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German Pages 182 [184] Year 2005
Thomas Haye Lateinische Oralität
Thomas Haye
Lateinische Oraütät Gelehrte Sprache in der mündlichen Kommunikation des hohen und späten Mittelalters
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Walter de Gruyter · Berlin · New York
® Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt.
ISBN-13: 978-3-11-018569-0 ISBN-10: 3-11-018569-5 Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über < http://dnb.ddb.de > abrufbar.
© Copyright 2005 by Walter de Gruyter G m b H & Co. KG, D-10785 Berlin. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Ubersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Einbandgestaltung: Christopher Schneider, Berlin
Inhalt I. Einleitung 1. 2. 3. 4. 5. 6.
Die Fragestellung Das Schweigen der Quellen Das korrekte Latein Modi und Funktionen der Übersetzung Limitierte und schriftgestützte Mündlichkeit Das Verständnis des Publikums
II. Normative Traktate und Modelle 1. Das Latein des Gerichtswesens: Boncompagno, Tankred und Guillaume Durant 2. Das Latein des kurialen Zeremoniells: Agostino Patrizi und die Tradition der Ordines Romani 3. Das Latein der Provinzialkonzilien: Das Pontificale Romanum des 12. Jahrhunderts 4. Das Latein der Diplomaten: die Gesandtschaftstraktate .. 5. Das Latein des klösterlichen Alltags: Aelfric Bata und Paul Schneevogel 6. Das Latein der akademischen Rede: Boncompagno und Rudolf Losse III. Historische Einzelstudien
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1. Hariulf von Saint-Riquier in Rom (1141) 83 2. Das Konzil von Sens und der Becket-Streit (1164) 94 3. Salimbene de Adam in Modena (1253) und in der Provence (1248) 100 4. Francesco Petrarca in Paris (1361) 106 5. Lapo da Castiglionchio in Avignon (1364) 113
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Inhalt
6. Die anglofranzösischen Verhandlungen von Αΐεηςοη und Pont de l'Arche (1418) 118 7. Die Gesandtschaftsreden des John Gunthorpe (1466/ 1468) 134 8. Der Regensburger Reichstag (1471) 143 IV. Fazit V. Literaturverzeichnis VI. Orts- und Personenregister
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I. Einleitung 1. Die Fragestellung Objekt dieser kleinen Serie philologischer Studien ist jene lateinische Sprache, die im hohen und späten Mittelalter in weiten Teilen Europas Verwendung gefunden hat, um in zumeist standardisierten und formalisierten Gesprächssituationen eine mündliche Kommunikation zwischen menschlichen Individuen oder Gruppen zu ermöglichen. 1 Wie der Untertitel andeuten soll, handelt es sich hierbei um eine - im doppelten Sinne - gelehrte Kommunikation: Zum einen ist die lateinische Sprache im betrachteten Zeitraum Träger der autoritätsmächtigen antiken Kultur, die in nachantiker Zeit als Basis jeglicher Bildung und Ausbildung dient. Zum anderen fungiert dieses Latein als eine Sekundärsprache, die in schulischen und universitären Einrichtungen gelehrt und erlernt wird. Das Specificum einer solchen latinistischen Ausbildung besteht darin, dass die Lehre nicht nur Vokabular und Grammatik vermittelt, sondern auch ein allseits akzeptiertes System rhetorischer Regeln und konventionalisierter Modi der Kommunikation. Die wissenschaftliche Beschäftigung mit dieser Kommunikation liegt nahe. Im Zeitalter der elektronischen Massenmedien erlebt nicht nur das Sprechen, sondern auch das Sprechen über das Sprechen eine Hochkonjunktur, da die sich zur Zeit vollziehende Revolution dialogischer Spielregeln auch deren grundsätzliche Reflexion über die Gegenwart hinaus erzwingt, d. h. ebenso in die Zukunft wie in die Vergangenheit hinein. Es verwundert daher nicht, dass sich seit einigen Jahren auch die mediävistischen Disziplinen mit steigender Intensität des Phänomens .Kommunikation' annehmen. 2 Der in den zeitgenös1
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Die Junktur „mittellateinische Sprache" wird hier vermieden, da sie sich nicht linguistisch begründen lässt. Zur epochenübergreifenden Latinität vgl. Farrell, 2001, S. 1 4 - 1 8 ; Bulst, 1946, S. 9. Vgl. den jüngst von Spieß herausgegebenen Tagungsband zu den „Medien der Kommunikation im Mittelalter" (2003); eine überzeugende Analyse des Begriffs
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I. Einleitung
sischen Quellen verwendete Begriff communicatio deckt sich allerdings semantisch nur zum kleineren Teil mit seinem heute so aktiven terminologischen Nachfolger. 3 Vormoderne communicatio meint zunächst ,Anteilnahme' und ,Teilhabe' im theologischen, politischen und sozialen Sinne; mitunter dient der Begriff jedoch auch zur Bezeichnung der actio exponendi (sc. des kommunikativen Aktes) und des commercium bzw. der vicissitudo (sc. des verbalen Austausches). 4 Aufgrund dieser semantischen Gemengelage wird .Kommunikation' von der modernen Mediävistik im weitesten Sinne verstanden als „ein Begriff, der alle Formen wechselseitiger Mitteilung zwischen Menschen sowie zwischen Menschen und transzendenten Phänomenen in Handlungen, Gesten, Worten, Texten, Bildern, Zeichen einschließt". 5 Während sich die Geschichtswissenschaft in ihren wichtigsten Studien auf das Phänomen der durch Ritual und Zeremoniell 6 artikulierten Mitteilung konzentriert hat, soll im Folgenden aus primär philologischer Warte der Bereich verbaler Kommunikation betrachtet werden (ohne dass dabei die semantische Breite des Begriffs aus den Augen verloren werden darf). Beschränkt man sich auf diese verbale, medial mündliche oder schriftliche Kommunikation, 7 so zeigt sich,
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bei Röckelein, 2002, S. 38-43; vgl. auch Röckelein, 2001, hier die Einleitung der Herausgeberin, S. 5 - 1 7 ; Goetz, 1999, S. 360-362 (kritische Sichtung der neueren Forschung); Genet, 1997 (hier ebenfalls die Einleitung des Editors, S. 11-29); vgl. auch die für das Thema zentralen Arbeiten von Althoff (siehe Literaturverzeichnis); Classen, 1992, hier S. 17-24; zum Teilaspekt der Publizistik vgl. Benzinger, 1970. Vgl. Röckelein, 2002, S. 39 f. Zum Begriff vgl. Mittellateinisches Wörterbuch II (1999), Sp.998f., s.v. ,communicatio', Nr. I C : communicatio - actio exponendi; Nr. I I B 1: communicatio — usus, commeräum, vicissitudo. So Röckelein, 2001, S. 7; vgl. Althoff / Siep, 2000, S. 395: „Unter .Kommunikation' werden alle Formen der wechselseitigen Mitteilung zwischen Menschen in Handlungen, Gesten, Worten, Texten, Bildern, Zeichen etc. verstanden." Die von Althoff / Siep, 2000, S. 397 f. vorgenommene Differenzierung zwischen dem statusschaffenden bzw. statusändernden Ritual einerseits und dem statusabbildenden Zeremoniell andererseits lässt sich im Bereich lateinischer Rede nur schwer durchhalten. „Ritual" wird daher von mir hier im weitesten Sinn als „regelhafte Sequenz symbolischer Handlungen" verstanden; das „Zeremoniell" erscheint mir innerhalb lateinischer Oralität als ein - um das Ornament der „Feierlichkeit" ergänzter - Sonderfall des Rituals. Vgl. auch die von Hartmann, 1916, S. 1, erläuterte Unterscheidung zwischen dem Ritus als einem wesentlichen Kultakt und dem Ritus als einer nichtwesentlichen Zeremonie. Zum Konnex der beiden Medien und Konzepte „Mündlichkeit" und „Schrifdichkeit" vgl. Goetz, 1999, S. 339-353; Petter, 1999; Schäfer, 1994 (mit Bezug zum
1. Die Fragestellung
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dass sie entscheidend durch die jeweils gewählte Sprache und deren kommunikative Tradition geprägt ist, welche sich aus den Regeln von Rhetorik und Stilistik sowie aus den Konventionen etablierter Gebrauchskontexte speist. Einerseits haben die Modi und Regeln der Kommunikation Auswirkungen auf den Gebrauch der Sprache, andererseits prägt die jeweils verwendete Sprache auch die Modi der Kommunikation. 8 Dieser enge Konnex von Kommunikation und Sprache wurde bisher noch nicht hinreichend berücksichtigt. 9 Während er bei medial schriftlichen, und hier vor allem bei ,literarischen' Äußerungen eine zunehmende Beachtung findet, wird er in den Analysen mündlicher Kommunikation weitgehend vernachlässigt. 10 Zur Erforschung sprechsprachlicher Kommunikation scheint das Mittelalter ein geradezu ideales Forschungsobjekt zu sein, da diese Epoche im Vergleich zur Neuzeit gemäß der opinio communis intensiv durch die Mechanismen typisch oraler Gesellschaften geprägt worden ist. 11 In der forschenden Praxis hat sich die Mediävistik hierbei jedoch auf die volks- und nationalsprachliche Oraütät beschränkt, hingegen das Lateinische stets nur als eine - wenngleich mächtige Schriftsprache interpretiert (eine rühmliche Ausnahme bildet die breite Forschung zu den kommunikativen Aspekten der Predigt). Einst hat Paul Lehmann die grundsätzliche Frage gestellt: „Hat man im Mittelalter Lateinisch gesprochen, gehörtes Latein verstanden?" 12 An einer solchen Praxis lateinischer Oraütät hat die ältere Forschung
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Mittelalter); Ong, 1984; Bäuml, 1980, sowie die reichen Ergebnisse des Freiburger Sonderforschungsbereichs 321 „Übergänge und Spannungsfelder zwischen Mündlichkeit und Schrifdichkeit". Weinrich, 2001, S. 325, notiert grundsätzlich, dass Sekundärsprachen kulturell etablierte Kommunikationsformen etablieren. Vgl. etwa die folgenden Beiträge, welche wichtige Erkenntnisse zur mittelalterlichen Kommunikation beisteuern (ohne allerdings den Aspekt der Sprache zu beleuchten): Althoff, 2001 (siehe hier auch die Einführung, S. 7 - 9 ) ; Mostert, 1999; Paravicini, 1997; Faulstich, 1996; Sammelband „Kommunikation und Alltag", 1992; Menache, 1990. Borst, IV, 1963, S. 2234, bietet s.v. „Lateinische Sprache" zahlreiche Belege über die Auffassung von derselben, aber nur wenig Material über deren tatsächlichen Einsatz. Helmrath, 1989, geht am Beispiel der Konzilien und Reichstage des 15. und 16. Jahrhunderts näher auf den Problemkomplex „Sprachen - Dolmetscher - Übersetzungen" ein (S. 135-138). Vgl. hierzu Kleinschmidt, 1988, u. Genet, 1997 (Einleitung) (jeweils mit anregenden methodologischen Überlegungen). Richter, 2000, fordert die Mediävistik nachdrücklich zur Beschäftigung mit mittelalterlicher Oralität auf. Vgl. zum Grundsätzlichen Goetz, 1999, S. 349-353; Vollrath, 1981; Schäfer, 1994. So die Frage im grundlegenden Aufsatz von Lehmann, 2 1959b, hier S. 69.
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I. Einleitung
vielfach gezweifelt. 13 „A quelle epoque a-t-on cesse de parier latin?" — so erkundigte sich Ferdinand Lot im Jahre 1931 und brachte damit seine Ansicht zum Ausdruck, dass die Tradition gesprochenen Lateins im Ubergang von der Spätantike zum frühen Mittelalter ihr Ende gefunden habe. 14 Es hat sich jedoch inzwischen erwiesen, dass Lots Frage dem zugrunde liegenden linguistischen und soziokulturellen Problem nicht gerecht wird, 15 da sie ausschließlich auf die .muttersprachliche' Latinität abzielt, hingegen das Lateinische als ein sekundäres, in Bildungseinrichtungen erlernbares und erlerntes Ausdrucksmedium vollkommen ignoriert. Hier setzt die vorliegende Studie ein: Sie fragt nach der kommunikativen Funktion und Leistungskapazität, aber auch nach den Grenzen einer sekundär erlernten Sprechsprache, die während des hohen und späten Mittelalters eine dominante Position im kommunikativen Haushalt Europas eingenommen hat.16
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Vgl. Richter, 1975, S. 69-82, hier S.71: „Was Latin a living language during the middle ages?" Vgl. ebenda, S. 82: „[...] that widely used term the ,latin middle ages' should be, to the historian, a challenge rather than a statement of fact." Exemplarisch ist hierbei die Studie von Richter, 1979b, insbes. S. 20-25. Lot, 1931, S. 97-159. Lots Frage wurde vielfach wiederaufgegriffen: vgl. Norberg, 1966; Richter, 1983; zum grundsätzlichen linguistischen Problem von lateinischer .Hochsprache' und romanischer ,Volkssprache' vgl. Banniard, 1992, hier insbes. S. 15f., 393 u. 492; einige Überlegungen auch bei Kramer, 1997, S. 151. Die hier vorgenommene Beschränkung auf den Zeitraum zwischen dem 10. und dem 15. Jahrhundert erfolgt aus unterschiedlichen Gründen. Die chronologische Abgrenzung zum frühen Mittelalter ergibt sich aus der linguistischen Situation: Die langsame, sich über viele Jahrhunderte hinziehende Reduktion des Lateinischen als einer Primärsprache hat mit dem karolingischen Programm der norma rectitudinis ihren Abschluss gefunden (vgl. Banniard, 1992). Der Verzicht auf die Betrachtung des Lateins der Renaissance und Frühen Neuzeit ist hingegen nur in der ausgezeichneten Forschungslage begründet. Denn die Tradition lateinischer Oralität endet bekanntlich nicht im 15. Jahrhundert, sondern reicht bis weit in die Frühe Neuzeit hinein. Die erstmals von Norden ( 5 1958, S. 767) formulierte und in manchen Handbüchern immer noch kolportierte These, diese Tradition sei durch das normative Korsett des Humanismus vernichtet worden, ist längst widerlegt. Wichtige grundsätzliche Überlegungen zum Latein der Renaissance bei Keßler, 1985; zu den Gemeinsamkeiten und Unterschieden zwischen mittelalterlichem Latein und Humanistenlatein vgl. IJsewijn, 1981; zur kulturellen Stellung des Lateinischen in der Neuzeit (16.-20. Jh.) vgl. die anregende Studie von Waquet, 1998. Die Analyse der oralen Latinität des hohen und späten Mittelalters ist als Forschungsdefizit konstatiert bei Burke, 1989, S. 31: „Leider fehlt uns eine allgemeine Geschichte der Verwendung des Lateins während des Mittelalters [...]."
1. Die Fragestellung
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Die terminologische Erfassung des Objektes mit linguistischen Instrumenten gilt seit jeher als problematisch. Die etablierten Etiketten „Literatursprache", „Hochsprache", „Prestigesprache", „Statussprache", „Traditionssprache", „Kultursprache" und „Staatssprache"17 zielen in der Regel nur auf die Beschreibung schriftlicher Latinität. Die Mündlichkeit wird hingegen lediglich in Metaphern umschrieben. Es ist jedoch nicht sinnvoll, das Lateinische dieser Epoche etwa als eine nur noch „halblebende" oder gar „tote" Sprache zu charakterisieren.18 Solche Biologismen verunklaren die Sachlage, da Sprachen keine Menschen sind, die den Zyklus von Geburt, Leben und Tod durchlaufen.19 - Sie werden benutzt, oder eben nicht. Auch der biologistische Rollenbegriff der ,Vatersprache'20 ist insofern unbefriedigend, als er nur in Opposition zu dem nicht minder axiomatischen Konzept der ,Muttersprache' verstanden werden kann. Dieses ist seit dem frühen 19. Jahrhundert geradezu mythisiert und vor dem Hintergrund der ,nationalen' Idee zum primären Konstituens menschlicher Gemeinschaft erhoben, obwohl es zur Erfassung vormoderner Kommunikation keineswegs hinreichend präzise ist.21 In räumlich mobilen und multilingual geprägten Gesellschaften Europas ist die ,Lebendigkeit', d.h. Instrumentalisierbarkeit, einer Sprache nicht entscheidend davon abhängig, welche Sprache die Mutter eines
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Vgl. Ziolkowski, 1997, S. 300; Wolfram, 1968. Kramer, 1997, S. 1 5 1 , bezeichnet das Mittellatein wegen seiner Wandlungsfähigkeit als „halblebende" Sprache. Vgl. auch Ziolkowski, 1997, S.299: „Während die Volkssprachen lebende Sprachen waren, [...] lebte Latein nicht wirklich - obwohl es alles andere als tot war." Richter, 1975, S . 7 1 : „Was Latin a living language during the middle ages?" Erinnert sei hier außerdem an den Titel des Aufsatzes von Paul Lehmann: „Vom Leben des Lateinischen im Mittelalter", 2 1959b.
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Farrell, 2 0 0 1 , S. 9 4 f. u. 1 0 5 - 1 1 0 , zeigt, wie unsinnig es ist, von der „toten Sprache" Latein zu sprechen. Vgl. Ziolkowski, 1997, S . 2 9 9 („Vatersprache"; „patriarchale Sprache"). Vgl. die grundsätzlichen Überlegungen bei Stotz, Bd. 1, 2002, S. 2 9 - 3 5 . So ist zu beachten, dass zumindest für die Bewohner der romanischen Länder bis in die Frühe Neuzeit die linguistische Differenz zwischen ,Primärsprache' und ,Sekundärsprache' denkbar gering ist (vgl. Schäfer, 1994, S. 367 f.). Die sprachliche Nähe illustriert der flämische Gelehrte Georg Haloinus (ca. 1 4 7 0 - 1 5 3 6 / 7 ) durch das folgende Beispiel: [...] in cuius rei testimonium quidam Lusilanus, vir doctus, duas
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orationes composuit, quas puras Hispanicas et L^atinas etiam esse dixit, nullamque in his differentiam esse, nisipronuntiatione [...]. Georg Haloinus, De restauratione linguae latinae, II 19, ed. Matheeussen, 1978, S. 142.
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I. Einleitung
Individuums in dessen früher Kindheit und Jugend verwendet hat. 22 Der römischen Antike ebenso wie dem Mittelalter gilt der Dichter Terenz (ca. 195-159 v. Chr.) als stilistisch bedeutendster Dramatiker — obwohl dieser Berber erst als Sklave eines Senators nach Rom gefunden und dort das Lateinische erlernt hat. 23 Alkuin von York (ca. 730-804), die zentrale Figur in der Bildungsreform der Karolingerzeit, erlernt als Muttersprache einen northumbrischen Dialekt. Doch da er den größten Teil seines Lebens in geistlichen Institutionen, zudem weit überwiegend im fränkischen ,Ausland' verbringt, hat diese Muttersprache für ihn zweifellos nur geringe Bedeutung, während die lateinische lingua franca16· (eine ihm keineswegs ,fremde', sondern von Jugend an höchst vertraute Sprache), mit deren Hilfe er sich vermutlich jahrzehntelang nahezu ausschließlich mit seiner Umwelt verständigt, für ihn von eminenter Wichtigkeit ist. 25 Jene Personen, welche bereits in früher Jugend einer geistlichen Institution zur Ausbildung übergeben worden sind, haben den oralen Umgang mit der lateinischen Sprache durch ein Bündel unterschiedlicher Methoden und Instrumente erlernt: 26 durch Erlernen der in den Grammatiken fixierten Regeln; durch das laute Lesen und Besprechen ausgewählter Texte aus der antik-paganen und patristischen Literatur (für den mündlichen Bedarf empfahlen sich insbesondere die Komödien des Terenz) sowie der durch einen subliterarischen, kolloquialen Stil geprägten Bibel (mit den Psalmen als Ausgangspunkt); durch das Singen liturgisch relevanter Stücke; durch das spielerische Auswendiglernen insbesondere dialogischer Texte, in denen kommunikative Standardsituationen abgebildet wurden; schließlich auch durch Zuhören und Nachsprechen auf dem Wege einer unerbittlichen ruminatio (in den 22
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Die Mediävistik steht hier im Übrigen vor einem ähnlich gelagerten Problem wie die Altphilologie; zum Latein eines Cicero oder Caesar als ,Muttersprache' vgl. Farrell, 2001, S. 111 f. Weitere Fälle bei Farrell, 2001, S. 26. In pragmatischer Hinsicht ist Latein allerdings nur wenig vergleichbar mit der im Mittelmeerraum gesprochenen lingua franca; zum Begriff vgl. Weinrich, 2001, S.322f.; zur Etymologie der Junktur vgl. Kahane, 1976/77. Vgl. Banniard, 1992, S. 15f. Münkler (1997, S. 128, Anm.37, u. S. 131) bemerkt zu Recht, dass die (durch Mobilität ausgelöste) Fremdheitserfahrung eine mentale Sprengkraft barg, deren Gefährlichkeit durch den gemeinsamen Nenner des Lateinischen erheblich gemindert wurde. Hierzu einige Überlegungen bei Murphy, 1980; das von Murphy dort (S. 172f.) entwickelte Lernsystem ist allerdings allzu schematisch und abstrakt. Vgl. auch Köhn, 1986, S.224.
1. Die Fragestellung
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monastischen und klerikalen Gemeinschaften konnte das Lateinische somit ähnlich wie eine .Muttersprache' auch aus dem oralen Kontext erworben werden). Dieses früh einsetzende, Jahre andauernde und grundsätzlich alternativlose Training hat bewirkt, dass die lateinische Sekundärsprache in zentralen Nischen der Gesellschaft als primäres Kommunikationsmedium des Alltags dienen konnte.27 Trotz der Beschränkung auf klar definierbare gesellschaftliche Nischen ist die mündliche Latinität nicht ausschließlich soziolinguistisch zu erfassen, 28 da soziale Gruppen nicht generell über die Verwendung einer einzigen Sprache definiert sind. Die Wahl des Kommunikationsmediums hängt nicht nur von der Gruppenzugehörigkeit des Sprechers, sondern auch von der jeweiligen Gesprächssituation, dem Gesprächsgegenstand und dem Publikum ab (eine klare Differenzierung in ,lateinkundige Geistliche' und .illiterate Laien' ist daher nicht möglich). 29 Dieselben Personen und Personengruppen können gemäß den Erfordernissen und Usancen des jeweiligen kommunikativen Kontextes eine unterschiedliche Sprache oder ein unterschiedliches Sprachniveau wählen. Notwendig ist daher eine Herangehensweise, welche neben dem soziolinguistischen auch den pragmatisch-situativen und den texttypologischen Aspekt der mündlichen Äußerung berücksichtigt. Statt einer (angesichts des aktuellen Forschungsstandes kaum zu leistenden) monographisch erschöpfenden Behandlung des Themas sei im Folgenden eine kleine Serie von Einzelstudien vorgestellt, welche sich allerdings aufeinander beziehen: Nach einigen weiteren Vorüberlegungen (Kap. I 2-5) folgen die Aussagen der Handbücher, welche nicht nur Vorschriften, sondern auch Modelltexte präsentieren, mit deren Hilfe lateinische Mündlichkeit gelehrt und gelernt wird (Kap. II). Den zweiten, chronologisch geordneten Hauptteil bildet eine Analyse historischer Einzelsituationen, in denen die Gesetze lateinischer Kommunikation sichtbar werden (Kap. III). Dabei sind der .normative' (Kap. II) und der praxisbezogene' (Kap. III) Abschnitt durch Deduktion und Induktion miteinander verknüpft. Die einzelnen Kapitel der beiden Hauptabschnitte orientieren sich 27 28
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Eine gute Zusammenfassung des Problems bei Stotz, Bd. 1, 2002, S. 149-154. Aus diesem Grund führt Peter Burkes anregender Essay (1989) über das „kirchliche", das „akademische" und das „pragmatische" mündliche Latein der Renaissance und Frühen Neuzeit zu holzschnittartigen und nicht immer korrekten Ergebnissen. Zur Differenzierung vgl. Grundmann, 1958.
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I. Einleitung
primär an kommunikativen Standardsituationen, welche teils soziologisch, teils institutionell, teils diskursiv, teils allgemein kulturell bestimmt sind.30
2. Das Schweigen der Quellen Die Erforschung lateinischer Oraütät des hohen und späten Mittelalters sieht sich mit einem gravierenden Problem konfrontiert: Mündliche Kommunikation wird von den Produzenten dieser Kommunikation in der Regel nicht wahrgenommen oder reflektiert. Und sofern sie wahrgenommen wird, stellt sich die Frage, welchen intellektuellen Grenzen und mentalen Beschränkungen diese Wahrnehmung unterliegt. Obwohl sich die Latinität grundsätzlich in einer etwas günstigeren Situation befindet als die Volkssprachen, wird der Weg auch hier durch zahlreiche methodologische und quellenkundliche Hindernisse erschwert, welche das induktive Voranschreiten von der Analyse des Einzelfalls zur generalisierenden und synthetisierenden Aussage behindern. Als fundamentales Problem erweist sich der mediale Gegensatz von Mündlichkeit und Schriftlichkeit: Als Quellengrundlage zur Erforschung der Oralität steht nur die (sc. lateinische) Literatur zur Verfügung. Letztere suggeriert vielfach die parallele Existenz lateinischer Mündlichkeit auch in jenen Fällen, in denen es diese nicht gegeben hat (zahlreiche Beispiele für dieses Phänomen findet man in der Predigtliteratur und der Geschichtsschreibung mit ihren literarisch stilisierten lateinischen Reden). 31 So impliziert etwa der Übergang von einer mündlichen Verhandlung zur schriftlichen Fixierung oftmals auch eine Übersetzung, gewöhnlich von der Volks- oder Nationalsprache in das Lateinische, ohne dass dieser Übersetzungsakt in den lateinischen Quellen explizit erwähnt wird. - Die Schriftlichkeit erhebt aus Gründen des Prestiges einen Anspruch, den die mündliche Realität nicht einlösen kann. Auch die normativen Texte fordern eine latinistische Sprachpraxis, die nicht immer mit der Sprachwirklichkeit kongruiert. Bei der Untersuchung historiographischer Berichte zeigt sich ein weiteres grundsätzliches Problem vormoderner Kommunikation: In den 30
Dabei soll jedoch nicht die Existenz „sprachlicher Subsysteme" innerhalb der Latinität suggeriert werden (so, allerdings vorsichtig, G e n e t , 1997, S. 15).
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Vgl. Kirn, 1955, S. 1 3 4 - 1 4 2 .
3. Das korrekte Latein
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Quellen wird die Frage nach der von den historischen Protagonisten verwendeten lingua zumeist nicht thematisiert, vielmehr gilt das Prinzip: Über Sprache spricht man nicht! In stärker literarischen Texten ist dieses Defizit geradezu ein Gesetz. Die Wahl der Sprache bleibt in der Regel ohne Erwähnung, da sie den Akteuren eine Selbstverständlichkeit ist: Die Kommunikation „entbehrt wie alle Lebensäußerungen des europäischen Mittelalters der Meßbarkeit und tritt zudem im Grunde nicht als Problem in Erscheinung, weil ja kein Kulturprozeß ohne sie denkbar ist." 32 Das verbale Medium avanciert nur in solchen Fällen zum Gegenstand der Darstellung, in denen von KommunikaXionsproblemen berichtet wird.33 Erst das (tatsächliche oder angebliche) Nichtverstehen regt zum Nachdenken über die Sprache an.
3. Das korrekte Latein Doch selbst bei solchen Berichten, in denen die vorhandene oder nicht vorhandene Sprachkompetenz historischer Akteure eine Thematisierung erfährt, ist philologisches Misstrauen geboten, da die Herausstellung sprachlicher Gegebenheiten nicht selten interessengeleitet ist. Wenn etwa in einer darstellenden Quelle davon gesprochen wird, dass eine namentlich genannte historische Person nicht in der Lage gewesen sei, in korrektem Latein zu sprechen, so mag dahinter lediglich der Versuch des Autors stehen, diese Person als ungebildet und unfähig zu diffamieren. Da Latein als eine Prestigesprache gilt, ist die individuelle latinistische (In-)Kompetenz potentiell auch ein Aspekt und Instrument der Diskreditierung. Umgekehrt kann das Herausstreichen guter Lateinkenntnisse lediglich der vordergründige Versuch eines Autors sein, eine geliebte und respektierte Person als gelehrt erscheinen zu lassen. Insbesondere die Lateinkenntnisse prominenter Personen sind vielfach umstritten, da der Umgang mit dieser Sprache als zentrales Merkmal der Gelehrsamkeit stets auch ein Politicum darstellt. Es dürfte kein Zufall sein, dass sich die englischen Erzbischöfe Thomas Becket (1118-1170) 3 4 und Hubert Walter (gest.
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Benzinger, 1970, S. 295. Vgl. Richter, 1976. Vgl. hierzu Haye, 1999, S. 168.
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I. Einleitung
1205)35 sowie viele andere hochrangige Geistliche den Vorwurf sprachlicher Ignoranz gefallen lassen mussten.36 Der argumentative Mechanismus lässt sich zunächst an einem Beispiel aus dem Medium der Schriftlichkeit verdeutlichen: Auf der römischen Synode des Jahres 963, welche unter Beteiligung zahlreicher italienischer Kleriker in der Peterskirche stattfindet, betreibt Otto der Große (936-973) die Absetzung des zu dieser Zeit in der Campagna weilenden Papstes Johannes XII. (955-963). Zur Demonstration päpstlicher Inkompetenz lässt Otto vor der versammelten Geistlichkeit den Beginn eines apologetischen Brief des Johannes verlesen: lohannes episcopus servus servorum Dei, omnibus episcopis. Nos audivimus quia vos vultis alium papam facere. Si hoc facitis, excommunico vos da Deum potentem, ut non habeatis licentiam nullum ordinäre et missam celebrare.11
dicere omni-
Obwohl die Textpassage nur einen geringen Umfang aufweist, enthält sie zahlreiche Vulgarismen und Verstöße gegen die lateinische Grammatik: So wird das aktive dicere statt des erforderlichen Passivs did verwendet; da Deum omnipotentem („von [!] Allmächtigen Gott her") ist ein peinlicher Italianismus (hierbei noch peinlicher die Verwendung des falschen Kasus); die doppelte Verneinung non - nullum ist ebenfalls ein Vulgarismus, der zudem eine gewisse Missverständlichkeit der Aussage bewirkt („so dass ihr nicht mehr die Erlaubnis habt, niemanden zu ordinieren und die Messe zu feiern"). Im Übrigen strahlt der Text sprachliche Primitivität aus: Die Zeitenfolge wird nicht beachtet; der Autor beschränkt sich auf das Präsens-Tempus; schließlich klingen die Verbformen facere und facitis recht vulgär. Wer einen solchen Brief verfasst, ist zweifellos kein begnadeter Latinist und - so sollen die Teilnehmer der Synode folgern - des apostolischen Stuhls denkbar unwürdig. Allerdings ist der Text nicht im Original oder als Abschrift des Originals erhalten, sondern nur als Teil der „Historia Ottonis" des Liudprand von Cremona (ca. 920 - ca. 972). Als treuer Anhänger Ottos verfolgt dieser sowohl auf der Synode als auch in seinem Geschichtswerk das Ziel, den damaligen Inha-
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Vgl. Richter, 1979b, S. 56 f. Vgl. etwa Alfanus von Salerno (ca. 1015-1085), der in einer gegen Erzbischof Atto von Chieti gerichteten Invektive erzählt, dieser habe ihm sechs Kühe geschenkt: Omnium Unguis avium secunda [sc. vacca] / te loquiplane docuit, beatus / si tuis scires modo sic luitina / reddere verba (carmen 16, w . 17-20, edd. Lentini / Avagliano 1974, S. 141). Liudprand, Historia Ottonis, 13, ed. Chiesa, 1998, S. 177.
3. Das korrekte Latein
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ber des apostolischen Stuhls als schlechten Latinisten und somit als unfähigen und unwürdigen Amtsträger zu verunglimpfen. Es entspricht dieser Strategie, dass die römische Synode im Namen Ottos ein spöttisches Antwortschreiben an Johannes aufsetzt, in dem insbesondere die vom Papst verwendete doppelte Verneinung ironisch aufgespießt wird: Reeepimus autem litteras a vobis non quales temporis qualitas, sed inconsultorum homtnum vanitas expoposcit. [...] Est et aliud vestris in litteris scriptum quod non episcopum, sed puerilem ineptiam scribere deceret. Excommunicastis etenim omnes ut haberent licentiam canendi missas, ordinandi ecclesiasticas dispositiones, si alium Romanae sedi constitueremus episcopum. Ita enim scriptum erat: „Non habeatis licentiam nullum ordinäre. " Nunc usque putavimus, immo vere credidimus, duo negativa unum facere dedicativum; nisi vestra auetoritas priscorum sententias infirmaret auetorum?z
Der päpstliche Brief wird hier als Produkt eines eiden Geistes {vanitas) charakterisiert, sein Verfasser als ungeeigneter Vicarius Christi endarvt. Die doppelte Verneinung erscheint als ein grammatischer Fehler, der allenfalls einem dummen Jungen unterlaufen sein kann. Zur Begründung wird streng philologisch argumentiert, dass zwei Verneinungen als eine Bejahung auszulegen seien. Schließlich wird ironisch mit der Möglichkeit gespielt, dass die päpstliche Autorität die Regeln renommierter Grammatiken außer Kraft gesetzt habe. Derselbe Verunglimpfungsmechanismus, welcher in den schriftlichen Texten zu beobachten ist, funktioniert auch in der Sphäre lateinischer Mündlichkeit. Ein so begabter Literat wie Girald von Wales (1147-1223) hat eine Meisterschaft in der Verwendung dieses Mechanismus entwickelt. Girald beschwert sich etwa über die Arroganz des Wilhelm von Longchamp (gest. 1197), des Bischofs von Ely und Kanzlers Heinrichs II. (1154-1189), und behauptet, dieser Normanne sei in einer an die Angelsachsen gerichteten Predigt nicht in der Lage gewesen, zwischen den Fragewörtern „wo?" und „wohin?" zu unterscheiden;39 ein solcher Fehler in der Differenzierung zwischen 38
Liudprand, Historia Ottonis, 14, ed. Chiesa, 1998, S. 178.
39 Dicebat etiam, quod et auribus ipse aliquoties audivi, et me vix continui, in praedicto casu palam et publice loquens: „Ubi", inquit, „evanuit, ubi migravit utraque gloria?", ubi „quo" ponere deberet, „ubi" adverbiumponens; et inter adverbia loci motum et statum designantia male distinguens, et optimos grammaticos literatosque viros non minus impudenter quam imprudenter male grammati^ando condemnans [...]. Giraldus Cambrensis, De Vita Galfridi Archiepiscopi Eboracensis, II 19, ed. Brewer, Opera IV, 1873/1964, S. 424; vgl. hierzu Richter, 1979b, S. 62.
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I. Einleitung
Orts- und Richtungsangabe sei ein Affront gegen die Philologie. Eine kritische Lektüre der Autobiographie des Girald lässt jedoch erkennen, dass es in der Auseinandersetzung mit Wilhelm nur sekundär um Latein, hingegen primär um die persönlichen wie ,nationalen' Ressentiments eines Walisers gegenüber den normannischen Eroberern geht. Eine ähnliche Attacke reitet Girald auch gegen den Erzbischof von Canterbury Hubert Walter (1193-1205), welcher auf einer Versammlung von Geistlichen wie folgt gesprochen haben soll: Sermonem aliquando facturus in sinodo sie inchoavit: ,^Audite et intelligite, vos omnes qui estis in isto sacro synodoet submurmurante quodam „a, a" subiecit „in ista sacra sinoda". Item murmurante eodem vel alio „o et a", correctionem non spernens ait „Audite et intelligite vos omnes in isto sacro sinoda".*0
Walter, so suggeriert Girald seinen Lesern, hat nicht gewusst, dass das Wort synodus dem Genus femininum angehört. Den wohlmeinenden Hinweis auf dieses grammatische Faktum missversteht der Erzbischof sodann und weist das Wort der falschen Deklination zu. Eine erneute Hilfestellung führt schließlich zu einem totalen grammatischen Fiasko {isto sacro sinoda statt ista sacra sinodo). Diese und ähnlich gehässige Anekdoten begegnen in Giralds Werk so häufig und sind so schematisch angelegt, dass man an ihrer Authentizität grundsätzlich zweifeln muss. Walters Bildungsgrad mag tatsächlich recht niedrig und die philologische Häme somit berechtigt gewesen sein,41 doch ergibt sich aus dem vorliegenden grammatischen Lapsus (in isto sacro synodo) kein kommunikatives Problem. Im Medium des Mündlichen sind solche Fehler keineswegs so gravierend, wie sie zunächst bei der Lektüre zu sein scheinen. Auch ohne dass Walter sich in diesem einen Wort synodus, bei dem es sich nicht zufällig um ein griechisches Lehnwort handelt, selbst mehrfach korrigiert hätte, wäre seine Ansprache mühelos zu verstehen gewesen. Nicht nur politische und landsmannschaftliche, sondern auch theologische Konflikte werden stellvertretend auf dem Feld latinistischer Kompetenz ausgetragen. Im Jahre 1178 bereist der Kardinalpriester von S. Chrysogonus als päpstlicher Legat zusammen mit den Erzbischöfen von Bourges und Narbonne sowie weiteren Geistlichen die Provence, um eine Untersuchung über die Albigenserbewegung
40 41
Giraldus Cambrensis, De Invectionibus, ed. Davies, 1920, S. 100; erwähnt bei Richter, 1979b, S. 57. Vgl. Clanchy, 1993, S. 7 2 f .
3. Das korrekte Latein
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durchzuführen. Im Rahmen der Visitation werden zwei Priester dieser ,Sekte' unter Zusicherung freien Geleits zu ihm entsandt: Data jam securitate eundi et redeundi, venerunt coram praedicto cardinalt et episcopis et comitibus et baronibus, clero et populo qui aderant; et in medium protulerunt quondam cartam in qua fidei suae articulos conscripserant. Quam cum prolixius, sicut conscripta fuerat, perlegissent, quaedam verba videbantur in ea suspecta existere; et nisi plenius exponerentur, haeresim quam praedicabant, possent velare. Cumque unus illorum articulos illos conscriptos exponere et Latine loqui vellet, vix duo verba conjungere potuit, utpote qui linguam Latinam penitus ignoravit, et sie omnino defecit. Tunc necesse fuit cardinalem illum et episcopos Ulis condescendere, et propter illorum impentiam vulgarem habere sermonem.n
Als die Häretiker ihre auf Latein niedergeschriebenen Glaubensartikel mündlich explizieren sollen, versagen sie kläglich, da sie der gelehrten Sprache offenbar nicht mächtig sind. So sehen sich die Geistlichen gezwungen, mit ihnen in der Volkssprache zu kommunizieren. Die Moral dieser Geschichte besteht in der Erfahrung, dass Ketzer gleichsam per definitionem nicht in der Lage sind, fehlerfrei Latein zu sprechen. Damit soll zweierlei zum Ausdruck kommen: Zum einen ist es den häretischen Provenzalen aufgrund ihrer mangelnden latinistischen Kompetenz unmöglich, dogmatisch akzeptable Glaubenssätze aufzustellen. Zum anderen verhindert Gott selbst, dass diese Ketzer sich ,seiner' heiligen Sprache bedienen. Es ist hierbei unerheblich, ob die Anekdote auf einer realen Begebenheit beruht oder nicht; in jedem Fall lässt sie eine eindeutige sprachliche Hierarchie erkennen: Damit überhaupt eine Kommunikation zwischen den päpstlichen Emissären und den Provenzalen gelingt, müssen sich Erstere auf das sprachliche Niveau der Letzteren herablassen (condescendere). Der Wechsel vom Lateinischen zur lingua vulgaris wird als ein sprachlicher und damit auch als ein theologischer Abstieg markiert. In politischen, nationalen und religiösen Kontexten ist die latinistische Kompetenz einer historischen Person ein prestigeträchtiges Kriterium, das über die intellektuelle und moralische Qualität des zu Beurteilenden entscheidet. Während ,Häretiker' (wie die Albigenser und Hussiten) und politisch umstrittene Geistliche aufgrund göttlicher Intervention bei der oralen Verwendung des Lateinischen straucheln, können umgekehrt manche frommen Illiteraten wie durch ein Wunder über wenngleich bescheidene - Lateinkenntnisse verfügen.43 Die beiden 42 43
Gesta regis Henrici II., ed. Stubbs, 1867/1965,1, S.201. Zur berühmten Anekdote über den Einsiedler von Locheis (Giraldus Cambrensis, De rebus a se gestis, III2, ed. Brewer, 1861/1966, S.90f.) und ähnlichen Erzäh-
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I. Einleitung
konträren Erzählstrategien operieren mit derselben Methode und verdienen es, dass man ihnen in gleicher Weise misstraut.
4. Modi und Funktionen der Übersetzung Nach einer bekannten, auf Augustinus beruhenden Definition des Beda Venerabiiis (ca. 672-735) ist als idiota jener Mensch zu bezeichnen, der ausschließlich seine eigene Muttersprache beherrscht (idiotas, hoc est, eos qui propriae tantum linguae notitiam habent) 44 Da diejenigen Personen, welche an einer mündlichen lateinischen Kommunikation teilzunehmen in der Lage sind, neben der sekundär erlernten noch mindestens über eine weitere, primäre Sprache verfügen, ist bei der Analyse lateinischer Oralität stets die Möglichkeit der Übersetzung, Polyglossie und Sprachmischung zu bedenken.45 (Dabei kann der Wechsel des verbalen Mediums entweder aufgrund von Ritualen und Konventionen für die am Kommunikationsakt Beteiligten berechenbar sein oder aber abrupt und überraschend erfolgen.) Eine gleichsam lupenreine Latinität dürfte in der kommunikativen Praxis des hohen und späten Mittelalters daher eher selten, die Verknüpfung mit den volkssprachlichen Ausdrucksformen hingegen häufiger der Fall sein. Der Wechsel zwischen der lingua hatina und der lingua vulgaris ist jedoch keineswegs unproblematisch. Aufgrund seiner besonderen kulturhistorischen Stellung ist das Lateinische hinsichtlich Vokabular, Syntax, Semantik und rhetorischer Konvention mit einer anderen Sprache nur begrenzt kompatibel. Die vermeintliche Übersetzung (/'»terpretatio) beinhaltet stets eine Interpretation' und Anpassung an die kommunikativen Usancen der beteiligten Volkssprache. Im Jahre 706 findet südlich des Flusses Nidd eine Synode statt,46 auf der zwei umfangreiche lateinische Schreiben Johannes' VII. verlesen werden. Während die anwesenden Prälaten (Wilfried von York, Bosa von York, Johannes von Hexham, Eadfrid von Lindisfarne, Erzbischof
44 45 46
lungen vgl. Kirn, 1955, S. 203-205; Richter, 1979b, S. 79. Zur Überlegenheit des illiterates gegenüber dem Gebildeten vgl. Kirn, 1955, S. 55 f. Beda, Epist. ad Ecgbertum, ed. Plummer, 1896, I, S. 409. Vgl. Grundmann, 1958, S. 6f. Zum Dolmetschen vgl. Helmrath, 1989, S. 135: „Übersetzen gehörte, mit welchen Hilfen und Helfern auch immer, zum mittelalterlichen .Alltag'." Vgl. auch Bumke, 1987, I, S. 113f. (Beispiele für volkssprachliche Polyglossie). Zum historischen Kontext Northumbriens vgl. Yorke, 1990, S. 72-99.
5. Limitierte und schriftgestützte Mündlichkeit
15
Berhtvald von Canterbury) mit oraler Latinität vertraut zu sein scheinen, fordert Berectfrid, 47 der engste Berater König Osreds I. von Northumbrien, im Namen der Laien eine Übersetzung des Vorgetragenen: Post lectionem autem, cunctis tacentibus, Berectfridus, secundus α rege princeps, ad archiepiscopum dixit: „Nos, qui interpretatione indigemus, quid apostolica auctoritas dicat, audire delectat. " Et respondit ei archiepiscopus, dicens: „ludicia apostolicae sedis longo circuitu et ambagibus verborum, unum tarnen intellectum de eadem re utrique libri ostendentes, quorum brevi sermone sensum tantum explicabo. "48
Die Frage des adligen Beraters, ob man denn vielleicht auch wissen dürfe, was der Text besage, ist - zumindest in der vorliegenden Darstellung - eine ironische [delectat). Da eine Simultanübersetzung der rhetorisch stilisierten Schreiben in dieser Zeit unmöglich ist, begnügt man sich mit einer nachträglichen Explikation. Die grundsätzlich mehrsprachige Kommunikation zerfällt damit in eine Serie isolierter Akte. Im Hinblick auf die Weitschweifigkeit und partielle Zweideutigkeit der lateinischen Texte beschränkt sich der Erzbischof darauf, im volkssprachlichen Medium eine paraphrasierende Zusammenfassung zu geben. Eine praktikable Alternative zu diesem Kommunikationsmodus besteht offenbar nicht. Es ist offenkundig, dass eine so zerdehnte Kommunikation, die auf nicht-simultaner und nicht-wörtlicher Übersetzung beruht, stets von der Gefahr des Missverstehens bedroht ist und daher zur Stützung und Kompensation einen erhöhten Bedarf an symbolischen, nonverbalen Akten entwickelt.
5. Limitierte und schriftgestützte Mündlichkeit Zur Frage, in welchem Maße im frühen 16. Jahrhundert an der römischen Kurie Latein gesprochen werde, bemerkt Erasmus: Quis igitur superest usus, nisi forte in legationibus, quae Romae praesertim Latine peraguntur ex more magis quam ex animo et magnificentiae causa potius quam utilitatis gratia. In his enim fere nihil agitur rei seriae; in laudibus eius ad quem mitteris, in testificatione benevolentiae illius a quo mitteris et in locis quibusdam vulgaribus consumitur omnis oratio [...]. Frigidius etiam est, quod huic ex more respondetur, interdum non sine gravi taedio prolixae dictionis, [...]. Hic itaque praeter salutationis
47 48
Zu ihm vgl. Yorke, 1990, S.92 u. 171. Vita Wilfridi I. episcopi Eboracensis auctore Stephano, cap. 60, edd. K r u s c h / L e vison 1913, S. 255.
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I. Einleitung
officium nihil agitur, quod est serium, privatim Uteris et Gallicis colloquiis tur.m
peragi-
Lateinische Oralität wird hier als funktional limitiertes Phänomen dargestellt: Gesandte halten in Gegenwart des Papstes lediglich aus Gewohnheit und Repräsentationsgründen eine lateinische Begrüßungsrede, die sich zudem in Gemeinplätzen erschöpft. Auch die Erwiderungen werden von Erasmus als inhaltsleer charakterisiert. Die wesentlichen Verhandlungen, d.h. die politischen Gespräche, finden hingegen außerhalb der Öffentlichkeit und im Medium der Volkssprache statt.50 Nach Ansicht des Erasmus ist die Mündlichkeit der lingua luitina somit erstens auf den Beginn eines Gespräches limitiert, sie ist zweitens (trotz ihres verbalen Charakters) symbolischer Natur und transportiert keine Inhalte, sie wird drittens nur im Rahmen einer öffentlichen und offiziellen Zeremonie verwendet.51 Trotz der karikierenden Übertreibung zeigen sich in dieser Analyse einige wesentliche Merkmale lateinischer Oralität, die sich auch schon vor dem 16. Jahrhundert beobachten lassen. Im Jahr 1278 lässt der englische König Edward I. (1272-1307) seinen Kanzler Robert Burnell (gest. 1292), bis dahin Bischof von Bath und Wells, zum Erzbischof von Canterbury wählen. Kurz darauf reist eine englische Delegation nach Rom, um die päpstliche Anerkennung dieser Wahl zu erwirken. Als Sprecher der Gesandtschaft fungiert der italienische Rechtsgelehrte und erfahrene Redner Francesco Accorsi (1225-1293), ein Sekretär und persönlicher Berater des Königs. Wie sich Papst Nikolaus III. (1277-1280), der frühere Kardinal Giovanni Gaetano Orsini, entscheiden wird, gilt zu dieser Zeit als noch vollkommen offen, da sein Verhältnis zur englischen Krone nicht ungetrübt ist. In einem Bericht vom 1. Dezember 1278, den ein 49 50
51
Erasmus, Ciceronianus; Text nach Payr, 1972, S. 208 u. 210; vgl. hierzu Witt, 2000, S. 361. Es ist angesichts des Vordringens der Volkssprachen voreilig zu behaupten: „A Rome, tout reste latin." (So Maulde-La-Claviere, 1 8 9 2 - 1 8 9 3 / 1 9 7 0 , II, S.84.) Zumindest seit der Renaissance findet an der Kurie neben dem Lateinischen zunehmend auch das Italienische Verwendung (Russell, 1992, S.6f.). In seinen „Arringhe" präsentiert bereits Matteo dei Libri (gest. 1275) u.a. einige Modellreden für solche Gesandte, die mit der päpstlichen Kurie verhandeln müssen. Bezeichnenderweise sind diese Texte im Volgare verfasst und offensichtlich nicht für eine Ubersetzung ins Lateinische gedacht. Vgl. z.B. in der Edition von Vincenti, 1974, S. 30, Nr. IX: Quando ambaxatores habeant dicere coram domino papa, imperatore vel rege [...]. (Es folgt als Textbeispiel eine Rede im Volgare.) Zur Tradition des diplomatischen Zeremoniells vgl. Biet, 1982.
5. Limitierte und schriftgestützte Mündlichkeit
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in Rom weilender englischer Gesandter in eben diesen Wochen an seinen König schreibt, wird zunächst festgestellt, dass sich Nikolaus und seine Kardinäle bedauernswerterweise bester körperlicher Gesundheit erfreuten.52 Sodann berichtet der Beobachter von den mündlichen Verhandlungen des Falles. Zunächst, so wird erzählt, hält Accorsi am 4. November vor Nikolaus eine längere lateinische Rede, in der er Bumell als einen des hohen Amtes würdigen Kandidaten preist:53 De postulacione domini Batoniensis in Cantuariensem archiepiscopum sciatis quod die veneris proximo post festum Omnium Sanctorum sedebat dominus papa pro tribunali Rome apud Sanctum Vetrum, ubi [...] dominus Franciscus quedam proposuit pro domino rege ad postulacionem predictam roborandam, quibus propositis et auditis, dominus papa quesivit puplice an aliquis hujusmodi postulacioni vellet se opponere. Et quia, benedictus Altissimus, nullus apparuit contradictor, dominus papa examinacionem dicti facti tribus commisit cardinalibus [.. J.54
Nach der langen und argumentativ raffinierten Rede Accorsis beschränkt sich die öffentliche Reaktion des Papstes auf die Frage, ob sich irgendjemand der englischen Forderung entgegenstellen wolle. Da niemand Einspruch erhebt, wird die konkrete Prüfung des Kandidaten drei Kardinälen übertragen. Damit ist die erste Phase lateinischer Mündlichkeit bereits beendet. Der Fall wird nach der Anhörung gleichsam in die Ausschüsse verwiesen, und man darf annehmen, dass Accorsis Redetext dem Antrag in schriftlicher Form beigegeben wurde. Aufs Ganze gesehen ist die lateinische Mündlichkeit der Verhandlung deutlich limitiert, da sich - zur Erleichterung der Antragsteller - keine lange Diskussion in der kurialen Öffentlichkeit entzündet. Die lateinische Mündlichkeit beschränkt sich auf einen offiziellen und formalisierten, mithin textuell und kommunikativ planbaren Akt. Wie sich die Beteiligten in einem spontanen mündlichen Schlagabtausch verhalten hätten und wie sich ihre latinistische Kompetenz in diesem Falle dargestellt hätte, ist schwer abzuschätzen (immerhin stehen auf beiden Seiten gebildete Personen). Wie der aus den drei 52
Ut status curie Romane vestre pateat reverenrie, vobis perpresentes innotesco quod tempore confecäonis presenäum dominus papa, cardinaks et alii mangnates de curia prospera vigebant corporis sospitate, de quo, sifas sit dicere, non modicum est dolendum, quia hucusque graciam non fecit cuicumque nisi suis et id hoc solum nititur et insistit. Ed. Chaplais, I, 1982, S. 262, Nr. 144. 53 Vgl. Haskins / Kantorowicz, 1943, S. 424-447, hier der Text S. 440-447. Vgl. Haye, 1999, S. 259-277. 54 Chaplais, I, 1982, S. 262f., Nr. 144.
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I. Einleitung
Kardinälen bestehende Ausschuss intern diskutiert, und vor allem: in welcher Sprache, vermag man ebenfalls nicht zu beurteilen, da jegliche Informationen fehlen. 55 Das formelle, lateinische Gespräch coram publico ist hingegen kein echtes Gespräch, sondern nur eine kleine Serie von Monologen unterschiedlicher Sprecher. Weder die Reden der Gesandten noch die jeweiligen Gegenreden und Antworten der Päpste können als Beweise für das Vorhandensein eines sich organisch entwickelnden Dialogs dienen. Im Jahre 1199 entsendet Philipp von Schwaben (1198-1208) zwei Kapläne, den Propst Friedrich von St. Thomas in Straßburg und einen Subdiakon Johannes, zu Innozenz III. In einer Sieneser Handschrift ist die kurze lateinische Begrüßungsrede überliefert, welche einer der beiden Gesandten wohl im Oktober oder November des Jahres im Konsistorium gehalten hat: Pater sancte, devotissimus filius vester Filippus Romanorum rex et semper augustus salutat vos sicut patrem suum spiritualem et sicut ille, qui honorem sancte Romane ecclesie cum omni sinceritate diligere et promovere desiderat. Salutat etiam dominos cardinales sicut dilectos amicos suos?b
Diese Begrüßung ist offensichtlich knapp und formell. Die Gesandten halten keine längere Rede, in der sie etwa auf politische Inhalte eingingen, sondern sie beschränken sich auf das Minimum zeremonieller Aktivität und übergeben anschließend ein Schreiben ihres Auftraggebers Philipp. Auf die Salutatio antwortet der Papst in einer längeren lateinischen Rede, die in zwei deutlich von einander abweichenden Fassungen überliefert ist. Die eine, in der genannten Sieneser Handschrift tradierte Fassung ist relativ kurz und klar gegliedert; ihr gut verständliches Latein bietet eine scharfe politische Invektive gegen die Staufer. Die zweite Fassung wird als Teü des „Registrum de negotio imperii" 57 im vatikanischen Archiv überliefert; sie ist deutlich länger und traktathaft, enthält zahlreiche Bibelzitate und schlägt einen gemäßigteren Ton an. 58 Es ist offensichtlich, dass die erste Fassung eher die tatsächlich gehaltene Rede des Papstes wiedergibt, während die zweite Fassung gleichsam die offizielle Version darstellt, welche 55
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Eine der wenigen Ausnahmen ist ein (sc. lateinischer) Bericht des Wilhelm von Andres, in dem eine interne Beratung des Innozenz III. ( 1 1 9 8 - 1 2 1 6 ) mit seinen Kardinälen dargestellt wird; über die verwendete Sprache wird jedoch nichts gesagt; zum Bericht vgl. Maleczek, 1984, S . 2 9 8 f . Ed. Winkelmann, 1875, S. 346. Übersetzt bei Tangl, 1923, S. 3 7 - 4 6 . Tangl, 1923, S. 37 f.
5. Limitierte und schriftgestützte Mündlichkeit
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hinterher zu den Akten gegeben wird. Doch auch die Sieneser Fassung ist keine spontane mündliche Reaktion, sondern Ergebnis einer vorher erfolgten schriftlichen Ausarbeitung, auf das sich Innozenz in der mündlichen Kommunikation stützen kann. Über die besondere Art des Gesprächs informiert die Schlusspartie der päpstlichen Antwort (wie sie im Sieneser Codex überliefert ist): Nos igitur videbimus litteras, quas attulistis nobis, et audiemus, si quid aliud duxeritis proponendum, et habito consilio jratrum nostrorum respondebimus. Inspiret nobis dominus, qui est seminator casti consilii, taliter ad negotium istud cum det timore procedere, quod ad honorem suum, ad ecclesie pacem et ad salutem et tranquillitatem fidelium populorum unicuique beneplacitam deo iustitiam observemus.59
Die Gesandten übergeben nicht nur ein Beglaubigungsschreiben, 60 sondern auch einen ausführlichen Brief Philipps, der eine (möglicherweise erwartete) Rede der Gesandten ersetzt. Die hier zitierte lateinische oratio des Papstes antwortet keineswegs auf dieses Schreiben Philipps (solches wäre in der kurzen Zeit unmöglich); vielmehr wird nach Innozenz' Antwortrede das Schreiben Philipps hinter verschlossenen Türen sorgfältig geprüft (videbimus litteras) und im Kardinalskollegium beraten. Anschließend setzt man eine mündliche Anhörung und Befragung der Gesandten an {audiemus). Auch hier zeigt sich, ähnlich wie bei den Übersetzungen, eine phasenverschobene und serielle Kommunikation, die nicht den Charakter eines organischen Gesprächs hat. Eine flexible Dialogführung ist auch nicht erforderlich: Da das kommunikative Potential lateinischer Oralität limitiert ist und sich in sprachlich standardisierten Diskursen bewegt, ist es den Beteiligten in der Regel möglich, diese Kommunikation bereits im Vorfeld schriftlich auszurechnen. 61 Darüber hinaus wird das lateinische Gespräch auch durch die Zerlegung des kommunikativen Prozesses in einzelne, durch Intervalle voneinander separierte Akte erleichtert. Im Jahre 1346 reist Ernst von Pardubitz, Erzbischof von Prag (1344-1364) und engster Berater Karls IV. (1346-1378) in diplomatischen wie theologischen Fragen, nach Avignon, um im Auftrag der Kurfürsten von Clemens VI. 59 60 61
Ed. Winkelmann, 1875, S.354. Ed. Weiland, 1896 (MGH Const. 2), S.4. Nicht zufällig trägt das Adverb litteraliter die Bedeutung „in lateinischer Sprache". Vgl. z.B. Bernard du Rosier, Ambaxiator Brevilogus, cap.XII (ed. Hrabar, 1905, S. 13): siue litteraliter uerbis latinis, aut vulgaribus. — „ [ . . . ] entweder in der gelehrten Sprache, d.h. auf Latein, oder in der Volkssprache [••]." Weitere Beispiele bei Grundmann, 1958, S.4. Zur „Literatursprache" Latein vgl. Bulst, 1946, S. 10.
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I. Einleitung
(1342-1352) die Bestätigung der Wahl Karls zum deutschen König zu erwirken. Der Erzbischof hält zu diesem Zweck am 5. November 1346 eine längere, gelehrte, d.h. mit zahlreichen Bibelzitaten durchsetzte lateinische Rede, die im Wortlaut überliefert ist (Dominus itaque Arnestus iam dictus, cum esset magne facundie et litterature, coram domino papa et collegio sacro in publico consistorio fecit pulcrum et magistralem sermonem ...). 62 Inhalt und Absicht dieser formalisierten Rede sind bereits im Vorfeld für alle Beteiligten klar erkennbar. In Avignon wird zudem entweder vom Blatt abgelesen oder auswendig vorgetragen, was man zuvor wörtlich ausgearbeitet hat. Eine unmittelbare verbale Reaktion auf diese Rede erfolgt nicht. Erst am nächsten Tag, dem 6. November, hält Clemens eine noch längere lateinische Antwortrede, die sich ebenfalls im Wortlaut erhalten hat.63 Die Ansprache des Papstes, qui et ipse magister erat in sacra pagina;54 weist ebenfalls einen gelehrten wie elaborierten Stil auf und glänzt gleichfalls durch zahlreiche Bibelzitate. Auch sie wird zweifellos nicht aus dem Stegreif entwickelt, sondern aus der Schriftlichkeit reoralisiert (spontane Äußerungen und ,unbedachte' Formulierungen wären in einem solchen Rahmen deplaziert).65 Dabei dürfte das zeitliche Intervall zwischen dem 5. und dem 6. November von der Kurie dazu genutzt worden sein, die päpstliche Antwort auch in ihren Details auf das vom Erzbischof Vorgebrachte abzustimmen. Eine solche antizipierte, phasenverschobene und schriftgestützte Kommunikation ist das Signum lateinischer Oraütät.
6. Das Verständnis des Publikums Es ist nicht sinnvoll, einen lateinischen Kommunikationsakt primär aus der Perspektive des jeweiligen .Publikums' zu betrachten, da sich dieses in der historischen Praxis oftmals als inhomogen erweist. Auch kann mündliche Latinität keineswegs nur am ,Verständnis' der Zuhö-
62
Text bei Zeumer / Salomon, 1 9 1 0 - 1 9 2 6 (MGH Const. 8), S. 1 3 8 - 1 4 2 ; das Zitat aus Benessius de Weitmil, zitiert nach Zeumer / Salomon, 1 9 1 0 - 1 9 2 6 (MGH Const. 8) S. 137.
63 64
Edd. Zeumer/Salomon, 1 9 1 0 - 1 9 2 6 (MGH Const. 8), S. 1 4 3 - 1 6 3 . Benessius de Weitmil, zitiert nach Zeumer / Salomon, 1 9 1 0 - 1 9 2 6 (MGH Const. 8), S. 137.
65
Zum grundsätzlichen Vorgang vgl. Feiten, 1998, S. 53.
6. Das Verständnis des Publikums
21
rer gemessen werden. An der Synode von Clermont 66 des Jahres 1095 haben mehr als 180 Prälaten aus Frankreich und den französischsprachigen Teilen des Reiches sowie aus Italien und Spanien teilgenommen (England schickte lediglich einen einzigen Beobachter).67 Aus einer solchen Zusammensetzung leitet sich die begründete Vermutung ab, dass Latein die dominante Verhandlungssprache des Konzils gewesen ist, auch wenn in den am Rande geführten inoffiziellen Gesprächen vielfach die verschiedenen nordfranzösischen und provenzalischen Idiome verwendet worden sein dürften. Seinen berühmten Kreuzzugsaufruf hält Papst Urban II. (1088-1099) nicht, wie an den anderen Konferenztagen, in einer städtischen Kirche, sondern auf einem freien Feld vor dem Osttor der Stadt. An diesem Tag setzt sich der Zuhörerkreis nur zum kleineren Teil aus Geistlichen, zum weit überwiegenden Teil hingegen aus Laien, Adligen wie einfachen Bürgern, zusammen. Man sollte daher annehmen, dass der gebürtige Franzose Urban zur besseren Verständigung mit dem Publikum seine Muttersprache verwendet habe; doch erläutert Guibert von Nogent (1053-1124) hierzu: In hoc ipso concilia, sicuti antequam ab Urbe digredereturproposuerat hacque de causa Francos expetiverat, maximam ad sibi assistentes contionem habuit et inter cetera, quae excessere memorias auditorum, hac intentione disseruit. Eius enim scientiae litterali eloquentiae cooperabatur agilitas, non enim minor ei videbatur in Latinae prosecutione locutionis ubertas quam forensi cuilibetpotest esse in materno sermone pernicitas.(A
Nach Guiberts Worten ist Urban in dieser Situation in der Lage, eine lateinische Rede zu halten, die hinsichtlich des Ausdrucksvermögens und rhetorischen Geschicks in nichts einer Ansprache nachsteht, die von einem versierten Marktplatz- oder Gerichtsredner in einer lingua vulgaris gehalten wird. Die hier getroffene Wahl des Lateinischen erklärt sich primär aus dem Umstand, dass Adressat und Zuhörer der Rede keineswegs identisch sein müssen: Der Papst spricht (im weitesten Sinne) auch vor dem versammelten Laienvolk, doch formal gese-
66 67
68
Zum Ereignis vgl. den Sammelband „Le concile de Clermont", 1997. Übertrieben ist die Zahl bei Guibert von Nogent: lllic preter episcoporum et abbatum examine, quos ärciter quadringentos per prominentes jerulas fuisse aliqui numeraverant, totius Franciae et appendicium comitatuum litteratura confluxit. Gesta Dei per Francos II 2; ed. Huygens, 1996, S. 110. Gesta Dei per Francos II 3; ed. Huygens, 1996, S.111.
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I. Einleitung
h e n w e n d e t er sich zunächst nur an die Geistlichen, w e l c h e sich in s e i n e r u n m i t t e l b a r e n U m g e b u n g b e f i n d e n {sibi
assistentes).
Z w a r ist
der T e x t der A n s p r a c h e nicht i m W o r t l a u t überliefert, jedoch existieren m e h r e r e literarische Versionen, die zumindest den T e n o r wiederg e b e n . 6 9 In j e n e r F a s s u n g , die der als z u v e r l ä s s i g g e l t e n d e
Fulcher
v o n C h a r t r e s (ca. 1 0 5 9 - 1 1 2 7 ) s e i n e r „ H i s t o r i a H i e r o s o l y m i t a n a " i n s e riert, redet U r b a n z u n ä c h s t ausschließlich die a n w e s e n d e Geistlichkeit an („Geliebte Brüder").70 Das Laienpublikum
figuriert
hingegen nicht
a l s A d r e s s a t , s o n d e r n n u r a l s O b j e k t d e r oratio.
A u c h in jener Version,
die Baudri v o n Bourgueil (1046-1130) in seiner „Historia Jerosolimitana" präsentiert, w e n d e t sich der Papst in seiner lateinischen
An-
sprache nur an die v e r s a m m e l t e n B i s c h ö f e ; erst i m Schlussteil erfolgt eine Differenzierung, welche auch eine H i n w e n d u n g an die laikalen Zuhörer bedeutet: „ Vos [...], fratres et vos coepiscopi, consacerdotes et cohaeredes Christi, per ecclesias vobis commissas id ipsum annuntiate, et viam in Jerusalem toto ore viriliter praedicate. Confess! peccatorum suorum ignorantiam, securi de Christo celerem paciscimini veniam. Vos autem qui ituri estis, habebitis nos pro vobis oratores; nos habeamus vos pro populo Dei pugnatores. Nostrum est orare, vestrum sit contra Amalechitas pugnare. Nos extendemus cum Moyse manus indefessas, orantes in coelum; vos exerite et vibrate intrepidipraeliatores in Amalech gladium. "71
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Zu den Textfassungen vgl. Peters, 1998, S. 25-46; vgl. die (recht spekulative) Rekonstruktion von Munro, 1906; Weiteres bei Cowdrey, 1970; Runciman, 1, 1957, S. 104-106. Dilectissimi fratres, [...]. Dominus enim supra familiam suarn, ut ei pro tempore pabula modesto sapore condita ministretis, vos dispensatores constituit. Beati autem eritis, si fideles tandem dispensationis exactor vos invenerit. Pastores etiam nuncupamini; videte autem ne mercenarii more fungamini. Veri ergo pastores, et baculos semper in manibus habentes estate; nec dormitantes, gregem vobis commissum undique conservate. [...] vere necesse est vosplebem idiotam et mundi lasäviae supra modum inhiantem sapientiae sale corrigendo sallire [...]. Qua de re supplici prece hortor, non ego, sed Dominus, ut cunctis cujuslibet ordinis tarn equitibus quam peditibus, tarn divitibus quam pauperibus, edicto frequenti vos, Christi praecones, suadeatis, ut ad id genus nequam de regionibus nostrorum exterminandum, tempestive Christicolis opitulari satagant. Praesentibus dico, absentibus mando, Christus autem imperat. Cunctis autem illuc euntibus, si aut gradiendo aut transfretando, sive contra paganos dimicando vitam morte praepeditam finierint, remissio peccatorum praesens aderit. Recueil des Historiens des Croisades, Historiens Occidentaux. Bd. 3, Paris 1866, S. 322. Recueil des Historiens des Croisades, Historiens Occidentaux. Bd. 4, Paris 1879, S. 15.
6. Das Verständnis des Publikums
23
Es bringt keinen Erkenntnisfortschritt anzunehmen, dass Urban nacheinander %wei Reden gehalten habe: die eine an den Klerus (Vos, fratres et coepiscopi), die andere an das Volk (Vos autem qui ituri estis).72 Vielmehr bilden beide Teile eine oratorische Einheit. Innerhalb desselben Textes kann ein Redner unterschiedliche Zuhörerkreise bevorzugt ansprechen und zu diesem Zweck auch das Ausdrucksmedium wechseln. Die Hinwendung zu den ,Ungelehrten' ist ohnehin nur eine Episode, da das Konzil nicht mit dem Kreuzzugsaufruf, sondern mit einer weiteren lateinischen Rede an den Klerus endet.73 Das durch Robertus Monachus bezeugte Deus le volt bestätigt, dass die (auf einen kurzen Abschnitt reduzierte) Kommunikation zwischen Papst und laikalem Publikum tatsächlich funktioniert. Es ist denkbar, dass sich Urban hierbei selbst des Französischen bedient oder eine phasenverschobene, den Inhalt des Abschnitts paraphrasierende Übersetzung verkünden lässt. Es gilt jedoch noch eine dritte Möglichkeit zu bedenken: Wie Guibert von Nogent ausgeführt hat, war Urban in der Lage, selbst eine gelehrte, d.h. lateinische Rede so lebhaft und überzeugend zu gestalten, dass sie auch auf ein laikales Publikum eine solche rhetorische und emotional stimulierende Wirkung ausübte, wie es sonst nur eine raffinierte volkssprachliche Rede vermocht hätte (non enim minor ei videbatur in L,atinae prosecutione locutionis ubertas quam forensi cuilibetpotest esse in materno sermone pernicitas). Urban hat somit vermutlich weder selbst Französisch gesprochen noch seine lateinische Rede auf Französisch wiedergeben lassen. Die persuasive Macht eines begabten und erfahrenen lateinischen Redners erreicht ihre Zuhörer selbst dann, wenn diese nur über geringe oder keine Kenntnisse des Lateinischen verfügen, den Inhalt des Gesagten aber zumindest ungefähr erahnen können. Es ist daher als ein Spezifikum lateinischer Kommunikation anzusehen, dass in diese auch ein ,ungelehrtes' oder halbgelehrtes Publikum eingebunden sein kann. Dabei kompensiert die autoritative, auf Joh. 19,20 gegründete numinose Aura74 des lateinischen Monologs die sprachlichen Defizite einer Zuhörerschaft, die den kommunikativen Prozess in den Regel nicht aktiv (d.h. lateinisch) gestalten, sondern in ihm nur reagieren muss. In-
72 73 74
Eine solche Differenzierung bei Munro, 1906, S. 232, Anm. 16. Vgl. Munro, 1906, S. 232. Vgl. Gerl (zu Vallas Theorie), 1985.
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I. Einleitung
nerhalb einer komplexen Inszenierung tritt das Ziel der mündlichen Informationsvermitdung hinter die beiden parallel verlaufenden Akte der rhetorischen und der symbolischen Kommunikation zurück. Diesem Gesetz folgt die Praxis lateinischer Predigt,75 nicht selten auch die an weltliche Herrscher gerichtete Ansprache. 76 Es ist daher methodologisch unstatthaft, aus der Zusammensetzung der an einem Kommunikationsakt beteiligten Personen unmittelbar auf die in diesem Akt verwendete (primäre oder sekundäre) Sprache zu schließen.
75 76
Vgl. einführend Kienzle, 2000, S. 287 f. u. 382-386; Briscoe / Jaye, 1992. Zur Schreib- und Lesefähigkeit weldicher Herrscher siehe Wendehorst, 1986, S. 9 19. Zu deren Lateinkenntnissen vgl. Grundmann, 1958, S. 11-13 u. 42f.; Lehmann, 2 1959b, S. 74-76; Richter, 1982, S.433; Russell, 1992, S. 7-17; Mattingly, 1962, S. 212. Zu Karl d.Gr. und Ludwig d.Fr. vgl. Stotz, Bd. 1, 2002, S. 150 f. Zu Ludwig IX. von Frankreich (1226-1270) vgl. dessen Vita: Quando studebat in libris, et aliqui de jamiliaribus suis erantpraesentes, qui litteras ignorabartt, quod intelligebat legendo, proprie et optime noverat coram Ulis transferre in gallicum de latino (Vita Sancti Ludovici auctore Gaufrido de Belloloco 23; edd. Daunou / Naudet 1840/1967 [= Bouquet, Bd. 20, S. 15]). Zu den lateinischen Predigten und Ansprachen Roberts von Neapel (1309-1343) vgl. Schneyer, 1967, S. 213-215; eine einzelne Predigt Roberts (aus Anlass des Friedensschlusses zwischen Neapel und Genua) bei Siragusa, 1891, S. III—VII (= Appendix I); zur pastoralgeschichtlichen Bewertung vgl. Zerfaß, 1974. Zu Kaiser Karl IV. (1346-1378) vgl. Pfisterer / Bulst, 1950, S. 11 u. 25. Zu Wenzel (1376-1400) und Sigismund (1410-1437) vgl. Reitemeier, 1999, S.85 u. 99. Am 15. Januar 1436 hält der Kamaldulensergeneral und päpstliche Gesandte Ambrosius Traversari (1386-1439) in Stuhlweißenburg vor Sigismund in geheimer Audienz eine lateinische Rede, die dieser offenbar ohne Dolmetscher versteht. Dass der Kaiser dabei zum besseren Verständnis auch eine schriftliche Fassung des Redetextes in Händen hält, ist ausgeschlossen, da Traversari selbst bemerkt, er habe diese Rede nur mündlich gehalten und den Redetext wegen der scharfen Formulierungen nicht aus der Hand gegeben (vgl. Beckmann [Reichstagsakten], 1901, S. 13, Anm. 1; der Redetext ebenda S. 13-16).
II. Normative Traktate und Modelle 1. Das Latein des Gerichtswesens: Boncompagno, Tankred und Guillaume Durant Der Einsatz lateinischer Oralität im Gerichtswesen ist aus zwei Gründen nicht überraschend: Erstens erfolgt auch die universitäre Ausbildung der zukünftigen Juristen ausschließlich in dieser Sprache. Alles, was Juristen in akademischen Einrichtungen erlernt haben, ist lateinisch formuliert und daher auch auf Latein im Gedächtnis gespeichert (für die in Deutschland gelehrte Kanonistik gilt dies sogar bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts). 1 Zweitens sind die zentralen Referenztexte in Legistik und Kanonistik in eben dieser Sprache verfasst. Wer sie zitieren will, muss lateinisch sprechen; wer juristisch argumentieren will, muss lateinisch argumentieren. Die Praxis lateinischen Sprechens wird ferner dadurch erleichtert, dass das Gerichtswesen seit dem 12. Jahrhundert weitgehend professionalisiert ist: Weder vor kirchlichen noch vor weltlichen iudices agieren Laien, sondern juristische Experten (procurators, prolocutores), die vom jeweiligen Gericht bestellt werden und als Parteivertreter für den mündlichen Vortrag und die Überreichung der Schriftsätze zuständig sind (während die advocati zwar diese Schriftsätze erstellen, jedoch als juristische Berater nur im Hintergrund wirken). 2 - Unde ille diciturprolocutor, qui locum et wcem pro aliis obtinet in loquendo („Daher heißt derjenige ,Prolocutor', welcher andere Personen beim Sprechen vertritt."). 3 Zwei namentlich bekannte und berühmte Prolokutoren sind etwa Hilarius von Chichester (gest. 1169; an der römischen Kurie tätig) und Bischof Arnulf von Lisieux (vor 1109 - ca. 1182). Über sie bemerkt Johannes von Salisbury (ca. 1115—1180) anlässlich eines Prozesses, den er selbst für einen Londoner Freund führt: 1 2 3
Vgl. Schulte, III2, 1 8 8 0 / 1 9 5 6 , S. 3 1 1 . Vgl. Hashagen, 1 9 1 6 , S. 221; Riedner, 1907, S.77. Boncompagno, Rhetorica novissima, III 1; zitiert nach Gaudenzi, 1892, S. 257.
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II. Normative Traktate und Modelle
[...] meum procura negotium dicasque me non aggressum esse, ut cum grammatico adolescente de grammatica contendam, sed ut quibuscumque uerbis potero amici Londoniensis a Cornubia causam agam. Quod si alterutrius periculum imminet, satius duco cum dispendio grammaticae causam lucrari quam, ut grammatice loquar, causae subire iacturam. Cum enim duo quondam patroni causarum, nunc pastores, ut dicitur, animarum et officio episcopi, Uxouiensis scilicet et Cicestrensis dispari uia incederent, et l^exouiensis causae mallet facere detrimentum quam uerbi, qui nunc Cicestrensis est ei pictam cedebat linguam, sed trihumphi gloriam diligenti rerum obseruantia praeripiebat; neutrum imitari ualeo, sed alterius credo praeferenda uestigia.4
Johannes sieht Hilarius und Arnulf als Repräsentanten unterschiedlicher Rednertypen: Der Bischof von Lisieux gehört zu jenen Prokuratoren, die sich um ein grammatisch korrektes und rhetorisch elegantes Latein bemühen, dabei jedoch mitunter die juristische Sachlage vernachlässigen und deshalb manchen Prozess verlieren. Arnulf „nahm es eher hin, dass sein Fall, als dass seine Sprache Schaden nahm". Der Bischof von Chichester war ihm zwar sprachlich und rhetorisch unterlegen, gewann jedoch viel häufiger seine Prozesse, weil er juristisch einwandfrei argumentierte. Dass Prokuratoren wie Hilarius nicht nur auf einen ciceronianischen Stil verzichteten, sondern in ihren Reden des Öfteren auch gegen die Regeln lateinischer Syntax verstießen, lässt sich aus den Prioritäten ableiten, die Johannes für sich selbst setzt: „Ich ziehe es vor, auf Kosten der Grammatik den Fall zu gewinnen als den Fall zu verlieren, nur um grammatisch korrekt zu sprechen." In der forensischen Praxis dürfte sowohl den Richtern als auch den Prozessvertretern mancher grammatische Lapsus unterlaufen sein, ohne dass irgendeiner der an dieser lateinischen Kommunikation Beteiligten daran Anstoß genommen hätte. Eine emotionalisierende, das ciceronische Modell aufgreifende Rhetorik, wie sie Arnulf bevorzugt, kann in einem solchen Rahmen nur selten aufgetreten sein. Gerade aus dem Kontext des hoch- und spätmittelalterlichen Bischofsgerichts sind zahlreiche lateinische Reden überliefert, 5 die hinreichend illustrieren, wie intensiv das forensische Latein durch scholastische Textstrukturen und Zitate aus Bibel und Gesetzestexten geprägt ist. Primäres Ziel dieser Wortbeiträge ist die terminologische Präzision, welche sich vor allem im intensiven Einsatz des Fachvokabulars zeigt. 6 Nicht nur die Reden der Prokuratoren, son4 5 6
Ep. 1 1 8 ; zitiert nach Millor/Butler/Brooke, I, 1955, S. 194 u. 196. Textbeispiele bei Haye, 1999, S. 4 2 - 1 4 2 . In diesem Punkt unterscheidet sich das Juristenlatein des späten Mittelalters auch nicht im Mindesten von jenem der humanistischen Epoche. So beklagt Erasmus
1. Das Latein des Gerichtswesens: Boncompagno, Tankred und Guillaume Durant
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dem auch die prozessualen Anweisungen des Richters dürften durch sprachliche Nüchternheit gekennzeichnet gewesen sein. Selbst am Gerichtshof eines latinistisch wohltrainierten Bischofs, der sich u.U. durch einen Beamten und Berufsrichter (den seit dem 13. Jh. in Frankreich, seit dem 14. Jh. auch in Deutschland nachweisbaren Offizial) vertreten ließ, 7 wird die forensische Routine einen auch in sprachlichen Aspekten ökonomischen, formalisierten und eng an der Sache orientierten Verhandlungsstil bewirkt haben. Die Bevorzugung lateinischer Oralität im Rahmen des Bischofsgerichts ist gerade im späteren Mittelalter nicht unangefochten. Immer wieder begegnet die Klage, dass die gelehrte Sprache von den Prokuratoren und dem bischöflichen Richter dazu missbraucht würde, um prozessierende Laien zu übervorteilen. 8 In der Praxis geistlicher Gerichtsbarkeit genießt das Lateinische ohnehin keine Monopolstellung. Wenn die Angeklagten illiterat sind, kann die - zumindest indirekte - Benutzung der Volkssprache kaum vermieden werden. 9 Derselbe Grundsatz gilt vor dem Bischofsgericht auch für die Zeugen. Im Lütticher Offizialatsstatut des Jahres 1337 heißt es daher, dass die Gerichtssschreiber die Aussagen wörtlich, d.h. in der Originalsprache, fixieren sollten, damit keiner Partei ein rechtlicher Nachteil entstehe. 10 Eine so präzise formulierte Anordnung ist nur dann sinnvoll, wenn erstens die Zeugen ihre Aussagen in der jeweiligen Muttersprache machen dürfen und zweitens die übrigen Phasen des Prozesses im Medium des Lateinischen ablaufen. Vor diesem Hintergrund ist auch erklärbar, warum etwa der Lütticher Offizial im Jahre 1487 verpflichtet wird, neben Latein auch Wallonisch (sc. Franzö-
zu Beginn des 16. Jahrhunderts, es sei nutzlos, als Jurist die Aufführung einer nach Cicero stilisierten lateinischen Gerichtsrede zu trainieren: Verum ut olim fuerit utilis eloquentia Ciceronis, hodie quis est illius usus? An in iudiciis? Ibi res agitur articulis acformulis per procurators et advocatos quidvis potius quam Ciceronianos, apud iudices apud quos barbarus esset Cicero. Erasmus, Ciceronianus; ed. Payr, 1972, S.206. 7 Vgl. Hashagen, 1916, S. 221 f.; Steins, 1973. 8 Beispiele bei Schäfer, 1904, S. 60; Störmann, 1916, S. 204. 9 So werden etwa in Ketzerprozessen die lateinisch vorgetragenen Anklagepunkte in die jeweilige Volkssprache übersetzt und die muttersprachlich artikulierten Aussagen der Angeklagten für das Protokoll wiederum ins Lateinische transponiert. 10 Item verba perfecte testis scribant notarii quibus scriptis eadem statim in lingua qua auditus fuerat sibi exprimant diligenter, ne ex verbis testis minus plene forsan a notariis intellectis et per consequens minus bene scriptis aliquod praeiudicium alicui parti valeat suboriri. Zitiert nach Steins, 1973, S. 259.
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II. Normative Traktate und Modelle
sisch) und Flämisch zu beherrschen. 11 Wenngleich es kaum möglich ist, allgemeine Aussagen über die forensische Bedeutung lateinischer Oralität zu treffen, darf man vermuten, dass diese eher in der geistlichen Gerichtsbarkeit und eher in den romanischen Ländern, insbesondere in Italien, dominiert. Doch auch hier dürfte die Praxis durch ein unkompliziertes ,Code-switching' gekennzeichnet gewesen sein. 12 Dass Prozesse vor geistlichen Gerichten in der gelehrten Sprache geführt werden können, ist nicht zuletzt dem Umstand zu verdanken, dass die lateinische Mündlichkeit durch eine parallele Schriftlichkeit gestützt wird, wie Tankred von Bologna (ca. 1185 - ca. 1236) in seinem „Ordo iudiciarius" erläutert. 13 Im Gegensatz zur forensischen Praxis des republikanischen Rom ist das hoch- und spätmittelalterliche Prozesswesen tiefgreifend durch die (verdeckte oder offenkundige) Verwendung von litterae geprägt. So dürften viele Prokuratoren auch bei weniger komplexen Sachverhalten eine Textfassung ihrer Plädoyers bereitgehalten und zur Stabilisierung des Verständnisses dem Richter übergeben haben. Zudem wurden im Prozess zahlreiche Schriftstücke (Gesetzestexte, Zeugenaussagen etc.) verlesen; eine solche Rezitation bereitet erheblich geringere Mühe als das freie Produzieren lateinischer Mündlichkeit. Trotz dieser Einschränkung eröffnen sich dem Einsatz lateinischer Oralität vor Gericht breite Spielräume: in den Plädoyers (allegationes)^, in den rechtlichen Diskussionen (disputationes) x s und in der juristischen Würdigung des Falles durch den Richter. 16 Neben der Schriftlichkeit erleichtert auch der vor Gericht zu beobachtende hohe Grad an Ritualisierung, Formalisierung und Standardisierung den extensiven Einsatz lateinischer Oralität. In seiner 1235 vollendeten „Rhetorica novissima" erläutert Boncompagno da Signa (ca. 1170 - ca. 1240) zahlreiche rituelle Handlungen des Ge11 12 13 14
15 16
Vgl. Hashagen, 1916, S.286. Vgl. Riedner, 1907, S. 77. Vel si quaestio intricata est etplures habet articulos, [sc. iudex] allegationes partium in scriptis recipiat et super eis deliberet [...]. Ed. Bergmann, 1842, S. 267. Vgl. Boncompagno, Rhetorica novissima III 2 (ed. Gaudenzi, 1892, S. 258): Allegatio est oratio que legibus roboratur. [...] Allegator estpatrocinator litigantium in criminalibus et ävilibus causis. Zur Mündlichkeit des Verfahrens im Offizialatsgericht vgl. Steins, 1973, S . 2 2 3 227. His peractis iudex omnes allegationes et responsionespartium sub brevitate repiloget [...]. Ed. Bergmann, 1842, S.267.
1. Das Latein des Gerichtswesens: Boncompagno, Tankred und Guillaume Durant
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richtswesens: 17 Bevor etwa ein Anwalt vor einem bischöflichen Gericht zu sprechen beginnt, soll er sein Barett abnehmen und sich verneigen. 18 Auch das sich anschließende juristische Plädoyer, dem Tankred von Bologna ein eigenes Kapitel seines „Ordo iudiciarius" widmet (P.3, Tit. 15: De allegationibus),19 ist als eine solche rituelle Handlung zu verstehen. 20 Die allegatio ist ein streng geregeltes und damit sprachlich berechenbares Element innerhalb des Prozesses. Wie in der Antike spricht zunächst der Ankläger, anschließend äußert sich der Verteidiger. 21 Der lateinisch sprechende Anwalt ist dabei vor Überraschungen weitgehend gefeit. Er kann seinen mündlichen Text im Wesentlichen vorformulieren und auch bereits die denkbaren Reaktionen der Gegenseite a limine ins Kalkül ziehen. Schon im Rahmen seiner Ausbildung wird der angehende Jurist darin trainiert, nicht nur einzelne vorgefertigte Textbausteine, sondern sogar vollständige Redetexte auswendigzulernen, um sie später — gegebenenfalls unter leichter Modifikation - in seine Beweisführungen und Plädoyers integrieren zu können 22 Boncompagno stellt Dutzende solcher Redeeinleitungen vor, welche der noch unerfahrene Advokat als Modelle für seine eigenen allegationes benutzen soll 2 3 Der Gerichtsredner kann sich einleitend etwa mit den folgenden Worten an den Richter wenden: Duo sunt que in presentia vestra dant mihi ausum loquendi: primum quia sapientia vestra est velut inexpugnabilis murus iustitie, que non potest aliquorum precibus vel
17
18 19 20 21
22 23
Dass Boncompagno seine Rhetoriken nicht nur für Artisten, sondern auch für Juristen verfasst hat, erklärt sich nicht nur durch den Inhalt, sondern auch durch das Publikum: Die erste Fassung seiner „Rhetorica antiqua" wurde 1215 vor JuraProfessoren rezitiert. Vgl. Köhn, 1986, S. 279 f. Boncompagno, Rhetorica novissima IV 3 (ed. Gaudenzi, 1892, S.261): Sit equidem coram iudicibus ecclesiasticis cum inclinatione capitum extractio berictorum. Ed. Bergmann, 1842, S. 261-268. Tunc surgere debentpatroni causarum, qui gloriosae vocis munimine lassa erigunt, fatigata reparant et causarum ambigua facta dirimunt. Ed. Bergmann, 1842, S. 261. Tunc respondeat advocatus rei per ordinem ad omnia, quae actor introduxit pro se, destruendo dicta testium [...]. Sed non debet iudex imponere finem dictis advocatorum, sed dicant, quamdiu volunt. Ed. Bergmann, 1842, S. 263 u. 267. Zu den allegationes im „Ordo iudiciarius" des Aegidius de Fuscarariis vgl. die Ausgabe von Wahrmund, 1916/1962, S. 1 1 6 - 1 2 1 . Vgl. z.B. die von Silvestre, 1954, edierten sog. „Lütticher Gerichtsreden". Zahlreiche Redeeinleitungen auch bei Aegidius de Fuscarariis, Ordo iudiciarius, ed. Wahrmund, 1916/1962, S. 259-269.
II. Normative Traktate und Modelle
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persuasionibus tendo.24
violari. Secundum quia iustam causam foveo, et iustitiam postulate in-
Für den Fall, dass der Richter (sei es der Bischof selbst oder der Offizial oder ein Archidiakon) ein erfahrener Jurist ist, den allzu umfangreiche und praeter rem geführte Lobreden auf seine eigene Person wegen des entstehenden Zeitverlustes eher verdrießen dürften, empfiehlt Boncompagno eine Reihe knapp gehaltener Einleitungen, in denen der Redner sofort zur Sache kommen kann: Incipio sine ornatu verborum, et tarn simpliciter quam suppliciter mihi postulo audientiam et intelligentiam exhiberi?15
Oder alternativ: Non utar picturato fastu verborum, sed loquar simpliciter et dicam utiliter que ad factum pertinere videbo.26
Durch den ausdrücklichen Verzicht auf den „Dünkel aufgeputzter Worte" kann der Sprecher die Sympathie des Richters erwerben. Jenen Anwälten, die zum ersten Mal in der forensischen Arena auftreten ( p r o iunioribus, qui non consueverunt allegare in causis), rät Boncompagno, eben diesen Umstand in der Einleitung ihres Plädoyers zu thematisieren: Sicut vitulus novellus qui cornua et ungulas allegationum producit, temeritudine sum affectus. Unde cum pallore verecundie incipio advocari. Quare tarn iudices quam assessores prece votiva exoro, ut cum audiendi favore sustentent initium proloquentis 21
Der Hinweis auf die eigene Unerfahrenheit appelliert an den Beschützerinstinkt des Zuhörers; wiederum kann sich der Redner der Sympathie der Richter sicher sein. Wenn ein Prolokutor auf seine Gebühr verzichtet und eine geistliche Einrichtung oder einen Armen vor Gericht unentgeltlich vertritt, so darf er laut Boncompagno auch hierauf in seiner Einleitung hinweisen: Ob reverentiam Dei qui dedit mihi scientiam, causam talis ecclesie uelpauperis, que uel qui de propriis non valet exhibere salarium advocatis, disposui quantum de iure potero confovere. Unde securius peto audientiam et favorem,28
Die Verwendung solcher vorgefertigten Bausteine erleichtert nicht nur dem Sprecher, sondern auch dem Richter und dem Anwalt der 24 25 26 27
Boncompagno, Boncompagno, Boncompagno, Boncompagno,
Rhetorica Rhetorica Rhetorica Rhetorica
novissima novissima novissima novissima
V V V V
3 3 3 5
(ed. (ed. (ed. (ed.
Gaudenzi, Gaudenzi, Gaudenzi, Gaudenzi,
1892, 1892, 1892, 1892,
S. 264). S. 264). S. 264). S. 266 f.); hier fälsch-
28
Boncompagno, Rhetorica novissima V 7 (ed. Gaudenzi, 1892, S. 269).
lich quem statt quam.
1. Das Latein des Gerichtswesens: Boncompagno, Tankred und Guillaume Durant
31
Gegenpartei die Arbeit. Da alle professionellen Prozessteilnehmer die gleiche Ausbildung genossen haben und in der forensischen Praxis — zumindest sprachlich gesehen — tagtäglich etwa dasselbe hören, kennen sie die hier verwendeten Wortjunkturen, Sätze und Textpassagen zur Genüge. Verständnisschwierigkeiten beim Rezipieren solcher lateinischen Beweisführungen und Plädoyers ergeben sich somit für sie in der Regel nicht. Da die parallele Schriftlichkeit, die Formalisierung und die Standardisierung Aspekte einer textuellen Verfestigung sind, ist es sinnvoll, im Rahmen der forensischen Oralität von „mündlichen Texten" zu sprechen, die sich allenfalls medial, nicht aber konzeptionell von schriftlichen unterscheiden. Der hohe Grad an Verfestigung und Berechenbarkeit erleichtert es dem Gerichtswesen, im Mündlichen mit der Sekundärsprache Latein zu operieren. Die ausführlichsten Informationen zur forensischen Mündlichkeit bietet das „Speculum iudiciale" des französischen Kanonisten Guillaume Durant (ca. 1235 - 1296). 29 Noch intensiver als Boncompagno widmet sich der Autor zunächst den exordia und arengae (lib. I, partic. IUI). Er erläutert die stimmlichen Qualitäten des idealen Gerichtsredners (magnitudo vocis, sonontas, pronunciatio etc.) 30 und krönt seine rhetorischen Vorschriften mit einer beeindruckenden Zahl von Beispieltexten ( f o r m a e ) ? x So präsentiert er einige allgemein gehaltene Eröffnungen, die sowohl von der Anklage als auch von der Verteidigung benutzt werden können (Potest quoque utriusque partis aduocatus sequentibus uti praefationibus).32 Sie enthalten fundamentale topische Gedanken und zielen grundsätzlich auf das Wohlwollen des Richters. Die meisten der vorgestellten Modelle sind jedoch nicht für beide Prozessparteien verwendbar, sondern der jeweiligen spezifischen Redesituation angepasst. Es ist hierbei bezeichnend, dass Durant nur wenige Beispiele dafür vorführt, wie der Anwalt des Klägers zu Beginn des Prozesses sprechen soll. - Der Grund ist evident: Gerade dieser primäre orale Akt muss nicht sehr intensiv geübt werden, da der Redner mit einem vorgefertigten Redemanuskript operieren kann. Anspruchsvoller und schwieriger sind hingegen die folgenden Akte, welche zumindest partiell auf die erste Rede reagieren müssen und daher in höherem Maße Witz, Spontaneität und geistige Flexibilität 29 30 31 32
Zu diesem Werk vgl. zuletzt Nörr, 1992. Durands, 1574/1975, Tom. I, S. 272 f. Durands, 1574/1975, Tom. I, S. 273-277. Durands, 1574/1975, Tom. I, S.275.
32
II. Normative Traktate und Modelle
erfordern. Aus diesem Grund demonstriert das „Speculum" ausführlich und mit zahlreichen Beispielen, wie der Anwalt des Beklagten auf die Rede des Klägers antworten kann. So hat er etwa die Möglichkeit, diesen als rhetorischen Windbeutel hinstellen: Noti sunt uobis, domine iudex, qui uentos de thesauris suis producunt, nubesque ab extremo terrae educunt,33 Er kann auch behaupten, die Ausführungen des Klägers seien unerheblich: [...] bis, quae sunt ex aduerso proposita, licet pondere careant, nec ad rem faciant, respondere intendo,34 Solche generellen Vorwürfe und Unterstellungen sind jedoch nicht hinreichend, vielmehr muss der Verteidiger flexibel auf die spezifischen, d.h. im Einzelfall erforderlichen Methoden und Argumentationsmodi des Klägers eingehen. Durant spielt hierzu die verschiedenen Möglichkeiten exemplarisch durch. Wenn der Prozessgegner etwa mit Hilfe aufwendiger logischer Beweisführungen argumentiert hat, kann der Anwalt wie folgt reagieren: Quod si alter per maximas dialecticales argumentatus est, sie dicas: „Locutio scripturarum secundum cuiuslibet scientiae proprietatem aeeipienda est. Habet enim omnis scientia quaedam propriae locutionis genera, quae cum in aliam transferuntur, uidentur absurda. [...] Orator ille, quem audistis omnem uim inuentorum [...] in dialectica posuit. Quae, secundum philosophum, non habet uim constituendi, sed Studium destruendi. [...] Dialecticorum enim tendiculae fantasmata sunt et imagines, quae cito pereunt et soluuntur. "35
Jede Disziplin arbeitet mit Klassifikationen, die auf der jeweils eigenen Sprache beruhen. Wenn man diese Klassifikationen in eine andere Disziplin überträgt, werden sie sinnlos. - So die von Durant vorgeschlagene Argumentation. Im vorliegenden Fall hat sich der Gegner auf die angeblich ,unjuristischen' Fundamente der Logik gestützt. Nun kann ihm der Anwalt ironisch vorhalten, dass selbst nach Ansicht des Logikfürsten Aristoteles diese Disziplin ausschließlich destruktiv orientiert sei und somit keine konstruktiven Lösungen juristischer Probleme zu erzielen vermöge. Geschickt bedient sich der Sprecher dabei eines weiteres Vorurteils, wonach Logiker mit .sophistischen' Tricks arbeiteten. Falls der Gegner jedoch nicht primär dialektisch argumentiert, sondern in seiner Rede ausgiebig die pagane Literatur der Antike bemüht, kann der Anwalt wie folgt reagieren:
33 34 35
Durands, 1 5 7 4 / 1 9 7 5 , Tom. I, S. 274. Durands, 1 5 7 4 / 1 9 7 5 , Tom. I, S. 274. Durands, 1 5 7 4 / 1 9 7 5 , Tom. I, S. 274.
1. Das Latein des Gerichtswesens: Boncompagno, Tankred und Guillaume Durant
33
Vel si allegauerit poetas, dicas sie: „Orator ille, quem audistis, amatoria, Bucolicorum uersum, seu Vergilii uel Ouidii, in suae assertionis testimonium allegauit, non attendens, quod per figmenta poetarum mens excitatur ad incentiua uitiorum. "i6
Der Gegner wird durch einen solche Bemerkung über die. figmenta poetarum, welche im Einklang mit der patristischen Lehre steht, 37 als moralisch korrupt entlarvt. Selbst wenn er nur einen einzigen Vers aus der ovidischen Liebesdichtung oder den vergilischen Eklogen, zudem lediglich in seiner Einleitung, zitiert haben sollte, bietet er damit eine offene Flanke, die der Anwalt ausnutzen kann, um die gesamte Beweisführung seines Kontrahenten zu vernichten. Wenn aber der forensische Gegner in seiner Rede die Physik bemüht hat, kann er vom Anwalt als ein weltfremder Trottel hingestellt werden: Vel sie, si naturales libros induxit: „Orator ille physicus vel naturalis perscrutator, qui nempe oculos trans coelum leuauit, et ultra projundum terrarum et abjssi in quoddam inane demersit, ociosis philosophorum subtilitatibus se inuoluens: cur in uanitatem sensus et mentis obscuritatem lapsus est. "38
Dieser Gegner ist von irdischen Fragen vollkommen gelöst, er hat seine Augen zum Himmel gewandt und sich in ein irreales Vakuum versenkt, um sich den müßigen Spitzfindigkeiten der Philosophen hinzugeben. — Die Karikatur soll belegen, dass eine solche Person als Jurist nicht ernstzunehmen ist. Wenn aber der Prozessgegner textnah und terminologisch argumentiert hat, kann ihm der Anwalt dadurch Paroli bieten, dass er ihn lächerlich macht und der Unfähigkeit zeiht: Vel sie, si disputat de uiribus uerborum, prout faciunt saepe dialectici et grammatici: „Orator ille, quem audistis, accurate de uerborum uiribus disputauit, non attendens, quod indignum ualde est, quod iuris scientia regulis subiaceat Prisciani,39 [...] Nam dum uerborum proprietas attenditur, sensus ueritatis amittitur. [...] Et uerborum disputatio pertinaeibus est relinquenda, secundum Tullium,m curiosis, qui de bis, quibus non expedit, facile disputant. [...] Sic certe excusari meretur. Nam non uolunta-
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Durands, 1574/1975, Tom. I, S. 275. Vgl. Gompf, 1973; Knapp, 1980. Durands, 1574/1975, Tom. I, S. 275. Nach Gregor d. Gr., Moralia, epist. 5: Nam sicut huius quoque epistolae tenor enuntiat, non metacismi collisionem jugio, non barbarismi confusionem deuito, situs modosque etiam et praepositionum casus seruare contemno, quia indignum uehementer existimo, ut uerba caelestis oraculi restringam sub regulis Donati. Ed. Adriaen, 1979, S. 7. Eine direkte Vorlage konnte ich nicht ermitteln.
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II. Normative Traktate und Modelle
te, sed potius grauissima necessitate propter inopiam, uidelicet iuris et rationis, noscitur idfecisse. "41
Der Gegner wird hier als philologischer Erbsenzähler verunglimpft, der kein Verständnis für juristische Methoden besitzt. Seine terminologischen Spitzfindigkeiten sind angeblich sinnlos. Der Anwalt begeht eine weitere Gehässigkeit, indem er vorgibt, für das Verhalten seines forensischen Kontrahenten sogar Verständnis zu haben: Dessen unangemessene philologische Vorgehensweise sei entschuldbar, da ihn sein Mangel an juristischer Sachkenntnis und intellektueller Kompetenz hierzu getrieben hätten. Der Gegner ist somit menschlich rehabilitiert, doch als Jurist desavouiert. Die gerichtliche Auseinandersetzung endet nicht mit einer solchen Gegenrede des Anwalts. Denn nun ist wiederum der Ankläger gefordert, die Einwände und Anwürfe seines Opponenten aufzugreifen und zu widerlegen.42 Erneut ist somit oratorische Flexibilität gefragt, da der Gegner im Vorfeld des Prozesses nicht wissen kann, was und wie ihm der Anwalt antworten wird. — Er kann es nicht wissen, aber doch vermuten. Und auch wenn er es nicht vermutet, so verfügt er doch über ein Arsenal standardisierter Reaktionsmöglichkeiten, wie sie im Studium intensiv eingeübt werden. Oratorische Flexibilität ist somit nicht mit verbaler Spontaneität gleichzusetzen. Sofern etwa der Verteidiger dem gegnerischen Anwalt vorgeworfen hat, er stütze seine Argumentation unzulässigerweise auf die Aussagen heidnischer Dichter und Philosophen, so kann er seinerseits antworten: Sicut ait Boethius, tot sunt artis hostes, quot ignorantes, Orator ille, quem audistis, uisus est me redarguere eo, quod aliqua dicta philosophorum etpoetarum uelgentilium inserui dictis meis. Sed certe eo ipso, quod hoc uituperat, se illa ignorare demonstrat. Nam uituperatio artis testis est ignorantiae. [...] Non enim malum est ab his exempla sumere. Alioquin Mojses et Daniel sapientia et Uteris Aegyptiorum et Chaldaeorum non paterentur erudiri, nec Paulus aliquos uersus poetarum suis induxisset scripturis. [...] Non ergo absurdum est, si quis aliquid ex eruditione communi ac liberalibus studiis, quae forte in pueritia attigit, ad assertionem suae propositionis edicat.Ai
Durch den Hinweis auf die auctoritas des Boethius wird der Gegner als ein Mensch gezeichnet, der ein Feind der antik-paganen Literatur und bar jeglicher Bildung ist; er hat sich durch seine Kritik selbst entlarvt. Der Anwalt führt unter Hinweis auf einige biblische Exempla 41
Durands, 1 5 7 4 / 1 9 7 5 , Tom. I, S. 275.
42
Postmodum vero surgat advocatus redargutus, et dicat sie. Durantis, 1574/1975, Tom.I,
43
S. 275. Durantis, 1 5 7 4 / 1 9 7 5 , Tom. I, S. 275.
1. Das Latein des Gerichtswesens: Boncompagno, Tankred und Guillaume Durant
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aus, dass die Berufung auf literarische oder philosophische Texte legitim sei. Er stellt die Attacken seines Gegners als völlig überzogen dar, da er selbst in seiner Rede lediglich einige wenige Zitate verwendet, sich jedoch keineswegs auschließlich auf literarische Quellen gestützt habe. Schließlich tritt er dem Eindruck entgegen, dass er sich als erwachsener Mensch überwiegend der antiken Literatur widme; vielmehr sei er mit dieser in seiner Jugend in Berührung gekommen. Solches gilt als altersgemäß und vertretbar. Es ist kein Zufall, dass Durant in diesem Zusammenhang auch auf die Deklamationen (sc. suasoriae und controversial) des älteren Seneca verweist [Sicut ait Seneca lib. Oeclamationum).44 Die forensische Altercatio, wie sie im Studium eingeübt und vor Gericht alltäglich praktiziert wird, speist sich ganz erheblich aus den Argumentationsmodi der antiken Redelehre. Während aber die pagane Rhetorik das alleinige Ziel verfolgt, die vielfältigen Techniken des persuadere, insbesondere des gerichtlichen persuadere, zu trainieren, vermittelt die juristische Ausbildung des 13. Jahrhunderts sowohl eine fachspezifisch rhetorische als auch eine sprachliche Kompetenz: Es werden vielfach die gleichen lateinischen Formeln eingeübt wie in der Antike, doch nun sind diese Formeln in einer für die Benutzer nur sekundär erlernten Sprache fixiert. Lateinische Mündlichkeit wird auch bei der litis contestatio gefordert, welche gemäß einer Definition des Durant (lib. II, partic. II) die principalis negotii apud competentem iudicem facta narratio, et ad earn secuta responsio bezeichnet. 45 Mit Hilfe einer festen Formel kann die Darstellung der Gegenseite zunächst grundsätzlich bestritten werden: Utem contestando nego narr ata, prout narrantur, et dico petita fieri non debere.v' Eine solche Formel kennt jeder Anwalt auswendig. Durant empfiehlt dem noch unerfahrenen Advokaten darüber hinaus, eine weitere Kautel einzuschalten, die zu einer modifizierten und erweiterten litis contestatio führt: Cautus ergo sit nouus aduocatus, ut protestetur ante omnia sic: „Coram uobis, domine iudex, protestor ego talis, quod per ea, quae coram vobis pro P. dicam et proponam, non intendo litem contestari; et si quae dicerem, per quae ipsi P. aut iuri suo posset in aliquo praeiudicium generari, protestor pro eo P., ut et ipse protestatur, quod de eius assensu ilia non dicam. " [...] 44 45 46
Durantis, 1574/1975, Tom. I, S. 275. Durantis, 1574/1975, Tom. I, S. 563. Durantis, 1574/1975, Tom. I, S. 563.
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II. Normative Traktate und Modelle
Post hoc audacter, quod uolet, proponat. Nam haec protestatio tuetur clientulum in tantum, quod licet aduocatus neget narrata ex parte actoris, non ideo fiet litis contestation
Mit dieser Formel vermeidet der Anwalt die Gefahr, dass ihm jene Fehler, welche ihm während des Prozesses möglicherweise unterlaufen, als parteischädigendes Verhalten ausgelegt werden oder die Position des Mandanten schwächen. Die litis contestatio ist nicht nur aufgrund ihrer Formelhaftigkeit eine niedrige Hürde lateinischer Oralität. Auch dadurch, dass sie nach dem mündlichen Vortrag schriftlich eingereicht wird, ist sie für den Anwalt bis auf das einzelne Wort berechenbar. Wesentlich anspruchsvoller sind die am Ende des Prozesses angesiedelten Plädoyers (Durant, lib. II, partic. II). Hier muss der Anwalt noch einmal die wichtigsten Punkte der Verhandlung zusammenfassen, er muss ferner die Zeugenaussagen und übrigen Beweise prüfen und abschließend würdigen. Zu diesem Abschnitt können die Lehrbücher keine vollständigen Redetexte bereitstellen, da der Anwalt hier gezwungen ist, flexibel auf das Prozessgeschehen zu reagieren. Gleichwohl bietet Durant eine Vielzahl verbaler Einzelstrategien und vorgefertigter Argumentationssegmente, aus der sich der Anwalt das jeweils Passende heraussuchen und zu einem kohärenten Text zusammenfügen kann.48 Auch dabei soll der Redner auf die jeweils vorgebrachten Argumente der Gegenseite angemessen eingehen. Wie eine solche Aufgabe im Rahmen lateinischer Mündlichkeit bewältigt werden kann, zeigt Durant erneut mit Hilfe von Textbeispielen: Porro aduocatus actoris, cuius allegationes si confractae fuerint et elisae, iterum surgat, et lapsa erigat, ac fatigata reparet [...] dicens:49 „Stupet admodum meus animus, quomodo aduocatus ille non erubuit, in tot et tantorum praesentia ex tarn euidenter falsis et friuolis procedere, et aures uestras, domine iudex, et audientium tot inanibus ambagibus praegrauare. Nec enim eum adeo resupinum seu iuris ignarum existimo, ut credam eum latere, quod confessio reuocari non potest, nisi demum errore probato. [...] Sed nec erubuit duobus e nostris testibus excommunicationem obiicere, cum tarnen liquido de ipsorum absolutione legitime iudicio facta fuerit fides." Et sie de aliis singulis capitulis prosequatur. In fine igitur sie concludat:
47 48 49
Durands, 1574/1975, Tom. I, S. 565. Durands, 1574/1975, Tom. I, S. 745-749. Vgl. Tankred, Ordo iudiciarius: Tunc surgere debentpatroni causarum, qui gloriosae vocis munimine lassa erigunt, fatigata reparant et causarum ambigua facta dirimunt. Ed. Bergmann, 1842, S. 261.
1. Das Latein des Gerichtswesens: Boncompagno, Tankred und Guillaume Durant
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„Euidens ergo est, domine iudex, nos esse in casu victoriae. Nam plures rationes pro parte nostra faciunt, quam pro ilia: unde adhuc idpetimus, quod et primo. "50
Der Anwalt erhält hier eine Mischung aus grundsätzlichen Anweisungen und konkreten Formulierungen. Ihm wird zunächst die primäre Funktion eines solchen Schlussworts erläutert. Sodann findet er einige Sätze vor, die sich in jede conclusio einfügen lassen: Mit ihnen soll er den Richtern schmeicheln und den Gegner als einen raffinierten Phrasendrescher hinstellen, welcher mit Lügen und Tricks operiere. Im dritten Schritt wird der Anwalt mit Hilfe von Beispielen dazu angeleitet, aus der Beweisführung des Kontrahenten einige Punkte herauszugreifen, die offenkundig methodisch unzulässig waren. Dabei soll der Anwalt den Eindruck erwecken, der skrupellose Gegner habe nicht aus Inkompetenz, sondern wider besseres Wissen gehandelt. Schließlich werden dem Anwalt noch einige Schlusssätze an die Hand gegeben, die so formelhaft sind, dass sie keiner Modifikation oder Adaptation auf den jeweiligen Fall bedürfen. Ausgerüstet mit einem prallen Bündel solcher Anweisungen und Textsegmente, kann selbst ein noch recht junger Anwalt die Schwierigkeiten forensischer Mündlichkeit meistern und seine Prozesse erfolgreich abschließen. Die sprachliche Hürde der forensischen Kommunikation ist auch nach Auffassung Durants ein diskussionswürdiger Punkt: Utrum autem aduocatus teneatur in uulgari allegare, ut ab adversario intelligatur?5X Die Antwort auf eine solche Frage erteilt Durant im Rahmen der Behandlung der forensischen Exordia, wo es heißt: Sed nunquid aduocatus in causa leges et canones allegans debet rustico idpetenti ipsas materna lingua proponere, ut ille intelligat? Et uidetur, quod sic: nam nemo respondere cogitur in iudicio, nisiprius quae proponuntur, intelligat}2
Durant geht hier von der Annahme aus, dass vor Gericht grundsätzlich Latein gesprochen wird. Wenn aber ein Prozessteilnehmer, der sich nicht auf juristischen (d.h. latinistisch kompetenten) Beistand stützen kann, oder ein ungebildeter Zeuge an der Kommunikation beteiligt ist, müssen ihm die lateinische Gesetze (und deren juristische Explikationen) in seiner Muttersprache erläutert werden. Beliebt ist dieser Zwang zur Übersetzung bei den professionellen Juristen allerdings nicht, weshalb Durant eine Alternative vorbringt: Quod si iudex est literatus, sufficit sibi fieri fidem et allegationes exponi. [...] Nam iudex 50 51 52
Durantis, 1574/1975, Tom. I, S. 750. Durantis, 1574/1975, Tom. I, S. 750. Durantis, 1574/1975, Tom. I, S.277.
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II. Normative Traktate und Modelle
postea exponet parti uel aduocato idiotae.53 Der taktisch denkende Anwalt wird sich in seiner lateinischen Beweisführung darauf konzentrieren, den Richter zu überzeugen. Die Last der Übersetzung und mühsamen Erläuterung einer juristisch komplizierten Sprache soll somit nach Möglichkeit auf den iudex abgewälzt werden. Ein solcher Vorschlag erfolgt nicht ohne Hintergedanken: Et hoc utilius est aduocatis, ut idiotas a causis excludant. Iudex enim explanando fatigabitur: sicque illos eiiciet cum pudore,54 Die aufreibende und umständliche Last der Übersetzung und Explikation wird viele Richter veranlassen, die Partizipation lateinunkundiger Laien zu minimieren. Die lateinische und juristische Argumentation führt im Ergebnis zu einer kommunikativen Exklusivität, die von den erfahrenen Juristen massiv gefördert wird. Wer nicht studiert hat, kann am doppelten Diskurs nicht oder nur mit Mühe teilnehmen. De facto wird auf diese Weise das Lateinische zwar nicht zur exklusiven, wohl aber zur dominanten Sprache zumindest der geistlichen Gerichte. Nur bei den weltlichen Gerichten bleibt, wie Durant bemerkt, der Zwang zur Volkssprache unangefochten bestehen: Si autem iudex sit illiteratus, [...] quia forte est baro uel comes, tunc sic debet aduocatus proponere, ut a iudice intelligi possit, alias enim iudicare non posset,55
In diesem unangenehmen Fall muss der Jurist somit auf seine juristische ,Fachsprache' verzichten - ein in diesem Falle doppeldeutiger Begriff: Denn der Anwalt muss nicht nur die für den Außenstehenden komplizierten juristischen Termini und Argumentations komplexe vermeiden, sondern er unterliegt auch noch der kommunikativen Pflicht, die lateinische Sprache der Rechtsquellen in die geforderte Volkssprache zu transponieren (entweder selbst oder mit Hilfe eines ad hoc hinzugezogenen Übersetzers).
53 54 55
Durantis, 1 5 7 4 / 1 9 7 5 , Tom. I, S. 277. Durantis, 1 5 7 4 / 1 9 7 5 , Tom. I, S. 277. Durantis, 1 5 7 4 / 1 9 7 5 , Tom. I, S. 277.
2. Das Latein des kurialen Zeremoniells: Agostino Patrizi und die Ordines Romani
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2. Das Latein des kurialen Zeremoniells: Agostino Patrizi und die Tradition der Ordines Romani Die Berechenbarkeit ist eine zentrale Voraussetzung für die öffentliche lateinische Kommunikation an der päpstlichen Kurie. Gut untersucht sind in diesem Zusammenhang allerdings bisher nur die lateinischen proposiciones aus humanistischer Zeit. 56 Der zeremonielle Charakter öffentlichen Kommunizierens innerhalb der Kurie zeigt sich jedoch darüber hinaus in nahezu allen Bereichen. Kuriale Mündlichkeit wird insbesondere in den verschiedenen Fassungen des „Ordo Romanus" geregelt, 57 welcher das Drehbuch für die Regie der Handlungen und Wortbeiträge bereitstellt. Schon die frühesten Fassungen des „Ordo" enthalten zahlreiche lateinische Formeln, die von den Beteiligten auswendig gelernt und innerhalb der Liturgie und bei anderen zeremoniellen Handlungen des Priesters verwendet werden können (und sollen). Diese Formeln prägen die standardisierten Kommunikationssituationen. Hierbei lässt sich beobachten, dass die Gesprächsanweisungen an Detailfülle und Explizität beständig zunehmen. Kontinuierlich steigt auch die Zahl der Formeln, so dass am Ende des 15. Jahrhunderts die standardisierte Kommunikation weitgehend gefestigt ist. So bietet etwa Agostino Patrizi (ca. 1435-1495), langjähriger päpstlicher Zeremonienmeister, 58 in seiner Darstellung des kurialen Zeremoniells (explicatio ordinatioque sacrarum ceremoniarumf* zahlreiche Texte und Textpassagen, welcher sich die kurialen Akteure zu bedienen haben. Die für feierliche Proklamationen bereitgehaltenen Texte sehen etwa vor, was der Papst sagen soll, wenn eine Allianz zur Bekämpfung der Heiden geschlossen worden ist; und es existiert selbstverständlich auch eine Textvariante, die auf den (ideologisch weniger bequemen) Fall anwendbar ist, dass eine Koalition gegen einen christlichen Feind begründet worden ist (Si vero hostes sunt chrisiiani, dicantur iste orationes: ...). 6 0 Die Zeremonienbücher le-
56 57 58
59 60
Zu den lateinischen Predigten und Lobreden der Kurie im 15. und 16. Jahrhundert vgl. O'Malley, 1979. Ed. Andrieu, 1948-1961. Neueste bibliographische Angaben zu Person und Werk bei Lapidge / Garfignini / Leonardi (= CALMA), I, 2003, S. 526-530, s.v. Vgl. darüber hinaus Klöckener, 1986, S. 18-21. Ed. Dykmans, 1,1980. Liber I, Titulus X I 2 (491 f.); ed. Dykmans, II, 1982, S. 179 f.
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II. Normative Traktate und Modelle
gen ferner fest, wie die feierliche Prüfung und Ernennung einer Person zum Bischof kommunikativ bewältigt werden kann. Wie der sog. „Ordo Romanus XXXIV" vorschreibt (Kap. 14—45: Iterum quomodo episcopus ordinatur),ex soll die Delegation des Bischofssitzes, zu der auch der Elekt gehört, den Papst aufsuchen und um die Bestätigung der Wahl bitten. Von der Kurie wird aus dieser Delegation zunächst ein Sprecher bestimmt, sodann wird sie hereingeführt. Der zu inszenierende Dialog kann beginnen:62 Et, dum fuerint introducti, interrogantur a domno apostolico sie: „Quid est, fratres, quod vos fatigastis?" Uli respondent: „ Ut nobis, domine, concedas patronum. " Respondit domnus apostolicus: „Habetis vestrum ? " Respondent: „Habemus." „Quo honore fungitur?" Respondent]: „Diaconus", „presbyter", aut quodfuerit. Interrogantur: „Quantos annos habet in diaconato autpresbiterato?" Respondent] quantos et quomodo. Domnus apostolicus dicit: „De ipsa ecclesia est, an de alia?" Respondent]: „De ipsa."
Auch die Möglichkeit, dass der Kandidat einer fremden Diözese angehört, wird antizipiert und alternativ durchgespielt: Et, si dixerit „De alia", dicit domnus apostolicus: „Dimissoriam habet ab episcopo suo?" Rjesp[ondent]: „Habet." Ei mox offerunt eam.
Das überreichte Schreiben kann nun zunächst gelesen werden. Hierauf befragt der Papst den Sprecher der Delegation nach dem Grund der Wahl dieses Kandidaten: Domnus apostolicus dicit: „Quid vobis complacuit de eo?" Resp[ondent]: „Et castitas, hospitalitas, benignitas et omnia bona quae Deo sunt placita." Domnus apostolicus dicit: „ Videte, fratres, ne aliquam promissionem fecisset vobis. Scitis quod simoniacum est et contra canones. " Respondent]: lrAbsit a nobis. " Domnus apostolicus dicit: „ Vos videritis. "
Der Sprecher darf sich hier auf die grundsätzliche Beteuerung beschränken, dass die Wahl nicht durch den simonistischen Akt der Bestechung, sondern rechtmäßig erfolgt sei. Eine genauere mündliche 61 62
Ed. Andrieu, III, 1 9 5 1 , S. 6 0 1 - 6 1 9 . Ed. Andrieu, III, 1 9 5 1 , S. 608 f. (ebenso die folgenden Zitate dort S. 609 f.).
2. Das Latein des kurialen Zeremoniells: Agostino Patrizi und die Ordines Romani
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Befragung durch den Papst, welche auch die Prüfung der Qualifikation des Kandidaten einschlösse, sieht der „Ordo" nicht vor. Der Antragsteller ist somit von der lästigen Aufgabe befreit, die Einzelheiten der Wahl in lateinischer Sprache zu begründen. 63 Es folgt eine weitere Frage, die den Sprecher ebenfalls nicht überraschen kann: Et iterum dicit: „Habetis decretum?" Respondent]: „Habemus. " Et, dum eum [sc. librum] offerunt, iubet sacellario ut relegatur.
Damit ist der mündliche Teil der Prüfung vorerst abgeschlossen. Das Gespräch wechselt in das Medium der Schriftlichkeit über. Nachdem der Beschluss, in welchem die Wahl des Kandidaten begründet wird, verlesen worden ist, führt man den Elekten herein. Der Papst befragt ihn: Domnus apostolicus interrogat eum: „Quid te fatigasti, frater?" Resp[ondet]: „Ad quod non sum dignus isti confamuli met me adduxerunt. " Et dicit: „QuoM honore fungeris?" Rtspondet: „Diaconus", aut „presbyter", velquod est. Et interrogat eum domnus apostolicus: „Quantos annos habes in diaconatu aut in presby terato?" Resp[ondet] quantos.
In seinem „Pontificale Romanum" behandelt der bereits erwähnte Guillaume Durant ebenfalls die Bischofsordination [cap. XIV. De examin atione, ordinatione et consecratione episcopi) ,65 reichert die Kommunikation jedoch mit einem interessanten Detail an: 66 Interrogat: „Quot annos habes in presbiteratu?" Rtspondet: „Decem " vel tot. Si vero forsan ipsa die, vel infra breve tempus fuerit ab eo in presbiterum respondet: „Tu scis, domine. "
63
64 65 66
ordinatus,
Dass eine kritische Prüfung zumindest im hohen Mittelalter auch mündlich erfolgen kann, demonstriert etwa ein Bericht Guiberts von Nogent (Guibert von Nogent, De vita sua, III 4; ed. Labande, 1981, S. 286-288): Als im Jahre 1107 die Kirche von Laon den in Langres anwesenden Paschalis II. um die Bestätigung der Wahl des Galdricus bittet, begnügt sich der Papst nicht mit einer allgemeinen Beteuerungsformel, sondern fragt, warum man denn einen vollkommen unbekannten Kandidaten gewählt habe. Unter den Anwesenden sieht sich nur Guibert in der Lage, hierauf in einer lateinischen Rede zu antworten; vgl. hierzu Haye, 1999, S. 40 f. Bei Andrieu falschlich Quod. Ed. Andrieu, 1940, S. 374-393. Ed. Andrieu, 1940, S. 377.
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II. Normative Traktate und Modelle
Indem der Kandidat auf solche Weise an das — auf schriftliche Quellen — gestützte Vorwissen des Fragestellers appelliert, kann er sich selbst mit der sprachlich und intellektuell anspruchslosen Formel Tu scis begnügen. Der „Ordo XXXIV" geht sodann auf die Frage der Ehe ein: 67 herum interrogat eum domnus apostolicus: „Habuisti coniugium et de domo tua disposuisti?" llle resp[ondet], si habuit, aut non, et si de domo sua disposuit.
Auch zu dieser Frage bietet Durant einen noch ausgefeilteren Sprachalgorithmus an: 68 Interrogat: „Habuisti coniugium?" Respondet: „Minime." Si forte habuerit et per ipsum consecratorem eius electio examinata et confirmata fuerit, respondet: „Tu sets, domine. " Interrogat: „Disposuisti domui tue?" Respondet: „Disposui."
Im „Ordo XXXIV" wird auch der Elekt hierauf nach dem rechtmäßigen Verlauf der Wahl befragt: 69 Et iterum interrogatur a domno apostolico si aliquam dationem aut promissionem cisset. Resp[ondet]: tyAbsit."
fe-
Die theologische Qualifikation des Kandidaten wird im Rahmen der mündlichen Befragung allerdings nur oberflächlich geprüft: 70 Iterum domnus apostolicus interrogat eum: „Quales codices in ecclesia tua leguntur?" Resp[ondet]: „Octatheucum, regnorum, prophetarum, actuum apostolorum, evangelium et apostolum. " Domnus apostolicus interrogat: „Nosti kanones?" B*esp[ondet]: „Doce nos, domine. " Dicit domnus apostolicus: „Ordinationem sifeceris, aptis temporibus fac, id estprimi, quarti, septimi et deeimi mensis. Bigamos aut curiales ad sacros ordines ne promoveas. Attamen dabitur tibi edictum de scrinio quomodo debeas conversari. "
Eine echte Instruktion ist im öffentlichen Raum nicht vorgesehen. Stattdessen erhält der Kandidat schriftliche Anweisungen, die er, falls nötig, nach der mündlichen Befragung ausführlich studieren kann. Guillaume Durant lässt hier in seiner Fassung die ausdrückliche Mahnung folgen, dass sich der Kandidat als Bischof nicht bestechen 67 68 69 70
Ed. Ed. Ed. Ed.
Andrieu, Andrieu, Andrieu, Andrieu,
III, 1 9 5 1 , S. 610. 1940, S. 377. III, 1 9 5 1 , S. 610. III, 1 9 5 1 , S. 6 1 0 f .
2. Das Latein des kurialen Zeremoniells: Agostino Patrizi und die Ordines Romani
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lassen dürfe. Wiederum kann sich der Elekt in diesem Abschnitt des formalisierten Gesprächs auf eine knappe Antwort beschränken: 71 Respondet: „Absit." Et metropolitanus dicit: „Tu videris. Quia ergo omnium vota in te conveniunt, hodie abstinebis et eras, Deo annuente, consecraberis. " Respondet: „Precepisti, domine. "
Hierauf kann sich der Elekt zurückziehen; er hat die Prüfung bestanden. Falls er jedoch nicht für würdig befunden worden wäre, so hätte dies zweifellos nicht an seinen mangelnden Lateinkenntnissen gelegen. Denn eine in dieser Weise programmierte Kommunikation kann auch ein sprachlich weniger begabter Kandidat durch schlichtes Auswendiglernen bewältigen. Seine Antworten dürfen (nahezu im wörtlichen Sinne) einsilbig ausfallen: Die meisten der von ihm zu produzierenden Sätze bestehen nur aus einem einzelnen Wort. Auch wenn auf Betreiben einer politischen Instanz ein Kanonisationsverfahren durchgeführt werden soll, ist die verbale Verhandlung des Falles frei von kommunikativen Überraschungen, wie etwa Patrizis Angaben illustrieren. 72 So soll der für den Fall zuständige Anwalt während eines öffentlichen Konsistoriums in einer ausgedehnten lateinischen Rede das geforderte Loblied nach festem Schema singen: Zuerst muss er die Lebensweise, die Taten und Wunder des Heiligzusprechenden ausführlich darlegen. Anschließend ist er gehalten, im Namen jener Instanzen, die das Verfahren betreiben, den offiziellen Antrag auf Kanonisation zu stellen. Auch die sprachliche Reaktion des Papstes ist programmiert: Nach Anhörung des Anwalts soll der Pontifex die oratorische Kompetenz des Advokaten rühmen und sagen, „dass er mit Vergnügen eine so wunderbare Verherrlichung dieses Menschen vernommen habe, dass er sich jedoch den Fall zusammen mit seinen Brüdern [sc. den Kardinälen] reiflich überlegen wolle 71 72
Ed. Andrieu, 1940, S. 377. Fit post hec publicum consistorium, in quo pontifex [...] residet, et advocatus cause longa oratione proponit vitam, gesta et miracula canoni^andi; et demum supplicat nomine prineipum et populorum, qui de ea re scripserunt, bone memorie talem ascribendum esse a sua sanetitate in catalogum Christi sanctorum, utque a cunctis fidelibus pro saneto veneretur decernendum. Pontifex, audito advocato, laudat eius facundiam, didt libenter se audivisse tarn miranda illius viri precoma, velle tarnen super hac re maturius cum fratribus suis deliberare, bortari atque monere omnes ut divinam clementiam implorent, quatenus dignetur inspirare in mente sua et fratrum suorum sanete Romane ecclesie cardinalium, atque omnium prelatorum, quorum consilio in tanto negotio sit usurus, ea que sue placitura sunt divinitati, neque permittat errare Hcclesiam suam sanetam. His dictis finitur consistorium. L i b e r i , Titulus VI 3 (290 f.); ed. Dykmans, 11,1982, S. 119.
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II. Normative Traktate und Modelle
und dass er alle dringend dazu auffordere, die Gnade Gottes zu erflehen, auf dass dieser [sc. Gott] geruhe, ihm [sc. dem Papst] und seinen Brüdern, den Kardinälen der Heiligen Römischen Kirche, und allen Prälaten, auf deren Rat er sich in einer so bedeutenden Angelegenheit stützen möchte, einzugeben, wozu sich seine Göttlichkeit entschließen werde, und dass er [sc. Gott] nicht zulassen möge, dass sich seine Heilige Kirche irre." Hierauf wird das Konsistorium beendet. Die lateinische Mündlichkeit dieser beiden kommunikativen Akte erfordert von keinem der Beteiligten eine exzeptionelle Sprachkompetenz: Der Anwalt kann sich bei seinem Vortrag auf die schriftlichen Berichte über den Heiligzusprechenden stützen; der Papst darf sich auf wenige formelhafte Kommentare beschränken, die leicht auswendig zu lernen sind. Die anwesenden Kardinäle sind lediglich gehalten, sich die Reden der beiden Akteure anzuhören; sie müssen jedoch nicht selbst das Wort ergreifen. Aufgrund der sprachlichen Standardisierung des Verfahrens dürften sie das Gesagte in der Regel mühelos verstehen. Damit endet die ritualisierte lateinische Kommunikation. Die weiteren Schritte des Verfahrens werden in nichtöffentlichen Gremien verhandelt, deren sprachliche Regeln im Dunkeln liegen. Ein dem Kardinal Jacobus Caietanus zugeschriebener „Ordo" 73 aus dem beginnenden 14. Jahrhundert stellt darüber hinaus den eigentlichen Akt der Kanonisation dar (Cap. CXI: De canonisatione unius sancti), dessen Mündlichkeit grundsätzlich monologisch und daher wiederum für alle Beteiligten berechenbar ist. 74 Und wenn der Inha73 74
„Ordo XIV" bei Migne, PL78, Sp. 1121-1274. Ipsa die canoni^ationis mane, descendente papa ad ecclesiam, occurrat processio; post quam recipit dominus papa cardinales et praelatos, ut moris est, ad reverentiam in medio ecclesiae [...]. Dominus papa babens mitram, et manto indutus stans vel sedens praedicat. Finita praedicatione, praedicit se oraturum; hortatur ut orent. Incipit, Veni Creator' cum nota, et genu flectit, et post statim surgit; caeteri prosequuntur, si placebit. Diaconus a dextris dicet ,Flectamus genua', et dominus papa et caeteri basse et secrete orabunt; et post morulam diaconus, qui est a sinistris, dicet ,Le vate'; et dominus papa et omnes surgent. Dominus papa stans cum mitra definit sanctorum catalogo ascribendum [...]. Incipit sine mitra ,Te Deum laudamus' cantando, quod caeteri prosequuntur. Diaconus α sinistris dicit ,Ora pro nobis', etc., ,alleluia'; caeteri respondent ,Ut digni', etc., , alleluia'. Dominus papa dicit,Dominus vobiscum', respondetur ,Et cum spiritu tuo. Oremus', et dicit Orationem, finiendo ipsam, ,Per Christum Dominum nostrum, amen.' Tunc diaconus qui est α sinistris dicit ,Confiteor', etc., ut moris est, et faciat mentionem de beato N. confessore in suis locis. [...] Forma pronuntiandi seriöse erit talis: ,Ad honorem Dei omnipotentis Patris et Filii et Spiritus sancti, et exaltationem fidei et christianae religionis augmentum, auctoritate ipsius omnipotentis Patris et Filii et Spiritus sancti, beatorum Petri et Pauli et nostra, de fratrum nostrorum consilio decernimus et defini-
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ber des apostolischen Stuhles zusammen mit seinen Kardinälen in einem nichtöffentlichen Konsistorium beschließt, einen Legaten zu entsenden, steht nach Auskunft Patrizis ebenfalls bereits weitgehend fest, welcher Worte sich die Beteiligten zu bedienen haben: 75 Pontifex, omnibus considentibus, exponit qualiter confisus de virtute, prudentia, etc., illius, de consilio fratrum designaverit ilium legatum apostolicum ad tales partes, iniungitque ei onus legationis. llle, ut primum pontifex ad eum sermonem convertit, assurgit et, ut pontifex finivit, detecto capite, agit gratias sanctissimo domino nostro et sacro senatui de bona eorum opinione erga suam insufficientiam, et modestissimis verbis excusat se et rogat ut id onus melioribus et peritioribus committatur. Ut tandem, instante pontifice, ojfert separatum ad obedientiam, agit iterum gratias [.. .].1G
Der Pontifex stellt seinen Kardinälen den zukünftigen Legaten vor und spricht ihm nach den Regeln der persönlichen Lobrede und unter Verwednung des Tugendschemas sein Vertrauen aus. Anschließend erfolgt die offizielle Ernennung des Legaten. Wenn der Papst das Wort an ihn richtet, erhebt er sich. Hierauf reagiert der Kandidat mit einer ebenfalls formelhaften Rede: Er spricht dem Pontifex und dem Kardinalskollegium seinen Dank aus für ihr Vertrauen. - Dieses sei allerdings nicht gerechtfertigt, da die Aufgabe seine Fähigkeiten übersteige. In bescheidenen Worten entschuldigt er sich für seine Inkompetenz und bittet darum, dass man die Legation einem besser geeigneten und erfahreneren Kandidaten übertrage. Dieser Weigerung zum Trotz besteht der Papst auf seiner Entscheidung. Schließlich erklärt sich der Legat zum Gehorsam bereit. Seine Rede schließt mit einem Wort des Dankes. - Die oralen Akte dieser Kommunikation sind somit bis in das Detail programmiert. Selbst das retardierende Moment der anfänglichen Weigerung ist fester Bestandteil des Rituals und daher nicht etwa eine kommunikative Hürde, welche ein größeres Maß an verbaler Flexibilität erfordern würde. Noch bevor der zukünftige Legat den Raum betritt, in dem das Konsistorium stattfindet, weiß er genau, mit welchen Worten er die angebotene Aufgabe zunächst aus Bescheidenheit ablehnen, schließlich jedoch in Demut annehmen muss. Die lateinische Oralität der beiden Sprecher ist keine innovative, sondern eine ausschließlich repetitive Leistung.
75 76
mus bonae memoriae Ν. quondam episcopum [...] sanctorum catalogo ascribendum, quam sanctum esse ab omnibus venerandum [...].' Migne, PL78, Sp. 1249-1250. Vgl. Wasner, 1958, S. 305 f. Liber I, Titulus VIII9 (420f.); ed. Dykmans, II, 1982, S. 157.
et tan-
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II. Normative Traktate und Modelle
Nicht erst bei Patrizi, sondern schon in jenem dem Kardinal Jacobus Caietanus zugeschriebenen „Ordo" ist die Beauftragung von Kardinallegaten detailliert dargestellt (Cap.CXVIII: De creatione cardinalium legatorum, vel nuntiorum).77 Zunächst wird ausführlich beschrieben, wie der Papst sich von den Kardinälen einzeln darüber beraten lässt, ob die Entsendung eines oder mehrerer Legaten notwendig ist. Das Ergebnis fasst er anschließend zusammen: Et consiliis completis, postmodum perpapam interdum sumpta aliqua auctoritate, sed ipsam parum prosequendo, regulariter tarnen sine assumptione auctoritatis, ibidem vel in crastinum, secundum quod papae placuerit, dicitur per dictum papam: „Omnes" (vel „major pars fratrum nostrorum") „concordant" (vel „concordat") „in unam personam " (vel „duaspersonas" vel „plures", si duae velplures sint mittendae). „Et nos de consilio ipsorum fratrum nostrorum ordinamus quod vos talis" (vel „tales", si sint duo vel pluresj „vadatis ad tales partes, et paretis vos ad eundum " etc.ls
Auch hier zeigt sich die schon bekannte Mischung aus traditionsbedingter Formelhaftigkeit und situationsbezogener Flexibilität: Erstere ermöglicht eine stabile und berechenbare, weil meta-situative Kommunikation; letztere erlaubt es dem Sprecher, seine Rede auf den konkreten Fall zu adaptieren. So kann der Papst selbst entscheiden, ob er seiner Rede ein Bibelzitat voranstellen möchte oder nicht (auslegen soll er es jedoch in keinem Falle). Ferner muss er seine Rede selbstverständlich an das Ergebnis der Umfrage anpassen, indem er die bereitgestellten Formeln auf die Zahl der zu entsendenen Legaten abstimmt. Sein verbaler Ermessensspielraum ist jedoch recht klein: Interdum vero papa consuevit addere post verbum „Ordinamus" „Et injungimus",79 Bereits in dieser Fassung des „Ordo Romanus" findet man die gleichen Formeln und Weigerungsriten wie bei Patrizi: 80 Quo dicto per papam, cardinalis mittendus ibidem consuevit sumere aliquam auctoritatem, et aliqualiter se excusare, quod ipse non est sufficiens ad id quod dominus papa eum ordinavit mittendum; sed ejus excusatione non admissa per papam, cardinalis ipse venit ad osculum pedis et oris papae [.. J.81
Bei ihrer Rückkehr werden die Legaten im Konsistorium empfangen. Nach der Überreichung einiger Souvenirs 82 ist wiederum eine stan77 78 79 80 81
Migne, PL 78, Sp. 1270-1274. Migne, PL 78, Sp. 1270 f. Migne, PL78,Sp. 1271. Vgl. Wasner, 1958, S. 302f. Migne, PL78, Sp. 1271.
82 Item notandum quod cardinaks legati vel nuntii in regressu de legatione sua consueverunt cardinalibus in curia remanentibus aliqua, proutplacet, dare jocalia. Migne, PL 78, Sp. 1274.
2. Das Latein des kurialen Zeremoniells: Agostino Patrizi und die Ordines Romani
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dardisierte und wohl auch schriftlich präparierte Kommunikation vorgesehen: Zunächst lobt der Papst in einer collatio die Bemühungen und Verdienste der Legaten, 83 anschließend müssen diese — ebenfalls in der Form einer collatio - Bericht erstatten. 84 Hier kann der „Ordo Romanus" den Legaten allerdings keine Hilfe leisten: Ein solcher Gesandtschaftsbericht ist ein so situationsgebundener Texttyp, dass er nicht durch eine Serie allgemeingültiger Formeln gestützt werden kann. Die Legaten sind somit weitgehend auf sich allein gestellt. Um die bevorstehende, kommunikativ anspruchsvolle Redesituation daher gleichwohl erfolgreich bewältigen zu können, müssen sie ihren mündlichen Bericht zuvor schriftlich ausarbeiten - eine Leistung, für die sie Zeit benötigen: Si autem ipsi legati vel nuntii non erunt parati rum adventum, consuevit eis designariperpapam
referre in proximo consistorio certa dies ad referendum.85
post
eo-
Ausgerüstet mit einem in der Zwischenzeit angefertigten Schriftstück, können die Legaten nun ihren Bericht im Konsistorium vortragen. Auch die feierliche Kür neuer Kardinäle wird im genannten „Or86 do" des frühen 14. Jahrhunderts ausführlich beschrieben (Cap. CXVI: Caerimoniae et solemnitates solitae servari in creatione novorum cardinalium).87 Zunächst erfolgt eine Erhebung des Bedarfs:
83 Quibus residentibus, papa reäpit aliquod thema, et facti quamdam collationem ad commendationem et laudem ipsorum legatorum vel nuntiorum, prout videturpapae; in qua collatione ipsi legati vel nuntii sedent in locis suis, capitibus omnino discoopertis, etiam absque biretis; et sie est quandiu laus et commendatio illius collationis ipsis diriguntur per papam; et ipsa collatione finita, remanent tlla die omnes cardinales ad comedendum cum papa. Migne, PL 78, Sp. 1272. Eine spätere Notiz zum „Ordo Romanus XIV" ergänzt, dass eine solche Rede des Papstes nur unter Benedikt XII. (1334-1342) und Clemens VI. (13421352) üblich gewesen sei: Oicta namque collatio, quae fit per papam in adventu nuntiorum, vel legatorum, fuit introdueta per dominum Benedictum papam XII, et observata per dominum dementem VI. Tarnen temporibus domini Clementis V et domini Joannis XXII non observabatur. Migne, PL 78, Sp. 1272. Zum Genre der collatio vgl. Offler, 1955, S. 126. 84 In primo vero consistorio secuta dicti nuntii vel legati referunt, seu relationem faäunt de gestis per eos in legationibus suis; et hoc per modum collationis, reäpiendo thema aliquale. Et istud servatur, etiamsi sint duo legati vel nuntii, sive plures, pro quibus facit suam relationem per modum collationis. Migne, PL 78, Sp. 1272. 85 Migne, PL 78, Sp. 1272; dort fälschlich per statt post. 86 Migne, PL78, Sp. 1121-1274. 87 Migne, PL78, Sp. 1259-1267.
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II. Normative Traktate und Modelle
Die Mercurii quatuor temporum dominus papa in consistorio consuevit quaerere a cardinalibus an expediat fieri creationem novorum cardinalium faciendo ibi primitus aliqualem brevissimam collationem, quod expediat creare novos cardinales^ D i e hier v o m Pontifex gehaltene collatio ist ein Musterbeispiel kurialer ,Wiedergebrauchsrede', da der T e x t eine hochgradig standardisierte Situation bewältigt, welche in der Regel nur geringfügige inhaltliche u n d sprachliche A d a p t a t i o n e n erfordert. Hierauf antworten die Kardinäle: Cardinales vero postea omnes quilibet secundum ordinem suum consueverunt re et consulere an expediat fieri, vel non.m
responde-
D i e nicht nur diese, sondern auch die folgenden Passagen durchzieh e n d e n F o r m e n des V e r b s consuescere zeigen den konventionalisierten, m e h r noch: ritualisierten Charakter der K o m m u n i k a t i o n . N a c h der A n t w o r t der Kardinäle erfolgt die Entscheidung des Papstes: Quo facto, dominus papa consuevit dicere: „Nos sequimur consilium dicentium, quod fiant" vel „non fiant", secundum quod melius videbitur ei faciendum. Et ubi eligit viam quod fiant immediate, interrogat cardinales de quanto numero videtur eis faciendum. Quo responso per eos ut supra, dominus papa dicit: „Nos sequimur consilium dicentium, quod fiant usque ad talem numerum. " Deinde ibidem dicit: „Cogitabimus, et cogitetis de personis nominandis, et die Veneris proxima agemus super its Deo dante. "90 E i n e spontane Mündlichkeit wird hier konsequent vermieden. Die V o r s c h l ä g e k ö n n e n in der Zwischenzeit schriftlich eingereicht und g e s a m m e l t w e r d e n . A u f der nächsten Sitzung hört sich der Papst die (schriftlich präparierten) M e i n u n g e n der Mitglieder des Konsistoriu m s zu den vorgeschlagenen Kandidaten an u n d fasst sie anschließ e n d z u s a m m e n . D a r a u f h i n erhebt er die für w ü r d i g b e f u n d e n e n Personen unter Z u h i l f e n a h m e der jeweils passenden F o r m e l in den Kardinalsstand: Quo facto, dominus papa consuevit eis dicere: „Deo gratias, nos habemus de personis concordiam omnium fratrum" vel qui minimum vel majoris partis, secundum quod fuerint, nihil tarnen aliud supra ipsa concordia specifice exprimendo, et immediate ipse ibi creat cardinales tarn praesentes in curia quam absentes, dicendo: „Auctoritate Dei omnipotentis, sanctorum apostolorum Petri et Pauli, et nostra, talem, si sit praelatus, absolvimus a vinculo, quo tenebatur ecclesiae suae; et ipsum assumimus in presbyterum sanctae Romanae Ecclesiae cardinalem." Ubi vero ille non esset praelatus, dicit:
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Migne, PL78, Sp. 1259. Migne, PL78, Sp. 1259. Migne, PL78, Sp. 1259.
2. Das Latein des kurialen Zeremoniells: Agostino Patrizi und die Ordines Romani
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„Talern assutnimus in presbyterum, vel diaconum sanctae Romanae Ecclesiae cardinalem [...
Nachdem die Namen der neuen Kardinäle im Konsistorium verlesen worden sind, werden diese hereingeführt und vom Papst durch (sprachlich wie sachlich) allgemein gehaltenene Ermahnungen instruiert.92 Im Verlaufe der Zeremonie wird die Unterweisung vertieft.93 Bei der Einführung in das neue Amt wird auch die offizielle apertio oris durch eine konventionalisierte Mündlichkeit klar geregelt: Et tunc dominus papa, proposita aliqua auctoritate, [...] ora ipsorum aperit, dicendo: „Nos aperimus tibi os" (vel „vobis", si sintplures) „tarn in collationibus, quam consiliis, et in electione Romani ponttficis, et in omnibus actis, tarn in consistorio, quam extra, quae ad cardinales spectant, et quos sunt soliti exercere. "94
Die Kardinäle sind hingegen von der Last einer weiteren Kommunikation befreit: Ipsi vero ad proposita non respondent,95 Während der „Ordo Romanus" des frühen 14. Jahrhunderts die mündliche Instruktion der frisch gekürten Kardinäle nur in indirekter Rede wiedergibt, erteilt Patrizi präzise Vorschläge zur sprachlichen Ausgestaltung der päpstlichen Rede: Pontifex in banc ferme sententiam eos alloquitur: „Maxima, dilectissimi filii, et excellentissima dignitate donati estis. Ad collegium apostolicum vocati, consiliarii nostri et coniudices orbis terrarum eritis [...]. Successores apostolorum circa thronum nostrum sedebitis, vos senatores urbis et regum similes eritis, veri mundi cardines, super quibus militantis ostium ecclesie volvendum ac regendum est. Cogitate animo quos viros, que ingenia, quam integritatem hec dignitas requirit. [...] Sint libri sacri semper in manibus vestris, dies noctesque, aut discite aliquid, aut alios docete. Opera e f f i cite per que lux vestra coram hominibus luceat. Et denique tales estote, quales esse debere cardinales diiudicastis antequam ipsi hoc culmen ascenderitis. "96
Der Pontifex gratuliert den neuen Mitgliedern des Kollegiums. Er führt ihnen ihre neue Stellung und die daraus resultierende Verant91 92
Migne, PL78, Sp. 1260; dort fälschlich ipsum assumus statt ipsum assumimus. [...] et tunc dominus papa debet dicere novis cardinalibus aliqua ad instructionem eorum, quales debent esse in consiliis, et aliis agendis. Migne, PL78, Sp. 1261. 93 Et tunc dicit eis, qualiter debeant [im Druck fälschlich: debent] cum reverentia loqui in consistorio, cum loquentur aliis cardinalibus, etc.; cum loquentur, tarn in viam consilii, quam in viam collationis, non contradicendo seu impugnando dicta aliorum cardinalium, sed alia dicendo prudenter et cum reverentia, quod eis Dominus ministrabit; et qualiter etiam alios cardinales debeant honorare; qualiter etiam in consiliis dandis debeant Deum prae oculis [im Druck fälschlich: osculis] habere, et in mente et in ore tunc temporis sanctitatem etpuritatem habere, remota omniumpartialitate amoris, odii, velfavoris. Migne, PL 78, Sp. 1262. 94 Migne, PL78, Sp. 1264. 95 Ebenda. 96 Liber I, Titulus VIII 6f. (372f.); ed. Dykmans, II, 1982, S. 144f.
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II. Normative Traktate und Modelle
wortung vor Augen. Sodann ermahnt er sie, durch ein angemessenes moralisches Verhalten der neuen Verantwortung gerecht zu werden und den eigenen früheren Idealen treu zu bleiben. Seinem Textbeispiel fügt Patrizi zudem eine kurze historische Notiz an: His verbis usus est Pius II pontifex maximus cum primos suos cardinales creavit. Durch diesen Hinweis auf die humanistische Provenienz erhält die Modellrede ein zusätzliches autoritatives Gewicht. Abschließend erläutert Patrizi, wie mit einem solchen Modell zu verfahren sei: Potent pontifex, pro sua eloquentia et doctrina, mutare et addere prout sibi expediens videbitur. Nos pro introduction et formula quadam hec posuimus. Facile erit deinde inventis addere, et pro qualitate temporis et personarum variare.97
Je nach eigener Redegabe und Bildung können die Nachfolger Piccolominis den Text entweder unverändert übernehmen oder nach eigenem Gutdünken sowie entsprechend der personellen Konstellation und den zeitlichen Umständen modifizieren. Unabhängig von der Frage, ob der jeweilige Amtsinhaber latinistisch ambitioniert ist oder nicht, kann das Publikum eine solche Rede aufgrund der sprachlichen wie inhaltlichen Berechenbarkeit mühelos verstehen. Der als Humanist auf dem apostolischen Stuhl bejubelte Pius zeigt sich in diesem Falle allerdings selbst wenig innovativ, da sich seine Rede sprachlich weitgehend mit jenen Modelltexten deckt, welche die rhetorischen und juristischen Handbücher des 13. Jahrhunderts (Boncompagno da Signa, Aegidius de Fuscarariis, Guillaume Durant) jenen Advokaten anbieten, die einen Prozess vor dem päpstlichen Appellationsgericht führen müssen. So heißt es etwa ganz ähnlich in Durants „Speculum iudiciale": 98 Cum ecclesiae Dei sitis principals bases, et columnae, utpote qui uestrorum uirtutibus meritorum uicarii Iesu Christi lateri assistitis, qui mundi cardo est: et uos exinde dicimini cardinales, quorum prouidentia et consilio mundus uelut ostium cardine gubernatur, confidenter ad uos possunt recurrere, qui iusticiam alibi nequeunt obtinereP
Es wäre unangemessen, den Redner dafür zu rügen, dass er die Textmodelle des hohen Mittelalters bis in das sprachliche Detail nahezu unverändert übernimmt. Die orale Latinität der Kurie beruht auf einem kommunikativen Konsens, den ein Pontifex selbst dann nicht einseitig aufkündigen könnte, wenn es in seiner Absicht läge. Sprach97 98 99
Liber I, Titulus V I I I 7 (374); ed. Dykmans, II, 1982, S. 145. Ahnliche Formulierungen bei Boncompagno, Rhetorica novissima, ed. Gaudenzi, 1892, S. 263. Durands, 1574/1975, Tom. I, S.276.
3. Das Latein der Provinzialkonzilien: Das Pontificale Romanum
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liehe Innovation und rhetorische Originalität wären im vorliegenden Redekontext depla2iert; im Gegenteil: Jede tiefgreifende Modifikation der tradierten Oralität würde eine unwillkommene Erhöhung der kommunikativen Hürde bedeuten. 100
3. Das Latein der Provinzialkonzilien: Das Pontificale Romanum des 12. Jahrhunderts „Ohne das Lateinische als Universalsprache der Kirche, der Gelehrten und Diplomaten Europas wären auch die Konzilien technisch kaum denkbar gewesen". 101 Obwohl die kirchlich organisierten Großveranstaltungen zu den wichtigsten Foren gesprochenen Lateins gehören, 102 hat die Forschung den Aspekt der sprachlichen Verständigung noch zu wenig berücksichtigt. 103 Tatsächlich ist vielfach bezeugt, dass auf Synoden hochrangige Geistliche lateinische Reden gehalten haben: So sprechen Gerbert von Reims (ca. 940-1003) auf der Synode zu Mouzon-sur-Meuse (99 5),104 Guibert von Nogent (1053-1124) im Jahre 1107 in Langres, 1 « 5 Bischof Heinrich von Win100 Patrizi selbst verweist auf die hoch- und spätmittelalterliche Tradition einer etablierten Kirchensprache: Jede Veränderung (etwa durch Überarbeitung zu einem ciceronischen Latein) würde die Gefahr des Nichtverstehens in sich bergen: Admirabuntur fortasse complures diserti et latine lingue censores, quod vim proprietatemque verborum latinorum non usquequaque servaverimus, quodque plura admiscuerimus nova vocabula, que latinius diet potuissent. Quibus ingenue fatebimur ignorantiam nostram, et tarnen multa ibi esse affirmabimus, que si aliter dicerentur, non facile ab omnibus intelligerentur. Secuti sumus in his terminos a superioribus harum rerum scriptoribus usurpatos, et qui hodie etiam sunt in usu apud sacrorum ministros [.,.]. Praefatio; ed. Dykmans, I, 1980, S. 8. 101 Helmrath, 1989, S. 135. 102 Vgl. z.B. Russell, 1992, S. 55 über den Kongress von Mantua: „Mantua [...] was a meeting of Latinists." 103 So spielt etwa in den vielen Bänden der von Walter Brandmüller herausgegebenen, wissenschaftlich vorzüglichen Reihe „Konziliengeschichte" die Frage der Verhandlungssprache keine Rolle. Auch in den Handbüchern zum Kirchenrecht wird dieser Aspekt nicht angesprochen (vgl. z.B. Plöchl, Bd. 2, S. 125-128). Vgl. Helmrath, 1989, S. 126: „Das Gesandtschaftswesen der spätmittelalterlichen Konzilien bedürfte daher neuer Untersuchung." (Helmrath geht hier, S. 135-138, näher auf den Bereich „Sprachen - Dolmetscher - Übersetzungen" ein.) Vgl. auch die weiteren Forschungen von Helmrath, 1998 u. 1999. Zum Basler Konzil vgl. Helmrath, 1987, S. 5 4 - 5 8 . Zu den in Basel gehaltenen Predigten vgl. Prügl, 1994. Zum allgemeineren Komplex der „Öffentlichen Rede" vgl. Johnston, 1992. 104 Vgl. Haye, 1999, S. 17-41. 105 Vgl. Haye, 1999, S. 40.
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II. Normative Traktate und Modelle
ehester im Jahre 1139 vor den Bischöfen Englands, 106 Arnulf von Lisieux (vor 1109 - ca. 1182) und viele andere Bischöfe auf dem Konzil von Tours des Jahres 1163,107 Abt Robert von St. Albans im gleichen Jahr auf einer Synode in Westminster. 108 Die öffentliche Diskussion der hoch- und spätmittelalterlichen Konzilien ist somit grundsätzlich lateinisch dominiert. Diese lateinische Kommunikation wird erheblich dadurch erleichtert, dass der orale Ablauf einer Provinzialsynode weitgehend vorstrukturiert ist. Das „Pontificale Romanum" in der Fassung des 12. Jahrhunderts 109 vermittelt einen Eindruck davon, wie ein solches Konzil idealiter funktioniert (Ordo romanus qualiter concilium agatur)nQ\ Conveniente universe coetu sanctorum episcoporum, abbatum, presbiterorum atque diaconorum caeterorumque ecclesiasticorum in nomine domini, sive in civitate metropoH, sive in ea quam metropolitans una cum consensu episcoporum decreverit ad concilium faciendum, mane circa horam primam congregantur omnes in ecclesia maiore ubi concilium celebrandum est sedentque in ordine suo cum silentio.m
Das Treffen am vorherbestimmten Ort ist zunächst durch einen Akt nonverbaler Kommunikation bestimmt. Die Strukturierung der Teilnehmerschaft durch die Sitzordnung (in ordine suo) klärt alle Beteiligten ohne Worte über die soziale Position des Einzelnen wie auch über die Zusammensetzung der gesamten Gruppe auf; dabei steigert die vorgeschriebene Stille {cum silentio) die performative Kraft dieses nonverbalen Aktes. Hierauf erteilt der Ordo weitere liturgische Instruktionen (lateinische Gesänge und Gebete); anschließend wird festgelegt, wie der Metropolit seine Eröffnungsrede halten soll: Tunc alloquitur metropolitans concilium dicens: „Ecce beatissimi ac venerabiles consacerdotes et patres ac fratres nostri, missis Deo preeibus, sanetitatem vestram oportet ut ea quae de divinis ojficiis et sacris ordinibus aut etiam de nostris moribus et necessitatibus ecclesiasticis a nobis conferenda sunt, 106 Wilhelm von Malmesbury, Historia Novella, II 471, ed. Stubbs, II, 1889/1964, S. 551; erwähnt auch bei Richter, 1979b, S. 55. 107 Vgl. Haye, 1999, S. 143-165. 108 Vgl. Thomas Walsingham, Gesta abbatum monasterii saneti Albani; ed. Riley, 1867, S. 150; vgl. auch Richter, 1979b, S. 55. 109 Diese Fassung fließt nahezu unverändert in das spätere „Pontificale Romanum" des Guillaume Durant (ed. Andrieu, 1940) ein. Zu den Konzilsordines des frühen und hohen Mittelalters vgl. Schneider, 1996. 110 Ed. Andrieu, 1938, S. 255; vgl. auch die Ausführungen des sog. „Ordo Romanus XIV" (Migne, PL78, Sp. 1121-1274) zur Regie eines Generalkonzils (cap.CIV:
Ordo qui observatur in celebratione conaliigeneralis) (Sp. 1235-1238).
111 Ed. Andrieu, 1938, S. 255.
3. Das Latein der Provinzialkonzilien: Das Pontificale Romanum
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cum caritate et benignitate unusquisque vestrum suäpiat summaque reverentia quantum valet, domino adiuvante, perficiat, vel quae emendatione digna sunt, omni devotione unusquisque fideliter studeat emendare. Et si cui forte quod dicitur displiceat, sine aliquo scrupulo contentionis palam omnibus conferat, quatenus, Deo mediante, et hoc ad optimum statum perveniat, ita ut nec discordans contentio ad subversionem iustitiae locum inveniat nec iterum in perquirenda veritate vigor vestri ordinis vel sollicitudo tepescat. "n2
Der Erzbischof arbeitet in der Eröffnung einen standardisierten Katalog von Themen ab: Nach der Begrüßung appelliert er an die Verantwortung und Bereitschaft der Teilnehmer, sich für die Belange und Interessen der Kirche einzusetzen. Er ermahnt sie, hierbei Nächstenliebe (caritas), Güte (benignitas) und Demut (devotio) zu zeigen, d. h. den für eine solche konziliare Kommunikation notwendigen Verhaltenscodex zu beachten. Unsachliche Attacken und persönliche Angriffe sollen in der Verhandlung vermieden werden. Im nächsten Schritt ermuntert der episkopale Moderator die Versammelten zu einer freien und engagierten Aussprache, die allerdings so maßvoll sein muss, dass sie nicht etwa Streit und Zwietracht (discordans contentio) hervorruft. - Kein Metropolit ist jemals gezwungen gewesen, seine Eröffnungsrede exakt in der hier modellierten Weise zu halten. Doch wer keine eigenen oratorischen Ideen hatte oder nur über schmächtige Lateinkenntnisse verfügte, besaß immerhin die Möglichkeit, diese idealtypische Rede entweder mehr oder minder wörtlich zu übernehmen oder die thematischen Vorgaben in eigenen Formulierungen umzusetzen. Das „Pontificale Romanum" hält ferner fest, dass der Erzbischof (oder ein anderer Leiter der Versammlung) nach dieser PassepartoutEinleitung eine deutlichere sprachliche Improvisationsbereitschaft zeigen muss; thematische Phantasie ist allerdings auch hier nicht gefordert: Et consequenter aliquid de evangelio quod tunc lectum est, sive de alio quod spectet ad instructionem morum et disciplinae, si velit, metropolitanus ipse pertractet et post ipsum aliqui episcoporum et abbatum cum licentia ipsius convenienti ad synodum sermone loquantur.m
Der Metropolit soll somit seine einführenden Worte mit einer moralisierenden Predigt beschließen, deren Thema der Evangelienperikope des betreffenden Tages entnommen sein mag. (Eine solche Predigt 112 Ed. Andrieu, 1938, S. 256. 113 Ed. Andrieu, 1938, S. 256.
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II. Normative Traktate und Modelle
kann und muss er selbstverständlich schriftlich vorbereiten.) Anschließend erteilt er den Anwesenden Redeerlaubnis und eröffnet damit das freie Gespräch. - Doch wie frei ist dieses tatsächlich? Post allocutionem ergo tractent apud se de dtvinis mysteriis et de ecclesiasticis disciplinis, vel quibuslibet necessariis, canonesque ibi legantur aut Uber officiorum, nec aliquis inde transeat antequam ista omnia explicentur. Et ita totis tribus diebus agatur.w
Während der (hier idealtypischen) Dauer von drei Tagen sollen die anstehenden Probleme auf der Basis kanonistischer oder anderer kirchendisziplinarischer Texte erörtert werden. Es zeigt sich somit, dass auch die vermeintlich freien Beiträge auf einer Vorbereitung beruhen. Das Zitieren juristischer Werke bedarf einer mentalen wie textuellen Präparierung. Hierdurch wird die mündliche Diskussion in erheblichem Maße schriftgestützt und sprachlich vorstrukturiert. Auch der zweite Sitzungstag wird durch eine formelle Ansprache des Erzbischofs eröffnet, die im „Pontificale" ebenfalls modellhaft skizziert ist: Keverendisstmi et sanctissimi nobis domini et patres nostri, piam sollicitudinem vestram oportet ut, sicut hesterno admonuimus benignam mansuetudinem vestram, de divinis officiis et sacris altaris gradibus, aut etiam de consuetudine et necessitatibus ecclesiasticis quaecumque emendanda vel renovanda sunt, Caritas omnium vestrum, ubicumque noverit aliqua emendatione condigna, in medium proferre non ambigat ut, per vestrae sanctitatis Studium, domino largiente, ad optimum perveniat statum, ad laudem et gloriam nominis Christi domini nostril
Nach der Begrüßung appelliert der Erzbischof wie am Tage zuvor an die Milde und Nächstenliebe der Teilnehmer. Statt in negativer Diktion von offenkundigen Missständen zu sprechen, ermuntert er zu Erneuerung, zu weiterer .Verbesserung' und zur Erzielung eines kirchlichen Idealzustandes. Die verbalen Beiträge des Metropoliten sind somit primär durch Repetition geprägt: Sofern er seinen Text nicht ohnehin vom Blatt abliest, kann er die wichtigsten Formulierungen auswendig lernen und zu Beginn eines jeden Tages, ja sogar zu Beginn einer jeden derartigen Versammlung wiederholen. Das „Pontificale Romanum" sieht vor, dass der Metropolit am dritten Tag erneut das Wort ergreift und eine selbstkritische Abschlussrede hält. 116 Seine Arbeit ist damit beendet. Mit Hilfe der hier bereitgestellten Textmodelle hat er die geforderte lateinische Münd-
1 1 4 Ed. Andrieu, 1938, S. 256. 1 1 5 Ed. Andrieu, 1938, S. 257. 1 1 6 Ed. Andrieu, 1938, S. 258 f.
4. Das Latein der Diplomaten: die Gesandtschaftstraktate
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lichkeit bewältigt, ohne sich irgendeine latinistische Blöße gegeben zu haben. Die Oralität des Konzils wird zusätzlich noch dadurch erleichtert, dass alle freieren Wortbeiträge der Teilnehmer in einen festen liturgischen Rahmen eingebettet sind, der vollständig mit dem Medium des Lateinischen operiert. Zu einem nicht unerheblichen Teil besteht das Konzil aus gemeinsamem Gesang, gemeinsamem Gebet, gemeinsamem Schweigen. 117 Der individuelle Wortbeitrag ist somit - zumindest innerhalb der Latinität - auf ein geringes Maß beschränkt; verbale Spontaneität ist möglich, wird aber nicht unbedingt verlangt. Über die inoffiziellen, nicht vorstrukturierten Gesprächen am Rande einer Synode und die in ihnen verwendete Sprache schweigen die Quellen. 118
4. Das Latein der Diplomaten: die Gesandtschaftstraktate Obwohl die lateinische Oralität in der internationalen politischen Kommunikation zwischen den politischen Mächten des hoch- und spätmittelalterlichen Europa eine prominente Rolle spielt, 119 hat sich die reiche Forschung zur Diplomatie des Sprachenproblems bislang kaum angenommen. Nicht nur für die mittelalterliche Historiographie, sondern auch für die moderne Mediävistik scheint sprachliche Kommunikation in diesem Bereich etwas so Selbstverständliches zu sein, dass sie kaum einer weiteren Erwähnung bedarf 120 und als potentielles Objekt des Reflexion weitgehend ignoriert wird. 121 117 Vgl. Laudage, 1997, S.314f. u. 332. 118 Eine seltene Ausnahme bildet ein inoffizielles Gespräch, das am Rande der Synode von Attigny (870) zwischen Erzbischof Hinkmar von Reims (845-882) und seinem Neffen Bischof Hinkmar von Laon (858-871) geführt wird. Doch auch in diesem Fall wird der Sprachenaspekt in den Quellen nicht angesprochen; vgl. hierzu Hartmann, 1995/96. 119 Vorüberlegungen bei Haye, 2003; zur extensiven Verwendung des Terminus „Diplomatie" vgl. Queller, 1967, S.IX. Etwas zu optimistisch beurteilt Queller, 1967, S. 188, allerdings die Stellung des Lateinischen: „Because there was also a language of common currency in Western Europe, on the other hand, translaters or interpreters were not necessary for embassies within that area." Zur Kommunikation des lateinischen Westens mit dem griechischen Osten und den asiatischen Ländern vgl. Altaner, 1933, 1934 u. 1936; Vernadsky, 1953; Moravcsik, 1967; Köder, 1980; Lounghis, 1980; Neriich, 1999; Brauer, 2001. 120 Die großen Studien zur Diplomatie berücksichtigen die Frage der Sprache, wenn überhaupt, nur am Rande und fast ausschließlich im Hinblick auf die schriftliche
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II. Normative Traktate und Modelle
Das diplomatische Gespräch ist vermittelnd und daher als eine Sequenz kommunikativer Akte zu interpretieren, an deren Beginn die mündlichen und schriftlichen Instruktionen stehen, welche die Gesandten von ihren Auftraggebern erhalten. Auch die folgenden mündlichen Verhandlungen werden durch eine parallele Schriftlichkeit gestützt und ergänzt: Es werden Briefe ausgetauscht, Aktenstücke herangezogen und schriftliche Angebote unterbreitet. Im Medium des Mündlichen ist zudem zwischen dem öffentlichen und offiziellen Gespräch einerseits und der internen Kommunikation hinter verschlossenen Türen andererseits zu unterscheiden. Am Ende der Kommunikation; vgl. hierzu z.B. Mattingly, 2 1962, S.217f. u. 236f.; charakteristisch ist etwa Hill, 1905-1914/1967, der in seiner monumentalen Arbeit über die Geschichte der europäischen Diplomatie von der Antike bis zum Westfälischen Frieden die Frage der Sprache vollkommen ausblendet. Lediglich auf einer einzigen (!) Seite findet sich folgende Bemerkung (zur zweiten Hälfte des 15. Jhs.): „It was in this period also that Latin, which during the Middle Ages had been the sole international medium, began to yield a place in diplomatic intercourse to the national languages" (Bd. 2, S. 157). - Offenbar nimmt Hill an, dass vor dem 15. Jahrhundert stets das Lateinische verwendet worden sei. Menache, 1990, S. 152—157, analysiert die mittelalterliche Diplomatie und deren Kommunikationsprobleme, ohne das Sprachproblem zu erwähnen (ebensowenig wie Lunitz, 1988). Auch die älteren Arbeiten von Ferguson, 1972, Glässer, 1956, Ganshof, 1953, Ernst, 1951, Lucas, 1940, Cuttino, 1940, Neale, 1928, Meyer, 1900, und Menzel, 1892, blenden das Thema vollkommen aus. Etwas günstiger ist die Forschungslage in Bezug auf die Zeit der Renaissance: vgl. Russell, 1992, S. 1 - 5 0 („Language, a barrier or a gateway?") (allerdings zu unkritisch gegenüber den panegyrischen Aussagen der zeitgenössischen Quellen); vgl. auch Maulde-La-Claviere, 1892-1893/1970, hier Tom. II, S. 69-85. Für die Renaissance immer noch wichtig sind Burckhardt, 1947, Kap.III7; S . 2 1 2 - 2 2 1 , und Galletti, 1938, S. 413-597, passim. Der von Bely, 1998, herausgegebene Sammelband beschränkt sich fast ausschließlich auf die Neuzeit und berührt das Mittelalter nur am Rande; keiner der dort versammelten Beiträge widmet sich zudem der Sprachenfrage. Anderson, 1993, betrachtet die gesamte neuzeitliche Diplomatie, verliert aber ebenfalls kein Wort über die Sprache. 121 Die evidente Lücke bei der Erforschung lateinischer Mündlichkeit mag auch darin begründet sein, dass das Thema gleichsam zwischen den beiden akademischen Disziplinen Geschichtswissenschaft und Latinistik angesiedelt ist und somit von niemandem ex officio betreut wird. Vgl. die knappe Bemerkung bei Wriedt, 1998, S. 288: „Ganz im Gegensatz zu den literarischen und besonders den humanistischen Werken scheint das lateinsprachige Verwaltungsschriftgut der spätmittelalterlichen Städte und das ihres diplomatischen Verkehrs das Interesse der Mittellateiner noch nicht gefunden zu haben." Zur lateinischen Mündlichkeit in der Diplomatie siehe dort S. 309-313. Auf die Forschungslücke verweist auch Helmrath, 1989, S. 136, Anm. 68: „Das Dolmetschen und die Probleme der Mehrsprachigkeit haben bisher keine zureichende Darstellung gefunden."
4. Das Latein der Diplomaten: die Gesandtschaftstraktate
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Sequenz steht der mündliche, an den Auftraggeber adressierte Report, welcher wiederum durch die Schriftlichkeit der Protokolle, Vertragsentwürfe und Verträge unterfüttert wird. Innerhalb dieser medialen und kommunikativen Polyphonie lässt sich lateinische Oraütät nur im Akt der öffentlichen Verhandlung nachweisen, während die Frage nach der in den internen Beratungen verwendeten Sprache nur mit einem Ignorabimus beantwortet werden kann. 122 Als normative Quelle steht hier eine Serie von Gesandtschaftstraktaten zur Verfügung, welche zwar erst dem 15. und 16. Jahrhundert entstammen und somit einer späteren Phase angehören, 123 jedoch einige grundsätzliche Positionen und Probleme offenbaren, die sich - mit der gebotenen Vorsicht - auch auf das hohe und späte Mittelalter übertragen lassen. So bemerkt der venezianische Diplomat Ottaviano Maggi (Octavianus Magius) in seinem 1566 erschienenen Werk „De legato" zur Sprachenfrage: Est igitur in primis legato necessaria cognitio italicae linguae, deinde latinae, quae apud omnes prope gentes intellegitur, item hispanae, gallicae, germanae, ac postremo eciam turcicae.u4
Wenngleich der Autor seinen Gegenstand aus patriotischer Perspektive beschreibt, zudem vor allem ein italienisches Publikum im Blick hat und daher der italienischen Sprache höchste Priorität einräumt, zeigt sich doch, dass die Kenntnis mehrerer Sprachen eine zentrale Kompetenz des Diplomaten darstellt. Unter ihnen hat die lateinische eine besondere Bedeutung, da sie überall in Europa (apud omnes prope gentes) verstanden wird. Zum selben Thema schreibt Maggi: Multum operae studiique ponendum est in Unguis percipiendis. Teneat autem primum perfecte italicam, latinam, atque graecam necesse est [...]. legato nostro omni opera ac studio enitendum esse putamus, multas ut externas linguas addiscat.X2i
Auch hier erscheint die Verfügbarkeit möglichst vieler Sprachen als das wichtigste Merkmal des Gesandten (wobei die Erwähnung des 122 Hierauf weist zu Recht Althoff, 1993, u. 1990, S. 156-158 u. passim, hin. 123 Behrens, 1936, S. 617, Anm. 1, gibt einen Uberblick über die Gesandtschafttraktate des 15. und 16. Jahrhunderts. Die hoch- und spätmittelalterlichen Artes arengandi sind als Quellengruppe leider unergiebig. So behandelt Albertanus von Brescia in seinem 1245 erstellten Traktat „De doctrina dicendi et tacendi" (ed. Navone, 1998) zwar auch den Typus der Gesandtenrede, klammert jedoch die Frage der Sprachwahl aus. Kurze Analyse der einschlägigen Passage bei Artifoni, 1993, S.74f.; Erwähnungen bei Mertens, 1997, S.410f.; von Moos, 1993, S.79f. 124 Magius, 1566, S. 50; vgl. Mattingly, 1962, S. 212. 125 Magius, 1566, S. 50.
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Griechischen und des Italienischen der venezianischen Perspektive geschuldet ist). 126 Von der künftigen Weltsprache Englisch ist selbstverständlich nicht die Rede. 127 In den humanistischen Gesandtschaftstraktaten figuriert hingegen die lateinische Sprache als prima inter pares; innerhalb eines Sprachengeflechts erscheint sie als die am weitesten verbreitete. 128 Das hier gezeichnete Bild gibt nicht nur die diplomatische Praxis des 16. Jahrhunderts wieder, sondern gilt grundsätzlich auch für das hohe und späte Mittelalter. Dabei ist die Bevorzugung der Latinität im Medium des Mündlichen nicht zuletzt darin begründet, dass auch die offizielle schriftliche Kommunikation bis zum 15. Jahrhundert ganz überwiegend in dieser Sprache erfolgt. 129 Ein Zentrum lateinischer Oralität bildet die offizielle und förmliche Begrüßungsrede (propositio), 1 3 0 welche die Gesandten bis weit in die frühe Neuzeit hinein coram publico vorzutragen gehalten sind. 131 Die Wirkungsmacht dieser Tradition zeigt sich noch in einer Anekdote aus dem frühen 17. Jahrhundert. Im Jahre 1607 reist der Lübecker Bürgermeister Henrich Brokes als Mitglied einer Delegation der Han-
126 Gleichsam in Ergänzung zu Maggi konstatiert der aus dem schlesischen Schweidnitz stammende Jurist Jeremias Setzer (1568-1608) in seinem 1600 erschienenen Werk „Legatus": Praecipue necessaria est cognitio linguae latinae, quia „lange haec est hodie in universa Europa notior quam quaevis alia", (cap. 765; ed. Hrabar, 1905, S. 150). 127 Vgl. Mattingly, 1962, S. 217: „Nobody in the sixteenth century except an Englishman was expected to speak English, not even the perfect ambassador." 128 Alberico Gentili, Professor für Zivilrecht in Oxford, veröffentlicht 1585 einen Traktat „De legationibus libri tres", in dem er fordert, dass der Gesandte mindestens drei Sprachen beherrschen solle, von denen eine Latein sein müsse (Mattingly, 1962, S. 212 u. 217). 129 Queller, 1967, S.32. 130 Vgl. Mattingly, 1962, S . 3 8 f . ; Burckhardt, 1947, S.213 u. 218; Maulde-La-Claviere, 1892-1893/1970, II, S.218. Über die tatsächliche rhetorische Wirkung lateinischer Begrüßungsreden auf die Zuhörer kann man nur spekulieren. Mattingly, 1962, S. 38 f., stellt nüchtern fest: „If the eloquence and pathos of the ambassador's Latin style and the effectiveness of his delivery did not really influence the success of his embassy, at least it was an Italian fashion to say that they did. But even in the outer transalpine darkness, where diplomats divided their discourse after the barbarous fashion of the schoolmen and mangled their Latin grammar, ambassadors were not let off the task of this first formal oration [...]." 131 Nur bei Verhandlungen innerhalb einer Sprachgemeinschaft (so etwa innerhalb Italiens oder bei Gesprächen zwischen Burgund und der französischen Krone) gilt auch die Muttersprache als legitim. Matteo dei Libri (gest. 1275) gibt in seinen zweisprachigen „Arringhe" allgemeine Anweisungen in Latein, jedoch sind die von ihm vorgestellten modellhaften Redetexte in bolognesischem Volgare abgefasst; vgl. von Moos, 1993, S. 84.
4. Das Latein der Diplomaten: die Gesandtschaftstraktate
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se, die von dem hansischen Syndicus Johannes Domann 132 geleitet wird, an den Pariser Hof des Königs Heinrich IV. (1589-1610). In seinem Tagebuch berichtet Brokes: Kun^ vor der Audien% ward uns angemuthet, wir sollten unsere Proposition in Teutscher Sprach thun. Weil sich aber Herr Doctor [sc. Domann] die lateinische propositi eingebildet, wir auch vor diesem unsere Sachen latine angebracht, blieben wir bei unserm Vornehmen, weil der Kunnig so wenig vom Teutschen als vom Lateinischen verstund [...],133
Entsprechend der seit dem 12. Jahrhundert zu beobachtenden Tradition hat sich Domann noch in seiner heimatlichen Kanzlei eine lateinische Begrüßungsrede zurechtgelegt, die er nun wörtlich vorzutragen gedenkt - vermutlich auswendig (eingebildet), doch möglicherweise auch unter sporadischer Zuhilfenahme eines schriftlichen Textes. Aus dem überraschend vorgetragenen Wunsch der Franzosen, man möge Deutsch sprechen, ergibt sich nun jedoch ein Problem: Die hansischen Delegierten haben keine deutsche Fassung des Redetextes bei sich! Eine spontane Übersetzung ins Deutsche wäre nun aber selbst für einen Syndicus dieser Zeit kaum möglich. In dieser misslichen Lage wird Domann zum König geführt und beharrt darauf, die einstudierte Version vorzutragen. 134 Seit dem ausgehenden Mittelalter ist jedoch die Praxis zu beobachten, dass nach der lateinischen Begrüßungsrede nicht selten ein „ritualisierter Sprachwechsel" vom Lateinischen zu einer lingua vulgaris (oder sogar zu mehreren solcher linguae vulgares) erfolgt. 135 Auf der Konferenz von Arras des Jahres 1435, an der die englische Krone, das französische Haus Valois und der französischsprachige Hof von Burgund unter Vermitdung des italienischen Kardinals Niccolo Albergati (ca. 1375-1443) teilnahmen, wurden die offiziellen Reden (zumindest soweit sie bekannt sind) von Klerikern auf Latein gehalten; in den konkreten politischen Verhandlungen dürften aber zumindest die Franzosen und die Burgunder, wenigstens zeitweise wohl 132 Zu Domann siehe Queckenstedt, 1993. 133 Zitiert nach Pauli, 1860, S. 304. 134 Danach setzte er [sc. der König] sich wieder in seinen Stuhl, und fing also der Herr Doctor an proponiren und übergab die Credentiale. Es waren bei der Audienz viel vornehmer Herren und Käthe. [...] Nach geendigter Proposition ließ der Kunnig durch Herrn Sylleri custodem sigilli et vicecancellarium uns antworten, stand aber auf vom Stuhl und trat gar nahe uns. Der Herr Sylleri geigte kur% latinis verbis an, daß Ihrer Kunniglichen Majestät gan^ lieb wäre der Gesandten Ankunft [...]. Zitiert nach Pauli, 1860, S. 304 f. 135 Haie, 1957, S.270f.
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auch der Kardinal, Französisch gesprochen haben.136 In seinem 1598 publizierten „Legatus" begründet der französische Diplomat Charles Paschal (Carolus Paschalius, 1547-1625) den Sprachwechsel mit einer Differenzierung zwischen öffentlicher, zeremonieller Kommunikation einerseits und nichtöffentlicher, informeller Kommunikation andererseits: Quae omnia vera esse constat, in ipsis scilicet solennibus legationis, quae ex dignitate, eaque ratione quam dixi, aut similibus peragi aequum est. Sed quia post ilia saepe legatus inuitatu et accitu principis, aut occultus eum adit, aut certe amota omni specie, ac secretis sermonibus res transfigitur, atque in tali secreto panduntur occulta mandata, siparium vtrinque complicatur, vtrinque detrahiturpersona, res agitur, non coloratur. Itaque legatus et princeps, si quam habent peregrinae linguae notitiam, hac vterque arcana tunc expectorat,137
Man kann diese Aussage per analogiam auf die hoch- und spätmittelalterliche Verwendung des Lateinischen übertragen: Während die öffentliche Kommunikation den Vorhang prachtvoller Latinität präsentiert, kann in den Geheimverhandlungen eine Volkssprache benutzt werden. Ein solcher Wechsel des kommunikativen Mediums setzt allerdings voraus, dass eine gemeinsame sprachliche Alternative zum Lateinischen zur Verfügung steht, die zudem allseits akzeptiert ist (dies ist selbst in Arras nicht der Fall). In allen übrigen Fällen gilt das Lateinische faute de mieux als unvermeidlich.138 Wenn etwa Engländer auf Deutsche treffen, so bleibt vielfach nur der ,gelehrte' Kommunikationspfad.139 Selbst wenn Franzosen mit Italienern Kontakt aufnehmen, kann das Lateinische im intraromanischen Dialog zum Einsatz kommen.140 Denn selbst dort, wo die Verwendung der Volksoder Nationalsprachen nahe liegen könnte, ist zu bedenken, dass diese auch im späten Mittelalter vielfach noch keine überall gültigen sprachlichen Standards hervorgebracht haben, sondern in zahlreiche Dialekte und Varianten zerfallen. So mögen englische Adlige im 14. und 15. Jahrhundert zwar auch über gewisse Kenntnisse des Französischen verfügen, doch ist damit keineswegs sichergestellt, dass das von ihnen benutzte Idiom etwa von den Bewohnern der lie de 136 137 138 139 140
So Dickinson, 1955, S. 113-115. Paschalius, 1598, S.274f. Haie, 1957, S. 271. Russell, 1992, S. 21. Maulde-La-Claviere, 1892-1893/1970, II, S.74, berichtet von einer Gesandtschaft des Herzogs Ludwig I. von Anjou (1360-1384), die im Jahre 1378 nach Sardinien reist und sich dort nur mit Hilfe des Lateinischen verständlich zu machen vermag.
4. Das Latein der Diplomaten: die Gesandtschaftstraktate
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France verstanden wird (von der Bevölkerung der Provence ganz zu schweigen). 141 Hier bietet der lateinische Umweg — zumindest in der politischen Kommunikation - einen Ausweg. Die Wahl der jeweils verwendeten Sprache ist an das Ausbildungsprofil der Diplomaten gebunden. Dass sich das Gesandtschaftspersonal europäischer Mächte seit dem 13. Jahrhundert vor allem aus Kanonisten und Legisten, somit aus lateinkundigen Personen zusammensetzt, 142 hat offenkundig nicht nur einen sprachlichen, sondern auch einen sachlichen Grund: Politische und diplomatische Aktivität ist wesentlich durch rechtliche Fragen bestimmt, welche eine elaborierte, terminologisch präzise arbeitende Fachsprache erfordern - als eine solche ist jedoch auch noch im Spätmittelalter nur das Lateinische anzusehen. Aufgrund dieser doppelten, d. h. sowohl kommunikativen als auch fachlichen Kompetenz, finden Juristen bevorzugt bei der offiziellen Begrüßungsrede, bei der Darbringung und Erläuterung rechtlich komplizierter Sachverhalte sowie bei der sprachlich exakten Fixierung der Verhandlungsergebnisse Verwendung. 143 Da die politischen Diskussionen fast stets auch theologisch unterfüttert und legitimiert sind, gehören den mehrköpfigen Delegationen zumeist auch hochrangige Prälaten an, die ebenso über politische Erfahrung wie über das nötige theologische Rüstzeug verfügen. Weil sie Letzteres ebenfalls ausschließlich anhand lateinischer Texte in einem von lateinischer Oralität geprägten Unterricht erworben haben, sind sie grundsätzlich in der Lage, die bei Verhandlungen erforderlichen einleitenden und abschließenden Reden zu halten sowie im Verlauf des Gesprächs über Grundsätzliches zu referieren. 144 Schließlich tre141 Russell, 1992, S. 38 f. 142 Queller, 1967, S. 154 f. 143 AUmand, 1988, S. 116, zeigt, wie unter Heinrich V. (1413-1422) das englische Gesandtschaftswesen durch den konsequenten Einsatz von Juristen professionalisiert wird. 144 Als im Jahre 1375 in Brügge eine anglofranzösische Friedenskonferenz stattfindet, werden vier lateinische Eröffnungsreden gehalten. Zunächst sprechen die zwei mit der Vermittlung beauftragten Legaten des Papstes Gregor XI. (1370-1378), der Erzbischof von Ravenna und der Bischof von Carpentras; hierauf antworten als jeweilige Vertreter der beiden Seiten die Bischöfe von Amiens und London: [ . . . ] Jeceruntque dicti domini nuncii apostolici certas arengas, videlicet dictus dominus Ravennatensis recepit pro tbeumate ,Gracia vobis et pax' etc., [sc. Apc 1,4,1] et dictus dominus Carpentoratensis ,Da nobis auxilium de tribulatione', Psal. /ix. [sc. 59, 13]. Et deinde responderunt dicti domini Ambianensis et l^ondoniensis episcopi eciam per modum arengarum, videlicet dictus dominus Ambianensis faciendo sompnium de concordia et discordia, recitando plures raciones
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ten neben die Theologen und die Juristen seit dem 14. Jahrhundert die (selbst in der neueren Forschung) sogenannten „Humanisten" 145 - ein in diesem Zusammenhang wenig glücklicher Begriff, der jene Mitglieder politischer Gesandtschaften bezeichnen soll, die primär wegen ihrer literarischen, an antiker Kultur orientierten Bildung eingesetzt werden. Ein solches Bild ist allerdings schief: Zwar beobachtet man seit dem 14. Jahrhundert eine Spezies von Diplomaten, die vorzugsweise für die lateinischen Prunkreden, nicht aber für die konkreten Verhandungen zuständig sind. Doch verfügen diese Personen in der Regel auch über politischen und juristischen Sachverstand; sie sind also keineswegs nur „Schönredner". 146 Hinter den juristisch, theologisch und rhetorisch kompetenten Latinisten stehen vielfach auch Vertreter anderer ständisch oder beruflich definierter Gruppen, die entweder über politischen Einfluss oder über technisches, zumeist militärisches Wissen verfügen, das im jeweiligen Verhandlungsfall erforderlich ist. Ihren theoretischen Niederschlag findet die Einbindung jener des Lateinischen nicht mächtigen Diplomaten in dem 1604 von Hermann Kirchner, Marburger Professor für Poesie und Geschichte, publizierten Gesandtschaftstraktat „Legatus": f...] sujficiat Legato nostro illas artes majori studio persequi, quae ad legationis operam suscipiendam ante omnia opus [ ! ] [.. ./.14V Kirchner verfolgt bei der Frage, welche Fähigkeiten ein Gesandter besitzen müsse, einen pragmatischen Ansatz. So solle ein Diplomat zwar grundsätzlich Kenntnisse der Geschichte und des Rechts besitzen, doch auch „Ungelehrte" könnten unter bestimmten Umständen an Gesandtschaften teilnehmen: Eos etiam hue admissos velim, qui etsi neque l^atinis, neque Graecis Uteris imbuti sunt, communi tarnen sensu [...] prae aliis polleant, remque & negotium, cujus gratia legatio instituenda, non lectione historica, aut acquisita studiis scientia, sed usu ό' experientia [.. j cognitum habeant. Quo genere multi olim fuerunt, r«x/j· gleichzusetzen. Gesandte können mitunter eine Sprache verstehen, ohne sie selbst sprechen zu wollen. Aus dieser Differenz schöpft das Lateinische sein Potential als Medium der Neutralität. Kirchner schreibt hierzu: [...] nostrone an idiomate peregrine in exponendis mandatis utamur? Quid vero dubitamus? Annon & vestem manae sacrosanctae ecclesiae cardinalis, apostolicae sedis legatus, specialiter destinatus pro pace tractanda et medianda [...]. Cum nuperpraesentes personaliter constituti essent spectabiles oratores praefatorum [sc. regum] in hac villa de Pontelarche pro pace dilectorum regum et regnorum inter se dissidentium reformanda et inter eos exorta fuerit controversia, quomodo in scriptis redigt deberent appunctuanda et mutuo in dicto pads negotio concludenda, aliquibus uno tnodo fieri petentibus, aliis vero alio, perpendentes, quod dicta altercatio non poterat verisimiliterper dictos oratores in concordiam converti, ne tantum bonum ex hac controversia impediretur, consequens medium advisavimus, [...]. Rymer, Bd. IV, 1740,1X657. 115 Rymer, Bd. IV, 1740, IX 657 f.
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III. Historische Einzelstudien
sitzen: eine französische und eine lateinische. Im Vergleich zum vorhergehenden Kompromissvorschlag überwindet der französische Text seinen Appendix-Status und gewinnt rechtliche Qualität. Den Forderungen der englischen Seite wird hingegen dadurch entsprochen, dass die Parität der beiden Fassungen in einem zentralen Punkt eingeschränkt ist: Falls die Vertragspartner den französischen Text unterschiedlichen interpretieren (wovon man angesichts der Vorgeschichte ausgehen darf), soll die Differenz gemäß dem Sinn und Wortiaut der lateinischen Fassung entschieden werden. Die Franzosen werden auf diese Weise legitimiert, in zukünftigen Verhandlungen ihre muttersprachliche Textfassung auszulegen; hingegen verfügen die Engländer über eine lateinische Rückversicherung, durch die sie etwaige ,Fehler' der französischen Fassung zurückweisen können. In einem Schreiben an die burgundischen Unterhändler schildert Orsini seine außerordentlich schwierigen Gespräche mit Heinrich. Hierbei zeigt sich zunächst, dass der englische König nicht nur bei schriftlichen Verträgen, sondern auch in der mündlichen Kommunikation auf der exklusiven Verwendung der lateinischen Sprache besteht.116 Anschließend berichtet der Kardinal in nahezu identischen Formulierungen von dem neuen Kompromissvorschlag und fügt hinzu, dass der König zu verstehen gegeben habe, dieses sei sein letztes Angebot.117 — et hoc dicit propter aequivocationes et sinonima verborum Gallicorum. Diese Begründung der erwähnten Rückversicherung offenbart, dass die englische Seite nicht nur von sprachtaktischen Überlegungen, sondern auch von einem erheblichen Misstrauen gegenüber dem Französischen geleitet wird. Die Existenz zahlreicher Synonyme und äquivoker Ausdrücke gilt als Indiz für die mangelnde terminologische Präzision der Volkssprache. Latein und Französisch stehen in diesem Kompromissvorschlag somit doch nicht gleichberechtigt nebeneinander, sondern befinden sich auf unterschiedlichen Ebenen ei116 Applicui hue deeima hora. Fui locutus cum rege hora duodecimo, et steh in debato circiter quatuor horas. Nam ipse allegabat causas multas, quare non debeat tractare nec in scriptis redigere tractatus nisi in Latino. Rymer, Bd. IV, 1740, IX 657. 117 Item, amore mei, ipse condescendit ad hoc, quod in eis, quae redigentur in scriptis, fiant duae scripturae pariter subscriptae per secretaries et signatae pariter et pariter autenticentur (una in Latino, altera in Galtico) et pariter detur fides ambabus; cum hoc, quod si atiqua controversia orietur ex vocabutis Galliäs (quae ipse dicit se perfecte non intelligere, nec suum concilium), quod tunc recurratur ad intellectum et scripturam Latinam et secundum scripturam Latinam debeat talis quaestio vel controversia decidi; et hoc dirit propter aequivocationes et sinonima verborum Gallicorum. Et isla ultima sua inclinatio. Rymer, Bd. IV, 1740, 1X658.
6. Die anglofranzösischen Verhandlungen von Αΐεηςοη und Pont de l'Arche (1418) 131
ner sprachlichen Hierarchie, in der die lingua ]λ tin α eine höhere Priorität und Authentizität besitzt. 118 Von dem Brief an die englische Seite unterscheidet sich diese Epistel Orsinis allerdings durch eine weitere Begründung für die Weigerung des Königs, sich ausschließlich auf die vocabula Gallica zu verlassen: quae ipse dicit se perfecte non intelligere, nec suum concilium [,..].ίί9 — „Nach eigener Aussage beherrschen er und sein Rat diese Sprache überhaupt nicht." Während die englische Seite bisher lediglich argumentiert hat, die geistlichen Mitglieder der englischen Delegationen verstünden nur Latein, wird nun der gesamte Kronrat als grundsätzlich des Französischen unkundig hingestellt. Es ist aufschlussreich, dass Orsini in seinem Brief ein solches Argument als Behauptung kennzeichnet (dicit) und somit als fragwürdig erscheinen lässt. Doch dürfte allen Beteiligten ohnehin bewusst gewesen sein, dass die Verhandlungspositionen nicht nur durch Sprachkompetenz, sondern auch durch Sprachpolitik bestimmt waren. Auch die Franzosen erkennen, dass der Verhandlungsspielraum hiermit ausgeschöpft ist. In ihrem Antwortschreiben an Kardinal Orsini signalisieren sie ihre Zustimmung, unternehmen jedoch einen weiteren Versuch, eine Abstufung des Französischen gegenüber dem Lateinischen zu verhindern: [...] Nos intelligimus, quod pro parte nostra nos habeamus duas scripturas (,unam in l^atino, et aliam in Gallico), etpariter rex Anglie duas si velit. [...] Et ut ipsi labores non remaneant infructuosi nichilque sit, quod nobis debeat imputari, contentamur.120
Die Franzosen unterscheiden hier präzise zwischen den beiden Verhandlungsparteien. Sie selbst erhalten nach eigenem Verständnis des Kompromissvorschlages jeweils zwei Vertragsfassungen, eine in Latein, die andere auf Französisch verfasst. Von einer unterschiedlichen
118 Burke, 1989, S.44, zitiert den schwedischen Kanzler Axel Oxenstierna, der dem englischen Botschafter Bulstrode Whitelocke im Jahre 1653 erklärte: „Er spreche ein schlichtes und flüssiges und bestimmtes Latein; und obschon er französisch könne, spreche er es doch nie, weil er keinen Grund sehe, warum diese Nation dadurch, dass sich Fremde ihrer Zunge bedienten, so viel mehr geehrt werden solle als die anderen; er glaube vielmehr, daß das Latein vornehmer und wortreicher sei und besser geeignet, weil die Römer die Herren eines so großen Teils der Welt gewesen seien und dennoch zur Zeit diese Sprache keinem bestimmten Volk vorbehalten sei." 119 Rymer, Bd. IV, 1740, 1X658. 120 Rymer, Bd. IV, 1740,1X658.
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III. Historische Einzelstudien
Gewichtung dieser beiden ist nicht die Rede. Die burgundische Seite wird sich in Zukunft selbstverständlich auf die vulgärsprachliche Version berufen (die Möglichkeit einer Differenz zur lateinischen Fassung wird ignoriert). Der englische König erhält ebenfalls diese französische Version und — wenn er unbedingt möchte! — eine lateinische Übersetzung. Die burgundische Gewichtung der beiden Fassungen unterscheidet sich somit erheblich von der englischen Interpretation. Um nicht den Vorwurf der Blockadepolitik auf sich zu ziehen, stimmt man dem Entwurf zu, doch geht die geäußerte Zustimmung am Kern des Kompromisses vorbei. Der sprachpolitische Disput des Jahres 1418 mündet in eine Vereinbarung, in der man der Forderung der englischen Seite insofern Rechnung trägt, als der indirekte Vorrang des Lateinischen vor dem Französischen in den zuvor gefundenen Formulierungen zum Ausdruck gebracht wird. In diesem ,Memorandum' werden einleitend noch einmal die Maximalforderungen der beiden Seiten erwähnt: Während König Heinrich verlange, dass bei schriftlichen Vereinbarungen „nach gewohnter königlicher Praxis" ausschließlich das Lateinische verwendet werde, bestünden die Gesandten des rex de [!] Francia unerschütterlich auf der eigenen, französischen Sprache. 121 Sodann wird festgestellt, dass nach Orsinis Auffassung diese beiden Positionen nicht miteinander vereinbar seien. 122 Schließlich wird der im Vorfeld ausgehandelte Kompromiss (medium) vorgestellt und präzise erläutert: Zu allen Vereinbarungen soll eine französische und eine lateinische Fassung angefertigt werden. Der Wortlaut dieser beiden Versionen muss sorgfältig miteinander verglichen und aufeinander abgestimmt werden, so dass jegliche semantische Differenz ausge-
121 Memorandum, quod nuper in praesentia reverendissimi in Christo patris, domini cardinalis de Ursinis inter commissarios supremi et metuendissimi domini nostri regis et ambassiatores adversarii sui de Franäa apud Pontem de l'Arche, adinvicem consistentes ad tractandum depacificatione regnorum etc., quaedam controversia fuit exorta, videlicet quomodo deberent in scriptis redigi appunctuanda et mutuo in dicto pacis negotio concludenda, volentibus commissariis praefati domini nostri regis ea, quae in scriptura redigerent hinc inde, scribi iuxta morem regium solitum in l^atino, ambassiatoribus adversae partis solide instantibus, quod in proprioydiomate Gallico omnino deberent huiusmodi appunctuanda et concludenda conscribi. Rymer, Bd. IV, 1740,1X659. 122 Sedperpendens praefatus reverendissimus in Christo pater etc., quod dicta altercatio non potuit de verisimili per partes praedictas in concordiam converti, [...]• Rymer, Bd. IV, 1740, 1X659.
6. Die anglofranzösischen Verhandlungen von Αΐεηςοη und Pont de l'Arche (1418) 133
merzt wird. 123 Falls man aber zu einem späteren Zeitpunkt bei der Interpretation des Vertrages auf eine unklare oder zweifelhafte Formulierung treffe oder man sich über „irgendeine ausgefallene sprachliche Ausschmückung" streite, solle dieser Streit „stets allein und ausschließlich anhand der lateinischen Fassung interpretiert, erklärt und entschieden" werden. 124 Der Hinweis auf eine „sprachliche Ausschmückung" ist hierbei zweifellos wiederum gegen die angebliche Blumigkeit der französischen Sprache gerichtet. Mit dem ,Memorandum' scheint der gegen das Eindringen des Französischen errichtete argumentative Damm zwar noch nicht endgültig gebrochen, doch zumindest aufgeweicht: Das Lateinische bleibt die letzte Instanz, während die französische Sprache erstmals einen offiziell anerkannten Platz in der bilateralen Diplomatie erhält. Allerdings wird der abschließenden Übereinkunft als Appendix eine Protestnote des englischen Königs beigefügt, in der die gefundene Regelung eine historische Relativierung erfährt: Et praefatus dominus noster rex, ad honorem Dei praecipuae [!] et contemplatione sanctissimi domini ac cardinalis praedicti necnon tanti boni, praescripto medio condescends bac vice; cum protestatione tarnen, quod ad consequentiam trahi non debeat in futurum,125
Die Übereinkunft wird seitens des englischen Königs als eine Ausnahme dargestellt, welche von den Franzosen nicht als Präzedenzfall für die Zukunft herangezogen werden darf. Dennoch ist mit der Konvention de facto eine Linie erreicht, hinter die man in Zukunft nicht mehr zurückgeht. In seiner Geschichte Heinrichs V. kommentiert James Hamilton Wyüe die sprachlichen Auseinandersetzung in Pont de l'Arche lapidar mit den Worten: „Days were consumed over this academical dispute." 126 Angesichts der schwierigen Verhandlungen von Αΐεηςοη dürfte allerdings deutlich sein, dass es sich hierbei keineswegs um eine rein akademische Frage, sondern um einen zen123 [...] medium advisavit, videlicet quod appunctuanda et mutuo concludenda tarn in l^atino quam in Gatlico (fideli utriusque scripturae, tarn Gallicae, quam Lalinae, collatione facta) deberet per partes praedictas conscribi et hinc inde sigillari ac signari, ut est consuetum. Rymer, Bd. IV, 1740,1X659. 124 Et si quod ullo tempore postea dubium aut obscurum resultaret aut quovis quaesito colore inter partes praedictas possit exoriri, illud semper per l^atinam scripturam solum et dumtaxat interpretari et declarari ac determinari deberet. Rymer, Bd. IV, 1740, 1X659. 125 Rymer, Bd. IV, 1740, 1X659. 126 Wyüe / Waugh, III, 1929, S. 157.
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III. Historische Einzelstudien
tralen Aspekt diplomatischer Praxis handelt. Von dem Misstrauen gegenüber der Muttersprache des Gegners, insbesondere gegenüber dem kulturell und politisch zunehmend an Terrain gewinnenden Französisch, hat die lateinische Sprache — nicht nur bei vertraglichen Regelungen, sondern auch in der mündlichen Kommunikation — bis weit in die Frühe Neuzeit hinein profitiert.
7. Die Gesandtschaftsreden des John Gunthorpe (1466/1468) In seinem in den Rang eines Klassikers aufgestiegenen Buch „Die Kultur der Renaissance in Italien" stellt Jacob Burckhardt fest, die Eloquen% sei in dem von ihm betrachteten Zeitraum (d.h. im 14. und 15. Jahrhundert) „ein notwendiges Element und eine Zierde jedes erhöhten Daseins. [...] Sehr viele festliche Augenblicke, die gegenwärtig mit der Musik ausgefüllt werden, gehörten damals der lateinischen [...] Rede." 127 Burckhardt kommentiert diese Feststellung mit einem kleinen kulturgeschichtlichen Seitenhieb auf seine eigene Gegenwart: „worüber sich jeder unserer Leser seine eigenen Gedanken machen möge." 1 2 8 Burckhardts Hinweis auf den Festcharakter lateinischer Mündlichkeit deutet bereits an, dass diese immer auch als ein Akt symbolischer Kommunikation verstanden werden kann. 129 Bei der Junktur „symbolische Kommunikation" pflegt man primär an nonverbale Phänomene zu denken, obwohl durch eine Vielzahl von Beispielen aus der jüngeren Forschung belegt ist, dass auch die orale Kommunikation, 130 und zwar insbesondere die des ritualisierten Sprechens, die Funktion von Symbolen übernehmen kann. 131 Hierbei sind vier Aspekte von Bedeutung:
127 Burckhardt, 1947, S . 2 1 2 . 128 Ebenda. 129 Z u m T h e m a vgl. Althoff, 2001; A l t h o f f / Siep, 2000; Paravicini, 1997, hier insbes. den einführenden Beitrag des Herausgebers, S. 11— 36; vgl. auch den Sammelband „Kommunikation und Alltag", 1992, hier insbes. den Beitrag von Bäk, S. 3 9 - 4 5 ; vgl. auch die grundlegende Arbeit von Menache, 1990; Heimann, 1998; Benzinger, 1970; zur Symbolik vgl. Brednich / Schmitt, 1997. 130 Vgl. hierzu Vollrath, 1981; Kleinschmidt, 1988. 131 Vgl. Behrmann, 2 0 0 1 ; K n u f / S c h m i t z , 1980. Kleinschmidt, 1988, S. 38, verweist auf den „engen Zusammenhang von Sprache und Ritual".
7. Die Gesandtschaftsreden des John Gunthorpe (1466/1468)
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Erstens steht das gesprochene Wort, wenn es denn in einen formalen Rahmen eingebunden und als textuelles Muster erkennbar ist, stellvertretend stets auch für etwas Unausgesprochenes, das den am Kommunikationsakt beteiligten Personen gleichwohl bekannt und bewusst ist. Zweitens ist die orale Handlung als soziales Faktum vielfach wichtiger als die in den Worten artikulierte Botschaft. Das Sprechen als solches, d.h. der lokutionäre Akt, symbolisiert eine kommunikative Beziehung. Was gesagt wird, kann hierbei weniger bedeutsam sein, als der Umstand, dass überhaupt etwas gesagt wird - zumindest wenn sich das Gesagte im Rahmen des Erwarteteten und Geforderten hält. Wenn aber das Reden (unabhängig vom tatsächlich Gesagten) prinzipiell eine soziale Handlung ist, welche Symbolcharakter besitzen kann, verfügt auch das Nichtreden über eine vergleichbare Qualität. Gerade das ostentative Schweigen ist, wie oben gezeigt, ein massiver symbolischer Akt. Drittens: Die Zeichenhaftigkeit oraler Kommunikation offenbart sich vor allem in jenen Bereichen, in denen eine mündliche Textversion von einer schriftlichen begleitet wird. In der parallelen Existenz einer gleichlautenden Schriftlichkeit zeigt sich, dass der dazugehörende orale Akt - anders als sein mediales Pendant - nicht nur auf Information und Persuasion zielt, sondern der kommunikativen Szene, in die dieser Akt eingebettet ist, einen pompösen oder gar sakralen Charakter verleiht. Schließlich manifestiert sich viertens die symbolische Qualität oraler Kommunikation in der Wahl der zu verwendenden Sprache, da diese als linguistisches Gesamtsystem immer auch ein kulturelles Zeichen ist. Aus diesem Grunde kann die Wahl einer dem Kontext unangemessenen Sprache als Affront aufgefasst werden, selbst wenn der Inhalt des Gesagten außerordentlich freundlich und schmeichelnd sein sollte. Wie Burckhardt zutreffend beobachtet, lassen sich diese Aspekte in der lateinischen Oratorik beobachten, 132 welche sich zugleich als diskursive und symbolische Kommunikation ansprechen lässt. 133 Ge132 Vgl. zuletzt Witt, 2000, S. 338-391 (zur lateinischen Oratorik) und S. 358-361 (speziell zur Gesandtschaftsrede). 133 Zur Rede als „diskursive Symbolik" vgl. Braungart, 1995, S. 201; vgl. auch Thum, 1990. Die von Thum hier (S. 79 f.) vorgenommene Unterscheidung in „digitale Kommunikation" („Zeichen, etwa Zahlen oder Wörter, die in keiner sachlich be-
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III. Historische Einzelstudien
rade aufgrund des besonderen kulturellen und religiösen Status der lingua L.atina sind lateinische Reden nicht nur in der Renaissance, sondern auch im hohen und späten Mittelalter ein bevorzugtes Medium der zeichenhaften Kommunikation. Die symbolische Qualität zeigt sich exemplarisch in dem (bereits mehrfach behandelten) Typus der Gesandtschaftsrede.134 Die Rhetorikforschung, welche den persuasiven Charakter historischer Gesandtschaftsreden analysiert, kommt nicht selten zu dem desillusionierenden Ergebnis, dass diese oder jene oratio wohl kaum geeignet gewesen sei, den jeweiligen Adressaten von der vom Redner vertretenen Ansicht zu überzeugen oder zu einer bestimmten Handlung zu bewegen. Hierbei ist allerdings zu bedenken, dass der moderne Betrachter nur noch einen Teil der oratorischen actio greifen kann, nämlich die verbale, genauer: die textuelle Kommunikation, während die für die Rhetorik so bedeutenden, gleichzeitig ablaufenden nonverbalen Bereiche von Mimik und Gestik sowie die akustische Qualität des Gesprochenen nicht rekonstruierbar sind. Sieht man von diesem Problem der rhetorischen Beurteilung ab, so ist auch ein inhaltliches Defizit zu beobachten: Wer es als Historiker unternimmt, lateinische Gesandtschaftsreden der Renaissance als Quellen politischer Beziehungen zwischen Staaten und Dynastien zu untersuchen, wird in der Regel enttäuscht. Der Worüaut der überlieferten Texte gewährt nur selten Einblicke in die realen diplomatischen Handlungen der historischen Akteure.135 Es ist hinlänglich bekannt, dass die weitaus meisten der überlieferten Texte dieses Genres proposiciones, d.h. Präsentationssreden sind, mit denen sich ein Gesandter zu Beginn politischer Verhandlungen an einem europäischen Hof vorzustellen hatte. In dieser kommunikativen Standardsituation wurde eine Rede in lateinischer Sprache erwartet.136 Wie das griechische Wort σύμβολον in der Antike eine Bronze-, Blei- oder Tonmarke gründeten Beziehung zu dem dargestellten Gegenstand stehen") und „analoge Kommunikation" (sc. „Symbole, Bilder, Gesten, die dem Gemeinten irgendwie ähnlich sind oder sein sollen") bringt für die Untersuchung der lateinischen Rede keinen Erkenntnisfortschritt. 134 Zu den Gesandtschaftsreden des 15. Jahrhunderts vgl. Helmrath, 1997, 1998 u. 1999; Burckhardt, 1947, S. 2 1 2 - 2 1 6 . 135 Vgl. z.B. die Äußerung Andersons, 1993, S. 16: „Many of these speeches were tediously verbose, mere inflated displays of empty rhetoric, but they were by the later fifteenth century frequently printed." 136 Vgl. Maulde-La-Claviere, 1970, II, S . 2 1 8 f .
7. Die Gesandtschaftsreden des John Gunthorpe (1466/1468)
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bezeichnet, die als Wiedererkennungs- oder Berechtigungszeichen diente, fungiert im hohen und späten Mittelalter analog die lateinische proposicio als eine ,Eintrittskarte' für die Teilnahme an einem diplomatischen Gespräch. Sie ist insofern fester Bestandteil eines höfischen und diplomatischen Zeremoniells, als sie die zwischen politischen Mächten bestehenden Beziehungen abbildet und illustriert. Zugleich ist die Gesandtschaftsrede auch Teil eines Rituals, insofern sie als standardisiertes Verhalten soziale Bezüge zwischen den Beteiligten überhaupt erst herstellt und kontextualisiert. 137 Vor dem Hintergrund der ritualisierten Aufführungssituation wird auch verständlich, weshalb sich die vielen überlieferten Gesandtschaftsreden sprachlich und textstrukturell so sehr ähneln. Tatsächlich scheint ein Text wie der andere zu sein. Doch ist dieser Befund nicht Zeichen eines Defizits, sondern Folge der situativen Funktion: Als Teil eines Zeremoniells und Rituals muss eine solche lateinische Rede notwendigerweise einen hohen Grad an Formalisierung und Standardisierung aufweisen. Das Produzieren des Bekannten und Erwarteten ist ein Akt der Höflichkeit, eine Respektsbezeugung und ein Zeichen der Berechenbarkeit, welches beim Gesprächspartner zu einer Akzeptanz der kommunikativen Situation führen sollen. Der gemeinsame Bezug zu einem allseits akzeptierten Bildungshorizont schafft eine verbindliche Grundlage des Gesprächs. Innovation und Originalität wären in diesem Rahmen vollkommen deplaziert. Würde man die Gesandtschaftsreden des späten Mittelalters mit den Termini der antiken Rhetorik zu fassen suchen, so käme man zu einem überraschenden Ergebnis: Denn diese Reden weisen keineswegs den stark persuasiven Charakter des genus deliberativum auf, zu dem man politische Reden zählen muss, sondern sie enthalten zahlreiche Elemente des genus demonstrativum, d.h. sie sind zu jenen Festreden zu rechnen, von denen Jacob Burckhardt gesprochen hat. Bereits die Bezeichnungen deuten an, dass in und mit einer solchen Rede nicht nur etwas gesagt, sondern auch etwas gezeigt und zelebriert werden soll. Um in Burck-
137 Zu der - im Bereich lateinischer Rede allerdings nur schwer durchzuhaltenden Differenzierung zwischen Ritual und Zeremoniell vgl. A l t h o f f / Siep, 2000, S. 397 f.; A l t h o f f , 2 0 0 1 , S. 1 5 7 - 1 7 6 (mit zahlreicher Literatur zum Ritual). Vgl. auch Zotz, 2 0 0 1 , S . 4 5 8 f . ; Paravicini, 1997, S. 14; Belliger / Krieger, 1998, hier insbes. die Einführung der Herausgeber, S . 7 - 3 3 .
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III. Historische Einzelstudien
hardts Bild zu bleiben: Diese orationes sind die Musik in der Partitur des diplomatischen Zeremoniells. 138 Als repräsentatives Beispiel für diese Musik eignet sich die diplomatische Tätigkeit des John Gunthorpe. 139 Geboren wohl um 1430, erhält Gunthorpe zunächst eine akademische Ausbildung in Cambridge, die er im Jahre 1452 mit dem Titel eines Magister artium abschließt. Er gehört mit Robert Flemming, William Grey, John Free und William Tilly zu der ersten Generation jener Engländer, die in der Mitte des 15. Jahrhunderts nach Italien ziehen und dort von bekannten Lehrern insbesondere auf dem Feld der Rhetorik unterrichtet werden. 140 So studiert Gunthorpe in den späten 1450er Jahren die Kunst der Rede bei Battista Guarino in Ferrara. Mit zahlreichen Büchern im Gepäck, unter anderem mit dem Handbuch des spätantiken Rhetors Fortunatian, 141 kehrt er Mitte der 1460er Jahre in die Heimat zurück, wo er 1466 zum königlichen Kaplan avanciert. Aufgrund seiner oratorischen Qualifikation verwendet ihn Edward IY. (1461— 1483) bevorzugt im diplomatischen Dienst. Seine erfolgreiche Tätigkeit verschafft ihm zahlreiche Pfründen und Titel, so den eines Dean of Wells im Jahre 1473. Auch unter Edwards indirektem Nachfolger Heinrich VII. (1485-1509) ist er mehrfach als Gesandter tätig. Er stirbt im Jahr 1498 und wird in der Kathedrale von Wells beigesetzt. Aus seiner Zeit als Diplomat haben sich fünf lateinische Reden (sowie zwei Dubletten) erhalten, die im Autograph überliefert sind.142 Sie resultieren aus Bündnisverhandlungen, die der König von England mit Kastilien, mit dem Herzog der Bretagne sowie mit Karl dem 138 Der Festcharakter der lateinischen Rede wird bereits in den zeitgenössischen Quellen vielfach vermerkt. So heißt es über eine Rede des englischen Gesandten John Kemp, des Erzbischofs von York, der im Jahre 1435 auf der Konferenz von Arras mit den päpstlichen Vermittlern verhandelt: proposuit solempniter. Ebenso heißt es in den schriftlichen Instruktionen, die Kemps Auftraggeber, König Heinrich VI., seinen Gesandten erteilt: [...] dicti ambassiatores presentabunt litteras regias cardinalibus, cum solempnitate proposicionis [...] (ed. Chaplais, I, 1982, S.229). - Die verbale solempnitas der einführenden Gesandtschaftsrede ist ein fester Bestandteil des diplomatischen Zeremoniells. 139 Einführend vgl. Dictionary of National Biography, Vol. 23. London 1890, S. 351 f., u. Institute of Historical Research (London) (Hrsg.): Corrections and Additions to the Dictionary of National Biography, Covering the years 1923-1963. Boston, Mass., 1966, S . 9 4 f . (Nachträge). 140 Vgl. Schirmer, 2 1963, S. 127-132; Schütt, 1965, S. 43 f.; Weiss, 2 1957, S. 122-127. 141 Schütt, 1965, S. 43. 142 Nachweis der handschriftlichen Überlieferung bei Schirmet, 2 1963, S. 131, Anm. 149, u. Weiss, 1957, S. 125, Anm. 3.
7. Die Gesandtschaftsreden des John Gunthorpe (1466/1468)
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Kühnen von Burgund geführt hat. Die Texte präsentieren sich als pompöse und antikisierende Reden, die sich durch „wealth of words but paucity of facts" 143 auszeichnen. Der erste Text bezieht sich auf die 1466 geführten Verhandlungen Edwards IV. mit König Heinrich IV. von Kastilien (1454-1474). Am 23. Oktober hält John Gunthorpe in Olmedo eine lateinische Rede, 144 mit der die zuvor eingeleiteten bilateralen Gespräche wiederaufgenommen werden. 145 Ziel ist der Abschluss eines Friedens- und Freundschaftsvertrages, der möglicherweise durch eine kastilische Verheiratung von Margaret von York (1446—1503), Edwards Schwester, bekräftigt werden sollte. Nach einer weitschweifigen und allen rhetorischen Forderungen genügenden allgemeinen Einleitung 146 benennt Gunthorpe den Gegenstand der Verhandlungen: Sum enim de pace inter duos summos et potentissimos reges verba facturus [.. J. 1 4 7 Er spricht hierauf über die politischen Beziehungen zwischen den beiden Königreichen und kündigt sodann den Hauptteil seiner Rede an: [...] succincte capita quedam attingam, per quae vobis sempiternae taudi et immortali gloriae banc regnorum tranquillitatem fore simulque ingentem comtnodorum cumulum vestras res publicas assecuturas palam fecero, atque inde ordiemur quod adpersuadendum potissimum erf.148
Gunthorpe unternimmt es somit nach eigener Aussage, den kastilischen König durch die Argumentation seiner lateinischen Rede von den Vorteilen eines Friedensvertrages zu überzeugen (persuadendum)\ — Wie geht er vor? Er beginnt mit historischen Exempla, die ihm die antiquitas149 bereitstellt: Als Männer, die sich zum Wohle des Staates mit ihren Feinden versöhnt hätten, werden Marcus Aemilius Lepidus, Livius Salinator, Cicero, Scipio Africanus, Caninius Gallus, Quintus Pompeius und Caelius Rufus genannt. Mit entwaffnender Offenheit weist Gunthorpe darauf hin, dass er diese historischen Beispiele dem berühmten und in jeder gutsortierten Bibliothek greifbaren rhetori-
143 Weiss, 1957, S. 125.
144 Handschriftlicher Eintrag Gunthorpes: Oram magistri Johannis Gunthorp' habita coram Henrico rege Castelle et Legionis x° catendas novembris, anno Domini 1466 in Olmedo 145 146 147 148 149
(ed. Chaplais, Ed. Chaplais, Ed. Chaplais, Ed. Chaplais, Ed. Chaplais, Ed. Chaplais,
1,1982, I, 1982, I, 1982, I, 1982, 1,1982, I, 1982,
S. 240). Nr. 138, S. 234-240. S. 234, Ζ. 1 (Zählung von mir; Th. H.) - S. 235, Ζ. 12. S. 235, Z. 12f. S. 235, Z. 23-26. S. 235, Z. 27.
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III. Historische Einzelstudien
sehen Handbuch des Valerius Maximus entnommen habe.150 Im Folgenden betont der Redner, dass nicht nur die Antike, sondern auch die eigene Gegenwart einschlägige Beispiele vorweisen könne. Doch da diese Exempla dem König von Kastilien bereits bekannt seien, müsse Gunthorpe sie nicht erwähnen.151 Sämtliche Exempla sollen im Übrigen belegen, dass es nicht ungewöhnlich sei, wenn aus Todfeinden enge Freunde würden.152 Im folgenden Abschnitt preist Gunthorpe ausführlich den Frieden, welcher den Königen nicht nur Ruhm, sondern auch ein ο dum cum dignitate verschaffen könne.153 Hierauf kommt der Redner auf die ökonomischen Vorteile zu sprechen, die ein solcher Frieden den Untertanen der beiden Reiche bringen werde.154 Wie Gunthorpe in der Einleitung zu diesem längeren Abschnitt bemerkt, sind solche Informationen und Überlegungen dem kastilischen Publikum selbstverständlich nicht neu. Restat ut [...] vel unico verbo percurram, subditorum videlicet vestrorum commoda, que ex pace oriri poterunt, et eo quidem brevius quo haec prudenciae tuae non ignota esse arbitror et mercatorum tuorum, quibus hoc regnum abundat, neminem latet,155
Echte Überzeugungsarbeit muss der Redner somit nach eigener Aussage nicht leisten.156 Zumindest eine Vorentscheidung, wenn nicht gar die endgültige Entscheidung, ist auf Seiten Kastiliens bereits gefallen: Habes longiorem oracionem, prudentissime prineeps, [...] longius quam opus erat presertim ad te, cujus animus jam diu inclinatus est ad pacis federa percucienda [.. ._/.157
150 Ed. Chaplais, I, 1982, S. 235, Z. 27. Bei Valerius Maximus werden im Kapitel „Qui ex inimicitiis iuneti sunt amicitia aut necessitate" (lib. IV, cap. II) tatsächlich alle Exempla vorgestellt, die Gunthorpe in seiner Rede verwendet. Vgl. hier insbes. die Einleitung des Kapitels: [...] si bellum pace mutatum plurimum gaudii adjert, ojjensarum etiam acerbitas deposita Candida relatione celebranda est. 151 Nec solum antiquorum exempla in promptu sunt, sed et moderna quoque testimonia sponte se ojferunt, que, quoniam tuae celsitudini non ignota sunt [...], silencio preterire dignum duxi (ed. Chaplais, I, 1982, S. 236, Z. 19-23). 152 Haec autem ideo commemoravi, illustrissime rex, ut celsitudini tuae aperirem neque novum neque inauditum esse eciam capitales hostes amicissimos esse Jactos [...] (ed. Chaplais, I, 1982, S. 236, Z. 23 - S. 237, Z. 2). 153 Ed. Chaplais, I, 1982, S. 238, Ζ. 1 f. 154 Auch wird daran erinnert, dass die Flotten der beiden Reiche etwa gleich stark seien, somit die militärischen und wirtschaftlichen Verluste im Kriegsfall auf beiden Seiten erheblich (... non multo inferiorem classem habemus et optime exercitatam virorum manum; ed. Chaplais, 1,1982, S. 238, Z. 23 f.). 155 Ed. Chaplais, I, 1982, S. 238, Z. 6-9. 156 Zur Technik der ceremonial persuasion vgl. Bisson, 1982. 157 Ed. Chaplais, I, 1982, S. 239, Z. 5-8.
7. Die Gesandtschaftsreden des John Gunthorpe (1466/1468)
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Anschließend betet der Redner zu Gott, dass der Friedens- und Freundschaftsvertrag tatsächlich zustande kommen möge. Er kündigt an, dass seine Rede nun am Ende sei, fügt aber dann doch noch die Mahnung hinzu, dass das Schicksal unberechenbar sei.158 Mit der nochmaligen, nachdrücklichen Aufforderung zum Friedensschluss endet der Text. Dieser kurze Abriss des Inhalts zeigt bereits, dass John Gunthorpes lateinische Rede des Jahres 1466 keineswegs primär als Träger und Medium einer neuen, erstmals zu übermittelnden Information angesehen werden kann. Die Rede sagt nichts, was der kastilische Hof nicht bereits vorher gewusst hat. Gunthorpes Ansprache hat daher auch nicht so sehr die Aufgabe, zu etwas zu überreden, als vielmehr, die nun folgende diplomatische Gesprächsrunde durch einen weitgehend formalisierten und standardisierten oralen Akt zu eröffnen. Die lateinische proposicio führt erst zu den Verhandlungen hin. Es ist daher in diesem Vorfeld weniger entscheidend, was gesagt wird, als vielmehr, dass etwas gesagt wird, und zwar in der Form einer rhetorisch attraktiven lateinischen oratio. In der Terminologie der Sprechakttheorie handelt es sich um „performatives Reden", d. h. um ritualähnliche verbale Handlungen, durch die Beziehungen inszeniert werden.159 Eine weitere Rede in der Sammlung Gunthorpes entstammt dem Frühling des Jahres 1468.160 Sie richtet sich an Franz II., Herzog der Bretagne (1458—1488), und hat zum Ziel, die Ratifizierung eines bereits ausgearbeiteten Bündnisvertrages zwischen den beiden Dynastien zu erreichen. Die Aufgabe dieser diplomatischen Ansprache ist somit durchaus mit dem der zwei Jahre zuvor in Kastilien gehaltenen oratio vergleichbar. Es überrascht daher nicht, dass Gunthorpe hier 158 Quare jam finis esto, si hoc unum addidero, variam vitae commutabilemque racionem, vagam volubilemque jortunam esse (ed. Chaplais, I, 1982, S. 239, Z. 15-17). Der König von Kastilien solle schnell handeln und die Gelegenheit zum Abschließen eines Vertrages nutzen; denn England habe auch Vertragsangebote von anderen Fürsten erhalten: Vide ergo, sapientissime rex, ne, si tarn liberalem pacts oblacionem jam renueris, veniat et elucescat aliquandt dies cum et amiässimi benevolenciam et gravissimi hominis fidem atque constanciam et unius post homines natos fortissimi et magnanimi principis amiciciam desideres, cum tarde nimis postulabitur. Multa ab aliis pnncipibus offeruntur. Pendet hucusque ea res, preoccupare tibi licet. Superest temporis aliquid sed vix satis, nisi maturaveris, adpacem Jaciendam, quam si cupis, nulla dilacio querenda [...] (ed. Chaplais, I, 1982, S. 239, Z. 24-30). 159 Vgl. Rappaport, 1998, S. 195 f. (beruhend auf Austin, 2 1976). Zur Inszenierung in der öffentlichen Kommunikation vgl. Zotz, 2001, S. 468. 160 Ed. Chaplais, I, 1982, Nr. 139.
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III. Historische Einzelstudien
seine kastilische Rede weitgehend reaktiviert und lediglich in einzelnen Abschnitten der veränderten Kommunikationssituation anpasst. Wiederum stellt Gunthorpe die These auf, dass die Geschichte zeige, wie aus erbitterten Feinden gute Freunde werden könnten.161 Zur Illustration werden aus der Antike die bereits bekannten, bei Valerius Maximus mühelos nachzulesenden Beispiele angeführt: Marcus Aemilius Lepidus, Fulvius Flaccus, Livius Salinator, Scipio Africanus, Cicero, Quintus Pompeius und Caelius Rufus. Erneut streicht Gunthorpe heraus, dass nicht nur die Antike, sondern auch die Gegenwart weitere Beispiele beibringen könne.162 Hierbei werden viele Formulierungen der kastilischen Rede wörtlich wiederholt.163 Trotz dieser historischen Argumentation164 geht es Gunthorpe auch im vorliegenden Fall wohl kaum um echte Überzeugungsarbeit. Wie er selbst einleitend unterstreicht, hat er bereits im vorhergehenden Jahr mit dem bretonischen Herzog verhandelt.165 Gunthorpes Rede soll das bereits Bekannte nur noch einmal aufgreifen und bekräftigen: Nunc igitur hoc solum reliquum est ut ad ea confirmanda, que tum ßrmissima tuo pectori herebant, vel pocius renovanda [...] omnem oracionem nostram accomodem us.166
Eigentlich ist bereits alles gesagt. Dennoch erfordern es die Spielregeln dieser zwischenstaatlichen Kommunikation, dass noch einmal das Wesentliche der Vereinbarung im Rahmen einer lateinischen Rede in der höfischen Öffentlichkeit rezitiert wird. Der symbolische Charakter solcher orationes lässt sich noch an einer weiteren Begebenheit ablesen. Als im Sommer des Jahres 1468 die Heirat zwischen Herzog Karl dem Kühnen von Burgund und 161 [...] summos interdum viros dissidisse et vel tandem in graciam rediisse; ed. Chaplais, I, 1982, S. 241, Z. 6f. 162 Nec antiquorum modo exempla nobis in promptu sunt, sed moderna quoque et, ut ita dixerim, hesterna ac domestica recensere liceret [...]; ed. Chaplais, I, 1982, S. 241, Z. 24-26. 163 Vgl. z.B. Chaplais, I, 1982, S.241, Z.27f.: [...] ut ostenderem, neque novum neque inauditum esse eciam capitales hostes muta postmodum caritate devinctissimos juisse [...]. Schirmer, 2 1963, S. 131 f., spricht daher von einem „rhetorischen Zettelkasten formaler Art, den die Humanisten hatten". Diese Beobachtung ist sicherlich richtig, trifft allerdings nicht nur auf humanistische Redner zu. 164 Im folgenden Abschnitt führt Gunthorpe aus der bretonischen Geschichte auch Beispiele eines englandfreundlichen Verhaltens an (ed. Chaplais, I, 1982, S. 242, Z. 10-28) und versucht den regierenden Herzog auf diese politische Tradition einzuschwören. 165 [...] superiore anno, cum coram essem [...]; ed. Chaplais, I, 1982, Nr. 139, S. 240, Z. 11. 166 Ed. Chaplais, I, 1982, S. 240, Z. 12 - S.241, Z. 1-4.
8. Der Regensburger Reichstag (1471)
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Margaret von York, der genannten Schwester Edwards IV., gefeiert wird, hält Gunthorpe mehrere lateinische Ansprachen, 167 in denen er den hochpolitischen Akt rhetorisch würdigt. Über eine von ihnen, welche er am 29. Juni in Sluys hält, berichtet ein flämischer Chronist, dass der Wortlaut für das Publikum kaum zu verstehen gewesen sei168 — was möglicherweise daran lag, dass der Sprecher ein Engländer war. Doch für das Zeremoniell ist dieses Problem irrelevant. Die Regeln der ritualisierten Kommunikation erfordern lediglich, dass solche orationes gehalten werden; die Frage, ob die höfischen Zuhörer sie im Einzelnen verstehen, ist sekundär. Es geht nicht darum, was in diesen Reden, sondern was mit diesen Reden gesagt wird. Gerade im Nichtverstehen zeigt sich der symbolische Charakter des rhetorischen Aktes.
8. Der Regensburger Reichstag (1471) Die Stellung des Lateinischen als Quell-, Mitder- und Zielsprache lässt sich in der Kommunikation der sog. Reichstage wie unter dem Mikroskop beobachten. 169 Denn ohne den partiellen Einsatz des Lateinischen hätten diese wohl kaum gelingen können. 170 In ihrem Rahmen ist die praktische Kommunikation in der Regel insofern mehrgleisig, als ein und derselbe Text nacheinander in mehreren Sprachen oralisiert werden muss. 171 Vom Juni bis zum August 1471 hält Friedrich III. (1440-1493) einen Reichstag zu Regensburg ab, über dessen Ablauf ein detaillierter Bericht informiert, den Agostino Patrizi (ca. 1435—1495), Sekretär des päpstlichen Legaten Francesco
167 Vgl. u.a. Chaplais, I, 1982, Nr. 140b. 168 Nach Weiss, 1957, S. 124, Anm. 5. 169 Vgl. Helmrath, 1997, 1998 u. 2002b. Zum kommunikativen und politischen Format des .Reichstages' vgl. Annas, 2004. 170 Uber die inoffiziellen Gespräche am Rande des Reichtages lässt sich kein klares sprachliches Bild gewinnen. Zu ihnen bemerkt Erasmus im „Ciceronianus" allerdings lapidar: Neque multo maior usus [sc. linguae Latinae] in conciliis, ubi singuli paucis aperiunt quod videtur idque Gallice aut Germanice. Maximae vero res hodie per consilium quod arcanum vocant conficiunlur; ad id vix tres homines adhibentur, illiterati fere, reliquis licet consultare. Erasmus, Ciceronianus; ed. Payr, 1972, S. 206-208. 171 Ein einzelnes Beispiel bei Helmrath, 2002a, S. 132, Anm. 114 (zu Enea Silvio Piccolomini).
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III. Historische Einzelstudien
de' Piccolomini Todeschini (1439-1503), verfasst hat.172 Zwar nehmen aufgrund der multinationalen und multilingualen Struktur des Reiches an der Konferenz Gesandte aus vielen Ländern teil, gleichwohl ist die primäre Verhandlungssprache keineswegs Latein, sondern Deutsch. In eben diesem Medium hält Friedrichs diplomatisch erfahrener Rat Johann Hinderbach, Bischof von Trient (14651486),173 am 24. Juni eine ausgedehnte Eröffnungsrede. 174 Am folgenden Tag, dem 25. Juni 1471, treten burgundische Gesandte auf und beklagen sich über das Verhalten Ludwigs XI. von Frankreich (1461-1483). Da sie aber offenbar nicht des Deutschen mächtig sind und die überwiegend deutschen Zuhörer in ihrer Mehrzahl das Französische nicht beherrschen, kommt erstmals die internationale Diplomatensprache Latein zum Einsatz.175 Am 31. Juli erscheinen Gesandte des Königs Matthias von Ungarn vor dem Kaiser; der Leiter und Sprecher der Delegation, Albert Vetesi, Erzbischof von Veszprem, hält ebenfalls eine solche lateinische Rede.176 Vermutlich verfügen weder die burgundischen noch die ungarischen Gesandten über eine hinreichende Kenntnis des Deutschen, so dass sie auf das Lateinische, eine dem kommunikativen Rahmen des Reichstages ohnehin nicht unangemessene Sprache, ausweichen müssen. Insbesondere für die Ungarn, welche innerhalb Europas sprachlich völlig isoliert sind, stellt das Lateinische (neben dem Deutschen) nicht nur eine punktuell gewählte Notlösung, sondern die wichtigste kommunikative Brücke zu den politischen Nachbarn dar. Es wird nicht ausdrücklich erwähnt, doch darf man vermuten, dass sich auf dem Reichstag an diese lateinische Kommunikation jeweils eine rege Ubersetzungstätigkeit anschließt. Auch der umgekehrte Weg wird bisweilen beschritten: Am 27. Juni antworten die Fürsten auf die kaiserliche Proposition, indem sie den Erzbischof von 172 Zur Besonderheit dieses Protokolls vgl. Meuthen, 2000, S.282. Zum Teilnehmerkreis und Beratungsgegenstand vgl. Annas, Bd. 2, 2004, S. 446-470. 173 Zur Person vgl. Strnad, 1997; zu Hinderbachs rhetorischer Kompetenz vgl. Strnad, 1966/67. 174 Considentibus proceribus assurrexit Joannes Inderbachius Tridentinus praesul, qui sermons Theotonico caesaris iussu longam habuit orationem. Ed. Wolff, 1999, S. 652 (dort einige editorische Fehler, die ich bei den folgenden Zitaten stillschweigend korrigiert habe). 175 Burgundi post haec latina oratione apud caesarea! acriter conquest! sunt de Ludovico Francorum rege [...]. Ed. Wolff, 1999, S. 653. 176 Albertus episcopus Vesprimensis, grandaevus homo et venerandus aspectu, sonora atque dulci voce latineperoravit. Ed. Wolff, 1999, S. 677.
8. Der Regensburger Reichstag (1471)
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Mainz eine deutsche Antwortrede halten lassen. Diese wird anschließend von Hinderbach, einem promovierten Juristen, ins Lateinische übersetzt: Haec Germanice dicta Trideniinus praesul hatine retulit, ut Veneti et Burgundi, aderant, plane intelligerent. Patria deinde lingua caesaris nomine principibus response egit gratias [.. .].m
qui pro
Auch hier dient das Lateinische dazu, jene Teilnehmer, die des Deutschen nicht mächtig sind (sc. Venezianer und Burgunder), kommunikativ zu versorgen. Ohne die Verfügbarkeit des Lateinischen müsste Hinderbach eine französische und eine italienische Ubersetzung folgen lassen. Hierdurch würde das ohnehin bereits schleppend verlaufende Gespräch noch zähflüssiger. Am 6. Juli empfängt der Reichstag einen Gesandten namens Andreas aus Krain, der einen Brief verliest und auch in einer anschließenden mündlichen Stellungnahme über die Türkennot klagt.178 Sowohl der Brief als auch die Rede des Andreas sind vermutlich in deutscher Sprache geschrieben bzw. gehalten, jedoch ergibt sich auch hier ein Verständigungsproblem, das allerdings nicht sprachlicher, sondern akustischer Natur ist: Weil der Gesandte recht leise gesprochen hat, wiederholt Markgraf Albrecht Achilles von Brandenburg den Inhalt mit lauter Stimme.179 Man könnte zunächst meinen, dass die .stimmlichen' Schwierigkeiten des Gesandten Andreas die Frage der Sprache nicht berühren. Eine gewisse Verbindung zwischen den beiden Komplexen gibt es jedoch sehr wohl: Gerade für diejenigen Konferenzbesucher, die über weniger profunde Deutsch-Kenntnisse verfügten, konnte aus einer kaum noch hörbaren deutschen Rede eine unverständliche Rede werden. Nach allgemeiner Erfahrung ist das intellektuelle Hörverständnis auch vom akustischen Hörverständnis abhängig. Am 24. Juli kommt es zu einem merkwürdigen Vorfall: Als Mitglied einer Delegation des polnischen Königs Kasimir Andreas IV. (1447-1492) tritt eine dubiose Figur namens Kilian Steiner auf und lobt die Bildung des ebenfalls mitgereisten jungen Prinzen Wladislaw
177 Ed. Wolff, 1999, S. 654. 178 Recitatae sunt deinde litterae ex Charnis attatae et Andreas quidam ex ordine equestri Carnorum orator auditus. Ed. Wolff, 1999, S. 656. 179 Haec eadem, cum Andreas submission voce perorasset, Albertus Urandeburgensis sonanti sermone repetiit, ut omnes intelligerent Carnorum calamitates. Ed. Wolff, 1999, S. 656.
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III. Historische Einzelstudien
(1456-1516), des späteren Königs von Böhmen. 180 Zur Demonstration zieht Steiner ein Papier aus der Tasche und übergibt es dem Kaiser mit der Bemerkung, der Prinz habe es eigenhändig geschrieben und noch ein weiteres, ganz ähnliches den Fürsten übergeben. 181 Das eine Exemplar verbleibt in Friedrichs Hand, das zweite wird in der Versammlung herumgereicht. Doch da der Text zum großen Teil auf Latein geschrieben ist, achten Friedrich und die Fürsten nur auf das Schriftbild, nicht auf den Inhalt. Hier zeigt sich die in der alltäglichen Kommunikation größerer Organisationen zu beobachtende Praxis, dass Papiere im Umlaufverfahren ungelesen weitergereicht werden. Im vorliegenden Fall tritt sogar noch der Umstand erschwerend hinzu, dass dieser ,Umlauf' des polnischen Prinzen auf Latein verfasst ist. Mit einer gewissen Mühe hätten nicht wenige der Anwesenden den genauen Inhalt des Schreibens wohl erfassen können, doch eben diese Anstrengung unterbleibt. — Immerhin laufen die Verhandlungen weiter und es bleibt keine Zeit für ein ausgiebiges Studium des Textes. Lediglich der misstrauische Todeschini betrachtet das Schriftstück eingehender und stellt fest, dass darin heftig gegen Klerus und Papst polemisiert wird. Schnell versteckt er das in seinen Händen befindliche Exemplar und veranlasst Friedrich mit Hilfe eines Scherzes, ihm auch das zweite Papier auszuhändigen. 182 Die von Patrizi notierte Anekdote dient zunächst dazu, die hohe Bildung des Italieners Todeschini vor dem Hintergrund der angeblich auf latinistischem Feld allzu sorglosen Deutschen hell erstrahlen zu lassen. Doch illustriert die Geschichte zugleich auch die kommunikativen Konventionen eines multilingualen Reichstages: Man darf an180 Venerat cum Polono Chilianus quidam scurra, homo vafer et callidus [...]. Hic ingressus ad caesarem, dum interprincipes sederet, blandis verbis imperatorem salutat Poloniae regis nomine hincque sermonem ingressus multa et de rege et de Vladislao eins filio, quem parvulum regem appellabat, dicere cepit. Huncprudentissimum adolescentem, hunc liberalem, probum et litterarum studiis apprime deditum, [...]. Ed. Wolff, 1999, S. 672. 181 [...] et cedulam quandam e sinu trahens caesari dedit et: ,vide', inquit, ,optime caesar, quam scite scribat parvulus rex. Hanc manu sua exaravit alteramque similem prineipibus tradidit.' Ed. Wolff, 1999, S. 672. 182 Cum inter manus prineipum discurreret cedula, pervenit tandem ad manus legati. Is, qui non sine suspicione alicuius doli haecperspiciebat, avide cedulam perlegit. Eius haec erat sententia: Mala, quae christianae plebi eveniunt, sacerdotum causa evenire, cum religiose minime vivant et sacerdotiis proficiant indigni. Admiratus est hominum iniquitatem legatus adversus clerum et apostolicam sedem. Cedulas conscriptas per dolum intelligens, abscondit igitur diligenter, quam habebat, et protinus quasi per iocum a caesare alteram postulavit. Concessit earn facile caesar nihil aliud cogitans. Ed. Wolff, 1999, S.672.
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nehmen, dass ähnlich wie bei den schriftlichen Texten auch die lateinische Mündlichkeit, insbesondere die der offiziellen Ansprachen, von den meisten Anwesenden trotz vorhandener Latein-Kenntnisse nur oberflächlich registriert und lediglich dem Tenor nach mental erfasst wird. Man verlässt sich darauf, dass einige wenige Spezialisten den Inhalt der vorgetragenen Rede oder des zur Lektüre übergebenen lateinischen Textes präzise erfassen und anschließend den übrigen Anwesenden übersetzen oder durch Zusammenfassungen erschließen. Dass diese Kontrollfunktion im vorliegenden Fall versagt hat, zeigt die folgende Reaktion des päpstlichen Legaten: Ac kgatus, ut primum occasio data est, Maguntinum seducens et: ,quid agis,' inquit, ,Maguntine praesul, siccine cancellarii officium imples? Veniunt ex longinquis partibus ignoti homines, litteras in contione principibus reddunt, et nihil dicis, non curas, quid scriptum sit, cognoscere, nec et, quid sibi velint tabellae, interrogas. Hoccine est officium supremi cancellarii? Lege has cedulas et disce, quibus disciplints novellus here ticorum electus adolescentiam suam consecraverit.' Obstupefactus Maguntinus his verbis cedulas legit accusavitque negligentiam suam, quod non advertisset, [.. ,].m
Todeschini nimmt hier den Mainzer Erzbischof Adolf II. von Nassau (1461-1475) bei erstbester Gelegenheit beiseite und rügt ihn - vermutlich auf Deutsch 184 — für seine sorglose Ausübung des Kanzleramtes. Gemäß der Regie des Reichstages gehört Adolf jener kleinen Personengruppe an (zu ihr zählt auch Hinderbach), deren Aufgabe darin besteht, die lateinischen Texte (seien sie mündlicher oder schriftlicher Natur) zu prüfen und deren Inhalt den übrigen Teilnehmern durch eine Übersetzung, Paraphrase oder Zusammenfassung zugänglich zu machen. Die technisch, medial und sprachlich höchst komplizierte Kommunikation des Reichstages vermag nur zu funktionieren, wenn sich alle Teilnehmer auf die Aufmerksamkeit und Sorgfalt der für das Lateinische zuständigen Spezialisten verlassen können. Am 28. Juli treten Gesandte des Königs Ferdinand I. von Neapel (1458-1494) in der Versammlung auf. Anders als die Burgunder verzichten die Italiener jedoch auf die Diplomatensprache Latein; der Leiter der Delegation, ein adliger Ritter namens Antonio Ciccinello,
183 Ed. Wolff, 1999, S. 672 f. 184 Zu Piccolominis Deutschkenntnissen vgl. die folgende Passage: Quae cum apostolicus legatus ab amicis rescisset, linguae enim commertium multos ex Germanis Uli conciliaverat, caesari et principibus Venetorum postulata inutilia iniquaque esse multis argumentis ostendit. Ed. Wolff, 1999, S. 687.
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III. Historische Einzelstudien
hält seine Rede selbstbewusst in der Muttersprache. 185 Es zeigt sich somit, dass die jeweils verwendete Sprache an das soziale Profil der Delegierten gebunden ist: Als Sprecher fungiert hier kein Jurist oder Theologe, sondern ein adliger Laie. Die Verwendung eines dritten Mediums, des Italienischen, welches neben dem Deutschen und dem Lateinischen steht, führt zu einer weiteren Reduktion der Kommunikationsgeschwindigkeit des Reichstages, 186 da nun die Rede der Neapolitaner nicht mehr nur einfach, sondern doppelt übersetzt werden muss: Haec eadem latinis atque amplioribus verbis repetiit Narcisus Hispanus, sacrarum egregius professor, addiditque Germanos, nisi occurrant, primos perituros, et multis rationibus conatus est principibus persuadere, ut communi consilio bellum susciperent. Post haec Maguntinus praesul oratorum verba germanice interpretatus est [.. .7.187
Für die lateinische Übersetzung der italienischen Rede ist der spanische Theologe Narciso von Verdun zuständig. Narciso gibt den Inhalt offenbar keineswegs exakt wieder, sondern schmückt ihn aus und reichert ihn mit eigenen Gedanken an. Anschließend erfüllt Adolf von Nassau seine kommunikative Pflicht, indem er eine deutsche Ubersetzung anfügt. Nach Auskunft Patrizis gibt er dabei die Worte beider Redner wieder, doch vermutlich als eine oratorische Einheit. Die Möglichkeit einer textnahen Ubersetzung ist somit ausgeschlossen. Alternativ kann man annehmen, dass Adolf nur die lateinische Rede Narcisos wiedergibt, da diese offenbar für die tatsächliche Kommunikation gedacht ist, während die italienische Rede eher einen demonstrativen Charakter hat. Es liegt auf der Hand, dass die Polyphonie dieses Reichstages vielfach nur eine indirekte, distanzierte und zähflüssige Kommunikation ermöglicht, die sich auf den Gang der Verhandlungen nicht nur prozessual, sondern auch inhaltlich auswirkt. — Erst Italienisch, dann 185 Intromissi deinde Neapolitan!, facta salutations et redditis litteris Antonius Cimellus, nobilis eques, Italico sermone sui regis legationem exposuit. Ed. Wolff, 1999, S. 674. 186 Ein weiteres Beispiel sukzessiver Polyphonie ist jene Rede, welche der sprachlich wendige Mediator Rainald von Dassel (1156—1167) im Jahre 1162 auf dem Reichstag von Dole hält, um einem vorzugsweise aus Deutschen und Franzosen bestehenden Publikum die Politik Barbarossas gegenüber der Kirche zu erläutern. Quam assertionem tarn valido rationis praesidio subnixam putavit, ut nunc l^atialiter, nunc Gallice Germaniceque fando ternis actionem vocibus iteraret (Saxo Grammaticus, Gesta Danorum XIV 28, edd. Olrik / Raeder, 1931, S. 443). In dem Nacheinander einer lateinischen, französischen und deutschen Fassung offenbart sich, dass hier drei Publikumskreise nahezu unverbunden nebeneinander stehen. 187 Ed. Wolff, 1999, S. 675.
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Latein, anschließend wieder Deutsch: solche Übersetzungsketten, die ohne Simultandolmetscher funktionieren müssen, bremsen den Gedankenaustausch und führen vermutlich mitunter sogar zu Verwirrung, da die Texte keineswegs nur übersetzt, sondern zumeist paraphrasiert und durch Ergänzungen oder Kürzungen modifiziert werden. Die ausschließliche Verwendung der lateinischen Sprache hätte solche Probleme zweifellos vermieden.
IV. Fazit Die mündliche, in lateinischer Sprache geführte Kommunikation des hohen und späten Mittelalters ist insofern eine gelehrte Kommunikation, als sie erstens mit einer sekundär erworbenen Sprache operiert und zweitens eine im Unterricht vermittelte, d.h. professionell trainierte Form der Dialogizität darstellt (unbeschadet der Tatsache, dass die individuelle Sprachkompetenz auch durch langjährige Erfahrung, autodidaktisches Lernen und persönliche Begabung gesteuert werden kann). Grundsätzlich besteht das memoriale Erlernen im zielgerichteten Erwerb fester Formeln, vorgefertigter Versatzstücke, größerer Textbausteine und komplexer Wiedergebrauchsreden, die sich in der konkreten Gesprächssituation abrufen lassen. Aus diesem Grund zeichnet sich die lateinische Oralität durch einen hohen Grad an Formalisierung und Standardisierung aus. Sie beruht auf stabilen rhetorischen und diskursiven Regeln, die von allen Teilnehmern des Gesprächs akzeptiert werden, weil sie der Kommunikation Berechenbarkeit verleihen. Der kalkulierte Regelverstoß bildet die Ausnahme. Die formalisierte Mündlichkeit (und nur diese lässt sich in den Quellen beobachten) wird oftmals durch eine gleichlautende Schriftlichkeit antizipiert, begleitet und nachbereitet. Sie ist somit textuell verdichtet und verfasst. Ein solcher Modus stabilisiert die Kommunikation, vermindert jedoch die Möglichkeit der spontanen Aussage. Spontaneität ist der Feind der Berechenbarkeit. Die Verwendung und Verbreitung lateinischer Oralität kann nicht geographisch abgebildet werden. Als situative Sprache ist Latein innerhalb der hier betrachteten Epoche nur über Kommunikationsräume definierbar. Diese lassen sich als eine auf wenige Typen reduzierbare Zahl gesellschaftlich bedeutsamer Gesprächskonstellationen darstellen, welche einen stabilen Katalog von Handlungen, Themen und Akteuren aufweisen. Das hier verwendete Latein prägt nicht nur die sprachlichen, sondern auch die rhetorischen und sozialen Regeln der Kommunikation.
IV. Fazit
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In den genannten Gesprächskonstellationen erscheint den Akteuren die Wahl des Lateinischen als möglich, gerechtfertigt oder angemessen, die Wahl einer sprachlichen Alternative hingegen als unmöglich, ungerechtfertigt oder unangemessen. Als Gründe sind denkbar: 1. Der Objektbezug: Die Wahl des Lateinischen bietet sich in Gesprächen über jene Themen und Gegenstände an, die ausschließlich oder überwiegend in lateinisch verfassten Schriften behandelt werden. Die orale Latinität ist somit ein Reflex der abendländischen Textgemeinschaft. 2. Die Leistungsfähigkeit: Das Lateinische erscheint in einer konkreten Situation als das einzige oder zumindest am Besten geeignete, terminologisch wie rhetorisch ausgereifte Medium zur Darstellung komplizierter Sachverhalte. 3. Das Symbol: Das Lateinische kann einerseits als ein Zeichen literarischer Gelehrsamkeit oder theologischer Kompetenz verstanden werden, das dem Sprecher Prestige und Glaubwürdigkeit verleiht; es kann andererseits als religiöses Medium gewählt werden, um den sakralen Charakter des Gesagten zu betonen. 4. Die verbindende Sprache: In manchen ,international' geprägten Gesprächskonstellationen ist Latein der einzige oder zumindest der größte gemeinsame sprachliche Nenner. 5. Die Sprachpolitik: Das Lateinische kann entweder als politisch neutrales Medium dienen oder es wird im Gegenteil als höchst politische, d. h. als kuriale oder imperiale Sprache gewählt. 6. Die Konvention: Die Verwendung des Lateinischen kann auch in einer sachlich obsolet gewordenen, gleichwohl kritiklos weitergeschleppten Konvention begründet sein. Aufgrund der kausalen Gemengelage verfügt nahezu jeder orale lateinische Akt neben der stimmlichen Qualität auch über eine schriftgeleitete, eine rituelle, eine politische und eine symbolische Dimension. Durch die Wahl der Sprache werden dem Hörer zahlreiche Informationen vermittelt, von denen jedoch nur der kleinere Teil im Wortlaut der Aussage kodiert ist. Trotz der zahlreichen Gründe zur Benutzung einer solchen Sprache erreicht das Lateinische auch in den hier beschriebenen Kommunikationsnischen nur selten den Status der Exklusivität. Die lingua hart na wird vielfach nicht statt einer anderen Sprache, sondern ^u deren Ergänzung verwendet. Orale Latinität markiert nicht selten eine Phase in einer längeren polyglossalen Sequenz. Dabei hängt die Wahr-
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IV. Fazit
scheinlichkeit des jeweiligen Sprachwechsels von dem Grad der Öffentlichkeit, der Formalisierung, der Ritualisierung und der Feierlichkeit des Gesprächs ab. Es sei abschließend angemerkt, dass sich die in der vorliegenden Studie thesenhaft zugespitzten Beobachtungen nur auf einen Ausschnitt der praktizierten lateinischen Oralität beziehen können. Bei der hier vorgenommenen generalisierenden Darstellung kommunikativer Mechanismen mussten die weiten, in Stil, Vokabular und Rhetorik genutzten Spielräume latinistischer Individualität ausgespart bleiben, obwohl ihre Existenz keineswegs bestritten werden soll. Auch die auf gemeinsamer Textlektüre und -interpretation beruhende, nicht auf oratorische Muster abzielende Methode des Spracherwerbs ist hier nicht berücksichtigt. Es bedarf ferner kaum der Erwähnung, dass jede verallgemeinernde Aussage über vormoderne Oralität das Risiko der Spekulation grundsätzlich nicht vermeiden kann und daher wissenschaftlich angreifbar ist. Und schließlich fehlt in der vorliegenden Arbeit auch die diachrone Perspektive, obwohl erst sie die vielfältigen Veränderungen und Innovationen im Gebrauch lateinischer Oralität insbesondere des späten Mittelalters verdeutlichen könnte. Mögen die in diesem Buch gebotenen Skizzen dennoch ihr bescheidenes Ziel erreichen, zu einer vertieften Beschäftigung mit dem Konnex von Kommunikation und Sprache anzuregen.
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VI. Orts- und Personenregister Accorsi, Francesco 16 f. Adolf II. von Nassau, Ebf. von Mainz 147 f. Aegidius de Fuscarariis 29, 50 Aelfric Bata 7 1 - 7 6 Aimerich, Kanzler 83, 87, 89-92, 94 Alan von Tewkesbury 9 5 - 1 0 0 Albergati, Niccolö 59 Alberich, Kardinalbf. von Ostia 84 Alberico Gentiii siehe Gentili Albert Vetesi, Ebf. von Veszprem siehe Vetesi Albertanus von Brescia 57 Albrecht Achilles, Markgraf von Brandenburg 145 Α ΐ ε η ς ο η 121-126, 133 Alexander d. Gr. 117 Alexander III. (Papst) 9 4 - 9 7 , 99 Alexander von Villedieu 71 Alfanus, Ebf. von Salerno 10 Alfons X., Kg. von Kastilien 102 Alington, William 121 Alkuin von York 6 Alvisus, Bf. von Arras 89, 9 1 - 9 3 Andreas, Gesandter aus Krain 145 Aristoteles 32 Arles 105 Arnulf, Bf. von Lisieux 25f., 52 Arnulf, hl., von Saint-Medard 83, 88 Arras 59 f., 138 Arundel, Earl of siehe Wilhelm von Aubigny Attigny 55 Atto, Ebf. von Chieti 10 Avignon 2 0 , 6 6 , 1 1 3 Balduin von Luxemburg, Ebf. von Trier 82 Barbarossa siehe Friedrich I. Barbarossa Bartholomäus, Bf. von Exeter 94, 96 f. Bartholomäus, Bf. von Laon 89f., 93 Basel 51
Battista Guarino siehe Guarino Baudri von Bourgueil 22 Becket, Thomas, Ebf. von Canterbury 9, 9 4 - 9 7 , 99 Beda Venerabiiis 14 Benedikt XII. (Papst) 47 Benessius de Weitmil 20 Berectfrid 15 Berhtvald, Ebf. von Canterbury 15 Bernard de Chevenon, Bf. von Beauvais 126 Bernard du Rosier siehe Rosier Bernhard von Clairvaux 84 f., 90 f. Besan^on 64 Boccaccio, Giovanni 110, 113 Boethius 34 Bologna 77, 80 Boncompagno da Signa 25,28—31,50, 7 8 - 8 1 , 98, 116 f. Bosa, Bf. von York 14 Bosham, Herbert 99 f. Braun, Konrad 65 f. Brokes, Henrich 58 Brügge 61 Brunus siehe Braun Burckhardt, J a c o b 1 3 4 - 1 3 7 Burnell, Robert, Bf. von Bath und Wells 16 f. CaeliusRufus 1 3 9 , 1 4 2 Caesar 6 Cahors 67 Caietanus, Jacobus 44, 46 Cambridge 138 Caninius Gallus 139 Cato Censorinus 65 Caudray, Richard 121, 124 f. Celtis, Konrad 69 Chichele, Henry, Ebf. von Canterbury 126 Ciccinello, Antonio 147 Cicero 6, 27, 76, 80, 113, 139, 142
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VI. Orts- und Personenregister
Clemens V. (Papst) 47 Clemens VI. (Papst) 19f., 47 Clermont, Synode von 21 Coelestin III. (Papst) 84 Dole 148 Domann, Johannes 59 Duese, Jacques siehe Johannes XXII. Durant, Guillaume 31-38, 41 f., 50, 52, 116 f. Eadfrid, Bf. von Lindisfarne 14 Ebstorf 69 Edward I. (engl. Kg.) 16 Edward IV. (engl. Kg.) 138f., 143 Eger 75 Ekkehard II. von St. Gallen 70 Enea Silvio Piccolomini siehe Piccolomini Erasmus von Rotterdam, Desiderius 15 f., 26, 75, 143 Ernst von Pardubitz, Ebf. von Prag 19 f. Ezzelino III. da Romano 102 Ferdinand I., Kg. von Neapel 147 Ferrara 138 Flemming, Robert 138 Florenz 113 Fortunatian 138 Franz II., Hg. der Bretagne 141 Free, J o h n 138 Friedrich I. Barbarossa (dt. Kg.) 64, 148 Friedrich III. (dt. Kg.) 143, 146 Friedrich, Propst von St. Thomas in Straßburg 18 Fulcher von Chartres 22 Fulvius Flaccus 142 Galdricus, Bf. von Laon 41 Galeazzo (II.) Visconti 107, 109, 111 Gaufrid, Bf. von Chälons-sur-Marne 89, 93 Gaufrid II., Bf. von Chartres 89, 90, 93 Gentili, Alberico 58 Genua 24 Gerbert von Reims 51 Gerhard von Borgo S. Donnino 101— 103 Gerson, Jean 80 Gilbert Foliot, Bf. von London 94f., 99 Giovanni d'Andrea 81 Girald von Wales 1 1 - 1 3 , 9 8 Gottfried, Bf. von Langres 93 Gregor I., d. Gr. (Papst) 33 Gregor XI. (Papst) 61 Grey, Lord 121
Grey, William 138 Guarino, Battista 138 Guibert von Νogent 2 1 , 2 3 , 4 1 , 5 1 Gunthorpe, John 138-143 Gunzo 70 Haloinus, Georg 5, 69 Hamburg 67 Hannibal 118 Hariulf von Saint-Riquier 8 3 - 9 4 Heinrich II. (engl. Kg.) 11, 94 f. Heinrich IV. (engl. Kg.) 119 f. Heinrich IV. (frz. Kg.) 59 Heinrich IV., Kg. von Kastilien 1 3 9 141 Heinrich V. (engl. Kg.) 61, 121, 1 2 6 133 Heinrich VI. (engl. Kg.) 138 Heinrich VII. (engl. Kg.) 138 Heinrich, Bf. von Winchester 51 Herbert Bosham siehe Bosham, Herbert Hieronymus 89, 119 Hilarius, Bf. von Chichester 25 f., 9 4 96, 98 f. Hinderbach, Johann, Bf. von Trient 144 f., 147 Hinkmar, Bf. von Laon 55 Hinkmar, Ebf. von Reims 55 Horaz 109 Hubert Walter, Ebf. von Canterbury 9, 12, 98 Hugo, Bf. von Auxerre 93 Hugo von Digne 104, 106 Hugo I., Abt von Premontre 91 Humbert de Romans 71 Hungerford, Walter 1 2 1 , 1 2 6 Hyeres 104 Innozenz II. (Papst) 83-89, 9 1 - 9 4 Innozenz III. (Papst) 18f., 84 Iocelin, Bf. von Soissons 89 f., 93 Iohanninus de Ollis 104 f. Isabelle, Tochter Johanns II. 107 Jean de Norry, Ebf. von Sens 121, 1 2 3 125 Joachim von Fiore 101, 104 Johann II. (frz. Kg.) 1 0 7 - 1 0 9 , 1 1 1 Johann Ohnefurcht, Hg. von Burgund 126 Johannes, Abt von Hexham 14, 95 Johannes von Parma 105f. Johannes von Salisbury 25 f. Johannes, Subdiakon 18
VI. Otts- und Personenregister Johannes VII. (Papst) 14 Johannes XII. (Papst) 10f. Johannes XXII. (Papst) 47, 66 f. Karl d. Gr. 24 Karl der Kühne, Hg. von Burgund 138, 142 Karl IV. (röm.-dt. Ks.) 19f., 24 Karl IV. (frz. Kg.) 66 f. Karl V. (dt. Kg.) 68 Karl VI. (frz. Kg.) 119 Karthago 118 Kasimir Andreas IV. (poln. Kg.) 145 f. Kemp, John 138 Kirchner, Hermann 62f., 67 Langley, engl. Kanzler 126 Langres 41, 51 Lapo da Castiglionchio d. Ä. 113-118 LenthaU, Roland 121 Lepidus, Marcus Aemilius 139, 142 Leulinghem 120 Liudprand von Cremona 10 f. Livius Salinator 139,142 Locheis 13 Losse, Rudolf 81 f. Lucan 109 Ludwig d. Fr. 24 Ludwig IX. (frz. Kg.) 24 Ludwig XI. (frz. Kg.) 144 Ludwig I., Hg. von Anjou 60 Lüttich 27,29 Maggi, Ottaviano 57 f. Mailand 108, 110 Mantua 51 Map, Walter siehe Walter Map Margaret von York 139, 143 Margarete von Flandern 119 Marseille 106 Matteo dei Libri 16,58 Matthias (ungar. Kg.) 144 Maupertuis 107,110 Milo, Bf. von Therouanne 89, 91, 93 Modena 101 Montpellier 81 f. Morgan, Philip 121-126 Moskau 68 Mouzon-sur-Meuse 51 Narciso, Bf. von Verdun 148 Neapel 24 Niavis siehe Schneevogel Niccolö Albergati siehe Albergati Nicolaus de Albertis 113
175
Nidd 14 Nikolaus III. (Papst) 16 f. Nimwegen 68 Norry siehe Jean de Norry Northumbrien 14 Odo I. von Saint-Remi in Reims 90 Olmedo 139 Orsini, Giordano, Kardinal 126 f., 129132 Orsini, Giovanni Gaetano, Kardinal siehe Nikolaus III. Osred I., Kg. v. Northumbrien 15 Otto I. (dt. Kg.) 10 f. Oudenburg 83, 87 f., 93 Ovid 33 Oxenstierna, Axel 131 Paris 59, 104, 107, 109 f. Parma 102 f., 106 Pascha], Charles 60, 63 f., 68 Paschalis II. (Papst) 41 Patrizi, Agostino 39, 43, 45 f., 49-51, 143, 146, 148 Petrarca, Francesco 107—113 Petrus von Apulien 104 Philipp der Kühne, Hg. von Burgund 119 Philipp, Bf. von Ferrara 102 Philipp von Schwaben (dt. Kg.) 18 f. Piccolomini, Enea Silvio 50 Piccolomini Todeschini, Francesco de' siehe Todeschini Pius II. (Papst) siehe Piccolomini, Enea Silvio Plutarch 65 Pompeius, Quintus 139, 142 Pont de l'Arche 126-133 Ponthieu 83 Prag 110 Provence 12, 61 Quintilian 76, 113 Rainald von Citeaux 90 Rainald von Dassel 148 Regensburg 143-149 Richard von London 64 Robert, Abt von St. Albans 52 Robert Burneil siehe Burnell Robert I. Friso, Gf. von Flandern 86 f. Robert, Kg. von Neapel 24 Robertus Monachus 23 Roger, Bf. von York 94, 96 Rom 6, 10, 16 f., 28, 65, 83-94
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VI. Orts- und Personenregister
Rosier, Bernard du 19, 112 Saint-Medard 83, 87 f., 93 Saint-Riquier 83 Salimbene de Adam 101-106 Salisbury, Earl of 121 Sardinien 60 Saxo Grammaticus 148 Schneevogel, Paul (Niavis) 76-78 Schwab, Friedrich (aus Aschaffenburg) 81 Scipio Africanus 118, 139, 142 Seneca d. Α. 35 Seneca d.J. 109 f., 114 Sens 94-100 Setzer, Jeremias 58, 63 Sigismund (dt. Kg.) 24 Siragusa 24 Sluys 143 Soissons 83 St. Gallen 70 Steiner, Kilian 145 f. Stephan de Cabannes 81 Stephan von Rouen 98, 117 Stephanus Anglicus 105 Stoke, John 121,126 Strozze de Strozzis, Charolus 113 Stuhlweißenburg 24 Tankred von Bologna 28 f., 36 Terenz 6, 74, 76 Theodewin, Kardinalbf. von S. Rufina 84 Thomas Becket siehe Becket
Tilly, William 138 Todeschini, Francesco de' Piccolomini 144, 146 f. Tournai 87 Tours 52 Traversari, Ambrosius 24 Trier 82 Urban II. (Papst) 21-23 Urban V. (Papst) 113-118 Valerius Maximus 65, 140, 142 Venedig 110 Vergil 33, 71, 109 Vetesi, Albert, Ebf. von Veszprem 144 Walsingham, Thomas 52 Walter, Hubert siehe Hubert Walter Walter von Chätillon 78 Walter Map 96 Walter I., Abt von Saint-Medard 83 f., 86 f., 89 f. Warwick, Earl of 126 Wells 138 Wenzel (dt. Kg.) 24 Westminster 52 Whitelocke, Bulstrode 131 Wilfried, Bf. von York 15 Wilhelm von Andres 18 Wilhelm von Aubigny, Earl of Arundel 97, 100 Wilhelm von Longchamp, Bf. v. Ely 11 f. Wilhelm von Malmesbury 52 Wladislaw (böhm. Kg.) 145 f.
• Stimmen aus mittelalterlichen Frauenklöstern Ein Hörbuch mit geistlichen Texten auf Altsächsisch, Mittelhochdeutsch und Mittelniederdeutsch Von Jeffrey F. Hamburger, Hildegard Elisabeth Keller, Susan Marti und Hedwig Röckelein 2005. C D + Booklet (88 Seiten). ISBN 3-11-018424-9 Dieses Hörbuch präsentiert bedeutende mittelalterliche Texte (Millstätter Psalter, Altsächsische Beichte, Meister Eckhart, Tauler, Mechthild von Magdeburg u.a.) in der Originalsprache (Mittelhochdeutsch/Althochdeutsch), gesprochen u.a. von Prof. Hildegard Keller (ΕΤΗ Zürich), einer der bekanntesten Sprecherinnen historischer Texte. Die Texte bewegen sich im Umfeld von Frauenklöstern bzw. deren Lebensweise, Regel und Theologie (Mystik). Zusammen mit dem Booklet, das sämtliche Texte (mit Übersetzung) sowie eine umfassende Einführung enthält, bietet das Hörbuch einen sprachhistorisch und geistesgeschichtlich hoch interessanten Eindruck von Sprache und Themen geistlicher Texte des frühen und hohen Mittelalters. Es ist somit nicht nur für Historiker und Philologen von Interesse, sondern für jeden, der sich für die Sprache und Kultur des Mittelalters interessiert. "[...] ist so eine ideale und sinnenhafte Einführung in Sprache und religiöse Kultur des Mittelalters entstanden." , , ,,„,,, c forum 16-2005
• Thomas von Aquin: Die Summa theologiae Werkinterpretationen Herausgegeben von Andreas Speer 2005. IX, 437 Seiten. Broschur. ISBN 3-11-017125-2. (de Gruyter Studienbuch) Anders als im englischsprachigen und französischsprachigen Raum gibt es bisher weder eine gute deutsche Ubersetzung dieses Schlüsselwerks noch ein einführendes Buch, das die zentralen Themen verständlich und zugleich wissenschaftlich behandelt. Dieses Desiderat behebt der vorliegende Band mit Werkinterpretationen, die anhand der Hauptthemen der thomasischen Philosophie (und Theologie) in die Gesamtkonzeption der Summa theologiae einführen. Der Überblick über den Stand der Forschung stellt gerade für den universitären Unterrichtsbetrieb ein umfassendes Handbuch dar. Er richtet sich nicht nur an das Fachpublikum, sondern gleichermaßen an eine interessierte Öffentlichkeit.
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de Gruyter
Berlin • New York
• Abaelards "Historia calamitatum" Text - Übersetzung - literaturwissenschaftliche Modellanalysen Herausgegeben von Dag Nikolaus Hasse 2002. XII, 322 Seiten. Broschur. ISBN 3-11-017012-4 (de Gruyter Texte) Peter Abaelards Autobiographie, die Historia calamitatum, gehört zu den bekanntesten Texten des Mittelalters, insbesondere wegen der Liebesgeschichte zu Heloise, von der sie berichtet. In den letzten Jahrzehnten wurde über die Echtheit der Dokumente, die Abaelard und Heloise betreffen, so viel gestritten, dass die literaturwissenschaftliche Deutung des Werkes ganz in den Hintergrund trat. Der vorliegende Band macht den berühmten Text zum Gegenstand einer Reihe exemplarischer Analysen, denen der lateinische Text der Historia calamitatum mit einer neuen, in modernem Deutsch gehaltenen Ubersetzung vorangestellt ist. Damit wird die Historia calamitatum erstmals in einer zweisprachigen Ausgabe erschlossen. "Ein beeindruckendes Buch - eine solche Verbindung von sauberer Philologie und verständlicher Theorie war schon lange notwendig." Dr. Henrike Lähnemann In Vorbereitung
Andreas aulae regiae capellanus / Königlicher Hofkapellan
• De amore / Von der Liebe Libri tres / Drei Bücher. Text nach der Ausgabe von E. Trojel Übersetzung, Anmerkungen und Nachwort von Fritz-Peter Knapp 2006. Ca. VIII, 536 Seiten. 6 Abb. Gebunden. ISBN 3-11-017915-6 Der lateinische Traktat De amore aus dem späten 12. Jahrhundert von einem nicht sicher zu identifizierenden Kleriker namens Andreas gehört zu den faszinierendsten und umstrittensten Texten des Mittelalters und ist ein kultur- und literaturhistorisches Zeugnis ersten Ranges. Diese Ausgabe bietet den lateinischen Text nach E. Trojel (1892) zum ersten Mal zusammen mit einer Ubersetzung in modernes Deutsch. Außerdem enthält sie einen philologischen Anmerkungsapparat mit Erläuterungen zu den Quellen, zum Verständnis einzelner Stellen und zu Problemen der Übersetzung. Ein Literaturverzeichnis und ein Nachwort, das den bedeutenden Text literaturhistorisch einordnet und die Forschungsgeschichte aufarbeitet, ergänzen die Ausgabe. Weiterhin sind dem Band Abbildungen aus mittelalterlichen Handschriften beigegeben.
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