maisterrecht dreÿ pfundt pfenning und dreÿ pfundt / wachs oder für ain pfundt wachs zwenundtdreÿssig / pfenning. Darvon soll gemainer statt zwölff schil= / ling pfenning geben werden unnd die überigen zwölf / schilling pfenning dem hanndtwerch volgen. Sover / er aber aines maisters sohn oder heuratet zue ainer / wittfrauen oder maisters tochter, soll er ain pfundt / pfenning (doch das ain halbs pfundt pfenning / gemainer statt volgen) unnd ain pfundt wachs / geben unnd erlegen. [3] Item wann ainer maister worden ist uff den / gedachten hanndtwerchen, er seÿ ains maisters oder / burgers Sohn oder ain frembdter, so soll er den herrn / uff das haus zween emer geben. [4] Item es soll auch ain lehrbueb, so er uff den gedachten / hanndtwerchen lehrnen will, in gemelte hanndt= / werch bezalen ain pfundt pfenning und ain pfundt / wachs oder für das wachs zwenundtdreÿssig / pfenning geben, so er schon aines maisters sohn / were und nit beÿ seinem vatter lehrnet. [5] Item wann ain maister uff den genanten handt= / werchen ain junger annimbt, den soll er nit lenger / versuechen als vierzechen tag oder ufs lengst dreÿ / wochen. Welcher aber hierüber handlen würt, soll / umb ain pfundt wachs unableßlich gestrafft werden.
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[6] Item wann ain maister uff den gedachten hanndt= / werchen ain lehrbueben annimbt und nimbt zum / verdingen nit zween maister deß hanndtwerchs / darzue, oder dingt dan bueben ausserhalb aines er= / barn hanndtwerchs, der soll umb zwaÿ pfundt / pfenning ins hanndtwerch gestrafft werden, und / im verbotten sein, das er in zwaÿ jarrn kain lehr= / bueben annemmen darf. [7] Item wann der lehrnbueb seine jarr erströckht / unnd außgelehrnet hat, soll der maister gedachten / lehrbueben oder junger für ain erbar hanndtwerch / stellen, unnd ime seines redtlichen außlehrnens vor / ainem erbarn hanndtwerch freÿ, ledig zelen und / ime ain lehrnbrief geben. Doch soll ain erbar / hanndtwerch den lehrnbueben oder junger mit tauf / unnd zuenamen unnd von wannen er ist, auf= / schreiben, ob sichs zuetrieg, das er ainmal lehrnbrief / nottürfftig würt, das man ime möcht kundt= / schafft mitthailen unnd geben. [8] Item wann sich ain maister auf den vorgenanten / hanndtwerchen unndersteen wolt, und sein lehr= / bueben oder jungen, wan er außgelehrnt het, / nit fur ain erbar hanndtwerch stellen oder in ledig / vor ainem hanndtwerch sagen, wie es dann offt / geschehen und geschicht, soll derselbig maister umb / ain ganntz maistergelt, das ain maister halb / gemainer statt unnd halb in das hanndtwerch / geben solt, gestrafft unnd ime verbotten weren, / das er kainen lehrbueben nicht mehr lehrnen dürfft, / wie dan in dem sechsten articl auch gemelt. [9] Item es soll auch verbotten sein, auf obgenanten / hanndtwerchen ainen lehriungen nicht nechner zue= / lehrnen als umb gelt zwaÿ oder dreÿ jarr. Wan es / aber ain junger uff dem maler hanndtwerch / lehrnt unnd ain jarr umbs ander, soll er fünff / oder sechs jarr lanng lehrnen. Aber die pildthauer / auch uff dem glaser hanndtwerch ain jarr umbs / ander zuelehrnen, soll ainer vier oder fünff jarr / lehrnen. Wo es aber beÿ ainem maister anderst er= / funden würt, soll er nach rath aines hanndt= / werchs gestrafft werden. [10] Es ist auch uff dem maller hanndtwerch der / brauch, wan ain lehrbueb oder jung halbe Zeit / außgelehrnt hat, das der maister noch ainen / annemen darf. [11] Dieweil auch das conterfeen ain freÿe kunst ist, / solt es unverbotten sein, aber ander mallwerckh / gentzlich denen, so nit maister seÿen verbotten / sein. [12] Item es sollen auch zween der gemelten hanndt= / werchen zue kertzenmaistern erwölt werden, / dieselben ain jarr sein, unnd nach verscheinung / deß jarrs sollen sÿ rechnung thuen und darnach / ainen bleiben lassen und ainen anderen zue / demselben erwölen.
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[13] Item es sollen die zween Kerzenmaister vierboth / in ain hanndtwerch zue bietten macht haben wie / volgt. / Erstlich ain vierling Wachs oder acht pfenning dafür. / Anders both ain halb pfundt wachs oder sechzehen Pfenning / darfür. / Dritts both ain pfundt wachs oder zweeundtdreÿssig / pfenning dafür. / Vierts both beÿ aines hanndtwerchs straff ain / halbs pfundt pfenning. [14] Item Der Jungste Maister soll knecht sein bis / ain anderer Jung Maister würt. [13] Item es sollen die zween kertzenmaister vier both / in ain hanndtwerch zue bietten macht haben wie / volgt. / Erstlich ain vierling wachs oder acht pfenning darfür. / Anders both ain halb pfundt wachs oder sechzechen pfenning / darfür. / Dritts both ain pfundt wachs oder zweeundtdreÿssig / pfenning darfür. / Vierts poth beÿ aines hanndtwerchs straff ain / halbs pfundt pfenning. [14] Item der jungst maister soll knecht sein, biß / ain anderer jung maister würt. [15] Item es sollen die vier jungsten maister im handt= / werch verordnet sein, wan ain person deß hanndt= / werchs stirbt, es seÿ maister, frau, ledig oder unle= / dig, das sÿ es zue kirchen tragen sollen beÿ der / straff ains pfundt wachs, und die kertzen= / maister umbsagen lassen, auch der elter maister / die klag füehren. [16] Item wan ain hanndtwerch zuesam gefordert / ist, soll man ain uhr uffsetzen. Wan dieselb / außgelofen ist unnd ain maister darnach kombt, / soll er umb acht pfenning gestrafft werden. [17] Item es soll auch beÿ aim pfundt wachs verbotten / sein, das kainer mit kainer seittenwhör oder / hammer in ain hanndtwerch komm. Wo solcher / begriffen würt, soll er zue straff verfallen / sein ain halb pfundt wachs oder sechzechen pfenning. [18] Item es sollen auch die zween kertzenmaister / wen in aim handtwerch sich ain unwillen erheben / wolt bey ainem pfundt wachs fridt bietten. [19] Item es soll auch in ainem hanndtwerch Gotts / lestern, fluechen unnd schelten beÿ vier schilling / pfenning unnachleßlicher straff verbotten werden. [20] Item wo zwen einander im hanndtwerch schmeheten / unnd schedeten, sollen sy unablößlich umb vier / pfundt wachs gestrafft werden. Wo aber ehrn= / rüerische schmachwort beschehen, soll die straff / beÿ ainem ersamen rath steen. [21] Item wann ain maister dem anderen seinen / lehriungen oder gesellen verhetzt oder abspendig / macht, so dasselb uff inn mit wharhait er= /
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funden würt, soll unnachleßlich umb ain pfundt / pfenning unnd ain pfundt wachs gestrafft / werden. [22] Item es sollen auch beÿ ainem taller, halber / in die püchssen unnd halber gemainer statt / gehörig, nichts außgeschlossen, verbotten sein: wo / ainer dem anderen sein bauherren oder werckh= / man abschwetzt unnd verhindert durch finantz / oder meullfill; gleichsfals den mallern unnd / glasern soll es, wie gemelt, verbotten sein. / Wo aber ain erbar hanndtwerch solches erfürt / unnd ainer den anderen beclagt, das solches / whar gemacht wirdt, soll er der straff unab= / leßlich verfallen sein. [23] Item wann ainer uff den vorgenanten hanndt= / werchen sich unndersteen, er seÿ ledig oder burger, / der sich in ain hanndtwerch nit einkauffen, sonder / uff der steer alhie unnd dem burggeding ar= / baithen wolt, so man ine begriff an der arbaith, / alsdan solt ain erbar hanndtwerch macht haben / ime die arbaith sambt dem werchzeug zuenemen / unnd behalten, biß er vonn innen gestrafft / würt, auch die kertzenmaister sollens ainem / ersamen rath anzaigen, wie sÿ in erwüscht, / alß dan ainem ersamen rath die straff / gegen demselben bevor steen solle, derowegen / das stern ausser deß contrafeens, wie / gemelt, gentzlich verbotten sein. [24] Es soll auch den fuerleuthen das gleser / verkauffen auf der äxt alhie unverwerth / unnd unverbotten sein. [25] Item wan ain fuerman mit pleu oder farben / herkombt unnd dasselb zuverkauffen gedacht / weere, soll er solches den kertzenmaistern an= / zaigen und dan die kertzenmaister ainem / hanndtwerch ansagen lassen. Welcher dann / kauffen will, dem soll es bevor steen, doch so / sich ainer unndersteen wolt unnd an aines erbarn / hanndtwerchs wissen solche whar selbst kauffen, / soll umb vier schilling pfenning unnachleßlich gestrafft / werden. [26] Es sollen auch die reftrager, so lanndtgleser tragen, / im jarr nit öffter fail haben als dreÿ tag nach= / einander oder sonst im jarr, außgenommen die / zween jarrmerckht unnd zue Pfingsten. Wo ainer / weitter über solches begriffen würt, soll vonn / ainem ersamen rath dem hanndtwerch vergundt / sein7, doch solt das stanndtgelt, zween batzen, ge= / mainer statt zuesteen unnd volgen. [27] Item es soll auch in obgenanten hanndtwerchen / verbotten sein, wan ain maister uff dem hanndt= / werch schwetzt oder sagt, was darin gehandlet würt / soll unnachlößlich unnd [sic!] ain pfundt pfenning / gestrafft werden. 7
Hier fehlt ein Teil des Satzes. Aus der Ordnung von 1700, Artikel Nr. 27, geht hervor, dass das Handwerk bei besagter Übertretung berechtigt war, den Glashändlern die Gläser wegzunehmen. Für den freundlichen Hinweis danke ich Ursula Timann.
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[28] Letztlich soll ain ieder, der maister werden will, / seine maisterstuckh nach aines ersamen raths / guetachten, machen. Den Gottsdienst betreffendt [29] Erstlich soll man an S. Lucas tag, als deß hanndt= / werchs haubther unnd furbitter, das fest zue halten / mit gesungnem ambt, auch die argl geschlagen / werden in der obern pfarr zue Unnser Lieben / Frauen, wie christlicher brauch ist, darzue den / maistern offtgedachtes hanndtwerchs gesagt, / unnd wellicher nit erscheint, umb acht pfenning / gestrafft werden. [30] Item an den vier cottembern soll man ain ambt / lassen singen, allen glaubigen seelen und die aus / disem offtgenanten hanndtwerchen verschiden / sein, zue lob unnd ehr. Es soll auch den maistern / durch die kertzenmaister beÿ acht pfenning straff / angesagt werden. [31] Item es soll auch alle quottember ain maister / für inn unnd sein hausfrau geben vier pfenning. [32] Item wan ain personn aus den offtgenanten handt= / werchen stirbt, soll man es besingen lassen aus / der büchssen; so aber ain lediger gesell stirbt, soll / man ine gleichsfals besungen. [33] Item wan ainer ain erbar hanndtwerch so schwach / unnd krannckh und deß hanndtwerchs ist, umb aine / zörung beth, soll ime auß der büchssen vermög / derselbigen etwas gegeben werden. 1564 [34] Die maisterstuckh der maller sollen sein ain / zimblich tafelgemel oder sonst ain kunststuckh / nach guethaissen aines erbarn raths unnd der / maister diser zunfft. [35] Die maisterstuckh der glaser, dieweil 4 / rem beÿ gemainer statt hinttergeben / sein, sollen auß denselben von ainem ieden / nach rath aines erbarn raths unnd der maister / 2 gemacht werden. [36] Adi den 20. Aprilis A° etc. 64 ist vonn ainem / erbarn rath zwischen den stainmetzen unnd / maurern abschidtlich erkent worden, das die / maurer sollen der grabstain, geschrifften, / wappen, pilder unnd dergleichen gentzlich / müessig steen, aber thürgerist, fenster, / trögen solt innen vergundt sein, es soll sich auch / stainmetz in gebürlichem tax ohnverweisen= / lich halten oder einsehung beschehen. [37] Item so ain maister seinen lehriunger oder bueben / zue hart halten wolt, das er es nit erleiden / kundt, solt der lehriunge seinen maister be= / clagen vor ainem erbarn hanndtwerch, so soll / alßdann nach rath des hanndtwerchs darüber / gehandlet werden.
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[38] Weitter, so sÿ [sic] aber ain bueb unndersteen wolt / unnd ohn alle uhrsach weckhzuelauffen vorhabens, / so man in aber widerumb eindedingen wolt, / soll er zue straf geben zwaÿ pfundt wachs. Ob / aber ain maister ainen bueben wolt hinweckh / ine etwas bezichtigen, des sich nit erfinden würt / unnd ine an wharer that nit ergriffen het, / so soll derselbig maister umb ain pfunndt / pfenning, halbs in die puchssen und halbs ge= / mainer statt gehörig, gestrafft werden / unnd ime verbotten sein, in zwaÿ jarrn / kainen bueben mehr anzuenemen oder zue / halten. (Übertragung ins Neuhochdeutsche8) Ordnung der Seidensticker, Maler, Glaser, Bildhauer und Steinmetzen, gegeben und ratifiziert am 28. Tag im Februar 1564 nach der Geburt unseres lieben Herrn Christus, von einem ehrbaren Rat (vorbehaltlich des Widerrufs) (1) Erstens wenn hier einer in den hier genannten Handwerken Meister werden will, soll er einen Brief über seine eheliche Geburt und einen Lehrbrief haben, es sei denn, er ist eines Meisters oder Bürgers Sohn aus Ingolstadt, von dem den Meistern bekannt ist, dass er hier gelernt hat, dann soll er seinen Weg gehen. (2) Wenn einer in den gedachten Handwerken Meister geworden ist, soll er an die Zunft für das Meisterrecht drei Pfund Pfennige und drei Pfund Wachs oder für ein Pfund Wachs zweiunddreißig Pfennige geben. Davon soll an die Stadtgemeinde zwölf Schilling Pfennige und die übrigen zwölf Schilling Pfennige der Zunft gegeben werden. Wenn er aber eines Meisters Sohn ist, die Witwe oder Tochter eines Meisters geheiratet hat, soll er ein Pfund Pfennige (von dem ein halbes Pfund an die Stadt zu geben ist) und ein Pfund Wachs geben und zahlen. (3) Wenn einer in den gedachten Handwerken Meister geworden ist, er sei eines Meisters oder Bürgers Sohn oder ein Fremder, so soll er den Herren auf das Haus (Rathaus) zwei (lederne Feuerlösch-) Eimer geben. (4) Wenn ein Lehrling in den gedachten Handwerken lernen will, bezahlt er in das benannte Handwerk ein Pfund Pfennige und ein Pfund Wachs oder für das Wachs zweiunddreißig Pfennige, auch wenn er der Sohn eines Meisters ist und nicht bei seinem Vater lernt. (5) Wenn ein Meister einen Lehrling für die genannten Handwerke annimmt, soll er diesen nicht länger zur Probe behalten als vierzehn Tage und längstens drei Wochen. Wer aber dagegen verstößt, der soll ein Pfund Wachs ohne Nachlass als Strafe zahlen. 8
Für ihre Hilfe bei der Klärung von einzelnen Fragen danken wir Dr. Beatrix Schönewald, Stadtmuseum Ingolstadt.
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(6) Wenn ein Meister in den gedachten Handwerken einen Lehrling annimmt und zum Vertragsabschluss nicht zwei Meister der Zunft als Zeugen nimmt oder den Vertrag abschließt, ohne die Zunft zu beteiligen, soll er zur Strafe zwei Pfund Pfennige an die Zunft zahlen und es soll ihm verboten werden, in den nächsten zwei Jahren einen Lehrling anzunehmen. (7) Wenn ein Lehrling seine Lehrjahre zu Ende geführt und ausgelernt hat, soll der Meister den benannten Lehrling oder Lehrjungen vor dem ehrbaren Handwerk präsentieren und ihm das redliche Auslernen vor der ehrbaren Zunft bestätigen, dass er frei und ledig ist, und ihm einen Lehrbrief geben. Zudem soll die ehrbare Zunft den Lehrling mit Tauf- und Zunamen und woher er stammt aufschreiben, für den Fall, dass der Lehrling einen [neuen] Lehrbrief benötigt und man über ihn Auskunft erteilen möchte. (8) Wenn ein Meister aus den genannten Handwerken sich unterstehen will, seinen Lehrling oder Lehrjungen, wenn er ausgelernt hat, nicht vor dem ehrbaren Handwerk zu präsentieren oder ihn freizusprechen, wie es denn so oft geschehen ist und geschieht, soll derselbige Meister ein ganzes Meistergeld, das ein Meister halb der Stadt und halb der Zunft zu geben hat, als Strafe zahlen und ihm verboten werden, einen Lehrling anzunehmen, wie es im sechsten Artikel auch steht. (9) Zudem soll es auch verboten sein in den oben genannten Handwerken, einen Lehrjungen kürzer als zwei oder drei Jahre gegen Geld auszubilden. Wenn aber ein Lehrjunge das Malerhandwerk ein Jahr ums andere lernt, soll er 5 oder 6 Jahre lang lernen. Aber die Lehrlinge der Bildhauer und die Glashandwerker sollen ein Jahr ums andere 4 oder 5 Jahre lernen. Wo es aber bei einem Meister anders gefunden wird, soll er nach Rat (= Beschluss) des Handwerks gestraft werden. (10) Es ist auch Brauch im Malerhandwerk, dass ein Meister einen zweiten Lehrling oder Lehrjungen annehmen darf, wenn der Erste die Hälfte seiner Zeit ausgelernt hat. (11) Weil auch die Porträtmalerei eine freie Kunst ist, soll sie nicht verboten werden. Aber alles andere an Malerei ist denen, die nicht Meister sind, gänzlich verboten. (12) In den genannten Handwerken sollen auch zwei zu Kerzenmeistern gewählt werden, welches sie für ein Jahr sein sollen; und nach Ablauf des Jahres sollen sie die Rechnung legen und danach sollen sie einen der beiden bleiben lassen und einen zweiten dazu wählen. (13) Die Kerzenmeister sollen die Macht haben, folgende vier Bußen in der Zunft zu verhängen: Erstens ein Viertel Pfund Wachs oder stattdessen acht Pfennige. Zweite Buße: ein halbes Pfund Wachs oder stattdessen sechzehn Pfennige. Dritte Buße: ein Pfund Wachs oder stattdessen zweiund-
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dreißig Pfennige. Vierte Buße: bei der Strafe durch das Handwerk ein halbes Pfund Pfennige. (14) Der jüngste Meister soll der Knecht sein, bis ein anderer Geselle Meister wird. (15) Die vier jüngsten Meister in der Zunft sollen verpflichtet sein, wenn eine Person aus der Zunft stirbt, sei es Meister, Frau, ledig oder unledig, diese zur Kirche zu tragen, bei der Straf[androhung] von einem Pfund Wachs. Zudem sollen die Kerzenmeister die Nachricht bekannt geben und der älteste Meister die (Toten-) Klage führen. (16) Wenn eine Sitzung der Zunft einberufen wird, soll eine (Sand-) Uhr aufgestellt werden. Wenn diese (d. h. der Sand) ausgelaufen ist und ein Meister erst danach kommt, soll er mit acht Pfennigen gestraft werden. (17) Es soll bei einem Pfund Wachs verboten sein, dass jemand mit einer Seitenwehr oder Hammer [zur Versammlung] der Zunft kommt. Wenn einer hierbei aufgegriffen wird, soll er zur Strafe ein halbes Pfund Wachs oder sechzehn Pfennige zahlen. (18) Zudem sollen die zwei Kerzenmeister, wenn während der Versammlung des Handwerks Streitigkeiten ausbrechen, bei einem Pfund Wachs Strafe Frieden gebieten. (19) Es soll auch in der Zunft das Gotteslästern, Fluchen oder Schimpfen mit vier Schilling Pfennigen nicht nachzulassender Strafe verboten werden. (20) Zudem wenn zwei sich innerhalb des Handwerks schmähen oder schelten, sollen sie unablöslich zur Strafe vier Pfund Wachs zahlen. Wenn aber ehrenrührige Schmähworte fallen, soll die Bestrafung einem ehrsamen Rat zustehen. (21) Wenn ein Meister einem anderen dessen Lehrling oder Gesellen gegen ihn aufhetzt oder abspenstig macht, sofern dasselbe bei ihm mit Wahrheit erfunden wird, soll er unablöslich als Strafe ein Pfund Pfennige und ein Pfund Wachs zahlen. (22) Es soll auch bei einem Taler, halb in die (Zunft-) Büchse und halb an die Stadtgemeinde gehörig, ohne Ausnahme verboten sein, dass einer dem anderen seinen Bauherrn [Architekten] oder Bauhandwerker abschwatzt und durch Geld oder (Naturalien-) Geschenke am arbeiten hindert. Auch den Malern und Glasern soll dies, wie gemeldet, verboten sein. Wo aber die ehrbare Zunft solches erfährt und einer den anderen anklagt, dass solches vorgekommen ist, soll er der Strafe ohne Nachlass verfallen sein. (23) Wenn sich einer aus den vorgenannten Handwerken untersteht, er sei ledig oder Bürger, der sich nicht in das Handwerk hat einkaufen wollen,
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stattdessen hier und innerhalb der Bannmeile9 auf der Störr (als Schwarzarbeiter) zu arbeiten, und wenn man ihn bei der Arbeit aufgreift, dann soll die ehrbare Zunft die Macht haben, ihm die Arbeit und das Werkzeug zu nehmen und zu behalten, bis er von ihnen gestraft worden ist. Die Kerzenmeister sollen dies dem ehrsamen Rat melden, wie sie ihn erwischt haben; alsdann soll es dem ehrsamen Rat zustehen, die Strafe über denselben zu verhängen. Deswegen ist die Störarbeit mit Ausnahme des Porträtmalens, wie gemeldet, gänzlich verboten. (24) Es soll auch den Fuhrleuten das Glas auf der Achse (d. h. vom Wagen) zu verkaufen gewährt und nicht verboten werden. (25) Wenn ein Fuhrmann mit Blei oder Farben ankommt und diese hier verkaufen möchte, soll er dies zuerst den Kerzenmeistern anzeigen und dann von den Kerzenmeistern in der Zunft bekannt geben lassen. Wenn dann einer kaufen will, dem soll es erlaubt sein. Doch wenn sich einer unterstehen will und ohne das Wissen des ehrbaren Handwerks solche Ware selbst aufkauft, soll er mit 4 Schilling Pfennigen unerlässlich gestraft werden. (26) Es sollen auch die Reffträger (Hausierer, Korbträger), die Landgläser10 tragen, ihre Waren im Jahr nicht häufiger als drei Tage hintereinander und auch sonst nicht im Jahr feil halten, ausgenommen die zwei Jahrmärkte [im Mai und im September] und zu Pfingsten. Wenn einem darüber hinaus Glasverkauf nachgewiesen wird, soll [die Buße] von einem ehrsamen Rat dem Handwerk vergönnt sein. Aber das Standgeld, zwei Batzen, soll der Stadtgemeinde zustehen11 und bezahlt werden. (27) Es soll auch den Meistern aus den oben genannten Handwerken verboten sein zu sagen, was im Handwerk [in der Versammlung] geredet oder verhandelt wird, und das soll ohne Nachlass gestraft werden mit einem Pfund Pfennigen. (28) Letztlich soll ein jeder, der Meister werden will, ein Meisterstück nach eines ehrsamen Rates Gutachten machen. Den Gottesdienst betreffend (29) Erstens soll am Sankt Lukas Tag [am 18. Oktober], dem Tag des Hauptherren und Fürbitters des Handwerks, ein Fest [Gottesdienst] in der Oberen Pfarrkirche zu Unser Lieben Frauen gehalten werden mit einem 9
Gemeint ist der Rechtsbereich der Stadt, der sich auch über die Stadtmauer hinaus erstrecken kann. 10 Gemeint sind Gläser aus ländlicher Produktion, also Gläser, die außerhalb der städtischen Zunftkontrolle entstanden sind. 11 Das Standgeld betrug 2 Batzen = 8 kr. (Kreuzer) = 32 d (Pfennige); gerechnet wird hier 1 fl. = 15 Batzen = 6 kr. = 240 d.
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gesungenen Amt, bei dem auch die Orgel gespielt wird, wie es christlicher Brauch ist. Dazu sollen die Meister des oft genannten Handwerks aufgerufen werden und wer nicht erscheint, muss 8 Pfennige Strafe zahlen. (30) An den vier Quatembern12 soll man ein Amt singen lassen, allen gläubigen Seelen und dem aus den oben genannten Handwerken Verstorbenem zu Lob und Ehre. Auch dies soll den Meistern durch die Kerzenmeister angesagt werden und bei acht Pfennigen Strafe [für das Fernbleiben]. (31) An jedem Quatember soll ein Meister für sich und seine Hausfrau vier Pfennige geben. (32) Wenn eine Person aus den oft genannten Handwerken stirbt, soll man sie aus der Büchse des Handwerks besingen lassen. Wenn aber ein lediger Geselle stirbt, soll man ihn gleichfalls besingen. (33) Wenn einer, ein ehrbarer Handwerker, der schwach und krank ist und zur Zunft gehört, um eine Zehrung [Unterstützung] bittet, soll ihm diese aus der Büchse bezahlt werden, wenn aus dieser gegeben werden kann. 1564 (34) Das Meisterstück der Maler soll ein geziemendes (großes) Tafelgemälde sein oder sonst ein Kunststück nach Gutheißen eines ehrbaren Rates und der Meister dieser Zunft. (35) Die Meisterstücke der Glaser sollen, nachdem vier Muster bei der Stadt hinterlegt worden sind, nach diesen gemacht werden, und zwar sollen aus denselben von jedem nach Vorgabe eines ehrbaren Rats und der Meister zwei ausgeführt werden. (36) Im Jahre des Herrn 1564 am 20. April wurde von einem ehrbaren Rat zwischen den Steinmetzen und den Maurern entschieden, dass die Maurer Grabsteine, Inschriften, Wappen, Bilder und dergleichen nicht herstellen dürfen, nur Türgerüste, Fenster und Tröge sollen ihnen vergönnt sein. Es soll sich auch jeder Steinmetz unaufgefordert an diese Taxe nachweislich halten oder Einblick gewähren. (37) Wenn ein Meister seinen Lehrjungen oder Buben zu hart behandelt, so dass dieser das nicht aushalten kann, soll der Lehrjunge beim ehrbaren Handwerk seinen Meister anklagen. So soll alsdann nach Rat der Zunft damit verfahren werden.
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Mit Quatember (von lat. ieiunia quattuor temporum, vier nüchterne = Fastzeiten) bezeichnet man die viermal im Jahr stattfindenden Bußtage im Kirchenjahr; ihre Terminierung fällt ungefähr mit dem Beginn der vier Jahreszeiten zusammen: Weihnachten, Fasten, Pfingsten und Michaelis.
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(38) Wenn sich aber der Lehrling untersteht, ohne jeden Grund weglaufen will, und man ihn aber wieder einstellen will, soll er zur Strafe zwei Pfund Wachs zahlen. Wenn aber ein Meister einen Buben loswerden will und ihn einer Sache bezichtigt, die sich nicht nachweisen lässt, und ihn auch nicht wirklich bei dieser Tat ergriffen hat, so soll derselbe Meister um ein Pfund Pfennige gestraft werden, wovon die Hälfte der Büchse des Handwerks und eine der Stadt zusteht; und es soll ihm verboten werden, in den kommenden zwei Jahren einen Lehrling anzunehmen oder zu halten.
3. Analyse der Quelle Die Ordnung der seidensticker, maler, glaser, bildhauer und steinmetzen von 1564 gliedert sich in insgesamt 38 Artikel und umfasst im Original 17 Seiten. Die Quelle beginnt mit Titel, Datierung und dem Verweis, dass die Ordnung von einem ehrbaren Rat ratifiziert wurde, vorbehaltlich eines möglichen Widerrufs. Eine abschließende Bestätigung der Quelle mit einer entsprechenden Mitteilung, dass der Text in Ingolstadt aufgesetzt und von verschiedenen Zeugen beglaubigt worden ist, fehlt und wurde erst 1583 ergänzt. Der Nachtrag von 1583 umfasst neben einer kurzen Einleitung vier ergänzende Artikel und schließt mit dem entsprechenden Hinweis auf das Inkrafttreten der Zunftordnung in Ingolstadt. Diese Ergänzung stammt anscheinend von demselben Schreiber wie die auf das Jahr 1564 datierte Quelle.13 In den Jahren 158814 und 160415 wurde die Ordnung erneut erweitert. Die Artikel befinden sich jeweils in einer anderen Handschrift auf einem gesonderten Blatt, das dem Original beigelegt wurde. Sie befassen sich jedoch nicht mit den Malern, sondern stellen Ergänzungen zu den Zunftstatuten der Bildhauer und Glasmaler dar. Im Jahre 1700 wurde die Ordnung noch einmal abgeschrieben und ergänzt. Sie umfasst im Original 18 Seiten und beschreibt in einer kurzen Einleitung die Notwendigkeit eines erneuten Aufsetzens der Handwerksordnung von 1564. Es wird darauf hingewiesen, dass sich, wie in anderen Zünften Ingolstadts auch, in der 13
Stadtarchiv Ingolstadt A XIV. 23: es handelt sich hierbei um Ergänzungen, die sich mit der Muthzeit der Maler und Bildhauer vor Ort befassen, sowie weitere Definitionen zur Abgrenzung der Schreiner von den Bildhauern und der Maurer von den Steinmetzen geben. 14 Ebd.; die Ergänzung von 1588 umfasst nur eine knappe halbe Seite; sie beschäftigt sich mit den Glasmalern. 15 Stadtarchiv Ingolstadt A XIV. 28. Es handelt sich hierbei um eine knappe halbe Seite und beschäftigt sich mit der Aufnahme von mittellosen Lehrjungen ins Handwerk.
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Zunft allerhand Unordnungen ereignet haben. Diese sollen durch das erneute Aufschreiben der Ordnung abgestellt werden, mit dem ausdrücklichen Verweis, dass alle Meister und Gesellen, so derzeit in Arbeit allhier stehen oder anher kommen und arbeiten wollen, sich an diese zu halten haben, da sie ansonsten durch die teils hierin gesetzten, teils anderer Strafen, so nach Gestaltsame des Verbrechens bestraft werden. Ansonsten handelt sich bei der Ordnung von 1700 im Wesentlichen um die von 1564 mit einigen Ergänzungen, welche die Dauer der Lehre (Abarbeiten des Lehrgeldes), die Abgrenzung der verwandten Handwerke der Schreiner und Bildhauer und das Meisterstück (Anfertigung, Bewertung durch den Rat) betreffen. Nun wird aber darauf hingewiesen, dass die Ordnung künftig einmal im Jahr verlesen werden soll, damit sie jedem bekannt ist und sich keiner den Regeln aufgrund von Unwissenheit entziehen kann. Dieser Zusatz lässt die Problematik des Nichteinhaltens der vorangegangenen Ordnung erkennen.16 Der Titel der Zunftordnung verweist darauf, dass es sich hierbei um einen Zusammenschluss mehrerer Handwerke handelt, da jedes einzelne Handwerk für sich zu klein war, eine eigene Zunft zu bilden; denn in Ingolstadt gab es im Jahr 1558 genau 4.548 Einwohner.17 Der Begriff »Zunft« wird in der vorliegenden Quelle allerdings nicht verwendet. In der Ordnung selbst wird von den Handwerken gesprochen, was alle aufgezählten Handwerke gemeinsam meint und terminologisch der Zunft als gewerblichem Zusammenschluss entspricht.18 In manchen Fällen wird nur von dem Handwerk gesprochen, was entweder ebenfalls die Zunft als Ganzes meint oder eines der jeweiligen Handwerke, da zu manchen Handwerken Einzelbestimmungen vorliegen, welche an gegebener Stelle genannt werden. Die Handwerksordnung ist nur in begrenztem Maße thematisch gegliedert. Sie umfasst im Wesentlichen die Aspekte der Meisterprüfung und Meisterwerdung (Artikel 1–3, 28, 34, 35), der Ausbildung der Lehrjungen (Artikel 4–10, 37, 38), der Verwaltung und Organisation der Zunft (Artikel 12–22, 27, 31–33), der Abgrenzung der Zunft nach außen (Artikel 23 – 26, 36) und den Gottesdienst (Artikel 29–30) sowie einen Artikel, welcher die Porträtmalerei als freie Kunst deklariert (Artikel 11); damit werden die wichtigsten Punkte einer Handwerksordnung behandelt.
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Ebd.; KUHN 1939, S. 135. KOLLER / HOFMANN 1974, S. 272. 18 In der Übersetzung der Quelle wurde an den entsprechenden Stellen das Wort Zunft benutzt; zur Problematik der Terminologie der Zunft siehe IRSIGLER 1985, S. 68–70. 17
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4. Die Ausbildung in der Zunft: Vom Lehrling zum Meister Die Zunftordnung enthält genaue Bestimmungen zur Ausbildung der Lehrjungen19 in ihren gewählten Berufen.20 Die Lehrlinge mussten, um in die Zunft aufgenommen zu werden, ein Einstandsgeld von einem Pfund Pfennigen und einem Pfund Wachs zahlen (Artikel 4).21 Der Meister konnte nun den Lehrling zur Probe zwei bis drei Wochen beschäftigen und anschließend entscheiden, ob er bereit war, diesen auszubilden (Artikel 5). Hielt der Meister diese Frist nicht ein, wurde er mit der Bezahlung einer Strafgebühr abgemahnt. Entschied der Meister sich für die Ausbildung des Lehrlings, hatte er die Pflicht, diesen vor zwei Mitgliedern der Zunft als Zeugen in die Zunft aufzunehmen und einen Vertrag mit ihm abzuschließen. Der Lehrling wurde anschließend in das Zunftbuch eingetragen. Dieses Aufnahmeritual wurde »Aufdingen« (verdingen) genannt und bezeugte den Übertritt des Auszubildenden in die Zunftgemeinschaft.22 Stellte der Meister seinen Lehrling nicht der Zunft vor, musste er als Strafe zwei Pfund Wachs zahlen und durfte für die nächsten zwei Jahre keine Lehrlinge mehr aufnehmen (Artikel 6). Mittels dieser Bestimmung sollte verhindert werden, dass der Lehrling keine rechtmäßige Ausbildung erhielt, die ihm entweder von einem Handwerker erteilt wurde, welcher nicht Mitglied der Zunft war, oder die ohne das Wissen der Zunft vorgenommen wurde. Die Bezeugung der Lehre durch die Zunft war notwendig, da diese mittels des Zunftbuches den Nachweis führte, dass der Lehrling seine Ausbildung in Ingolstadt ordnungsgemäß absolviert hatte. Des Weiteren wurde die Ausbildungsdauer der Lehrlinge je nach Handwerk begrenzt. Die Seidensticker und Steinmetze sollten zwei bis drei Jahre, die Glaser und Bildhauer vier bis fünf Jahre und die Maler fünf bis sechs Jahre in der Lehre verbringen (Artikel 9). Demzufolge bildeten die Maler von den genannten Handwerken ihre Lehrlinge am längsten aus. Die Malermeister konnten einen neuen Lehrling aufnehmen und ausbilden, wenn der erste Lehrjunge die Hälfte seiner Lehrzeit absolviert hatte (Artikel 10). Eine Zuwiderhandlung des Meisters gegenüber diesen Bestimmungen hatte Strafzahlungen in unterschiedlicher Höhe zur Folge, welche von der Zunft festgelegt und eingezogen wurden. 19
Bei den Auszubildenden handelt es sich im Alten Reich im Malerberuf nur um Jungen, Mädchen waren von der Ausbildung ausgeschlossen. Zu den »Freiräumen« der Künstlerinnen siehe am Beispiel Nürnbergs LUDWIG 1998. 20 Zu den Lehrlingen siehe allgemein SCHLENKRICH 1995 und meinen Aufsatz zu Münster in Westfalen in diesem Band. 21 In Ingolstadt wurde das Pfund zu 8 Schilling à 30 Pfennigen gerechnet. 22 ENDRES 1996, S. 384.
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Während der Ausbildungszeit lebte und arbeitete der Lehrling bei seinem Meister; er zahlte ein Lehrgeld an seinen Ausbilder, dieser gewährte ihm hierfür Kost und Logis in seinem Haus.23 Wenn der Meister seinen Pflichten bezüglich der Unterbringung oder der Ausbildung nicht angemessen nachkam oder den Lehrling schlecht behandelte und seine Sorgfaltspflicht vernachlässigte, hatte dieser die Möglichkeit, die Zunft zu informieren und den Meister anzuklagen (Artikel 37). Der Rat der Zunft beriet dann und entschied über die Vorwürfe. Zudem durfte der Meister nicht versuchen, seinen Lehrjungen durch erfundene üble Nachrede zu diffamieren und ihn dadurch aus der Ausbildung zu entlassen. Konnte ihm dies nachgewiesen werden, wurde es dem Meister verboten, innerhalb der nächsten zwei Jahre einen neuen Lehrling anzunehmen, und er musste ein Pfund Pfennige als Strafe zahlen. Der Lehrling hingegen durfte nicht weglaufen, wenn ihm die Arbeitsbedingungen untragbar erschienen. Fühlte er sich ungerecht behandelt, musste er eine Klage führen oder die Ausbildung beenden. Wenn er jedoch weglief und dann wieder als Lehrling vertraglich gebunden wurde, hatte er eine Strafe zu zahlen (Artikel 38).24 Ebenso wie der Beginn der Ausbildung musste auch das Ende derselben vor der Zunft bezeugt und in die Zunftbücher eingetragen werden (Artikel 7–8). Zu diesem Zweck sprach der Meister den ausgelernten Lehrling vor der Zunft frei und bestätigte ihm dadurch, dass er das Handwerk erlernt hatte. Der Übergang vom Lehrling zum Gesellen war demnach ein formaler Akt, welcher zeremoniell begangen wurde und nicht an die Anfertigung eines Äquivalents zum heutigen Gesellenstück geknüpft war. Während dieser Handlung erhielt der Lehrjunge seinen Lehrbrief. Der Name des Lehrlings wurde anschließend mit Tauf- und Zunamen sowie Herkunftsort in die Zunftbücher eingetragen. Dadurch war es der Zunft möglich, dessen Ausbildung in dem jeweiligen Beruf zu bestätigen, falls sich auswärtige Meister in Ingolstadt über den ehemaligen Lehrjungen erkundigen wollten. Dies war bisweilen erforderlich, wenn ein ehemaliger Lehrling in einer anderen Stadt Meister werden wollte oder der Lehrling selbst eine Kopie 23
Im Deutschen Reich war es üblich, Lehrgeld zu zahlen; am Beispiel Münchens siehe LIEDKE 1980, S. 120. Die Lehrzeit der Lehrlinge verlängerte sich, wenn der Lehrling bzw. dessen Eltern / Vormund bei Lehrantritt nicht in der Lage waren, das Lehrgeld für den Auszubildenden zu zahlen. 24 Der Rat der Zunft bzw. das Zunftgericht beschäftigten sich vornehmlich mit gewerblichen und genossenschaftlichen Vergehen (z. B. kleinere Kriminaldelikte wie Diebstahl, Körperverletzung, Beleidigung, Meineid usw.), aber auch dem Verdacht von Fälschungen bzw. bewusster Verschlechterung der Waren und mit sittenwidrigen Vergehen (Verschwendung, Müßiggang, unsittlicher Lebenswandel). Alle weiteren Streitigkeiten wurden dem Stadtrichter oder Stadtrat vorgetragen; ROTH 1981, S. 46–48.
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seiner Papiere benötigte. Durch die Maßnahme des Ein- und Ausschreibens war es möglich, eine überprüfbare Qualität der Ausbildung in den Handwerksberufen zu erzielen, welche von den Zünften anderer Städte und deren Meistern akzeptiert wurde. Auf die anschließende Gesellenzeit, während der die Gesellen sich in verschiedenen Städten um Arbeit bemühten, um ihre Ausbildung zu vervollkommnen, finden sich in der Handwerksordnung von Ingolstadt keine Hinweise.25 Gesellen, welche nach Abschluss ihrer Wanderschaft in Ingolstadt Meister werden wollten, mussten verschiedene Bedingungen erfüllen. Hierzu waren der Nachweis der ehelichen Geburt, ein Lehrbrief (Artikel 1), die Bezahlung des Meistergeldes (Artikel 2), die Anschaffung zweier Feuerlöscheimer (Artikel 3) sowie die Anfertigung eines Meisterstücks (Artikel 28, 34–35) von Nöten. Die Bescheinigungen der ehelichen Geburt und der abgeschlossenen Lehre waren unabdingbar für den Meisterstand und wurden entweder durch den Gesellen selbst nachgewiesen oder durch eine Nachfrage bei der Zunft, in welcher er seine Lehre verbracht hatte, überprüft. Nur wenn der Geselle ursprünglich aus Ingolstadt stammte und den dortigen Meistern bekannt war, wurde auf eine entsprechende Bestätigung verzichtet. Bevorzugt wurden zudem jene Gesellen, die Meistersöhne oder entweder mit der Witwe eines Meisters oder dessen Tochter verheiratet waren. Sie durften als Einstandsgebühr in die Zunft nur ein Drittel dessen zahlen, was die anderen Gesellen aufbringen mussten. Die unverheirateten Gesellen, welche nicht Meistersöhne waren, hatten drei Pfund Pfennige und drei Pfund Wachs zu zahlen oder alternativ für ein Pfund Wachs 32 Pfennige, während die verheirateten Gesellen oder die Meistersöhne nur ein Pfund Pfennige und ein Pfund Wachs zu bezahlen hatten. Das Einstandsgeld floss zur Hälfte der Zunft und zur Hälfte der Stadtgemeinde zu. Im Gegensatz zur Einstandszahlung gab es bei der Anfertigung des Meisterstücks keinerlei Bevorzugung für die Meistersöhne und die verheirateten Gesellen. Die Bedingungen für die Herstellung eines Meisterstücks wurden nach Handwerk differenziert. Während die Maler ein zimblich tafelgemel oder sonst ain kunststuckh nach Ermessen der Meister und des Rates anzufertigen hatten (Artikel 34), sollten die Glaser von vier Mustern, welche von den Meistern und dem Rat bestimmt wurden, jeweils zwei 25
In der Ergänzung der Quelle von 1583 befindet sich ein Passus, der sich mit der Länge der Muthzeit in Ingolstadt und der Möglichkeit, diese durch Heirat zu verkürzen, beschäftigt. Es werden jedoch keine detaillierten Informationen genannt, wie anderenorts; vgl. TACKE 2003, S. 27–35.
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Scheiben ausführen (Artikel 35). Für die Seidensticker, Bildhauer und Steinmetze lassen sich keine Hinweise auf die Anfertigung eines Meisterstücks in der Quelle finden. Aus der Darstellung des Ausbildungsweges der Handwerker ergeben sich bereits vielfältige Aufgaben der Zunft. Neben der Erstellung der Vorgaben für das Meisterstück müssen die eheliche Geburt und der Lehrbrief kontrolliert, die Aufnahme und Entlassung von Lehrlingen bezeugt, die Länge der Probe- und Lehrzeit beobachtet, Lehrlings-, Meister- und Strafgelder eingezogen und im Zweifelsfall Anklage und Rechtsprechung im Sinne der Zunftordnung erhoben beziehungsweise durchgeführt werden. Um dies gewährleisten zu können, brauchte die Zunft eine gewisse Verwaltungsstruktur, die ebenfalls in der Zunftordnung festgeschrieben wurde.
5. Die Verwaltung und Organisation der Zunft Die oberste Verwaltung und Organisation oblag zwei gewählten Mitgliedern aus der Zunft, die in der Quelle Kerzenmeister genannt werden. Der Name erklärt sich dadurch, dass die Kerzenmeister für das Wachs, welches an die Zunft gezahlt wurde, zuständig waren und mit dem zu verwaltenden Geld auch Wachs kaufen mussten, falls zu wenig vorhanden war und neues für die Herstellung von Kerzen benötigt wurde. Sie wurden für zwei Jahre um ein Jahr zeitversetzt gewählt, so dass der Kerzenmeister, der bereits ein Jahr im Amt war, den neu gewählten Kerzenmeister einarbeiten konnte (Artikel 12). Nach Ablauf dieser gemeinsamen einjährigen Amtsperiode waren sie verpflichtet, über ihre Tätigkeit Rechenschaft abzulegen und die Ein- und Ausgaben der Zunft nachzuweisen. Mittels der in Artikel 13 genannten Bußenordnungen hatten die Kerzenmeister die Möglichkeit, die Zunftmitglieder abzumahnen. Die Strafsätze richteten sich nach der Schwere der Vergehen und reglementierten somit das Leben der Mitglieder innerhalb der Zunft und bei ihren gemeinsamen Zusammenkünften. Des Weiteren war immer der jüngste Meister innerhalb der Zunft der Knecht, solange bis ein anderer Geselle Meister wurde (Artikel 14). Die gemeinsamen Versammlungen waren innerhalb der Zunft bedeutsam, da auf ihnen die wichtigsten Belange der Zunft diskutiert wurden und die Zunftmitglieder die Möglichkeit hatten, Nachrichten auszutauschen. Um diese Sitzungen in einem gesitteten Rahmen durchführen zu können, gab es in der Handwerksordnung verschiedene Bestimmungen, die den Ablauf der Treffen festlegten. Gestraft wurde, wenn ein Mitglied zu spät kam, mit acht Pfennigen (Artikel 16), wenn jemand bewaffnet erschien, mit einem Pfund Wachs (Artikel 17), wenn sich die Mitglieder untereinander stritten, eben-
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falls mit einem Pfund Wachs (Artikel 18), wenn die Zunftangehörigen Gotteslästerei betrieben, fluchten oder schimpften, mit vier Schilling Pfennigen (Artikel 19) und wenn die Teilnehmer über den Inhalt der Versammlungen sprachen, mit einem Pfund Pfennigen (Artikel 27). Doch die Zunft reglementierte nicht nur das Benehmen ihrer Mitglieder, sondern schützte und sorgte auch für diese. Der wichtigste Aspekt war hierbei der Schutz des Broterwerbs des einzelnen Zunftmitgliedes. Das bedeutet, dass nach Möglichkeit jedes Mitglied der Zunft genügend Arbeit haben sollte, um sich und seinen Hausstand zu versorgen. Hierzu war es zum einen notwendig zu versuchen, die Wettbewerbsgleichheit der Meister untereinander zu gewährleisten, und zum anderen, die Zunftmitglieder vor auswärtiger Konkurrenz zu schützen. Auf Grund dessen wurden in der Handwerksordnung gewisse Regelungen vorgeschrieben, die gewährleisten sollten, dass kein Mitglied der Zunft sich auf Kosten eines anderen einen Vorteil verschaffen konnte. So durfte ein Meister einem anderen nicht den Lehrjungen oder Gesellen abwerben oder durch üble Nachrede verjagen (Artikel 21). Des Weiteren durfte kein Meister einem anderen den Auftraggeber (Bauherrn) oder die Arbeitskräfte abspenstig machen oder durch Bestechung von der Arbeit abhalten (Artikel 22). Beide Vergehen wurden mit einer Geldbuße geahndet. Mittels dieser Regelungen sollten die Mitarbeiter und der Werkstattbetrieb eines jeden Zunftmitglieds geschützt werden. Keiner durfte mit Hilfe der oben genannten Mittel versuchen, die Arbeit eines anderen zu sabotieren. Zudem war es notwendig, jedem Handwerker in der Zunft die Möglichkeit zu geben, seine Arbeitsmaterialien unter fairen Marktbedingungen zu erwerben, ohne dass einem anderen die Gelegenheit genommen wurde, ebensolches zu tun. Daher war es von der Zunft vorgesehen, dass auswärtige Händler, die mit Blei und Farben handelten, zunächst bei den Kerzenmeistern vorstellig wurden, damit diese die Zunftmitglieder benachrichtigen konnten (Artikel 25). So hatte dann jeder Handwerker die Möglichkeit, mit dem Händler zu feilschen, um die benötigten Waren zu kaufen. Damit wurde in gewissem Maße eine Chancengleichheit zwischen den Handwerkern geschaffen, die auf die gleichen Produkte angewiesen waren. Wenn gegen dieses Gebot verstoßen wurde und die Meister versuchten, bei einem nicht ordnungsgemäß angemeldeten Händler ihre Farben oder andere Materialien im Vorverkauf zu erwerben, wurden sie von der Zunft mit einer Geldbuße von vier Schilling Pfennigen bestraft. Neben dem Schutz der Werkstatt und dem fairen Handel war es von Nöten, die Arbeit der Handwerker klar zu definieren, um sie gegenüber anderen verwandten Handwerken abzugrenzen sowie den Handwerkern und Händlern von außerhalb die Ausübung und Vertreibung ihrer Produkte
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derart zu beschränken, dass sie nicht zu einer existentiellen Bedrohung der Zunftmitglieder vor Ort werden konnten. In Artikel 36 findet sich die Abgrenzung der verwandten Handwerken der Maurer und Steinmetzen. Maurer durften demnach nur Türgerüste, Fenster und Träger aus Stein fertigen, Steinmetze hingegen Grabsteine, Inschriften, Wappen und Bilder ausführen. Interessant ist hier die sorgfältige Ausdifferenzierung der beiden Berufe. Der Steinmetz ist demnach als »künstlerischer« Beruf einzustufen, da er sich mit Feinarbeiten in Stein beschäftigt und entspricht dadurch eher dem Steinbildhauer, während der Maurer nur mit Steinen bauen darf. Der Beruf des Steinmetzes war demzufolge in Ingolstadt ein Nischenberuf, der sich zwischen den Bildhauern und den Maurern ansiedelte. In anderen Städten wird unter dem Beruf des Steinmetzes nach der hier gegebenen Definition eher der Maurer verstanden. Je nach Handwerkerschichten und Ausdifferenzierung innerhalb einer Stadt ändert sich also auch das Berufsbild bzw. der Aufgabenbereich der Handwerker. Die Differenzierung der Handwerke war notwendig, damit sich die Meister verwandter Berufe nicht gegenseitig die Aufträge abspenstig machten. Für die anderen Handwerke der Zunft lassen sich keine entsprechenden Einschränkungen finden. Anscheinend hatte sich zum Zeitpunkt der Entstehung unserer Handwerksordnung noch keine Notwendigkeit hierfür ergeben. Besonders wichtig war der Schutz des eigenen Handwerks gegenüber unliebsamen Konkurrenten von außerhalb. Darunter fielen sowohl die Handwerker, welche nicht in der Zunft Mitglied waren, als auch die Händler und Handwerker, die von auswärts kamen, um Handel zu treiben. Handwerker, die sich nicht in die Zunft eingekauft hatten, durften ihr Handwerk nicht innerhalb der Bannmeile der Stadt ausüben, um die Zunftmitglieder nicht um ihre Arbeit zu bringen (Artikel 23). Die Bannmeile bezeichnet eine räumliche Begrenzung, die Märkte, Burgen oder Städte und deren Umland umfassen kann. Sie hatte eine rechtliche Funktion und diente vornehmlich der Durchsetzung der wirtschaftlichen Sonderstellung der Stadt als Warenproduzent und Handelsort über einen bestimmten Raum, der dann nach genauen Regeln bemessen wurde.26 Das geschützte Gebiet umfasste meist 1–2 deutsche Meilen (ca. 7,5–15 km). Wurde innerhalb der Bannmeile ein Vergehen ausgemacht, wurde es von den Kerzenmeistern der Zunft vor dem Rat der Stadt angeklagt und dieser entschied, welche Strafe der Delinquent zu erfahren hatte. Aber auch Händler und Handwerker, welche ihre auf dem Land produzierten Waren in der Stadt verkaufen wollten, waren Regelungen unterworfen. Die nichtzünftigen Stadthandwer26
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ker und die Handwerker vom Lande wurden als »Störer« oder »Pfuscher« bezeichnet. Störer hatten keine eigene Werkstatt und arbeiteten in den Häusern ihrer Kunden in Stücklohn; »Bönhasen« arbeiteten versteckt, beispielsweise auf dem Dachboden, und versuchten dadurch, die Zunftordnung zu umgehen.27 Besonders die Glaser wurden in der Ingolstädter Handwerksordnung gegen solche Konkurrenten geschützt. Den Fuhrleuten war der Verkauf von Gläsern nur auf der Straße und nicht in der Stadt erlaubt (Artikel 24). Auch die Hausierer, welche die auf dem Land produzierten Gläser in Ingolstadt verkaufen wollten, durften ihre Ware nur zu bestimmten Zeitpunkten in die Stadt einführen. Dies war während der Jahrmärkte möglich, welche im regelmäßigen Turnus in der Stadt abgehalten wurden.28 Ansonsten war es ihnen pro Jahr nicht länger als drei Tage am Stück erlaubt, ihre Waren anzubieten (Artikel 26).
6. Die religiösen und sozialen Aufgaben der Zunft Die Zunft organisierte nicht nur das wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben ihrer Mitglieder, sie kümmerte sich auch um deren Seelenheil. Somit stellte die Zunft auch eine Kultgemeinschaft dar mit fixierten Riten, Andachten, Opfern, Gottesdiensten für die Lebenden und Verstorbenen der Gemeinschaft, die sich auch in Altar- und Messenstiftungen, in der Verehrung bestimmter Heiliger als Berufspatrone und in der Unterhaltung von Kerzen in der Pfarrkirche niederschlugen.29 Im katholischen Ingolstadt bedeutete dies, dass die Zunftordnung den regelmäßigen Besuch der Heiligen Messe und die Stiftung von Ämtern anlässlich des Todes eines Zunftmitglieds sowie die Ehrung des Zunftheiligen St. Lukas30 vorschrieb. So wurde am Tag des Heiligen Lukas (18. Oktober) von der Zunft ein gesungenes Amt in der Pfarrkirche zue unnser lieben Frawen in Ingolstadt abgehalten. Wer an diesem Tag nicht an der Messe teilnahm, musste acht Pfennige Strafe zahlen (Artikel 29). 27
ENGEL 1993, S. 155. In der Quelle wird von zwei Jahrmärkten und einem Jahrmarkt nach Pfingsten gesprochen. Laut KOLLER / HOFMANN 1974, S. 273, handelt es sich hierbei zunächst um den Jahrmarkt nach Pfingsten (seit 1323). Seit 1384 gab es zwei Jahrmärkte (jeweils acht Tage) ab dem 3. Mai am Hl.-Kreuztag nach Ostern und ab dem 22. September am Mauritiustag (die spätere Mai- und Septemberdult). 1395 wurde der dritte Jahrmarkt nach dem Fronleichnamsfest eingeführt. 29 LÖFFLER 1975, S. 14. 30 Siehe die Artikel von SEELIGER 1997; HERGEMÖLLER 1983; WEIGAND 1983a; WEIGAND 1983b; LECHNER 1974, Sp. 449. 28
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Auch das standesgemäße, ehrenvolle Begräbnis durch die Angehörigen der Gemeinschaft war in der Ingolstädter Zunftordnung festgeschrieben. Verstarb ein Zunftmitglied31, hatten die vier jüngsten Meister der Zunft die Aufgabe, als Sargträger zu fungieren. Die Kerzenmeister der Zunft verkündeten den Tod des Verstorbenen und der älteste Meister führte die Totenklage. Es war bei der Strafe von einem Pfund Wachs verboten, sich dieser Pflicht zu entziehen (Artikel 15). Die Zunft ließ den Verstorbenen zudem besingen und finanzierte dies aus der Zunftbüchse (Artikel 32). Einmal im Vierteljahr bezahlte die Zunft zudem jeweils ein gesungenes Amt, um der Verstorbenen aus dem Handwerk zu gedenken. Die Termine wurden durch die Kerzenmeister bekannt gegeben und die Zunftmitglieder hatten bei einer Strafe von acht Pfennigen zu erscheinen (Artikel 30). Zudem sollte an diesem Tag jeder Meister für sich und seine Frau vier Pfennige in die Zunftbüchse einzahlen (Artikel 31). Von diesen Einzahlungen und den zahlreichen Strafgeldern bestritt die Zunft ihre Ausgaben und unterstützte ihre Mitglieder. Darunter fiel, neben der oben beschriebenen Sorge um das Seelenheil, auch die Unterstützung der Mitglieder, welche sich nicht mehr selbst versorgen konnten. War ein Angehöriger der Zunft zu schwach, um seiner Arbeit nachgehen zu können, erhielt er eine Unterstützung aus der Zunftbüchse (Artikel 33). Die Nennung und Beschreibung der zahlreichen Aufgaben der Zunft zeigen die enorme Wichtigkeit und die weitreichenden Eingriffe derselben in das Leben ihrer Mitglieder. Die Handwerksordnung regelte die Ausbildung, schützte die Handwerker im Wettbewerb untereinander und vor auswärtiger Konkurrenz, kümmerte sich um das Seelenheil und versorgte, soweit ihr dies möglich war, ihre Mitglieder, wenn diese dazu nicht mehr selbst in der Lage waren.
7. Segen oder Fluch? Die Bewertung der Zunftordnung und ihrer Aufgaben Die Eingriffe der Zunft in das Leben ihrer Mitglieder sind nicht nur als gravierend, sondern als existentiell zu bezeichnen. Dies gilt sowohl im Positiven als auch im Negativen. War es dem Handwerker möglich, sich in die Zunft als Meister einzukaufen, konnte er alle Vorteile nutzen, welche ihm diese bot. Der wichtigste Aspekt ist hierbei das sogenannte »Nahrungsprinzip« in Gestalt der Beachtung annähernd gleicher Wirtschaftsbedingun31
Als Zunftmitglied wird in diesem Fall jeder aus dem Hausstand des Meisters gesehen, hierzu zählt z. B. auch die Ehefrau.
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gen (Mitarbeiterzahl, Betriebsgröße, Vergabe der Verkaufsstände), durch welches die Zunft versuchte, jedem Mitglied ein hinreichendes Einkommen zu gewährleisten. Hierzu dienten die strengen Beschränkungen der Zunft sowohl nach innen als auch nach außen hin. Mittels der Begrenzung der Aufnahme von Lehrlingen und Gesellen, der Einschränkung der Werkstattgröße und unter Umständen auch durch Lohn- und Preisfestsetzungen wurden innerhalb der Zunft die Bedingungen für einen möglichst gleichwertigen Wettbewerb der einzelnen Betriebe untereinander geschaffen. Dazu wurde auch das Abwerben von Lehrlingen und Gesellen sowie Sabotage in Form von Bestechung der Mitarbeiter von Konkurrenten als auch der heimliche oder spekulative Handel mit Arbeitsmaterialien unter strengste Strafe gestellt. Ebenso wichtig war die Abgrenzung gegenüber anderen Handwerkern innerhalb der Stadt sowie Handwerkern und Händlern aus anderen Städten. Nur dadurch konnte es gelingen, die Aufträge an Zunftmitglieder zu vergeben und diesen dadurch ausreichend Arbeit zu vermitteln. Ein weiterer wichtiger Punkt war die Schaffung von Chancengleichheit innerhalb der Zunft mittels der Gewährleistung einer rechtlich einwandfreien Ausbildung der Lehrlinge. Kein Meister durfte auf Kosten der Lehrlinge profitieren, indem er auf einer zu langen Probezeit bestand, sie nicht offiziell bei der Zunft an- und abmeldete oder versuchte, seinen Lehrling mittels böser Nachrede wegzujagen und ihn nicht weiter auszubilden. Diese Vergehen zählten zu den höchstbestraften in der Zunftordnung Ingolstadts und zogen fast immer ein zweijähriges Ausbildungsverbot nach sich, wodurch dem Meister eine wichtige Arbeitskraft verwehrt wurde. Die Regelungen schützten somit sowohl den Lehrling als auch die Qualität der Ausbildung und verhinderten, dass der Meister den Lehrling als günstige Arbeitskraft missbrauchte, was einen unlauteren Wettbewerbsvorteil innerhalb der Zunft bedeutet hätte. Des Weiteren fungierte die Zunft als »Sozialversicherung« ihrer Mitglieder. Aus den vierteljährlichen Geldeinzahlungen der Meister, den Gebühren und Bußen unterstützte die Zunft nach Möglichkeit diejenigen Mitglieder, welche sich nicht mehr selbst versorgen konnten, weil sie zu krank oder zu schwach waren und deshalb ihrer Arbeit nicht mehr nachgehen konnten. Wichtig war außerdem die Seelsorge, welche für den mittelalterlichen Menschen einen fundamentalen Platz in seinem Leben einnahm. Damit umfasste die Zunft alle wesentlichen Elemente, welche für die soziale Absicherung von Nöten waren: eine rechtlich anerkannte Ausbildung, eine so weit wie möglich gewährleistete Verdienstmöglichkeit durch bestmögliche Reduzierung der Konkurrenz, Unterstützung bei Krankheit und Arbeitsunfähigkeit sowie die Sorge um das Seelenheil ihrer Mitglieder.
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Das Sozialsystem Zunft griff jedoch nur, wenn es den Handwerkern möglich war, in dieses aufgenommen zu werden. Doch gerade die Einschränkungen, welche die Mitglieder der Zunft schützten und durch den Zunftzwang nach außen abschirmten, benachteiligten diejenigen, denen der Eintritt in die Zunft verwehrt blieb. Gründe hierfür gab es viele. So konnten es sich manche auswärtige Gesellen nach Ende ihrer Wanderzeit nicht leisten, sich in die Zunft einzukaufen und das Meistergeld zu bezahlen. Die einheimischen Meistersöhne hingegen wurden bevorzugt und mussten nicht die volle Gebühr zahlen. Das gleiche galt für Gesellen, welchen es möglich war, eine Meisterwitwe oder eine Meistertochter zu heiraten. Doch auch diese Option stand nicht allen Gesellen offen. Ein weiteres entscheidendes Ausschlusskriterium war der Aspekt der ehelichen und ehrlichen Geburt.32 Konnte diese nicht nachgewiesen werden, nutzte alle handwerkliche Geschicklichkeit nichts und der Geselle wurde nicht als Meister aufgenommen; dies zeigt zum Beispiel der Aufsatz von Frederike Maurer in diesem Band. Die freie, eheliche und ehrliche Geburt galt in vielen Städten als Grundvoraussetzung für die Aufnahme in eine Zunft. Dies betraf in manchen Städten auch die Frau des Meisters, wie der Fall von Jörg Ratgeb in Heilbronn beweist. Wie Luise Kunz in diesem Band darstellt, war es Jörg Ratgeb nicht möglich, in Heilbronn das für den Zunfteintritt und den Meistertitel notwendige Bürgerrecht zu erwerben, da seine Frau eine Leibeigene war und somit als nicht frei galt, was auch den Status ihres Mannes beeinflusste. In anderen Fällen schloss gerade die Verweigerung der Heirat einen Gesellen von der Aufnahme als Meister in die Zunft aus. Demonstriert wird dies im vorliegenden Band von Stefanie Herberg und Aline Schmitt am Beispiel des Malers Gottfried Amberger. Dieser weigerte sich, die Ehe einzugehen und durfte aufgrund der Augsburger Zunftbestimmungen als lediger Geselle keine eigene Werkstatt führen. Er verließ schließlich Augsburg. Das Verlassen einer Stadt wie der Versuch, an einem anderen Ort in einer Zunft mit anderen Bestimmungen aufgenommen zu werden, war für viele Handwerker oft die einzige Möglichkeit, den Lebensunterhalt zu verdienen. Dies galt für zahlreiche Künstler im Mittelalter und der Frühen Neuzeit. Dennoch gab es keine sicheren Möglichkeiten, sich als Künstler außerhalb des Zunftsystems zu etablieren. Trotz vereinzelter Versuche in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, Akademien nach dem Vorbild 32
Ausgeschlossen waren Kinder aus sogenannten unehrlichen Berufen, meist auch wendische Familien; siehe meinen Aufsatz zu Münster in Westfalen in diesem Band. Dieser Aspekt wird überraschenderweise nicht in der Ingolstädter Zunftordnung festgeschrieben, gehört aber generell zu den wichtigsten Bestimmungen innerhalb der Zunft.
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Italiens, Hollands und Frankreichs zu gründen, um das Zunftsystem zu umgehen33, konnte die Aufhebung dieser Einschränkungen nicht vor der Auflösung der Zünfte am Ende des 18. Jahrhunderts erreicht werden. Erst zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurden Akademien in Deutschland eingerichtet, in welche sich die Künstler einschreiben konnten, um nach Abschluss ihrer Ausbildung freiberuflich und ohne Zunftzwang ihrem gewählten Beruf nachgehen zu können. Als Handwerker war der Künstler jedoch ebenso wie alle anderen dem Zunftzwang unterstellt. Dies muss bedacht werden, wenn heute die Kunstgeschichte den Künstler allzu häufig als kreativen Individualisten betrachtet, losgelöst von seinem sozialen Kontext, der während des Mittelalters und der Frühen Neuzeit ausschlaggebend vom Zunftsystem geprägt war
Literatur AMMAN (1568) 2006 – AMMAN, Jost: Das Ständebuch. Herrscher, Handwerker und Künstler des ausgehenden Mittelalters. 114 Holzschnitte mit Versen von Hans Sachs, hg. u. übersetzt von Ursula Schulze, Köln 2006. ENDRES 1996 – ENDRES, Rudolf: Handwerk – Berufsausbildung, in: Notker Hammerstein (Hg.): Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte, Bd. 1: 15.–17. Jahrhundert. Von der Renaissance und der Reformation bis zum Ende der Glaubenskämpfe, München 1996, S. 375–424. ENGEL 1993 – ENGEL, Evamaria: Die deutsche Stadt des Mittelalters, München 1993. GATZ 1936 – GATZ, Konrad: Das deutsche Malerhandwerk zur Blütezeit der Zünfte, München 1936. HAUPT 2007 – HAUPT, Herbert: Das Hof- und hofbefreite Handwerk im barocken Wien 1620 bis 1770. Ein Handbuch (Forschungen und Beiträge zur Wiener Stadtgeschichte, Bd. 46), Innsbruck u. a. 2007. HERGEMÖLLER 1983 – HERGEMÖLLER, Bernd-Ulrich: Bruderschaft, Bruderschaft und Stadt, in: LexMa, Bd. 2, 1983, Sp. 739–740. IRSIGLER 1985 – IRSIGLER, Franz: Zur Problematik der Gilde- und Zunftterminologie, in: Berent Schwineköper (Hg.): Gilden und Zünfte. Kaufmännische und gewerbliche Genossenschaften im frühen und hohen Mittelalter, Sigmaringen 1985, S. 54–70. KOLLER / HOFMANN 1974 – KOLLER, Rudolf und HOFMANN, Siegfried: Ingolstadt, in: Erich Keyser und Heinz Stoob (Hgg.): Bayerisches Städtebuch, 33
Zu dem in der Kunstgeschichte vernachlässigten Aspekt siehe, mit weiterführender Literatur, TACKE 2006; TACKE 2005; TACKE 2002; TACKE 2001c; TACKE 1999.
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Teil 2 (Deutsches Städtebuch, Handbuch städtischer Geschichte, Bd. 5, Bayern Teil 2), Stuttgart 1974, S. 271–279. KUHN 1939 – KUHN, Hanns: Die Alt-Ingolstädter Maler. Vom 15. bis zum 18. Jahrhundert. Nachweise aus archivalischen Quellen, in: Sammelblatt des historischen Vereins Ingolstadt 57, 1939, S. 87–141. LECHNER 1974 – LECHNER, Martin: Lukas, Evangelist, in: LCI, Bd. 7, 1974, Sp. 448–464. LIEDKE 1980 – LIEDKE, Volker: Die Lehrjungen der Münchner Maler und Bildhauer des 17. und der 1. Hälfte des 18. Jahrhunderts, in: Ars Bavarica 19/20, 1980, S. 119–143. LÖFFLER 1975 – LÖFFLER, Peter: Studien zum Totenbrauchtum in den Gilden, Bruderschaften und Nachbarschaften Westfalens vom Ende des 15. bis zum Ende des 19. Jahrhunderts, Münster 1975. LUDWIG 1998 – LUDWIG, Heidrun: Nürnberger naturgeschichtliche Malerei im 17. und 18. Jahrhundert (Acta biohistorica, Bd. 2), (Phil. Diss. Berlin 1993) Marburg an der Lahn 1998. ROTH 1981 – ROTH, Hans: Von alter Zunftherrlichkeit, Regensburg 1981. SCHLENKRICH 1995 – SCHLENKRICH, Elke: Der Alltag der Lehrlinge im sächsischen Zunfthandwerk des 15. bis 18. Jahrhunderts, Krems 1995. SCHREYHING 1980 – SCHEYHING, Robert: Bannmeile, in: LexMa, Bd. 1, 1980, Sp. 1420–1421. SCHULZ 1998 – SCHULZ, Knut: Zunft, in: LexMa, Bd. 9, 1998, Sp. 686–691. SEELIGER 1997 – SEELIGER, Hans Reinhard: Lukas, in: LThK, Bd. 6, 1997, Sp. 1109–1110. TACKE 2006 – TACKE, Andreas: Zeichnend zur Auszeichnung!? Zur paradigmatischen Rolle der Handzeichnung im Streit zwischen zunftgebundenem Malerhandwerk und Akademie, in: Aspekte deutscher Zeichenkunst, hg. von Iris Lauterbach und Margret Stuffmann, München 2006, S. 104–113. TACKE 2005 – TACKE, Andreas: Italiensehnsucht und Akademiegedanke. Das Baseler Familienporträt Matthäus Merians des Jüngeren, in: Der unbestechliche Blick. Festschrift zu Ehren von Wolfgang Wolters zu seinem siebzigsten Geburtstag / Lo sguardo incorruttibile. Studi di storia dell'arte in onore di Wolfgang Wolters in occasione del settantesimo compleanno, hg. von / a cura di Martin Gaier u.a., Trier 2005, S. 73–83. TACKE 2003 – TACKE, Andreas: Valentin Wagners Gesellenwanderung. Grundlagen und Voraussetzungen nach der Dresdner und den Deutschen Malerordnungen, in: Holger Th. Gräf und Helga Meise (Hgg.): Valentin Wagner (um 1610–1655). Ein Zeichner im Dreißigjährigen Krieg, Aufsätze und Werkkataloge, Darmstadt 2003, S. 25–38. TACKE 2002 – TACKE, Andreas: „Raths=Herren, Geschlechter und Kaufleuthe“, Zur Rolle von Dilettanten beim Aufbau frühneuzeitlicher Kunstakademien
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und ihre Darstellungen in Akademiebildern, in: Johann Heiß. Schwäbischer Meister barocker Pracht. Friedrichshafen: Zeppelin Museum Friedrichshafen 2002, S. 140–149. TACKE 2001a – TACKE, Andreas (Hg.): „Der Mahler Ordnung und Gebräuch in Nürmberg“. Die Nürnberger Maler(zunft)bücher ergänzt durch weitere Quellen, Genealogien und Viten des 16., 17. und 18. Jahrhunderts, bearb. von Heidrun Ludwig, Andreas Tacke und Ursula Timan, München 2001. TACKE 2001b – TACKE, Andreas: Dresdner Malerordnungen der Frühen Neuzeit. Ein Quellenbeitrag zur Kunstgeschichte als Handwerksgeschichte, in: Anzeiger des Germanischen Nationalmuseums, 2001, S. 29–47. TACKE 2001c – TACKE, Andreas: „Wenn Sie meinen Rat hören wollen, meine Herren, ...“. Zu Antiken, Abgüssen und weiblichen Aktmodellen in nordalpinen Akademien und Künstlerwerkstätten des 17. Jahrhunderts, in: Barbara Eschenburg: Pygmalions Werkstatt. Die Erschaffung des Menschen im Atelier von der Renaissance bis zum Surrealismus, Köln 2001, S. 55–70. TACKE 1999 – TACKE, Andreas: Vom Handwerker zum Künstler. Thesen zu den Anfängen der deutschen Akademien nach dem westfälischen Frieden, in: Jacques Thuillier und Klaus Bußmann (Hgg.): 1648. Paix de Westphalie. L’art entre la guerre et la paix / Westfälischer Friede. Die Kunst zwischen Krieg und Frieden, Paris 1999, S. 319–334. WEIGAND 1983a – WEIGAND, Rudolf: Bruderschaft, in: LexMa, Bd. 2, 1983, Sp. 738–739. WEIGAND 1983b – WEIGAND, Rudolf: Bruderschaft. Rein religiöse Bruderschaften, in: LexMa, Bd. 2, 1983, Sp. 740–741.
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Der lange Weg zum Meister Formular eines Lehrbriefs und die Gesellenordnung der Maler, Glaser und Sattler in Münster 1. Der Lehrbrief Die Ausbildung des Künstlers war – wie die anderer Handwerker auch – an die Zunft gebunden. Sie gab in ihren Zunftbestimmungen vor, unter welchen Voraussetzungen ein Malerlehrling aufgenommen und ausgebildet werden konnte, wie lange dies dauerte und welche Aufgaben Meister und Lehrling in dieser Zeit zu erfüllen hatten. Des Weiteren reglementierten die Zunftordnungen die Gesellenzeit, die sich an die Lehrzeit anschloss. Sie schrieben sowohl die Wanderzeit der vor Ort ausgebildeten Gesellen als auch die Aufnahme und Unterbringung der Gesellen von außerhalb vor. Die Zunftbestimmungen werden durch weitere Dokumente ergänzt, die detaillierteren Aufschluss über die Lehrlings- und Gesellenzeit der Maler geben. Zwei Beispiele aus Münster in Westfalen sollen helfen, die Ausbildung der Künstler weiter zu charakterisieren. Es handelt sich hierbei zum einen um einen Lehrlingsbrief, der am Ende der Ausbildung von Seiten der Zunft ausgestellt wurde, und zum anderen um die Ordnung der Maler-, Glaser- und Sattlergesellen, welche die Organisation der Gesellen in Münster, die Aufnahme und Beschäftigung fremder Gesellen in der Stadt sowie deren soziale Versorgung in Notfällen regelte. Beide Quellen werden für sich betrachtet und durch weitere Archivalien, die auf die grundlegenden Bestimmungen der Lehrlings- und Gesellenausbildung in Münster eingehen, auf eine breite Basis gestellt: So werden ergänzend die spätere Ordenunge der maeler, glaesemaker und saedelmaker gilde (Ende 16. Jahrhundert) – auch Ältere Rolle der Meister genannt – und die Jüngere Rolle der Meister vom 3. Dezember 1614 herangezogen, die in einigen Artikeln auch auf die Ausbildung der Lehrlinge und Gesellen eingehen.1 Dadurch wird es möglich, den Ausbildungsweg des Künstlers vom Eintritt in die Zunft als Lehrling bis zum Abschluss seiner Gesellenzeit nachzuvollziehen. 1
Krumbholtz 1898, S. 336–343 und S. 353–356.
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Obwohl in den Quellen zum Malerhandwerk in Münster von »Gilde« die Rede ist, wird zur Charakterisierung der Organisation des Handwerks das Wort »Zunft« verwendet, um zu verdeutlichen, dass es sich hierbei um eine gewerbliche Organisation handelt.2 In der kunsthistorischen Literatur hat sich die strenge terminologische Regelung – den Begriff der »Gilde« für Kaufleutekorporationen und den der »Zunft« für gewerbliche Verbände zu verwenden – nicht durchgesetzt. Die Kunstwissenschaft verwendet ihn nach wie vor im geographischen Zusammenhang, d. h. in Mittel- und Süddeutschland »Zunft« und in Norddeutschland und an der Küste (hier auch in Holland oder Dänemark) »Gilde«, wie in der von uns zitierten Quelle aus Münster in Westfalen.3 1.1 Der Lehrzwang der Zunft Seit dem 14./15. Jahrhundert besaß die Zunft das »Ausbildungsmonopol« in der Stadt Münster, welches den Lehrzwang innerhalb der Zunft vorschrieb.4 Demnach durften ausschließlich Meister, die Zunftmitglieder waren und selbst eine entsprechende Ausbildung unter Zunftbestimmungen genossen hatten, Lehrlinge in ihre Werkstatt aufnehmen und diese ihr Handwerk lehren. Nur dem auf solche Weise ausgebildeten Handwerker war es anschließend gestattet, den erlernten Beruf auszuüben.5 Ziel des Lehrzwanges war es, die Ausbildung von Handwerkern genauestens zu kontrollieren und zu reglementieren. Dadurch war es möglich, das Handwerk vor Pfuschern und ungelernten Arbeitern zu schützen. Um den guten Ruf der Zunft zu sichern, musste eine qualitätvolle Ausbildung gewährleistet werden. Dies war zum einen notwendig, um die Konsumenten vor mangelhaften Produkten schlecht ausgebildeter Handwerker zu bewahren, und zum anderen, um die Qualität der Ausbildung innerhalb der Zunft zu erhalten. Nach Ende ihrer Ausbildung erhielten die Lehrlinge daher ein Schreiben ihrer Zunft, welches die ordnungsgemäße Ausbildung derselben bestätigte und als eine Art Qualitätssiegel für die Zunft und den dort ausgebildeten Lehrling fungierte.6 2 3 4
5
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Im Sinne der Definition von Irsigler 1985, S. 68–70. Zur Begriffsdiskussion siehe Schmidt-Wiegand 1985. Zum Lehrlingswesen in Münster, auf welches wir immer wieder ohne Einzelnachweis Bezug nehmen, vgl. Krumbholtz 1898, S. 77*–85*. Zum allgemeinen Kontext siehe zum Vergleich Schlenkrich 1995. Zu den folgenden Ausführungen siehe Endres 1996, S. 380–393; ein Überblick bei Schulz, 1998, Sp. 686–690. Roth 1981, S. 56.
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Des Weiteren konnte mittels des Lehrzwangs die Anzahl der Auszubildenden begrenzt werden. Dies diente weniger dazu, die Exklusivität des Handwerks zu gewährleisten, sondern vielmehr die Existenz der Handwerker, deren Interessen die Zunft vertrat, zu sichern. Daher wurde von Seiten der Zunft darauf geachtet, dass nicht zu viele Lehrlinge ausgebildet wurden, um den Konkurrenzdruck innerhalb des Handwerks möglichst gering zu halten. So wurden mit dem Lehrzwang auch diverse Bestimmungen eingeführt, die sowohl die Aufnahme des Auszubildenden in die Zunft erschwerten als auch die ordnungsgemäße Ausbildung der Lehrlinge durch die Meister vorschrieben. So wurde beispielsweise in manchen Zünften mittels Befragungen der Lehrlinge die Qualität der Ausbildung überprüft. 1.2 Die Zugangsvoraussetzung zur Zunft Vor Beginn der Ausbildung stand zunächst die Aufnahme des Lehrlings in die Zunft. Diese war an gewisse Voraussetzungen gebunden, welche nicht von besonderem handwerklichen Geschick oder vorheriger Erfahrung, sondern von rein personellen und pragmatischen Aspekten abhängig war. Zu den personellen Bedingungen zählten das Geschlecht (in Münster waren es nur Jungen erlaubt, eine Lehre zu absolvieren; einzige Ausnahme ist die Zunft der Schneider, welche bis zum Jahre 1525 auch Mädchen aufnahm), der Nachweis einer freien und ehelichen sowie ehrlichen Geburt, zu den pragmatischen die Bezahlung des Lehrgeldes und die Anwesenheit von Bürgen bei der Aufnahme in die Zunft. Bevor der Lehrling Mitglied der Zunft werden konnte, wurde seine Herkunft überprüft. Dies geschah entweder durch Bürgen, falls der Lehrling aus Münster selbst stammte, oder mittels eines Geburtsbriefes, den der Lehrling in seiner Heimatstadt anfordern konnte, wenn er von außerhalb kam. Nachgewiesen werden musste die freie (d. h. nicht von Leibeigenen), die eheliche (d. h. gezeugt und geboren innerhalb der Ehe) und die ehrliche Geburt. Ausgeschlossen von der Lehre in Münster waren Findelkinder, also Kinder, die ihre freie Geburt nicht nachweisen konnten, weil sie von ihren Eltern ausgesetzt worden waren, sowie Kinder von Prostituierten und Klerikern. An diesen Prinzipien orientierten sich die Ordnungen der einzelnen Zünfte. Die Maler-, Glaser- und Sattlergilde schreibt hierzu in ihrer Älteren Rolle der Meister in Artikel 14: Und alle jungen sullen werdich sin.7 Damit wurden die sozialen Kriterien Ehrbarkeit, Religion und Konfession, Nationalität und Geschlecht, welche für die Meister galten, auch auf die Lehrlin7
Krumbholtz 1898, S. 340.
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ge angewandt, da es selbstredend unsinnig war, einen Lehrling auszubilden, welcher nicht Meister werden konnte. Gesellen, die in ihre Heimatstadt zurückkehrten, mussten keinen Geburtsbrief mehr vorlegen, da der Lehrbrief den Geburtsnachweis implizierte. Gesellen von außerhalb, welche Meister werden wollten, mussten die Nachweise jedoch noch einmal erbringen, damit man ganz sicher sein konnte, keinen Schwindler zum Meister zu machen. Unter ehrlicher Geburt ist zu verstehen, dass der Vater des potenziellen Lehrlings einen ehrlichen Beruf ausübte. In Münster waren die Söhne von Henkern, Scharfrichtern und Müllern von dem Eintritt in die Zunft ausgeschlossen, weil diese Berufe als unehrlich galten. Versuche von Seiten des Stadtrats, diese Regelungen zu lockern und die Zünfte dazu zu bewegen, auch unehrliche Kinder als Lehrlinge aufzunehmen, gab es einige in der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts. 1587 verfügte der Rat, dass das erste Kind eines nicht verheirateten Paares in die Zunft aufgenommen werden müsse. Die einzige Zunft, die dies anschließend auch in ihre Statuten aufnahm, war die Maler-, Glaser- und Sattlerzunft.8 Des weiteren zählten Schergen, Gerichtsbüttel, Spielleute und Gaukler aufgrund ihrer unehrlichen Berufe zu den Ausgeschlossenen. Ähnlich erging es den Leinwebern und Töpfern. Zudem handelte es sich hierbei um Berufe, die meist bei Nacht oder von Unfreien, Hörigen und Leibeigenen ausgeübt wurden. In der Reichspolizeiordnung von 1548 findet sich ebenfalls eine Auflistung der unehrlichen Berufe, unter denen Barbiere, Leinweber, Schäfer, Zöllner, Pfeifer, Trompeter, Müller und Bader genannt sind. Die Liste wird in der Reichspolizeiordnung von 1577 ergänzt durch die Landgerichts- und Stadtknechte, Gerichts-, Fron-, Turm-, Holz- und Feldhüter, Totengräber, Nachtwächter, Bettelvögte, Gassenkehrer, Bachstecher usw. Je nach Region und Stadt waren unter Umständen auch der Nachweis der deutschen Abstammung und ein Bekenntnis zur katholischen oder protestantischen Konfession notwendig, um in die Zunft aufgenommen zu werden; Juden waren generell vom Handwerk ausgeschlossen. Solche Bestimmungen lassen sich für Münster allerdings nur eingeschränkt nachweisen; so wurde in Münster Ende des 16. Jahrhunderts das Verbot für die Maler eingeführt, einer Sekte anzugehören.9 Des Weiteren musste der Lehrling ledig sein. Heiratete er oder hatte er während seiner Ausbildungszeit eine uneheliche Beziehung, wurden ihm seine Lehrjahre aberkannt und er verlor unter Umständen auch die Lehrbewilligung von Seiten der Zunft. Die Beschränkungen, denen ein Lehrling zu Beginn seiner Ausbildung unterworfen wurde, nahmen im Laufe der Zeit deutlich zu. Mit jeder Ände8 9
Krumbholtz 1898, S. 78*f. und S. 336, Art. 1. Gatz 1936, S. 142.
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rung der Zunftordnung, welche die Lehrlinge betraf, lässt sich feststellen, dass die Aufnahmebedingungen für die Auszubildenden komplexer und schwieriger wurden. So erhöhte die Zunft zum Beispiel das Alter der Lehrlinge für den Lehrantritt, verlängerte die Lehrzeiten oder hob die finanziellen Verpflichtungen in Form des Aufnahmegeldes an. Ziel war es, die Aufnahme der Lehrlinge noch weiter einzuschränken, um den Konkurrenzdruck im Handwerk möglichst gering zu halten. So durften auch die Meister manchmal erst nach einer gewissen Wartezeit wieder Lehrlinge ausbilden und mussten vorerst auf weitere Hilfe im Betrieb verzichten. Bei den Zunftbestimmungen handelt es sich nämlich um ein flexibles Regelwerk, das je nach Bedarf die Aufnahme der Lehrlinge stärker oder schwächer reglementierte. War es dem Anwärter aufgrund der genannten Faktoren möglich, in die Zunft aufgenommen zu werden, handelte sein Vater bzw. sein Vormund mit dem Meister einen Lehrvertrag aus, in dem die Zahlung des Lehrgeldes, die Ausbildungsdauer und Unterkunft des Lehrjungen bei seinem Meister festgehalten wurde. Das Lehrgeld konnte entweder im Ganzen oder in Raten gezahlt werden. War es den Eltern oder dem Vormund nicht möglich, die erforderliche Summe aufzubringen, gab es die Möglichkeit, dass der Lehrling nach Abschluss seiner Lehrjahre eine gewisse Zeit unentgeltlich für den Meister arbeitete, um das fehlende Lehrgeld durch seine Arbeitsleistung auszugleichen. Von dem Lehrgeld wurden die Unterbringung des Lehrlings im Haushalt des Meisters sowie dessen Ausbildungsmaterialien finanziert. Manchmal erhielt auch die Meisterin ein Nadelgeld für das Ausbessern und Waschen der Kleidung.10 Die Dauer der Lehre war in der Regel durch die Zunft festgeschrieben und konnte nur in Ausnahmefällen verkürzt werden. Meistersöhne, die bei ihren Vätern in die Lehre gingen, mussten weniger Zeit in der Lehre nachweisen. Wenn ein Lehrling seine Ausbildungsstätte wechselte, konnte ihm die bereits geleistete Lehrzeit anerkannt werden.11 Die Lehrzeit für den Malerberuf betrug im Alten Reich im Schnitt vier bis sechs Jahre. In Münster dauerte die Ausbildung vier Jahre, nach der Täuferbewegung (1534/35) wurde sie auf sechs Jahre verlängert. Bei Eintritt in die Lehre war der Lehrling durchschnittlich zwischen 11 und 14 Jahre alt. Das heißt, er hatte seine Lehre in Münster im Alter von 17–22 Jahren beendet und konnte dann auf Wanderschaft gehen. Die Meistersöhne hatten in der Regel eine kürzere 10 11
Kluge 2007, S. 154; Roth 1981, S. 57; Liedke 1980, S. 120. Vgl. die Artikel (Krumbholtz 1898, S. 337 und S. 353f.) in den Meisterordnungen zu Münster: Ältere Rolle der Meister, Art. 3 (irrtümlicherweise in der Zählung von Krumbholtz als Art. 2 bezeichnet) und Jüngere Rolle der Meister, Art. 3 erläutern die Bevorzugung der Meistersöhne in Münster.
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Lehrzeit zu absolvieren. Die offensichtliche Bevorzugung der Meistersöhne bei der Lehrzeit und der Zahlung der Aufnahmegebühr in die Zunft ist auf das Bemühen um die Sicherung des Fortbestandes der ortsansässigen Werkstätten zurückzuführen. Waren die Verhandlungen um den Lehrvertrag zwischen dem Vater oder dem Vormund und dem Meister abgeschlossen und hatte sich der potenzielle Lehrling während der mindestens 14-tägigen Probezeit bewährt, wurde er der Zunft vorgestellt, die über seinen Eintritt und damit den Beginn seiner Lehre entschied. Für die Vorstellung vor der Zunft benötigte der Lehrling je nach Zunftordnung mindestens zwei Bürgen, die seine Redlichkeit und Ehrlichkeit bezeugten und ihm bei der Aufdingung in der Zunft zur Seite standen. Das Geschehen während der Aufdingung soll nun eingehender betrachtet werden, da sie in ihrem formalisierten Ablauf sehr der Freisprechung des Lehrlings aus der Zunft ähnelt, über welche uns die noch zu untersuchende Quelle informiert. 1.3 Das Aufdingen als Initiationsritus in die Zunft Als Aufdingen bezeichnet man den Akt der Einschreibung des Lehrlings in die Zunft.12 Diese wurde nach einem formalisierten Protokoll durchgeführt und kennzeichnete somit den Übergang des Jugendlichen in den Stand des Lehrlings. Während des Aufdingens wurde der Lehrling im Beisein seines Vaters oder Vormunds der Zunft vorgestellt. Hierzu waren je nach Größe der Zunft entweder die gesamte Zunft oder eine kleinere Kommission mit den Vorstehern geladen. Der zukünftige Meister stellte den Lehrling vor und erläuterte dessen Begehren, in die Zunft aufgenommen zu werden, um das Handwerk zu erlernen, wie es sich für einen ehrlichen Knaben gezieme. Anschließend richtete er die Frage an die Zunftmitglieder, ob jemand etwas Nachteiliges über den Anwärter zu vermelden hätte. Während über die charakterlichen Qualitäten des Jungen diskutiert wurde, musste dieser draußen warten. Lag nichts Nachteiliges vor, wurde er wieder hereingerufen und dazu aufgefordert, seinen Geburtsbrief vorzulegen bzw. seine rechtmäßige Geburt im oben definierten Sinn durch Zeugen bestätigen zu lassen. In der Regel waren in Münster hierzu zwei Bürgen notwendig.13 Nachdem die freie, eheliche und ehrliche Geburt bestätigt worden war, richtete ein Zunftmeister eine formale Ansprache an den Lehrling, in der er 12
Die Bestimmungen zur Aufdingung der Lehrlinge in Münster sind in der Älteren Rolle der Meister in Art. 14 erwähnt; Krumbholtz 1898, S. 340f. 13 Krumbholtz 1898, S. 341, Art. 14.
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bestätigte, dass keiner der Anwesenden etwas Nachteiliges über ihn zu berichten wüsste, und ihn über seine Rechte und Pflichten aufklärte, welche er im Laufe seines Lehrverhältnisses einzuhalten hatte. Anschließend wurde der Junge gefragt, ob er bereit sei, die Lehrzeit abzuleisten, nicht wegzulaufen, sich nicht verführen oder abwerben zu lassen sowie den Meister und seine Frau nicht zu bestehlen. Der Lehrjunge versprach dies und sein Versprechen wurde von seinen Bürgen bestätigt. Diese verpflichteten sich damit, für den Lehrling zu haften, falls dieser sein Versprechen nicht halten sollte. Anschließend hat man dem Lehrling viel Glück für seine Ausbildung gewünscht und er wurde in die Handwerksrolle eingetragen. Darauf bezahlte er seinen Beitrag zur Aufnahme in die Zunft, der entweder aus Geld oder Wachs bestand. Der Beitrag, welcher an die Zunft zu zahlen war, wurde teilweise dazu verwendet, ein Essen oder Trinkgelage auszurichten. Mitunter aus diesem Grund stiegen die geforderten Zahlungen ständig an, um die Gelage finanzieren zu können. Von Seiten der Stadt wurde deshalb versucht, diese einzuschränken. Die Zunft war nun für die Betreuung und weitere Erziehung des Jungen verantwortlich, der von seinen Eltern in die Zunft- und Meisterfamilie gewechselt war. Damit fand durch das Aufdingen ein Wechsel der Verfügungs- und Erziehungsgewalt über den Jugendlichen statt. Der Meister und dessen Frau hatten ihn jetzt zu versorgen und auszubilden, aber auch ihn zu erziehen; sie besaßen daher das Recht, ihn bei Missachtung ihrer Regeln zu züchtigen. Der Eintritt in die Zunft und in die Lehre symbolisierte somit auch den Übergang vom Kind zum Erwachsenen. Als eben solcher musste er sich nun verhalten, um seinem Handwerk keine Schande zu bereiten. Denn wie die anderen Zunftmitglieder auch hatte er die Ehre des Handwerks zu wahren und sich standesgemäß zu benehmen. Die Erziehung und Unterweisung im Brauchtum der Zunft ist daher ein nicht zu vernachlässigender Aspekt innerhalb der Ausbildung des Jugendlichen. Um sich ehrenvoll im Sinne der Zunft verhalten zu können, musste der Lehrling über die geschriebenen und ungeschriebenen Gesetze, Sitten, Traditionen und Gebräuche der Zunft genauestens Bescheid wissen. Hierzu zählte an oberster Stelle auch die religiöse Unterweisung und Kontrolle des Gottesdienstbesuchs, zu dem sich der Lehrling mit Beitritt in die Zunft verpflichtete. All diesen Aufgaben hatte der Meister, neben der rein handwerklichen Ausbildung des Lehrlings zum Maler, nachzukommen, während die Meisterin den Lehrjungen mit Essen und Kleidung versorgte. Doch auch der Lehrling hatte sich mit dem Eintreten in das Haus des Meisters gewissen Regeln zu unterwerfen. Diese wurden meist in der Ansprache des Zunftvorstehers bei der Aufdingung des Lehrlings vorgetragen, in manchen Städten wurden sie schriftlich in Lehrlingsordnungen oder -unterweisungen festgehalten.
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Hierzu zählten: „Gewissenhafter Gottesdienstbesuch und häufiges Gebet; Treu- und Schweigepflicht im Sinne des Meisters; Achtung und Gehorsam gegenüber dem Meister und der Meisterin; Dienstbereitschaft (in beschränktem Maße auch im Haushalt des Meisters); Sorge für des Meisters Werkzeuge und Material; strengste Befolgung der Hausordnung; Höflichkeit gegenüber den Haus- und Handwerksgenossen usw.“14 Unter Einhaltung der Hausordnung verstand sich, dass der Lehrling nicht ohne Erlaubnis das Haus verlassen durfte und sich zur angegebenen Zeit wieder einfinden musste. Zudem war es ihm strengstens verboten über Nacht fernzubleiben, um etwa Unzucht zu treiben oder der Zunft auf andere Weise Schande zu bereiten. Des Weiteren wurden Ehrlichkeit und Fleiß gegenüber dem Meister und dessen Frau verlangt. Daher musste er auch alle ihm auferlegten Pflichten im Haus und der Werkstatt erfüllen, solange diese als ehrenhaft zu bezeichnen waren. Weiterhin streng verboten war das Ausführen selbstständiger Arbeiten, die nicht im Zusammenhang mit der Werkstatt standen. Auch durfte der Lehrling nicht weglaufen. Dies musste er bereits bei Eintritt in die Lehre versprechen. Gab es Gründe zur Klage, weil der Meister ihn nachweislich nicht gut ausbildete, ihn nicht angemessen verpflegte oder von seinem Züchtigungsrecht zu stark Gebrauch machte, konnte der Lehrling dies bei den Zunftoberen anklagen. Seine Beschuldigungen wurden überprüft, und wenn die Vorwürfe berechtigt waren, konnte der Lehrling teilweise, wenn nicht sogar ganz sein Lehrgeld zurückverlangen. Dies betraf besonders die Anschuldigung der mangelhaften Ausbildung im Handwerk. Um solchen Problemen zuvor zu kommen, kontrollierten in Münster die Zünfte die Lehrlingsausbildung. Entlief der Lehrling aufgrund der unzumutbaren Zustände, wurde seine Anklage nach Wiedereinfangen des Entflohenen überprüft und ihm gegebenenfalls Recht zugesprochen. Der Meister verlor anschließend für eine gewisse Zeit das Recht, Lehrlinge ausbilden zu dürfen. Lief der Lehrling allerdings ohne Grund weg, wurde er mit Geldzahlungen oder im schlimmsten Fall mit Ausschluss aus der Zunft und dem Verbot, in eine andere Zunft der Stadt einzutreten, gestraft. Dem Lehrling blieb dann nichts anderes übrig, als die Stadt zu verlassen und sich als Störer oder Pfuscher auf dem Land zu verdingen oder in die Armee einzutreten.
14
Gatz 1936, S. 145f.
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1.4 Die Lehre im Malerhandwerk Wie sah die Lehrzeit für den Maler konkret aus? Neben den allgemeinen Bestimmungen, die sich schwerpunktmäßig auf die Gehorsamspflicht beziehen, lassen sich in den Quellen Hinweise finden, was der Lehrling während seiner Ausbildung zu erlernen hatte. Generell lernte der Malerlehrling von den Gesellen und Meistern vornehmlich durch Zusehen und Nachahmen. Dies galt besonders für die rein handwerklichen Tätigkeiten im Malerhandwerk wie zum Beispiel das Mischen der Farben, die Zubereitung des Leims und das Mahlen von Gips für die Grundierung der Leinwand. Zudem sollte er sich bemühen, dem Meister zur Hand zu gehen und besonders die Werkstatt und das Werkzeug instand und sauber zu halten. Hierzu zählten auch Handlangerdienste wie das Auskehren der Werkstatt und ähnliches. Parallel übte er sich im Zeichnen und lernte, wie Holz- und Leinwände grundiert wurden oder wie man Teile eines Gemäldes vergoldete. Verstarb der Meister während der Ausbildung des Lehrlings, war es möglich, dass dieser die Lehre unter Aufsicht der Meisterin weiterführen konnte. Dies war jedoch nur dann sinnvoll, wenn die Ausbildung schon ziemlich weit fortgeschritten war und kurz vor dem Abschluss stand. War ein Lehrling gerade erst in die Dienste seines verstorbenen Meisters eingetreten, bemühte man sich innerhalb der Zunft darum, ihm einen neuen Lehrplatz bei einem anderen Meister zu vermitteln. Doch wie viele Lehrlinge wurden eigentlich im Malerhandwerk ausgebildet? Und wie viele von diesen beendeten ihre Lehre auch wirklich? Für Münster lässt sich folgendes konstatieren: Zwischen 1563 und 1662 wurden 161 Lehrlinge in die Maler-, Glaser- und Sattlergilde aufgenommen. 104 von diesen Lehrlingen beendeten ihre Lehre. Von diesen schlossen 99 die Lehre bei dem Meister ab, bei dem sie die Lehre begonnen hatten – beziehungsweise bei der Witwe, dem Sohn oder Schwiegersohn, die bei Ableben des Meisters die Werkstatt weitergeführt hatten. Fünf Lehrlinge wechselten die Lehrherren. Die restlichen 57 Lehrjungen sind entweder gestorben oder waren ihren Meistern entlaufen. Das bedeutet: 65% der Lehrlinge, die ihre Lehre antraten, beendeten diese in derselben Werkstatt, in der sie ihre Ausbildung begonnen hatten oder in einer anderen. Von einer Abbrecherquote von 35% kann hingegen nicht gesprochen werden, da nicht genau geklärt ist, warum diese Lehrlinge ihre Ausbildung nicht zu Ende führten.15 Die Lehre galt als abgeschlossen, wenn die vereinbarte Lehrzeit beendet war. Weder im Verlauf der Ausbildung, noch nach Abschluss derselben hatte der Lehrling Prüfungen zu absolvieren, die ihm die Befähigung, den 15
Vgl. die Zahlen bei Krumbholtz 1898, S. 82*f.
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Beruf erlernt zu haben, bestätigten. Ein Gesellenstück, welches ihn zur Aufnahme in den Gesellenstand qualifizierte, wurde nicht angefertigt. Bei der Freisprechung des Lehrlings durch die Zunft handelte es sich vielmehr um einen zeremoniellen Akt, ähnlich dem des Aufdingens, während dessen der Lehrling seinen Lehrbrief erhielt. Ein Formular für die Ausstellung eines Maler-Lehrbriefs ist aus Münster überliefert. 1.5 Quelle: Formular eines Lehrbriefs Musterformular eines Lehrbriefs – mit Auslassungen für die nachträgliche Einfügungen des Namens des Lehrlings und Meisters sowie Datums – der Stadt Münster in Westfalen aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Krumbholtz, Robert: Die Gewerbe der Stadt Münster bis zum Jahre 1661 (ND der Aufl. Leipzig 1898), Osnabrück 1965, S. 346. Krumbholtz zitiert das „Gildebuch der Maler, Glaser und Sattler fol. 80, im Besitz des Herrn Malermeisters Tüpignié zu Münster“, welches nach Auskunft des Stadtarchivs Münster (Schreiben vom 01.08. 2005) verlorengegangen zu sein scheint. Forma eines lehrbriefs Wir untenbenente als gildemeister des mahler- glaser- und sattler ampts zeugen und bekennen hiemit, was gestalt vor uns der ersamer N. sattler oder ec. beiseins seines lehrmeisteren N. personlich erschienen mit begeren, ihme attestation seiner lehr und retlicher verhaltens halber mitzutheilen. Weiln wir nun sein begeren auf fuegen stendig befunden und dahero ihme dieselbe nicht weigern sollen noch mugen, als zeugen wir mit untergesetzter hant, daß gemelter N. seine 6 lehrjahren bei vorgemeltem N. als lehrmeistere retlich, ehrlich und aufrichtich, wie einem retlichen lehrjungen solches gepuert, ausgestanden, maßen vorg. meister N. dasselbe wahr zu sein bekante. Dessen zur warheit, urkunt haben wir diese attestation mit eigener hant unterschrieben und nebens deme mit des mahler ampts siegel bekreftiget. Geschehen Münster ec. (Übertragung ins Neuhochdeutsche) Formular eines Lehrbriefes Wir, die unten als Zunftmeister des Maler-, Glaser- und Sattleramtes Benannten, bezeugen und bekennen hiermit, dass die Person vor uns, der ehrsame N. Sattler oder etc., im Beisein seines Lehrmeisters N. persönlich erschienen ist mit dem Begehren, ihm seine Lehrzeit zu attestieren und sein
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redliches Verhalten mitzuteilen. Weil wir nun sein Begehren nach Prüfung als zugeständig gerechtfertigt befunden und daher ihm diese nicht verweigern wollen noch mögen, bezeugen wir mit unserer Unterschrift, dass der genannte N. seine 6 Lehrjahre bei dem oben genannten N. als Lehrmeister redlich, ehrlich und aufrichtig, wie es sich für einen redlichen Lehrjungen als solches gebührt, ausgestanden hat, was dermaßen vorgenannter Lehrmeister N. als wahr bestätigt hat. Um dies urkundlich zu bewahrheiten, haben wir dieses Attest mit eigener Hand unterschrieben und zudem mit dem Siegel des Maleramtes bekräftigt. Geschehen Münster etc. 1.6 Die Freisprechung des Lehrlings Der Lehrbrief aus Münster in Westfalen ist ein Formular, das als Vorlage für die Ausstellung eines solchen Lehrbriefes diente. Erkennbar wird dies an den fehlenden Namen des Lehrlings und des Meisters, deren Platz nur durch ein N (= nomen) angegeben wurde. Des Weiteren ist die Benennung des Handwerks der sattler nur beispielsweise angegeben, da noch andere Handwerke in dem mahler- glaser- und sattler ampt vorkamen. Im Lehrbrief selbst werden die wichtigsten Aspekte der Freisprechung des Lehrlings benannt. Nach Ende seiner Lehrzeit, die zum Zeitpunkt der Ausstellung des Lehrbriefs für das Maler-, Glaser- und Sattleramt in Münster 6 lehrjahre betrug, erschien der Lehrjunge personlich mit seinem Lehrmeister vor den gildemeister[n] des mahler- glaser- und sattler ampts, um freigesprochen zu werden. Vor den Zunftvorstehern sprach sich der Lehrmeister über das Benehmen und gute Verhalten des Lehrlings aus. Wenn keiner der Anwesenden etwas Gegenteiliges zu berichten wusste, wurde dem Lehrling bestätigt, dass er seine Lehrzeit retlich, ehrlich und aufrichtich, wie einem retlichen lehrjungen solches gepuert beendet hatte. Demnach wurde in dem Lehrbrief nicht allein der Abschluss der Lehre bestätigt, sondern vielmehr, wie der Lehrling seine Lehre absolviert hatte. Dabei ging es nicht um das Können, welches sich der Auszubildende innerhalb der letzten sechs Jahre angeeignet hatte, sondern um die Art und Weise, wie er sich im Laufe seiner Lehrzeit verhalten hatte, nämlich so, wie es ihm zu Beginn seiner Lehre aufgetragen worden war: redlich, ehrlich und aufrichtig. Dieses positive, der Zunft entsprechende Verhalten wird ihm mittels des Lehrbriefes attestiert: ihme attestation seiner lehr und retlicher verhaltens halber mitzutheilen. Dies bezeugen die gildemeister […] mit eigener hant, indem sie den Lehrbrief unterschrieben und mit des mahler ampts siegel zusätzlich bestätigten.
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Die Verwendung der Begriffe zeugen, mit untergesetzter hant, mit eigener hant, attestation und warheit / wahr demonstrieren den wichtigsten Aspekt bei der Freisprechung des Lehrlings: die persönliche Bezeugung und rechtliche Bestätigung des redlichen Abschlusses der Lehre, die bei der Aufdingung des Lehrlings gefordert worden war. Genau wie bei der Aufdingung hatte der Lehrling hierzu persönlich zu erscheinen und im Beisein seines Lehrmeisters um Freisprechung zu bitten. Sein Vater bzw. Vormund oder die Bürgen waren nun jedoch nicht mehr als Zeugen anwesend. Dies war auch nicht nötig, da die Zunftmitglieder und der Lehrmeister nun für sein Verhalten und seinen erfolgreichen Abschluss der Lehre bürgten und dies schriftlich bestätigten. Mit Erhalt des Lehrbriefes wurde der Lehrling gegen Zahlung einer Lossprechungsgebühr an die Zunft im Gesellenbuch mit einem entsprechenden Eintrag vermerkt. Somit war auch bei Verlust des Lehrbriefes gewährleistet, dass die Maler-, Glaser- und Sattlerzunft in Münster jederzeit das Ende der Lehrzeit des Lehrlings auf Nachfrage bestätigen konnte. Allein der Geburtsund Lehrbrief ermöglichten es dem Jugendlichen, seinen Status in einer fremden Stadt nachzuweisen und Arbeit zu erhalten. Nach dem Abschluss der Lehre wurde der frischgebackene Geselle auf Wanderschaft geschickt, um auf Reisen die notwendige Weiterbildung zu erwerben, die ihn dazu qualifizierte, Meister zu werden.
2. Die Gesellenordnung der Maler, Glaser und Sattler Die Gesellenzeit als Stadium zwischen Lehre und Meisterwerdung lässt sich erst seit dem 14. Jahrhundert nachweisen. Vorher war es möglich, direkt nach der Lehre in den Meisterstand zu wechseln ohne Wanderschaft und Gesellenjahre zu absolvieren. Mit zunehmender Etablierung des Zunftwesens nahmen die Hürden, welche man überwinden musste um Meister zu werden, beständig zu. Hierzu zählten zum einen die Erfordernis eines gewissen Grundkapitals, um die Betriebseinrichtung, Zunftgebühren und im Laufe der Zeit auch Bürgerrechtsgebühren und militärische Ausrüstung finanzieren zu können, zum anderen die Einschaltung einer Arbeitsphase zwischen Lehrlingsausbildung und Meisterschaft. Mit dieser Ausbildungsverlängerung reagierte man auf die Bevölkerungszahlen in der Stadt, welche es nicht mehr ermöglichten, alle Lehrlinge nach ihrer Ausbildung direkt als Meister zuzulassen. Mittels der Etablierung einer Gesellenzeit gelang es, den Arbeitsmarkt zu flexibilisieren und den Meistern ein Kontingent an ausgebildeten Mitarbeitern zur Verfügung zu stellen, die konjunkturabhängig für längere oder kürzere Zeit beschäftigt werden konnten.
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Zudem diente die Gesellenzeit als Vorbereitungs- und Übergangszeit zur Meisterschaft. Ziel war die Erlangung der notwendigen Qualifikation, um Meister werden zu können. Einen Gesellenstand im heutigen Sinn gab es zur Blütezeit der Zünfte äußerst selten; die Gesellenzeit galt nur als ein weiterer Abschnitt, der durchlaufen werden musste, um zur Meisterprüfung zugelassen zu werden. Auch dieser Abschnitt der Ausbildung wurde von den Zunftordnungen strengstens reglementiert, um sowohl die Interessen der Gesellen als auch die der Meister zu schützen. In den Zunftordnungen der Maler-, Glaser- und Sattlergilde in Münster in Westfalen wurden die wichtigsten Punkte im Umgang mit den Gesellen aufgeführt. Diese beschäftigen sich vornehmlich mit der Aufnahme der Gesellen nach Abschluss ihrer Wanderzeit bis zum Erhalt der Meisterwürde und den hierfür notwendigen Voraussetzungen. Ergänzend hat sich eine Gesellenordnung erhalten, welche das Leben der Gesellen aus der Sicht derselben zusammenfasst und insbesondere Aufschluss über die Organisation der Gesellenbruderschaft in Münster gibt; sie wird wie die beiden Zunftordnungen auf das Ende des 16. Jahrhunderts datiert.16 Bevor diese Quelle genauer vorgestellt wird, sollen die Gesellenzeit, welche sich in die Wander- und die Muthjahre unterteilte, sowie die Einrichtung der Gesellenschaft genauer betrachtet werden, um die Quelle in ihren historischen Kontext einordnen zu können. 2.1 Die Wanderschaft der Gesellen Parallel zur Etablierung des Gesellen im 14. Jahrhundert verbreitete sich das Gesellenwandern als Teil der Gesellenzeit. Seit dem 16. Jahrhundert war das Wandern bei den meisten Handwerken Pflicht. Voraussetzung hierfür war das Vorhandensein eines flächendeckenden Zunftnetzes bzw. von Gesellenschaften, die die Gesellen vor Ort bei der Suche nach Arbeit unterstützen konnten. Kluge argumentiert, dass das Gesellenwandern als „logische Konsequenz“ aus der „Erfindung“ des Gesellen entstand.17 Nur wenn er flexibel von Ort zu Ort wandern und somit auf die Arbeitsmarktfluktuationen reagieren konnte, war es ihm möglich, Arbeit zu finden und sich weiterzubilden. Das Wandern erfolgte nach strengen Kriterien, die der Auszubildende erst erlernen musste. Nach Abschluss seiner Lehrjahre trat der ehemalige 16
Zum Gesellenwesen in Münster, auf welches wir immer wieder ohne Einzelnachweis Bezug nehmen, vgl. Krumbholtz 1898, S. 85*–98*. Zum allgemeinen Kontext siehe zum Vergleich Bräuer 1989. 17 Kluge 2007, S. 176.
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Lehrling daher meist in die Gesellenbruderschaft ein, welche ihn mit den Gepflogenheiten seines Gesellenstandes vertraut machte. Über die Aufnahmeriten in die Bruderschaft ist bezüglich des Malerhandwerks kaum etwas bekannt. Wahrscheinlich gingen sie mit einem feierlichen Zeremoniell und einer Einweisung in die Wandergewohnheiten des Handwerks einher. In anderen Handwerken wurde die sogenannte Gesellentaufe vollzogen, welche dem Ritual der Taufe sinnbildlich nachgeahmt war. Der Junggeselle musste sich hierzu einen »Paten«, »Pfaffen« und »Messner« wählen. Vor der gesamten Gesellenschaft und meistens auch den geschworenen Meistern bat der Kandidat nach gewissen Formeln um die Aufnahme als Geselle. Wurde ihm diese gewährt, hat man ihm die Regeln seines künftigen Verhaltens gegenüber dem Meister und den Mitgesellen vorgelesen und er wurde strengstens ermahnt, sich an diese zu halten. Meistens wurden ihm diese Verhaltensregeln »eingebleut«, was mit viel Hohn und Spott einherging. An die vollzogene Gesellenweihe schloss sich eine allgemeine Zeche an, deren Kosten der frischgebackene Geselle zum größten Teil zu tragen hatte. Für das Malerhandwerk können ähnliche Riten angenommen werden.18 Nach feierlicher Aufnahme in den Gesellenstand hatte der neue Geselle innerhalb einer bestimmten Frist zur Wanderschaft aufzubrechen. In Lübeck war beispielsweise durch die Zunftordnung vorgeschrieben, dass der Malergeselle nicht länger als zwei Jahre nach beendeter Lehre in der Stadt bleiben durfte. In der Regel warteten die Gesellen das kommende Frühjahr ab, um mit ihrer Wanderschaft zu beginnen. Angaben zur Dauer der Wanderschaft findet man meist in den jeweiligen Zunftordnungen vor Ort. Die Zunftordnungen in Münster geben leider keine Hinweise darauf.19 Über das geographische Gebiet, welches von den Künstlern durchwandert wurde, lassen sich kaum Aussagen machen. Generell pauschalisiert Kluge: „Je näher das Handwerk in die Dimension der Kunst rückte, um so internationaler wurde die Wanderschaft.“20 Die wenigen Quellen geben Aufschluss darüber, dass Nürnberger Malergesellen häufig in Krakau, Prag und Italien anzutreffen sind, Kölner Maler gerne den Rhein auf- und abwärts und nach Flandern zogen und sich die Lübecker Maler nach Norden Richtung Schweden und Norwegen orientierten. Die Handelsbeziehungen der Heimatstädte, persönlicher Geschmack des Gesellen, aber auch der Versuch, bei bekannten Malern eine Anstellung zu finden, konnten als 18
Für die Kunstgeschichte ist dieses nahezu unerforscht, siehe Tacke 1998 und Tacke 2009. 19 Zu Wanderzeiten in annähernd zeitgleichen Zunftordnungen, die sich auf Künstler (Maler) beziehen, siehe Tacke 2003; Tacke 2001a und Tacke 2001b. 20 Kluge 2007, S. 187.
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Entscheidungsgrundlage für die geographische Richtung der Wanderschaft dienen. Nach der Reformation spielten auch verstärkt konfessionelle Faktoren eine Rolle, da es katholischen Handwerkern in protestantischen Städten und umgekehrt zunehmend erschwert wurde, als Gesellen aufgenommen zu werden. Tendenziell lässt sich feststellen, dass im 17. Jahrhundert die norddeutschen Künstler bevorzugt nach Holland, die süddeutschen Künstler nach Italien wanderten. Für einen Münsteraner Künstler hätte sich geographisch ebenfalls eine Wanderung in die Niederlande angeboten. Ziel der Wanderschaft war das Erlernen verbesserter und bisher unbekannter Arbeitstechniken21, das Einüben konventioneller Verhaltensformen des Handwerks sowie das Kennenlernen der Regularien des lokalen Arbeitsmarktes. Des Weiteren bot sich während der Wanderschaft die Möglichkeit, die eigene soziale Gruppe besser kennenzulernen und mit dieser das gesellschaftliche Zusammenleben zu pflegen. Hierbei war es besonders wichtig, sich die Handwerksbräuche, welche als eine Art Geheimwissen während der Einführung mündlich an die Gesellen weitergegeben wurden, genauestens einzuprägen, um sich vor Ort erkennen zu geben und dadurch einen Anspruch auf Sozialleistungen wie Unterkunft, Nahrung und Arbeitsvermittlung geltend machen zu können. Diese Bräuche umfassten generell die Einweisung in die Handwerksgewohnheiten, die Termine und allgemeine Regeln zum Wandern und zur Kleidung, das Ritual beim Betreten der Herberge, eventuell mit Benachrichtigung des Altgesellen, den Handwerksgruß mit Identifizierung und Vortrag des Arbeitswunsches, die Umschau nach Arbeit, oftmals mit Hilfe des Altgesellen, die Benachrichtigung, welchen Erfolg die Arbeitsvermittlung hatte, den Dienstantritt beim Meister bzw. an der Arbeitsstätte, die Einführung in die Gesellenschaft22, meist mit 21
Aus diesem Grund gab es für manche Handwerke Wanderverbote. Dies galt besonders dann, wenn gewisse Städte einen Technologievorsprung oder fast ein Monopol besaßen und man den Export von speziellen Fähigkeiten untersagen wollte. Hierzu zählen im Bereich des Kunsthandwerks insbesondere das Wanderverbot für alle metallverarbeitenden Handwerke in Nürnberg, aber auch der Schmucksteinarbeiter in IdarOberstein. Vgl. zu den Edelsteinschleifern und dem Verbot, Idar-Oberstein zu verlassen, den Aufsatz von Brandt in diesem Band. 22 In den historischen Quellen lassen sich unterschiedliche Bezeichnungen finden, die nicht klar voneinander abzugrenzen sind: Bruderschaft, Gesell(en)schaft, Gilde, Elendigkeit, Verein. Der Versuch, zwischen Bruderschaften mit religiösen und Gesellenschaften mit geselligen / wirtschaftlichen Zielen zu unterscheiden, ist schwierig, da die Quellen nicht eindeutig genug differenzieren, zumal Religion und Geselligkeit sich meist überlagerten; Kluge 2007, S. 199. – Im Folgenden werden beide Begriffe gleichberechtigt verwendet, da sie auch in der verwendeten Literatur gleichgesetzt werden, ohne eine Unterscheidung zwischen einer möglichen religiösen oder wirtschaftlichen Zielsetzung vorzunehmen.
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Schenken und die Verabschiedung mit dem Geleit. Auch wenn keine detaillierten Kenntnisse über den Ablauf des Rituals bei den Malern überliefert sind, kann davon ausgegangen werden, dass es solche Regeln wie in anderen Handwerken auch gab. Dies gilt insbesondere für den Handwerkergruß, welcher einen Gesellen als Mitglied eines Handwerks erkennbar machte. Während der Wanderschaft sollten die Regeln der Zunft verinnerlicht werden, die nicht nur bei der Arbeit, sondern auch in allen wichtigen Alltagssituationen Anwendung fanden. Die präzise Kenntnis der Rituale war demnach außerordentlich wichtig, um in die Gesellschaft des Handwerks vor Ort aufgenommen und in den Genuss ihrer sozialen Fürsorge zu kommen. Diese Sozialleistungen wurden in der jeweiligen Stadt durch die Zunftordnung geregelt oder, wenn es eine Gesellenbruderschaft gab, von dieser zur Verfügung gestellt. 2.2 Die Gesellenbruderschaft: Entstehung und Funktion Die Gesellenbruderschaften entstanden im Laufe des 14. Jahrhunderts wahrscheinlich aus karitativ-religiösen Gemeinschaften heraus als örtliche Vereinigungen mit eigener Rechtspersönlichkeit.23 Sie stellten den notwendigen Entwicklungsschritt aus der Etablierung des Gesellenstandes dar. Ob sie hierbei als Vereinigung von ihrem Bestreben her explizit gegen die Meisterschaft und die Obrigkeit gerichtet waren, oder sogar in Übereinstimmung mit denselben in friedlichem Einvernehmen entstanden sind, wird in der Forschung kontrovers diskutiert.24 Unabhängig von der Motivation ihrer Entstehung werden die Gesellenbruderschaften heute „als Ausdruck von Lebensformen junger unverheirateter Männer verstanden […], die durch ähnliche Interessen und Erfahrungen sowie die Freude an der Geselligkeit verbunden sind.“25 Sie definieren somit im Spätmittelalter eine Jugendphase für die Gruppe der Handwerker, welche die charakteristischen Eigenschaften einer Jugendbewegung umfassen. Hierzu zählt beispielsweise die Beschränkung auf eine begrenzte Zeitspanne zwischen Kindheit (Ende mit der Lehre) und dem Erwachsenwerden (Meisterschaft, Betriebsgründung, Eheschließung). Die Gesellenzeit lag somit zwischen dem Erwerb ihrer Fähigkeiten und der vollständigen Entfaltung derselben. Während der Wanderschaft waren sie von ihren alten Si23
Kluge 2007, S. 199; Reith 2006, Sp. 663; Schulz 1989, Sp. 1386. Die wichtigsten Forschungsmeinungen sind bei Kluge 2007, S. 200–203, zusammengefasst. Für Münster wird die Entstehung der Gesellenrolle in Zusammenarbeit zwischen Meistern und Gesellenschaft vermutet, siehe Krumbholtz 1898, S. 88*. 25 Schulz 1985, S. 59. 24
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cherheiten, die ihnen das Haus des Meisters gewährt hatte, entfernt und neue gab es noch nicht. Allein die Regeln des Wanderns, welche sie von den ihnen Gleichgestellten erlernt hatten, und die Bruderschaften vor Ort waren ihre Leitschnur und ihr Anlaufpunkt. In den Bruderschaften waren sie unter Standesgleichen (»peer-groups«) unabhängig vom Einfluss der Erwachsenen, sprich den Meistern. Die Gesellen waren in der Regel 15– 25 Jahre alt und zeichneten sich durch familiäre Ungebundenheit, Mobilität, Selbstständigkeit und Großräumigkeit ihrer Organisation, Solidarität im Handeln und ein auffallendes Selbstwertgefühl aus. Dies bedeutete aber nicht, dass sie außerhalb des Zunftsystems standen! Auch in ihrer eigenen Gemeinschaft mussten sie den Regeln des Handwerks, die meist durch die Zunft definiert wurden, Folge leisten, durften ihrem Handwerk keine Schande machen und disziplinierten sich schließlich selbst in ihrer Gruppe. Damit leisteten die Gesellenschaften auch Selbsterziehungsarbeit für ihre spätere meisterliche Existenz. Dazu zählten die Einführung von Trinkordnungen, Kleider-, Pünktlichkeits- und Benimmvorschriften in der Kirche und außerhalb derselben. Des Weiteren definierte sich die Bruderschaft als Fürsorge- und Hilfsgemeinschaft für die wandernden Gesellen, was wahrscheinlich auf die religiösen Wurzeln dieser Einrichtung zurückzuführen ist. Diese Regeln wurden schriftlich in Ordnungen zusammengefasst, welche von den einzelnen Gesellenschaften vor Ort aufgestellt wurden. Ein Beispiel hierfür ist die Ordnung der Maler-, Glaserund Sattlergesellen in Münster. 2.3 Quelle: Rolle der Gesellen Ordnung der Maler-, Glaser- und Sattlergesellen in Münster in Westfalen vom Ende des 16. Jahrhunderts. KRUMBHOLTZ, Robert: Die Gewerbe der Stadt Münster bis zum Jahre 1661 (ND der Aufl. Leipzig 1898), Osnabrück 1965, S. 344–346. Krumbholtz zitiert das „Gildebuch der Maler, Glaser und Sattler fol. 7 im Besitz des Herrn Malermeisters Tüpignié zu Münster“, welches nach Auskunft des Stadtarchivs Münster (Schreiben vom 01.08. 2005) verlorengegangen zu sein scheint. Quellenabschrift und Übertragung ins Neuhochdeutsche von Aline Schmitt. Ordnung der maeler-, glaesemaker- und sadeler gesellen 1. Alle jaer sullen de gildemester der schilders ut der gilde 2 gildebroder erwellen to voerwesers der maeler-, glasemaker- und saedelmaker gesellen, welkeren der gesellen busse samt gelde und rullen (den gesellen tom besten)
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sal gehantreket und bevollen werden. Und it sullen alle jar up guden mandach (welk dar is de erste mandach na der hilligen dreivoldicheit) der geselle scheffere (mit wetten und willen der vorwesers) alle gesellen der 3 ampter verbodden laten up bequeime stedde und stunde vor middage, umme aldar vor on allen gude reckenschap to doen van alle upgehavenen und utgegevenen gelde u., und sullen nie scheffers gekoren werden. Und so der gekorenen scheffers ein binnen jaers wolde wandern, sal he ersten in biwesen vorwesers und semptliken gesellen reckenschop don und sal vort ein nie scheffer gekoren werden in sine stedde, dat scheffer amt vortan to bedeinen bes to ende ofte neigstkümstigen guden mandaege. 2. Butten willen und biwesen der gesatten vorwesere en sullen de gesellen gine bikumpfte under sick maeken. Wen overst de gesellen verboddet werden, is de brake des utblivenden 1 Schl. und des to late kommenden 6 [Pfennig]. Dar ock hirenboven sus enich strafbar geselle gebrocket worde, sal de helfte des brockes in de busse gelecht werden, umme de gesellen, so hir krank werden und dat oere in der krankheit verteren, darvan to trosten, und de ander helfte to gelegener tit den semptliken gesellen der 3 ampter vergunt werden to verteren, doch allent na raede und in biwesen der vorwesers. Over so sick de strafbare nicht wolde strafen laten oder de twist vor dem ampte moste verdregen werden, sullen de brocke darvan ock int amt vervallen. 3. Kumpt ock ein fromt geselle wandern, in sunderheit ein sadeler26, so sullen an de 2 gesellen, de hir lengest hebben gearbeidet, umme aerbeit gaen. Und so he arbeit kricht, dorven se em nicht schenken; over so he gin en kricht, sullen on de beiden vereeren im kroege mit 1 Schl. Und so dar mer queimen, sal einen ideren volgenden altit van den 2 neigesten umme arbeit gegaen werden und in allen dingen mit em gehandet, wu vorg., und dat also vam ersten bes tom lesten to. Und so vaken ein geselle arbeit kricht oft einen nien mester, dar he 14 dage bi arbeidet, sal sin mester altit 12 [Pfennig] sinenthalven binnen holden. Und sodane ingeholdene gelt sal van den scheffern dat jar dorch angetekent und up guden mandach von ideren mester gevordert und in der gesellen bussen gelacht werden. Und alle gesellen sullen holden der gilde gewonte und in tavernen unde up straeten hovesch und berve sin und tor aventklocken tit ingaen. Oder so dat nicht en gescheige und an darenboven jennich verdreit weddervoere, dar en sullen sick de gilde nicht medde bekummeren. 4. Dar overst jennich geselle queime, de men wuste, dat nicht erlick en were, oft bi ginen eerliken meister gelert hedde, odder sine leerjaere bi sinen meister, sover de solange levede, nicht ut en deinede, dem en sall men nicht ummen aerbeit gaen. 26
in sunderheit ein sadeler von späterer Hand; Krumbholtz 1898, S. 344, Anm. r.
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5. Entgenge oft wanderde ennich geselle van sinem meister, de on noch gerne lenger wolde beholden und geive sick bi einen anderen meister to denste, so men konde wis werden, dat on de leste mester vam ersten verschunt hedde, sal de mester van der gilde gestraft und dem gesellen im halven jaer binnen Munster to arbeiden nicht vergunt werden, overst na ummegang eines halven jaers mach he wedder umme arbeit schicken. 6. Folgens sullen ock gine bisundere verbuntenisse unden gesellen gemaket werden odder men sal degien, de dar mit gewest sin, vor meister noch geselle binnen Munster gestaeden to arbeiden, ten were dan saeke, dat he sick van der gilde na gelegenheit leite strafen. Und so vaken ock ein geselle einen werkeldach to arbeiden versuimet, mach en sin meister altit einen dubbelden stuiver an sinem loene afkorten. 7. Gin geselle, de buten Munster up sine eigene hant vor Munster worde arbeiden, sal in de schilder gilde volgens nicht genommen werden. 8. Henvorder so jennigen gildebroede sine kinder afstorven, er se bestaedet oft to einer gilde angenommen worden, sullen de gildebroeder und gesellen bi dem brocke verboddet werden, und de 4 oldesten gesellen der tit im arbeide (so dat licham so groet is) sullen dat licham dregen und de 2 dar neigest de lichter und de anderen alle na to grave volgen. Und so to dem dregen nicht gesellen genoch en weren, sullen de jungesten meisters den tal des dregens vervullen. 9. Item so dar ock ein geselle oft junge im ampte verstorve, sal sin meister de gildebroders biden und de gesellen und jungen bi dem brocke verbodden laten, dem licham tom grave na to volgen, und sullen de 4 jungesten gesellen der tit in aerbeide dat licham und de 2 neigesten de lichter dregen und dat sal angaen vam jungesten tom oldesten over. So to dem dregen nicht gesellen genoch en weren, sullen de oldesten jungen (in der leer) den tal vervullen. Und it sullen der gilde lichter und boldock sodanes verstorvenen meister (up sin gesinnen ut gunsten) gehantreket werden ider tit vor 1 [Pfund] wasses, sover men sulkes ut des verstorvenen naelaete kan geven. 10. Kumpt over imant van den verboddeden gesellen oder jungen nicht up bestemmede stunde und stedde, is de brocke des utblives, wu vorgeschreven, 1 Schl. und des to laete kommenden 6 [Pfennig]. Over so we van den 6 dregers sulkes versuimede, is sin brocke 2 Schl. und 1 den, de vor om gedregen heft. Dan so de dode in pestilentien odder beklifliken suikten wer gestorven, sullen alle brocke dubbelt sin, und sodanne brocke sullen de scheffers inmaenen und in de bussen brengen. (Übertragung ins Neuhochdeutsche) 1. Jedes Jahr sollen die Gildemeister der Maler aus der Gilde zwei Gildebrüder als Verweser der Maler-, Glaser- und Sattlergesellen erwählen, de-
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nen die Büchse der Gesellen mitsamt Geld und Urkunden (den Gesellen zum Besten) übergeben und anbefohlen werden soll. Und es sollen jedes Jahr am Guten Montag (welcher der erste Montag nach dem heiligen Dreifaltigkeitsfest ist) die Scheffer der Gesellen (mit Wissen und Willen der Verweser) alle Gesellen der drei Ämter an bequemer Stätte und Stunde vor Mittag aufbieten lassen, um dort vor allen gute Rechenschaft abzulegen über alles eingenommene und ausgegebene Geld etc., und es sollen neue Scheffer gewählt werden. Und für den Fall, dass einer von den gewählten Scheffern binnen eines Jahres wandern wollte, soll er zuerst in Anwesenheit eines Verwesers und aller Gesellen Rechenschaft ablegen, und es soll danach ein neuer Scheffer gewählt werden an seiner Stelle, das Schefferamt fortan wahrzunehmen bis zum Ende des nächstkommenden Guten Montags. 2. Ohne Zustimmung und Anwesenheit der eingesetzten Verweser sollen die Gesellen keine Zusammenkünfte unter sich machen. Wenn aber die Gesellen aufgeboten [zusammengerufen] werden, ist die Buße des Fernbleibenden 1 Schilling und die des zu spät Kommenden 6 Pfennige. Falls darüber hinaus ein Geselle, der sich strafbar gemacht hat, mit einer Buße belegt wird, soll die Hälfte des Bußgeldes in die Büchse gelegt werden, um die Gesellen, die hier krank werden und das Ihre in der Krankheit verzehren, damit zu versorgen; und die andere Hälfte soll zu gelegener Zeit allen Gesellen der drei Ämter zum Verzehr gegönnt werden, doch alles nach Rat und im Beisein der Verweser. Aber wenn sich der Strafbare nicht strafen lassen will oder der Zwist vor dem Amt verhandelt werden muss, dann sollen die Bußen hierfür auch an das Amt fallen. 3. Kommt auch ein fremder Geselle auf der Wanderschaft, insbesondere ein Sattler, so sollen für ihn die zwei Gesellen, die hier am längsten gearbeitet haben, um Arbeit fragen. Und falls er Arbeit bekommt, dürfen sie ihm nichts geben [schenken]; aber wenn er keine bekommt, sollen ihn die beiden im Krug mit 1 Schilling bewirten. Und falls deren mehrere kommen, soll für jeden Folgenden alle Zeit von den zwei nächsten [Gesellen] um Arbeit gefragt werden und in allen Dingen mit ihm so verfahren werden wie vorgenannt, und das vom ersten bis zum letzten. Und so oft ein Geselle Arbeit bekommt oder einen neuen Meister, bei dem er 14 Tage arbeitet, soll sein Meister allzeit 12 Pfennige seinetwegen einbehalten. Und dieses einbehaltene Geld soll von den Scheffern das Jahr hindurch aufgezeichnet und am Guten Montag von jedem Meister eingefordert und in die Büchse der Gesellen gelegt werden. Und alle Gesellen sollen die Gewohnheiten der Gilde einhalten und in Tavernen und auf der Straße höflich und anständig sein und zur Abendglockenzeit heimgehen. Aber wenn das nicht geschieht und deshalb irgendjemandem Verdruss widerfährt, darum soll sich die Gilde nicht kümmern.
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4. Wenn aber irgendein Geselle käme, von dem man wisse, dass er nicht ehrbar ist oder bei keinem ehrbaren Meister gelernt hat oder seine Lehrjahre bei seinem Meister, sofern der so lange lebte, nicht ausgedient hat, für den soll man nicht um Arbeit gehen. 5. Geht ein Geselle auf Wanderschaft oder trennt er sich von seinem Meister, der ihn gerne noch länger behalten wollte, und tritt er bei einem anderen Meister in Dienst, wenn man dann erfährt, dass ihn der letzte Meister von dem ersteren abgeworben hat, soll der Meister von der Gilde gestraft und es dem Gesellen ein halbes Jahr lang nicht gegönnt werden, in Münster zu arbeiten; aber nach Ablauf eines halben Jahres mag er sich wieder um Arbeit bemühen. 6. In Zukunft sollen auch keine besonderen Bündnisse unter den Gesellen gemacht werden oder man soll denjenigen, die dabei mitgemacht haben, [nicht] gestatten, als Meister oder Geselle in Münster zu arbeiten, es sei denn, dass er sich von der Gilde bei Gelegenheit strafen ließe. Und so oft auch ein Geselle einen Werktag zu arbeiten versäumt, mag ihm sein Meister allzeit einen doppelten Stüber27 von seinem Lohn abziehen. 7. Ein Geselle, der außerhalb Münsters auf eigene Faust für Münster arbeitet, soll künftig in die Malergilde nicht aufgenommen werden. 8. Ferner, falls die Kinder eines Gildebruders sterben, ehe sie einen Hausstand begründet haben oder in eine Zunft aufgenommen worden sind, sollen die Gildebrüder und die Gesellen bei Buße aufgeboten werden, und die vier ältesten Gesellen, die zu der Zeit in Arbeit sind (falls der Leichnam so groß ist), sollen den Leichnam tragen und die zwei nächstältesten die Leuchter, und die anderen sollen alle zum Grab folgen. Und wenn für das Tragen nicht genug Gesellen vorhanden sind, sollen die jüngsten Meister die Zahl der Träger vollmachen. 9. Item falls auch ein Geselle oder Lehrjunge im Amt stirbt, soll sein Meister die Gildebrüder bitten und die Gesellen und Lehrjungen bei Buße aufbieten lassen, dem Leichnam bis zum Grab zu folgen. Und es sollen die vier jüngsten Gesellen, die zu der Zeit in Arbeit sind, den Leichnam, und die zwei nächsten die Leuchter tragen, und das soll beginnen beim Jüngsten bis zum Ältesten hin. Falls zum Tragen nicht genug Gesellen vorhanden sind, sollen die ältesten Lehrjungen (die in der Lehre sind) die Zahl auffüllen. Und es sollen die Leuchter und der Baldachin der Gilde bei einem verstorbenen Meister (auf seinen Wunsch als Vergünstigung) zur Verfü-
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Stüber, eine rheinisch-westfälische, dem holländischen Stuyver nachgeahmte Billonmünze im Wert von 1/24 Goldgulden. 1611 wog der Stüber 2,16g und hielt 0,90g Silber; Schrötter 19302, S. 667.
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gung gestellt werden jederzeit für 1 Pfund Wachs, sofern man dieses aus dem Nachlass des Verstorbenen geben kann. 10. Kommt aber jemand von den aufgebotenen Gesellen oder Lehrjungen nicht zur festgelegten Stunde und zum festgelegten Ort, ist die Buße für das Ausbleiben, wie oben geschrieben, 1 Schilling, und für das Zuspätkommen 6 Pfennige. Aber wer von den 6 Trägern diese [Pflicht] versäumt, dessen Buße beträgt 2 Schillinge und 1 Pfennig für den, der für ihn getragen hat. Wenn aber der Tote an der Pest oder an einer ähnlichen Seuche gestorben ist, sollen alle Bußen doppelt so hoch sein, und solche Bußen sollen die Scheffer einnehmen und in die Büchse legen. 2.4 Kontextualisierung Die Maler im westfälischen Münster waren gemeinsam mit den Glaser- und Sattlergesellen in einer Gesellenbruderschaft verbunden. Meist war die Anzahl der Maler an einem Ort zu klein, um eine eigenständige Zunft oder Bruderschaft zu gründen, so dass sie sich mit verwandten Handwerken zusammenschlossen. Auftrag der Gesellenbruderschaften war die Unterstützung der Mitglieder in allen Belangen. Dies umfasste die Hilfe bei der Suche nach Arbeit in der neuen Stadt, aber auch Unterstützung und Fürsorge für kranke, notleidende und wandernde Mitbrüder. Ihre wichtigste Aufgabe war hierbei die „Umschau“, welche in Artikel 3 und 4 der Gesellenordnung beschrieben wird. Kam ein wandernder Geselle nach Münster, meldete er sich in der Herberge der Gesellenbruderschaft, welche meist ein Gasthaus war, an. Diese wird in der Quelle als kroege bezeichnet.28 Dort fragte er bei den zwei Gesellen, die bereits am längsten vor Ort gearbeitet hatten, um Arbeit. Bevor sich diese um Arbeit für ihn bemühten, musste er den Nachweis erbringen, dass er von ehrbarer Geburt war, bei einem ehrbaren Meister gelernt und seine vorgeschriebenen Lehrjahre abgeleistet hatte. Als Bestätigung diente 28
Als Krug (Gasthaus) werden alle Herbergen der Handwerke in Münster bezeichnet. Nachweislich verfügten neben den Malern, Glasern und Sattlern auch die Bäcker, Buchbinder, Schmiede, Schuster und Tischler über einen Krug; Krumbholtz 1898, S. 96*. Die Gesellenschaft war Träger solcher Herbergen und schloss mit einem Wirt einen Vertrag ab, der diese dann betrieb. Handwerke, die über eine Herberge verfügten wurden »geschenkte« Handwerke genannt und galten als besonders ehrenvoll. Die Bezeichnung geschenktes Handwerk hat dementsprechend nichts mit dem weiter unten genannten Zehrgeld, d. h. Geldgeschenken zu tun, welche manche Gesellenschaften ihren Mitgliedern zur Unterstützung gaben; Kluge 2007, S. 190.
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generell der Lehrlingsbrief, welcher ihm in seiner Heimatstadt ausgestellt worden war. Konnte er eines dieser Kriterien hingegen nicht erfüllen, durfte er in Münster nicht um Arbeit ersuchen (Artikel 4). Das Aufsuchen der Meister geschah wahrscheinlich nach einem gewissen Rotationsprinzip, welches gewährleisten sollte, dass kein Meister übervorteilt wurde. Der Geselle durfte sich nicht selbstständig nach Arbeit umsehen. Die Gefahr, dass er in einer Zeit mit hohem Bedarf an Arbeitskräften versuchen würde, die Meister gegeneinander auszuspielen und sich gegenseitig überbieten zu lassen, um ihn in Dienst zu nehmen, war zu groß. Die Suche durch vor Ort ansässige Gesellen, welche die Arbeitsmarktsituation kannten und an ein gewisses Proporzsystem gebunden waren, diente somit als Gewährleistung möglichst fairer Arbeitsmarktbedingungen für die Meister und den arbeitsuchenden Gesellen. Ziel war es, für den zugewanderten Gesellen für mindestens 8–14 Tage Arbeit zu finden und ihn wenn möglich für länger an einen Meister zu vermitteln. Besonders in konjunkturschwachen Zeiten, in denen keine zusätzlichen Arbeitskräfte benötigt wurden, war dies häufig schwierig. Der Versuch, zumindest für ein bis zwei Wochen eine Anstellung zu erhalten, sollte dem wandernden Gesellen helfen, ein wenig Geld für seine weitere Wanderschaft zu verdienen. Alternativ zahlte man ihm ein Zehrgeld, um ihn bei seiner Wanderung zu unterstützen. Das Wichtigste war hierbei, dass die Stadt in guter Erinnerung behalten wurde und keine nachteiligen Reden über sie in Umlauf kamen, was ein generelles Zuwandern der Gesellen verhindert hätte. In Münster wurde der Geselle, wenn er keine Arbeit fand, mit einem Schilling im Gasthaus bewirtet. Fand der Geselle in der Stadt Arbeit und blieb nach seiner 14-tägigen Probezeit bei dem Meister, sollte dieser 12 Pfennige vom ersten Lohn des Gesellen einbehalten. Dieses Geld wurde einmal im Jahr von den Scheffern der Gesellenschaft eingesammelt und in deren Büchse eingezahlt. Während der Probezeit hatten sowohl Geselle als auch Meister die Möglichkeit, das Arbeitsverhältnis wieder aufzukündigen. Geschah dies nicht, wurde ein Vertrag aufgesetzt, welcher generell für ein halbes oder ganzes Jahr abgeschlossen wurde und beiden Parteien eine Kündigungsfrist von einer bis zu mehreren Wochen gewährte. Während der Vertragslaufzeit war der Geselle Mitglied der Werkstatt seines Meisters und dessen Hausgenosse. Als solcher hatte er Rechte, aber auch Pflichten zu erfüllen. Zu seinen Pflichten gehörte ein angemessenes Verhalten, welches Ungehorsam, schlechtes Benehmen, Untreue, heimliches Arbeiten, Trunksucht, Faulheit, Arbeitseinstellung, Ausbleiben bei Nacht ausschloss – ähnliches wurde auch in den Artikeln Art. 3, 5, bzw. 7 geregelt. Seine Rechte umfassten den Anspruch auf Bezahlung, die einmalige Möglichkeit, sich einen anderen Dienstherrn zu suchen (Artikel 3) und eine gleichwertige Behandlung aller Gesellen
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eines Berufes, insbesondere was die Versorgung im Haushalt des Meisters und die Bezahlung anging. Hierbei konnte er sich im Notfall auf die Unterstützung seiner Gesellenschaft verlassen. Die Kündigung wurde meist zum „Lohnabend“ am Samstag oder am arbeitsfreien Sonntag ausgesprochen. Kündigte der Geselle früher als vereinbart, musste er damit rechnen, vor Ort mit einer Sperrfrist belegt zu werden, welche ihm verbot, sich nach einem neuen Meister umzuschauen. Auch diese Regelung wurde getroffen, damit die Gesellen nicht ihre Meister gegeneinander ausspielen konnten bzw. ihrem vorherigen Meister Kunden abspenstig machten oder von einem neuen Meister höhere Löhne verlangten. Da ein derartiges Verhalten nicht den Wettbewerbsvorstellungen der Zunft entsprach, wurde solches streng bestraft. In der Gesellenordnung steht in Artikel 5, dass kein Geselle sich von seinem Meister abwerben lassen darf. Der Geselle wurde hierfür mit einem halben Jahr Arbeitsverbot in Münster bestraft, während der Meister eine Strafe von der Zunft auferlegt bekam, die jedoch in den überlieferten Zunftordnungen nicht weiter definiert ist. Auch wenn der Geselle den Meister im Stich ließ und gegen dessen Willen weiterwanderte, wurde er mit dem Arbeitsverbot in der Stadt belegt. Fand der zugewanderte Geselle in Münster Arbeit, schloss er sich wahrscheinlich bald der Bruderschaft der Maler-, Glaser- und Sattlergilde an. Diese umfasste sowohl die ortsansässigen Gesellen, welche ihre Wanderjahre bereits beendet hatten und nun in Münster einem Meister zuarbeiteten, bis sie selbst Meister werden durften, als auch die zugewanderten Gesellen. Den Vorsitz über die Gesellenschaft hatten die Zunftmeister. Sie wählten je zwei Meister als Verweser, denen die Büchse der Gesellengilde mit Geld und Urkunden zur Verwaltung übergeben wurden. Scheffer der Gilde konnten sowohl die ortsansässigen als auch die zugewanderten Gesellen werden. Jeweils zwei Gildenbrüder wurden für ein Jahr gewählt und mussten nach Ablauf desselben Rechenschaft ablegen. Wurde ein noch wandernder Geselle mit diesem Posten betraut, und entschloss er sich vor Ablauf seiner Amtszeit weiterzuziehen, konnte die Wahl auch vorverlegt werden. Ansonsten fand sie am ersten Montag nach dem heiligen Dreifaltigkeitsfest (sonntags nach Pfingsten) statt (Artikel 1). Die kurze Wahlperiode und die Möglichkeit, jederzeit sein Amt abzulegen, wenn man weiterziehen wollte, zeugen von der enorm hohen Fluktuation, welche dem Gesellenstand als wichtigstes Charakteristikum zugrunde lag. Dies war zum einen durch die Wanderschaft und zum anderen dadurch bedingt, dass die Gesellen nach Ablauf der Wanderschaft in dem Ort, in dem sie Meister werden wollten, ihre Muthzeit abzuleisten hatten. Die Muthzeit in Münster betrug je nach sozialem Status zwei bis vier Jahre.
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Nach Ableisten dieses Dienstes bemühten sich die meisten Gesellen darum Meister zu werden und verließen bei Erfolg ebenfalls die Gesellenbruderschaft. Die Zusammensetzung der Bruderschaft wechselte demnach ständig, so dass sie innerhalb von wenigen Jahren bereits aus vollkommen anderen Mitgliedern zusammengesetzt sein konnte. Die administrativen Aufgaben der der Gesellengilde wurden zum Teil von den Verwesern und zum Teil von den Scheffern ausgeführt. Die wichtigsten Punkte waren hierbei die Einnahme und Verwaltung des Geldes, das Einberufen von Versammlungen und die Gewährleistung der sozialen Fürsorge gegenüber ihren Mitgliedern. Die Gelder, welche der Gesellenbruderschaft zur Verfügung standen, stammten zum einen aus den einbehaltenen 12 Pfennig Lohn der vermittelten Gesellen und zum anderen aus Bußgeldern, welche die Bruderschaft und die Zunft aufgrund ihrer in den Ordnungen festgeschriebenen Disziplinierungsfunktionen gegenüber den Mitgliedern verhängen durften. Gestraft wurde bei Zuspätkommen oder Fernbleiben von Versammlungen und Beerdigungen. Die Höhe der Strafen wurde durch die Ordnung festgelegt und die Gesellenschaft übernahm eine Polizeifunktion, indem sie den Verurteilten zur Zahlung aufforderte (Artikel 2, 10). Verweigerte der Angeklagte die Zahlung oder war das Vergehen schwerwiegender, wurde er nicht von der Bruderschaft, sondern von der Zunft für das Delikt gestraft. Diese hatte anschließend auch das Recht, nach der Urteilsfindung die Strafzahlung für sich zu behalten (Artikel 2). Damit stellte in juristischen Belangen die Zunft die nächsthöhere Instanz gegenüber der Gesellenbruderschaft dar. Besonders schwer wurden auch schlechtes Benehmen, Ungehorsam und Beleidigungen geahndet. Ein derartiges Verhalten widersprach dem guten Ruf der Gesellenbruderschaft und der Zunft, welchen der Geselle zu wahren hatte. Hielt er sich nicht an die Gewohnheiten der Zunft, z. B. in Tavernen und auf der Straße immer höflich und anständig zu sein, nachts nicht auszubleiben und immer mit der Abendglocke in das Haus seines Meisters zurückzukehren, verletzte er die Standes- und Zunftehre. Die Bestrafung bei Missachtung wurde in diesem Fall daher nicht von der Bruderschaft, sondern von der Zunft verhängt (Artikel 3). Bei Vergehen, welche die gemeinsame Zunftehre betrafen, arbeiteten Gesellenbruderschaft und Zunft also eng zusammen. Dies gilt auch für die Bestrafung eines Gesellen mit Arbeitsverbot, wenn er außerhalb Münsters auf eigene Faust im Namen der Stadt Münster arbeitete. Ein solcher Geselle sollte nicht mehr in die Zunft aufgenommen werden dürfen (Artikel 7). Die Begründung für die Strafe basiert auf zwei Argumenten. Zum einen sollte der gute Ruf der Stadt und der innewohnenden Handwerker durch die jeweilige Zunft geschützt und nicht durch Auswärti-
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ge, die außerhalb der Zunft standen, beschädigt werden. Des Weiteren diente das Verbot, Arbeiten außerhalb der Werkstatt ihres Meisters anzunehmen, der Sicherung des Monopols der Zunft. Die Strafzahlungen wurden also je nach Schwere des Deliktes und Verantwortungsbereich von der Gesellenbruderschaft und/oder von der Zunft eingezogen. Die beiden Vereinigungen verfügten somit über eine gerichtliche und polizeiliche Gewalt. Diese bezog sich allerdings nur auf Streitigkeiten der Mitglieder untereinander. Für Streitigkeiten zwischen Meistern und Gesellen war sie beispielsweise nicht zuständig. Wurde ein Geselle außerhalb der Gesellenbruderschaft / Zunft zu einem Bußgeld verurteilt, floss die Zahlung auch an die Gesellen. Das so eingenommene Geld stand ihnen zur Hälfte zum gemeinsamen Verzehr zur Verfügung. Die andere Hälfte wurde in die Büchse der Gesellen zur sozialen Versorgung derselben eingezahlt. Während die Scheffer für das Einsammeln des Geldes von den Meistern und aus den Strafzahlungen zuständig waren, hatten die Verweser also ein Mitbestimmungsrecht hinsichtlich der Ausgaben des Geldes (Artikel 2). Eine weitere wichtige Funktion übernahmen die Verweser im Zusammenhang mit den regelmäßigen und außerordentlich einberufenen Sitzungen der Gesellenschaft. Wie bereits erwähnt, traf sich die Gesellenschaft mit den Verwesern und den amtierenden Scheffern, damit diese vor den Verwesern Rechenschaft ablegen und anschließend zwei neue Scheffer gewählt werden konnten. Diese regelmäßige Versammlung fand jährlich am ersten Montag nach dem heiligen Dreifaltigkeitsfest statt, welcher als guden mandach bezeichnet wurde. Am »guten Montag« oder »blauen Montag« hatten die Gesellen frei und konnten ihre Versammlungen abhalten. Meist handelt es sich hierbei um einen Tag oder einen Nachmittag, der den Gesellen zur Verfügung stand, um ihren Geschäften nachzugehen. Oft wurde dieser dann auch zum ausgiebigen Feiern genutzt.29 Neben den regelmäßigen Versammlungen gab es auch außerplanmäßige Treffen, die ebenfalls administrative und gesellige Aspekte umfassen konnten. Diese durften jedoch nur von den Verwesern und nicht von den Mitgliedern der Gesellenschaft selbst einberufen werden (Artikel 2). Hintergrund eines solchen reglementierten Zusammentreffens war die Gefahr, dass derartige Zusammenkünfte unter Umständen ein gewisses Konfliktpotential entwickeln konnten, das eventuell mit Aufständen und Streiks einherging, was den Meistern und Stadtoberen gefährlich werden konnte. Daher wurde auch die Möglichkeit, mit Hilfe geheimer Versammlungen Bündnisse zwischen den Gesellen zu schließen, ausdrücklich untersagt und 29
Kluge 2007, S. 215. Dieser Tag diente seit 1617 in Münster als Ersatz für die vom Rat 1565 verbotenen Fastnachtsbräuche; siehe Krumbholtz 1898, S. 94*.
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mit einem Arbeitsverbot belegt. Den Beteiligten war es weder als Geselle noch als Meister jemals wieder möglich in Münster zu arbeiten (Artikel 6). Neben den bereits genannten Aufgaben der Umschau, der Reglementierung ihrer Mitglieder und dem Abhalten von Versammlungen zählte die Gewährung von Sozialleistungen zu den wichtigsten Pflichten der Genossenschaft. Die Bruderschaft diente wie die Zunft als soziales Versorgungssystem im Notfall. Dieses umfasste im Spätmittelalter und der Frühen Neuzeit zum einen Krankheit und dadurch bedingte Arbeitslosigkeit, zum anderen die Sorge um die Beerdigung und das Seelenheil beim Ableben eines Zunftbruders. Um die kranken Gesellen zu versorgen, wurde das Geld, welches durch die Beiträge der Meister für die Vermittlung der Gesellen (Artikel 3) und durch die Bußbeiträge (Artikel 2) in die Kasse der Bruderschaft eingezahlt wurde, genutzt. Hierbei handelte es sich meist um ein Darlehen, das nach Genesung des Erkrankten durch diesen wieder zurückgezahlt werden musste. Verstarb der Geselle, hatte die Bruderschaft das Recht, seine Habe zu verkaufen und den Erlös zu behalten. Bei Beerdigungen von Kindern eines Zunftbruders hatten die Gesellen die Aufgabe, den Leichnam und die Leuchter zu tragen sowie sich dem Leichenzug anzuschließen. Kamen sie dieser Pflicht nicht nach oder trafen zu spät bei der Beerdigung ein, wurden sie mit Bußgeldern bestraft, die doppelt so hoch ausfielen, wenn der Verstorbene an der Pest oder einer ähnlichen Seuche gestorben war (Artikel 8–10). Die Zielsetzung der Bruderschaftsordnung unterscheidet sich somit nur unwesentlich von denen der Zunftordnungen, ist aber dezidierter auf die Bedürfnisse der Gesellen ausgelegt und regelt den Umgang zwischen Gesellen und Meister innerhalb ihres Arbeitsverhältnisses. Sie umfassen daher im wesentlichen „1. Bestimmungen, die Sorge für die gerechte Verteilung der Gesellen – als Arbeitsgenossen der Meister – an die einzelnen Werkstätten trugen und Übervorteilungen in dieser Beziehung verhindern sollten [in Münster betrifft das die Artikel 3, 5, 7]. 2. Ordnungsbestimmungen zur Sicherung der geregelten Arbeit in den Werkstätten und einer geziemenden Sitte im meisterlichen Haus [Artikel 3, 6]. 3. Auf die Gesellen bezogene Abschnitte, die sich mit der Wahrung der Standessitte und -disziplin befaßten und mit der Erziehung der jungen Handwerksgenossen [Artikel 4, 6]. 4. Bestimmungen, die auf das Gemeinschaftsleben der Gesellen Bezug nahmen [Artikel 1, 2, 8–10].“30
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Gatz 1936, S. 127.
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Ergänzend lassen sich Artikel in den beiden Zunftordnungen finden, die sich mit den Gesellen und ihren Arbeitsbedingungen nach Beendigung der Wanderschaft und mit Beginn der sogenannten Muthzeit befassen. 2.5 Die Muthzeit der Gesellen Nach Beendigung der vorgeschriebenen Wanderzeit hatte der Geselle die Möglichkeit, sich in einer Stadt seiner Wahl niederzulassen und dort das Meisteramt anzustreben. Bevor er hier die Meisterprüfung ablegen konnte, sahen die meisten Ordnungen eine Muthzeit vor, während der der Geselle eine gewisse Zeit vor Ort ansässig sein musste und bei einem Meister fest angestellt war. Die Zeit, welche der Geselle „diente“, variierte je nach Stadt und danach, welchen Status der Geselle einnahm. Hierbei gab es generell drei Möglichkeiten. Erstens der Geselle kam von auswärts, d. h. er hatte in dieser Stadt noch nicht das Bürgerrecht besessen, zweitens der Geselle stammte aus der Stadt und kehrte in seine Heimatstadt zurück, drittens er war nicht nur Bürger der Stadt, sondern auch Sohn eines Meisters seines erlernten Handwerks. Meistersohn zu sein, bedeutete zumeist Vorteile bzw. bestimmte Privilegien. Ziel war es, durch solche Bestimmungen die Anzahl Meister vor Ort zu reglementieren. Nichtbürgern sollte es so schwer wie möglich gemacht werden, sich niederzulassen, außer sie heirateten in die Zunft ein und übernahmen auf diese Weise eine Werkstatt. Meistersöhne hatten den Vorteil, dass sie die Arbeitsstätte ihres Vaters erben konnten und somit bevorzugt behandelt wurden. In Münster hing die Anzahl der zu absolvierenden Jahre ebenfalls davon ab, ob der Geselle als Lehrling in der Stadt ausgebildet worden war oder nicht. Des Weiteren gab es die Möglichkeit, die Zeit durch Heirat zu verkürzen. Ein Geselle, der in Münster gelernt hatte, musste zwei Jahre in Münster bei einem oder mehreren Meistern arbeiten, es sei denn, er heiratete eine Witwe oder Meistertochter, dann verkürzte sich die Zeit auf ein bzw. eineinhalb Jahre. Gesellen, die nicht in Münster gelernt hatten, mussten dagegen vier Jahre vor Ort angestellt sein. Doch auch für diese gab es die Möglichkeit, durch Hochzeit einer Meistertochter die Zeit auf drei Jahre, durch Heirat einer Meisterwitwe auf zwei Jahre zu verkürzen. In der Ordnung von 1614 findet sich ein ergänzender Passus zu den Meistersöhnen. In Artikel 3 wird festgehalten, dass diese nach ihrer Wanderschaft nicht zur weiteren Arbeit vor Ort verpflichtet wurden, sondern lediglich den Zunftbeitrag zu zahlen hatten. Ein Meisterstück hingegen mussten alle, unabhängig von Heirat, Lehrort und familiären Verhältnissen nach den gleichen Bedingungen anfertigen.
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Um sich für die Meisterprüfung anmelden zu dürfen, hatte der Kandidat gewisse politische, moralische und wirtschaftliche / gewerbliche Voraussetzungen zu erfüllen. Konnte er diese Grundlagen nachweisen, wurde er zur Anfertigung eines Meisterstücks zugelassen.31 Zu den politischen Forderungen zählte generell, dass jeder Kandidat die Annahme des Bürgerrechts begehrte, dieses bereits hatte oder zumindest die Voraussetzungen mitbrachte, Bürger werden zu können. Des Weiteren musste er von freier Geburt sein, Waffen und Harnisch besitzen sowie einen ledernen Eimer in das Versammlungshaus (Schohaus) der Gildemeister in Münster geben und die Gebühr entrichten. Die moralischen Voraussetzungen beziehen sich auf seine Abstammung, die von ehelicher Geburt sein musste. Die wirtschaftlichen bzw. gewerblichen Faktoren betreffen hingegen erneut seine Ausbildung. Der Geselle musste hierbei nicht nur nachweisen, dass er seine Lehre, Gesellen- und Muthzeit ordnungsgemäß absolviert hatte, sondern auch, dass diese bei einem redlichen Meister in einer Stadt, in welcher eine Zunft oder ein Amt ansässig war, erfolgt war. Zudem sahen die meisten Handwerke in Münster vor, dass der Geselle nicht bereits an einem anderen Ort etabliert gewesen sein durfte und nicht verheiratet sein sollte. Das Thema des Meisterstücks wurde ebenfalls durch die Zunftordnung definiert und differenzierte nach Malmittel und Sujet. In der Malerordnung von 1614 wird vermerkt, dass ein platmaler ein schilderei von 4 fueße hoch und viertehalb fuß breit, kriten, gründen, eine historie darauf zeichnen, inventiren und nach altem brauch ein conterfeit darin setzen, tot farben ufmalen und vernißen und leisten darümb mit golt und farben stoffieren und reide machen von größe, wie obgemelt. Ein wasser=farber mag in gleichen manieren einen gepapte tuch zeichnen und ganz reide machen, vort die zierate darin mit golt und silber recht verhöhen. Aber ein stoffierer soll ein geschnitten bilt von 1½ fuß hoch kriten, arisen und mit braun erden und mattgolde vergülden und dan mit farben ordentlich verzieren und stoffieren.32 Das Meisterstück wurde innerhalb von sechs Wochen in der Werkstatt eines Zunftmeisters angefertigt, damit dieser ausschließen konnte, dass der Kandidat unerlaubte Hilfsmittel benutzte. Nach Ablauf der sechs Wochen wurde das Ergebnis einer Kommission, welche aus drei oder vier Meistern der Zunft bestand, vorgestellt, die über die Qualität der Arbeit entschied. 31
Zum Ablauf in Münster, auf welches wir immer wieder ohne Einzelnachweis Bezug nehmen, vgl. die Einzelartikel der Älteren bzw. Jüngeren Rolle der Meister bei Krumbholtz 1898, S. 336–343 und S. 353–356 sowie sein Kapitel (ebd., S. 101*– 120*) „Aufnahme-Bedingungen für die Vollgenossen“. 32 Krumbholtz 1898, S. 355f., Art. 10. Ähnliche aber nicht so detaillierte Ausführungen lassen sich in der älteren Malerrolle finden; ebd., S. 339, Art. 10.
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Wurde der Anwärter aufgenommen, hatte er die entsprechende Aufnahmegebühr an die Zunft in Geld und Sachwerten zu zahlen und wurde in das Zunftbuch eingeschrieben. Lehnte das Gremium das Bild hingegen ab, konnte es der gesamten Zunft präsentiert werden, die über das Meisterstück beratschlagte. Durch diese Regelung sollte der Vorwurf der Befangenheit entkräftet werden. Wurde das Werk jedoch abermals abgelehnt, durfte sich der Geselle ein ganzes Jahr lang nicht erneut an einem Meisterstück versuchen und musste diese Zeit abwarten, bis ihm ein erneuter Versuch erlaubt wurde. Erst nach erfolgreichem Abschluss seiner Meisterprüfung und der Bezahlung seines Einstandes war es dem Maler möglich, sich in Münster in Westfalen als Meister niederzulassen und eine eigene Werkstatt aufzubauen. Welch enorme Wirkung die Wanderschaft und die Muthzeit auf die Verringerung der potenziellen Kandidaten für das Meisteramt hatten, zeigen folgende Zahlen. Aus den Listen der Malerzünfte, in denen die Lehrlinge, Gesellen und Meister verzeichnet sind, geht hervor, dass zwischen 1563 und 1662 genau 104 Lehrlinge in den Gesellenstand aufgenommen worden sind. Von diesen 104 Lehrlingen aus Münster wurden nur 21 Meister. Das heißt, die in Münster ausgelernten Lehrlinge machten demnach nur knapp ein Drittel der insgesamt 78 in den Jahren 1571–1662 neu aufgenommenen Meister in der Stadt aus. 57 Meister stammten von außerhalb.33 Trotz offenkundiger Bevorzugung der vor Ort ausgebildeten Gesellen und insbesondere der von dort stammenden Meistersöhne gelang es nicht vielen, Meister in ihrer Heimatstadt zu werden. Dennoch ist nach Durchsicht der Listen der Zunft zu konstatieren, dass bestimmte Namen immer wiederkehren und deshalb auf verwandtschaftliche Verbindungen (Sohn, Schwiegersohn, Heirat der Witwe etc.) schließen lassen. Die Motive, warum nach ihrer Wanderschaft und Muthzeit nicht alle Gesellen Meister wurden, sind vielfältig und individuell sehr unterschiedlich; sie reichen von finanziellen über moralische Gründe (Rufmord, Diebstahl, Unzucht, unredliche Geldgeschäfte) bis hin zum Tod des Betroffenen. Zwar diente die lange Ausbildungszeit dem Sammeln von Erfahrung während der Wanderschaft und Muthzeit sowie auch dem Erlernen neuer Praktiken, doch zugleich verringerte sie die Anzahl der Kandidaten für das Meisteramt. Als dies dennoch nicht ausreichte, begann man die Aufnahmebedin33
Ebd., S. 111*. Die Zahlen sind als Richtwerte zu verstehen, da immer davon ausgegangen werden muss, dass wichtige Dokumente in diesem Zusammenhang verlorengegangen sind. Zudem darf nicht vorausgesetzt werden, dass in jedem Jahr gleich viele Maler aufgenommen wurden, was die Zahlen ebenso wie Wegzug, Ausstoßung, Todesfall usw. stark schwanken lässt; ebd., S. 113*.
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gungen in den einzelnen Phasen der Ausbildung weiter zu reglementieren und somit den Eintritt in den Meisterstand immer schwieriger zu gestalten.
3. Zusammenfassung Der Weg zum Meister im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit war beschwerlich und durch seine lange Dauer in fast allen Handwerksbereichen gekennzeichnet. Die Ausbildung zum Maler vom Lehrling zum Meister dauerte in Münster an die zehn Jahre, wenn man nicht das Glück hatte, die Zeit aufgrund seines sozialen Status’ oder einer Einheirat in die Zunft zu verkürzen. Damit unterscheidet sich die Stadt nicht wesentlich von anderen. Die Regelungen machen deutlich, wie groß der Zeitaufwand war, wieviel Engagement und Durchhaltewillen die Maler angetrieben haben müssen, um innerhalb der Zunft irgendwann die Möglichkeit zu haben, sich als Meister an einem Ort niederzulassen und eine eigene Werkstatt zu gründen. Die Entscheidung für den jeweiligen Ort musste hierbei wohl überlegt sein. War die Auftragslage in der ausgewählten Stadt schlecht und der Maler entschloss sich zum Umzug, wurde er zumeist genötigt, wiederum eine Meisterprüfung in seiner neuen Heimat abzulegen, was zumindest einen zeitlichen und finanziellen Aufwand darstellte, bevor der Maler wieder die Möglichkeit hatte, erneut eine Werkstatt anzumieten, sich gegen die Konkurrenz zu behaupten und einen neuen Kundenstamm aufzubauen. Entsprechende Bestimmungen zur Zuwanderung auswärtiger Meister nach Münster lassen sich auch in den jeweiligen Zunftartikeln der älteren bzw. jüngeren Rolle der Meister finden. Weitere Probleme, wie die Verweigerung des Meisterrechts aufgrund anderer oder engerer Bestimmungen vor Ort, konnten zudem nicht ausgeschlossen werden. Ziel war es, durch solche Beschränkungen die Niederlassungsmöglichkeiten der Maler stark einzugrenzen und die Konkurrenzsituation in der jeweiligen Stadt überschaubar zu halten. Dieses Bestreben entspricht der Zielsetzung der Zunft, ihre Mitglieder und deren Berufsausübung zu schützen und ihnen die bestmöglichste Auftragslage zu sichern. Dies war nur zu erreichen durch Abgrenzung und Abschottung nach außen und im Laufe der Zeit durch den immer stärker erschwerten Eintritt in die Zunft. Ohne Aufnahme in die Zunft und die angegliederten Gesellenschaften hatte der Maler hingegen keine Option, eine adäquate Ausbildung abzuschließen und die Erlaubnis zu erhalten, in diesem Beruf zu arbeiten. Eine zunftunabhängige Ausbildung gab es nicht, und somit hatte der Künstler im Spätmittelalter und der Frühen Neuzeit keine andere Möglichkeit als den langen, von der Zunft vorgezeichneten Weg zum Meister einzuschlagen.
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Marina Beck
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Der lange Weg zum Meister
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FREDERIKE MAURER
Jakob Biermann Chirurgensohn aus Speyer Unerwünschter Goldschmiedelehrling in Köln 1. Die Kölner Goldschmiede Eine stolze Zunft in einer reichen Stadt Im 14. und 15. Jahrhundert wurde die Goldschmiedezunft zur vornehmsten Kölner Zunft1 und die Stadt war eines der wichtigsten Goldschmiedezentren nördlich der Alpen. Durchschnittlich produzierten 120 Goldschmiede- und Goldschlägermeister in der Stadt ihre Waren – um 1480 waren es sogar 136; nur Paris hatte mehr Goldschmiedemeister als das Kölner Amt, wie die Zünfte in Köln auch genannt wurden. In diesen beiden Großstädten gab es Spezialhandwerke – Edelsteinschneider und -schleifer, Goldschläger, Golddrahtzieher – die dem Goldschmiedegewerbe zuzuordnen sind. Die Silberund Goldspinnerinnen bildeten eine eigene weibliche Zunft, die der Goldschmiedezunft gewissermaßen untergeordnet war. Allgemein gilt festzustellen, dass das Goldschmiedehandwerk überall zu den angesehensten und wohlhabensten Gewerben zu rechnen ist, da erstens besonders wertvolle Materialien verarbeitet wurden, zweitens die Kundschaft sich in überdurchschnittlichen Maß aus Reichen und Mächtigen zusammensetzte, drittens die Goldschmiede eine besondere Vertrauensstellung innehatten, soweit sie als Münzer und Siegelstempelschneider arbeiteten, und sie schließlich viertens zum Handel und zum Geldwechselgeschäft eine Affinität besaßen.2 Kölner Erzeugnisse wurden nicht nur in Köln vertrieben, die Goldschmiede handelten damit in Deutschland und exportierten sie beispielsweise nach Venedig, wo sie – wie auch in anderen italienischen Städten – sehr gefragt waren.3 Die Kunsthandwerker gingen im Laufe der Zeit auch verstärkt anderen Beschäftigungen nach. Sie betätigten sich im Münzgeschäft, trieben Handel mit Juwelen, Edelmetall, aber auch mit Wein, wobei der 1 2 3
Zum Folgenden siehe IRSIGLER 1975, S. 229, 261f. BAUM 1989. WIRTZ 2006, S. 140–144 und 251–253.
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Handel mit Juwelen ein bedeutsamer Zweig des Kölner Warenaustauschs war. Es wurde für den heimischen Markt oder auf Bestellung nach auswärts geliefert. Neben ansässigen Händlern wurden in der Stadt auch Fremde zugelassen, die zudem öffentliche Stände unterhielten, welche von der Zunft kontrolliert wurden. Ferner unterlagen Goldschmiedearbeiten keinen Preistaxen, sondern die Vergütung wurde frei mit den Kunden vereinbart. Mit Kleinodien, Perlen und Edelsteinen handelte auch der Kölner Goldschmied Nicasius Hackeney, anhand seines Lebenslaufes kann man exemplarisch den Aufstieg einer Goldschmiedefamilie aufzeigen:4 Von einfachen Handwerkern wurden diese Goldschmiede zu Mitgliedern der gehobenen Mittelschicht. Die strenge Organisation der Goldschmiedezunft förderte ihre soziale Stellung. Entsprechend der Zunftpflicht musste sich auch in Köln jeder Goldschmied dem Amt anschließen. So wurde verhindert, dass fremde oder fahrende Goldschmiede in der Stadt ihrem Handwerk nachgingen. Die Ämter hatten damit das jeweilige Handwerksmonopol, jede Konkurrenz war ausgeschlossen. Durch die Zunft wurde auch die Arbeit der Mitglieder überwacht. Dies diente dazu, die Qualität der Erzeugnisse und verwendeten Rohstoffe zu sichern und die Preise stabil zu halten.5 Die Materialien wurden nicht nur bezüglich der Qualität streng kontrolliert, sondern auch deren Verbleib wurde überwacht: Die Goldschmiede hatten das ihnen übergebene Gold oder Silber nach der Neuverarbeitung restlos abzuliefern. Die Qualität wurde unter anderem dadurch gesichert, dass gewisse Feinheitsgrade unbedingt eingehalten werden mussten. Die Zunftobermeister waren verpflichtet, Stichproben vorzunehmen. Dazu prüften sie in kurzen Abständen alle in den Werkstätten der Meister vorhandenen Edelmetalle auf den Feinheitsgrad. »Kennzeichnungspflicht« herrschte für vergoldetes Silber und unedle Steine. Altsilber, das angekauft wurde und nicht dem Feinheitsgrad entsprach, musste umgeschmolzen oder weiterverkauft werden. Der hohe Qualitätsstandard war wichtig, da die Kölner Goldschmiede auf allen großen Märkten, u. a. der Frankfurter Messe, mit ihren Arbeiten vertreten waren und bei Nichteinhaltung einen guten Ruf zu verlieren hatten. Zudem bezogen sie von dort auch Rohstoffe wie Gold, Silber, Perlen und Steine. Dies zeigt, dass es den bei Zünften sonst üblichen Gemeinschaftseinkauf von Rohstoffen bei den Goldschmieden nicht gab, wenn auch die Zunftstatuten deutlich machen, dass sie vielfach nur das von den Kunden angelieferte Edelmetall verarbeiteten. 4 5
SCHMID 1988. Zu den Bedingungen in den Kölner Zünften siehe MICK 1990, S. 187f.; zur Qualitätssicherung vgl. LOESCH 1907, Bd. 1, S. 99*–109*.
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Die Kontrolle der Amtsmitglieder erstreckte sich auch auf deren privaten Bereich, die Sitten, die Ehre6 und die Frömmigkeit. Die Gründe dafür lagen in dem Selbstverständnis, das die Zunft aufgrund ihres hohen Ansehens, des Traditionsbewusstseins und ihrer Qualität hatte. Die Kölner Goldschmiedezunft hatte einen sehr guten Ruf, den sie erhalten wollte. Daher mussten die Meister, Gesellen und Lehrlinge als Repräsentanten der Zunft hohen Maßstäben gerecht werden. Köln war ein Magnet für Goldschmiedegesellen aus den verschiedensten Regionen. Sie kamen z. B. aus Bayern und Norddeutschland. Unter anderem sind Echtzeugnisse überliefert, die Gesellen aus Lübeck, Augsburg und Lüneburg für Köln ausgestellt wurden.7 Um den Zunftmitgliedern ihr (hohes) Einkommen zu sichern, grenzten sie sich stark nach außen ab, um nicht überlaufen zu werden. So erklären sich die strengen Regeln, die z. B. für die Ausbildung galten. Kein anderes Handwerk hatte eine so lange Lehrzeit wie die Kölner Goldschmiede. Acht Jahre musste ein Lehrling, sofern er nicht aus einer Goldschmiedefamilie kam, bei einem Verdienten (Meister) lernen, bevor er Geselle werden konnte. Schon für die Aufnahme eines Lehrlings gab es strenge Kriterien. Das Kölner Goldschmiede-Amt war das erste Amt in Köln, das um 1400 das Kriterium der ehelichen Geburt als Aufnahmevoraussetzung festlegte.8 Die Zunftsatzungen besagten, dass eheliche Geburt, persönliche Freiheit und der Beruf des Vaters mitentscheidend für die Aufnahme eines zukünftigen Lehrlings waren. Sauberkeit, ein angenehmes Äußeres und vor allem Gesundheit waren weitere Kriterien, die sich nur bei den Kölner Goldschmieden finden. Ferner musste das Amt der Aufnahme des Lehrlings zustimmen. Zur Aufnahme musste der Lehrling auch das so genannte »Echtheitszeugnis« vorlegen, in dem seine Eltern oder andere Verwandte unter Eid erklärten, dass der Lehrjunge die Herkunftskriterien der Zunft erfüllte und außerdem noch nie eine andere Lehre angefangen, abgebrochen oder beendet hatte. Ein weiterer Faktor für den Aufstieg der Goldschmiede war die Teilnahme am politischen Leben und die verfassungsrechtliche Stellung in der Stadt. Nachdem 1396 das Patriziat gestürzt worden war, beschworen der Rat, die Ämter, die Gaffeln und die ganze Gemeinde der Stadt am 14. September 1396 eine neue Verfassung, den so genannten Verbundbrief. Der Rat, mit seinen 49 Ratsherren, wurde jetzt von den 22 Gaffeln gebildet. 6 7
8
WEBER 2006; BACKMANN 1998. LOESCH 1907, Bd. 2, S. 216 (Nr. 431), 217f. (Nr. 433), 222f. (Nr. 440), 223f. (Nr. 441), 225 (Nr. 442), 242–244 (Nr. 464), 246 (Nr. 468), 249 (Nr. 473). Umgekehrt stellte auch Köln entsprechende Zeugnisse für seine Lehrlinge aus; ebd., S. 227 (Nr. 446), 229f. (Nr. 450). LOESCH 1907, Bd. 1, S. 73*, 84f. Art. 3.
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Jede »Gaffel« – so bezeichnet man in Köln die politische Vereinigung von Zünften – stellte mindestens einen der 36 Ratsherren. Die Goldschmiede stellten zwei Ratsherren.9 Die übrigen dreizehn Ratsherren, das so genannte »Gebrech«, wurden aus beliebigen Gaffeln gewählt. Ergänzt wurde der Rat durch das Gremium der Vierundvierziger, das sich bildete, indem jede Gaffel zwei Vertreter entsandte. Dieses beriet den Rat in besonderen Fällen und entschied bei großen politischen Fragen, beispielsweise bei Abschließung von Bündnisverträgen, mit. Bevor die Gaffeln zu einer politischen Einrichtung der Stadt wurden, waren diese Tischgemeinschaften die politische Plattform der Kaufleute und Zünfte. Man traf sich in den Gaffelhäusern zum Essen und zum politischen Austausch. Die Goldschmiede hatten aufgrund ihrer Größe und ihres Vermögens ein eigenes Gaffelhaus, das „Goldene Horn“, und bildeten eine eigene Gaffel.10 Der Reichtum und Aufstieg der Goldschmiede lässt sich besser verstehen, wenn man die gesamte Kölner Wirtschaft im Spätmittelalter mitberücksichtigt. Kaufleute und Handwerker, die günstige geographische Lage und die Bedeutung als kirchlich-kulturelles Zentrum hatten Köln im Mittelalter zu einer der reichsten Städte in Mitteleuropa gemacht. Der Rhein war für den europaweiten Handel einer der wichtigsten Wasserwege. Hansekaufleute und andere Händler aus ganz Europa auf ihrem Weg in die Niederlande oder in den Süden Deutschlands passierten Köln. Die Stadt besaß das Stapelrecht, welches den Kölner Kaufleuten das Vorkaufsrecht auf alle Waren, die hier umgeladen wurden, sicherte. Die Kölner konnten die beste Ware kaufen und gewinnbringend weiter verkaufen. Da alle reisenden Kaufleute in Köln ihre Ware lagern mussten, verdienten die Kölner gut an ihnen. Doch auch die Kaufleute aus Köln reisten und betrieben Handel in ganz Europa. Auf bedeutenden Messen wie in Frankfurt oder Antwerpen waren Kölner Kaufleute vertreten. Kölns Marktplätze, Schau- und Verkaufshäuser und Gewerbe waren Anziehungspunkte nicht nur für die ländliche Bevölkerung. Hier gab es Lebensmittel, Textilien, Gebrauchsgegenstände und, besonders für den Landadel, auch Luxusgüter. Da die Kaufleute das verdiente Geld in ihre Heimatstadt zurückbrachten, wurden sie zu einem bedeutenden Wirtschaftsfaktor. Sie konnten sich durch ihren Reichtum einen aufwendigen Lebensstil leisten und steigerten so die Nachfrage an Luxusgütern, gaben Gemälde in Auftrag und investierten Geld in kostbare Gewänder sowie (silbernes und goldenes Tafel-) Geschirr. Im »heiligen« Köln gab es die Möglichkeit, sein Geld den zahlreichen Kirchen, Klöstern, 9
Nur die Wollenweber stellten vier, alle anderen entweder zwei (z. B. die Schmiede) oder einen (z. B. die Maler); vgl. ebd., S. 148*. 10 Ebd., S. 135*–140*, bes. S. 138*.
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Hospitälern oder Kapellen zu vermachen. Zeitweise existierten hier über 160 Kirchen und Kapellen, die finanziell unterstützt werden konnten, ein neues Fenster, einen Altar oder ähnliches gestiftet bekamen. Die Motive für Stiftungen waren vielfältig. Ob die Sorge um das Seelenheil, gesellschaftliche Etablierung, persönliche Verbundenheit oder die Bewahrung des Andenkens die Motivation war11, die Stiftungen kurbelten die Wirtschaft an. Außerdem mehrten die Stiftungen den Reichtum der Kirche. Des Weiteren zogen die vielen Sakralbauten in Köln und die bedeutenden Heiligenreliquien Pilger aus aller Welt an. Diese machten in Köln Station und brachten Geld in die Stadt und beförderten die Berufe der Maler, Bildschnitzer und Bildhauer, anderen Kunsthandwerker oder die des Baugewerbes. Auch die Goldschmiede waren gefragt12, wobei eine enge Zusammenarbeit mit anderen Künstlern (Handwerkern) stattfand, da für viele Goldschmiedearbeiten Maler die Vorlagen entwarfen.
2. Der Arztsohn Jakob Biermann Die Zünfte im Mittelalter hatten strenge Vorschriften für ihre Mitglieder. Nicht nur bei den Kölner Goldschmieden gab es strikte Regeln für die Aufnahme von Lehrlingen. Der Zugang zu den Berufen, und damit die Berufswahl, war stark eingeschränkt. Aus Köln ist der Fall von Jakob Biermann überliefert, der seine Ausbildung zwar beginnen, aber nicht beenden durfte. Ihn hinderten letztlich die rigiden Aufnahmebedingungen des Amtes daran, seinen gewählten Beruf zu erlernen. Biermann war aus Worms gekommen, um in Köln Goldschmied zu werden. Außer einem Eintrag als Unverdienter in dem Amtsbuch der Goldschmiede ist noch sein Briefwechsel mit dem Kölner Rat und der Goldschmiedezunft erhalten.13 Biermann wandte sich Anfang 1486 an den Kölner Rat. Er wollte seine Lehre beenden und bat den Rat um Unterstützung in seiner Sache gegen die Goldschmiedezunft. Der Rat versuchte zwischen Biermann und der Goldschmiedezunft zu vermitteln, da diese sich mehrmals weigerte, Biermann, der 1485 das letzte der insgesamt acht Lehrjahre anfing, wieder aufzunehmen und ihn seine Lehre beenden zu lassen. Das Verbot ereilte ihn am 25. November desselben Jahres. Biermann wurde nahe gelegt, sich alhie anderer narongen zo gebruchen, da er dem ampte unbequeme14 sei. 11
SCHMID 1994, S. 89–92 und 506f. Zur Frage der Auftraggeber – wenn auch für spätere Zeit – vgl. auch IRMSCHER 2005, S. 211–235. 13 Abgedruckt bei LOESCH 1907, Bd. 2, S. 560–568 Nr. 480, I bis VIII. 14 Ebd., S. 563. 12
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In seinem ersten, hier abgedruckten Schreiben an den Rat beklagte sich Biermann, dass die Goldschmiedezunft ihn mit der Begründung, sein Vater sei »Hodenschneider« gewesen, ausgeschlossen habe. Ein Hodenschneider war ein Wundarzt, der Leisten- und Hodenbrüche operierte. Der Erfolg einer solchen Operation war fragwürdig und endete nicht selten tödlich. Biermann verwies darauf, dass er sich vorsorglich im Zuge seiner Bewerbung beim Amt erkundigt hatte, ob der Beruf seines Vaters – dieser sei, so Biermann, Arzt gewesen, als man zo latine nent cirologus15 – einen Hinderungsgrund für seine Ausbildung darstelle. Auf diese Anfrage wurde ihm aus der Satzung der Zunft vorgelesen und er habe eine Vorlage für ein Echtzeugnis, das er zum Beweis seiner Eignung vorlegen sollte, ausgehändigt bekommen.16
3. Quelle Beschwerde Biermanns über seine Ausschließung vom Kölner Goldschmiedehandwerk (1486). LOESCH, Heinrich von: Die Kölner Zunfturkunden nebst anderen Gewerbeurkunden bis zum Jahre 1500, Bd. 2: Spezieller Teil (ND der Aufl. Bonn 1907), Düsseldorf 1984, S. 561f. Nr. 480 II. Die von Loesch zitierte Quelle befand sich unter den Akten der Zunftabteilung des Historischen Archivs der Stadt Köln; ob sie die Katastrophe des Gebäudeeinsturzes (2009) überstanden hat, bleibt abzuwarten. Gn. l. herren! U. gn. begeren ich oitmoedelichen zo wissen, wie umbtrint eicht jaire geleden, as ich dat goultsmidtampte understonde zo lieren, den meisteren ind verdienden desselven amptz vurgegeven hain, of mir ouch an irme ampte hinderlich sin seulde, dat min vader selige gesneden have ind arzeder geweist sij des homeichtigen fursten ind herren palzgraven bij Rijne etc. Darup sij mir geantwort ind ire amptzboiche vurgelesen haven ind dairuis einen zedel doin geven innehalt dieser ingelachter copijen, of ich dairane unschuldich were, so sulle man mir dat ampt gunnen gelich anderen ind seulde des einen besiegelden brief brengen innehalt der vurs. copijen, den ich erworven ind vurbracht hain, darup sij ouch 5½ jaire, ich bij Jacob up der Salsgassen orde gedient hain, untfangen ind bekant genomen haven, as mit in gewoenlich is, den ich bidden u. gn. darup verhoeren 15 16
Ebd., S. 564. Als Beispiel für ein solches Dokument siehe ebd., S. 249 Nr. 473 (2. Hälfte des 15. Jahrhunderts): „Formular für ein Echtzeugnis zwecks Aufnahme in das Kölner Goldschmiedeamt“.
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willen. So ich nu in dat eichte jaire an irme ampte geliert ind gedient hain, haint die meistere mir datselve ampte verboiden, mich dairane niet zo generen. Verstain ich gn. l. herren, u. gn. iren amptzbrief minenthalven hoeren willen. Ind want dan der homeichtige furste ind herre palzgrave bij Rijne etc. vurs. u. gn. geschreven ind vur mich gebeden hait, so bidden ind anroifen ich dieselve u. gn., as ich alredemoitlichste ind oitmoedelichste kan ind mach, der goultsmede morgenspraiche, sij allejairs up der gaffelen plient zo halden, u. gn. mit vurzobrengen ind hoeren zo laissen, so die up den amptzbrief ind copije vurs. dienende ist. Getruwen ich, sich asdan clierlichen ervinden sulle, sij mir unbillich ire ampte verboiden haint ind mich des gelich anderen billich gebruchen laissen sullen. Ind bidden u. gn. oitmoedelichen, mich dairbij gneitlichen zo doin beschirmen, hanthaven ind behalden ind unser beider reden darup verhoeren. Boven dat haint sij mir min sijlver, ich Steffain Bonenberg verkoufen woulde, genomen ind bij zwei jaire her noch vurunthalden, hain ich daran einen bescheiden gulden gelacht ind sulchs an dem gemeinen ampte gevordert. Haint mir die meistere vur ein antwort gegeven , weulde ich verloven, sij des amptz halven nummer anzolangen, so weulden sij mir min sijlver wedergeven, des ich niet en hain willen doin, wilch ich u. gn. clegelichen zo kennen geven, mit oitmoedelichen biddende, die meister vurs. willen doin vermoigen, mir min sijlver wederzolieveren, as ich umber getruwen, u. gn. bedunken werden, sich billich gebueren sulle. U. gn. gnedige, troistliche antworde. U. gn. getruwe Jacob Wermont17 (Übertragung ins Neuhochdeutsche) Gnädige, liebe Herren! Eure Gnaden begehre ich demütig wissen zu lassen, dass ich vor ungefähr acht Jahren, als ich das Goldschmiedehandwerk zu lernen begann, bei den Meistern und Verdienten [Meistern] dieses Amtes angefragt habe, ob es mir in ihrem Amt hinderlich sein würde, dass mein verstorbener Vater operiert habe und Arzt des hochmächtigen Fürsten und Herrn, des Pfalzgrafen bei Rhein etc., gewesen sei. Darauf haben sie mir geantwortet und ihr Amtsbuch vorgelesen und mir daraus einen Zettel gegeben, wie die beigelegte Abschrift ausweist. Sofern ich nicht gegen die Anforderungen verstoße, so solle man mir das Amt gönnen wie anderen auch und ich solle eine besiegelte Urkunde bringen, mit dem Inhalt der vorgenannten Abschrift. Diese habe ich auch erworben und vorgelegt. Darauf haben sie auch fünfeinhalb Jahre, die ich bei Jakob auf der Salzgassen17
Auf der Rückseite Goultsmede. Jacob Birman; im Text hat offenbar der Schreiber den Namen entstellt (vgl. ebd., S. 562).
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ecke ordentlich gedient habe, anerkannt und zur Kenntnis genommen, wie es bei ihnen üblich ist; ich bitte Eure Gnaden, ihn [Jakob] daraufhin zu verhören. Nachdem ich nun bis zum achten Jahr an ihrer Zunft gelernt und gedient habe, haben die Meister mir dieses Handwerk verboten und nicht erlaubt, mich damit zu ernähren. Ich habe gehört, gnädige liebe Herren, dass Eure Gnaden ihren [der Goldschmiede und Goldschläger] Amtsbrief meinetwegen hören wollen. Und nachdem nun der hochmächtige Fürst und Pfalzgraf bei Rhein etc. an Eure Gnaden geschrieben und für mich gebeten hat, so bitte und beschwöre ich Eure Gnaden, so demütig und untertänigst ich es tun kann, die Morgensprache der Goldschmiede, die sie alljährlich auf der Gaffelversammlung zu halten pflegen, Eure Gnaden ebenfalls vorzutragen und hören zu lassen, soweit sie sich auf den Amtsbrief und die vorliegende Abschrift bezieht. Ich bin sicher [ich vertraue darauf], dass sich dann klar erfinden sollte, dass sie mir ihr Amt zu Unrecht verboten haben, und sie es mich, gleich anderen auch, in gewöhnlicher Weise gebrauchen lassen sollen. Und ich bitte Eure Gnaden demütig, mich dabei gnädig zu beschirmen, zu schützen und zu bewahren und unser beider Aussagen darüber anzuhören. Darüber hinaus haben sie mir mein Silber, das ich Stefan Bonenberg verkaufen wollte, weggenommen und es mir seit zwei Jahren vorenthalten; ich habe daran einen bescheidenen Gulden ausgegeben und es [das Silber] von der Zunft insgesamt gefordert. Da haben mir die Meister geantwortet, falls ich geloben wolle, sie wegen der Zunftgerechtigkeit nicht mehr anzugreifen, so wollten sie mir mein Silber wiedergeben. Das habe ich nicht tun wollen, was ich Euer Gnaden klagend zu Wissen gebe, mit der demütigen Bitte, die vorgenannten Meister dazu zu bringen, mir mein Silber wieder auszuliefern, wie ich immer verspreche, Euer Gnaden zu danken, was sich billigerweise gebühren soll. [In Erwartung] Euer Gnaden gnädiger, tröstlicher Antwort. Euer Gnaden getreuer Jakob Biermann.
4. Kontextualisierung Die Satzung der Kölner Goldschmiedezunft, welche Biermann vorgelesen wurde, findet sich abgedruckt bei Heinrich von Loesch.18 Die Zunftordnung vermerkt dort in Artikel 2, dass ein zukünftiger Lehrling ein eheliches und legitimes Kind sein muss. Des Weiteren durfte er nicht leibeigen und geins bartscherers kint […] noch spilmanss kint noch lijnenwevers son sein. Auch 18
„Morgensprache (Satzungen) der Goldschmiede und Goldschlager“ 1456/1463; LOESCH 1907, Bd. 1, S. 84–91.
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sollte er ein rein heuft haben, was sich mit großer Wahrscheinlichkeit auf sein Äußeres bezieht. Der Lehrling durfte folglich keinen Aussatz oder Ausschlag am Kopf haben. Artikel 3 nannte weitere Kriterien für die Aufnahme. Das Amt musste der Aufnahme des Lehrlings zustimmen, ehe er für acht Gulden eingeschrieben wurde. Aus Artikel 9 geht hervor, dass ein Geselle mindestens zwanzig Jahre alt sein und fünf Jahre gelernt haben musste, bevor er Geselle werden durfte. Biermann kannte diese Aufnahmebedingungen und wollte sich durch seine Anfrage bei der Zunft absichern. Seiner oben zitierten Aussage zufolge hatte er angegeben, welchen Beruf sein Vater ausübe und dass dieser gesneden, also operiert habe, die Zunftmeister wollten aber nur ein Echtzeugnis von ihm vorgelegt bekommen. Biermann konnte seine Unbedenklichkeit mit einem solchen aus Worms bezeugen und seine Lehre beginnen. Damit war aus Biermanns Sicht die Aufnahmehürde in die Kölner Goldschmiedezunft übersprungen, zumal ihm, wie er schreibt, 1483 auch schon fünfeinhalb Jahre anerkannt worden seien, die er bei Jakob van Herten gelernt hatte. Dies wurde in das Amtsbuch eingetragen, wofür er dem Schreiber einen Albus gegeben habe. Der Goldschmiedelehrling verwies auf einen Brief des Pfalzgrafen Philipp, der seinen verstorbenen Vater beschäftigt hatte und den Rat um Zulassung Biermanns gebeten hatte. Hierbei handelt es sich um Philipp den Aufrichtigen, Pfalzgraf bei Rhein und Herzog von Bayern, der, 1448 geboren, von 1476 bis zu seinem Tode 1508 Pfalzgraf und Kurfürst war. Der Kölner Rat sollte sich ferner – so Biermann –, um von den Vorschriften des Handwerks Kenntnis zu erlangen, die Morgensprache, d. h. die Zunftsatzung der Goldschmiedezunft anhören und folglich erkennen, dass er das Handwerk ausüben dürfe. Des Weiteren berichtete Biermann, dass das Amt Silber von ihm eingezogen hatte. Er habe dieses zurückgefordert, wolle es ihm aber nur unter der Bedingung herausgeben, dass er künftig auf Forderungen gegen das Amt und damit auf den Abschluss der Ausbildung verzichte. Aus Biermanns Brief an den Rat geht hervor, dass er sich zu Unrecht ausgeschlossen fühlte. Auch dürfte ihn das Verbot überrascht haben, schien er doch durch das Echtzeugnis und die bereits absolvierten Lehrjahre abgesichert. Und in der Tat ist es verwunderlich, dass das Amt seinerzeit Biermanns Aufnahmewunsch bestätigte. Anstatt ihn abzulehnen, als er den Beruf seines Vaters beim Aufdingen erwähnte, lasen sie ihm bloß die Regeln vor und akzeptierten später sein Echtzeugnis. Biermann schrieb, dass die Zunft ihn entweder auslernen lassen und ihm danach sein Handwerk (in Köln) verbieten oder ihn von Anfang an nicht hätte zulassen sollen.19 19
Ebd., Bd. 2, S. 565.
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Angesichts der Tatsache, dass Biermann trotz Echtheitszeugnis ausgeschlossen wurde, stellt sich die Frage, warum das Amt jahrelang einen Gesellen tolerierte, dessen Vater als »Arzt« tätig war. Aus der ersten Stellungnahme der Goldschmiedezunft an den Rat geht hervor, dass Biermann um 1480 mit anderen Gesellen der Zunft in einen Streit geriet, daraufhin gemieden und öffentlich als eins hoedensniders son20 beschimpft wurde. Auf diesen Vorfall hin wurde Biermann von den Meistern befragt, was es damit auf sich habe. Biermann erklärte, dass sein Vater sulche gebreiche (Hodenund Leistenbrüche) mit wasseren zo hielen versuche und nicht anders (ind anders neit).21 Bemerkenswert an dieser Stelle ist, dass die Kölner Zunft keinerlei Konsequenzen auf Biermanns dürftige Erklärung bei seiner Befragung folgen ließ. Sie gab sich zufrieden und ließ Biermann weiter lernen. Erst fünf Jahre später wurde Biermann auf der Zunftversammlung ausgeschlossen. Den Beruf von Biermanns Vater musste sie spätestens nach dem Vorfall mit den anderen Gesellen gekannt haben. Da der Beruf des Arztes oder Chirurgen keineswegs klar definiert oder abgegrenzt war, wie später noch gezeigt wird, erscheint es unglaubwürdig, dass die Zunft bei Biermanns Vater nicht zwischen einem angesehenen Arzt und einem Bartscherer unterschieden haben soll. Die Goldschmiede erklärten nicht, warum sie Biermann jahrelang lernen ließen und erst neulich gewar worden seien, dass Biermanns Vater sich sein Brot durch Operationen verdient hatte, woraufhin erst Biermanns Ausschluss beschlossen wurde. Da sie ihn lernen ließen und sein Echtzeugnis akzeptierten, ist die Vermutung nahe liegend, dass Biermann der Zunft nicht so sehr wegen seiner Herkunft, sondern eher aus anderen Gründen unbequem war. Der Vorfall mit dem Silber, den Biermann auch in seinem Brief ansprach, wurde von der Goldschmiedezunft noch einmal aus ihrer Sicht dargestellt. Entgegen seiner Beschreibung warf sie Biermann vor, mit boisvelligem, d. h. unreinem Silber gearbeitet zu haben, zudem in der Werkstatt eines Meisters, der nicht sein Lehrmeister war.22 Deshalb wurde ihm das Silber weggenommen und als Bußgeld einbehalten. Laut Biermann handelte es sich bei dem Silber aber um in Köln bereits bearbeitetes und wieder eingeschmolzenes Silber. Das zeigt, dass das Silber eigentlich den Kölner Reinheitsvorschriften entsprach. Biermann sagte, er sei gebeten worden, das Silber weiterzuverkaufen, und habe sich zu diesem Zweck an einen anderen Goldschmied, Stefan Bonenberg, gewandt. Um die Reinheit des Silbers zu zeigen, wollte Biermann das Silber in der Werkstatt Bonenbergs platt 20
Ebd., S. 562. Ebd. 22 Ebd., S. 563f. 21
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schlagen. Ein anderer Meister sei dazugekommen, das Silber zu prüfen, und habe es einbehalten.23 Ob Biermann die Wahrheit schrieb, muss Spekulation bleiben. Grundsätzlich war es erlaubt, Material weiterzuverkaufen. Mit einem Verkauf machte sich Biermann also nicht strafbar. Nur wenn er als Geselle ein eigenes Werkstück hätte verkaufen wollen, hätte er wider die Satzungen gehandelt, da Gesellen nicht auf eigene Rechnung arbeiten durften. Mit verunreinigtem Silber zu arbeiten, noch dazu in einer fremden Werkstatt, war verboten. In der Kölner Zunftordnung stand gleich im ersten Paragraphen, dass, wer mit minderwertigem Silber arbeite, dafür eine Geldbuße zahlen und das Silber auf eigene Kosten »läutern« (durch Schmelzen reinigen) müsse.24 Wenn Biermann mit dem Silber handeln wollte und ihm die Umstände des Handels aber als Arbeiten in fremder Werkstatt ausgelegt wurden, lässt sich vermuten, dass sein Silber absichtlich als unrein dargestellt wurde, um weitere Gründe für einen Ausschluss Biermanns zu haben. Ähnlich verhält es sich mit dem Eintrag Biermanns in das Amtsbuch. Er war darin als „Unverdienter“, also Geselle, eingetragen.25 Die Goldschmiede schrieben, dass es bei ihnen Brauch sei, Gesellen erst nach acht Jahren in das Buch zu schreiben.26 Doch legte der bereits zitierte Artikel 9 der Goldschmiedezunft fest, dass Lehrlinge, wenn sie mindestens zwanzig Jahre alt waren und fünf Jahre gelernt hatten, Gesellen werden durften. Daher scheint es nicht verwunderlich, dass Biermann bereits nach fünfeinhalb Jahren Lehre als Geselle eingeschrieben wurde. Nach diesen Regeln war das Einschreiben Biermanns vielleicht ungewöhnlich, aber nicht falsch. Außerdem war es in Köln üblich, dass Meister der Zunft ihre Söhne schon nach ihrer Geburt einschreiben ließen, egal, ob sie später Goldschmied wurden oder nicht.27 In der bereits zitierten Gegenschrift beharrten die Goldschmiede darauf, dass es immer ihre Gewohnheit gewesen sei, Gesellen erst nach acht Jahren einzuschreiben. Biermanns Lehrmeister hätte ihm seine Lehrzeit auch nur umb levens ind stervens willen28 zugestanden. Diese Differenzen in der Darstellung verstärken den Verdacht, dass die Zunft Biermann unbedingt loswerden wollte. In dem Beruf seines Vaters hatte sie hierfür einen ausreichenden Grund. Da sie ihn trotzdem so lange geduldet hatte, suchte sie zur Bekräftigung weitere Argumente. Das Goldschmiedeamt rechtfertigte seine Ablehnung unter anderem mit dem Verweis auf die nicht abgeschlossene Lehre Biermanns – obwohl es ihn selber 23
Ebd., S. 565. Ebd., Bd. 1, S. 84. 25 SCHEFFLER 1973, S. 427; mehrere Listen der Goldschmiedezunft dort abgedruckt. 26 LOESCH 1907, Bd. 2, S. 562. 27 SCHEFFLER 1973, S. 371. 28 LOESCH 1907, Bd. 2, S. 563. 24
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daran gehindert hatte. Auf den Brief des Pfalzgrafen hin bat der Rat bei der Zunft wieder um die Aufnahme Biermanns. Die Goldschmiede weigerten sich erneut, ihn zuzulassen; denn es sei nicht ihre Schuld, dass Biermann sichselfs um seine Zukunft bedrogen29 habe.
5. Unehrlich oder nicht? Die entscheidende Frage bei Biermann war, ob sein Vater einen unehrlichen Beruf ausübte oder nicht. Welche Berufsgruppen als unehrlich galten, war von Stadt zu Stadt sowie regional unterschiedlich.30 In Köln galten Bartscherer, und damit auch Bader, Barbiere und Chirurgen, zwischen denen nicht weiter differenziert wurde, als unehrlich. Auf sie wurde herabgesehen und »ehrliche«, angesehene Leute wollten mit Unehrlichen keinerlei Kontakt haben, da Unehrlichkeit als ansteckend galt. Die Vermutung liegt nahe, dass Biermann den Arztberuf nicht als unehrlich kannte und eine andere Einstellung zu diesem Beruf hatte, da sein Vater eine der Ausnahmen seines Berufes war, der es aufgrund seines Könnens zu Ansehen und Achtung gebracht hatte. Denn als Leibarzt des Pfalzgrafen muss der Vater sein Handwerk verstanden haben. Auch der Pfalzgraf unterschied offensichtlich zwischen Arzt und Bartscherer. Er hatte kein Verständnis für die Kölner und bestätigte in seinem Brief an den Kölner Rat, dass Biermanns Vater wondarzt und schnider gebrochener lute war. Darin sah er aber keinerlei Grund, Biermann nicht in die Zunft aufzunehmen. Da Biermann ein fromer Mann und geschickter Goldschmied sei, spräche nichts dagegen, ihn als Goldschmied arbeiten zu lassen, zumal auch das Kölner Städterecht zum Ausschluss keine Grundlage böte.31 Den geschilderten Fall kann man nur nachvollziehen, wenn man davon absieht, dass der Beruf des Chirurgen heute ein angesehener Beruf ist. Im Mittelalter war die Sachlage eine andere. Es gab noch kein klar definiertes Berufsbild des Arztes. An den Universitäten konnte zwar Medizin studiert werden, doch diese Ärzte waren eher Wissenschaftler als praktizierende Ärzte. Die akademischen Heilmethoden waren nicht allgemein akzeptiert und studierte Mediziner ohnehin nur für Reiche bezahlbar. So waren diejenigen Mediziner in der Mehrzahl, die ihren Beruf wie ein Handwerk erlernt hatten. Arzt oder Chirurg war ein praktischer Lehrberuf wie z. B. Tischler oder Böttcher.32 Zum Aufgabenfeld eines Chirurgen gehörten vor allem 29
Ebd., S. 568. DANCKERT 1963. 31 LOESCH 1907, Bd. 2, S. 566f. Nr. 480, V. 32 IRSIGLER / LASSOTTA 1984, S. 110–119. 30
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Behandlungen von Brüchen der Gliedmaßen, Amputationen derselben, Operationen jeglicher Art, Schröpfen und Aderlässe, um nur einige zu nennen. Er hatte mit sämtlichen Körperflüssigkeiten des Menschen zu tun und kam unvermeidlich mit dem Tod in Berührung. Der Erfolg eines Chirurgen dürfte zu seinem Ansehen erheblich beigetragen haben. Im Einzelfall konnten Chirurgen sehr respektiert und geachtet sein. Das Negative aber wurde schneller verallgemeinert. So wurde der gesamte Berufsstand verachtet und zu den unehrlichen Berufen gezählt. Die Nähe zum Tod und die blutige Arbeit verbanden diese Ärzte mit den Scharfrichtern und Schlachtern, die die am meisten verachteten Berufe des Mittelalters waren. Es war dem Ansehen des Berufes auch nicht zuträglich, dass es viele Quacksalber und fahrende Wunderheiler gab. Diese boten Wundermittel, Arzneien und medizinische Dienste auf den Marktplätzen an. Zum einen waren es ansässige Ärzte, die ihr Handwerk einfach nicht verstanden und trotzdem unbeirrt Patienten behandelten. Da solche Pfuschereien oft tödlich endeten, wurden in Köln Wundärzte und Chirurgen streng kontrolliert, um »Kunstfehler« möglichst zu vermeiden. Ein weiterer Faktor, der Chirurgen in Misskredit brachte, war, dass der Beruf seine Wurzeln in den Berufen der Bader und der Bartscherer hatte. Bader wie Barbiere übernahmen auch medizinische Aufgaben, die sich später als eigener Beruf abkoppelten. Auch die Unehrlichkeit des Bader-Berufes begründete sich aus seinem intimen Umgang mit Menschen. Der Bader war für Anwendungen wie Wassergüsse, Abreibungen und Massagen zuständig. In den Badehäusern gab es keine strikte Geschlechtertrennung, wie sie z. B. in türkischen Bädern üblich war. Männer und Frauen begegneten sich hier in einer manchmal sehr freizügigen Atmosphäre.33 Die Vermutung liegt nahe, dass es nicht immer sehr keusch zuging. Manche Bader tolerierten sittenloses Verhalten, andere nutzten es sogar zu einem Zusatzverdienst, indem sie in ihren Badehäusern Prostituierte vermittelten. Wie bereits erwähnt, handelte es sich bei den Kölner Goldschmieden um eine angesehene Zunft; sie befürchtete, dass ihnen aus dem Fall Biermann Schaden entstehen könnte. Die Goldschmiede wollten ihren Ruf, ihr Ansehen und vor allem ihre Stellung gegenüber anderen Zünften wahren. Erst auf das Versprechen des Rates hin (am 7. Februar 1487), dass ihm keinerlei Nachteile aus der Wiederaufnahme Biermanns entstehen und der gesamte Vorfall als ungeschehen betrachtet werden sollte, willigte das Amt der Aufnahme zu.34 Aus Sicht der Kölner war ein Hodenschneider ein Unehrlicher, egal, ob er Leibarzt des Pfalzgrafen war oder nicht. Unverständlich bleibt 33 34
Ebd., S. 97f., 103f. LOESCH 1907, Bd. 2, S. 568 Nr. 480, VIII.
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aber, warum man erst so spät versuchte, Biermann auszuschließen. Es scheint auch andere Gründe gegeben zu haben, die Biermann unerwünscht machten. So ließe sich der späte Ausschluss erklären. Unbekannt ist, was aus Biermann wurde, nachdem er endlich seine Lehre beenden konnte. Es ist wahrscheinlich, dass er Köln verlassen hat. Dafür spricht, dass sein Name in den Zunftlisten nach 1490 nicht mehr zu finden ist. Die Zunft duldete ihn zwangsweise für die Ausbildung. Später wird die Zunft es Biermann aber wahrscheinlich sehr schwer gemacht haben, seinen Beruf in Köln auszuüben.
Literatur BACKMANN 1998 – BACKMANN, Sibylle u.a. (Hgg.): Ehrkonzept in der frühen Neuzeit, Berlin 1998. BAUM 1989 – BAUM, Hans-Peter: Goldschmied, in: LexMa, Bd. 4, 1989, Sp. 1547–1548. DANCKERT 1963 – DANCKERT: Unehrliche Leute. Die verfemten Berufe, Bern 1963. IRMSCHER 2005 – IRMSCHER, Günter: Das Kölner Goldschmiedehandwerk 1550–1800. Eine Sozial- und Werkgeschichte, Textbd., Regensburg 2005. IRSIGLER 1975 – IRSIGLER, Franz: Kölner Wirtschaft im Spätmittelalter, in: Hermann Kellenbenz (Hg.): Zwei Jahrtausende Kölner Wirtschaft, Bd. 1: Von den Anfängen bis zum Ende des 17. Jahrhunderts, Köln 1975, S. 217– 319. IRSIGLER / LASSOTTA 1984 – IRSIGLER, Franz und Arnold LASSOTTA: Bettler und Gaukler, Dirnen und Henker. Randgruppen und Außenseiter in Köln 1300–1600, Köln 1984. LOESCH 1907 – LOESCH, Heinrich von: Die Kölner Zunfturkunden nebst anderen Gewerbeurkunden bis zum Jahre 1500, Bd. 1: Allgemeiner Teil, Bd. 2: Spezieller Teil (ND der Aufl. Bonn 1907), Düsseldorf 1984. MICK 1990 – MICK, Elisabeth: Köln im Mittelalter, Köln 1990. SCHEFFLER 1973 – SCHEFFLER, Wolfgang. Goldschmiede Rheinland-Westfalens. Daten, Werke, Zeichen, 2 Bde., hier Halbbd. 1, Berlin 1973. SCHMID 1994 – SCHMID, Wolfgang: Stifter und Auftraggeber im spätmittelalterlichen Köln, Köln 1994. SCHMID 1988 – SCHMID, Wolfgang: Nicasius Hackeney († 1518), in: Rheinische Lebensbilder 11, 1988, S. 37–58. WEBER 2006 – WEBER, Wolfgang E. J.: Ehre, in: Enzyklopädie Neuzeit, Bd. 3, 2006, Sp. 77–83. WIRTZ 2006 – WIRTZ, Carolin: Köln und Venedig. Wirtschaftliche und kulturelle Beziehungen im 15. und 16. Jahrhundert, Köln 20
STEFANIE HERBERG UND ALINE SCHMITT
Gottfried Amberger Junggeselle in Augsburg Ohne Heirat keine Werkstatt 1. Vita Zum Künstler Gottfried Amberger sind kaum Lebensdaten bekannt. Weder ist sein Geburts- noch sein Sterbedatum verbürgt,1 und nur ein einziges Mal verdichtet sich die Quellenlage zu seinem Leben, als Gottfried für sich die Ehe ausschloss und somit die Voraussetzung, als Meister eine eigene Werkstatt zu führen, nicht erfüllen wollte bzw. konnte. Gottfried hatte drei Brüder, die wie er alle von ihrem Vater – Christoph Amberger d.Ä. – in der Kunst des Malens ausgebildet wurden. Dank der Monographie von Annette Kranz, mit dem Abdruck aller relevanten Quellen, auch zu den Söhnen, sind wir über Leben und Werk Christoph Ambergers d.Ä. umfassend informiert.2 Sie bildet die Basis, um den vorzustellenden Konflikt, den Gottfried mit der Augsburger Malerzunft austrug, zu kontextualisieren und den daraus resultierenden Fragen nachzugehen. Das Geburtsdatum seines Vaters Christoph Amberger d.Ä. liegt ebenso wie das seine im Dunkeln und es lässt sich lediglich ein Zeitrahmen zwischen 1500 und 1505 angeben. Die »Gerechtigkeit des Malerhandwerks« in Augsburg wurde dem Vater am 15. Mai 1530 verliehen: Crÿstof amberger hat die gerechtig kait enpfangen, die er von seinem weib hat.3 Aus den Handwerkerakten der Stadt Augsburg geht eindeutig hervor, dass die Verleihung der Gerechtigkeit des Handwerks an ihn mit der Ehelichung der Meistertochter Barbara, Tochter des Augsburger Malers Leonhard Beck, im Zusammenhang stand. Diese Verbindung hatte gleich mehrere Vorteile: Nicht nur der Zugang zur Malerzunft wurde Christoph Amberger d.Ä. er1
2
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KRANZ 2004, S. 30, vermutet, dass er um 1535/38 geboren wurde. – In den einschlägigen kunsthistorischen Lexika ist Gottfried Amberger nicht zu finden (vgl. z.B. FRIEDLÄNDER 1907, S. 387) oder ihm sind nur wenige Zeilen gewidmet (vgl. FRIEDEL 1992, S. 125). KRANZ 2004; sie bildet die Grundlage unseres Beitrages und zur Entlastung des Anmerkungsapparates wird hier auf ihre Ausführungen der S. 27–52 verwiesen. KRANZ 2004, S. 426 Dok. B, fol. 77v; vgl. ebd., S. 27.
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leichtert, auch das Bürgerrecht der Reichsstadt Augsburg erhielt er dadurch. In den folgenden dreißig Jahren (1531 bis 1561) zeichneten sich in den städtischen Steuerlisten beständig sein Aufenthalt und sein Arbeiten in Augsburg ab. Während dieser Zeit wechselte er mehrmals den Wohnsitz und heiratete nach dem Tod seiner ersten Frau 1542/43 erneut. Aus der Verbindung mit Barbara Beck waren vier Söhne hervorgegangen, aus der Ehe mit seiner zweiten Frau Anna Rot zwei Töchter. Augenscheinlich erlernten die vier Söhne, Christoph d.J., Emanuel, Gottfried und Gottlieb, das Malerhandwerk in der Werkstatt des Vaters, wie Annette Kranz aus dem Fehlen von Hinweisen auf andere Ausbildungsstätten in den Quellen nachvollziehbar schließt. Sehr wahrscheinlich arbeitete der älteste Sohn Christoph in Werkstattgemeinschaft mit seinem Vater und lebte im väterlichen Haushalt. Schon zu Lebzeiten werden sie daher mit den Zusätzen „der Jüngere“ und „der Ältere“ unterschieden. Es kann vermutet werden, dass Christoph d.J. sein Handwerk, wenn auch ohne Meisterrecht, relativ selbständig in der Werkstatt des Vaters ausführte. Der zweitälteste Sohn Emanuel ging noch zu Lebzeiten des Vaters nach Venedig. Es wird gemutmaßt, dass er Tizian während der Reichstage 1547/48 und 1550/51 in Augsburg kennen lernte, zu denen der Venezianer auf Veranlassung Kaiser Karls V. reiste.4 Wohl aufgrund der väterlichen Verbindungen und – soviel sei ihm auf Basis von Vermutungen zugestanden – auch der eigenen handwerklichen Leistungen, arbeitete er mehrmals in der Werkstatt Tizians in Venedig. Seit den sechziger Jahren ist Amberger dort in den Quellen unter dem Namen Emmanuele d’Augusta nachgewiesen. Christoph Ambergers d.Ä. dritter Sohn Gottfried, mit dem wir uns hier vertiefend beschäftigen werden, tritt wenig urkundlich in Erscheinung: zum ersten Mal, als er aufgrund nächtlicher Raufereien am 8. Dezember 1562 im trunkenen Zustand (wol betzecht) nach einer Hochzeitsfeier den Heimweg nicht antreten wollte und die reichsstädtischen Scharwächter (eine Art frühneuzeitlicher Streifenpolizisten, die ein besonderes Augenmerk auf die Wirtshäuser hatten)5 derb anredete, sie sollen ihn alle lecken. Aus dem Protokoll wird weiter ersichtlich6, dass die Wächter ihm bei dem Handgemenge drohten, er würde ins Narrenhauß müssen. Gottfried entschuldigte sich nach etlichen Vernehmungen und Ermahnungen mit dem Hinweis auf seine Trunkenheit und dass er in unverstehlich weiß in die handl khomen.
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TACKE 2002, bes. S. 115. ROGGE 1996, S. 150–156. KRANZ 2004, S. 445–447 Dok. 5.
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Die zwei weiteren Archivalien, welche sich zu Gottfried Amberger erhalten haben, stehen im Zusammenhang mit dem für ihn existenziellen Rechtsstreit um die Ausübung seines Handwerks mit der Augsburger Malerzunft. Dem Junggesellen Gottfried wurde von der Zunft aufgetragen zu heiraten, um die Gerechtigkeit zu erlangen und damit die Werkstatt seines Vaters weiter führen zu dürfen. Der Maler wollte dieser Forderung nicht nachkommen und versuchte dies beim Rat durchzusetzen. Dieser Rechtsstreit und die Suche nach möglichen Gründen für seine ablehnende Haltung gegenüber einer Heirat werden im Folgenden anhand der beiden erhaltenen Quellen eingehender untersucht. Nach Abschluss der Rechtsstreitigkeiten wird Gottfried Amberger 1565 ein letztes Mal in den Handwerkerakten erwähnt. Anschließend lassen sich keinerlei Hinweise auf einen Aufenthalt Ambergers in Augsburg finden. Mit hoher Wahrscheinlichkeit verließ er die Stadt noch in den 1560er Jahren mit unbekanntem Ziel. Dieses Schicksal blieb Christoph Ambergers d.Ä. jüngstem Sohn Gottlieb, um 1537/40 geboren, erspart, er wurde als einziger von den Ambergersöhnen Vollmitglied des Maler-Handwerks. Er erfüllte alle Voraussetzungen, einschließlich der – seinem Bruder so widerstrebenden und den Ausschlag für dessen Abreise gebenden – Heirat. Für 1568 ist belegt, dass er als Maler seine Lehre abgeschlossen und seines vattern gerechtigkait empfangen hatte. Doch scheint auch Gottlieb nicht endgültig in die Fußstapfen des Vaters getreten zu sein; denn 1566 wird er in einer Quelle als Buchbinder erwähnt – alle weiteren erhaltenen Quellen, in denen Gottlieb vorkommt, belegen, dass er als Buchbinder in Augsburg tätig war. Er hätte mit der Übernahme der väterlichen Malerwerkstatt ein florierendes Unternehmen weiterführen können; denn nach der Vermögensentwicklung zu urteilen war die Werkstatt Christoph Ambergers d.Ä. Mitte des 16. Jahrhunderts durchaus lukrativ. Nach dem Tode seines Vaters arbeitete Gottfried nachweislich zwei Jahre in dessen hinterlassener Werkstatt. Eine Heirat war notwendig, um die Gerechtigkeit zu erlangen und damit endgültig die Werkstatt führen zu dürfen. Die Quellen, welche den Streit zwischen dem Maler, der Zunft und dem Rat thematisieren, zeigen jedoch, dass er sich weigerte, die notwendige Ehe einzugehen. Warum lehnte Gottfried Amberger dies ab, obwohl er eine etablierte Werkstatt hätte übernehmen können? Und aus welchen Gründen war eine Heirat aus Sicht der Zunft und des Rates zwingend?
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2. Quelle Verschiedene Schriftstücke des Jahres 1565 betreffend die Nichtverheiratung von Gottfried Amberger, aufgrund deren er nach der Augsburger Zunftordnung nicht eigenständig die Malerwerkstatt seines verstorbenen Vaters Christoph Amberger weiterführen durfte. KRANZ, Annette: Christoph Amberger – Bildnismaler zu Augsburg. Städtische Eliten im Spiegel ihrer Porträts, Bonn 2004, S. 448–450 Dok. A, B, C und D. Von Kranz zitiert wird A.) Stadtarchiv Augsburg, Reichsstadt, Ratsprotokolle XXXIII, 1564–1565, fol. 55r: Actum Sambstag 27 Januarÿ 1565 [...] fol. 55v: Gotfrid Ambergers supplication, soll den vorgeern von malern umb bericht zugestelt werden Von Kranz zitiert wird B.) Stadtarchiv Augsburg, Reichsstadt, Handwerkerakten, Maler, fasc. 127: Gottfriden Ambergers unnderthenige supp(lica)tion soll den vorgeern von malern umb bericht zugestelt werd(en) 27 January 1565 Edl, vest, fursichtig Ersam unnd weiß Herrn Stattpfleger, burgermaister, vnd ein Ersamer Rath. Gnedig, gebiettenndt unnd gunstigen Herrn E. W. H. unnd F. Mt. gib ich derselben mitburger, gehorsamlich zuuernemen, Demnach ich nach absterben Christoffen Annberger, Maler, meines lieben vattern seeligen, in seiner behausung unnd werckhstat, mit seinem verlassen werckhzeug, biß in zway Jar, unngeuarlich, das maler hanndtwerch, in ledigem stanndt, wie anndere mitburgere, unnd frembden, menigclichs, unuerhind(er)t getrieben. Mir aber die Verordnetten Vorgeer bemelltz hanndtwerchs, solchs arbaiten, itzo ernidergelegt, unnd mir weitter nit vergonnen wöllen, biß dz ich heurath. Dieweill dann gunstig gebiettenndt Herrn, nit allain den mitburg(er)n, alhie, Sonndern auch den frembden, vergundt worden, das bemellt hanndtwerch, lediger weiß zutreiben. Bin ich zue E. W. H. unnd F. Mt. der unngezweiffellten hoffnung, unnd zuuersicht, es werdt mir, alls einem unnd(er)thenigen mitburger, solchs arbaitten, vor ainem frembden, unnd sonnd(er)lich, dieweill obgemellter mein lieber vatter seeliger, lannge Zeit, haußhäblich alhie gesessen, unnd E. W. und F. Mt. treulich gediennt, auch zugelassen, unnd vergundt werden. Bit demnach E. W. H. F. E. Mt. in aller und(er)thenigkhait, ganntz vleissig, die wöllen mich nit darzue treiben dz ich diser zeit heuratten soll, Sonndern mir alls ainem burgers son, das hanndtwerch, in massen wie bißherh beschehen,
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Zutreiben, gnedigclich vergonnen, unnd erlauben, biß ich mitler weill mit hulff gottes allmechtigen, ein erlichen heurath uberkhomen möcht. Das will umb E. W. H. F. E. Mt. ich alls ain unnd(er)thenig(er), gehorsamer mitburg(er) jed(er) zeit, gehorsambs vleiß verdienen, unnd gegen got mit meinem embsigen gebet nimermeh vergessen, Gnedig(er) willfarung gewartende. E. W. H. F. E. Mt. Unnd(er)thenig(er) gehorsamer mitburger, Gotfridt Annberg(er) maler. Von Kranz zitiert wird C.) Stadtarchiv Augsburg, Reichsstadt, Ratsprotokolle XXXIII, 1564–1565, fol. 56v: Actum Donnerstag 1 februarÿ 1565 [...] Auff der von malern bericht läßt es ain Ersamer Rate Gotfriden Ambergers halb beÿ der ordnung bleiben Von Kranz zitiert wird D.) Stadtarchiv Augsburg, Reichsstadt, Handwerkerakten, Maler, fasc. 124–125: Der verordnetten vorgeer von Maler alhie Bericht, Auff Gottfridt Ambergers, des Maler gesellen ubergeben supplication, Prod. [?] 1a Februarÿ Ao [16]65 Edlen, vesten, fursichtigen, Ersamen, und weÿsen, herren Stattpflegere, Burgermaister, und ain Erber Rathe, diser Loblichen Statt Augspurg, gebiettenden, und gunstigen herren E. H. vest und F. E. Mt. haben, unns Gottfridt Ambergers, des Maler gesellen alhie, ubergeben Supplication, gunstigclich zustellen, und bericht darauff zuthun bevolhen lassen, demselben nun also zugehorsamen zaigen E. W. vest, und F. E. Mt. wir fur bericht hiemit unnderthänigclich an, das nit one, Nachdem sich bemelter Supplicant, nach seines vatters seligen absterben unnderstannden, und nit allain als ain Lediger gesell (dern doch kainem, biß Er sich verheÿrat, und hochtzeit heltt, des hanndtwerckhs gerechtigkait gelÿhen wirdt) fur sich selbs, wie ain annderer Maister, ain werckhstat gehaltten, sonder auch gesellen, oder Junger angenomen, und furdern wellen, haben wir Ine fur unns erfordert, unnd inn beÿsein ettlicher Maister vom hanndtwerckh, Ime solche Maisterschafft, In Crafft unnserer habenden hanndtwerckhs ordnung, und des Ailfften articuls, darinnen, der mit Litera .A. signiert, hiebeÿ verwardt ist, ernÿdergelegt, welchen Articul E. H. vest, und F. E. Mt. selbst darumb gunstlichen anhören mögen, Gleÿchwol Er Supplicant, als wir Ime solchs abgeschafft, gar nit dabeÿ beleÿben wellen, sonnder sich neben wenig gutten wortten, Auch vernemen lassen, die gemainem hanndtwerckh obsteenden Articul gegeben, die werden Im Ietzt dargegen zuhandlen, vergonnen, dessen wir unns gar nit versehen, das Er aber In obberurtter seiner Suppli-
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cation So offt vermeldet, Es nit allain den alhieigen, Sonder auch den frembden, das Maler hanndtwerckh, Lediger weÿß, fur sich selbs zutreÿben, zugelassen worden, des wirdt sich mit nichten befinden, dann Es nÿe kainem beschehen, weder allain des verschinen 60 Jars, dem Julio Licino maler, welchen auch ain hanndtwerckh gleich so wol, nit einkomen lassen wellen, Aber E. H. vest, und F.E.Mt. haben Ime das Burgerrechten gegeben, und wie anndere Maister fur sich selbs zu Arbaitten vergonnstiget, doch unns, und gemainem hanndtwerckh dagegen, dise gunstige vertröstung, unnd zusagen gethan, das solch des Licini zulassen, unnserer ordnung unvergriffen sein, und kainen einganng geberen soll, wie E. H. vest, und F. E. Mt auß beÿligender abschrifft von dem, so sÿ deßhalben In aines hanndtwerckhs ordnung einschreÿben lassen, gunstlichen zuvernomen haben, Unnd dieweÿl dann gebiettenden, und gunstigen herren, beÿ obvermeltem ainem Erbern hanndtwerckh der Maler alhie, von alttem her, gar nÿe gebreuchlich, noch die ordnung gewesen, das ainichem Ledigen gesellen, Er seÿ burger, oder frembder, ains hanndtwerckhs gerechtigkait nit verlÿhen, auch nit fur sich selbs zu arbaitten, vil weniger gesellen, oder Junger zufurdern, gestattet worden. Ist demnach an E. H. vest unnd F. E. Mt von wegen aines gemainen hanndtwerckhs, zum höchsten, unnser unnderthänig bethe, die wellen dasselbig, beÿ diser Loblichen ordnung und alttem gebrauch, auch E. H. vest, und F. E. Mt gunstigem vertrösten, und zusagen, noch gunstigclich beleÿben lassen, Unnd dem benanten Gottfrid Amberger, weÿl Er umb unnser den vorgeer, von Ambts wegen Im gethanen bevelch, gar nichtzit geben will, ernstlichen verschaffen, das er, biß er sich Eelichen verheÿrat, hochtzeit haltte, und des hanndtwerckhs gerechtigkait fähig werde, der angemassten Maisterschafft ab, und muessig stee auch kain gesind nit furdere, sonnder wie andere Maisters Söne, unnd gesellen Inn Ledigem stanndt thun muessen, der ordnung In allweg gelobe, und nachkome, dann wa Ime solchs zugelassen sein schon mer verhannden die Es auch werden haben wellen des nit, allain ainem hanndtwerckh zu höchster beschwerdt, und zerrittung, sondern auch E. H. vest, und F. E. Mt zu ferrer bemuehung, und täglichem uberlauff Raichen wurde, Solchs haben E. H. vest, und F. E. Mt wir fur bericht, auff sein Gottfridt Ambergers Suppliciern, nit verhaltten sollen, Bitten derohalben nochmals zum Allerunnderthänigisten, Ain gemain hanndtwerckh beÿ obsteenden Lanng hergebrachten gewonhait, unnd gutter ordnung, gunstigclich zuhanndthaben, denselben, uber schuldige pflicht, mit underthänigem fleÿss zuverdienen, wir, und ain gemain hanndtwerckh, alltzeit berait, unnd willig sein, E. H. vest, und F. E. Mt Unnderthänig, unnd gehorsam burgere, Die verordnetten vorgeer, aines Erbern hanndtwerckhs der Maler alhie,
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(Übertragung ins Neuhochdeutsche) A.) Stadtarchiv Augsburg, Reichsstadt, Ratsprotokolle XXXIII, 1564–1565, fol. 55r: Verhandelt Samstag, 27. Januar 1565 fol. 55v: Gottfried Ambergers Bittschrift soll den Vorgehern der Maler um Bericht zugestellt werden. B.) Stadtarchiv Augsburg, Reichsstadt, Handwerkerakten, Maler, fasc. 127: Gottfried Ambergers untertänige Bittschrift Edle, feste, umsichtige, ehrsame und weise Herrn Stadtpfleger, Bürgermeister und ein ehrsamer Rat! Den gnädig gebietenden und gunstvollen Herren Ehrsame weise Herren (E. W. H.) und Fürsichtiger Magistrat (F. Mt.), gebe ich, derselben Mitbürger, gehorsamst zu vernehmen, dass ich nach dem Ableben des Malers Christoph Amberger, meines geliebten seligen Vaters, in seiner Behausung und Werkstatt mit den Werkzeugen, die er hinterlassen hat, bis zu zwei Jahre lang das Malerhandwerk in ledigem Stand, so wie andere Mitbürger und Fremde, ungehindert betrieben habe. Nun haben mir die verordneten Vorgeher des genannten Handwerks solches Arbeiten niedergelegt und wollen es mir weiterhin nicht vergönnen, bis dass ich heirate. Weil es, günstige gebietende Herren, nicht allein den Mitbürgern hier, sondern auch den Fremden vergönnt worden ist, das genannte Handwerk ledigerweise zu betreiben, wende ich mich an E. W. H. und F. Mt. in der ungezweifelten Hoffnung und Zuversicht, es werde mir als einem untertänigen Mitbürger solches Arbeiten eher als einem Fremden, und besonders weil mein oben genannter lieber seliger Vater lange Zeit hier häuslich niedergelassen war und E. W. und F. Mt. treu gedient hat, auch zugelassen und vergönnt werden. Ich bitte demnach E. W. H. F. E. Mt. in aller Untertänigkeit ganz fleißig, dass sie mich nicht dazu treiben wollen jetzt zu heiraten, sondern mir als einem Bürgersohn das Handwerk in dem Maße wie bisher geschehen zu betreiben gnädiglich vergönnen und erlauben, bis ich mittlerweile mit der Hilfe des allmächtigen Gottes eine ehrsame Heirat eingehen kann. Das will um E. W. H. F. E. Mt. ich als ein untertäniger, gehorsamer Mitbürger jeder Zeit mit gehorsamem Fleiß verdienen und mich gegen Gott mit meinem emsigen Gebet nimmermehr vergessen, gnädige Bewilligung erwartend. E. W. H. F. E. M. Untertäniger gehorsamer Mitbürger Gottfried Amberger, Maler. C.) Stadtarchiv Augsburg, Reichsstadt, Ratsprotokolle XXXIII, 1564–64 fol. 56 v: Donnerstag, 1. Februar 1565 […]: Auf den Bericht der Maler hin lässt es ein ehrsamer Rat bei der [alten] Ordnung bleiben.
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D.) Stadtarchiv Augsburg, Reichsstadt, Handwerkerakten, Maler, fasc. 124– 125: Bericht der verordneten Vorgeher der Maler auf die von dem Malergesellen Gottfried Amberger übergebene Bittschrift, Protokoll vom 1. Februar 1565. Edle, feste, umsichtige, ehrsame und weise Herren Stadtpfleger, Bürgermeister und ehrbarer Rat dieser löblichen Stadt Augsburg! Die gebietenden und gunstvollen Herren, E. H. und F. E. Mt., haben günstiglich befehlen lassen, uns die von dem hiesigen Malergesellen Gottfried Amberger übergebene Supplikation zuzustellen und einen Bericht darüber zu machen. Denselben gehorsam zeigen wir den ehrsamen weisen Herren und einem fürsichtigen ehrsamen Magistrat als Beirat hiermit untertänig an, dass sich der genannte Supplikant nach seines seligen Vaters Ableben nicht nur unterstanden hat, als ein lediger Geselle (von denen doch keinem, solange er sich nicht verheiratet und Hochzeit hält, die Gerechtigkeit des Handwerks verliehen wird) für sich selbst wie ein anderer Meister eine Werkstatt geführt zu halten, sondern auch Gesellen oder Lehrlinge angenommen und ausbilden wollte. Deshalb haben wir ihn vor uns geladen, und ihm im Beisein etlicher Meister des Handwerks eine solche Meisterschaft kraft unserer aktuellen Handwerksordnung und des elften Artikels darin, der mit dem Buchstaben A verzeichnet und darin verwahrt ist, abgesprochen; welchen Artikel E. H. und F. E. Mt. selbst darum gunstvoll anhören mögen. Gleichwohl hat der Bittsteller, als wir ihm die Meisterschaft aberkannt haben, gar nicht dabei bleiben wollen, sondern sich, neben wenig guten Worten, auch [in diesem Sinne] vernehmen lassen, diejenigen, die dem gemeinern Handwerk den oben genannten Artikel gegeben, hätten ihm jetzt auch vergönnt dagegen zu handeln, womit wir gar nicht einverstanden sind. Dass er aber in seiner Supplikation so oft behauptet, es sei nicht allein den hiesigen, sondern auch den Fremden erlaubt worden, das Malerhandwerk ledigerweise selbstständig zu betreiben, das wird sich mitnichten befinden; denn es ist nie einem geschehen, auch nicht in den vergangenen 60 Jahren dem Maler Julius Licinius, den das Handwerk ebenfalls nicht aufnehmen lassen wollte. Aber E. H. und F. E. Mt. haben ihm das Bürgerrecht gegeben und ihm zugestanden, wie andere Meister selbstständig zu arbeiten, doch uns und dem gemeinen Handwerk hat man dagegen diese günstige Vertröstung und Zusage gemacht, dass die Zulassung des Malers Licinius kein Eingriff in unsere Handwerksordnung sei und keinen Eingang öffnen soll [für weitere Ausnahmen]. So haben es E. H. und F. E. M.t aus der beiliegenden Abschrift dessen, was sie deshalb in eine Handwerksordnung einschreiben haben lassen, günstig vernommen. Und dieweil dann, gebietende und günstige Herren, bei oben genanntem ehrbaren Handwerk der Maler hier von alters her gar nie gebräuchlich noch die Ordnung gewesen ist, dass einem ledigen
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Gesellen, sei er Bürger oder Fremder, die Gerechtigkeit des Handwerks verliehen worden ist und auch nicht gestattet wurde, für sich selbst zu arbeiten und noch viel weniger, Gesellen oder Lehrlinge auszubilden, daher ist es zum Höchsten die an E. H. und F. E. M.t wegen des gemeinen Handwerks gerichtete untertänige Bitte, sie wollen dasselbige bei dieser löblichen Ordnung und dem alten Gebrauch, auch bei E. H. und F. E. Mt. günstigem Trost und Zusage weiterhin in Gunst bleiben lassen. Und sie sollen dem genannten Gottfried Amberger, weil er auf den ihm von Amts wegen gegebenen Befehl unserer Vorgeher gar nichts geben will, ernstlich befehlen, dass er, bis er sich ehelicht und verheiratet, Hochzeit hält und des Handwerks Gerechtigkeit fähig wird, die angemaßte Meisterschaft niederlegt und müßig bleibt, auch kein Gesinde fördert, sondern, wie es auch anderer Meister Söhne und Gesellen ledigen Standes tun müssen, der Ordnung allwege gelobe und nachkomme. Denn wenn ihm solches zugelassen wird, dann sind schon mehrere da, die es auch haben wollen werden, was nicht nur dem Handwerk zu höchster Beschwerde und Zerrüttung und auch E. H. und F. E. Mt. zu weiterer Bemühung und täglichem Auflauf führen würde. Das haben wir E.H. und F. E. Mt. für den Bericht auf Gottfried Ambergers Supplizieren hin nicht verschweigen wollen und wir bitten deshalb noch einmal zum Alleruntertänigsten, ein gemeines Handwerk, bei der oben stehenden, lang hergebrachten Gewohnheit und guten Ordnung günstig zu handhaben; denselben, über schuldige Pflicht hinaus mit untertänigem Fleiß zu dienen, sind wir und ein gemeines Handwerk allzeit bereit und willig, E. H. und F. E. Mt. untertänige und gehorsame Bürger, die verordneten Vorgeher eines ehrbaren Handwerks der Maler hier.
3. Kontextualisierung Bei der Quelle handelt es sich um eine Supplikation (= Bittschrift), die sich an den Rat der Stadt richtet und die Gottfried Amberger im Jahr 1565 eingereicht hatte. Er versuchte mit Hilfe dieser Bittschrift, die Malerwerkstatt seines bekannten – und als Porträtmaler sehr angesehenen – Vaters zu übernehmen, was ihm durch die Zunft verwehrt wurde. Amberger erklärt in seinem Schreiben an den Rat, dass er nach dem Tod seines Vaters das Haus und die Werkstatt einschließlich des Werkzeugs übernommen habe und seit zwei Jahren in ledigem stanndt ungehindert, wie anndere mitburgere, unnd frembden auch, das Malerhandwerk in derselben betreibe. Er führt nun Beschwerde dagegen, dass ihm dieses von den Vorgehern nicht mehr erlaubt werde, bis er heurath. Im Folgenden wiederholt
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er seine Behauptung, dass nicht nur Mitbürgern, sondern auch Fremden gestattet werde,lediger weiß zu arbeiten. Mit diesem Argument und dem Hinweis auf seinen Vater, der haußhäblich alhie gesessen und dem Rat treulich gediennt habe, bittet er darum, ihn nit darzue treiben dz er diser zeit heuratten soll. Man müsse ihm erlauben, sein Handwerk zutreiben, bis er mit Gottes Hilfe eine erliche […] heurath eingehen werde. Die Antwort ist jedoch negativ. Amberger hatte nicht nur ain werckhstat gehaltten, sondern darüber hinaus auch gesellen, oder Junger angenomen, und furdern wellen. Mit dem Verweis auf die Handwerksordnung wird die Ablehnung, die ihm bereits persönlich mitgeteilt wurde, begründet. Ferner wehrt die Zunft den Vorwurf Ambergers ab, auch Fremde hätten das Handwerk ledig betrieben. Sie verweist auf den venezianischen Maler Julius Licinius (Giulio Licinio, genannt Pordenone) und bemerkt, dass man diesen nit einkomen lassen wollte, der Rat ihm jedoch das Bürgerrecht und die Erlaubnis gab, selbstständig wie andere Meister zu arbeiten.7 Das tastete jedoch nicht die Handwerksordnung der Maler an. Die habe nie vorgesehen, ledigen Gesellen die Gerechtigkeit des Handwerks zu verleihen, und es sei auch nit fur sich selbs zu arbaitten, vil weniger gesellen, oder Junger zufurdern, gestattet worden. Amberger solle heiraten, wie es andere Maisters Söne, unnd gesellen Inn Ledigem stanndt thun muessen, um die Handwerksgerechtigkeit zu erlangen. Als letztes Argument wird angeführt, dass, sollte man Gottfried Amberger zulassen, schon mer verhannden sind, die Es auch werden haben wellen. Dies würde zu vielen Beschwerden und der zerrittung des Handwerks führen, so die Befürchtung der Zunft. Das Beharren der Zunft auf der Heirat als Voraussetzung für die Betreibung einer Werkstatt lässt nach dem Grund fragen, welches Interesse die Gemeinschaft der Maler – durch die Zunftordnung geregelt – daran hatte, dass ein Geselle zunächst heiraten musste, um erst dann als Meister eine Werkstatt führen zu dürfen, und zwar mit allen zugehörigen Privilegien wie der Ausbildung von Lehrjungen und der Beschäftigung von Gesellen. Daran anschließend stellt sich die Frage, warum Gottfried Amberger sich damals gegen eine Heirat sträubte, die er für die weiterhin wirtschaftlichen Erfolg versprechende Tradition der väterlichen Werkstatt und das damit verbundene Vermögen hätte in Kauf nehmen können.
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Er wird am 16.09. 1559 erstmalig in Augsburg genannt, im folgenden Jahr erwarb er nach starken Auseinandersetzungen mit der Malerzunft das Bürgerrecht und erkaufte sich die Handwerksgerechtigkeit; KRANZ 2004, S. 52, Anm. 104. – Allgemein kann festgehalten werden, dass immer wieder Ausnahmen von den strengen Zunftregeln seitens des Rates gewährt wurden, um Künstlern von außerhalb zeitweise das Arbeiten in der Stadt zu ermöglichen.
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3.1 Homosexualität in der Frühen Neuzeit War, so soll zuerst überlegt werden, Gottfried überhaupt nicht ernsthaft auf Brautschau aus, weil er – hier einmal spekulativ überlegt – überhaupt kein Interesse an einer Ehe hatte, da er homosexuell war? Und wenn ja, warum konnte er dies nicht frei bekennen? Vermutlich auf der Grundlage des Apostelbriefes von Paulus an die Römer (Röm 1, 26–32) wurden im Mittelalter sexuelle Kontakte zwischen Männern – und analog dazu auch zwischen Frauen – als heidnisches Laster und sündhaftes Abweichen vom gottgewollten und den Gesetzen der Natur entsprechenden Sexualverhalten angesehen. Gebräuchlich waren hierfür Begriffe wie peccatum contra naturam (Sünde wider die Natur), vitium sodomiticum (sodomitische Übel), aber auch stumme Sünde, rote, rufende Sünde oder schlicht Ketzerei. Rein terminologisch betrachtet wiesen diese Unterscheidungen gewisse Feinheiten im Rahmen dessen, was sie bezeichneten, auf. Im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit wurde nicht zwischen »homosexuell« und »heterosexuell« unterschieden, sondern es wurden die Begrifflichkeiten »natürlich« und »widernatürlich« verwendet.8 Die Taten der Sünder »wider die Natur« wurden – so die verbreitete Vorstellung – von Gott gestraft, beispielsweise mit Erdbeben, Hungersnöten oder der Pest. Hinweise auf die Existenz von so genannten »Sodomitern« (sodomitae, sodomitici) finden sich in vielen kommunalen Archivbeständen des späten Mittelalters. Im Rahmen der Verfolgung von Homosexuellen hat sich jedoch kein einheitlicher Katalog von Strafen überliefert. Anhand der vollzogenen Strafen im Zusammenhang mit Sodomie ergibt sich der Eindruck, dass Verstümmelungs-, Ehren-, Geld- und Exilstrafen häufiger verhängt wurden als die Todesstrafe. Der Reichstag in Regensburg verabschiedete 1532 die Constitutio Criminalis Carolina – die peinliche Gerichtsordnung Kaiser Karls V. für das Heilige Römische Reich. Artikel 116 behandelt die Ausübung von Homosexualität: Straff der vnkeusch, so wider die natur beschicht. Item so eyn mensch mit eynem vihe, mann mit mann, weib mit weib, vnkeusch treiben, die haben auch das leben verwürckt, vnd man soll sie, der gemeynen gewohnheyt nach mit dem fewer vom leben zum todt richten.9 Falls Gottfried Amberger die Ehe verweigerte, weil er homosexuell war, schien es angesichts der Todesstrafe sicherer zu sein, Augsburg zu verlassen als sich den Verdächtigungen, ein Sodomiter zu sein, auszusetzen. Das Eingehen einer zweckgemeinschaftlichen Ehe trotz gegenteiliger sexueller 8 9
Ausführlich HERGEMÖLLER 20002. RADBRUCH 19805, S. 81.
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Neigungen dürfte dementsprechend ein gewisses Risiko dargestellt haben. Selbst wenn nicht die Todesstrafe vollzogen worden wäre, hätte er bei Entdeckung zumindest mit Strafen an Leib und Ehre rechnen müssen.10 3.2 Die Ehe zwischen Recht und Moral Es kann also überlegt werden, ob angesichts einer drohenden gesellschaftlichen Verurteilung Ambergers Versicherung in seinem Bittschreiben (Dok. B), er hätte nichts gegen die Ehe einzuwenden, nur leider noch nicht die richtige Frau gefunden, lediglich eine Schutzbehauptung darstellte. Das Konzept der Ehre war zentral für die frühneuzeitliche Gesellschaft, innerhalb derer sie sowohl gruppenbezogene als auch individuelle Aspekte aufwies.11 Der Begriff der Ehre fand demgemäß auch Anwendung in Hinblick auf Heirat und Ehe. Die transpersonale Ehe sah sich drei Bereichen gegenüber: Zunft, Rat und Kirche. Im Folgenden sollen diese drei »Institutionen« in Hinblick auf ihre Konzepte bzw. Handlungen gegenüber der Ehe beleuchtet werden, um festzustellen, welchen Stellenwert diese Lebensgemeinschaft hatte und welchen Ansichten sich Amberger entgegenstellte. Laut der Quelle war es der Zunft wichtig, dass eine Werkstatt in den Händen eines verheirateten Meisters lag. Diese Tatsache unterstreicht die Zunft in ihrem Antwortschreiben: Der Künstler dürfe erst arbeiten bzw. die Werkstatt leiten, wenn er sich Eelichen verheÿrat, hochtzeit haltte, und des hanndtwerckhs gerechtigkait fähig werde. Die Heirat wurde vom Meister erwartet, folglich hatte dieser kurz vor oder nach der Aufnahme in die Zunft die Ehe zu schließen. Der Werdegang eines jungen Gesellen führte ihn über die Verlobung, das Bestehen der Meisterprüfung hin zur Heirat und zur Gründung oder Übernahme einer Werkstatt. Mit der Heirat überschritt er die Grenze zwischen der ehelosen Gesellenzeit und der Aufnahme des verheirateten Meisters in die Zunft. Um das Eheversprechen zu bekräftigen, feierte eine Gesellschaft aus Männern mit dem Bräutigam den Undertrunk. Dabei saßen acht Gesellen und 24 Meister – darunter der Ehewillige – zusammen an einem Tisch. Roper vermutet, dass dies zugleich die Aufnahmefeier in die Zunft darstellte, „denn der Umtrunk fand vielleicht in der Zunftstube statt,
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Ausführlicher zu anderen Fällen des Losheiratens eines Delinquenten siehe IRSIGLER / LASSOTTA 1984, S. 257. 11 DINGES 1998, S. 123 und 127; SIMON-MUSCHEID 1998, S. 14.
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und Meister der Zunft fungierten beim Eheversprechen als Zeugen.“12 Dies veranschaulicht die enge Verzahnung zwischen Ehe und Zunftgerechtigkeit. Die Heirat war ein einschneidendes Ereignis im Leben der Menschen in der Frühen Neuzeit. Sie war kein privat-individueller Akt zweier Liebender, sondern ein öffentlich-gesellschaftliches Ereignis. Die Ehe selbst hatte den Charakter einer Arbeits- und Besitzgemeinschaft. Mit dem fortschreitenden 16. Jahrhundert wurde es für Gesellen immer schwieriger, Meister zu werden. Der Zeitpunkt der Eheschließung verlagerte sich nach hinten und die Handwerke bestanden darauf, nur Junggesellen das Anfertigen eines Meisterstückes zu gewähren. Söhnen und Schwiegersöhnen von Meistern wurde der Erwerb der Zunftgerechtigkeit erleichtert; den anderen wurde er erschwert bis unmöglich gemacht.13 Für einen Handwerker war die „handwerklich-zünftische Amtsehre an die treue und redliche Ausübung der Arbeit gebunden.“14 Des Weiteren basierte die Aufnahme in die Zunft auf gewissen rechtlichen, sozialen und gesellschaftlichen Normen wie beispielsweise der Forderung, dass der Bewerber freier und ehrlicher Herkunft und ehelich geboren sein sollte. Ferner wurde eine sittliche Lebensführung vorausgesetzt. Zur Sicherung der Standesehre dienten u. a. die Zunftordnungen, welche die Erfüllung der entsprechenden Grundvoraussetzungen wie Geburt und Ausbildung kontrollierten. Außerdem setzte „der zünftische Ehrenkodex mit seinen strengen Anforderungen an Professionalität, Sexualmoral und Rechtlichkeit […] Schranken gegen die Unterschichten der Tagelöhner, Vaganten“.15 Demnach diente die Verteidigung der Standesehre und des Ehrenkodexes der Zunft als Hilfe der Abgrenzung des ausgebildeten Handwerkers gegenüber unausgebildeten Arbeitern, die nicht in eine Zunft aufgenommen worden waren. Zu diesem Codex gehörte auch die Ehe, die auf den verschiedensten Ebenen für das Funktionieren einer Werkstatt und einer Zunft sorgte. Jedes einzelne Mitglied bestimmte durch sein Verhalten die Ehre der Zunft und die Zunft bestimmte die Ehre des Einzelnen. Die Weigerung in einem solch zentralen Aspekt, wie der Ehe, der Zunftverordnung nicht zu folgen, stand der Zunft und ihren Auflagen entgegen. Zum anderen bestand die Gefahr, dass die Sexualmoral nicht eingehalten wurde. Ein unverheirateter Meister konnte mit seinen möglichen sexuellen Beziehungen die Ehre der Zunft bedrohen und damit deren Position in der Gesellschaft in Frage stellen. 12
ROPER 1995, S. 118; NEUBURG 1880, S. 54, vermerkt, „dass der Meisteraspirant verheirathet sein oder sich bei der Aufnahme verheirathen muss.” 13 Zur Abschottungspolitik der Zünfte vgl. insbesondere KLUGE 2007, S. 230–242. 14 ZUNKEL 1975, S. 15. 15 SCHULTZ 2007, Sp. 174.
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Des Weiteren führten die Ehefrauen den Haushalt des Meisters und waren somit für die Versorgung aller im Haus lebenden und angestellten Personen zuständig. Hierzu zählten auch die Lehrlinge und Gesellen, welche ohne eine Ehefrau nicht angemessen versorgt werden konnten. Sie hatte demnach in der Werkstatt eine stabilisierende Funktion, die durch ihre Arbeit im Haus, die Versorgung der Personen und zusätzliche Erwerbstätigkeit einen nicht zu unterschätzenden Beitrag zum Funktionieren des Betriebs leistete. Folglich hatte der Ehezwang neben der Sicherung der Zunftehre auch eine Absicherungsfunktion für den Meister. Der Rat unterstützte den Zusammenhang zwischen Handwerksgerechtigkeit und Ehe. Ein Paar ohne Bürgerrecht oder Handwerksgerechtigkeit hatte nach dem Willen des Rates sofort die Stadt zu verlassen. Dies führte dazu, dass sich die Zeit zwischen dem Eheversprechen und der Hochzeit um viele Monate verlängern konnte, wenn es dem Gesellen erschwert wurde, in den Meisterstand überzutreten. Der Rat versuchte frühe Heiraten zu verhindern. Dies diente der Kontrolle der Migration und sollte die Zuwanderung einschränken. Wichtig dabei war das Vermögen der Partner: Waren finanzielle Mittel nicht ausreichend vorhanden, sollte keine Ehe geschlossen werden.16 Durch die Gründung eines Hausstandes waren Männer stärker in die lokale Gesellschaft integriert. Die Ehe war so Mittel der sozialen Kontrolle: „Die allgemeinen moralisch formulierten Anforderungen, denen sich der einzelne ausgesetzt sah, verdichteten sich zu einem existentiellen Verhaltenskodex, der als persönliche Ehre gelebt werden mußte.“17 Demnach konnte Gottfried Amberger, der die Mittel hatte, eine Werkstatt zu übernehmen und zu betreiben, vom Rat nicht die Erlaubnis gegeben werden, ohne Heirat diese weiterhin zu leiten, da sich der Maler dadurch der Kontrolle durch Rat und Zunft entzogen hätte. Im normativen Denken des Spätmittelalters war die Ehe als Institution anerkannt, das Zölibat galt jedoch als überlegen und erstrebenswerter. Dies änderte sich mit der Reformation: „Nach Luther ist die Ehe schließlich ‚ein weltlich ding’, und das heißt nicht nur, daß die weltlichen Obrigkeiten für die Institution Ehe zuständig sind, sondern auch, daß sie zur verbindlichen Lebensform für alle erwachsenen Frauen und Männer avanciert.“18 Die Kirche – unabhängig von der Konfession – „plädierte […] dafür, dass junge 16
„Ein Stadtbürger sollte zumeist eine Frau mit ausreichendem Vermögen bzw. aus dem entsprechenden Stand heiraten, denn sonst konnte ihm das Bürgerrecht entzogen werden. […] Vor allem die Zünfte achteten streng darauf, daß ihre Mitglieder ehrbare Beziehungen eingingen.“ DÜLMEN 1988, S. 75f. 17 LEMBKE 2001, S. 270f. 18 PUFF 1998, S. 107.
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Männer frühzeitig heiraten sollten, um den Gefährdungen zu entgehen, in die sie durch unbefriedigte Lust geraten konnten.“19 Die Ehe wurde folglich als notwendig erachtet; denn sie fungierte als „Heilmittel gegen die Unkeuschheit“, da man den Geschlechtstrieb als unbezwingbar ansah.20 So war die Ehe „nicht mehr nur wirtschaftliche und soziale Institution, sondern eine Instanz, die hohen moralischen Ansprüchen zu genügen hatte.“21 Mit seiner Weigerung zu heiraten sprach Gottfried Amberger sich somit gleich gegen drei »Institutionen« aus: Zum einen wider den Rat, dessen Einwände sich gegen Ehen richtete, die nicht über ausreichende finanzielle Grundlagen verfügten und bei denen einer oder beide Ehepartner nicht aus der Stadt kamen. Des Weiteren gegen die Zunft und deren Ehrvorstellungen, die keinerlei Einwände gegen Amberger hätte vorbringen können, wenn er geheiratet hätte; er wäre ihr als Meistersohn sogar sehr willkommen gewesen. Und schließlich sind die Kirchen – ganz unabhängig von der Frage, welcher Konfession der Maler angehörte – zu nennen, die ebenfalls eine frühe Ehe als Alternative zum unkeuschen und damit ehrlosen Leben favorisierten. Ein Abweichen von der Norm konnte nicht gestattet werden, da ansonsten das gesamte Gefüge bedroht war. 3.3 Konkurrenzverhalten innerhalb des Handwerks Einziges Hindernis für Amberger, die Werkstatt weiterzuführen, war eine Bestimmung der Zunftordnung, welche besagte, dass nur einem verheirateten Meister die Gerechtigkeit des Handwerks verliehen werde und er als lediger Geselle keine Werkstatt führen dürfe. In dem Antwortschreiben des Stadtrats findet sich ein Verweis auf den entsprechenden Passus der Augsburger Zunftordnung für das Malerhandwerk. Gottfried Amberger argumentierte, die Abweichung von der Norm sei bereits anderen Malermeistern zugestanden worden und deshalb sehe er nicht ein, warum er das Handwerk seines Vaters nicht in dessen Werkstatt weiter ausüben dürfe. Doch unerweichlich berief sich der Rat der Stadt samt den Vorgehern des Handwerks auf den 11. Artikel der Augsburger Malerordnung. Und, nicht nur Gottfrieds Junggesellendasein wurde beanstandet, vor allem auch seine Beschäftigung von Lehrlingen und Gesellen erregte Ärgernis. Da half es nichts, dass der Maler ausdrücklich auf den frembden Künstler verwies, der trotz seiner Ehelosigkeit in Augsburg arbeiten konnte. Eine solche Ausnahme 19
ROPER 1995, S. 119. SCHILD 1982, S. 338. 21 ULBRICH 2006, Sp. 39. 20
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von der Regel erhoffte er auch mit seinem Bittschreiben zu erreichen, übersah dabei aber, dass sie – wenn überhaupt – nur auswärtigen Künstlern gewährt wurde. Die Städte, vor allem ihre wohlhabenden Kaufleute und das Patriziat, ließen sich bei derartigen Ausnahmeregeln von einer Belebung des Kunstmarktes leiten und gewährten ein derartiges Arbeitsrecht auch immer nur auf Zeit. Warum aber konnte Gottfried zwei Jahre unbehelligt als Junggeselle die Werkstatt nach dem Tode des Vaters fortführen? Es scheint ein Abklärungsprozess gewesen zu sein, bei dem die vier Brüder, die alle im Malerhandwerk ausgebildet waren, die Nachfolge zu regeln suchten. Doch trat diese keiner von ihnen, sondern Christoph Raiser, der Ehemann einer der Töchter, an. Dieser erwarb kurz vor dem Tode seines Schwiegervaters die Handwerksgerechtigkeit, so dass die Nachfolge geregelt werden konnte. Raiser selbst scheint sich die meiste Zeit jedoch nicht in Augsburg aufgehalten zu haben, während sein Schwager Gottfried offenbar dauerhaft in der Werkstatt als ausführender Meister arbeitete. Dadurch „wird auch der Konflikt Gottfrieds mit den Vorgehern des Handwerks erklärlich. Raiser leitete die Werkstatt formell, praktisch wurde der Betrieb jedoch wohl vom Junggesellen Gottfried geführt, der […] im väterlichen Haus lebte.“22 Gottfrieds Schwager verstarb jedoch 1564/65, so dass Gottfried selbst die Voraussetzungen durch Eheschließung schaffen musste, um die AmbergerWerkstatt fortführen zu können. Den Ausgang der Geschichte kennen wir bereits, doch ist noch einmal ein Blick auf den rechtlichen Rahmen zu richten. Durch die Ratsverordnung vom 5. Dezember 1476 wurde den verheirateten Meistern eine Vorrangstellung gegenüber ledigen und verwitweten Meistern eingeräumt, indem die letzteren vom aktiven und passiven Wahlrecht ausgeschlossen wurden. Dies implizierte neben der Förderung der verheirateten Meister eine Abgrenzung und Differenzierung innerhalb der Meister der Zunft. Neben weiteren verschärfenden Bestimmungen, welche die Aufnahme in den Meisterstand erschwerten, beantragte die Malerzunft am 4. September 1537 vor dem Rat, das kain der Ledigs Stands ist, die Zunfft zu kauffen geliehen werde, Er habe den Zufor Ein Elich weib zu der Ee genomen, dem selben, soll alstan Nach Erkantnus, d. Obernn vnnd eins Erbern hanndwerckhs die Zunfft geliehen werden, daß das Er die die vnnser gerechtigkait Aus weist.23 Mit Hilfe dieser neuen Zunftverordnung wurde das generelle Versprechen des Rates vom 17. Oktober 1531, in dem zugesagt wurde, dass 22 23
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WILHELM 1984, S. 662 Nr. 31.
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er nit so leichtlich als bißher beschechen, burger annemen noch einkommen lassen werde, zusätzlich verschärft.24 Im Jahre 1560 findet sich in den Handwerkerakten eine Bestätigung bzw. Wiederaufnahme der Zulassungsbedingung: Ittem so soll kainem ledigen gesellen, weder werckhstatt, noch ain offner laden vergonnt, noch zugelassen werden, so lanng biß das er hochtzeit gehaltten hat.25 Die Wirtschaft Europas befand sich in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts in einer Krise, die auch Augsburg erheblich in Mitleidenschaft zog. Darunter litten Handel, Verkehr und gewerbliche Produktion.26 Die schlechte Beschäftigungslage traf alle Erwerbszweige, so dass die Vertreter vieler Handwerke beim Rat mit ihrem Bestreben, den Zugang zu Meisterstellen und Handwerksgerechtigkeiten zu erschweren, weitgehend durchdringen konnten. So kann konstatiert werden, dass gerade in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts Ausbildungszeiten verlängert, Prüfungen erschwert und die Kosten für diese Prüfungen und den Erwerb der Handwerksgerechtigkeit erhöht wurden.27 Angesichts der wirtschaftlich schwierigen Situation kommt die Möglichkeit in Betracht, dass die etablierten Zunftmitglieder einvernehmlich mittels einer entsprechenden Zunftordnung dafür gesorgt haben, einem Gesellen den Eintritt in die Selbstständigkeit so schwer wie möglich zu machen. Dadurch sollten die Konkurrenz untereinander so gering wie möglich gehalten werden und damit verbundene Verdiensteinbußen weitestgehend unterbunden werden. Dies wurde in Augsburg durch die Reformation weiter gefördert, durch die ein Rückgang an Aufträgen an die Malerzunft zu verzeichnen ist. Zudem gehörte Augsburg zu den Städten, die immer wieder – beispielsweise während der Reichstage – auswärtige Künstler anzogen. So arbeitete, wie bereits berichtet, kein geringer als Tizian zweimal in der Stadt. Überliefert sind Widerstände gegen die unerwünschte Konkurrenz, die jedoch kein Gehör fanden. Denn obwohl die Zunft betonte, dass gleichrangige Meister vor Ort seien, erteilte der Rat weiterhin Arbeitsgenehmigungen an auswärtige Maler. Die Argumentation Ambergers und die der Zunft stützt der Fall von Abraham del Hele. Dieser um 1534 geborene Maler erscheint im Jahre 1560 zum ersten Mal in Augsburger Quellen. Aus seiner Supplikation an den Rat geht hervor, dass er darum bat, dise freye kunst, nämlich der Porträtmalerei, Jnn diser Loblichen Statt gnedigclich zulassen und er war Erpittig, alß dann 24
Ebd., S. 91. KRANZ 2004, S. 30, Anm. 13. 26 KELLENBENZ 1981, S. 56, auch wenn von einem Niedergang nicht gesprochen werden kann (ebd., S. 62). 27 ROECK 1989, Bd. 1, S. 334f. 25
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der Maler Handtwercks Gerechtigkait, zu erkauffen.28 Ihm wurde im Folgenden die Fertigung von einigen Porträts gewährt. Die Zunft sprach sich sowohl grundsätzlich gegen die Beschäftigung des Malers in Augsburg aus wie auch gegen die auf einen Kompromiss abzielende Erlaubnis. Zwei Jahre später erhielt er dennoch das Bürgerrecht und erkaufte sich die Malergerechtigkeit, nachdem er kurz zuvor geheiratet hatte.29 Einem fremden und unverheirateten Maler war es demzufolge möglich, in der Stadt zu arbeiten und auch sein Auskommen zu haben. Amberger hatte also Recht, als er auf die Ungleichbehandlung verwies. Es zeigt sich jedoch auch, dass die Zunft eben dies zu verhindern suchte und scheiterte. Abraham del Hele arbeitete vor allem für die Fugger, so dass vermutet werden kann, dass diese Einfluss auf Rat und Zunft nahmen, um langwierige Streitigkeiten und Missgunst zu vermeiden. Dies unterstreichen auch die Vorfälle um den in der Quelle angesprochenen venezianischen Maler Lucino, der keine der Vorgaben der Zunft erfüllte: Er konnte weder die geforderten Lehrjahre und damit eine entsprechende Ausbildung noch das Bürgerrecht oder eine Heirat nachweisen. Entsprechend kam es zu Streitigkeiten mit der ansässigen Malerzunft. Neben dem unerwünschten Konkurrenzkampf mit einem auswärtigen Maler, der zudem auch außerhalb des Zunftsystems und damit auch außerhalb einer entsprechenden Reglementierung und Anpassung stand, fürchtete man ferner den Nachahmungseffekt. Mit Hilfe von Hieronymus Rehlinger, einem reichen Händler, dessen Doppelhausfassade der Künstler gestaltete, war es Giulio Licino möglich, sich im Jahre 1560 das Meister- und Bürgerrecht zu erkaufen, ohne dass er in den Stand der Ehe eintrat.30 So lässt sich auch in Hinblick auf andere fremde Maler eine Einflussnahme von Seiten bedeutender Auftraggeber vermuten. Warum wurde die Bitte von Gottfried Amberger abgelehnt? Die Einwände der Zunft waren klar, aber aus welchem Grund setzte sich der Rat nicht für den Maler ein? Fehlten Amberger die Fürsprecher? Da er in der Werkstatt auch Lehrlinge und Gesellen beschäftigte, scheint es an Aufträgen, welcher Art auch immer, nicht gemangelt zu haben. War die Tatsache, dass er ohne Legitimation ausbildete, der entscheidende Grund für die Ablehnung? Eben dieses Faktum, dass Amberger auch gesellen, oder Junger angenomen hatte, war ein nicht unwesentlicher Aspekt in dem Streit. Die Lehrjungen wurden üblicherweise vom Meister, hier sein Schwager Raiser, oder in seinem Namen vorgestellt. Die Ausbildung über28
Zitiert nach HÄMMERLE 1926, S. 84. Ebd., S. 77, 84f. 30 KRANZ 2004, S. 52, 98, Anm. 120; HASCHER 1997, S. 106f. 29
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nahm dann jedoch Gottfried: ein unzulässiges Verfahren, welches spätestens mit dem Tod des Schwagers offenbar wurde, da die Zunft eine bestmögliche Ausbildung sicherzustellen hatte, die nur durch einen Meister erfolgen konnte. Bei diesem war gewährleistet, dass er selbst eine entsprechende Ausbildung genossen hatte, die durch das Meisterwerden ihre abschließende Bestätigung erhielt. Dies steht im engen Zusammenhang mit dem Lehrzwang der Zunft, der eine qualitativ hochwertige Ausbildung gewährleisten und garantieren sollte. Zum einen, um Konsumenten vor schlechten Produkten zu schützen und zum anderen, um das Ansehen der Zunft nicht zu gefährden. Im Lauf des 16. Jahrhunderts kam es zu verschärften Eintrittsbedingungen in das Malerhandwerk und die Zunft versuchte mit allen Mitteln, diese durchzusetzen – ob nun gegen einheimische Maler oder Fremde. Bei Letzteren hatte sie, wie die angeführten Beispiele zeigten, in Augsburg kaum eine Chance, ihre Interessen zu wahren. Folglich konnte die Zunft bei ansässigen Malern erst recht keine Ausnahme machen. Dies klingt in den Quellen auch immer wieder an, wenn vermerkt ist, dass die Gefahr der Nachahmung zu groß sei. In unserem Fall wird des Weiteren die Befürchtung geäußert, dass dies zur Zerrüttung des Handwerks führen könnte: dann wa Ime solchs zugelassen sein schon mer verhannden die Es auch werden haben wellen des nit, allain ainem hanndtwerckh zu höchster beschwerdt, und zerrittung. Die Zunft hatte aus diesen Gründen keine andere Wahl, als Gottfried Ambergers Bittschrift abzulehnen, auch wenn er Sohn eines angesehenen Meisters war. Er hatte offenbar auch keinen Fürsprecher im Rat, der für ihn das Wort ergriff. Welche Gründe schlussendlich tatsächlich Gottfried Amberger veranlassten, der Reichsstadt Augsburg für immer den Rücken zu kehren, muss ungeklärt bleiben. Über seinen Verbleib bzw. spätere Lebensumstände schweigen die Quellen gänzlich.
Literatur DINGES 1998 – DINGES, Martin: Ehre und Geschlecht in der Frühen Neuzeit, in: Sibylle Backmann u. a. (Hgg.): Ehrkonzepte in der Frühen Neuzeit. Identität und Abgrenzung, Berlin 1998, S. 123–147. DÜLMEN 1988 – DÜLMEN, Richard van: Fest der Liebe. Heirat und Ehe in der frühen Neuzeit, in: Richard van Dülmen (Hg.): Armut, Liebe, Ehre. Studien zur historischen Kulturforschung, Frankfurt am Main 1988, S. 67–106. FRIEDEL 1992 – FRIEDEL, Roswitha: Amberger, Gottfried, in: AKL, Bd. 3, 1992, S. 125.
Gottfried Amberger, Junggeselle in Augsburg
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LUISE M. STOPPEL
Jörg Ratgeb Hintersasse in Heilbronn Kein Bürger- und Meisterrecht durch Leibeigenschaft von Frau und Kindern 1. Vita Jörg Ratgeb wurde als Sohn des Jakob Schürtz in der Reichsstadt Schwäbisch Gmünd geboren.1 Über den Beruf und den Sozialstatus des Vaters wissen wir nichts. Der Maler signierte seine Werke mit dem Mädchennamen der Mutter, deren Familie seit der Mitte des 14. Jahrhunderts in Schwäbisch Gmünd ansässig war. Ratgebs Geburtsjahr ist nicht genau bekannt. Die Angaben schwanken in der Forschung zwischen 1470/75 und 1480. Nach dem Besuch der Elementarschule, er lernte dort die Grundrechenarten, Lesen und Schreiben anhand des Katechismus, absolvierte Jörg Ratgeb seine Lehre in Schwäbisch Gmünd. Über seinen Lehrmeister und den Verlauf der Gesellenwanderung ist nichts bekannt. Nach seiner Rückkehr erwarb er in seiner Heimatstadt das Meisterrecht. Als Beleg dafür gilt in der Forschung die Tatsache, dass er das Wappen der Gmünder Malerzunft als sein persönliches Wappen führte. Zwischen 1503 und 1509 lebte Jörg Ratgeb in Stuttgart. Die Hoffnung, in der Residenzstadt des Herzogtums Württemberg eine gute Beschäftigung zu finden und von der günstigen Auftragslage nach dem Regierungsantritt des jungen Herzogs Ulrich profitieren zu können, wurde jedoch enttäuscht. Die Steuerbücher verraten: Jörg, maler, hat nichts.2 Urkundlich sind aus diesen ersten Stuttgarter Jahren keine Werke bezeugt. Sicher hingegen ist, dass der Künstler eine Leibeigene Herzog Ulrichs heiratete – was uns noch beschäftigen wird –, einen Hausstand gründete und Vater wurde.
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Zur Vita siehe v.a. FRAENGER 1981² und KAISER 1985; Einzelnachweise werden im Folgenden zur Entlastung des Anmerkungsapparats nicht geführt. Vermerkt ist dies für die Jahre 1503 und 1509; ROTT 1934, S. 279, Anm. 7.
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Im April 1509 verließ er Stuttgart um sich mit seiner Familie als selbständiger Meister in Heilbronn niederzulassen. Dass dieser Lebensentwurf missglückte, dokumentiert ein Schriftwechsel zwischen dem Künstler und dem Heilbronner Rat aus den Jahren 1509 bis 1512.3 Alle Versuche, in Heilbronn das Bürgerrecht zu erwerben, scheiterten an der Ablehnung der Stadtverwaltung, ihn als Bürger aufzunehmen, weil er mit einer Leibeigenen Herzog Ulrichs verheiratet war. Sein Bemühen, Frau und Kinder aus der Leibeigenschaft zu befreien, wurde vom Herzog zurückgewiesen. Die Auftragslage in Heilbronn war wohl besser als in Stuttgart, auch wenn fast alle Arbeiten aus dieser Zeit verloren sind. Das einzige erhaltene Werk ist der Barbara-Altar für die St. Johanniskirche in Schwaigern, den Ratgeb im Auftrag des Grafen Wilhelm von Neipperg anfertigte. Ende des Jahres 1512 verließ Ratgeb Heilbronn. Am 28. April bezahlte er zum letzten Mal sein Sitzgeld. Es begann eine Phase des ständigen Ortswechsels, die zehn Jahre dauern sollte. Ob ihn seine Frau und seine Kinder begleiteten oder in Stuttgart blieben, ist nicht bekannt. Möglicherweise führte ihn seine Reise zunächst in die Niederlande; denn einige Werke dieser Zeit zeugen von Kenntnissen der niederländischen Kunst. Die erste gesicherte Station ist die Ordensniederlassung der Karmeliter in Frankfurt am Main, wo er die Südwand des Refektoriums und den Kreuzgang ausgestaltete.4 Hier war Ratgeb ab 1514 tätig. Begonnen hatte er mit der Darstellung der „Anbetung der Könige“ an der Südwand des Kreuzgangs, welche der Frankfurter Kaufmann Claus Stalburg und seine Frau Margareta vom Rein stifteten. Die Ausmalung des Refektoriums war ein Auftrag von Haman von Fleckenboel, dem Prior der Frankfurter Ordensniederlassung. 1518 unterbrach der Künstler seine Tätigkeit in Frankfurt für ein Jahr, um den Hochaltar für die Stiftskirche in Herrenberg bei Stuttgart zu fertigen. Belege dafür bietet die Rechnung des Herrenberger Armenkastens.5 Aus den Steuerbüchern wissen wir, dass Jörg Ratgeb spätestens ab 1522 wieder im seit 1520 habsburgisch regierten Stuttgart ansässig war6; 1525 wurde er in den Bürgerausschuss berufen. Aus seinen letzten Lebensjahren ist uns kein einziges Werk bekannt, ebenso liegen keine schriftlichen Nachrichten über etwaige Aufträge vor. 3
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FRAENGER 1981², S. 30–33; Dokumente auf S. 248 Nr. 1 und 273–275 Nr. 2–5; KAISER 1985, S. 98–102 Urk. Nr. 3, 5 und 7. AUSST.KAT. 1987. KAISER 1985, S. 277–286, mit den Auszügen aus den Armenkasten-Rechnungen für den Altar. Im Stuttgarter Steuerbuch für 1522 ist vermerkt: Jörg, maler, Schürtz Jacobs sun X ß; ROTT 1934, S. 283.
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Die Verdichtung der Quellenlage am Ende seines Lebensweges hat mit seiner Beteiligung am Bauernkrieg zu tun, die zu seiner Hinrichtung führte: Er schlug sich auf die Seite der Bauern und stellte seine Fähigkeiten in ihre Dienste. Nach deren Niederlage flüchtete Ratgeb vor dem Strafgericht der Sieger, welches sich vor allem gegen die organisatorische Führungsschicht der Aufständischen richtete. 1526 wurde er in Pforzheim gefangen genommen und nach Verhör, Folter und Geständnis auf dem Richtplatz gevierteilt. Das Protokoll seines – unter der Folter abgelegten – Geständnisses ist nicht mehr erhalten, der Inhalt in wenigen aber aufschlussreichen Worten im Archivregister überliefert. Ob die Verweigerung des Bürgerrechts in Heilbronn aufgrund der Tatsache, dass Ratgeb mit einer Leibeigenen Herzog Ulrichs verheiratet war, für seine spätere politische Parteinahme eine Rolle spielte, muss mangels Quellen im Ungewissen bleiben. Sicher ist, dass sein Bemühen, Frau und Kinder aus der Leibeigenschaft zu befreien, vom Herzog zurückgewiesen wurde und dass dies nicht unerhebliche Auswirkungen auf sein weiteres Leben hatte.
2. Quelle Erste Eingabe von Jörg Ratgeb an den Rat der freien Stadt Heilbronn, 1510 (ohne Tag und Monat) FRAENGER, Wilhelm: Jörg Ratgeb. Ein Maler und Märtyrer aus dem Bauernkrieg, hg. [postum] von Gustel Fraenger und Ingeborg BaierFraenger, (1. Aufl. Dresden 1972) 2. Aufl. München 1981, S. 273 Nr. 2. Die von Fraenger zitierte Quelle ist im Zweiten Weltkrieg verbrannt und lediglich in Form einer 1936 von ihm im Heilbronner Stadtarchiv angefertigten Abschrift der Ratgeb-Akten erhalten.7 Fürsichtigen ehrsamen weisen sonder günstigen lieben Herrn, mein gantz undertaenig alzyt geflissen und willig dienst sey EFW in aller Gehorsame zuvor. EFW hat gut wissen, wie ich in vergangenem Jahr von Stuckgarten allhier gen Hailpronn mit meiner Wohnung kommen und ich ein Zeitlang allhie zu sein von EW angenommen, mit Willen und Meinung mich mittlerer zeyt darein zu schicken. Dass ich mein Weib und Kind von dem Durchleuchtigen hochgeborenen Fürsten und Herrn Ulrichen Hertzogen von Wurttenberg etc, meinem gnädigen Herrn der leybaigenschafft umb ein 7
So das Nachwort der Hg. von FRAENGER 1981², hier S. 281.
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Zimlichen abtrag ledig machen. Und dann bey EFW burger werden. Weisen Günstigen Lieben Herrn, hab Ich auch diesser Zeit her gegen meinen gnedigen Herrn sollichs zu erlangen beworben. Befind ich das es nitt wohl seyn Unnd mir mein gnediger Herr mein Weib und Kind nit gern ledig sagen will. Ist mein gantz undertenig demütig bitt und beger, an EFW, dieselbigen EW wolle mich also gnädelichen bedenken und mir gegen gedachtem meinen gnädigen Fürsten und Herrn mit einer fürderung und fürschrift, damit sein fürstlich Gnad mir mein Weib und Kind umb ein ziemlichen Abtrag und entledigung dieser Ee der laybeigenschafft ledig sage, Verhelffen und mir gegen meinen Herrn gnediglichen zukommen lassen. Bin Ich ungezweifeldt, sein FG nach dero selbiger EW Fürderung und Fürschrift mich geniessen lassen. Unnd das EFW nit verzeihen aber ich ungezweifeldt hoffnung und untertänigs vertrauwens zu EW als mein günstig lieb Herren bin. Will ich mein Leben lang um derselbig EFW einen ersamen Rat auch gemein alzyt unterdäniglichen zu verdienen geflissen sein. Mit vlyssiger bitt des Euer gnedig antwort mir gnediglichen zukommen zu lassen EFW untertäniger Meister Jörg Rathgeben (Übertragung ins Neuhochdeutsche) Fürsichtige, ehrsame, weise, besondere Gunst gewährende, liebe Herren, mein ganz untertänig allzeit geflissener und williger Dienst sei eurer fürsichtigen Weisheit in allem Gehorsam zuvor versichert. Eure fürsichtige Weisheit hat gut Wissen, wie ich im vergangenen Jahr von Stuttgart hierher nach Heilbronn mit meiner Wohnung gekommen bin und ich eine Zeitlang hier zu sein von eurer Weisheit angenommen wurde, mit Willen und Absicht, mich in absehbarer Zeit darum zu kümmern, dass ich mein Weib und Kind von seiner Durchlaucht, dem hochgeborenen Fürsten und Herrn Ulrich Herzog von Württemberg etc., meinem gnädigen Herrn, durch einen erheblichen Betrag der Leibeigenschaft ledig mache, um dann bei eurer fürsichtigen Weisheit Bürger zu werden. Weise, günstige, liebe Herren, ich habe seit dieser Zeit mich auch bei meinem gnädigen Herrn darum bemüht, solches zu erlangen. Ich befinde, dass das nicht gut ist und mir mein gnädiger Herr mein Weib und Kind nur sehr ungern ledig sagen will. Es ist meine ganz untertänige demütige Bitte und mein Begehren an eure fürsichtige Weisheit, dieselbe ehrsame Weisheit wolle mich also gnädiglich bedenken und mir bei gedachtem meinem gnädigen Fürsten und Herrn mit einer Förderung und Fürschrift, damit seine Fürstliche Gnade mir mein Weib und Kind gegen einen erheblichen Betrag und die Freilassung von dieser Verpflichtung der Leibeigenschaft ledig sage, verhelfen und mir gegenüber meinen Herrn gnädiglich zukommen zu lassen. Ich bezweifle
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nicht, dass seine Fürstliche Gnade nach der Förderung und Fürsprache eurer Weisheit mir die Gunst erweisen wird. Ich zweifle nicht, dass eure fürsichtige Weisheit nicht säumen wird, und bin voll untertänigem Vertrauen zu eurer Weisheit als meine mir gewogenen Herren. Ich werde mir mein Leben lang um dieser Wohltat wegen Mühe geben eurer fürsichtigen Weisheit, dem ehrsamen Rat und auch der Gemeinde, allzeit untertänig und geflissen zu Diensten zu sein. Mit fleißiger Bitte, dass ihr eure gnädige Antwort mir gnädiglich zukommen lasst. Eurer fürsichtigen Weisheit untertäniger Meister Jörg Ratgeben
3. Kontextualisierung 3.1 Tätigkeit in Heilbronn und Frankfurt Das Œuvre Jörg Ratgebs ist weder vollständig erhalten noch in allen Fällen gesichert. Auf die Arbeiten aus seiner Zeit in Heilbronn und Frankfurt, also während der Jahre 1509 bis 1522, wird im Folgenden knapp einzugehen sein, da sie bei dem Versuch hilfreich sein werden, das oben im Wortlaut wiedergegebene Schriftstück zu kontextualisieren. Die in Stuttgart noch desolate Auftragslage scheint sich während Ratgebs Heilbronner Aufenthalts verbessert zu haben; trotz allem ist das einzige uns bekannte Werk aus dieser Zeit der für den Grafen von Neipperg und seine Frau Anna Barbara Freiin von Schwarzenberg gearbeitete BarbaraAltar in Schwaigern.8 Auf der unteren Rahmenleiste der Mitteltafel befinden sich das Monogramm I. M. R. und die Jahreszahl 1510.9 Das durchgestrichene „M“ kann wohl analog zu dem oben abgedruckten Schriftstück mit »Meister« aufgelöst werden, da der Altar in der Heilbronner Zeit entstanden ist. Wie in seiner Eingabe an den Rat ist der Meistertitel auch in der Signatur durchgestrichen. Beides nahm Ratgeb selbst vor; denn solange seine Familie noch in Leibeigenschaft war, konnte er weder Bürger- noch Meisterrecht erhalten. Mit dem geschriebenen und dann demonstrativ durchgestrichenen Titel »Meister« bekundet Ratgeb einerseits Loyalität gegenüber den zunftgemäßen Vollbürgern und Meistern und andererseits wird zugleich selbstbewusst betont, dass er in seinem vorherigen Wirkungskreis das Meisterrecht besessen hatte.
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Zum Altar siehe KAISER 1985, S. 106–108; FRAENGER 1981², S. 38–49. Der Altar wurde 1907 von SCHUETTE 1907, S. 159, als Werk Ratgebs identifiziert. In einer Umzeichnung abgebildet bei FRAENGER 1981², S. 10.
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Ob Jörg Ratgeb, nachdem er Heilbronn verlassen hatte, im Karmeliterkloster in Mainz mit der Ausmalung des Sommerrefektoriums oder mit Wandmalereien im Hirschhorner Karmeliterkloster betraut wurde, ist nicht gesichert. Unbestritten ist dagegen der bereits angesprochene Auftrag für ein Wandgemälde am Ort der Grablege der Familie Stalburg im Kreuzgang des Karmeliterklosters in Frankfurt. Die Komposition des 9,6 m langen und 4,4 m hohen Wandgemäldes „Anbetung der Könige“ ist heute nur noch in einem Aquarell aus dem 19. Jahrhundert überliefert. Noch im Jahr 1514 entwarf die Klosterleitung ein theologisches Programm zur Ausmalung des gesamten Kreuzgangs. Es wird angenommen, dass Haman von Fleckenboel, der Prior der Frankfurter Ordensniederlassung, die heilsgeschichtliche Bilderfolge für den Kreuzgang und die Darstellung der Ordensgeschichte der Karmeliter für das Refektorium konzipierte. Die Fertigstellung der Arbeiten im Kreuzgang ist mit dem Ende des zweiten Jahrzehnts des 16. Jahrhunderts anzunehmen. Der Zyklus stellte die Heilsgeschichte von der Weltschöpfung bis zum Weltgericht in einem lebensgroßen Panorama dar. Zu den Stiftern des fast 110 m breiten und 4,50 m hohen Wandgemäldes zählten Mitglieder der führenden Frankfurter Familien, Kleriker, Auswärtige und sogar Reichsfürsten.10 Heute ist die Bilderfolge in schlechtem Zustand; Nachzeichnungen des 19. Jahrhunderts überliefern ihr ursprüngliches Aussehen. Im selben Zeitraum war Jörg Ratgeb auch mit der Darstellung der Ordensgeschichte der Karmeliter im Refektorium beschäftigt. Die Wandfläche hatte wieder imposante Ausmaße, diesmal von 30 m in der Breite und 4 m in der Höhe. Von links nach rechts wird die Geschichte des Karmeliterordens erzählt. Nach dem Auszug der Karmeliter aus dem Heiligen Land zeigt Ratgeb deren Verfolgung und anschließend die Geschichte des Propheten Elisäus und seines Lehrers Elias. Das Wandgemälde des Refektoriums war 1517 abgeschlossen. Noch während seiner Beschäftigung in Frankfurt übernahm der Künstler im Frühjahr 1518 den Auftrag für den Hochaltar der Stiftskirche in Herrenberg bei Stuttgart. Der 1890 von Otto Donner von Richter wiederentdeckte Altar wird heute in der Stuttgarter Staatsgalerie verwahrt. Aus acht gewaltigen, 2,70 m hohen Tafeln setzt sich das Altarwerk zusammen. Wenn die Außenflügel geöffnet sind, bildet sich aus den vier Tafeln eine 5,80 m breite Schauwand der Feiertagsseite. Zwei Kartuschen enthalten die Signatur R und die Jahreszahl 1519. 10
Zu den einzelnen Stiftern und ihrer sozialen Zugehörigkeit siehe MATTAUSCHSCHIRMBECK 1987, S. 111–127, und KAISER 1985, S. 155–163.
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Während seiner Zeit in Frankfurt wird für Ratgeb neben den Wandmalereien noch die Ausführung eines kleinen Altares angenommen. Das Altarfragment, das die Staatsgalerie Stuttgart aus englischem Privatbesitz erworben hat, wurde durch Theodor Musper publik gemacht und von ihm auf etwa 1514 datiert.11 Die Meinungen der Forschung dazu sind bezüglich der Zuschreibung äußerst widersprüchlich; die Datierung wird dagegen weitgehend bestätigt und schwankt nur um wenige Jahre. Ebenfalls umstritten ist die Zugehörigkeit von drei Zeichnungen zum Œuvre von Jörg Ratgeb. 3.2 Jörg Ratgeb in Heilbronn Im Gegensatz zu der insgesamt eher spärlichen Quellenlage in Bezug auf Jörg Ratgebs Vita gibt es eine Phase im Leben des Künstlers, die recht gut dokumentiert ist. Es sind die Jahre zwischen 1509 und 1512, während derer er in Heilbronn ansässig war und sich um das reichsstädtische Bürgerrecht bewarb. Aus dem ersten Ratserlass vom 24. April 1509, worin „Meister Jörg Ratgeb, Maler von Stuttgart“ für die Dauer von drei Jahren als Hintersasse in die Reichsstadt aufgenommen wurde, erfahren wir, dass er vor seinem Zuzug einen Bewilligungsbrief von Herzog Ulrich von Württemberg beizubringen hatte.12 „Für seine eigene Person war er als freier Meister [zwar] unantastbar, jedoch in seiner Eigenschaft als Ehemann durch seinen Haushalt an den Ort gebunden, da die leibeigene Frau ohne Genehmigung des Leibherrn ihren Wohnsitz nicht verlassen durfte.“ Außerdem, so schreibt Fraenger weiter, blieb Ratgeb „für Kind und Kindeskinder der Herrschaft Württemberg verhaftet, da die Leibeigenschaft sich in der mütterlichen Linie fortvererbte.“13 In Württemberg blieb die Leibeigenschaft auch beim Wechsel in die Stadt bestehen, ruhte jedoch meist.14 In der Regel machte die »Stadtluft« den württembergischen Leibeigenen also nicht frei, sondern schränkte lediglich dessen Abgaben ein. Unterschiedliche Regelungen konnten beispielsweise den Wegfall des jährlichen Leibzinses oder der Sterbefallabgabe bewirken. Es gab in Württemberg aber auch Städte, die grundsätzlich leibeigen waren und deren Einwohner Leibzins wie Besthaupt schuldeten. Die Fülle von Abstufungen zwischen städtischer Freiheit und der spätmittelalterlichen Leibeigenschaft bezeugen nachdrücklich, dass sich die Verhältnisse auch in der Frühen Neuzeit nicht grundsätzlich gewandelt hatten. 11
MUSPER 1952/53, S. 191–198. KAISER 1985, S. 98 Urk. Nr. 1 (Kriegsverlust). 13 FRAENGER 1981², S. 31. 14 Zur Problematik siehe SCHAAB 1997, S. 77f. 12
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Offensichtlich konnte Ratgeb dem Rat die geforderte Bewilligung von Herzog Ulrich vorlegen und im Frühjahr oder Sommer mit seinem gesamten Haushalt – und seiner Werkstatt – von Stuttgart nach Heilbronn ziehen. Der Maler bezeugt dies selbst und betont in seiner ersten Bittschrift, dass er von Stuckgarten allhier gen Hailpronn mit meiner Wohnung kommen, und ergänzt in seiner dritten Eingabe, dass der Umzug mit grossen Kosten, mue unnd arbeyt für ihn verbunden war, weshalb er um Verlängerung des Wohnrechtes für sich sampt maynem Hausgesind bittet.15 Die Höhe des Sitzgeldes kann als Beleg dafür angeführt werden, dass der Maler nicht allein in die Reichsstadt kam.16 Die Meinung von Fried Lübbecke, der annahm, dass der Herzog Ratgebs Bitte, „seinem Weibe und seinen Kindern die Übersiedlung nach Heilbronn zu gestatten, […] abschlägig beschieden“17 habe, wäre damit widerlegt, auch wenn die Frage des Loskaufs seiner Ehefrau aus der Leibeigenschaft davon nicht tangiert wird. Die Quellenlage ist nicht eindeutig. Unabhängig davon, ob er alleine oder mit seiner Familie nach Heilbronn kam, lebte Jörg Ratgeb nach der Übersiedlung – wie er selbst in seiner Supplikation (= Bittschrift) schreibt – als hindersasse18, das heißt ohne Bürgerrecht und mit zeitlich befristeter Aufenthaltsgenehmigung, in Heilbronn. Das bedeutete für den bisherigen Vollbürger und zünftigen Meister einen sozialen Abstieg. Im Jahr 1510 richtete Jörg Ratgeb in der behandelten Quelle die erste Eingabe an den Rat der freien Stadt Heilbronn. Darin bat er um Unterstützung für den Freikauf seiner Ehefrau in Form einer Bittschrift an den Herzog Ulrich. Der Heilbronner Rat war nicht gewillt, dauerhaft Eigenleute des Herzogs in der Stadt zu dulden. Es war ein Grundsatz reichsstädtischen Rechts, weder Leibeigene einer fremden Herrschaft noch Ehegatten leibeigener Ehefrauen vor deren Ledigung als Bürger aufzunehmen. Ihr Zuzug bedeutete immer eine Gefahr für den Stadtfrieden durch Herrschaftsansprüche und Machteingriffe fremder Herrscher. Am Beispiel des mittelalterlichen Oppenheim konnte Meinrad Schaab belegen, dass König Heinrich 15
FRAENGER 1981², S. 274f. Nr. 5 (Die dritte Eingabe Jörg Ratgebs an den Heilbronner Rat). 16 FRAENGER 1981², S. 240, Anm. 5, weist auf den „am 16. Mai 1514 auf die Dauer von vier Jahren gleichfalls als Hintersasse aufgenommenen Bildhauer Lienhard Seifert [hin, der] zu sonst übereinstimmenden Bedingungen“, als Einzelperson nur einen Gulden Sitzgeld zu zahlen hatte, wohingegen der verheiratete Heinrich Spiess, „der einen eigenen Haushalt führte“, ein jährliches Sitzgeld von fünf Gulden zahlen musste. KAISER 1985, S. 76 gibt an, dass Ratgeb ein Sitzgeld von jährlich 4 Gulden zu bezahlen hatte. 17 LÜBBECKE 1946/47, S. 21. 18 Zur zweiten und dritten Eingabe an den Heilbronner Rat siehe FRAENGER 19812, S. 273–275 Nr. 4 und 5.
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1226 alle dort eingezogenen Leute des Mainzer Erzbischofs wieder zurückgab und ihnen für alle Zukunft die Aufnahme in die Stadt verwehrte. Es zeigt sich also, dass vom „anscheinend grundsätzlich bestehenden Freiheitsrecht dieser Königsstadt [...] im Fall des Konflikts mit einem bedeutendem Nachbarn [...] kein Gebrauch gemacht“ wurde.19 Ähnliche Ausnahmen lassen sich beispielsweise für Frankfurt und Ravensburg belegen und zeigen, dass Oppenheim bezüglich der Sonderbehandlung von Eigenleuten kein Einzelfall war.20 Auch die rechtliche Situation Jörg Ratgebs und seiner Familie hing von einem „bedeutenden Nachbarn“ ab; denn so lange Herzog Ulrich nicht bereit war, Frau Ratgeb und ihre Kinder aus der Leibeigenschaft zu entlassen, konnte der Maler weder Bürger- noch Meisterrecht der Stadt Heilbronn erwerben. Wie seine Eingabe so ist auch das Bittschreiben des Heilbronner Stadtrates an den Herzog in Transkription überliefert. Das Antwortschreiben der herzoglichen Kanzlei ist zwar nicht erhalten, aus einer zweiten Eingabe Ratgebs an den Heilbronner Rat können wir hingegen schließen, dass der Herzog die Bitte abschlägig beschieden hat.21 Das Ergebnis der „Verhandlung des Rates von Heilbronn in Sachen Bürgerrecht für Jerg Ratgeb“ vom 17. Januar 1512 ist in einer Transkription Fraengers überliefert: so ver er maister Jörg ratgeb möcht ledig werden und das bürgerrecht annemen, mocht ihn ein rat wohl hier erleiden, wo aber sollichs nit geschehen mag, ist es ein rad fürder ihn hie anzunehmen nit gelegen.22 In seiner letzten Eingabe an den Rat erbat der Maler eine Verlängerung des »Sitzrechtes« um ein weiteres Jahr, wohl in der Hoffnung, den Loskauf von Ehefrau und Kindern doch noch durchsetzen zu können.23 Das Aufenthaltsrecht in Heilbronn wurde schließlich um weitere drei Jahre verlängert, aber von Ratgeb nicht mehr in Anspruch genommen.24 In der Steuerstubenrechnung findet sich die letzte Erwähnung Ratgebs in Heilbronn. Bevor er die Stadt verließ, zahlte Ratgeb am 28. April 1512 ein letztes Mal Sitzgeld.25
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SCHAAB 1997, S. 68. ORTH 1991, S. 457f.; SCHAAB 1997, S. 68f. 21 FRAENGER 1981², S. 273f. Nr. 3 und 4. 22 Ebd., S. 274, Zusatz zu Nr. 4. 23 Ebd., S. 274 Nr. 5. 24 KAISER 1985, S. 102 Urk. Nr. 8. 25 Ebd., Urk. Nr. 9. 20
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3.3 Jörg Ratgeb im Bauernkrieg 1883 stieß der Staatsarchivar Eugen Schneider in einem alten StaatsarchivRegister auf einen Aktenumschlag mit folgender Überschrift: 1526. Bericht und Urgicht Schürtz Jörgen, genannt Rathgeb, Malers von Stuttgart, so zu Pforzheim gefangen gelegen, des Bauernkriegs und Herzog Ulrichs halber.26 Dieses Aktenstück enthielt „einen Bericht Jörg Ratgebs für den Untersuchungsrichter […] und seine in vier Protokollen aufgenommene ‚Urgicht’, d. h. sein Bekenntnis, das ihm zu Einzelfragen des Gerichtes durch die Folter abgezwungen wurde.“27 Allerdings „halten [wir] einen bloßen Titel in der Hand, denn die erwähnten Faszikel 1–5, […] [und somit] der ganze Inhalt des Berichtes, der fünf Vernehmungsprotokolle in sich schloß, ist in Verlust geraten“.28 Also auch in diesem letzten Lebensabschnitt ist die Absicherung durch die Quellen äußerst dünn. Man kann dennoch daraus schließen, dass Ratgeb nach Vollendung seines Herrenberger Altarwerkes nach Stuttgart, seinem ursprünglichen Wirkungsort, zurückgekehrte. Dort herrschte, nachdem ein Jahr zuvor Herzog Ulrich geächtet worden war, das habsburgische Regiment.29 Während dieser habsburgischen Zwangsverwaltung begannen die Württemberger, wohlwollender auf den Geächteten zurückzuschauen. Hatte Herzog Ulrich während des »Armen Konrad« die Bauernschaft noch schonungslos zerschlagen, plante er nun, das Bauernheer der Bundschuh-Bewegung für seine eigenen Zwecke einzuspannen. Kaiser nimmt an, dass Ratgeb auf der Seite von Herzog Ulrich von Württemberg um die Rückeroberung von dessen angestammtem Territorium kämpfte.30 Wilhelm Fraenger geht ebenfalls davon aus, dass der Künstler ein Parteigänger des Herzogs war. Einem Widersacher des Herzogs hätte dessen langjähriger Rat und Freund Abt Benedikt Farner 1518 keinesfalls den Auftrag für das Herrenberger Altarwerk gegeben.31 Möglicherweise hatte Herzog Ulrich inzwischen dem Freikauf der Frau und der Kinder Ratgebs zugestimmt. Im Juli 1518 war der Herzog auf dem Reichstag zu Augsburg zum zweiten Mal der Reichsacht verfallen. Dem Titel des Aktenumschlages aus dem alten Staatsarchiv-Register kann man entnehmen, dass Jörg Ratgeb zum einen wegen des Paurenkriegs und seines Engagements Hertzog Ulrichs halber verurteilt wurde. 26
SCHNEIDER 1883, S. 263. Den Titel der Akte gibt FRAENGER 19812, S. 126, mit dem von Schneider abweichenden Zusatz 1526. Nr. 1 biß 5 inclusive wieder. 27 Ebd., S. 131. 28 Ebd., S. 126. 29 BRENDLE 1998. 30 KAISER 1985, S. 27. 31 FRAENGER 1981², S. 128.
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Jörg Ratgeb beteiligte sich genau zweiundzwanzig Tage am Bauernkrieg. Am 16. April 1526 eroberten die Bauern Weinsberg. Daraufhin flohen die habsburgische Regierung und die habsburgtreuen Bürgermeister aus Stuttgart. Zur üblichen Ereigniskette im Bauernkrieg zählt, das es für eine kurze Zeit in den Städten zu einer Art Verfassungsänderung gekommen war, mindestens aber zu einem umfangreichen personellen Wechsel in Rat und Gericht, denen Wahlen folgten, um eine neue Stadtobrigkeit einzusetzen.32 Einer der Gewählten war Jörg Ratgeb.33 Als Mitglied einer siebenköpfigen Delegation des Rates reiste Ratgeb am 21. April in das Bauernlager Bietigheim – nach den Verhandlungen kehrten die Stuttgarter sofort in die Stadt zurück. Am 23. April folgten erneute Gespräche mit den Bauern, diesmal in Sachsenheim. Es wurde von Seiten der Bauern zugesichert, dass nicht der gesamte Haufen die Stadt betreten würde, sondern nur die Hauptleute. Während seines Aufenthalts verriet Ratgeb der Bauernschaft die Absicht der Stuttgarter, die Bauern durch Verhandlungen so lange hinzuhalten, bis Hilfstruppen aus den Nachbarstädten einträfen. Am Abend des folgenden Tages trafen die Bauern vor der Hauptstadt ein. Man einigte sich, dass die 6.000–8.000 Mann34 vor der Stadt Lager beziehen und von dieser mit Proviant beliefert würden. Ein Unwetter am nächsten Tag veranlasste die Bauern, in der Stadt Schutz zu suchen. Jörg Ratgeb und Martin Nüttel versuchten dies ohne Erfolg zu verhindern. Am 27. April wurde ein von den Bauern gefordertes Kontingent von Seiten der Stadt aufgestellt. Theiß Gerber wurde zum Hauptmann berufen und mit ihm sechs Kriegsräte, darunter Jörg Ratgeb, der mit der Kanzlei betraut wurde. Diese Kanzlei sollte „Briefe, Anweisungen, Mandate, Steuerbescheide, Einberufungsbefehle, aber auch Schutzbriefe“ verfassen und ausstellen35, während die mobile Abteilung „die taktische Verbindung zwischen den einzelnen Heereshaufen“ aufrechtzuerhalten hatte.36 Urkunden bezeugen Ratgebs Tätigkeit in der Kanzlei.37 Ende April wurden Jörg Ratgeb und ein zweiter Kriegsrat, Jörg Rockenbauch, in dringender Angelegenheit zu einer großen Versammlung der Württemberger Bauernschaft nach Kirchheim unter Teck gerufen: Der Truchsess von Waldburg rückte mit seinem starken Heer unaufhaltsam näher. Deshalb brachte Ratgeb Anfang Mai das Konzept eines Schreibens an die mit den Bauern ver32
DECKER-HAUFF 1966, S. 344. BORST 1973, S. 84f. 34 Ebd., S. 85; MAURER 1979, S. 269. 35 Ebd., S. 285. 36 Vgl. FRAENGER 19812, S. 126–139 (Jörg Ratgeb im Bauernkrieg). 37 Ebd., S. 130, zitiert Fraenger die erste und zweite Urkunde, die dritte ist nur inhaltlich wiedergegeben; vgl. zu den Urkunden FRANZ 1935, S. 107, 300, 302. 33
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bündeten Adligen und Städte mit der Aufforderung, unverzüglich dem Bauernheer zur Hilfe zu eilen, von Nürtingen in die Stuttgarter Kanzlei, um dort alle ausgehenden Befehle „mit dem Bauernsiegel zu petschieren“.38 Am Dienstag den 8. Mai eroberte das mit dem Schwarzwaldhaufen vereinte Württembergische Bauernheer die Stadt Herrenberg, in der die Feldkanzlei sofort Quartier bezog. Doch schon am 12. Mai endete Ratgebs Tätigkeit als Kanzler. Seine Schreibstube fiel im Zuge der Rückeroberung der Stadt in die Hände des Schwäbischen Bundes.39 Ratgeb floh, wurde aber kurze Zeit später in Pforzheim gefasst und gefangengenommen. Er wurde des Hochverrats angeklagt und 1526 hingerichtet. „Das Urteil lautete auf erschwerte Vierteilung, nicht durch den Henker, sondern durch ein Roßgespann, das ihn zur Richtstatt schleifte und dort seinen Körper auseinanderriß.“40 Bei dieser Annahme stützt sich Fraenger auf die Bamberger Halsgerichtsordnung von 1507, die betont, dass Verrat mit Vierteilung bestraft wird.41 Auch wenn, wie bereits erwähnt, die Vernehmungsprotokolle Ratgebs fehlen, gelang es Wilhelm Fraenger, die Anklagepunkte des Landesverrates und der Rädelsführerschaft gegen den Künstler aus anderen Prozessen zu rekonstruieren und anhand weiterer Quellen zu belegen. Ob sich Kaiser, wenn sie eine erneute Aufrollung des Prozesses im Jahr 1541 erwähnt42, auf einen dieser Prozesse, z. B. den des Theis Gerber 1541 vor dem Rottweiler Reichsgerichtshof, bezieht, ist nicht eindeutig nachzuvollziehen. In diesem wurden vierzehn Zeugen unter Eid verhört, von denen kein einziger „den toten Mann belastet[e]“ und alle darin übereinstimmten, „von einem Hochverrat als Ursache der Vierteilung Jörg Ratgebs nichts zu wissen“.43 Hinweise darauf, dass die erneute Aufrollung die nachträgliche Rehabilitation des Künstlers bewirkt und somit dessen ebenfalls als Maler tätigen Sohn Christoph Ratgeb endlich zunftfähig gemacht habe44, werden von ihr aber weder durch Quellen- noch durch Literaturangaben belegt.
Literatur AUSST.KAT. 1987 – Jörg Ratgeb’s Wandmalereien im Frankfurter Karmeliterkloster (Red.: Roswitha Mattausch-Schirmbeck), Frankfurt am Main 1987. 38
FRAENGER 1981², S. 130. FRANZ 1935, S. 84. 40 FRAENGER 1981², S. 130. 41 ZOEPFL 18833, S. 104; SCHILD 19852, S. 206–208. 42 KAISER 1985, S. 27. 43 FRAENGER 1981², S. 132. 44 KAISER 1985, S. 27. 39
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BORST 1973 – BORST, Otto: Stuttgart. Die Geschichte einer Stadt, Stuttgart u.a. 1973. BRENDLE 1998 – BRENDLE, Franz: Dynastie, Reich und Reformation. Die württembergischen Herzöge Ulrich und Christoph, die Habsburger und Frankreich, Stuttgart 1998. DECKER-HAUFF 1966 – DECKER-HAUFF, Hansmartin: Die Geschichte der Stadt Stuttgart, Bd. 1: Von der Frühzeit bis zur Reformation, Stuttgart 1966. FRAENGER 19812 – FRAENGER, Wilhelm: Jörg Ratgeb. Ein Maler und Märtyrer aus dem Bauernkrieg, hg. [postum] von Gustel Fraenger und Ingeborg BaierFraenger, (1. Aufl. Dresden 1972) München 21981. FRANZ 1935 – FRANZ, Günther: Aus der Kanzlei der württembergischen Bauern im Bauernkrieg, in: Württembergische Vierteljahreshefte für Landesgeschichte 41, 1935, S. 83–108, 281–305. KAISER 1985 – KAISER, Ute-Nortrud: Jerg Ratgeb – Spurensicherung, Limburg 1985. LÜBBECKE 1946/47 – LÜBBECKE, Fried: Jerg Ratgeb. Die Fresken im Karmeliterkloster zu Frankfurt am Main, in: Das Kunstwerk, H. 4, 1946/47, S. 20–34. MATTAUSCH-SCHIRMBECK 1987 – MATTAUSCH-SCHIRMBECK, Roswitha: Die Wandmalereien im Kreuzgang, in: Jörg Ratgeb’s Wandmalereien im Frankfurter Karmeliterkloster (Red.: Dies.), Frankfurt am Main 1987, S. 37–129. MAURER 1979 – MAURER, Hans-Martin: Der Bauernkrieg als Massenerhebung. Dynamik einer revolutionären Erhebung, in: Bausteine zur geschichtlichen Landeskunde von Baden-Württemberg (Red.: Günther Haselier), Stuttgart 1979, S. 255–295. MUSPER 1952/53 – MUSPER, Heinrich Theodor: Zwei neue Tafeln von Jerg Ratgeb, in: Münchner Jahrbuch der Bildenden Kunst 3/4, 1952/53, S. 191– 198. ORTH 1991 – ORTH, Elsbet: Freiheit und Stadt: Der Fall Frankfurt, in: Johannes Fried (Hg.): Die abendländische Freiheit vom 10. bis zum 14. Jahrhundert. Der Wirkungszusammenhang von Idee und Wirklichkeit im europäischen Vergleich, Sigmaringen 1991, S. 435–460. ROTT 1934 – ROTT, Hans: Quellen und Forschungen zur südwestdeutschen und schweizerischen Kunstgeschichte im XV. und XVI. Jahrhundert, Bd. 2: AltSchwaben und die Reichsstädte, Stuttgart 1934. SCHAAB 1997 – SCHAAB, Meinrad: Städtische und ländliche Freiheit in Südwestdeutschland vom Hochmittelalter bis zum Ende des Alten Reiches, in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 145, 1997, S. 61–81. SCHILD 19852 – SCHILD, Wolfgang: Alte Gerichtsbarkeit. Vom Gottesurteil bis zum Beginn der modernen Rechtsprechung, 2. korrig. Aufl. München 1985.
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SCHNEIDER 1883 – SCHNEIDER, Eugen: Georg Rathgeb, in: Württembergische Vierteljahreshefte für Landesgeschichte 6, 1883, S. 263. SCHUETTE 1907 – SCHUETTE, Marie: Der schwäbische Schnitzaltar, Straßburg 1907. ZOEPFL 18833 – ZOEPFL, Heinrich: Peinliche Gerichtsordnung Kaiser Karl’s V. nebst der Bamberger und der Brandenburger Halsgerichtsordnung sämmtlich nach den ältesten Drucken und mit den Projecten der peinlichen Gerichtsordnung Kaiser Karl’s V. von den Jahren 1521 und 1529, (1. Aufl. Heidelberg 1842) Leipzig 18833.
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Kunstspionage des Prager Edelsteinschneiders Matthias Krätsch für Kaiser Rudolf II. in der Reichsherrschaft Oberstein 1. Der Kaiser als Kunstsammler Der Habsburger-Kaiser Rudolf II. (1552–1612, reg. 1576–1612), der 1583 seine Residenz von Wien nach Prag verlegte, gilt als eine der schillerndsten Persönlichkeiten unter den römisch-deutschen Regenten. Als ältester überlebender Sohn von Kaiser Maximilian II. und Maria von Spanien war er zugleich König von Böhmen (bis 1611), von Ungarn (bis 1608) sowie von Kroatien und Slawonien (bis 1608). Er galt als hochgebildet, sprach angeblich fünf Sprachen, neben Deutsch auch Spanisch, Französisch, Italienisch, Latein sowie etwas Tschechisch und verfügte über beachtliche Kenntnisse in Geschichte und Astronomie. Politisch war er weniger geschickt, wurde Zeit seines Lebens von seinen Brüdern hart bedrängt, der Regentschaft zu entsagen, wobei ihm sogar Teile seiner Herrschaftsmacht entrissen wurden. Wahrscheinlich hat ihn der Tod, welcher den Sechzigjährigen in Prag 1612 ereilte, vor einer förmlichen Absetzung bewahrt. Der Regent, der sein Leben unter den Wahlspruch Fulget caesaris astrum1 (Es strahlt der Stern des Kaisers) stellte, hatte in seinem eigenen Leben wenig Glück. Rudolf war ein Mann voller Widersprüche; als Regent – zögerlich, unentschlossen und glücklos – war er dem politischen Ränkespiel nicht gewachsen; er galt als verschlossen, misstrauisch, abergläubisch und antriebsschwach, wobei die moderne Forschung inzwischen davon überzeugt ist, dass man bei ihm – zumindest in den letzten Lebensjahren – von einer „fortschreitenden Schizophrenie“ sprechen kann.2 Eines kann man Rudolf II. aber nicht absprechen: sein Interesse an Kunst und Wissenschaft sowie deren Förderung. Er machte seine Prager Residenz zu einem Mittelpunkt europäischer Kultur. Er scheute weder Mittel noch Mühen, um einige der fähigsten Künstler und Wissenschaftler seiner Zeit
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VOCELKA 1985, S. 48f. Ebd., S. 9.
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für seinen Hof zu gewinnen.3 Neben böhmischen Landeskindern wie den Astronomen Bachácek oder Hájek zog Rudolf II. Künstler bzw. Wissenschaftler aus ganz Europa an. Dabei wirkten sich auch die gesamteuropäisch-dynastischen Verbindungen Rudolfs positiv aus. So standen damals nicht nur Spanien oder die Niederlande, sondern auch die für die Schmucksteinbearbeitung so wichtigen Plätze wie Mailand (seit 1525) oder Freiburg im Breisgau (seit 1368) unter Habsburgerherrschaft. Oft wirkten die Künstler in den ersten Jahren quasi freischaffend für den Kaiser und unterlagen dann auch dem für Künstler üblichen Zunftzwang der Stadt Prag. Wenn sie – oft nach zwei oder drei Jahren – in den Hofdienst als Kammer-Edelsteinschneider oder Hofmaler übernommen wurden, brauchten sie keiner Zunft mehr anzugehören. „Mit Kaiser Rudolf II. erhebt sich das ‚Kunstsammeln’ zu einem Höhepunkte, der dann im Grunde nicht mehr überboten worden ist, denn der Sammler, der zugleich Anreger und Auftraggeber war, kommt nach ihm in diesem Ausmaße nicht mehr vor.“4 Noch wichtiger als die schönen Künste waren dem Monarchen offenbar die Sterndeuter; jedenfalls stand der dänische Astronom Tycho de Brahe an der Spitze seiner Gehaltsliste, noch weit vor dessen Nachfolger, dem bekannten Astronomen Johannes Kepler. Beide bekleideten die Funktion eines Hofmathematikus bei Rudolf. Von den Künstlern wohnten zumindest die Hofmaler Hans von Aachen, Bartholomäus Spranger, die Edelsteinschneider Valentin Drausch und Caspar Lehmann sowie der Hofbildhauer Adrian de Vries auf der Burg bzw. im Prager Burgbereich und arbeiteten damit in unmittelbarer Nähe des Kaisers. Rudolf war bei der Entstehung von Kunstwerken zugegen und soll sich auch selbst als Goldschmied betätigt haben. Neben der nach ihm benannten »Rudolfinischen Malerei« und der Bildhauerkunst entwickelte der Kaiser eine besondere Vorliebe für Schmuck und Edelsteine. Abgesehen von der Verpflichtung entsprechender Künstler aus ganz Europa beauftragte er auch seine diplomatischen Vertreter in Rom, Madrid und an anderen Orten, seltene Kunstwerke für ihn zu beschaffen. Dabei ging es ihm nicht nur um den Erwerb hochrangiger Einzelstücke, sondern auch um die Erschließung und Beschaffung der erforderlichen Rohmaterialien, wie z. B. Edel- und Schmucksteine. Selbst der kaiserliche Leibarzt, der aus den Niederlanden stammende Anselm Boetius de Boodt, war ein ausgewiesener Kenner von 3 4
KAPPEL 1998; LIETZMANN 1998; FISCHER 1971; METZ 1961a; CHYTIL 1904. Diesen Kernsatz von LHOTSKY 1941–45, S. 23, zu den Kunstinterressen Rudolfs fand VOCELKA 1981, S. 197, so treffend, dass er ihn in seiner Habilitationsschrift wörtlich zitiert.
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Edelsteinen und Fachmann für den Steinschnitt.5 Offenbar hat die Ankunft des bisherigen fürstlich-bayerischen Edelsteinschneiders Valentin Drausch, der spätestens 1583 von Dresden kommend in Prag eingetroffen war, bei Rudolf Interesse für eine systematische Schmucksteinsuche in seinen eigenen Landen geweckt.6 Da Rudolfs Diplomaten und Agenten meist nicht über den erforderlichen Kunstverstand verfügten, ging der Kaiser in der zweiten Hälfte seiner Regentschaft immer mehr dazu über, spezialisierte Fachleute oder hochrangige Künstler mit der Akquisition von Kunstwerken und Rohsteinen zu beauftragen. Seine Emissäre haben durchaus nicht einseitig zu kaiserlichem Vorteil requiriert, sondern sie versuchten meist in Zusammenarbeit mit den örtlichen Spezialisten, Fachwissen für die ohnehin auf einem hohen technischen und künstlerischen Stand befindlichen Prager Werkstätten zu erlangen. Rudolf legte dabei offenbar auch großen Wert auf Kooperation mit den jeweiligen politischen Funktionsträgern und stattete seine Abgesandten mit entsprechenden Legitimations- und Empfehlungsschreiben aus.7 Teils es sich dabei um ein gegenseitiges Geben und Nehmen. So verschaffte Rudolf den Schleifern in Freiburg und Waldkirch im Breisgau am 15. Juli 1601 ein exklusives Privileg zur Bearbeitung der böhmischen Granate; offenbar die Gegenleistung für die Entsendung von zwei erfahrenen Meistern und sechs jungen Ballierern (= Schleifern), um die er zu jener Zeit den Rat der Stadt Freiburg gebeten hatte.8 Umgekehrt hatte der Kaiser im selben Jahr einen fachkundigen Edelsteinbearbeiter aus Prag nach Zweibrücken entsandt, um die dortige Achatschleifmühle wieder anzukurbeln, nachdem ihm zuvor Herzog Johann I. von Pfalz-Zweibrücken (1550, reg. 1569–1604) bei der Rohsteinbeschaffung behilflich gewesen war. Um 1600 wurden die Suche nach neuen Rohsteinvorkommen in Europa und die Optimierung der Bearbeitungstechniken in Prag von Rudolf immer intensiver betrieben. Nach dem Weggang von Drausch war 1585 der Goldschmied Friedrich Krug (Khrueg) nach Schlesien geschickt worden, um allerlei undershidliche sorten von shonen stainen […] [zu] graben, prechen und zuwegen [zu] bringen.9 5
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Dieser publizierte 1609 in Hanau die Schrift „Gemmarum et lapidum historia“, ein heute oft zitiertes Standardwerk für die Edelsteinkunde in dieser Zeit; CHYTIL 1904, S. 53. FISCHER 1971, S. 11. HHStA Wien, Habsb.-Lothr. HA, Hofakten MdI: K. 12, Z1. 14 ex 1612 und LA Sp., Best. B 2 Nr. 520/1. FISCHER 1971, S. 6. Zitiert nach ebd., S. 11. Ders vermutet (S. 31, Anm. 42), dass Krug möglicherweise der Sohn oder Bruder von Benedikt Krug, Hofgoldschmied des Kaisers seit 1583, war.
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2. Matthias Krätsch, kaiserlicher Steinschneider in Prag In Krugs Fußstapfen trat dann wohl der 1586 aus Königsberg in Preußen nach Böhmen10 gekommene Edelsteinschneider Matthias Krätsch11, der spätestens seit dem 1. Januar 1589 in Rudolfs Diensten als Hofhandwerker12 mit einer Besoldung von monatlich 12 Gulden stand, die ab 1601 auf 20 Florin (fl) angehoben wurde.13 Krätsch war vornehmlich mit der Suche und Erschließung von Rohsteinen für die kaiserlichen Werkstätten beschäftigt und dürfte in dieser Funktion in den folgenden Jahren eine besondere Vertrauensstellung bei Rudolf genossen haben. Bereits am 15. Juni 1590 war er mit einem Patent zur Suche von edle gestein in allen und jeden orten dieses Khünigreichs ausgestattet worden.14 Offenbar war er bei seiner Arbeit erfolgreich; jedenfalls wurde er bereits 1595 in Prag in den Adelsstand erhoben15, ein Gnadenerweis, mit dem der Kaiser bekanntlich namhafte Künstler bedachte.16 Es handelte sich in diesem Fall – wie seinerzeit durchaus nicht ungewöhnlich – um einen sogenannten untitulierten Adelsstand, der nicht mit einem besonderen Prädikat verbunden war (weshalb der Familienname unverändert blieb), aber das Recht der Wappenführung einschloss.17 Am 10. Juli 1601 erhielt Krätsch ein – räumlich offenbar nicht beschränktes – neues Privileg, um nach edelgestein, sonderlich aber die granaten, nachzusuechen18 und mit den Bergwerkseignern zu verhandeln. Matthias Krätsch war in den folgenden Jahren viel auf Reisen, auch über die habsburgischen Lande hinaus. Neben der Rohsteinsuche sammelte er Informationen zu deren Bearbeitung, war aber auch mit dem Ankauf von Kunstgegenständen befasst. So erhielt er 1599 zehrungßuncost für eine 10
Ebd., S. 31, Anm. 45. In den zeitgenössischen Akten und in der Literatur kommen u. a. folgende Schreibweisen dieses Namens vor: Gratsch, Khrattschürt, Khrazien, Kraetsch, Kratsch, Krätz, Krätzsch, Kraytsch, Kraz, Krazsch oder Kretsch; wir folgen der Schreibweise von THIEME / BECKER 1927. 12 Zur Definition siehe Teil I von HAUPT 2007, S. 13–181. 13 HHStA Wien, Haus-, Hof- und Staatsarchiv, OMeA SR Kt. 184; FISCHER 1971, S. 12. 14 Ebd. 15 Für die Siegelung der entsprechenden Urkunde hat Krätsch am 12.05. 1595 die übliche Ausfertigungsgebühr in Höhe von 110 Florin bezahlt; HHStA Wien, Reichskanzlei, Reichstaxbücher, Bd. 79, 1595, fol. 10v. 16 Zu Nobilitierungen von Hof- und hofbefreiten Handwerkern, mit Beispielen ab 1628, siehe HAUPT 2007, S. 153f.; mit weiterführender Lit. siehe auch SCHÜTZE 1992. 17 Ein verkürztes Diplomkonzept für Krätsch einschließlich der Wappenabbildung befindet sich heute im Allgemeinen Verwaltungsarchiv des HHStA Wien, Reichsadel für Mathes Krätsch, vom 12.04. 1595. 18 Zitiert nach FISCHER 1971, S. 32, Anm. 45. 11
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Reise nach Preußen und 1600 nach Pilsen bzw. nach Nürnberg und Frankfurt.19 Um dieselbe Zeit20 wurde er zusammen mit dem von Rudolf 1594/95 geadelten Hofmaler Hans von Aachen unsaumblich nach Besançon in Burgund geschickt, um dort Gemälde abzuholen.21 Wenn geschrieben wird, dass dieser Künstler ein Lehrer des Steinschneiders Krätsch gewesen sei22, so kann sich dies wohl nur auf die Malerei beziehen. Tatsächlich ist zu jener Zeit mitunter davon die Rede, dass die Steinschneider bei größeren Arbeiten zunächst eine Visierung der geplanten Gefäße oder auch dreidimensionale Modelle (in Holz, Wachs oder Gips) ihren Auftraggebern vorlegten. Vielleicht hat Hans von Aachen Krätsch bei der Erstellung von Entwürfen bzw. Visierungen angeleitet. Spätestens um 1600 hat sich Rudolf auch für Achat-, Jaspis- und Chalzedonvorkommen im Westen des Reiches interessiert. Um mehr darüber zu erfahren, schickte er den bewährten Fachmann Krätsch wiederholt zu Erkundungsreisen u. a. in die Markgrafschaft Baden, das Herzogtum PfalzZweibrücken und die Reichsherrschaft Oberstein. Delikat waren diese Unterfangen deshalb, weil die Edelsteinbearbeitung, wie wir aus Florenz oder Freiburg wissen, zu jener Zeit als Betriebsgeheimnis betrachtet wurde und man alles unternahm, um die Herstellung gegenüber Fremden nicht zu offenbaren. Auch die Quellen für den Rohsteinbezug, um den es hier wohl vorrangig ging, suchte man möglichst nicht offenzulegen, um die eigene Versorgung zu sichern und die Preise nicht in die Höhe zu treiben. So war den Achatschleifern in Freiburg oder (Idar-) Oberstein durch Zunftgesetze und andere Vorschriften streng verboten, Fremde in dem Gewerbe zu unterweisen oder selbst im »Ausland« – das konnte bei der territorialen Zersplitterung des Deutschen Reiches sogar schon das Nachbardorf sein – in ihrem Beruf zu arbeiten. Der Export von Rohsteinen war später im Zweibrücker Gebiet sogar unter Androhung der Todesstrafe verboten.23 Rudolf II. legte offenbar Wert darauf, dass sich Krätsch seine Informationen nicht heimlich beschaffte, sondern dass die zuständigen Territorialherren von seinen Absichten vorab informiert wurden. Der Kaiser richtete in jenen Jahren verschiedene Schreiben an den von 1604 bis 1622 regierenden 19
HAUPT 2008, Nr. 1495, 1571 und 1584. HHStA Wien, Habsb.-Lothr. HA, Hofakten MdI: Memorial für den Kaiser vom 18.08. 1600. 21 FISCHER 1971, S. 31, Anm. 45. 22 THIEME / BECKER 1927; CHYTIL 1904, S. 54. 23 Dass derartige Verbote immer wieder umgangen wurden, kann man aus den fast regelmäßig wiederholten und steigenden Strafandrohungen im Herzogtum Zweibrücken schließen, vgl. PKSCHA Zwbr., VI., 3354, siehe die Jahre 1700, 1743, 1747, 1749, 1752, 1752 und 1773. 20
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Markgrafen Georg Friedrich von Baden-Durlach (1577–1638) und an Herzog Johann I. von Pfalz-Zweibrücken, in denen er um die Unterstützung seines Emissärs bat.24 So konnte Krätsch Anfang des 17. Jahrhunderts im Einverständnis mit dem Landesherrn mehrmals die Markgrafschaft Baden besuchen, um in Badenweiler den dort wachsenden seltzamen Stainen weiter nach zu suchen.25 Der in diesem Gebiet anstehende Chalzedon erwies sich durchaus als schleifwürdig, doch sollte es erst im 18. Jahrhundert zur Verarbeitung in Schleifereien zu Durlach und Karlsruhe kommen.26 Ende September 1600 traf der kaiserliche Edelsteinschneider in Zweibrücken ein, um zu einer mehrtägigen Informationsreise durch das Herzogtum aufzubrechen. 3. Die Achatvorkommen im Saar-Nahe-Westrich-Gebiet und die territorialen Verhältnisse in diesem Raum im Mittelalter und in der frühen Neuzeit27 Ab dem ausgehenden Mittelalter lassen sich drei größere und über etwa drei Jahrhunderte hinweg ergiebige Achat-, Chalzedon- und Jaspisvorkommen28 im Saar-Nahe-Westrich-Gebiet nachweisen: im lothringischen Freisen/Oberkirchen (heute Saarland, seit dem 14. Jahrhundert in obersteinischem Lehnsbesitz), im zweibrückischen Amt Lichtenberg (heute Truppenübungsplatz Baumholder) und im obersteinischen Idarbann (heute Stadtgebiet von Idar-Oberstein). Im Jahre 1375 hören wir erstmals von dem Metzer Domherrn Otto von Diemeringen, dass man „hierzulande in Wacken“ Edelsteine finde, die man hy zu Venedige und in diesen landen polliret mit meysterschaft.29 Für das Jahr 1478 ist eine Bruderschaft der Polierer in St. Arnual an der Saar belegt, wo zu jener Zeit die Hauptkirche im Territorium der Grafen 24
LA Sp., Best. B 2 Nr. 520/1 v. 18. Juli 1600 und HHStA Wien, Habsb.-Lothr. HA, Hofakten MdI): K. 12, Z1. 14 ex 1612, Schreiben vom 30.03. 1601. 25 METZ 1965b, S. 200. 26 Ebd., S. 170–174. 27 BAMBAUER / GRUB 2005; LOCH 1974; FISCHER 1957; BRITZ 1956; KELLER 1934. 28 Bei allen dreien handelt es sich um verschiedene Varietäten von Quarzmineralien (SiO2; Härte 7 der Mohsschen Härteskala), wobei der Chalzedon als einer der wichtigsten unter den mikrokristallinen Quarzen gilt. Achat und Jaspis sind ihrerseits wiederum Unterarten des Chalzedon. Dabei sind Achate reine Quarze, während der Jaspis stets einen gewissen Anteil von Fremdsubstanzen enthält. Alle drei Minerale kommen in der Natur vielfach dicht nebeneinander vor. 29 Fischer 1970, S. 16.
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von Saarbrücken stand. Auch im benachbarten Gebiet der Herzöge von Pfalz-Zweibrücken müssen zu jener Zeit schon Achatvorkommen bekannt gewesen sein, sonst hätte man nicht 1469 drei Schleifer aus Freiburg im Breisgau zur Errichtung einer Achatschleifmühle nach Zweibrücken geholt. Eine dritte Verarbeitungsstätte für die saar-naheländischen Achat-, Chalzedon- und Jaspisvorkommen lässt sich ab 1520 in der kleinen Reichsherrschaft Oberstein an der Nahe belegen.30 Während die (einzige) Zweibrücker Schleife nur temporär in Betrieb war, lassen sich bis um die Mitte des 17. Jahrhunderts mindestens zehn Achatschleifmühlen am Scheidbach bei Saarbrücken und etwa fünf am Idarbach im heutigen Idar-Oberstein nachweisen. In dieser Situation konnte es den Herzögen von Zweibrücken gewiss nur recht sein, wenn sie in Kontakt mit dem etablierten Kunst- und Edelsteinzentrum Prag treten konnten. In Oberstein war man hingegen um 1600 bereits sehr selbstbewusst und wollte sich diesbezüglich nicht in die Karten schauen lassen. Tatsächlich sollte diese kleine Herrschaft in den folgenden Jahrzehnten nicht nur Zweibrücken, sondern auch Saarbrücken, wo bis zum Ende des 17. Jahrhunderts die Schleiferei völlig zusammenbrach, deutlich überflügeln.31 Möglicherweise hatten um 1600 weder der Kaiser noch Krätsch nähere Kenntnis davon, dass in dem Zweibrücken benachbarten Territorium der Herren von Oberstein (spätestens) seit 1454 Achate abgebaut und seit Anfang des 16. Jahrhunderts geschliffen wurden. Ein Besuch der Reichsherrschaft Oberstein war offensichtlich nicht vorgesehen, da sonst der Emissär auch hier ein entsprechendes Empfehlungsschreiben vorgelegt hätte.
4. Der erste Besuch von Matthias Krätsch in Oberstein Nachdem Matthias Krätsch aus Prag Ende September in den Zweibrücker Landen eingetroffen war, erteilte Herzog Johann I. sogleich Weisungen an seine Beamten, mit dem kaiserlichen Emissär die Hauptfundgebiete im herzoglichen Amt Lichtenberg zu bereisen.32 In diesem Zusammenhang hat der kaiserliche Steinschneider möglicherweise erst vor Ort Kenntnis von dem Schmuckgewerbe im benachbarten Oberstein erhalten und sich auch sogleich dafür interessiert. In der Reichsherrschaft Oberstein regierte zu jener Zeit Philipp Franz Herr von Daun-Oberstein (1559, reg. 1571–1624), (Titular-) Graf von Fal30
Ebd. BAMBAUER / GRUB 2005; LOCH 1974. 32 ZINK 1930. 31
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kenstein33, ein Mann, der mit seinen Untertanen selbst nicht in bestem Einvernehmen lebte34, ständig in Geldverlegenheiten war und viel prozessierte. Ein besonderes Interesse am Bergbau und dem Schmuckgewerbe in seinem Lande kann man ihm jedoch nicht absprechen, wobei offen bleiben muss, ob politisch-wirtschaftliche Weitsicht, Kunstinteresse oder nur seine ständige Geldknappheit dafür ausschlaggebend waren. Im Herbst 1600 hatte er jedenfalls auf unbekannten Wegen von der Reise, den Absichten und Wünschen des kaiserlichen Emissärs erfahren. Obwohl ihm dieser Besucher überhaupt nicht willkommen war, schickte er seinen Pfarrer35 und einen Obersteiner Achatschleifer zur zweibrückischen Reisegruppe im benachbarten Amt Lichtenberg, um dem kaiserlichen Abgesandten zu bestellen, dass er durchaus eine Schleifmühle in seinem Territorium und dort gefertigte Waren besichtigen könne. Offenbar trat der Obersteiner Landesherr damit die Flucht nach vorne an, zumal er sich ausrechnen konnte, dass der kaiserliche Abgesandte im Falle der totalen Verweigerung auch andere Mittel und Wege gefunden hätte, sich die gewünschten Kenntnisse zu beschaffen – also versuchte Philipp Franz die relevanten Informationen auf ein Minimum zu beschränken.
5. Quelle Relation des Kellers Johannes Hoffmann über den Besuch des Prager Steinschneiders Matthias Krätsch im Jahre 1600. Landesarchiv Speyer (LA Sp.), Best. B 2 Nr. 520/1, S. 12v–14r Durch einen detaillierten Bericht, den der zweibrückische Keller Johann Hoffmann36 als Begleiter über die gesamte Informationsreise für seinen 33
Philipp Franz führte zwar den Titel eines Grafen von Falkenstein, ohne – im Gegensatz zu seinen Vorfahren oder Vettern – jedoch Anteil an diesem Territorium in der Pfalz zu besitzen. 34 LOCH 1929, S. 51. 35 Philipp Franz war – im Gegensatz zu seinen Untertanen – offenbar katholisch; da es im Text eindeutig nur „Pfarrer“ heißt und über eine evtl. Beschäftigung eines katholischen Hofkaplans auf Schloss Oberstein zu jener Zeit nichts bekannt ist, dürfte damit der damalige lutherische Gemeindepfarrer Magister Jacob Telonius gemeint sein, der, zuvor als Lutheraner aus dem zweibrückisch-reformierten Baumholder vertrieben, von 1598–1608 in Oberstein wirkte; ROSENKRANZ 1958, S. 515. 36 Dieser soll ein Schwiegersohn des Renaissance-Gelehrten Tilemann Stella (Stolz) (1525–1589) gewesen sein, der u. a. als Mathematiker, Geometer, Kartograf und Astronom in Schwerin, Mecklenburg, Mansfeld und Pfalz-Zweibrücken wirkte. Johann Hoffmann war in Lichtenberg indirekter Nachfolger seines Schwagers, des Magisters und Geometers Christoph Tilemann Stella (d.J.) (ca. 1570–vor 1625) und betätigte sich später hier u. a. als Geometer; EID 1897, S. 121f., 160, 191f.
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Landesherrn verfasste, sind wir über die Einzelheiten des Besuchs in der Reichsherrschaft Oberstein unterrichtet. Ein Teil der darin offenbar nachträglich vom Empfänger, Herzog Johann I. von Pfalz-Zweibrücken, angebrachten Randbemerkungen sind hier in runden Klammern ergänzend mit wiedergegeben. Aus den Randvermerken des Zweibrücker Herzogs geht eindeutig hervor, wie stark er – ganz im Gegensatz zum Obersteiner Landesherrn – das Anliegen des Kaisers unterstützte. Erstmalig (mit geringfügigen Auslassungen) publiziert von Zink, Albert: Kaiser Rudolf II. und sein Interesse für das Achatvorkommen im Amt Lichtenberg, in: Westrich-Kalender. Ein Heimatbuch für das Westrich, 5. Jg., 1930, S. 103–110. Die Publikation enthält jedoch einen Lese- oder Druckfehler, dessen Berichtigung nun auch die Identifikation jenes Achatschleifers ermöglicht, der Krätsch in Oberstein begleitete. Die vorliegende Transkription wurde mit Durchsicht von Frau Ursula Timann (Nürnberg) erstellt; Ergänzungen in eckigen Klammern wurden zum besseren Verständnis vom Autor hinzugefügt. Weyter Ist deßelbigen Tages nichts mehr außgerichtet worden; Allein 37 d[ass] der Graff Vom Oberstein seinen Pfarr[er] zu dem Gesandten mit einem Steinschleiffer geschicktt Vndt I[h]m an zeigen Laßen, Er der Graff hette Von dem [Junker] Von Söttern vernommen, d[ass] er Gern Die Schleifmühl Vndt die vff solcher Müllen geschlieffene Vndt Pollierte Stein[e] sehen wolte, deßen er woll zufrieden were, dahin zu Kommen, wan es Ime gelegen (D[as] war gutt). Deßen hatt[e] er sich gegen dem Graffen bedancket Vndt angedeutet, den folgenden Tagk frue gehn Oberstein zu reitten. Der berürte Schleiffer hatt[e] nichts, dann Ronde Pollirte Steinl[e]in (Das war Kind[er]werk.), so er Klieker genant, bey sich gehabt, die Ime nicht gefellig. Sambstag, den 27st[en] Septembris [1600] seindt wir mit einander frue vff geweßenn, Vndt als wir gehn Oberstein Vmb Acht Uhren [ge]kommen, hatt sich Niemandts sehen Laßen wollen, (D[as] war gar schlim.) der uns zur Schleiffmühlen gefüret hette. Jedoch seindt wir endtlich für [vor] des einen Schleiffers behaußung geritten, In Ahngesprochen Vnndt mit uns zur Müllen (D[as] war recht.) zu gehen begeret, Vndt wiewol dießer Schleiffer, Klein Hans genant, anfangs nicht Viel Luste darzu hatte. So Ist er doch Letzlich mit Vns zur Müllen [ge]gangen, die zwen buchsen schuß vngeverlich Vom Flecken Oberstein Stehet. Da haben wir den Pfarr[er] bei der Müllen hecken abzuhauen Vndt damit ein geseeten Acker 37
Am Rand findet sich eine Hand mit ausgestrecktem Zeigefinger und der Kommentar: „d[as] ist wol zumerken“.
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zu verhegen gefunden, welcher mit Vns in die Schleiffmühl [ge]gangen Ist. Als wir nun die Schleiffmüll besichtiget hatten, Darüber ein Alte Vnnütziege Hütte stehet, so baldt vber ein Hauffen fallen wirdt, haben wir Von dem Schleiffer begeret, Vnß In sein Haus zu füren Vndt seine geschlieffene Stein[e] sehen zulaßen. Vnndt wiewoll er nichts besonders an Steinen gehabt, In dem er furgab, er hett sie fast alle In der Nechst vergangenen Franckfurtter Meß verkaufft. (D[as] war Vorsich[t].) Jedoch wolte Im der Gesandte etzliche abgekaufft haben, (D[as] taug[t] abermal[s] nichts.) wan er sie nicht vber die maßenn vberteuret hette. Als wir wieder Von Dannen Reitten woltten, schicket des Graffen Rentmeister Viel berürten Schleiffer Bottschafft, Eilendts zu Ime zu kommen. Daruf der Schleiffer baldt Von Vns auß seinem Haus gangen, kompt der ander[e] Schleiffer Vndt zeigt dem Satler Im Dhal Lichtenbergh ann, sein Gnediger Herr, der Graff vom Oberstein, habe sie beide gestern Abendt Vor sich fordern Laßen, Vndt Innen Verbotten (Diese große Unbescheydenheit wird nit ungestrafft bleyben) den Frembdten Leutten, so morgen kommen werden, nichts besonders an Steinen Vndt sonsten zu weißen, sie weren frembdt Vndt vieleicht verretter auß Lottringen (D[as] war zu Grob.), Ihm Vndt seinen Vnderthanen Schad[en] zuzufügen. Sie möchten etwa die kunst absehen, so Ihnen den Schleiffern mehr schaden, als Nutzen würde. (Was d[er] Gottlose fürcht, soll Ieme wiederfaren.) Solches hatt der Sattler deme Gesandten angezeigt (Daran hat er recht gethan.), darüber er sehr Vnlustig worden Vndt gleich nach seinem Nahmen Vndt Titul gefraget Vndt ob er ein Graff des Reichs sey. (D[er] wird damit sehr vbel ankomen.) [Wir] seindt also wieder Von Obersteinn geritten, Vndt Mittags vmb zwölff Uhren gehn Baumholder [ange]kommen. (Übertragung ins Neuhochdeutsche) [Freitag, 26.09. 1600] Weiter ist desselbigen Tages nichts mehr ausgerichtet worden; allein dass der Graf von Oberstein38 seinen Pfarrer zu dem Gesandten mit einem Steinschleifer geschickt und ihm anzeigen hat lassen, er, der Graf, hätte von dem Junker von Sötern vernommen, dass er gern die Schleifmühle und die auf dieser Mühle geschliffenen und polierten Steine sehen wollte, dass er wohl zufrieden wäre dahin zu kommen, wann es ihm gelegen sei (Das war gut). Dafür hat er sich beim Grafen bedankt und angedeutet, den folgenden Tag früh nach Oberstein zu reiten. Der erwähnte
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Damit meint er Philipp Franz, der sich – wie oben angeführt – Graf von Falkenstein nannte. Eine Grafschaft oder einen Grafen von Oberstein hat es – trotz gegenteiliger Angaben in der älteren Literatur – nie gegeben.
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Schleifer hatte nichts außer runden polierten Steinlein (Das war Kinderwerk), Klicker genannt, bei sich gehabt, die ihm nicht gefallen hätten. Samstag, den 27. September [1600] sind wir miteinander früh auf gewesen und als wir nach Oberstein um acht Uhr gekommen sind, hat sich niemand sehen lassen wollen, (Das war schlimm) der uns zur Schleifmühle geführt hätte. Jedoch sind wir endlich vor des einen Schleifers Behausung geritten, haben ihn angesprochen und begehrt, mit uns zur Mühle (Das war recht) zu gehen, obwohl dieser Schleifer, Klein Hans39 genannt, anfangs nicht viel Lust dazu hatte. So ist er doch letztlich mit uns zur Mühle gegangen, die ungefähr zwei Büchsenschuss vom Flecken Oberstein [entfernt] steht. Da haben wir den Pfarrer bei der Mühle Hecken abhauen und damit eingesäte Acker einzuhegen vorgefunden, welcher mit uns in die Schleifmühle gegangen ist. Als wir nun die Schleifmühle besichtigt hatten, worüber eine alte unnütze Hütte steht, die bald über einen Haufen fallen wird, haben wir von dem Schleifer begehrt, uns in sein Haus zu führen und seine geschliffenen Steine sehen zu lassen. Und wiewohl er nichts Besonderes an Steinen gehabt [hat und] zudem vorgab, er hätte sie fast alle in der letztvergangenen Frankfurter Messe verkauft,40 (Das war Vorsicht) wollte ihm der Gesandte dennoch etliche abgekauft haben, (Das taugt abermals nichts) wenn er sie nicht über die Maßen übererteuert hätte. Als wir wieder von dannen reiten wollten, schickte des Grafen Rentmeister [dem] viel genannten Schleifer Botschaft, eilends zu ihm zu kommen. Darauf [ist] der Schleifer bald von uns aus seinem Haus [weg]gegangen, [da] kommt der andere Schleifer und zeigt dem Sattler in Thal-Lichtenberg41 an, sein gnädiger Herr, der Graf von Oberstein, habe sie beide gestern Abend vor sich fordern lassen und ihnen verboten (Diese große Unbescheidenheit wird nicht unbestraft bleiben), den fremden Leuten, die morgen kommen werden, nichts Besonderes an Steinen und Sonstigem zu zeigen, sie wären fremd und vielleicht verritten aus Lothringen (Das war zu grob), [um] ihm und seinen Untertanen Schaden zuzufügen. Sie möchten etwa die Kunst absehen [ausspionieren], was ihnen, den Schleifern, mehr schaden als nutzen würde. (Was der Gottlose fürchtet, soll
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An dieser Stelle heißt es in der Transkription von ZINK 1930, S. 106, „Kleinhaus“, was so nicht zu deuten war. Ein Vergleich mit dem Speyerer Original zeigt aber, dass es richtig heißen muss: Klein Hans. 40 Diese Aussage war glaubwürdig; der wenige Jahre später erlassenen Zunftordnung (1609) für die Achatschleifer in der Herrschaft Oberstein ist zu entnehmen, dass diese damals offenbar bereits regelmäßig die Frankfurter Messen besuchten. 41 Thallichtenberg ist noch heute eine Gemeinde am Fuße der ehemals zweibrückischen Amtsburg Lichtenberg.
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ihm widerfahren.42) Solches hat der Sattler dem Gesandten angezeigt, (Daran hat er recht getan) worüber dieser sehr unlustig geworden sei und gleich nach seinem [des Grafen von Falkenstein] Namen und Titel gefragt habe und ob er ein Graf des Reiches sei. (Der wird damit sehr übel ankommen) Wir sind also wieder von Oberstein weggeritten und mittags um zwölf Uhr gegen Baumholder angekommen.
6. Die Folgen der ersten Reise von Matthias Krätsch in den Westrich und sein zweiter Besuch in Oberstein Zum Abschluss der vom 15. September bis 2. Oktober dauernden Informationsreise ließ Krätsch einige Fässer mit Rohsteinen (wohl Achat, Chalzedon und Jaspis) aus dem Zweibrückischen über Straßburg in die kaiserliche Residenz transferieren, deren Ankunft Rudolf II. am 13.12.1600 Herzog Johann I. bestätigte. Wie sehr dem Zweibrücker Landesherrn an einem guten Einvernehmen mit dem Kaiser und dem Gelingen von Krätschs Mission gelegen war, ergibt sich auch aus dem Umstand, dass er die Fuhrleute aus Baumholder, welche für den Rohsteintransport vom Westrich nach Straßburg 60 Florin gefordert hatten, nachträglich mit 4 Florin Strafe belegte.43 Doch die Verbindung zwischen Prag und Zweibrücken, die 1600 so hoffnungsvoll begonnen hatte, war nicht von sehr langer Dauer. Matthias Krätsch, der Anfang September 1601 erneut vom Kaiser in den Westrich entsandt wurde, konnte aus gesundheitlichen Gründen die vorgesehene Reise zunächst nicht antreten. Immerhin kam noch im selben Jahr der Edelsteinschneider Johannes Kobenhaupt44 aus Prag nach Zweibrücken45, um die Achatschleifmühle wieder in Betrieb zu nehmen oder neu herzurichten. Ganz anders lagen die Verhältnisse in Oberstein: Eigentlich ist es erstaunlich, dass man sich in Prag damals für den Stand der Schleiferei in der kleinen Herrschaft interessierte, angesichts des hohen Standards der Kunst zu jener Zeit in der Moldaumetropole und den vergleichsweise einfachen Verhältnissen in Oberstein. Krätsch hatte sich bereits bei seinem ersten Besuch nach dem Namen des örtlichen Landesherrn erkundigt. Tatsächlich hat der Kaiser danach mit Philipp Franz von Daun-Oberstein Kontakt auf42
Der Satz: „was der Gottlose fürchtet, das widerfährt ihm“ stammt aus Sprüche 10, 24; für den freundlichen Hinweis danke ich Frau Ursula Timann. 43 LA Sp., Best. B 2 Nr. 520/1; Krätsch hatte dafür zunächst nur 35 Florin geboten. 44 Ob er mit dem 1601/02 nachweisbaren Goldschmied Johann Kobenhaupt identisch ist, konnte nicht geklärt werden; SELING 1980, S. 453. 45 FISCHER 1970, S. 18.
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genommen. Im August 1602 teilte Rudolf aus Prag dem Obersteiner Landesherren mit, dass er erneut seinen vertrauten Emissär an die Nahe entsandt habe.46 Doch auch diesmal stand der Besuch unter einem unglücklichen Stern. Krätsch hatte offenbar eine größere Menge Achate nach Prag transferieren wollen. Dies aber war, wie Philipp Franz im Oktober 1602 an den Kaiser berichtete wegen einfallenden Ungewitters nicht möglich. Scheinheilig fügte der Graf noch hinzu, dass er natürlich bereit sei, weitere Nachsuchungen zu gestatten.47 Ob Rudolf von diesem Angebot Gebrauch machte, konnte bislang ebensowenig geklärt werden wie das weitere Schicksal von Matthias Krätsch. Die (vorerst) letzte Nachricht zu seiner Person findet sich in einem auf seinen Namen ausgestellten Paßbrief ins Reich, der im August 1603 in Prag gesiegelt wurde.48 So muss vorerst offenbleiben, ob der umtriebige Edelsteinschneider plötzlich verstarb, in Ungnade fiel oder andere Aufgaben übernahm. Entgegen seinem höflichen Schreiben dürfte der misstrauische Philipp Franz damals nicht wirklich entschlossen gewesen sein, den Kaiser in größerem Umfang zu beliefern. Hier im Westen war nämlich damals die Geschäftslage so gut, dass selbst im bald folgenden Dreißigjährigen Krieg die eigenen Rohsteinvorkommen am Steinkaulenberg in Idar und im lothringischen Lehen Freisen/Oberkirchen nicht einmal für den Eigenbedarf ausreichten. Zumindest bemühten sich die Obersteiner noch 1629 um eine Konzession für die Zweibrücker Rohsteinvorkommen, was Herzog Johann II. (1584, reg. 1604–1635) in Ermangelung eigener adäquater Bearbeitungsmöglichkeiten und sonstiger Pachtinteressenten sogar seinem wirtschaftlichen Erzfeind gegen Entrichtung des dritten Zentners gestattete.49 Bei dem in obigem Text genannten Schleifer Hans Klein handelt es sich wohl um jenen Obersteiner Bürger, der um die Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert wiederholt in den Gerichtsbüchern genannt wird, meist zusammen mit seiner Ehefrau Catharina (Ketter).50 Später muss es sogar zwei Einwohner dieses Namens in Oberstein gegeben haben, da 1613 einmal von Johann Klein der älter Schlieffer und Johann Klein der jünger 46
HHStA Wien, Habsb.-Lothr. HA, Hofakten MdI: K. 12, Z1. 14 ex 1612, Schreiben an Philipp Franz von Daun-Oberstein vom 28.08. 1602. 47 HHStA Wien, Habsb.-Lothr. HA, Hofakten MdI: K. 12, Z1. 14 ex 1612 Schreiben von Philipp Franz von Daun-Oberst. an den Kaiser vom 29.10. 1602. 48 HHStA Wien, Reichskanzlei, Reichstaxbücher Bd. 99 (1603), fol. 42v. 49 BRANDT 1978, S. 38. Dies entsprach nur dem halben Preis, den die Herren von Oberstein bereits im 16. Jahrhundert von den Achatgruben in ihrem Lehnsbesitz bei Freisen verlangt hatten; LEYSER 1853, S. 135. 50 LHA Ko., Best. 39: Protokollbuch Bd. I sowie PROTOKOLLBUCH 1938, Einträge in den Jahren 1583, 1588, 1592, 1619.
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Schliffer51 die Rede ist. Ersterer war zugleich Gerichtsschöffe und damit ein angesehener und verhältnismäßig wohlhabender Mann. Er ist wohl auch identisch mit jenem Hanß Klein Bürgern und steinarbeittern alhir zum Oberstein, dem der Landesherr Philipp Franz am 18. Juni 1603 die Konzession zum Betrieb einer neuen Schleifmühle erteilte, wobei er ihm zugleich den Bauplatz für die geplante Werkstätte aus gnaden freywillig schenkte.52 Möglicherweise war dies sogar ein Entgegenkommen des Regenten für Kleins Wohlverhalten beim ersten Krätsch-Besuch drei Jahre zuvor. Die damals neuerbaute Schleifmühle wurde 1855 zu einer sogenannten Doppelschleife umgestaltet, die noch bis ins 20. Jahrhundert betrieben und erst 1985 abgerissen wurde. Diese sogenannte Auschleife befand sich in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts zu je einem Drittel im Besitz der drei Söhne des Erbauers: (Hans) Peter, Heinrich und Georg Klein.53 Einer von ihnen, der Schleifer Heinrich Klein, fertigte hier aus Achat wahrscheinlich auch jene zwei Trinkgeschirrlein, welche Herzog Johann II. von Zweibrücken 1630 bei diesem für 23 Reichstaler (das entsprach 35 Florin) erwarb. Offensichtlich konnte man in der von Kobenhaupt verlassenen Zweibrücker Schleife derartige Kunstwerke nicht herstellen. Und wie muss sich der Herzog geärgert haben, dass er dafür nun das Siebenfache dessen aufbringen musste, was ihm die Verpachtung der Achatvorkommen in seinem Oberamt Lichtenberg etwa zur selben Zeit einbrachte.54 Die Achatschleiferei, für die Graf Philipp Franz im Jahre 1609 eine spezielle Zunftordnung erlassen hatte55, entwickelte sich im Gegensatz zu diesem Gewerbe im Herzogtum Zweibrücken in den folgenden Jahrhunderten langsam, aber stetig. Den Herzögen von Zweibrücken gelang es aber nicht, qualifizierte Fachleute dauerhaft für ihr Territorium zu gewinnen. Und man musste – trotz der oben erwähnten drastischen Strafandrohungen – erleben, wie diese Bodenschätze in die Herrschaft Oberstein geschmuggelt wurden und dort nach einer fachgerechten Bearbeitung die Wirtschaft spürbar belebten. Erfolglos waren die Herren von Oberstein auch darin, ihre offenbar gut ausgebildeten Schleifer immer vollständig im eigenen Herrschaftsbereich zu halten – trotz entsprechender Zunftgesetze und Eide. In der Literatur wird verschiedentlich von – allerdings meist gescheiterten – Abwerbever51
(Deduktionsschrift:) Ein glaubwürdiges INSTRUMENTUM 1613, S. 187 bzw. 188. LEYSER 1853, S. 150, Anm. 8; das Original ist nicht erhalten, jedoch gilt der Autor als zuverlässig. 53 LHA Ko. Best. 39: Gerichtsbuch und AdEvK Boppard, Kirchenbuch der luth. Pfarrei Oberstein, Bd. 1. 54 LOCH 1974, S. 161. 55 LEYSER 1853, S. 137f., 151–156; Original nicht erhalten. 52
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suchen des Kurfürsten von Brandenburg, des Markgrafen von Baden, der Stadt Basel sowie immer wieder der Herzöge von Zweibrücken berichtet.56 Nachdem ein aus der Herrschaft Oberstein abgeworbener Achatschleifer Anfang des 18. Jahrhunderts in Zweibrücken gescheitert war, versuchte der kunstsinnige Herzog Christian IV. von Pfalz-Zweibrücken (1722, reg. 1735–1775) im Mai 1741 in einer gut vorbereiteten Nacht- und Nebelaktion gleich sechs Edelsteinfachleute, vier Achatschleifer, einen Achatbohrer und einen Goldschmied, mit Frauen und Kindern (zusammen 29 Personen57) mit großen Versprechungen aus Oberstein und Idar in sein Land zu locken. Doch auch diese spektakuläre Aktion brachte nicht den erhofften Erfolg. Der damalige Inhaber der Herrschaft Oberstein, Graf Christian Carl Reinhard von Leiningen-Heidesheim (1695, reg. 1717–1766) wandte sich wegen dieses gegen Zunft- und Landesgesetze verstoßenden »Menschenraubs« an das Reichskammergericht. Nach einer Entscheidung von Kaiser Karl VII. musste der Herzog bis 1746 alle seine wertvollen Fachkräfte wieder ziehen lassen.58 Sie wurden – bis auf den Goldschmied, dessen Gewerbe es ja praktisch überall gab und der als Geheimnisträger nicht gefährlich werden konnte – in der Herrschaft Oberstein wieder in Gnaden aufgenommen.59
7. Zusammenfassung Der kaiserliche Steinschneider Matthias Krätsch hatte unzweifelhaft in den Jahren 1589 bis 1602 einen stillen, aber wirksamen Anteil am Entstehen von Kunstwerken des Edelsteinschnitts für die Prager Sammlungen Kaiser Rudolfs II. Wenngleich sich seine individuelle Leistung dabei nicht messen lässt, so gilt dies zweifellos für die Erkundung und Beschaffung von Achaten und mit diesen verwandten Quarzen in der Markgrafschaft Baden und im Herzogtum Pfalz- Zweibrücken. Rudolf II. setzte seine leidenschaftliche Sammeltätigkeit ungebrochen bis zu seinem Tode fort. Der politisch bereits weitgehend entmachtete Herrscher fand 1612 seine letzte Ruhe in der Fürstengruft des St. Veits-Doms in Prag. Rudolf hat – bei aller Zwiespältigkeit seiner Persönlichkeit – den ihm von schmeichelnden Zeitgenossen verliehenen Titel eines Bewunderers, Freundes und Verehrers der Edelsteine, maximus admirator et amator gemmarum, verdient. 56
LOCH 1974, S. 162f. Errechnet anhand der Obersteiner und Idarer Kirchenbücher (AdEvK Boppard) unter Berücksichtigung der zum Zeitpunkt der Flucht noch lebenden Kinder. 58 ZINK 1931, S. 92. 59 BRANDT 1961, S. 76. 57
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Den Herren von Oberstein gelang es tatsächlich, ihr Schmuckgewerbe über Jahrhunderte hinweg nach außen gegen »Kunst- und Wirtschaftsspionage« weitgehend abzuschotten. Nach dem Sturz des Ancien Régime und dem Fortfall der vielen Grenzen im Heiligen Römischen Reich sollte sich die Idar-Obersteiner Schmuckindustrie später – trotz verschiedener Rückschläge – so gut entwickeln, dass sie zu Beginn des 20. Jahrhunderts Weltgeltung erlangte. Erst die Globalisierung der Märkte, die auch vor der Kunst und dem Kunstgewerbe nicht Halt machte, konnte diese deutsche Edelsteinmetropole schwer erschüttern. Als sich Jahrhunderte zuvor das KunstWeltzentrum Prag für (Idar-) Oberstein zu interessieren begann, war man dort zwar noch auf einem qualitativ und quantitativ niedrigen Stand. Trotzdem sind hier bereits um 1600 Kaiser Rudolf II. und sein Gesandter Krätsch an ihre Grenzen gestoßen.
Quellen (Deduktionsschrift:) Ein glaubwürdiges INSTRUMENTUM, Durch innvermeldeten NOTARIUM PUBLICUM (…), In Sachen MANDATI DE RELAXANDIS CAPTIVIS, ET DE NON OFFENDENDO: So sich am Keyserlichen Cammergericht streitig enthelt. Ex parte Deß Wolgebornen Philipps Frantzen von Dhun, Graffens zu Falckenstein vnnd Limburg, Herrn zum Oberstein vnd Bruch &c. CONTRA, Die Fürstliche Durchleuchtigkeit zu Lotharingen, Hertzog Henrichen, &c. Marchissen &c., o. O., 1613. Landeshauptarchiv Koblenz (LHA Ko.), Best. 39: noch ohne Sig.: Protokollbuch des Gerichts zum Oberstein Bd. I, 1505 ff., Best. 702 Nr. 8567–8569. Archiv der Evangelischen Kirche im Rheinland, Ev. Archivstelle Boppard (AdEvK Boppard), Kirchenbücher der evangel.-luth. Pfarrei Oberstein, Bd. I (1671–1748) und der luth. Pfarrei Idar, Bd. 2 (1717–1751). Landesarchiv Speyer (LA Sp.), Best. B 2 Nr. 520/1 u. Nr. 524,3. Österreichisches Staatsarchiv Wien, Haus-, Hof- und Staatsarchiv, (HHStA Wien) OMeA SR Kt. 184 sowie Habsburg-Lothringisches Hausarchiv, Hofakten des Ministeriums des Innern (HHStA Wien, Habsb.-Lothr. HA, Hofakten MdI): K. 12, Z1. 14 ex 1612, Allgemeines Verwaltungsarchiv sowie Reichskanzlei, Reichstaxbücher 1595–1603. Protestantisches Kirchenschaffnerei-Archiv Zweibrücken, (PKSCHA Zwbr.) VI., 3354.
Literatur BAMBAUER / GRUB 2005 – Die Edelsteinmine im Steinkaulenberg und die historische Weiherschleife in Idar-Oberstein. Ein Führer durch Europas einzige, zugängliche Edelsteinmine und die letzte Edelsteinschleifmühle am
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Idarbach (Red.: Hans Ulrich Bambauer und Adolf Grub), Idar-Oberstein 2005. BRANDT 1978 – BRANDT, Hans Peter (Hg.): Zur Geschichte des Bergbaus an der oberen Nahe, Idar-Oberstein 1978. BRANDT 1961 – BRANDT, Hans Peter: Das Zweibrücker Abenteuer der Obersteiner Achatschleifer 1741, in: Westrich-Kalender 1961, Heimatkalender für die Stadt und den Landkreis Zweibrücken, Neuwied 1961, S. 74–76. BRITZ 1956 – BRITZ, Karl Matthias: Zur Geologie von Oberkirchen und Umgebung, in: Der Aufschluß. Vom Hunsrück zum Westrich. Zur Geologie des oberen Nahegebietes um Idar-Oberstein, Sonderheft 3, 1956, S. 23–28. CHYTIL 1904 – CHYTIL, Karl: Die Kunst in Prag zur Zeit Rudolf II., Prag 1904. EID 1897 – EID, Ludwig: Der Hof- und Staatsdienst im ehemaligen Herzogtume Pfalz-Zweibrücken von 1444–1604, Speyer 1897. FISCHER 1971 – FISCHER, Walther: Kaiser Rudolf II., Mineraliensammler und Mäzen der Edelsteinbearbeitung, in: Der Aufschluß 22, Heft 1, 1971, S. 1–36. FISCHER 1970 – FISCHER, Walther: Zur Geschichte der Idar-Obersteiner Edelsteinindustrie, in: Der Aufschluß. Idar-Oberstein. Edelstein-Industrie – Geologie – Petrographie – Mineralogie und Lagerstätten im Bereich des SaarNahe-Gebietes, Sonderheft 19, 1970, S. 13–34. FISCHER 1957 – FISCHER, Walther: Die Vorgeschichte der Idar-Obersteiner Achatschleiferei, in: Heimatkalender des Kreises Birkenfeld. Heimatkundliche Beiträge zum Volkstum und zur Geschichte des Birkenfelder Landes, des Westrichs und des Glantales, Neuwied 1957, S. 163–171. HAUPT 2008 – HAUPT, Herbert: Kaiser Rudolf II.: Kunst, Kultur und Wissenschaft im Spiegel der Hoffinanz, Teil II: Die Jahre 1596 bis 1612, in: Jahrbuch des Kunsthistorischen Museums Wien 10, 2008, S. 227–399. HAUPT 2007 – HAUPT, Herbert: Das Hof- und hofbefreite Handwerk im barocken Wien 1620 bis 1770: Ein Handbuch (Forschungen und Beiträge zur Wiener Stadtgeschichte, Bd. 46), Innsbruck u. a. 2007. KAPPEL 1998 – KAPPEL, Jutta: Einige Nachrichten über Steinschneider in Dresden von der Mitte des 16. bis zum Ende des 18. Jahrhunderts, in: Dies. (Hg.): Deutsche Steinschneidekunst aus dem Grünen Gewölbe zu Dresden, IdarOberstein 1998, S. 59–72. KELLER 1934 – KELLER, August: Achatschleiferei bei Saarbrücken. Ein Beitrag zur Geschichte der deutschen Schmucksteinindustrie, in: Mitteilungen des Vereins für Heimatkunde im Landesteil Birkenfeld 8, 1934, S. 50–55. LEYSER 1853 – LEYSER, Johann Jacob: Zur Geschichte und Kunde des ehemaligen Nahe-Gaus, Birkenfeld 1853. LHOTSKY 1941–45 – LHOTSKY, Alphons: Festschrift des Kunsthistorischen Museums zur Feier des fünfzigjährigen Bestandes, Bd. 2: Die Geschichte der Sammlung, 1. Hälfte: Von den Anfängen bis zum Tode Kaiser Karls V., Wien 1941–45.
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II. Arbeitsfelder
DANICA BRENNER
Veit Stoß Schöpfer des Bamberger Altares Vertragsabschluss, Visiserung und Endprodukt 1. Vita Veit Stoß, einer der bedeutendsten Künstler der Spätgotik und beginnenden Renaissance, ist uns heute vor allem wegen seiner Tätigkeit als Bildschnitzer in Erinnerung geblieben. Er war jedoch auch als Maler, Stecher, Bildhauer und Architekt tätig, stellte Modelle für den Bronzeguss her und besaß Kenntnisse in der Goldschmiedekunst und der Konstruktion. Zudem besuchte der bereits bei Neudörfer1 genannte Künstler diverse Messen, gehörte einem Kreis schwäbischer Händler an und tätigte Investitionen im Tuchhandel.2 Veit Stoß wurde kurz vor 1450 wahrscheinlich in Horb am Neckar3 geboren. Zur Kindheit, Jugend und Ausbildung des Künstlers ist nichts bekannt, eine Wanderschaft in die Niederlande nicht nachweisbar. Die vermutete Ausbildungszeit in verschiedenen Städten im Schwabenland ist bislang nicht sicher belegt; ebenso nicht das genaue Datum der Zuwanderung des Künstlers nach Nürnberg, wo er wahrscheinlich in der Zeit um 1473 eingebürgert wurde. Zwischen 1475 und 1477 ehelichte er Barbara Hertz, das sechste Kind des Nürnberger Wirts Ulrich Hertz.4 Die erste urkundliche Nennung Veit Stoß’ belegt seine 1477 datierte Aufgabe des Nürnberger Bürgerrechts, die seiner Übersiedlung nach Krakau in Polen voraus ging, 1
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Johann Neudörfer war der erste Biograph Veit Stoß’, welchen er noch persönlich kennenlernte. Nach dem Tod des Bildhauers schrieb er dessen Lebensgeschichte gemeinsam mit weiteren Biographien von Künstlern und Handwerkern nieder, hier zitiert nach der Edition NEUDÖRFER 1875. – Den besten Einstieg zu Leben und Werk Stoß’ bietet der von KAHSNITZ 1985 hg. Tagungsband und der von KAHSNITZ 1983 hg. Nürnberger Ausstellungskatalog, zum Kontext auch BAXANDALL 1984. JAEGER 1958, S. 9, 13f., 55, 67, 79f. Als wichtigster Beleg dient der Eintrag seines Bruders Matthias in das Krakauer Stadtrechtsbuch am 22.12. 1482, welches ihn als aus Harow zugewandert festhält. Harow ist eine Schreibweise für Horb am Neckar; PRZYBYSZEWSKI 1985, S. 33, 35, 37. JAEGER 1958, S. 50f., 168–170.
Veit Stoß, Schöpfer des Bamberger Altares
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wo er bis Februar 1496 lebte.5 Dort trat er 1490 und 1494 als Bausachverständiger in Prozessen auf, beriet die Stadt in Architekturfragen und erhielt verschiedene Privilegien. Er war ein hoch angesehener Bürger und seit 1484 von der Stadtsteuer befreit. Aus geschäftlichen Gründen verließ er die Stadt kurzzeitig in den Jahren 1486 und 1488. Während aus den Jahren vor 1477 keine Werke des Bildhauers gesichert sind, führte er während seiner Zeit in Krakau zahlreiche Arbeiten aus und hatte dort vermutlich eine große Bildhauerwerkstatt. Wahrscheinlich durch Spekulationsgeschäfte mit Mineralien und Textilien gelangte Stoß zu beachtlichem Reichtum. Im Frühjahr 1496 kehrte er nach Nürnberg zurück und nahm dafür eine Konventionalstrafe für die Nichtausführung des Grabmals für Bischof Cresław Kuroswencki in Kauf. Zwischen dem 30. Januar und dem 27. Februar 1497 erwarb er für drei Gulden das Nürnberger Bürgerrecht. Nach dem Tod seiner ersten Frau im Juli 1496 heiratete er um 1497 Christine Reinolt, Tochter des verstorbenen Losungsschreibers Johann Reinolt. Sie brachte 200 Florin mit in die Ehe; Veit gab noch 300 Florin dazu. Insgesamt hatte er 13 Kinder; auf seinen Sohn Dr. Andreas Stoß wird noch ausführlicher einzugehen sein. In Süddeutschland tätigte Veit Stoß diverse Ewiggeldkäufe und galt bereits kurz nach seiner Ankunft in Nürnberg als wohlhabender Bürger, dessen Vermögen zwischen dem 7. und dem 23. März 1497 auf über 1.000 Gulden geschätzt wurde.6 Am 2. März 1499 erwarb der Künstler für 800 Gulden ein imposantes Wohnhaus in der Wundergasse. Es lag in dem Stadtteil, aus dem kurz zuvor die Juden vertrieben worden waren, und stammte aus dem Besitz des Juden Joël Mayer.7 Der Bildhauer bewohnte es bis zu seinem Tod, verschiedentlich beherbergte er dort auch Untermieter. Im Rahmen eines Prozesses des Bildschnitzers gegen Jacob Baner fälschte Stoß einen Schuldschein, was weitreichende Folgen haben sollte. Der Künstler hoffte auf diese Weise Geld wieder zubekommen, das er auf Baners Anraten hin in die Geschäfte des Tuchhändlers Hanns Starzedel investiert hatte, der wenig später Bankrott machte und aus der Stadt floh. 5
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Eine Notiz über seine Einbürgerung ist im Krakauer Stadtrechtsbuch aus dem Jahr 1477 nicht überliefert; PRZYBYSZEWSKI 1985, S. 33. Ein Handwerksmeister verdiente seinerzeit im Jahr zwischen 20 und 40, mit Glück 50 Gulden, der Nürnberger Stadtschreiber 200 Gulden; BAXANDALL 1983, S. 13. NEUDÖRFER 1547, S. 85f., und KOHN 1973, S. 299, bes. Anm. 15. Vermutlich lag das Eckhaus mit einer Seite an der Judengasse; vgl. dazu den Eintrag zu Veit Stoß im St. Sebalder Totengeläutbuch: Veit Stoß, bildschnitzer an der Judengaßen; BURGER 1972, S. 50. Der Kaufpreis war um die Hälfte höher als der Betrag, den Dürer 1509 für sein Wohnhaus gezahlt hatte; BAXANDALL 1983, S. 9. Siehe dazu auch den Beitrag zum Druckprivileg der Agnes Dürer in diesem Band.
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Baner hatte Stoß anscheinend zu dieser Investition geraten, um dafür von Starzedel einen Geldbetrag, den er selbst bei diesem angelegt hatte, wiederzubekommen. Die Schuldscheinfälschung flog auf und Stoß wurde nach kurzem Asyl im Karmeliterkloster der Stadt auf offener Straße verhaftet. Er gestand die Tat, auf die seinerzeit die Todesstrafe stand, ohne peinliche Befragung. Auf Fürsprache einflussreicher Nürnberger Freunde, des Bischofs von Würzburg und seines Schwiegersohnes Jörg Trummer aus Münnerstadt, und vielleicht auch wegen seiner Bekanntheit, entging Stoß der Hinrichtung und wurde stattdessen am 30. Dezember 1503 zur Brandmarkung beider Backen verurteilt. Vor dem daran anschließenden Zivilprozess wegen der nicht berechtigten Anklage Baners floh er zu seinem Schwiegersohn nach Münnerstadt, wo er während seines Aufenthaltes den Magdalenen-Altar Riemenschneiders fasste. Als er aufgrund von Unstimmigkeiten mit Trummer nach Nürnberg zurückkehrte, hatte er zur Strafe für sein unerlaubtes Fernbleiben vier Wochen Turmhaft zu erdulden. Auch musste er von nun an als Reaktion auf seine Flucht immer den Rat um Erlaubnis bitten, wenn er die Stadt auch nur kurzzeitig verlassen wollte. Als Folge des aus der Verhandlung resultierenden Verlusts an Ansehen und Ehre erhielt Veit Stoß jahrelang keine öffentlichen und kirchlichen Aufträge mehr. Hieraus ergaben sich wirtschaftliche Probleme, welche dadurch verstärkt wurden, dass er weder Lehrlinge noch Gesellen fand, die für ihn zu arbeiten bereit waren. Ob es ein offizielles Verbot des Rates gab, das dem Bildschnitzer verbot, Gesellen und Lehrlinge einzustellen und ihn somit zwang, zeitweise alle Aufträge eigenhändig auszuführen, ist unklar. Um sich Reputation zu verschaffen und seine Situation zu verbessern, erbat er von Kaiser Maximilian I. einen Gnadenbrief. Allerdings durfte dieser auf Erlass des Rates nicht öffentlich kund gemacht werden und blieb somit wirkungslos.8 Die Rechtsstreitigkeiten um den Rückerhalt der bei Starzedel investierten Summe zogen sich dessen ungeachtet bis ins Jahr 1527 hin. Aufgrund eines Missverständnisses überwarf sich Stoß in diesem Kontext mit den meisten seiner Freunde und Geschäftspartner, die ebenfalls bei Starzedel investiert und dadurch wie er finanziellen Schaden erlitten hatten. Des Weiteren kam es in der Folgezeit immer wieder zu Auseinandersetzungen mit dem Rat; verschiedene Ratsnotizen belegen, dass Stoß zeitlebens dessen Zustimmung brauchte, um die Stadt zu verlassen. Im März 1506 musste er beispielsweise nach Auseinandersetzungen mit dem Rat erneut ins Lochge8
Er erhielt den kaiserlichen Gnadenbrief vermutlich dank der Vermittlung seines Freundes Christoph Scheurl und seiner Verwandten am kaiserlichen Hof Peter und Antoni Stoß, die beide kaiserliche Sekretäre waren; JAEGER 1958, S. 86. Zum Gnadenbrief Maximilians I. und dem Verbot des Nürnberger Rates, diesen öffentlich zu verwenden, siehe PETZ 1889, Dok. 5765–5767 und Dok. 5776.
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fängnis. Kurz darauf gestattete man ihm dennoch den Besuch der Frankfurter Fastenmesse und am 4. Juni desselben Jahres ging die Erlaubnis des Rats ein, mit seiner Ware zur Messe nach Nördlingen zu ziehen. 1514 kam es erneut zu Auseinandersetzungen über die Herstellung von Bronzegüssen für das Grabmal Maximilians I. in der Innsbrucker Hofkirche.9 Erst allmählich ließ die Strenge der Rechtsauslegung nach, und Stoß durfte infolgedessen öfter im Stadtwald eine Linde schlagen, trat gelegentlich als Sachverständiger auf und erhielt die Erlaubnis, für seine Druckgraphiken einen Verkaufsstand an der Nürnberger Frauenkirche aufzustellen. Schließlich kam ihm der Rat hinsichtlich der Benutzung von Handwerkszeug, welches eigentlich nur ausgebildete Rotgießer gebrauchen durften, entgegen, da er dieses für die Herstellung der Bronzefiguren für das Grabmal Kaiser Maximilians I. benötigte.10 Auch seine geschäftliche Situation besserte sich wieder und er erhielt bedeutende Aufträge von den hochgestellten Patriziern; so fertigte er beispielsweise 1517 für Anton Tucher den Englischen Gruß für die Lorenzkirche an.11 Dennoch blieben Rechtsstreitigkeiten mit seinen Nürnberger Mitbürgern nicht aus und Stoß musste immer wieder Prozesse führen, um die Bezahlung seiner Arbeiten zu erreichen. Auch die rechtlichen Auseinandersetzungen mit Starzedel ließen ihm Zeit seines Lebens keine Ruhe und führten ihn 1526 bis nach Breslau, wo er sein veruntreutes Geld einklagen wollte. Aufgrund des Todes seiner Frau Barbara am 9. August 152612 musste er jedoch bereits vor Prozessbeginn nach Nürnberg zurückkehren. Stoß selbst verstarb sechs Jahre später. Ende des Jahres 1533 wurden für ihn in St. Lorenz und St. Sebald die Totenglocken geläutet. Das genaue Sterbedatum des Künstlers ist nicht bekannt. Der Bildschnitzer, der ein beachtliches Alter erreichte, wurde auf dem Johannesfriedhof in Nürnberg beigesetzt. Als Testamentsvollstrecker traten sein Sohn Willibald sowie Kaspar Schmidt und Hans Aschauer auf. Alle Geld- und Festwerte zusammengerechnet, darunter auch verschiedene noch in der Werkstatt 9
JAEGER 1958, S. 79f.; PETZ 1889, Dok. 5770 und 5771. Stoß hatte zuvor Formen für den Bronzeguss hergestellt, die Gussarbeiten jedoch nicht ausführen können da sie zum Aufgabenbereich der Rotgießer gehörten. Zudem wurde ihm untersagt, Gießer für die Arbeiten hinzuzuziehen, weswegen die von ihm für den Guss vorbereiteten Tonformen ungenutzt austrockneten. Der später erreichte Kompromiss, die Formen selbst auszugießen, stellt eine Ausnahme vom Nürnberger Handwerksrecht dar; PETZ 1889, Dok. 5799–5803. 11 MACKENZIE 1993. 12 Nach dem Tod seiner Frau versiegelte der Rat in Abwesenheit von Veit Stoß das Haus bis zu dessen Rückkehr und verfügte die Inventarisierung seiner Güter durch den Stadtrichter; LOßNITZER 1912, S. 158, und NEUDÖRFER 1547, S. 95–97. 10
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befindliche Arbeiten, hinterließ Veit Stoß ein Erbe von circa 8.000 Gulden, was ihn zu dem reichsten unter den Nürnberger Künstlerkollegen machte. Vermutlich aufgrund der vielen gerichtlichen Auseinandersetzungen, die er immer wieder anstrebte, um zu seinem Recht zu kommen, wird Stoß im alphabetischen Namensregister des Nürnberger Rats von 1506 als Veit Stoß ein unruwiger haylosser burger, der einem erbern Rat und gemainer statt vil unruw gemacht hatt13 charakterisiert. Das beständige Beharren auf seinem Recht lässt sich auch anhand des hier vorgestellten Dokumentes nachvollziehen, welches die Bestellung eines Schnitzaltares niederlegt und in der Folge Anlass zu Rechtsdisputen geben sollte, die Veit Stoß sein Leben lang beschäftigten.
2. Quelle Vertrag vom 13. Juli 1520 zwischen Veit Stoß und Dr. Andreas Stoß, Prior des Nürnberger Karmeliterklosters und Sohn des Bildhauers, zur Herstellung eines Schnitzaltares für die dortige Karmeliterkirche. Nürnberger Staatsarchiv, Reichstadt Nürnberg, Ratskanzlei, A-Laden Akten, 184 Nr. 21, fol. 18r. Die Transkription wurde anhand des Originals vorgenommen und von Franz Irsigler korrigiert; siehe auch den Abdruck bei LOßNITZER, Max: Veit Stoß. Die Herkunft seiner Kunst, seine Werke und sein Leben, Leipzig 1912, S. 61f. Wir brüder Andreas Stoeß doctor unnd Prior mit sambdt dem gantzen Conuent des ordens vnser lieben Frawen bruder vom Berg Carmelj genant, gelegen in Nurenberg, Bekennen offentlich mit diesen brieff vnd mit diser gegenwertiger schrifft, das wier den Ersamen mayster Veyttenn Stoeß Bildtschnitzer, haben angedinget, vnd werding, vnns zu machen ein tafell von holtz auff vnseren Choraltar / an die verfassung vmb vierhundert flore Reynisch / Die selben tafel soll er vns machen / so im got verleyhen wirdt das leben von datum dieses brieffs In dreyen iaren / vnd auff soll setzen, wie dan handtwerg recht innen helt, vnd er uns versprochen hat / sein möglichen vleyß dar mit wil braüchen / Besser wil machen / vnd gemacht soll werden weder die obgemelt Summa dar vmb ist lautten vnd was wir im seind vnd werden anzeygen das mit steht in der Fisirung wil ers vns machen 13
MACHILEK 1985, S. 21; das Dokument liegt ihm zufolge heute im Staatsarchiv Nürnberg: Reichsstadt Nürnberg, Ratsbücher, Nr. 8, fol. 33.
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nach vnseren begern, vnd die bilder sollen in der Tafel gantz geschnitten seyn vnd werden vnd in aüßzug, die vier materie an flügeln inwenig vnnd auswendig sollen auch geschnitten seyn Flach oder wol erhebt. Die andern flugel vngeschnitten, / vnd der fueß soll auch geschnitten seyn mit gantzen bildern mit sambdt flugeln die man zu wirt thuen dar mit. Vnd was obgenant mayster Veytt besser wirdt machen / wollen wir mit Im vber eyn kummen. Vnd ist zwischen vns vnd Mayster Veytten also gemacht worden der zalung halben, / das wier auff Margarethe Im summer vor ader dar nach acht tag, sollen alle iar geben 50 flore, biß im die egenandt summa wirt betzalt. Deß hat sich Mayster Veydt verwilliget / vnd verwilligd. Doch das dar bey gemeldet. So got vber in gebüdt, das er mit todt soldt abgeen, will er anzaygen was ein itzliche materie werd sein, die gemacht sein. Soll man im abschlahen an der Summa die er von vns entpfangen hat, vnd entpfahen soll; das vberig sollen wier widerümb entpfahen, Vnd was Iit durch in gemacht wirt, will er aüch antzaigen, was man soll einem geben, der die Tafel follend verstrecke vnd mach nach seinem todt. Deß zu warer vrkundt vnd sicherheit haben wier aüffgericht disen brieff vnd schrifft verzeichnet mit außschneydung aüff beden seytten vnd Igliche parthey einer der andern geben hat den brieff mit yeren aüffgetruckten bethschofftn dar vnter, Das Closter vnter seinem Priorat sigell vnnd Mayster Veyt mit seinem bethschofftn. Des Mayster Veytten hat das Closter genummen zu seinen handen Vnd mayster Veyt des Closters zü seinen handen. Datum an sandt Margarethen iunckfraüen vnnd marterin tag Im 1520. (Übertragung ins Neuhochdeutsche) Wir, Bruder Andreas Stoß, Doktor und Prior, mitsamt dem ganzen Konvent des Ordens unserer lieben Frau, Brüder vom Berg Karmel genannt, gelegen in Nürnberg, bekennen öffentlich mit dieser Urkunde und mit dieser gegenwärtigen Schrift, dass wir den ehrsamen Meister Veit Stoß, Bildschnitzer, beauftragt und verdingt haben, uns eine Tafel14 aus Holz auf unserem Choraltar an die Fassung zu machen für vierhundert rheinische Gulden. Diese Tafel soll er uns, sofern ihm Gott das Leben erhalten wird, in drei Jahren vom Datum dieser Urkunde [gerechnet], machen und [auf den Altar] aufsetzen, wie es dann Handwerksrecht beinhaltet, und er uns versprochen hat, seinen ihm möglichen Fleiß dafür einzusetzen und es besser machen will und gemacht werden soll für die oben genannte Summe, die dafür festgesetzt ist. Und was wir ihm sagen und anzeigen werden, das mit in der Visierung steht, will er uns machen nach unseren Wünschen, und die Bilder 14
Der Begriff tafel wurde häufig auch, wie im hier vorliegenden Fall, für den ganzen Altaraufsatz verwendet.
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sollen in der Tafel ganz [vollplastisch] geschnitzt sein und werden sowie im Auszug15. Die vier Themen (Materien, Bildinhalte) an den Flügeln sollen innen und außen auch flach oder wohl erhaben geschnitzt werden.16 Die anderen Flügel [sollen] nicht geschnitzt und die Predella [der fueß] soll auch mit ganzen Bildern geschnitzt und mit Flügeln [versehen] sein, mit denen man sie verschließen kann. Und was obengenannter Meister Veit besser machen wird, [darüber] wollen wir mit ihm übereinkommen. Und es ist zwischen uns und Meister Veit folgendes vereinbart worden bezüglich der Zahlung: Dass wir [ihm] acht Tage vor oder nach Margarethe im Sommer jedes Jahr 50 Florin geben, bis die vereinbarte Summe bezahlt ist. Dem hat Meister Veit zugestimmt und ist damit einverstanden. Doch dazu sei folgendes angemerkt: Wenn Gott so über ihn gebietet, dass er [Veit] mit dem Tod abgehen sollte, will er angeben, was jedes Werkelement, das er bis dahin geschafft hat, wert ist. Das soll man abziehen an der Summe, die er von uns empfangen hat und empfangen soll, den Rest sollen wir wiederum erhalten. Und was nicht durch ihn angefertigt wird, will er auch angeben, und was man demjenigen geben soll, der die Tafel vollendet und fertig macht nach seinem Tod. Zu wahrer Urkunde und Sicherheit dessen haben wir diese Urkunde und Schrift ausgefertigt mit Kerbschnitt auf beiden Seiten und jede Partei hat der anderen die Urkunde ausgehändigt mit ihren aufgedrückten Siegeln darunter, das Kloster unter dem Prioratssiegel und Meister Veit mit seinem Siegel. Des Meister Veits (gesiegelten Brief) hat das Kloster in seine Hände genommen und Meister Veit nahm das [Exemplar] vom Kloster an sich. Gegeben am Tag der Heiligen Jungfrau und Märtyrerin Margarethe [13. Juli] im Jahr 1520.
3. Kontextualisierung Der Vertragsabschluss zwischen Veit Stoß und dem Nürnberger Karmeliterkonvent erfolgte am 13. Juli 1520, dem Tage der Heiligen Margarete. Noch im selben Jahr begann der Meister mit der Schnitzarbeit am Altar. Thema des hier besprochenen Dokuments ist seine offizielle Beauftragung mit der Herstellung eines Marienretabels für den Hochaltar des nürnberger Karmeliterklosters. Der Konvent wurde dabei rechtlich vom Sohn des be-
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Als Auszug (oder Gesprenge) bezeichnete man den Altaraufsatz, das Schnitzwerk oberhalb des Schreins. 16 Geschnitzte Figuren konnten pild, snedenes, erhebtes pild, Schnitzwerkreliefs flachwerk, platwerk, parcken, ausgeschnittenes, flachgeschnittenes stuck, stuckwerk, oder ebenfalls erhebtes pild genannt werden; HUTH 21967, S. 51, 98f., Anm. 120.
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auftragten Nürnberger Bildschnitzers, Prior Dr. Andreas Stoß, vertreten.17 Zur Zeit des Vertragsabschlusses zu dem später nach Bamberg verkauften Altar (daher „Bamberger Altar“) gab es für Bildschnitzer eine Vielfalt an Aufgabenbereichen wie Reparaturarbeiten, Farbfassungen und die Anfertigung von Alltagsgegenständen. Neben der Produktion einfacher »Fließband-Madonnen«, die von geringerer Qualität waren und gern an Pilger verkauft wurden und der Vorab-Produktion für den Markt fertigten sie vor allem Auftragsarbeiten an. Deren Bildprogramm entstand im Dialog von Auftraggeber und Künstler und wurde in Form eines Vertrages fixiert, dessen Einhaltung einklagbar war. Denn der Künstlervertrag war eine rechtliche Vereinbarung, die von keiner der beiden Parteien alleine gelöst werden konnte. Im Vergleich zu der hohen Zahl der erhaltenen Kunstwerke ist nur eine geringe Zahl dieser sogenannten Werkverträge auf uns gekommen; allerdings sind bei den Schnitzaltären noch relativ viele Exemplare erhalten geblieben. Verträge, auch in schriftlicher Form, regelten im Mittelalter fast alle Produktions- und Bearbeitungsprozesse: Über die Herstellung von Orgeln, Altarbildern, Glasfenstern, Grabsteinen und vielem mehr bis hin zur Reparatur und Reinigung von Kleidungsstücken gab es Verträge, die durch die Übergabe des zu bearbeitenden Materials besiegelt wurden. Bezahlt wurde erst, wenn die Arbeit komplett vollendet war. Ein wichtiger Bestandteil solcher Verträge war die Übergabe des Zeugs, also des Arbeitsmaterials, an den Handwerker; bei Vertragsabschlüssen zwischen Künstlern und Auftraggebern war dies jedoch ausgesprochen selten. Nach Abschluss der Auftragsvergabe erfolgte meist ein gemeinsamer Umtrunk. Der frühneuzeitliche Werkvertrag stammt vom römischen Vertragswesen ab. Dabei gab es verschiedene Begrifflichkeiten von Verträgen: Im römischen und gemeinen Recht nannte man Verträge im engeren Sinn contractus, Verträge im weiteren Sinn conventio oder pactum.18 Neben dem stipulation genannten mündlichen Vertragsabschluss, bei dem der Dienstleister auf Anfrage hin verspricht, in Zukunft ohne Vorbehalte die besprochene Leistung zu erbringen, gab es auch noch verschiedene Arten von Konsensual-, Litteral-, Verbal- und Realkontrakten.19 Im Mittelalter ist der mündliche Vertragsabschluss analog zum römischen verbalen Vertrag zu denken. Bei vielen kleineren Künstlern und Handwerkern erfolgte der Ver17
Die Forschungsgeschichte zum Bamberger-Altar und dessen Quellen wird von HAUSSHERR 1985 zusammengefasst; zu Dr. Andreas Stoß siehe auch SCHAFFER 1926. 18 WEIMAR 1997, Sp. 1587. 19 Ein Konsensualkontrakt stellt einen Vertragsabschluss durch Konsens dar; ebd., Sp. 1588.
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tragsabschluss auf diese Art.20 Auch ein Realvertrag oder eine kurze Notiz kleinerer Aufträge im Geschäftsbuch des Auftraggebers oder im Auftragsbuch des Künstlers ist zur Fixierung der Auftragserteilung denkbar. Der bereits kurz angesprochene Typ des Realvertrags, der mit der Übergabe des zu bearbeitenden Materials geschlossen wurde, war im Mittelalter eine gängige Art des Vertragsabschlusses. Später wurde die Materiallieferung häufig durch eine erste Anzahlung, den so genannten Gottespfennig21 ersetzt. Diese Tradition war im nordalpinen Raum stärker vertreten als im Süden.22 Dem Realvertrag stand der Formalvertrag gegenüber, der oft in schriftlich ausformulierter Form vorlag. Dort verspricht der Vertragsnehmer oder Schuldner das Erbringen einer verabredeten Leistung wie beispielsweise die Herstellung eines Kunstwerkes. Von diesem Vertragstyp, zu dem auch das vorliegende Dokument zu rechnen ist, sind verschiedene Arten überliefert. Eine Form ist der Notarsvertrag. Er wurde nach genauen Vorgaben vom Notar aufgesetzt, war formal präziser als ein von Laien ausgearbeiteter Vertrag und bedurfte außer dem Notariatssiegel und der Unterschrift des Notars keiner weiteren Authentifizierung. Wenn kein Notar zur Aufsetzung des Vertrags hinzugezogen wurde, wurde das Dokument hingegen von einem Schreiber oder einer oder beiden beteiligten Parteien formuliert, wobei in letzterem Fall jeder Vertragspartner einen Teil des Dokumentes schrieb. Diese privat aufgesetzten Formalverträge waren anders als die beim Notar geschlossenen Dokumente meist durchgehend in der Volkssprache verfasst und enthielten im Gegensatz zum Notarsvertrag keine lateinischen Formeln. Es handelte sich bei ihnen meist um einzelne Blätter, die teilweise später mit anderen Papieren zusammen gebunden wurden. Häufig fertigte man auch Kopien der Verträge an, die dann beispielsweise in Kirchenbüchern, Stadt- oder Schöffenbüchern oder Notariatsregistern bewahrt wurden. Es kam auch vor, dass sowohl ein selbst geschriebener als auch ein notarieller Vertrag mit gleichem Inhalt abgeschlossen wurden, wobei der Text der beiden Dokumente nicht zwingend identisch war. Der Großteil der aus dem nordalpinen Raum überkommenen Verträge ist wie das hier behandelte Dokument dem auch per chartam oder Charta genannten Typus des handgeschriebenen Formalvertrages zuzurechnen, der nicht beim Notar aufgesetzt wurde. Der Formalvertrag enthielt ein Eröffnungs- und ein Schlussprotokoll, welche ihm Rechtsgültigkeit verliehen. Im Eröffnungsprotokoll wurden 20
GLASSER 1977, S. 8–10. Auch aarr oder arrha genannt; ebd., S. 18. 22 Ebd., S. 18f.; HUTH 21967, S. 24f. 21
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Datum, Ort und die genauen Angaben zu den Vertragspartnern festgehalten. Diese umfassten für den Auftraggeber dessen vollen Namen, seinen Titel und seine genaue Berufsbezeichnung oder öffentliche Stellung. Handelte es sich bei dem Auftraggeber um eine Gruppe von Personen, was bei größeren Aufträgen häufig vorkam, wurden oft alle Mitglieder des für den Vertragsabschluss von der Gruppe gewählten Auftraggeberkomitees genannt. Auch konnte eine Auftraggeberinstitution wie ein Kloster, eine Gilde oder Zunft jemanden aus ihrer Mitte bestimmen, dessen Autorität als Auftraggeber dann im Vertrag festgehalten wurde und der im Namen aller den Vertrag mit dem Künstler abschloss.23 So ist es auch im Fall des vorliegenden Dokuments, wo Prior Andreas Stoß im Auftrag des Karmeliterkonvents handelte. Zum Auftragnehmer wurden neben seiner genauen Berufsbezeichnung als Künstler ebenfalls sein Name und Titel, in Italien gelegentlich auch der des Vaters und Großvaters, sowie sein Herkunftsort oder aktueller Wirkungsort aufgeführt. Anschließend werden im Eröffnungsprotokoll die Namen der Bürgen, der sogenannten tröster, und der Zeugen genannt. Die zu Beginn des germanophonen Vertrages häufig auftretende Formulierung, dass Kraft des vorliegenden Vertrags, dem so genannten geding, der als fürgedinger bezeichnete Arbeitnehmer einen fürgriff wirke oder ein Werk annehme und somit vom Auftraggeber gedinget oder angedinget werde oder geworden sei, gibt den oft überkumung, tänding oder andingung24 genannten Vertragsabschluss als solchen wieder und leitet zum eigentlichen Inhalt des Vertrages über. Die ebenfalls häufig auftretende Formulierung alls getrewlich und on gewert verdeutlicht den starken sittlichen Standpunkt der Zeit und könnte ein Überbleibsel des früher eingeführten Versprechens der guten Absichten der Vertragspartner sein. Der Vertrag ist somit nach Treu und Glauben erfolgt; nicht gerechtfertigte Einwände sollen entkräftet sein und versehentlich im schriftlichen Vertrag vergessene Absprachen trotzdem Gültigkeit behalten und Umsetzung finden. Oft wurde auch eine Konventionalstrafe für den Fall vereinbart, dass der Künstler seinen Teil des Vertrages nicht einhielt.25 Im Anschluss an die Nennung der Vertragsparteien wurden im Hauptteil des Vertrages die Richtwerte für die Herstellung der Werke festgelegt, auf welche noch genauer eingegangen wird. Das Schlussprotokoll umfasste nochmals die Nennung aller anwesenden Personen, des Ortes und die Authentifizierung des Dokuments. 23
GLASSER 1977, S. 28–30. Für alle Begriffe zum Vertragsabschluss siehe HUTH 21967, S. 23, 25. 25 HAGEMANN 1997, Sp. 1588–1590; auch Veit Stoß musste einmal eine solche Konventionalstrafe zahlen. 24
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Die Vertragsbestimmungen, welche die detaillierten Vorgaben des Auftraggebers für den Künstler formulierten, machten den größten Teil des Dokumentes aus. Sie enthalten so exakt wie möglich die Angaben zur Vorgehensweise und dem herzustellenden Gegenstand. So wurden bei Verträgen zur Herstellung von Altären häufig die Darstellung im Mittelschrein inklusive der Anzahl der dort anzubringenden Figuren, die Themen der Innen- und Außenflügel, die Namen der Heiligen im Auszug sowie der Inhalt der Predella genauestens festgelegt. Während bei den frühesten Verträgen diese Angaben zum Bildgegenstand schriftlich festgehalten oder im Vertrag deren mündliche Übermittlung bestimmt wurde, bezog man sich später häufig auf ein Referenzwerk oder eine Zeichnung. Da auch für den Vertrag von 1520 eine solche Visierung die Basis bildete, wurden die Themen der Reliefs und Details des Bildprogramms nicht explizit im Vertrag aufgeführt, sondern man nahm dort lediglich auf die Technik der Ausführung Bezug. So hält der Nürnberger Vertrag fest, dass Stoß die Bildwerke der Mitteltafel und des Altaraufsatzes vollplastisch ausführen und die mit Flügeln zu versehende Predella ganzfigurig ausarbeiten sollte. Die Innenseiten der Flügel waren als Hochrelief, die Flügelaußenseiten als Flachrelief zu gestalten, während die Standflügel ungeschnitten, also glatt bleiben sollten. Vielleicht war geplant, sie zu einem späteren Zeitpunkt bemalen zu lassen. Das ikonographische Programm des Altares wird im Gegensatz zur Ausführung nicht genauer beschrieben und wurde anscheinend durch die beigefügte Visierung fixiert. Dadurch unterscheidet sich der hier behandelte Vertrag von einer Vielzahl anderer Verträge, in denen das Thema zumindest in groben Zügen schriftlich festgehalten wurde. Für die hier unter Bezugnahme auf die bekannte Literatur Visierung oder Vertragszeichnung genannten Graphiken ist kein allgemeiner präziser Begriff aus der Zeit der Renaissance überliefert. Die zuvor nur selten Erwähnung findenden Vertragszeichnungen traten erst nach 1450 immer häufiger auf und wurden in über einem Viertel der erhaltenen Verträge, besonders bei solchen zur Erstellung von Altarbildern, explizit erwähnt. Ob jedoch bei jeder Altarbestellung zwangsläufig eine Visierung angefertigt wurde, ist bislang umstritten. Die Fälle, in denen wie bei dem hier vorgestellten Vertrag sowohl die zugehörige Visierung als auch der nach ihr gefertigte Altar auf uns gekommen sind, sind sehr selten.26 Der zeichnerische Entwurf entstand, nachdem das Aussehen des zu erstellenden Werkes zwischen Künstler und Auftraggeber abgesprochen worden war. Dem Ideenaustausch zwischen beiden Parteien kam dabei während des gesamten Prozesses des Ver26
O’MALLEY 2005, S. 197; Beispiele von Visierungen finden sich bei HUTH 21967, S. 91, Anm. 41 und S. 94f., Anm. 75.
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tragsabschlusses und der Umsetzung eine elementare Rolle zu. Teilweise wurden im Vorfeld der Verhandlungen gleich mehrere Zeichnungen an den Klienten ausgehändigt, damit dieser sie in Ruhe betrachten und sich für einen der Vorschläge entscheiden konnte. So wurden zum Beispiel bei Altarzeichnungen oft beide Seiten des Altares mit unterschiedlichen Verzierungen und Ornamentik gezeichnet, um Auswahloptionen anzubieten. Anschließend wurden die Zeichnungen während diverser Treffen von Auftraggeber und Künstler noch einmal diskutiert und schließlich Bestandteil des Vertragsabschlusses. Die Visierung wurde hierbei von beiden Parteien einstimmig vereinbart und war in der Folge streng bindend. Zusätzlich wurde im Vertrag meist das Verbot festgeschrieben, etwas von der Visierung abzubrechen, also Änderungen vorzunehmen. Des Weiteren findet sich in den Verträgen oft ein Passus, welcher erklärt, dass die Vertragszeichnung alle wichtigen Aspekte des Werkes zeigt, welche der Künstler zu beachten habe. Um die Einhaltung sicher zu stellen, wurde die Zeichnung teilweise besonders beurkundet oder nach der Vollendung des Stücks noch einmal offiziell mit diesem abgeglichen. Die Vertragszeichnung hielt also die Vorgaben des Auftraggebers zu Bildinhalt und -komposition fest. Sie bildete zu diesem Zweck den Altar mit Figuren, Hintergrund und architektonischem Dekor ab. Dabei ging es in erster Linie um eine ungefähre Darstellung des geplanten Produktes; es handelte sich um einen Entwurf, der trotz aller bindenden Festschreibungen im Detail noch abgeändert werden konnte. Die Visierung zum Bamberger Altar legte beispielsweise sein Bildprogramm fest und zeigt die ursprünglichen Pläne von Auftraggeber und Bildschnitzer zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses im Jahr 1520.27 Sie befindet sich heute im Museum der Jagiellonen-Universität in Krakau und stellt einen der äußerst seltenen Fälle dar, in dem sowohl der Vertrag und die zugehörige Zeichnung als auch das nach ihnen gefertigte Produkt den Lauf der Zeit überstanden haben. Die vom Künstler eigenhändig gefertigte Reinzeichnung misst 45,5 x 33 cm. Sie wurde mit Feder auf Papier ausgeführt und ist sehr genau mit Zirkel und Lineal gearbeitet. Der Maßstab der Zeichnung zum Altar liegt im Verhältnis zwischen 1 : 15 und 1 : 20.28 Visierungen wurden nicht nur für die Altarproduktion verwendet, sondern konnten in allen Größen und für alle möglichen Produkte angefertigt werden, beispielsweise für Goldschmiedearbeiten. Meistens handelte es sich bei den auf Papier (seltener auf Pergament) gefertigten Graphiken um 27 28
KAHSNITZ 1986. Die Maßstäblichkeit solcher Zeichnungen (Visierungen) unterstützt heutige Rekonstruktionsversuche, siehe TACKE 2006.
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kleinformatige und somit gut transportable Zeichnungen auf einem Blatt. Diese Visierungen waren immer von hoher Qualität. Zum Teil sorgfältig koloriert konnten sie in seltenen Fällen auch schriftliche Notizen aufweisen und wurden manchmal vom Künstler signiert. Typische Kennzeichen der Altarrisse sind solche Spuren, die auf eine Benutzung innerhalb der Werkstatt schließen lassen, wie Nagellöcher, Flecken und dergleichen. So liegt die Vermutung nahe, dass die meisten Visierungen nach Vertragsabschluss wieder an die Künstler zurückgegeben wurden, damit diese sie als Vorlage für die Herstellung des Altares benutzen konnten.29 Hierbei ist zu beachten, dass verschiedene Arten von Visierungen angefertigt wurden, die unterschiedlich zum Einsatz kamen. So gibt es Altarrisse, die grob die Gesamtkomposition und den Grundaufbau des Altares wiedergeben. Zu dieser Art von Visierungen gehört der größere Teil der erhaltenen Risse, und die Verträge, die ihnen zugrunde lagen, beschränkten sich fast immer auf ein kurzes Ansprechen des Bildprogramms und den Hinweis auf die Visierung selbst. Die Zeichnung hingegen schildert den Aufbau und die Komposition des herzustellenden Produktes und legte somit den Bildgegenstand fest. Auch die Visierung zum Vertrag des Veit Stoß mit den Karmelitern ist eine solche Kompositionszeichnung. Eine detailliertere Ausarbeitung der Vertragszeichnung war aufgrund der werkstattinternen Arbeitsprozesse, außer für die Betrachtung durch den Auftraggeber, für die Herstellung unnötig. Die Zeichnungen dienten auch zur Visualisierung des in Auftrag gegebenen Projektes für den Auftraggeber. Daher wurden meist diejenigen Teile des Altares ausführlicher gezeichnet, welche von besonderer Bedeutung für den Auftraggeber waren. Hierzu zählt insbesondere der Altarschrein, während die Predella meist nur in ihren Proportionen dargestellt und auf eine Präsentation ihres Inhaltes verzichtet wird. Beim Vergleich des Bamberger Altars mit dem zugehörigen Vertrag und der Visierung fallen trotz der mehrfach betonten Bindung des Künstlers an Vertrag und Zeichnung mehrere Abweichungen auf. Beispielsweise unterscheidet sich die Ausführung der Anbetung des Jesuskindes im Mittelschrein von der Darstellung dieser Szene in der Visierung. Auch ist die Predella in der Visierung in einfacher flügelloser Ausführung dargestellt, obwohl sie laut Vertrag mit Flügeln versehen sein sollte. Diese Unterschiede lagen einerseits in der Arbeitsweise der Werkstätten selbst begründet, konnten andererseits aber auch darauf zurückzuführen sein, dass Detailfragen erst nach Vertragsabschluss verbal geklärt und somit häufig noch Planänderungen vorgenommen wurden. Wahrscheinlich wurde auch deshalb im 29
Die Cranach-Werkstatt fertigte indes bei einem Großauftrag eine flüchtiger gezeichnete Kopierserie der Visierungen für den Werkstattgebrauch an; siehe TACKE 1994.
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Vertrag der Zusatz eingefügt, dass Änderungswünsche des Konvents trotz Visierung umgesetzt werden mussten. Alle weiteren Abweichungen von der Zeichnung, welche vom Künstler vorgenommen wurden, sollten ebenfalls mit den Karmelitern abgesprochen werden. Die Visierung gibt nur die Festtagsseite des Altares wieder und bietet somit keinerlei Anhaltspunkte für die Rekonstruktion der Flachreliefs an den Flügelaußenseiten. Neben den ästhetischen Gesichtspunkten machten technische Vorgaben einen Großteil des Vertrages aus. So wurden die Größe des Altares und des Aufbaus sowie seine Anpassung an den Aufstellungsort fast immer vertraglich geregelt. Angaben über die Art der Bemalung, die Farbigkeit und gegebenenfalls die Versilberung bzw. Vergoldung waren, falls Farbigkeit gewünscht wurde, ebenso immer Bestandteil des Vertrags. Dabei wurden aus Gründen der Qualitätssicherung meistens genaueste Vorgaben zur Verwendung nur der edelsten Materialien gemacht. Eng damit im Zusammenhang steht das Festschreiben einer Garantiezeit, in welcher der Künstler für die Reparatur aller anfallenden Schäden verantwortlich war. Solch eine Garantie wurde nur manchmal explizit vertraglich vereinbart; sie konnte ein bis zehn Jahre betragen. Sie war häufig einklagbar, auch wenn sie nicht schriftlich fixiert worden war, und kann somit als ein nicht zwingend zu artikulierender Bestandteil eines jeden Künstlervertrages angesehen werden. Mängel, die innerhalb dieser Frist eintraten, hatte der Künstler kostenlos auszubessern, eine Pflicht, die teilweise auch auf seine Erben übergehen konnte. Auch beim Transport anfallende Schäden musste der Hersteller unentgeltlich beheben. Um die Qualität des Endprodukts so weit wie möglich abzusichern, konnte auch die Eigenhändigkeit des Meisters für das ganze Werk oder Teile desselben vereinbart und damit die Mithilfe von Lehrlingen und Gesellen ausgeschlossen werden. Teilweise wurde dem Künstler sogar vertraglich untersagt, während der Herstellungszeit ohne die Zustimmung des Auftraggebers zusätzliche Arbeiten anzunehmen. Fester Bestandteil aller Verträge war zudem immer die Festlegung eines Zeitlimits, innerhalb dessen das Werk fertig gestellt werden sollte. Dieses wurde meist schon im Eröffnungsprotokoll des jeweiligen Vertrages fixiert. Die Herstellungsfrist konnte unterschiedlich lang sein und betrug bei Schnitzaltären meist ein bis zwei, beim Bamberger Altar drei Jahre. Obwohl die festgesetzte Arbeitsdauer meist überschritten wurde, wurden fast nie Sicherheiten für die Fristeinhaltung gefordert und nur selten mit Nachdruck auf eine fristgerechte Lieferung gedrängt. Die Zahlungsbestimmungen waren ein weiterer wesentlicher Bestandteil jeden Vertrages: Für den italienischen Raum ist dabei überliefert, dass der Unterhalt des Künstlers sowie die Kosten für das Material, soweit vertraglich nicht anders festgelegt, im Lohn enthalten waren und nicht eigens im
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Vertrag aufgeführt wurden. Während das für die Ausführung nötige Arbeitsgerät zur Werkstatteinrichtung gehörte und folglich nicht vom Auftraggeber finanziert wurde, stellte dieser in manchen Fällen einen Teil der Arbeitsmaterialien.30 Die Bezahlung erfolgte nur selten anhand eines Zeitlohns oder nach Quantität. In der Regel gab es einen Stücklohn, der maßgeblich von der Qualität der Arbeit abhängig war. Der zu zahlende Betrag schloss dabei, von oben genannten Materiallieferungen abgesehen, in der Regel immer die Materialkosten mit ein. Manchmal erfolgten Sonderzahlungen für besondere Kunstfertigkeit in der Ausführung, besonders kostbare Materialien oder gestiegene Materialkosten oder ein weiterer Vorschuss wurde geleistet. Verschiedene Lohnarten fanden hierbei Anwendung: So gab es neben dem vorab festgesetzten und unveränderlichen Lohnsatz auch den sogenannten gleitenden Lohnsatz. Dieser sollte auch beim Vertrag von Veit Stoß mit den Karmelitern zur Anwendung kommen. Dabei wurde vorab eine bestimmte Summe festgelegt, die je nach Qualität der Arbeit erhöht oder vermindert werden konnte. Diese Entlohnung, bei der ein Gutachterurteil über die endgültige Höhe der Bezahlung entschied, war die vorherrschende Zahlungsart, da sie dem Auftraggeber eine gewisse Qualitätssicherheit bot. Der gleitende Lohnsatz konnte unterschiedlich ausgeführt werden. Die genaue Festlegung des zu zahlenden Betrages erfolgte innerhalb eines zuvor vereinbarten Rahmens. Das bindende Preisurteil wurde vermutlich von einer Beschauungskommission aus mehreren Männern unter einem Obmann gefällt, die auch im Streitfall, etwa bei mangelnder Qualität des Produktes, zum Einsatz kam. Eventuell konnte für diesen Fall bereits im Vertrag eine Person festgelegt werden.31 Ebenfalls im Kontext der Qualitätssicherung zu denken ist die Praxis, dass ein Werk, das in der Ausführung als minderwertig eingestuft wurde, vom Künstler nachgebessert werden oder dieser einen Preisnachlass gewähren musste, was der Auftraggeber unabhängig vom Vertrag einklagen konnte. War das Werk von zu minderer Qualität, um noch nachgebessert werden zu können, musste der Künstler es zurücknehmen und den Kaufpreis zurückerstatten. Die Entlohnung erfolgte fast immer in Geld und wurde in Raten während der vereinbarten Arbeitszeit gezahlt.32 Die erste Rate erhielt der Künstler in
30
GLASSER 1977, S. 45f., 92. Zur Abrechnung einzelner Arbeitsschritte vgl. den Beitrag von HEINZ und OST zum Brunnenbau des Hans Rupprecht Hoffmann und den Aufsatz von DRUSCHEL zum Traghimmel Conrad Fabers in diesem Band. 32 Manchmal wurde der Künstler auch in Naturalien, sogenannten pfründt, entlohnt, wobei es sich unter anderem um Land, Unterkunft, Kost und Logis oder eine feste Rente handeln konnte. In letzterem Fall legte man den Lohn fest an und die Zinsen 31
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Form einer Anzahlung als Gottespfennig vor Beginn der Arbeiten; sie besiegelte den Vertrag und stattete den Meister mit dem nötigen Startkapital aus, um Arbeitsmaterialien zu besorgen. Die in regelmäßigen zeitlichen Abständen erfolgenden Ratenzahlungen versorgten ihn mit dem für den Fortgang der Arbeiten nötigen Betriebskapital. Der im Fall von Veit Stoß mit dem Karmeliterkonvent vereinbarte Lohn betrug 400 rheinische Gulden und sollte in jährlichen Raten à 50 Gulden jeweils im Zeitraum von acht Tagen um den Margarethentag (13. Juli) erfolgen, bis die ganze Summe bezahlt war. Die Zahlung der letzten Rate erfolgte vertraglich geregelt meist bei der Altaraufstellung; ihr ging häufig eine Sichtung des Produktes voraus. Manchmal wurden nach Fertigstellung des Werkes noch weitere Raten gezahlt, beispielsweise wenn der Künstler früher fertig wurde als geplant und somit noch ein Teil der zu zahlenden Summe ausstand. Eventuell anfallende Zoll-, Transport- und Aufstellungskosten wurden teilweise vom Auftraggeber übernommen, meist jedoch vom Hersteller selbst. Dieser musste auch die anfallenden Löhne der Tischler und Schlosser, die fast immer beim Aufstellen des Altares herangezogen wurden, begleichen. Das hierfür nötige Eisenzeug wurde hingegen häufig vom Auftraggeber besorgt. Laut Vertrag zwischen Veit Stoß und seinem Sohn sollte auch in der Karmeliterkirche die Aufstellung des Altares durch den Künstler erfolgen. Wenn der Künstler vor der Vollendung des Werkes starb, ging die Verantwortung zur Vertragserfüllung auf seine Erben über. So musste, wenn das Werk gerade erst begonnen worden war, alles bezahlte Geld an den Auftraggeber zurückgezahlt werden. Andernfalls wurde eine Sichtung vorgenommen um festzustellen, wie weit das Werk in welcher Qualität bereits gediehen war, um einen Zahlungsausgleich einschätzen zu können. Eine diesbezügliche Klausel findet sich auch im hier behandelten Dokument, wo man sich in Anbetracht des Alters des Bildhauers außerdem gegen eine Arbeitsunfähigkeit des Künstlers absicherte. So sah der Vertrag für den Fall, dass der hoch betagte Stoß vor Beendigung des Altares sterben oder arbeitsunfähig werden sollte, vor, den Preis der dann noch ausstehenden Arbeiten vom Lohn des Meisters abzuziehen und die Arbeit an einen anderen Bildschnitzer zu übergeben. Authentifiziert wurde der Vertrag zunächst durch die Unterschrift beider Vertragsparteien. Da im Mittelalter nur wenige Auftraggeber und Künstler schreiben konnten, wurde das Siegel vorherrschender Ersatz für die eigenhändige Unterschrift. Diese Besiegelung genügte und eine Unterschrift war nicht nötig. Als im Spätmittelalter die Signatur zur Authentifizierung wiewurden alljährlich als Leibrente ausgeschüttet; GLASSER 1977, S. 44, 92, und HUTH 2 1967, S. 29f.
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der aufkam, wurde das Siegel als eine Art Doppelverifikationsmittel beibehalten. Als weiteres Mittel zur Fälschungssicherung des Vertrags konnte dieser auch als Kerbzeddel33 angelegt werden. Dieser auch carta partita genannte Dokumenttyp kam vor allem in England, Flandern und Norddeutschland vor und war besonders in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts üblich, während er im Italien der Zeit fast komplett durch den Notarsvertrag auf Papier verdrängt worden war. Auch bei dem Nürnberger Vertrag handelt es sich um einen solchen Kerbzeddel. Um einem Abschluss diese Form zu geben, wurde der Vertragstext zwei- oder dreimal auf dasselbe einzelne Blatt geschrieben, welches dann in zwei oder drei Teile zerschnitten wurde, ohne die einzelnen Schriftteile zu trennen. Ein zuvor entlang der Schnittlinie(n) geschriebenes Wort, meist »Chirographum« oder »Cyrographym«, wurde dabei zerteilt oder das Pergament wurde ohne vorheriges Niederschreiben eines Wortes in einer Zick-Zack-Linie durchtrennt. Jede Partei erhielt dann einen Teil des Blattes, welches zur Kontrolle später wieder zusammen gefügt werden konnte. Als zusätzliche Sicherheit konnte man einen dritten Teil des Dokumentes an einem öffentlichen Ort hinterlegen.34 Der Bamberger Altar ist (mit dem Meisterzeichen des Veit Stoß) signiert und auf das Jahr (1)523 datiert; von einer Fertigstellung des Altares in diesem Jahr ist auszugehen. Als weiterer Beleg dient ein Eintrag von Andreas Stoß in das »Anniversarium« (in dem alle Jahrtagsgottesdienste gelistet wurden) des Karmeliter-Klosters im Jahre 1520, das darüber hinaus genaue Vorgaben des Priors zum Umgang mit dem Altar enthält. So gab es strenge Vorschriften zur liturgischen Nutzung und der Reinigung des Altares, die dem Schutz des Kunstwerks unter anderem vor Kerzenlicht und -rauch dienen sollten. Auch erging unter Hinweis auf die hohe Kunstfertigkeit seiner Ausführung ein explizites Verbot, den Altar jemals farbig fassen zu lassen. Diese ungewöhnlich anmutenden Vorgaben könnten auf Wunsch des Bildschnitzers selbst festgehalten worden sein.35 Zwei Jahre nach der Aufstellung des Altares änderte sich die Situation in Nürnberg durch die Ausbreitung der Reformation stark: Infolge seiner Rolle als Wortführer der Antilutheraner und seines Auftretens während des Nürn33
Auch Chirograph, Carta Partita, Kerbzeddel, spanzeddel, certer oder Zerter genannt; GLASSER 1977, S. 11; HUTH 21967, S. 25, 91, Anm. 39. 34 HUTH 21967, S. 26f. (Vertragsbeispiel von 1503 von Stoß auf S. 91, Anm. 39), nennt eine zweifache, GLASSER 1977, S. 11f., eine dreifache Unterteilung des Kerbzeddel, wobei letzteres anscheinend seltener vorkam. 35 Einen ausführlichen Überblick über das Nürnberger Karmeliterkloster bietet ULRICH 1979. Das Anniversarium wurde bis zur Klosterauflösung weitergeführt und befindet sich heute im Nürnberger Stadtarchiv, ebd., S. 4.
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berger Religionsgespräches im März 1525 wurde Prior Andreas Stoß noch im selben Monat vom Nürnberger Rat der Stadt verwiesen und durfte zeitlebens nicht mehr zurückkehren. Knapp zwei Monate später, am 19. Mai 1525, wurde aufgrund der Reformationseinführung das Kloster aufgelöst und sein Vermögen offiziell dem Almosenkasten der Stadt übergeben, aus dem auch der Unterhalt für diejenigen ehemaligen Klosterbrüder finanziert wurde, für die keine neue Betätigung gefunden werden konnte. Zu diesem Zeitpunkt war der vertraglich ausgehandelte Preis für den Schnitzaltar noch nicht einmal zur Hälfte an Veit Stoß bezahlt worden.36 Ab Mai 1525 kam es infolgedessen zu langwierigen Auseinandersetzungen zwischen Veit Stoß, Dr. Andreas Stoß und nach deren Tod schließlich den Erben des Priors mit dem Nürnberger Rat und dem Karmeliterkonvent. Schon vor dem 1. Juni 1525 bat Veit Stoß den Rat um Mithilfe zum Erhalt der noch ausstehenden 242 Gulden für die Herstellung des Altares. Dieser verwies ihn seinerseits an den Konvent. Die Karmeliter weigerten sich mit dem Hinweis auf mangelnde Liquidität und der Begründung, der Vertrag zwischen Vater und Sohn sei ohne ihr Wissen und ihre Zustimmung zustande gekommen, den ausstehenden Betrag zu begleichen und wollten den Altar stattdessen zurückgeben. Auch habe Andreas ihnen zufolge seinem Vater mehr Geld gegeben als vertraglich ausgemacht, ihm außerdem Silbersachen aus dem Eigentum des Konvents zugeschoben und nie ordentlich Rechenschaft abgelegt. Der Beschuldigte schrieb mehrmals von Straubing aus an den Rat und wies diese Vorwürfe zurück, ohne Erfolg. Schließlich bot der Rat dem Bildhauer an, auf den bereits gezahlten Betrag zu verzichten und das Werk an ihn oder seine Familie zurückzugeben. Der Künstler schlug dieses Angebot jedoch aus, was er unter anderem mit dem ohnehin sehr niedrigen Preis des Altares begründete. Weitere Gründe könnten auch mangelnde Abstellmöglichkeiten oder die schlechten Verkaufschancen für einen Marienaltar während der Reformation gewesen sein. Andreas Stoß betonte in einem Schreiben an den Rat den Wert und die Eigenhändigkeit des Werkes und bat darum, für die Bezahlung seines Vaters zu sorgen. Der Rat verwies Veit Stoß jedoch für weitere Forderungen an seinen Sohn als Vertragspartner; vermutlich sah er keine Veranlassung, sich für die Bezahlung des Altares einzusetzen, der nicht den gewandelten Glaubensvorstellungen entsprach.37 Als der Bildhauer 1533 starb, war noch immer keine Einigung erreicht. 36
Zu möglichen Folgen der Reformation für Künstler vgl. den Beitrag von HERBERG zu Jörg Breu in diesem Band. 37 Vgl. zur theologischen Auslegung des Bildprogramms des Altares SUCKALE 1985, und zum Kontext die Beiträge in TACKE 2008.
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Auch nach seinem Tod konnte der immer heftiger werdende Streit von Andreas Stoß mit dem Nürnberger Rat nicht beigelegt werden. Als der 1525 nach Bamberg gezogene Karmeliter am 20. September 1540 als Provinzial der oberdeutschen Ordensprovinz starb, war die Frage nach dem Schicksal des Altares immer noch ungeklärt. Erst seine Erben, Veit Stoß’ Sohn Florian in Görlitz und der Nürnberger Sebald Gar, beide Goldschmiede, erhielten im April 1543 das Verfügungsrecht über den Altar und konnten ihn an die Obere Pfarrkirche zu Unserer Lieben Frau des katholisch gebliebenen Bamberg verkaufen. In welchem Zustand der zerlegte und ungefasste38 Altar bei seiner Ankunft in Bamberg war, ob er vollständig dort ankam und fachgerecht wieder zusammengebaut werden konnte und ob er im Dreißigjährigen Krieg 1632/33 beim Schwedeneinfall beschädigt wurde, ist ebenso unklar wie die Frage nach weiteren Veränderungen im Lauf der Jahre. Fest steht lediglich, dass ein Teil der Altarfiguren verloren ging und ihre Anordnung bereits vor der Restaurierung des Altares von 1933/34 immer wieder verändert wurde. Daher scheint eine sichere Rekonstruktion des Zustandes nach seiner Fertigstellung unmöglich. 1937 wurde der Schnitzaltar als Leihgabe in den Bamberger Dom gegeben, wo er sich auch heute noch befindet.
Literatur BAXANDALL 1984 – BAXANDALL, Michael: Die Kunst der Bildschnitzer. Tilmann Riemenschneider. Veit Stoß und ihre Zeitgenossen, München 1984. BAXANDALL 1983 – BAXANDALL, Michael: Veit Stoß, ein Bildhauer in Nürnberg, in: Rainer Kahsnitz (Hg.): Veit Stoß in Nürnberg. Werke des Meisters und seiner Schule in Nürnberg und Umgebung, München 1983, S. 9–25. BURGER 1972 – BURGER, Helene (Bearb.): Nürnberger Totengeläutbuch, Bd. 3: St. Sebald 1517–1572, Neustadt an der Aisch 1972. GLASSER 1977 – GLASSER, Hannelore: Artists’ Contracts of the Early Renaissance, New York 1977. HABENICHT 1997 – HABENICHT, Georg: Anmerkungen zum ungefaßten Zustand des sogenannten Bamberger Altars. In: Zeitschrift für Kunstgeschichte 60, 1997, S. 482–513. HAGEMANN 1997 – HAGEMANN, Hans-Rudolf: Vertrag, Allgemein und Deutsches Recht, in: LexMa, Bd. 8, 1997, Sp. 1588–1590.
38
HABENICHT 1997.
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HAUSSHERR 1985 – HAUSSHERR, Reiner: Der Bamberger Altar, in: Rainer Kahsnitz (Hg.): Veit Stoß. Die Vorträge des Nürnberger Symposions, München 1985, S. 207–228. HUTH 21967 – HUTH, Hans: Künstler und Werkstatt der Spätgotik, (1. Aufl. Augsburg 1923) 2. erw. Aufl. Darmstadt 1967. JAEGER 1958 – JAEGER, Adolf: Veit Stoß und sein Geschlecht. Aus dem Nachlass hg. von Otto Puchner, Neustadt an der Aisch 1958. KAHSNITZ 1986 – KAHSNITZ, Rainer: Entwurfszeichnung für den Altar der Nürnberger Karmeliterkirche, in: Aust.Kat. Nürnberg 1300–1550. Kunst der Gotik und Renaissance, München 1986, S. 252–255 Kat.-Nr. 94. KAHSNITZ 1985 – KAHSNITZ, Rainer (Hg.): Veit Stoß. Die Vorträge des Nürnberger Symposions, München 1985. KAHSNITZ 1983 – KAHSNITZ, Rainer (Hg.): Veit Stoß in Nürnberg. Werke des Meisters und seiner Schule in Nürnberg und Umgebung, München 1983. KOHN 1973 – KOHN, Karl: Die Wohnhäuser zweier berühmter Nürnberger, in: Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg 60, 1973, S. 296–299. LOßNITZER 1912 – LOßNITZER, Max: Veit Stoß. Die Herkunft seiner Kunst, seine Werke und sein Leben, Leipzig 1912. MACHILEK 1985 – MACHILEK, Franz: Die Erschließung der Nürnberger archivalischen Quellen zum Leben und zu den Werken des Veit Stoß, in: Rainer Kahsnitz (Hg.): Veit Stoß. Die Vorträge des Nürnberger Symposions, München 1985, S. 19–30. MACKENZIE 1993 – MACKENZIE, Paul A.: Piety and Patronage: Aspects of Nürnberg cultural and religious life 1477–1526. Anton (II) Tucher and Veit Stoss, in: Forum for Modern Language Studies 29, Nr. 1, 1993, S. 46–61. NEUDÖRFER 1875 – NEUDÖRFER, Johann: Nachrichten von Künstlern und Werkleuten daselbst aus dem Jahre 1547 nebst der Fortsetzung des Andreas Gulden, hg. von Georg Wolfgang Karl Lochner, (ND der Aufl. 1875) Osnabrück 1970. O’MALLEY 2005 – O’MALLEY, Michelle: The Business of Art. Contracts and the Commissioning Process in Renaissance Italy, New Haven 2005. PETZ 1889 – PETZ, Hans (Hg.): Urkunden und Regesten aus dem königlichen Kreisarchiv zu Nürnberg, in: Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses 10, 1889, S. 20–62. PRZYBYSZEWSKI 1985 – PRZYBYSZEWSKI, Bolesław: Die Herkunft des Veit Stoß im Lichte Krakauer Archivalien, in: Rainer Kahsnitz (Hg.): Veit Stoß. Die Vorträge des Nürnberger Symposions, München 1985, S. 31–37. SCHAFFER 1926 – SCHAFFER, Reinhold: Andreas Stoß. Sohn des Veit Stoß und seine gegenreformatorische Tätigkeit (Breslauer Studien zur historischen Theologie, Bd. 5), Breslau 1926.
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SUCKALE 1985 – SUCKALE, Robert: Das ehemalige Hochaltarretabel der Nürnberger Karmelitenkirche und sein altkirchliches Programm, in: Rainer Kahsnitz (Hg.): Veit Stoß. Die Vorträge des Nürnberger Symposions, München 1985, S. 229–244. TACKE 2008 – TACKE, Andreas (Hg.): Kunst und Konfession. Katholische Auftragswerke im Zeitalter der Glaubensspaltung, 1517–1563, Regensburg 2008. TACKE 2006 – TACKE, Andreas: Cranachs Altargemälde für Albrechts Stiftskirche. Zu einem Bilderzyklus von europäischem Rang, in: Ders. (Hg.): Der Kardinal. Albrecht von Brandenburg. Renaissancefürst und Mäzen, Bd. 2: Essays, Regensburg 2006, S. 193–211. TACKE 1994 – TACKE, Andreas (Hg.): Cranach: Meisterwerke auf Vorrat. Die Erlanger Handzeichnungen der Universitätsbibliothek. Bestands- und Ausstellungskatalog, München 1994. ULRICH 1979 – URICH, Karl: Das ehemalige Karmelitenkloster zu Nürnberg, in: Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg 66, 1979, S. 1– 110. WEIMAR 1997 – WEIMAR: Vertrag, westlicher Bereich, in: LexMa, Bd. 8, 1997, Sp. 1587–1588.
DANIELA ANTONIA DRUSCHEL
Conrad Faber von Creuznach und der Frankfurter Traghimmel Ein zweites Standbein neben der Porträtmalerei 1. Vita Über das Leben des Künstlers Conrad Faber ist nur wenig bekannt.1 Dem Namen nach wurde er wahrscheinlich in Kreuznach um 1500 geboren. Da in Kreuznach die Quellenlage aus dieser Zeit recht spärlich ist und sich nur lückenhaft geführte Bürgerbücher überliefert haben, während die Kirchenbücher aus dem 16. Jahrhundert nicht mehr vorhanden sind, lässt sich das genaue Datum nicht mehr rekonstruieren. Auch weitere Hinweise zu Conrad Faber in seiner Kreuznacher Zeit lassen sich nicht finden. Somit liegen seine frühen Lebensumstände und seine Künstlerausbildung im Dunkeln. Erst 1524 wird Faber in Frankfurt am Main greifbar.2 Spekulationen über eine frühere Tätigkeit in Simmern oder Mainz als Graphiker sind nicht durch Quellen zu belegen. 1526 ist Faber Geselle bei dem Maler Hans Fyoll in Frankfurt. Bis zu seinem Lebensende hält er sich, nur unterbrochen von einigen Aufenthalten bei auswärtigen Auftraggebern, in Frankfurt auf und wird 1538 Bürger der Stadt. In dieser Zeit ist er zweimal verheiratet und hat einen Sohn. Die genauen Daten seiner Reisen lassen sich schwerlich rekonstruieren, da Faber in den Quellen der Stadt Frankfurt kaum fassbar wird und infolgedessen nur die wenigen gesicherten Daten aus seinem familiären Umfeld und die datierbaren Gemälde als Belege seiner Anwesenheit in Frankfurt dienen können.3 1537 ist der Künstler in Naumburg nachweisbar, Anfang 1
2
3
Vgl. zu Leben und Werk BRÜCKER 1963; zur Entlastung des Anmerkungsparates werden Einzelnachweise aus dieser Monographie in der Regel nicht vorgenommen. Faber wird im Zusammenhang mit einem Schuldanerkenntnis des Conrad Folz genannt; ebd., S. 212 Nr. 1 (Rechenmeisterbuch). Die wenigen überlieferten Daten beziehen sich auf drei Patenschaften, die Faber 1534, 1536 und 1549 in Frankfurt übernimmt, seine Nennung in Zusammenhang mit einem Schuldanerkenntnis 1526, einer Bürgschaft 1547/48, den Verkauf eines Gartens 1549 sowie die Einforderung von Schulden 1551; ebd., S. 11–14 mit Angaben der Quellen, und ZÜLCH 1935, S. 308f.
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der 40er Jahre arbeitet er in Lich für den Grafen Reinhard zu Solms. Als Faber 1548 aufgrund einer Bürgschaft verklagt wird, ist er vorübergehend nicht in Frankfurt.4 Ansonsten arbeitet Faber in Frankfurt vornehmlich als Porträtmaler für das Patriziat und die Ratsmitglieder der Reichsstadt sowie die adelige Gesellschaft der Umgebung. Über 40 Gemälde von Mitgliedern der regierenden Frankfurter Familien haben sich erhalten. Es handelt sich hierbei um Brustbilder oder Halbfigurenporträts, später auch Dreiviertelfiguren, meist mit Landschaftsausblick im Hintergrund. Signiert sind die Bilder mit C. v. C. oder C. F. v. C., was als Conrad (Faber) von Creuznach aufgelöst werden kann. Durch die Identifizierung des Kürzels C. v. C. mit dem Künstler Conrad Faber konnten auch die sechs Bildnisse von Mitgliedern der Familie Holzhausen, welche unter dem Künstlernotnamen „Meister der Holzhausen-Bildnisse“ in der älteren Fachliteratur geführt wurden, Faber zugeschrieben werden.5 Die Familie Holzhausen gehörte zu der angesehenen Frankfurter Stubengesellschaft, der Gesellschaft Alt-Limpurg.6 Als ältestes Frankfurter Patriziergeschlecht, das bis zum 19. Jahrhundert ununterbrochen im Rat saß, beeinflusste es die Frankfurter Geschichte entscheidend. Des Weiteren porträtierte Faber wichtige Persönlichkeiten der Frankfurter Oberschicht wie Stefan Göbel, Großhändler und jüngerer Bürgermeister, Johann von Glauburg, Mitglieder der Familie Knoblauch, Johann Stralenberg (Ratsmitglied, jüngerer Bürgermeister, Schöffe), Friedrich Rorbach, Georg Weiß von Limburg und viele andere Mitglieder bekannter Frankfurter Familien. Neben Porträts aus dem Frankfurter Patriziat fertigte Faber auch Bildnisse von Angestellten aus dem Umfeld des Hofes von Kardinal Albrecht von Brandenburg, wie zum Beispiel den italienischen Seidenhändler Lorenzo de Villani Anfang der 30er Jahre und 1533 Hans von Schönitz, den Albrecht später wegen angeblicher Unterschlagung hinrichten ließ. Für den Rat oder die Stadt Frankfurt war Faber selten tätig und wird infolgedessen auch nur gelegentlich in den Quellen in seiner Funktion als Künstler erwähnt. 1552 werden ihm vier Taler für die topographische (zeichnerische) Darstellung der Belagerung der Stadt Frankfurt verehrt.7 4 5
6 7
BRÜCKER 1963, 214 Nr. 19 (Rachtungsbuch) und 21 (Gerichtsbuch). Im Künstlerlexikon THIEME / BECKER sind dementsprechend zwei Artikel zu »Conrad Faber« (SIMON 1915, S. 148f.) und dem »Meister der Holzhausen-Bildnisse« (1950, S. 158) zu finden. MATTHÄUS 2002. Die Zeichnungen dienten als Vorlage für den Formschneider Hans Grav aus Amsterdam, welcher sie bis 1554 in 10 Holzstöcken umsetzte und druckte; BRÜCKER 1963, 216 Nr. 30 (Rechenmeisterbuch).
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Bezahlt wurde der Plan, der die Stadt aus der Vogelperspektive zeigt, vom Rat erst nach dem Tod des Künstlers; er wurde als Holzschnitt gedruckt. Seine Frau erhielt nach längeren Verhandlungen dank der Unterstützung durch Johann von Sponheim 50 Taler als Lohn für den Plan ausgezahlt.8 Ansonsten wird Faber nur in seiner Funktion als städtischer Eisenwieger in den Ratsprotokollen genannt. 1547 lässt er sich zur Wahl aufstellen. Sein Konkurrent ist ebenfalls ein Maler mit Namen Hans Wurzgart. Faber wurde vom Rat einstimmig gewählt und hatte das Amt seit dem 24. März 1547 inne. Für das Amt des Eisenwiegers, das er vermutlich nicht persönlich ausübte, sondern durch Angestellte, erhielt der Künstler die Eisenwaage als Dienstwohnung, welche er von der Stadt zur Pacht übernahm. Das städtische Amt des Eisenwiegers war in Frankfurt besonders wichtig, da die Messestadt durch die Abgaben der Messekaufleute, wie Standgeld und Waagegeld, hohe Einkünfte zu verzeichnen hatte. Zu der Aufgabe des Eisenwiegens heißt es in den Bürgermeisterbüchern: ein isenwage lassen machen und bestellen, forter das ysen zu wigen und solichs den kelnern [Herrschaftliche Verwalter oder Steuereinnehmer] und andern zu schriben.9 So lukrativ dies während der Messen in Frankfurt auch sein konnte, war das Amt nicht ohne Risiko. Aus den Einnahmen, die der Eisenwieger durch das Wiegen des Eisens und anderer schwerer Güter erhielt, musste er die Pacht an die Stadt bezahlen und die Unkosten decken. Dabei konnte ein kleiner Gewinn für ihn herausspringen. Waren die Zeiten jedoch schlecht und Eisen rar, konnte sich die wirtschaftliche Situation des Eisenwiegers verschlimmern, falls die Einnahmen geringer ausfielen als die Pacht. Neben dem Amt des Eisenwiegers übernahm Faber zusätzlich – wahrscheinlich kommissarisch – das Amt des städtischen Uhrstellers. Als solcher hatte er der uwerglocken in der Pharre und des zeigers am Romer zu warten.10 Die Ausführung verschiedener Ämter wie auch die Übernahme anderer Geschäftszweige waren für einen Künstler im Spätmittelalter und der Frühen Neuzeit nicht ungewöhnlich und zeugen nicht zwangsläufig von einer mangelhaften Auftragslage oder fehlendem Geschick des Künstlers, sich von seiner Kunst zu ernähren. Als prominentes Beispiel eines erfolgreichen Malers, der zudem eine Apotheke und einen Weinhandel betrieb, kurzfristig ins Druckergeschäft einstieg und zahlreiche Ämter in seiner Stadt ausübte, sei Lucas Cranach der Ältere genannt. 8
Ebd., S. 218 Nr. 49 (Ratsprotokoll). – Es handelt sich hier wohl um Johann II. aus der Linie Pfalz-Simmern, Pfalzgraf 1509–1557, vgl. Stammtafel des Kurhauses PfalzSimmern bei SCHAAB 1992, S. 253. 9 BÜCHER 1914, S. 64 (Dienstanweisung im Eidbuch). 10 Ebd., S. 128 (Bürgerverzeichnisse).
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Die überlieferten kunstgewerblichen Aufträge Fabers dürfen daher nicht als Möglichkeit für einen Zusatzverdienst fehlinterpretiert werden. Wie andere Künstler auch fertigte Faber nicht nur »hohe Kunst«, sondern erstellte Entwürfe für Wappenstickereien, bemalte eine Gerichtsfahne und eine Uhr, restaurierte Bilder, führte für den Grafen zu Solms Illuminationen aus und arbeitete an einem Thronhimmel. Solche eher handwerklich orientierten Aufträge gehörten in dieser Zeit ebenso zum Berufsfeld des Malers wie das Porträtieren von Personen oder die Anfertigung von topographischen Zeichnungen und wurden nicht aufgrund einer wirtschaftlichen Notlage angenommen. Nicht ausschließen kann man dies allerdings für die beiden städtischen Ämter, welche er über mehrere Jahre ausübte. Die wirtschaftliche Lage in Frankfurt war während des Schmalkaldischen Krieges aufgrund des Messeausfalls sehr schlecht; vermutlich übernahm Faber die genannten Ämter, um neben seinem Handwerk über alternative Verdienstmöglichkeiten zu verfügen. Dennoch verstarb Faber völlig verschuldet zwischen dem 9. September 1552 und dem 15. Mai 1553 in Frankfurt.11 Wahrscheinlich liegt sein Todeszeitpunkt im Frühjahr, da seine Frau am 15. Mai 1553 in Aschaffenburg Schulden für das Eisen einziehen ließ und die Erlaubnis erhielt, noch einen Monat in der Eisenwaage wohnen und diese weiter betreiben zu dürfen.12 Trotz seiner Tätigkeit für die einflussreichsten Frankfurter Bürger, der Arbeit außerhalb Frankfurts und seiner Nebenverdienste hatte es Faber allem Anschein nach nicht geschafft, sich finanziell zu sanieren.
2. Frankfurt am Main zur Zeit der Reformation Faber lebte in Frankfurt während der entscheidenden Phase der Reformation, die sein soziales und wirtschaftliches Leben in der Stadt stark prägte. Zu Beginn des 16. Jahrhunderts waren die Freien Städte und Reichsstädte „in den Sturmjahren der reformatorischen Bewegung die Schrittmacher und Hauptzentren der Reformation.“13 Zu ihnen zählte auch die Reichsstadt
11
Das Ausmaß seiner Schulden wurde erst nach dem Tod seiner zweiten Frau 1558 bekannt, als ein Inventar aufgenommen wurde, welches die Schulden und die Besitztümer des Ehepaares auflistete; BRÜCKER 1963, S. 220 Nr. 66 (Auszüge aus dem Inventar). 12 Ebd., S. 216 Nr. 34 (Bürgermeisterbuch). 13 JAHNS 1991, S. 152; die weiteren Ausführungen zur Reformationszeit in Frankfurt stützen sich, wenn nicht anders angegeben, auf diesen Überblicksaufsatz. Auf S. 201 ist als Klapptafel die Faber’sche Vogelschau von Frankfurt abgebildet.
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Frankfurt, die zwar der Reformation zugeneigt, aber unter anderem auch aufgrund gewisser Privilegien auch dem Kaiser besonders verbunden war. Hierzu gehörte zum einen auf politischer Ebene, dass Frankfurt seit 1356 durch die Goldene Bulle zum Ort der Königswahl bestimmt worden war, und zum anderen standen auf wirtschaftlicher Ebene die kaiserlichen Privilegien, jedes Jahr zwei Handelsmessen abhalten zu dürfen, welche Frankfurt zu einem der größten Warenumschlagplätze Europas machten. Sowohl die Königswahl als auch die Ausrichtung der Messen waren in den Jahren der Reformation gefährdet. Um die Handelsmessen ungestört veranstalten zu können, mussten die guten Beziehungen der Stadt zu den benachbarten Territorien gewahrt werden. Kriegerische Auseinandersetzungen hätten dem Handel geschadet und die Messehändler sowie -besucher ferngehalten. Noch problematischer war die politische Rolle Frankfurts als Ort der Königswahl. Da die Bartholomäuskirche als Ort des Wahlzeremoniells durch die Goldene Bulle vorgegeben war und demnach katholisch sein musste, kam der reformationsorientierte Rat stark in Bedrängnis. Die Reformationszeit stellte sich daher für die Stadt Frankfurt als große Herausforderung dar. Sie musste versuchen, ihre religiösen Ansichten mit ihrer politischen und wirtschaftlichen Stellung im Reich zu verbinden, ohne sich zu schaden. Ihr größter Gegner war hierbei der Mainzer Erzbischof und Kurfürst Kardinal Albrecht von Brandenburg. Er war neben dem Kaiser als geistlicher Ordinarius der wichtigste Protektor der Frankfurter Geistlichkeit, deren Gewohnheiten, Rechte und Güter durch kaiserliche Privilegien garantiert wurden. Zudem umschloss sein weltliches Herrschaftsgebiet Frankfurt im Osten und im Westen. Die Lehren Luthers verbreiteten sich dank des enormen publizistischen Erfolges seiner frühen reformatorischen Schriften sehr schnell im Reich und insbesondere auch in Frankfurt, wo während der Herbstmesse des Jahres 1520 allein 1.400 Exemplare von einem einzigen Buchhändler verkauft wurden. 1521 schwoll die massenhafte Produktion von Büchern, Flugschriften und bildlichen Darstellungen religiös-propagandistischen und religiös-programmatischen Inhalts deutlich an und erreichte vor allem während der Messezeiten einen hohen Grad an Öffentlichkeit; die ersten reformatorischen Predigten wurden mit Billigung Hammans von Holzhausen 1522 und 1524 im Frankfurter Katharinenkloster gehalten. Auf dem Reichstag in Augsburg 1530 stellte sich Frankfurt zum ersten Mal als evangelische Stadt da; allerdings unterzeichnete der Rat der Stadt nicht die lutherische „Confessio Augustana“ oder die „Confessio Tetrapolitana“, um die Gunst des Kaisers nicht zu verlieren. Die Stadt versuchte sich also zunächst in einer Art Neutralitätspolitik. Als sich Frankfurt jedoch
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weigerte, die Verabschiedung des Reichstages zur Wiederherstellung der Glaubenseinheit mitzutragen, verlegte Karl V. den Wahlort, so dass 1531 sein Bruder Ferdinand I. in Köln zum römischen König gewählt wurde. Trotz der Sorge um die politischen und wirtschaftlichen Folgen für die Stadt gab der Rat dem massiven Druck der unteren Bevölkerungsschichten nach und verbot Mitte April 1533 die katholische Messe sowie alle anderen altkirchlichen Zeremonien in der Stadt. In Folge dieses Beschlusses wurde die St. Bartholomäuskirche, Ort der Königswahl, zur evangelischen Hauptkirche erklärt.14 Mit dieser Entscheidung drohte Frankfurt das Achturteil. Im Mai 1533 wurde die Stadt von der kurmainzischen Regierung und parallel vom Kaiser vor dem Reichskammergericht aufgrund der Einführung der Reformation des Landfriedensbruchs angeklagt. Um die militärisch kaum gesicherte Stadt zu schützen, entschied man sich unter vielen Vorbehalten 1536, dem Verteidigungsbündnis der protestantischen Fürsten, dem Schmalkaldischen Bund, beizutreten. Da der Mainzer Erzbischof und Reichskanzler keinen Krieg gegen die Mitglieder des Bundes führen wollte, verzichteten er und mit ihm stillschweigend auch der kaiserliche Fiskal auf die Fortführung seines prozessualen Kampfes gegen die Stadt. 1540/41 scheiterte der letzte Versuch des Kaisers, die Glaubenseinheit wiederherzustellen; die Folge war der Ausbruch des Schmalkaldischen Krieges 1546/47. Der Hauptschauplatz des Kampfes zwischen den Mitgliedern des Schmalkaldischen Bundes und des Kaisers lag zwar fern von Frankfurt, jedoch stellte ein vom Kaiser in den Niederlanden angeworbenes Korps unter dem Grafen von Büren, das an Frankfurt vorbei in Richtung Südosten marschierte, Ende August 1546 zeitweilig für die Messestadt eine große Gefahr dar. Des Weiteren musste die Stadt die Kosten des Krieges ihres Bündnispartners und die eigene Beteiligung finanzieren, was angesichts der Tatsache, dass keine Herbst- und Frühjahrsmessen abgehalten werden konnten, enorme wirtschaftliche Probleme für die Stadt verursachte. Angesichts dieser militärischen und wirtschaftlichen Bedrohung, die beständig mit der Angst um den dauerhaften Verlust der Messeprivilegien einherging, entschied der Rat der Stadt Mitte Dezember 1546, sich dem Kaiser kampflos und unaufgefordert zu ergeben. Frankfurt musste infolgedessen die Söldnertruppe Bürens aufnehmen, ihm anstelle des Kaisers den Huldigungseid leisten und sich vom Schmalkaldischen Bund lossagen. Letzterer wurde durch den Sieg des Kaisers über die protestantischen Fürsten endgültig zerschlagen.
14
BAUER 1994, S. 153.
Conrad Faber von Creuznach
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Auf dem Geharnischten Reichstag zu Augsburg 1547/48 war der Frankfurter Rat gezwungen, das Augsburger Interim anzunehmen. Im Zuge dessen wurde in der Bartholomäuskirche der katholische Gottesdienst wieder eingeführt – die nächste Königswahl 1562 konnte folgerichtig auch wieder in Frankfurt stattfinden. Die Durchsetzung des Interims gestaltete sich in den nächsten Jahren allerdings als zähes Ringen zwischen dem Magistrat und der evangelischen Geistlichkeit um die Durchführung der vom Kaiser gewünschten Bestimmungen. Diese versuchte der Rat aus Angst vor kaiserlichen und kurmainzerischen Nachfragen und Kontrollen sowie der ständig schwelenden Bedrohung, die Messeprivilegien doch noch zu verlieren, im notwendigen Rahmen umzusetzen.
3. Quelle Abrechnung des Malers Conrad Faber von Creuznach für die Fertigung eines Traghimmels, Frankfurt am Main 1551. SIMON, Karl: Urkundliches zum Meister der Holzhausen-Bildnisse (?), in: Monatshefte für Kunstwissenschaft, Jg. 4, 1911, S. 127–128. Das von Simon zitierte Original ist verbrannt; es befand sich im Frankfurter Stadtarchiv unter den Wahltags-Akten, 1551, T. 2, fol. 236. Vgl. den mit leichten Abweichungen zitierten Abdruck nach Karl Simon bei BRÜCKER, Wolfgang: Conrad Faber von Creuznach, Frankfurt am Main 1963, S. 215f. Nr. 27. Volg, was ich einem fürsichtigen weisen rat, meinen günstigen gebietenden herren an dem keyserlichen eren hymel auß befelg hrn. Ottigers von Mollems gemacht und weiters zu machen bestelt alles uff meinen kosten und gelt erlegt hab. Item erstlich daß umbhenglin mit den fransen uff beden seyten mit feinem golt vergült, daruff 24 wapen auch mit golt und silber sampt yren titeln gemalt, beschriben, auch weiters mit umbstendiger zyr versehen und inwendig mit Keyserlicher majestatt titel beschriben. Weiters 4 vergulte kugeln mit krutzlin daruff, 4 keyser adler, solichs uff die 4 ort des eren hymels geordnet, dergleichen die 4 stangen, damit mans dregt, gantz versilbert und uff solichs alles ist an golt und farben, auch andr zug, darzu verbraucht, wie hernach vermelt.
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Item 2 buch 3 firtel feingolt, kost das buch 4 f zu 16 batzen faci[t] item 8 firtel silber das firtel kost 2 s faci[t] item fur farben und ander notrufft so mir weiters druff gangen faci[t] item fur mein muhe und arbeit zu lon Summa = item was ich mit barem gelt bezahlt hab namlich dem kessler für die 4 kugeln item dem schlosser geben für alles schmidwerck, darzu gehörig auch die adler auszuhawen item für die 4 blech zu den adlern geben Summa = thut
f
b
9
9
s
H
16 2 12 24
6
3
8
1 3
16 12 12
item weiters hab ich auß befelch Friedrich Fröhlichs (sagte auch Johann von Glauburg befehlch sein) das awerwerk uff der far porten durch auss mit ölfarben angestrichen. daruff geluffen ein lb. bleiweisz, farb kost sampt der arbeit 12 f. EFWW Conrad maler inn der isenwaagen Summarum 28 f 6 s 3 h. (Übertragung ins Neuhochdeutsche) Es folgt, was ich für den fürsichtigen weisen Rat, meinen huldvoll gebietenden Herren, auf Bestellung des Herrn Ottiger von Mollems an dem kaiserlichen Ehrenhimmel gemacht und weiter zu machen bestellt und alles auf meine Kosten und Geld vorgelegt habe. Erstens habe ich zuerst den Umhang mit den Quasten auf beiden Seiten mit feinem Gold verkleidet, darauf 24 Wappen ebenfalls mit Gold und Silber samt ihren Titeln gemalt, beschrieben und weiterhin mit außenseitiger Zierde versehen und auf der Innenseite mit dem Titel der Kaiserlichen Majestät beschrieben. Des Weiteren 4 vergoldete Kugeln mit Kreuzen darauf, 4 kaiserliche Adler, so beschaffen, dass sie nach den 4 Ecken des Ehrenhimmels geordnet sind, dergleichen 4 Stangen aus Silber, damit man ihn tragen kann, und darauf ist alles aus Gold und aus Farben. Ich habe auch anderes Material dafür verbraucht, wie im Folgenden mitgeteilt wird.
Conrad Faber von Creuznach
Item 2 Buch 3 Viertel Feingold, das Buch kostet 4 f zu 16 Batzen, macht Item 8 Viertel Silber, das Viertel kostet 2 Schilling, macht Item für Farben und andere notwendige Dinge, die mir noch weiter angefallen sind, macht ebenso für meine Mühe und meinen Arbeitslohn Summe: Item was ich dem Kessler bar bezahlt habe für die vier Kugeln: Item dem Schlosser gegeben für alles Schmiedewerk, dazu gehörte auch, die Adler zu schmieden Item für die (4 Bleche) der Adler ausgegeben: Summe: macht
Florin
Batzen
9
9
167
Schilling
Heller
16
2 12 24
6
3
8
1
16
3
12 12
Item des Weiteren habe ich auf Befehl von Friedrich Fröhlich, der sagte es sei auch der Befehl von Johann von Glauburg, das Uhrwerk auf dem Fahrtor mit Ölfarben angestrichen. Dafür verbraucht ein Pfund Bleiweiß, die Farbe kostet samt der Arbeit: 12 Florin. E F W W [euer fürsichtiger wohlbekannter (?) Weisheit] Conrad, Maler in der Eisenwaage Alles zusammen: 28 Florin 6 Schilling 3 Heller
4. Kontextualisierung Die Rechnung Conrad Fabers von Creuznach für die Arbeit an einem Ehrenhimmel für den Kaiser und an der Uhr über der »Fahrpforte«, einem Tor im Süden der Stadt, zum Main hin, stammte aus den Wahltagsakten von 1551 und ist wahrscheinlich im April/Mai 1945 verbrannt. Auf Grund des-
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sen ist uns die Quelle nur in dem Wortlaut überliefert, wie sie Karl Simon 1911 in seinem Aufsatz publiziert und Wolfgang Brücker in seiner FaberMonographie wiederabgedruckt hat. Die Rechnung Conrad Fabers gibt Auskunft über den angefertigten kaiserlichen Ehrenhimmel und dessen Auftraggeber sowie die verwendeten Materialien und das ungefähre Aussehen des Baldachins. Desweiteren bietet sie Informationen über die (Neben-) Einkünfte eines Künstlers in der Messestadt Frankfurt, der sich selbst als Conrad maler inn der isenwaagen bezeichnete. Die Rechnung beginnt mit der Nennung des Auftraggebers, Ottiger von Mollems. Es handelt sich hierbei wahrscheinlich um Ogier von Melem, ein Mitglied der Frankfurter Kaufmannsfamilie Melem, die sich vor allem durch Tuchhandel von Venedig bis Nordeuropa und seit dem 16. Jahrhundert durch den Handel mit Kupfer und Blei hervorgetan hatte.15 Ogier war seit 1550 älterer Bürgermeister von Frankfurt.16 Es wäre demnach möglich, dass Conrad Faber den Auftrag für den Traghimmel während dessen Amtszeit erhalten hatte. Möglicherweise hatte aber auch Ogier von Melem nur den Auftrag des Rates an Faber weitergegeben, weil seine Familie als wichtige Tuchhändlerfirma eventuell den Stoff für den Himmel zur Verfügung stellte, welchen Faber in seiner Rechnung gleich im Anschluss an den Namen des Auftraggebers erwähnt. Faber beschreibt an dieser Stelle zunächst das umbhenglin mit den fransen uff beden seyten, welcher wahrscheinlich das Dach des Baldachins geschmückt hat. Da sich keine Zeichnung des Ehrenhimmels erhalten hat, können wir nur Vermutungen hinsichtlich des Aussehens aufgrund der Beschreibung Fabers anstellen.17 Er bestand demnach aus vier versilberten Tragestangen, damit mans dregt; getragen wurde er von Ratsherren; andere Beispiele zeigen, dass es auch sechs oder acht Stangen (= Träger) sein konnten. Auf dem Rahmen des Baldachins selbst waren die vier goldenen Kugeln mit Kreuzen sowie die vier Adler aus Metall angebracht. Die goldenen Kugeln mit Kreuzen könnten als Anspielung auf den Reichsapfel verstanden werden. Auf dem Umhang mit den Quasten befanden sich zudem 24 gemalte Wappenschilde, welche mit Gold und Silber verziert waren und mit Titeln 15
LERNER 1994. SIMON 1911, S. 127, Anm. 2. 17 Eine ungefähre Vorstellung geben aber die Abb. von späteren Frankfurter Traghimmeln, die im kaiserlichen Zeremoniell Verwendung fanden; siehe AUSST.KAT. 2006, Bd. 1, S. 174f., 179, 216, 410 (als Vergleichsbeispiel), und Bd. 2, S. 204, 276. Einen Überblick zum „Baldachin als Herrschaftszeichen und seine Spoliierung als ritueller Kern des Adventus“ siehe SCHENK 2003, S. 448–472. 16
Conrad Faber von Creuznach
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beschrieben wurden. Um welche 24 Wappen es sich hierbei handelt, wird in der Quelle nicht erläutert. Die Zahl lässt sich weder in Zusammenhang mit den Habsburger-Wappen oder bestimmter ausgewählter Herrschaftsterritorien noch mit dem Rat der Stadt Frankfurt erklären. Eine Darstellung der Wappen der Ratsgeschlechter ist auszuschließen, da die Stadt zum einen über 43 Ratsherren verfügte und zum anderen eine solche Präsentation eher unüblich gewesen wäre.18 Auch ein Verweis auf die Reichsstädte oder Reichsstände lässt sich ausschließen, da deren Zahl um ein Vielfaches höher war. Weiter führt Faber aus, dass der Ehrenhimmel inwendig – also auf der Unterseite – mit Keyserlicher majestatt titel beschriben wurde. Aus der kurzen Beschreibung ist nicht ersichtlich, wie die Inschrift lautete. Ein seit 1521 gebräuchlicher Herrschaftstitel von Kaiser Karl V. war von solch unglaublicher Länge, dass es unwahrscheinlich ist, dass Faber diesen zur Gänze angebracht hat: Wir Carl der fünffte von Gottes Gnaden Römischer Kayser, zu allen Zeiten Mehrer des Reiches, König in Germanien, zu Castilien, Arragon, Leon, beyder Sicilien, Hierusalem, Hungarn, Dalmatien, Croatien, Navarra, Granaten, Tolleten, Valentz, Gallicien, Majorica, Hispalis, Sardinien, Corduba, Corsica, Giennis, Algarbien, Algeziren, Gibraltar, der Canarischen und Indianischen Insulen und der Terrae firmae des Oceanischen Meers etc. Ertz-Hertzog zu Oesterreich, Hertzog zu Burgundi, zu Lotterich, zu Braband, zu Steyer, zu Kerndten, zu Krain, zu Limburg, zu Lützenburg, zu Geldern, zu Calabrien, zu Athen, zu Neopatrien und Würtenberg etc. Graf zu Habspurg, zu Flandern, zu Tyrol, zu Görtz, zu Barcinon, zu Arthoys, zu Burgund, Pfaltzgraff zu Hänigau, zu Holland, zu Seeland, zu Pfierdt, zu Kyburg, zu Namur, zu Rußilion, zu Ceritan, und zu Zütphen, Landgraf in Elsaß, Marggraf zu Burgau, zu Oristani, zu Gotiani, und des Heiligen Römischen Reichs Fürst zu Schwaben, Catalonia, Asturia etc. Herr in Frießland, auf der Windischen Marck, zu Portenau, zu Biscaja, zu Molin, zu Salins, zu Tripoli und zu Mecheln etc.19 Daher ist es wahrscheinlicher anzunehmen, dass Faber den verkürzten Titel des Kaisers aufgenommen hat, worin Karl V. als von Gottes Gnaden gewählter Römischer König, Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, König von Spanien, Erzherzog von Österreich sowie Herrscher über Italien betitelt wird. Unserer Quelle folgend war der Ehrenhimmel ansonsten vollständig bemalt und mit Gold und Silber verziert: die 4 stangen, damit mans dregt, gantz versilbert […] alles ist an golt und farben. Faber gibt in seiner Abrechnung keine Auskunft über die Art der Farben, welche er aus seinem 18 19
JAHNS 1991, S. 156. KOHLER 1990, S. 8f.
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eigenen Bestand entnommen hatte, und daher nur pauschal in Rechnung stellte. Üblicherweise war der Traghimmel für den Kaiser gelb (= gold) oder rot und nur mit dem Reichsadler als Wappen geschmückt. Die Beschreibung lässt darauf schließen, dass es sich bei dem keyserlichen eren hymel um einen »Thronhimmel« oder Baldachin handelt, wobei tragbare und feste Konstruktionen nachgewiesen werden können. Angelehnt an das Himmelszelt handelte es sich bei dem festen Thronhimmel im römisch-byzantinischen Reich um ein Kuppeldach, welches auf vier Säulen stand und von dem oft Vorhänge herabhingen. Dieses Throndach wurde ciborium genannt und fand seinen Platz nicht nur über dem Thron des Kaisers, sondern auch über dem (frühchristlichen) Altar. Mit der Ausschmückung durch feinste Stoffe, deren Gewebe sich von dem Namen der Stadt Bagdad ableitete, wurde der Begriff »Baldachin« ab dem 15. Jahrhundert als Bezeichnung für den Thronhimmel populär. Im Thronsaal dienten die Thronhimmel vor allem dazu, den Sitz des Herrschers besonders herauszustellen und räumlich abzugrenzen. Der tragbare Baldachin wurde auf vier oder mehr Stangen getragen und hatte eine quadratische oder rechteckige Form. Für das 12. Jahrhundert ist belegt, dass der englische König vor seiner Krönung unter einem Baldachin schritt. Er konnte aber auch zur Hervorhebung einer Monstranz oder von Reliquien dienen, wie dies heute noch bei Fronleichnamsprozessionen üblich ist. Im Falle Frankfurts läge es aber nahe, an einen Baldachin zu denken, der bei dem kaiserlichen Einzug in die Stadt (Adventus) seine Verwendung fand. Nach der kurzen Beschreibung des (Einzugs-) Baldachins in der Rechnung werden die wichtigsten Kostenpunkte von Faber aufgelistet, um die Endsumme zu erläutern. Er nennt hierbei gesondert zum einen die kostbarsten Materialien wie Gold und Silber und zum anderen die Arbeiten, welche er von anderen Handwerkern ausführen lassen musste, um den Baldachin vervollständigen zu können. Das Gold als kostbarstes Material wird zuerst genannt. Es handelte sich hierbei um Blattgold, welches in dünnen Schichten zum Vergolden aufgetragen wurde. Die dünnen Blätter wurden in einem Buch zusammengefasst und in dieser Form verkauft. Faber gibt in der Rechnung sowohl den Preis für ein einzelnes Buch (4 Florin 16 Batzen) als auch die Summe für die Menge an Gold, welches er verwendet hat, an (9 Florin 9 Batzen). Somit kann vom Auftraggeber genauestens nachvollzogen werden, wieviel dieses teuren Materials zu welchem Ausgangspreis Faber verwendet hat. Insbesondere bei Gold oder Silber, aber auch bei teuren Farben – wie Lapislazuli-Blau – achteten Auftragnehmer und Auftraggeber genauestens auf Art und Verwendung des Produkts. So wurde häufig im Vorfeld detailliert festgeschrieben, in welcher Qualität wieviel von welchem Malmittel benutzt
Conrad Faber von Creuznach
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werden sollte. Daher legt Faber gerade über die Benutzung der kostbarsten Stoffe Gold und Silber genauestens Rechenschaft ab. Für seine muhe und arbeit zu lon schreibt er eine Rechnung über 12 Florin; für farben und ander notrufft sind 2 Florin zu zahlen. Anschließend an seine eigenen Ausgaben listet er die externen Arbeiten für die Anfertigung der vier Kugeln und der Adler auf, die von einem kessler und einem schlosser ausgeführt wurden für den Preis von insgesamt 2 Florin und 24 Schilling. Das Metall für die Herstellung der Adler musste Faber dem Schlosser extra bezahlen, da er diese in seiner Rechnung noch einmal gesondert mit 12 Schilling aufführt. Daraus lässt sich schließen, dass Faber für die Fertigung des Baldachins als Unternehmer tätig war; er vergab Aufträge für Arbeiten, die er nicht selbst ausführen konnte an andere Handwerker, um anschließend die Teile in seiner Werkstatt zusammenzusetzen und das Gesamtprodukt seinem Auftraggeber in Rechnung zu stellen. Er selbst führte die Malerarbeiten am Baldachin aus, trug das Blattgold auf, malte und beschriftete die 24 Wappen und versah den Ehrenhimmel mit der Titulatur des Kaisers. Für diese Arbeit forderte er inklusive Farben und anderer benötigter Materialien den in der Rechnung vorkommenden höchsten Betrag von insgesamt 14 Florin. Unklar bleibt, warum Faber ausgerechnet 1551 diesen Auftrag erhielt. Die letzte Königswahl von Ferdinand I. war 1531 in Köln gewesen und die nächste Wahl von Maximilian II. fand erst 1562 statt. Allerdings hatte Karl V. bis dato Frankfurt weder bei seiner eigenen Königswahl 1519 noch aus einem anderen Anlass besucht. Es wäre also möglich, dass die Stadt nach den Wirren während der Reformation nun mit einem baldigen Besuch des Kaisers rechnete und man vorbereitet sein wollte. Zu den Einzugsritualen bei der Königswahl in Frankfurt gehörte auch die »Einholung« des Herrschers durch Deputierte der Stadt und die Kurfürsten vor der Stadtmauer; man überreichte ihm symbolisch den Schlüssel am Stadttor. Danach wurde er feierlich zur Kirche St. Bartholomäus geleitet. Auch der zweite Abschnitt der Rechnung deutet darauf hin, dass die Stadt Frankfurt sich auf einen möglichen Besuch des Kaisers vorbereitete und dementsprechend Reparaturen und Verschönerungsarbeiten durchführen ließ. Nach der Abrechnung des Baldachins stellt Faber das Anstreichen des Uhrwerks des Fahrtors inklusive Farben für 12 Florin in Rechnung. Als Auftraggeber verweist er auf Johann von Glauburg20, der den Auftrag über 20
1535 führte Johann von Glauburg Verhandlungen mit dem Schmalkaldischen Bund und 1541 war er auf dem Reichstag in Regensburg Wortführer der Protestanten. Als solcher förderte er die Reformation in Frankfurt mit besonderem Nachdruck; siehe LERNER 1964.
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Friedrich Fröhlich21 an Conrad Faber weitergeleitet hatte. Von Glauburg war in den Jahren 1542, 1547, 1552 und 1563 älterer Bürgermeister von Frankfurt; er amtierte gleichzeitig mit einem jüngeren Bürgermeister. Die Familie der von Glauburg gehörte zum Frankfurter Patriziat und war seit der Mitte des 13. Jahrhunderts in Frankfurt ansässig. Mitglieder dieser angesehenen Familie waren insgesamt 52-mal als Bürgermeister tätig. Das in der Rechnung genannte Fahrtor (es hatte keinerlei Verbindung zu der Fahrgasse, wo sich die von Faber verwaltete Eisenwaage befand) lag auf der Südseite von Frankfurt, direkt am Main. Daneben stand der 1456 erbaute spätgotische Rententurm. Bevor die Stadt zu einer großen Messestadt wurde, befand sich am Fahrtor der königliche Durchgangszoll für die vorbeifahrenden Schiffe am Main. Dort wurden Qualität und Quantität der Waren überprüft, sowie Transportmittelzölle und Warenzölle nach Gewicht und Menge erhoben.22 Möglicherweise diente es in späterer Zeit auch zur Verzollung von Waren, die in die Stadt geliefert wurden. Da der König bei seinem Einzug in eine Stadt vor deren Toren von den Stadtoberen empfangen wurde, könnte es durchaus sein, dass ein solcher Empfang des Kaisers am Fahrtor geplant war, zumal dieses nicht weit vom Römer entfernt lag. Demnach ließe sich eine Verbindung zwischen der Anfertigung des Traghimmels und des neuen Anstrichs des Fahrtores konstruieren, und beide Aufträge wären somit im Zusammenhang mit einem möglichen Besuch des Kaisers zu sehen. Allerdings bleibt unklar, ob der Kaiser, wenn er Frankfurt besucht hätte, den Einzug durch dieses Tor gewählt hätte oder nicht doch wie Kaiser Matthias 1612 über die Alte Brücke von Sachsenhausen aus eingezogen wäre.23 Es bleibt also offen, ob es bei der Arbeit an dem Fahrtor um die üblichen Ausbesserungsarbeiten an dem Tor ging oder ob ihm eine Rolle im kaiserlichen Empfangszeremoniell zugewiesen werden sollte. Nichts destoweniger hatte es aufgrund seiner Zollfunktion auch einen repräsentativen Charakter, der unabhängig von einem möglichen Besuch des Kaisers durchaus in Stand gehalten werden musste. Es ist unklar, ob Faber zu diesem Zeitpunkt noch das Amt des städtischen Uhrstellers in Frankfurt innehatte und vielleicht primär in dieser Funktion mit der Renovierung des Uhrwerks beauftragt worden war. Aber unabhängig davon, auf Grund welcher Position Faber mit der Renovierung beauftragt worden war – ob als Maler oder als Uhrsteller – bietet 21
Möglicherweise ein Sohn von Conrad Frölich, Uhrmacher und Schmied, der 1534 städtischer Uhrsteller wurde; SIMON 1911, S. 128. 22 ROTHMANN 1998, S. 119. 23 WANGER 1994, S. 50.
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diese Rechnung, genau wie die des Baldachins, einen aufschlussreichen Einblick in das Aufgabenspektrum eines Malers an der Schwelle zwischen Mittelalter und Früher Neuzeit. Es hat sich gezeigt, dass der Maler zu dieser Zeit nicht allein im heute definierten Sinn als Künstler tätig war, sondern sein Berufsbild auch Arbeiten umfasste, die man heute im Bereich des Kunstgewerbes einordnet. Hierzu zählten sowohl Maler- und Anstreicherarbeiten als auch die Organisation und Mitarbeit an Objekten wie dem Baldachin. Zudem übernahm er zusätzliche Ämter wie das des Eisenwiegers oder des Uhrstellers, um seine finanzielle Situation zu verbessern. Dass dies im Falle Fabers nicht ausreichend war, um sich Rücklagen zu erwirtschaften und sein tägliches Leben zu finanzieren, lässt sich aus den Schulden, die er hinterlassen hat, schließen. Auf keinen Fall jedoch darf man den Auftrag, einen Ehrenhimmel anzufertigen, als Indiz mangelnder künstlerischer Fähigkeiten oder Innovation fehlinterpretieren, aufgrund derer es Faber nicht möglich gewesen wäre, sich allein von seiner Porträtkunst zu ernähren. Im Gegenteil, wir haben es hier mit einem allgemeinen Phänomen zu tun, das sich auch bei anderen Künstlern – unabhängig von ihrem künstlerischen Erfolg – feststellen lässt und somit einen wichtigen Aspekt in der Beschreibung des Künstlerlebens im Mittelalter und der Frühen Neuzeit darstellt.
Literatur ANDERNACHT 1972 – Andernacht, Dietrich: Holzhausen, v. (ev.), in: NDB, Bd. 9, 1972, S. 573–574. AUSST.KAT. 2006 – Die Kaisermacher. Frankfurt am Main und die Goldene Bulle 1356–1806, 2 Bde., Frankfurt am Main 2006. BAUER 1994 – BAUER, Thomas: Wahl und Krönung, in: Lothar Gall (Hg.): FFM 1200. Traditionen und Perspektiven einer Stadt, Sigmaringen 1994, S. 153–182. BRÜCKER 1963 – BRÜCKER, Wolfgang: Conrad Faber von Creuznach, Frankfurt am Main 1963. BÜCHER 1914 – BÜCHER, Karl: Die Berufe der Stadt Frankfurt am Main im Mittelalter, Leipzig 1914. JAHNS 1991 – JAHNS, Sigrid: Frankfurt am Main im Zeitalter der Reformation (um 1500–1555), in: Frankfurt am Main. Die Geschichte der Stadt in neun Beiträgen, hg. von der Frankfurter Historischen Kommission, Sigmaringen 1991, S. 151–204. KOHLER 1990 – KOHLER, Alfred (Hg.): Quellen zur Geschichte Karls V., Darmstadt 1990.
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LERNER 1994 – LERNER, Franz: Melem v., in: NDB, Bd. 17, 1994, S. 14. LERNER 1964 – LERNER, Franz: Glauburg, v., in: NDB, Bd. 6, 1964, S. 438–439. MATTHÄUS 2002 – MATTHÄUS, Michael: Hamman von Holzhausen (1467– 1536). Ein Frankfurter Patrizier im Zeitalter der Reformation, Frankfurt am Main 2002. ROTHMANN 1998 – ROTHMANN, Michael: Die Frankfurter Messen im Mittelalter, Stuttgart 1998. SCHAAB 1992 – SCHAAB, Meinrad: Geschichte der Kurpfalz, 2. Bde., hier Bd. 2: Neuzeit, Stuttgart 1992. SCHENK 2003 – SCHENK, Gerrit Jasper: Zeremoniell und Politik. Herrschereinzüge im spätmittelalterlichen Reich, Köln u.a. 2003. SIMON 1915 – SIMON, Karl: Faber, Conrad, in: Thieme / Becker, Bd. 11, 1915, S. 148–149. SIMON 1911 – SIMON, Karl: Urkundliches zum Meister der HolzhausenBildnisse (?), in: Monatshefte für Kunstwissenschaft 4, 1911, S. 127–128. THIEME / BECKER – Art.: Meister der Holzhausen-Bildnisse, in: Bd. 37, 1950, S. 158. WANGER 1994 – WANGER, Bernd Herbert: Kaiserwahl und Krönung im Frankfurt des 17. Jahrhunderts. Darstellung anhand der zeitgenössischen Bild- und Schriftquellen und unter besonderer Berücksichtigung der Erhebung des Jahres 1612, Frankfurt am Main 1994. ZÜLCH 1935 – ZÜLCH, Walter Karl: Frankfurter Künstler 1223–1700, (ND der Aufl. Frankfurt am Main 1935) Frankfurt am Main 1967.
STEFAN HEINZ UND SANDRA OST
Hans Ruprecht Hoffmann Bildhauer in Trier Die Rechnung über die Herstellung des Petrusbrunnens 1. Vita Hans Ruprecht Hoffmann wurde um 1543/45 in Worms geboren und verstarb 1616 in Trier. Seine Lehre begann Hoffmann wohl im Alter von elf Jahren bei dem bedeutenden Bildhauer Dietrich Schro (Schraw) in Mainz; wo er seine Gesellenjahre verbrachte, ist unklar.1 Bereits 1566/67 ließ sich Hoffmann in Trier nieder und ist dort als eigenständiger Bildhauer nachweisbar. 1568 wird er erstmals im Trierer Weinzapfbuch als Ropricht bildhawer genannt.2 Hoffmann war erwiesenermaßen mindestens dreimal verheiratet und hatte mindestens vier Kinder.3 Sein ältester Sohn, Heinrich (wahrscheinlich geb. vor 1569) wurde ebenfalls Bildhauer. Vermutlich lernte er in der Werkstatt seines Vaters und schloss seine Lehre 1583 ab. Es ist anzunehmen, dass er bereits 1594/95 als Bildhauer selbstständig tätig war. Auch der nach dem Großvater Hans Ruprecht benannte Sohn Heinrichs folgte ihm in den Bildhauerberuf und signierte mit dem Monogramm HRH des Großvaters.4 Hans Ruprecht Hoffmann gelangte in Trier schnell zu großem Ansehen. Bereits 1570 verfügte er über einen Wohnsitz in der Simeonstraße, einer der angesehensten Adressen in Trier. 1576 wurde er in die Trierer Sebastianbruderschaft aufgenommen. Nach dem Tod des amtierenden Zunftmeisters der Steinmetzen 1581 wurde Hoffmann zu dessen Nachfolger gewählt. 1
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WEINER 2004/05; wenn nicht anders angegeben, gehen alle weiteren Angaben zur Vita auf diesen Aufsatz zurück; dem Autor danken wir für seine Auskünfte. Siehe auch BALKE 1916. Für eine ausführliche Bibliographie zu Rupprich siehe OST 2005. FUCHS 1999, S. 150f.; vgl. FUCHS 2000. OEHMS, 2005, S. 420 Nr. 3034. WEINER 2004/05, S. 306f. Die Nennung des Sohnes in einem Graffito auf der Tumba des Erzbischofs Johann von Baden am 16.05. 1583 verweist wahrscheinlich auf das Ende seiner Lehrzeit. In der Abrechnung eines Altares für die Kirche in Thionville wird Heinrich gemeinsam mit seinem Vater genannt.
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Hiergegen protestierte der Rat der Stadt, da Hoffmanns (zu diesem Zeitpunkt bereits verstorbene) erste Ehefrau unehelicher Geburt gewesen war. Hoffmann selbst hatte auf einer anstrengenden Reise seinen Geburtsbrief besorgen können, der seine eigene eheliche Abstammung belegte. Die Zunftmitglieder wandten sich an den Erzbischof Johann von Schönenburg mit der Bitte um Unterstützung für die Wahl Hoffmanns gegen den Rat. Der Erzbischof engagierte sich in mehreren Schreiben für Hoffmann gegen den fortgesetzten Widerstand der Ratsmitglieder. Erst im Mai 1583 gab der Rat nach und akzeptierte Hoffmann als Zunftmeister, vermerkte aber, dass dies keinen Präzedenzfall darstelle.5 Über die Gründe für den Widerstand des Rates gegen und das Engagement des Erzbischofs für den Bildhauer wurde viel spekuliert. Nahe liegen dürfte, dass Hoffmann als bedeutender Künstler für den Landesherrn wichtig war und daher von diesem unterstützt wurde. Ebenfalls ist nicht auszuschließen, dass in den Jahren unmittelbar nach der Niederlage der Stadt im Kampf um die Reichsunmittelbarkeit der Trierer Rat jede Gelegenheit nutzte, um sich gegen die Interessen des ungeliebten Stadtherrn zu stellen.6 Über das Zunftmeisteramt hinaus wurde Hoffmann mit weiteren Führungsaufgaben betraut. Von 1584 bis 1585 war er Baumeister in Trier. In den Jahren 1604/05 bis 1606/07 amtierte er als einer der beiden Almoseniere des Almosenamts, der 1591 gegründeten städtischen Armenfürsorge Triers.7 Des Weiteren fungierte er ab 1592 bis zu seinem Tode als Synodale (Sendschöffe) der Pfarrei St. Gangolf, in deren Bezirk er lebte; im Rechnungsjahr 1614 oder 1615 wurde er zudem rechnungs- und kassenführender Kirchenmeister. Seine zahlreichen Ämter zeugen von seiner Akzeptanz als Bürger von Rang und Ehre. Zudem war er finanziell in der Lage, die Ämter zu übernehmen, da er dank seiner gut laufenden Werkstatt zu den wohlhabendsten Bürgern Triers zählte. Aufgrund seiner zahlreichen Mitarbeiter musste er auch nicht jederzeit in der Werkstatt anwesend sein. Somit verfügte er sowohl über die Finanzkraft als auch die Möglichkeit, zeitintensive und immer auch mit Kosten verbundene Ehrenämter ausfüllen zu können. Hans Ruprecht Hoffmann unterhielt, wie die meisten Handwerker seiner Zeit, eine eigene Werkstatt mit mehreren Mitarbeitern und Gesellen. Einige sind namentlich bekannt, wie sein Sohn Heinrich Hoffmann, Jacob Conchardt oder Conrad Haar. Dass der Handwerksbetrieb eine gewisse Größe hatte, erklärt und belegt zudem die stilistische Bandbreite seiner Werke, die 5 6
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KENTENICH 1907. Zum andauernden Streit um die Reichsfreiheit der Stadt Trier vgl. BURGARD 1996, und LAUFNER 1988, S. 3–8. Rechnungsbuch des Almosenamtes, Stadtarchiv Trier TA 2/1; zum Almosenamt vgl. ACKELS 1984.
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deutliche Unterschiede in der Fertigungsqualität erkennen lassen. Dennoch wurde auch an Arbeiten mit minderer künstlerischer Qualität das Monogramm HRH an auffälligen Stellen angebracht. Demnach kann das Monogramm genauso als »Firmen-Logo« angesprochen werden wie die Signatur von Lucas Cranach dem Älteren in seiner Werkstatt. Bereits seit 1560 findet sich die Signatur auf einer von Hoffmann für einen Mainzer Geistlichen gearbeiteten Medaille. Der Großteil der Werke, die ihm oder seiner Werkstatt und Nachfolgern zugeschrieben werden, ist mit diesem Monogramm signiert. Hoffmann werden mindestens 30 Werke selbst zugewiesen, 50 seiner Werkstatt und seinen Nachfolgern zugeordnet. Die Arbeiten befinden sich in Trier und dessen Umland und sind regional weit verbreitet. In der Familie Hoffmann wurde das Kürzel HRH bis zu seinem Enkel Hans Ruprecht als Markenzeichen weiter verwendet. Nach dem Tod des Großvaters Hans Ruprecht Hoffmann 1616 verlor die Werkstatt jedoch aufgrund ihrer sinkenden Qualität rasch an Bedeutung. Unter den Auftraggebern Hoffmanns und seiner Werkstatt sind Erzbischöfe, Kanoniker, Professoren der Trierer Universität, Schöffen und Bürgermeister, somit die geistliche wie weltliche Führungsschicht des Trierer Landes. Sein Schwerpunkt lag jedoch auf der Produktion von kirchlichen Großaufträgen. Wahrscheinlich galt er deshalb als einer der »Hoflieferanten« der Erzbischöfe bzw. Kurfürsten Triers. So bediente sich der Erzbischof und Kurfürst Jacob von Eltz der Dienste Hoffmanns, um seine politischen wie kirchenpolitischen Ziele zu visualisieren. Er beauftragte den Künstler beispielsweise, eine Medaille zu entwerfen, die den juristischen Sieg des Erzbischofs und Kurfürsten über die Selbständigkeitsbestrebungen der Stadt Trier 1580 dokumentierte.8 Des Weiteren ließ er von ihm das kurfürstliche Wappen mit Inschriften zur ewigen Erinnerung an dieses Ereignis an den vier Stadttoren anbringen. In diesen prekären politischen Zusammenhang ist auch die Errichtung des Petrusbrunnens auf dem Trierer Hauptmarkt von Hoffmann einzuordnen, welcher nachfolgend anhand einer Rechnung detailliert besprochen werden soll.
2. Quelle Auszüge aus der Kostenaufstellung der Verwaltung der Stadt Trier für die Fertigung und Aufstellung des Petrusbrunnens auf dem Trierer Hauptmarkt aus den Jahren 1594 bis 1596. 8
SCHNEIDER / FORNECK 1993, S. 21f.
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SCHMID, Wolfgang und Andrea FLECK: Die Rechnung über die Herstellung des Petrusbrunnens auf dem Trierer Hauptmarkt (1594/95). Edition und Kommentar, in: Kurtrierisches Jahrbuch, 36. Jg., 1996 (= Festschrift für Richard Laufner zum 80. Geburtstag), [Auszüge] S. 142–154. Die von Schmid und Fleck zitierte Quelle befindet sich im Stadtarchiv Trier, Ta 4/10, fol. 26–34’ und Ta 4/11, fol. 20–22. Bei der Textgestaltung wurden von Schmid und Fleck die Groß- und Kleinschreibung sowie die Zeichensetzung vereinheitlicht; die kleinen römischen Zahlen wurden durch arabische Ziffern ersetzt und die Währungsangaben einheitlich abgekürzt; der besseren Lesbarkeit wegen wurden von ihnen i und j sowie u und v normalisiert. – In unserem Abdruck wurden die Tages- und Monatsangaben von Schmid und Fleck vereinheitlicht. Rechnungsjahr 1594/95 Außgab Geldt des Bronnens uff dem Marckt (etc.) 1. Item die Woch Lucae (18.10. 1594) mit Endreßen von Winterßdorff uff vier Fhoren Stein zulieberen, so zum Posten des Bronnens kommen soll, darauff im geben 3 dlr. aber nicht geliebert worden, stehn die selbe drey daller meinen Hern noch auß, facit – 3 fl. 18 alb. [...] 6. Item die Woch Nativitatis D(omi)ni (25.12.) uff anhaltens Peters von Ahe, wegen der erster 12 Stein, so er zum Sarck geliebert sich beklagt durch Verwilligungh des Hern Burgermeisters, ime noch erlegt 2 dlr. thut – 2 fl. 12 alb. Item vor ein Stuck Steins so gebrechlich und zu dem ronden Stein uff dem Posten kommen geben – 4 fl. 9 alb. […] Noch vor drey Stein so unden ins Wasser zum Steill kommen. Vor jedern geben 4 dlr. thut – 13 fl. 3 alb. [...] 14. Item die Woch Cantate (23.04. 1595) […] Dem Steinmetz verehrt ein Maß Weinß das er zu Ahe die Stein besehen und im Regen gehn mussen – 4 alb. [...] 21. Item die Woch Viti et Modesti (15.06.) Petern von Ahe von 6 Steinen, so zum Boden kommen, da der Sarck instehet, geben vor jedern Stein 3 dlr., und zweien Stein so zum Steil, und einer der die Engels Kopff ankommen, geben vor jedern 3 dlr., und vier Fhoren gemeiner Stein, so ins Steinmetzmeisters Hauß kommen, jede Fhor 25 alb. – 34 fl. 4 alb. Dem Hoffmann uff der Alten Hoff mit noch dreyen Gespan die vier Fhoren ins Steinmetzmeisters Hauß gethan, jederm geben 1 dlr. – 5 fl. Noch vor Biehr und Brodt – 6 alb.
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Dieselbe Woch ahn den Steinen gehauwen, und den alten Bronnen zum Theil abgeworffen, Meister Clauß, Eiffel Hanß, sein Knecht. Jeder 6 Tagh, thut 18 Tagh. Jedes Tags 7 alb. 4 ß. – 5 fl. 12 alb. [...] 22. Item die Woch Joannis Babtistae (24.06.) […] Den selbigen Tagh den Brohnen Leider von Wittlich sampt seinem Gezeugh durch das Spitals Gespan holen lassen, den Karchern geben – 6 fl. 23. Item die Woch Petri et Pauli (29.06.) ahn dem Geschrenck den Bronnen zugeschlagen, dem Bronnen Leider 2 Benck verfertiget, etliche newe Leiteren gemacht, ahn Koerens und Moselpfordt die Durren verbessert, Meister Wilhelm, sein Knecht. Jeder 4 Tagh, thut 8 Tagh. Jedes Tags 7 alb. 4 ß thut – 2 fl. 10 alb. 8 ß. Dieselbe Woch Meister Clauß, Dietz von Paligen und sein Knecht ahm Marckbronnen und ins Steinmetzmeisters Hauß zum hohen Gebel den Koitt helffen machen. Jeder 4 Tagh thut 12 Tag, jedem des Tags 7 alb. 4 ß. thut – 3 fl. 16 alb. [...] 24. I(tem) die Woch Visitationis Marie (02.07.) […] Dem Bronnenleider vor Abendtbrodt, Khieß und Bier – 20 alb. 6 ß. Den Steinmetzen vor den ersten Stein zu legen verehret auß Bevelch der Hern Burgermeister – 2fl. 25. Item die Woch Margrethe (13.07.) […] Der Zimmerman den Kranen von St. Maxmein geholt und uffgeschlagen, das Geschrenck mit uffgeschlagen und umbher zugeschlagen mit seinem Knecht 7 Tagh, jedes Tags 7 alb. 4 ß. – 2 fl. 3 alb. 4 ß. Den Kranen zufuhren – 3 alb. 6 ß. [...] 27. Item die Woch Jacobi (25.07.) […] Item noch die Woch, do man den Peter uffgesetzt, denn Hern Steinmetz Meister, seinen Gesellen und die Steinmetz zum Nachtessen, irer acht Personen verthan – 3 fl. 8 alb. [...] 35. Item die Woch Matthei (21.09.) ahn der Pafeien gearbeith Hanß und Peter. Jeder 4 Tagh, thut 8 Tagh, jedes Tags 7 alb. 4 ß. – 2 fl. 10 alb. 8 ß. [...] 36. [...] Item außgeben vor Koldt, so ich mitbracht hab von Coeln 20 Reichs dlr. und durch Johan Bochbender mitbringen lassen 6 bucher vor 6 Reichs Daller, thut 26 Reichs Daller facit – 39 fl. Ahn Lein und Noeß Olig von underschiedtlichen Personen erkaufft 28 ½ Sester, jeder Sester 2 dlr., per 30 alb. den dlr. – 71 fl. 6 alb. Friedrichen Maler vor seine Farb und Arbeith erlegt 28 dlr. jedern per 30 alb. thut – 35 fl. Item dem Hern Steinmetzmeister vor seine Belohnungh erlegt 190 dlr., jedern per 30 alb. – 237 fl. 12 alb.
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Der Frawen und Dienern – 7 fl. 16 alb. […] Item dem Bronnenleider vor seine Belohnungh erlegt – 200 fl. Dem Dhiener verehrt – 4 fl. […] Item dem Maler vor sein Abendbrodt taglichs ein halb Maß Wein, und ein halben alb. Brodt und Kieß geben, thut taglichs 2 ½ alb., [...]. [...] 38. Item die Woch Dionisii (09.10.) follens ahn dem Marckt Bronnen die Pafey verfertiget Hanß und Peter 5 Tagh, des Tags 5 ½ alb., facit – 1 fl. 3 alb. 6 ß. Hansen Jungh 4 Tagh, des Tags 3 ½ alb. – 14 alb. Honckel Clauß 4 Tagh, des Tags 6 alb. – 1 fl. […] Acht Fhoren Paveyen Stein thut 17 Fhoren, jede Fhor 1 alb. 9 ß. – 1 fl. 5 alb. 9 ß. […] Item vor drey Kessel so man zum Keitt gebraucht geben – 8 fl. 8 alb. Item Heindrichenn Hoffman wegen des Zey(n)ns, so zum Loden der Rhor khom(m)en, erleget laudt Zettels mit No. 8 – 11 fl. 19 alb. 6 ß. Item bey dem Herren Burgermeister Kylborg wegenn des Bleyß, so bey im ausgenhomen wordenn und erdragtt sebenzich drey Center funffzich newyn Pfundt, eder Center per 4 fl. 19 alb. thut – 352 fl. 14 alb. Item Gorg Horcken wegen des Bronnens so er gearbeitt mitt dem Gerembs laudt Zettels mitt No 9 gezeichent, so erdragtt – 75 fl. 21 alb. 9 ß. Item zu underscheidtlichen Malle(n) ettlichen Weynn uff denn Bronne(n) hollenn lassenn auch den Bhorre(n) Leyder mitt seyner Hausfrawenn zum(m) Nacht Essenn unnd sonnst zu Morgen Essen gehabtt – 12 fl. 12 alb. (Vor meynn jarliche belhonungh 25 fl.)9 […] Sommarum aller Außgaeb des Borrens erdragtt – 1632 fl. 7 alb. 11 ½ ß. Rechnungsjahr 1595/96 7. Item die Woch Alexy (17.07. 1596) […] Item bey Adriann Apodecker 10 Böcher Goldts zum Gerembts zuvergulden vor edes gebenn 14 alb. – 5 fl. 20 alb. 8. Item das vergangen Jaer 95 [!] vergessenn worden zweyen Khrane(n) so ich bey dem Kopergisser mache(n) lassenn so uff den Marckt khome(n) seintt gewegenn 36 lb., edes lb. 3 ½ alb. thutt – 5 fl. 6 alb. […] Item dis Jar zweynn newe Khranen machenn lassen, welcher eynner in die Weyher Wesen khommen, denn and(er) noch inn warhatt haben gewegenn 46 lb. edes lb. 3 ½ alb. – 6 fl. 17 alb. 9
Diese Zeile ist im Original durchgestrichen.
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9. Item die Woch Jubelatae (16.04. 1596 [!]) […] Item bey Schleyer Thonniß ahnn Goldt das Gerembts zu ubergulden noch geholttenn 7 Beucher, edes Boch 14 alb. – 4 fl. 2 alb. […] Sommarum aller Außgab des Marckt Bronnens erdragtt diß Jar 130 fl. 20 alb. 7 ß. (Übertragung ins Neuhochdeutsche) Rechnungsjahr 1594/95: Ausgaben des Brunnens auf dem Markt 1. In der Woche um Lucas (18.10. 1594) wurde vereinbart mit Endreßen von Winterßdorff, 4 Fuhren Steine zu liefern, die zum Fundament des Brunnens kommen sollen. Davon wurden ihm 3 Taler gegeben, aber nichts wurde geliefert. Die drei Taler hat mein Herr noch zu erhalten; macht 3 Florin 18 Albus 6. In der Weihnachtswoche (25.12.) wurden dem Peter von Aach auf dessen Drängen wegen der ersten 12 Steine, die er für den Brunnentrog geliefert hatte, nach Bewilligung des Herrn Bürgermeisters noch 2 Taler gezahlt. Macht 2 Florin 12 Albus Für ein Stück Stein, das zerbrochen war und für den runden Stein auf dem Boden verwendet wurde, ausgegeben 4 Florin 9 Albus Noch für drei Steine, die unten im Wasser zur Brunnensäule (Steill10) gekommen sind, je 4 Taler, macht 13 Florin 3 Albus 14. In der Woche Cantate (23.04.) wurde dem Steinmetz ein Maß Wein verehrt, weil er zu Aach [bei Trier] die Steine begutachtet und dorthin im Regen gehen musste, macht 4 Albus 21. In der Woche Vitus et Modestus (15.06.) wurde Peter von Aach bezahlt für 6 Steine, die zum Boden kommen, auf dem der Brunnentrog steht, je Stein 3 Taler und für zwei Steine, vorgesehen für die Brunnensäule und einen Stein, an dem die Engelsköpfe11 angebracht sind, je Stein 3 Taler. Und für vier Fuhren einfacher Steine, die der Steinmetzmeister in die Werkstatt geliefert bekam, je Fuhre 25 Albus, macht 34 Florin 4 Albus Dem Hofmann des Altenhofs [bei Trier-Biewer], der mit drei weiteren Gespannen die vier Fuhren zum Steinmetzmeister geliefert hat, jedem 1 Taler gegeben, macht 5 Florin Des weiteren für Bier und Brot 6 Albus In derselben Woche wurden für Steinmetzarbeiten und den Teilabbruch des alten Brunnens Meister Clauß, Eiffel Hanß und sein Knecht bezahlt. 10 11
Hergeleitet von »stilus« lat. für Stiel. Es ist wohl einer der Steine gemeint, an denen die Wasserspeier in Puttenform befestigt wurden.
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Jeder 6 Tage, macht 18 Tage, jeder Tag 7 Albus 4 Schilling, macht 5 Florin 12 Albus 22. In der Woche Johann Baptist (24.06.) den Brunnenmeister von Wittlich mitsamt seinem Werkzeug mit dem Gespann des Jakobspitals abholen lassen – dafür den Fuhrleuten (Karchern) gezahlt – 6 Florin 23. In der Woche Peter und Paul (29.06.) den Brunnen mit einem Gerüst (Geschrenck) eingeschlossen, dem Brunnenmeister 2 Bänke angefertigt, etliche neue Leitern hergestellt, an der Kürenzer und der Moselpforte die Türen verbessert, an Meister Wilhelm und seinen Knecht gezahlt für je 4 Tage, macht zusammen 8 Tage, je Tag 7 Albus 4 Schilling, macht 2 Florin 10 Albus 8 Schilling In derselben Woche dem Meister Clauß, Dietz von Pallien und seinem Knecht dafür, dass sie am Marktbrunnen und im Haus des Steinmetzmeisters »Zum hohen Giebel«12 den Kitt13 zu machen geholfen haben. Jeder 4 Tage, macht 12 Tage; je Tag 7 Albus 4 Schilling, macht 3 Florin 16 Albus 24. In der Woche Heimsuchung Mariae (02.07.). Dem Brunnenmeister für Abendbrot, Käse und Bier 20 Albus 6 Schilling Des Weiteren dem Steinmetzen auf Befehl des Bürgermeisters, weil er den ersten Stein gelegt hat, als Verehrung gezahlt 2 Florin 25. In der Woche Margaretha (13.07.). Dem Zimmermann, der den Kran von (der Abtei) St. Maximin geholt und aufgebaut sowie das Gerüst aufgemacht und wieder geschlossen hat14, und seinem Knecht für 7 Tage, je Tag 7 Albus 4 Schilling, macht 2 Florin 3 Albus 4 Schilling Für den Transport des Krans 3 Albus 6 Schilling 27. In der Woche Jacobus (25.07.). Auch noch in der Woche, in der man den Petrus aufgesetzt hat, wurden dem Herrn Steinmetzmeister, seinen Gesellen und den Steinmetzen, zusammen 8 Personen zum Nachtessen gezahlt 3 Florin 8 Albus 35. In der Woche Matthias (21.09.) wurden Hanß und Peter, die am Pflaster gearbeitet haben, bezahlt, jeder 4 Tage, zusammen 8 Tage, je Tag 7 Albus 4 Schilling, macht 2 Florin 10 Albus 8 Schilling 36. Des Weiteren ausgegeben 20 Reichstaler für Gold, das ich von Köln mitgebracht habe und 6 Reichstaler für 6 Bücher, die ich von Johan Bochbender habe mitbringen lassen, 26 Reichstaler, macht zusammen 39 Florin 12
STRASSER 1916, S. 190. Koitt = Kitt. Es steht zu vermuten, dass hiermit eine Art Zement gemeint ist, der den Brunnen abdichtete; SCHMID / FLECK 1996, S. 145. 14 Das Gerüst musste dicht um den Brunnen herum aufgebaut und dazu geöffnet und wieder fest verschlossen werden. Diese aufwändige Arbeit war zeitraubend und teuer. 13
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An Lein- und Nussöl von unterschiedlichen Verkäufern 28½ Sester erworben, jeder Sester15 zu 2 Taler, je 30 Albus den Taler, macht 71 Florin 6 Albus Friedrich, dem Maler16 für Farben und Arbeit 28 Taler gegeben, je Taler 30 Albus, macht 35 Florin Des Weiteren dem Herrn Steinmetzmeister für seine Belohnung 190 Taler gegeben, je Taler 30 Albus, macht 237 Florin 12 Albus Den Frauen und Dienern gegeben 7 Florin 16 Albus Des Weiteren dem Brunnenmeister für seine Belohnung gezahlt 200 Florin Dem Diener gegeben 4 Florin Des Weiteren dem Maler für sein Abendbrot täglich ein halbes Maß Wein, und für einen halben Albus Brot und Käse gegeben, macht täglich 2 ½ Albus 38. In der Woche Dionysius (09.10.) wurden gezahlt an Hans und Peter, die die Pflasterarbeiten am Brunnen vollendeten, für je 5 Tage, je Tag 5 ½ Albus, macht zusammen 1 Florin 3 Albus 6 Schilling Hansen Jungh für 4 Tage , je 3 ½ Albus, macht 14 Albus Honckel Clauß für 4 Tage, je Tag 6 Albus, macht 1 Florin Acht Fuhren Pflastersteine, macht 17 Fuhren, je Fuhre 1 Albus 9 Schilling, macht 1 Florin 5 Albus 9 Schilling Für drei Kessel, die man zum Kitt gebraucht hat, 8 Florin 8 Albus gegeben Dem Heinrich Hoffmann für Zinn, das zum Löten der Rohre gebraucht worden ist, wurden laut Beleg Nr. 8 11 Florin 19 Albus 6 Schilling bezahlt Weiterhin dem Herrn Bürgermeister Kylburg für Blei, das bei ihm geholt wurde, nämlich 73 Zentner 50 neue Pfund, jeder Zentner für 4 Florin 19 Albus, macht 352 Florin 14 Albus Des Weiteren an Gorg Horcken, weil er am Gitterwerk (Gerembs) des Brunnens gearbeitet hat, laut Beleg Nr. 9 gezahlt 75 Florin 21 Albus 9 Schilling Des Weiteren für unterschiedliche Male, an denen man Wein zum Brunnen bringen ließ, und auch für den Brunnenmeister und seine Ehefrau zum Abendessen und zum Frühstück gezahlt 12 Florin 12 Albus Für meinen Jahreslohn 25 Florin
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28,5 Sester entsprechen (bei 5,32 l pro Sester) rund 152 Litern; ebd., S. 150. Der Maler wird Friedrich Noue gewesen sein, wohl ein Sohn des Gerhard Nauen, der einen Stadtplan Triers aus dem Jahr 1571 hinterlassen hat; ebd., S. 140.
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Die Summe aller Ausgaben des Brunnens ist: 1632 Florin 7 Albus 11½ Schilling Rechnungsjahr 1595/96 7. Des Weiteren in der Woche Alexy (17.07.) bei Adrian, dem Apotheker, 10 Bücher Blattgold gekauft, um das Gitterwerk zu vergolden, jedes zu 14 Albus, macht 5 Florin 20 Albus 8. Des Weiteren, was im Jahr 95 vergessen worden war, für zwei Kräne, die ich beim Kupfergießer habe machen lassen, die zum Markt gebracht wurden, und 36 lb. wiegen, jedes lb. 3,5 Albus macht 5 Florin 6 Albus Des Weiteren wurden dieses Jahr zwei neue Wasserbehälter gemacht, von denen einer in die Weiherwiese kam17, der andere noch auf Vorrat war. Wiegen 46 lb., jedes lb. 3,5 Albus; macht 6 Florin 17 Albus 9. Des Weiteren in der Woche Jubilate (16.04.) bei Schleyer Thonniß noch weitere 7 Bücher Blattgold gekauft, um das Gitterwerk zu vergolden, jedes Buch zu 14 Albus, macht 4 Florin 2 Albus Die Summe der Ausgaben für den Marktbrunnen beträgt dieses Jahr 130 Florin 20 Albus und 7 Schilling.
3. Kontextualisierung Das bedeutendste und noch heute auffälligste profane Werk Hoffmanns und seiner Werkstatt ist der Petrusbrunnen auf dem Trierer Hauptmarkt aus dem Jahr 1595. Er war anstelle eines baufällig gewordenen Vorgängerbrunnens vom Erzbischof und Kurfürsten Johann von Schönenburg in Auftrag gegeben worden, der somit auch das Bild- und Figurenprogramm des Brunnens bestimmte. Für die Finanzierung und Durchführung des Baus war allerdings die Stadt verantwortlich, die dies über die Baumeisterei abwickelte, welche wiederum dem Kurfürsten als Stadt- und Landesherrn unterstand. Erhalten hat sich als wichtiges Dokument zur Entstehung und Ausführung des Brunnens die Rechnung des Bildhauers Hoffmann, welche in Auszügen als Quellengrundlage dieses Beitrags gewählt worden ist. Sie nimmt 18 Seiten im Rechnungsbuch der städtischen Baumeisterei ein, welches im betreffenden Zeitraum vom Krämermeister und Kaufmann Hans Pratz geführt wurde. Pratz hatte für die Abrechnung des Brunnens eine eigene Rubrik aufgemacht Außgab Geldt des Bronnens uff dem Marckt. In wöchentli17
Es handelt sich hier wohl um einen der drei Karthäuser-Weiher; die Kosten beziehen sich auch auf Reparaturen am Brunnennetz bzw. der Brunnenleitung, ebd., S. 136.
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chen Abschnitten wurden die (in Art und Anzahl wiederkehrenden) Einzelposten von Handwerkern und Tagelöhnern entsprechend der Entlohnung selbiger aufgeführt. Des Weiteren wurden Zahlungen aufgelistet, die gegen Rechnungsbelege (Zettel) vorgenommen wurden. Hierzu zählen die Einkäufe von Material und Arbeiten, die nicht nach Zeitaufwand, sondern als Stücklohn abgerechnet wurden. Die letztgenannten sind im Rechnungsbuch in einer anderen Handschrift vermerkt als die wöchentlichen Ausgaben. Die Rechnung zeigt, dass ein solches Kunstwerk nicht das Produkt eines einzigen kreativen Künstlers ist, sondern zahlreiche weitere Handwerker, Fachleute und Institutionen daran mitgewirkt haben. Aus der Quelle wird ferner ersichtlich, wie die unterschiedlichen Werkstätten Hand in Hand gearbeitet haben, was eine gute Koordination und organisierte Logistik voraussetzte. Der Bildhauer Hoffmann musste mit dem Brunnentechniker ebenso zusammen arbeiten wie mit dem Fassmaler. Hinzu kamen die vielen Tagelöhner, deren Arbeit im gleichen Maße geplant werden musste wie der Einsatz der Fuhrleute (Transport) und der Einkauf von Material. Gearbeitet wurde am Brunnen fast ganzjährig mit Ausnahme der Dezembermitte und der Monate Januar und Februar. Im Oktober 1594 setzen die Rechnungsaufzeichnungen ein; bis in den Frühling 1595 handelte es sich überwiegend um Vorbereitung und Materialbeschaffung, verstärkt wurde ab Juli 1595 gearbeitet, und zwar von bis zu zehn Arbeitern gleichzeitig. Die Rechnungsposten erscheinen in der Reihenfolge ihres Anfallens, sind also chronologisch und nicht thematisch geordnet. Daraus kann man den Arbeitsfortschritt am Brunnen in der tatsächlichen Reihenfolge ablesen. Das hat für die kunsthistorische Analyse zur Folge, dass zwar die einzelnen Zahlungen an Tagelöhner sehr detailliert zu finden sind, die Ausgaben für Bildhauer und Fassmaler als Stücklohn jedoch nicht näher spezifiziert werden, sondern als Sammelbetrag aufgeführt werden. Aus der Analyse ergibt sich, das fast das ganze Rechnungsjahr 1594/95 hindurch gearbeitet wurde, wobei im Juli 1594 die meisten Arbeiten am Brunnen erfolgten. Die vorbereitenden Steinmetzarbeiten zogen sich bis ins Frühjahr 1595 hin. Wir lesen von Steinen, die für die Brunnenplatte, den Brunnentrog sowie die Brunnensäule Verwendung fanden und schließlich von einem Stein, auf dem die Säule steht. Die Kosten für die Installationsarbeiten an der Wasserleitung werden abgerechnet sowie ein Gerüst. Im Juli konnte dann mit der Zusammensetzung des Brunnens begonnen werden, wobei man für die Montage einen Kran benötigte, den man sich – da die Stadt offensichtlich nicht über einen eigenen verfügte – von der Abtei St. Maximin auslieh. In der letzten Juliwoche beging man das Richtfest. Die abschließenden Arbeiten betrafen Reparaturen an dem Leitungsnetz, die farbige Fassung des Brunnengitters, welches eine beachtliche Menge an
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Gold erforderte, sowie Dichtungsarbeiten am Brunnen mit Leinöl, Wachs und Unschlitt (Talg). Die Kosten wurden zum größten Teil, nämlich mit 1.632 Florin 7 Albus und 11 ½ Schilling bzw. 130 Florin 20 Albus 7 Schilling, in den Rechnungsjahren 1594/95 und 1595/96 abgerechnet. Zu einigen Einzelposten: An Fuhrleute wurden für elf Transporte 18 Florin bezahlt, neun Steinlieferungen kosteten 70 Florin, vier Einkäufe von Lehm schlagen sich in der Rechnung mit 2 Florin nieder. Feiner und grober Sand, je sechs bzw. sieben Mal geordert, kosteten 25 Florin. Weiterhin wurde für Material wie Kalk, Holz, Blei, Pflastersteine (Paveyen), Kohlen, Draht, Nägel und ähnliches 248 Florin bezahlt. Dieser Posten umfasst somit 15 % des gesamten Budgets. Die hohe Summe, die man allein für das Blei aufwendete, lässt annehmen, dass es nicht nur für den Brunnen selbst verwendet wurde, sondern möglicherweise auch das Rohrleitungssystem erneuert wurde, das ja noch vom gotischen Vorgängerbrunnen stammte. So macht denn auch den größten Einzelposten der Rechnung nicht der Lohn des Bildhauers und Steinmetzen aus, sondern die Ausgabe für das Material Blei, das durch den Bürgermeister Kilburg geliefert wurde: 352 Florin 14 Albus und damit 21,6 % der Gesamtsumme. An zweiter Stelle folgt mit 14,6 %, 273 Florin 12 Albus, das Honorar für Hoffmann. Der Brunneningenieur, ein aus Wittlich stammender Michael Stein, verursachte mit 200 Florin 12,3 % der Kosten. Stein war kurfürstlicher Brunnenmeister, wie aus anderen Quellen (z. B. Kirchenbüchern) zu ermitteln ist. Aktiv war er zwischen 1593 und 1638. Als Spezialist für die Wasserkunst hatte er am Park des kurfürstlichen Schlosses in Wittlich und dem dortigen Brunnen gewirkt. Auf den ersten drei Plätzen der Abrechnung des Brunnens standen also Material, Künstler und technischer Leiter. Letzterer war besonders wichtig, denn das Bauwerk war nur sinnvoll, wenn der Brunnen auch benutzbar war; die Konstruktion und das Leitungssystem mussten lege artis ausgeführt werden. Ein großer Posten waren auch die Ausgaben für das Material zur Vergoldung, welches in Blattgoldbüchern gekauft wurde; aus beiden Rechnungen zusammen ergibt sich der Betrag von 48 Florin und 22 Albus. Die große Menge Blattgold, die man auswärts einkaufte, genügte jedoch nicht, so dass man im zweiten Rechnungsjahr für die noch anfallenden geringeren Vergoldungsarbeiten auf Trierer Verkäufer zurückgriff. Ein nicht ganz so hoher Betrag wurde für den Fassmaler aufgewendet, der für Farbe und Arbeit 35 Florin (2,15 %) erhielt. Dieser nur Friedrich genannte Maler wird wohl mit Friedrich Noue zu identifizieren sein. Wie es seinerzeit allgemein üblich war, wurden neben der Ehefrau des Steinmetzen auch der Diener Hoffmanns und der Knecht des Brunneningenieurs mit Trinkgeldern bedacht. Sie erscheinen mitunter namentlich im
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untersuchten Quellentext, wenngleich Knechte, Gesellen, Lehrlinge und Tagelöhner meist lediglich mit Vor- oder Rufnamen Erwähnung finden. Ein sozialgeschichtlich spannender Posten sind die Ausgaben für Lebensmittel und Getränke: Der auswärtige Brunneningenieur musste mit Brot, Käse und Bier verköstigt werden, auch ließ man gelegentlich (zu underscheidtlichen Mallen[n]) nicht geringe Mengen (ettlichen) Wein zum Bauplatz kommen, und der Steinmetz erhielt als Aufwandsentschädigung Wein für die Begutachtung von Steinen, weil die Arbeit durch einen Regenschauer erschwert wurde. Insgesamt entfielen als Kosten für Lebensmittel rund 30 Florin an, immerhin 2 % der Gesamtsumme. Der Verdienst der Handwerker war unterschiedlich und reichte von drei bis sieben Albus Tageslohn. Hier wird die Schwere und Komplexität der Arbeit ebenso berücksichtigt worden sein wie die Erfahrung der betreffenden Arbeitskraft. Insgesamt fielen 846 bezahlte Arbeitstage an und schlugen mit 246 Florin zu Buche, was 15 % der Gesamtkosten ausmachte. Um die Beträge in Relation zu setzen, kann man sich folgende Rechnung vor Augen halten: Wenn man von einem durchschnittlichen Tageslohn von sechs Albus und ganzjähriger Vollbeschäftigung ausgeht, so hätte ein Handwerker im Tagelohn zur Zeit des Brunnenbaus 26 Jahre lang arbeiten müssen, um die 1.500 Florin zu verdienen, die der Brunnen gekostet hat. Dieser Vergleichswert zeigt, welch enorm hohe Kosten die Errichtung eines Brunnens verursachte, die, nicht nur in diesem Beispiel, von der Stadt gezahlt wurden. Insbesondere der Bau von Leitungen und Verteilersystemen sowie die wassertechnische Anlage des Brunnens selbst stellte eine gewaltige finanzielle, organisatorische, technische und künstlerische Herausforderung dar.18 Aufgrund des enormen Aufwandes, den die Erbauung eines Brunnens mit sich brachte, verwundert es nicht, dass gerade das für die Rohre so wichtige Material Blei sowie die organisatorischen und technischen Leiter die höchsten finanziellen Posten einnahmen. Hans Ruprecht Hoffmann erhielt als Großunternehmer und Organisator des Projektes 73 Florin und 12 Albus mehr als der Brunneningenieur Michael Stein. Man kann sicherlich den Schluss ziehen, dass diese Entlohnung der enormen Verantwortung des Hauptorganisators geschuldet war, welcher neben den rein praktischen Ausführungen auch mit der künstlerischen Ausgestaltung des Brunnens betraut war. Nicht eingerechnet waren die Folgekosten, die der Bau eines Brunnens nach sich zog. Neben der Wahrung der Wasserqualität galt es, die Architek18
Grundlegend die Arbeiten von RIPPMANN 2008, KERN 2002, SCHMID 1998 und SCHMID / FLECK 1996; zum Vergleich der Brunnen in Mainz und Nürnberg siehe HEINZ 2005 und HAUSCHKE 1994.
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tur des Brunnens zu sichern und von Zeit zu Zeit Reparaturen durchzuführen oder die Farbfassung zu erneuern. Dementsprechend haben verschiedene Städte Schutzbestimmungen für das Wasser und Regelungen für die Benutzung von Brunnen ausgesprochen; belegt sind mehrere Richtlinien für den Schönen Brunnen in Nürnberg.19 Derartige Bestimmungen und die hohen Kosten für Reparaturen und Wartungsarbeiten sind deutliche Indikatoren dafür, dass Brunnen als schützenswerte Kunstobjekte angesehen wurden.
4. Der Petrusbrunnen als Denkmal Der Brunnen besteht aus einem sechsseitigen Wassertrog und einer in mehreren Etagen ausgeführten Säule, die von diversen Figuren und anderen Elementen verziert wird. Der Durchmesser des Brunnens beträgt 5,40 Meter, die Höhe der Brunnensäule misst 7,90 Meter. Die augenfälligsten Figuren sind die der vier Kardinaltugenden, die mit ihren Attributen dargestellt werden und sich am Brunnenstock an der ersten Brunnenschale befinden. Es handelt sich hierbei um Justitia mit Schwert und Waage, Fortitudo mit zerbrochener Säule, Temperantia mit Wein und Wasser und Prudentia mit Spiegel und Schlange. Hinter den Figuren der Tugenden treiben, auf dem Brunnenschaft in feinem Relief dargestellt, Affen allerlei unartige Dinge.20 Die zweite Brunnenschale ist mit Putten, die auf Delphinen reiten, geschmückt. Darüber sind von Adlern getragene Wappen angebracht. Es handelt sich hierbei um die Wappen des Erzbischofs, Kurtriers und der Stadt Trier. Die Säule wird bekrönt von einer 1,46 Meter großen Figur des heiligen Petrus, des Stadtpatrons Triers. Sein Blick ist auf die Steipe gerichtet. Ergänzt wird das Bildprogramm durch zwei Inschriftentafeln. Der Text der ersten Tafel lautet: Foelix respub(lica) ubi Prudentia sceptra tenet; sancta Iustitia bonos tuetur et sontas [sic! = sontes] gladio ferit, Fortitudo in adversis dominatur et laudabilis Temperantia cuncta moderatur (Glücklich die Stadt, wo Klugheit das Zepter hält, heilige Gerechtigkeit die Guten schützt und die Schuldigen mit dem Schwerte trifft, wo in bösen Tagen Starkmut herrscht und Mäßigung löblich alles lenkt). Auf der zweiten Tafel 19
Eine Nürnberger Polizeiordnung aus dem 15. Jahrhundert drückt die Sorge des Rates um den wohl größten und aufwändigsten Brunnen im Reich aus: Strengstens und unter Geldstrafe verboten war, den Brunnen zu beschädigen, auf ihn zu klettern o. Ä. Die Abflüsse durften nicht verändert werden. Waschen war z. B. nur in eigens dafür vorgesehenen Gefäßen erlaubt. Zu diesen und weiteren Maßnahmen vgl. HEINZ 2005, S. 304–306. 20 Die Affen werden als Gegenspieler der Tugenden gedeutet. Vgl. KERN 2002, S. 232.
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ist zu lesen: Ex his virtutibus velut aqua de fonte salu(s) populi omniaque rei publicae bona p(er)manat (Aus diesen Tugenden fließt immerfort, gleich dem Wasser aus der Quelle, das Heil des Volkes und alles Gute für die Stadt).21 Die Inschriften nehmen direkten Bezug auf die Darstellung der vier weltlichen Kardinaltugenden am Brunnen. Klugheit, Gerechtigkeit, Stärke und Mäßigung sollen als erstrebenswerte Eigenschaften die Stadt lenken, da sie auf direktem Weg zum Wohl der Bevölkerung führen. Das Fließen des Wassers, welches realiter aus den Mündern von Löwen läuft, wird hierbei in Assoziation zu den Tugenden gesetzt, die dem Wasser gleich unter das Volk fließen sollen. Die abgebildeten Kardinaltugenden verweisen im Zusammenspiel mit dem Inschriftentext natürlich auf den Stadtherrn und Auftraggeber, Erzbischof Johann von Schönenburg. Die Stadt darf sich – so impliziert der Inschriftentext – daran erfreuen, dass das Regiment (also der Kurfürst) die vier Tugenden in sich vereint und zum Wohl des Gemeinwesens nutzt. Im Brunnen inszeniert der Erzbischof folglich seinen weltlichen Herrschaftsanspruch als Landesherr über die Stadt. Verständlich wird diese Deutung über den politisch-gesellschaftlichen Hintergrund der Auseinandersetzung um die Stellung der Stadt Trier. Im Vorfeld der Entstehung des neuen Marktbrunnens strengte die Stadt Trier einen Prozess vor dem Reichskammergericht an, um den Status als freie Reichsstadt, den sie im Spätmittelalter beinahe erreicht hatte, auf Dauer zu sichern. Während des Wartens auf das Urteil eskalierte die Situation zwischen den Bürgern und dem Landesherrn, Erzbischof und Kurfürst Jacob von Eltz, und führte zu gewalttätigen Auseinandersetzungen. Eine Konsequenz war die Belagerung der Stadt durch den Erzbischof, während derer er 1568 den Bürgern zeitweise auch die Wasserversorgung sperren ließ. 1580 erfolgte der Urteilsspruch durch Kaiser Rudolf II. in Prag zugunsten des Erzbischofs, nach welchem die Stadt weiterhin eine Landesstadt sei und dem Kurfürsten unterstellt blieb.22 Kurfürst Jacob von Eltz ritt nach dem Urteil in einer feierlichen Prozession in die Stadt ein und übernahm in einem symbolischen und repräsentativen Akt die Herrschaft. Zudem erließ er am 13. Juni 1580 eine neue Stadtverfassung, die sogenannte »Eltziana«.23 15 Jahre später stiftete Jacobs Nachfolger auf dem Trierer Erzbischofsstuhl, Johann von Schönenburg, den Petrusbrunnen an prominenter Stelle auf dem Hauptmarkt zwischen Dom, St. Gangolf und Steipe in unmittelbarer Nähe zum Marktkreuz. Der Landesherr demonstrierte dadurch im Her21
Ebd., S. 228; lat. zitiert nach FREY 1988, S. 189. LAUFNER 1988, S. 3–8. 23 Ediert von RUDOLPH 1915, S. 72–85. 22
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zen des bürgerlichen Gemeinwesens seine Macht über den Rat und seinen Einfluss auf die Geschicke der Stadt. Der Petrusbrunnen mahnt als Denkmal somit an die politische Situation und dient im Kontext kommunaler Repräsentation ebenfalls als Symbol der Einheit von Stadt und Territorium. Der Komplexität und Aussagekraft des politischen Bildprogramms zum Trotz darf die Funktion des Brunnens jedoch nicht alleine darauf reduziert werden. Als öffentliche Denkmäler sind Brunnen multifunktionale Objekte mit mannigfaltigen Aufgaben, von denen die zentrale zweifellos darin bestand, die Bevölkerung mit gesundheitlich unbedenklichem Trinkwasser zu versorgen.24 Gespeist wurde der Brunnen auf dem Trierer Hauptmarkt mit dem Wasser aus der alten Quelle »Herrenbrünnchen«.25 Diese liegt auf einer Anhöhe nahe dem Stadtteil Olewig und des Altbachtales, in der Nähe eines großen ehemaligen römischen Tempelbezirkes. Schon der 1494 in gotischem Stil errichtete Vorgängerbrunnen des Petrusbrunnens erhielt sein Wasser aus dieser Quelle. Es handelte sich also bereits zuvor um einen Laufbrunnen, der – im Gegensatz zum Jochbrunnen oder der Zisterne – stets frisches Wasser an die Konsumenten lieferte. Typengeschichtlich entwickelte sich die Brunnenarchitektur vom mittelalterlichen Schalenbrunnen zum Stockbrunnen der Renaissance. Der Vorgänger des Petrusbrunnens beispielsweise bezog sein Formenrepertoire noch in freier Abwandlung der Kathedralarchitektur und von Kleinarchitekturen wie Sakramentshäusern oder Turmmonstranzen. Seit dem 14. Jahrhundert wird der Stock immer repräsentativer ausgestattet, seit dem 16. Jahrhundert oftmals als eine von einer Figur bekrönten Säule.26 Der Stock des 1595 errichteten Petrusbrunnens bildet eine ausladende Kandelabersäule mit mehreren Ebenen, auf denen zahlreiche Figuren und Wasserspeier angebracht werden, die das Wasser in das rahmende Becken fließen lassen. Brunnen waren, nicht nur wegen ihrer zentralen Lage in den Städten des Mittelalters, auch Mittelpunkte menschlicher Gemeinschaften. Sie fungierten als Rechtsort für Bekanntmachungen und Bestrafungen27, spielten im Brauchtum eine wichtige Rolle28 und dienten als Kommunikationsort bei der täglichen Benutzung. Als solche hatten Brunnen eine dezidiert sozialgeschichtliche Dimension.
24
Zahlreiche Verweise bei RIPPMANN 2008, bes. S. 9–24. SCHMID 2003. 26 REINLE 1983, Sp. 771f. 27 CARLEN 1983. 28 Quellen belegen, dass an Fastnacht, Ostern und Pfingsten Personen in den Brunnen geworfen wurden. Das gleiche gilt für frischgetraute Paare oder Lehrlinge während des Initiationsrituals in die Zunft; SCHMID 1998, S. 581f. 25
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Freilich dienten Brunnen darüber hinaus als repräsentative Bildträger, deren Programme meist in einem spezifischen historisch-politischen Kontext zu interpretieren sind. Nicht allein aufgrund der exponierten Stellung auf Plätzen und Straßen innerhalb der Stadt wurden Brunnen daher häufig als Rechts- und Hoheitszeichen verwendet. Ähnlich wie Marktkreuze, Fahnen oder die auf Nord- und Mitteldeutschland beschränkten Rolandsbilder fungierten Brunnen in diesem Zusammenhang als ein Medium, hoheitliche Rechte zu veranschaulichen. Dank ihrer öffentlichen Wirkung und ihrer zentralen Platzierung wurden Brunnen zu wichtigen Prestigeobjekten städtischer Repräsentation und gehörten somit zur technischen und repräsentativen Ausstattung des Marktes, welcher gemeinsam mit dem Rathaus das politische, wirtschaftliche, rechtliche und kulturelle Zentrum der Stadt bildete.29 Auch in Trier markiert das städtebauliche Ensemble des Hauptmarktes, bestehend aus Petrusbrunnen, dem Marktkreuz und dem Rathaus (»Steipe«), diesen Mittelpunkt der Stadt. Die Denkmäler bilden zwar keine geschlossene Einheit, treten jedoch in einen kommunikativen Bezug zueinander. Als ergänzendes wichtiges Element ist diesen Denkmälern noch der Dom zuzuordnen, auf den schließlich der Auftraggeber des Brunnens verweist, der als Kurfürst auch Stadt- und Landesherr war. Dieser Sinnzusammenhang findet sich in der den Brunnen bekrönenden Statue des heiligen Petrus. Seine Funktion ähnelt derjenigen der so genannten »Wappner« an den »Wappnerbrunnen«, welche vornehmlich in Südwestdeutschland zu finden sind. Die Schildhalter bzw. Wappner sind profane Rechtssymbole für die unter den Schutz des Landesherrn und der Stadt gestellte Marktfreiheit und für den Stadtfrieden. Als Hoheitszeichen übten die Symbolfiguren eine Stellvertreterfunktion für den Stadtherrn aus. Einerseits erinnerten sie ihn an die Privilegien und Freiheiten der Stadt, andererseits sicherten sie dauerhaft seine Ansprüche. Ähnlich muss die Figur des Petrus in Trier gelesen werden. Durch die Platzierung des Apostelfürsten und Stadtheiligen auf dem Brunnenstock sowie die darunter angebrachten Kardinaltugenden wird der Brunnen eindeutig als Herrschaftsinstrument des Erzbischofs in seiner Funktion als Landes- und Stadtherr kenntlich gemacht. Die Stadt steht unter der Herrschaft des Erzbischofs und kann nur mittels der Kardinaltugenden zu einem glücklichen Gemeinwesen finden. Diese Botschaft wird den Bürgern mittels des ikonographischen Programms und der Inschriften an diesem Brunnen eindringlich vermittelt. Während in den Wappnerbrunnen durch die bekrönende Figur die Inszenierung tatsächlicher oder gewünschter verfassungsrechtlicher Zustände 29
KRESS 2000, S. 52, 55; LILL 1948, Sp. 1286.
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seitens der Kommune intendiert war, ist es in Trier der Stadtherr, der seiner Herrschaft Ausdruck verleiht. Hier erinnerte der Erzbischof an die ihm erneut verliehenen kaiserlichen Privilegien, welche ihn in seiner Funktion als Stadtherr bestätigten. Der Brunnen steht hier als städtebauliches Gestaltungsmittel innerhalb eines Gesamtkonzepts der Platzgestaltung und dient somit als Dokument für die funktionierende landesherrliche Ordnung, welche bestätigt und sinnfällig ins Bild gesetzt wurde. Diese »Marketingstrategie« war nicht kostenlos, denn die Errichtung von Brunnen stellte eine technische und finanzielle Herausforderung dar, in welche die hier vorgestellte Rechnung des Petrusbrunnens in Trier einen Einblick gewährte.
Literatur ACKELS 1984 – ACKELS, Maria: Das Trierer städtische Almosenamt im 16. und 17. Jahrhundert. Ein Beitrag zur Analyse sozialer Unterschichten, in: Kurtrierisches Jahrbuch 24, 1984, S. 75–103. BALKE 1916 – BALKE, Franz: Über die Werke des kurtrierischen Bildhauers Hans Ruprecht Hoffmann (†1616), Trier 1916. BURGARD 1996 – BURGARD, Friedhelm: Auseinandersetzungen zwischen Stadtgemeinde und Erzbischof (1307–1500), in: Hans Hubert Anton u. a. (Hgg.): Trier im Mittelalter (2000 Jahre Trier, Bd. 2), Trier 1996, S. 295–398. CARLEN 1983 – CARLEN, Louis: Rechtsorte, in: LexMa, Bd. 2, 1983, Sp. 775f. FREY 1988 – FREY, Julia: Aquae Treverenses. Brunnen in Trier, Trier 1988. FUCHS 2000 – FUCHS, Rüdiger: Die Kapitalis-Inschriften von Trierer Bildhauern des 16. Jahrhunderts, in: Gertrud Mras u. a. (Hgg.): Epigraphik 2000, Wien 2006, S. 15–37. FUCHS 1999 – FUCHS, Rüdiger: Die Schrift der Werkstatt Hans Ruprecht Hoffmanns (†1616) in Trier, in: Michael Embach u. a. (Hgg.): Sancta Treveris. Beiträge zu Kirchenbau und bildender Kunst im alten Erzbistum Trier, (...), Trier 1999, S. 147–171. HAUSCHKE 1994 – HAUSCHKE, Sven: Der Nürnberger Tugendbrunnen von Benedikt Wurzelbauer – Ein reichsstädtisches Monument, in: Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg 81, 1994, S. 31–72. HEINZ 2005 – HEINZ, Stefan: „O bedenck das end“. Der Mainzer Marktbrunnen: Ein Beitrag zur Memoria Albrechts von Brandenburg, in: Andreas Tacke (Hg.): Kontinuität und Zäsur. Ernst von Wettin und Albrecht von Brandenburg, Göttingen 2005, S. 264–349.
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KENTENICH 1907 – KENTENICH, Gottfried: Eine Episode aus dem Leben des Trierer Bildhauers Hans Rupprecht Hoffmann, in: Trierische Chronik 3, Nr. 7, 1907, S. 97–99. KERN 2002 – KERN, Margit: Tugend versus Gnade. Protestantische Bildprogramme in Nürnberg, Pirna, Regensburg und Ulm, Berlin 2002. KRESS 2000 – KRESS, Susanne: „Der Mann uff dem Brunnen“ – Die Wappnerbrunnen in Südwestdeutschland als städtische Identitäts- und Erinnerungssymbole im 16. Jahrhundert, in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 136, 2000, S. 51–99. LAUFNER 1988 – LAUFNER, Richard: Politische Geschichte, Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte 1580–1794, in: Kurt Düwell u. a. (Hgg.): Trier in der Neuzeit (2000 Jahre Trier, Bd. 3), Trier 1988, S. 3–60. LILL 1948 – LILL, Georg: Brunnen, in: Reallexikon zur Deutschen Kunstgeschichte, Bd. 2, 1948, Sp. 1278–1310. OEHMS 2005 – OEHMS, Karl: Familienbuch Trier – St. Gangolf 1569–1815, Teil 1, (Typoskript30) Trier 2005. OST 2005 – OST, Sandra: Hoffmann, Hans (Johannes) Rupprecht, in: Bautz, Friedrich Wilhelm (Begr.), Bautz, Traugott (Hg.): Biographisch – Bibliographisches Kirchenlexikon, Bd. 25, Nordhausen 2005, Sp. 637–643. REINLE 1983 – REINLE, Adolf: Brunnen im profanen Bereich, in: LexMa, Bd. 2, 1983, Sp. 771–774. RIPPMANN 2008 – RIPPMANN, Dorothee u. a. (Hgg.): ... zum allgemeinen statt nutzen. Brunnen in der europäischen Stadtgeschichte (Mitteilungen und Verzeichnisse aus der Bibliothek des Bischöflichen Priesterseminars zu Trier, 25), Trier 2008. RUDOLPH 1915 – RUDOLPH, Friedrich u. a. (Hgg.): Quellen zur Rechts- und Wirtschaftsgeschichte der rheinischen Städte. Kurtrierische Städte I: Trier u. a. 1915. SCHMID 2003 – SCHMID, Wolfgang: Das Herrenbrünnchen in Trier – eine Ratsherrentrinkstube der frühen Neuzeit, in: Gerhard Fouquet u. a. (Hgg.): Geschlechtergesellschaften, Zunft-Trinkstuben und Bruderschaften in spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Städten, Ostfildern 2003, S. 215–253.
30
Das „Familienbuch“ wurde aus den Kirchenbüchern erstellt, also aus Tauf-, Trau- und Sterberegistern einer Pfarrei und teils noch aus anderen Quellen wie Steuerlisten. Oehms hat die Angaben, die in den Kirchenbüchern chronologisch stehen, zusammengefasst zu Familien, so dass man die entsprechenden Quellen jetzt nicht mehr chronologisch, sondern systematisch suchen kann und dort alles zu den jeweiligen Familien findet. Dieses „Familienbuch“ existiert nur in einigen kopierten Exemplaren (z. B. Bistumsarchiv Trier, Stadtbibliothek Trier).
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Stefan Heinz und Sandra Ost
SCHMID 1998 – SCHMID, Wolfgang: Brunnen und Gemeinschaften im Mittelalter, in: Historische Zeitschrift 267, 1998, S. 561–586. SCHMID / FLECK 1996 – SCHMID, Wolfgang und Andrea FLECK: Die Rechnung über die Herstellung des Petrusbrunnens auf dem Trierer Hauptmarkt (1594/95). Edition und Kommentar, in: Kurtrierisches Jahrbuch 36, 1996, S. 123–154. SCHNEIDER / FORNECK 1993 – SCHNEIDER, Konrad und Gerd Martin FORNECK: Die Medaillen und Gedenkmünzen der Erzbischöfe und Kurfürsten von Trier, Trier 1993. STRASSER 1916 – STRASSER, G.: Alte Häuser in Trier, in: Trierische Chronik 12., Nr. 11/12, 1916, S. 186–191. WEINER 2004/05 – WEINER, Andreas: Trierer Bildhauer der Spätrenaissance, in: Trierer Zeitschrift 67/68, 2004/05, S. 283–313.
ANDREAS GEIS UND ANDREAS TACKE
Werkstattproduktion eines Rotschmieds in Nürnberg Das Inventar der Katharina Amman Die Stadt Nürnberg ist eine der größten und reichsten in Deutschland; sie ist eine sehr alte Stadt; [...]. Es leben daselbst viele Gewerbetreibende, besonders im Fache von Messingarbeiten aller Art.1 Was der Spanier Pero Tafur aus Kastilien in seinen Reisebeschreibungen (1435–39) über die Nürnberger Messingarbeiten berichtet, ist nicht weiter verwunderlich, genoss das metallverarbeitende Handwerk der Reichsstadt doch internationales Ansehen; als Beispiel sei nur die über drei Generationen (von 1453 bis 1544) arbeitende Vischer-Werkstatt angeführt.2 Der Messingguss in Nürnberg begann nicht vor der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts, da die benötigten Mengen von Kupfererz und Zinkspaterz in der Umgebung nicht erhältlich waren,3 doch ist die Ausdifferenzierung des metallverarbeitenden Gewerbes, deren Ergebnis die verschiedenen Berufsbezeichnungen waren, bereits ab 1408 mit dem Eintrag eines Steffan »Wagmacher« im Totengeläutbuch nachweisbar.4 Für 1410 ist ein Hans Drechsel als Drechslermeister bekannt und 1447 ein Hermann »Gewichtmacher«. Die allgemeine Berufsbezeichnung des Rotschmieds, wie sie Mitgliedern der Familie Amman zugewiesen wird, kennt man bereits früher. Die Listen der Jahre 1370 bis 1429 nennen das Gewerbe zum ersten Mal als eigenes Handwerk.5 Im Zeitraum von 1429–62 verzeichnet man 139 Rotschmiede in Nürnberg, zwischen 1462–96 ist ihre Zahl bereits auf 165 angestiegen und zwischen 1496 und 1533 sind 249 Rotschmiede in den Meisterbüchern verzeichnet.6 Alle waren, wie auch die Rotschmiedfamilie Amman, an einer Massenproduktion beteiligt, welche u. a. als »Nürnberger Tand« zum Markenzeichen wurde und um die Welt ging. 1
2 3 4 5 6
Zitiert dt. nach STEHLIN / THOMMEN 1926, S. 86; zum Originaltext siehe TAFUR (1435–39) 1874, S. 269. Zum Kontext siehe BURKHARDT 2003 und ANDERS 1960. HAUSCHKE 2006, bes. S. 14–96. WIXOM 1986, S. 76. BAUMGÄRTEL 1982, S. 168. Ebd., S. 167. Ebd., S. 168.
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Andreas Geis und Andreas Tacke
Mit Blick auf die schon in den vorherigen Beiträgen in diesem Band angesprochenen Zünfte und ihre Ordnungen muss man, wenn man die »Meisterbücher« betrachtet, für Nürnberg feststellen, dass wir es hier bei der Organisation der Berufsgruppen wegen seines Zunftverbotes mit einem Sonderfall zu tun haben. Die in vielen mittelalterlichen Städten so mächtigen Gilden bzw. Zünfte wurden hier abgeschafft, nachdem die Patrizier den Handwerkeraufstand von 1348/49 niedergeschlagen hatten.7
1. Die Rotschmiedfamilie Amman Über die Familie ist wenig bekannt, jedoch wissen wir, dass sie im 15. und 16. Jahrhundert mehrere Rotschmiede hervorbrachte.8 Katharina Amman, um deren Inventar aus dem Jahre 1529 es in unserem Beitrag geht, war verheiratet mit Jörg Amman, der 1496 das Meisterrecht in Nürnberg erwarb und 1514 verstarb. Das Ehepaar hatte vier Kinder, die Söhne Hans und Jörg (der Jüngere), die auch dem Rotschmiedhandwerk nachgingen, und die Töchter Clara und Anna. Zum Zeitpunkt, als das Inventar erstellt wurde, besaß Katharina ein stattliches Anwesen in der Nürnberger Tucherstraße 47 (alte Nummer: S 1087a), wo schon im 15. Jahrhundert zahlreiche Messinghandwerker wohnten. Das Haus hatte ihr Mann 1489 durch Erbschaft von seinem Vater, Lorenz Amman, erhalten. Katharina führte nach dem Tode Jörgs die Rotschmiedwerkstatt weiter; zunächst wohl mit einem Gesellen, dann mit ihren beiden Söhnen Hans (Meisterrecht 1527; gestorben 1531) und Jörg der Jüngere (Meisterrecht 1531; gestorben 1546). Dass sie die Werkstatt nicht gleich an ihre Söhne übergab, lag wohl daran, dass der ältere, Hans, erst 1527 Meister wurde, also mehr als ein Jahrzehnt nach dem Tod seines Vaters. Beide Söhne hatten zur Erlangung des Meisterrechts zuvor geheiratet, Hans 1526 und Jörg der Jüngere im Jahre 1530. Dazwischen liegt das Niederschreiben des Inventars. Dass dieses auf Veranlassung der beiden Söhne und Schwiegersöhne 1529 angefertigt wurde, weil die Mutter von irer vernunfft und synnligkayt komen, also das sie ire habe und gut dieser zeyt nit mer wie vor vort zu sein noch sich der zu irem und irer kinder nutz und notturfft noch zu geprauchen wayß, lässt Raum für Spekulationen. Möglicherweise war die Witwe Ammans nicht freiwillig bereit, die Werkstatt an ihre Söhne zu übergeben. Fest steht, dass sie erst 1541 verstarb, da sie in diesem Jahr in den Totengeläutbüchern verzeichnet wurde: Katharina Jorg Ammonin, rotschmidin. Der Eintrag rotschmidin 7 8
TACKE 2001, bes. S. 16–18. Nach BAUMGÄRTEL 1982, S. 169–173.
Werkstattproduktion eines Rotschmieds in Nürnberg
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belegt, dass Frauen in Berufe »eindringen« konnten, die ihnen auf dem Ausbildungsweg verwehrt waren: Als Lehrlinge wurden auch im Rotschmiedhandwerk nur Jungen, aber keine Mädchen aufgenommen. Witwen konnten aber – mit Hilfe von Gesellen und/oder Söhnen – die Werkstatt der verstorbenen Ehemänner weiterführen und, wie man am Beispiel des Warenlagers von Katharina Amman sieht, sich erfolgreich in der »Männerdomäne« behaupten.
2. Quelle Auszüge aus dem Inventar der Katharina Amman von 1529, der Frau des 1514 verstorbenen Nürnberger Rotschmieds Jörg Amman. BAUMGÄRTEL, Otto: Das Inventar der Katharina Amman von 1529. Eine Quelle zur Geschichte des Nürnberger Rothschmiedhandwerks, in: Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg, Bd. 82, 1982, S. 167–184, hier S. 182. Von Baumgärtel zitiert wird: Stadtarchiv Nürnberg, Inventare des Stadtgerichts Nr. 1, Bl. 1–4. Aufgrund des Umfangs der Quelle wird nur ein Auszug angeführt. Zudem verzichten wir auf eine wörtliche Übertragung ins Neuhochdeutsche (Anmerkungen und Worterklärungen von Baumgärtel sind in eckigen Klammern eingefügt), da die Übertragung im vorliegenden Fall in Tabellenform vorgenommen wurde. Rechnungseinheiten (nach BAUMGÄRTEL 1982, S. 174): 1 Gulden (rheinischer Goldgulden) = 252 Pfennige oder 504 Heller, 1 Pfund = 30 Pfennige, 1 Ort = ¼ Gulden (63 Pfennige bzw. 126 Heller). An forem und anderm werckzeug: Item an formzeug, unaußberayter [unfertiger] arbayt vier zentner und zway pfundt. Item zwen gießzangen, ein faymloffl [Schaumlöffel], zwen anspieß [? zu Anspi, Aenspen: Wirtel, Rolle zur Aufnahme des Antriebsbandes bei einer Drehbank oder einem „ziechredlein”], drey klufft [Feuerzangen], und zway ziechredlein zum formen. Item etlich feyllen, wegen neun pfundt. Item achtundneunzig eyssene spindel [wohl Spindeln für die „ziechredlein”], groß und klein. Item zwen schraubstecken, ein wercktisch, ein anpayß [Amboß] und ain nietstock, alles umb vier guldein.
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Andreas Geis und Andreas Tacke
An außgemachter arbayt von messing:[...] Item neunundsechzig groß wasserfuß leuchter, das hundert umb dreytzehen guldein, thut acht guldein vier pfundt vier pfennig. Item sechs knockat [mit Knoten] leuchter, ye vier umb acht pfundt, thut ain gulden drey pfundt achzehen pfennig. Item zehen tryfach knockat leuchter umb ain guldein siben pfundt sechs pfennig. Item siben knockat zwyroryg [mit zwei Tüllen] leuchter umb ain gulden. Item funffundfunffzig groß pelget leuchter, das hundert umb neun guldein, thut vier guldein siben pfundt neunundzwainzig pfennig. Item achtundzwainzig praytfuß leuchter umb drey guldein. Item funffundzwainzig kolnisch leuchter, das hundert umb zehenthalben guldein, thut zwen guldein drey pfundt vier pfennig ain heller. Item hundert klein kolnisch leuchter umb acht guldein. Item neunundzwainzig metl leuchter umb anderthalben guldein. Item sechsundzwainzig ainßrußet leuchter umb zwen gulden. Itern hundertundzwainzig klein perget leuchter, das hundert umb drey gulden siben pfundt und aylffhalben pfennig, thut vier gulden siben pfundt drey heller. Item dreyhundert schreybleuchterlein, das hundert umb drithalben gulden, thut achthalben guldein.
Art
Messing (Material) altes Zeug (defektes, unbrauchbares Messinggerät) Zwischensumme
Menge Zentner
Pfund
1
5
Preis / Zentner in Gulden -
5
98
5
6
103
Gesamtpreis Gulden
Pfennig
Heller
6
7
0
29
113
0
35
120
0
Werkstattproduktion eines Rotschmieds in Nürnberg
K = Tand u. Kleinwaren L = Leuchter S = sakrales Gerät K
Menge Stück
Barbierbecken Brunnenrohre
K
außberaytung gelt Dochtscheren
K
Barbierbecken
K
Spritzen
Gewicht in Pfund 19
4
Stückpreise
3 Stck. = 1 fl.
40 12
1 Pfund = 1 fl. 55 Pfg.
5
199
Gesamtpreis Gulden
Pfennig
Heller
2
0
0
1
84
0
0
155
0
3
0
0
14
156
0
2
18
0
K
Sesselknöpfe
2
63
0
K
Schöpfgefäße
5
37
0
K
Spielkugel, kleine Sesselknöpfe
1
7
0
0
2
0
0
Schlüsselringe, mittlere Schlüsselringe, große Schlüsselringe, breite
37
3
0
0
21
1
228
0
2
147
0
K
Schlüsselringe, kleinste
68
2
181
0
K
45
2
216
0
K
Schlüsselringe, kleine Ziergibel
3
0
0
K
Wagenringe
1
0
0
K K K K
31
12 Stck. = 1 fl. 50 Stck. = 2 fl.
11
K
Waagen
4
1
12
0
K
1
0
210
0
K
Waschkessel mit Gestell Wärmpfannen
K
Tintenfässer
68
1 Stck. =3 Pfg.
6
0
0
0
204
0
200 K
Andreas Geis und Andreas Tacke Spritzen, 17 große und 13 kleine Badespritzen Spritzen
30
10
0
0
2
0
168
0
K
Spritzen, mittlere
10
4
22
0
K
Lichtputzer
45
2
21
0
K
Gießfässer
2
1
189
0
K
Gießfass
1
0
126
0
K
4
2
102
0
13
24
0
K
Kannen, für drei Seidel Kanne, für einen Barbier Fischkessel
10
55
1
K
Fasshähne
12
1
19
0
K
Fasshähne
35
2
84
0
K
Fasshähne, kleine Fasshähne, große Spritzen, große
1
19
0
7
0
0
1
216
0
45
126
0
1
0
0
2
189
0
2
0
0
K
K
K K K
K
Messingarbeiten, Mörser, Pistill, Glocken, Leimtiegel, Stockgewichte, Messgefäße, kleine für eine bestimmte Menge Getränk Rasierbecken
K
Maß-Kanne
K
1 Stck. = 115 Pfg. 12 Stck. = 18 Pfg.
81
14,5 15 Stck. = 1 fl.
7 4 750
22
1 Stck. = 1 fl. 1 Stck. = 205 Pfg. 1 Zentner = 7 fl.
8 Pfund = 1 fl.
Werkstattproduktion eines Rotschmieds in Nürnberg K
Maiolein
72
K
Lichtscheren
17
K
Nachttöpfe, große Messgefäße, für eine bestimmte Menge Getränk Pelget-Leuchter, große
K L
55
18 Stck. = 1 fl.
100 Stck. = 9 fl. je 1 fl. (Stck. o. Art.?) 100 Stck. = 3 fl. 212,5 Pfg. 100 um 3,5 fl.
201
4
0
0
0
189
0
1
0
0
6
198
0
4
239
0
11
0
0
4
213
0
8
126
0
2
0
0
10
0
0
L
Leuchter, geforderte und 2 Rauchfässer
9
L
Perget-Leuchter, kleine
120
L
Schreiblampen
300
L
3
L
MessingHängeleuchter und ein kleiner hängender Messingleuchter Messleuchter
10
L
Metall-Leuchter
29
1
126
0
L
TellerfußLeuchter TellerfußLeuchter, mittelgroße Tellerfüße, für Leuchter welische Leuchter TellerfußLeuchter TellerfußLeuchter
8
0
126
0
25
3
126
0
6
0
240
0
9
126
0
100
8
126
0
19
2
0
0
L L L L L
1 Stck. = 1 fl.
202 L L L L L L L L L L L L L L L
S
Andreas Geis und Andreas Tacke TellerfußLeuchter, große Metallformen (hulsen) und Altarleuchter geschränkte Leuchter Hängeleuchter HochgeschrencktLeuchter AinßrußetLeuchter BreitfußLeuchter DreifacheKnotenLeuchter kölnische Leuchter
21 2
15
1 Zentner = 8 fl.
8 3
1 Stck. = 240 Pfg.
26 28
1 Stck. = 3 fl.
10 25
100 Stck. = 10,5 fl.
3
0
0
17
20
0
1
0
0
2
178
0
6
36
0
2
0
0
84
0
0
1
216
0
2
94
1
2
0
0
14
126
0
1
108
0
kölnische Leuchter, kleine Leber- oder Sylber-Leuchter KnotenLeuchter
100
KnotenLeuchter mit zwei Tüllen Leuchter mit Landsknechten KnotenLeuchter, für drei oder vier Kerzen Weih(wasser)kessel
7
1
4
1
0
0
1
3
204
0
25
3
126
0
379
6014
2
Summe
6
1528
4 Stck. = 240 Pfg.
1116
Werkstattproduktion eines Rotschmieds in Nürnberg
203
3. Kontextualisierung Der Anlass der Inventarisierung des Besitzes der Katharina Amman wird direkt zu Beginn genannt, sie sei von irer vernunfft und synnligkayt komen. Der Grund, dass dieses Dokument verwahrt wurde ist, dass die schriftliche Erfassung des Besitzes grundsätzlich den Charakter eines rechtlichen Dokuments hatte. Mit der Aufstellung des gesamten Besitzes wurde auch der Wert bestimmt. Um zu verhindern, dass nachträglich an der Richtigkeit der Einträge gezweifelt wird, wurden sowohl die Aufstellung der Dinge als auch die Ermittlung des Wertes von externen Personen vorgenommen. In unserem Fall waren es die geschworne furkeufflin9 mit namen Elßpeth Klayberin und Hans Schyrner, ein verstendigen mayster des rotschmids handtwercks. Elisabeth Klayber und Hans Schyrner hatten viel zu tun bei ihrem Durchgang durch das ganze Haus, denn der private Besitz und der Lagervorrat waren umfangreich. Ein Teil des wertvollen Silbergeschirrs stand allerdings nur pfandweise in Katharinas Haus. Und dennoch, die Aufzählung der Schmuckstücke und Kleider sowie der Möbel lässt auf einen beachtlichen Wohlstand schließen. Doch konzentrieren wir uns auf die Ausstattung der Werkstatt, genauer auf ihren Warenbestand. Auf Grund der im Inventar aufgeführten Waren kann man Jörg Amman als einen »Leuchtermacher« bezeichnen. Durch das Inventar kennen wir die Anzahl der Stücke und ihre damals gebräuchlichen Namen, doch diese lassen kaum Rückschlüsse auf das Aussehen der Leuchter zu, zeigen aber, dass diese Warengruppe beachtlich ausdifferenziert war. Eine Werkstattzuschreibung der erhaltenen Leuchter und anderer Messingerzeugnisse ist für die Zeit um 1529 kaum möglich, da vor 1534 geschlagene Merkzeichen Nürnberger Rotschmiede nicht mit Sicherheit nachzuweisen sind.10 Durchaus vorstellbar ist es, dass auch die Rotschmiedefamilie Amman – wenn auch der Beruf des Rotschmiedes in der Aufzählung der im Verlagswesen arbeitenden Handwerker fehlt11 – für Verleger produzierte, die mit diesen dann Handel trieben,12 da sonst kaum der große inventarisierte Lagerbestand an Waren zu erklären ist. 9
10
fürkoufer, fürkeufer – wuchernder Vorwegkäufer; fürkoufen – vorkaufen, Vorwegkauf für späteren wucherhaften Wiederverkauf (SCHADE, Oskar: Altdeutsches Wörterbuch. 2. Bde., 2., umgearb. u. verm. Aufl., Halle/Saale 1872–1882); vielleicht hier auch im Sinne von Maklerin zu verstehen.
LOCKNER 1981, S. 11. AUBIN 1967, S. 635. 12 WEISS 1980, S. 77. 11
204
Andreas Geis und Andreas Tacke
Insgesamt über 900 Leuchter zählt das Inventar auf. Darin sind sowohl 300 der einfachen und in sehr großer Zahl hergestellten Schreiblampen als auch zehn aufwendig gearbeitete Messleuchter enthalten. Die Werkstatt produzierte also eine große Bandbreite profaner Waren bis hin zum sakralen Gerät, wobei sich über 20 verschiedene Formen anhand ihrer Namen unterscheiden lassen. Hat man vor Augen, dass Messing nicht das einzige Material war, aus dem man Leuchter herstellte, kann man einen Eindruck davon gewinnen, wie groß für bestimmte Bevölkerungsgruppen die Produktauswahl war. Die uns heute aus dieser Zeit erhaltenen Stücke spiegeln dies kaum wider. Dies mag wohl daran liegen, dass solch profane Alltagsgegenstände, wenn sie nicht mehr gefielen oder defekt waren, über den Altmetallhandel wieder veräußert wurden. Die beachtliche Menge an Leuchtern erklärt sich aus der großen Nachfrage, da nur sie neben dem offenen Herdfeuer Licht in die Räume brachten. Als Brennmaterial im profanen Umfeld wurden neben dem teuren Wachs unter anderem Kienspäne, brennbare Öle und Harze verwendet. Die einfachste Möglichkeit dabei war, den Span in eine nicht brennbare Halterung einzuspannen bzw. die brennbaren Flüssigkeiten in kleine, mit einem Docht oder einer Tülle versehene, irdene Schalen zu füllen. Leuchter aus Metall, die ja letztendlich nur als Halterungen für die teuren Wachskerzen dienten, waren wegen ihres beträchtlichen Materialwertes und des exklusiven Verbrauchsmaterials kein Standardprodukt, auch wenn diese eine Anforderung, nämlich die Feuersicherheit, in ganz besonderer Weise erfüllten. Die allermeisten ein- oder mehrarmigen Leuchter, wie wir sie uns für das Mittelalter und die Frühe Neuzeit vorstellen müssen, bestehen aus einem Dorn oder einer Tülle, um die Kerzen zu befestigen, sowie aus einer Tropfschale, die das verflüssigte, heiße Wachs aufnimmt.13 Dabei ist der einflammige Leuchter mit überhohem Dorn der Ausgangspunkt der Entwicklung, der lockere Aufsatz oder Zusatz zum Dorn – zwei Tüllen – ist der nächste Schritt.14 Die Auffangschale ist wichtig, da sonst die Möglichkeit bestünde, dass der noch brennende Docht, sobald das gesamte Kerzenwachs verbrannt und geschmolzen ist, in das flüssige, zum Beispiel auf den hölzernen Untergrund getropfte Wachs fällt und damit jenen entzündet. Die Feuergefahr und auch die Angst vor dem Feuer waren alltäglich, der Schaden, den ein Feuer anrichten konnte, erheblich, da im allgemeinen in Nürnberg und in anderen Städten des Alten Reichs das Fachwerkhaus vorherrschte.15 Nur das Erdgeschoss war bei zahlreichen 13
LOCKNER 1982, S. 162–171, bes. Abb. 315. Ebd., S. 166. 15 SCHWEMMER 1972, S. 39. 14
Werkstattproduktion eines Rotschmieds in Nürnberg
205
Häusern bereits aus Stein. Obwohl die Nichtbrennbarkeit und die im Vergleich zum getöpferten Leuchter größere Haltbarkeit des Materials im praktischen Umgang Vorteile boten, standen diese Aspekte des Materials weit hinter den gestalterischen Möglichkeiten, die es bot, zurück. Auch wenn Messing nicht so filigran in Formen gießbar war wie Bronze, bot es doch einen großen Gestaltungsspielraum und erhielt durch eine Nachbearbeitung mit Schleifmitteln einen beinahe goldenen Glanz, der gerade im Zusammenspiel mit dem Kerzenlicht einen besonderen ästhetischen Reiz hatte, den er auch noch heute beibehalten hat. Die Form des Leuchters – oder besser die Unterscheidung zwischen Tülle und Dorn – erlaubt es, Aussagen über den Gebrauch des Leuchters zu machen. So kann davon ausgegangen werden, dass Leuchter mit einem Dorn für die dickeren Kirchenkerzen, also für einen sakralen Gebrauch gefertigt wurden, wogegen die anderen Leuchter, die die Kerze in einer Tülle aufnehmen, da die dünneren Kerzen nicht auf dem Dorn stehen bleiben würden, für den profanen Gebrauch gedacht waren. Der Lagerwert der im Inventar der Katharina Amman gelisteten Stücke summiert sich auf 1.500 Einzelteile – wie Schlüsselringe, Spritzen, Tintenfässer oder Leuchter – und diese zu einem Gesamtschätzwert von über 400 Gulden. Hinzu kommt noch ein Materialbestand von gut 35 Gulden. Zum Vergleich: Um 1550 schätzt man die Bezüge eines Schulmeisters an den Lateinschulen der bedeutenden Städte zwischen 80 und 120 Gulden jährlich.16 Oder für das Jahr 1510 sind folgende Nominaleinkünfte ausgewählter Berufe in Nürnberg errechnet worden:17 Beruf
Nominaleinkunft
Handlanger:
17 Pfund
Davon mindestens für Nahrungsmittel aufzubringen 51%
Röhrenmeister:
62 Pfund
14%
Zimmergesellen:
28 Pfund
31%
Maurergesellen:
28 Pfund
31%
Steinmetzmeister:
80 Pfund
11%
Zimmermeister:
79 Pfund
11%
16 17
WEISS 1980, S. 94. Ebd., S. 106f.: Die Angaben sind hier umgerechnet und gerundet.
206
Andreas Geis und Andreas Tacke
Zum Verständnis des Inventars ist interessant festzustellen, wie sich die Preise im Verhältnis Rohmaterial und Verkaufsware entwickeln. So wird ein Zentner Messing mit 6 Gulden bewertet. Ein Zentner der kleinen, einfach zu gießenden Messingarbeiten – Mörser, Pistill, Glocken, Leimtiegel, Stockgewichte – wird mit sieben Gulden angesetzt und ein Zentner Altarleuchter, für die eine aufwendigere Oberflächenbehandlung notwendig war, mit acht Gulden taxiert. Diese geringe Differenz weist also nicht auf eine übermäßig zeitintensive Produktionsweise hin, wenn auch bedacht werden muss, dass die sakralen Scheibenleuchter wohl eine geschmiedete eiserne Seele hatten, die oben den Dorn bildete.18 Dieses preiswertere und schwere Eisen ist also in der Gewichtsangabe bereits enthalten.
3.1 Messingproduktion und Messingverarbeitung Messing ist, genau wie Bronze,19 kein natürlich vorkommendes Metall, sondern wird aus den Elementen Kupfer und Zink zu einer Legierung zusammengeschmolzen.20 Zu den Vorteilen und Eigenarten bei der Verwendung des Materials kann man u. a. sagen, dass durch den Zinkzusatz, der gewöhnlich etwa 30 Prozent beträgt, ein Metall entsteht, welches sich leichter schmelzen lässt als das Kupfer, dünnflüssiger ist, ohne beim Erstarren blasig zu werden, und sich für die Bearbeitung mit Hammer und Meißel besser eignet. Hinzu kommt, dass das Messing eine glänzende, goldähnliche Farbe hat und weniger an der Luft oxidiert. Gegenüber der Bronze besitzt dieses Metall den Vorzug, dass es billiger – Zinn ist seltener und kostbarer als Zink – und geschmeidiger ist.21 Um Messing überhaupt herstellen zu können, benötigte man beide Ausgangsmaterialien in möglichst reiner Form. Dabei kam als Zinkerz in früheren Zeiten fast nur der Galmei in Betracht, der bis zu 52 Prozent Zink enthält. Um damit Messing zu gewinnen, ließ der Messingbrenner das zerkleinerte Kupfererz zusammen mit dem gemahlenen und mit Holzkohle vermischten Galmei auf Windöfen in Tiegeln schmelzen. Der eigentliche Schmelzvorgang in den Windöfen dauerte um die 12 Stunden, wobei min18
LOCKNER 1977, S. 30. Die Legierung Bronze wird aus Kupfer und Zinn gemischt. Beachten: Mit dem bloßen Auge sind die beiden Materialien beinahe nicht zu unterscheiden. 20 LOCKNER 1982, S. 9. Außerdem differenziert WEIHRAUCH 1948, Sp. 1182, zwischen beiden Legierungen wie folgt: Die Bronze-Legierung trägt im zünftigen Gebrauch die Bezeichnung Rotguss im Gegensatz zu dem Messingguss (Gelbguss, Kupfer-Zinklegierung). 21 PELTZER 1908, S. 241. 19
Werkstattproduktion eines Rotschmieds in Nürnberg
207
destens Temperaturen von 1.083° C, dem Schmelzpunkt von Kupfer, erreicht werden mussten. Die Tiegel mit dem flüssigen Messing goss man zum Erstarren in Sandgruben oder in Formen.22 Im Gegensatz dazu konnte man das für die Bronzeherstellung notwendige Zinn – bis zum 16. Jahrhundert nur aus englischen Zinngruben gewonnen – zu dieser Zeit schon in Mitteldeutschland abbauen; es wurde als »erzgebirgisches Silber«23 gehandelt. Die Produktion von Rohmessing, wenn diese überhaupt ortsnah stattfand, und das Produkt nicht zum Beispiel aus Aachen24 zugekauft wurde, kann man sich wohl nicht innerhalb der Stadtmauern Nürnbergs vorstellen. Dagegen spricht zum einen die Brandgefahr, zum anderen der große Materialbedarf. Da Galmei maximal zur Hälfte aus Zink besteht, und sich dieser enthaltene Anteil auch nicht vollständig mit dem Kupfer verbindet, sind größere Mengen Galmei als Kupfererz notwendig. Karl Karmarsch spricht in seinem Handbuch der mechanischen Technologie von 1866 von „3 Theilen Kupfer, 5 Theilen Galmei und 2 Theilen Kohlenstaub“.25 In diesem Zusammenhang weist Lockner darauf hin, dass das Kupfer zum Galmei wandern muss und nicht umgekehrt;26 diesem ökonomisch-praktischen Argument widerspricht Stahlschmidt aber mit dem Hinweis auf verschiedene Standorte der Messingproduktion ohne Galmeivorkommen und den Rohstoffhandel, u. a. in und nach Nürnberg.27 Erst im Jahre 1657 wurde durch Analyse der Galmei als Zinkmineral erkannt und ab diesem Zeitpunkt versteht man Messing als Legierung zweier Metalle. Vorher ging man davon aus, man »färbe« lediglich das Kupfer durch die Zugabe.28 Die mangelnde Vorstellung von den ablaufenden Prozessen und das fehlende Wissen über die Zusammensetzung der Ausgangsstoffe führten dazu, dass einzig Erfahrungswerte bei der Produktion des Rohmessings zugrunde gelegt werden konnten. Dabei brachte jedes neue Einschmelzen des Rohmaterials, dem auch Messingschrott und Messingabfälle beigemischt wurden, eine Veränderung des Zinkanteils und damit auch eine Veränderung in der Viskosität und der Farbe mit sich.29 Das von der Werkstatt gekaufte Rohmessing konnte auf zwei grundlegend verschiedene Arten weiterverarbeitet werden: Entweder wurde es 22
STAHLSCHMIDT 1970, S. 131. WEISS 1980, S. 68. 24 Wo seit 1450 eine Herstellung im größeren Umfang anzusetzen ist, siehe STAHLSCHMIDT 1970, S. 129. 25 KARMARSCH 21851, Bd. 1, S. 52. 26 LOCKNER 1982, S. 10. 27 STAHLSCHMIDT 1970, S. 129–131. 28 Ebd., S. 125. 29 LOCKNER 1982, S. 11. 23
208
Andreas Geis und Andreas Tacke
»kalt« geschnitten und von den Messingschlägern zu Blechen geschlagen und dann weiter von den Beckenschlägern zum Beispiel zu Schüsseln und Becken getrieben. Oder es wurde von den Gelbgießern, wobei die Bezeichnung gelb für die goldene Farbe des Messings steht, für die Herstellung von Leuchtern, Schlüsselringen und anderem gegossenen »Nürnberger Tand« erneut verflüssigt und anschließend in Formen gegossen. Warum die hier betrachtete Werkstatt der Familie Amman nicht korrekterweise als Gelbgießerwerkstatt, sondern als Rotschmiede bezeichnet wird, ist unklar. Zu vermuten ist, dass die Ammans, da sie so viele verschiedene Produkte herstellten, unterschiedliche Techniken der Bearbeitung anwendeten, auf die das Werkzeuginventar keine Hinweise (mehr) bietet. Bei allen Formen der Weiterverarbeitung musste auf einen sparsamen Materialverbrauch geachtet werden, was für den Guss bedeutet, dass wir uns diesen für Gebrauchsgegenstände wie die Leuchter nicht massiv vorstellen dürfen. Je talentierter und geschickter der Gießer vorging, desto geringer war der Materialverbrauch und damit der Herstellungspreis der Gegenstände. Da die Leuchter mit Stückpreisen ausgewiesen sind, können wir auch von einem höheren Gewinn ausgehen. Ein weiterer Vorteil einer möglichst »dünnen« Produktion bestand darin, dass die Stücke schneller vor der Weiterverarbeitung abgekühlt waren. Für den Guss musste allerdings das Rohmessing erneut verflüssigt werden. Für diese Arbeit weist das Inventar die Gießzangen und den Schaumlöffel (faymloffl) zum Abnehmen der beim Verflüssigen aufsteigenden Schlackestoffe aus. Zur Herstellung der Gussformen in Lehm und toniger Erde gab es wohl hölzerne Modelle. Diese wurden mit Öl eingestrichen und per Hand abgeformt. Weniger wahrscheinlich ist das Wachsausschmelzverfahren. Dabei wird die Form des zu gießenden Gegenstandes gänzlich in Wachs nachgebildet und von Lehm oder Sand umgeben. Bevor dann das von oben eingefüllte, flüssige Messing das Wachs ausschmelzen kann, müssen Austrittskanäle für das Wachs und die beim Gießen freiwerdenden Gase eingebracht werden. Dazu durchsticht der Gießer die Lehmform mehrfach. Ein Hinweis auf das für dieses Vorgehen notwendige Wachs fehlt im Inventar gänzlich – ein Auslassen ist wegen des Wertes des Materials und der anzunehmenden Menge nicht denkbar. Dieses aufwendige und wegen des Wachsverbrauchs auch teure Verfahren30 nimmt man zum Beispiel für die Aufsatzleuchter an. Der klassische Aufsatzleuchter hat drei Teile, die einzeln im Wachsausschmelzverfahren gegossen wurden: Dorn, Aufsatz und Fuß.31 Im oben 30 31
Zu den anspruchsvolleren Techniken siehe DIEMER 1996. LOCKNER 1979, S. 60–63.
Werkstattproduktion eines Rotschmieds in Nürnberg
209
zitierten Auszug aus dem Inventar finden sich zwei ziechredlein zum formen. Mit solchen Drehvorrichtungen konnten sowohl Kern als auch Modell der zuweilen mehrteiligen Gussformen hergestellt werden.32 Nach dem Abkühlen wird die Sandform zerschlagen und das Werkstück kann entweder für den Verkauf vorbereitet, das heißt gereinigt und abgedreht oder weiterverarbeitet werden. Da im Inventar etlich feyllen angeführt sind, kann davon ausgegangen werden, dass die gegossenen Gegenstände auch nachbearbeitet wurden. Illustrieren kann dies eine Abbildung aus dem Hausbuch der Nürnberger Zwölfbrüderstiftung,33 auf der ein Rotschmied zu sehen ist, wie er den Schaft eines Leuchters mit einer Feile entgratet. Außerdem wurden wohl die in Formen gegossenen Gebrauchsgüter, so sie sich denn von ihrer Form her eigneten, auf der Drehbank glatt gedreht, so dass eventuelle Gussnähte gänzlich verschwanden.
3.2. Nürnberger Tand – geht durch alle Land Der Handel mit den Messingprodukten Dass überhaupt von Nürnberg aus verstärkt Handel getrieben wurde, basierte auf einem mit diplomatischem Geschick ausgebauten System von Zollbefreiungen auf Gegenseitigkeit. Bereits König Friedrich II. gewährte 1219 über ältere kaiserliche Privilegien hinausgehende Zollbefreiungen auf der Donau von Regensburg bis Passau.34 Aber auch durch die geografische Lage Nürnbergs, die der nahebei als Bauernsohn geborene Johannes Cochlaeus in seiner Brevis Germanie Descriptio von 1512 als den Mittelpunkt Europas sowie Deutschlands beschreibt,35 war Nürnberg in Spätmittelalter und früher Neuzeit ein sehr geeigneter Handelsplatz.36 Nürnberg gilt als der Umschlagplatz, wohin die Waren der Südländer eingeführt und von wo sie den Nordländern vermittelt werden.37 Und Cochlaeus führt dazu weiter aus: Überall in Europa sind Nürnbergs Kaufleute. Der Reichtum der Nürnberger ist nicht nur den Deutschen, sondern auch den am entferntesten wohnenden Spaniern in Lissabon wie den fernsten Skythen am Don, den Polen, Ungarn und ganz Europa wohlbekannt. Wo gibt es denn einen Winkel, in den sie nicht Geld und Ware gebracht hätten?38 32
BAUMGÄRTEL 1982, S. 173. TREUE 1965. 34 WENDEHORST 1993, Sp. 1321. 35 Vgl. TACKE 2002. 36 COCHLAEUS (1512) 31976, S. 75. 37 Ebd. 38 Ebd., S. 77. 33
210
Andreas Geis und Andreas Tacke
Beim Groß- aber auch Kleinhandel wurde es in Europa gängige Praxis, Handelswaren über ihre Herkunftsorte zu definieren.39 Dabei dienten die so bezeichneten Waren den Kaufleuten als Orientierungshilfe, als preisrelevante Qualitätsbezeichnung und als Gütesiegel. Das heißt, dass die Voraussetzung für den Erfolg Nürnbergs die Leistungsfähigkeit seiner Metall verarbeitenden Handwerke war. So schreibt der uns schon bekannte Pero Tafur, dass man dort auch Panzerhemden macht, welche man Nürnberger nennt.40 Die Verbreitung der Nürnberger »Markenartikel« erfolgte neben dem Direktverkauf vor allem durch den Handel der Nürnberger Kaufleute. So führen die Warenliste im Rechnungsbuch (von 1471–78) des Hans Praun, eines Großhändlers und Vorstandes der Praunschen Gesellschaft, die für den internationalen Handel zur Verteilung des geschäftlichen Risikos gegründet worden war, in ihren 290 Positionen neben vielen anderen Waren beinahe alle auch später im Bestand der Familie Amman befindlichen und von ihr gefertigten Waren an.41 Unter anderem wird ein Posten summarisch mit 600 verschiedenen Leuchtern benannt (leuchter allerlei 600 toti) – eine Mengenangabe, die uns bereits durch das Inventar der Rotschmiedwitwe und Werkstattleiterin Katharina Amman vertraut ist.
Literatur AUBIN 1967 – AUBIN, Hermann: Formen und Verbreitung des Verlagswesens in der Altnürnberger Wirtschaft, in: Beiträge zur Wirtschaftsgeschichte Nürnbergs 2, Nürnberg 1967, S. 620–668. ANDERS 1960 – ANDERS, Otto: Nürnberg um die Mitte des 15. Jahrhunderts im Spiegel ausländischer Betrachtung, in: Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg 50, 1960, S. 100–112. BAUMGÄRTEL 1982 – BAUMGÄRTEL, Otto: Das Inventar der Katharina Amman von 1529. Eine Quelle zur Geschichte des Nürnberger Rotschmiedhandwerks, in: Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Stadt 69, 1982, S. 167–184. BURKHARDT 2003 – BURKHARDT, Mike: Fremde im spätmittelalterlichen Deutschland. Die Reiseberichte eines unbekannten Russen, des Kastiliers Pero Tafur und des Venezianers Andrea de’ Franceschi im Vergleich, in: Concilium medii aevi 6, 2003, S. 239–290. COCHLAEUS (1512) 31976 – COCHLAEUS, Johannes: Brevis Germanie Descriptio, hg., übers. u. komm. von Karl Langosch, 3., unver. Aufl. Darmstadt 1976. 39
MÜLLER 2002, S. 75. STEHLIN / THOMMEN 1926, S. 86; vgl. TAFUR (1435–39) 1874, S. 269. 41 POHL 1967/68, bes. S. 128–136; das folgende Zitat auf S. 130. 40
Werkstattproduktion eines Rotschmieds in Nürnberg
211
DIEMER 1996 – DIEMER, Dorothea: Handwerksgeheimnisse der VischerWerkstatt: Eine neue Quelle zur Entstehung des Sebaldusgrabes in Nürnberg, in: Münchner Jahrbuch der bildenden Kunst, 3. F., Bd. 47, 1996, S. 24–54. HAUSCHKE 2006 – HAUSCHKE, Sven: Die Grabdenkmäler der Nürnberger Vischer-Werkstatt (1453–1544) (Bronzegeräte des Mittelalters, Bd. 6), Petersberg 2006. KARMARSCH 21851 – KARMARSCH, Karl: Handbuch der mechanischen Technologie, 2. Bde, 2. vermehrte Aufl. Hannover 1851. LOCKNER 1982 – LOCKNER, Hermann P.: Messing. Ein Handbuch über Messinggerät des 15.–17. Jahrhunderts, München 1982. LOCKNER 1981 – LOCKNER, Hermann P.: Die Merkzeichen der Nürnberger Rothschmiede, München 1981. LOCKNER 1979 – LOCKNER, Hermann P.: Aufsatzleuchter des Mittelalters. Ein Vergleich mit anderen mehrflammigen Leuchtern des 15. und 16. Jhd., in: Kunst & Antiquitäten. Zeitschrift für Kunstfreunde, Sammler und Museen. H. 5, 1979, S. 59–64. LOCKNER 1977 – LOCKNER, Hermann P.: Licht für Kirche und Haus. Mitteleuropäische Messingleuchter des 16. Jahrhunderts, in: Kunst & Antiquitäten. Zeitschrift für Kunstfreunde, Sammler und Museen, H. 2, 1977, S. 30–34. MÜLLER 2002 – MÜLLER, Heidi A.: „Tand“ und Nürnberger Waren, in: Ausst.kat. Quasi centrum Europae. Europa kauft in Nürnberg 1400–1800, Nürnberg 2002, S. 72–95. PELTZER 1908 – PELTZER, Rud.(olf) Arthur: Geschichte der Messingindustrie und der künstlerischen Arbeiten in Messing (Dinanderies) in Aachen und den Ländern zwischen Maas und Rhein von der Römerzeit bis zur Gegenwart, in: Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins 30, 1908, S. 235–463. POHL 1967/68 – POHL, Horst: Das Rechnungsbuch des Nürnberger Großkaufmanns Hans Praun von 1471 bis 1478, in: Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg Verein 55, 1967/68, S. 77–136. SCHWEMMER 1972 – SCHWEMMER, Wilhelm: Das Bürgerhaus in Nürnberg, Tübingen 1972. STAHLSCHMIDT 1970 – STAHLSCHMIDT, Rainer: Das Messinggewerbe im spätmittelalterlichen Nürnberg, in: Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg 57, 1970, S. 124–149. STEHLIN / THOMMEN 1926 – STEHLIN, Karl und Rudolf THOMMEN (Bearb.): Aus der Reisebeschreibung des Pero Tafur, 1438 und 1439, in: Basler Zeitschrift für Geschichte und Altertumskunde 25, 1926, S. 45–107. TACKE 2002 – TACKE, Andreas: „Centrum Europae“! Fragen zu Auswirkungen frühneuzeitlicher Kongreß- und Itinerarorte auf Kunst, Architektur und Kunsthandwerk, in: Anzeiger des Germanischen Nationalmuseums, 2002, S. 112–127.
212
Andreas Geis und Andreas Tacke
TACKE 2001 – TACKE, Andreas: Johann Hauer. Nürnberger Flach- und Ätzmaler, Kunsthändler, Verleger und Dürerforscher des 17. Jahrhunderts. Eine Fallstudie zur handwerksgeschichtlichen Betrachtung des Künstlers im Alten Reich, in: Ders. (Hg.): „Der Mahler Ordnung und Gebräuch in Nürmberg“. Die Nürnberger Maler(zunft)bücher ergänzt durch weitere Quellen, Genealogien und Viten des 16., 17. und 18. Jahrhunderts, Bearb. von (...), München u.a. 2001, S. 11–141. TAFUR (1435–39) 1874 – Andanças e viajes de Pero Tafur por diversas partes del mundo ávidas (1435–1439) (Coleccion de libros Españoles raros ò curiosos, Bd. 8), 2. Bde., Madrid 1874. TREUE 1965 – TREUE, Wilhelm u. a. (Hgg.): Das Hausbuch der Mendelschen Zwölfbrüderstiftung zu Nürnberg. Deutsche Handwerker des 15. und 16. Jahrhunderts, München 1965. WEIHRAUCH 1948 – WEIHRAUCH, Hans Robert: Bronze, Bronzeguß, Bronzeplastik, in: Reallexikon zur Deutschen Kunstgeschichte, Bd. 2, Stuttgart 1948, Sp. 1182–1216. WEISS 1980 – WEISS, Hildegard: Lebenshaltung und Vermögensbildung des „mittleren“ Bürgertums. Studien zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte der Reichsstadt Nürnberg zwischen 1400–1600 (Zeitschrift für Bayerische Landesgeschichte, Beiheft 14, Reihe B), München 1980. WENDEHORST 1993 – WENDEHORST, Alfred: Nürnberg. IV. Wirtschaft, in: LexMa, Bd. 6, München 1993, Sp. 1320–1321. WIXOM 1986 – WIXOM, William D.: Nürnberger Messingarbeiten, in: Nürnberg 1300–1550. Kunst der Gotik und Renaissance, München 1986, S. 75–79.
III. Privilegien, Besitz
DANICA BRENNER
Agnes Dürers Druckprivileg Zehn Jahre Schutz der Werkstattrechte Albrechts 1. Agnes Dürer, Hüterin geistigen Erbes Am 7. Juli 1494 wurde Agnes Frey im Alter von 19 Jahren mit Albrecht Dürer verheiratet.1 Sie entstammte einer wohlhabenden und angesehenen Nürnberger Familie. Ihr um 1450 geborener und ins Nürnberger Patriziat verheirateter Vater Hans Frey entwarf und baute als Rotschmied Automaten wie Tischbrunnen mit getriebenen Messingfiguren2 und sein wirtschaftlicher Erfolg drückte sich u.a. durch seinen mehrfachen Hausbesitz aus. Er hatte verschiedene städtische Ämter wie das des Nuss- und Honigmessers oder des Hauswirts auf dem Rathaus inne, war seit 1496 Genannter des Größeren Rats und nahm als Harfenspieler an den Fronleichnamsprozessionen teil. Auch besaß er »Bergwerkskuxen« (Bergwerksanteile), die nach seinem Tod an seine beiden Töchter Agnes und Katharina (Zinner) fallen sollten. Sein Vater war der 1461 verstorbene Erhard Frey, der neben zwei Häusern am Hauptmarkt auch ein Landgut in Rohr bei Schwabach besaß. Am 22. Oktober 1472 ehelichte Agnes’ Vater Anna Rummel, die als Tochter Wilhelm Rummels und Kunigunde Hallers einem der angesehensten und reichsten Patriziergeschlechter Nürnbergs entstammte. Angehörige ihrer wohlhabenden und ehemals ratsfähigen Familie trugen gar den Beinamen „der Reiche“. Bereits für das 14. Jahrhundert sind Handelsbeziehungen der Familie nach Italien belegt; ferner spielte Annas Vater eine wichtige Rolle bei der Finanzierung des Nürnberger Buchdrucks. Agnes’ Eltern zählten zu den circa 90 elitären Familien Nürnbergs, wenn auch auf einer relativ niedrigen Stufe. Denn die wirtschaftliche Blütezeit der Familie Frey hatte zum Zeitpunkt der Eheschließung zwischen Agnes und Albrecht ihren Zenit bereits überschritten, und der Ruhm der Familie, die in der 1. Hälfte des 15. Jahrhunderts die reichste Familie Nürnbergs mit dem bedeutendsten Bankhaus Deutschlands darstellte, war verblasst. Die kinderlos 1
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HIRSCHMANN 1971 und SCHLEIF 1999; die Angaben zur Vita Agnes bzw. Albrecht Dürers beziehen sich auf diese und die folgende Dürer-Literatur und werden zur Entlastung des Anmerkungsapparates nicht einzeln aufgeführt. WIEWELHOVE 2002, S. 63–70.
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gebliebene Ehe mit Agnes brachte Dürer in das Umfeld einer angesehenen Nürnberger Familie, die mit dem Patriziat durch Konnubium verbunden war und bedeutete für ihn trotz des gesunkenen Status’ der Familie Frey eine Steigerung des sozialen Ansehens. Den Ehevertrag hatten die Väter in Dürers Abwesenheit ausgehandelt, wobei sich Agnes’ Vater verpflichtete, die Hochzeit auszurichten und eine Mitgift in Höhe von 200 Gulden zu zahlen.3 Dies war zwar ein respektabler Geldbetrag, doch relativiert er sich, da ihre Mutter 800 Gulden in die Ehe einbrachte. Durch die Mitgift waren Agnes und Albrecht nach der Eheschließung trotz schlechter Auftragslage finanziell vorläufig unabhängig. Vermutlich zog das junge Paar zudem, dem Brauch der Zeit entsprechend, nach der Hochzeit zunächst zu Agnes’ Eltern, die ein gutes Verhältnis zu Albrecht gehabt zu haben scheinen. Erst 35 Jahre später, am 14. Juni 1509, erstanden Agnes und Albrecht ein Eckhaus an der Einmündung der Zisselgasse zum Platz am Tiergärtnertor,4 wo sie bis zu ihrem Tod lebten. Das Gebäude befindet sich, wie das Elternhaus Dürers, in der Pfarrei St. Sebald, dem sozialtopographisch besten Wohngebiet der Stadt. Neben Angehörigen der Oberschicht lebten dort auch Dürers Taufpate, der europaweit tätige Verleger Anton Koberger und sein Lehrer Michael Wolgemut, in dessen Werkstatt die Druckstöcke für die Schedelsche Weltchronik entstanden. Zum eigentlichen Eheleben von Agnes und Albrecht gibt es nur wenige zeitgenössische Aussagen – die Diskursgeschichte hierzu ist umfangreich und aussagekräftiger.5 Eine Ehe in der spätmittelalterlichen Handwerkerschicht wurde nüchtern betrachtet und in erster Linie als Arbeitsgemeinschaft gesehen.6 Schon im 14. Jahrhundert übernahmen die Frauen kleinere Arbeiten in der Werkstatt oder beim Verkauf der Produkte. Händlerfrauen kümmerten sich beispielsweise um die Buchführung und die finanziellen Angelegenheiten, was der aus einer Händlerfamilie stammenden Agnes nicht fremd gewesen sein dürfte. Da eine Werkstatt immer auch ein Familienbetrieb war, erscheint eine Mitarbeit Agnes’ am Geschäft ihres Mannes selbstverständlich.7 So 3
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Der Heiratsvertrag ist verschollen, ein Nachweis aber indirekt zu führen, da ein pergamener heiratßbrief in einem späteren Dokument genannt wird; siehe DÜRER / RUPPRICH 1956–69, Bd. 1, S. 238f. Nr. 13 Zeile 16f. Ebd., S. 227–229 Nr. 3 (Kaufvertrag), vgl. ebd., Nr. 4 und 5. Zu Dürers Wohnbezirk siehe SCHNELBÖGL 1971, S. 72–76. SCHLEIF 1999, und SCHLEIF 22000. INGENDAHL 2006, S. 44–47, 50f. Vgl. SCHLEIF 1999, S. 74, die am Beispiel der Frau Adam Krafts auf die unterschiedlichen Aufgabenbereiche für Künstlerfrauen verweist.
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überwachte sie in Albrechts Abwesenheit die Arbeiten in der spätestens seit 1502 existierenden Dürerwerkstatt. Als Malergattin hatte sie außerdem einen großen Haushalt unter sich. Dazu gehörte auch, die Hilfskräfte, Mägde, Knechte, Lehrlinge, Gesellen und Kolporteure (Vertragspartner)8 während ihres Aufenthaltes im Haus unterzubringen und zu verköstigen. Zuwendungen verschiedener Art belegen ihre Anteilnahme am Geschäft ihres Mannes. Im Tagebuch der Niederländischen Reise vermerkte Albrecht öfter, dass Agnes Geschenke erhielt, auch Trinkgeldzahlungen waren nicht unüblich.9 Sogar von Künstlerkollegen erhielt sie Geschenke, wie von dem Franzosen Jean Mone, der ihr verzierte Gläser mit Rosenwasser zukommen ließ, und vom Nürnberger Rat erhielt sie 12 Gulden geschenkt, als Dürer die vier Apostel fertig gestellt und diesem übergeben hatte. Solche Ehrengelder für Werkstattfrauen und Mitglieder waren gang und gäbe und sicherten eine ordentliche Ausführung der Aufträge; zugleich sind sie ein Hinweis darauf, dass die Künstlergattin Kontakt zu den Auftraggebern und Anteil an der Ausführung der Arbeiten hatte. So wurden Agnes in Briefen an ihren Mann gelegentlich Grüße ausgerichtet; sie kümmerte sich um Besucher und Gäste und hatte einen großen Bekanntenkreis auch unter den Kunden und gebildeten Freunden Dürers. Agnes unterstützte ihren Gatten zudem tatkräftig in geschäftlichen Angelegenheiten, unter anderem indem sie wie seine Mutter auf der Nürnberger Heiltumsmesse seine Graphiken verkaufte.10 Auch scheint sie ohne ihn weite Strecken gereist zu sein. Als ihr Mann kurz nach der Heirat auf seiner zweiten Italienreise war, zog sie beispielsweise zum Verkauf seiner druckgraphischen Blätter auf die große Frankfurter Ostermesse. Zusammen brachen sie am 12. Juli 1520 zu einer Reise in die Niederlande auf, von der sie im Sommer 1521 zurückkehrten. Als Albrecht Dürer am 6. April 1528 starb11, ist sein gesamter künstlerischer Nachlass, also auch die Druckplatten, zunächst wohl in Agnes’ Besitz geblieben, die die Buchproduktion ihres Mannes bis zu ihrem Tode gemäß ihrem Testament 1538/40 weitergeführt hat. Da Dürer ohne Testament 8
1496/97–1500 hatte Dürer drei ebensolche angestellt, die für ihn über das Land zogen und seine Drucke dort zu festgeschriebenen Preisen verkauften; SCHMID 1996, S. 35. 9 Vgl. DÜRER / RUPPRICH 1956–69, Bd. 1, S. 146–202. 10 Ebd., S. 48–50 Nr. 5 (Brief vom 02.04. 1506). – In Dürers Tagebuch findet sich eine Anmerkung, nach der ein Zöllner in Lahnstein Agnes gut kannte (dann er kannt mein weib wohl); ebd., S. 150. SCHMID 2003, S. 77, folgert daraus, dass sie eventuell öfter zu Dürers Kölner Verwandtschaft reiste. 11 Er wurde im Grab (Nr. 649) seiner Schwiegereltern auf dem Johannisfriedhof westlich von Nürnberg beigesetzt; PILZ 1984, S. 89. Es wurde 1680 von Joachim von Sandrart aufgekauft und den Nürnberger Malern als Ehrengrab übergeben, siehe TACKE 2001, S. 23f.
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verstarb und der zwischen den Eheleuten vereinbarte Heiratsvertrag eine Gütergemeinschaft besiegelte, ging das reiche Erbe nach der Ordnung des Stadtgesetzbuchs zunächst an Agnes, die es daraufhin zwischen sich und den Brüdern Albrechts aufteilte. Bereits am 9. Juni 1530, zwei Jahre nach dem Tod ihres Mannes, schloss Agnes diesbezüglich einen offiziellen Vergleich mit ihren Schwägern Andreas und Hans Dürer. Demnach verpflichtete sie sich, diesen sogleich das ihnen zustehende Viertel des »auf 6.848 Gulden 7 Pfund und 24 Pfennige« geschätzten Inventars auszuzahlen.12 In dem geerbten Haus wohnte sie bis zu ihrem Tod am 28. Dezember 1539. Danach ging das Gebäude an ihre Schwester Katharina Zinner, die als Haupterbin des nur auszugsweise erhaltenen Testaments erscheint, während Andreas Dürer als weiterer Erbe genannt wird. Zudem gründete Agnes mit ihrem Testament eine Stiftung, die einem Nürnberger Handwerkssohn ein Theologiestudium in Wittenberg ermöglichen sollte (40 fl. ewig geld zu eim stipendio in theologia einem handwerksman sohn auf 5 jahr zu reichen, doch daz er zuvor schon 4 jahr in freyen künsten gestudiert habe, [...]).13 Für diese Stiftung, welche sich aus einem von Albrecht ererbten Ewiggeld speiste, wurde sie posthum von Philipp Melanchthon gelobt. Daher kann eine protestantische Gesinnung der Agnes’ angenommen werden.
2. Quelle Das Privileg Kaiser Karls V., gegeben in Speyer am 14. August 1528, gewährt der Witwe des Künstlers, Agnes Dürer, für einen Zeitraum von zehn Jahren Schutz vor illegalem Nachdruck und Verkauf des Proportions- und Perspektivwerks Albrecht Dürers. DÜRER, Albrecht: Hierin(n) sind begriffen vier Bücher von menschlicher Proportion, 3. Aufl. (Neudr. der Ausg. Nürnberg 1528) Nördlingen: Uhl, 1996 (reproduziert wurde nach dem Exemplar der Staatsbibliothek Bamberg), fol. Z4 r–v. Vgl. den abweichenden Abdruck in: DÜRER. Schriftlicher Nachlass, hg. von Hans Rupprich, 3 Bde., hier Bd. 1: Autobiographische Schriften, Briefwechsel ..., Berlin 1956, S. 236–237 Nr. 12. WIR KARL der fünfft von Gottes gnaden erwelter Römischer Keyser zu allen zeitten merer des Reychs etc. In Germanien zu Hispanien beyder Sicilien / Hierusalem / Hungern / Dalmacien / Croacien etc. König Ertzhertzog 12
DÜRER / RUPPRICH 1956–69, Bd. 1, S. 8 und S. 238f. Nr. 13 (Vergleich zwischen Agnes und ihren Schwägern). 13 HIRSCHMANN 1971, S. 48–50; der vollständige Abdruck des überlieferten Testamentsauszugs der Agnes Dürer ebd., S. 49f.
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zu Osterreich / Hertzog zu Burgundi etc. Graue zu Habspurgk / Flandern vnd Tyrol etc. Bekennen offentlich mit disem brieff vnd thun kunth aller menigklich / Nach dem die erbar vnser liebe andechtige Agnes weylendt Albrechten Dürrers nachgelassen Witwe / vnserm Keyserlichem regiment im heyligen Reych für bracht / wie das berürter Albrecht jr haußwirt etliche bücher von menschlicher proporcion auß rechter kunst vnd perspectiue seiner selbs vleyß vnd erfindung / mit nit geringer mühe zusamen pracht / vn(d) in willen gewesen / die selben bücher in den druck zufüren / darmit die solcher kunst liebenden gepreuchlich vnd nützlich sein hetten mögen / Vnd aber der selb Dürer newlich vnnd for auffrichtung solcher kunst bücher gestorben / Vnd nu sie die witwe / solche bücher zumtheyl in formen schneyden lassen vnd zu drucken willens were Solten sich etlich vndersteen / die derselben jres haußwirts gefunden kunst / vnd etwas solcher menschlicher proporcion hinder jre durch vngepürlich weyß zu wegen gepracht / neben andern vnder jrem titel / vnd als ob sie / vnd nit der Dürer die gefunden / in druck zubringe(n). Darzu het sie sich auch zubesorgen (wie dan[n] vil mal beschicht / so ychts dermaß mit vleys mühe vnd arbeyt erfunden / vnd gemeynem nutz zu gut in den druck pracht / das solchs andere als baldt nachdrucken vnnd jren eygnen nutz also vnpillicher weyß / mit des erfinders nachteyl / suchen vn[d] handlen) also wan(n) sie solch jres abgangen haußwirts erfundne kunst drucken lasse / das andere jr zu mercklichem nachteyl / die selbenn / wo das nit fürkomen / als baldt nach drucken wurden / Vnd darauff demütigklich anruffen vnd bitten lassen / jre hierin(n) mit gnediger fürsehung vnd hilff zuerscheynen / Das wir dem nach / vnd darmit solch obgenante / des Dürers kunst vnd erfindung nit hinderhalten / auch die obgenandt witwe deshalb nit veruntrewt vn(d) zu schaden gepracht werde / der selben witwen / diß nachuolgend freyheyt geben / Geben jre die auch hiemit von Römischer Keyserlicher macht wissentlich in krafft diß brieffs / also / das nymant / wer der sey / gemelts weylendt Albrecht Dürers obberürte erfunden kunst vnd bücher / oder etwas auß zugs / von denselben / in seinem namen / vnd als ob er die gemacht / noch sunst / on verwilligung gedachter witwe / inn druck bringe / oder außgeen lasse / noch verkauffe / Das auch die obberürte bücher / kunst vnd proporcion / der genanten seiner witwen / so sie die in druck pringen last oder gepracht hette / in zehen jaren den negsten nach außgang desselben drucks / nit nachdrucke / noch also nachgedruckt verkauffe. Vnd gepieten darauff allen vnd yeden unsern vnd des Reychs vnderthanen / vnd sunderlich allen maler / buch / gemalt oder kunst drucker / fürern vnd verkauffer / vnd yedem besunder von Römischer Keyserlicher macht / Vn(d) bey peen zehen marck lötigs golts vns halb in vnser Keyserlich kamer / vnd den andern halben teyl / der obgenanten witwen / vnableßich zubezalen / auch bey verlierung solcher druck vnnd
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nachdruck / hiemit ernstlich vnnd wöllen / das keiner obgenante weylendt Albrechts Dürers / erfunden kunst bucher nach der selben außzugs vnd anhang / jme / als ob er die gemacht / anmasse / noch sunst in druck pringen oder außgeen lasse. Darzu auch die obgedachten bücher vnnd kunst / so die bemelte witwe in druck außgeen lassen hette oder würde / in obbestimpter zeyt / der zehen jar nit nachdruck oder nachgedruckt zu feylem marck trage noch verkauffe / in kein weyß / als lieb euch sampt vn(d) yedem besunder sey obberürte peen / vnd solch ewr druck vnd nachdruck zuuermeyden / welche druck vnd nachdruck die gedacht witfraw also / oder die sie darzu verorden würden / an allen orten / zu jrer gewalt vn(d) handen nemen vn(d) behalten mögen. Darzu jre auch ein yede oberkeyt / so der halb eines yedes orts ersucht würde / behilfflich sein solle / Das meynen wir ernstlich. Mit urkunth diß brieffs besigelt / mit vnserm Keyserlichen anhangenden insigel / Geben in vnser vnd des Reychs stat Speyer am vierzehenden tag des Monats Augusti / Nach Christi gepurt Fünffzehenhundert vnd im achtvndzweyntzigsten vnserer reych des Römischen im Neundten / vnnd der andern aller im dreyzehenden jaren. Ad mandatum domini Imperatoris in Consilio jmperiali. W. G. Z. Montfort des Keyserlichen Stathalterrampts verweser. sszt. [subscripsit]14 (Übertragung ins Neuhochdeutsche) Wir, Karl V. von Gottes Gnaden erwählter Römischer Kaiser, zu allen Zeiten Mehrer des Reichs etc. König zu Germanien, Spanien, beider Sizilien, Jerusalem, Ungarn, Dalmatien, Kroatien etc., Erzherzog zu Österreich, Herzog zu Burgund etc., Graf zu Habsburg, Flandern und Tirol etc., bekennen öffentlich mit diesem Brief und tun allen und jedem kund: Nachdem die ehrbare, unsere liebe und fromme Agnes, des verstorbenen Albrecht Dürers hinterbliebene Witwe, unserem kaiserlichen Regiment im Heiligen [Römischen] Reich vorgebracht hat, dass der genannte Albrecht, ihr Hauswirt, etliche Bücher über die menschliche Proportion aus Kunst und Perspektive dank eigenem Fleiß und Erfindung mit nicht geringer Mühe zusammengebracht hat und willens gewesen war, diese Bücher in Druck zu geben, damit sie denen, die solche Kunst lieben, dienlich und nützlich sein sollten. Und [nachdem] aber derselbe Dürer kürzlich vor der Fertigstellung dieser Kunstbücher gestorben [ist] und nun sie, die Witwe, willens sei, diese Bücher zum Teil in Formen schneiden zu lassen und in den Druck zu führen, sollten andere sich unterstehen, welche die von ihrem Hauswirt 14
sszt (oder auch »ssst« abgekürzt) lat. für unterzeichnet = siehe GRUN 1966.
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gefundene Kunst und [diese Lehre] von menschlicher Proportion hinter ihre[m Rücken] auf ungebührliche Weise zuwege gebracht haben, neben anderem unter ihrem Titel und [der Vorgabe], als hätten sie und nicht der Dürer sie erfunden, in Druck zu bringen. Ferner hätten sie sich auch [deshalb] Sorge zu machen, weil, wie es häufig geschieht, wenn etwas dieser Art mit Fleiß, Mühe und Arbeit erfunden und zum Wohl des gemeinen Nutzens zum Druck gebracht ist, andere ein solches [Werk] alsbald nachdrucken und ihren Eigennutz also in unbilliger Weise zum Nachteil des Erfinders suchen und betreiben. Wenn sie also diese von ihrem verstorbenen Hauswirt erfundene Kunst drucken lässt, damit [nicht] andere ihr zum merklichen Nachteil diese, wenn man dem nicht zuvorkommt, alsbald nachdrucken werden, [hat sie] uns demütig anrufen und bitten lassen, ihr dabei mit gnädiger Fürsorge und Hilfe beizustehen, daher haben wir dem nach[kommend] und damit die obengenannte Kunst und Erfindung Dürers nicht benachteiligt, auch die oben erwähnte Witwe deshalb nicht betrogen und zu Schaden gebracht werde, derselben Witwe das nachfolgende Privileg gegeben. Wir geben ihr dieses [Privileg] hiermit auch von römischer kaiserlicher Macht, wissentlich Kraft dieser Urkunde, dass niemand, wer es auch sei, des erwähnten verstorbenen Albrecht Dürers obgenannte Kunst und Bücher oder irgendwelche Auszüge aus denselben in seinem Namen und als ob er sie verfasst habe, noch in anderer Weise ohne Einwilligung der genannten Witwe zum Druck bringe oder veröffentliche und auch nicht verkaufe. Dass auch [niemand] die oben erwähnten Bücher, Künste und Proportion der genannten Witwe, sofern sie diese zum Druck bringen lässt oder gebracht hat, in den zehn Jahre nach dem Erscheinen des Drucks weder nachdrucken noch als Nachdruck verkaufen soll. Und wir befehlen daraufhin allen und jedem von Unseren und des Reichs Untertanen, und insbesondere allen Malern, Buch-, Bild- und Kunstdruckern, Buchführern und Verkäufern und jedem einzelnen aus römischer kaiserlicher Macht und bei Geldbuße von zehn Mark lötigen Goldes, zur Hälfte in unsere kaiserliche Kammer, zur anderen Hälfte ohne Nachlass der obengenannten Witwe zu bezahlen, auch bei Androhung des Verlusts solcher Drucke und Nachdrucke, hiermit allen Ernstes und wollen, dass keiner die obengenannten, von dem verstorbenen Albrecht Dürer erfundenen Kunst-Bücher noch einen Auszug oder Anhang derselben [sich] anmaße, als ob er sie gemacht habe, noch in anderer Weise zum Druck zu bringen oder erscheinen zu lassen. Ferner soll keiner die obengenannten Bücher und Künste, wenn die erwähnte Witwe sie im Druck hat erscheinen lassen oder publizieren will, in der oben festgelegten Zeit von zehn Jahren nachdrucken oder nachgedruckt auf dem Markt feilhalten noch in irgendeiner Weise verkaufen, sonst trifft euch alle und jeden beson-
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ders die oben erwähnte Strafe und ihr habt diese eure Drucke und Nachdrucke zu unterlassen; welche Drucke und Nachdrucke die genannte Witwe selbst und diejenigen, die sie befugen wird15, an allen Orten in ihre Verfügungsgewalt nehmen und behalten dürfen mögen. Dazu soll ihr auch jede Obrigkeit, falls sie an irgendeinem Ort darum gebeten wird, behilflich sein. Das meinen wir ernsthaft. Das beurkunden wir mit diesem Brief, besiegelt mit unserem kaiserlichen anhängenden Siegel. Gegeben in unserer und des Reiches Stadt Speyer am 14. Tag des Monats August im Jahre 1528 nach Christi Geburt, im neunten Jahr unseres römischen Kaisertums und im 13. Jahr der Königsherrschaften. Auf Befehl des Herrn Kaisers im kaiserlichen Rat Wolfgang Graf zu Montfort, Verweser des kaiserlichen Statthalteramtes, hat unterzeichnet.
3. Kontextualisierung Das oben wiedergegebene Privileg16 Karls V. wurde von Wolfgang I. von Montfort-Rothenfels (geb. 1489), von 1524 bis 1530 Mitglied des Reichsregiments und mehrmals Statthalteramtsverweser, unterzeichnet. Es gewährte Agnes das Erstdruckrecht für die von ihrem Mann niedergeschriebene »Proportionslehre«. Witwen hatten, sofern kein Sohn zur Werkstattübernahme bereitstand, in Nürnberg in der Regel nach dem Tod des Gatten drei Jahre Zeit, um wieder zu heiraten, vorzugsweise einen Meister aus dem selben Handwerk. Taten sie dies nicht und erhielten sie keine der in seltenen Fällen gewährten Fristverlängerungen auf sechs Jahre, durften sie den Werkstattbetrieb nicht mehr eigenständig weiterführen. Die Ausnahmen, wie Barbara Wolgemut und Kunigunde Hergot17, bestätigen die Regel. Allerdings durften die Witwen selbst keine neuen Druckstöcke herstellen lassen, sondern mussten auf bereits vorhandene Stöcke zurückgreifen.
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So erhielt Agnes auf Anfrage Unterstützung vom Nürnberger Rat, der andere Städte um Amtshilfe in dieser Angelegenheit bat; DÜRER / RUPPRICH 1956–69, Bd. 1, S. 239 Nr. 14 (Nürnberg an Straßburg vom 02.10. 1532). 16 Ein Privileg kann man als einen begünstigenden Herrschaftsakt für einen Einzelempfänger bezeichnen; KRAUSE 1984, Sp. 1999. 17 SCHLEIF 1988, S. 66, 70; Barbara Wolgemut war nach dem Tod ihres Gatten Valentin im Jahr 1469 noch zehn Jahre in den Steuerlisten zu finden und Kunigunde Hergot führte den Laden ihres toten Mannes unter eigenem Namen elf Jahre lang weiter, obwohl sie neu verheiratet war.
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Vor diesem Hintergrund ist es also nicht verwunderlich, dass Agnes Dürer als Erbin einer gut funktionierenden Werkstatt auch als Verlegerin der Werke ihres verstorbenen Mannes auftrat. Dies belegt das Schlusswort der 2. Auflage der lateinischen Fassung von Albrecht Dürers »Unterweisung in die Messung« von 1538, in dem Agnes ihre Tätigkeit als Verlegerin der Schriften ihres Mannes betont: Zu dem freuntlichen leser. [...] Auch nachmals auß genugsamer verlegung Agnes Dürerin seiner nachgelaßne wittib in guth Latein gepracht, auf das solchs jres haußwirts kunst vnd arbeyt auch andern, welchen teutsche sprach vnbekandt, zu nutze möcht reychen.18 Die »Proportionslehre« Dürers19 wurde posthum erstmals am 31. Oktober 1528 in Nürnberg von Hieronymus Andreae in deutscher Sprache für Agnes Dürer gedruckt. Albrecht Dürer, der während der Drucklegung verstarb, konnte nur noch den ersten Band druckfertig machen. Die Handschriften zur »Proportionslehre« fanden sich später im Nachlass Willibald Pirckheimers, der zusammen mit anderen Freunden des Künstlers Korrektur las und die Drucklegung überwachte. Dürer war bereits seit der Jahrhundertwende auf der Suche nach einem figuralen Kanon zur Darstellung des Menschen gewesen. Ursprünglich von dem Gedanken getragen, ein Lehrbuch für angehende Malerlehrlinge zu erstellen, erweiterte sich das Thema immer mehr und der Künstler entschied sich für eine eigenständige Publikation. Die »Unterweisung in die Messung«, erstmalig gedruckt 1525, sollte zunächst das für das Verständnis des Werkes notwendige geometrische Vorwissen vermitteln. Diese Bemühungen mündeten in das erste der vier Bücher der »Proportionslehre«. Angelehnt an Schriften Vitruvs behandelt Dürer in diesem die Arithmetische Messmethode. Im zweiten Buch erläutert er ebenfalls die Arithmetische Methode, zurückgehend auf Alberti, diesmal anhand eines Messstabs. Das dritte Buch der »Proportionslehre« stellt geometrisches Instrumentarium zur Verfügung, mit dem man an den zuvor vorgestellten Figurenkonstruktionen Verzerrungen und Deformierungen vornehmen kann. Das vierte Buch beschäftigt sich mit der Biegung und Drehung des menschlichen Körpers, um Bewegung darstellen zu können, wobei jedoch nur die mechanische Komponente des Biegens, nicht aber das anatomische Element der Bewegung behandelt wird. Die »Proportionslehre« war zunächst in deutscher Sprache verfasst, was ein Novum darstellte, da wissenschaftliche Texte seinerzeit in der Regel in 18 19
DÜRER / RUPPRICH 1956–69, Bd. 3, S. 437. Der beste Überblick bei HINZ 2004; der Autor plant eine selbständige Publikation (mit neuhochdeutscher Übertragung) zur »Proportionslehre« im Akademie-Verlag – für Auskünfte ist ihm an dieser Stelle zu danken.
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Latein geschrieben wurden. Die vier Bücher umfassen insgesamt 132 Blätter mit 143 Illustrationsholzschnitten und 35 Holzschnitt-Vignetten. Die Original-Druckstöcke, die in Nürnberg nach Dürers Vorlagen geschnitten wurden, gelten seit 1603 als verschollen. Im Gegensatz zu seinen Vorbildern Vitruv, Leon Battista Alberti und Leonardo da Vinci behandelte Dürer statt eines Idealkörpers viele verschiedene Figuren und beschäftigte sich auch mit der Darstellung von Frauen. Obwohl für den Gebrauch durch Handwerker gedacht, war die »Proportionslehre« mit ihrem engen Zählwerk und der komplexen Theorieausbildung für diese unbrauchbar und besonders das vierte Buch eher nur Gelehrten verständlich. Erst nachdem das Werk 1532 und 1534 durch den Humanisten Joachim Camerarius ins Lateinische übersetzt worden war, erschloss es sich einen weiten, internationalen Rezipientenkreis. In der Folge sollen Gründe für die Erstellung des kaiserlichen Druckprivilegs und der Rahmen der Wirksamkeit solcher Schriftstücke aufgezeigt werden. Das Nachahmen fremder Werke war fester Bestandteil der Maler- und Stecherausbildung und diente zur Übung der eigenen Kunstfertigkeit. Doch wenn es um die Herstellung von Kopien in großem Maßstab ging, standen immer ökonomische Interessen im Vordergrund. So erschien besonders in der Nachfolge der weit verbreiteten Werke Albrecht Dürers vor allem in Italien und Deutschland eine unübersehbare Menge an Fälschungen und Plagiaten. Unerlaubte Nachdrucke seiner Holzschnitte und Kupferstiche kamen teilweise direkt nach Entstehung der Werke auf den Markt. Vor allem die graphischen Blätter wurden in großen Massen an Kirchentüren, auf Jahrmärkten oder bei Wallfahrten feilgeboten. Vervielfältigung und Verbreitung der Fälschungen gaben Handel und Gewerbe großen Auftrieb; Künstler, Drucker, Formschneider und Verleger machten mit Herstellung und Vertrieb gute Gewinne und fügten Dürer enormen finanziellen Schaden zu. Die Tätigkeit der Fälscher verstärkte sich nochmals nach dem Tod des Künstlers. Dabei war die individuelle Bildidee grundsätzlich noch nicht rechtlich geschützt und das Kopieren und Nachdrucken von Holzschnitten, Kupferstichen und wissenschaftlichen Werken wurde zu Ende des 15. Jahrhunderts noch nicht als rechts- oder sittenwidrig empfunden.20 Dennoch sind im frühen 16. Jahrhundert im Zusammenhang mit Dürer erste Ansätze zu erkennen, um Künstler und Autoren mit Rechtsmitteln vor allzu dreisten Kopisten zu schützen. Auch wenn es keine einheitliche Fälscherstrafe gab „ist bezeugt, daß schon in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts die Strafwürdigkeit des unerlaubten Nachdrucks aus dem Gesichts20
Vogt 2008, bes. S. 77–94.
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punkt des Diebstahls begründet worden ist.“21 So hatte Nürnberg schon Mitte des 15. Jahrhunderts das gewerbliche Warenzeichenrecht für Marktgewerbe voll ausgebildet und schützte die verkäufliche Firmenmarke, also die Meister- bzw. Beschauzeichen. Ein ebensolches stellt bei Dürer sein Monogramm dar. Zwar hatte zur Dürerzeit das Zeichen weniger den Sinn, das geistige Eigentum des Schöpfers zu kennzeichnen und zu schützen, als vielmehr die Aufgabe, den Hersteller des Werkes bekanntzugeben oder die Herkunft des Werkes aus einer Künstlerwerkstatt darzutun. Dennoch ist es in der Regel eher als handwerkliches Markenzeichen denn als Ausdruck künstlerischer Individualität und Selbstbewusstseins zu verstehen. Künstlerzeichen waren zurückgehend auf das Gewerberecht des Handwerks ein Rechtssymbol und Qualitätssiegel, und folglich fügten Fälscher Nachdrucken häufig bekannte Signaturen zu, um höhere Verkaufspreise zu erzielen. Zum Schutz vor Kopisten signierte Dürer seit 1485 seine Zeichnungen, Holzschnitte, Kupferstiche und später auch seine Gemälde mit seinem Monogramm als Rechtssymbol, Marken- oder Warenzeichen. Der rechtliche Schutz dieses Markenzeichens wird am Fall eines Fremden deutlich, der 1512 in unmittelbarer Nähe des Nürnberger Rathauses Dürernachdrucke mit gefälschten Signaturen zum Kauf anbot. Aufgrund der Monogrammfälschung wurde ihm in der Folge per Ratserlass der Verkauf der Blätter untersagt. Zurückgreifend auf den Rechtsschutz der gewerblichen Firmenmarken gewährte der Rat Dürer also Sicherung gegen Fälschung seines Monogramms. Ähnlich sieht es bei dem Fall des Venezianers Marc Antonio Raimondi aus, der Dürerblätter samt der Signatur fälschte und in Umlauf brachte. Er kopierte zunächst das Marienleben mitsamt dem Monogramm des Künstlers, das in den Kopien, die er nach dem zweiten Aufenthalt Dürers in Italien herstellte, nicht mehr auftaucht. Die daraus resultierende, möglicherweise auf Vasari zurückgehende Vermutung, dass Dürer diese Reise vor allem deshalb antrat, um bei der venezianischen Signoria einen Erlass gegen den Vertrieb dieser Blätter mit seinem Monogramm zu erwirken, ist bislang unbelegt. Grundlagen für ein rechtliches Vorgehen wegen der Signaturfälschung wären zumindest nach Nürnberger Recht gegeben gewesen. Zusätzlich zur Signatur nahm Dürer ab 1511 für seine drei großen Graphikserien und später für seine drei theoretischen Werke die gerade damals aufkommenden Privilegien des Reichs mit Nachdruckverboten in Anspruch. 1511 erschienen Dürers »Apokalypse«, »Marienleben« und die »Große Passion«, in deren Nachwort sich der Verleger direkt an die Fälscher richtet und sie mit Verweis auf ein kaiserliches Druckprivileg als 21
WÜRTENBERGER 1971, S. 52.
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»Diebe fremder Arbeit und Schöpfung« bezeichnet: Heus, tu insidiator ac alieni laboris et ingenij surreptor, ne manus temerarias his nostris operibus inicias, cave! Scias enim a gloriosissimo Romanorum imperatore Maximiliano nobis concessum esse, ne quis suppositicijs formis has imagines imprimere, seu impressas per imperij limites vendere audeat; quod si per contemptum seu auaricie crimen secus feceris, post bonorum confiscationem tibi maximum periculum subeundum esse certissime scias.22 Auch im Nachwort der 2. Auflage der »Unterweisung in die Messung« erfolgt durch Agnes ein Verweis auf den Schutz des Werkes durch ein kaiserliches Privileg: Hierumb soll menigklich gewarnet sein, dises buch in keinen wege nach zu trucken bey peen vnd straff, so verlichne von Kayserlicher Maiestat freyheyten anzeygen Darnach mag sich ein yetlicher richten.23 Ein solches Reichsprivileg mit Nachdruckverboten stellt die früheste bekannte Form des Schutzes von Schrift- und Kunstwerken vor unerlaubtem Nachdruck dar und entstammt dem mittelalterlichen Gewerberecht. Das Privileg an sich ist eine seit dem 12. Jahrhundert häufiger auftretende Urkunde, die auf Dauer angelegte Rechtshandlungen beinhaltet und sich in verschiedene Unterkategorien ausdifferenzieren lässt.24 Bei den beschlossenen Rechtshandlungen handelt es sich um die Begünstigung einer Einzelperson, der anhand der Urkunde spezielle Rechte zugesichert werden. Waren Privilegien damals noch eine neben dem Gesetz häufig anzutreffende Rechtsurkunde, betonen sie vom 15. Jahrhundert an eine hervorgehobene Sonderstellung des Empfängers durch die Erteilung besonderer Rechte.25 In unserem Fall ist es Agnes Dürer, der der Kaiser mit dem Dokument ein Mittel gegen unerwünschte Nachdrucke in die Hand gibt. Sie enthält das außerordentliche Recht, auch mit Hilfe staatlicher Institutionen gegen Kopisten vorzugehen. Man könnte in der Erteilung der Druckprivilegien für Dürers Werke eine Anerkennung von dessen künstlerischer Leistung durch den Kaiser vermuten; nachweisen lässt sich eine außerordentliche Wertschätzung seiner Kunst durch die Herrscher jedoch nicht. Bei dem Druckprivileg der Agnes Dürer handelt es sich um ein so genanntes einfaches Privileg, das man vom feierlichen Privileg anhand seiner Kürze und Schmucklosigkeit sowie der verkürzten Nennung des Herrschertitels unterscheidet. Im Lauf der Zeit gewannen kaiserliche Druckprivilegien zunehmend an Bedeutung und wurden nicht mehr nur für Drucker, sondern wie in unserem Fall auch für Verleger und Verfasser ausgespro22
DÜRER / RUPPRICH 1956–69, Bd. 1, S. 76 Nr. 23. Ebd., Bd. 3, S. 437. 24 SPIEGEL 1995. 25 WÜRTENBERGER 1971, S. 54. 23
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chen. Für die tatsächliche Gewährung eines Druckprivilegs ist es – zurückgehend auf eine antike Tradition – wichtig, dass in ihm das ingenium, die Begabung des Künstlers, mit angesprochen wird. Auch wird wie im hier edierten Dokument als Anerkennung der persönlichen Leistung des Autors immer wieder auf Arbeit, Fleiß und Mühe bei der Schaffung des Werks hingewiesen. Verstärkt wurde ein solches Privileg meist dadurch, dass der Nachdruck und der Vertrieb von Nachdrucken streng verboten wurden und die Privilegien selbst mit besonderem Strafrechtsschutz umgeben waren. So drohten für jede Zuwiderhandlung eine oder gleich mehrere Strafen. Dabei handelte es sich meist um eine Geldstrafe, die zur Hälfte an die Obrigkeit und zur anderen Hälfte an den Inhaber des Privilegs zu zahlen war. Ihm gestand das Privileg in der Regel außerdem das Recht zu, die im Widerspruch zu dem Dokument hergestellten Werke eigenhändig oder mit Hilfe der Obrigkeit einzuziehen. Dies ist auch bei dem an Agnes erteilten Privileg der Fall. In Art und Stil sind sich die Schriftstücke für Drucker und Verleger somit grundsätzlich ähnlich. Denn es war stets der Sinn solcher Privilegien, diesen Personen das ausschließliche Recht zu verschaffen, binnen eines bestimmten Zeitraumes ein Werk oder die Gesamtheit der Werke durch den Druck vervielfältigen zu lassen. Das hier vorliegende Privileg verstanden Dürer beziehungsweise dessen Frau Agnes in diesem Kontext also weniger als Künstler denn in ihrer Funktion als Verleger. Schon Dürer schreibt in seinen Werken verschiedentlich vom Erhalt kaiserlicher Privilegien durch Maximilian I. und droht mit Strafverfolgung, sollten sie übertreten werden.26 Das einzige überkommene Druckprivileg mit Bezugnahme auf Dürers Kunst ist jedoch das posthum von Karl V. zur »Proportionslehre« ausgegebene Exemplar für Agnes Dürer. Es wurde am Ende der erstmals 1528 erschienenen »Proportionslehre« Dürers im deutschen Text, vermutlich als Warnung an potenzielle Fälscher und Kopisten, veröffentlicht. Aufgrund der Bekanntheit Dürers kam es schon kurz nach dem Erscheinen der »Proportionslehre« und auch in der Folgezeit zu zahlreichen Fälschungen gerade dieses Werkes. Besonders im oberdeutschen Raum scheint sich in seiner Nachfolge eine eigene literarische Gattung des Künstlerbüchleins entwickelt zu haben, die als Praxisanleitung für Künstler thematisch vielfältig, mit vielen Bildern und einfachem Text Elemente der Perspektive und der Proportion vorstellten. Wie es auch in anderen Fällen häufiger vorkam, haben hier die vom Herausgeber selbst beauftragten Drucker illegal Kopien angefertigt und auf eigene Rechnung verkauft. So beschuldigte der Übersetzer Camerarius bereits 1534 in der Vorrede zur lateinischen 26
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Ausgabe der »Proportionslehre« Ungenannte des Diebstahls und der unrechtmäßigen Benutzung von Nachlass-Manuskripten Dürers. Laut Rupprich meinte er damit den Maler und ehemaligen Dürerschüler Hans Sebald Beham und den ebenfalls von Dürer ausgebildeten und für ihn und Agnes tätigen Nürnberger Drucker Hieronymus Andreae.27 Als Agnes Dürer gewahr wurde, dass Beham und Andreae auf eigene Faust die Publikation von Material aus dem noch unveröffentlichten Werk ihres Mannes planten, zeigte sie Beham unter Berufung auf das in Nürnberg von der Vergabe von Privilegien unabhängig gültige Vordrucksrecht wegen Nachdrucks und geistigen Diebstahls am Werk ihres Mannes an.28 In der Folge verbot der Rat Beham und Andreae am 22. Juli 1528 den Druck, bis Dürers »Proportionslehre« auf dem Markt sei, um Agnes das Recht des Vordrucks zu sichern: Iheronimus, formschneidern, und Sebald Behem, malern, soll man verpieten, nichts de proporcionen halben ausgeen zu lassen, pis das exemplar, vom Dürer gemacht, ausganngen unnd gefertigt ist, bey straff eins erbern rats, die man gegen iren leib und gütern furnemen würd.29 In direkter Nachfolge Dürers veröffentlichte Beham dann seine Schriften zur Proportion der Pferde (Mass oder proporcion der Ross, Nürnberg: Friedrich Peypus, 1528) und zur allgemeinen Kunstlehre (Kunst- vnd Ler-Büchlein, Frankfurt 1546). Diese von Hieronymus Andreae illustrierten Schriften behandelten dasselbe Thema wie ein Kapitel der »Proportionslehre« Dürers. In der Folge verurteilte der Rat der Stadt Nürnberg Beham daher zu einer Geldstrafe oder kurzen Gefängnisstrafe.30 Die 1532 erschienene lateinische Übersetzung der »Proportionslehre« wurde ebenfalls sehr schnell nachgedruckt, nämlich bereits am 13. August desselben Jahres in Paris. Auch bei der lateinischen Version der »Unterweisung in die Messung«, die nach dem Tod Dürers vor allem in Deutschland und den Niederlanden oft verkauft wurde, handelt es sich um einen nicht autorisierter Nachdruck.31 Agnes wandte sich daraufhin unter Vorlage der Urschrift des kaiserlichen Privilegs für den Druck dieses Werkes an den Rat Nürnbergs, der am 1. Oktober 1532 den Buchführern den Verkauf der Fälschungen verbot und ihnen damit drohte, Agnes bei Zuwiderhandlung zu gestatten, kraft ihres Privilegs gegen sie vorzugehen. Die Städte Antwerpen, Augsburg, Frankfurt, Leipzig und Straßburg wurden in dieser Sache brief27
Ebd., S. 8. Als Beispiele für direkte Nachahmer der »Proportionslehre« seien hier genannt: Hieronymus Rodler (1531), Heinrich Vogtherr (1537), Heinrich Lautensack (1564), Jost Amman (1578); HINZ 2004, S. 327. 28 WÜRTENBERGER 1971, S. 60. 29 DÜRER / RUPPRICH 1956–69, Bd. 1, S. 243 Nr. 26. 30 WÜRTENBERGER 1971, S. 58f. 31 Ebd., S. 55f.
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lich vom Rat um Amtshilfe ersucht.32 Vermutlich wurde aber weder dort noch in Frankreich mit ausreichendem Nachdruck versucht, dieser Bitte Folge zu leisten; denn ein Jahr später ließ der Rat im Namen der Agnes eine Bittschrift an König Franz I. von Frankreich aufsetzen und legte diese am 3. Juni 1533 einem eigenen Schreiben bei, in dem er auf die Bedeutung Dürers und die Gerechtigkeit des von der Witwe gesuchten Schutzes hinwies.33 Inwiefern solche Schreiben den Verkauf unautorisierter Nachdrucke letztlich beeinflussten, ist unklar. Aus oben beschriebenem Vorgang folgt unter anderem, dass die Geltung des nicht überlieferten Privilegs für den Druck der »Unterweisung in die Messung«, das Dürer nach eigener Aussage bekommen hatte, nicht mit dessen Tod erlosch, sondern auch danach noch Gültigkeit hatte und wie das erhaltene Privileg Karls V. vermutlich mehrere Strafandrohungen enthielt. Dennoch scheinen die Möglichkeiten der rechtlichen Durchsetzung von kaiserlichen Druckprivilegien begrenzt gewesen zu sein: So druckte derselbe Pariser Drucker, der zuvor bereits die »Proportionslehre« und die »Unterweisung in die Messung« kopiert hatte, ohne nachweisbare Konsequenzen 1535 auch die lateinische Version der »Befestigungslehre« Dürers nach, die Camerarius erst ein Jahr zuvor übersetzt hatte.34 Mitunter scheint es sogar unkomplizierter und sicherer gewesen zu sein, dem Kopisten die gefälschten Druckstöcke abzukaufen, anstatt weitere rechtliche Schritte anzustreben: 1532 hatte der Nürnberger Hans Guldenmund Dürers »Triumphwagen« für Kaiser Maximilian I. nachgeschnitten, wogegen Agnes beim Rat der Stadt vorgehen wollte. In der Folge empfahl der Nürnberger Rat ihr nach einigem rechtlichen Hin und Her, Guldenmund den gefälschten Druckstock für den Preis von 10 Gulden abzukaufen, um Nachdrucke effektiv verhindern zu können.35 Ein solches Vorgehen kam in Nürnberg öfter vor. Der Fall des Dürerschülers Erhart Schön zeigt zudem auf, dass nach Ablauf der im vorliegenden Privileg genannten Frist von zehn Jahren, außer wenn das Privileg verlängert wurde, nicht mehr rechtlich gegen einen Nachdruck vorgegangen werden konnte.36 Diese Dekade der Schonzeit ermöglichte es dem Verleger, 32
Diesbezügliche Ratsverlässe abgedruckt bei DÜRER / RUPPRICH 1956–69, Bd. 1, S. 244, Nr. 34 und 35. 33 Zum Schreiben siehe ebd., S. 288 Nr. 138. 34 Vgl. SCHULTHEIß 1971, S. 245. 35 Vgl. dazu die Ratsverlässe bei DÜRER / RUPPRICH 1956–69, Bd. 1, S. 243f. Nr. 28–32. Der Rat erbot sich schließlich, die Hälfte der zehn Gulden betragenden Kaufkosten zu übernehmen. Fünf Jahre später wurde der Nachdruck offiziell vom Rat genehmigt; WÜRTENBERGER 1971, S. 59f. 36 Schön stand ehemals in direktem Kontakt zur Dürerwerkstatt. Er veröffentlichte genau zehn Jahre nach Erscheinen von Dürers Proportionswerk das eng an dieses angelehnte Büchlein Unterweisung der Proportion vnnd stellung der bossen liegend und stehend,
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sein Produkt auf dem Markt zu etablieren, bevor dieser mit billigeren Kopien überschwemmt wurde. Im Rahmen der Ausführungen wurde deutlich, dass zwar 1532 der Schutz des Urheberrechts an künstlerischen und literarischen Werken bereits ein grundsätzlicher Bestandteil des Nürnberger und deutschen Rechtslebens geworden war, aber auch, wie schwer das Nachdruckverbot im Einzelfall durchzusetzen war.
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MARINA BECK UND JENS JAKUSCH
Lucas Cranach der Ältere Der Wittenberger Maler, Drucker, Immobilienbesitzer und Betreiber einer Monopolapotheke mit Weinausschank 1. Vita Die Fakten zu Lucas Cranach d.Ä. sind für seine ersten Lebensjahre nur spärlich überliefert: 1472 wurde er in Kronach als Sohn von Hans geboren, der sich mit Nach- oder Beinamen Maler, Moller oder Müller nannte. Sein Sohn Lucas indes sollte sich später nach seinen Heimatort nennen.1 Die Ausbildung Lucas Cranachs d.Ä. lässt sich anhand der Quellen nicht rekonstruieren. Laut der Kronacher Zunftordnung dauerte die Lehre im Malerberuf zwei bis drei Jahre. Ob er diese jedoch bei seinem Vater absolvierte – wie die ältere Forschung annimmt – oder eventuell sogar ursprünglich einen anderen Beruf erlernt hatte und nur ergänzend von seinem Vater unterrichtet wurde, lässt sich nicht klären. Eine anschließende Wanderschaft und Gesellenzeit ist anzunehmen, auch wenn diese zeitlich nicht festgemacht werden kann. Greifbar wird er erst als fast Dreißigjähriger, da er von ca. 1502 bis 1504 in Wien auszumachen ist. In der Residenz- und Universitätsstadt ist er für die dortige intellektuelle Elite tätig. Ohne Zweifel zählt Cranach d.Ä. zu den ganz großen deutschen Renaissancekünstlern und muss den Vergleich – beispielsweise mit dem Frühwerk Albrecht Dürers – nicht scheuen. Beide Künstler entfalteten im Laufe ihres Lebens eine hohe Produktivität, jedoch im Unterschied zu Dürer – der dies ausschließlich auf dem Felde des auf Reproduktion angelegten Mediums der Druckgraphik tat – entwickelte Cranach d.Ä. diese auch im Bereich der Malerei. Er entwickelte dazu eine Variantenpraxis und einen auf Schnelligkeit angelegten Malstil. Von Wien war sein Ruf bis nach Sachsen gedrungen, denn 1504 wird Cranach d.Ä. von dem Wettiner Friedrich III. dem Weisen in die aufblühende Residenzstadt Wittenberg geholt. Der Kurfürst von Sachsen hatte 1
Den besten Überblick zu Leben und Werk Cranachs bietet HINZ 1993; zur Malerei siehe FRIEDLÄNDER / ROSENBERG 21979. Vielfältige Einblick in das Cranach’sche Œuvre bieten, wenn auch verwirrend strukturiert, KOEPPLIN / FALK 1974–76.
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schon kurz nach seinem Regierungsantritt (1486) damit begonnen, dort ein neues Schloss errichten zu lassen, was der Stadt einen gewaltigen kulturellen und wirtschaftlichen Aufschwung bescherte. Zahlreiche Landeskinder zog zudem seine 1502 gegründete Universität an. Dem Hof hatte Cranach d.Ä. immer zur Verfügung zu stehen, dafür erhielt er eine Grundbesoldung. Seine tatsächlich geleisteten Arbeiten wurden zusätzlich einzeln abgerechnet. Zudem waren die Aufgabenbereiche sehr vielschichtig, so dass er auch Arbeitsfelder abzudecken hatte, die weniger den Künstler, sondern verstärkt den Handwerker forderten. Cranachs d.Ä. Tätigkeiten für die sächsischen Herzöge und Kurfürsten lassen sich weitgehend nur noch durch Schriftquellen belegen, da die meisten davon untergegangen sind, sei es durch den Lauf der Jahrhunderte, sei es, dass sie von vornherein nur für einen ephemeren, also kurzfristigen Zweck bestimmt waren – wie zu Geburts-, Hochzeits- und Trauerfeiern oder Jagdvergnügungen. Zu solchen Ereignissen reiste Cranach d.Ä. vor Veranstaltungsbeginn mit einer großen Zahl von Lehrlingen, Gesellen und Hilfskräften aus Wittenberg an; einmal ist von zwölf Wochen, Vorbereitungszeit die Rede. Da parallel der Werkstattbetrieb weiterlaufen musste, ist anzunehmen, dass weitere Mitarbeiter in Wittenberg verblieben. Das erste erhaltene Hauptwerk aus Wittenberg, signiert mit LC und auf 1506 datiert, ist der Katharinenaltar, den er mutmaßlich für die Schlosskirche in Wittenberg malte (heute in Dresden, Gemäldegalerie Alte Meister, und London, National Gallery). Ein weiterer großer Auftrag für Cranach d.Ä. in seiner Zeit als Hofmaler war das um 1507 begonnene, 1509 erschienene und 1510 nochmals veränderte Heiltumsbuch mit der Beschreibung und Abbildung der Reliquiare der Wittenberger Schlosskirche, in dessen Rahmen er 117 Holzschnitte und einen Kupferstich, welcher als Titelblatt diente und die Bildnisse Friedrichs des Weisen und seines Bruders Johann des Beständigen zeigte, anfertigte.2 In den ersten Jahren seiner Tätigkeit als Hofmaler wurde Cranach d.Ä. durch den Kurfürsten am 6. Januar 1508 ein Wappenbrief mit einer geflügelten Schlange verliehen3, die in den folgenden Jahren als Signatur auf den eigenhändigen Arbeiten Cranachs d.Ä. auftauchen sollte. Spätestens ab 1517 jedoch, als Cranach d.Ä. eine eigene Werkstatt betrieb, wurde das Symbol auch als Werkstattsignatur genutzt.4 2 3
4
Siehe die Beträge in TACKE 2006. Abdruck des Wappenbriefes bei SCHUCHARDT 1851–71, hier Bd. 1, 1851, S. 51–54. Die geflügelte Schlange leitet sich vom griechischen Göttervater Kronos ab, dessen Attributtier eine geflügelte Schlange war. Wegen der Namensähnlichkeit zwischen Kronos und Cranach wurde dieses Wappentier gewählt; SCHADE 1983, S. 27. TACKE 2009.
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In Wittenberg baute Cranach eine große Malerwerkstatt auf, mit der er die unterschiedlichsten Aufträge erfüllen konnte, die sich aus seiner Stellung als Hofbeamter, aber auch als Bürger und Maler in Wittenberg ergaben. Neben seiner Anstellung als Hofmaler arbeitete er nun auch im Auftrag anderer Kunden, wie zum Beispiel für den Adel, Klerus oder hochrangige Bürger. Nachdem er 1512 Besitzer zweier Häuser am Markt in Wittenberg geworden war, heiratete er um 1512/13 Barbara Brengbier, die Tochter des Gothaer Ratsherren Jobst Brengbier. Mit ihr hatte er fünf Kinder, zwei Söhne und drei Töchter (Ursula, Barbara und Anna). Das genaue Geburtsdatum seines ältesten Sohnes Hans ist nicht überliefert. Sein zweitgeborener Sohn Lucas kam am 4. Oktober 1515 zur Welt. Beide wurden Maler und arbeiteten in der Werkstatt ihres Vaters. Im Jahre 1537 starb Hans unerwartet in Bologna, vermutlich während einer Romreise. Lucas Cranach d.J. sollte später die Werkstatt seines Vaters übernehmen. 1541 verstarb die Ehefrau Cranachs d.Ä. Im selben Jahr heiratete sein Sohn Lucas Barbara Brück, die Tochter des sächsischen Kanzlers Gregor Brück, welcher als Rat des Kurfürsten in der Landesregierung tätig gewesen war. Lucas’ Schwester Barbara heiratete ebenfalls in die Familie Brück ein und ehelichte 1543 den späteren Kanzler Dr. Christian Brück. Die Verbindung zu dieser einflussreichen Familie unterstreicht den hohen Rang, welchen die Familie Cranach inzwischen erreicht hatte. Seit 1519 engagierte sich Cranach d.Ä. auch politisch in Wittenberg. In diesem Jahr amtierte er zum ersten Mal als Ratsherr. In der Folgezeit wurde der Maler regelmäßig wieder gewählt. Dies lässt sich aus den Vertrags-, Gerichts- und Handelsbüchern der Stadt nachweisen. Des Weiteren wurde er dreimal zum Kämmerer und ebenso oft zum Bürgermeister gewählt. Somit hatte er maßgeblichen Einfluss auf die Stadtpolitik. Cranach d.Ä. war jedoch nicht nur als Maler und Politiker tätig, sondern investierte auch in verschiedene Geschäfte, die mehr oder weniger mit seinem Beruf verbunden waren. Fassbar werden diese zahlreichen weiteren Unternehmungen durch seine An- und Verkäufe von Häusern, welche er zur Unterbringung seiner Betriebe benötigte – reizvoll ist, das diese »Cranachhäuser« noch heute in Wittenberg besichtigt werden können. Hierzu zählt das Haus in der Schlossstraße 1, welches er 1518 erwarb, um hier eine große Werkstatt einzurichten. Dieser Hauskauf erwies sich als sehr vorteilhaft, als Cranach um oder vor 1519/20 von Kardinal Albrecht von Brandenburg, Erzbischof von Magdeburg und Mainz, den Auftrag erhielt, 142 Gemälde eines Heiligen- und Passionszyklus auszuführen. Auf 16 Altären und auf zwei Einzeltafeln waren die Leidensstationen Christi zu sehen. Die Retabel waren großformatige Wandelaltäre, die ein oder zwei Veränderungen zuließen. Die Flügel zeigten ganzfigurige Heiligendarstellungen und die Mittel-
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bilder Szenen aus der Passionsgeschichte, vom »Einzug in Jerusalem« bis zur »Auferstehung Christi«.5 Die zeitliche Vergabe des Großauftrages an die leistungsstarke Cranach-Werkstatt, der vielleicht 1523 spätestens aber 1525 abgeschlossen war, ist nicht bekannt. Womöglich führte Kardinal Albrecht von Brandenburg bereits ab dem Jahre 1518 diesbezügliche Gespräche mit dem Wittenberger Hofkünstler und Cranach erwarb in Erwartung des im Alten Reich beispiellosen Großauftrages das neue Anwesen. Obwohl Cranach als Hofkünstler – heute würde man sagen – »Privataufträge« annehmen durfte, wird er Albrechts Großauftrag sicherlich nicht ohne Einwilligung Friedrichs des Weisen zugesagt haben. Ja, es ist sogar zu vermuten, dass sich Albrecht und Friedrich direkt absprachen. Nach der Chronologie der Hallenser Stiftskirchengründung hätte ihr Zusammentreffen während des Augsburger Reichstages im Sommer 1518 bereits Gelegenheit gegeben, sich diesbezüglich auszutauschen. Jedenfalls dürfte feststehen, dass der Hallenser Großauftrag des Kardinals in dem Haus in der Schlossstraße 1 geplant und realisiert wurde. Nun ist in einer von Cranach d.Ä. selbst angefertigten Beschreibung und Taxierung von 1528 vermerkt, dass in dem neu erworbenen Gebäude zudem eine Apotheke untergebracht war, was – neben dem größeren Raumbedarf für die Werkstatt – ein weiterer Grund für den Erwerb durch Cranach gewesen sein könnte.6 Allerdings durfte Cranach diese Apotheke erst nach Erhalt eines kurfürstlichen Privilegs betreiben, welches ihm 1520 verliehen wurde und welches wir hier als Quelle abdrucken.7 Des Weiteren war es ihm möglich, aufgrund der baulichen Gegebenheiten in diesem Haus einen Weinausschank zu eröffnen. 1522 erwarb Cranach d.Ä. ein Haus am Markt, in welchem er wahrscheinlich gemeinsam mit seinem Freund Christian Döring eine Druckerei einrichtete. Durch diesen beständigen An- und Verkauf von Häusern und Grundstücken gelang es ihm, in den nächsten Jahren einen beachtlichen Immobilienbesitz zu erwerben, den er in der oben erwähnten Taxierung von 1528 auflistete: Ein großes Haus, die apotecka (2.000 Gulden), das Haus am Markt bei Ambrosius Reyther (800 Gulden), das Haus in der Neuen Gasse, Windmühle genannt (600 Gulden), ein kleines Haus in der Neuen Gasse 5 6 7
TACKE 2007, und TACKE 1992. LÜCKE 1998, S. 44 Nr. 19. Ebd., S. 20: LÜCKE wirft die Frage auf, ob die Apotheke für den Zeitraum zwischen den Jahren 1518–20, als Cranach noch nicht das Apothekenprivileg besaß, weiter in dem Haus in der Schlossstraße von dem vorherigen Besitzer geführt worden ist oder ob die Apotheke für diese zwei Jahre in das Haus Markt 4 umzog. Beide Möglichkeiten sind denkbar.
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(150 Gulden), zwei Radmarkinsche Hufen (180 Gulden), die Breite dazu (160 Gulden), ein Hof mit Garten vor dem Elstertor (36 Gulden), der Garten von Hans von Jhenin (40 Gulden), die Bude hinter den Mauern des Matthes Segemacher (40 Gulden) und der Garten des Matthes Segemacher (10 Gulden). Cranach d.Ä. musste für diese Immobilien den in der Stadt höchsten Steuerbetrag von über 4.016 Gulden8 bezahlen und war somit der an Immobilien reichste Einwohner Wittenbergs. 1550 verließ Cranach d.Ä. Wittenberg, wo er fast 40 Jahre lang gelebt hatte. Nachdem Kurfürst Johann Friedrich am 24. April 1547 von Karl V. als Anführer des Schmalkaldischen Bundes in der Schlacht bei Mühlberg geschlagen worden war und seine Kurwürde an den albertinischen Wettiner, Herzog Moritz, verloren hatte, bat Johann Friedrich Cranach d.Ä., ihm ins Exil zu folgen. 1547 schlug Cranach d.Ä. diese Bitte aus gesundheitlichen Gründen (Schwindelanfälle) noch aus und quittierte seinen Dienst als Hofmaler. Drei Jahre später nahm er sein Amt wieder auf und reiste zu Johann Friedrich nach Augsburg, wo sich dieser als Gefangener Karls V. aufhielt. 1552 wurde der seiner Kurwürde entbundene Herzog freigelassen, Cranach folgte ihm nach Weimar, wo der Maler Quartier bei seiner Tochter Barbara bezog. Dort verstarb er am 16. Oktober 1553 und wurde auf dem dortigen Jacobsfriedhof beigesetzt. Zieht man Bilanz, so kann man feststellen, dass Cranach d.Ä. Zeit seines Lebens nicht nur als Hofmaler und Meister einer eigenen Malerwerkstatt tätig war, sondern auch als Leiter einer Druckerei, Eigentümer einer Apotheke mit Weinausschank und Immobilienbesitzer. Zudem bekleidete er wichtige politische Ämter, wie das des Ratsherrn, Kämmerers und Bürgermeisters der Stadt Wittenberg. Der Reichtum und Erfolg Cranachs d.Ä. speiste sich folglich aus vielfältigen Quellen, welche er geschickt zu bündeln und zu organisieren verstand. Ein wichtiger Aspekt war hierbei die Betreibung der einzigen Apotheke in Wittenberg, welche ihm mittels eines kurfürstlichen Privilegs zugesichert worden war. Dieses Privileg soll im Folgenden auf seine wirtschaftliche Nützlichkeit für Cranach d.Ä. genauer untersucht werden.
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In der Quelle „Auszug aus dem Türkensteuerregister 1528, Wittenberg“ wird der genaue Schätzwert der Immobilien Cranachs angegeben. Hier sind nur die Guldenbeträge übernommen worden; ebd., S. 44 Nr. 19.
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2. Quelle Apothekenprivileg für Lucas Cranach d.Ä., ausgestellt in Lochau am 6. Dezember 1520. LÜCKE, Monika: Die Wittenberger Archivalien zum Leben und Wirken von Lucas Cranach d.Ä., in: Lucas Cranach d.Ä. und die Cranachhöfe in Wittenberg, hg. von der Cranach-Stiftung, Halle 1998, S. 38f. Die von Lücke zitierte Urkunde befindet sich in der Lutherhalle in Wittenberg; zwei Abschriften im Stadtarchiv Wittenberg, Urbarien, 1 (Ba 1), Bl. 113v–115r; 8 (Bb 5) Bl. 95r–96r. Vgl. den früheren (aber nicht vollständigen) Erstabdruck bei SCHUCHARDT, Christian: Lucas Cranach des Aeltern Leben und Werke. Nach urkundlichen Quellen bearbeitet, 3. Bde., Leipzig 1851–1871; hier Bd. 1, 1851, S. 69f. Von gots genaden, wir Friderich, hertzog zu Sachssen, des Hailigen Romischen Reichs ertzmarschalh unnd churfurst, landgrave in Doringen und marggrave zu Meissen, thun khunt mit diesem unserm brieff fur unns und unnser erben geyn allermeniglich unnd bekennen. Nachdem unser lieber getreuer, Lucas Cranach maler, die apoteken in unnser stad Wittenberg kauffeweyß an sich unnd an sein erben bracht, und ein apoteken schwerlich an andere freyheit stadlich magk erhalten werden, wie dan solche apoteken weylend bey dem hochgelarten Martinus Polack Doctor, der derselben apoteken auffrichter und erster besitzer gewest, auch freyhaiten gehabt. So haben wir gedachtem Lucas Cranach unnd seinen erben mit vorwissen unnser lieben getreuen des raths zu Witenbergk auch privilegia unnd freyhaiten, domit sie solche apoteken statlich gemeynem nutz und eynem yeden, der der notturfftig zubrauchen erhalten mogen gnediglich verschrieben unnd gegeben. Verschreyben und geben ine die hiemit in crafft ditz unnßer brieffs und nemlich dergestalt, darin unnser stad Wyttenbergk kein andere apoteken in ansehung des unkostens, domit diese apoteken in wesen mus erhalden werden an Lucas Cranach unnd seiner erben wissen unnd willen, weil sie diese apoteken besitzer sein sol, aufgerichtet werden. Ob aber die apoteken an andere leute komen wird, so sol doch daruber kein andere apoteken an unnser und unser erben wissen und willen zu Wittenbergk auffgericht oder zugelassen werden. Fur das ander, so sol kein inwonere oder frembder kramer zu Wittenbergk gestossen wirtz, confect, zugker, tiriack, geferbtes wachs etc. noch anders so man sonderlich in die apoteken gebraucht feyl haben oder verkauffen, außgeschlossen in den freyen jharmergkten sol solchs unnd anders
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einem yederman so lange der jharmargkt weret unnd nit lenger feyl zuhaben frey sein. Unnd nachdem man in den apoteken sussen wein nit geraten magk, domit nie daran auch nit mangel sey, so soll Lucas oder sein erben, wan ein rath zu Wittenbergk in irem keller nit susse wein schengken macht haben, süsse wein in der apoteken zu schengken, doch uff entrichtung geburlicher pflichtung. Unnd wiewol ein apoteker billich bey der apoteken bleyb darinnen vleissigs auffsehen habe, das gegen einem yeden treulich gehandelt werd, wie sich dan seinen eyden unnd pflichten nach zuthun gebürt, derhalben dan ein apoteker in reysen nit wol von der apoteken ziehen magk. Nachdem aber Lucas selbs zu der apoteken nit geschigkt unnd mit andern hendlen umbgehet unnd die apoteken mit knechten bestellet, so sol er die zeit, weyl er die apoteken inhat, wie ein ander burger zu Wittenbergk in raysen so furfallen zufolgen schuldig sein wird, sich aber begeben, das die apoteken an eynen seiner söne komen unnd derselb der apoteken außwartten, darinnen arbaiten unnd wie eynem apoteker geburt halden wurd, so sol derselbe der volge weyl er sich dermaßen halden werd wie in andern steten gefreyet sein, den wir auch solcher dinst hiemit geinwertiglich wollen gefreyet haben. Uff das alles hat gedachter Lucas Cranach für sich unnd sein erben wiederumb bewilligt, die apoteken zu aller zeit mit guthen frischen materialien zuversehen unnd die bestendiglich unnd wol zuerhalten, das auch einem rath zu Wittenbergk vorbehalten sein soll, wan es ime gelegen, die apoteken durch verstendige ertzt zu visitiren unnd was untüchtige befunden, dasselbig weg zuthun undt zuverschaffen anders unnd guthe materialia zuschigken. Auch einen zymlichen unnd gleichen kauff zugeben unnd niemants zuubersetzen oder durch seine knecht ubersetzen lassen, wie er dan des dem rathe zu Wittenbergk einen rever sol von sich geben sol unnd bevelen, darauff hiemit dem rathe zu Wittenbergk gedachten Lucas Kranach unnd sein erben bey solchen freyheiten wie obberurt so offt des nott sein wirdet, zuhandhaben schützen unnd verteydingen, treulich unnd ungeverlich. Zu urkhunt mit unserm hiran hangnem insigel wissentlich besiegelt unnd gescheen zur Lochau am dornstag Sanct Niclas tag nach Christi unnsers lieben hern geburt, tausent funffhundert unnd im zwentzigsten jhare. (Übertragung ins Neuhochdeutsche) Wir Friedrich, von Gottes Gnaden Herzog von Sachsen, des Heiligen Römischen Reiches Erzmarschall und Kurfürst, Landgraf von Thüringen und Markgraf von Meißen, tun kund mit dieser unserer Urkunde für uns und unsere Erben gegenüber jedermann und bekennen: Nachdem unser lieber getreuer Lucas Cranach, Maler, die Apotheke in unserer Stadt Wittenberg durch Kauf an sich und seine Erben gebracht hat und eine Apotheke
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schwerlich ohne ein Privileg in gutem Stand erhalten werden kann, wie denn diese Apotheke einst bei dem hochgelehrten Doktor Martinus Polack, welcher der Begründer und erste Besitzer derselben Apotheke gewesen ist, auch Privilegien gehabt hat, so haben wir dem genannten Lucas Cranach und seinen Erben, mit Wissen unserer lieben Getreuen, des Rates zu Wittenberg, auch Privilegien und Freiheiten gnädig verschrieben und gegeben, damit sie diese Apotheke zu gutem Stand, zu gemeinem Nutzen und für jeden, der sie notwendig braucht, erhalten mögen. Wir verschreiben und geben sie ihnen hiermit kraft dieser unserer Urkunde, nämlich dergestalt, dass in unserer Stadt Wittenberg mit Rücksicht auf die Unkosten, mit denen diese Apotheke im Bestand erhalten werden muss, ohne Wissen und Willen des Lucas Cranach und seiner Erben, weil sie Besitzer dieser Apotheke sind, keine andere Apotheke eingerichtet werden soll. Falls aber die Apotheke an andere Leute kommen wird, so soll dennoch darüber hinaus keine andere Apotheke ohne unser und unserer Erben Wissen und Willen zu Wittenberg aufgerichtet oder zugelassen werden. Zweitens soll kein Einwohner oder fremder Krämer in Wittenberg gestoßene Gewürze, Konfekt, Zucker, Theriack, gefärbtes Wachs etc. noch andere [Waren], die man vornehmlich in den Apotheken gebraucht, feilhalten oder verkaufen, mit der Ausnahme, dass es auf den freien Jahrmärkten jedermann erlaubt sein soll, solche und andere [Waren] feilzuhalten, so lange der Jahrmarkt dauert und nicht länger. Und nachdem man in den Apotheken süßen Wein nicht erhalten kann, damit daran auch niemals Mangel sei, so sollen Lucas oder seine Erben dann, wenn der Rat zu Wittenberg in seinem Keller keinen süßen Wein ausschenkt, die Macht haben, süßen Wein in der Apotheke auszuschenken, doch unter Entrichtung der gebührlichen Abgabe. Und da ein Apotheker billigerweise bei der Apotheke bleiben [soll und] fleißig drauf zu achten hat, dass jedem gegenüber treulich gehandelt wird, wie es sich gemäß seinen Eiden und Pflichten zu tun gebührt, deshalb soll ein Apotheker wegen einer Heerfahrt die Apotheke nicht verlassen. Nachdem aber Lucas selbst für die Apotheke nicht geeignet ist, sich mit anderen Tätigkeiten befasst und die Apotheke mit Knechten betreibt, soll er die Zeit über, in der er die Apotheke innehat, wie ein anderer Bürger zu Wittenberg bei Kriegszügen, wenn solche stattfinden, folgepflichtig sein. Wenn es sich aber begibt, dass die Apotheke an einen seiner Söhne kommt und dieser die Apotheke übernimmt, darin arbeitet und sie führt, wie es einem Apotheker gebührt, dann soll er, solange er sich so [ver]halten wird, wie in anderen Städten von der Folge[pflicht] frei sein, wie wir ihn von solchem Dienst hiermit freigestellt haben wollen. Auf das alles hin hat genannter Lucas Cranach für sich und seine Erben seinerseits eingewilligt, die Apotheke zu
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jeder Zeit mit guten, frischen Materialien zu versehen und sie dauerhaft und in gutem Zustand zu erhalten, und dass auch dem Rat zu Wittenberg vorbehalten sein soll, wann [immer] es ihm nötig erscheint, die Apotheke durch verständige Ärzte visitieren [zu lassen] und das, was als untauglich befunden wird, wegzuschaffen oder anderswohin zu verbringen und gute Materialien zu schicken. Auch einen ehrlichen und gleichen Kauf zu geben und niemanden zu übervorteilen oder durch seine Knechte übervorteilen zu lassen; darüber soll er dem Rat zu Wittenberg einen Revers [von sich] geben. Und wir befehlen daraufhin hiermit dem Rat zu Wittenberg, den genannten Lucas Cranach und seine Erben bei den oben ausgesprochenen Freiheiten zu belassen, zu schützen und zu verteidigen, so oft das nötig sein wird, treu und ohne Gefährde. Zur Beurkundung mit unserem hieran anhängenden Siegel wissentlich besiegelt und geschehen in Lochau am Donnerstag, dem St. Nikolaustag (06.12.) nach Christi, unseres lieben Herrn, Geburt im Jahr 1520.
3. Kontextualisierung Lucas Cranach d.Ä. hatte spätestens 1520 die Apotheke von den Erben des Martin Pollich von Mellerstadt gekauft und erhielt von Kurfürst Friedrich III. dem Weisen ein Privileg für den Betrieb derselben in Wittenberg. Richten wir zuerst den Blick auf die wirtschaftshistorischen Aspekte: Monika Lücke leistete eine systematische Bearbeitung und Abgleichung der Quellen, anhand derer nicht zuletzt der Immobilienbesitz Cranachs d.Ä. in Wittenberg erschlossen werden konnte. Es kann mit diesem Quellenmaterial gefragt werden, wie das an Cranach d.Ä. im Jahre 1520 erteilte Apothekenprivileg, mit dem er als Einziger eine Apotheke in der Stadt Wittenberg führen durfte, sich auf seine wirtschaftliche Situation auswirkte und wie es im Rahmen seines umfangreichen Immobilienbesitzes zu bewerten ist. In die Kämmerei- und Rechnungsbücher wurden die zu zahlenden Steuern der Bürger, die in der Stadt wohnten, eingetragen. Aus den zu entrichtenden Summen ergibt sich, ob die Personen nur Bewohner oder Inhaber eines Hauses waren. Im Archiv der Stadt Wittenberg sind diese Kämmereirechnungsbücher nahezu vollständig seit dem Jahre 1442 überliefert. In ihnen taucht Lucas Cranach d.Ä. zum ersten Mal im Steuerbuch für das Jahr 1510 auf. Im Archiv fehlen aus den Jahren bis zu Cranachs Tod 1553 lediglich die Bände der Jahre 1511, 1516, 1525, 1527, 1531, 1533, 1542–1546 und 1548, so dass eine große Spanne aus dem Leben Cranachs d.Ä. in der Stadt Wittenberg dokumentiert ist.
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Die Kämmereirechnungsbücher spiegeln auch die Amts- und Rechnungsführung des Rates und seiner Organe wider. Sie weisen sämtliche Einnahmen der Stadt aus wie Steuerzahlungen, Gebühren, Strafgelder aus Gerichtsprozessen und Verkauf von Baumaterialien aus den stadteigenen Brennöfen; außerdem belegen sie die städtischen Ausgaben für Bauten, Steuerermäßigungen bzw. -befreiungen, Bau und Unterhalt von Befestigungsanlagen, Wachpersonal und den Unterhalt der Bürgermeister und Ratsherren. Jeder Jahresband hat eine Stärke von 200 bis 500 Seiten. Monika Lücke hat die Kämmereirechnungsbücher und andere Quellen ausgewertet, um ein möglichst detailliertes Bild der Wohnsituation Cranachs d.Ä. in Wittenberg zu rekonstruieren. Dadurch wird es möglich nachzuvollziehen, welche Häuser er mit welchen Intentionen kaufte. Zum einen bezog Cranach d.Ä. Häuser, welche ihm geeignet schienen, seine ständig wachsende Werkstatt unterzubringen und einen reibungslosen Transport der Gemälde und notwendigen Materialien zu gewährleisten. Zum anderen erwarb er Gebäude, an welche bestimmte Privilegien gebunden waren, von denen er sich lukrative Geschäfte erhoffte. Beides traf auf das Haus in der Schlossstraße zu, das Cranach d.Ä. im Jahre 1518 kaufte. Es war zuvor Eigentum Martin Pollichs von Mellerstadt. Dieser war der Leibarzt des Kurfürsten gewesen und am 27. Dezember 1513 verstorben. Er war der Einzige, der in Wittenberg eine Apotheke betrieben hatte. Das Haus verblieb dann wahrscheinlich bis zum Jahre 1518 im Besitz der Familie, bevor Cranach d.Ä. es kaufte. Er einigte sich mit Valentin Mellerstadt, dem Sohn des Leibarztes, anscheinend dahingehend, dass er das Haus in der Schlossstraße übernahm, während dieser in eines der Häuser am Markt zog, welches Cranach d.Ä. vorher besessen hatte. Das Haus in der Schlossstraße bot Cranach d.Ä. bessere Möglichkeiten zum Einrichten einer Werkstatt als die Häuser am Markt, da es größer und steuerlich günstiger eingestuft war. Die größere Toreinfahrt in der Schlossstraße erleichterte ferner den Transport von großen Bildern. Zusätzlich brauchte Cranach d.Ä. Wohnraum für seinen gesamten Hausstand. In Hofrechnungen, datiert vom 22. September 1510, werden vier9, in einer Hofrechnung vom 3. Januar 1511 sogar acht Gesellen10 als Mitarbeiter Cranachs d.Ä. genannt. Die Werkstatt wuchs und es wurden größere Räumlichkeiten benötigt, um nicht nur den Betrieb in der gewünschten Form weiter führen zu können, sondern auch die große Schar an Lehrlingen, Gesellen und Hilfsarbeitern unterbringen zu können, denn »Auszubildende« wohnten damals in der Regel bei ihrem Meister. 9 10
SCHADE 1983, S. 405 Nr. 73. Ebd., S. 405 Nr. 78.
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Ein weiterer Grund für den Erwerb gerade dieses Anwesens könnte die Apotheke gewesen sein, die sich in dem Haus befand und bis 1513 von Mellerstadt bewirtschaftet wurde. Ob nach dessen Ableben sein Sohn Valentin die Apotheke bis 1518 weitergeführt hat, ist unklar. Cranach d.Ä. durfte die Apotheke selbst erst betreiben, nachdem ihm das kurfürstliche Privileg ausgestellt worden war, welches er am 6. Dezember 1520 erhielt. Ab diesem Zeitpunkt durfte Cranach d.Ä. die Apotheke als einzig konzessionierte in Wittenberg leiten. Diese Monopolstellung war ihm in dem Privileg zugesagt worden: darin unnser stad Wyttenbergk kein andere apoteken eingerichtet werden sollen. Die Begründung dieser Entscheidung folgt direkt im Anschluss: in ansehung des unkostens, domit diese apoteken in wesen mus erhalden werden und zwar zum statlich gemeynem nutz und eynem yeden, der der notturfftig zubrauchen erhalten mogen. Cranach d.Ä. erhielt das Apothekenmonopol also nicht aufgrund der sehr guten Beziehungen zum Kurfürsten, dem er als Hofmaler so häufig gute Dienste geleistet hatte, sondern aus zwei pragmatischen wirtschaftlichen und sozialen Begründungen heraus. Die Unterhaltung einer Apotheke war kostspielig und eine Konkurrenz mit einer anderen Apotheke in der doch verhältnismäßig kleinen Stadt Wittenberg hätte beiden Besitzern der Apotheken geschadet und sie am Ende vielleicht wirtschaftlich ruiniert: Im Jahre 1513 zählte die Stadt 2.000–2.500 Einwohner. Diese Zahl stieg im Laufe der Zeit weiter an, so dass man für die 1540er Jahre von 3.500 ständigen Bewohnern und weit über 1.000 Studenten ausgehen kann.11 Die Versorgung der Stadtbewohner mit Medikamenten musste gewährleistet werden und jeder, der Hilfe benötigte, musste diese auch bekommen können. Dies bedeutete allerdings auch, dass die Apotheke im Notfall Medikamente unentgeltlich zur Verfügung stellen musste. Davon zeugen nicht nur die von den Gemeindekassen erlassenen Medikamentenrechnungen, sondern auch die oft unbezahlten Schuldanerkenntnisse und Apothekenrechnungen in den Schuldnerlisten der Stadt.12 War damit die Apotheke für Lucas Cranach d.Ä. ein Verlustgeschäft, welches nur soziales Prestige und weniger wirtschaftlichen Gewinn versprach? Um hierzu eine Aussage treffen zu können, müssen die Produktpalette der Apotheke im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit untersucht und weitere Privilegien Cranachs d.Ä., die sich auf die Apotheke bezogen, mit berücksichtigt werden. In der Apotheke wurden nicht nur die heute typischen pharmazeutischen Produkte verkauft, sondern auch seltene und daher teure Waren wie zum 11 12
BLASCHKE 21987, S. 506, 508. LÜCKE / LÜCKE 1994, S. 62.
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Beispiel Gewürze (gestossen wirtz). In dem Privileg für Cranach d.Ä. sind diese ebenfalls genannt und sie werden abermals unter den Monopolhandel der Apotheke gestellt: so sol kein inwonere oder frembder kramer zu Wittenbergk gestossen wirtz, confect, zugker, tiriack, geferbtes wachs etc. noch anders so man sonderlich in die apoteken gebraucht feyl haben oder verkauffen. Damit war es sowohl den Einwohnern der Stadt als auch fremden Händlern verboten diese – heute für eine Apotheke untypischen – Produkte zu verkaufen. Einzige Ausnahme waren die Jahrmärkte, auf denen zumindest die auswärtigen Krämer solche Waren anbieten durften. Somit besaß Cranach d.Ä. ein Handelsmonopol für Exquisites, welches sich vornehmlich der Adel und hochgestellte Persönlichkeiten in Wittenberg leisten konnten. Zudem ist davon auszugehen, dass der kurfürstliche Hof mit solchen Artikeln beliefert wurde. Des Weiteren verkaufte Cranach d.Ä. an den Stadtrat Tinte, Siegelwachs, Gewürze und Medikamente. Da diese Dinge ständig benötigt wurden, bildeten sie eine feste Einnahmequelle. Für Cranach d.Ä. persönlich war sicher die mit der Apotheke in Verbindung stehende Versorgung der Werkstatt mit Farbpigmenten und Öl interessant. Die Apotheken boten neben pharmazeutischen Produkten und den oben genannten alltäglichen Waren auch mineralische und künstliche Pigmente an, welche die Apotheker selbst zur Herstellung von Medikamenten brauchten, die aber auch zur Produktion von Farben benötigt wurden.13 Vor allem mineralische Pigmente wurden dort in vorgefertigtem oder halbfertigem Zustand bereitgehalten, so dass diese nicht mehr ausschließlich in den Malerwerkstätten hergestellt werden mussten. Verschiedene solcher mineralischen Pigmente lassen sich in den zeitgenössischen Apothekentaxen finden. Damit übernahmen die Apotheken die Funktion auch eines spezialisierten Farbhandels, welches im Vergleich mit anderen Städten zu belegen ist: Lapidis Lazuli, Cerusa und flos eris finden sich in den Apothekentaxen in Wien 1443, in einer süddeutschen Apothekentaxe von 1453, in den Münchner Taxen von 1488 sowie 1519 und in der Dresdner Sammeltaxe von 1553.14 Lapidis Lazuli meint zunächst einmal jedwedes blaues Pigment bzw. blaues Mineral, wird aber häufig als Ultramarin interpretiert. Meist steht der Begriff für ungereinigtes, mineralisches Azurit und wird als solches in den Apothekenverzeichnissen geführt. Azurit war zehnmal billiger als Ultramarin und wurde daher bevorzugt zum Malen genutzt.15 Cerusa ist Bleiweiß; es war das seit der Antike meist verbreitete Weißpigment.16 Flos 13
SCHAEFER 2001, S. 114. BURMESTER / KREKEL 1998, S. 99f. 15 Ebd., S. 75f., 87; zu den kunsttechnologischen Rezepten siehe umfassend BARTL 2005. 16 BURMESTER / KREKEL 1998, S. 61, 83. 14
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eris oder vivide eris bezeichneten Grünspan und dienten zur Herstellung von Grüntönen.17 Weitere Hinweise zu den Pigmenten, ihrer Herstellung und Benutzung finden sich in Manuskripten, deren Zusammenstellung wir den Künstlern selbst verdanken.18 In den entsprechenden Rezepten zur Farbenherstellung wird darauf verwiesen, dass die benötigten Produkte in der Apotheke erworben werden können: Nim in der appotek aurum musitum.19 Cranach d.Ä. hatte durch die eigene Apotheke somit eine Liefergarantie für den eigenen Werkstattbetrieb, dessen Produktivität mitunter von der Versorgung mit Farbpigmenten abhing und möglicherweise bei Lieferengpässen ins Stocken geraten wäre. Des Weiteren hatte Cranach d.Ä. über seine Apotheke die Möglichkeit, teure Malstoffe zu günstigeren Preisen einzukaufen. Untersuchungen an Gemälden um 1500 haben gezeigt, dass Cranach d.Ä. als einziger Künstler zur Herstellung von gelber Farbe das wesentlich teurere Auripigment benutzte und nicht das günstige pleygel, welches ansonsten von zeitgenössischen Künstlern bevorzugt eingesetzt wurde.20 Ausgehend von der trivialen Erkenntnis, dass letztlich der Preis, den der Auftraggeber zu zahlen bereit war, darüber entschied, welches Pigment auf der Palette des Künstlers Verwendung fand, kann man aufgrund des verarbeiteten teuren Auripigments davon ausgehen, dass Cranach d.Ä. zum einen die Möglichkeit hatte, solch teure Produkte günstig über seine Apotheke zu beziehen, zum anderen aber auch aufgrund seiner sehr guten finanziellen Situation in der Lage war, hochwertige Pigmente zur Herstellung seiner Farben zu kaufen. Somit erwies sich die Apotheke für Cranach d.Ä. und seine Malerwerkstatt als sehr lukrativ. Überdies wurde ihm zusammen mit dem Apothekenprivileg – obwohl dieses Recht nicht apothekentypisch war – auch das Weinschankrecht eingeräumt, und zwar für süßen, sehr teuren Wein: so soll Lucas oder sein erben, wan ein rath zu Wittenbergk in irem keller nit susse wein schengken macht haben, süsse wein in der apoteken zu schengken, doch uff entrichtung geburlicher pflichtung. Das heißt, Cranach d.Ä. durfte nur Wein ausschenken, wenn der Rat selbst keinen im Ratskeller verkaufte, und musste hierfür eine Gebühr entrichten, die er nachweislich seid 1520 regelmäßig zahlte.21 Dieses Weinschankrecht sicherte ihm eine weitere, ziemlich ertragreiche Einnahmequelle. Cranach d.Ä. hatte dieses Weinschankrecht bereits vorher besessen. Es war zunächst an das Haus am Markt gebunden gewesen, wel17
Ebd., S. 74, 87. BORRADAILE / BORRADAILE 31982, S. 126f., 130–132. 19 Ebd., S. 26. 20 BURMESTER / KREKEL 1998, S. 86. 21 LÜCKE / LÜCKE 1994, S. 62f. 18
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ches er 1518 an Valentin Mellerstadt verkauft hatte. Doch anscheinend war es ihm – geschäftstüchtig wie er nun einmal war – gelungen, das Privileg von diesem Haus zu lösen und auf die Schlossstraße 1 zu übertragen.22 Somit lässt sich konstatieren, dass Cranach d.Ä. nicht unbedingt über die pharmazeutischen Produkte, aber wahrscheinlich durch den Verkauf edler und seltener Waren an den Stadtrat und den Hof und den Verkauf von Alltagswaren an die Bürgerschaft sowie des Weines erheblichen Gewinn mit der Apotheke erzielen konnte. Nicht zuletzt war er selbst sein bester Kunde, indem er sich durch die Apotheke mit den notwendigen Materialien zum Malen versorgte. Doch wie war es Cranach d.Ä. überhaupt möglich, als Maler eine Apotheke zu betreiben? Cranach selbst hatte keine Ausbildung zum Apotheker. Die Ausbildung bestand aus einer drei bis vier Jahre dauernden Lehrlingszeit mit anschließender Wanderschaft und Meisterprüfung. Die Verlagerung der Ausbildung an die Universität lässt sich erst Ende des 15. Jahrhunderts vereinzelt nachweisen.23 Cranach d.Ä. musste also jemanden einstellen, der als Apotheker ausgebildet worden war und als solcher die Apotheke führen konnte. Der Kurfürst ließ dies auch im Privileg festschreiben: Nachdem aber Lucas selbs zu der apoteken nit geschigkt unnd mit andern hendlen umbgehet unnd die apoteken mit knechten bestellet. Es wird hier deutlich, dass Cranach d.Ä. nur der Besitzer, nicht der Betreiber der Apotheke war und sein durfte.24 Als solcher konnte er auch nicht das Privileg in Anspruch nehmen, von der Heeresfolgepflicht entbunden zu werden. Da die pharmazeutische Versorgung vor Ort immer gewährleistet sein sollte, waren die Apotheker meist von der Pflicht befreit, mit ihrem Herrn in den Krieg zu ziehen. Cranach d.Ä. hingegen war kein ausgebildeter Apotheker und musste die Apotheke durch einen Angestellten betreiben. Daher blieb er selbst weiter der Heerespflicht unterworfen. Allerdings stellte der Kurfürst die Entlassung aus der Heeresfolge für einen Sohn Cranachs d.Ä. in Aussicht, falls dieser sich entschließen sollte, das Apothekerhandwerk zu erlernen und die Apotheke somit nicht nur als Besitzer, sondern auch als Betreiber zu übernehmen.25 Das Privileg schließt mit dem Hinweis, dass die Überprüfung der Qualität und Frische der Materialien jederzeit durch vom Rat bestellte Ärzte 22
Zum Weinschank siehe LÜCKE 1998, S. 23–25. SCHMITZ 1980, Sp. 796f.; siehe auch SCHMITZ 1998. 24 Die Apotheke wurde bis zu dessen Tod 1539 von Johan Seiffried betrieben; SCHADE 1983, S. 43. 25 Dies traf allerdings auf keinen der Söhne, aber auf den Schwiegersohn Cranachs zu. Seine jüngste Tochter Anna heiratete den Apotheker Caspar Pfreundt, welchen Cranach zur Betreibung der Apotheke angestellt hatte; ebd., S. 23. 23
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kontrolliert werden könne und bemängelte Produkte sofort ausgetauscht werden müssen.26 Cranach d.Ä. und seine Angestellten sollen einen zymlichen unnd gleichen kauff zugeben und andere nicht übervorteilen. Des Weiteren sollen die festgehaltenen Privilegien für Lucas Cranach d.Ä. und seine Erben vom Rat der Stadt Wittenberg geschützt und verteidigt werden. Der Kauf der Apotheke in der Schlossstraße 1 und das anschließend verliehene Apothekenprivileg scheinen somit kein Verlustgeschäft für Cranach d.Ä. bedeutet zu haben. Trotz der Verpflichtung, Medikamente an Bedürftige auch unentgeltlich abgeben zu müssen, kann davon ausgegangen werden, dass Cranach d.Ä. aufgrund seines Handelsmonopols und des Weinausschankrechts ein (zusätzliches) geregeltes Einkommen hatte, welches den Hauskauf und seine Bemühungen um das Privileg rechtfertigte. Die Apotheke sicherte ihm somit ein stetiges und sicher nicht geringes Einkommen, während er bei seiner Malertätigkeit und in seiner Werkstatt erst nach der Fertigstellung eines Auftrages eine einmalige, gute Zahlung erlangen konnte und zumindest in Bezug auf den Arbeitslohn und die Materialkosten oft in Vorleistung gehen musste, falls der Auftraggeber nicht bereit war, eine angemessene Vorabzahlung zu leisten. Außerdem boten ihm sowohl das Haus als auch das Privileg die Möglichkeit, seine Werkstatt weiter auszubauen. Cranach konnte mehr Großaufträge annehmen, zumal seine Versorgung mit Malutensilien (besonders mit Farben) durch die hauseigene Apotheke gesichert war. Somit lohnte sich der Hauskauf wirtschaftlich für Cranach d.Ä. sowohl als Unternehmer als auch als Künstler. Eine weitere wichtige Immobilie, bei deren Erwerb sich die künstlerischen Interessen mit den unternehmerischen Interessen Cranachs d.Ä. verbanden, war das Haus am Markt. Wahrscheinlich kaufte er das Haus, das er bereits in den Jahren 1512–1518 besessen hatte, 1522 von Valentin Mellerstadt wieder zurück, um dort neuen wirtschaftlichen Aktivitäten nachzugehen. Zu denken wäre hier an die Druckerei, die bisher in den Wittenberger Archivalien kaum fassbar ist, Cranach d.Ä. zu dieser Zeit aber schon betrieben haben muss.27 Die Möglichkeit, eine Druckerei einzurichten, scheint für Cranach eine gute Geschäftsidee gewesen zu sein. Er selbst als Produzent zahlreicher Holzschnitte hatte diese in Leipzig drucken lassen, bis sich Buchdrucker in den Schlössern Lochau (1503) und Wittenberg (1509) niederließen. Cranachs Heiltumsbuch und die Holzschnittpassion von 1509 sind mit die frühesten Wittenberger Druckerzeugnisse. Als im Zuge der 26
Beschwerden über die mangelnde Qualität der Waren lassen sich in den Quellen nachweisen. So klagte z. B. die Universität 1521, dass die Waren nicht frisch und viel zu teuer seien; LÜCKE / LÜCKE 1994, S. 62. 27 Vgl. allgemein zum Buchhandel Cranachs SCHADE 1983, S. 43–45.
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Reformation die Druckorte Leipzig, Erfurt und Frankfurt an der Oder eine Front gegen Wittenberg bildeten, entwickelte sich die Stadt zu einem der wichtigsten Druckorte Deutschlands. Somit ergab sich die Option für Cranach d.Ä., in dieses aufblühende Geschäft sowohl als Produzent von Holzschnitten als auch als Geldgeber und Immobilienbesitzer einzusteigen und seine eigene Druckerei zu betreiben. Gemeinsam mit Christian Döring richtete er die Druckerei, welche Melchior Lotter leitete, mit einem Buch- und Papierladen in dem wieder erworbenen Haus am Markt ein.28 Die Zusammenarbeit endete jedoch, als Lotter angeklagt und verurteilt wurde, weil er einen Buchbinder gefoltert hatte. Cranach d.Ä. und Döring betrieben die Druckerei nun mit Joseph Klug weiter. Ende 1525 bzw. Anfang 1526 zog sich Cranach d.Ä. aus dem Druckergeschäft zurück. Döring behielt die Druckerei bis 1533, dann verkaufte auch er Verlag, Privilegien und Büchervorräte. Warum wandte sich Cranach d.Ä. von einem anfänglich so lukrativ klingenden Geschäft ab, aus dem er sowohl als Künstler als auch als Unternehmer Profit hätte erzielen können? Der Grund ist wahrscheinlich im hohen Risiko des Druckereigeschäfts zu sehen. Erwartete Gewinne konnten ausbleiben, Anleihen nicht mehr rechtzeitig zurückgezahlt werden. Cranach ist wenigstens zweimal wegen größerer Geldforderungen in Prozesse verstrickt worden, die sich von 1538 bis 1550 und von 1544 bis 1551 hinzogen. Vergleicht man die beiden Investitionen, welche Cranach d.Ä. dank seiner Immobilien und seiner guten finanziellen Situation tätigen konnte, lässt sich feststellen, dass das Apothekenprivileg für den Künstler eindeutig ertragreicher gewesen zu sein scheint, während die Druckerei als zu hoher Risikoposten von ihm bald wieder aufgegeben wurde. Man kann davon ausgehen, dass die Apotheke mit ihren Einkünften wahrscheinlich einen stabilen Posten in seinen Finanzen darstellte, welcher für ihn rentabel war. Zudem sicherte die Apotheke auch die ordnungsgemäße Materiallieferung für seine Malerwerkstatt, was wiederum der Kunstproduktion als Haupteinnahmequelle zugute kam. Der Versuch, die erstellten Holzschnitte in der eigenen Druckerei zu drucken und zu verkaufen, stellte sich aufgrund des finanziellen Risikos demgegenüber als nicht lohnend dar. Cranach d.Ä. war also ein kluger Geschäftsmann, der Gewinn und Risiko abzuschätzen wusste und für seine Investitionen Konsequenzen hieraus zog. Dies passt zum Bild des »Großunternehmers« Lucas Cranach d.Ä., der den Erlös aus seiner Kunst in Immobilien und Geschäfte investierte, um größtmögliche Gewinne zu erzielen. Die Beispiele haben Cranach d.Ä. als 28
Ob es sich hierbei um das Haus am Markt Nr. 3 oder 4 handelt, kann nicht ermittelt werden; LÜCKE 1998, S. 22f., 29, plädiert für das Haus am Markt Nr. 4.
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Immobilienmakler, Apothekenbesitzer, Weinhändler und Druckereibesitzer gezeigt. Er bündelte Immobilien und Privilegien, die einander bedingten und ihm ein hohes, stetiges Einkommen neben dem Betrieb der Malerwerkstatt sicherten. Der Einfluss Cranachs in der Stadt war durch die »bürgernahen Betriebe«, die Apotheke und den Weinverkauf, erheblich. Und Cranach d.Ä. verstand es wie kein anderer, diese Einnahmequellen zur Steigerung von Ansehen und Kapital zu nutzen. Er hatte sich somit nicht nur zu einem hoch geschätzten Maler und Vorstand einer großen Werkstatt entwickelt, sondern war zudem auch noch Leiter eines Monopolbetriebes. Anhand seiner Privilegien und der Steuer- und Kämmereibücher der Stadt Wittenberg kann nachvollzogen werden, in welch engen Beziehungen der Immobilienbesitz Cranachs d.Ä. und sein wirtschaftliches Wirken in der Stadt zueinander standen. Erst die unbedingte Treue gegenüber seinem Kurfürsten, dem er 1550 in die Verbannung nach Augsburg folgte, beendete die Anwesenheit Cranachs d.Ä. in der Stadt Wittenberg. Seine Immobilien und Rechte wurden auf seinen Sohn Lucas Cranach d.J. übertragen, der die Werkstatt, die Apotheke und den Weinschank weiter betrieb.
Literatur BARTL 2005 – BARTL, Anna u. a.: Der „Liber illuministarum“ aus Kloster Tegernsee. Edition, Übersetzung und Kommentar der kunsttechnologischen Rezepte, Stuttgart 2005. BLASCHKE 21987 – BLASCHKE, Karlheinz: Wittenberg, in: Handbuch der historischen Stätten Deutschlands, Bd. 11: Provinz Sachsen/Anhalt, hg. von Berent Schwineköper, 2. überarb. u. erw. Aufl. Stuttgart 1987, S. 504–511. BORRADAILE / BORRADAILE 31982 – Borradaile, Viola und Rosamund Borradaile (Übers.): The Strasburg manuscript. A medieval Painters’ Handbook, (1. Aufl. München 1966) 3. Aufl. München 1982. BURMESTER / KREKEL 1998 – BURMESTER, Andreas und Christoph KREKEL: Von Dürers Farben, in: Albrecht Dürer. Die Gemälde der Alten Pinakothek, hg. von Gisela Goldberg u. a., München 1998, S. 55–101. FRIEDLÄNDER / ROSENBERG 21979 – FRIEDLÄNDER, Max J. und Jakob ROSENBERG: Die Gemälde von Lucas Cranach, (1. Aufl. Berlin 1932) 2. Aufl. Basel 1979. HINZ 1993 – HINZ, Berthold: Lucas Cranach d.Ä. (Rowohlts Monographien, Bd. 457), Reinbek bei Hamburg 1993. KOEPPLIN / FALK 1974–76 – KOEPPLIN, Dieter und Tilman FALK: Lucas Cranach. Gemälde, Zeichnungen, Druckgraphik, 2. Bde., Basel 1974–76.
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Marina Beck und Jens Jakusch
LÜCKE 1998 – LÜCKE, Monika: Die Wittenberger Archivalien zum Leben und Wirken von Lucas Cranach d.Ä., in: Lucas Cranach d.Ä. und die Cranachhöfe in Wittenberg, hg. von der Cranach-Stiftung, Halle 1998, S. 11–56. LÜCKE / LÜCKE 1994 – LÜCKE, Monika und Dietrich LÜCKE: Lucas Cranach in Wittenberg, in: Lucas Cranach. Ein Maler-Unternehmer aus Franken, hg. von Claus Grimm u. a., Regensburg 1994, S. 59–65. SCHADE 1983 – SCHADE, Werner: Die Malerfamilie Cranach, Gütersloh 1983. SCHAEFER 2001 – SCHAEFER, Iris: Zunftordnung und Werkstattpraxis Kölner Maler des Spätmittelalters, in: Rainer Budde und Roland Krischel (Hgg.): Genie ohne Namen. Der Meister des Bartholomäus-Altars, Köln 2001, S. 108–116. SCHMITZ 1998 – SCHMITZ, Rudolf: Geschichte der Pharmazie, Bd. 1: Von den Anfängen bis zum Ausgang des Mittelalters, Eschborn 1998. SCHMITZ 1980 – SCHMITZ, Rudolf: Apotheke, Apotheker, in: LexMa, Bd. 1, Sp. 794–801. SCHUCHARDT 1851–71 – SCHUCHARDT, Christian: Lucas Cranach des Aeltern Leben und Werke. Nach urkundlichen Quellen bearbeitet, 3. Bde., Leipzig 1851–1871. TACKE 2009 – TACKE, Andreas: Lucas Cranach der Schnellste. Ein Künstler als Werkstattleiter, in: Ausst.Kat.: Lucas Cranach der Schnellste, hg. von Rainer Stamm, Bremen 2009, S. 12–28. TACKE 2007 – TACKE, Andreas: Cranach im Dienste der Papstkirche. Zum Magdalenen-Altar Kardinal Albrechts von Brandenburg, in: Gerhard Ermischer und Andreas Tacke (Hgg.): Cranach im Exil. Aschaffenburg um 1540. Zuflucht – Schatzkammer – Residenz, Regensburg 2007, S. 106–121. TACKE 2006 – TACKE, Andreas (Hg.): „Ich armer sundiger mensch“. Heiligenund Reliquienkult in der Zeitenwende Mitteldeutschlands, Göttingen 2006. TACKE 1992 – TACKE, Andreas: Der katholische Cranach. Zu zwei Großaufträgen von Lucas Cranach d.Ä., Simon Franck und der Cranach-Werkstatt (1520–1540), Mainz 1992.
STEFANIE HERBERG
Bartholomäus Bruyn der Ältere in Köln Der Kauf von Haus und Werkstatt Stefan Lochners 1. Vita Auf der 1539 von Friedrich Hagenauer geschaffenen Bruyn’schen Porträtmedaille1 wird in Form des Künstlerlobes mitgeteilt, dass er lebendige Bildnisse aus dem Gedächtnis malen konnte: NOVIT HIC / EFFICIES SINE / SENSV PINGERE / VIVAS / M.D.XXXIX. Anhand dieser Medaille, die in der Umschrift die Altersangabe (46 Jahre) des Malers enthält (BARTHOLOMEVS BRVYN PICTOR COLONIENSIS . ANNO ǘTATIS XLVI), lässt sich das Geburtsjahr von Bartholomäus Bruyn (Bruen, Bruin, Brun, Brune, Bruns) auf 1493 festlegen. Sein Geburtsort ist unbekannt. Um 1505 finden wir ihn in der Kölner Werkstatt des Jan Joest. Die neuere Forschung entdeckte auf Grund von Quellen ein Schwiegervater-Schwiegersohn-Verhältnis zwischen Joest und Bruyn. Auch wenn letztendlich die Herkunft offen bleibt, so wird doch seine Abstammung aus Wesel für möglich erachtet.2 Einer seiner Kölner Werkstattgenossen war der einige Jahre ältere Antwerpener Maler Joos van Cleve. Um 1512 wird Bruyns Lehrzeit beendet gewesen sein. Es wird vermutet, dass er im Folgenden in Köln für einen Meister gearbeitet hat. Gestützt wird dies nicht nur stilistisch, da der Amtsbrief der Schilderer (der Maler) von 1449 formuliert, dass Fremde zuerst vier Jahre bei einem Meister unser stede gedient haben mussten und geven sess rijnsche gl. und ein vierdel wijns, um in die Zunft aufgenommen zu werden.3 Fassbar wird Bruyn jedoch erst 1515 und 1516 mit den ersten datierten, ihm zugeschriebenen Altararbeiten. Im Jahr 1518 wurde Bertoult Bruyn meler 25-jährig in den Kölner Rat der Vierundvierziger4 gewählt. Jede »Gaffel« (22) entsandte jährlich je zwei 1
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HABICH 1929, Nr. 630, Taf. LXXVIII; dt. Übersetzung bei WESTHOFF-KRUMMACHER 1966, S. 52. Über seine Frau Agnes war Bruyn mit der Weseler Künstlerfamilie Baegert verbunden; ROELEN 2000, S. 17. LOESCH 1907, Bd. 1, S. 137f.; einen informativen Überblick zur Kölner Malerzunft liefert SCHAEFER 2001. SCHULZ 1997.
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Vertreter in dieses Forum, das der Rat in bestimmten Fällen, im Verbundbrief, der Verfassung von 1396 festgelegt, zur Entscheidung heranziehen musste. Oder der Rat wollte sich der Zustimmung vergewissern. Drei Jahre später wurde Bartell Bruen5 ein zweites Mal berufen. Für dieses passive Wahlrecht musste er das Bürgerrecht besitzen, das er folglich spätestens 1518 erhielt. Für die Ausübung des Handwerks in Köln war es nicht notwendig; es wurde meist nur dann erworben, wenn geschäftliche Gründe oder politischer Ehrgeiz dazu motivierten, zumal die Aufnahmegebühr mit 12 rheinischen Gulden hoch war. Zwischen 1515 und 1518 heiratete Bruyn Agnes, die Tochter Jan Joests. Durch das bereits 1518 verteilte und ausgezahlte Erbe (Joest verstarb erst ein Jahr später) scheinen dem jungen Paar genügend finanzielle Mittel zur Verfügung gestanden zu haben, um sich in Köln eine Existenz aufbauen zu können. Aus dieser Ehe gingen fünf Kinder hervor: 1. Cathryntgin, 1550 mit Georg von Lunen verheiratet, 2. Arnt (Arnold), dessen Frau Gertruyd hieß und der 1577 verstarb, 3. Clairgin, verheiratet mit Peter Bach, 4. Bartholomäus, verschieden zwischen 1607 und 1610, und 5. Mathias, der unter dem Namen Paulus als Mönch in der Abtei zu Werden lebte und 1597 starb. Bartholomäus der Jüngere führte die Werkstatt seines Vaters nach dessen Tod und der Auszahlung seiner Geschwister weiter.6 Aus dem Jahre 1522 sind zwei Arbeiten urkundlich belegt, die das Aufgabenspektrum des spätmittelalterlichen, frühneuzeitlichen Künstlers schlaglichtartig aufzeigen und deshalb hier kurz vorgestellt werden sollen: zum einen die Bemalung einer Kutsche und zum anderen die Fertigung eines Altares. Für den herzoglichen Hof in Düsseldorf war Bruyn mit der Bemalung eines Wagens betraut worden, der wohl für Herzogin Maria von JülichKleve-Berg bestimmt war. Er hatte, so verbürgt es eine Quelle, die Kutsche schoyn roit gemalt, innen und außen mit goldenen Blumen besetzt, Wappen daran gemalt, die Kanten vergoldet und goldene Distelblumen hinzugefügt. Auch die Seile, Ketten und Lederriemen hatte Bruyn rot gefaßt und alles mit feinem Gold vergoldet.7 Der zweite Auftrag betraf den Hochaltar des Damenstifts (der Münsterkirche) zu Essen. Am 17. Juli 1522 schloss Margarete von Bichlingen als Vertreterin des freiweltlichen Stiftes Essen mit meister Bartholomeus Bruyn, meller einen Vertrag. Demnach sollte Bruyn binnen zwei Jahren die nüwe altair taiffellen uff dem Hogen Choir […] mit iren bladeren ind flo5 6 7
MERLO 1895, Sp. 128 (Ratsliste). BAUMEISTER 1932, S. 228–234. TÜMMERS 1964, S. 131 Urk. 5.
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gellen […] mit allem vleyß und syns besten vermogens vollenden.8 Am 20. Dezember 1525 bestätigte der Künstler für den heute nur noch teilweise erhaltenen Alter den Empfang von 390 Florin 16 Albus und quittierte die Bezahlung mit Bartelmeus de Bruyn meler, borger to Collen9. Zu bemalen hatte Bruyn dafür acht gewaltige Flächen eines ursprünglich vierflügligen Altars, wobei jeder bewegliche Flügel die beachtlichen Maße von 2,35 m in der Höhe und 1,52 m in der Breite hatte. Wenig später erhielt der Maler einen weiteren großen Auftrag für den Hochaltar der Stiftskirche in Xanten. Am 22. April 1529 verpflichtete sich Meister Bartholomeus Bruyn Meelre Burger tot Cölne, zwei beidseitig bemalte Flügelpaare und eine Lünette für den neuen Hochaltar der Stiftskirche St. Victor zu malen. In diesem erhaltenen Schriftstück wird auch der Schreiner und Bildschnitzer Meister Wilhem, Wilhelm von Roermond, genannt. Der Vertrag enthält detaillierte Angaben zur Ausgestaltung.10 Der Altar wurde bis auf die Kanonikerporträts in Köln ausgearbeitet und dann per Schiff nach Xanten gebracht. Aus der ebenfalls noch vorhandenen Rechnung geht hervor, dass beide Meister über drei Monate vor Ort arbeiteten, dort setzte Bruyn dann die fehlenden Bildnisse ein. Die Fertigstellung datiert 1534 und eine Quittung aus dem Jahre 1535 belegt die letzte Rate des im Verlauf der Arbeit erhöhten Preises von 600 Gulden.11 Im Jahr 1533 kaufte Bruyn zwei Häuser in der Nähe von St. Alban, die fast 90 Jahre vorher von Stefan Lochner erworben und zwischenzeitlich von weiteren Malern bewohnt wurden; zuvor hatte Bruyn vermutlich zur Miete gewohnt. Er lebte damit in einem wohlhabenden Viertel, in dem sich überwiegend Kaufleute und besser gestellte Handwerker niederließen.12 Dieser Häusererwerb ist Gegenstand unserer Quelle und wird später noch ausführlich behandelt. Zu den Aufgaben eines Malers gehörten auch Restaurierungsarbeiten; beispielsweise reinigte und firnisste Bruyn 1541 den Altar von Jan Joest in Werden.13 Ein wichtiges Ereignis für den Künstler war sicherlich seine Wahl zum Ratsherrn 1549 und 1553, unterstrich diese doch seine hohe soziale Stellung 8
Ebd., S. 131f. Urk. 6. Ebd., S. 132 Urk. 8, vgl. die Abb. der Quittung ebd. auf S. 235. 10 Ebd., S. 132f. Urk. 9; zum Vertrag vom 20.04. 1529 mit Meister Wilhem van Ruremunde siehe ebd., S. 133f. Urk. 10; vgl. BEISSEL 21889, 3. Teil, S. 12–22 (mit Quellen zu den weiteren, am Altar beteiligten Handwerkern / Künstlern). 11 Ebd., S. 134f. Urk. 14 a–g und Urk. 15. 12 KEUSSEN 1910, S. 81*. 13 TÜMMERS 1964, S. 13, 135f. Urk. 17. Bruyns Sohn Arnt reinigte ihn 1570 ein weiteres Mal; TÜMMERS 1996, S. 614. 9
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in der Stadt und in seiner Gaffel. Diese Gaffel durfte nur einen Ratsherrn stellen und zählte damit zu den weniger einflussreichen Gaffeln Kölns. Voraussetzung zur Ratsherrnwahl war, dass man bereits zehn Jahre Hausbesitzer war. Dieses Amt war die höchste erreichbare Stufe gesellschaftlicher Anerkennung für Bruyn. Sie brachte einige zeitliche Belastung mit sich, die er sich offenbar finanziell leisten konnte. Denn entweder musste er die künstlerische Produktivität wegen Zeitmangels einschränken oder Aufträge an Werkstattmitarbeiter deligieren. Bei Bruyn kann vermutet werden, dass der Maler zu diesem Zeitpunkt die Arbeit zunehmend an die Söhne und die Werkstatt weitergegeben hatte. Nach dem Tod seiner Frau teilte Bruyn am 14. Januar des Jahres 1550 den Besitz unter seinen Kindern auf: Kunt sy dat van doide Angniesen elige huysfrauwe gewest Bartholomeus Brun meler anerstorffen vnd gefallen synt […] Iren eligen kyndern zu yre gesynnen geschreuen vnnd in macht syns licenciatoriums geschreuen hain an jre kyntdeill dairzo Bartholomeus Brun der vader synen wyllen gegeuen hait Behalden ym lyfftzuycht maechende einem ydernn eyn vunfftendeill des huyss Carbunckell vnd des huys Aldegryn So wie dat vur anno xxxiij geschreuen steit.14 Er behielt sich jedoch, wie aus dem Text weiter hervorgeht, eine Leibrente vor und, die Häuser waren mit einer Erbrente belastet: Kunt sy dat Bartholomeus Brun meler […] an jren eygendom des huyss Carbunckell vnnd des huyss Aldegrynn ym neysten notum geschreuen Gegeuen vnnd erlaessen haint der Doichsamer frauwen Cecilienn Moers acht Jochimdaller vur datum gemontz vnd geslagen erfflichs gelts alle Jaire zu betzaillen.15 Durch die Notiz obiit Ao 55 vor seinem Namen in der Kölner Ratsliste wissen wir, dass Bartholomäus Bruyn d.Ä. 1555 verstarb. Dies ist ebenso in den Rechnungsbüchern der Pfarrkirche St. Alban unter dem 22. April desselben Jahres vermerkt.16 Ob das Datum der Todes- oder der Begräbnistag ist, bleibt – wie oft bei derartigen Angaben – ungewiss. Neben den zahlreichen Porträts17 der angesehensten und wohlhabendsten Bürger der Stadt sowie den Altaraufträgen18, die er für fast alle bedeutenden Kirchen der Stadt ausführte, lieferte er auch Entwürfe für Glasfenster, sowohl für Kölner Kirchen (z. B. für St. Severin) als auch für Gotteshäuser außerhalb der Stadt.
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TÜMMERS 1964, S. 136f. Urk. 21. Ebd., S. 137. 16 Ebd. S. 137 Urk. 22 und 23. 17 WESTHOFF-KRUMMACHER 1965. 18 IRSIGLER / SCHMID 1992, S. 15. 15
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2. Quelle Zwei Schriftstücke betreffend die Erbrente zugunsten Bruyns sowie Bruyn als Eigentümer zweier Häuser; Köln am 4. August bzw. 17. September 1533. 1. Urkunde (Erbrente zugunsten Bruyns): Historisches Archiv der Stadt Köln, Best. 101, Schreinsbuch 453, fol. 266v (Stand 2008; ob das Schreinsbuch die Katastrophe des Gebäudeeinsturzes [2009] überstanden hat, bleibt abzuwarten). Die auf den 4. August 1533 datierte Quelle wurde nach dem Original transkribiert und von Dr. Manfred Huiskes (Köln) korrigiert; fehlerhaft abgedruckt bei MERLO, Johann Jakob: Die Meister der altkölnischen Malerschule. Urkundliche Mitteilungen, Köln 1852, Urk. 449. Kunt sy, dat die geistliche Suster Styngin Voiss, profess zu Wassenbergh in der stritgassen gelegen, in macht yrs Vrlouffsbreyffs besegelt in diessem schryn lygende, yren eigendoem, Vort Johan Voess myt bewyllonge Ailheit synre eliger huysfrawen syne lyffzuicht der zehen bescheiden gulden in goulde der khurfursten muntzen by ryne erfflichs tzyns, die man iars gilt van dem huys karbunckel vnd dat ander gnant Aldegrynne, Vort eynen deyrdendeylen van vier vunfftededeyle vnd an eyn vunfftededeyl der vurs. zweyer huysere, So wie dat in dem neisten notum geschreuen steit, Gegeuen ind erlaisen haint Meister Bartholemeo Bruyn, Meler, ind Agneis eluden in alle dem rechten hauen ind behalden, vortan keren ind wenden moegen, in wat handt sy wyllent. Protestatum wie vur Ao xxxiij des veyrden dages Augusti. 2. Urkunde (Bruyn als Eigentümer der Häuser Carbunckel und Aldegryn): Historisches Archiv der Stadt Köln, Best. 101, Schreinsbuch 483, fol. 199r– v (Stand 2008; ob das Schreinsbuch die Katastrophe des Gebäudeeinsturzes [2009] überstanden hat, bleibt abzuwarten). Die auf den 17. September 1533 datierte Quelle wurde nach dem Original transkribiert und von Dr. Manfred Huiskes (Köln) korrigiert; fehlerhaft abgedruckt bei MERLO, Johann Jakob: Die Meister der altkölnischen Malerschule. Urkundliche Mitteilungen, Köln 1852, Urk. 450. Kunt sy, dat in gerichte erschinen ist meister Bartholemeus Bruyn, Meler, vnd hait sich doin weldigen an dat huys Carbunckel vnd an dat huys gnant Aldegryn, So wie dat Albani anno presenti vnd Anno xcj geschreuen steit, als ym erfallen vur synen erfflichen veyrlichen tzyns, So wie dat ouch Albani xxxiij geschreuen steit, ym zor rechter tzit nith betzailt worden, Vnd want
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dan der vurs. meister Bartholemeus nagefoulgt hait, als hey zu rechte doin soulde, vnd yem neymantz wederstant gedain en hait, So ist die Anweltgeit in der macht vast ind stede geweist, vnd Scheffen vrdel hait gegeuen, dat man dat vrkhunden ind schryuen sal, vnd haint also in macht Scheffen vrdels den vurs. meister Bartholemeus myt Agneis syner eliger huysfrauwe geschreuen die vurs. huysere in alle dem rechten zu hauen ind zu behalden, zu keren vnd zu wenden, in wat handt sy wyllent. Datum ao. xxxiij die xvij Septembris. (Übertragung ins Neuhochdeutsche) 1. Urkunde Kund sei, dass die geistliche Schwester Styngin Voiss, [Ordens]profess [im Konvent] Wassenbergh, gelegen in der Streitgasse [Streitzeuggasse], bevollmächtigt durch ihre Beglaubigungsurkunde, die besiegelt in diesem Schrein liegt, ihr Eigentum, ferner Johann Voess mit Einwilligung seiner ehelichen Hausfrau Ailheit seine Leibrente von zehn bescheidenen Goldgulden der Münze der rheinischen Kurfürsten, nämlich der Erbzins, den man jährlich zahlt von dem Haus Carbunckel und dem anderen, genannt Aldegryn, ferner ein Drittteil von vier Fünfteln und ein Fünftel der vorgenannten Häuser, so wie das geschrieben steht im letzten [zurückliegenden] Schreinseintrag, gegeben und überlassen haben dem Meister Bartholomäus Bruyn, Maler, und der Agnes, Eheleuten, die sie mit allen Rechten haben und behalten mögen und fortan geben und zuwenden mögen, in welche Hand sie es wollen. Bezeugt wie vorher im Jahr [15]33, am 4. August. (Übertragung ins Neuhochdeutsche) 2. Urkunde Kund sei, dass vor Gericht erschienen ist Meister Bartholomäus Bruyn, Maler, und sich das Eigentum bestätigen hat lassen an dem Haus Carbunckel und dem Haus Aldegryn, so wie das im Albanschreinsbuch im gegenwärtigem Jahr und im Jahr [14]91 geschrieben steht, [nämlich] als an ihn gefallen für seinen wahren, jährlichen Erbzins, so wie das auch im Schreinsbuch von St. Alban [15]33 geschrieben steht, der ihm nicht zur rechten Zeit bezahlt worden ist. Und als dann der vorgenannte Meister Bartholomäus nachgefolgt19 ist, wie er zu Recht tun sollte, und ihm niemand Widerstand geleistet hat, ist die Anwäldigung (Inbesitznahme) in ihrer Macht stark und stetig gewesen. Und das Schöffenurteil hat vorgegeben, dass man dies beurkunden und aufzeichnen soll, und so haben also [die Amtsmeister des Schreinsbezirks], bevollmächtigt durch das Schöffenurteil, dem vorgenannten Meister Bartholomäus mit Agnes, seiner ehelichen Hausfrau [im Schreinsbuch] geschrieben, dass sie die vorgenannten Häuser 19
Nachfolge: korrekte Beachtung der juristischen Schritte.
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mit allen Rechten besitzen und behalten, sie übertragen und zuwenden können, in welche Hand sie wollen. Gegeben im Jahr [15]33, am 17. September.
3. Kontextualisierung Am 4. August 1533 nennen die »Schreinsbücher« Bruyn und seine Frau Agnes als Nutznießer einer Erbrente von zehn Goldgulden, welche auf den Häusern Carbunckel und Aldegryn bei St. Alban lastete. Als Schreinsbücher (im Schrein, in der Truhe verwahrte Bücher) bezeichnet man in Köln die von ca. 1130 bis zu der Aufhebung durch die französischen Besatzungsbehörden (1798) geführten Verzeichnisse von Grundstücksgeschäften. Die Aufzeichnungen beziehen sich auf Käufe, Vererbungen, Teilungen, Schenkungen, Verpfändungen sowie auf Übertragung von beschränkt dinglichen Rechten. Laut diesen Büchern besaß das Ehepaar Bruyn noch zwei Anteile an diesen Häusern: ein Drittel von vier Fünfteln und ein Fünftel, die von dem Maler Johann Voess und dessen Tochter Styngin stammten. Mehr als die Hälfte (8/15) war folglich in anderer Hand. Da die Zahlung der Rente nicht geleistet werden konnte, erklärte ein Schöffenurteil die beiden Häuser für verfallen, und der Maler und seine Frau wurden nun alleinige Eigentumsinhaber beider Häuser. Die Anschreinung geschah – nach der zweiten Urkunde – wenige Wochen später, am 17. September desselben Jahres.20 Der »Rentenkauf« war einer der wichtigsten Faktoren im Wirtschaftsleben einer mittelalterlichen Stadt.21 Der Verkäufer einer Rente sagt auf der Grundlage seines Besitzes dem jeweiligen Käufer zu, ihm jährlich zu bestimmten Bedingungen eine bestimmte Geldsumme oder Naturallieferung auszuhändigen. Der Rentkäufer zahlt dem Verkäufer dafür einmalig einen ausgehandelten Gegenwert. Der Verkäufer stellt, um die Auszahlung der Rente zu garantieren, gewisse, in der Renturkunde beschriebene Sicherheiten. Dabei ist auch eine Rückkaufklausel der Rentenverpflichtung fast die Regel. Die Zahlung hatte jährlich oder an festgelegten Tagen zu erfolgen. Dabei gab es die Möglichkeit, den Termin um zwei oder vier Wochen zu überschreiten. Die Höhe der Rente war abhängig von der Lage und Beschaffenheit des Radizierungsobjektes. Die Leibrente ist, im Gegensatz zur Ewigrente oder Erbrente, auf das Leben des Rentenempfängers beschränkt, und kann daher nur von diesem in Anspruch genommen werden.
20 21
MERLO 1895, Sp. 129; FIRMENICH-RICHARTZ 1891, S. 10f. CREMER 1937, und – an einem Kölner Beispiel aufgezeigt – ELTEN 1996.
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Diese Praxis findet nun auch im Falle des Ehepaars Bruyn Anwendung. Nur wenige Wochen nach dem Ausstellen der ersten Urkunde fallen beide Häuser an Bruyn und seine Frau. Die erste Rate konnte von den Rentenverkäufern nicht erbracht werden und Bruyn gewährte augenscheinlich keine längere Frist, um eine Nachzahlung zu ermöglichen. Warum diese Härte, warum wurde kein Aufschub gewährt? Wie ist der Immobilienkauf zu interpretieren? Welche möglichen Motivationen begründeten Bruyns Handeln? Im Folgenden sollen drei Ansätze präsentiert werden, die Erklärungsmodelle liefern: Erstens wird ein Bezug zu Stefan Lochner hergestellt, zweitens wird nach den Arbeitsbedingungen gefragt und drittens wird der Frage nachgegangen, ob eine Werkstattkontinuität aufgebaut werden sollte. Die beiden Häuser können anhand der Schreinsbücher lokalisiert werden. Sie befanden sich in der Altstadt, gegenüber dem Eingang zu St. Alban und in der Nähe des Gürzenich22, dem Kaufhaus der Stadt, welches im 15. Jahrhundert Tanzhaus war. Neben diesem stand die städtische Münze. Es war das vornehmste Stadtviertel, hier wohnten zahlreiche wohlhabende Kaufleute. Rathaus und Dom befanden sich in unmittelbarer Reichweite. Das erste der beiden Häuser zome Carbunckel lag auf der Ecke der Straße In der hellen, die nach Westen in die Schildergasse (also Malergasse) mündete. Im Süden dieses Hauses schloss sich das Haus zome alden Grijn an, welches in den ältesten Quellen keinen selbstständigen Namen führt. Es ist auf dem ursprünglichen Hof vom Carbunckel errichtet. Das Haus zume Aildengryne war das ältere; es hatte seinen Eingang in dem südwärts zur Seite liegenden Gäßchen. Vor diesem Hause lag an der Straße die Hofstätte des Eckhauses zome Carbunckel; als man diese bebaute, wurde der Neubau mit dem Aildengryne in unmittelbaren Zusammenhang gebracht, wie dies die Konstruktion des Daches zeigte.23 1451 wurde neben dem Haus Lochners ein Pestfriedhof errichtet: kirchen staende tusschen myn Heinrich Hardevuyst huyse eyne ind Steffain Locheners des meilres huyse an die andere syden reichtz vermessen haint, so dat die selve plaetze den vurg.24 Wie in der Biographie bereits anklang, lässt sich nachweisen, dass vor Bruyn die Häuser im Besitz weiterer Maler waren. Dies kann bis zu dem berühmten Stefan Lochner zurückverfolgt werden. Erwarb Bruyn die Häuser, weil er über Lochner sein Ansehen, seine soziale Stellung, seine Werkstatt, seine Malerei aufwerten wollte?25 22
PFOTENHAUER 1993. MERLO 1852, S. 117, Anm. 2. 24 MERLO 1895, Sp. 834. 25 So fragt, die Antwort offen lassend, bereits VOGTS 1954/55, S. 320. 23
Bartholomäus Bruyn der Ältere in Köln
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Zu Stefan Lochner sind nur wenige biographische Daten überliefert.26 Über seinen Geburtstag ist nichts bekannt, ferner wird nur gemutmaßt, dass er vom Bodensee stammt. Fassbar wird er erstmals im Juni 1442: 'Sein Name wird bei der Aufstellung der Ausgaben für den Festschmuck im Zusammenhang mit dem Besuch Kaiser Friedrichs III. genannt. Im selben Jahr erwirbt er ein Haus, welches er zwei Jahre später wieder veräußert, um am 18. Oktober die in unserer Quelle angesprochenen Häuser zu kaufen. Er übernahm sich damit jedoch finanziell und belastete die Häuser bald mit einer Schuld. Im Juni 1447 erwarb er das Bürgerrecht und wurde in den Rat gewählt. Das Jahr darauf nahm er wieder einen Kredit auf seinen Besitz auf. 1450 wurde er erneut in den Rat gewählt; auf der Ratsliste von 1451 ist sein Name durchgestrichen und mit einem Kreuz versehen, er scheint also während der Amtsperiode verstorben zu sein, man vermutet im September an der Pest. Es muss hier offen bleiben, ob Bruyn dieses Haus hauptsächlich im Gedenken an Stefan Lochner kaufte, oder ob dieses Haus durch seine Raumaufteilung und Belichtung für ein Maleratelier besonders geeignet war. Vielleicht spielten auch beide Faktoren eine Rolle und erklären, warum Bruyn so energisch den Alleinbesitz des Hauses verfolgte. Auffällig ist, dass sich das Haus oft in der Hand von Malern befand. So erwarb im Jahr 1453 Hans Memmingen von Jacob Wyse, einem Wappensticker und Zunftgenossen, die beiden Häuser. Ein weiterer Maler kann 1508 ausgemacht werden. Es handelt sich hierbei um Johann Voess. Dessen Tochter wurde am 4. August 1533 Eigentümerin des Teils der beiden Häuser, den ihre Eltern vormals erworben hatten, sowie der darauf lastenden Erbrente. Am selben Tag noch übertrug sie nebst ihren Eltern die Eigentums- und Nutzungsrechte an Bartholomäus Bruyn. Diesen Malern lassen sich keine Werke zuordnen und es sind auch kaum biographische Daten bekannt.27 Sie scheinen aber zumindest finanziell abgesichert gewesen zu sein; andernfalls hätten sie sich die Häuser aller Wahrscheinlichkeit nach nicht leisten können. Dass verschiedene Maler in diesen Häusern gewirkt haben, verweist auf günstige Arbeitsbedingungen: eine gut gelegene Werkstatt mit ausgezeichneten Lichtverhältnissen, ausreichendem Arbeits- und Lagerraum, entsprechendem Wohnraum für Gesellen und Lehrlinge. Wahrscheinlich ist – für Lochner und die weiteren Maler –, dass jeweils im Erdgeschoss die Arbeitsräume eingerichtet waren und die oberen Stockwerke dem Wohnen vorbehalten blieben bzw. auch als Lagerräume dienten. Der Amtsbrief der Maler 26 27
CHAPUIS 2004. MERLO 1852, S. 152–154 (Johann Voess) und S. 134–136 (Hans von Memmingen).
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in Köln gibt keine Beschränkung in Bezug auf die Zahl der Lehrlinge28 oder Gesellen an, allerdings verbietet die Ordnung von 1371–96 das Anwerben von Gesellen.29 Ferner war es möglich, kurzfristig mehr Kräfte einzustellen, die dann im Haus zusätzlich unterzubringen waren. Bruyn hatte mit beiden Häusern auch für weitere Arbeitskräfte genügend Räume zur Verfügung. Diese Präferenz für bestimmte Immobilien lässt sich beispielsweise auch für den eine Generation älteren Michael Wolgemut, dem Lehrer Dürers und bedeutendem Maler, Bildschnitzer und Graphiker, feststellen. Dieser erwarb 1479 ein Haus und richtete darin seine Werkstatt ein, von dem rekonstruiert werden kann, dass sowohl Maler, als auch ein Goldschmied Vorbesitzer waren.30 Dass eine große Werkstatt auch ökonomisch sinnvoll war, zeigt ein Blick auf die wirtschaftliche Situation der Stadt: Die Auftragslage kann für die erste Hälfte des 16. Jahrhunderts als gut erachtet werden. So stifteten wohlhabende Bürger einzelne Gewölbe, Fenster, Altäre, Gemäldezyklen und anderes. Die Stadt Köln war zu Lebzeiten Bruyns eine der größten und mit 40.000 bis 45.000 Einwohnern bevölkerungsreichsten Städte im Heiligen Römischen Reich. Für die Auftragssituation der Künstler dürfte die Tatsache nicht ganz unerheblich gewesen sein, dass die Reformation nie in der Stadt Fuß fassen konnte und – anders als beispielsweise in Augsburg – es zu keinem wesentlichen Rückgang in der Auftragslage kam. Somit kann davon ausgegangen werden, dass Bruyn kontinuierlich weiter Aufträge für religiöse Werke erhielt, die schon aufgrund des größeren Formats eine entsprechende Produktionsstätte benötigten. Der Zeitpunkt des Kaufs scheint auch aus einem weiteren Grund willkommen gewesen zu sein, denn vermutlich trat in diesem Zeitraum sein Sohn Arnt in die Werkstatt ein bzw. war im ersten Lehrjahr. In Köln fand in diesen Jahren ein Konzentrationsprozess auf wenige leistungsfähige Werkstätten statt. Als einer dieser potenten Betriebe kann der von Bruyn angesehen werden, was beispielsweise auch der Großauftrag für den Kreuzgang des Kölner Kameliterklosters von 1547 verdeutlicht, an dem er mit seinen Söhnen, folglich der gesamten Werkstatt, gearbeitet hat. Der Vergleich mit der Cranach-Werkstatt drängt sich auf, der – wie in diesem Band berichtet – ebenfalls in seinen Räumen derartige Großaufträge zu bewerkstelligen hatte. Bruyn schuf in Köln mit seiner leistungsstarken Werkstatt für das Kölner Karmeliterkloster (vermutlich) über 100 Gemälde, von denen nur 28
HUTH 21967, S. 18, vermerkt, dass von Riemenschneider überliefert ist, er habe zwölf Lehrlinge in Würzburg beschäftigt. 29 LOESCH 1907, Bd. 1, S. 135–141. 30 STRIEDER 1994, S. 116.
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noch eines (die »Versuchung Christi«) erhalten ist.31 Es hat die Maße von 184 x 119 cm. Da davon auszugehen ist, dass die verschollenen anderen Leinwandgemälde ähnliche Formate aufzuweisen hatten, muss der Raumbedarf im Bruyn’schen Atelier beachtlich gewesen sein. Wie in der Biographie schon angesprochen teilte Bruyn bereits fünf Jahre vor seinem Tod das Haus unter seinen fünf Kindern auf. Zu diesem Zeitpunkt kann davon ausgegangen werden, dass Arnt und Bartholomäus zusammen in der Werkstatt ihres Vaters arbeiteten. Arnt und zwei weitere Geschwister übertrugen ihren Anteil am Erbe im Jahre 1557 an Bartholomäus den Jüngeren. Arnt erwarb sechs Jahre später ein anderes Haus und errichtete dort seine Werkstatt.32 Vierzehn Jahre später trat auch das letzte Familienmitglied den Anteil ab, so dass Bartholomäus d.J. nun das ganze Erbe besaß. Dass er diese Häuser nicht allein bewohnte, sondern auch vermietete, geht aus der Bürgerliste des Kirchspiels St. Alban von 1574 hervor.33 Ob dies auch für die Zeit seines Vaters der Fall war, ist nicht verifizierbar – möglicherweise fehlen nur die Quellen dafür. Es wäre möglich, dass die Werkstatt des Sohnes umfangreicher war und folglich keine weitere Einmietung stattfand. Die Erbrente, die auf den Häusern lastete, konnte 1568 von Bartholomäus d.J. abgegolten werden.34 Ferner war es ihm möglich, zwei Renten über fünf bzw. zehn Taler zu erwerben. So scheint es, dass er trotz der wenigen erhaltenen Werke ein erfolgreiches Geschäft führte oder auf andere uns unbekannte Einnahmequellen zurückgreifen konnte. Die Geschichte des Hauses zeigt, dass zumindest über zwei Generationen der Werkstattbetrieb erfolgreich geführt wurde und die Investitionen, die Bartholomäus Bruyn d.Ä. durch den Hauskauf tätigte, nicht nur ihm und seinen Aufträgen zugute kamen, sondern sich auch langfristig in Hinblick auf die Kontinuität der Werkstatt positiv auswirkten.
Literatur BAUMEISTER 1932 – BAUMEISTER, Wilhelm: Die Kölner Malerfamilie Bruyn und ihre Ausgänge, in: Jahrbuch des Kölnischen Geschichtsvereins 14, 1932, S. 224–245.
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TÜMMERS 1964, S. 107, siehe auch SCHMID 1991, S. 49–53. FIRMENICH-RICHARTZ 1891, S. 28. 33 BAUMEISTER 1932, S. 231. 34 TÜMMERS 1964, S. 136 (Nachtrag zur) Urk. 21. 32
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BEISSEL 21889 – BEISSEL, Stephan: Die Bauführung des Mittelalters. Studie über die Kirche des hl. Victor zu Xanten, (ND der 2. verm. Aufl. Freiburg i.Br. 1889) Osnabrück 1966. CHAPUIS 2004 – CHAPUIS, Julien: Stefan Lochner. Image Making in FifteenthCentury Cologne, Turnhout 2004. CREMER 1937 – CREMER, Otto: Der Rentenkauf im mittelalterlichen Köln. Nach Schreinsurkunden des 12. bis 14. Jahrhunderts, Würzburg 1937. ELTEN 1996 – ELTEN, Josef van: Kapitalmarkt: Die Stadt verkauft der Pfarre St. Paul eine Erbrente, 22. Februar 1498, in: Joachim Deeters und Johannes Helmrath (Hgg.): Quellen zur Geschichte der Stadt Köln, Bd. 2: Spätes Mittelalter und Frühe Neuzeit (1396–1794), Köln 1996, S. 136–141. FIRMENICH-RICHARTZ 1891 – FIRMENICH-RICHARTZ, Eduard: Bartholomaeus Bruyn und seine Schule. Eine kunsthistorische Studie, Leipzig 1891. HABICH 1929 – HABICH, Georg: Die deutschen Schaumünzen des XVI. Jahrhunderts, Bd. I.1, München 1929. HUTH 21967 – HUTH, Hans: Künstler und Werkstatt der Spätgotik, (1. Aufl. Augsburg 1923) 2. erw. Aufl. Darmstadt 1967. IRSIGLER / SCHMID 1992 – IRSIGLER, Franz und Wolfgang SCHMID: Kunsthandwerker, Künstler, Auftraggeber und Mäzene im spätmittelalterlichen Köln, in: Jahrbuch des Kölnischen Geschichtsvereins 63, 1992, S. 1–54. KEUSSEN 1910 – KEUSSEN, Hermann: Topographie der Stadt Köln im Mittelalter, Bd. 1, (ND der Aufl. Bonn 1910) Düsseldorf 1986. LOESCH 1907 – LOESCH, Heinrich von: Die Kölner Zunfturkunden nebst anderen Gewerbeurkunden bis zum Jahre 1500, Bd. 1: Allgemeiner Teil, Bd. 2: Spezieller Teil, (ND der Aufl. Bonn 1907) Düsseldorf 1984. MERLO 1895 – MERLO, Johann Jakob: Kölnische Künstler in alter und neuer Zeit. Johann Jakob Merlos neu bearb. u. erw. „Nachrichten von dem Leben und den Werken kölnischer Künstler“, hg. von Eduard Firmenich-Richartz, (ND der Aufl. Düsseldorf 1895) Nienkoop 1966. MERLO 1852 – MERLO, Johann Jakob: Die Meister der altkölnischen Malerschule. Urkundliche Mitteilungen, Köln 1852. PFOTENHAUER 1993 – PFOTENHAUER, Angela: Köln. Der Gürzenich und Alt St. Alban (Stadtspuren. Denkmäler in Köln, Bd. 22). Köln 1993. ROELEN 2000 – ROELEN, Martin Wilhelm: Wesel – Haarlem – Köln. Neues zum Verwandtschaftsverhältnis der Maler Jan Joest und Bartholomäus Bruyn d.Ä., in: Werner Arand (Bearb.): Neue Schätze. Städtisches Museum Wesel. Auswahl aus den Neuerwerbungen 1994–2000, Wesel 2000, S. 12–22. SCHAEFER 2001 – SCHAEFER, Iris: Zunftordnung und Werkstattpraxis Kölner Maler des Spätmittelalters, in: Genie ohne Namen. Der Meister des Bartholomäus-Altars, hg. von Rainer Budde und Roland Krischel, Köln 2001, S. 108–116.
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SCHMID 1991 – SCHMID, Wolfgang: Kölner Renaissancekultur im Spiegel der Aufzeichnungen des Hermann Weinsberg (1518–1597), Köln 1991. SCHULZ 1997 – SCHULZ, Günther: Zünfte und politische Strukturen in Köln. Die Beteiligung des Handwerks am Stadtregiment vom Verbundbrief bis zur napoleonischen Zeit (1396–1796/97), in: Hans-Jürgen Gerhard (Hg.): Struktur und Dimension, (...), 2 Bde., hier Bd. 1: Mittelalter und Frühe Neuzeit, Stuttgart 1997, S. 388–406. STRIEDER 1994 – STRIEDER, Peter: Michael Wolgemut – Leiter einer „Großwerkstatt“ in Nürnberg, in: Lucas Cranach. Ein Maler-Unternehmer aus Franken, Regensburg 1994, S. 116–123. TÜMMERS 1996 – TÜMMERS, Horst-Johs: Bruyn, Arnt, in: AKL, Bd. 14, 1996, S. 614. TÜMMERS 1964 – TÜMMERS, Horst-Johs: Die Altarbilder des Älteren Bartholomäus Bruyn. Mit einem kritischen Katalog, Köln 1964. VOGTS 1954/55 – VOGTS, Hans: Zum Gedächtnis an Barthel Bruyn den Älteren (1493–1555), in: Jahrbuch des Kölnischen Geschichtsvereins 29/30, 1954/55, S. 319–331. WESTHOFF-KRUMMACHER 1965 – WESTHOFF-KRUMMACHER, Hildegard: Barthel Bruyn der Ältere als Bildnismaler, München 1965.
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Albrecht Altdorfer in Regensburg Testament und Nachlassinventar als Quellen zu Besitz und Hausrat des Künstlers1 1. Vita Im Bürgerbuch der Stadt Regensburg konnte seit dem 13. März 1505 die Zeile Albrecht alltarffer maler von Amberg gelesen werden. Der Maler, Graphiker, Baumeister und spätere Ratsherr Albrecht Altdorfer hat die freie Reichsstadt für fast 33 Jahre, bis zu seinem Todestag, dem 12. Februar 1538, zu seiner Heimat gemacht. Seinerzeit trug sie für Humanisten den Namen Ratisbona und beherbergte wohl 10.000 bis 15.000 Einwohner. Mitten im Territorium der bayerischen Herzöge befindlich, gehörten nur wenige außerhalb der Stadtmauern gelegene Ländereien der Reichsstadt, so dass hohe Zölle auf der Donau und den Handelsstraßen den Warenaustausch in Regensburg erschwerten und die Prosperität der einst florierenden Handelsstadt einschränkten. Dennoch muss sich der Künstler in dieser größeren Stadt, die erst 1492, gegen den Willen der bayerischen Herzöge, durch den Eingriff Kaiser Maximilians I. wieder zur reichsunmittelbaren Stadt geworden war, bessere Chancen für sein Arbeiten und Fortkommen ausgerechnet haben als bei einem Verbleib in Amberg. Altdorfers Entscheidung für eine Zukunft in Regensburg sollte sich, wenn auch keineswegs problemlos, so doch im Wesentlichen als richtig erweisen. Das Licht der Welt wird Albrecht Altdorfer wohl nach 1480 erblickt haben.2 Zu den Orten von Geburt und Lehrjahren sind keine Quellen vorhanden. Fest steht, dass er gegen Ende des Landshuter Erbfolgekrieges in die Stadt Regensburg kam und zuvor in Amberg gelebt haben muss. Bald nach 1
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Der Vf. promoviert zum Thema an der Universität Trier. Für neueste Forschungsergebnisse siehe DERS.: Albrecht Altdorfers Haltung zur Reformation – Testament, Nachlass und ein Erbteilinventar als Pfade in die historische Lebenswirklichkeit, in: Hegener, Nicole und Schwedes, Kerstin (Hgg.): Künstler und der Tod. Testamente europäischer Künstler vom Spätmittelalter bis zum 2. Jahrhundert [im Druck]. WINZINGER 1975, S. 145–151 (Quellen zu Altdorfer); Winziger ist bezüglich der Gemälde Altdorfers die maßgebliche Monographie, zur Druckgraphik Altdorfers siehe MIELKE 1988. Zu Altdorfer als Baumeister siehe PAULUS 1987.
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der Einbürgerung nahm er seine Werkstattarbeit auf. Für das Jahr 1506 sind die ersten signierten Druckgraphiken bestimmbar und für das folgende Jahr seine ersten signierten kleinformatigen Gemälde. Zwischen 1508 und 1510 zog ihn Joseph Grünpeck zur graphischen Ausgestaltung seines Geschichtswerks Historia Frederici et Maximiliani heran. Jener Grünpeck war als Sekretär Kaiser Maximilians I. nach Regensburg gekommen, wo er 1505 eine Poetenschule eröffnen durfte. 1508 wurde Altdorfer als Siegelbittzeuge eines Hausverkaufes genannt. Im folgenden Jahr erhielt er den ersten Auftrag der Stadt Regensburg, dem weitere folgen sollten, wie die Gestaltung einer Medaille, eines Vorhangs und ähnlicher Gelegenheitsarbeiten. Seine Beteiligung – neben Albrecht Dürer – an den künstlerischen Unternehmungen Maximilians I. zwischen 1512 und 1518 machte es ihm wohl möglich, schon 1513 ein mitten in der Stadt befindliches, turmbewehrtes Patrizierhaus in der Oberen Bachgasse am Vitusbach zu erwerben. Da in dem Kaufvertrag auch seine Frau genannt wird, muss Altdorfer bereits mit Anna – ihren Mädchennamen kennen wir nicht – verheiratet gewesen sein. Zwei Jahre nach dem Hauskauf, 1515, begann sein Aufstieg in der städtischen Hierarchie mit einem Posten in der »Wildwercherwacht«, welcher sein Haus zugehörte. Sie war eine von acht Wachten im Stadtgebiet, denn Regensburg war wegen seiner Größe nicht in Stadtviertel, sondern in Stadtachtel eingeteilt.3 Die Bürger der einzelnen Wachten waren militärisch erfasst und wurden zu Wachdiensten eingeteilt. Die Aufsicht in den Wachten hatten die Wachtmeister oder Wachtherren mit ihren Wachtschreibern und -bütteln, die die feuer-, bau-, fremdenpolizeiliche und soziale Kontrolle in der jeweiligen Wacht ausübten. 1517 wurde Altdorfer in den Äußeren Rat der Stadt aufgenommen. Der Äußere Rat hatte Mitspracherecht in städtischen Steuerfragen, bei Rentenverkäufen, bei der Aussendung von Gesandtschaften, in Kriegsangelegenheiten und bei der Erbringung städtischer Abgaben für Kaiser und Reich. Nur fünf Jahre nach dem Erwerb des Patrizierhauses in der Oberen Bachgasse kaufte Amberger ein weiteres Gebäude in der Spiegelgasse. Im Jahr darauf, 1519, verhandelte er zusammen mit dem Rat die Vertreibung der Juden aus Regensburg, worauf deren Ausweisung beschlossen wurde. Vor dem Abbruch ihrer Synagoge fertigte Altdorfer allerdings zwei Radierungen derselben an. An der Stelle der abgebrochenen Synagoge wurde zunächst eine hölzerne Kapelle der »Schönen Maria« errichtet.
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FEES-BUCHECKER 1998, S. 37. Mit weiterführender Literatur siehe am Beispiel Nürnbergs TACKE 2001, bes. S. 36–39.
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Seit 1520 gebührte ihm als Hansherrn, also einem Beisitzer des Hansgrafen, die Aufsicht über das innerstädtische Handwerk. Dem Hansgrafen unterstand ein Gremium von 12 Beisitzern, die ihn in seinen Aufgaben beratend unterstützten. Er war auch Vorstand der Sondergerichtsbarkeit der Kaufleute und des Gewerbes; es war das wichtigste Amt neben dem des Kämmerers. Fünf Jahre später wird er als Verwalter des Ingolstädter Seelhauses genannt. Im darauf folgenden Jahr, 1526, wählte man ihn in den Inneren Rat, womit er gleichzeitig zum Stadtbaumeister avancierte. Dem Inneren Rat oblagen die Regierungsgeschäfte; er übte die legislative Gewalt aus, fungierte als Gerichtsinstanz und vergab verschiedene Ratsherrenämter. In seinem Amt als Stadtbaumeister konzipierte Altdorfer zunächst den Weinstadel und das städtische Schlachthaus. Zeitgleich mit dem Beginn der Bauarbeiten nahm er an Verhören von österreichischen Wiedertäufern teil. Seine herausragende Stellung im Rat macht die Wahl zum Kämmerer am 18. September 1528 deutlich, der den Vorsitz im Rat für ein Quatember, ein Viertel des Jahres, führte, eine Ehrung und Verpflichtung, die er ablehnte. Als Begründung nannte er die Vollendung eines Herzog Wilhelm von Bayern versprochenen Gemäldes. Dabei kann es sich nur um die sog. »Alexanderschlacht« gehandelt haben, die zu einer vom Herzog 1528 in Auftrag gegebenen Folge von hochformatigen Historienbildern gehörte, an der mehrere Künstler arbeiteten. Nach dem Tod seiner Frau am 27. Juli 1532 kaufte Altdorfer ein stattliches Anwesen mit Garten unter den wolburchern gelegen; die Straße war später als Wollwirkergasse bekannt. Er baute das Anwesen um, schmückte es mit geschweiften Renaissancegiebeln und machte es zu seinem bevorzugten Wohnsitz. Direkt neben seinem Turmhaus in der Oberen Bachgasse, welches er weiterhin unterhielt, lag das Regensburger Augustinerkloster, zu dessen Propst und Pfleger er 1534 bestellt wurde. Das Augustinerkloster beherbergte seit 1524 auch das von Joseph Grünpeck gegründete Gymnasium poeticorum. Insgesamt erwarb Altdorfer drei Häuser. Jenes in der Spiegelgasse verkaufte er mit seiner Frau zwar nach vier Jahren wieder, die beiden übrigen stattete er jedoch mit einer reichen häuslichen Einrichtung aus. Zu dem Besitz des Patrizierhauses in der Oberen Bachgasse gesellten sich 1530 zwei Weinberge. Zudem erwähnt das Inventar seines Nachlasses eine kleine Pretiosen- und Kunstsammlung und weitere Gegenstände wie zahlreiche Waffen und eine Handorgel. Die dreißiger Jahre des sechzehnten Jahrhunderts werden Altdorfer, berücksichtigt man die enorme Anzahl seiner politischen Verpflichtungen, kaum ermöglicht haben, seinem Beruf als Maler nachzugehen. Darauf weisen nicht zuletzt die Ratsprotokolle und die wenigen heute bestimmbaren Bilder aus dieser Zeit hin. Gemäß den Protokollen hatte er beispielsweise
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1533 so viele auswärtige Termine wahrzunehmen, dass ihm die Stadt den Hafer für sein Pferd ersetzte. In den Dokumenten dieser Jahre taucht er nirgends mehr als Maler auf, sondern wird stets als Baumeister bezeichnet, wovon auch sein Grabstein zeugt. 1535 wurde er persönlich mit dem Auftrag betraut, für die in Ungnade gefallene Stadt Regensburg bei König Ferdinand in Wien vorzusprechen. Die Arbeiten für Maximilian I., den Vater Ferdinands, hatten ihm wohl gute Beziehungen zum Haus Habsburg eingebracht. Es gelang ihm, den Herrscher zu besänftigen. Im selben Jahr vollendete man in Regensburg den von Altdorfer beaufsichtigten Neubau des Marktturms. In seinen letzten Lebensjahren wird er den am Ende seiner Lehrzeit befindlichen Hans Mielich in seiner Werkstatt beschäftigt haben. Albrecht Altdorfer starb am 12. Februar 1538 in Regensburg. Seine Ruhestätte fand er neben seiner Frau Anna in der Augustinerkirche. Sie war bereits 1532 dort beigesetzt worden.
2. Quelle Auszüge (die ausgeklammerten Stellen werden in der Übertragung ins Neuhochdeutsche paraphrasiert) aus Testament und Nachlassinventar Albrecht Altdorfers, Regensburg 1538. BOLL, Walter: Albrecht Altdorfers Nachlass, in: Münchner Jahrbuch der bildenden Kunst, N.F. Bd. 13, 1938/39, S. 91–102. Zitiert werden von Boll die beiden Originalhandschriften aus dem Historischen Museum Regensburg (ohne Signatur). Von dem von Walter Boll edierten Testament und Nachlassverzeichnis Albrecht Altdorfers ausgehend wurden hier eine Abschrift und eine Übertragung ins Neuhochdeutsche angefertigt. Eckige Klammern weisen auf Zusammenfassungen, Ergänzungen und anderweitige Eingriffe in den Originaltext hin. Die von Boll vorgegebene Form ist nicht beibehalten worden, Trennungen und Interpunktion wurden der besseren Lesbarkeit halber eingefügt oder angepasst. 2.1. Testament 1538. Testament vnd letzter Will, Herrn Albrechten Altdorffer, Weylendt burger vnd des Innern Rates zu Regenspurg. [...] Erstlich bezeug Ich das, So der almechtig Got uber mich ist gebieten, das Ich alsdan wil ersterben als ain warer cristenlicher mensch, in dem waren Heiligen cristenlichen gelauben, vnd bevilch hyerumb vnd darauff
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mein seel, so die von meinem leib abgeschaiden, Got Irem Schopffer, die selben in ewige freud vnd seligkait zu empfahen, Meinen verstorben Corper In der augustiner kirchen zu meiner lieben Hausfrauen selige vnter meinen Stain zu begraben. Item an Stat des Seel geräths, so bishere mit erstem, sibenden vnd dreißigisten nach menschlichem fund im brauch gewest, des Ich nit beger noch haben wil, schaff ich den armen durfftigen in das gmain almusen alhie ain pecher vnten vmbhere mit welschen angesichtlen, sambt seinem Deckel vergult, den Ich meiner lieben Hausfauen seligen zur morgengab gegeben habe. Item dem Hans Pferinger Stadlmaister vnd Jörgen Riem küeffer als mein erkiesten vnd von mir erpeten Testamentarien, schaff Ich Ir iedem ain silbren löffl mit aim langen stil fur Ir mue vnd fleiß, so si vngezweifelt meinet halben, wie Ich in des getrau, biß zu Voltziehung vnd entschafft meins Testaments fürwenden werden. Item dem Hansen meinem leer Junger vnd lieben Diener schaff Ich zwaintzig gulden Rheinisch, vnd was er mir sonst in Rechnung schuldig worden were, laut meiner Register, oder sonstn wie sich die selb schuld zu tragen oder erfunden würde oder kunthe, der selben sag Ich In aller frei, mussig, quit, ledig vnd loß. Sol auch darumb von meinen erben vnangesprochen sein vnd bleiben, dan Ich Ime die selben hiemit nachgelassen vnd geschenckt haben wil, Item meiner kelnerin Clara ylpeckin Schaff Ich über iren Lidlon ain gulden Rheinisch zu geben, über das auch meinen all teglichen Rockhe, Item So hat mir Hans Söldnerin In Pauung meines Hauß vnter den wolburchen, getreulichen furgestreckt vnd gelihen Sechtzig gulden Rheinisch, vnd Ir Tochterlein viervndzwaintzig goldkronen. Ist mein letzter wil vnd geschefft, das Sy vor allen geltern bedachter Sümma bezalt werden, vnd sol darumb obbedachts mein Hauß Ir fur vnd vnterpfand sein, wer solch Hauß besitzen wil, der solle benante muter vnd tochter Ir ausstendigen obberurte schulden zuvor gentzlichen entrichten, Item Herrn Statschreiber Schaff Ich ain eingefaste Elend Clau in silber, Ist ain Pecherl, Item was über solhes alles, so Ich hiemit verschafft hab, meiner güter uberbeleiben, nach voltziehung ditz meines letzten willens vnd bezalung meiner Schulden Soll alles vnd yedes, es sei aufligend, oder varend, wie die namen haben, nichts besondert noch ausgenommen, meinen lieben geschwistergetn, M. Erharten altdorffer vnd seinen zwaien Schwestern (oder Iren eeleiblichen kindern) meinen rechten naturlichen leiblichen geschwistergetn, als meinen rechten naturlichen pluterben, nachvolgen zusteen vnd werden, on aller menigclichs verhinderung, einrede vnd wider-
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sprechen in albeg, die Ich dan hiemit zu deme allen zu meinen waren rechten und unzweifenlichen erben gesatzt vnd Instituirt haben will. [...] Vnd zu noch merer gezeugknus hab Ich erpeten die Erbern Hansen Forster, Hansn Hueffeisen, Andre Eisenkeck, Balthasar widman, Andreen Haiden, Linhartn Praun, vnd Hansen Halder, all Siben Burgere zu Regenspurg, die bei solcher ordnung, als Ich die in meinen Handen gehabt personlich gegenwertig gewest, vnd mein verwilligung damit vernomen vnd gehort haben, das sy des allen mein warhafftig vnd gepethen Zeugen seien, als offt das not thun wirdet. Vnd zu noch merer bekrefftigung vnd guter sicherhait aller obgeschriben sachen hab Ich in beiwesen der ietzbenantn siben gezeügen mit sonderm Vleiß gebeten den vorgemelten Erhartn Nidermair Vngeltschreiber an stat der Fürsichtigen Ersamen vnd weisen mein gonstigen lieben Herrn, Camerer vnd Rathes der Stat Regenspurg, das Ir fürsichtigkait ditz mein geschefft mit irem vnd gemainer Stat anhangenden Secrete Insigl bekrefftigt haben, doch Inen Iren nachkommen vnd gemainer Stat on schaden. [...] Das alles ist geschehen am Erichtag nach Scolasticae der Heiligen Junckhfrauen tag. Nach Cristi vnsers lieben Herren gepurt funfftzehen Hundert vnd im acht vnddreissigisten Jare. [...] (Übertragung ins Neuhochdeutsche) 1538. Testament und letzter Wille Herrn Albrecht Altdorfers, einst Bürger und [Mitglied] des Inneren Rates von Regensburg. [Das Testament beginnt mit einleitenden Worten zur Beschaffenheit und allgemeinen Gültigkeit des Dokuments, einem Hinweis auf eine körperliche Krankheit Altdorfers als Grund für die Abfassung sowie Worten zur eigenen Glaubenshaltung.4] Als erstes bezeuge ich, dass ich, sofern der allmächtige Gott es über mich geboten hat, dann sterben will als ein wahrer Christenmensch in dem wahren, heiligen, christlichen Glauben, und befehligen will ich deshalb und darauf meine Seele, sobald sie von meinem Leib geschieden ist, Gott, ihrem Schöpfer, um dieselbe in ewiger Freude und Seligkeit zu empfangen, meinen verstorbenen Körper in der Augustinerkirche zu meiner lieben Hausfrau selig unter meinem Stein zu begraben. Ferner an Stelle des Seelgeräts [für Seelenmessen], wie es bisher am ersten, siebenten und dreißigsten [Tag] nach menschlichem Fund [Todestag] Brauch gewesen [ist], was ich nicht wünsche noch haben will, vermache ich den armen Bedürftigen im hiesigen gemeinen Almosen einen Becher, unten herum mit welschen Gesichtlein [geschmückt], samt seinem Deckel vergol4
Zur Einleitung und ihrer Funktion siehe WOLLGAST 1992, S. 40f.
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det, den ich meiner lieben Hausfrau selig zur Morgengabe gegeben habe. Weiter dem Hans Pferinger, Stadelmeister, und Jörg Riem, Küfer, als den von mir erwählten und erbetenen Testamentsvollstreckern, vermache ich jedem einen silbernen Löffel mit einem langen Stiel für ihre Mühe und Fleiß, die sie zweifellos meinetwegen, wie ich ihnen das zutraue, bis zur Vollziehung und Durchführung meines Testamentes aufwenden werden. Weiter dem Hans [wahrscheinlich Hans Mielich], meinem Lehrjünger und lieben Diener, vermache ich zwanzig Rheinische Gulden, und was er mir sonst nach Abrechnung noch schuldig geworden wäre, meinen Registern zufolge oder sonstwie die Schuld abzutragen [wäre] oder gefunden würde oder könnte, spreche ich ihn dieser aller frei, müßig, quitt, ledig und los. Er soll darum auch von meinen Erben nicht angesprochen werden und [unbehelligt] bleiben, da ich ihm diese [Schulden] hiermit nachgelassen und geschenkt haben will. Ferner meiner Verwalterin Clara Ylpeckin vermache ich über ihren [festen] Lohn [hinaus] einen Rheinischen Gulden, darüber hinaus auch meinen Alltagsrock. Weiter hat mir Hans Söldners [Witwe] beim Bau meines Hauses unter den wolburchern [heute Weitoldstraße, ehemals Teil der Wollwirkergasse] getreulich sechzig Rheinische Gulden5 vorgestreckt und geliehen und ihr Töchterlein vierundzwanzig Goldkronen.6 Es ist mein letzter Wille und Vermächtnis, dass sie vor allen Gläubigern die genannte Summe bezahlt bekommen und dafür soll mein oben angeführtes Haus ihnen Vor- und Unterpfand sein. Wer dieses Haus besitzen will, der soll benannter Mutter und Tochter ihre [noch] ausstehenden, oben genannten Schuldenforderungen zuvor gänzlich entrichten. Weiterhin dem Herrn Stadtschreiber überlasse ich die eingefasste Elchklaue aus Silber, das ist ein kleiner Becher. Weiterhin, was über all das hinaus, was ich hiermit vermacht habe, von meinen Gütern überbleibt nach Vollzug dieses meines letzten Willens und der Bezahlung meiner Schulden, soll alles und jedes, sei es liegend oder beweglich, wie die benannten, nichts gesondert noch ausgenommen meinen 5
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Der Rheinische Gulden wurde von den rheinischen Kurfürsten geprägt und entsprach seit 1419 vorschriftsmäßig drei Vierteln des Florenus, einer Goldmünze aus Florenz, die aufgrund ihres stetigen Wertes große Verbreitung erfuhr; FRIEDENSBURG 1976, S. 49f. Im 16. Jahrhundert ist es ein Rechnungsgulden. Bei den Goldkronen wird es sich um die aus Frankreich stammende Couronne d’or handeln, die später auch Écu à la couronne genannt wurden. Erstmalig wurde diese Goldmünze unter Philipp VI. im Jahre 1340 geschlagen; sie verlor zuerst unter Karl VI., dann unter Karl VII. und auch später ein wenig an Feingehalt. Dennoch war sie als Handelsmünze sehr begehrt und wurde deshalb in den Niederlanden nachgeprägt.
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lieben Geschwistern M[eister] Erhart Altdorfer und seinen zwei Schwestern (oder ihren ehelichen Kindern), meinen rechten, natürlichen, leiblichen Geschwistern, als meinen rechten natürlichen Bluterben und Nachfolgern zustehen und ihres werden, ohne irgendeines Verhinderung, Einspruch und Widerspruch auf alle Zeit, die ich dann hiermit zu alledem, zu meinen wahren, rechten und unbezweifelbaren Erben gesetzt und instituiert haben will. [Im Anschluss werden die Rechte und Pflichten der beiden Testamentsvollstrecker bestimmt und der Kämmerer und der Rat der Stadt um seine Hilfe bei der Umsetzung des letzten Willens gebeten. Die schriftliche Fassung des Testaments sollte der geschworene Stadtschreiber Hans Reisolt liefern, der aber verhindert war; deshalb hat er den Ungeldschreiber Erhart Nidermair abgeordnet, die schriftliche Fassung nach den Anweisungen Altdorfers fertigzustellen.] Und zu weiteren Zeugen habe ich gebeten die ehrbaren Hans Forster, Hans Hueffeisen, Andre Eisenkeck, Balthasar Widman, Andreas Haiden, Linhart Praun und Hans Halder, alle sieben Bürger von Regensburg, die bei dieser Anordnung [meines letzten Willens], als ich sie in meinen Händen hatte, persönlich gegenwärtig waren und meinen letzten Willen damit vernommen und gehört haben, auf dass sie von all Diesem meine wahrhaftigen und gebetenen Zeugen seien, so oft dies nötig sein wird. Und zu noch stärkerer Bekräftigung und guter Sicherheit aller oben geschriebenen Sachen habe ich in Anwesenheit der ebenbenannten sieben Zeugen mit besonderem Fleiß den zuvor gemeldeten Ungeldschreiber Erhart Nidermair an Stelle der umsichtigen, ehrsamen und weisen, mir wohlwollenden, lieben Herren, [des] Kämmerers und der Ratsherren der Stadt Regensburg gebeten, dass ihre Umsichtigkeit dieses mein Testament mit ihrem und der Stadtgemeinde anhängenden Sekretsiegel zu bekräftigen, doch ihnen, ihren Nachkommen und der Stadtgemeinde ohne Schaden. [Es folgt die Bestätigung des Ungeldschreibers Nidermair, dass er in Vertretung Reisolts den letzten Willen Altdorfers aufgezeichnet und mit seinem Siegel bekräftigt habe.] Das alles ist geschehen am Dienstag [12.2.] nach dem Tag der heiligen Jungfrau Scholastika [10.2.] im 1538. Jahr nach der Geburt Christi, unseres lieben Herrn. [Es folgt mit lateinischer Gültigkeitsformel die Unterschrift des Verfassers Erhardus Nidermair.]
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2.2. Nachlassinventar 1538. Inventarj Herrn Albrechten Alttdorffer weylendt burger vnd des Rates seligen gelassen Hab vnd guetere. Ao d. 38. am Erichtag nach Appolonie Virginis, seindt vß bevelh ains erbern Camerer vnd Rates, Herrn Albrechten Altdorffers weylent burger vnd des Innern Rates alhie gelassen hab vnd guetere In beywesen Hansen Lincken vnd Wolfgangen Schwellers, durch mich Georgen Heyder Herrn Statschreybers Substituten, Inventiert und beschriben worden, wie hernach volgt. Erstlich Item die behausung mit sambt dem garten gelegen vnter den wolburchern. Item mer ain behausung Im pach gelegen. In der stuben Item 4 gemalte tuecher, Item 1 ain stainer tisch, Item 2 Furpenck, Item ain morser mit ainem strempfl, Item ain stuel, Item 2 kupffren kupfferling, Item 2 messen spritzen, Item ain kupffres kiermuelterl, Item ain gieß Castl mit Zin beschlagen darin, Item etlich brieff, Item ain zwikopffige kandl, Item 2 kopff kandl, Item ain messen schusslring, Item ain wecker an der wandt, Item ain grien furhang für ain fenster, Item ain gwandt pürsten, Item 2 schwartze tefel, Item ain sessl, Item ain trettes leffl fueter Im malstübl Item ain klains tischl, Item 2 penck, Item ain gemalte messene klingen, Item ain stuel, Item ein messes leimbpfendl, Item ain Castl mit farb, Item ain gemalte tafel, Item ain furhang fur ain fenster, Item ain klains truhel, Item 3 klaine gemalte ledl In ainem klain kemerl Item ain weisse tafel, Item 2 kunst puecher, Item ain Cestl derInn seine wein register ligen, Item ain gantzen schreiner zeug, Item ain stuel, Item 2 truhel darInn truckte kunst In ainer Camer Item 1 himel peth, Item ain strosack, Item 2 vnter pether, Item ain feder deck, Item 2 feur spiegl, Item ain grien furhang, Item ain stahel mit ainer winten, Item ain rapier, Item 2 lange messer, Item ain truhen darIn, Item 24 handtuecher, Item 15 tischtuecher, Item 2 padt pfaiden, Item 18 tisch facaletl, Item ain Casten darIn, Item 1 pfaidt, Item 1 trumbl leinbat, Item 2 par leilach, Item 4 messen kopff, Item 10 Haubtuecher, Item mer 1 leilach, Item ain klains staines tischl, Item ain ziner keßkorb, Item ain puchssen mit Irer Zugeherung, ain sidl truhen, Item 9 facaletl, Item ain schwart-
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zen ainfachen rock, Item ain kemblen rock mit ainem grien vnter fueter, Item ain schwartzen rock mit ainem ranuchen vnterfuetert, Item 3 par hosen, Item 3 arlessene schwarze wames, Item ain rots leibrockel, Item ain fueteral mit pfeiffen, Item ain schwartz paret In ainem klain sidel truchel Item 1 stuckel schamlat zu ainem wames, Item sechs pfeitten, [gestrichen: Item 1 scher zeug mit aller seiner zugehörung], Item ain Casten, Item ain griene seidene deck, Item ain schwartze schamlotene schauben mit schwartzen vnterfuetert, Item ain pader scherzeug, Item ain trimbl leimbat, Item ain schwartz atlases wames, Item 5 stuckel leinbat, Item ain stuckel zu tischtucher, Item 9 p. leilach, Item 3 grien arlasen furheng, Item ain graben habet, Item ain klains truhel mit etlichen perchamenen vnd sonst andern prieffen, Item ain Rayt watschger, Item 2 pulfer fessl, Item ain tessacken, Ain truhen darInn, Item ain clains truhel mit etlichen brieffen, Zway lefftl darInn auch brieff, Ain puchssen darInn ain silber vergulter pecher mit 3 fuessen, vnd ainer deck, mer ain puchssen, darInn ain silbren vergulten pecher mit 3 fuessen vnd ainer deck, Item ain silbres vergults knoretes pecherl mit ainer silbren vergulten deck, Item ain guldes knoretes pechel mit ainer gulden deck, Item ain silbres vergults magollain mit ainer deck, Item ain gulden schinpecher mit ainem vergulten fueß vnd ainer deck, Item 3 silbren schinpecher vnd daruber ain deck, Item 2 silbren schinpecher, Item ain silbres magollein, Item ain silbrer knoreter pecher mit 3 vergulten fuessen vnd ainer silbrer deck, Item ain silbres schelel, Item 4 silbren leffl, Item 10 leffl mit silber beschlagen, Item ain klains prust tuechel mit perlein, Item ain karnolen geschniten pater noster mit 5 vergulten pollen vnd ain vergult margram pild, Item ain runden karnolen pater noster mit 8 vergulten pollen, vnd ainem pisten apffl, Item ain karellen pater noster mit 9 vergulten pollen, vnd ainem vergulten vnter marck, Item ain karellen pater noster mit 6 vergulten knopfen vnd ainem silbren vergulten puechel, Item ain painen pater noster mit 11 vergulten pollen vnd mit ainem silbren vergulten vnter marck, Item ain glesren pater noster mit 14 vergulten pollen vnd ainem vergulten vnter marck, Item ain mistler pater noster mit 6 silbren pollen, Item ain hultzen pater noster mit ainem achstainen vnter marck, Item ain klain karelles pater nosterl mit 6 silbren pollen, vnd mit vnser frauen vnter marck, Item 5 karellen vnd ainem gulden pollen, Item ain perlen pentl, Item ain guldes pörtl mit 5 vergulten speigl, glimpffen vnd senckl silbren vnd vergult, In ainem klain lefftl sein silbres Secret vnd sein silbres petschafft mit ainem stil, Item ain gulden ring darInn sein petschafft geschniten, Item ain gulden ring mit einem spitzigen demuet, Item 1 guldes ringl mit ainem turckes, Item 2 gulden ring mit robin, Item ain guldes ringl
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mit ainem rubin vnd demuet tefel, Item ain gulden ring mit ainem grien geschnitten stain [...]. [in einer Kammer, unter anderem] Item ain gemaltes tuechel mit ainem margen pild, Item ain gemalte tafel, Item mer ain tefel hat der albrecht Irher gemalt [...]. Im watschgo Item ain petschafft ring, Item ain guldes ringl mit ainem turckas, Item ain guldes ringl, Item vier ungerisch alt gulden, Item ain silbren ring mit gelidern, Item 1 ainkürn In silber eingefast, Item In ainem peitel etlich alt haidnisch pfening, Item In einem peitelein etlich alt haidnisch pfening guet vnd pöß, Item ain alts messer mit silber beschlagen vnd vber gult, Item mer etlich alts gelt [...]. (Übertragung ins Neuhochdeutsche) 1538. Inventar der vom seligen Herrn Albrecht Altdorfer, Bürger und Ratsherr, hinterlassenen Habe und Güter. Im Jahr des Herrn 38, am Dienstag [12.2.] nach dem Tag der Jungfrau Apollonia [9.2.] sind auf Befehl des ehrbaren Kämmerers und des Rates, die hinterlassene Habe und die Güter des verstorbenen Herrn Albrecht Altdorfer, Bürger und Ratsherr des Inneren Rates allhier, im Beisein von Hans Linck und Wolfgang Schweller, durch mich Georg Heyder, des Herrn Stadtschreibers Substituten7, inventarisiert und beschrieben worden, wie hiernach folgt. Zuerst: das Haus mitsamt dem Garten, gelegen unter den wolburchern; eine weitere Behausung Im pach [Obere Bachgasse] gelegen. In der Stube: 4 gemalte Tücher, 1 Tisch mit steinerner Tischplatte, 2 bewegliche Bänke, 1 Mörser mit einem Stößel, 1 Stuhl, 2 kupferne Wasserkessel, 2 Messingspritzen, 1 kleine kupferne Mulde, 1 gegossenes Kästchen mit Zinn beschlagen, darin etliche Urkunden, 1 Zweiköpfelkanne8, 2 Köpfelkannen, 1 Messingschüsselring, 1 Wecker an der Wand, 1 grüner Vorhang für ein Fenster, 1 Kleiderbürste, 2 schwarze [Schreib- ?] Tafeln, 1 Sessel, 1 gedrehtes [gedrechseltes] Löffelfutteral.
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Der Substitut ist hier entweder als Vertreter des Stadtschreibers gemeint oder als dessen Assistent. Das Regensburger Köpfel war ein Volumenmaß und betrug 0,833 Liter, was für diese Kanne mit zwei Köpfeln ein Volumen von etwa 1,67 Litern ausmachte. Bei den in Regensburg üblichen Volumenmaßen für Bier und Wein entsprach 1 Fuder im Verhältnis 12 Eimern, 720 Köpfeln, 1440 Seideln, 2960 Quartln, 5920 Achterln; VERDENHALVEN 1998, S. 29, 83.
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Im Malstübchen: 1 kleines Tischchen, 2 Bänke, 1 bemalte Messingklinge [Malmesser], 1 Stuhl, 1 Leimpfännchen aus Messing, 1 Kästchen mit Farbe, 1 gemalte Tafel [Tafelgemälde], 1 Vorhang für ein Fenster, 1 kleine Truhe, 3 kleine gemalte Täfelchen [oder Lädchen/Kästchen] In einer kleinen Kammer: 1 weiße Tafel, 2 Kunstbücher, 1 Kästchen, in dem seine Weinregister liegen, 1 ganzes Schreinerzeug9, 1 Stuhl, 2 Truhen mit gedruckter Kunst. In einer Kammer: 1 Himmelbett, 1 Strohsack, 2 Unterbetten, 1 Federdecke, 2 Feuerspiegel [Wärmestrahler], 1 grüner Vorhang, 1 Armbrust mit einer Winde, 1 Rapier, 2 lange Messer [einschneidige Schwerter]; 1 Truhe, darin: 24 Handtücher, 15 Tischtücher, 2 Badhemden, 18 Tischtaschentücher [Servietten]; 1 Schrank, darin: 1 Hemd, 1 Rolle/Trommel Leinen, 2 Paar Bettlaken, 4 Messingbehälter zu 1 Köpfel, 10 Kopftücher/Haubentücher, weiterhin 1 Bettlaken; 1 kleines steinernes Tischchen, 1 Käsekorb aus Zinn, 1 Büchse [Handfeuerwaffe] mit ihrem Zubehör; 1 Sitztruhe: 9 Taschentücher, 1 schwarzer einfacher Rock, 1 kemler10 Rock mit grünem Unterfutter, 1 schwarzer Rock mit Pelz unterfüttert, 3 Paar Hosen, 3 schwarze Wämser aus Arlasgewebe11, 1 rotes Leibröckchen, 1 Futteral mit Pfeifen, 1 schwarzes Barett; In einer kleinen Sitztruhe: 1 Stück Schamlott12 zu einem Wams, 6 Hemden, [gestrichen: 1 Scherzeug mit allem Zubehör]; 1 Schrank: 1 grüne Seidendecke, 1 schwarze Schaube aus Schamlott mit schwarzem Unterfutter, 1 Baderscherzeug, 1 Abschnitt Leinwand, 1 schwarzes Wams aus Atlas13, 5 Stückchen Leinwand, 1 Stückchen zu Tischtüchern, 9 paar Bettlaken, 3 grüne Vorhänge aus Arlasgewebe, 1 grauer Habit [Umhang], 1 kleine Truhe mit etlichen Pergamenten und anderen Urkunden, 1 Reittasche, 2 Pulverfässchen, 1 Tesak [Dussak, ein breites böhmisches Krummschwert]; 9
Zum Schreinerwerkzeug siehe PESCH 1981, S. 93–104. Kemler oder Kemlein war ein aus Kämmlingen stammender Wollstoff mittlerer bis einfacher Qualität; ZANDER-SEIDEL 1990, S. 400. 11 Arlas oder Arras war ein hauptsächlich für Röcke und Schauben verwendetes Wolltuch, welches im flämischen Arras entstanden ist. Für den Beginn des 16. Jahrhunderts ist die Fertigung dieser Tuche für Nürnberg belegt; ebd., S. 398. 12 Schamlott war ein hochwertiger Wollstoff mit Ziegen- oder Kamelhaaranteil. 13 Atlas zählte neben Damast und Samt zu den hochwertigsten Seidenstoffen, welcher ursprünglich importiert und seit 1530 auch im Nürnberger Predigerkloster hergestellt, 10
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1 Truhe: darin, 1 kleine Truhe mit etlichen Urkunden, 2 Schachteln, ebenfalls mit Urkunden; [Bechersammlung] eine Büchse, darin 1 dreifüßiger vergoldeter Silberbecher und 1 Deckel; eine weitere Büchse, darin 1 dreifüßiger vergoldeter Silberbecher und 1 Deckel, 1 kleiner vergoldeter silberner Buckelbecher mit vergoldetem Silberdeckel, 1 kleiner goldener Buckelbecher mit 1 goldenen Deckel, 1 vergoldetes Magöllein14 aus Silber mit 1 Deckel, 1 goldener Schinbecher15 mit 1 vergoldeten Fuß und 1 Deckel, 3 silberne Schinbecher und darüber Deckel, 2 silberne Schinbecher, 1 silbernes Magöllein, 1 silberner Buckelbecher mit 3 vergoldeten Füßen und 1 Silberdeckel; 1 silbernes Schälchen, 4 Silberlöffel, 10 Löffel mit Silber beschlagen, 1 kleines Brusttuch mit Perlen; [Rosenkranzsammlung] 1 Rosenkranz aus geschnittenen Karneolen [Halbedelstein] mit 5 vergoldeten Knoten und 1 vergoldeten Magram Bild [Marienbild], 1 Rosenkranz aus runden Karneolen mit 8 vergoldeten Knoten und 1 Nussapfel/Bisamapfel16, 1 Korallenrosenkranz mit 9 vergoldeten Knoten und 1 vergoldeten Untermark17, 1 Korallenrosenkranz mit 6 vergoldeten Knoten/ Knöpfen und 1 vergoldeten Silberbüchlein, 1 Rosenkranz aus Elfenbein mit 11 vergoldeten Knoten und 1 vergoldeten Silberuntermark, 1 Rosenkranz aus Glas mit 14 vergoldeten Knoten und 1 vergoldeten Untermark, 1 Rosenkranz aus Mistelholz mit 6 silbernen Knoten, 1 hölzerner Rosenkranz mit einem Untermark aus Achat oder Bernstein, 1 kleiner Korallenrosenkranz mit 6 silbernen Knoten und einem Untermark mit unserer lieben Frau, 5 Korallenknoten und 1 Goldknoten, 1 Perlenband, 1 goldener Gürtel mit 5 vergoldeten Spangen, medaillonartigen Applikationen und Riemenzunge aus Silber und vergoldet, in einer kleinen Schachtel sein silbernes Sekretsiegel und sein silbernes Siegel mit einem Stiel, 1 goldener Ring mit seinem aber nach den dortigen Inventaren vor allem zur Produktion von Haustextilien verwendet wurde; ebd., S. 398. 14 Es handelt sich hierbei um einen kleinen, meist silbernen Becher, auch Magelel genannt; GÖTZE 71967, S. 154. 15 Schinbecher waren glänzende, also polierte Becher. 16 Die Quelle spricht von einem pisten apffl, was Boll als Pistazie ausdeutet; BOLL 1938/39, S. 99, Anm. 52, Wahrscheinlicher ist jedoch der verbreitete Bisamapfel, eine Kugel mit stark riechendem Moschus, welche man an kurzen Ketten ums Handgelenk trug; EGGER 1984, S. 41. 17 Die in der Quelle als unter marck benannten Objekte bezeichneten für den Rosenkranz kleinere Markierungszeichen für das Abzählen der Gebete, wobei ein Untermark meist das Vater unser nach jeweils zehn Ave Maria anzeigt. Da die Quelle jeweils nur von einem Untermark je Rosenkranz spricht, könnte es sich bei diesen aber auch um Applikationen wie um Anhänger oder Medaillen handeln.
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eingravierten Siegel, 1 goldener Ring mit einem spitzen Diamant, 1 goldenes Ringlein mit einem Türkis, 2 goldene Ringe mit Rubinen, 1 goldenes Ringlein mit einem Rubin und Diamanttafeln, 1 Goldring mit 1 grünen geschnittenen Stein. [Es folgt die Gesellenkammer, in der neben einem Spieß zwei Kerzenleuchter und etliches Schreinerwerkzeug auffallen, dann die Kammer der Hausverwalterin, die Speisekammer, der Hausflur und eine Stube, in denen gewöhnliche Haushaltsgegenstände verzeichnet sind. In der auf die Stube folgenden Kammer enthielt ein Schrank neben vielen Haushaltsgegenständen, wie Kannen, Leuchtern, Schüsseln, einem Weihwasserkessel und Winzerzubehör, auch ein Schlachtschwert, ein Bohrschwert18, fünf kleine und große Armbrüste, einen Handdegen und eine Handorgel. Eine einzeln aufgeführte, der Diele oder der letztgenannten Kammer zugehörige Truhe enthielt unter anderem seinen Harnisch mit Zubehör und zwei Schwerter.] 1 gemaltes Tuch mit einem Marienbild, 1 gemalte Tafel, eine weitere Tafel hat der Albrecht Ihrer [Dürer]19 gemalt, [Eine ebenda befindliche Sitztruhe barg neben einer Armbrust einen schwarzen Pelzrock und einen Leibrock aus Damast20 und Pelz. Im Raum selbst sind neunzehn kleine und große Bücher und zwei Reiseuhren genannt worden. Es folgen ein Streitross in einem Stall, mit allem Zubehör, der Hof und die Küche mit Haushalts- und Küchengegenständen, wobei in der Küche auch ein Kunstbuch zu finden ist.] Im Watschker21: 1 Siegelring [wahrscheinlich mit einer antiken Gemme], 1 Goldring mit Türkis, 1 kleiner Goldring, 4 alte Ungarische Gulden, 1 Silberring mit gelidern [Gliedern oder Lederteilen], 1 Einhorn in Silber eingefasst, etliche alte heidnische Pfennige in einem Beutel, etliche heidnische Pfennige, gute und schlechte22 in einem kleinen Beutel, 1 altes Messer mit Silber beschlagen und vergoldet, weiterhin etliches altes Geld. 18
Ein prater / pratspieß, den man heute Bohrschwert nennt, wurde zum Stoßen benutzt; und hatte daher eine recht starre Klinge und einen sehr spitzen Ort; ORTENBURG 1984, S. 42. Es befindet sich im Nachlassinventar an dieser Stelle ein prater. Der pratspieß ist in der Diele des Turmhauses zu finden; BOLL 1938/39, S. 102. 19 Schon Boll (ebd., S. 100, Anm. 59) vermutet, dass dem Schreiber an dieser Stelle der ihm genannte Albrecht Dürer unbekannt gewesen sein muss und der Name Ihrer durch die Assimilation des D entstand. 20 Damast war einer der hochwertigsten Seidenstoffe, die in Nürnberg für das Bürgertum zugelassen waren. Dabei blieb deren Benutzung für Leibröcke, Wämser, Goller und Hosen ausschließlich dem Patriziat vorbehalten; ZANDER-SEIDEL 1990, S. 399. 21 Diese am Gürtel zu befestigende Tasche oder Beutel, z. B. zum Transport von Wertsachen; ebd., S. 233–235, wurde offenbar bei Altdorfer in der Küche aufbewahrt. 22 Gemeint ist hier der Erhaltungszustand der Münzen.
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[Es folgt der Keller mit etwa 20 Eimern23 heurigen Weines und die zweite Behausung des Nachlassinventars in der Oberen Bachgasse. Sie gliedert sich in das Turmzimmer, was wohl das oberste der Geschosse ausmacht, einen Dachboden, drei Kammern und ein unteres Geschoss. Die Räume enthalten etliche Gegenstände, deren ungeordnetes Auftreten und das Anhäufen unterschiedlichster Dinge in den einzelnen Räumen jedoch darauf hinweisen, dass sie wohl eher als Abstellkammern genutzt und nicht ständig bewohnt wurden. In einer der Kammern fand sich die gemäß dem Testament für den Stadtschreiber Reisolt bestimmte eingefasste Elchklaue.]
3. Kontextualisierung Beide Quellen, Testament und Nachlassinventar, sind taggenau datiert, und zwar jeweils auf den Dienstag (Erichtag) nach St. Scholastika und St. Apollonia, woraus sich in beiden Fällen der 12. Februar ergibt. Altdorfer muss wohl bald nach der Abfassung seines Testaments gestorben sein. Die Annahme liegt nahe, dass er von einer Krankheit dahingerafft worden ist, die er sich kurz zuvor zugezogen hatte. Während seiner Nachlassverfügung war er, wie er selbst sagte, bereits mit schwachait [s]eines leibes beladen24, aber dennoch bei vollem Bewusstsein. Im Haus wird nach seinem Ableben nichts Erhebliches verändert worden sein, denn die Aufnahme des Nachlassinventars am selben Tag muss gröbere Eingriffe von außen, aber auch jeden Versuch, Ordnung zu schaffen, verhindert haben. Die bei der Aufnahme des Testaments gegenwärtigen Zeugen – sie stammten wohl aus der unmittelbaren Umgebung – vermitteln den Eindruck, dass diese eilig und insofern willkürlich zusammengerufen worden sind. Auch hatte Altdorfer nach dem Stadtschreiber geschickt, welcher wegen eigener amtlicher Verhinderung den so genannten Ungeldschreiber, also den Steuerschreiber Erhard Nidermair zu ihm schickte. Altdorfer muss wohl eine besondere Beziehung zum Stadtschreiber gehabt haben; denn sonst finden im Testament die einzelnen Herren des Rates namentlich keine Erwähnung. Er vererbte diesem einen Silberbecher in Form einer Elchklaue, obwohl der Erbetene nicht anwesend war. Die Stube, die wohl das Zentrum der am Anfang genannten Räume darstellte, zeugt von der Behandlung des Kranken, vermutlich aber auch von der Totenwaschung. Hier finden sich Mörser und Stößel, kupferne Wasserkessel, eine Mulde, zwei Spritzen, drei Kannen, ein Schüsselring und mitten 23 24
Ein Eimer war ein Volumenmaß, wobei 20 Eimer etwa 1000 Litern entsprachen. BOLL 1938/39, S. 95.
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in der Aufzählung ein Kästchen mit gegossenen Metallteilen und Zinnbeschlägen, in dem sich Urkunden befanden. Dieses Kästchen hatte wohl mit der Aufnahme des Testamentes zu tun. Altdorfer hinterließ fast den gesamten Besitz seinen Geschwistern, dem Bruder und Maler Erhard, seiner Schwester Magdalena aus Pfreimd und seinen Nichten Margarete und Barbara, welche nach dem Tod seiner Schwester Aurelia mit ihrem Vater in Nürnberg lebten. Albrecht muss demnach eine recht gute Beziehung zu seinen Geschwistern gehabt haben. Er selbst nennt sie in seinem Testament seine lieben Geschwister. Altdorfer, der nach sechsjähriger Witwerschaft verstarb, war bis zuletzt kinderlos geblieben. So ging der Besitz auf die weit verstreuten Familienmitglieder über, wobei er nicht hoffen konnte, dass die Geschwister die Gebäude weiter nutzten. Tatsächlich wurden die beiden Anwesen verkauft. Das Anwesen in der Wollwirkergasse, also das im Nachlassinventar zuerst aufgeführte, wurde von allen oben genannten Erben aus der Familie am Pfinztag nach Philippi et Jacobi, also dem 2. Mai 1538 an den Schultheißen und Ratsherrn Ambrosius Aman für 200 Gulden veräußert.25 Das Turmhaus verkaufte Bruder Erhart erst 1541 an den Apotheker Hans Miltiz und erhielt dafür dreihundertfünfzig Gulden.26 3.1 Das Anwesen mit Haus, Nebengebäuden und Garten Am 24. September 153227, also weniger als zwei Monate nach dem Ableben seiner Frau am 27. Juli, kaufte Altdorfer das Anwesen unter den wolburchern von Linthart Stör für 136 Rheinische Gulden. Dem Testament zufolge hatte er sich zusätzlich von der Frau Hans Söldners 60 Rheinische Gulden und von deren Tochter 24 Goldkronen zum Umbau des Hauses geborgt, diese Schulden jedoch bis zu seinem Tode nicht begleichen können. Das heute von den Gebäuden der Kreuzschule überbaute Anwesen mit seinen Renaissancegiebeln ist uns in einem Aquarell von Christian Ludwig Boesner aus der Zeit um 1850 überliefert (Museum der Stadt Regensburg). Altdorfer hat es vergleichsweise günstig erworben, in einem Stadtteil, der eher Vorstadtcharakter hatte. Wenn man bedenkt, dass sein Bruder Erhart für das Turmhaus in der Oberen Bachgasse 1541 350 Rheinische Gulden erhalten sollte, war das Anwesen unter den wolburchern mit 136 Rheinischen Gulden um mehr als sechzig Prozent günstiger erstanden. Das erwor25
Ebd., S. 95, Anm. 22. Ebd., S. 97, Anm. 26. 27 Am Erichtag nach St. Haymeram, also am Dienstag nach St. Emmeram, dem am 22.09. in Regensburg gefeierten Heiligen; GROTEFEND 1892, S. 159. 26
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bene Anwesen war demnach zunächst kein repräsentatives Objekt; Altdorfer scheint an erster Stelle also keine selbstdarstellerische Motivation angetrieben zu haben, sondern er folgte anderweitigen Überlegungen. Trotz fehlender Geldmittel schmückte er das Haus mit Renaissancegiebeln und wird dabei zumindest dem geforderten Zeitgeschmack nachgekommen sein, wenn er dadurch nicht sogar seinen ästhetischen Anspruch als Baumeister zu manifestieren beabsichtigte. Das Haus gliederte sich in neun Wohnräume. Im Nachlass nannte man den Stall, noch bevor man auf den Hof zu sprechen kam, von dem man in die Küche und den Keller gelangte. Lässt man den Stall unberücksichtigt, so erfolgte eine Trennung der Wohnräume durch eine Diele, die zwischen der Speisekammer und einer Stube lag. Betrachtet man unter diesem Blickwinkel das Aquarell Boesners, so können die Gebäudeteile mit den Renaissancegiebeln als ursprünglich angesehen werden, woraus sich ergibt, dass die im Testament angesprochene Diele mit dem Verbindungsstück zwischen den dem Betrachter zugewendeten Giebelfronten zu identifizieren ist. Damit zählt der südliche, vermeintlich größere Gebäudetrakt sieben Räume. Die Stube ist darin als Zentrum des gesellschaftlichen Lebens anzusehen, denn sie wird in süddeutschen Testamenten meist an erster Stelle aufgeführt. Das bald darauf genannte malstübl und die kleine Kammer dürften wohl nebeneinander gelegen haben, stehen sie doch im Nachlassinventar zwischen der Stube und Altdorfers Schlafkammer. Stube und Schlafkammer wiederum enthalten Hinweise, dass auch sie unmittelbar nebeneinander gelegen haben müssen. So wären die schon angeführten in der Stube befindlichen Instrumente der Krankenheilung und Totenwaschung zu nennen, die noch wenige Stunden zuvor an Altdorfers Sterbebett Verwendung fanden. Zudem barg die eben erwähnte Kammer die dem Maler zugehörenden Utensilien, womit sie eindeutig als dessen Schlafkammer identifiziert werden kann. Die in der Nachlassaufzählung folgenden Kammern wurden größtenteils als Schlafräume genutzt und lagen wohl in der darüber liegenden Etage. Rekonstruiert man die Räumlichkeiten anhand der darin befindlichen Gegenstände, so wird die zunächst unerwartete Aufteilung von vier Räumen im Erdgeschoss, gegenüber zwei Räumen im Obergeschoss, als folgerichtig zu erachten sein. Befanden sich doch zwei Himmelbetten in der Kammer der Hausmagd wie in der Gesellenkammer, die auch noch einen Tisch beherbergte, was in beiden Fällen für große Räume spricht. Und es war nicht zuletzt weit mehr Raum für den Umgang der bis zum Dachboden reichenden Treppe nötig als im darunter liegenden Geschoss.
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3.2 Kleidung und die dafür verwendeten Textilien Die von Altdorfer gewählten Textilien ermöglichen uns einen Zugang zur Selbstdarstellung des Künstlers. Annähernd die Gesamtheit seiner Kleider verwahrte er in zwei Schränken und einer Sitztruhe in seiner Schlafkammer. Neben zwei Baretten, die in der Kammer der Hausmagd lagen, enthielt eine weitere Sitztruhe, die sich in der Abstellkammer des nördlichen Gebäudetraktes befand, zwei Kleidungsstücke von besonderem Interesse. Darunter war ein pelzgefütterter Leibrock aus Damast, einem der hochwertigsten Seidenstoffe. Der Leibrock war gegenüber dem offenen, über dem Wams getragenen Rock auf die Passform des Oberkörpers seines Trägers zugeschnitten. Getragen wurde er wohl anstatt des Wamses, das ebenfalls auf den Oberkörper zugeschnitten war, Ärmel besaß und bis zur Taille reichte. Der Leibrock wurde nach außen hin sichtbar getragen und galt somit als repräsentativ, wobei Seidenstoffe für dieses Oberteil außerhalb der führenden Gesellschaftsschichten vollständig zu fehlen scheinen. Der ebenda abgelegte schwarze Pelzrock wird wohl auch zu dieser Kategorie zu zählen sein. Ihre Lage weitab von der übrigen Garderobe und die von dieser abweichend verwendeten Stoffe lassen vermuten, dass Altdorfer sie nicht mehr verwendete. Statt dieser trug Altdorfer Kleidung aus Wollstoffen, wie Arlas, Schamlott und Kemler, welche in der Gesellschaft allgemein verbreiteter waren. Er verstaute seine Alltagskleidung in seiner Schlafkammer. Dazu gehörten eine Schaube, zwei Röcke, vier Wämser sowie drei Barette, allesamt schwarz. Farblich abweichend, sind dazu ein roter Leibrock und ein grauer Umhang zu zählen. Sein ebenfalls dazugehöriger dritter Rock war aus Kemler gefertigt, einem für Röcke üblicherweise verwendeten Wolltuch mittlerer Qualität, dessen Farbe nicht genannt wurde, aber mit absteigender Häufigkeit entweder Schwarz, Grau oder Leberfarben war. Altdorfers Kleidung kann im Vergleich mit anderen Nachlassinventaren, wo Schauben und Röcke sehr aufwändige und kostspielige Verbrämungen und Applikationen enthalten, somit als zurückhaltend, aber dennoch als qualitätvoll beschrieben werden. Lediglich ein schwarzes Atlaswams wäre eher einer hochwertigen Kategorie zuzuzählen. Die Pelze, Rauchwaren genannt, waren seinerzeit ein unumgänglicher Isolationsstoff für die Kleidung aller Schichten. Unterschiede gab es dennoch. So wurden, neben den üblichen Fellen von Schaf, Ziege, Fuchs, Iltis, Katze, Nerz, Otter und Wolf, in den patrizischen Oberschichten vor allem weiße und braune Marderfelle, teilweise auch Zobel und andere fremdländische Felle verarbeitet. Die Verfasser des Inventars fanden jedoch keine erwähnenswerten hochwertigen Pelze im Bestand des Malers, es sei denn, der schwarze Pelzrock war mit
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Zobelfellen ausgestattet. Gefüttert wurden neben dem Wams vor allem auch der Rock und die Schaube. Die Schaube war in der Regel ein dicker, mantelartiger Überwurf mit Ärmelschlitzen oder Ärmelansätzen bis hin zu ganzen Ärmeln. Auch die Anzahl der Schauben und Röcke Altdorfers ist hinsichtlich der hohen Stellung des Malers vergleichsweise bescheiden. Neben dem bisher Genannten besaß er drei Hosen, sieben Hemden, zwei Badehemden, ein Schamlottunterfutter für ein Wams und zehn Haubentücher, die unter dem meist schräg sitzenden Barett getragen wurden. Ein kleines Brusttüchlein mit Perlen und ein goldener Gürtel, welche sich den Platz in einer Truhe mit kostbaren Bechern, Rosenkränzen und anderem Schmuck teilten, haben wahrscheinlich seiner Gattin gehört. Da die Toten in der Regel nach der Waschung in einem Leichentuch beigesetzt wurden, ist davon auszugehen, dass die Sammlung der Kleidungsstücke Altdorfers vollständig ist. Auffällig ist dabei jedoch, dass keinerlei Schuhe oder Stiefel im Inventar genannt werden. 3.3 Waffen und deren Zubehör Die Räume beherbergten eine beträchtliche Anzahl von Waffen. Allein zehn Hieb- und Stichwaffen sind im Nachlassinventar zu finden. Sie stellen neben den sieben Armbrüsten des Haushalts die meistvertretene Waffengattung dar. Den kleineren Teil machten Äxte (partes), Stangenwaffen und Feuerwaffen aus. Dabei lagerten die für den Kriegsgebrauch geeigneten Waffen vor allem in der letztgenannten Kammer vor dem Hof. Wir finden ebenda, in einer Truhe, Altdorfers Harnisch mit Zubehör, zwei Schwerter, drei Streitäxte und eine Armbrust samt allen dazugehörigen Teilen. Darin waren auch Vogelbolzen enthalten. In der Kammer befanden sich weitere Kriegswaffen wie ein Schlachtschwert, was wohl ein großes Schwert, möglicherweise ein Kürißschwert28 oder ein Anderthalbhänder war. Weiterhin ist ein Bohrschwert29 erwähnenswert; ein zweites Exemplar befand sich im Turmhaus der Oberen Bachgasse. Altdorfer übte sich wohl auch in der Fechtkunst und benutzte dazu wahrscheinlich den in dieser Kammer bewahrten Handdegen. Daneben sind fünf Armbrüste aufgezählt, von kleinen bis zu großen, die wohl vorrangig für die Vogeljagd benutzt wurden und mit denen die zuvor genannten Vogelbolzen verschossen wurden. Ferner wird ein eiserner Handbogen angeführt, bei dem es sich um ein Ersatzteil 28
Das Kürißschwert wurde wohl vom geharnischten Reiter getragen. Die Benennung geht auf den Küraß zurück, jenen Harnischteil, der die Brust schützte. 29 Bohrschwerter sollten wie ein Dolch zwischen die Geschiebe des Plattenharnisches dringen und den Gegner damit verletzen; ORTENBURG 1984, S. 42.
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für eine Armbrust gehandelt haben muss, da dazugehörige Pfeile im Inventar fehlen. Gleich nach der Kammer, noch bevor man auf den Hof zu sprechen kommt, wird im Inventar der Stall erwähnt, in dem Altdorfers Pferd mitsamt Zaumzeug, Sattel und sonstigen Utensilien aufzufinden war. Die Gesellenkammer, also der Hans Mielich zugedachte Schlafraum, beherbergte einen Spieß. Dies war eine Lanze mit einer Stoßklinge und einem etwa 2,5 m langen Schaft, der vor allem von Fußtruppen benutzt wurde. Ein zweiter, sogenannter langer Spieß (die Länge umfasste ca. 4–5m), der ebenfalls von Fußtruppen getragen wurde, befand sich in Altdorfers zweitem Haus in der Innenstadt. Diese Waffen für alltäglichen sowie Kriegsgebrauch tauchen des Öfteren in den Gemälden Altdorfers wieder auf. Besondere Waffenexemplare enthielt die Kammer, welche Altdorfer selbst als Schlafraum diente. Darunter zählen zwei lange Messer30, eine Armbrust und eine Büchse (Handfeuerwaffe) samt Zubehör. Da neben diesen Kampfgeräten nur Gebrauchsgegenstände im Zimmer aufzufinden sind, können sie durchaus als Wehrinstrumente angesehen werden, wenn man sie nicht als für Altdorfer besonders wertvolle Ausstellungsstücke betrachten will. So verhält es sich wohl auch mit dem am selben Ort genannten Rapier, es sei denn man ordnet es in seiner doppelten Funktion als repräsentatives Wehrinstrument ausschließlich Altdorfers Garderobe zu. Altdorfer legte Wert darauf, dass sich seine Verteidigungswaffen in seiner Nähe befanden und jederzeit griffbereit zur Verfügung standen. In einer Truhe verwahrte er außerdem ein böhmisches Krummschwert, ursprünglich Tesak genannt, und zwei Pulverfässchen. 3.4 Zeugnisse seiner Sammeltätigkeit und humanistischen Bildung Neben zahlreichen Drucken und einem Tafelgemälde Albrecht Dürers31 ist die Sammlung von Silber- und Goldbechern, Rosenkränzen, Büchern, Uhren und Münzen hervorzuheben. Was die Bechersammlung betrifft, so können uns einige Druckgraphiken Altdorfers zu seiner eigenen Kollektion Aufschluss geben.32 Man kann vier Bechertypen unterscheiden: den Schinbecher, den Becher mit drei Füßen, 30
Lange Messer waren einschneidige Schwerter, die wie Säbel weniger für den Gebrauch gegen Harnische konzipiert waren, sondern ihre Effektivität gegen Kämpfer ohne Rüstung entfalteten; ebd., S. 42. 31 Zum künstlerischen Austausch mit anderen Künstlern und besonders mit Dürer siehe BUSHART 2004, S. 55–105. 32 MIELKE 1997, S. 65–93.
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den kleinen Buckelbecher und das Magöllein. Die Erwähnung eines einzelnen Fußes bei einem der Schinbecher legt nahe, dass wir uns die Schinbecher als Pokale vorstellen können. Sie machten mit sechs Stück die Mehrzahl der Becher aus. Von den kleinen Buckelbechern und den Magölleins waren jeweils zwei vorhanden. Der obere Rand eines Magölleins war etwas weiter und verjüngte sich zur Bodenfläche, ohne einen separat gearbeiteten Fuß zu besitzen. Die zwei in Büchsen verpackten teilvergoldeten Silberbecher mit drei Füßen und Deckel waren wohl von besonders hohem Wert, da sie einzeln in dafür vorgesehenen Behältern verstaut waren. Zu den letztgenannten sich ebenfalls zum unteren Rand verjüngenden Bechern gehörte noch ein weiterer mit Buckeln. Eine Reihe von Altdorfers Druckgraphiken zeigt unter anderem Deckelbecher, Buckelpokale und Doppelpokale. Ebenso zahlreich wie die Becher sind die hinterlassenen Rosenkränze. Auch sie wurden in der Truhe seiner Schlafkammer aufbewahrt. Für Altdorfer muss diese Truhe eine besondere Bedeutung gehabt haben, sind doch einige Gegenstände seiner Frau zuzuordnen. Hierzu zählen ein Brusttüchlein mit Perlen und ein goldener Schmuckgürtel sowie weitere Schmuckstücke, unter denen auch die Rosenkränze genannt werden. Diese Stücke stammen mit großer Wahrscheinlichkeit aus der Zeit vor ihrem Tod 1532. Als Materialien der insgesamt neun Gebetshilfen dienten, mit absteigender Häufigkeit, Koralle, Karneol, Holz, Glas und Elfenbein. Daran waren Applikationen befestigt, welche insgesamt fünfmal durch ein Untermark, einmal durch ein Marienbild und einmal durch ein Büchlein vertreten waren. Eine der fünf Untermarken an den Rosenkränzen trug ein Madonnenbildnis, die übrigen vier werden nicht weiter beschrieben. Auf ihnen dürften wohl verschiedene Heilige abgebildet gewesen sein. Darunter kann sich auch der in Regensburg besonders verehrte hl. Wolfgang befunden haben. Denn die beiden Eheleute sind kinderlos geblieben und der Heilige wurde vor allem bei Unfruchtbarkeit und Missgeburten angerufen. Die Verwahrung der Rosenkränze unter den Utensilien seiner Frau Anna könnte darauf hinweisen, dass sie bis zu ihrem Tode altgläubig geblieben ist.33 All diese Stücke wurden in einer Truhe in Altdorfers Schlafkammer aufbewahrt, doch finden wir weitere von Altdorfer gesammelte, über das Anwesen verstreute Gegenstände, die Rückschlüsse auf seine Person ermöglichen: Dass Zeitmessung und Zeiteinteilung eine zentrale Rolle im Leben des Malers spielten, darauf deuten die zahlreichen Uhren in seinem Besitz hin. Diese erfahren keine detaillierte Beschreibung im Inventar, aber Dank 33
Zur Geschichte des Rosenkranzes und dem Einfluss der Reformation siehe die Beiträge von Christian Hecht, Rolf Quednau, Robert Suckale und Andreas Tacke in dem Tagungsband von TACKE 2008.
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ihrer Benennung lassen sich ihre Form und Verwendung aufgrund noch überlieferter Modelle nachvollziehen. In der zentralen Wohnstube hing ein Wecker an der Wand. Im süddeutschen Raum baute man spätestens um 1500 Wanduhren, die in der Regel einen Stundenzeiger aufwiesen und teilweise mit einer Weckfunktion ausgestattet waren.34 Diese noch sehr einfachen Räderuhren konnten am Tag eine Toleranzabweichung von bis zu zwanzig Minuten aufweisen. Die Modelle in Altdorfers Besitz dürften schon ihrer exponierten Lage wegen auf einem neueren Stand gewesen sein, da sich die Uhrentechnik in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts rasch weiterentwickelte. Auch bot sich Altdorfer ein unkomplizierter Zugriff auf neue Modelle, da das nahe gelegene Nürnberg zu einem Zentrum der Uhrmacher geworden war. Dies zeigt vor allem eine Uhr in der Stube des nördlichen Gebäudetraktes, da sie sich etwas abseits befand und explizit als hultzene vr bezeichnet wurde. Es ist davon auszugehen, dass sie schon die Entwicklungsstufe der Uhren erreicht hatte, die eine reich verzierte Holzverkleidung aufwiesen. In der auf diese Stube folgenden Kammer bewahrte Altdorfer aus feineren Teilen bestehende und weit komplizierter aufgebaute Uhren auf, nämlich zwei so genannte Reiseuhren. Heute noch erhaltene Modelle von Dosenuhren, welche als Vorläufer der Reiseuhren gelten, geben uns eine Vorstellung von den frühen tragbaren Modellen, jedoch waren die Dosenuhren ihrer Bauart nach relativ ungeeignet für Reisen, da jede Erschütterung die Genauigkeit beeinträchtigte. Altdorfer war vermutlich mit dem neuesten Stand der Technik auf diesem Gebiet vertraut, schließlich befanden sich sogar zwei Exemplare in seinem Besitz. Erinnern wir uns der regen Reisetätigkeit Altdorfers im Auftrage des Regensburger Rates, so liegt es nahe, dass er als Ratsmitglied, ähnlich wie den Hafer für die Fütterung seines Pferdes, eine Reiseuhr zur Verfügung gestellt bekam. Zu Altdorfers Besitz zählten des weiteren 19 Bücher, die in einem Schrank in der Kammer des nördlichen Gebäudetraktes verwahrt wurden, und eine Sammlung von Münzen, die Altdorfer in einem Mantelsack verstaute. Darunter waren gut erhaltene und schlecht erhaltene Münzen der Antike, die Altdorfer sortiert in unterschiedliche Säckchen hatte. Neben vier alten Ungarischen Gulden, die einen hohen Goldgehalt aufwiesen, befanden sich dort auch mehrere Ringe, die wohl ebenso als antike Sammlerstücke anzusehen sind, zumal darunter auch ein Siegelring zählte, der von den Verfassern des Nachlasses wohl aufgrund einer eingefassten antiken Gemme als solcher bezeichnet wurde.
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ABELER 1975, S. 50f.
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4. Zusammenfassung Albrecht Altdorfer lebte seine letzten fünf Jahre als kinderloser Witwer gemeinsam mit seiner Hausverwalterin Clara Ylpeckin und später auch mit seinem Schüler Hans Mielich in einem Haushalt; er bewohnte nur eines seiner zwei äußerlich repräsentativ hergerichteten Häuser, die er in seiner erfolgreichen Laufbahn als Künstler und Regensburger Ratsherr – zum Teil unter Aufnahme von Schulden für deren Umbau – erworben hatte, wobei die Zunahme seines Besitzes und seines öffentlichen Ansehens im umgekehrten Verhältnis zu seiner künstlerischen Produktivität stand. Dem Haushalt mangelte es an nichts; seine Ausstattung ist jedoch nicht von übermäßigem Prunk gekennzeichnet. Waffen, Rüstung und Pferd zeugen von einem Mann, der für die Abwehr plötzlicher Überfälle ebenso wie gegen eine äußerliche Bedrohung des städtischen Gemeinwesens gewappnet sein wollte. Er wohnte jedoch vornehmlich nicht in dem gesicherten Turmhaus, sondern in seinem Haus mit Garten in der Vorstadt, und dies auch während der Wintermonate. Dass er als Maler mit einer besonderen Auffassungsgabe für die Landschaft eine Vorliebe für ein Haus mit einem Garten hatte, kann uns nicht verwundern und ist uns erstens durch seinen Ankauf eines Hauses mit Garten in der Spiegelgasse und zweitens nach dem baldigen Verkauf dieses Hauses durch den wiederholten, zehn Jahre später erfolgten Kauf eines solchen Anwesens, diesmal in der Wollwirkergasse, verbürgt. Auffällig ist, dass er das Anwesen kaufte, obwohl er gerade Witwer geworden war, was auf eine sehr persönliche Entscheidung schließen lässt. Die Erinnerungsstücke an seine Frau Anna verwahrte er in seiner Schlafkammer. Wie viele seiner Mitmenschen mit humanistischen Interessen sammelte auch Altdorfer antike Relikte, was sich mit Sicherheit nicht nur aus einer regen Nachfrage für solche Themen am Kunstmarkt und einer damit einhergehenden Verarbeitung dieser antiken Vorlagen speiste. Die Anzahl von 19 Büchern kündet von seiner Wissbegierde, die wohl in vielerlei thematische Richtungen zielte, zumal diese Bücher nicht spezifisch als Kunstbücher bezeichnet wurden, derer Altdorfer drei besaß. Altdorfer nahm regen Anteil an der Gestaltung seiner Umwelt und dabei ist sein heimisches Leben als ein Knotenpunkt seines Wirkungsbereiches anzusehen. Die Beziehungen zu seinen Geschwistern und Blutsverwandten waren ungetrübt. Mit seinen im Hause angestellten Untergebenen befand er sich in einem guten Verhältnis. Testament und Nachlassinventar offenbaren somit nicht unwesentliche Seiten von Altdorfers Lebensstil und lassen in gewissem Rahmen auch auf seine religiöse und humanistische Gesinnung schließen, womit sie die lebendigsten uns überlieferten Quellen seines häuslichen Alltags sind.
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Literatur ABELER 1975 – ABELER, Jürgen: Ullstein Uhrenbuch. Eine Kulturgeschichte der Zeitmessung, Frankfurt am Main 1975. BOLL 1938/39 – BOLL, Walter: Albrecht Altdorfers Nachlass, in: Münchner Jahrbuch der bildenden Kunst, N.F., Bd. 13, 1938/39, S. 91–102. BUSHART 2004 – BUSHART, Magdalena: Sehen und Erkennen. Albrecht Altdorfers religiöse Bilder, Berlin 2004. EGGER 1984 – EGGER, Gerhart: Bürgerlicher Schmuck. 15. bis 20. Jahrhundert, München 1984. FEES-BUCHECKER 1998 – FEES-BUCHECKER, Werner: Rat und politische Führungsschicht der Reichsstadt Regensburg 1485–1650. Studien zur Verfassungs- und Sozialgeschichte Regensburgs in der Frühen Neuzeit, München 1998. FRIEDENSBURG 1976 – FRIEDENSBURG, Ferdinand: Münzkunde und Geldgeschichte der Einzelstaaten des Mittelalters und der neueren Zeit, Darmstadt 1976. GÖTZE 71967 – GÖTZE, Alfred: Frühneuhochdeutsches Glossar, 7. Aufl. Berlin 1967. GROTEFEND 1892 – GROTEFEND, Hermann: Zeitrechnung des deutschen Mittelalters und der Neuzeit, Bd. 2., 1. Abt., (ND der Aufl. Hannover 1892) Aalen 1970. MIELKE 1988 – MIELKE, Hans: Albrecht Altdorfer. Zeichnungen, Deckfarbenmalerei, Druckgraphik, Berlin 1988. MIELKE 1997 – MIELKE, Ursula: Albrecht and Erhard Altdorfer, Rotterdam 1997. ORTENBURG 1984 – ORTENBURG, Georg: Waffe und Waffengebrauch im Zeitalter der Landsknechte, Koblenz 1984. PAULUS 1987 – PAULUS, Helmut-Eberhard: Albrecht Altdorfer als Stadtbaumeister von Regensburg, in: Verhandlungen des Historischen Vereins für Oberpfalz und Regensburg 127, 1987, S. 165–170. PESCH 1981 – PESCH, Dieter: Altes Handwerksgerät, Köln 1981. TACKE 2008 – TACKE, Andreas (Hg): Kunst und Konfession. Katholische Auftragswerke im Zeitalter der Glaubensspaltung, 1517–1563 (…), Regensburg 2008. TACKE 2001 – TACKE, Andreas: Johann Hauer. Nürnberger Flach- und Ätzmaler, Kunsthändler, Verleger und Dürerforscher des 17. Jahrhunderts. Eine Fallstudie zur handwerksgeschichtlichen Betrachtung des Künstlers im Alten Reich, in: Ders. (Hg.): „Der Mahler Ordnung und Gebräuch in Nürmberg“. Die Nürnberger Maler(zunft)bücher ergänzt durch weitere Quellen, Genealo-
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gien und Viten des 16., 17. und 18. Jahrhunderts, Bearb. von (...), München u. a. 2001, S. 11–141. VERDENHALVEN 1998 – VERDENHALVEN, Fritz: Alte Meß- und Währungssysteme aus dem deutschen Sprachgebiet. Was Familien- und Lokalgeschichtsforscher suchen, Neustadt an der Aisch 1998. WINZINGER 1975 – WINZINGER, Franz: Albrecht Altdorfer. Die Gemälde. Tafelbilder, Miniaturen, Wandbilder, Bildhauerarbeiten, Werkstatt und Umkreis, München 1975. WOLLGAST 1992 – WOLLGAST, Siegfried: Zum Tod im späten Mittelalter und in der Frühen Neuzeit, Berlin 1992. ZANDER-SEIDEL 1990 – ZANDER-SEIDEL, Jutta: Textiler Hausrat. Kleidung und Haustextilien in Nürnberg von 1500–1650, München 1990.
IV. Kriese, Tod, Nachleben
STEFANIE HERBERG
Der verfluchte Maler? Jörg Breu der Ältere und der Bildersturm in Augsburg Dieser mensch ist von got verflĤcht, der ain altar bauet oder machen laust, auch crucifix und der hailigen getzenbilder, die in dem götlichen gesatz verbotten sind; auch alle dise, die (es) machen und machen lan, sind verflĤcht und vermaledeit.1 So mahnte Michael Keller, der Prediger der Barfüßerkirche zu Augsburg, 1529 seine Zuhörer. Es waren Worte, denen er auch Taten folgen ließ. Diese wurden von Jörg Breu dem Älteren, in seinen gemeinhin als Chronik charakterisierten Aufzeichnungen, notiert. Dies ist an sich nicht ungewöhnlich, da weitere Berichte zur Stadtgeschichte des 16. Jahrhunderts existieren. Jedoch war der Verfasser Maler – und von diesen liegen aus dieser Zeit, von wenigen Ausnahmen abgesehen, kaum Selbstzeugnisse vor. Andererseits gehörten die Maler zu der Berufsgruppe, die von Reformation und Bildersturm am meisten betroffen war. Genau dies soll Thema des folgenden Beitrags sein. Breus Leben und Werk äußern sich dazu, sofern rekonstruierbar, nur indirekt. Kann die ausgewählte Quelle seine Haltung zum Bildersturm erhellen? Herausfordernd und zurückgreifend auf Kellersei gefragt: Glaubte sich Jörg Breu verflucht?
1. Vita Jörg Breu (Preu2) wurde vermutlich zwischen 1475 und 1480 in Augsburg als Sohn des Tuchscherers und Webers Georg Breu und dessen Frau Barbara geboren. Seine Lehre begann er 1493 bei Ulrich Apt d.Ä.; er ging wahrscheinlich bis 1502 auf Wanderschaft. Diese führte ihn in den süddeutschen Raum und nach Österreich. In diese Zeit fällt das erste erhaltene Werk des Künstlers, der auf 1501 datierte und mit IORG PREW VON AV signierte Altar der Kartause Aggsbach, heute im Stift Herzogenburg in Niederösterreich.3 Als Abschlussarbeit seines Österreichaufenthalts werden die Tafeln des Wullersdorfer Altars von 1502, heute im Stift Melk, angesehen.4 1 2 3
ROTH 1894, S. 216. Zu den verschiedenen Schreibweisen seines Namens vgl. WILHELM 1983, S. 422. Auf Grund dieses Werks vermutet WILHELM 1983, S. 423, dass Breu bereits vor seiner
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Ob er einen (längeren) Italienaufenthalt absolviert hat, ist nicht bekannt bzw. erwiesen. Er wird jedoch auf Grund von stilistischen Analysen für wahrscheinlich erachtet. Breus Vater starb spätestens 1502. Im selben Jahr machte sich der Maler selbstständig, indem er sich in die Augsburger Malerzunft für 16 Florin einkaufte und seinen Bruder Klaus als Lehrknaben in die Werkstatt nahm. Weitere Lehrlinge sind für die Jahre 1503, 1505, 1507, 1514, 1516 und 1520 nachgewiesen, der letzte soll aus Venedig stammen.5 Auf Grund der vielen Lehrlinge werden gut gehende Geschäfte vermutet, da nur bei den meistbeschäftigten Malern der Zunft eine ähnlich hohe Zahl an Lehrlingen verzeichnet ist. Dass Breu nach 1520 keine Lehrlinge mehr vorstellte, wird damit erklärt, dass er ab diesem Zeitpunkt seinen Sohn zur Ausbildung in die Werkstatt nahm. Die Bemalung des Sakramentshauses der Kirche St. Moritz im Auftrag der Zechpfleger im Jahre 1505 ist die erste belegbare Tätigkeit Breus in Augsburg. Am 4. Dezember erhielt er sechs Florin für ein gemell beÿ den zacramenthawß plaw anzĤstreÿchenn. 1506 bekam er dafür zweimal eine Nachzahlung von je drei Florin.6 1509 erhielt Breu den Auftrag, an der nördlichen Außenwand der HeiligKreuz-Kirche einen monumentalen Christophorus zu malen. Dafür gewährten ihm die Augustiner-Chorherren einen Begräbnisplatz auf ihrem Kirchhof. Das Monumentalbild ist nur noch durch einen Stich des 17. Jahrhunderts überliefert; Überreste wurden 1926 zerstört. Mit wem Breu verheiratet war, ist nicht bekannt. Verschiedene Indizien deuten darauf hin, dass er 1510 in den Stand der Ehe trat.7 Zum einen bezog er in diesem Jahr ein eigenes Haus in der Crotenawy, zum anderen ist ein Anstieg der Steuerzahlungen zu verzeichnen. Ferner fiel ein Prozess in dieses Jahr; aus einer Eintragung vom 17. September geht hervor, dass er mit seinem Schwager Hans Rösslin im Streit lag. Wir wissen ferner, dass er – wie bereits angesprochen – Vater eines Sohnes und einer Tochter namens Anna war. Von Letzterer ist bekannt, dass sie mit dem Bauvogt Hans Tirol verheiratet war, der von 1531 bis 1537 auch im Hause des Malers lebte.
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Rückkehr nach Augsburg das Meisterrecht erworben hatte und sich als fertiger Meister in die Zunft einkaufte. – Die Frage muss aber offen bleiben, da Auftraggeber an Höfen, in Klöstern oder Stiften die Künstler auch ohne Meisterrecht beschäftigen konnten. Zu Leben und Werk Breus siehe MORRALL 2001 und CUNEO 1998 sowie die präzise Werk- und Quellenzusammenstellung bei WILHELM 1983, S. 422–426. VISCHER 1886, S. 542–547, 550–553, 556–557. WILHELM 1983, S. 423. Erst ab 1537 galt die Zunftregel, dass ein Meister des Malerhandwerks verheiratet sein musste; ebd., S. 91. – Vgl. den Beitrag zu Gottfried Amberger in diesem Band.
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Nach dem Umzug in die Krötenau wohnte Breus Mutter bei ihm, die 1527 zum letzten Mal in den Steuerbüchern Erwähnung findet. Der Bau scheint noch von einer weiteren Partei bewohnt worden zu sein. Da die Mieter vermögende Personen waren, kann davon ausgegangen werden, dass das Haus gut ausgestattet war. Einen wichtigen Auftrag erfüllte Breu im Jahre 1512: Er bemalte die Orgelflügelbilder der Fuggerkapelle der St. Annakirche im Auftrag von Ulrich, Georg und Jakob Fugger.8 Diese Familie war die bedeutendste und politisch einflussreichste deutsche Unternehmerfamilie, die unter anderem die Kaiserwahl Karls V. finanzierte. In diesem Jahr setzt auch die vom Künstler geschriebene Chronik ein, jedoch ohne Nennung des Verfassers. Der Maler gibt sich erst mit dem Eintrag von 1516 zu erkennen. Dort verweist er auf seine Mitarbeit an der Rathausbemalung: und ich, Jorg Prew, was maister darüber und muest allen sachen vorstan und der erst und letzt sein darvon, und gab allen zeug darzĤ und costung. darob hett ich vier gesellen und zwen knaben.9 Aus einem Dokument im Stadtarchiv von 1520 geht Breus Stellung als underhauptmann des Bürgeraufgebots hervor. Er übte als Hauptmann die Aufsicht über zehn Häuser und über die Bewaffnung seiner Bewohner aus und musste deren Zustand dem Rat melden. Vorgeschrieben war jeweils nur ein Harnisch, Breu selbst soll im Besitz von dreien gewesen sein.10 Im Jahr 1522 wurde Breu von der Stadt als Visierer eingesetzt und reiste von Baden aus nach Straßburg, wo er die dortigen Verteidigungsanlagen basteyen daselbs abgerissen und entworfen hat11, d. h. im Grund- und Aufriss zeichnete: It. 4 guldin Jorigen Brewen, maler, für ein vererung umb das er von Baden awß gen Straßburg gezogen und die basteyen daselbs abgerissen und entworfen hat. Innerhalb der Zunft sind außer der Ausübung des Amts als Büchsenmeister12 keine weiteren Pflichten bekannt, die Breu übernommen hat. Sowieso ist er, neben der Vorstellung seiner Lehrlinge, lediglich als Teilnehmer einer Sitzung vom 15. Oktober 1525 in den Zunftunterlagen erwähnt.13 1532 bis 1536 bemalte er Anton Fuggers hinderhaus der Fuggerhäuser am Weinmarkt (heute Maximilianstraße). Er berichtet am 23. Juni 1536, dass er daran 4 summer und ein halben winter gemalt14 habe. Der schlecht 8
BUSHART 1994, S. 231–272. ROTH 1906, S. 22. 10 WILHELM 1983, S. 425. 11 ROTH 1906, S. 4, Anm. 1. 12 CUNEO 1998, S. 77, Anm. 183. 13 WILHELM 1983, S. 425. 14 ROTH 1906, S. 71. 9
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gefertigte Umbau führte dazu, dass seine Materialien verdarben und er die Arbeit häufig unterbrechen musste. Nach seiner Aussage wurde er weder für die Materialien noch für seine Arbeit entlohnt. Zusammen mit seinem Sohn wurde Breu am 29. Januar 1534 beschuldigt, sich der Dienste des Bordellbesitzers und Malers Sigmundt Gutterman bedient und häufig in dessen Haus verkehrt zu haben. Wie aus einem Verhörprotokoll hervorgeht, besaß er anscheinend auch einen Schlüssel zu diesem Etablissement und kehrte pikanterweise dann ein, wenn Gutterman zur Predigt in die Kirche ging.15 Durch die Steuerbücher lässt sich feststellen, wo Breu in Augsburg wohnte: 1502–07 An der horbrugg, 1508/09 Vom weberhaus und 1510 in der Crotenawy, wo sich auch die väterliche Wohnung und das Zunfthaus der Maler befanden. 1502 wird der Maler zum ersten Mal in den Steuerlisten erwähnt; er bezahlte zu diesem Zeitpunkt jedoch nichts. Ein Jahr später entrichtete er den geringsten Betrag, der überhaupt erhoben wurde, 30 Denare. Nach dem bereits angesprochenen Jahr 1510 waren und blieben seine Steuerzahlungen in den folgenden Jahren auf hohem Niveau (5 Florin) – auch wenn sie die letzten zwei Jahre seines Lebens leicht rückläufig waren (4 Florin). Er übertraf damit andere Künstler.16 Breu gehörte also zur reicheren Mittelschicht. So wohnten in seiner Nachbarschaft reiche Kaufleute, die bis zu 130 Florin an Steuern zu zahlen hatten. Die Breu’sche Chronik wurde bis ins Jahr 1542 geführt, jedoch verstarb Jörg Breu bereits sechs Jahre früher. Dies lässt sich anhand von zwei Dokumenten verifizieren. Zum einen wurde er in der Totentafel seiner Zunft im Jahre 1536 verzeichnet, zum anderen führten ihn die Steuerlisten diesen Jahres noch als lebend an, wogegen die von 1537 nur mehr das Vermögen der anscheinend kurz vor dem Steuertermin verstorbenen Witwe verzeichnet, das noch nicht unter die Erben verteilt war und so als Ganzes versteuert werden musste. Wer ihn 1536 als Autor der Chronik abgelöst hat, ist nicht bekannt. In seinen Aufzeichnungen, die kaum persönliche Daten enthalten, gibt sich Breu dennoch als Anhänger der Reformation bzw. des euangelions, was für ihn bedeutet, das gesetz gottes anzĤnehmen und das menschlich abzĤtretten17, zu erkennen. Dies war für ihn keine Unterscheidung zwischen einem »alten« und einem »neuen« Glauben, vielmehr eine zwischen dem »falschen« und dem »wahren« Glauben. Die Menschen wollen sich nicht 15
WILHELM 1983, S. 425; vgl. zur Vita Guttermans S. 483f. MORRALL 2001, S. 20f., vermutet, dass die Höhe nicht auf wirtschaftlichem Erfolg beruhte, sondern auf einer Erbschaft. 17 ROTH 1906, S. 27. 16
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mehr, so Breu, nach den menschlichen, bapstlichen gesatzen richten, sondern nur noch nach dem Wort Gottes. Denn Got leßt sein wort nit untergeen, wann es sten alle ding in seinem gewalt.18 Breu erscheint, wenn nicht als Befürworter, so auch nicht als eindeutiger Verurteiler des Bildersturms. Immerhin bezeichnet er die religiösen Werke der Künstler als »Götzen« und »Abgötter«. Dieser Sachverhalt soll mittels des anschließenden Quellenauszugs näher untersucht werden. Breu war fest verankert in der Augsburger Kunstszene und arbeitete für Drucker, religiöse und städtische Institutionen sowie für reiche Kaufleute und Patrizier. Neben den lokalen Aufträgen hatte er auch einige außerhalb der Stadt. Ferner arbeitete er für das Haus Habsburg, sowohl für Maximilian I. als auch für dessen Enkel Karl V. Die Medien, in denen er produzierte, waren breit gestreut: So fertigte er Entwürfe für Holzschnitte – vor allem für Buchillustrationen und Flugschriften –, Skulpturen und Glasscheiben /fenster an und schuf auch Tafel- und Freskenmalereien. Sein Themenspektrum reichte von religiösen Motiven über Historien bis hin zu Jagd- und Kriegsszenen. Er war somit ein wichtiger Künstler seiner Zeit, der auch außerhalb von Augsburg Aufträge erhielt.
2. Quelle Auszug vom 14. März 1529 aus der Augsburger Chronik von Jörg Breu dem Älteren betreffend die (ungewollte) Zerstörung von Kunstwerken in der Barfüßerkirche. ROTH, Friedrich: Die Chronik von Maler Georg Preu des Älteren, 1512– 1537 (Die Chroniken der deutschen Städte; Bd. 29: Die Chroniken der schwäbischen Städte, Augsburg, Bd. 6), (ND der 1. Aufl. Leipzig 1906) Stuttgart 1966, S. 43–44. Die von Roth zitierte Quelle befindet sich in der Bayerischen Staatsbibliothek München, Cod. (pap.) Oef. 214. Item 1529 auf den 14. tag mertzen ist zun barfuesern ain groß, schwer kreutz gestanden auf dem esterich in ainem stain. das ist erfault gewesen und ledig worden – ist volck daran gesessen und gestanden –, daß es sich bewegt hat. da hat ain burger vom geschlecht, Sigmundt Welser, und ein zimerman mit dem prediger, meister Michl genant, zĤ nacht geessen, seien sie von dem creutz zĤ rede worden und dem volck vor schaden wollen sein und haben selb viert, ain munch mitsambt inen, das creutz wollen niderlas18
Ebd., S. 33.
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sen, ist inen das zĤ schwer worden, und haben das creutz, den abgot und götzen, vallen lassen, daß es zerfallen ist. nachmals sind zwu stainene daflen gestanden, haben den Riglern und Welsern zĤgehört. hat Sigmund Welser gedacht, mein altar ist auch zerbrochen und ledig worden, an der wandt und [den] vigalen seien die knaben darauf und daran gehangen und [sie] ledig gemacht. ist er selbs zĤgefaren, hat im niemant geholfen, und hats wollen herabheben. seien im die vigalen in die brust gefallen und haben dem hergotstain die köpf herab gefallen. hat sich der Welser erzurnet und hat auch etlich erschlagen, hat vermaint, es soll, ainem rath nit so groß daran ligen, es sei sein. da hat man gesehen, wie der rath und [die] euangelier das wort Gottes lassen furgeen und darob halten. da haben die armen cristen so ubl gehandlet, daß sie die götzen erschlagen haben, daß man forcht, der keiser kem und nem die stat ein von des grossen ubls wegen, daß man die frumen heiligen erschlagen und zersellt hat. da hats ains wollen köpfen, das ander prennen. da hat ein rath gefurcht, man lauf über sie, und sie werden von irn eren entsetzt, die widercristen, wie man [etliche] zĤ Basel und anderswohe hat haimgeschickt. da ist inen das euangelion in zennen behangen. ei, wir seien gĤt euangelisch im protkorb; wir essen fleisch, wir geen in predig, wir thuns alls, [aber] wir pieten die feirtag zĤ halten, wir muessen darob halten, daß wir dannest mit pfaffen, munch und dem keiser besteen. wa wollten wir handlen? wir dorften nit für ain thor reiten! wir wollen dannocht wol euangelisch leren; man soll uns nit ansehen, wie wir steen. in summa: das hat man an den wercken gesehen. (Übertragung ins Neuhochdeutsche) Am 14. März 1529 stand bei den Barfüßern ein großes schweres Kreuz auf dem Estrich in einem Stein. Das ist verfault gewesen und locker geworden – saßen und standen Menschen daran –, so dass es sich bewegt hat. Da hat ein Bürger von Geschlecht, Sigmundt Welser, und ein Zimmermann mit dem Prediger, Meister Michael genannt, zu Abend gegessen, haben von dem Kreuz gesprochen und das Volk vor Schaden bewahren wollen und haben zu viert, mit einem Mönch, das Kreuz herunterlassen wollen; das ist ihnen zu schwer geworden, und haben das Kreuz, den Abgott und Götzen, fallen lassen, so dass es zerfallen ist. Daneben standen zwei steinerne Tafeln, gehörten den Ringlern und Welsern. Da hat Sigmund Welser gedacht, mein Altar ist auch zerbrochen und locker geworden, an der Wand und an den Fialen sind die Knaben hoch geklettert und haben sich dran gehangen und [sie] locker gemacht. Hat er selbst zugegriffen, hat ihm niemand geholfen, und hat es herunterheben wollen. Sind ihm die Fialen in die Brust gefallen und haben der Christusfigur den Kopf abgeschlagen. Hat sich der Welser erzürnt und hat auch etliches zerschlagen, hat gemeint, es soll dem
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Rat nicht so viel daran liegen, es sei seins. Da sah man, wie der Rat und die Evangelischen das Wort Gottes gelten lassen und deshalb handeln. Da haben die armen Christen so übel gehandelt, dass sie die Gottesbilder erschlagen haben, dass man fürchtete, der Kaiser käme und nehme die Stadt wegen des großen Übels ein, dass man die frommen Heiligen zerschlagen und zertrümmert hat. Da wollte einer einen köpfen, der andere einen verbrennen lassen. Da fürchtete der Rat, man würde einen Auflauf gegen sie machen und sie würden von ihren Ämtern abgesetzt, die Feinde des Evangeliums, wie man etliche in Basel und anderswo hat nach Hause geschickt. Da hing ihnen das Evangelium in den Zähnen. Ja, wir sind gut evangelisch im Brotkorb; wir essen Fleisch, wir gehen in die Predigt, wir tun alles, [aber] wir gebieten, die Feiertage zu halten, wir müssen daran (fest)halten, dass wir dennoch mit den Pfaffen, Mönchen und dem Kaiser bestehen. Was sollen wir tun? Wir müssen nicht über das Ziel hinausschießen! Wir wollen dennoch wohl evangelisch lehren; man soll uns nicht ansehen, wie wir stehen. Im Ganzen: das hat man an den Taten gesehen.
3. Kontextualisierung Die vorliegende Quelle ist ein kurzer Auszug aus der schon angesprochenen Chronik Breus. Diese ist als Abschrift aus der Mitte des 16. Jahrhunderts auf uns gekommen und befindet sich heute in der Staatsbibliothek München. Roth vermutet, dass sich die Notizen des Malers auf einzelnen Blättern befanden und der Schreiber sie wortgetreu übernahm. Sie besteht aus 21 Bifolio-Seiten und beginnt mit vier größeren Erzählungen aus dem Jahre 1376, springt dann unvermittelt auf das Jahr 1512 und endet mit zwei Einträgen zu den Jahren 1537 und 1542. Der Maler verstarb höchstwahrscheinlich 1536, so dass die letzten Einträge nicht von seiner Hand stammen können. In dem Text gibt es Lücken, so sind die Jahre 1517–19, 1521–22, 1526 und 1530 ausgelassen. Auch sind die Notizen zu den einzelnen Jahren unterschiedlich lang; sie können wenige Zeilen, aber auch mehrere Seiten umfassen. Sie berichten selten von wichtigen Ereignissen Augsburgs und des Reiches. Es werden von Breu vielmehr Skandalgeschichten thematisiert oder »Alltagssorgen«, wie der Anstieg der Lebensmittelkosten. Seine Sprache ist zum Teil sehr polemisch, etwa wenn er einen Angehörigen des Rates massiv als ain aufgeblasener, hoffertiger, reicher, gotloser, deuflischer und geitziger mann19 beschimpft, so dass vermutet werden kann, dass der mögliche Rezipientenkreis seiner Chronik ausschließlich im privaten Umfeld zu 19
Ebd., S. 51.
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suchen ist. Er stellt sich im Text auf die Seite der armen Bevölkerung, betont zum einen die starken Unterschiede zwischen diesen und den reichen Bürgern der Stadt und zum anderen ihr Notleiden. Dieser Aspekt steht dann auch ganz deutlich in einem reformatorischen Zusammenhang, wenn er beispielsweise schreibt: allein der arm hauf volgt nach, wie Cristo geschach in seinem leben auf erden20 und o we, we, nu hindurch mit haut und har. da hat niemant kain gwissen seinem brueder zum gueten zĤ helfen21. Was lässt sich nun konkret aus dem Quellenauszug in Hinblick auf Reformation und Bildersturm herauslesen? Denn eine Verzahnung von Glauben und sozialer Herkunft wird bei Breu schon vor der Reformation erkennbar.22 Und welche Bewertungen Breus lassen sich bezüglich des Ereignisses selbst sowie hinsichtlich der Reaktion des Rats, erkennen? Zum ersten Punkt: Am Abend des 14. März 1529 beschlossen Sigmundt Welser sowie ein nicht benannter Zimmermann und Michael Keller, der Prediger der Barfüßerkirche, beim Essen, sich eines beschädigten Kreuzes anzunehmen, um das Volk, da es möglicherweise herabstürzen würde, vor Unheil zu bewahren. Sie machten sich also mit einer vierten Person, einem Barfüßermönch23 auf, das schadhafte Stück herunterzuheben. Dabei wurde es ihnen zu schwer und fiel zu Boden. Selbiges geschah auch mit einer steinernen Tafel. Dies führte dazu, dass der Besitzer aus Wut weitere Werke zerstörte und darauf verwies, dass es den Rat nicht zu interessieren habe, denn es sei seine. In der Darstellung Jörg Breus zeigt sich, dass diese Aktionen keine mutwilligen Zerstörungen waren, sondern man bereits schadhaftes Kircheninventar entfernen wollte und es im Verlauf der Maßnahme zu diesen Unfällen kam. Das Ganze galt allein der Fürsorge den Kirchgängern gegenüber und war eine spontane Handlung, die durch wenige Beteiligte umgesetzt wurde. Man beschränkte sich anfänglich nur auf das Kreuz. Außer Kontrolle geriet die Situation durch Sigmundt Welser, der in einem Wutanfall weitere Ausstattungsstücke zerstörte, die (wie Welser betont) ihm gehörten und damit auch unter seiner Verfügungsgewalt standen. Es ist hier also von einem Bilderfrevel und nicht einer Bilderentfernung zu sprechen, da es sich um eine Aktion einzelner Personen oder einer sehr kleinen Gruppe handelte. Bei allen anderen Vorgängen sollte man eher den Begriff der Bilderentfernung gebrauchen.24 Diese Unterscheidung ist deshalb so wichtig, weil 20
Ebd., S. 27. Ebd., S. 70. 22 MORRALL 2001, S. 142. 23 ROTH 1906, S. 44, Anm. 3: Marx Reim; ROTH 1894, S. 214: herr Marxen, ain abtrinigen barfüsser. 24 MICHALSKI 1990, S. 69. 21
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die meisten Handlungen der Bilderentfernung zu Bilderstürmen ausarteten, wohingegen die Bilderfrevel keine entsprechende Dynamik entwickelten. Wichtige Aspekte sind jedoch in diesem Zusammenhang nicht nur der Verlauf und die Gründe, die dazu führten, sondern die Begriffe, die Breu verwendet hat, um das Kreuz zu charakterisieren: haben das creutz, den abgot und götzen, vallen lassen. Inwieweit sich hier eine zwinglianische bzw. bilderstürmische Anhängerschaft zeigt, wird weiter unten diskutiert. Im Breu’schen Bericht wird die Haltung bzw. werden die Handlungsweisen des Rates kritisiert: Zum einen behauptete dieser von sich, auf der Seite der Reformatoren zu stehen, hatte aber gleichzeitig Angst vor einer möglichen aufrührerischen Menge und der Ausschließung reformationsfeindlich gesinnter Ratsherren, wie es in Basel im Februar desselben Jahres geschah. Auf der anderen Seite jedoch tat er nichts, was den Altgläubigen und dem Kaiser schaden konnte, da man wirtschaftliche Einbußen und die Besetzung der Stadt durch den Kaiser befürchtete. Clemens Sender, ein Benediktinermönch, beschrieb in seinen Anton und Hieronymus Fugger gewidmeten Augsburger Chroniken ebenfalls dieses Ereignis. Er vermerkte dabei nichts vom Schaden am Kreuz und dass sie darüber hinaus alle bilder zĤ 3 oder 4 oder noch mer stucken erschlagen25 haben. Am übernächsten Tag verteidigte sich Michael Keller in einer Predigt, in der er die Argumente anführte, die auch Breu in seiner Chronik aufzeichnete: daß es mit der zeit nit selbs herabfall und 10, 20 oder 30 menschen zĤ tod schlag […] und […] wolten herabheben, da ward es uns zĤ schwer und kunden es nit erheben, und ist selbs zĤ so vil stucken erfallen26. Sender berichtet ferner, dass Keller die Stücke als Reliquien zum Kauf angeboten habe. Durch den Vergleich der beiden Berichte zeigt sich, unabhängig von den Tatsachen, woher der Maler seine Informationen nahm. Grundlage war der Bericht Kellers in der Predigt, wobei offen bleiben muss, ob Breu sie selbst hörte oder nur erzählt bekam. Dabei stellte er die Predigt als Tatsachenbericht dar. Er war nicht unmittelbar daran beteiligt und es scheint, dass sich die positive Bewertung der Begebenheit bei ihm vor allem auf eine starke Sympathie gegenüber dem Prediger der Barfüßerkirche sowie eine starke Antipathie gegenüber den bapstischen und pfaffen und den stat ratsherren zurückführen lässt. Diese Sympathie äußerte sich bereits viel früher im Text, beispielsweise als Breu 1524 festhielt, dass der Rat sich auf die Seite der pfaffen schlug.27 25
ROTH 1894, S. 214. Ebd., S. 215. 27 ROTH 1906, S. 25. 26
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1529 gab Sender in seiner Chronik – anders als Breu – auch den Beschluss des Rates vom 19. März wieder: Ain ersamer rat der stat Augsburg und des hailigen ro. reichs diser stat vogt schaffen und gebietten mit allem erenst allen iren inwonern und burgern und underthanen, daß sie alle bilder, alles gemeil und andere gedechtnustafflen, in den kirchen, kirchoffen oder an andern orten auffgericht und gemacht, on wissen, willen und bevelch der oberkait nit vermeilgen, uneeren, maculieren, plinden, abdilgen, bescheissen, zerstossen, zerprechen oder aincherlei schaden zĤfiegen, sunder sie und ire underthanen vor solicher übertrettung enthalten. welcher aber erfunden wirt solichs mandats aus aignem mĤttwillen und frevel ungehorsam, ain übertretter, derselbig sol an leib und gĤt oder anderer pen seiner übertrettung nach gestrafft werden: darnach sol sich menigklich richten und sich vor straff verhietten.28 Solch ein Ratsedikt ist nicht singulär; ähnliche wurden verschiedentlich nach einem Bildersturm herausgegeben. Michalski konstatiert sogar ein festes Schema: „der Bildersturm wird als Tatsache zur Kenntnis genommen und nur gelinde kritisiert, […] weitere Aufläufe und Zerstörungen werden ausdrücklich verboten und mit drastischen Strafen belegt.“29 Auch die von Sender berichtete Verhöhnung stellt keinen Einzelfall dar, denn selbige waren eng mit den Zerstörungen verbunden und parodierten u. a. kirchliche Rituale.30 Der von Jörg Breu beschriebene Vorfall ist der zweite Vermerk, der vom Bilderfrevel in Augsburg berichtet. Daneben gibt es weitere Einträge, die die Reformation Augsburgs betreffen und hier nur in Auswahl angesprochen werden sollen. So findet sich 1523 die Aussage, dass der Bischof gegen das Wort Gottes und das Evangelium handle. Kein Jahr später datiert die Aufforderung an einen Mönch der Barfüßerkirche: leset uns teutsch, daß wirs auch versten.31 Konkreter wird eine Textstelle Breus aus demselben Jahr: in baiderlai gestalt zĤ empfahen, wie uns Cristus hat aufgesetzt.32 Am 8. Mai 1524 besudelte ein Schuster auf einem Kirchhof ein Epitaph mit Blut und wurde dafür ins Gefängnis geworfen. Zwei Jahre nach dem Ereignis in der Barfüßerkirche beschrieb Breu wiederum die Entfernung und die Zerstörung von religiösen Werken, diesmal im beachtlichen Umfang33: So berichtete er, wie in Ulm die altar, orglen und götzen aus allen kirchen geworfen wurden und zum anderen, wie am 12. bzw. 13. August in der 28
ROTH 1894, S. 217. MICHALSKI 1990, S. 83. 30 Ebd., S. 94, 96. 31 Ebd., S. 25. 32 Ebd., S. 28. 33 Zu den zerstörten Werken und deren späterer Rekonstruktion im Zuge einer »ReKatholisierung« siehe METZGER 2008. 29
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Augsburger Kreuzkirche die Götzen vom Altar auf dem Kirchhof standen und zwei Bürgersöhne ein Kruzifix und Tafelbilder hinaustrugen und zum Teil zerschlugen.34 Interessant hierbei ist, dass nach Breus Auskunft die Bevölkerung die Obrigkeit zuvor darum gebeten hatte, selbige zu entfernen, und von unbekannter Hand Stücke auf den Kirchhof gestellt wurden, ohne sie zu beschädigen. Die letzte derartige Zerstörung notierte unser Künstler unter dem 22. Mai 1533, als Anton Fugger für St. Moritz zu Himmelfahrt eine Christusstatue anfertigen und diese dann durch das »liturgische Himmelsloch« hinaufziehen ließ.35 Als man dies verhindern wollte, kam es nach Breus Auskunft wieder zu einem Unfall, der zum Teil zur Zerschlagung der Figuren führte. All diese vom Maler beschriebenen Handlungen sind Bilderfrevel und führten nicht zu einem Bildersturm in der Stadt, die doch zumindest zeitweise von Zwinglianern dominiert wurde. Für den Bildersturm allgemein kann festgestellt werden, dass in „der Übergangszeit bis 1540, als sich die konfessionellen Strukturen noch nicht verfestigt hatten, […] der Bildersturm auch in rein lutherischen […] oder in den südwestdeutschen, zwischen Luthertum und Zwinglianismus schwankenden Städten“ auftrat.36 Der reformatorische Prozess in Augsburg begann in Gelehrtenkreisen, die mit den Anliegen Luthers sympathisierten. Begrenzt blieben in den ersten Jahren auch die »geistlichen Führungsfiguren«. Als ein Zentrum der reformatorischen Bewegung etablierte sich in den 20er Jahren unter anderem das Franziskanerkloster zu den Barfüßern. Das Klima verschlechterte sich im Laufe der Zeit immer mehr37: Die erste öffentliche Hochzeit eines Priesters im August 1523, Spottaktionen gegen die alte Priesterschaft und den üblichen Gottesdienst signalisierten eine öffentliche Konfrontation. Auch erfolgte schnell die Politisierung der religiösen Frage, indem Parallelen zwischen kirchlicher Hierarchie und städtischer Struktur gezogen und damit die etablierte Ratsobrigkeit in Frage gestellt wurde. Dies zeigt, dass religiöse und politische Forderungen verzahnt wurden und man eine Verbesserung auch in der sozialen Umwelt verlangte bzw. erhoffte. Der in der Quelle benannte Michael Keller wurde 1524 Prediger in der Barfüßerkirche und durch den Rat besoldet. Es entfaltete sich in der Folgezeit ein breites Spektrum unterschiedlicher theologischer Orientierungen. So kann ein frühkonfessioneller Pluralismus für Augsburg bis in die 1550er Jahre konstatiert werden, auch wenn allgemein davon gesprochen wird, dass sich die 34
ROTH 1906, S. 49f. Mit zahlreichen Beispielen siehe TRIPPS 22002. 36 MICHALSKI 1990, S. 74f. 37 Zum Folgenden siehe KIESSLING 1997. 35
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Stadt Ende der 1520er und Anfang der 1530er Jahre weitgehend in zwinglianischer Hand befand. Zudem ging die Trennung nach altgläubig und reformatorisch Gesinnten durch alle Schichten. Mit Michael Keller wird die Breitenwirkung der Zwinglianer im Handwerkerviertel greifbar, die weiter ausstrahlte und vor allem die unteren und mittleren Bevölkerungsschichten erfasste. Doch wo fanden sich die Künstler wieder? Wie veränderte sich ihr (wirtschaftliches) Leben? Trat hinsichtlich der Auftragslage eine Verschlechterung auf? Hatten die Künstler finanzielle Einbußen zu verzeichnen? Einen Hinweis darauf gibt Dürers Klage in der Widmung seiner »Unterweisung der Messung« an den Nürnberger Humanisten und Freund Willibald Pirckheimer aus dem Jahre 1525. Sie zeigt aus der Sicht eines Künstlers, welchen Anfeindungen die Werke, ob gemalt oder in Stein gehauen, ausgesetzt waren und für wie unsinnig er selbst diese Angriffe hielt: bey vns vnd in vnseren zeyten die künst der malerey durch etliche seer veracht vnd gesagt will werden, die diene zĤ abgötterey. Dann eyn yeglich christenmensch wirdet durch gemel oder byldnüß als wenig zĤ einem affterglauben getzogen als eyn frĤmer mann zĤ eynem mord, darumb das er ein waffen an seiner seyten tregt. Must warlich eyn vnuerstendig mensch seyn, der gemel, holtz, oder steyn anbetten wölt.38 Dürers Ausführungen stehen im Kontext weiterer Künstlerklagen, in denen deutlich auf die veränderten Arbeitsbedingungen Bezug genommen wurde, die durch das Bildverbot entstanden waren.39 Die Künstler bekannten sich darin oftmals zum neuen Glauben, beklagten aber den Rückgang der Auftragslage; denn dadurch wurde ihr handwerck yetz gantz unbruchlich und sie selbst gerieten in die Gefahr entlichs verderbens und des bettelstabs. So verließ Hans Holbein 1532 Basel auf Grund mangelnder Aufträge und ging nach England. Von anderen Künstlern ist bekannt, dass sie umsattelten und ein neues Gewerbe versuchten. Auf derartige Klagen wurde wiederum in reformatorischen Flugblättern Bezug genommen, so in einem etwa in der Mitte der 1520er Jahre entstandenen Holzschnitt Ein neuwer Spruch / wie die Geystlichkeit und etlich Handwerker über den Luther clagen von Hans Sebald Beham mit einem Text von Hans Sachs, der die Berufsgruppen, die auf die alte Kirche angewiesen waren (wie beispielsweise Glockengießer, Maler, Goldschmiede usw.) moralisch mit der Geistlichkeit auf eine Stufe stellte und als geizig und gottlos brandmarkte.40
38
DÜRER / RUPPRICH 1956–69, Bd. 1, S. 114–116, hier S. 115. Siehe SLADECZEK 2002, bes. S. 282–288; die folgenden Zitate auf S. 283. 40 Abb. bei GEISBERG 1974, Bd. 1, S. 203 G 222. 39
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Für Jörg Breu ist zu konstatieren, dass von ihm zwischen 1524 und 1534 keine religiösen Gemälde bekannt sind. Es findet sich jedoch eine Reihe von druckgraphischen Werken und Gemälden mit historischem Inhalt. Doch von einem Einfluss der Reformation auf den Maler zeitgt sich in den Kunstwerken der späteren Jahre keine Spur. Nach diesem wird auch bei anderen Malern immer wieder gesucht. Entscheidend für die Darstellung waren jedoch die Vorgaben des Auftraggebers, wie am Beispiel des Werks von Jörg Ratgeb in diesem Band konstatiert wird. Inwieweit Künstler in den ersten Jahrzehnten der Reformation konfessionell gebunden waren, wird schon seit einiger Zeit diskutiert und mittlerweile zurückgewiesen.41 So hatte die wirtschaftliche Situation des Künstlers und seiner Werkstatt Vorrang vor Glaubensüberzeugungen, und auch für die Auftraggeber waren andere Gründe ausschlaggebend, beispielsweise die Bekanntheit des Malers, künstlerische Wertigkeit des anzufertigenden Werkes, Größe der Werkstatt und persönliche ästhetische Vorlieben. Man kann allgemein formulieren, dass Jörg Breu d.Ä. ein Anhänger der Reformation war, doch die Frage, welcher Konfession er angehörte, ist anachronistisch.42 Eine klare positive Äußerung gegenüber dem Bilderfrevel findet sich nicht. Ferner scheint es, dass die Vokabeln (götzen, abgot), die Breu selbst möglicherweise in Predigten und Gesprächen hörte oder in Flugschriften las, nicht wirklich die Bilder bzw. Skulpturen meinten. Eher ist dieser Wortgebrauch vor dem Hintergrund einer (im wörtlichen Sinne) »Tempelreinigung« zu sehen, wie sein Bericht von Ulm zeigt: allen menschen das wort des herren wider das bapstumb zĤ verkundigen […] also haben sie darnach die altar, orglen und götzen aus allen kirchen geworfen und ein andere reformacion angefangen43. Bilder sind Stellvertreter, Statthalter; ein Angriff auf sie gilt eigentlich dem, der durch sie repräsentiert wird bzw. einer Idee oder eines Ideals »im Medium«, aber nicht »im Namen« der Bilder. Denn die Zerstörung der alten, gegnerischen Bilder demonstriert nicht nur deren Ohnmacht und die Ohnmacht jener, denen sie gehörten. Sie ist augenfälliger Beleg des Sieges: Herrschaft impliziert immer Herrschaft über Bilder. Zugleich bedeutet die Verfügbarkeit über die Bilder einen ersten, wichtigen Akt der Identitätsstiftung für die Sieger. Und daher ist sie die Folge einer geistigen oder politischen Umwälzung.44 41
MÜNCH 2006; die kunstwissenschaftliche Diskussion wurde vor allem durch die Dissertation von TACKE 1992 ausgelöst; zuletzt – mit weiterführender Literatur – siehe TACKE 2008. 42 Siehe MOELLER 1984, S. 176–194, der für die Predigten der 1520er Jahre eine große Homogenität feststellte, ganz unabhängig von der Konfession des Predigers. 43 ROTH 1906, S. 49. 44 ROECK 2002, S. 34.
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Breu stellte einen Teil der Geschehnisse als Unfälle dar: Man wollte zwar die Bilder entfernen bzw. im Jahr 1533 die Darstellung der Himmelfahrt verhindern, jedoch lag eine Zerstörung fern und war für ihn, so scheint es, auch nicht denkbar, genauso wenig, wie er sich verflucht sah, um auf unsere Ausgangsfrage zurückzukommen. Sein Seelenheil fand er im Glauben, im Empfang des Abendmahls in beiderlei Gestalt und in den Predigten. Dass man einen Rückgang an religiösen Werken in seinem Schaffen zwischen 1524 und 1534 ausmachen kann, lag wohl an der mangelnden Auftragslage und nicht an seiner Gesinnung, zumal festgestellt werden kann, dass er in dieser Zeit in anderen Medien und mit anderen Themen sowohl für die reformatorische Seite als auch für die Altgläubigen tätig war.
Literatur BUSHART 1994 – BUSHART, Bruno: Die Fuggerkapelle bei St. Anna in Augsburg, München 1994. CUNEO 1998 – CUNEO, Pia F.: Art and Politics in Early Modern Germany. Jörg Breu the Elder and the Fashioning of Political Identity ca. 1475–1536, Leiden 1998. DÜRER / RUPPRICH 1956–69 – Dürer. Schriftlicher Nachlass, hg. von Hans Rupprich, 3 Bde., Bd. 1: Autobiographische Schriften. Briefwechsel (...), Berlin 1956, Bd. 2: Die Anfänge der theoretischen Studien, Das Lehrbuch der Malerei (...), Berlin 1966, Bd. 3: Die Lehre von menschlicher Proportion (...), Berlin 1969. GEISBERG 1974 – GEISBERG, Max: The German single-leaf woodcut: 1500– 1550, bearb. und hg. von Walter L. Strauss, 4 Bde., New York 1974. KIESSLING 1997 – KIESSLING, Rolf: Augsburg in der Reformationszeit, in: Josef Kirmeier u. a. (Hgg.): „... wider Laster und Sünde“. Augsburgs Weg in der Reformation, Köln 1997, S. 17–43. METZGER 2008 – METZGER, Christof: Die Reue nach dem Sturm: ReKatholisierung durch Rekonstruktion, in: Andreas Tacke (Hg.): Kunst und Konfession. Katholische Auftragswerke im Zeitalter der Glaubensspaltung, 1517–1563, Regensburg 2008, S. 267–294. MICHALSKI 1990 – MICHALSKI, Sergiusz: Das Phänomen Bildersturm. Versuch einer Übersicht, in: Robert W. Scribner u. a. (Hgg.): Bilder und Bildersturm im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit, Wiesbaden 1990, S. 69–124. MOELLER 1984 – MOELLER, Bernd: Was wurde in der Frühzeit der Reformation in den deutschen Städten gepredigt?, in: Archiv für Reformationsgeschichte 75, 1984, S. 176–193.
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MORRALL 2001 – MORRALL, Andrew: Jörg Breu the Elder. Art, Culture and Belief in Reformation Augsburg, Aldershot 2001. MÜNCH 2006 – MÜNCH, Birgit Ulrike: Apelles am Scheideweg? Der frühneuzeitliche Künstler zwischen Konfession und Ökonomie, in: Andreas Tacke (Hg.): Der Kardinal Albrecht von Brandenburg. Renaissancefürst und Mäzen, Bd. 2, Essays, Regensburg 2006, S. 379–385. ROECK 2002 – ROECK, Bernd: Macht und Ohnmacht der Bilder. Die historische Perspektive, in: Peter Blickle u. a. (Hgg.): Macht und Ohnmacht der Bilder. Reformatorischer Bildersturm im Kontext der europäischen Geschichte, München 2002, S. 33–63. ROTH 1906 – ROTH, Friedrich: Die Chronik von Maler Georg Preu des Älteren, 1512–1537 (Die Chroniken der deutschen Städte, Bd. 29: Die Chroniken der schwäbischen Städte, Augsburg, Bd. 6), (ND der 1. Aufl. Leipzig 1906) Stuttgart 1966. ROTH 1894 – ROTH, Friedrich: Die Chronik von Clemens Sender von den ältesten Zeiten der Stadt bis zum Jahre 1536 (Die Chroniken der deutschen Städte, Bd. 23: Die Chroniken der schwäbischen Städte, Augsburg, Bd. 4), (ND der Ausg. Leipzig 1894) Stuttgart 1966. SLADECZK 2002 – SLADECZK, Franz-Josef: „das wir entlichs verderbens und des bettelstabs sind“. Künstlerschicksale zur Zeit der Reformation, in: Peter Blickle u. a. (Hgg.): Macht und Ohnmacht der Bilder. Reformatorischer Bildersturm im Kontext der europäischen Geschichte, München 2002, S. 273–304. TACKE 2008 – TACKE, Andreas: Einleitung in den Tagungsband mit Überlegungen zu dem neuen Forschungsfeld „Gegen die Reformation gerichtete Kunstwerke vor dem Tridentinum“, in: Ders. (Hg.): Kunst und Konfession. Katholische Auftragswerke im Zeitalter der Glaubensspaltung, 1517–1563 (...). Regensburg 2008, S. 13–33. TACKE 1992 – TACKE, Andreas: Der katholische Cranach. Zu zwei Großaufträgen von Lucas Cranach d.Ä., Simon Franck und der Cranach-Werkstatt 1520–1540, Mainz 1992. TRIPPS 22002 – TRIPPS, Johannes: Das handelnde Bildwerk in der Gotik. Forschungen zu den Bedeutungsschichten und der Funktion des Kirchengebäudes und seiner Ausstattung in der Hoch- und Spätgotik, 2. Aufl. Berlin 2000. VISCHER 1886 – VISCHER, Robert: Studien zur Kunstgeschichte, Stuttgart 1886. WILHELM 1983 – WILHELM, Johannes: Augsburger Wandmalerei 1368–1530. Künstler, Handwerker und Zunft, Augsburg 1983.
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Tilman Riemenschneider im Bauernkrieg Langer Aufstieg und schneller Fall in Würzburg Legende und Wirklichkeit 1. Vita Zu den meistbeachteten nordalpinen Bildhauern des Spätmittelalters zählt Dile Rymenschneider, bildschnitzer von Osterode in Sachßen.1 Denn nicht nur in der Fachliteratur findet dieser große Aufmerksamkeit, sondern auch populärwissenschaftliche Veröffentlichungen widmen sich ihm. Nach der Entdeckung seiner Grabplatte auf dem ehemaligen Würzburger Domfriedhof im Jahr 1822 setzte die Rezeption Tilman Riemenschneiders mit Macht ein, nachdem der Künstler trotz seiner Stellung als der herausragende mainfränkische Künstler um die Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert kurz nach seinem Tod in Vergessenheit geraten war. So war in Thomas Manns Rede „Deutschland und die Deutschen“, die er am 29. Mai 1945 erstmals vor einem amerikanischen Publikum hielt, folgendes über Riemenschneider zu hören: „Damals lebte in Deutschland ein Mann, dem meine ganze Sympathie gehört, Tilman Riemenschneider, ein frommer Kunstmeister, ein Bildhauer und Holzschnitzer, [...]. Nie hatte er gedacht, sich in die hohe Politik, die Welthändel zu mischen, – es lag das seiner natürlichen Bescheidenheit, seiner Liebe zum freien und friedfertigen Schaffen ursprünglich ganz fern. Er hatte nichts vom Demagogen. Aber sein Herz, das für die Armen und Unterdrückten schlug, zwang ihn, für die Sache der Bauern, die er für die gerechte und gottgefällige erkannte, Partei zu nehmen gegen die Herren, die Bischöfe und Fürsten, deren humanistisches Wohlwollen er sich leicht hätte bewahren können; es zwang ihn, ergriffen von den großen und grundsätzlichen Gegensätzen der Zeit, herauszutreten aus seiner Sphäre rein geistiger und ästhetischer Kunstbürgerlichkeit und zum Kämpfer zu werden für Freiheit und Recht. […] Sein Einfluß war es hauptsächlich, der die Stadt Würzburg bestimmte, der ‚Burg’, dem Fürst-Bischof die Heeresfolge gegen die Bauern zu verweigern 1
KALDEN 1990, S. 13 (Ratsbuch, Bürgermatrikel) und TRENSCHEL 2004, zu Leben und Werk siehe auch LICHTE 2004.
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und überhaupt eine revolutionäre Haltung gegen ihn einzunehmen. Er hatte furchtbar dafür zu büßen. Denn nach der Niederwerfung des Bauernaufstandes nahmen die siegreichen historischen Mächte, gegen die er sich gestellt, grausamste Rache an ihm; Gefängnis und Folter taten sie ihm an, und als gebrochener Mann, unfähig hinfort, aus Holz und Stein das Schöne zu erwecken, ging er daraus hervor.“2 Die Darstellung Thomas Manns ist dabei typisch für das Bild Riemenschneiders im Zusammenhang mit der Bewegung der sogenannten Bauernkriege in der belletristischen Literatur, vereinzelt auch in der »Forschung«, in der der Künstler immer wieder vereinnahmt wird. Beispielhaft für eine mit den historischen Grundlagen allzu freimütig umgehende Biographie ist Karl Heinrich Steins „Tilman Riemenschneider im Bauernkrieg, Geschichte einer geistigen Haltung“. Thomas Mann besaß ein Widmungsexemplar des Autors von 19363 und legte es seinem Vortragstext zu Grunde: In aller Ausführlichkeit werden von Karl Heinrich Stein die Leiden Riemenschneiders und sein Aufbegehren gegen die Autorität geschildert, um auf subtile Weise den zeitgenössischen Lesern den Widerstand gegen die Nationalsozialisten zu propagieren. Die »Forschung« sowie die populärwissenschaftlichen Darstellungen der Deutschen Demokratischen Republik vereinnahmten Riemenschneider als „Künstler […] der frühbürgerlichen Revolution, und zwar neben Albrecht Dürer, Lucas Cranach, Matthias Grünewald und anderen“, der den „sozial und politisch unterprivilegierten Klassen und Schichten“4 im Kampf gegen die Obrigkeit beisteht. Die Figur des Künstlers wurde mystifiziert und verklärt, die Biographik heroisierte den Künstler, indem sie ihn zum Freiheitskämpfer stilisierte. Dabei darf aber nicht vergessen werden, dass auch der Künstler Riemenschneider als historische Figur in seinem ökonomischen und politischen Kontext verankert war. Niemals lebte der Künstler allein in „seiner Sphäre rein geistiger und ästhetischer Kunstbürgerlichkeit“5, sondern Riemenschneider war Kunstschaffender und politischer Zeitgenosse zugleich, beide Elemente hingen eng miteinander zusammen und bedingten einander. Dies kann die folgende kurze Biographie erläutern.
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MANN 1996, S. 260–281 und 433–449, Zitat auf S. 268f. STEIN (1936) 1944; da die Widmung Steins an Mann vom 04.11. 1936 datiert (MANN 1996, S. 436), kann die schwankende Jahresangabe (1936 bzw. 1937) in den Bibliothekskatalogen zum Erscheinungsjahr der 1. Ausg. von Steins Riemenschneider-Buch mit Sicherheit für das Jahr 1936 entschieden werden. TRAPPE 1983, S. 63; ein weiteres Beispiel liefert FRÜNDT 1975. MANN 1996, S. 268.
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Als Sohn des Münzmeisters Tilman Riemenschneider des Älteren wurde Tilman der Jüngere in Heiligenstadt im Eichsfeld um 1460, jedoch nicht später als 1462 geboren. Der Ausgang der Mainzer Stiftsfehde, bei der sich Tilmans Vater und sein Onkel Nikolaus auf die Seite des am Ende unterliegenden Diether von Isenburg schlugen, zwang die Familie im Dezember 1465 dazu, Heiligenstadt zu verlassen. Die Familie ließ sich daraufhin in Osterode am Harz nieder, wo Riemenschneider aufwuchs und welches er fortan als seine Heimatstadt angab. Sein Onkel Nikolaus, Notar und Fiskal des Fürstbischofs zu Würzburg, verschaffte dem jungen Tilman eine Altarpfründe am Stift Haug zu Würzburg. Dies bedeutete für Tilman nicht zwangsläufig die Berufung in den geistlichen Stand, war doch der Rücktritt nach dem Empfang der niederen Weihen immer noch möglich, so dass eine solche Pfründe zu dieser Zeit zusätzliche Einkünfte für eine Familie bedeutete und daher sehr begehrt war. Gleichzeitig wurde Riemenschneider eine Ausbildung zuteil, welche sich von den geistigen Grundlagen eines dem Handwerkerberuf verschriebenen jungen Mannes erheblich unterschied. Nach dem Tod seines Onkels trat Riemenschneider 1478 oder 1479 von der Pfründe zurück und entschied sich somit gegen den Klerus und für einen handwerklichen Beruf. Es wird angenommen, dass Riemenschneider bereits während der Zeit seines Altar-Benefiziums als junger Mann ab 1474 in die Lehre gegangen ist. Gegen Vermutungen, er habe erst nach seinem Benefiziumsverzicht 1478/79 die Ausbildung angetreten, spricht, dass er ab 1478/79 als Geselle auf Wanderschaft war, zu diesem Zeitpunkt folglich die Lehrzeit bereits abgeschlossen haben musste. Seine Wanderjahre führten ihn wahrscheinlich zunächst ein erstes Mal in die Stadt Würzburg, dann möglicherweise nach Schwaben, an den Oberrhein, Holland und das Moselgebiet, auch wenn für diese Stationen keine urkundlichen Nachweise existieren. Belegt ist seine Reise erst wieder 1483 bei seiner erneuten Ankunft und Niederlassung in Würzburg. Im selben Jahr trat Riemenschneider dort als »Malerknecht« der St. Lukasgilde bei, in der die Würzburger Maler, Bildschnitzer und Glaser vertreten waren, und gelobte den beiden Bürgermeistern Pflicht und Treue. Würzburg besaß zu der Zeit an die 7.000 Einwohner und es war sicherlich kein Zufall, dass sich der Künstler gerade hier niederließ, war er doch seit seiner Jugend über die Altarpfründe und seinen in der Stadt ansässigen Onkel mit Würzburg verbunden. Die von einem Fürstbischof regierte Stadt war schon im ausgehenden 15. Jahrhundert ein bedeutendes Zentrum der Bildnerei, das weit über seinen Einzugsbereich hinaus exportierte. Auch in Würzburg waren Meisterrecht, Bürgerrecht und Heirat aneinander gekoppelt, so dass für Riemenschneider der Weg zu seinem eigenen Handwerksbetrieb nur über die Ehe führen konnte. Nach 14 bis 15 Monaten
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als »Knecht« in einer Bildschnitzerwerkstatt gelangte er durch die Hochzeit mit der Witwe Anna (geb. Uchenhofer) des Würzburger Goldschmieds Ewald Schmidt zu Meisterwürden und erhielt daraufhin schon wenig später am 28. Februar 1485 die Schenkung des Bürgerrechts. Wahrscheinlich wohlhabend durch das Erbe des verstorbenen Onkels, das Vermögen seiner Frau und den von ihr in die Ehe eingebrachten Hof zum Wolfmannsziechlein in der Franziskanergasse konnte Riemenschneider nun seine eigene Werkstatt unter besten Voraussetzungen eröffnen. Der finanzielle Wohlstand, aber auch der bekannte Name des Onkels sicherten Riemenschneider einen schnellen gesellschaftlichen Aufstieg in der Würzburger Bürgerschaft. Wie sich die Auftragslage des Bildschnitzers in den ersten Jahren als Meister gestaltete, ist nicht bekannt. Den ersten belegten Auftrag stellt das Magdalenenretabel für die Pfarrkirche in Münnerstadt im Juni 1490 dar, für dessen Anfertigung er zwei Jahre benötigte; laut Vertrag erhielt er dafür 145 Gulden. Trotz Riemenschneiders langsamer Auftragsabwicklung und seines Hangs, kaum einen Fertigstellungstermin einzuhalten, wuchs seine berufliche Reputation schnell. Am 8. November 1490 beschloss der Rat der Stadt Würzburg einmütig, Riemenschneider mit der Anfertigung der Figuren Adam und Eva für das Südportal der Marienkapelle zu betrauen. Die Arbeit war gegen einen Lohn von 110 Gulden von der Hand des Meisters selbst anzufertigen; bei gutem Gelingen händige man ihm gar als Zeichen der Anerkennung 120 Gulden aus. Kirchliche Aufträge stellten sich als weitaus lukrativer heraus als städtische, zumal Arbeiten für den bischöflichen Hof nur an die besten Künstler vergeben wurden und somit ein solcher Auftrag besondere Reputation versprach. Gerade der Fürstbischof Lorenz von Bibra setzte großes Vertrauen in den Bildschnitzermeister und übertrug ihm wiederholt lukrative Aufträge. Bis 1504 wurden von den neun urkundlich belegten Aufträgen sechs vom jeweiligen Stadtrat und drei vom Klerus vergeben. Inzwischen war Riemenschneiders Frau Anna 1495 verstorben und hinterließ ihm die gemeinsame Tochter Gertrud und ihre drei Söhne, die noch aus ihrer ersten Ehe stammten. 1497 heiratete der Witwer Anna Rappolt, da er nach dem Zunftbrauch verheiratet sein musste, um als Werkstattmeister Gesellen und Lehrlinge beschäftigen zu können. Die zweite Eheschließung brachte ihm ein weiteres Anwesen in der Nähe der Domstraße ein. Doch auch seine Ehefrau Anna verstarb früh, nachdem sie ihm in den zehn Jahren der Ehe drei Söhne und eine Tochter geschenkt hatte. Riemenschneider heiratete 1508 ein drittes Mal, diesmal ehelichte er die Witwe eines Schmiedes, Margarethe Wurzbach. Riemenschneider überlebte auch sie und verkaufte zwei Jahre nach ihrem Tod ihr Haus, das ihm 500 Gulden ein-
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brachte. Seine vierte Frau, ebenfalls Margarethe mit Namen, heiratete er um 1520. Sie begleitete Riemenschneider schließlich bis an sein Lebensende.6 Nachdem Riemenschneider es nach 19 Jahren als Bildschnitzer in Würzburg zu Wohlstand und Ansehen gebracht hatte, erschien er als geeigneter Kandidat für den städtischen Rat. 1504 wurde er vom Domkapitel aus einer vom Rat vorgelegten Sechserliste ausgewählt und trat damit die Nachfolge des verstorbenen Ratsherren Hans Kumels an. 1514 und 1518 wurde er in seinem Amt als eines von 24 Mitgliedern im Unterrat der Stadt Würzburg bestätigt, welcher mit der Wahrung der Stadtsicherheit und des Stadtfriedens, der Vermittlung und Schlichtung von Streitigkeiten, Regelung des Steuerwesens und der Verwaltung von karitativen Stiftungen beauftragt war. Riemenschneiders Einkommen war zu diesem Zeitpunkt bereits durch seinen Grundbesitz und seine florierende Werkstatt gesichert, da die Übernahme eines politischen Amtes zwar eine privilegierte Position und gesellschaftliche Anerkennung mit sich brachte, jedoch nur bescheidene und kaum als lukrativ zu bezeichnende Zusatzeinkünfte versprach. Der Bürgerschaft war es dabei untersagt, ein Ratsmitglied ohne Genehmigung des Bischofs zu wählen. Die Mitglieder wurden auf Vorschlag der Bürgerschaft hin alternierend von Bischof und Domkapitel ernannt, auf welche auch Riemenschneider als neues Mitglied des Rates vereidigt wurde. Durch die Arbeiten des Bildschnitzers am Grabmal des Bischofs Rudolf von Scherenberg und andere Aufträge war indes der Aspirant Riemenschneider den Domherren wohlbekannt. Mehr noch kann man den Bischof Lorenz von Bibra durch seine vielen Aufträge als Riemenschneiders „größten Förderer“7 betrachten. Die Domherren sahen in Riemenschneider „einen dem bischöflichen Hof treu ergebenen Ratsherrn“8 und wollten ihn so mitsamt seiner Produktivität und seiner Loyalität fester an den Bischof und die Stadt binden. In den folgenden Jahren seiner Amtstätigkeit wurde der Bildhauer in verschiedene Ratsämter gewählt.9 Als Baumeister oblag Riemenschneider ab dem 7. Oktober 1505 die Leitung des städtischen Bauwesens und die Erhaltung aller städtischen Gebäude sowie die Rechnungsführung über den Brückenzins und andere Posten. Ihm unterstanden dabei Unterbaumeister, Stadtmeister sowie von der Stadt fest angestellte Handwerker. Am Ende seiner Amtszeit im Bauamt wurde ihm 1507 die Fischermeisterei übertragen, darauf folgte das Amt des Steuerherrn, das er wahrscheinlich 1508/09 6 7 8 9
Zur vierten Gattin des Künstlers, der Margaretha Schirmerin, siehe SCHNEIDER 2010. KALDEN-ROSENFELD 2004, S. 107. KALDEN 1990, S. 21. Zu den Aufgabenbereichen der einzelnen Ämter vgl. GÖTZ 1986, S. 167–230.
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und nachgewiesenermaßen 1512 bis 1514 bekleidete. Gerade diese Position bedeutete eines der wichtigsten Ämter im Unterrat und verdeutlicht anschaulich, welch hohes Ansehen dem Meister in der Stadt Würzburg zukam. Als Kapellenpfleger übernahm Riemenschneider ab dem 13. November 1510 zunächst für ein Jahr die finanzielle und organisatorische Verwaltung der Marienkapelle. Auch das Amt des Schossmeisters, 1516–18, und des Spitalpflegers, wohl 1515/16 und sicher 1518/19, übte Riemenschneider neben seiner Amtstätigkeit im Unterrat und der Leitung seiner Werkstatt aus. Allerdings kam es während Riemenschneiders Amtstätigkeiten vereinzelt zu Unregelmäßigkeiten in seiner Buchführung, so dass er sich als Baumeister, Fischmeister, Kapellenpfleger und Steuerherr immer wieder Vorwürfen der Veruntreuung und des Wirtschaftens in die eigene Tasche ausgesetzt sah. Dies alleine tat aber seinem Ansehen in der Stadt und bei den Einwohnern Würzburgs keinen Abbruch, und so wurde Riemenschneider weiterhin als Sachverständiger und Schlichter in allen Anliegen angefragt und geschätzt. Zu seinen einzelnen Ämtern und seinem Sitz im Unterrat wurde Riemenschneider zudem viermal in den städtischen Oberrat beordert: 1509/10, 1514/15, 1518/19 und 1521/22 war er als einer von sechs bürgerlichen Vertretern mit dem Polizei- und dem Gerichtswesen beauftragt und besaß somit auch Einfluss auf den Erlass von Handwerksordnungen. Ob Riemenschneider diese Position allerdings tatsächlich gezielt für eine Parteinahme und Verbesserungen seiner Handwerksbruderschaft, der St. Lukasgilde, genutzt hat, lässt sich nicht nachweisen. Schließlich wurde Riemenschneider als Höhepunkt seiner innerstädtischen Laufbahn am 12. November 1520 das Amt des jüngeren Bürgermeisters anvertraut. In der folgenden Amtszeit setzte er 1521/22 seine Tätigkeit für ein weiteres Jahr als älterer Bürgermeister fort. Dies verdeutlicht nicht nur das Ansehen, das der Bildhauer bei seinen Mitbürgern besaß, sondern auch seine politischen Fähigkeiten, war doch das Bürgermeisteramt nicht eine bloße Repräsentationsfigur, sondern erforderte besondere Fähigkeiten und Kenntnisse. So mussten diese die Ratssitzungen leiten und gehörten gleichzeitig allen Ausschüssen und Delegationen an. Seit seiner Ankunft in Würzburg 1483 hatte es der Eichsfelder Bildschnitzer bis zu den Ereignissen in den Sommermonaten des Jahres 1525 zu Ruhm, politischem Einfluss und Vermögen gebracht. Als Handwerksmeister führte er schon bald seine Bildhauerwerkstatt ohne ernst zu nehmende Konkurrenz. Als berühmtester Künstler der Stadt und gefördert durch den Bischof empfahl er sich für eine Reihe von Großaufträgen, als öffentliche Person wurde er mit den wichtigsten Stadtämtern betraut und als Geschäftsmann konnte Riemenschneider 1529 auf ein von ihm selbst geschätztes Vermögen von 500 Gulden zurückgreifen. Damit zählte er zwar nicht zu
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den wohlhabendsten Stadtbürgern der Zeit, aber immer noch zu einer gehobenen Mittelschicht, die zusammen mit den Reichsten der Stadt insgesamt um die 15 % der Bevölkerung Würzburgs ausmachte. Umso heftiger mussten den mittlerweile über sechzigjährigen Bildschnitzer, Ratsherrn und Aufständischen des Bauernkrieges die Folgen von 1525 treffen.
2. Quelle Auszug aus der Darstellung des Stadtschreibers Martin Cronthal über die nach den Bauernkrieg im Sommer 1525 gefangengenommenen Würzburger Bürger, darunter er selbst und Riemenschneider. CRONTHAL, Martin: Die Stadt Würzburg im Bauernkriege. Nebst einem Anhang (...), hg. von Michael Wieland, Würzburg 1887, S. 89–91. Zitiert wird vom Herausgeber Michael Wieland ein Manuskript von der Hand Cronthals, welches sich damals in Privatbesitz befand (ebd., S. III– XI). Dieses Manuskript gelangte 1890 an den „Historischen Verein für Unterfranken und Aschaffenburg“ (gegründet 1841); 1938 wurde zwischen ihm und dem Staatsarchiv Würzburg ein Depotvertrag geschlossen. Das Manuskript befindet sich heute als Leihgabe der „Freunde Mainfränkischer Kunst und Geschichte e. V.“ (ein Zusammenschluss dreier Vorgängervereine) im Staatsarchiv Würzburg mit der Signatur: HV Ms. f. 1073. ... aber zum andernmahl hat man wieder angefangen zu lesen, und alsbalden hat man drey henker wie die freissamen wölf hinzutreten heisen. da sind alsbalden enthaupt worden: Jacob (Kohl) von Eybelstatt, so der bauern gemeiner hauptmann gewesen ist, so gefangen und im Loch zu Wurtzburg enthalten worden bis diesen tag; Bernhard Wissner kandengieser, Philips Dietmar mahler, Hanns Schieler rothschmid, eins raths diener, und Hanns Leininger ein bader zum Löwen. damit haben sie diss tags uf dem mark zu richten aufgehört und alle ubrige person von Wurtzburg hat man zwischen den landsknechten zum Grunbaum gefuhrt, doselbst sie bleiben musten bis uf weitern befehl. im hinabführen wurd manchem die daschen geraubt, abgegürt, als dem burgermeister der statt Wurtzburg secret mit samt seinem geld entwendt wurd. doneben wurden von stätten uf dem Judenplatz ob den 24, uf dem Rennweg etlich und 36 enthaupt, schuldig und unschuldig, wie mans in sinn nahm und nach dem paus. es war dieser zeit alles recht, was man gegen den armen furnahm, und die menschen wie die hüner geschetzt. […] als sichs nun begab, dass im blutzettel der Tettelbachisch fenderich gelesen und gefordert (ward), fert der behends herfür unverdachts muths; den stellet man dar, schlug ihm den kopf ab an jehnes
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statt, der, wie gemelt, abgewichen; so liederich giengs alles zu. nun als das morgessen verbracht, sind herr Sebastian von Rottenhan ritter hofmeister, herr Hanns von Lichtenstein dumherr und andere des bischofs von Wurtzburg räthen wieder kommen; die haben der verhaften burger im Grünbaum ein auszug machen und aufschreiben lassen, etliche anheims gehen, die andern alle im Grünbaum bleiben heisen; und als man derselben halb noch ein auszug gemacht, wurden zu abends uf ein ort gelesen: Tilman Riemenschneider, Hanns Hornung, des raths; Martin Cronthal stattschreiber; […] die alle vierzig von Wurtzburg; und darzu Wilhelm Grau von Retzbach und ein zimmergesellen, der herr Hansen von Bibra dochter, so ein closterjungfrau zur Himmelspforten gewesen, zur ehe gewonnen; die hat man gefenglich uf den berg gefurt. die andern burger, so zum Grünbaum gelassen, musten bei iren pflichten, glübden und ayden zum Grünbaum bleiben und verharren; der waren 20 des raths, 10 viertelmeister, 125 aus der gemein und daruber, ab den 40 person aus der gemeind im Loch. als die angenummenen uf den berg gefurt wurden und zur Delle bracht, fiel Hanns Hornung, ein frommer mann, hernieder; sagt einer unter den landsknechten: »stoes ein helleparten in den bösswicht«; geschah nit. als er wieder gemach, stund er auf, zog mit hinauf. als sie an den zaun der Dell kamen, stand aldo Eustachius von Thungen, bei ihm mehr von adel und Bartel, ein einspenniger, der lang den Thungischen gedient, entpfangen mit heftigen fluchen und worten, und sagt Eustachius: »ihr bosswichter, ihr habt uns hie oben wollen schinden, wir wollen euch braten«. sie wurden aber in die hofstuben gefurt, doselbst gab man ihn essen und trinken, und furter that man die 40 Wurtzburger in ein gros gewelb, das erst zur linken hand, so man in das sloss gehet, nach der Schutten, darinnen viel kohlen lagen. und uf den andern und dritten tag ward einer nach dem andern und sie alle fur etliche verordnete rath gefordert, heftig mit worten angelassen und gefragt; und was jeder gesagt, wurd aufgeschrieben; wust keiner, was man mit den andern thun wolt; denn es wurden ihr 14 zusammen in ein eng gewolblin hinter der wehr, darinnen salpeter und kalch lag, gefurt; darin bis an 3 tag gelegen und darnach wieder in das kohlengewelb gefurt. da kamen sie alle 40 wieder zusammen und es kamen oft ihr viel vom hofgesind an das gewelb und thaten, als wolten sie aufschliesen, (dabei sprechend:) »wolan die bosswicht müssen itzt alle sterben«. dess erschracken die gefangenen nit wenig. von diesen gefangenen wurden uf mittwochen nach Trinitatis [14. Juni] derselben gefangenen vierzehn ausgelassen: […]. die andern 26 blieben in der kohlkammer bis uf donnerstag nach Corporis Christi [22. Juni]. die wurden dazumahl auch herausgethan, in die grossen hofstuben gelassen, doselbt man ihn uf lang warten und hoffnung ledig werdens essen und trinken (reichte). darnach kam Jörg von Fronhofen, vogt, mit
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einem schreiber und las der gefangen 16 nemlich: Tilman Riemenschneider, des raths; Martin Cronthal, stattschreiber; […]. die wurden gefurth in Schodersthurn, dorin ein edelmann, Albrecht zu Fras genant und bei 20 gefenglich gelegen; […]. und dieweil sie also gefenglich gelegen, hat man Tilman Riemenschneider, Hanns Bauern und Hanns Rudiger aus ihren gefengnussen gefurt, (und sind diese) vom hencker hart gewogen und gemartert worden. aber hernieder in der statt (wurden) täglich viel geköpft; (sie wurden) vom henker schlechtlich aus ihren gefengnissen und allein uf den nechsten platz gefuhrt (und) zu ihne gesagt: »da knie niter, dir geschicht nicht unrecht« – und die köpf herab. (Übertragung ins Neuhochdeutsche) Aber zum anderen Mal hat man wieder angefangen, [die Namen] vorzulesen, und hat bald drei Henker wie fressgierige Wölfe herbeiholen lassen. Da sind daraufhin enthauptet worden: Jakob (Kohl) von Eybelstatt, der der Hauptmann der Bauern gewesen ist, der gefangen und im Loch zu Würzburg gehalten wurde bis zu diesem Tag; Bernhard Wissner, Zinngießer; Philips Dietmar, Maler; Hanns Schieler, Drechsler und Ratsdiener und Hanns Leininger, ein Bader zum Löwen. Damit haben sie für diesen Tag auf dem Markt mit dem Richten aufgehört und alle übrigen Personen hat man zwischen den Landsknechten zum Grünbaum10 geführt, wo sie bis auf weiteren Befehl bleiben mussten. Beim Hinabführen wurde so manchem die Tasche geraubt und abgegürtelt, als dem Bürgermeister der Stadt Würzburg das Sekretsiegel11 mitsamt dem Geld entwendet wurde. Daneben wurden aus Städten auf dem Judenplatz 24, auf dem Rennweg 36 und mehr enthauptet, schuldig und unschuldig, wie es in den Sinn kam und nach dieser Pause. Es war zu dieser Zeit alles Recht, was man gegen den armen Mann12 vornahm und die Menschen waren so viel wert wie die Hühner. […] Als es sich nun begab, dass vom Blutzettel13 der Fähnrich von Tettelbach gelesen und gefordert wurde, meldete sich dieser schnell ohne bösen Verdacht. Den stellte man hin, schlug ihm den Kopf ab an des anderen statt, der sich davon gemacht hatte. So liederlich ging alles zu. Nach dem Frühstück sind Herr Sebastian von Rottenhan14, Ritter und Hofmeister, Herr 10
Westlicher Gebäudeabschnitt im Würzburger Rathaus, dem sogenannten Grafeneckart. Der romanische Bau wird seit Beginn des 14. Jahrhunderts als Rathaus genutzt. 11 Kontroll- oder Geheimsiegel, das als Rücksiegel oder kleines Siegel verwendet wurde. 12 Gemeint sind mit dieser Bezeichnung die Bauern. 13 Todesliste, die die Namen der Aufständischen enthält. Auf dem »Blutzettel« aufgeführte Personen wurden hingerichtet. 14 Oberhofmeister Konrads von Thüngen; maßgeblich für die Verteidigung der Marienfestung verantwortlich.
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Hanns von Lichtenstein, Domherr und andere Räte des Bischofs von Würzburg gekommen. Die haben die verhafteten Bürger im Grünbaum heraustreten und aufschreiben lassen, etliche nach Hause gehen und die anderen im Grünbaum festhalten lassen. Und als man letztere noch einmal hinaustreten ließ, wurden abends an einem Ort versammelt: Tilman Riemenschneider, Hanns Hornung, beide Mitglieder des Stadtrates, Martin Cronthal, Stadtschreiber […]. Alle Vierzig aus Würzburg und dazu noch Wilhelm Grau von Retzbach und ein Zimmerergeselle, der die Tochter von Herrn Hansen von Bibra, welche eine Klosterjungfrau zur Himmelspforte gewesen war, zur Ehe genommen hatte. Die anderen Bürger, die im Grünbaum zurückgelassen wurden, mussten bei ihren Pflichten, Gelübden und Eiden auf Grünbaum bleiben, dies waren 20 Mitglieder des Stadtrates15, zehn Viertelmeister, 125 und mehr aus der Gemeinde abgesehen von den 40 Personen aus der Gemeinde im Loch. Als die Ausgewählten auf den Berg geführt und zur Zitadelle gebracht wurden, fiel Hanns Hornung, ein frommer Mann, auf die Erde. Da rief einer der Landskechte: „Stoßt eine Hellebarde in den Bösewicht!“. Aber es geschah nicht. Als er wieder zu Kräften kam, stand er auf und zog mit hinauf. Als sie an den Zaun der Zitadelle kamen, standen dort Eustachius von Thüngen16 und bei ihm noch mehr vom Adel und Bartel, ein Einspänner17, der lange dem Herrn von Thüngen gedient hatte, welche die [Gefangenen] mit heftigen Flüchen und Worten empfingen. Und Eustachius sagte: „Ihr Bösewichter, ihr wolltet uns hier oben schinden, wir wollen euch braten“. Sie wurden aber in die Hofstube geführt, wo man ihnen zu essen und zu trinken gab und dann brachte man die 40 Würzburger in ein großes Gewölbe, das links am Eingang des Schlosses liegt, in dem viel Kohle lag. Und am nächsten und am dritten Tag wurde einer nach dem anderen und sie alle vor eigens dazu verordnete Räte gefordert und heftig mit Worten gereizt und befragt. Und das, was jeder sagte, wurde aufgeschrieben. Keiner wusste, was man mit den Anderen machen wollte. Denn es wurden 14 von ihnen in ein enges Gewölbe hinter der Wehr geführt, in dem Salpeter und Kalk lagen18. Darin haben sie bis zu drei Tagen gelegen und dann wurden 15
Der Würzburger Stadtrat bestand aus insgesamt 24 Mitgliedern. Nach der bedingungslosen Kapitulation am 07.06. 1525 wurde fast der gesamte Stadtrat, 20 Ratsmitglieder sowie die beiden zum Rat gehörigen Bürgermeister, mit Ausnahme der von Cronthal nicht erwähnten Mitglieder Georg Ganzhorn und Jacob Espacher, festgenommen. Von diesen 22 Personen wurden, wie Cronthal oben berichtet, nur Riemenschneider und Hornung auf den Marienberg gebracht, so dass im Grünbaum die 18 Ratsmitglieder und die Bürgermeister Hans Wagenknecht und Philips Heussner verblieben. 16 Eustachius (gest. 1544) aus dem Hause Thüngen, Vetter des Götz von Berlichingen. 17 Bauer mit kleinerem Landbesitz. 18 Kalksalpeter war ein Hauptbestandteil des Schwarzpulvers und hatte damit eine große militärische Bedeutung.
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sie wieder in den Kohlenkeller geführt. Da kamen alle 40 wieder zusammen; und oft kam Hofgesinde an das Gewölbe, und sie taten, als wollten sie aufschließen, und sagten dabei: „Wohlan, die Bösewichter müssen jetzt alle sterben“. Und hierüber erschraken die Gefangenen nicht wenig. Von diesen Gefangenen wurden am Mittwoch nach Trinitatis [14. Juni 1525] 14 Gefangene herausgelassen: […]. Die anderen 26 blieben im Kohlenkeller bis am Donnerstag nach Corporis Christi [22. Juni]. Die wurden damals auch herausgeholt, in die große Hofstube gelassen, wo man ihnen nach langem Warten und Hoffen, frei zu werden, Essen und Trinken reichte. Danach kam der Vogt Jörg von Fronhofen mit einem Schreiber und las die Namen von 16 Gefangenen vor: Tilman Riemenschneider, Ratsmitglied, Martin Cronthal, Stadtschreiber […]. Die wurden in den Schotterturm geführt, in dem ein Edelmann namens Albrecht zu Fras und etwa 20 andere gefangen lagen […]. Und während sie also lagen, hat man Tilman Riemenschneider, Hanns Bauern und Hanns Rudiger aus ihrem Gefängnis geführt und diese sind vom Henker hart aufgezogen19 und gemartert worden. Aber unten in der Stadt wurden täglich viele geköpft. Sie wurden vom Henker schlicht aus dem Gefängnis und einzeln auf den nächsten Platz geführt und ihnen wurde gesagt: „Knie da nieder, dir geschieht kein Unrecht“ – und die Köpfe fielen herab.
3. Kontextualisierung Als unmittelbar Beteiligter konnte Martin Cronthal, Rats- und Stadtschreiber von 1504 bis 1525 und Verfasser unserer Quelle, die Ereignisse des Bauernkrieges in Würzburg anschaulich festhalten und ausführlich in seiner Chronik beschreiben. Bei der Gefangennahme der Aufständischen gehörte er zusammen mit Tilman Riemenschneider zu den 42 Personen, die auf die Festung Marienberg gebracht, inhaftiert und in den folgenden Tagen verhört wurden. Aus seiner, des Chronisten Sicht ein Irrtum: Cronthal, der wohl Bruder des bischöflichen Sekretärs und späteren Rates Nikolaus Cronthal von Dettelbach war, versuchte nämlich bei der Erhebung der Bauern 1525 zusammen mit den beiden Bürgermeistern und dem Rat den freiwilligen Anschluss Würzburgs an die Aufrührer zu verhindern. Zum Verhängnis wurde ihm jedoch eine Äußerung gegenüber einem Domherrn, die – nach seiner eigenen Aussage – aber nicht seine eigene Meinung, sondern die der Aufständischen wiedergab: Sie (die Bauern) wollten Konrad II. von Thün19
Harte Folter, bei der dem Opfer die Hände hinter dem Rücken zusammengebunden werden und dieses an der Fessel über einen Seilzug hochgezogen wird.
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gen nicht mehr zum Landesherrn haben. Aufgrund dieser dem Bischof hinterbrachten Aussage wurde der Stadtschreiber verhaftet, auf dem Marienberg fast neun Wochen gefangen gehalten und schließlich vom Bischof seines Amtes enthoben. Der Bauernkrieg war entgegen seiner Bezeichnung weniger ein regional fest eingegrenzter und einheitlicher Feldzug von Bauern gegen ihre fürstlichen Landesherren, sondern umfasst als Summe von Einzelaktionen eine Vielzahl zusammenhängender und unabhängiger Erhebungen des gemeinen Mannes, die in einer Kontinuität früherer gesamteuropäischer Bauernaufstände im ausgehenden Mittelalter stehen. Die Gründe dafür, dass diese gerade im Jahr 1525 wieder aufflackerten und flächenbrandähnlich große Teile des Reiches ergriffen, ist auf länger wirkende wirtschaftliche, soziale, politische und religiös-rechtliche Ursachen zurückzuführen. Seinen Ausgangspunkt fand der Bauernkrieg im Juni 1524 in Schwaben, in dem Herrschaftsgebiet von Stühlingen. In Anbetracht wiederholt ungehörter Forderungen begehrten Dörfer auf und fanden schnell diplomatische und militärische Führer für die eigene Sache. Gedruckte Flugschriften wurden im Reich verteilt und formulierten so Einzelklagen zu einer gemeinsamen Basis unter Berufung auf die Übereinstimmung mit dem Wort Gottes. Durch diese Entwicklungen ermutigt, kam es auch in den anderen Teilen des Reichs zu Erhebungen, wenn auch die konkreten Anlässe und die dahinter stehenden Forderungen sehr verschieden waren. Während „in Oberschwaben wirtschaftliche, in Thüringen religiöse Thesen überwogen, zeichnete sich in Franken, ‚dieser besonderen Heimat des Reiches’, der politische Charakter der Revolution am klarsten ab“.20 Wirtschaftliche Faktoren waren hier mitbestimmend, jedoch nicht alleine entscheidend für den Ausbruch der Aufstände. Eine vorhergehende Agrarkrise und gleichzeitige Abgaben- und Steuererhöhungen trafen die Landbevölkerung schwer und drohten ihre wirtschaftliche Gesamtlage zu verschlechtern. Was aber trieb Riemenschneider auf die Seite der Aufständischen in den Würzburger Erhebungen? Wie bereits die Vita des Künstlers aufzeigt, war Riemenschneider als politische Person mit der Stadt und ihren Einwohnern verbunden. Seine nunmehr 21-jährigen Amtstätigkeiten hatten ihm Einblick in nahezu alle Bereiche des Alltagslebens erlaubt, so dass er möglicherweise eine besondere Verbundenheit und Sympathie für die Einwohner der Stadt entwickelte. Bei seinen Auftragsarbeiten für die umliegenden Gemeinden und seiner Tätigkeit als Vermittler in Streitfällen, aber auch in den verschiedenen Ämtern konnte er die Lebensumstände der Landbevölkerung und der Mitbürger 20
GRÄTER 1975, S. 7.
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kennenlernen und war so für die Not seiner Zeitgenossen sensibilisiert. Als Steuerherr erhob er 1512/13 beim Fürstbischof erfolgreich Einspruch gegen das Privileg der Steuerfreiheit von Adeligen und Chorherren, als Bürgermeister versuchte er 1521, das Wahlrecht des Rates zu verteidigen, und als Ratsherr bewahrte er einen städtischen Geißhirten vor einer Geldstrafe. Allerdings zeugt dies in erster Linie nicht ausschließlich von einem besonderen Engagement Riemenschneiders für die Bewohner Würzburgs, sondern war seinem Amtsverständnis zuzuschreiben. Die Frage, inwiefern diese Aktionen auch aus einer persönlichen sozialen Einstellung motiviert waren, muss offen bleiben. Quellen, die diese Vermutungen direkt belegen würden, sind bisher nicht gefunden worden. Dennoch ist dieser persönliche Beweggrund immer wieder als Erklärungsmodell für Riemenschneiders „starke ideelle Beteiligung“21 in Forschung und Belletristik aufgegriffen worden, wie auch Thomas Manns Einschätzung des Künstlers zeigt. Für die DDR stand Riemenschneider neben anderen Künstlern, etwa Jörg Ratgeb, in einer Traditionslinie von frühbürgerlichen Revolutionären, welche sich für die Not der Bauernschaft einsetzten: „Vielleicht hat Riemenschneider zahlreiche Gestalten als Gegengewicht zur äußeren Monumentalität und Überheblichkeit der Herrschenden seiner Zeit geschaffen, indem er das bewegend Menschliche, das Einfache bewußt herauskehrte, um einen Kontrast zu schaffen, auch in den Kreuzigungsgruppen den stillen Schmerz der Menschen zu zeigen, die ihre Empörung über Unrecht und Mord nicht hinausschreien durften, die trauerten, ohne endlos zu verzweifeln, die hoffnungsvoll blieben und aufschauten, um erlöst und befreit zu werden. Es erhebt sich die Frage: Konnte Tilman Riemenschneider, der mit seiner Kunst auf das Empfinden der Menschen einwirkte, in jeder Situation bedingungslos den Forderungen der Obrigkeit – in seinem speziellen Fall dem Fürstbischof Conrad von Thüngen – nachkommen, als dieser im Jahre 1525 im Rat zu Würzburg ein Vorgehen gegen die revolutionären Bauern forderte?“22 Tatsächlich lässt sich aber auch diese Frage nicht ausreichend beantworten. Die Ratsprotokolle, die zudem meist nur die Ergebnisse einer Sitzung festhielten, können nur unzureichend die Haltung Riemenschneiders darstellen, zumal relevante Quellenbestände gar nicht vorhanden sind, da die Ratsprotokolle der Frühlingsmonate von 1525 schon kurz nach der Niederschlagung des Aufstandes vernichtet wurden.23 Die Vermutung also, dass 21
SCHRADE 1927, S. 18. TRAPPE 1983, S. 63. 23 So fehlen im Würzburger Stadtarchiv in den Beständen der Ratsakten die Bestände mit den Signaturen 1 bis 81 vollständig. Auskünfte über die Zerstörung der relevanten 22
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Riemenschneider sich aus persönlicher, innerer Überzeugung den Aufständischen anschloss, liegt aus den genannten Gründen nahe, lässt sich historisch aber weder stützen noch widerlegen. Ein zweiter Grund könnten aber auch Sympathien des Künstlers für die religiösen Reformbewegungen sein und für jene, „die das Wort seiner Evangelisten und Apostel zum Zeugnis anriefen für ihren Aufstand gegen eine religiös erstarrende und sozial gespaltene Welt.“24 Aber auch über Riemenschneiders Haltung gegenüber dem neuen Evangelium lässt sich nichts mit Bestimmtheit sagen. Der Würzburger Fürstbischof Konrad II. von Thüngen indes nahm religiös motivierten Aufständen ihre Sprengkraft, indem er vor den Aufständen gar nichts gegen reformatorische Predigten unternahm und diese in seinem eigenen Hochstift duldete.25 Überhaupt sahen sich die Würzburger Bürger und Bauern nicht veranlasst, eine religiöse Neuordnung vorrangig in ihre Forderungen aufzunehmen.26 Vielmehr sah man in der fränkischen Bischofsstadt im Evangelium ein pazifizierendes Potential, um ein friedlich wesen aufzurichten.27 Auch wenn immer wieder darauf verwiesen wird, dass den Bildhauer eine „kritische Haltung gegenüber dem übertriebenen Stolz der adeligen hohen Geistlichkeit“28 auszeichnete, erscheint es angesichts der Würzburger Verhältnisse als unwahrscheinlich, dass Riemenschneider tatsächlich aus religiösen Gründen gegen seinen größten Förderer, den Bischof, vorging. Zwei der möglichen persönlichen Gründe, die den Künstler im Jahre 1525 zum Aufstand bewogen haben können, reichen als Erklärungsgrundlage für seine Entscheidung nicht aus; sie geben auch keine Antwort auf die Frage, ob der Künstler denn überhaupt persönliche Anteilnahme an den Geschehnissen nahm.29 Betrachtet man den Fall Riemenschneider aus einer anderen Perspektive, ausgehend von der politischen Position des Bildschnitzers, dann wird deutlich, wie sich dieser als Ratsherr dem Geschehen nicht entziehen konnte und in den »Sog der Ereignisse« geriet. Die Position Riemenschneiders und Ratsprotokolle stammen von dem derzeitigen Leiter des Würzburger Stadtarchivs, Herrn Dr. Ulrich Wagner. 24 FREEDEN 51981, S. 16. 25 BRADY 2004, S. 20. 26 Vgl. RUBLACK 1976, S. 97–99. 27 CRONTHAL 1887, S. 23. 28 BRINKE 1994, S. 323. 29 Tatsächlich ist sich die neuere Riemenschneiderforschung dieses Problems bewusst und geht daher in weiten Teilen nicht mehr wie die frühere Literatur auf mögliche Motive Riemenschneiders ein, sondern beschränkt sich auf die Wiedergabe der aus der Schilderung Cronthals bekannten Details; TRENSCHEL 2004, S. 50 und WAGNER 2001, S. 40–49.
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des Rates war zu Beginn der Unruhen eine vermittelnde. Als sich Ende März 1525 die Rothenburger Landwehr im Territorium der fränkischen Reichsstadt erhob,30 erkannte Fürstbischof Konrad II. von Thüngen die Gefahr und suchte den Beistand der benachbarten Fürsten. Gleichzeitig aber trat er an die Bürgermeister und den Stadtrat heran, um sich der Loyalität der Bürgerschaft zu versichern, welche die Forderung der Gemeinde, eximierte Geistliche ebenfalls zu besteuern, vor den Bischof brachte. Stadtrat und Bischof traten in Verhandlungen ein, während die Unruhen in der Bevölkerung aufgrund der Ausschreibung eines Ritterschaftstages in Würzburg für den 6. April stiegen. Die Befürchtung der Bauern indes war, dass die Bürgerschaft versammelt werden solle, um sie mit Gewalt gefügig zu machen. Tiefes Misstrauen entstand gegenüber den Ratsherren, die der Kollaboration mit dem Bischof verdächtigt wurden. Bischof von Thüngen versuchte nun abermals über den Rat und die Viertelmeister, mit der Bürgerschaft eine Vereinbarung zu treffen. Kompromissbereit wollte der Bischof zum Ende des Monats April einen Landtag einberufen, zu dem auch das Landvolk eingeladen war. In den Wochen vor dem Landtag erhoben sich im Umland die Bauern, das fränkische Bauernheer formierte sich und auch die antiklerikalen Tumulte eskalierten soweit, dass die Klöster Ober- und Unterzell geplündert, das Kloster Himmelspforten sogar in Brand gesteckt wurde. Überhaupt müssen emotionale Momente wie Hass und Neid sehr schnell auf die Bevölkerung übergegriffen haben.31 In einer psychologischen Massenreaktion schlugen sich weite Teile der Landbevölkerung und der Stadtbürgerschaft auf die Seite der Aufständischen. Es ist nicht auszuschließen, dass auch der fürsichtige und wyse maister Riemenschneider von diesen Affekten nicht unberührt blieb und sich später mit Leidenschaft der Sache der Bauern hingab. Zunächst aber blieb er zusammen mit dem Stadtrat auf der Suche nach einem Ausgleich in der Vermittlerposition und versuchte erfolglos, die Überfälle auf Klöster zu unterbinden. Als aber die Bauernschaft am 1. Mai 1525 gar nicht erst auf dem Würzburger Landtag erschien, war die Zusammenkunft bereits zum Scheitern verurteilt: Die Befriedung des Landes durch Zugeständnisse an die Bauernschaft konnte nicht mehr erreicht werden, da sich die anwesenden Städte weigerten, ohne die Bauern überhaupt in Verhandlungen einzutreten. Aus Angst, der Bauernhaufen könne zuschlagen, bevor die fürstentreuen Truppen des Schwäbischen Bundes in Würzburg angelangt seien, floh Konrad II. von Thüngen am 5. Mai 1525 mit seinen Vertrauten aus der oberhalb der Stadt gelegenen Marienfestung nach Heidelberg. 30 31
FRIES 1978, Bd. 1, S. 108–111. ENDRES 1975, S. 96.
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Damit waren die Möglichkeiten der konventionellen Politik für den Stadtrat aufgebraucht, der nun nach der Flucht des Landesherrn keine Legitimationsbasis gegenüber der Bauernschaft mehr besaß. Mit der Drohung, die für die Stadt Würzburg wirtschaftlich essenziellen Weinberge zu verwüsten, zwang der Bauernhaufen den Rat zum Übertritt. Am 9. Mai 1525 kündigten Riemenschneider und die Ratsherren dem Bischof durch ein offen brief den Gehorsam auf. Die Konsequenzen waren für die Stadt und den Künstler verheerend: Die weitere Entwicklung ging über Bürgermeister und Stadtrat hinweg, es verblieb ihnen kein Entscheidungsspielraum, die Bauern und ihre Führer bestimmten das nunmehr eskalierende Geschehen. Am 14. Mai begann die Belagerung der mit 400 Mann besetzten Marienfestung durch das Bauernheer. Am 2. Juni 1525 trafen die Truppen des Schwäbischen Bundes vor Würzburg auf die Bauern. Die erfahrenen Kriegsreiter überwanden mit nur geringen Verlusten den Bauernhaufen und besiegten auch das aus Würzburg anrückende und etwa 4.000–5.000 Mann starke Ersatzheer der Bauern. Würzburg selbst wurde am 8. Juni 1525 eingenommen. Die Behandlung der Aufständischen beschreibt die Quelle Cronthals anschaulich. Bauern wurden ohne viel Aufhebens hingerichtet und die menschen wie die hüner geschetzt. Die Hinrichtung des vermeintlichen Fähnrichs von Tettelbach, der den eigentlichen Fahnenträger nur vertreten sollte und nicht wusste, was mit ihm geschehen würde, zeigt, wie drastisch gegen die Aufständischen vorgegangen wurde. Entscheidend für Riemenschneiders Schicksal, seine Gefangennahme und Folterung war demnach nicht seine Einstellung, seine persönliche Haltung zu den Aufständen, sondern seine Mitgliedschaft im Rat der Stadt Würzburg. Nicht als »persona privata« stellte sich der Bürger Riemenschneider von Beginn an auf die Seite der Bauern, sondern als »persona publica« kündigte der ehemalige Bürgermeister und Ratsherr zusammen mit dem Stadtrat nach erfolglosen Vermittlungsversuchen dem Bischof den Gehorsam auf. Wie Cronthal berichtet, wurde Riemenschneider sofort nach der Niederlage der Bauern gefangen gesetzt. Das alleine verweist zunächst noch auf keine Partikularschuld des Bildschnitzers, da fast der gesamte Stadtrat aufgrund seiner Parteinahme festgenommen wurde. Wie aber die Quelle weiter berichtet, ist er neben Hanns Hornung als einziges Mitglied des Stadtrates auf die Marienfestung geführt, mit Todesandrohungen gequält und anschließend gefoltert worden. Die Gründe, warum ausgerechnet Riemenschneider auf die Feste geführt wurde, während die anderen Ratsmitglieder im Würzburger Rathaus verblieben, sind nicht direkt bei Cronthal zu finden, sondern beim bischöflichen Sekretär und Geschichtsschreiber Lorenz Fries nachzulesen: Riemenschneider wurde vorgeworfen, verbreitet zu
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haben, der Bischof habe Geschütze und Bewaffnete zusammengezogen und sei bereit, das Feuer auf die Stadt zu richten: Were aber disen lügen erstlich auf die ban pracht, kan man nit aygentlich wissen. wol sind etlich befunden, die es von Thilman Riemenschneider, ainem biltschnitzer zu Wirtzburg, gehört hetten.32 Schon wenige Tage später sollte sich dieses Gerücht als unwahr herausstellen, es verfehlte aber nicht seine Wirkung, die Bürger weiter zu radikalisieren und sie kampfbereit zu machen. Unter der Folter an den Gewichten gestand Riemenschneider, dass nicht er der Urheber, sondern ihm selbst diese vermeintliche Neuigkeit von Hans Bermeter, einem stadtbekannten Agitator, zugetragen worden sei. Riemenschneider blieb wohl bei der Folter standhaft und bestand auch, als er ohne Foltereinflüsse seine Aussage wiederholen musste, darauf, dass er das Gerücht lediglich weitergetragen habe. Dies lässt sich daraus ableiten, dass er nicht wie die vielen anderen, von denen Cronthal berichtet, hingerichtet wurde. Als Anstifter und Verräter der Stadt wäre an ihm wie vor dem Strafgericht das Todesurteil vollstreckt worden; nur durch seine standfeste Aussage konnte sich Riemenschneider der Höchststrafe entziehen. Nach fast neunwöchiger Gefangennahme wurde er schließlich freigelassen. Er musste Urfehde schwören und ein Teil seines Vermögens wurde eingezogen. Außerdem verlor Riemenschneider sein Amt im Würzburger Rat und damit einen großen Teil seines gesellschaftlichen Ansehens. Neben Riemenschneider wurden neun weitere Ratsherren ihres Amtes enthoben.33 Somit war Riemenschneider zwar mit dem Leben davon gekommen, sein gesellschaftlicher Status jedoch war zerstört und seine künstlerische Laufbahn war nach seiner Entlassung von der Marienfestung fast am Ende. Zwar wurden ihm nicht, wie oft angenommen, die Hände während der Folter gebrochen, so dass er keine Arbeiten mehr hätte erledigen können. Schon alleine die Renovierung der Altäre in der Klosterkirche der Kitzinger Benediktinermönche im Mai 1527 belegt, dass Riemenschneider noch in der Lage war, handwerkliche Arbeiten durchzuführen. Doch in den folgenden Jahren wurden ihm nur noch wenige Aufträge angetragen. Ob dies dem allgemeinen wirtschaftlichen Niedergang des fränkischen Raumes, dem beschädigten Ansehen oder dem fortgeschrittenen Alter des Meisters zuzurechnen ist, muss, wie so vieles in Riemenschneiders Vita, unbeantwortet bleiben. Am 7. Juli 1531 verstarb der Meister, Werkstattleiter, Ratsherr und Bürgermeister im Alter von circa 70 Jahren. Trotz seines hohen Ansehens 32 33
FRIES 1978, Bd.1, S. 68. Anscheinend gab es bei der Absetzung der Ratsherren keine bestimmte Regelung, da im verbleibenden Rat auch Bürger belassen wurden, die ebenso an den Aufständen teilgenommen hatten; GÖTZ 1986, S. 236.
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zu Lebzeiten und seiner künstlerischen Leistungen geriet Tilman Riemenschneider schnell in Vergessenheit und blieb bis zu der Entdeckung (1822) seiner Grabplatte nahezu unbekannt.
Literatur BRADY 2004 – BRADY Jr., Thomas A.: One Soul, Two Bodies. Lordship and Faith in Prince-Bishopric of Würzburg c. 1500, in: Julien Chapuis (Hg.): Tilman Riemenschneider. c. 1460−1531, New Haven 2004, S. 15–27. BRINKE 1994 – BRINKE, Margit: Riemenschneider, Tilman, in: BBKL, Bd. 8, 1994, Sp. 321–327. CRONTHAL 1887 – CRONTHAL, Martin: Die Stadt Würzburg im Bauernkriege. Nebst einem Anhang (...), hg. von Michael Wieland, Würzburg 1887. ENDRES 1975 – ENDRES, Rudolf: Probleme des Bauernkrieges in Franken, in: Rainer Wohlfeil (Hg.): Der Bauernkrieg 1524–1526. Bauernkrieg und Reformation. Neun Beiträge, München 1975, S. 90–115. FREEDEN 51981 – FREEDEN, Max Hermann von: Tilman Riemenschneider. Leben und Werk, (1. Aufl. München 1954) 5. verm. u. verb. Aufl. München 1981. FRIES 1978 – FRIES, Lorenz: Die Geschichte des Bauernkrieges in Ostfranken, hg. von August Schäffler und Theodor Henner, 2. Bde., (Neudr. d. Ausg. Würzburg 1883, verm. um d. Erg. von Wilhelm Stolze [1908] u. Arthur Bechtold [1937]), Aalen 1978. FRÜNDT 1975 – FRÜNDT, Edith: Tilman Riemenschneider (Welt der Kunst), Berlin 1975. GÖTZ 1986 – GÖTZ, Hannelore: Würzburg im 16. Jahrhundert. Bürgerliches Vermögen und städtische Führungsschichten zwischen Bauernkrieg und fürstbischöflichem Absolutismus, Würzburg 1986. GRÄTER 1975 – GRÄTER, Carlheinz: Der Bauernkrieg in Franken, Würzburg 1975. KALDEN 1990 – KALDEN, Iris: Tilman Riemenschneider. Werkstattleiter in Würzburg. Beiträge zur Organisation einer Bildschnitzer- und Steinbildhauerwerkstatt im ausgehenden Mittelalter, (Zugl: Hamburg, Univ., Diss., 1989) Ammersbek bei Hamburg 1990. KALDEN-ROSENFELD 2004 – KALDEN-ROSENFELD, Iris: Tilman Riemenschneider und seine Förderer, in: Claudia Lichte (Hg.): Tilman Riemenschneider, 2 Bde., Regensburg 2004, hier Bd. 1: Werke seiner Blütezeit, S. 105–117. LICHTE 2004 – LICHTE (Hg.), Claudia: Tilman Riemenschneider, 2 Bde., Bd. 1: Werke seiner Blütezeit, Bd. 2: Werke seiner Glaubenswelt, Regensburg 2004. MANN 1996 – MANN, Thomas: Essays, nach den Erstdr., textkrit. durchges., kommentiert u. hg. von Hermann Kurzke und Stephan Stachorski, 6 Bde.,
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Frankfurt am Main 1993–97; hier Bd. 5: Deutschland und die Deutschen 1938–1945, Frankfurt am Main 1996. RUBLACK 1976 – RUBLACK, Hans-Christoph: Die Stadt Würzburg im Bauernkrieg, in: Archiv für Reformationsgeschichte 67, 1976, S. 76–100. SCHNEIDER 2010 – SCHNEIDER, Britta: Margaretha Schirmerin Thil Rymenschneiders hausfrawen. Gerichtsakten als Quellen für neue Perspektiven auf den Würzburger Bildschnitzer nach 1525, in: Jahrbuch für Regionalgeschichte 28, 2010, S. 37-47. SCHRADE 1927 – SCHRADE, Hubert: Tilman Riemenschneider, Heidelberg 1927. STEIN (1936) 1944 – STEIN, Karl Heinrich: Tilman Riemenschneider im deutschen Bauernkrieg. Geschichte einer geistigen Haltung, (Originalausgabe Wien 1937) Zürich 1944. TRAPPE 1983 – TRAPPE, Wolfgang: Tilman Riemenschneider. Zwischen Krummstab und Morgenstern (Eichsfelder Heimathefte), hg. vom Pädagogischen Kreiskabinett Worbis in Verbindung mit dem Kulturbund der DDR Worbis, o.O. 1983. TRENSCHEL 2004 – TRENSCHEL, Hans-Peter: Tilman Riemenschneider im Spiegel zeitgenössischer Überlieferungen. Versuch einer Annäherung an einen fürsichtigen ersamen meyster, in: Claudia Lichte (Hg.): Tilman Riemenschneider, 2 Bde., Regensburg 2004, hier Bd. 1: Werke seiner Blütezeit, S. 41–55. WAGNER 2001 – WAGNER, Ulrich (Hg.): Geschichte der Stadt Würzburg, 3 Bde., Stuttgart 2001–2007, hier Bd. 2: Vom Bauernkrieg 1525 bis zum Übergang an das Königreich Bayern 1814, Stuttgart 2001.
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Im Schatten des großen Vaters Die Leichenpredigt zum Tod Lucas Cranachs des Jüngeren in Wittenberg 1. Vita Lucas Cranach d.J. wurde am 4. Oktober des Jahres 1515 als Sohn Lucas Cranachs d.Ä. und dessen Frau Barbara Brengbier in Wittenberg geboren.1 Als zweitgeborener Sohn erlernte er – wie sein älterer Bruder Hans – von seinem Vater das Handwerk der Malerei; die Ausbildung fällt vermutlich in die Jahre um 1530. Da Hans Cranach 1537 in Bologna verstarb, war es an Lucas, die Nachfolge des Vaters anzutreten. Am 29. Februar 1541 heiratete er 25-jährig Barbara Brück, die Tochter des kurfürstlich-sächsischen Kanzlers Gregor Brück, mit dessen Familie eine andere Verbindung durch die Ehe von Lucas’ Schwester Barbara Cranach mit dem Sohn Christian Brück geschlossen wurde. Aus der Ehe Lucas Cranachs des Jüngeren gingen vier Kinder hervor: Lucas, Barbara, Johannes und Christian. Nur zwei von ihnen erlangten das Erwachsenenalter. Der Name Lucas für den erstgeborenen Sohn war, wie aus der Namensgebung ersichtlich, wohl fester Bestandteil der Familiengeschichte und sollte vermutlich zumindest namentlich den Fortbestand der ruhmreichen Künstlerfamilie sichern. Um sich aber vom gleichnamigen Sohn unterscheiden zu können, bezeichnete sich Lucas Cranach d.J. in der Folgezeit gelegentlich als »der Mittlere«. Wie sein Vater war Lucas Cranach d.J. in bedeutenden Stellungen des öffentlichen Lebens tätig. So amtierte er zwischen 1549 und 1564 mehrmals als Ratsmitglied und als Ratskämmerer, 1565 als Bürgermeister sowie 1566 als Altbürgermeister und Beisitzer des Bürgermeisters im Wittenberger Rathaus. 1
Auch in der Forschung blieb Cranach d.J. im Schatten des Vaters, so dass es zu ihm – verglichen mit Cranach d.Ä. – nur wenige Arbeiten gibt. Nach wie vor den besten Überblick bietet SCHADE 51983; er druckt zudem eine umfangreiche Zusammenstellung von Quellen zur Cranach-Familie aus den Jahren 1492 bis 1607 ab (S. 401–453) sowie den verzweigten Stammbaum (S. 454f.). – Weitere Literatur, vor allem zum Werk, wird in den folgenden Anm. genannt.
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Gesichert ist die eigenständige Leitung der Werkstatt durch Lucas Cranach d.J. ab dem Jahr 1550; Lucas Cranach der Ältere zog sich bis zu seinem Tod im Jahr 1553 immer mehr aus der Wittenberger Werkstattarbeit zurück. Im Alter von 35 Jahren löste der Sohn seinen zu dieser Zeit schon 77-jährigen Vater in der Funktion des Werkstattleiters ab. Die Produktivität der Werkstatt blieb in der Folgezeit hoch. Ein ausgeprägter Individualstil Lucas Cranachs d.J. bildete sich jedoch auch nach 1550 nicht heraus. Innerhalb der Werkstatt griff man oftmals auf Kompositionen früherer Jahrzehnte zurück und nutzte diese, um neue Bildwerke zu vervollständigen.2 Der Schatten des äußerst erfolgreichen Vaters blieb für die Werkstattproduktion Cranachs des Jüngeren lang, jedoch konnte der Sohn in den eigenhändigen Gemäldefassungen an die künstlerischen Erfolge des Vaters anknüpfen. Zu den bedeutendsten Werken Lucas Cranachs d.J. zählen lutherische Gedächtnisbilder, beispielsweise jene in der Wittenberger Stadtkirche St. Marien3, der Epitaph-Altar für Johann Friedrich von Sachsen in der Weimarer Stadtkirche St. Peter und Paul, welcher signiert und datiert (1555) ist4 oder das Abendmahlbild von 1565 aus der ehemaligen Dessauer Schloss- und Stadtkirche St. Marien.5 Anderthalb Jahre nach dem Tod seiner ersten Frau ehelichte Lucas Cranach d.J. am 24. Mai 1551 Magdalena Schurff, die Tochter des Juristen und Mediziners Professor Dr. Augustin Schurff, eine Nichte von Philipp Melanchthon. Mit ihr hatte er fünf Kinder: Magdalena, Augustin, Agneta, Christoph und einen weiteren Sohn namens Lucas. Augustin, der älteste Sohn, setzte als einziges Mitglied der Familie die Malertradition fort. Eine Lehre bei dem in Sachsen ansässigen Maler Heinrich Goeding ist für die Jahre 1571 und 1572 gesichert. Augustin Cranach sollte später die Werkstatt seines Vaters bzw. Großvaters übernehmen und weiterführen – den Zenit ihres Erfolges hatte sie allerdings schon weit hinter sich gelassen. Cranach d.J. verstarb am 25. Januar 1586 im Alter von 70 Jahren in Wittenberg. Sein Leichnam wurde in die dortige Stadtkirche überführt und am 27. Januar bestattet. Der Wittenberger Pfarrer und Theologieprofessor Georg Mylius hielt aus diesem Anlass eine Leichenpredigt mit einem Bibelzitat nach Johannes 8,51. Diese Predigt wurde erstmals durch die Druckerfamilie Welack im Jahre 1586 veröffentlicht, sie ist Gegenstand unserer Quellenbetrachtung.
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TACKE 1994. ZERBE 2007. BÖHLITZ 2007. ROCH-LEMMER 2007.
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Das Grab Cranachs d.J. befindet sich noch heute im Süden der Kirchenanlage von Wittenberg, wo ein Gedenkstein an ihn erinnert. Im Altarraum der Stadtkirche, nahe dem nördlichen Chor, befindet sich heute ein Epitaph (270 x 196 cm) zu seinem Gedenken, das ihm und seinen beiden Ehefrauen im Jahr 1606 vom Dresdner Hofprediger und Schwiegersohn sowie Erben Cranachs Polycarp Leyser gestiftet und vom dresdner Bildhauer Sebastian Walter angefertigt wurde. Ursprünglich befand es sich in großer Höhe an einem Pfeiler. Dieses nach dem Tod der zweiten Ehefrau in Auftrag gegebene Stein-Epitaph zeigt die Grablegung Christi.6 Die beiden Schrifttafeln unterhalb des Reliefs halten das Andenken an Lucas Cranach d.J. und an seine beiden Ehefrauen Barbara Brück und Magdalena Schurff fest. Die Position des Grabdenkmals ist sicher nicht zufällig, sondern mit Bedacht gewählt worden. Es befindet sich nahe dem von Lucas Cranach d.Ä. geschaffenen Sakramentsretabel7 der Wittenberger Stadtpfarrkirche.
2. Quelle und Kontextualisierung Auszüge aus der Leichenpredigt auf Lucas Cranach d.J., welche am 27. Januar 1586 von Georg Müller (Mylius) in Wittenberg gehalten wurde; gedruckt im selben Jahr bei Matthäus Welack in Wittenberg, 24 Seiten (12 gezählte Seiten) im Quartformat. ARNOLD, Marina: Der Tod des Künstlers. Die Leichenpredigt auf Lucas Cranach d.J., in: Gunter Schweikhart (Hg.): Autobiographie und Selbstportrait in der Renaissance, Köln 1998, S. 145–174, Faksimile wiedergegeben auf S. 152–174 (verwendet wurde für die Faksimilierung das Exemplar der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel: 313.5 Theol. [1]). Diese Ausgabe ist in der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel in fünf Exemplaren vorhanden, vier in Sammelbänden mit zeitgenössischen Drucken: 313.5 Theol. (1), 182.8 Theol. (13), 189.45 Theol. (14) und T 650 aaa 4° Helmst. (15), einzeln gebunden: Stolberg 7674, in: Katalog der fürstlich Stolberg-Stolbergschen Leichenpredigten Sammlung, bearb. von Willy FRIEDRICH und Carl GÜTTICH, Bd. 1–4, 2, Leipzig 1927–1935 (hier Bd. 1, S. 378: Seitenzahl der Predigt irrtümlich mit 64 Seiten angegeben). Die Leichenpredigt wurde später noch dreimal veröffentlicht: zusammen mit den Leichenpredigten auf seine beiden Söhne Augustin und Christoph (beerdigt am 28. Juli 1595 bzw. am 25. Februar 1596) und derjenigen auf seine Frau Magdalena Schurff (beerdigt vermutlich am 2. Januar 1606). 6 7
BELLMANN 1979, S. 185f. PACKEISER 2007.
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Christliche Predigt // Bey der trawrigen // Leich vnd Begrebnus / des weiland // Ehrnvesten und Fürnemen Herren LVCAS // CRANACHS, gewesenen Bürgermeisters / in // der weitberhümbten Stad Wittemberg // Gehalten // Den XXVII. Januarij Anno 1586. // In der Pfarrkirchen daselbst // Durch GEORGEN MVLLER // D. P. vnd Canzlern bey der löblichen // Vniuersitet daselbst, // Gedruckt zu Wittemberg // Durch Matthes Welack. // Anno M.D. LXXXVI8 (Übertragung ins Neuhochdeutsche) Christliche Predigt bei der traurigen Leichenfeier und dem Begräbnis des verstorbenen, ehrenfesten und vornehmen Herrn Lucas Cranach, gewesenen Bürgermeisters der weitberühmten Stadt Wittenberg. Gehalten am 27. Januar des Jahres 1586 in der dortigen Pfarrkirche durch Georg Muller, Doktor, Professor und Kanzler der löblichen Universität. Zu Wittenberg gedruckt durch Matthes Welack im Jahr 1586. Gehalten wurde die Leichenpredigt von dem 1548 in Augsburg als Sohn eines Zimmermanns geborenen Georg Müller, der sich später Mylius nannte. Nach dem Studium der Theologie in Tübingen, Marburg und Straßburg und erster Berufstätigkeit in Augsburg wurde er am 9. Juni 1585 als Professor für Theologie nach Wittenberg berufen, gleichzeitig war er Prediger an der Wittenberger Schlosskirche. Die Leichenpredigt auf Lucas Cranach d.J. ist also kurz nach seinem Wechsel nach Wittenberg gehalten worden. Ab 1589 lehrte Mylius an der Universität in Jena. Enge Freundschaft bestand zu dem uns schon bekannten Polykarp Leyser. Am 28. Mai 1607 verstarb Georg Müller in Wittenberg. Der Brauch, eine Leichenpredigt zu halten, wurde durch Martin Luther anlässlich der Beerdigung eines Verstorbenen begründet; die Textgattung Leichenpredigt setzte sich aber erst gegen Ende des 16. Jahrhunderts als häufiger auftretende Form der Gelegenheitsschrift durch9 – dabei bilden jene auf Künstler eher die Ausnahme. Luther vertrat die Auffassung, dass die Predigt, also auch die Leichenpredigt, Gottesdienst sei. Er geht „auf die Personen der Verstorbenen ein und würdigt deren Bedeutung, ohne das Lob Gottes in Menschenruhm zu pervertieren“.10 Vornehmlich bei Christen protestantischer Konfessionszugehörigkeit, also insbesondere in den mitteldeutschen Territorien, sollte sie zeigen, dass auch für die Anhänger der 8
ARNOLD 1998, Faksimile S. 152. Siehe dazu die Sammelbände von BOGE 1999 und LENZ 1975, sowie die Überblickdarstellung LENZ 1990. 10 WINKLER 1967, S. 41. 9
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reformatorischen Kirchenlehre ein „seliges Sterben“ möglich war. „Im Gegensatz zur altkirchlichen und mittelalterlichen Leichenpredigt, die im Ansatz anthropozentrisch ist – Trauer und Trost, Sünde und Besserung der Menschen, Verdienste der Verstorbenen und die cura pro mortuis sind ihre wichtigsten Themen – kann Luthers Leichenpredigt als christozentrisch bezeichnet werden.“11 Die laudatio des Verstorbenen stand nicht im Vordergrund; sie war dem Lob Gottes unterzuordnen. Das Aufzeigen moralischer Vorbilder, die die Anwesenden zum Glauben und zum Christentum anhalten sollten, war von besonderer Bedeutung.12 Ab dem ausgehenden 16. Jahrhundert wurden Leichenpredigten häufig umfangreicher. Sie gliederten sich in mehrere Teile und konnten die »christliche Leichenpredigt«, den davon getrennten Lebenslauf, die Abdankung oder die Standrede, Epicedien, an Universitäten oder Schulen auch Programmata enthalten, dazu noch Trauermusik und ein Porträt.13 Die wohlhabende Bevölkerung musste für eine Leichenpredigt ein Entgelt bezahlen, die Armen hingegen erhielten die Leichenpredigt gebührenfrei. In Zeiten der Pest und anderer Seuchen konnten ein ordentliches Begräbnis und eine Leichenpredigt für jeden Toten nicht immer gewährleistet werden. Um die Priester zu entlasten, wurde bereits 1548 bestimmt, dass ein Prediger nur dann eine Leichenpredigt halten müsse, wenn zumindest fünfzig Personen zugegen seien. So war ab diesem Zeitpunkt eine angemessene Bestattung meist den reichen Bürgern vorbehalten. Lucas Cranach d. J. wurde nach Vorgaben der neuen Kirchenordnung des Herzogs August von Sachsen aus dem Jahr 1580 beerdigt: Nach dem die leiche, mit beleitung der kirchendiener und des volks, auf den kirchof getragen, und das volk sich in die kirche versamlet, sol der kirchendiener nachfolgender predigten eine vorlesen, oder da es besonders von ihme begeret, sonst eine christliche, gebürliche, und dem gegenwertigen handel gemesse predigt thun.14 Durch die Reformation waren schon zuvor einige Neuerungen eingeführt worden. So war es seither üblich, dass Verwandte und auch Nachbarn die Totenwache übernahmen. Die Beerdigung sollte meist in den Morgenstunden stattfinden, weil dann mehr Menschen teilnehmen konnten. Ein kurzes Läuten der Glocken signalisierte dabei den Beginn der kirchlichen Bestattung; es folgte die Versammlung im Trauerhaus, dann eine kurze Feier mit Gesang von Chorälen. Die anschließende feierliche Überführung – in der Regel auf einer Bahre – des Leichnams zum 11
Ebd. Ebd., S. 30f. 13 ARNOLD 1998, S. 146, Anm. 12. 14 SEHLING 1902, S. 371. 12
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Friedhof wurde von den Gläubigen begleitet; in den Zünften war eine Beteiligung vorgeschrieben.15 Nur bei Seuchengefahr wurde die Teilnahme an einem Begräbnis freigestellt, manchmal sogar verboten. Die Ordnung des Leichenzuges sollte stets eingehalten werden: Voran gingen Schüler, Lehrer sowie Geistliche und im Anschluss die Angehörigen, nach Rang, Geschlecht und Alter geordnet. War der Leichnam am Ort seiner letzten Ruhestätte angekommen, wurden während des Hinablassens des Leichnams in das Grab nach einigen Kirchenordnungen Lieder gesungen. Die Leichenpredigt wurde meist bereits in der Kirche gehört; nur in wenigen Ausnahmefällen wurde sie auf dem Friedhof gehalten, kurz vor dem Versenken der Bahre.16 Dergleichen gedancken offtgedachter fromme. selige Herr / dessen Leichnam wir nun zur Erden besterigen / viel vnd offt bey diesem seinem ausbündigen schönen Spruchreimen wird gehabt / vnd zu sonderlichem trost vnd vermanung sich hieraus vielfeltig wird erbawet haben. An dessen Person / wesen / wandel / leben vnd abschied wir vns nicht weniger / auch nicht geringfüger sachen mit sonderlichem lob vnd rhum denckwirdig zu erinnern haben. DEnn erstlich ist seine fürtreffliche Malerkunst / darinnen er vor andern vielen einen sehr löblichen vnd weitberhümten namen erlanget hat. Vom H. Euangelisten Luca schreibet man / das er zu mal ein Artzt / vnd sehr künstlicher Maler gewesen sey. Mit diesem Euangelisten hat vnser verstorbene Herr vnd Vater beides den Namm vnd die Kunst gemein gehabt. Dis aber beides zugleich auch Erblich von seinem frommen vnd weitberhümbten Vater / auch Lucas Cranach vnd Maler genant / dessen Seel nun auch im frieden / sein Name aber vnd fürtreffliche Kunst / nicht allein in diesen Landen : sondern fast in der gantzen Christenheit rhümlich und löblich bekandt ist.17 (Übertragung ins Neuhochdeutsche) Dergleichen Gedanken wird der oft erinnerte fromme selige Herr, dessen Leichnam wir nun zur Erde bestatten, viel und oft bei diesen seinen außerordentlich schönen Spruchreimen gehabt und sich hieraus zu besonderem Trost und Ermahnung vielfältig erbaut haben. An dessen Person, Wesen, Wandel, Leben und Abschied, an nicht wenige, auch nicht geringfügige Sachen werden wir uns mit besonderem Lob und Ruhm denkwürdig zu erinnern haben. Denn an erster Stelle steht seine vortreffliche Malerkunst, 15
Siehe z.B. für Westfalen LÖFFLER 1975 und für Nürnberg MATTAUSCH 1970. GRÜN 1930; GRÜN 1925. 17 ARNOLD 1998, Faksimile S. 169f. 16
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worin er vor vielen anderen einen sehr löblichen und weitberühmten Namen erlangt hat. Vom Heiligen Evangelisten Lukas schreibt man, dass er zugleich ein Arzt und ein sehr kunstreicher Maler gewesen sei. Mit diesem Evangelisten hat unser verstorbener Herr und Vater beides, den Namen und die Kunst, gemeinsam gehabt. Dies beides hatte er zugleich auch erblich von seinem frommen und weitberühmten Vater, auch Lukas Cranach und Maler genannt, dessen Seele nun auch im Frieden, dessen Name aber und vortreffliche Kunst nicht allein in diesen Landen, sondern fast in der ganzen Christenheit rühmlich und löblich bekannt ist. Die Predigt Mylius’ beschäftigt sich, betrachtet man Cranach d.J. als Künstler, nicht nur mit der Leistung des Malers, sondern er benennt auch einige Werke namentlich, die vor allem die enge Verbundenheit zwischen Vater und Sohn hervorheben. Häufig wird der fromme alte Vater und in Gott selige Herr Lucas Cranach d.Ä. angesprochen. Insgesamt erscheint in der Leichenrede das Lob auf den verstorbenen Künstler Lucas Cranach d.J. eher zurückhaltend. Herausgestellt wird nicht der Sohn, sondern sein Vater, der ruhmreiche Hofkünstler Kurfürst Friedrichs III. des Weisen. Er ist das eigentliche Vorbild. Auf ihn wird mehrfach hingewiesen; es wird verdeutlicht, dass das Talent der Familie auf ihn zurückzuführen ist. Wird ein Künstlerlob auf den jüngeren Cranach ausgesprochen, so erscheint dies stets in direktem Zusammenhang mit dem Talent seines Vaters – „Vater und Sohn“ ist hier eine immer wieder verwendete Formulierung, die diesen Eindruck noch verstärkt. Welche edle gabe sie nicht neidischer weise verstecket / wie sonst gemeiniglich / was Künstler sind / jre eigene köpff vnd seltzame hirn haben : sondern jre Kunst haben sie wol vnter die Leut komen / vnd andern zu teil werden lassen. So haben sie auch jrer Kunst sich nicht zu leichtfertigkeit vnd vppigkrit misgebrauchet / inmassen der leidige Satan sonsten gemeiniglich bey grossen Künstlern den besten vorteil hat: Sondern diese beide fürtreffliche Künstler haben mit jren gaben Gott zu ehren / vnd gemeinem nutzen zu bestem gedienet. Wie denn jglicher Mensch Gottes ehr vnd Reich mit allen gaben / mit predigen / lehren / schreiben / malen vnd allen künsten fördern solle. Dessen viel gedachten beiden frommen Herren / Vater vnd Sone nicht allein hie / vnd in diesen Landen : sondern auch wol in der Frembden zeugnis geben werden / die schönen Tafeln / Contrafect, Epitaphia vnd dergleichen gemaelde / so von jrer Hand gemalet / hin vnd wider in Kirchen vnd Schulen / in Schlössern vnd Heusern gesehen werden / darüber sich noch die danckbare posteritet verwundern / vnd sagen wird / wie ich mich zürinnern weisse / ich selb vor etlich jaren von einem Ho-
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chürstendigen Man gehört habe / da er mir des alten Lucas Cranachs Kunststück eines gewiesen hatte / Schade sey es / das diese künstliche hende faulen sollen. Mit des heiligen Mannes Gottes Lutheri Contrafect, desgleichen des frommen Philippi seligen Bildnus haben sich zwar diese Menner also erliebet / das sie jnen selbige mit stetigen Conterfecten gleichsam gar eigen gemachet / vnd dessen jnen alle frome hertzen viel danck vnd lob zu wissen haben.18 (Übertragung ins Neuhochdeutsche) Welch edle Gabe [der freien Malkunst] sie nicht in neidischer Weise versteckt haben, wie sonst allgemein Leute, die Künstler sind, ihre eigenen Köpfe und seltsame Hirne haben; sondern ihre Kunst haben sie wohl unter die Leute kommen und anderen zu Teil werden lassen. So haben sie ihre Kunst auch nicht zu Leichtfertigkeit und Üppigkeit missbraucht, woraus der leidige Satan ansonsten allgemein bei großen Künstlern den besten Vorteil hat. Sondern diese beiden vortrefflichen Künstler haben mit ihren Gaben Gott zu Ehre und dem gemeinen Nutzen zum Besten gedient. Wie denn jeder Mensch Gottes Ehre und das Reich Gottes mit allen Gaben, mit Predigen, Lehren, Schreiben, Malen und allen Künsten fördern soll. Von diesen im Gedächtnis vieler stehenden beiden frommen Herren, Vater und Sohn, werden nicht allein hier und in diesen Landen, sondern auch [sehr] wohl in der Fremde Zeugnis geben die schönen Tafelbilder, Porträts, Epitaphien und dergleichen Gemälde, die von ihrer Hand gemalt, hin und wieder in Kirchen und Schulen, in Schlössern und Häusern gesehen werden, worüber sich noch die dankbare Nachwelt wundern und sprechen wird. Wie ich mich zu erinnern weiß, habe ich selbst vor etlichen Jahren von einem hoch verständigen Mann gehört, als er mir eines der Kunstwerke des alten Lukas Cranach zeigte, es sei schade, dass diese kunstreichen Hände faulen sollten. Mit dem Porträt des heiligen Gottesmannes Luther, desgleichen mit dem Bildnis des frommen Philipp [Melanchthon] selig aber haben sich diese Männer so liebevoll befasst, dass sie sich selbige mit dauerhaften Porträts gleichsam zu Eigen gemacht haben; und dafür haben ihnen alle frommen Herzen viel Lob und Dank zu wissen. Die angesprochenen Portraits von Philipp Melanchthon und Martin Luther19 binden die Familie Cranach in den Kontext der Reformation ein; wodurch Verknüpfungen zu den Reformatoren hervorgehoben werden. 18 19
Ebd., S. 171f. Zu derartigen Bildnispaaren siehe AUSST.KAT 2009, Nr. 10/11 und 12/13, vgl. Nr. 17– 19.
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Martin Luther hatte sich gegen die ikonische Heiligenverehrung gewandt; er nutzte aber Bilder, um die Verbreitung der reformatorischen Ideen zu unterstützen. Diese didaktische Funktion des Bildes übertrug sich im Luthertum, neben dem Leichenzug und der Leichenpredigt, auch auf das Gelehrten-Epitaph als einer weiteren Form der Begräbniskultur. So wurde es möglich, Glaubensinhalte und Elemente der einzelnen Persönlichkeit über Epitaphien zu vermitteln. In diesem Zusammenhang ist auf das Epitaph Cranachs d.J. für den Theologen Paul Eber zu verweisen. Dieses Epitaph „Der Weinberg des Herrn“ steht zweifelsohne beispielhaft für die künstlerische Innovation Lucas Cranachs d.J. Wie bereits sein Vater mit der Gestaltung des Passional Christi et Antichristi (1521), so schuf der jüngere Cranach, wenn auch Jahre später, ein Werk, das geeignet war, den Zeitgeist und damit auch die reformatorischen Gedanken zu visualisieren. Das Thema »spielt« ikonographisch mit dem Namen des Auftraggebers, denn der »wilde Eber« gehört zur mittelalterlichen Darstellungstradition von Gottes Weinberg.20 Paul Eber war als Nachfolger Johannes Bugenhagens viele Jahre als Prediger an der Stadtkirche tätig gewesen; Cranach d.J. wird seine Predigten zweifelsfrei häufig gehört haben. Die Memoriatafel zu Ehren des Theologen Eber aus dem Jahr um 1569 zeigt deutlich Züge des kollektiven Erinnerns: Abgebildet sind hier zur Linken die Würdenträger der alten Kirche, zur Rechten die Vertreter der Reformation. Das Gemälde mit der ungewöhnlichen Darstellung eines Weinbergs nimmt Bezug auf das biblische Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg nach Matthäus 20,1–16: Diese erhalten trotz unterschiedlichen Arbeitseinsatzes den gleichen Lohn vom Verwalter ausgezahlt. Nach der zeitgenössisch-lutherischen Exegese erzählt Christus seinen Jüngern dieses Gleichnis, um zu erklären, wie das Himmelreich allein durch den Glauben zu erlangen ist. Dafür genüge ein Moment im Weinberg des Herrn, um sich des Lohnes (Himmelreich) sicher zu sein. Die zeitliche Länge des Glaubens und die Menge der im Glauben vollbrachten guten Taten (Werke) spielen bei der Entlohnung keine Rolle. Christus verkündet sogar den zuletzt Gekommenen, dass sie die Ersten bei Gott sein werden. In unserem Fall sind auf dem Eber-Epitaph jedoch nicht anonyme Personen wiedergegeben, sondern zeitgenössische Personen wie Paul Eber selbst oder beispielsweise Luther und Melanchthon. WIe aber diese Kunst vnd geschickligkeit an vielgedachtem vnserm frommen Herren und Bürgermeister selig löblich : Also ist das fürs anders an jm viel löblicher gewesen / was von seinem wandel mit warheit kan gesagt 20
SCHOUWINK 1985; zum Eber-Epitaph siehe ZERBE 2007, S. 337–340.
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werden: Da er denn seine lieben Weib vnd Kindern ein fromer Haus vnd Zuchtvater / den Ehehalten ein lieber gedültiger Herr / allen Hausgenossen vnd beywoneneden ein getrewer augenemer Lehr vnd Zuchtmeister / gemeiner Stad vnd seinem lieben Vaterland allhie ein vertreglicher nützlicher Mitbürger / vnd endlich auch dieser Stadt viel jar lang Wolweiser vnd friedfertiger Bürgermeister gewesen ist / mit solchem lobe / fleis vnd mühesamkeit / dessen jm billich ewig danck zu wissen ist / besonders derwegen / das er den lieben frieden so hertzlieh geliebet / denselben auch dermassen befürdert hat / das seine höchste sorge gewesen / denselben nicht allein zwischen den Vnterthanen vnd der Bürgerschafft fleisig zubewaren: Sondern auch zu förderst zwischen der löblichen Vniuersitet vnd Erbarn rath allhie / Bürgern vnd Studenten / gute Correspondentz vnd einigkeit zu pflantzen vnd zu erhalten. Welches er auch durch Gottessegen in seiner Amptzeit vnd werendem Bürgermeisterampt glücklich erhalten vnd erlenget hat. So ist denn sonsten auch menniglich bewust vnd bekandt seine vnürdrossene arbeitsamkeit / seine schiedliche friedfertigkeit / seine vngesparte diestwilligkeit / auch freygibige gütigkeit gegen den armen. Fürwar an diesen reliquijs vnd dergleichen alten Personen / sihet man noch / was Wittemberg müsse gewesen sein / da sie noch zu Luthers seligen zeiten im flore vnd grossem auffnemen gestanden ist.21 (Übertragung ins Neuhochdeutsche) Wie aber diese Kunst und Geschicklichkeit an unserem viel gedachten frommen Herrn und Bürgermeister selig löblich ist, so ist andererseits an ihm viel löblicher gewesen, was von seinem Lebenswandel mit Wahrheit gesagt werden kann. Da er nun seiner lieben Frau und seinen Kindern ein frommer Haus- und Zuchtvater, den Dienstboten ein lieber geduldiger Herr, allen Hausgenossen und Mitbewohnern ein getreuer angenehmer Lehr- und Zuchtmeister, der gesamten Stadt und seinem lieben Vaterland hier ein verträglicher, nützlicher Mitbürger und letztendlich auch dieser Stadt viele Jahre lang ein sehr weiser und friedfertiger Bürgermeister mit solchem Lob, Fleiß und Mühe gewesen ist, so ist es nur recht und billig, ihm ewigen Dank zu wissen, besonders aber aus dem Grunde, weil er den lieben Frieden so herzlich geliebt und denselben auch dermaßen gefördert hat, dass es seine höchste Sorge gewesen ist, denselben nicht nur fleißig zwischen den Untertanen und der Bürgerschaft zu bewahren, sondern vor allem auch zwischen der Universität und dem ehrbaren Rat hier, zwischen Bürgern und Studenten ein gutes Miteinander und Einigkeit zu pflanzen und zu erhalten, was er auch durch Gottes Segen während seiner Amtszeit und während des Bür21
ARNOLD 1998, Faksimile S. 172f.
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germeisteramtes glücklich erlangt hat. So sind ansonsten auch allgemein bewusst und bekannt sein unverdrossener Arbeitsdrang, seine schiedliche Friedfertigkeit, sein uneingeschränktes Pflichtbewusstsein, auch seine freigebige Mildtätigkeit gegenüber den Armen. Fürwahr, an diesen sterblichen Überresten und an ähnlich alten Persönlichkeiten sieht man noch, was Wittenberg gewesen sein muss, als es noch zu Luthers Lebzeiten im Flor und großem Aufschwunge gestanden ist. Festzuhalten bleibt zunächst, dass Lucas Cranach d.J. in seiner Leichenpredigt als fester Bestandteil und Garant des Friedens in der Stadt Wittenberg vorgestellt wird. Die schon zu Beginn des 16. Jahrhunderts florierende Stadt hatte durch die von Kurfürst Friedrich III. dem Weisen gegründete Universität an Anziehungskraft gewonnen und immer mehr Juristen, Theologen und Mediziner wanderten zu. Die rasch wachsende Studentenschar erforderte weitere Investitionen. So entstanden im Zuge des städtischen Ausbaus ein neues Rathaus und ein neues Gericht. Der im Jahre 1508 an die Universität zu Wittenberg berufene Augustinermönch Martin Luther und der etwas später hinzugekommene Jurist Philipp Melanchthon, ihre Vorlesungen, Reformationsschriften und Predigten, ließen die Stadt zu einem führenden Druckort und einem der wichtigsten theologischen Zentren Europas werden. Nach dem Tod Martin Luthers im Jahr 1546 stagnierte das Wachstum Wittenbergs, auch in Folge der Niederlage bei Mühlberg im Folgejahr verloren der protestantische Kurfürst Johann Friedrich die Kurwürde und Wittenberg den Status als Residenzstadt. Die Universität blieb bestehen, konnte den Verlust des fördernden Protektors aber nicht verkraften. Aufgrund weiterer politischer und sozialer Umstrukturierungen kam es in der Folgezeit immer häufiger zu Auseinandersetzungen zwischen der Studentenschaft und dem Stadtrat. In dieser Krisenzeit war es, so erklärt es Mylius’ Leichenpredigt, Lucas Cranach d.J., der mit seiner Geduld, seinem Fleiß und mit seiner Friedfertigkeit als Mensch, als Politiker und Verantwortlicher der Stadt Wittenberg, den Frieden bewahren konnte. Es gelang ihm, denselben nicht allein zwischen den Vnterthanen vnd der Bürgerschafft fleisig zubewaren: Sondern auch zu förderst zwischen der löblichen Vniuersitet vnd Erbarn rath allhie / Bürgern vnd Studenten / gute Correspondentz vnd einigkeit zu pflantzen vnd zu erhalten. Die Leichenpredigt würdigt Cranach d.J. als aktiven Bürger, der sich um seine Heimatstadt verdient gemacht hat, und als einen in einer großen familiären Tradition stehenden Künstler. Sie bemüht sich um ein umfassendes Bild der historischen Persönlichkeit und gibt durchaus Einblick in den sozialhistorischen Kontext, in dem Cranach d.J. lebte und arbeitete.
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Der Nachlass des Nördlinger Malers Hans Schäufelin Die Atelierausstattung für den Sohn, die Auszahlung der Ehefrau und die Versorgung der Mündel 1. Vita Der Maler Hans Schäufelin, der sich um 1513 in Nördlingen niederließ, nachdem er zuvor eine Zeit lang in Dürers Werkstatt als Geselle in Nürnberg gearbeitet hatte, ist in den Anfangsjahren schwer zu fassen. Aufgrund fehlender Quellen ist über seine Herkunft, Jugend und Ausbildung nichts bekannt. Die Suche wird vor allem durch die Variantenbreite der Schreibweise seines Nachnamens erschwert: Schewffele, Scheyf(f)el(l)in, Scheuf(f)el(l)in, Scheiffelin, Schüfelin, Schewffel(l)in, Scheufelen oder Scheifelen.1 Da der Name Schäufelin kleine Schaufel bedeutet, signierte Hans Schäufelin seine Werke zunächst mit einem Schäufelchen. Spätestens ab 1505 signierte er mit seinem Monogramm HS und zwei gekreuzten Schaufeln, danach mit nur einer Schaufel. Schäufelin scheint Anfang der 1480er Jahre im süddeutschen Raum geboren zu sein, denn hier ist der Familienname im 15. und 16. Jahrhundert weit verbreitet. Eine genauere Lokalisierung von Schäufelins Herkunftsort gestaltet sich schwierig. Verschiedentlich werden die Städte Nördlingen, Nürnberg oder Augsburg genannt oder es wird angenommen, dass er aus dem Schwäbischen oder vom Oberrhein stammte. Je nachdem welcher Geburtsort favorisiert wird, werden in der Gegend tätige Maler als Schäufelins Lehrmeister vermutet, so Friedrich Herlin in Nördlingen, Michael Wolgemuth und Albrecht Dürer in Nürnberg sowie Schongauer im oberrheinischen Gebiet oder ein Meister aus dem schwäbischen Kunstkreis. Heute gilt es als verhältnismäßig sicher, dass der bereits ausgelernte Schäufelin gegen 1503 nach Nürnberg kam und dort als Geselle in die Werkstatt Albrecht Dürers eintrat. Es gibt dafür zwar keine Archivquellen, 1
Zu Leben und Werk siehe v.a. die Monographie von METZGER 2002; auf diese wird – wenn nicht anders angegeben – bezüglich der Lebensdaten und Lebensumstände Schäufelins Bezug genommen (ebd., S. 23–53: Biographie).
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aber eine Reihe von Zeichnungen und Gemälden bestätigt, dass Schäufelin damals unmittelbaren Zugriff auf Dürers Werkstattfundus hatte. Als Dürer im Spätsommer 1505 nach Venedig abreiste, änderte sich die Stellung seiner Gesellen. Schon zuvor angenommene Aufträge wurden von ihnen fertig gestellt, wobei es zu größeren Änderungen von Dürers Entwürfen kommen konnte. Zu dieser Zeit begann Schäufelin auch eigene Holzschnitte mit seiner Signatur zu versehen, was eine eigenverantwortliche Auftragsannahme und Ausführung nahelegt. Im Januar 1507 kehrte Dürer aus Venedig zurück und Schäufelin verließ im Laufe desselben Jahres die DürerWerkstatt. Er begab sich nach Tirol, wo er sich bis 1509 aufhielt und mit Leonhard von Völs bekannt wurde, der als Landeshauptmann von Tirol und Burggraf an der Etsch zum engsten Umkreis des kaiserlichen Hofes zählte. Er trat als Schäufelins Protektor auf, wovon u. a. ein Eintrag im Rechnungsbuch des Meraner Bürgermeisters Benedikt Memminger im November oder Dezember 1507 Kunde gibt. Denn dank der Fürsprache von Völs erhielt der Maler für seine erfolglose Bewerbung um den Auftrag, das Fastentuch für die Meraner Pfarrkirche St. Nikolaus anzufertigen, ein tringkgelt von einem halben Gulden.2 Schäufelins bedeutendster Auftrag in Südtirol waren die vier großen Passionsszenen auf den Flügelaußenseiten des Hochaltars der Pfarrkirche zu Niederlana. Der Altar wurde 1509/10 aufgestellt, Schäufelin wird mit seinen Arbeiten bis weit in das Jahr 1508 hinein, vielleicht auch bis 1509 beschäftigt gewesen sein. Gegen 1509 hielt er sich schließlich im Inntal auf, was vier Tafeln eines kleinen Altärchens aus Stift Wilten bei Innsbruck dokumentieren. Am Ende seiner Zeit in Tirol malte Schäufelin das Tüchlein mit dem ritterlichen Turnier auf Schloss Tratzberg. Auftraggeber waren die Montanunternehmer Veit Jacob und Simon Tänzl von Tratzberg, welche die Burg 1498 vom späteren Kaiser Maximilian I. im Tausch erhalten hatten und zudem mit Leonhard von Völs in Verbindung standen. Nachdem Schäufelin Tirol verlassen hatte, wandte sich der junge Maler nach Augsburg, wo er etwa von 1509 bis 1513 blieb. Hier trat er vorübergehend der etablierten Künstlerwerkstatt von Hans Holbein dem Älteren bei. Im Sommer 1509 begab sich Holbein auf eine Reise ins Elsass und Schäufelin führte die von Holbein begonnenen Arbeiten fort. Es ist nicht bekannt, wie Schäufelins Verbindung zur Holbein-Werkstatt geregelt war. Für einen Gesellenstatus spricht, dass Schäufelin nicht in den Akten der Augsburger Malerzunft und anderen Quellen auftaucht. Seine künstlerischen Freiheiten scheinen jedoch weitreichend gewesen zu sein. Zudem 2
Ebd., S. 567 Dok. 1 (Meran, Stadtarchiv), Abb. 16.
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fand er Kontakt zum Kreis jener Maler, die in Augsburg unter der Aufsicht des Humanisten Konrad Peutinger die Buch- und Graphikprojekte Kaiser Maximilians zu realisieren hatten (»Theuerdank«, »Weißkunig«, »Triumphzug«). Hierbei mögen das Protektorat des Leonhard von Völs und der Auftrag der Montanunternehmer Jacob und Tänzl, die, wie oben erwähnt, gute Verbindungen zum Kaiser hatten, den Zutritt erleichtert haben. Ebenso wird sich die Gesellenzeit bei Dürer günstig ausgewirkt haben; denn der Kaiser schätzte besonders die Kunst Albrecht Dürers, der für die bedeutendsten Aufgaben konsultiert wurde. Bereits in Tirol war die Gesellenzeit bei dem Nürnberger Künstler von Vorteil gewesen; so lässt sich ein Interesse für die Kunst der sogenannten »Dürerschule«, der Schäufelin in Südtirol maßgeblich den Weg bereitete, vielfach nachweisen. Neben den kaiserlichen Aufträgen entwarf Schäufelin noch eine Reihe von Buchillustrationen für Augsburger Druckereien. Ab 1510 ist eine Verlagerung von Schäufelins Arbeitsschwerpunkt ins schwäbisch-fränkische Grenzgebiet festzustellen. So malte er in diesem Jahr eine Kosmas und Damian-Tafel für Margarethe von Oettingen, die Äbtissin des Zisterzienserinnenklosters Kirchheim am Ries. Beim Altar von Auhausen (1513) wird erstmals Gehilfenanteil sichtbar, und die Altäre in Weiltingen (1514) und Wiebelsheim (1515) sind vollständig Werkstattarbeiten, weshalb man eine Werkstattgründung Schäufelins um 1513 annehmen kann. Deren Standort wird bereits in der freien Reichsstadt Nördlingen vermutet, deren Pfingstmesse sich im Spätmittelalter zur bedeutendsten Messe Süddeutschlands entwickelt hatte und der Stadt eine wirtschaftliche Blüte bescherte3, die trotz einiger Schwierigkeiten bis gegen Mitte des 16. Jahrhunderts andauerte. Schäufelin hatte zu dieser Zeit weder das Bürgerrecht noch wurde er steuerlich veranlagt. Dies war prinzipiell möglich, wie das Beispiel Friedrich Herlin beweist. Dieser war seit 1459 in Nördlingen ansässig und unterhielt eine Werkstatt, war aber bis 1461 steuerfrei und wurde erst 1467 eingebürgert und aufgefordert, der Zunft beizutreten. Ihm waren diese Privilegien anscheinend im Zusammenhang mit dem Auftrag für den Hochaltar der Nördlinger Georgskirche (datiert 1462) zugestanden worden. Bei Schäufelin kann es sich ähnlich verhalten haben; ihm können die Vergünstigungen im Zusammenhang mit der Fertigung seines für die nordalpine Renaissancekunst beachtlichen Wandbildes (»Die siegreiche Verteidigung der Stadt Bethulia gegen Holofernes«) im Nördlinger Rathaus zugestanden worden sein. Fest steht, dass Hans Schäufelin am 18. Mai 1515 in Nördlingen das Bürgerrecht seiner Kunst halben geschenkt bekam.4 3 4
KIEßLING 1999 und VOGES 1988, S. 47–69. METZGER 2002, S. 568f. Dok. 4 (Bürgeraufnahmebuch).
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Spätestens um diese Zeit wird er auch geheiratet haben. Schließlich erwarb er am 21. Januar 1517 das Haus des Hutmachers Conrad Stumpf in der Baldinger Straße: Der Kaufpreis betrug 220 Gulden. Davon musste Schäufelin 70 Gulden in bar bezahlen und den Rest in jährlichen Raten von 20 Gulden zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Gulden.5 Was Schäufelins künstlerische Tätigkeit in Nördlingen betrifft, so bekam er eine Fülle von Aufträgen, jedoch ging vieles davon nicht über Handwerkliches hinaus. Seinen Nachruhm sicherten die Altäre der Kirchen und Klöster der Stadt und der Umgebung. Mit der 1522 erfolgten Einführung der Reformation trat allerdings eine deutliche Veränderung ein, die sich ungünstig auf seinen Werkstattbetrieb auswirkte. So sind kaum religiöse Bilder erhalten, die nach diesem Zeitpunkt datieren, und in den 1520er Jahren intensivierte Schäufelin wohl auch daher seine Tätigkeit für den Buchholzschnitt bzw. für den Graphikmarkt.6 Daneben malte er noch eine Reihe Porträts und führte kleinere handwerkliche Tätigkeiten aus. Finanziell gesehen war Schäufelin nur mäßig erfolgreich, was sein relativ geringer und über die Jahre hinweg kaum geänderter Steuersatz nahe legt. Allerdings waren die Vermögensverhältnisse der Nördlinger Bevölkerung nicht bedeutend und Schäufelin war unter seinen Nördlinger Künstlerkollegen steuerlich doch meist deutlich höher veranlagt. Die Stadt Nördlingen erhob seit 1468 eine jährliche Vermögenssteuer, die ein halbes Prozent des Besitzes betrug. Versteuert wurde das liegende und fahrende Gut in und außerhalb der Stadt, davon ausgenommen war nur der Harnisch. Letzterer war nicht zu versteuern, da jeder zunftfähige Bürger zu Wachdiensten verpflichtet war und den Besitz einer gewissen Bewaffnung nachweisen musste. Bei dem Rüstzeug konnte es sich um Zunfteigentum oder um das eigene handeln.7 Schäufelin zahlte von 1516 bis 1518 einen Gulden und ein Ort, was ein Vermögen von 250 Gulden voraussetzt; zwischen 1519 bis 1524 zahlte er einen Gulden und zwei Ort, sein Vermögen belief sich folglich auf 300 Gulden. Ab 1525 zahlte er wieder einen Gulden und ein Ort. Nur Laux Herlin, der 1504 eine Steuerzahlung von einen Gulden und zwei Pfund leistete und 1521 sogar auf ein Haus 2,5 Gulden zahlte, übertraf Schäufelin in der Steuerleistung. Schäufelins Nördlinger Malerkollege Sebastian Taig zahlte zunächst 1508 eine Steuer von drei Pfennigen, zwischen 1513 und 1515 waren es zwei Ort, ein Pfund und acht Pfennige, 1516 bis 1518 drei Ort und in der Zeit von 1528 bis 1530 waren es sogar ein Gulden und zwei 5
6 7
Ebd., S. 570f. Dok. 11 und 12; weitere Quellennachweise zu Schäufelin und seine Nachkommen, ebd., S. 565–590. Zur Druckgraphik siehe SCHREYL 1990. VOGES 1988, S. 127–130.
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Ort. Der Bildhauer Paul Ypser steuerte konstant von 1500 bis 1524 ein Ort, Ulrich Schwindenbach, der nachweisbar von 1501 bis 1519 in Nördlingen als Maler lebte, zahlte 1519 zwei Pfund und zwei Pfennige. Matthis Fryhart, als Maler von 1507 bis 1518 in Nördlingen ansässig, zahlte 1518 zwei Pfund. Als Schäufelin um 1539/40 verstarb, hinterließ er eine Frau und nachweislich fünf Kinder. Das Todesdatum Schäufelins lässt sich etwas eingrenzen, da bekannt ist, dass er am 11. November des Jahres 1539 noch selbst die Steuer zahlte, während dies ein Jahr später erstmals seine Witwe tat. Zudem hatte sie bereits am 13. September 1540 das Haus an der Baldinger Straße verkauft. Schäufelins hinterbliebene Frau, die möglicherweise Apollonia hieß, heiratete 1542 ein zweites Mal, und zwar Hans Schwarz von Oettingen (nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen Augsburger Medailleur); Apollonia ist wohl gegen 1554 verstorben. Schäufelins vermutlich älteste, nicht namentlich bekannte Tochter heiratete 1534 den Lederer Hans Aicheler aus Wemding. Dieser leistete am 29. Mai 1534 den Bürgereid und zahlte in Nördlingen bis 1542 Steuern. Danach taten dies auch seine Frau, ab 1544 zusätzlich ein Sohn und in den Jahren 1559 und 1560 auch eine Tochter. Hans Aicheler starb um 1558/60 und seine Frau im Jahre 1587. Walburga, die zweite Tochter des Hans Schäufelin, wird erstmals 1537 quellenmäßig fassbar, als ihr Vater für sie die Nachsteuer zahlt. Da sie in späteren Quellen als Ehefrau des Wolf Dollinger von Abensberg erscheint, ist anzunehmen, dass sie zu diesem Zeitpunkt geheiratet hatte und aus der Stadt verzogen war. Bei Wegzug aus der Stadt wurde eine Nachsteuer fällig, die seit 1482 genau 10 % des aus der Stadt ausgeführten Vermögens betrug. Da Schäufelin einen Gulden und zwei Ort zahlte, entsprach das Heiratsgut demnach 15 Gulden. Neben diesen beiden Töchtern gab es bei Schäufelins Tod noch drei unmündige Kinder mit den Namen Hans, Laux und Barbara. Hans, wie sein Vater Maler, war wohl auch bei ihm in die Lehre gegangen. Er verheiratete sich 1542 nach dem schweizerischen Freiburg im Üchtland und traf Anstalten, dorthin zu ziehen. So gab er im Februar 1543 sein Nördlinger Bürgerrecht auf, erhielt vom Rat einen Abschiedsbrief und quittierte Anfang März seinen Pflegern den Erhalt des väterlichen Erbes. Von ihm sind so gut wie keine gesicherten Werke überliefert. Er schenkte 1543 dem Rat von Freiburg eine Ansicht der Stadt und erhielt dafür 27 Pfund verehrt. Das verlorene Bild ist in einem Holzschnitt in Sebastian Münsters »Cosmographia universalis« in der Ausgabe von 1588 überliefert. Ab 1546 gibt es Belege für öffentliche Aufträge, wie die Fassung und Bemalung von Brunnensäulen oder Stadtwappen an Stadttoren und anderen Gebäuden. Hans Schäufe-
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lin d.J. verstarb schließlich um die Jahreswende 1564/65. Laux wurde am 20. September 1543 großjährig und Barbara wurde am 3. Januar 1544 aus der Pflegschaft entlassen. Vom weiteren Lebenslauf der beiden ist nichts bekannt.
2. Quelle Nachlassregelung für die unmündigen Kinder des Malers Hans Schäufelin, Nördlingen am 3. August 1540. METZGER, Christof: Hans Schäufelin als Maler, Berlin 2002, S. 581f. Dok. 59. Die von Metzger zitierte Quelle befindet sich im Stadtarchiv Nördlingen, Pflegbuch Nr. 5, 1537, fol. 225r–v. Hannsen Scheiffellins Mallers kinder pfleg Mitnamen, Hanns, Laux vnnd Barbara Bernnhart Widenman, vnd Hanns Appetzhouer als geordnet Pfleger obgemelter kinder, Erschinen auf heut datum vor meinen herren den Obern Pflegern, Mitnamen herrn Georgen Gnannen, Marxen Granboß vnd Hannsen Mair allen dreien des Rats, zaigten an weß Si von Irer Pflegkinder wegen, vätterlich Erbgut empfangen hetten, Nemlich an Schulden zwayhundert vnnd zehen guldin so Si zu etlichen könnfftign zilen auf Ludwigen Motzen behausung laut dem Stattbuoch eintzunemen haben Mer so hetten Si die pfleger von der pflegtochter wegen so Ir Ir Mutter seliger Innsonderhait allain vermacht, auf vorgeschribner behausung eintzunemen drey guldin Vnnd dann an varennder hab Erstlich dem Lauxen zugehorig Inn einer truchen ain fiertel kannten 4 zinn schussel klain vnnd groß ain zinteller 2 tryfueß ain haspel ain kessellin ain turchschlag ain kupfferis becken ain pfannen holtz 14 hultzin teller ain buoch ain getter zu ainem huner hauß ain Rib Eysen ain truchen ain schrand ain kannten brett ain tecken ain Löffelkretzen ain Harnasch Armschinen panntzer krag vnd pöckel heuben 5 Eysene Bannder ain Eysene Nagel Der Iungsten tochter zugehorig 2 Ligbeth ain teckbeth ain pfulben 2 kissen ain Teckhin ain gehimletten Bettstatt 7 Leilicher 5 tischtuecher 2 kissen ziech 4 hanndt zwehlen ain annderhalb messigen kannten ain viertel känntlin ain zinschussel ain pfannen 2 mössin Leichter ain hechlin 2 truchen ain speiß pallter ain melkasten ain Sidel truch ain Harnasch palltter ain spinn Rad ain kretzen ain haspel ain teller kretzlin ain Saltzfaß ain schreinlin on ain tecken ain plaß belglin ain Rosch [oder: Rasch] Das gehörtt dem Hansen dem maler zu ain tisch ettlich Malwerck dar Inn 2 taflen zum Malwerckh ain Laden ettlich farben dar Inn ain
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Lederene taflen da man das gold aufschneidt ain Leim pfannnen 2 zirckel ain winckel meslin zum Malwerck ain Messer ain glaß zum Malwerck ain Mvssen Lynial ain holtz dar Inn zwen zin 2 stain darauf man farben Reibt 2 farb buchsen ain hultziner kopf Ettlich farb dar Innen ain pallterlin Inn der vnntern stuben ain kanntenprethlin darbey vnnd sonnst hetten Si weitter nichts Actum Donnerstags den driten Augustj Anno d 42 (Übertragung ins Neuhochdeutsche) Pflege der Kinder des Malers Hanns Scheiffellin mit Namen Hanns, Laux und Barbara. Bernhart Widenman und Hanns Appetzhouer als verordnete Pfleger obengenannter Kinder, erschienen am heutigen Tag vor meinen Herren den Oberpflegern mit Namen die Herren Georg Gnannen, Marx Granboß und Hanns Mair, alle drei [Mitglieder] des Rates, zeigten an, was sie für ihre Pflegekinder an väterlichem Erbgut empfangen hätten, nämlich an Außenständen 210 Gulden, die sie, laut dem Stadtbuch, zu etlichen künftigen Terminen auf Ludwig Motz Behausung einzunehmen haben.8 Des Weiteren hätten die Pfleger für die Pflegetochter, da ihr dies ihre selige9 Mutter als Besonderheit allein vermacht habe, auf vorgenannter Behausung drei Gulden einzunehmen. Und dann an beweglicher Habe erstlich dem Laux zugehörig in einer Truhe: eine Viertelkanne, 4 Zinnschüsseln, klein und groß, ein Zinnteller, 2 Dreifüße, eine Haspel, ein Kesselchen, ein Durchschlag [zum Seihen und Sieben], ein kupfernes Becken, eine Holzpfanne, 14 hölzerne Teller, ein Buch, ein Gatter zu einem Hühnerhaus, ein Reibeisen, eine Truhe, eine Bank, ein Kannenbrett [zum Aufstellen des Küchengeräts], eine Decke, ein Löffelkorb, ein Harnisch, Armschienen, Panzerkragen und Sturmhaube, 5 eiserne Bänder, ein Eisennagel. Der jüngsten Tochter zugehörig: 2 Unterbetten, ein Deckbett, ein Federbett, 2 Kissen, eine Decke, ein Himmelbett, 7 Leinentücher, 5 Tischtücher, 2 Kissenbezüge, 4 Handtücher, eine Eineinhalbkanne aus Messing, ein Viertelkännchen, eine Zinnschüssel, eine Pfanne, 2 Messingleuchter, eine Hächel, 2 Truhen, ein Speisebehälter, ein Mehlkasten, eine Banktruhe, ein Harnischpolster, ein Spinnrad, ein Korb, eine Haspel, ein Tellerkörbchen, ein Salzfass, eine kleine
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Der Lederer Ludwig Motz hatte am 13. September 1540 das 1517 von Schäufelin für 220 Gulden erworbene Haus für 525 Gulden von dessen Witwe gekauft; METZGER 2002, S. 571. Die Verwendung »selige« bedeutet eigentlich, dass die so bezeichnete Person bereits verstorben ist. Da die leibliche Mutter der Barbara aber nachweislich noch lebte, muss es sich hier um einen Irrtum handeln.
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Truhe mit einer Decke, ein kleiner Blasebalg, ein Arrastuch.10 Das gehört dem Hans dem Maler: ein Tisch mit etlichem Malwerk darinnen, 2 Tafeln zum Malwerk, eine Lade mit etlichen Farben darinnen, eine lederne Tafel, auf der man das Gold aufschneidet, eine Leimpfanne, 2 Zirkel, ein Winkelmesser zum Malwerk, ein Messer, ein Glas zum Malwerk, ein Messlineal, ein Holzkasten mit 2 [Stückchen] Zinn, zwei Steine, auf denen man Farben reibt, 2 Farbbüchsen, ein hölzerner Kopf11 mit etlichen Farben darinnen, ein kleiner Behälter in der unteren Stube, ein Kannenbrettlein dabei; und sonst haben sie weiter nichts. Geschehen Donnerstag den dritten August im Jahre des Herrn [15]42.
3. Kontextualisierung Bevor näher auf die hier abgedruckte Quelle und die weiteren überlieferten Regelungen zum Nachlass Hans Schäufelins eingegangen wird12, soll die Rechtsstellung von Frauen und Kindern, die noch nicht »zu ihren Jahren gekommen« sind, erläutert werden. Im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit bestand keine einheitliche Rechtsfähigkeit des Menschen. Die Unterschiede richteten sich nach Geschlecht, Stand (Adlige, Bürger, Bauern), Freiheit (z. B. waren Unfreie nur gemindert rechtsfähig) und Ehre. So mussten uneheliche Kinder mit rechtlichen Einschränkungen leben, z. B. fanden sie keine Aufnahme in einer Zunft.13 Die Frau unterstand im Allgemeinen der Geschlechtsvormundschaft des Mannes; sie war als Tochter, wie alle noch im elterlichen Haushalt lebenden Kinder der »Munt« des Vaters und als Ehefrau der des Ehemannes unterworfen: Eine einheitliche Definition für diese Herrschafts- und Schutzgewalt über Person und Vermögen ist nicht möglich. Es gab unterschiedliche Mundialfälle, die auch einer zeitlichen Veränderung unterworfen waren.14 Aufgrund der väterlichen Munt bestand in Bezug auf die Kinder das Recht auf Gehorsam und Ehrerbietung, auf Mitwirkung im väterlichen Erwerb, auf Heiratszwang oder später die väterliche Zustimmung zur 10
Arlas oder Arras war ein hauptsächlich für Röcke und Schauben verwendetes Wolltuch, welches im flämischen Arras entstanden ist. Für den Beginn des 16. Jahrhunderts ist die Fertigung dieser Tuche für Nürnberg belegt; ZANDER-SEIDEL 1990, S. 398. 11 Kugel- oder halbkugelförmiges, auf einem Fuß stehendes Gefäß für Flüssigkeiten. 12 Die Quellen zur Nachlassregelung sind erstmals bei METZGER 2002, S. 580–585 Dok. 56–74, veröffentlicht worden. 13 SCHRÖDER 1990, Sp. 289. 14 OGRIS 1998, Sp. 651; KÖBLER 1993, Sp. 919; OGRIS 1984c, Sp. 753–757; MIKAT 1971, Sp. 828f.; SCHWAB 1971, Sp. 1697f.
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Eheschließung. Hinzu traten das Recht und die Pflicht der Vermögensverwaltung und der Vertretung vor und außer Gericht, die Pflicht zur Ausstattung oder Aussteuer sowie zur Erziehung und zur Unterhaltsgewährung bis zur Selbsterhaltungsfähigkeit des Kindes. Bei der eheherrschaftlichen Munt hatte der Ehemann ein gewisses Leitungs- und Weisungsrecht: Er vertrat die Frau nach außen und vor Gericht, auch verwaltete und nutzte er das Frauenvermögen. In beiden Mundialfällen bildeten sich im Laufe des Mittelalters die herrschaftlichen Züge zurück und das Leitungs- und Schutzverhältnis trat in den Vordergrund. Es entstand ein eher genossenschaftliches Verhältnis der Ehegatten und auch die allein väterliche Gewalt wandelte sich allmählich zu einer zwar nicht gleichberechtigten aber dennoch elterlichen Gewalt. Für Kinder wie Frauen gab es rechtliche Einschränkungen u. a. in der Prozess- und Geschäftsfähigkeit. Aufgrund der fehlenden Prozessfähigkeit konnten sie einen Rechtsanspruch nicht selbstständig vor Gericht vertreten. So heißt es in der Nördlinger Gerichtsordnung von 1488, dass – man beachte aus heutiger Sicht die Zusammenstellung – man Frauen, Witwen, nicht zu ihren Jahren gekommenen Kindern, geistlichen Personen, Stummen, Unbesinnten, Blinden, Toren und Tauben einen Lehrer oder Anweiser geben solle. Dieser solle der Mann der Ehefrau und ansonsten der nächste männliche Verwandte sein. Frauen wie unmündige Kinder konnten zwar Hab und Gut als Eigentum und Besitz oder andere Rechtstitel haben, erwerben und vererben, waren aber nur beschränkt geschäftsfähig. So gab es in Nördlingen die Verordnung, dass die Frau über ihres Ehemannes Gut und Vermögen ohne dessen Mitwirken und Zustimmung nicht über fünf Schillinge hinaus verfügen dürfe, es sei denn, sie trieb ohne ihren Mann selbstständig Handel.15 Die Quellenlage zu Schäufelins Familie zeigt deutlich, dass der Ehemann sowohl seine als auch die Interessen seiner Ehefrau vertrat. So fanden die Regelungen bezüglich der Erbschaft über die Ehemänner der verheirateten Töchter Schäufelins statt und auch nach der Wiederverheiratung der Witwe zeigt sich, dass der zweite Ehemann Hans Schwarz sofort die geschäftlichen Angelegenheiten seiner Ehefrau regelte. Er wurde zudem für die Belange der unmündigen Kinder tätig, auch wenn die bestellten Vormünder weiterhin für deren geschäftlichen Angelegenheiten verantwortlich waren. So trieb er die noch offenen Forderungen aus dem Hausverkauf für sie ein, eine Aufgabe, die er am 12. August 1542 seinem in Nördlingen ansässigen Bruder übertrug. 15
Zu den Nördlinger Bestimmungen siehe MÜLLER 1933, S. 349, 369f.; allgemeiner siehe VOGES 1988, S. 140f.; OGRIS 1971a, Sp. 1595f.
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Inwieweit die Frau, aufgrund der Einschränkungen in Prozess- und Geschäftsfähigkeit, einen gesetzlichen Vormund brauchte, wenn ein »natürlicher« Vormund in Form des Vaters oder Ehemannes fehlte, ist schwer zu beantworten, da hierzu in regionaler und zeitlicher Perspektive große Unterschiede bestanden.16 In der Neuzeit verstärkte sich zunächst die Machtstellung des Mannes in Ehe und Familie. Teilweise bedurfte die Frau bis in das 19. Jahrhundert hinein eines gesetzlichen Vormundes, wenn der Vater starb, bevor sie verheiratet war, wenn sie ledig blieb oder Witwe wurde. Als Ehefrau benötigte sie einen Vormund zum Teil auch noch im 20. Jahrhundert. Im Allgemeinen wurde im Hochmittelalter die fehlende Geschäftsfähigkeit der Frau langsam abgebaut; vor allem die selbständige Kauffrau erhielt eine weitgehend unbeschränkte Handlungs- und Prozessfähigkeit. Zudem endete in vielen spätmittelalterlichen Städten mit dem Tod des Mannes die Munt über die Witwe, die nun voll handlungsfähig wurde, auch wenn sie vor Gericht in der Regel weiterhin eines Vormundes bedurfte.17 Für die unverheiratete Frau könnte Ähnliches gegolten haben, denn am Beispiel der Barbara Schäufelin ist zu vermuten, dass nicht grundsätzlich ein gesetzlicher Vormund für eine Frau erforderlich war. So scheint Barbara aus der Vormundschaft entlassen worden zu sein, obwohl sie nicht verheiratet war; denn in dem Entlassungsschreiben heißt es Ich Barbara Scheifelerin.18 Allgemein kann für das mittelalterliche Nördlingen festgehalten werden, dass die Frau im städtischen Bürger- und Zunftrecht eine weitgehende Gleichstellung mit dem Mann erreicht hatte, aber in Politik und öffentlicher Verwaltung keine Rolle spielte.19 So besagte 1349 die Zunftordnung der Schneider, Tuchscherer und Kürschner, dass ein Mädchen dasselbe Recht hätte, das Handwerk zu erlernen, wie ein Junge, und der Rat der Stadt genehmigte und bewilligte 1487 und 1511 den Schleierwirkerinnen eine eigene Handwerksordnung innerhalb der Zunft der Weber. Insgesamt wird ersichtlich, dass die Frau aufgrund ihrer Rechtsstellung, die sie in der Gesellschaft einnahm, nicht in der Lage war, für ihre unmündigen Kinder rechtsgeschäftlich zu handeln. Daher bedurften vaterlose Kinder bis zum Erreichen der Mündigkeit eines Vormundes, der in den Quellen auch Pfleger genannt wurde. Mit welchem Lebensalter man in Nördlingen als mündig galt, ist nicht feststellbar.20 16
JARZEBOWSKI 2006, Sp. 651f. Zur Handhabung der Vormundschaft in der Stadt Ravensburg von 1600 bis 1800 siehe INGENDAHL 2006. 17 NEHLSEN-VON STRYK 1998, Sp. 278; SAAR 1998, Sp. 1478; SCHWAB 1971, Sp. 1697f. 18 METZGER 2002, S. 585 Dok. 73. 19 VOGES 1988, S. 149 und 152. 20 METZGER 2002, S. 49, scheint für die Schäufelin-Kinder das Erreichen des 20. Lebensjahres als Beginn der Großjährigkeit anzusetzen. Allgemein ist festzustellen, dass im
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In Bezug auf die Wirkungen der Mündigkeit ist zwischen Söhnen und Töchtern zu unterscheiden. Bei Söhnen entfielen bei Eintritt der Mündigkeit gewisse Beschränkungen der Geschäftsfähigkeit, aber die väterliche Munt blieb weiterhin bestehen bis zum Ausscheiden des Sohnes aus dem väterlichen Haushalt (Abschichtung). Nur die unter Vormundschaft stehenden vaterlosen Söhne erhielten mit der Mündigkeit volle Selbstständigkeit. Für die Töchter endete die väterliche Gewalt meist mit der Eheschließung, nach dem Motto »Heirat macht mündig«; allerdings trat an die Stelle der väterlichen Munt die eheherrliche Gewalt. Die von Christof Metzger erstmals abgedruckte und von uns übernommene Quelle zeigt, dass für die unmündigen Kinder des Hans Schäufelin der Bierbrauer Bernhart Wideman und der Schreiner Hanns Appetzhouer die vom Rat bestellten Pfleger waren. Ein Eintrag im Steuerbuch beweist, dass Bernhart Wideman bereits ab 1540 im Namen der Schäufelin-Kinder die Steuer gezahlt hat, also als deren Pfleger tätig war. Soweit aus den überlieferten Quellen ersichtlich, waren die Pfleger für die Verwaltung des Besitzes ihrer Mündel zuständig und führten in deren Sinn die Rechtsgeschäfte aus. Dies stimmt mit einer Verordnung im Nördlinger Stadtrecht überein, wo es heißt, dass Kindern, deren Vater verstorben ist und die einer Pflegschaft bedürfen, vom Rat für ihr Hab und Gut Pfleger beigegeben werden sollen.21 Es gibt keine Angaben, welche Voraussetzungen bestanden, um das Pflegeamt übertragen zu bekommen. Aus der Quelle ist jedoch ersichtlich, dass es einfache Bürger der Stadt Nördlingen mit einem ehrbaren Beruf waren, und es scheint auch üblich gewesen zu sein, immer zwei Bürger für dieses Amt zu bestimmen, unabhängig davon, welcher Zunft sie angehörten.22 Zwei Personen mit diesem Amt zu betrauen, war insofern sinnvoll, da sie sich so gegenseitig kontrollieren und beraten konnten. Es ist zu vermuten, dass, wie auch anderswo üblich, jeder Bürger zur Übernahme der Vormundschaft verpflichtet war, für seine Mühen aber einen Lohn beanspruchen durfte.23 Anhand der überlieferten Quellen zur Familie Schäufelin ist zu erkennen, dass der Rat die Pfleger nicht nur bestellte, sondern sie auch beaufsichtigte. So sind der Quelle die Namen der drei Ratsherren zu Mittelalter mit zunehmender Differenzierung der Lebensverhältnisse die Mündigkeitsgrenzen stiegen, seit dem Spätmittelalter ist der Ablauf des 18. Lebensjahres der häufigste Termin, aber auch spätere konnten vorkommen; OGRIS 1984b, Sp. 740; BRAUNEDER 1980, Sp. 471. 21 MÜLLER 1933, S. 80. 22 Hans Schäufelin selbst übte in der Zeit von 1528 bis 1533 mit dem Schneider oder Schmied Hans Weber eine Pflegschaft aus, siehe die Quellen bei METZGER 2002, S. 575–578 Dok. 33, 36, 40 und 44. 23 ERLER 1998, Sp. 1052f.; KÖBLER 1997, Sp. 1855; OGRIS 1984a, Sp. 737.
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entnehmen, die die Oberpflegschaft ausübten. Des Weiteren zeigen die Einträge ins Pflegbuch der Stadt, dass die Pfleger im Falle von Laux und Barbara vor den Oberpflegern offiziell aus ihrer Pflegetätigkeit entlassen wurden, sobald die Mündigkeit der Kinder erreicht war. Bei Hans ist nicht bekannt, ob dieser Vorgang ebenfalls vor den Oberpflegern stattfand, jedoch ist eine von angesehenen Bürgern bezeugte, rechtlich offizielle Entlassung der Pfleger durch Hans mit einem Eintrag in den Kanzleiprotokollen von 1543 belegt.24 Dies bestätigt die meist gängige Praxis, nach der die Vormünder zwar mit unmittelbarer Wirkung rechtsgeschäftlich gültig im Namen des Mündels handeln konnten, aber zum Schutz des Mündelgutes einer obrigkeitlichen Kontrolle unterworfen wurden25, d. h. sie mussten der städtischen Obrigkeit gegenüber Rechenschaft über die Vermögensverwaltung ablegen. Bestimmte Geschäfte konnten sie nur mit deren ausdrücklicher Zustimmung vornehmen und sie mussten das ihnen anvertraute Vermögen nach gewissen Regeln anlegen. Das Datum der hier abgedruckten Quelle ist interessant: Schäufelin ist spätestens im Spätsommer des Jahres 1540 gestorben, die oben wiedergegebene Regelung wurde aber erst am 3. August 1542 festgehalten. Da Schäufelins Witwe wohl kurz zuvor wieder geheiratet hatte26, ist zu vermuten, dass dieser Umstand eine tatsächliche Teilung des Erbes erst notwendig machte27, nicht zuletzt, weil für die Witwe mit der Wiederverheiratung eine Veränderung des Wohnortes einherging. Denn in diesem Jahr versteuerte ihr zweiter Ehemann 54 Gulden aus dem Gut seiner Frau nach, was bedeutet, dass sie die Stadt samt Gut verließ und wohl nach Öttingen zog. Anscheinend hat die Familie nach Schäufelins Tod erst einmal weiterhin zusammen gelebt, eine Teilung des Vermögens war daher nicht notwendig gewesen.28 Da die Witwe das Haus mit der Werkstatt bereits 1540 verkaufte und andere Anhaltspunkte fehlen, ist nicht bekannt, wo genau die Familie 24
METZGER 2002, S. 584f. Dok. 68, 70 und 72. In einigen Städten war die Vormundschaft sogar so geregelt, dass die Stadträte selbst als Vormünder für die Waisen agierten, oder es wurden Behörden für das Vormundschaftswesen eingesetzt, wo angestellte Stadtbeamte für vormundschaftliche Angelegenheiten zuständig waren, wie dies bereits 1399 in Nürnberg der Fall war; ERLER 1998, Sp. 1052. 26 Eine genauere Darlegung, inwieweit eine Wiederverheiratung notwendig oder auch üblich war, würde den hier gesetzten Rahmen sprengen. Die diesbezüglichen Bedingungen und Verhältnisse hat INGENDAHL 2006 für die Ravensburger Witwen in der Frühen Neuzeit herausgearbeitet. 27 Die Witwe und die drei unmündigen Kinder wurden bereits 1540 getrennt voneinander steuerlich veranlagt; METZGER 2002, S. 580f. Dok. 56 und 57. 28 Spätestens am Ende des Jahres wäre für Hans die Austeilung seines Erbes notwendig geworden, da er mündig wurde und bald darauf nach Freiburg zog. 25
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nach dem Tode des Vaters gelebt hat. Die Steuerzahlungen und andere städtische Quellen beweisen jedoch, dass sie in Nördlingen geblieben ist. Theoretisch wäre es der Witwe möglich gewesen, die Werkstatt ihres verstorbenen Mannes weiterzuführen. Doch wird sich wohl aufgrund des Auftragsmangels im protestantischen Nördlingen ein solcher Betrieb nicht mehr rentiert haben und deshalb ließ sich vermutlich Hans Schäufelin d.J. in Freiburg, der Hauptstadt des Schweizer Jura nieder, da sich dort Beschäftigungsmöglichkeiten boten. Die genaue Aufteilung des Vermögens ist aus den erhaltenen Unterlagen nicht nachvollziehbar; die obige Quelle zeigt nur, was den unmündigen Kindern Hans, Laux und Barbara zustand. Aus ihr ist jedoch ersichtlich, dass die Gegenstände nach Nützlichkeit zugeteilt wurden. So erhielt Hans, der wie sein Vater Maler war, dementsprechend die Malutensilien seines Vaters, Laux erhielt u. a. spezifisch männliche Alltagsgegenstände wie Harnisch und Helm, während Barbara eher eine spezifisch weibliche Ausstattung zugewiesen wurde. Daneben erhielten alle drei zusammen ein Anrecht auf ein Guthaben von 210 Gulden aus dem Hausverkauf. Diese Regelung beweist, dass der Nachlass gleichmäßig unter die Erben aufgeteilt wurde, also die Töchter den Söhnen gleichgestellt waren.29 Weitere Quellen zeigen, dass die beiden verheirateten Schwestern Forderungsansprüche aus dem Hausverkauf erbten. Ob sie darüber hinaus auch noch Wertgegenstände zugesprochen bekamen, ist nicht bekannt; in Form der Aussteuer hatten sie jedoch bereits einen Teil des Erbes erhalten. Was die Erb- und Versorgungsrechte der Witwe betrifft, so ist zu beachten, dass die Versorgung der Hinterbliebenen zeitlich und regional sehr vielfältig durch Normen, Gesetze, Verträge (Ehe- / Heirats- und Erbverträge) und Testamente geregelt sein konnte. In den gesetzlichen Erbrechten, die die Erbfolge beim Fehlen letztwilliger Verfügungen bestimmten, richtete man sich ursprünglich nach dem Prinzip der Blutsverwandtschaft, was bedeutete, dass der überlebende Ehegatte als Nicht-Blutsverwandter keinen Erbanspruch hatte. Seine Ansprüche ergaben sich nach Ehegüterrecht in erster Linie durch Vertragsvereinbarung, aber auch durch Gewohnheitsrecht oder durch letztwillige Verfügungen. Zunächst hatte eine Sicherung vor allem der Frau durch ein Heiratsgabesystem stattgefunden, das zum Teil bis ins 19. Jahrhundert praktiziert wurde: Morgengabe und Wittum, die im Laufe der Zeit gleichermaßen zur Witwenversorgung dienten und daher auch häufig miteinander verschmolzen, waren Gaben des Mannes an die Braut. Die Heimsteuer oder Mitgift stammte aus dem Ver29
Das war nicht immer und überall so, siehe BRAUNEDER 2006, Sp. 413; KROESCHELL 1986, Sp. 2106f.
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mögen der Familie der Frau. Das Heiratsgut der Frau wurde oft durch eine Widerlegung des Mannes sichergestellt. In der Regel hatte der Mann während der Ehe das volle Verwaltungs- und Nutzungsrecht an den verschiedenen Gütern und die Frau konnte erst als Witwe frei darüber verfügen oder zumindest den Nießbrauch daran erhalten. Eine reine Gütertrennung blieb in Mittelalter und Neuzeit eine Ausnahme; doch könnte man das Heiratsgabesystem als eine Art Gütertrennung bezeichnen; denn das voreheliche sowie das von jedem Ehepartner während der Ehe erworbene Vermögen blieb in gewisser Weise getrennt, auch wenn der Mann das gesamte Vermögen verwaltete.30 Darüber hinaus breitete sich während des Mittelalters, vor allem in den Städten, die Gütergemeinschaft aus. Hierbei wurde das von Mann und Frau eingebrachte Vermögen zu einem gemeinschaftlichen verschmolzen, einzelne Vermögensbestandteile konnten allerdings hiervon ausgenommen werden. Über das Gemeinschaftsgut hatte der Ehemann die alleinige Güterverwaltung, er konnte darüber voll verfügen. Starb der Ehemann, so erhielt die Frau das gesamte Vermögen und nicht nur den eigenen, in die Ehe eingebrachten Vermögensteil. Bei beerbter Ehe, d. h. wenn es Kinder gab, erhielt die Witwe entweder nur das Nießbrauchsrecht für das Vermögen oder das Gesamtvermögen wurde zwischen den Kindern und der Witwe aufgeteilt. Bei unbeerbter Ehe bekam die Witwe die freie Verfügungsgewalt über das Gesamtvermögen. Daneben gab es auch noch die beschränkte Gütergemeinschaft etwa als Errungenschaftsgemeinschaft oder als Fahrnisgemeinschaft. Bei dieser sehr allgemein gehaltenen Darstellung ist zu berücksichtigen, dass die Güterrechtsregelungen noch mannigfach variiert wurden.31 Aufgrund des Steuerbetrages von Schäufelins Witwe, den sie für die Jahre 1540 und 1541 zahlte, ist zu rekonstruieren, dass sie nach dem Tode ihres ersten Ehemannes ein Vermögen im Wert von 200 Gulden besaß. Im Nördlinger Stadtrecht gab es eine Verordnung vom 24. Februar 1390, in der es heißt, dass beim Tod des Ehemannes die Witwe das beste Bett, ein Federbett, ein Kissen, zwei Laken, eine Decke oder eine gefütterte, gesteppte Bettdecke, alle ihre Gewänder samt ihrem Schleier, ihre Fingerringe, eine Kiste, einen Käsekorb, einen Dreifuß, einen Kessel und eine Pfanne erhalten sollte. Das übrige liegende und fahrende Gut sollte mit den Kindern zu gleichen Teilen aufgeteilt werden. Diese Regelung, die möglicherweise erst wirksam wurde, wenn eigenes Vermögen oder ehegüterrechtliche Ansprü30
Für genauere Ausführungen zum Heiratsgabesystem siehe die diesbezüglichen Artikel in HRG und LexMa sowie VOGES 1988, S. 142f.; MITTEIS / LIEBERICH 91981, S. 64f. 31 BRAUNEDER 2006, Sp. 414; MITTEIS / LIEBERICH 91981, S. 65f.; OGRIS 1971b, OGRIS 1971c und OGRIS 1971d.
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che fehlten, erklärt nicht das gesamte Vermögen von Schäufelins Witwe; es ist daher zu vermuten, dass sie noch durch andere Verfahren vermögensrechtliche Ansprüche hatte. Wahrscheinlich stand ihr das eigene, in die Ehe eingebrachte Vermögen zu. Dafür spricht, dass es als Nachtrag in weiteren Quellen bezüglich der Nachlassregelungen heißt, dass das mütterliche Erbe nicht in die Erbteilung mit einbezogen werden soll. Dass die Witwe zudem über zumindest einen Teil ihres Vermögens frei verfügen konnte, zeigt sich in der Tatsache, dass sie ihrer Tochter drei Gulden vermachte.
Literatur BRAUNEDER 2006 – BRAUNEDER, Wilhelm: Erbrecht, in: Enzyklopädie Neuzeit, Bd. 3, 2006, Sp. 413–415. BRAUNEDER 1980 – BRAUNEDER, Wilhelm: Alter, in: LexMa, Bd. 1, 1980, Sp. 470–471. ERLER 1998 – ERLER, Adalbert: Vormundschaft, in: HRG, Bd. 5, 1998, Sp. 1050–1055. INGENDAHL 2006 – INGENDAHL, Gesa: Witwen in der Frühen Neuzeit. Eine kulturhistorische Studie, Frankfurt am Main 2006. JARZEBOWSKI 2006 – JARZEBOWSKI, Claudia: Geschlechtsvormundschaft, in: Enzyklopädie Neuzeit, Bd. 4, 2006, Sp. 651–653. KIEßLING 1999 – KIEßLING, Rolf: Die Nördlinger Pfingstmesse im 15./16. Jahrhundert. Aufstieg und Strukturwandel eines süddeutschen Wirtschaftszentrums, in: Historischer Verein für Nördlingen und das Ries 29, 1999, S. 69–95. KÖBLER 1997 – KÖBLER, Gerhard: Vormund, -schaft, Germanisches und deutsches Recht, in: LexMa, Bd. 8, 1997, Sp. 1854–1855. KÖBLER 1993 – KÖBLER, Gerhard: Munt, in: LexMa, Bd. 6, 1993, Sp. 918–919. KROESCHELL 1986 – KROESCHELL, Karl: Erbrecht, Erbe, Erbschaft, Rechte einzelner Länder, in: LexMa, Bd. 3, 1986, Sp. 2105–2107. METZGER 2002 – METZGER, Christof: Hans Schäufelin als Maler, Berlin 2002. MIKAT 1971 – MIKAT, Paul: Ehe, in: HRG, Bd. 1, 1971, Sp. 809–833. MITTEIS / LIEBERICH 91981 – MITTEIS, Heinrich: Deutsches Privatrecht, neu bearb. von Heinrich LIEBERICH, 9. Aufl. München 1981. MÜLLER 1933 – MÜLLER, Karl Otto: Nördlinger Stadtrechte des Mittelalters (Bayerische Rechtsquellen, Bd. 2), München 1933. NEHLSEN-von Stryk 1998 – NEHLSEN-von Stryk, Karin: Witwe, Germanisches und Deutsches Recht, in: LexMa, Bd. 9, 1998, Sp. 277–278. OGRIS 1998 – OGRIS, Werner: Vater, in: HRG, Bd. 5, 1998, Sp. 648–655.
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OGRIS 1984a – OGRIS, Werner: Mündelgut, in: HRG, Bd. 3, 1984, Sp. 735–738. OGRIS 1984b – OGRIS, Werner: Mündigkeit, in: HRG, Bd. 3, 1984, Sp. 738–742. OGRIS 1984c – OGRIS, Werner: Munt, Muntwalt, in: HRG, Bd. 3, 1984, Sp. 750–761. OGRIS 1971a – OGRIS, Werner: Geschäftsfähigkeit, in: HRG, Bd. 1, 1971, Sp. 1594–1596. OGRIS 1971b – OGRIS, Werner: Gütergemeinschaft, in: HRG, Bd. 1, 1971, Sp. 1871–1874. OGRIS 1971c – OGRIS, Werner: Güterrecht, eheliches, in: HRG, Bd. 1, 1971, Sp. 1874–1876. OGRIS 1971d – OGRIS, Werner: Gütertrennung, in: HRG, Bd. 1, 1971, Sp. 1876–1877. SAAR 1998 – SAAR, Stefan Chr.: Witwe, in: HRG, Bd. 5, 1998, Sp. 1472–1479. SCHREYL 1990 – SCHREYL, Heinz: Hans Schäufelein, Das druckgraphische Werk, 2. Bde., Nördlingen 1990. SCHRÖDER 1990 – SCHRÖDER, Jan: Rechtsfähigkeit, in: HRG, Bd. 4, 1990, Sp. 288–293. SCHWAB 1971 – SCHWAB, Dieter: Gleichberechtigung (der Geschlechter), in: HRG, Bd. 1, 1971, Sp. 1696–1702. VOGES 1988 – VOGES, Dietmar-Henning: Die Reichsstadt Nördlingen. 12 Kapitel aus ihrer Geschichte, München 1988. ZANDER-SEIDEL 1990 – ZANDER-SEIDEL, Jutta: Textiler Hausrat. Kleidung und Haustextilien in Nürnberg von 1500–1650, München 1990.
V. Abbildungen
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Abbildungen
Marina Beck: Die Grundlage aller Dinge. Die Zunftordnung der Seidensticker, Maler, Glaser, Bildhauer und Steinmetzen der Stadt Ingolstadt
Abb. 1: Jost Amman, der Handmaler. Aus dem Ständebuch des Jost Amman. 1568. Holzschnitt.
Abbildungen
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Abb. 2: Jirzik Berger, Majestätsbrief Rudolfs II. vom 27. April 1595 betreffend die Ordnungen der Malerzunft der Prager Städte. 1598. Pergament. Prag, Nationalgalerie.
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Abbildungen
Marina Beck: Der lange Weg zum Meister. Formular eines Lehrbriefs und die Gesellenordnung der Maler, Glaser und Sattler in Münster
Abb. 3: Sebolt Schwaiger, Malergeselle, Wasserburg. 1645. Federzeichnung. Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum.
Abbildungen
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Abb. 4: Hinrich Joachim Preyt, Gesellenzeichnung aus dem Buch der Lehrknaben 1676 –1698. Federzeichnung. Hamburg, Innungsarchiv der Malerinnung. Bezeichnet: Hinrich Joachim Preyt hadt bei seinem lehr Mstr. Friedrich von Sosten sein lehr Jahren außgestanden. Anno 1690 den 25. Junius St. Johanny Quarthal.
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Abbildungen
Frederike Maurer: Jakob Biermann, Chirurgensohn aus Speyer. Unerwünschter Goldschmiedelehrling in Köln
Abb. 5: Hans Burgkmair, Der Geschmeidmeister. 1473 –1531. Holzschnitt.
Abb. 6: Umzeichnung des Siegels der Breslauer Goldschmiedezunft. Mitte 15. Jh.
Abbildungen
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Abb. 7: Hans Brosamer, Goldschmiedewerkstatt. Aus dem Goldschmiedelehrbuch Ein new kunstbüchlein … zuo guot der lebenden jugend. Um 1540. Holzschnitt.
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Abbildungen
Stefanie Herberg und Aline Schmitt: Gottfried Amberger, Junggeselle in Augsburg. Ohne Heirat keine Werkstatt
Abb. 8: Ein Augspurger Jungfraw. 1586. Aus Jost Ammans Frauen-Trachtenbuch. Gedruckt in Frankfurt bei Sigmund Feyrabend.
Abbildungen
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Luise M. Stoppel: Jörg Ratgeb, Hintersasse in Heilbronn. Kein Bürgerund Meisterrecht durch Leibeigenschaft von Frau und Kindern
Abb. 9: Jörg Ratgeb, Verfolgung und Martyrium der Karmelitermönche im Heiligen Land durch die Heiden. Detail aus Wandbild im Refektorium des Frankfurter Karmeliterklosters. Umzeichnung durch Ulrike Denis, Zeichnerin des Faches Klassische Archäologie der Universität Trier.
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Abbildungen
Abb. 10: Elias Meichsner denunziert Jörg Ratgeb beim Pforzheimer Gericht. Hauptstaatsarchiv Stuttgart.
Abbildungen
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Abb. 11: Peter Flötner, Der Landsknecht Veyt Pildhawer. Um 1535/45. Kolorierter Holzschnitt.
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Abbildungen
Hans Peter Brandt: Kunstspionage des Prager Edelsteinschneiders Matthias Krätsch für Kaiser Rudolf II. in der Reichsherrschaft Oberstein
Abb. 12: Ägidius Sadeler, Kaiser Rudolf II. 1609. Kupferstich.
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Abb. 13: Wappen des Matthias Krätsch. Datiert 12.04.1595. Aus dem Taxbuch ex 1595. Wien, Österreichisches Staatsarchiv.
Abb. 14: Veit Stoß, Hochaltar aus der Karmeliterkirche Maria Himmelfahrt in Nürnberg. 1520 –152. Heute im Bamberger Dom.
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Danica Brenner: Veit Stoß, Schöpfer des Bamberger Altares. Vertragsabschluss, Visierung und Endprodukt
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Abb. 15: Veit Stoß, Visiserung des Hochaltars aus der Karmeliterkirche Maria Himmelfahrt in Nürnberg. 1520 –1523. Feder auf Papier. Krakau.
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Daniela Antonia Druschel: Conrad Faber von Creuznach und der Frankfurter Traghimmel. Ein zweites Standbein neben der Porträtmalerei
Abb. 16: Kaiser Leopold I. unter einem von Ratsherren erhobenen Traghimmel. 1658. Farbige Federzeichnung, mit Gold gehöht. Nürnberg, Staatsarchiv.
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Stefan Heinz und Sandra Ost: Hans Ruprecht Hoffmann, Bildhauer in Trier. Die Rechnung über die Herstellung des Petrusbrunnens
Abb. 17: Hans Ruprecht Hoffmann, Petrusbrunnen. 1594/95. Trier, Hauptmarkt.
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Andreas Geis und Andreas Tacke: Werkstattproduktion eines Rotschmieds in Nürnberg. Das Inventar der Katharina Amman
Abb. 18: Kuntz, Rotschmied, der 161. Bruder. Aus dem Hausbuch der Mendelschen Zwölfbrüderstiftung zu Nürnberg. 1458. Lavierte Federzeichnung. Nürnberg, Stadtbibliothek.
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Abb. 19: Landsknecht- und einfache Messingleuchter. Deutschland, um 1550. Messing. München, Bayerisches Nationalmuseum.
Abb. 20: Leuchter. 15. Jh. Messing. Dobra (Kreis Bad Liebenwerda), Dorfkirche.
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Danica Brenner: Agnes Dürers Druckprivileg. Zehn Jahre Schutz der Werkstattrechte Albrechts
Abb. 21: Albrecht Dürer, Agnes Frey Dürer. 1494. Federzeichnung. Wien, Albertina. Bezeichnet: Mein agnes (AD ligiert).
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Abb. 22: Albrecht Dürer, Seiten- und Vorderansicht eines Mannes von 10 Kopflängen. 1507/09. Holzschnitt.
Abb. 23: Altes und neues Cranachhaus. Detail aus Johann David Schleuen, Wittenberg mit Festungsring nach der Zerstörung am 13. Oktober 1760 aus der Vogelperspektive. 1760. Kupferstich.
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Marina Beck und Jens Jakusch: Lucas Cranach der Ältere. Der Wittenberger Maler, Drucker, Immobilienbesitzer und Betreiber einer Monopolapotheke mit Weinausschank
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Abb. 24: Albrecht Dürer, Lucas Cranach d.Ä. 1524. Silberstift auf Papier. Bayonne, Musée Bonnat.
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Stefanie Herberg: Bartholomäus Bruyn der Ältere in Köln. Der Kauf von Haus und Werkstatt Stefan Lochners
Abb. 25: Jörg Breu d.Ä., Scheibenriß des Monats Juli. Feder und Tinte, grau laviert. Berlin, Staatliche Museen, Preußischer Kulturbesitz, Kupferstichkabinett.
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Benno Jakobus Walde: Albrecht Altdorfer in Regensburg. Testament und Nachlassinventar als Quellen zu Besitz und Hausrat des Künstlers
Abb. 26: August Brokesch, Altdorfers zuletzt bewohntes Haus kurz vor dem Abbruch. Weitoldstraße, ehemals Wollwirkergasse. 1909. Fotographie.
Abb. 27: Benno Jakubus Walde, Rekonstruktion des Grundrisses im Altdorferhaus.
Abb. 28: Hanns Paur, Vom Haushalten. Um 1475. Holzschnitt.
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Stefanie Herberg: Der verfluchte Maler? Jörg Breu der Ältere und der Bildersturm in Augsburg
Abb. 29: Den gecreützigiten Abgott, schleyfen wir auß mit kyndschem spott. Aus der Flugschrift Histori von der Bewrischen vffrur so sich durch Martin Luthers leer inn Teutscher nation Anno MDXXV erhebt. 1525 –1527. Holzschnitt.
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Lucas Dembinsky: Tilman Riemenschneider im Bauernkrieg. Langer Aufstieg und schneller Fall in Würzburg. Legende und Wirklichkeit
Abb. 30: Peinliche Befragung. Aus der Constitutio Criminalis Bambergensis, der von Johann Freiherr zu Schwarzenberg im Auftrag des Bischofs Georg III. Schenk von Limburg verfassten Halsgerichtsordnung. 1507.
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Abb. 31: Bildhauer und Gesellen bei der Arbeit an einem Grabmal mit Stifter. Um 1500. Aquarellierte Zeichnung. Konstanz, Rosengartenmuseum.
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Iris Hoffmann: Im Schatten des großen Vaters. Die Leichenpredigt zum Tod Lucas Cranachs des Jüngeren in Wittenberg
Abb. 32: Sebastian Walther, Epitaph für Lucas Cranach d.J. und seine beiden Frauen. 1606. Sandstein, Marmor, Alabaster. Wittenberg, Stadtkirche.
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Abb. 33: Franz Hogenberg, Nördlingen im Rieß. Ca. 1590. Kupferstich. Aus Georg Braun und Franz Hogenberg: Civitates Orbis Terrarum.
Juliane E. E. Jöhnk: Der Nachlass des Nördlinger Malers Hans Schäufelin. Die Atelierausstattung für den Sohn, die Auszahlung der Ehefrau und die Versorgung der Mündel
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Abb. 34: Hans Schäufelin, Selbstbildnis. Kohlezeichnung. 1512. Stockholm, Nationalmuseum. Bezeichnet: Hanns Scheyffl das guott Schaf.
Abbildungsverzeichnis Abb. 1–8, 10–27, 29–35: Archiv der Verfasserinnen und Verfasser und der Herausgeber. Abb. 9: Anfertigung durch Frau Ulrike Denis, Zeichnerin des Faches Klassische Archäologie der Universität Trier. Abb. 28: Erstellt durch Benno Walde.
Literaturabkürzungsverzeichnis ADB Allgemeine Deutsche Biographie, hrsg. von der Historischen Commission bei der Königlichen Akademie der Wissenschaften, 56 Bde., Leipzig 1875 –1912. AKL Allgemeines Künstlerlexikon. Die Bildenden Künstler aller Zeiten und Völker, Bd. 1–, München 1992–. BBKL Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon, 24 Bde., Hamm 1975–2005. Enzyklopädie Neuzeit Enzyklopädie der Neuzeit, Bd. 1–, Stuttgart 2005–. Geschichtliche Grundbegriffe Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, 8 Bde., Stuttgart 1972 –1997. HRG Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, Bd. 1– 5, Berlin 1971–1998. NDB Neue deutsche Biographie, hrsg. von der historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Bd. 1–, Berlin 1953–. LCI Lexikon der christlichen Ikonographie, 8 Bde., Freiburg im Breisgau 1968 – 1976. LexMa Lexikon des Mittelalters, 9 Bde., München 1980 –1998. LThK Lexikon für Theologie und Kirche, 11 Bde., (1. Aufl. 1930 –1938) 3. völlig neu bearb. Aufl., Freiburg im Breisgau 1993 – 2001. Thieme / Becker Allgemeines Lexikon der Bildenden Künstler von der Antike bis zur Gegenwart, hg. von Ulrich Thieme und Felix Becker, 37 Bde., 6 Erg. bde., Leipzig 1907–1950.