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German Pages 401 [407] Year 2013
Forschungen zum Alten Testament Herausgegeben von Konrad Schmid (Zürich) • Mark S. Smith (New York) Hermann Spieckermann (Göttingen)
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Reinhard Gregor Kratz
Das Judentum im Zeitalter des Zweiten Tempels Kleine Schriften I 2., durchgesehene und überarbeitete Auflage
Mohr Siebeck
REINHARD G. KRATZ, geboren 1957; Studium der evangelischen Theologie und Gräzistik in Frankfurt a. M., Heidelberg und Zürich; seit 1995 Professur für Altes Testament in Göttingen; seit 1999 Mitglied der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen.
ISBN 978-3-16-152501-8 ISSN 0940-4155 (Forschungen zum Alten Testament) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.
978-3-16-157813-7 Unveränderte eBook-Ausgabe 2019 © 2013 Mohr Siebeck Tübingen, www.mohr.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Laupp & Göbel in Nehren auf alterungbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Buchbinderei Nädele in Nehren gebunden.
Dedicated to the Society for Old Testament Study in appreciation for being conferred the honour of membership
Vorwort Die ehrenvolle Einladung der Herausgeber dieser Reihe, einen Aufsatzband beizusteuern, gibt mir die willkommene Gelegenheit, meine Studien zum antiken Judentum in persischer und hellenistischer Zeit zusammenzustellen und das Thema weiter zu verfolgen, das mich seit meinen Arbeiten über das Danielbuch (1987, erschienen 1991) und den zweiten Jesaja (1991) beschäftigt und wozu auch die Analyse der erzählenden Bücher des Alten Testaments (2000) nur eine Vorarbeit war: Die Entstehung und Geschichte der jüdischen Tradition. Den Grundstock des Bandes bilden acht Beiträge zur Literatur- und Theologiegeschichte der biblischen und außerbiblischen jüdischen Literatur, vor allem der Bücher Chronik, Daniel und Psalter sowie der sogenannten Apokryphen und Pseudepigraphen (Nr. 7-14). Des weiteren wurden der programmatische Aufsatz über die Entstehung des Judentums nach Eduard Meyer und Julius Wellhausen (Nr. 1) sowie zwei Beiträge über die Quellen zu den äußeren Rahmenbedingungen der Fremdherrschaft aufgenommen (Nr. 2-3), von denen Nr. 3 zum ersten Mal in deutscher Sprache erscheint. Die Beiträge über die jüdische Geschichte, die die biblischen Quellen zum Tempelbau und zur persischen Provinz Juda (Esra-Nehemia, Haggai und Sacharja 1-8) auf dem Hintergrund des archäologischen und epigraphischen Materials untersuchen (Nr. 4-6), sind bisher noch nicht publiziert worden. Die Anordnung der Studien folgt nicht der Chronologie ihres Erscheinens, sondern sachlichen Gesichtspunkten. Kurze Einführungen stellen die einzelnen Aufsätze in den größeren Zusammenhang der sechs Kapitel. Mancher wird dabei das eine oder andere vermissen, doch sind Lücken unvermeidbar. Die schmerzlichste ist vielleicht das Fehlen eines Kapitels über die Texte vom Toten Meer, die nach der nunmehr abgeschlossenen, vollständigen Publikation einer literatur- und theologiegeschichtlichen Aufarbeitung harren. Wie es sich aus guten Gründen eingebürgert hat, wurde auf die Überarbeitung der älteren Aufsätze und mit ganz wenigen Ausnahmen auf den Nachtrag der inzwischen erschienenen Literatur verzichtet. Auch wenn ich heute manches anders sagen würde und dieses oder jenes auch anders sehe als vor zehn Jahren, hat sich mir das Bild, das sich in den früheren Arbeiten abzeichnet, im großen und ganzen bestätigt. Außer der Verbesserung von Fehlern und einigen stilistischen Änderungen wurde daher lediglich die drucktechnische Gestaltung, vor allem im Anmerkungsapparat, vereinheitlicht.
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Vorwort
Die Konzeption des Bandes geht wie auch die Abfassung der drei Originalbeiträge auf das akademische Jahr 2002/03 zurück, das ich als Fellow im Wissenschaftskolleg zu Berlin verbringen durfte, dem ich für die großzügige Gastfreundschaft, das anregende Gesprächsklima und alle praktische Unterstützung danke. Für das Erstellen der Druckvorlage und der Register sei meinen Mitarbeitern am Lehrstuhl, Herrn stud. theol. Daniel Ruf, Frau stud. theol. Ruth Scheerer und Frau cand. theol. Stefanie Stubbendieck, herzlich gedankt. Göttingen, August 2004
Reinhard G. Kratz
Vorwort zur 2. Auflage Da die erste Auflage (2004) sowie die Studienausgabe (2006) dieses Bandes vergriffen sind, regte der Verlag eine Neuauflage an. Das Manuskript wurde hierfür vollständig durchgesehen, korrigiert und an nicht wenigen Stellen geändert. Außer sprachlich-stilistischen Verbesserungen habe ich diesmal, wo es mir nötig oder sinnvoll zu sein schien, auch sachliche Änderungen vorgenommen oder angezeigt und neuere Literatur hinzugefügt. Auf eine Umgestaltung der Disposition, die komplette Umarbeitung der einzelnen Beiträge oder Ergänzung um weitere Aufsätze wurde jedoch verzichtet, da ich sowohl mit der thematischen Anlage als auch - weitgehend und in dem in den Einführungen zu den Kapiteln explizierten Sinne - mit den einzelnen Beiträgen nach wie vor einverstanden bin. Wo sich meine Meinung geändert hat, ist dies vermerkt. Ebenso wird in den Einführungen sowie in den Fußnoten auf neuere Beiträge verwiesen, die das Konzept dieses Bandes weiter ausführen (so bes. „Zwischen Elephantine und Qumran" 2010) sowie hier nur am Rande gestreifte oder ganz vernachlässigte Bereiche behandeln (so bes. „Israel und das Judentum" 2013) und damit einige der im Vorwort der ersten Auflage genannten Lücken füllen. Da mittlerweile ein weiterer Band meiner Kleinen Schriften zur prophetischen Tradition erschienen ist (FAT 74, 2011), wird dieser Band nun als Kleine Schriften I gezählt. Den Herausgebern und dem Verlag danke ich für die Gelegenheit, meine Studien weiterhin in der Reihe FAT zu publizieren, und für die freundliche Betreuung. Für die Korrektur und technische Herstellung des Manuskripts sage ich den Herren stud. theol. Johannes Müller und stud. theol. Christoph Alexander Martsch herzlichen Dank. Göttingen im Januar 2013
Reinhard G. Kratz
Inhalt Vorwort
VII
Israel und das Judentum Einfuhrung 1.
3
Die Entstehung des Judentums Zur Kontroverse zwischen E. Meyer und J. Wellhausen
6
Die Fremdherrschaft Einführung
25
2.
Babylon im Alten Testament
28
3.
Nabonid und Kyros
40
Jüdische Geschichte Einführung
57
4.
Der Zweite Tempel zu Jeb und zu Jerusalem
60
5.
Serubbabel und Joschua
79
6.
Statthalter, Hohepriester und Schreiber im perserzeitlichen Juda
93
XII
Inhalt
Die Tradition Einführung 7.
8.
123
Innerbiblische Exegese und Redaktionsgeschichte im Lichte empirischer Evidenz
126
Die Suche nach Identität in der nachexilischen Theologiegeschichte Zur Hermeneutik des chronistischen Geschichtswerkes und ihrer Bedeutung für das Verständnis des Alten Testaments
157
Theokratie und Eschatologie Einführung 9.
183
Reich Gottes und Gesetz im Danielbuch und im werdenden Judentum 187
10. Die Visionen des Daniel
227
11. Die Gnade des täglichen Brots Späte Psalmen auf dem Weg zum Vaterunser
245
12. Die Tora Davids Psalm 1 und die doxologische Fünfteilung des Psalters
280
Die Haggada Einführung
315
13. Die Rezeption von Jer 10 und 29 im pseudepigraphen Brief des Jeremia
316
14. „Öffne seinen Mund und seine Ohren" Wie Abraham Hebräisch lernte
340
Nachweis der Erstveröffentlichungen
353
Literaturverzeichnis
355
Stellenregister
385
Israel und das Judentum
Einführung Das Judentum ist aus dem alten Israel hervorgegangen, dessen Geschichte mit der Gründung der beiden Monarchien in Israel und Juda begann und mit ihrem Untergang, der Einnahme Samarias durch die Neuassyrer und Jerusalems durch die Neubabylonier, endete. Trotz der klaren historischen Zäsuren läßt sich die Entstehung des Judentums aber nicht auf den Tag genau datieren. Die Grenzen zwischen dem alten Israel und dem Judentum sind fließend und zeichnen sich weniger in den historischen Zäsuren als vielmehr in der literarischen Überlieferung der biblischen und davon abhängigen parabiblischen Schriften ab. Aus diesem Grund ist dieser Band primär nicht der „Geschichte Israels im persischen Zeitalter" (GALLING 1 9 6 4 ; WILLIAMSON 2 0 0 4 ) , sondern- gewissermaßen als religions- und theologiegeschichtliches Pendant dazu - dem „Judentum im Zeitalter des Zweiten Tempels" gewidmet. Dem Namen nach geht das Judentum auf die Bevölkerungsgruppe in und außerhalb Judas zurück, die sich selbst DTIiTil, aram. XTHT nannte, was „die Judäer" heißt und primär die Zugehörigkeit zur Landschaft, Bevölkerung und zum Staat oder zur Provinz Juda meint. Mehrheitlich gehörten die Judäer in staatlicher wie auch in nachstaatlicher Zeit auf die Seite des „alten Israel" und nicht des Judentums. Doch aus den Judäern wurden die Juden, indem die Zugehörigkeit ethnisch und religiös definiert wurde und damit exklusive Züge annahm. Israeliten und Judäer, Angehörige des alten Israel, die nicht dieser Definition entsprachen, zählten aus der Sicht des Judentums zu den Heiden. Die Definition erfolgte zunächst auf dem Papier, d.h. in der literarischen Überlieferung, die nicht erst nach, sondern neben dem „alten Israel" allmählich entstanden ist und den Namen „Israel" als religiös besetzte Chiffre für das Gottesvolk aus Israel und Juda für sich reklamierte. Als Zäsur für den Übergang vom alten Israel zum Judentum werden in der Forschung verschiedene Daten, herausragende Persönlichkeiten und theologische Entwürfe der israelitischen und jüdischen Geschichte diskutiert: der Untergang Israels und Judas, das erste Jahr des Kyros in Babylon und der Bau des Zweiten Tempels, Josia und das Deuteronomium, der Deuteronomismus, Ezechiel, Esra, die babylonische Gola, die Priesterschrift, die Chronik oder „die Siebzig" (LXX) und die Übertragung der hebräischen Tora in den griechischen Nomos. Dabei ist allerdings größte Vorsicht geboten. Die meisten dieser Zäsuren werden von der Überlieferung selbst als Weichenstellung stilisiert, die ihrerseits aber damit rechnet, daß das Judentum mit der Schöpfung der Welt oder spätestens mit der Berufung Abrahams beginnt. Wie auch im-
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Israel und das Judentum
mer man sich entscheidet, läuft man leicht Gefahr, die Sicht der biblischen Überlieferung mit dem Gang der Geschichte zu verwechseln. Will man unbedingt einen absoluten Anfang setzen, wären am ehesten die Propheten als „die Begründer der Religion des Gesetzes" (Julius Wellhausen) zu nennen, bei denen frühestens seit dem ausgehenden 8. Jh. v.Chr. - der Sache, noch nicht dem Begriff nach - jene theologisch reflektierte, die eigene Religion transzendierende Gottesauffassung begegnet, auf der die biblische und parabiblische Überlieferung in ihrer ganzen Vielfalt wie auch die daraus hervorgegangene Religion des Judentums basiert. War aber das Judentum zunächst ein literarisches Phänomen, hinter dem schriftgelehrte Theologen unterschiedlicher Provenienz und ihre Anhänger standen, so kann es nicht einfach mit den historischen Überbleibseln des Reiches Juda in neubabylonischer, persischer und hellenistisch-römischer Zeit oder mit den Priestern und anderen führenden Kreisen zur Zeit des Zweiten Tempels gleichgesetzt werden. Die Verhältnisse im nachstaatlichen Juda dürften ohnehin sehr viel komplizierter gewesen sein, als man für gewöhnlich meint, und ob das biblische Judentum darin von Anfang an eine führende Rolle spielte, wird man eher bezweifeln müssen. Die Kolonie der Judäer auf Elephantine im ausgehenden 5. Jh. v.Chr. kannte es offenbar noch nicht. Die außerbiblische Wahrnehmung der Juden als einer Kulturnation mit besonderen, „philosophisch" anmutenden Überlieferungen und Bräuchen setzt erst in hellenistischer Zeit ein, die erste nichtjüdische Bezeugung der biblischen Tradition wird in der antiken Überlieferung auf Hekataios von Abdera aus der Zeit um 300. v.Chr. zurückgeführt und bricht seither nicht mehr ab. Seit wann und unter welchen Umständen sich das Judentum, in erster Linie in Gestalt der Tora, historisch durchgesetzt, religions- und kultgeschichtlich in die Breite gewirkt und auch politisch Geschichte gemacht hat, ist also schwer zu sagen (KNOPPERS/LEVINSON [Hg.] 2007). Der Durchbruch scheint irgendwann im Laufe der persischen oder sogar erst in hellenistischer Zeit erfolgt zu sein und ist in den Texten vom Toten Meer (Qumran) mit Händen zu greifen. Er koinzidierte mit der kultischen und politischen Restauration der Provinz Juda, mit der das biblische Judentum zwar nicht unbedingt etwas zu tun hatte, die aber in der Selbstwahrnehmung und Deutung des historischen Geschehens einen wichtigen Platz einnimmt. Nur unter dieser Prämisse ist die hier einsetzende Epoche des Zweiten Tempels (520 v.-70 n.Chr.) als eigene, formative Phase der Geschichte des Judentums zu betrachten. Wie aus der Überschrift zu diesem Kapitel und der Einführung hervorgeht, steht im Hintergrund der Disposition dieses Bandes die grundlegende Unterscheidung zwischen „altem Israel" und „Judentum", die bekanntlich auf Wilhelm Martin Leberecht de Wette und Julius Wellhausen zurückgeht. Anders als Wellhausen bin ich jedoch der Auffassung, daß das Kriterium zur Unterscheidung zwischen Israel und dem Judentum nicht nur „das Gesetz" (die
Einführung
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Priesterschrift, die Tora des Mose), sondern die biblische Tradition als solche ist. Aus diesem Grund lassen sich die beiden Erscheinungsweisen Israels auch nicht einfach auf zwei Epochen, das „alte Israel" auf die vorexilische und das „Judentum" auf die nachexilische Zeit, verteilen. Statt des Nacheinanders ist ab einem gewissen Punkt in der israelitisch-judäischen Geschichte, vermutlich seit dem Untergang des Reiches Israel, vielmehr an ein Nebeneinander zu denken. So ist in vor- wie in nachexilischer Zeit ein Unterschied zwischen dem Israel der israelitisch-judäischen Geschichte und dem Israel der biblischen, sprich: der jüdischen Tradition zu machen, der sich sowohl im Vergleich der archäologischen und epigraphischen mit den literarischen (biblischen) Quellen als auch in der literarhistorischen Analyse der biblischen Quellen selbst auf Schritt und Tritt nachweisen läßt. Dieser Band konzentriert sich im wesentlichen auf das Judentum zwischen Elephantine und Qumran, d.h. auf das Verhältnis von Geschichte und Tradition in persischer und hellenistischer Zeit, in der sowohl in der Tradition als auch in der Geschichte „das Gesetz" in Gestalt der Tora des Mose „zwischeneingetreten" ist. Die weiteren historischen Zusammenhänge habe ich an anderer Stelle behandelt (2013). Der erste Beitrag erinnert an eine alte Kontroverse um die Entstehung des Judentums, die paradigmatischen Charakter hat. In der Auseinandersetzung zwischen Eduard Meyer und Julius Wellhausen stehen sich, was die grundsätzlichen Fragen der Quellenbehandlung, der historischen Analogien und der Geschichtsauffassung anbelangt, zwei Positionen gegenüber, die die alttestamentliche Wissenschaft bis heute prägen. Der Beitrag hat die Diskussion um das lange vernachlässigte Thema wieder belebt. Auch in ihrer Neuauflage geht es darum, ob das Werden des Judentums eher von außen, den altorientalischen Parallelen (OTTO 1998), oder von innen, der biblischen Überlieferung her (VEIJOLA 2000), zu verstehen sei. Es zeigt sich einmal mehr, daß der eine wie der andere Weg in eine Sackgasse führt, solange nicht beachtet wird, daß sich weder mit den altorientalischen Parallelen noch mit der jüdischen Literaturgeschichte die Historizität der biblischen Überlieferung beweisen läßt, die sich, gespeist aus beidem, ihren eigenen Reim auf den Gang der Geschichte macht. Gemeinsam ist der neueren Diskussion erfreulicherweise dies, daß von den früher üblichen Klischees und abfalligen Wertungen des historischen Verlaufs Abstand genommen wird. Daß die Entstehung des Judentums als der „Religion des Gesetzes" keine Degeneration, sondern im Gegenteil eine bewundernswerte historische Leistung war, ist von den Vernünftigen schon immer erkannt worden und wird heute mit Recht nicht mehr beklagt, sondern anerkannt und positiv gewürdigt. Weitere Beiträge des Autors zu diesem Kapitel: 2003; 2009b; 2010; 2013.
1. Die Entstehung des Judentums Zur Kontroverse zwischen E. Meyer und J. Wellhausen1
I „Wie die Ausbildung des vorexilischen Jahvismus, das Auftreten, die Ideen und die Wirkung der Propheten nur verständlich sind auf dem Hintergrund der grossen Weltbegebenheiten, die sich in Vorderasien abspielen, so ist die Entstehung des Judenthums nur zu begreifen als Product des Perserreichs." Mit diesem Satz beschließt der Althistoriker Eduard Meyer seine Untersuchung der aramäischen Dokumente im Buch Esra (Kap. 4—7), die von der nachexilischen Restauration Judas und Jerusalems handeln. Die Untersuchung ist der erste Teil der Schrift, die den Titel „Die Entstehung des Judenthums" trägt und im Jahr 1896 erschienen ist.2 Meyer lehrte zu dieser Zeit in Halle, bevor er 1902 nach Berlin berufen wurde. Die Schrift ist, wie er im Vorwort schreibt, aus Vorarbeiten zum dritten Band seiner Geschichte des Altertums hervorgegangen, der das Perserreich behandelt und fünf Jahre später, 1901, veröffentlicht wurde. 3 Gleich nach Erscheinen der Schrift las man in den „Göttingischen gelehrten Anzeigen" von 1897 folgende Replik des Orientalisten und Alttestamentlers Julius Wellhausen: „...von der modernen Forschung [ist] keineswegs ignoriert, 'daß die Ausbildung des vorexilischen Jahvismus, das Auftreten, die Ideen und die Wirkung der Propheten nur verständlich sind auf dem Hintergrunde der großen Weltbegebenheiten, die sich in Vorderasien abspielen'. Ich habe mit allem Nachdruck betont, daß die Zerreibung der nationalen Individualitäten durch die Assyrer, wodurch die Entstehung des Weltreiches vorbereitet wurde, den Anlaß zu der wichtigsten Krisis der israelitischen Geschichte, zu der Entstehung der Prophetie, gegeben habe; Meyers Verwunderung, daß diese Bedeutung des Assyrerreichs bisher völlig verkannt sei (Alte Geschichte I § 3 79),4 war schon 1884 arg verspätet. Endlich mußte auch nicht
1 Antrittsrede an der Georg-August-Universität Göttingen, gehalten am 22.1.1997. An Lit. über Julius Wellhausen vgl. ergänzend SMEND 2004; MACHINIST 2009. 2 3
E. MEYER 1896, zitiert nach der 2. Nachdruckausgabe 1987, Zitat 71. E. MEYER 1901.
4 Die Angabe bezieht sich auf die 1. Aufl. von 1884. Ab der heute maßgeblichen 2. Aufl. von 1909 ist die Disposition vollkommen verändert.
1. Die Entstehung des Judentums
1
erst Meyer kommen, um uns darüber aufzuklären, daß ohne Cyrus die Restauration und ohne Artaxerxes die Reformation des Judentums nicht möglich gewesen wäre. Das wissen wir aus dem Alten Testament; die übrigen Quellen machen uns nicht klüger." Und abschließend: „Was die Worte besagen sollen, daß 'die Entstehung des Judentums nur zu begreifen sei als Product des Perserreichs', weiß ich nicht. Ist das etwa des Rätsels Lösung?" 5 Wellhausen hatte sich vorher schon verschiedentlich mit dem antiken Judentum befaßt, 1874 in seiner Schrift „Die Pharisäer und Sadducäer", 1878 in seiner „Geschichte Israels I", die seit der 2. Auflage von 1883 „Prolegomena zur Geschichte Israels" hieß, sowie in mehreren Vorstudien (1880; 1881; 1884) und in der letzten Fassung seiner „Israelitischen und jüdischen Geschichte", die 1894, also zwei Jahre vor Meyers „Entstehung des Judenthums", erschien.6 Seine letzte Äußerung zum Thema, die Meyer noch berücksichtigte,7 war die Auseinandersetzung mit dem Holländer Willem Hendrik Kosters,8 der das herkömmliche, von Wellhausen wie von Meyer verteidigte Bild Israels in der Perserzeit radikal in Frage gestellt hatte. Wellhausens Angriff auf Meyers „Entstehung" ist heftig und wirkt selbst dann noch ziemlich aufgeregt, wenn man die damals übliche Art der Polemik in Rechnung stellt. Wollte Meyer lediglich seine These vom Einfluß des Perserreichs auf die Entstehung des Judentums mit der als bekannt vorausgesetzten These vom Einfluß des Assyrerreichs auf das Entstehen der Prophetie vergleichen, so suggeriert Wellhausen, daß Meyer beides als seine Erfindung ausgebe. Die zweifellos bewußte Verdrehung macht deutlich, daß Wellhausen sich persönlich übergangen fühlte. So beginnt er die Anzeige denn auch mit dem Satz: „Dies Buch ist wesentlich gegen mich gerichtet",9 und an Adolf von Harnack schrieb er: „Ich ... bin eben dabei, dem Eduard Meyer die Haare etwas gegen den Strich zu kämmen. Er macht sich gar zu wichtig mit seinem gesunden Menschenverstand, mit seiner Orientalist. Gelehrsamkeit, und mit seiner Kunst dick zu unterstreichen was andere Leute gesagt haben. Sonst ist er nicht übel, sehr fleißig und klar." 10 Der von Wellhausen angeschlagene Ton hat seine Wirkung nicht verfehlt. Meyer reagierte prompt und seinerseits unsäglich beleidigt. Da die Redaktion der „Göttingischen gelehrten Anzeigen" den Abdruck einer Gegendarstellung, in Meyers Diktion einer „Richtigstellung", ablehnte, publizierte Meyer 5
WELLHAUSEN, 1897, 96f.
6
Zur Werkgeschichte vgl. die Angaben bei SMEND 1991b, 189f; DERS. 1996, 35-42.
7
E. MEYER 1896, 2; anders in der Erwiderung auf Wellhausen a.a.O., 250.
8
KOSTERS 1893, dt. 1895; dazu WELLHAUSEN 1895. Ausführlich antwortet Kosters auf Wellhausen und Meyer in ThT 29, 1895, 549-575; 30, 1896,489-504; 31, 1897, 518-554. 9
WELLHAUSEN 1897, 89.
10
Brief vom 21.12.1896, zitiert nach HOFFMANN 1988, 160 Anm. 39; vgl. auch ebd. 160f Anm. 40.
8
Israel und das Judentum
im Jahr 1897 die ausfuhrliche Erwiderung: „Julius Wellhausen und meine Schrift Die Entstehung des Judenthums. Eine Erwiderung".11 Bevor er zur Sache kommt, benötigt er drei Druckseiten, um seinem Ärger Luft zu machen und sein ungewöhnliches Vorgehen zu rechtfertigen: „Aber in diesem Falle durfte ich nicht schweigen: der Gegner, der mich vor aller Welt aufs schwerste angegriffen hat, ist gegenwärtig vielleicht der hervorragendste Vertreter seiner Wissenschaft, ein bahnbrechender Forscher, auf dessen Pfaden wir alle wandeln: da musste auch die Abwehr öffentlich erfolgen."12 Auch brieflich äußert sich Meyer zu dem Vorgang und schreibt an seinen ägyptologischen Lehrer Georg Ebers: „... Außerdem habe ich in den Ferien eine Antwort auf einen scharfen sehr gehässigen Angriff Wellhausens auf meine Entstehung des Judenthums geschrieben, die ich Ihnen nächstens werde zuschicken können. Wie Wellhausen zu seiner Erbitterung gegen mich kommt, weiß ich nicht; ich bin mir nicht bewußt, ihm dazu Anlass gegeben zu haben. Ich furchte, es ist die berüchtigte Göttinger Luft, die sich dabei in recht wenig erfreulicher Weise geltend macht."13 Ebers pflichtet in seiner Antwort Meyer bei, nennt die Rezension Wellhausens eine „von Abneigung und gewaltigem Hochmuth strotzende Invective" und findet noch deutlichere Worte über die Göttinger Luft: Sie habe „für die dortigen Olympier etwas Berauschendes. Die Selbstüberhebung und das Unfehlbarkeitsbewußtsein gedeihen dort üppiger als irgend wo anders in Deutschland." Die kuriose Episode verdiente kaum Erwähnung, ginge es in ihr nicht um eine zentrale Frage der alttestamentlichen Wissenschaft. Die Frage nach der Entstehung des Judentums kam auf, nachdem die literarische Kritik der biblischen Bücher, vor allem des Pentateuchs, im Alten Testament das Judentum entdeckt hatte. Voraussetzung war die im 19. Jahrhundert gewonnene, von Wellhausen in seinen „Prolegomena" auf den Punkt gebrachte Einsicht, daß das Gesetz (die Priesterschrift) im Pentateuch jünger sei als die Propheten, mit anderen Worten: daß der Gott und das Gottesvolk der Bibel nicht den Anfangs-, sondern den Endpunkt einer langen religions- und literaturgeschichtlichen Entwicklung repräsentieren, in der aus der natürlich gewachsenen, national-religiösen Gemeinschaft des Volkes Israel mit seinem Gott Jhwh ein theologisches Ideal, das Ideal des auserwählten Gottesvolkes, geworden ist. Schon vorher hatte man einen Unterschied zwischen dem früheren Hebraismus und dem späteren Judentum gemacht, die genaue Schnittstelle blieb allerdings unklar.14 Erst die literargeschichtliche Analyse hat die Vermutung
11
E. MEYER 1896, 247-272. E. MEYER 1896, 249. 13 Brief vom 25.4.1897; die Antwort von Ebers vom 16.5.1897, beide zitiert nach HOFFMANN 1988, 160 Anm. 39. 12
14
Vgl. PERLITT 1994.
1. Die Entstehung des Judentums
9
zur Gewißheit werden lassen: Vorexilisches und nachexilisches, richtiger: staatlich verfaßtes und nachstaatliches Israel sind nicht dasselbe. Das Ende des Staates in Israel (720 v.Chr.) und in Juda (587 v.Chr.) ist der Anfang des Judentums. „Judentum und altes Israel in ihrem Gegensatze",15 das ist das beherrschende Thema der alttestamentlichen Wissenschaft im 19. Jahrhundert, das damals den Aufriß mancher Gesamtdarstellung der Geschichte Israels und der Biblischen Theologie bestimmte und die Frage nach der „Genesis des Judenthums"16 aufwarf. Im Stil der Zeit hat man den Unterschied auf griffige Formeln gebracht. So hielt man die ursprüngliche profane Nation des vorexilischen Israel gegen die abgeleitete religiöse Sekte des Judentums, die gewachsene Volksgemeinschaft gegen die erstarrte Glaubensgemeinschaft oder Kultgemeinde, die natürliche Ordnung des Staates gegen die künstliche Gesetzlichkeit des nachexilischen Judentums.17 Etiketten dieser Art stoßen heute zunehmend und mit Recht auf Ablehnung.18 Sie sind nicht nur in der Sache überzogen, z.T. einfach falsch, sondern dienten - zwar nicht nur, aber auch - der theologischen und politischen Selbstbestätigung derer, die sie den geschichtlichen Phänomenen mit sichtlicher Lust anhefteten. Sie implizieren Werte und Wertungen, die nicht ohne Grund in Verruf geraten sind und darum heute auch nicht mehr unbesehen repetiert werden sollten. Als abschreckendes Beispiel halte man sich nur die 1936 erschienene Schrift „Die Entstehung des Judentums" von Kurt Möhlenbrink, der damals in Göttingen lehrte, vor Augen. Doch mit der berechtigten Kritik des Mißbrauchs ist die Frage selbst keineswegs erledigt. Im Gegenteil: Nach der gerade zurückliegenden Phase der alttestamentlichen Forschung, in der man das ideale Israel, das Israel des Alten Testaments, ganz im Sinne der Überlieferung in die vorstaatlichen Anfänge der Geschichte Israels projizierte, ist heute wieder Ernüchterung eingetreten. Wir stehen vor der Situation, daß wir über die allerersten Anfänge Israels gar nichts, über die Geschichte Israels und Judas in der vorexilischen Königszeit aufgrund archäologischer Zeugnisse und historischer Analogien nur sehr we-
15 Wellhausen in einem Brief an J. Olshausen vom 9.2.1879, zit. nach SMEND 1991b, 189. Vgl. auch den Eingangssatz der „Geschichte Israels I" von 1878, hier in der nur leicht veränderten Fassung der „Prolegomena zur Geschichte Israels" ( 6 1905, 1): „Das Problem des vorliegenden Buches ist die geschichtliche Stellung des mosaischen Gesetzes. Und zwar handelt es sich darum, ob dasselbe der Ausgangspunkt sei für die Geschichte des alten Israel oder für die Geschichte des Judentums, d.h. der Religionsgemeinde, welche das von Assyrern und Chaldäern vernichtete Volk überlebte." Auch das Judentum versteht sich als „Israel", doch schafft diese Selbstdefinition das Problem nicht aus der Welt, sondern verschärft es noch. 16
SMEND (sen.) 1882.
17
Vgl. PERLITT 1965, 206ff.
18
Vgl. zuletzt BLUM 1995.
10
Israel und das Judentum
nig und am meisten über die literarische Hinterlassenschaft im Alten Testament sagen können, eine Überlieferung, die aufs Ganze gesehen nicht das historische Israel, sondern das genealogisch und theologisch konstruierte Israel-Ideal des nachstaatlichen Judentums abbildet. Die - historische - Frage nach der Entstehung des alttestamentlichen Bildes von „Israel", d.h. die Frage nach der Entstehung des Alten Testaments, ist gleichbedeutend mit der Frage nach der Entstehung des Judentums, die darum in der heutigen Situation der alttestamentlichen Forschung aktueller ist denn je. Auch für die Theologie ist sie sehr viel fruchtbarer als die Projektion des Alten Testaments in die Geschichte. Die Bedeutung, die der Glaube an das Weiterleben Israels im Judentum der nachstaatlichen Zeit für die Entstehung des Alten Testaments hatte, ist vergleichbar mit der Bedeutung des Osterglaubens für die Entstehung des Neuen Testaments und insofern zentral. Kehren wir darum zurück zum Streit zwischen Meyer und Wellhausen und sehen nach, ob sich dahinter mehr als nur „Wichtigtuerei" oder die „berüchtigte Göttinger Luft" verbirgt. Beide machen die Unterscheidung zwischen einem vorexilischen Israel und dem nachexilischen Judentum. Beide erheben den Anspruch auf eine von vorgegebenen Theorien unabhängige Untersuchung des Gegenstands,19 können sich in der Frage der Entstehung des Judentums aber nicht einigen. Worum ging es?
II Vordergründig ging es in dem Streit um eine eher marginale Frage der Quellenkritik, nämlich um die Echtheit der im Buch Esra überlieferten aramäischen Dokumente in Esr 4-7. In diesen Kapiteln finden sich Briefe und Erlasse persischer Beamter und Könige, die den Wiederaufbau der Stadtmauer und des von den Babyloniern zerstörten jüdischen Tempels in Jerusalem betreffen, darunter der berühmte Erlaß des Königs Kyros (II.), der im ersten Jahr seiner Herrschaft über Babylon, 539/8 v.Chr., den Bau angeordnet haben soll: „Protokoll: Im Jahr 1 des Königs Kyros gab der König Kyros Befehl das Haus Gottes in Jerusalem betreffend: Das Haus soll gebaut werden an dem Ort, wo Schlachtopfer dargebracht werden und seine Fundamente 'gelegt sind'. Seine Höhe: 60 Ellen, seine Breite: 60 Ellen; drei Schichten aus Quadersteinen und eine Schicht Holz. Und die Kosten sollen vom Haus des Königs getragen werden. Auch sollen die goldenen und silbernen Geräte des Hauses Gottes, die Nebukadnezar aus dem Tempel von Jerusalem geholt und nach Babel gebracht hat, zurückgegeben werden, und es soll in den Tempel von Jerusalem an seinen Ort gelangen, und du sollst es in dem Haus Gottes
19
Vgl. PARENTE 1990, 335f; PERLITT 1965, 205.
1. Die Entstehung des Judentums
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deponieren." (Esr 6,2-5; vgl. 1,1—4). Auf die amtliche Korrespondenz, die in den Bericht vom Wiederaufbau des Tempels und von seiner feierlichen Einweihung unter Dareios (I.) eingearbeitet ist (Esr 4 und 5-6), folgt der sogenannte Ferman des Artaxerxes (I., vielleicht auch des II.), wiederum ein amtliches Schreiben, das den Priester und Schriftgelehrten Esra zur Inspektion der Verhältnisse in Juda und Jerusalem, Heimfuhrung von Exulanten, Überbringung von Spenden, Benutzung der Staatskasse und Einsetzung von Richtern legitimiert (Esr 7). Ohne Unterschied ist darin von „dem Gesetz deines Gottes" und „dem Gesetz des Königs" die Rede, das unter die Strafgewalt des persischen Königs gestellt wird (Esr 7,26). Das königliche Schreiben kommentiert die hebräische Rahmenerzählung mit einem indirekten Verweis auf eine Weissagung im Jesajabuch (Jes 60): „Gepriesen sei Jhwh, der Gott unserer Väter, der solches dem König ins Herz gegeben hat, zu verherrlichen das Haus Jhwhs, das in Jerusalem ist." (Esr 7,27) Wellhausen gab auf die schon vor ihm des öfteren bestrittene Echtheit dieser Dokumente nichts, Meyer trat um so eifriger für ihre Authentizität, im Falle von Esr 4-6 sogar für eine ursprünglich persische Abfassung ein. Die Bestreiter der Echtheit berufen sich damals wie heute auf die jüdische, religiöse Färbung dieser Texte, zuweilen auch auf die historische Plausibilität, wonach ein derart detailliertes Eingehen höchster persischer Stellen auf jüdische Belange nicht vorstellbar sei. Meyer beruft sich dagegen auf - wenig überzeugende - sprachliche Argumente, auf den - schwerer wiegenden - literarischen Befund, nämlich die Abhängigkeit der hebräischen wie der aramäischen Rahmenerzählung von der Korrespondenz, und vor allem auf die historische Analogie, für die sich immer mehr Belege fanden. Er selbst erlebte noch die Entdeckung der aramäischen Papyri einer jüdischen Militärkolonie auf der oberägyptischen Nilinsel Elephantine, die einen mit Esr 4-6 vergleichbaren Vorgang aus der Zeit Dareios II. enthüllten. Auch in ihnen geht es um den Wiederaufbau eines Tempels, des zuvor von Ägyptern zerstörten jüdischen Tempels auf Elephantine, und um die Loyalität der dortigen Juden gegenüber den persischen Königen. Weitere Belege für die Kooperation persischer Stellen mit den Selbstverwaltungsorganen unterworfener Volksgruppen, meistens in deren eigener Sprache und Diktion, sind auch danach noch bekannt geworden.20 Doch die archäologische Bestätigung beeindruckte die Gegner Meyers überhaupt nicht. 1912 erschien sein Buch „Der Papyrusfund von Elephantine"; die Rezension, diesmal von Wellhausens Göttinger Kollegen Rudolf Smend (sen.) verfaßt,21 fällt abermals vernichtend aus. Sie nennt die These vom Judentum als Schöpfung des Perserreichs eine „dilettantische Übertreibung" und spricht Meyer nun gänzlich die Fähigkeiten
20 21
Vgl. dazu FREI 1996. SMEND (sen.) 1912, Zitate 486 u. 488.
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Israel und das Judentum
„für eine fruchtbare Mitarbeit an der alttestamentlichen Wissenschaft" ab. In der alttestamentlichen Wissenschaft hat sich am Ende Meyers Sicht der Dinge durchgesetzt, was allerdings nicht heißt, daß sie richtig sein muß. Sieht man näher zu, so ist ein unterschiedliches Quellenverständnis für die divergierende Einschätzung verantwortlich. Meyer, ansonsten für eine nüchterne, tendenzkritische Quellenbehandlung bekannt,22 erklärt die heilige Geschichte des Alten Testaments im Esrabuch, reduziert auf den literarischen Kern der Dokumente, zur Historie. Wellhausen, dem man die Befangenheit des Theologen unterstellt hat,23 erkennt darin die Geschichte der jüdischen Tradition. Es ist bemerkenswert, wie in der Frage der Quellen der Alttestamentler und (von seinem Herkommen) Theologe sehr viel nüchterner und historischer denkt als der Historiker. Beide sind sich allerdings näher, als sie es wahrhaben wollten: Meyer konzediert durchaus den Einfluß der jüdischen Tradition auf die Formulierungen der Dokumente, Wellhausen nimmt an, daß sich die Historie in etwa so abgespielt habe, wie es die Dokumente als „dramatisierende Form der Erzählung"24 darstellen. Mit einem bloßen EntwederOder ist es denn auch nicht getan. Das liegt daran, daß die Dokumente keineswegs einheitlich sind.243 Ich nenne nur die rätselhafte Anrede im KyrosErlaß in Esr 6,5, den unvermittelten Übergang zur Antwort des Dareios in Esr 6,6f (die - bis auf den in 5,14f genannten Namen des „Statthalters" Scheschbazzar - sämtliche für den Briefwechsel in Esr 5-6 konstitutiven Informationen enthält), die Fortsetzung der Antwort durch die Ausführungsbestimmungen in Esr 6,8-12, die Verschachtelung verschiedener, von der Rahmenerzählung teils wiederaufgenommener, teils übergangener Anweisungen an Esra und die Schatzmeister von Transeuphratene in Esr 7,12-26. Zudem gibt es eine Reihe von Querbeziehungen, die den Verdacht der literarischen Abhängigkeit aufkommen lassen. Wie im Verhältnis von Rahmenerzählung und Dokumenten, muß man auch in den Dokumenten selbst literarisch differenzieren und zwischen unerfindlichen Daten, teilweise vielleicht sogar dem Wortlaut authentischer Erlasse einerseits, literarischer Nachahmung und theologischer Interpretation andererseits unterscheiden. Meyer und Wellhausen haben die Unterschiede bemerkt. Und dennoch läßt sich in diesem Fall der Historiker von der biblischen Tradition verführen,25 während der Alttestamentler und Theologe den historischen Blick für das Wesen der theologischen Überlieferung wahrt.26 So, wie die Dokumente im Esrabuch vorlie22
Vgl. SCHLESIER 1990, 386ff. PARENTE 1990, 331f.335f. Vgl. schon WEBER 1921, 2f Anm. 24 WELLHAUSEN 1897, 93. 24a Zur Analyse vgl. KRATZ 2000a, 53-92; SCHWIDERSKI 2000; GRÄTZ 2004; zur Figur Esras KRATZ 2008b. 25 E. MEYER 1896, 5-7. 26 WELLHAUSEN 1897, 90ff; DERS. 1895, 175f.l78. 23
1. Die Entstehung des Judentums
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gen, gehen sie zweifellos auf das Konto der Tradition, die sie bei allen entscheidenden Wendepunkten der jüdischen Geschichte in persischer Zeit zu Wort kommen läßt und damit die Loyalität gegenüber der Fremdmacht zu einem Wesenszug „Israels" macht. So bleiben die von Meyer zu Recht ins Feld geführten, von Wellhausen zu Unrecht bagatellisierten historischen Analogien. Sie können nichts beweisen, rücken aber die Echtheit immerhin in den Bereich des Möglichen und bilden jedenfalls den notwendigen, auch in der Sache bestimmenden historischen Hintergrund und Anlaß für die Bildung der jüdischen Tradition. Ohne die besondere Art der persischen Reichsverwaltung, die die Belange der unterworfenen Völker in deren und im eigenen Interesse per Dekret von höchster Stelle regelte, gäbe es die aramäischen Dokumente im Esrabuch nicht, seien sie im historischen Sinne echt oder im Sinne der Tradition fingiert. Historische Reminiszenzen wie literarische Stilisierung bewegen sich im Rahmen des in der Perserzeit üblichen amtlichen Verkehrs. Insofern sind die Dokumente so echt oder unecht wie der von babylonischen Priestern verfaßte Kyroszylinder, der dem Kyros nicht ohne historisches und religionspolitisches Recht die Worte in den Mund legt. So wird auch im Esrabuch der Verlauf der Geschichte Israels aufgrund einiger weniger historischer Informationen nach theologischen Gesichtspunkten (Esr 5,11 ff) und aus der prophetischen Überlieferung (Esr 5,lf; 6,14; 1,1 ff) rekonstruiert. Die Dokumente machen amtlich, was die in der hebräischen und aramäischen Rahmenerzählung zitierte biblische Heilsprophetie als Willen Gottes verheißen hat (vgl. Jes 44,28; 45,lff.l2f; 60,1 ff; Haggai und Sach 1-8). Von der Beurteilung der Quellen hängt ab, welchen Stellenwert man den äußeren Bedingungen, hier dem persischen Weltreich, für die Entstehung des Judentums beizumessen hat. Meyer beklagt die Ignoranz gegenüber den bestimmenden historischen Faktoren: „Zwar die Thatsache des Eingreifens der Reichsgewalt kann man nicht abstreiten; aber im übrigen sucht man den ganzen Hergang möglichst als einen ausschliesslich jüdischen zu betrachten und den zwar nicht für die Entwickelung der Ideen aber für ihre Durchführung ausschlaggebenden Faktor so viel wie möglich zu eliminiren - in unbewusstem aber um so schärferem Gegensatz gegen unsere Quellen, die gerade auf die Beziehung zum Reich das Hauptgewicht legen."27 Für Wellhausen waren diese Dinge wichtig, aber nicht wichtig genug und schon gar nicht konstitutiv. Nach ihm hatte das nachexilische Judentum „die Fremdherrschaft zur notwendigen Ergänzung", wie er in seinen „Prolegomena" schreibt,28 mehr aber auch nicht. Ähnlich urteilt er im Blick auf das Aufkommen der Propheten im 8. Jahrhundert, die zwar nicht ohne Veranlassung aufgetreten sein
27
E. MEYER 1896, 4f; ähnlich 221.
28
WELLHAUSEN 1905b, 421; vgl. auch DERS. 1884, 101.
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Israel und das
Judentum
können und darum den Aufstieg des assyrischen Weltreiches und seine Expansion nach Westen gegen Israel und Juda notwendig voraussetzen, damit aber nicht vollständig verrechnet werden dürfen.29 Die Differenz scheint vielleicht nur graduell, in Wahrheit ist sie fundamental. Wie bei der Bewertung der Quellen wünscht Meyer auch im Blick auf die Rolle der Fremdmacht klare Verhältnisse: Obwohl sich die Entstehung des Judentums schon länger anbahnt,30 läßt sie sich doch mit dem Eingreifen der Perser in die Religionspolitik Judas und im besonderen mit der Entsendung Esras zur Einführung des Gesetzes auf den Tag genau, den 24. Tischri (Sept./Okt.) 445 v.Chr., datieren.31 Wellhausen rechnet demgegenüber mit einem lang anhaltenden, schleichenden Prozeß, der bei den Propheten - „sie sind die Begründer der Religion des Gesetzes, nicht die Vorläufer des Evangeliums"32 - beginnt und im nachexilischen Judentum und Pharisäismus seinen Abschluß findet. In diesem Prozeß liegen zeitgeschichtliche Veranlassung und historisch nicht Greifbares, Offenbares und Verborgenes stets ineinander. Das führt zwar zu einer gewissen Unscharfe auch in der Epocheneinteilung, dürfte aber den historischen Sachverhalt präziser erfassen als allzu genaue historiographische Präzision. Ob das allerdings rechtfertigt, den Einfluß des persischen Reiches auf die Entstehung und Entwicklung des Judentums derart niedrig zu veranschlagen, wie Wellhausen es im Affekt gegen Meyer tut, ist mehr als fraglich. Wenigstens der Bau des Zweiten Tempels, an dem sich die Geister im nachexilischen Juda schieden und der - abgesehen von dem Verlust der Eigenstaatlichkeit - am ehesten als Stichdatum der Entstehung des Judentums in Frage kommt, war kaum ohne persische Genehmigung möglich, wann und von wem auch immer sie erteilt und ausgeführt wurde. Ansonsten mag sich das konkrete Leben in Jerusalem und anderswo mehr oder weniger unberührt von der Fremdherrschaft abgespielt haben. In seinem Selbstverständnis aber, von dem die literarische Überlieferung zeugt, lebt das Judentum in allen seinen grundlegenden Einrichtungen von den Gnadenakten der persischen Könige, die auf Geheiß des jüdischen Gottes die Nachfolge der davidischen Könige angetreten haben und wie die Assyrer und Babylonier im Schlechten, so jetzt im Guten den Willen Gottes erfüllen. Anders als in der prophetischen und deuteronomistischen Tradition hat die Existenz Israels nicht die Überwindung der Weltmacht, sondern ihren intakten Bestand zur notwendigen Voraussetzung. Je stabiler sie ist, desto ungestörter kann das Judentum seine Eigenheit pflegen. Judentum und Weltmacht werden einander zum Segen. Nur ist die
29
Vgl. PERLITT 1965, 179f.
30
Vgl. HOFFMANN 1988, 138ff.
31
E.MEYER 1896, 242.
32
WELLHAUSEN 1914, 110.
¡. Die Entstehung des Judentums
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Überlieferung, die solches propagiert, so sehr sie selbst ein historisches Phänomen ist, eben nicht in jedem Fall identisch mit der Historie.
III Um die Historie ging es auch den beiden Kontrahenten, Meyer und Wellhausen. Die Differenzen in der Quellenkritik und in der historischen Beurteilung der Fremdherrschaft haben tiefer liegende Gründe. Sie offenbaren auch und gerade in der Frage der Entstehung des Judentums grundsätzliche Gegensätze in der Geschichtsauffassung, die für das Verständnis des Alten Testaments nicht ohne Belang sind. Hans Liebeschütz33 hat klargemacht, welches der Hauptpunkt ist. Während Wellhausen die Religionsgeschichte Israels und des Judentums wesentlich aus sich selber versteht, sieht Meyer sie im universalgeschichtlichen Zusammenhang als Teil der antiken Kultur, der wie alles andere von den politischen Gegebenheiten als treibender Kraft geistesgeschichtlicher Entwicklungen abhängt. Was ist damit gemeint? Der Unterschied läßt sich zunächst als ein methodischer beschreiben. Zwar sind sich Wellhausen und Meyer in den Grundzügen einer gleichermaßen von Objektivität und Subjektivität bestimmten Geschichtsforschung weitgehend einig,34 doch stoßen mit Wellhausens literarhistorischem und Meyers universalgeschichtlichem Ansatz zwei Richtungen aufeinander, die auch innerhalb der alttestamentlichen Wissenschaft selbst einen heftigen Methodenstreit ausgelöst haben. Streitpunkt ist die „Exclusivität der Forschung", die nach Meyer ein wirklich historisches Verständnis verhindert. Wellhausen kontert: „Als Professor der alten Geschichte trägt er ex cathedra vor, ttus 8ei LCTTopiav ypaeiv. 3 5 Er tadelt die Exclusivität der modernen Forschung, die die israelitische und jüdische Geschichte nur von innen heraus zu verstehen suche. Dagegen ist zunächst zu sagen, daß diesem Streben die Fortschritte vor allem zu verdanken sind, welche jene Geschichte in neuerer Zeit gemacht hat und auf denen auch Meyer fußt."36 Gemeint sind die literarhistorischen Erkenntnisse auf dem Gebiet der Pentateuchkritik, von denen die Unterscheidung zwischen Israel und Judentum lebt. Auf Engstirnigkeit oder gar Eifersucht des Theologen gegenüber dem Historiker" beruht die „Exclusivität" kaum. Wellhausen behauptet sie auch gegen Fachgenossen der eigenen Zunft, 33
LIEBESCHÜTZ 1967, 276f.
34
Vgl. PERLITT 1965, 190 Anm. 64; NÄF 1990, 286; SCHLESIER 1990, 368ff.
35
Der fast gleichlautende Titel der Schrift Lukians kennzeichnet treffend Meyers ausgeprägtes Interesse an „Theorie und Methodik der Geschichte" (1902) in der Auseinandersetzung mit dem zeitgenössischen Historismus. Vgl. dazu NÄF 1990. 36
WELLHAUSEN 1897, 96.
37
Vgl. PARENTE 1990, 331 f.
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Israel und das Judentum
namentlich gegen Hermann Gunkel und die mit seinem Namen verbundene religionsgeschichtliche Schule.38 Hier wie in der Auseinandersetzung mit Meyer stellt sich ihm die historisch und theologisch relevante Frage, welchen Erkenntniswert die altorientalische Zeit- und Religionsgeschichte für das Verständnis der alttestamentlichen Überlieferung besitzt. Der Streit ist bis heute nicht wirklich ausgetragen. Faktisch hat sich die Zeit- und Religionsgeschichte an die Stelle der Literargeschichte gesetzt, statt sie zu ergänzen. Das ist darum schade, weil die Literargeschichte, d.h. die inneralttestamentliche Kritik, leicht den historischen Boden unter den Füßen verliert, die Zeit- und Religionsgeschichte hingegen allzu leicht die literarische Überlieferung kritiklos beim Wort nimmt. Wichtiger als der Methodenstreit sind die Überzeugungen, die dabei mit im Spiel sind. Meyer läßt sie in seine Zusammenfassung der Quellenkritik einfließen: „Ich glaube mich nicht zu täuschen, wenn ich annehme, dass den Angriffen gegen die Aechtheit der Urkunden bewusst oder unbewusst eine historisch unrichtige Auffassung der Entwickelung des Judenthums zu Grunde liegt. Man möchte die Entstehung des Judenthums, wenn irgend möglich, als eine lediglich auf innerer Nothwendigkeit beruhende Entwickelung begreifen und die Tragweite der persischen Intervention möglichst gering anschlagen. Und doch zeigen die Quellen unzweideutig, dass die palästinische Gemeinde aus eigenem Antriebe niemals das unpraktische und allen irdischen Verhältnissen gegenüber völlig rücksichtslose Gesetz auf sich genommen haben würde, wenn sie nicht dazu gezwungen wäre; die babylonischen Juden aber hätten niemals die Macht gehabt, ihr das Gesetz zu octroyiren, wenn nicht die Reichsgewalt hinter ihnen gestanden hätte. Andererseits ist das Verhalten der Perser gegen die Juden nichts Aussergewöhnliches und Wunderbares, sondern die Consequenz der Grundsätze, nach denen sie all die zahlreichen Nationalitäten regiert haben, die sie in ihrem Weltreich zusammenhalten mußten."39 An dem Zitat ist dreierlei bemerkenswert: Erstens die Bestreitung der „inneren Notwendigkeit" und - für die in Palästina Zurückgebliebenen - des „eigenen Antriebs" zur Entstehung des Judentums. Zweitens der auf die persische Veranlassung geschobene Zwangscharakter der von der machtlosen babylonischen Gola favorisierten jüdischen Gesetzesreligion. Drittens die Nivellierung eines nationalen, jüdischen Sonderwegs durch den Hinweis auf die übliche Praxis der persischen Politik. Wellhausen kehrt die Argumentation um: „In Judäa hat Artaxerxes, gegen den Willen der weltlichen und geistlichen Aristokratie, einer durchgreifenden Umgestaltung des Religionswesens
38
Vgl. KLATT 1969, 48ff.70ff; HOFFMANN 1988,160f.
39
E.MEYER 1896, 70.
1. Die Entstehung
des
Judentums
17
seinen Arm geliehen; wo ist das sonst vorgekommen?" 40 So ist es gerade die von Meyer herausgestellte persische Intervention, die gegen die sonst übliche Praxis dem Judentum einen nationalen Sonderweg gewährte, zwar nicht aus innerer Notwendigkeit - ihr hätte auch der Wille der weltlichen und geistlichen Aristokratie folgen müssen auch nicht allein auf Veranlassung des persischen Königs - er hat nur den Arm geliehen - , sondern aus eigenem Antrieb der jüdischen Nation, die im babylonischen Exil zur religiösen Sekte geworden ist, wie Wellhausen sich an anderer Stelle ausdrückt.41 Was daran im einzelnen richtig oder falsch ist, braucht uns für den Moment nicht zu interessieren. Worauf es ankommt, sind die ideologischen Implikationen. Meyer tendiert zur Einebnung des Besonderen in der Entstehung und dem Wesen des Judentums, wofür umgekehrt Wellhausen gerade mit Emphase eintritt. An der Abneigung gegen die jüdische Gesetzesreligion kann das nicht liegen. Die Antipathie wird von beiden geteilt, genauso wie die anderen Grundannahmen, die Entgegensetzung von Israel als Nation und Judentum als Sekte (Kultgemeinde oder Kirche) sowie die Bevorzugung des Individualismus, der sich in oder neben der von den Propheten begründeten jüdischen Gesetzesreligion behauptet hat.42 Wirksam ist vielmehr ein Gegensatz in der historiographischen Konzeption der beiden, über die schon viel gehandelt wurde.43 Wellhausen und Meyer verstehen sich als Historiker, genauer als Profanhistoriker, für die die Profanität ihres Gegenstands zugleich ihr historiographisches Credo war, was sich natürlich gegenseitig bedingt.44 Nur suchte und fand der eine das Profane im Nationalen, Individuellen und Besonderen, man kann auch sagen im Partikularen, der andere im Internationalen, Typischen und Allgemeinen, man kann auch sagen im Universalen.45 Die jüdische Gesetzesreligion war für beide der Gegenpol zum eigenen historiographischen Credo. Wenn sie sich schon durchsetzen mußte, so geschah dies nach Wellhausen unter den Zwängen der politischen Weltgeschichte, um bei allen universalistischen Tendenzen der nachstaatlichen jüdischen Religion wenigstens in „abgeleiteter" Form das Partikulare, das Eigene und Individu-
40
WELLHAUSEN 1897, 97.
41
WELLHAUSEN 1905b, 28; 1895, 185.
42
Vgl. HOFFMANN 1988, 161ff.
43
BOSCHWITZ 1968; PERLITT 1965; LIEBESCHÜTZ 1967, 245ff.269ff; HOFFMANN 1988, 133ff; NÄF 1990. 44 45
Vgl. PERLITT 1965, 216ff.221f.232; SCHLESIER 1990, 369ff.
Vgl. SMEND 1991b, 214 Anm. 161, mit Verweis auf SMEND 1991a; PERLITT 1965, 213ff.221f.223ff. Auch Meyer favorisiert allerdings das Individuelle und Einzelne, nur bewegt sich bei ihm auch das Individuelle im Rahmen des Universalen und Allgemeinen. Vgl. dazu CHRIST 1972, 295-297; zur diesbezüglichen Kritik von Max Weber DEININGER 1990, 145-153; NÄF 1990, 296ff.
18
Israel und das Judentum
eile, zu bewahren.46 Nach Meyer hingegen durfte sich das jüdische Gesetz nur mit Hilfe der persischen Staatsgewalt durchsetzen, um im Rahmen der Universalgeschichte ein partikulares Daseinsrecht zu haben.47 Aufgrund der Hochachtung der nationalen Individualität und der Verachtung alles Übernationalen mußte Wellhausen den eigenen Antrieb zur Entstehung des Judentums hoch und die Rolle des persischen Weltreichs tief veranschlagen.48 Bei Meyer, für den Nation und Staat universale Phänomene waren, verhält es sich genau umgekehrt. In dem, was sie am nachexilischen Judentum schlecht oder gut finden, sind sich beide einig. Doch in welche Schublade ihres historiographischen Denkens das eine oder andere gehört, daran entzündet sich der Streit. Die methodische Differenz folgt ebenso daraus wie die Differenz in der Beurteilung der Quellen und der historisch bestimmenden Faktoren. Natürlich haben die historiographischen Implikationen des Streits ihre geistes- und zeitgeschichtlichen Wurzeln, die hier nicht auszubreiten sind.49 Etwas plakativ gesagt: Die jüdische Nation des Gesetzes ohne Staat paßte nicht in das Weltbild der Zeit. Das führte zu einem ambivalenten Verhältnis zum Judentum, das Wellhausen „abgestoßen und immer wieder angezogen" hat50 und in dem für Meyer „die höchsten und die abstoßendsten Gedanken, das Großartige und das Gemeine unmittelbar nebeneinander liegen, untrennbar verbunden, das eine immer die Kehrseite des anderen"51. Diese Ambivalenz hat außer den historiographischen auch theologische Implikationen. Es liegt nahe, dabei an den im 19. Jh. grassierenden Antisemitismus zu denken, der sicher eine Rolle spielt, aber nicht alles erklärt. Wellhausen bewegt sich sowohl in persönlichen wie in öffentlichen Äußerungen ganz im Rahmen der damals wie heute üblichen Gemeinheiten der Alltagssprache, deren katastrophale Folgen damals noch niemand kannte, heute viele wieder vergessen zu haben scheinen, geht aber nicht weiter.52 Anders Meyer: Er hat sich in seinen historischen Urteilen und zunehmend auch persönlich dem organisierten Antisemitismus genähert, wenn auch nicht ausdrücklich angeschlossen, allerdings nicht aus rassischen, sondern - was die Sache nicht ehrenwerter
46
Vgl. SMEND 1991b, 195ff; DERS. 1991a, 124f. Vgl. SCHLESIER 1990, 416. 48 Vgl. das Zitat aus einem Brief an F. Justi vom 5.3.1893 bei PERLITT 1965, 221 Anm. 33 (zit. nach BOSCHWITZ 1968, 57 Anm. 8), genauer bei SMEND 1991b, 191, das den Kampf der Juden gegen die Römer kommentiert: „Schärfer sind nationale Individualität und kosmopolitisches] Weltreich nie an einander gerathen." 49 S. die Hinweise oben Anm. 43. Weiteres in CALDER/DEMANDT 1990; zu Wellhausen und Nietzsche HARTWICH 1996, bes. 190ff. 50 So in einem Brief an F. Justi vom 2.3.1894, zit. bei SMEND 1991b, 190f. 51 Geschichte des Altertums III1, 217 = IV2 1, 205; vgl. HOFFMANN 1988, 147 mit den zeitgenössischen Parallelen in Anm. 20; SCHLESIER 1990, 376. 47
52
Dazu ausführlich SMEND 1991b; auch KUSCHE 1991, 30-74.
1. Die Entstehung des Judentums
19
m a c h t - aus politischen und vor allem aus allgemein religionskritischen Gründen.53 Der Antisemitismus allein ist es also nicht. In dem ambivalenten Verhältnis zum werdenden Judentum der Antike wie auch in Nähe oder Ferne zum Antisemitismus wirkt sich bei beiden vielmehr ihre persönliche Haltung gegenüber der verfaßten Religion im allgemeinen aus. Bei Wellhausen ist es wieder das „Besondere" des Judentums und der jüdischen Überlieferung, das zu erkennen nicht nur Sache des Historikers, sondern eben auch .Aufgabe des Theologen und Exegeten" ist, wie er gegen die „nivellierenden" Tendenzen der religionsgeschichtlichen Forschung sagt.54 Dieses Besondere, das sich gerade im universal- und religionsgeschichtlichen Vergleich zeigt,55 ist etwas, das nur in äußerlichen Institutionen wie dem vorexilischen Staat oder dem nachexilischen Kult überleben kann, darin aber nicht vollkommen aufgeht. Im Zweifelsfall wird sogar dem Pharisäismus, nach Wellhausen die höchste Form der von ihm verabscheuten Gesetzlichkeit, der Vorzug vor dem hasmonäischen Staat und, was im Judentum des 19. Jahrhunderts höchst umstritten war, der Orthodoxie der Vorzug vor Emanzipation und Assimilation eingeräumt.56 Das „Besondere", Unverrechenbare, das Wellhausen als „Theologe und Exeget", vielleicht auch als „Mensch und Christ",57 zwischen den Zeilen der Profangeschichte las, ist identisch mit dem „eigenen Antrieb" der historischen Entwicklung, in unserem Fall mit dem Antrieb zur Entstehung des Judentums, das der Historiker „von innen heraus zu verstehen" suchte. Demgegenüber ist Meyers universalgeschichtliche Betrachtungsweise mit antireligiösen und antitheologischen Motiven gepaart.58 Nach dem, was man damals unter dem humanistischen Ideal der griechischen Antike verstand, sah er das Heil in der Emanzipation des Individuums von der Religion, an deren Stelle er den - in der Entwicklung der Menschheitsgeschichte vor aller Religion angesiedelten - Staat setzte. Die auch von Wellhausen geteilte Vorliebe für Staat und Individuum ist hier ins Grundsätzliche, ja beinahe schon Metaphysische gesteigert. Der aufklärerische, antireligiöse Affekt macht die Universalgeschichte selbst zur Religion und nimmt ihr die geschichtliche Individualität. Darum ist die Religion
53
Dazu HOFFMANN 1988, 153-159 und 165ff.l69ff.l73ff.
54
Nachweise bei PERLITT 1965, 223f; zum Theologen 229ff.
55
Vgl. WELLHAUSEN 1905a, 65f.
56
Belege bei SMEND 1991b, 198.202.
57
Belege bei PERLITT 1965, 241 f.
58
HOFFMANN 1988, 158.165.188; SCHLESIER 1990. Positiv steht dem der vielzitierte Satz der autobiographischen Skizze aus dem Jahr 1923 gegenüber (MAROHL 1941, 8): „Daneben empfand ich aber stark den Trieb, auf Grund der Geschichte zu einer umfassenden und einheitlichen Weltanschauung zu gelangen und daher die Geschichte möglichst universell gerade auch nach der Seite des geistigen Lebens hin zu erfassen." Vgl. auch EHRENBERG 1931, 508f.
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Israel und das Judentum
nur partikular, die Profangeschichte hingegen, die auf die Abschaffung der Religion zielt, universal. Und darum ist auch die Entstehung des Judentums nach Meyer ein universalgeschichtliches Phänomen, damit nicht die Religion über die Profangeschichte triumphiere. Beide können übereinstimmend sagen, daß das Evangelium oder Christentum auf dem Judentum basiert.59 Für Wellhausen liegt darin die vielleicht bedauerliche, aber jedenfalls respektable kultur-, ja „weltgeschichtliche Bedeutung" des Judentums, für Meyer eine religiöse Bedrohung für den Gang der antiken und gegenwärtigen Weltgeschichte.
IV Was kann man für die zentrale Frage nach der Entstehung des Judentums im Alten Testament aus dieser Kontroverse lernen? Zwei Vertreter der alttestamentlichen Wissenschaft, nicht die aller unbedeutendsten, haben Eduard Meyer, der eine öffentlich, der andere brieflich, dafiir gedankt, daß er mit seinem Buch „Die Entstehung des Judenthums" als Historiker „die Fehler der ... Theologen aufgedeckt und verbessert" habe60 und „daß Sie uns Theologen immer wieder zwingen, die Dinge mit dem nüchternen Blick des Profanhistorikers zu betrachten"61. Wenn man sich die historiographischen und theologischen Motive klarmacht, wie wir das eben in aller Kürze getan haben, wird man nicht ohne weiteres in diesen Dank einstimmen können. Der Sachverhalt ist komplizierter. Was die zeitgeschichtlichen Rahmenbedingungen und die äußere Veranlassung der Entstehung des Judentums angeht, hat Meyer zweifellos das Richtige getroffen. Ohne die persische Reichsidee und spezielle Art der Reichsverwaltung sind die Dokumente im Esrabuch nicht zu verstehen. Nur darf dies, wie hier und in anderen Fällen allzu oft geschehen, nicht dazu verleiten, die historischen Rahmenbedingungen mit dem Gang der Geschichte Israels zu identifizieren, auch wenn die Quellen es suggerieren. Daß der von Meyer entdeckte politische Sachverhalt für ihn eine höhere, die Profangeschichte ins Antireligiöse transzendierende Bedeutung hatte, muß uns nicht weiter kümmern. Wellhausen hat demgegenüber in der Quellenkritik und im Aufspüren des Besonderen in der Entstehung des Judentums treffsicherer als Meyer. Daß das Volk bzw. der theologisch und genealogisch besetzte Begriff „Israel" im 59
Vgl. für Wellhausen die einschlägigen Zitate bei SMEND 1991b, 191; für Meyer bei SCHLESIER 1990, 372 Anm. 14. 60 61
STAERK 1897, 151.
H. Gressmann in einem Brief vom 2.11.1912, zitiert nach HOFFMANN 1988, 187f Anm. 157.
1. Die Entstehung des Judentums
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Judentum überlebt hat, ist, gemessen an dem Schicksal der benachbarten Völker, von denen wir auch nur aus dem Alten Testament und durch den Zufall der Archäologie etwas wissen, zweifellos etwas ganz Ungewöhnliches und Einmaliges, das nur in der literarischen Überlieferung, d.h. durch die Geschichte der Tradition, möglich war und historisch nur annäherungsweise zu begreifen ist.62 Auch die Dokumente im Esrabuch tragen das Ihre dazu bei. Hier hat der Theologe das feinere Gespür für das Wesen der Quellen und für die individuellen, partikularen Vorgänge der Profangeschichte. Nur darf dies nicht dazu führen, die Wirkungen der allgemeinen historischen Rahmenbedingungen auf die Bildung der Tradition zu unterschätzen. Daß auch Wellhausen damit höhere, historiographische oder theologische Absichten verfolgt, kann man ebenfalls ignorieren. In der heutigen Situation der alttestamentlichen Forschung kann weder auf das eine noch auf das andere verzichtet werden. Das vorexilische Israel, genauer: die beiden Reiche Israel und Juda sind praktisch nur durch vergleichende zeit- und religionsgeschichtliche Forschung, wenn man so will mit der Meyerschen Universalgeschichte, zu rekonstruieren. Die Geschichte der Tradition im Alten Testament sagt dazu wenig Verläßliches. Wellhausens „Exclusivität" hingegen kommt bei der Geschichte der literarischen Tradition selbst zum Zuge, die das Israel des Alten Testaments hervorgebracht hat und aus der sich das nachstaatliche Judentum speist. Auch dabei spielen die zeitund religionsgeschichtlichen Bedingungen eine wichtige Rolle. Denn auch die Fiktion hat eine zeitgeschichtliche Veranlassung. Wie man sieht, kann man in der Frage der Entstehung des Judentums von beiden, Wellhausen und Meyer, lernen, wenn man nur über die historiographischen und theologischen Überzeugungen hinwegsieht, über die sie in Streit gerieten. Vielleicht ist ohnehin weniger von Belang, in welche Schubladen die positiven und negativen Seiten des Judentums gezwängt und wie sie theologisch bewertet werden, als daß überhaupt zwischen positiven und negativen Seiten, einem ursprünglichen Wesen und der Degeneration, im nachexilischen Judentum unterschieden wird. Läßt man die Wertung und künstliche Trennung beiseite, verliert die von Wellhausen wie von Meyer empfundene Ambivalenz an Bedeutung und entfällt die Notwendigkeit, die verschiedenen Seiten des Judentums in historiographische oder theologische Raster bringen zu müssen. Nüchtern betrachtet schließen sich „eigener Antrieb" und Fremdveranlassung, Partikulares und Universales, Besonderes und Allgemeines bei der Ent62 Vgl. WELLHAUSEN 1914, 33: „Warum die israelitische Geschichte von einem annähernd gleichen Anfange aus zu einem ganz anderen Endergebnis geführt hat als etwa die moabitische, läßt sich schließlich nicht erklären. Wol aber läßt sich eine Reihe von Übergängen beschreiben, in denen der Weg vom Heidentum bis zum vernünftigen Gottesdienst, im Geist und in der Wahrheit, zurückgelegt wurde."
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Israel und das Judentum
stehung des Judentums nicht aus, ganz gleich, welchem von beiden man am meisten Sympathie entgegenbringt. Das nachexilische Judentum sieht sich nach Lage der Quellen aus eigenem Antrieb vom persischen Weltreich begründet und garantiert. Dies ist der entscheidende Sachverhalt, den es historisch und theologisch zu erklären gilt. Der „Prozeß,... als dessen Produkt dieses rätselhafte Judentum doch einigermaßen begreiflich wird",63 ist darum so beispiellos, weil sich das Judentum in der eigenen Tradition, d.h. in seinem Selbstverständnis, als „Product des Perserreichs" hinstellt. Das Wesen Israels und die Grundlagen des nachexilischen (biblischen) Judentums, Tempel und Gesetz, fielen zusammen, weil nach der persischen Reichsidee, die das Judentum verinnerlichte und theologisch transzendierte, das Individuelle der beherrschten Völker und das Universale des Weltreichs eine Symbiose eingingen. Dadurch ist das Wesen Israels in persischer Zeit, vermutlich seit dem Wiederaufbau des Zweiten Tempels, ein anderes geworden, anders als die - von Königtum und Volk getragene - nationale und anders als die - von Propheten und Deuteronomisten erdachte - theologische Selbstbehauptung unter assyrischer und babylonischer Fremdherrschaft, anders auch als die exklusive Selbstbehauptung gegen die Tendenzen zur Akkulturation in hellenistisch-römischer Zeit.64 Inmitten der Völker von Israel und Juda, deren Geschichte sich wie die anderer Völker im selben Raum mehr und mehr verliert und über die Welt verteilt, entsteht in der Überlieferung des Alten Testaments in assyrisch-babylonischer Zeit das prophetische Israel des Glaubens, in persischer Zeit das Judentum, das dank des - den Kult, die persönliche Frömmigkeit und die Lebensführung prägenden - Gesetzes bis heute überlebt hat, und schließlich in hellenistisch-römischer Zeit das Christentum, das bis heute nicht zuletzt davon lebt.
63 Th. Mommsen an U. v. Wilamowitz-Moellendorf nach der Lektüre der „Prolegomena", zit. bei SMEND 1991b, 203. 64 Vgl. jüngst HANHART 1995; DERS. 1996.
Die Fremdherrschaft
Einfuhrung Das Judentum im Zeitalter des Zweiten Tempels ist nicht ohne die äußeren Rahmenbedingungen der Fremdherrschaft zu verstehen. Schon die Anfänge der biblischen Überlieferung hatten in der Zerstörung der nationalen Identität der beiden Monarchien Israel und Juda durch Assyrer und Babylonier ihren Anlaß. Die persische Zeit wird in der Überlieferung selbst als Gründungsdatum des Judentums dargestellt. Und unter dem Druck der gewaltigen Herausforderungen der hellenistisch-römischen Zeit hat das Judentum diejenige Gestalt angenommen, die ihm von der biblischen Überlieferung zugedacht wird und es ihm ermöglichte, die Zerstörung des Tempels im Jahre 70 n.Chr. und die Vertreibung der Juden aus Jerusalem nach dem zweiten jüdischen Aufstand bis heute zu überleben. Die Alternative, ob das Judentum „als Product des Perserreichs" zu verstehen ist (Eduard Meyer) oder die Fremdherrschaft lediglich „zur notwendigen Ergänzung" hat (Julius Wellhausen), greift, wie wir sahen, zu kurz. Die Frage ist schon regional nach dem Judentum im Land und in der (babylonischen und ägyptischen) Diaspora zu differenzieren und hängt von der Perspektive ab. Es macht einen Unterschied, ob die Fremdherrschaft unmittelbar auf die politischen, wirtschaftlichen und religiösen Belange der Juden in der Provinz Juda und der Diaspora Einfluß übte oder im Selbstverständnis des Judentums als bestimmender Faktor wahrgenommen wurde. Eingriffe in das konkrete Leben der Juden in der Provinz Juda und der Diaspora ergaben sich durch die militärische, politische und ökonomische Präsenz der Fremdherrschaft in den unterworfenen Gebieten des achämenidischen, ptolemäischen und seleukidischen Reiches. Sie spielen in der biblischen Überlieferung aber nur eine untergeordnete Rolle und sind vor allem durch archäologische und epigraphische Funde, die schriftlichen Hinterlassenschaften der fremden Mächte und die griechische Historiographie bezeugt. Am ehesten dürften die Weissagungen der Prophetenschriften, insbesondere solche des Völker- und Weltgerichts, von der Präsenz der Fremdherrschaft und ihrem Vorgehen bei Feldzügen und diversen Aufständen in der näheren und ferneren Umgebung Judas inspiriert gewesen sein. Es fallt auf, daß sich darunter kein Orakel gegen die Perser findet und auch die Meder mehrheitlich als Gerichtswerkzeuge Jhwhs dienen (Jes 13,17; 21,2; Jer 51,11.28) und erst im allgemeinen Weltgericht vom Zorn Gottes getroffen werden (Jer 25,25). Einzig das von den Persern okkupierte Elam wird mit einem - versöhnlich ausklingenden - Feindorakel bedacht (Jer 49,34—39). In den jüdischen Schrif-
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Die Fremdherrschaft
ten aus hellenistisch-römischer Zeit ist den Historiographen, unter ihnen vor allem Josephus, die eine oder andere Episode oder wichtige Begebenheit zu entnehmen. Dem herausragenden Ereignis der makkabäischen Erhebung unter Antiochus IV, das gewissermaßen als Katalysator wirkte und im Judentum die Spreu vom Weizen trennte, sind das erste und zweite Makkabäerbuch gewidmet. Ansonsten aber wird die Fremdherrschaft, wenn überhaupt, als solche in den Blick genommen und vor allem in der Apokalyptik als Vorbote des „Endes" gedeutet. Tiefere Spuren hat die Fremdherrschaft im Selbstverständnis des Judentums hinterlassen. Wie sich den „Judäern" auf der Nilinsel Elephantine der Einmarsch des Kambyses als epochales Datum in das kollektive Gedächtnis eingegraben hat, so rekurrieren in der biblischen Überlieferung die einen auf den Untergang der beiden Monarchien unter Assur (Israel 722 v.Chr.) und Babylon (Juda 587 v.Chr.), die anderen auf das erste Jahr des Kyros II. in Babylon (539 v.Chr.) und den Bau des Zweiten Tempels unter Dareios I. (520-515 v.Chr.). Achämenidische Reichsverwaltung und Reichsidee, für deren Propaganda die persischen Könige seit Dareios I. sorgten und die eine positive Fama begründeten (FREI/KOCH 1996; KRATZ 1991a und 1991b), haben ihren Einfluß auf das Selbstverständnis des Judentums ebenso ausgeübt wie der Zerfall des einen Weltreichs, die harte Wirtschafts- und Finanzpolitik sowie die geistigen und kulturellen Neuerungen des hellenistischen Zeitalters, in dem es zu tiefen Zerwürfnissen und theologischen Spaltungen in verschiedene jüdische Parteiungen kam (HENGEL 1973). Die jüdische Überlieferung nimmt die historischen Erfahrungen mit der Fremdherrschaft, die eigenen wie die der anderen, durch den Filter der biblischen Tradition wahr. Diese eigentümliche Art der Wahrnehmung bringt es mit sich, daß in der jüdischen Überlieferung die persischen Könige und ausnahmsweise Antiochus III. (Ant XII,138-144) oder Ptolemaios II. (Arist) als großzügige Gönner und Förderer der jüdischen Religion gelten. Ansonsten erscheinen Ptolemäer und Seleukiden und ihre jüdischen Parteigänger, angefangen bei Ptolemaios I. (Ap 1,205-211; Ant XII,5-6; ferner Appian, Syr. 50,252) über Antiochus IV. (Dan 7-12; 1 Makk u.ö.) bis hin zu den eigenen, hasmonäischen und herodianischen Königen von Roms Gnaden, eher als fremdes Gegenüber oder gar Feindbild, das zur Klärung und Festigung der jüdischen Identität im Spannungsfeld von Judentum und Hellenismus beiträgt. Historisch hat das Judentum die Fremdherrschaft lediglich „zur notwendigen Ergänzung", in seinem Selbstverständnis aber stellt es sich für den Anfang selbst „als Product des Perserreichs" dar und partizipiert in der Auseinandersetzung mit dem Hellenismus bewußt oder unbewußt auch an dem, was es mit allen Mitteln bekämpft. Im folgenden sind zwei Beiträge aufgenommen, die sich mit der Rolle der Fremdherrschaft in der jüdischen und nichtjüdischen Überlieferung befassen.
Einflihrung
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Beide sind dem Übergang von der babylonischen zur persischen Herrschaft gewidmet, also denjenigen Mächten, unter denen der erste Tempel zerstört und der zweite erbaut wurde. In beiden Beiträgen geht es nicht um die neubabylonische und persische Geschichte als solche, wofür die Quellen üblicherweise herangezogen werden, sondern um das Geschichtsbild, das sie und das jüdische Selbstverständnis prägt. Auch für die nichtjüdischen Quellen gilt, daß sie die Geschichte nicht einfach dokumentieren, sondern bestimmte Zwecke verfolgen, und man gut daran tut, sie nicht ungeprüft zu benutzen und, soweit es irgend geht, mit den Angaben der biblischen Überlieferung zu harmonisieren. Wie es scheint, ist der Übergang historisch verhältnismäßig lautlos verlaufen. Es ist die literarische Tradition, die jüdische wie auch die babylonische und die griechische, die das Ereignis aufgrund der späteren Erfahrungen mit der persischen und hellenistischen Fremdherrschaft zu dem herausragenden Epochenwechsel gemacht hat, als den ihn - aufgrund eben dieser Traditionen - auch die moderne Geschichtsschreibung darstellt. Weitere Beiträge des Autors zu diesem Kapitel: 2008a und 201 ld.
2. Babylon im Alten Testament I Von der ersten nennenswerten Begegnung zwischen Babylon und Juda berichtet die babylonische Chronik:1 „Im 7. Jahr, im Monat Kislew bot der König von Akkad seine Truppen auf und zog nach Hattu (kurhat-tü). Die Stadt von Juda (äl Ia-a-hu-dü) belagerte er. Am 2. Adar eroberte er die Stadt, den König nahm er gefangen. Einen König nach seinem Herzen setzte er in ihr ein. Seinen schweren Tribut nahm er mit und führte ihn nach Babel." Der König von Akkad ist Nebukadnezar II., der König von Juda, den er gefangennahm, Jojakin, der König nach seinem Herzen, den er dort einsetzte, hieß Mattanja und wurde anläßlich seiner Thronbesteigung in Zedekia umbenannt. Dem abgesetzten König erging es besser als dem König nach Nebukadnezars Herzen. Jojakin und seine fünf Söhne wurden in Babylon mit Sesamöl versorgt und um 560 v.Chr. von Amel-Marduk an die königliche Tafel geholt.2 Zedekia mußte sich bei der zweiten Eroberung Jerusalems, 587/6 v.Chr., bei der die Stadt und mit ihr der Tempel zerstört wurden, im syrischen Ribla vor Nebukadnezar für seinen Treuebruch verantworten und die Ermordung seiner Söhne mit ansehen, bevor er selbst geblendet und nach Babylonien verschleppt wurde, wo sich seine Spur verliert.3 Es folgte noch die kurze Episode der Statthalterschaft Gedaljas,4 dann war das Ende des Reiches Juda gekommen. Das Ende Judas bedeutete den Anfang der Beschäftigung mit Babylon im Alten Testament. An erster Stelle sind die historischen Reminiszenzen zu nennen. Außer den Namen für Stadt, Land und Bevölkerung Babyloniens (^33, auch "liOT), die nun Eingang in die Überlieferung fanden, sind es allerdings nur wenige, und auch sie sind wenig präzise. Die Erinnerung an eine Gesandtschaft des Königs Marduk-apla-iddina II. (Merodachbaladan) an Hiskia gegen Ende des 8. Jh.s v.Chr. (2 Kön 20,1219/Jes 39) dient als Vorlage für eine prophetische Voraussage des Untergangs. An der zweifachen Belagerung und Einnahme Jerusalems interessiert naturgemäß vor allem der Schaden, den die Babylonier der Stadt und ihrer Bevölkerung zugefügt haben. Von der Vorgeschichte, der entscheidenden 1 2 3 4
GRAYSON 1975a, Nr. 5, Rs. 11-13; TGI 1979, 73f; TUAT I, 403f. TGI 1979, 78f; 2 Kön 25,27-30; Jer 52,31-34. 2 Kön 24,20b; 25,1-7; Jer 39,1-7; 52,1-11. 2 Kön 25,22-26; Jer 40-41.
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Schlacht von Karkemisch (605 v.Chr.) und den darauf folgenden, wenigstens zwei Feldzügen nach dem Hethiterland (601, 599 v.Chr.), hat man nur ganz vage Vorstellungen.5 Aus der Zeit der zweiten Belagerung Jerusalems sind zwei - auch inschriftlich belegte - Namen babylonischer Beamter überliefert, Nebusaradan und Nergalsarezer. 6 Von den neubabylonischen Königen werden nur zwei erwähnt, am häufigsten natürlich Nebukadnezar (in versch. Schreibungen) und einmal Amel-Marduk (Ewil-Merodach), 7 daneben der fälschlich für einen Sohn Nebukadnezars gehaltene Sohn Nabonids 8 und Kronprinz Belsazar,9 von den babylonischen Göttern Marduk-Bel (Merodach, Bei) und Nabü (Nebo).10 Von historischem Interesse sind schließlich noch die babylonischen Ortsnamen in Ez 3,15; Esr 2,59 = Neh 7,61; Esr 8,17, von denen allerdings nur das in Ez 3,15 erwähnte Tel-Abib am Fluß Kebar mit einiger Wahrscheinlichkeit in der Gegend von Nippur zu lokalisieren ist.11 Dazu kommen die kulturgeschichtlichen Einflüsse aus dem babylonischen Raum, die im letzten Jahrhundert einiges Aufsehen erregten und den BibelBabel-Streit vom Zaune brachen. Am populärsten sind die mesopotamischen Stoffe in der Urgeschichte (Gen 1-11), die Schöpfung, die Sintflut und der Turm zu Babel.12 Manches mag - über kanaanäische Vermittlung - schon in vorexilischer Zeit verbreitet gewesen sein. In der Hauptsache fand der kulturelle Austausch aber erst seit dem babylonischen Exil statt. Mehr als alles andere aber hat sich das Bild durchgesetzt, das sich die alttestamentliche Überlieferung - gestützt auf die wenigen historischen Daten, mit und ohne kulturgeschichtliche Einflüsse - von Babylon gemacht hat. Von ihm soll im folgenden die Rede sein. Denn es ist keineswegs so, daß die Namen Nebukadnezar und Babel im Alten Testament nur negativ besetzt wären, da sie für den Untergang von Staat und Hauptstadt verantwortlich waren. Namentlich das Buch des Propheten Jeremia, des Propheten der babylonischen Epoche, hat eine bewegte literarhistorische Entwicklung durchlaufen,13 in der
5
GRAYSON 1975a, Nr. 4,16ff; 5,lff und Rs. 5ff; TGI 1979, 73f; TUAT I, 402f; vgl. dazu 2 Kön 24,lf.7; Jer 46,2(ff). Zu Streifzügen der Nachbarn vgl. Arad VI, Ostrakon 24 in RENZ/ RÖLLIG 1 9 9 5 , 3 8 9 f f . 6 n > n ? a 3 (2 Kön 25,8.11.20; Jer 39,9 u.ö.) und ^ r u (Jer 39,3.13), vgl. TUAT I, 405f. 7 TTI!? (2 Kön 25,27). 8 Auf ihn gehen auch die Erzählstoffe in Dan 2-5 zurück, was für Dan 4-5 durch die Parallele 4QOrNab bewiesen ist. Vgl. KRATZ 1991b, 99ff.l20ff sowie „Nabonid und Kyros" (in diesem Band Nr. 3). 9 ^XtÖ*p3 und -SZiÖZ (Dan 5; 7,1; 8,1). 10 Tpq, Jer 50,2; 51,44; Ü3 neben *73 Jes 46,1. Vgl. auch ZusDan (Bei et Draco) sowie EpJer 40. 11
DONNER 1 9 9 5 , 4 1 7 .
12
V g l . T R E 5, 1 9 8 0 , 6 7 - 7 9 ; H . - P . MÜLLER ( H g . ) 1 9 9 1 .
13
Vgl. SCHMID 1996, bes. 327ff.
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Die
Fremdherrschaft
Babylon als historische Größe erst einmal entdeckt und identifiziert werden mußte und in der Folge verschiedene Deutungen erfuhr.
II Als Nebukadnezar im Jahr 598/7 seine Truppen aufbot und nach Hattu zog, um Jerusalem zum ersten Mal zu erobern, war es nicht das erste und nicht das letzte Mal, daß er syrisch-palästinischen Boden betrat. In Juda hatte man aber noch keine klare Vorstellung, mit wem man es zu tun bekam. Solange es andere traf, freute man sich über das Kräftemessen der Großmächte, das Ägypten aus Syrien-Palästina vertrieb und die Babylonier in Zaum hielt. Sobald jedoch auch Juda und Jerusalem ins Visier des Babyloniers gerieten, herrschte große Verwunderung und Aufregung. Die Judäer, die sich an Ägypten als den vermeintlich Stärkeren wandten, hatten mit der Übermacht der Chaldäer nicht gerechnet und standen ihr kurz vor der endgültigen Niederlage im Jahre 587/6 hilflos gegenüber.14 Den Eindruck der Hilflosigkeit vermitteln auch die ältesten Worte des Propheten Jeremia, die sich in der literarischen Grundschicht des Buches erhalten haben. Es sind Klagen über die nahende, zunächst mehr geahnte als vorausgesehene und schließlich eingetretene Katastrophe. Die Babylonier erscheinen darin als ominöser, Angst einflößender „Feind aus dem Norden": Flüchtet, Benjaminiten, hinaus aus Jerusalem, in Tekoa stoßt ins Horn, über Bet-Kerem richtet ein Signal auf! Denn Unheil droht von Norden und großer Zusammenbruch. (Jer 6,1) Siehe, ein Volk kommt aus dem Land des Nordens, eine große Nation erhebt sich von den äußersten Winkeln der Erde. Bogen und Sichelschwert führen sie, grausam ist es, und haben kein Erbarmen. Ihr Lärm tobt wie das Meer, auf Rossen reiten sie. (Jer 6,22-23a)
Der Prophet selbst erschrickt in solchen und ähnlichen Klagen15 über das Heranrücken der feindlichen Heere, spricht in eigenem Namen, nicht im Auftrag des Gottes Jhwh, und malt nur das kommende oder schon gegenwärtige Unglück aus, vielleicht in der Hoffnung, es dadurch noch abwenden zu können. 14
Einen authentischen Eindruck davon vermitteln die Ostraka von Lachisch: TGI 1979, 75-78; RENZ/RÖLLIG 1995, 4 0 5 ^ 4 0 . 15 Vgl. noch Jer 4,7.11.12a. 13.15f. 19-21.29.31; 6,2-5.24-26; 8,16.18-23; 9,16-21; 10,19f.22; 13,18f; 14,17f; 22,10.28. Ob daneben auch die Moral des Volkes ursprünglich Thema der Klage war, kann hier auf sich beruhen, vgl. 5,lff; 6,10-13; 8,4-7; 9,lff; 22,13ff; 23,9f.
2. Babylon im Alten Testament
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Vom Unglück betroffen sind Juda und Jerusalem, das Land, das Volk und die Stadt. Sie werden teilweise als weibliche Personen vorgestellt und direkt in 2.sg.fem. angesprochen. Der Fall der Städte und Mauern, die dem Ansturm des „Feindes aus dem Norden" nicht standhielten, zog die eigentümliche Metaphorik nach sich. Aus dem Berg Zion, der „festen Burg", wurde die „Tochter Zion":16 Gegen dich ist ein jeder zum Krieg gerüstet, Tochter Zion. Wir haben seine Kunde gehört, uns erschlafften die Hände, Angst hat uns ergriffen, Wehen wie die Gebärende. Geh nicht hinaus aufs Feld, geh nicht auf die Straße, denn (da droht) das Schwert des Feindes - Grauen ringsum. Gürte das Trauergewand um, Tochter meines Volkes, wälze dich in Asche, Halte Trauer wie um den einzigen Sohn in bitterer Klage, denn plötzlich kommt der Verwüster über uns. (Jer 6,23b-26)
Bald nach dem letzten Akt der Katastrophe, dem Untergang Judas, als sich die Klagen des Propheten als wahr erwiesen und der erste Schreck über die Trümmer Jerusalems gelegt hatten, da setzte das Nachdenken über die Katastrophe, ihren Urheber und die Gründe, ein. Die Gründe wurden überraschenderweise zunächst nicht in der Weltpolitik, der Urheber nicht in dem „Feind aus dem Norden" gesehen, sondern im Verhältnis von Gott und Volk gesucht. Das Unglück hatte Jhwh, der Gott Israels und Judas, selbst herbeigeführt, die Klage wird zur Anklage und Androhung des göttlichen Gerichts: Tut es kund in Juda, und in Jerusalem laßt es hören, Stoßt ins Horn im Land, ruft laut: Sammelt euch und laßt uns kommen in die festen Städte, hebt empor das Panier gen Zion, flüchtet, bleibt nicht stehen! Denn Unheil führe ich herbei von Norden und großen Zerbrach. (Jer 4,5f)
Die sich anschließende Überlieferung war für lange Zeit damit beschäftigt, immer wieder neue Gründe für das Gericht Jhwhs über sein Volk nachzuliefern, vor Wiederholung zu warnen und zur Umkehr zu mahnen.17 Dabei wur16
Jer 4,31; 6,2.23; „Tochter meines Volkes" 4,11; 6,26; 8,19-23; (8,11; 9,6; 14,17). Vgl. dazu STECK 1989, 143; SCHMID 1996, 332f. Einen traditionsgeschichtlichen Anhalt boten die sumerischen Stadtklagen. 17 An die ursprüngliche Klage-Komposition, die Grundschicht des Jeremiabuchs, hat sich die 2.sg.fem.-Schicht in Jer 2-22 mit Abschluß in 22,20-23 und Gegenstücken in Jer 30f angeschlossen (dazu Schmid 1996, 140ff, die Belege ebd. 141 Anm. 425). In die Nachgeschichte der 2.sg.fem.-Schicht in Jer gehört Ez 16. Die prophetischen Symbolhandlungen mit Deuteworten in Jer 13; 16; 18; 19 u. 27f (allesamt mit dem „Ich" Jhwhs) setzen die theologische Deutung der eingetretenen Katastrophe als Gericht Jhwhs in der Klage-Komposition voraus und machen den Propheten zum Repräsentanten und Verkündiger des Wortes Gottes; an sie und ihre Gegenstücke in 29 und 32 (und die übrigen Erzählungen) haben sich die dtr.
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Die Fremdherrschaft
den auch die politischen Bündnisse theologisch als Abfall von Jhwh gedeutet.18 Ethische und kultische Vergehen gegen Gott und sein Gesetz kamen hinzu. Bei alldem blieb Babel, was es war, der „Feind aus dem Norden",19 nur nicht mehr aus eigenem Antrieb, sondern als Gerichtswerkzeug in Jhwhs Hand. Und: Der Radius - von Babels Feldzug bzw. von Jhwhs Wirkmächtigkeit - erfuhr eine den historischen Verhältnissen entsprechende Ausdehnung. Außer gegen Juda und Jerusalem (Jer 1-25) fuhrt Jhwh den „Feind aus dem Norden" auch gegen die gesamte umliegende Völkerwelt, Ägypten im Süden, die Philister im Westen, Moab, Ammon und Edom im Osten, Damaskus im Norden (Jer 46-49). 20
III Beim Namen genannt wird der „Feind aus dem Norden" in der Überlieferung des Jeremiabuchs zuerst in dem berühmt-berüchtigten Babel-Orakel Jer 5 0 51.21 Die Namensnennung geht mit einem Rollenwechsel einher. Babel und der „Feind aus dem Norden" waren einmal eins, sind es nun aber nicht mehr. Solange Jhwh Gericht gegen sein eigenes Volk und die übrigen Völker hielt, hatte Babel die Rolle des „Feindes aus dem Norden" inne, nun wird Babel selbst von „Feinden aus dem Norden" überrannt:22 Siehe, ein Volk kommt von Norden, eine große Nation, und viele Könige erheben sich von den äußersten Winkeln der Erde. Bogen und Sichelschwert fuhren sie,
Prosareden angeschlossen. Der Anreicherung der Klage-Komposition durch die jüngeren Symbolhandlungen entspricht übrigens der Anhang von 51,59-64 an Jer 50f. 18 Jer 2,16ff; 13,20-22; 22,20-23. 19 Jer l,13f.l5; 4,6; 6,1.22; 10,22; 25,9. 20 Jer 46,6.10.20.24; 47,2. 21 Das Grundgerüst besteht in einer Reihe von Sprüchen in Kap. 50, die das von Jhwh angeordnete Herannahen feindlicher Heere beschreiben: V. 2—3.8—10(.l 1—13). 14—16.21(.22— 23.24.25).26-27(.28).29a(.29b-30.31-32).35-38a(.38b-39); einen Rahmen bilden V. 2f und V. 41^t3 nach 4,5 und 6,22-24 (vgl. auch 50,22 nach 4,6; 6,1) sowie V. 40.44-46 nach 49,18.19-21. Darin eingefaßt sind Reflexionen über das Schicksal Israels: 50,4-7.17-20.3334. Jer 51,1-58 ist eine Variation von Kap. 50, die das Geschehen historisch konkretisiert und theologisch vertieft: vgl. 51,1 ff. 11/50,9f; 51,6/50,8; 51,9/50,16; 51,10.11/50,28; 51,1113(.44.58)/50,14-16.29; 51,20ff/50,23; 51,25/50,31; 51,27ff/50,2f.l4ff.21ff; 51,3f/50,17f; 51,41/50,23 usw. Die Identifizierung der Völker aus dem Norden mit den Königen der Meder u.a. (51,11.27f) hat Jes 13,17 und 21,2 zum Vorbild und rechnet entweder noch nicht oder nicht mehr damit, daß Kyros Babylon zerstört (vgl. Jes 45,1 ff). 22 Jer (25,26) 50,3.9.41; 51,48; vgl. Jes 41,25 (vom Osten 41,2; 46,11). Zur Schichtenfolge vgl. KRATZ 201 ld, 219ff, wo allerdings noch mit dem vorgängigen Einbau der Erzählungen (über Jer 25) gerechnet wird. Vgl. dagegen SCHMID 1996, 340f.
2. Babylon im Alten Testament
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grausam sind sie und haben kein Erbarmen. Ihr Lärm tobt wie das Meer, und auf Rossen reiten sie. Gegen dich ist ein jeder gerüstet zum Krieg, gegen dich, Tochter Babel. Der König von Babel hörte ihre Kunde, und seine Hände erschlafften, Angst hat ihn ergriffen, Wehen wie die Gebärende. (Jer 50,41-43)
Die Formulierungen stammen aus dem - oben zitierten Text - Jer 6,22-24, wo mit haargenau denselben Worten der Untergang Judas angekündigt wird. Die Entlehnung besagt, daß das Werkzeug des Gerichts nicht mit dem Gericht Gottes oder mit Gott selbst identisch ist. Und darum wird Babel als solches identifiziert. Die Namensnennung entspringt dem Gedanken der Souveränität und Herrschaft des jüdischen Gottes über die Völker und steht für das untergehende Babylon. Die Gerichtsansagen gegen Babel und die Chaldäer, die den Untergang beschwören, nehmen verständlicherweise einen breiten Raum in der alttestamentlichen Überlieferung ein.23 Sie haben den kometenhaften Aufstieg Kyros' II. zur Voraussetzung, der sich nach seinen Erfolgen im Norden, in Medien (553 bzw. 550 v.Chr.) und in Lydien (546 v.Chr.), anschickte, das außenpolitisch isolierte und auch innerlich zerstrittene Babylon zu erobern. Aber sie blieben auch nach der Einnahme der Stadt aktuell. Als am 3.8. (Marcheschwan = Okt./Nov.) des Jahres 539 v.Chr. Kyros in Babylon einzog und die Hände des Marduk ergriff, blieb alles, wie es war. Die Stadt wurde verschont, und die von ihrem letzten König Nabonid vernachlässigten Priester des Marduk begrüßten Kyros überschwenglich als neuen König von Babylon und Retter der Welt.24 Schon die ehemaligen Parteigänger Nabonids und Nutznießer seines religionsgeschichtlichen Kurses sahen das vermutlich anders. Noch kurz vorher hatte Nabonid geprahlt, sich Kyros durch die Überlassung von Harran dienstbar gemacht zu haben.25 Für die, die das glaubten, muß die Einnahme Babylons eine herbe Enttäuschung gewesen sein, immerhin ging damit die nationale Souveränität verloren. Vielleicht verdanken wir solchen Kreisen die Legendenbildung in der griechischen Historiographie, wonach die Stadt mit List und Tücke, ja mit Gewalt eingenommen worden sein soll, schon unter Kyros26 und erst recht unter Dareios und Xerxes. Doch auch für die Judenschaft in Babylonien und in Palästina bestand kein Anlaß zu ungeteilter Freude. Man hatte zwar - wie die Priester des Marduk - auf die Einnahme Babylons gehofft, wurde jedoch - wie die Gefolgschaft Nabonids, nur aus anderen Gründen - bitter enttäuscht, weil sie so glimpflich verlief. Statt Israel vom babylonischen Joch zu befreien, ließ sich Kyros als Befreier Babylons feiern. So kommt es, daß die nicht eingelöste Hoffnung auf Zerstörung der Stadt Ba23
Außer Jer 50-51 vgl. noch Jes 13f; 21; 43,14f; 47; 48,14.20; Sach 2,10f; 6,8; Ps 137,8f. Nabonid-Chronik, Schmähgedicht, Kyros-Zylinder. 25 Nab 1 1 2 6 f f (LANGDON 1992). 26 Herodot I 187ff; Xenophon, Cyrop. 7; Berossos, FGH 680, fr. 9-10. 24
Die
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Fremdherrschaft
bylon auch nach 539 v.Chr. noch längere Zeit weiterlebte, bis sie - beim Übergang in die hellenistische Epoche - von der Erwartung des Weltgerichts abgelöst wurde.27 Das Bild, das die Gerichtsorakel von Babylon und seinem Untergang zeichnen, lebt von dem Vergeltungsgedanken und orientiert sich daher an dem vorher geweissagten Schicksal Judas und Jerusalems. So, wie es Land, Hauptstadt und Bevölkerung von Juda und der umliegenden Völker erging, genau so sollte es auch Babylon ergehen. Dabei wird auch die Personifikation der gefallenen Stadt auf Babylon übertragen. Wie die „Tochter Zion" so die „Tochter Babel", wie die „Tochter meines Volkes" so die „Tochter der Chaldäer".28 In Jes 47, dem anderen großen Babel-Orakel neben Jer 50-51, hat sich die Metapher verselbständigt und versinnbildlicht den politischen Status der Stadt: Solange sie noch steht, nimmt sie - wie Assur und Arbela in neuassyrischen Personennamen29 - königlichen Rang ein und heißt „Herrin der Reiche" niD^QD n-aa T 30 Ihre Entmachtung gleicht der Entehrung einer Frau, deren Blöße vor aller Welt aufgedeckt, die der Kinder beraubt und zur Witwe gemacht und der das Handwerk gelegt wird, gemeint sind die klassischen Künste Babylons, das Beschwörungs- und Zauberwesen (^ED, akk. kaSapu) und die Astrologie ( c a a i a a D'tnn D'QÜ ^ O » 0lh> Skn byb brt>. Vgl. B3.5,2; 3.10,2; 3.11,2.
4. Der Zweite Tempel zu Jeb und zu
Jerusalem
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II 1. Die Zerstörung des jüdischen Tempels auf Elephantine und sein Wiederaufbau stehen in dem größeren Zusammenhang der Streitigkeiten zwischen den Führern und Priestern der jüdischen Kolonie und den Priestern des benachbarten Chnumtempels. Die Feindschaft bringt ein Schreiben des Mauzija, Sohn des Natan, aus der Zeit vor 410 v.Chr. auf den Begriff: ydy' zy hnwm hw 'lyn mn zy hnnyh bmsryn 'd k'n „Es ist bekannt, daß Chnum gegen uns ist, seit Hananja in Ägypten war, bis jetzt" (A4.3,7). Der Grund der Feindschaft ist nicht klar. Für gewöhnlich denkt man an den berühmten „Passabrief' des Hananja an seine Brüder in Jeb aus dem Jahr 419 v.Chr. (A4.1). Die Interpretation des schlecht erhaltenen Dokuments ist strittig. Soviel jedoch läßt sich sagen, daß in ihm von einer Botschaft des Königs Dareios (II.) an Arscham (Arsames), den Satrapen von Ägypten, die Rede ist und danach konkrete Anweisungen des Hananja an seine Brüder folgen, die terminlich und sachlich zum Passa-Mazzot-Fest passen, auch wenn der Name des Fests im erhaltenen (stark gestörten) Text nicht belegt ist. Wir wissen allerdings nicht, ob das Passa und die dabei vorgesehene Schlachtung von Schafen oder die Erinnerung an den Exodus und den Sieg über die Ägypter oder etwas ganz anderes, wofür besagter Hananja nach Ägypten gekommen ist, den Ärger der Chnumpriester hervorgerufen hat.24 Wir wissen auch nicht, wer dieser Hananja war, der für eine gewisse Zeit die Belange der Juden in Ägypten vertrat. Man darf ihn nicht vorschnell mit den in Neh 1,2; 7,2 genannten Personen25 oder etwa mit dem epigraphisch für das 5. Jh. belegten (Statthalter?) HN(W)NH 26 identifizieren. Was wir wissen, ist dies, daß die Mission des Hananja einen Wettstreit um die Gunst Arschams ausgelöst hat, von dem die Dokumente des Jedanja-Archivs ein beredtes Zeugnis ablegen. Das einschlägige Mittel, um die Gunst zu gewinnen und den Gegner zu schädigen, war die Diplomatie, d.h. im Klartext: Bestechung und Intrige (A4.2; 4.10). Eine ansprechende Vermutung hat jüngst Ingo Kottsieper27 geäußert: Hananja habe eine formliche Anerkennung der jüdischen Kolonie erwirkt, die ihr auch die ethnisch spezifizierte Bezeichnung hyl' yhwdy' ,judäische Garnison" (A4.1,1.10; C3.15,l) eingetragen habe. Dies würde die Feindschaft mit den ägyptischen Chnumpriestern und die diplomatischen Anstrengungen der befeindeten Parteien jedenfalls sehr
24
V g l . PORTEN 1 9 6 8 , 2 8 0 - 2 8 2 ; w e i t e r f ü h r e n d KRATZ 2 0 0 9 C ( e n g l . 2 0 1 1 ) .
25
PORTEN 1968, 130, anders 279f. 26 Vgl. LEMAIRE 2002, 213ff. Lemaire (216 Anm. 35) möchte diesen HN(W)NH mit dem Sohn des Serubbabel aus 1 Chr 3,19.21 identifizieren. In den Papyri von Wadi ed-Daliyeh und samarischen Münzen ist der Name Hananja auch für einen Statthalter von Samaria belegt (WDSP 7,17, vgl. 8,10; LEMAIRE 2002, 22 lf). 27
KOTTSIEPER 2 0 0 2 , 1 5 7 ; vgl. C A H I V ,
Uli.
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viel eher erklären als die Anweisungen zum Passa-Mazzot-Fest, das vermutlich schon vorher praktiziert wurde.28 In dem Konflikt spielte ein gewisser Widranga eine wichtige Rolle, der mit den Chnumpriestern gemeinsame Sache machte.29 Er war zunächst der Oberste des Heeres in Syene (A4.3,3; B2.10,2f.4; 3.9,2) und stieg später zum „General" (frataraka) auf (A4.5,4; 4.7-8,5); den Posten des Heeresobersten erhielt sein Sohn Nephaina (A4.7,7//4.8,7; 5.2,7).30 Widranga nahm Mauzija in Abydos unter dem Vorwand des Diebstahls gefangen und ließ sich dessen Freilassung wohl bezahlen. Die beiden Helfer, die bei ihm für Mauzija eintraten und „mit der Hilfe des Himmelsgottes" dessen Freilassung erreichten, waren Untergebene des Anani, des Schreibers und Kanzlers des Arscham (A6.2,23; cf. A4.2,13-15). Der eine von ihnen namens Hör stand, falls es sich um dieselbe Person handelt, gleichzeitig oder vorher in den Diensten des Hananja (A4.3,8). Beide wurden wiederum von Mauzija mit einem entsprechenden Empfehlungsschreiben an die Herren und Priester der jüdischen Kolonie von Elephantine vermittelt, um sich der Gunst des Anani zu versichern (A4.3). Auch die von den Chnumpriestern angezettelte Zerstörung des jüdischen Tempels wurde von Widranga im Verein mit seinem Sohn ausgeführt. In der zweiten, verbesserten Fassung des Gesuchs um Zustimmung für den Wiederaufbau des Tempels wird deren Beteiligung auf Bestechung zurückgeführt (A4.8,5; vgl. A4.5,4). Das hinderte die Briefschreiber nicht, den zuständigen Stellen ihrerseits eine beträchtliche Summe in Aussicht zu stellen, um ihr Anliegen zu erreichen (A4.10,13f; unsicher A4.7,28f//4.8,27). Die Vorsteher und Priester der jüdischen Kolonie von Elephantine verhandelten nicht nur mit den Behörden in Ägypten, sondern schalteten auch die jüdischen und persischen Stellen in Juda und Samaria ein. Davon zeugt die umfangreiche Korrespondenz, die teils erhalten, teils in den erhaltenen Exemplaren erwähnt ist. Erhalten ist ein Gesuch an „unseren Herrn", wahrscheinlich Arscham (vgl. A6.1,5) oder Anani, das bald nach der erfolgten Tempelzerstörung im Jahr 14 des Dareios (410 v.Chr.) eine polizeiliche Untersuchung der Vorgänge vor Ort verlangt und um Unterstützung bittet (A4.5). Dieses Schreiben könnte mit dem Brief an „unseren Herrn" identisch sein, den das Gesuch an Bagohi (Bagoas), den Statthalter von Juda, aus dem 17. Jahr des Dareios (407 v.Chr.) erwähnt (A4.7,18//4.8,17); doch mag es sich bei jenem Brief auch um ein früheres Schreiben desselben Inhalts an Bagohi handeln, der ebenfalls mit „unser Herr" angeredet wird (A4.7-8,lf und passim). Nachdem die Statthalter von Juda und Samaria unter bestimmten, die Opfer betreffen28
Vgl. D7.6,9f (convex); 7.24,5 (concave) und dazu PORTEN 1968, 130-133. Vgl. BRIANT 1988, 144-147. 30 Widranga ist, falls die Ergänzung stimmt, auch in der Assuan-Inschrift als Heeresoberster erwähnt. Vgl. LEMAIRE 1991, 199-201. Zur Rangordnung in der persischen Verwaltung Südägyptens vgl. WlESEHÖFER 1991. 29
4. Der Zweite Tempel zu Jeb und zu Jerusalem
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den Einschränkungen ihre Zustimmung zum Wiederaufbau gegeben haben (A4.9), wird erneut ein mit „unser Herr" titulierter Beamter, wohl in Ägypten, um weitere Order gebeten (A4.10). In zwei Fassungen, einem ersten, korrigierten Entwurf und dessen Reinschrift, ist das Gesuch an den Statthalter von Juda, Bagohi, erhalten. Außer dem Brief an „unseren Herrn" werden darin Schreiben an den amtierenden Hohenpriester von Jerusalem, Jehohanan (Johanan), 31 und seine Kollegen, an Ustan (Ostanes), den Bruder des Anani, und andere jüdische Nobilitäten (A4.7,18f//4.8,17f) sowie an Delaja und Schelemja, die Söhne Sanballats,32 des Statthalters von Samaria (A4.7,29//4.8,28), erwähnt. Die diplomatischen Bemühungen waren an beiden Fronten erfolgreich. Die Statthalter von Juda und Samaria ließen durch einen Gesandten dem Satrapen von Ägypten ihr nihil obstat mitteilen, das in einer in Elephantine aufbewahrten Gesprächsnotiz, dem berühmten Memorandum mit der Botschaft Bagohis und Delajas (A4.9), festgehalten ist. Auch die persischen Behörden in Ägypten scheinen daraufhin, bestärkt durch das großzügige Geschenk führender Männer der jüdischen Kolonie (A4.10), ihre Einwilligung gegeben und nicht den Interessen der Chnumpriester, sondern denen der jüdischen Kolonie entsprochen zu haben, was daraus hervorgeht, daß der Tempel wiederaufgebaut wurde. Warum von den Priestern und Noblen in Jerusalem keine Antwort kam, ist schwer zu sagen. Viel hängt davon ab, ob und in welchem Ausmaß das Zentralisationsgebot (Dtn 12) in Geltung stand. Immerhin scheinen die Jerusalemer nichts unternommen zu haben, um den Wiederaufbau des Tempels in Jeb zu verhindern. Vielleicht fühlten sie sich nicht zuständig und wollten keinen Konflikt mit den persischen Behörden riskieren. 33 Vielleicht ist das Schreiben, ebenso wie das frühere Gesuch an „unseren Herrn", aber auch ganz einfach im Gestrüpp der Bürokratie hängen geblieben. Ich halte es jedoch für möglich oder sogar wahrscheinlich, daß dem schließlich erteilten nihil obstat der Statthalter von Juda und Samaria eine Befragung der Jerusalemer Priester und Nobilitäten vorausgegangen ist, die offenbar keine ernstzunehmenden Einwände hatten. 2. Eine Art Chronik vom Wiederaufbau des Jerusalemer Tempels ist in den Büchern Haggai und Sachaija 1 - 8 überliefert. Auf den Tag genau werden die Worte der Propheten und ihr Eintreten für das Bauprojekt im zweiten (und vierten) Jahr des Königs Dareios datiert. Welcher der drei persischen Könige 31
Vgl. Neh 12,22f (Jonatan in 12,11). Ein YWHNN HKHN „Johanan, der Priester" ist auch auf einer judäischen Münze aus dem 4.Jh. v.Chr. belegt; vgl. LEMAIRE 2002, 216f. 32 Vgl. Neh 2,10.19; 3,33; 4,1; 6,lf.5.12.14; 13,28. 33
V g l . KOTTSIEPER 2 0 0 2 , 1 6 4 f und 1 7 1 f A n m . 78, der, w i e schon GALLING 1964, 1 6 1 -
165, auf die Spannungen zwischen Johanan und Bagohi hinweist, von denen Josephus, Ant XI 7,1 (§ 297-301) berichtet.
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dieses Namens gemeint ist, geht aus dem Text nicht hervor, und anders als im Falle der Elephantine-Papyri fehlen die Vergleichsdaten, die eine sichere Datierung erlaubten. Mit Ausnahme von Esr 4,6-23, wo vielleicht an die historische Reihenfolge34 gedacht ist, gehen die biblischen Quellen jedoch durchweg davon aus, daß der Tempel unter dem auf Kyros II. folgenden Dareios I. (522^186 v.Chr.) wiederaufgebaut wurde. Das muß nicht richtig sein,35 doch ist die Spätdatierung durch den Einschub von Esr 4,6-23 leichter zu erklären als eine sekundäre Vordatierung, auch wenn diese mit dem Rekurs auf Kyros und sein erstes Jahr (in Babylon) eindeutig theologischen Interessen folgt (vgl. Jes 44,28; 45,1.12f; 2 Chr 36,20f.22f; Esr lff). Es wird eine babylonische Perspektive eingenommen, die auch erklärt, warum Kambyses, der Eroberer Ägyptens, im Unterschied zu Elephantine hier keine Rolle spielt (s.u. III). Geht man davon aus, daß es sich um Dareios I. handelt, sind die Worte der Propheten Haggai und Sacharja wie folgt datiert:36 Hag 1,1-15a zwischen dem l.VI. (29. Aug.) und dem 24.VI. (21. Sept.) 520; Hag 1,15b; 2,1-9 am 21.VII. (17. Okt.) 520; Hag 2,10-19 und 2,20-23 am 24.IX. (18. Dez.) 520; Sach 1,16 im VIII. (Okt./Nov.) 520; Sach 1,7-6,15 am 21.XI. (15. Feb.) 519; Sach 7-8 am 4.IX. (7. Dez.) des vierten Jahres, d.i. 518 v.Chr. Die Chronologie ist insofern unstimmig, als Sach 1,1 hinter das letzte Datum in Hag 2,10.18.20 zurückgreift. Sach 1,1 dürfte ursprünglich direkt an Hag l,l-2,9 3 7 angeschlossen haben oder seinerseits sekundär gebildet worden sein. In jedem Fall sollen die beiden Propheten nach dem vorliegenden Text nebeneinander und nicht (nur) nacheinander aufgetreten sein und die beiden Führer des Volkes, den Statthalter Serubbabel, Sohn des Schealtiel, und den Hohenpriester Joschua (eigentlich Jehoschua, in Esr-Neh Jeschua), Sohn des Jozadak (Jehozadak), zur Aufnahme der Arbeiten bewegt haben (vgl. Hag 1 , 1 . 1 2 — 1 5 a ; 2,2.4.21.23; Sach 3-4). Dieses Bild setzt auch Esr 5,1 f. 16 voraus, wo allerdings die Meinung herrscht, daß seit dem ersten Jahr des Kyros und der Entsendung Scheschbazzars kontinuierlich am Tempel gebaut worden sei (5,16). Damit konkurriert die Sicht in Esr 1-4, wonach der Geist Serubbabels und Joschuas schon im ersten Jahr des Kyros erweckt wurde und sie bald nach ihrer Heimkehr aus Babylon (Esr 2,2) mit dem Wiederaufbau auch begonnen hätten (3,lff), aber von den „Feinden Judas und Benjamins" daran gehindert worden seien (4,15.6ff), so daß die Arbeiten am Tempel bis zum zweiten Jahr des Dareios 34
Kyros II., Dareios I. (4,5), Xerxes I. (4,6), Artaxerxes I. (4,7.23), Dareios II. (4,24; 5,lff), Artaxerxes II./III. (6,14; 7,lff; Neh 2,Iff), Dareios III. (Neh 12,22). 35 DEQUEKER 1993a; DERS. 1993b; ferner EDELMAN 2005. Vgl. zu dem Problem auch JAPHET 1 9 9 4 . 36 37
Die Umrechnung der Daten nach PARKER/DUBBERSTEIN 1956, 28f. Oder 1,1-2,19 ohne 2,10-14.17-18b.
4. Der Zweite Tempel zu Jeb und zu Jerusalem
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ruhten (4,24). Es spricht vieles dafür, daß die Sicht von Hag und Sach 1-8 die ältere ist, auf der sowohl die Geschichtskonstruktion von Esr 5-6 basiert, die den Baubeginn unter Dareios (Hag-Sach) mit einem früheren Baubefehl des Kyros (Jes 44,28; 45,1.13) in Einklang bringt, als auch die davon abgeleitete Kombination von Esr 1-4 (und 6,16-18.19-22), die wiederum die Konstruktion von Esr 5-6 mit der Überlieferung in Hag-Sach ausgleicht und zu diesem Zweck eine Unterbrechung des Bauarbeiten annimmt. Innerhalb der älteren Version von Hag und Sach 1-8, 38 muß man wiederum zwei literarische Ebenen unterscheiden: die Rahmenerzählung, die über das Wirken der Propheten berichtet, und die Wortüberlieferung, die in diesen chronologischen und narrativen Rahmen gestellt ist. Von ihnen hat zweifellos die Wortüberlieferung die Priorität vor der Rahmenerzählung, die auf die Verkündigung der Propheten und die Reaktion darauf zurückblickt. Folglich ist die Rahmenerzählung als redaktionelle Arbeit anzusehen. Sie enthält Informationen, die teilweise auch in der Wortüberlieferung vorkommen, teilweise darüber hinaus gehen. So ist Hag 1,3-11; 2,3-9.15-19; Sach 2,16; 4,6-10; 6,13; 8,9-15 zu entnehmen, daß sich die Botschaft der Propheten auf den Tempelbau bezieht; in Hag 2,4.23 sowie Sach 3-4; 6,9-15 ist zu lesen, daß sie sich an Serubbabel (Hag 2,23) und Joschua (Hag 2,4; Sach 3,1.8; 6,11) als Führer des Volkes richtet. Über die Wortüberlieferung hinaus geht die Information, daß es sich bei Serubbabel um den Statthalter Judas handelt (Hag 1,1.14; 2,2.21; vgl. auch Esr 5,14; 6,7), sowie der Bericht, daß sich die Angesprochenen die Botschaft zu Herzen genommen und daraufhin mit dem Wiederaufbau begonnen haben (Hag 1,12-15). Woher diese Informationen stammen und welchen historischen Wert sie haben, ist aufgrund der unsicheren Quellenlage schwer zu sagen. Das Paar Serubbabel und Joschua, ihre Filiation und Titel scheinen in der Überlieferung fest verankert zu sein. Ob die beiden Namen jedoch schon immer mit dem Tempelbau und den Propheten Haggai und Sacharja verbunden waren, hängt davon ab, ob sie in der Wortüberlieferung ursprünglich sind oder die Verknüpfung hier wie in der Rahmenerzählung auf redaktioneller Arbeit beruht.39 Außer den Datierungen und den Namen der am Tempelbau beteiligten Personen sind der prophetischen Quelle keine weiteren historischen Details zu entnehmen. Sehr viel mehr erfährt man aus der Darstellung in Esr 1-6. Nach ihr ist auch der Wiederaufbau des Tempels zu Jerusalem zur Zeit Kyros' II. und Dareios' I. von Streitigkeiten und diplomatischen Bemühungen um das Wohlwollen der persischen Behörden begleitet. Nur verlaufen die Fronten hier etwas anders als in Jeb.
38 39
Auf sie stützt sich auch die historische Hypothese von BEDFORD 2001. Vgl. „Serubbabel und Joschua" (in diesem Band Nr. 5).
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Wie in Ägypten hat man es mit einheimischen Feinden zu tun. Sie sind nicht mit denen identisch, die den Tempel zerstört haben, werden aber dennoch als Fremde diffamiert. Sie heißen „die Feinde Judas und Benjamins" und werden mit dem „Volk des Landes" identifiziert, das sich aus den im Land verbliebenen Israeliten und Überresten der unter den Assyrern angesiedelten Kolonien zusammensetzt (Esr 4,1-5; vgl. 4,9f). Ihnen steht die aus Babylon zurückgekehrte (judäische) Gola gegenüber, die sich allein für berechtigt hält, den Tempel zu bauen (Esr 1—4; 6,16-18.19-22). Unter den Führern der Gola befinden sich außer dem (Hohen)Priester Jeschua auch politische Amtsträger: der „Fürst" und Statthalter von Juda Scheschbazzar (Esr 1,8; 5,14) sowie Serubbabel, der mit dem „Statthalter" in Esr 6,7 identisch sein dürfte (vgl. Hag 1,1 u.ö.). In Esr 5-6 treten mit ihnen die Propheten Haggai und Sacharja (5,12; 6,14) und anschließend die „Ältesten der Juden" (Esr 5,5) auf, die hier für den Tempelbau verantwortlich sind und sich gegenüber den persischen Behörden zu rechtfertigen haben. Der Streit ist also im wesentlichen hausgemacht, und man gewinnt den Eindruck, daß er sich mehr der theologischen Konstruktion als der historischen Realität verdankt. Tatsächlich handelt es sich um einen Anachronismus. Der Konflikt um die Anfange des Tempelbaus nimmt die Auseinandersetzungen zwischen Juda und Samaria vorweg, die nach dem Nehemiabuch um die Mitte des 5. Jh.s stattgefunden haben sollen. Die Elephantine-Papyri vom Ende des 5. Jh.s wissen davon nichts. Des weiteren besteht zwischen den Rückkehrern aus der Gola einerseits und den ,Ältesten der Juden" andererseits eine Diskrepanz, die sich nur literarhistorisch erklären läßt.40 Letztere stehen in Verhandlungen mit der persischen Behörde und sind in keiner Weise in die Streitigkeiten zwischen der Gola und dem „Volk des Landes" verwickelt. Umgekehrt setzt die Erzählung über die Rückkehr der Gola und die Anfange des Tempelbaus in Esr 1—4 (sowie 6,16-22) den Baubericht in Esr 5-6 sachlich und literarisch voraus. Die Vorgeschichte hat die Bemerkung von Esr 5,16 zum Anlaß, wonach seit dem ersten Jahr des Kyros kontinuierlich an dem Tempel gebaut worden sei. Sie gibt eine Begründung für die Unterbrechung bis zum zweiten Jahr des Dareios. Daraus folgt, daß Esr (sowie 5,1-2; 6,16-22) gegenüber Esr 5-6 sekundär und die Streitigkeiten um die Anfange des Tempelbaus - nach Art der damals üblichen diplomatischen Gepflogenheiten - erfunden sind. Damit ist zugleich ein Urteil über die diplomatischen Beziehungen zu den persischen Behörden innerhalb und außerhalb des Landes gefällt, die beide Seiten unterhalten. Die Erzählung hat auch in dieser Hinsicht die historischen Verhältnisse im Perserreich zum Vorbild, legt sie sich aber auf ihre Weise zurecht. So bedienen sich zwar die „Feinde Judas und Benjamins" in Esr 4 des Instruments der Bestechung (Esr 4,5) und reichen mit Hilfe persischer Beam40
Vgl. KRATZ 2000a, 56ff.
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ter verschiedene schriftliche Eingaben gegen den Wiederaufbau der Stadt und des Tempels ein (4,6ff.). Doch im Gegensatz zu den Zeugnissen von Elephantine wird die Bestechung ausschließlich den Gegnern angelastet. Die Rückkehrer aus der Gola (und mit ihnen die „Ältesten der Juden" in Esr 5-6) müssen für die Durchsetzung ihrer Interessen nicht zahlen, sondern erhalten im Gegenteil von den persischen Königen großzügige Spenden. In Esr 5-6 bekommen es die „Ältesten der Juden" mit Tattenai, dem Statthalter (Satrapen) von Transeuphratene, und seinen Kollegen zu tun, die ohne Veranlassung durch Feinde eine behördliche Untersuchung des Tempelbaus einleiten und darüber eine Korrespondenz mit dem König Dareios führen. Der nähere Vergleich der Korrespondenz mit Elephantine läßt nicht nur zeit- und ortsbedingte Differenzen erkennen. Schon das Briefformular weckt Zweifel an der Echtheit der Korrespondenz. Es entspricht in Esr 5-6 ebensowenig wie in Esr 4 den reichsaramäischen, sondern vielmehr hellenistisch-römischen Konventionen.41 Sodann fällt auf, daß der „Amtsweg" nicht eingehalten ist. Die Korrespondenz von Elephantine bewegt sich in einem weit verzweigten diplomatischen Geflecht, und zwar durchweg auf den unteren Ebenen der politischen Instanzen. Demgegenüber werden die Schreiben in Esr 5-6 sofort und ausschließlich an den persischen König gerichtet. Man mag einwenden, daß im Falle von Elephantine die Bittsteller selbst, im Falle von Esr 4-6 stets ranghohe Beamte schreiben, die das bei den unteren Instanzen laut gewordene Anliegen nach oben tragen. Umso mehr fällt jedoch ins Gewicht, daß die Briefschreiber den Kanzleistil nicht beherrschen. Im übrigen würde man aufgrund des „Passabriefes" erwarten, daß zwischen der Order des Königs und den vor Ort ausgehandelten Einzelheiten unterschieden wird. Das ist nur in Esr 4,2 lf, nicht aber in 6,6ff der Fall. Eine völlig andere, neue Dimension gewinnt der Vorgang schließlich durch die Mitwirkung der in Esr 5,1-2; 6,14-15 genannten Propheten Haggai und Sacharja, die Jeschua und seine Priesterkollegen sowie Serubbabel und seine Brüder zur Aufnahme der Arbeiten am Tempel bewegen. Die Informationen hat der Verfasser von Esr 5-6 nicht aus historischen Quellen, sondern, wie wir sahen, aus den Büchern Haggai und Sacharja. Das Auftreten der Propheten relativiert die diplomatischen Bemühungen und weist auf Gott als den eigentlichen Urheber des Geschehens. Das aus den Elephantine-Papyri bekannte und im Perserreich praktizierte politische Ränkespiel wird somit insgesamt auf eine theologische Ebene transponiert. Worauf es ankommt, ist nicht die Durchsetzung partikularer Interessen im achämenidischen Vielvölkerstaat, sondern das Verhältnis zwischen dem Gott Israels und dem persischen König.42 Diese Perspektive macht sich im Rahmen wie im Korpus der Erzählung 41
42
Vgl. SCHWIDERSKI 2000, 3 4 3 - 3 8 0 .
Die äußere Veranlassung des Tempelbaus ist in Hag und Sach sowie Esr 1-6 somit ganz aus der theologischen Innenperspektive dargestellt. Ohne den Bezug auf den persischen
72
Jüdische Geschichte
bemerkbar und wirkt bis in die Einzelformulierung der amtlichen Briefe hinein. Verglichen mit der historischen Konstellation von Jeb, wie sie sich in den Papyri darstellt, bieten die biblischen Quellen zum Wiederaufbau des Tempels in Jerusalem also ein erheblich anderes Bild. Einerseits spiegeln sie eine durchaus vergleichbare politische Situation und teilen dementsprechend eine Korrespondenz mit den persischen Behörden mit. Andererseits stimmen viele Details, insbesondere solche, die der Korrespondenz den amtlichen Anstrich geben, nicht. Es legt sich die Vermutung nahe, daß es sich um eine historische Fiktion handelt, die die im Achämenidenreich und auch später in hellenistisch-römischer Zeit noch üblichen politisch-diplomatischen Gepflogenheiten literarisch transformiert. Dafür spricht auch die Tendenz der Rahmenerzählung, die den politisch-diplomatischen Vorgang in ein theologisches Licht rückt. Zudem ist die Erzählung literarisch nicht aus einem Guß. Wesentliche Züge des zeitgeschichtlichen Kolorits, insbesondere in Esr \-A (mit 6,16-22), sind erst später hinzugefügt. Der Befund bedeutet freilich nicht, daß der ganze Vorgang frei erfunden wäre. Vielmehr wird man gerade aufgrund der historischen Analogie von JebElephantine damit rechnen müssen, daß auch der Tempel in Jerusalem nur mit der offiziellen Genehmigung der zuständigen Stellen wiederaufgebaut und das Bauvorhaben erst nach längeren Verhandlungen mit den verschiedenen politischen Instanzen unter Einsatz aller damals üblichen diplomatischen Mittel realisiert werden konnte. Welche Rolle dabei das Kyros-Edikt spielte, ist aufgrund der Quellenlage nicht leicht zu sagen. Vielleicht liefert aber gerade zu dieser Frage die Elephantine-Korrespondenz den Schlüssel. So fällt auf, daß die aramäische Fassung des Kyros-Edikts in Esr 6,3-5, von der die hebräische Fassung in Esr 1 literarisch abhängig ist, unter der Überschift dkrwnh „Memorandum" überliefert ist. Das erinnert an den Bescheid der Statthalter von Juda und Samaria, Bagohi und Delaja, der in einem solchen Memorandum (zkrn) festgehalten ist (A4.9,l). Ich halte es daher für nicht ausgeschlossen, daß man es auch in Esr 6 mit einer authentischen Gesprächsnotiz aus der Zeit des Tempelbaus zu tun hat, die die von persischen Stellen erteilte Auskunft und darüber hinaus vielleicht noch die ziemlich unvermittelt angeschlossene Order des Königs Dareios I. an den Statthalter Tattenai in Esr 6,6-7 enthielt.43
König findet sich dies in der Priesterschrift, im Ezechielbuch und in anderen späten Prophet e n relektiert. Vgl. dazu WILLI-PLEIN 1999. 43 Vgl. Esr 6,3 (sym t'm byt >lh> byrwSlm byt' ytbn' 'tr dy-dbhyn dbhyn) mit A4.7,25f// 4.8,24f; 4.9,8-11; Esr 6,7 (Sbqw 1) mit A4.7,23//4.8,22f (/' Sbqn In Imbnyh); zum Ausdruck „Haltet euch fern von dort" RUNDGREN 1958. Natürlich ist die amtsübliche Topik kein Beweis für die Echtheit.
4. Der Zweite Tempel zu Jeb und zu Jerusalem
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Ob der Erlaß tatsächlich auf Kyros zurückgeht, ist nicht mehr zu ermitteln. Wäre er echt, hätte er zu nichts geführt. Doch es läßt sich auch vorstellen, daß sich jüdische Unterhändler - in ähnlicher Weise wie die Vorsteher der jüdischen Garnison von Elephantine auf Kambyses als den Eroberer Ägyptens44 auf Kyros als den Eroberer Babylons beriefen, vielleicht sogar - in Erinnerung an den babylonischen Kyros-Zylinder45 - das Gerücht einer früheren Baugenehmigung in die Welt setzten und so einen entsprechenden Bescheid des Dareios erwirkten. Doch über Vermutungen wird man wohl kaum hinauskommen. Jedenfalls liefern die in Esr 6,3-7 mitgeteilten Informationen das Material, aus dem der Baubericht in Esr 5-6 und die noch später zugefügte Rahmenerzählung in Esr 1-4 (und 6,16-22) gesponnen sind. An historisch auswertbaren Daten enthalten die biblischen Quellen insgesamt somit nicht gerade viel.
III 1. Die diversen Bittgesuche um die Erlaubnis zum Wiederaufbau des Tempels zu Jeb (A4.5 und 4.7-8; ferner 4.10) bedienen sich in der Hauptsache zweier Argumente: der Beteuerung der unbedingten Loyalität gegenüber der persischen Zentralgewalt und des Rückblicks auf früheres Verhalten der persischen Könige und ihrer Beamten. Die Beteuerung der Loyalität geschieht auf zweifache Weise. Zum einen wird ganz direkt darauf verwiesen, daß sich die jüdische Garnison nicht an ägyptischen Aufständen gegen die Perser beteiligt habe (A4.5,l). 46 Zum anderen wird das Vorgehen der Chnumpriester und ihrer Helfershelfer in der persischen Verwaltung gegen den jüdischen Tempel in die Nähe des illoyalen Verhaltens und der Aufstände gerückt. Es wird der Vorwurf der Bestechung erhoben (A4.5,4; 4.8,5), so daß der Einsatz der Truppen, die in Syene stationiert waren und von Widranga und seinem Sohn kommandiert wurden, wie ein Mißbrauch der Befehlsgewalt gegen eine königstreue Militäreinrichtung aussieht. Daß Widranga dafür hart betraft wurde (A4.7,16f//4.8,15f), ist ein zusätzliches Argument, das der Darstellung Glaubwürdigkeit verleiht. Im einzelnen sind je nach Adressat unterschiedliche Akzente gesetzt. In dem älteren Gesuch, das vermutlich an einen in Ägypten amtierenden Beamten gerichtet ist (A4.5), ist sehr ausfuhrlich von der Zerstörung der Infrastruktur der Garnison die Rede, bevor man auf den Tempel zu sprechen kommt. Nicht von ungefähr wird erwähnt, daß der öffentliche Brunnen, aus dem die Garnison ihr Trinkwasser bezog, und ein königliches Magazin beschädigt 44 45 46
A4.7,13f//4.8,12f; 4.9,5. TUAT I, 407-410; zur Rezeption in Jes 45 vgl. KRATZ 1991a, 183-191. Für den historischen Hintergrund vgl. STERNBERG-EL HOTABI 2002, 124-127.
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worden seien. Auch die Bitte um eine polizeiliche Untersuchung unterstreicht das öffentliche Interesse, das die Bittsteller dem Ereignis zuzuschreiben bemüht sind. Das Schreiben an Bagohi, den Statthalter von Juda (A4.7-8) stellt die Zerstörung des Tempels in den Mittelpunkt. Die Schreiber empfehlen sich darin als „Knechte" und „Freunde" des Statthalters, den sie - wie den Satrapen von Ägypten (A6.1,5) und die Adressaten von A4.5 und 4.10 - mit „unser Herr" anreden. Ihm gegenüber vollbringen sie das diplomatische Kunststück, ihn als zuständige Instanz anzurufen, ohne ihn der Gefahr auszusetzen, daß er seine Kompetenzen gegenüber dem Satrapen und den zuständigen Stellen in Ägypten überschreiten müßte.47 Zu diesem Zweck schildern sie den Vorgang als eine Art Staatsstreich und versichern Bagohi gleichzeitig, daß der damals gerade abwesende Satrap von Ägypten, Arscham, von alldem nichts gewußt habe. Außerdem vermeiden sie jeden Vorwurf an ihren „Herrn", daß er ebenso wie die Priester und Noblen von Jerusalem bisher offenbar auch nicht reagiert hat. Und schließlich beziehen sie auch den Statthalter von Samaria und seine Söhne mit ein, um Bagohi die Befürchtung zu nehmen, in eine konspirative und gefährliche Intrige verwickelt zu werden. Was die Bittsteller von ihm wünschen, ist keine offizielle Baugenehmigung, sondern ein Empfehlungsschreiben, das die nach wie vor bestehenden Hindernisse in Ägypten (l' Sbqn In Imbnyh „sie lassen uns nicht bauen") auszuräumen hilft. Das zweite Argument, der Rückblick auf früheres Verhalten der persischen Könige, ist eine Verstärkung des ersten. Auch dabei geht es um die Frage der Loyalität, die schon im Bericht über die Vorfälle selbst und die bisher unternommenen, aber erfolglosen diplomatischen Anstrengungen im Vordergrund steht. So wird in dem Bittgesuch an Bagohi an die Eroberung Ägyptens unter Kambyses erinnert. Schon er habe den jüdischen Tempel, der von den „Vätern" der jüdischen Kolonisten noch unter ägyptischer Herrschaft erbaut worden sei, vorgefunden und im Gegensatz zu den Tempeln der ägyptischen Götter vor der Zerstörung verschont (A4.7,13f//4.8,12f). Die historische Reminiszenz ist nicht nur insofern interessant, als sie uns über die Gründung des jüdischen Tempels auf Elephantine unterrichtet. Diese fällt demzufolge noch in die Zeit der 26. Dynastie (7./6. Jh. v.Chr.), was mit dem archäologischen Befund übereinstimmt. Die Erinnerung an die mehr als 100 Jahre zurückliegenden Ereignisse ist auch als Argument in der Auseinandersetzung um den Wiederaufbau bemerkenswert. Das Argument lebt von einer maßlosen Übertreibung, was die Zerstörung der ägyptischen Tempel anbelangt. Es stützt sich auf eine Tradition der ägyptischen Opposition, die vereinzelte oder gezielte Maßnahmen gegen Einrichtungen ägyptischer Tempel in der Anfangsphase der persischen Herrschaft generalisiert und zu dem Zerrbild des Kambyses in
47
Vgl. KOTTSIEPER 2002,161FF.
4. Der Zweite Tempel zu Jeb und zu Jerusalem
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der griechischen Überlieferung geführt hat.48 Diese Tradition wird von den jüdischen Schreibern des Bittgesuchs aufgegriffen und gegen die Ägypter gewendet, um selbst bei den Persern in einem besseren Licht dazustehen.49 Die Gefahr der Diffamierung der persischen Eroberungspolitik war aufgrund der Feindschaft der Juden mit den rebellischen Ägyptern nicht allzu groß. Schließlich darf auch die religiöse Dimension der von politischen Interessen geleiteten Argumentation in den Bittgesuchen nicht außer acht gelassen werden. Schon die Grußformel empfiehlt Bagohi der Fürsorge des Himmelsgottes, der ihm die Gunst des Königshauses und ein langes Leben gewähren möchte (A4.7,l-3//4.8,l-3). Nach der Tempelzerstörung tragen die Einwohner der jüdischen Kolonie Trauer und wenden sich mit Fasten und Beten an den Herrn des Himmels, was immerhin schon einmal zur Bestrafung Widrangas führt (A4.7,15-17//4.8,13-16). Doch das Fasten kann kein Ende nehmen, solange der Tempel nicht wiederaufgebaut ist und die bis dahin ausgesetzten Opfer auf dem Altar des Gottes JHW dargebracht werden können (A4.7,1921//4.8,18-21). Dem Statthalter werden für die von ihm erbetene Hilfe Opfer in seinem Namen und Fürbitte in Aussicht gestellt (A4.7,25-27// 4.8,24-26). Sein Eintreten für den Wiederaufbau, so heißt es, sei ein Verdienst (sdqh) „vor JHW, dem Gott des Himmels, mehr als (das Verdienst) eines Menschen, der ihm Brandopfer und Schlachtopfer darbringt im Wert von 1000 Talenten Silber" (A4.7,27f//4.8,26f). Auch die religiösen Praktiken und Wünsche bewegen sich also im Rahmen der Argumentation, die auf die Beteuerung der Loyalität zielt. Ein Kampf um den wahren Gott oder die Reinheit der Gottesverehrung in Abgrenzung gegen die ägyptischen Götter scheint dabei nirgends auf. Die Juden auf Elephantine repräsentieren hier wie sonst ein vor- bzw. nichtbiblisches Judentum, sprich: das israelitische „Heidentum".50 Bei den Statthaltern von Juda und Samaria hat die Argumentation ihre Wirkung nicht verfehlt. Das Memorandum, das ihre Antwort und Empfehlung gegenüber Arscham protokolliert (A4.9), nimmt die Formulierungen des Bittgesuchs wörtlich auf: Das „Altarhaus" des Gottes des Himmels, das in der Garnison Jeb schon vor Kambyses gebaut und von dem Verbrecher Widranga im Jahr 14 des Königs Dareios zerstört wurde, soll an eben der Stelle gebaut werden, an der es vorher stand, und es sollen wieder Opfer auf dem Altar dargebracht werden, wie es vorher geschah. Bekanntlich entspricht die Antwort in einem Punkt nicht dem Wunsch der Bittsteller: An Opfern werden nur Speise- und Räucheropfer, nicht aber die 48
Vgl. BURKARD 1994-95. Ein vergleichbare Traditionsgeschichte läßt sich in den Quellen zur persischen Eroberung Babyloniens erkennen; vgl. dazu „Nabonid und Kyros" (in diesem Band Nr. 3). 50 Vgl. E. MEYER 1912, 38ff; WELLHAUSEN 1914, 176ff sowie KNAUF 2002; zur weiteren 49
D i s k u s s i o n VINCENT 1 9 3 7 ; PORTEN 1 9 6 9 ; VAN DER TOORN 1 9 9 2 ; STOEBE 1 9 9 5 ; BEDFORD 1 9 9 9 ; D I O N 2 0 0 2 ; KRATZ 2 0 1 0 .
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im Bittgesuch genannten Brandopfer erwähnt. Daß dies kein Zufall ist, belegt das jüngste erhaltene Gesuch, das Bestechungsschreiben der führenden Männer von Elephantine an ihren „Herrn" (A4.10), das das Schlachten von Schafen, Rindern und Ziegen, d.h. alle blutigen Opfer (cf. Lev 1,2), ausdrücklich ausnimmt. Als Grund für diese Einschränkung werden drei Möglichkeiten diskutiert:51 1) das Veto der Priester in Jerusalem aufgrund des Gebots der Kultzentralisation; 2) die Rücksichtnahme auf die Chnumpriester, die den Widdergott52 verehrten; 3) die Abscheu der Perser vor blutigen Opfern, die, sofern sie schon immer praktiziert wurden, toleriert, nicht aber eigens sanktioniert oder installiert worden seien. Gegen ein Jerusalemer Veto läßt sich einwenden, daß auch der Statthalter von Samaria an dem Beschluß beteiligt war und im übrigen entgegen der Vorschrift von Dtn 12 nicht nur Brand-, sondern auch Schlachtopfer, nicht hingegen die anderen Opfer „für Jhwh" ausgenommen sind,53 gegen eine Rücksichtnahme auf die Widder-Verehrer, daß auch Rinder und Ziegen ausgenommen sind, und gegen ein persisches Verlangen, daß die Tieropfer schon vorher praktiziert wurden und die Bittsteller auf Elephantine in ihrem Schreiben an Bagohi davon ungeniert reden sowie von der Fortsetzung der kultischen Praxis ausgehen. Die Sache bleibt bis auf weiteres ein Rätsel. 2. Die beiden Hauptargumente der Elephantine-Korrespondenz, die Beteuerung der Loyalität und die Berufung auf frühere Entscheidungen der persischen Regierung, spielen auch in der Erzählung vom Wiederaufbau des Tempels zu Jerusalem in Esr 1-6 eine zentrale Rolle. Der Vorwurf der Illoyalität wird in Esr 4 von den „Feinden Judas und Benjamins" gegen die aus der Gola zurückgekehrten Juden erhoben und mit den Aufständen gegen fremde Könige in der langen Geschichte der Stadt Jerusalem begründet (4,13.15f; vgl. V. 19f). Die Briefschreiber selbst empfehlen sich als Freunde des Königs, die „das Salz des Palastes essen" und bemüht sind, Schaden von dem König abzuwenden (4,14; vgl. V. 22). Im Gegensatz dazu erweist die Untersuchung in Esr 5-6, daß in Wahrheit die „Ältesten der Juden", die den Tempel bauen, die loyalen Staatsdiener sind: Sie können sich auf einen Erlaß des Königs Kyros berufen (Esr 1; 6,3-5), an den sie in einem langen Exkurs über die Geschichte der Stadt Jerusalem erinnern (5,12-16) und der schließlich zur Baugenehmigung und Unterstützung des Bauvorhabens durch Dareios führt (6,1 ff). Natürlich geschieht auch dies 51
Vgl. die Diskussion bei KOTTSIEPER 2002, 169-175. Vgl. LÄ I, 950-951. Für den Abscheu der Ägypter vor den fremden Opfern wird gelegentlich auf Ex 8,2 lf (im Munde des Mose) verwiesen. 53 Gemäß Mal 1,11 scheinen sogar blutige Opfer außerhalb Jerusalems zugelassen zu sein, sofern (w)mnhh thwrh dasselbe meint wie mnhh in 1,7-10.13-14. Andernfalls hätte man einen weiteren Beleg für die Einschränkung auf Räucher- und Speiseopfer. 52
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4. Der Zweite Tempel zu Jeb und zu Jerusalem
alles nur zum Wohl des Königs. Hier ist es der König selbst, der in der Anweisung an seine Beamten von den Juden Opfer und Fürbitte für das Königshaus fordert und gleichzeitig harte Sanktionen seitens des Königs und des Gottes, „der seinen Namen dort wohnen läßt", für diejenigen androht, die den königlichen Erlaß übertreten und wagen sollten, das Haus Gottes in Jerusalem anzutasten (6,10-12; vgl. V. 14). Ebenso wie die historische Konstellation läßt sich allerdings auch die Argumentation der Korrespondenz von Esr 4—6 mit der historischen Analogie nicht ganz auf einen Nenner bringen.54 Abgesehen von den zeit- und ortsbedingten Differenzen, die man auch hier in Rechnung zu stellen hat, fällt insbesondere der historische Rückblick in Esr 5 (V. 11 ff) aus dem Rahmen. Verglichen mit der historischen Reminiszenz an die Zeit der Eroberung Ägyptens durch Kambyses in dem Bittgesuch von Elephantine, hat man es hier mit einem regelrechten geschichtstheologischen Abriß zu tun. Er enthält in nuce die chronistische Sicht der vor- und nachexilischen Geschichte Judas, die - entsprechend der Kyrosweissagung des Zweiten Jesaja55 - ihren Wendepunkt in dem Heilsdatum des ersten Jahres des Kyros (in Babylon) hat. Der Geschichtsabriß wird um seiner selbst willen und nicht aus taktischen Erwägungen erzählt. Auch die Bemerkung, daß seit dem ersten Jahr des Kyros und nach der Grundlegung durch Scheschbazzar kontinuierlich an dem Tempel gebaut worden sei (Esr 5,16), entspringt nicht allein der Notwendigkeit, die Loyalität gegenüber dem königlichen Befehl unter Beweis zu stellen, sondern wenigstens ebenso sehr, wenn nicht noch mehr der Loyalität gegenüber dem Gott, der seinen Namen in diesem Tempel wohnen läßt. Wie der historische Rückblick ist in Esr 5-6 die Loyalitätsfrage selbst zum Gegenstand der theologischen Reflexion geworden. Außer in dem Geschichtsabriß macht sich dies auch in anderen Details bemerkbar, vor allem darin, daß in Esr 6,7ff der König Dareios sich das Bauunternehmen zu eigen macht, die Versorgung des Tempels übernimmt (vgl. Esr 6,4), selbst Opfer und Fürbitte bei dem Gott von Jerusalem verlangt und den Tempel unter königlichen Schutz stellt. Das theologische Programm, das sich dahinter verbirgt, bringt die Schlußformulierung in 6,14 auf den Punkt, die die Befehle des Gottes Israels und die Befehle der persischen Könige auf eine Ebene (vgl. Esr 7,26) und beides der Verkündigung der beiden Propheten Haggai und Sacharja zur Seite stellt. In diesem Sinne sind auch die später hinzugefügten Kapitel Esr 1-4 verfaßt. Sie fuhren die mit der Bemerkung von Esr 5,16 (man habe seit dem ersten Jahr des Kyros kontinuierlich gebaut) implizierte Vorgeschichte erzählerisch aus und schreiben den Baubeginn der heimgekehrten babylonischen Gola zu. Lediglich die Korrespondenz in Esr 4 hat einen etwas anderen, mehr politischen Ton. Das liegt offenbar am Thema. Der Tempelbau durch die Heim54 55
Zum Folgenden vgl. Vgl. K R A T Z 1991a.
KRATZ
1991b, 187f.239-241.272-278; auch
WILLI
1992.
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kehrer aus der Gola wird hier als Indiz für den Wiederaufbau der Stadt und ihrer Mauern und folglich als politisch motivierter Aufruhr interpretiert. Doch die Korrespondenz ist eine sekundäre Einschaltung, die nach dem Vorbild von Esr 5 - 6 (5,17; 6,lf) eine Untersuchung in den königlichen Archiven zur Stadtgeschichte einleitet (Esr 4,15.19f), aber zum entgegengesetzten Ergebnis fuhrt. Sachlich und chronologisch ist darin bereits das Nehemiabuch im Blick. Ob es sich bei der bis Artaxerxes reichenden Chronologie des Schriftverkehrs (4,5f; vgl. 6,14) um einen Vorgriff auf die Zeit (Esras und) Nehemias handelt oder die Chronologie den Tempelbau in die Zeit des zweiten Dareios verlegen will, in die auch der Wiederaufbau des Tempels von Jeb fallt, sei dahingestellt.
IV Das Ergebnis der Untersuchung läßt sich wie folgt zusammenfassen: Der archäologische Befund legt einen Vergleich der beiden Bauprojekte zu Jeb und zu Jerusalem nahe. Die Papyri von Elephantine geben Einblick in die historische und religionspolitische Situation eines solchen Unternehmens. Vor diesem Hintergrund erweisen sich die biblischen Quellen, die Propheten Haggai und Sacharja 1-8 sowie die Erzählung in Esra 1-6, als theologischer Reflex und Transformation der tatsächlichen Verhältnisse in die literarische Fiktion der biblischen Tradition. Historische Informationen über den Wiederaufbau des Tempels zu Jerusalem sind ihr nur mit äußerster Zurückhaltung und unter Kontrolle am authentischen Material zu entnehmen. Dafür ist der theologische Ertrag umso reicher. Jhwh, der Gott Israels, ist nicht nur der Gott seines Volkes, sondern aller Völker und der ganzen Welt. Wenn er nicht allein das Zepter fuhrt oder seinen Messias schickt, sind ihm auch die fremden Könige zu Diensten, die in seinem Auftrag und, wenn es mit rechten Dingen zugeht, seinem Volk zugute regieren: Denn sein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit, Amen.
5. Serubbabel und Joschua Als Hauptakteure beim Wiederaufbau des Tempels in Jerusalem werden in der biblischen Überlieferung Serubbabel und Joschua genannt. Es hat sich eingebürgert, die überlieferten Angaben über die beiden in Hag und Sach 1-8 sowie Esr 1-6 (Neh 7,7; 12,1.47) irgendwie mit den erreichbaren historischen Daten in Einklang zu bringen und ihnen die Geschichte des Zweiten Tempels zu entnehmen.1 Die unterschiedliche Art der Quellen wird zwar gesehen, doch beschränkt sich die Kritik in der Regel auf die Bevorzugung der als authentisch und zeitgenössisch eingestuften prophetischen Bücher vor der späteren, von Hag und Sach 1-8 literarisch abhängigen und stark ideologisch gefärbten Darstellung in Esr 1-6 (und 7).2 Wenig beachtet wird indes, daß auch die Bücher Hag und Sach 1-8 einen redaktionellen Prozeß durchlaufen haben,3 der dazu nötigt, zwischen den historischen und den literarischen Propheten zu unterscheiden und die Angaben über Serubbabel und Joschua und ihre Zeit4 dementsprechend zu differenzieren. Sollte sich bestätigen, daß die Angaben durchweg redaktionell sind,5 würde dies ihren historischen Wert erheblich relativieren, ihre theologische Relevanz hingegen steigern.
I
Über den Tempelbau und das Paar Serubbabel und Joschua sagt das Prophetenbuch Sach 1-8 nicht gerade viel.6 Und was es sagt, verdankt sich der Re1
Zur Diskussion vgl. GALLING 1964, 127-148; JAPHET 1982-83; DIES. 1991b; LEMAIRE
1 9 9 6 ; WILLI 1 9 9 9 ; MEINHOLD 2 0 0 1 . 2
Vgl. zuletzt BEDFORD 2001, 3 2 - 3 4 und passim. Grundlegend BEUREN 1967; zur Diskussion vgl. WÖHRLE 2006, 285ff; HALLASCHKA 2011. Zur historischen Kritik der biblischen Quellen vgl. auch EDELMAN 2005. 4 Hag 2,4.23 sowie Sach 3—4; 6,9-15 ist zu entnehmen, daß sich die Botschaft der Propheten an Serubbabel (Hag 2,23), dem Vaternamen nach ein Davidide (vgl. 1 Chr 3,17-19), und den Hohenpriester Joschua (Hag 2,4; Sach 3,1.8; 6,11) als Führer des Volkes richtet; einen Bezug zum Tempelbau stellen Hag 1,3-11; 2 , 3 - 9 . 1 5 - 1 9 ; Sach 2,16; 4,6-10; 6,13; 8,9-15 her; darüber hinaus erfahrt man aus Hag 1,1.14; 2,2.21(vgl. auch Esr 5,14; 6,7), daß es sich bei Serubbabel um den Statthalter Judas handelt, und aus Hag 1,12-15, daß sich die Angesprochenen die Botschaft zu Herzen genommen und daraufhin mit dem Wiederaufbau begonnen haben. 3
5
Vgl. SERANDOUR 1996.
6
V g l . MARINKOVIC 1 9 9 4 .
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daktion. Diese ist in Sach 3—4 mit Händen zu greifen und vermutlich auch in 6,9-15 am Werk. Der Passus über Serubbabel in 4,6-10 unterbricht den Zusammenhang von Bild und Deutung der Vision und ist ein klarer Einschub:7 Auf die Frage nach Bedeutung der in V. 1-3 wiedergegebenen Bilder und dem retardierenden Moment der Rückfrage (V. 4-5) gibt der angelus interpres in V. 6aa.l0b zunächst eine Deutung des Leuchters mit den sieben Lampen: „Und er antwortete und sprach zu mir: Diese sieben sind die Augen Jhwhs, die die ganze Erde durchschweifen." Auf erneute Nachfrage bekommt Sacharja auch die beiden Ölbäume erklärt (V. 11-14). Der Einschub setzt sich aus drei Sprüchen an bzw. über Serubbabel zusammen. V. 6 erinnert an Hag 2,5 und stellt im Blick auf Hag 2,6-9 (2,2 lf) sowie Sach 2,5-9.1 Off klar, daß die Ausstattung Jerusalems mit dem goldenen Leuchter, der die Gottheit repräsentiert,8 nicht durch menschliche Tatkraft und militärische Gewalt, sondern durch den Geist Jhwhs (vgl. 6,8) erfolgen wird. Die Assoziation des Tempels, die die Leuchtervision freisetzt, dürfte der Anlaß gewesen sein, an den Serubbabel des Haggaibuchs zu denken und ihn nach Joschua in Sach 3 (?) - an dieser Stelle einzutragen. Die Formulierung scheint sich an den „Augen Jhwhs, die die Welt durchschweifen" (V. 10b), entzündet zu haben und kombiniert Hag 2,5 mit Ps 33,13—18.9 V. 7 versteht den „Geist" Jhwhs als „Wind" und deutet die Aussage als göttliches Wunder, das den (Schutt-)Berg über den Trümmern des Tempels vor Serubbabel beseitigt und einen besonderen, als h'bn hr'S bezeichneten Stein (Grund- oder Schlußstein ?) freilegt.10 V. 8-10a setzen dies voraus und geben eine weitere für uns leider nicht sehr viel verständlichere - Deutung des fraglichen „Steins". Auch der „Bedil-Stein" in Serubbabels Hand, vielleicht ein mit Zinn überzogener oder ausgegossener Inschriftenstein (vgl. Hi 19,23f), ruft wie der Stein in V. 7 Freude hervor (vgl. auch Esr 3,12f) und entspricht dem Stein mit den „sieben Augen" vor Joschua in Sach 3,9." Der Spruch greift wiederum auf Hag 2,1-9 zurück und erklärt den Stein zum Unterpfand für die künftige Herrlichkeit des Tempels, für die hier der Leuchter mit den sieben Lampen und den beiden flankierenden Ölbäumen steht. Die drei Sprüche stammen schwerlich von Sachraja selbst, der in seinen Visionen nirgends vom Tempelbau handelt, und sind auch kaum versprengte 7
V g l . WELLHAUSEN 1 8 9 8 , 1 8 2 f .
8
Zum Bild vgl. UEHLINGER 1997, 343f. 9 Auch sonst sind mit „Gewalt und Kraft" meist militärische Mittel gemeint: 2 Chr 26,13; Dan 11,25; zur theologischen Relativierung der menschlichen Möglichkeiten vgl. Dtn 8,18f, der Gewaltmittel überhaupt Hos 1,7. 10 Vgl. GALLING 1964, 138-143 für V. 6 - 7 mit Änderung der Verbform von V. 7b nach LXX. 11
Vgl. SCHÜTTLER 1987, 122f. Schöttler (123-125.344-348) scheidet V. 8f aus und schließt 4,10 unmittelbar an V. 7.
5. Serubbabel und Joschua
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Fragmente eines anderen Propheten, z.B. von Haggai. Sie erweisen sich vielmehr als Nachinterpretationen der Vision im Lichte von Hag 1-2, die das Symbol für die universale Herrschaft Jhwhs im wiedererstandenen Jerusalem auf den Tempel und den Tempelbau beziehen. Auch Sach 3 ist ein Einschub, der den Zusammenhang der beiden - die Restitution Jerusalems umschreibenden - Visionen „Meßschnur" (2,5-9.1 Off) und „Leuchter" (4,1 ff) unterbricht und sich formal wie inhaltlich davon abhebt.12 Er setzt die Assoziation des Tempels in Sach 4 und die Deutung der flankierenden Ölbäume bzw. „Ölsöhne" auf die beiden Führungsgestalten des Haggaibuchs, Joschua und Serubbabel, voraus. Angesichts der Polemik in Hag 2,10-14 und vermutlich auch aufgrund von „Anklagen" gegen das amtierende Priestertum (vgl. Esr 4,3) sah man sich genötigt, die Entsühnung des Hohenpriesters (Sach 3,4), stellvertretend für das Volk (vgl. 3,2b mit Am 4,11), wie des Landes (3,9) als Vorbedingung für die Anwesenheit Jhwhs im Tempel eigens darzustellen. Die Eröffnung der Vision mit „Und er ließ mich sehen" macht deutlich, daß sie für den Kontext verfaßt wurde. Mit ihm ist sie durch den Rückverweis in 3,2 ausdrücklich verbunden (vgl. 2,16; 1,17), doch kann die Verbindung nicht ursprünglich sein, wenn Jhwh Subjekt der Visionseinleitung und der Rede in V. 2.4 ist.13 Für gewöhnlich unterteilt man den Text in zwei Hälften, die Vision 3,1-7 und den sekundären Kommentar in V. 8-10. Doch die Glossierung setzt schon in der ersten Hälfte ein. Nach dem ersten Höhepunkt, der Entsühnung des Hohenpriesters in V. 414 folgt in V. 5-7 eine zweiter Höhepunkt: die Ausstattung Joschuas mit priesterlichem Ornat und die Verheißung, Zugang zur himmlischen Welt zu erhalten, die an die rechte Erfüllung des (mit großen, ehemals königlichen Befugnissen verbundenen) hohepriesterlichen Dienstes geknüpft ist.15 Eine weitere Ergänzung schließt sich in V. 8f an: Joschua erhält einen von Jhwh gravierten Stein, das Ornament am hohepriesterlichen Kopfbund. Zusammen mit dem Priesterkollegium ist dieser Stein in V. 8aßb.9aß, einem Zusatz im Zusatz, mit Blick auf 4,10 und 6,12 als Vorzeichen für Serubbabel gedeutet.16 Die Aussicht auf die messianische Zeit wird in dem Zusatz V. 10 mit einem geläufigen Topos beschrieben (vgl. Mi 4,4). Hier wie auch bei der Ankündigung des „Sprosses" dürfte Hag 2,19.23 von Einfluß gewesen sein. Außer Sach 3 und 4,4-10 fällt schließlich auch das Stück Sach 6,9-15 aus dem Rahmen des Visionszyklus heraus. Es weist eine Vielfalt von literari12
V g l . C . JEREMIAS 1 9 7 7 .
13
Z u m P r o b l e m v g l . SCHÖTTLER 1 9 8 7 , 8 6 - 8 9 .
14
SCHÖTTLER 1987, 97-101.291-301, schlägt vor, auch die Entsühnung des Landes in V. 9bß noch zu dem Grundtext zu rechnen und direkt an V. 4 anzuschließen. 15 Vgl. SCHÜTTLER 1987, 95-102.329ff. 16
V g l . GALLING 1 9 6 4 , 1 4 6 f ; SCHÜTTLER 1 9 8 7 , 3 7 6 f f .
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sehen Bezügen zu den Nachtgesichten auf und hat offenbar die Funktion, dem Ganzen einen neuen Abschluß zu geben. Mit den Stiftern aus der babylonischen Gola V. 10.14 knüpft der Nachtrag an die geographische Angabe von 6,6.8 sowie 2,10f an und reiht die beiden Führungsgestalten, Joschua und Serubbabel, mit Esr 1-6 in den Kreis der Heimkehrer ein. Die Angabe der Stifter dürfte allerdings sekundär sein. Die Wiederaufnahme von Iqh aus V. 10, dem ein Objekt fehlt, in V. 11 und die umständliche Syntax in V. lOf lassen zwei Möglichkeiten zu: Entweder lag der ursprüngliche Anfang in V. 10aß,17 oder die Heimkehrer in V. 10 und mit ihnen V. 14 sind nachgetragen. Im zweiten Fall setzte sich der als Imperativ gebrauchte Infinitivus absolutus in V. 10 ursprünglich in V. 11 fort: „Und es erging das Wort Jhwhs an mich: Nimm Silber und Gold und mach ,eine Krone'." Der hier durch Pleneschreibung fixierte, in V. 14 von der Vokalisierung gebotene Plural „Kronen" ist sekundär, wie aus V. 1 lb und der singularischen Verbform in V. 14 hervorgeht. Schon die Vorstellung von der Aufbewahrung der Krone im Tempel setzt die Ankündigung des „Sprosses" in V. 12f voraus; die Änderung in den Plural trägt der Doppelherrschaft Rechnung. Doch auch diese geht auf einen sekundären Eingriff in den Text zurück. Wellhausen18 und mit ihm viele andere trugen ihre Vormeinung in den Text ein und änderten ihn dahingehend, daß die Krone ursprünglich für Serubbabel bestimmt war und erst durch einen „Diaskeuasten" dem Hohepriester aufs Haupt gesetzt wurde. Einfacher und den Textverhältnissen gemäßer scheint mir die Lösung von Schöttler.19 Danach war die Krone ursprünglich für den als Tempelbauer und königlichen Würdenträger vorgestellten Hohepriester gedacht (V. IIb. 13a), bevor ein Diaskeuast wie in Sach 3,8f den „Sproß" ins Spiel brachte, mit dem sich der Hohepriester die Herrschaft teilt (V. 12.13b. 14). Auf beiden literarischen Ebenen greift V. 9-14 auf das Thema des Tempelbaus in Kap. 4 und 1,16 (sowie Hag) zurück und verbindet es mit der Installation des Hohepriesters sowie der Ankündigung des Messias von Sach 3. Anschließend binden V. 10.14 die beiden in den Kreis der Heimkehrer aus der Gola ein. Mit ihr beschäftigt sich auch der weitere Zusatz in V. 15, der die Heimkehrer (im Sinne von Hag 1,12-14 und Esr 1-6) an der Arbeit des Wiederaufbaus beteiligt, die Erkenntnisformel aus 2,13.15; 4,9 (vgl. Mal 2,4) wiederholt und mit der Mahnung in 6,15b eine Verbindung zum Anfang des Zyklus (und des Sacharjabuchs) in 1,1-6 (vgl. 7,7-14) herstellt. Nach allem muß man davon ausgehen, daß die Erwähnung der beiden Führungsgestalten Joschua und Serubbabel in Sach 1-8 nicht ursprünglich ist. Die einschlägigen Stellen (Sach 3; 4,6-10 und 6,9-15) sind Nachträge, die die 17
S o SCHÖTTLER 1 9 8 7 , 1 5 0 - 1 5 2 .
18
WELLHAUSEN 1 8 9 8 , 1 8 5 .
19 SCHÜTTLER 1987, 154-160.380ff. Andere Vorschläge diskutiert und verwirft ROSE 2000, 151-176, der beim überlieferten Text bleibt.
5. Serubbabel und Joschua
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Personen als bekannt voraussetzen, mit Ausnahme von 3,1.8; 6,11 keine Filiation und keine Titel nennen und entweder von Hag 1-2 oder von einer daraus gespeisten Textstelle innerhalb von Sach 1-6 abhängig sind. Sie tragen damit zur literarischen Verschränkung der beiden Bücher Hag und Sach 1-8 bei, die außer in den Datierungen20 auch in den übrigen Epexegesen der Nachtgesichte in Sach 1-2 und 7-8 (sowie im Buch Maleachi) zu greifen ist.
II In den übrigen Epexegesen findet der Bau des Zweiten Tempels nur noch an zwei Stellen Erwähnung: Sach 1,16; 8,9-13. Auch sie enthalten keinerlei historische Informationen, sondern ordnen sich in den Fortschreibungsprozeß zur Verbindung der Bücher ein, der sich an der Schichtung von Sach 8 recht gut ablesen läßt. Die Fortschreibung setzt mit einer ziontheologischen Bearbeitung im Stil von Jes 49-54 ein, die das Bildprogramm der Rahmenvisionen (1,8-2,6 und 6,1-8), die die allgemeine Weltlage zum Thema haben, mit 2,5-9 ausdrücklich auf die Wiederherstellung Jerusalems bezieht und den Propheten zur Verkündigung für Zion und gegen die Völker aufruft: l,12f.l4f; 2,10a. 11.14 und 8,1-5. Glossen und weitere Zusätze in 2,10b.l2-13 sowie 8,6.7-8 weiten die Rückkehr der Zionkinder auf die Rückführung der weltweiten Diaspora aus den Völkern aus. Auf die ziontheologische Bearbeitung folgt die Welle der Ergänzungen, die die Restitution Jerusalems auf den Tempel und seine Erbauer fokussiert: Sach 1,16; 8,9-13 sowie Sach 3; 4,6-10; 6,9-15. Diese Ergänzungen bewegen sich in der von Hag vorgegebenen und in Sach 1,7 für die Nachtgesichte fortgesetzten gemeinsamen Chronologie. Der literarische Zusammenhang der beiden Bücher wird außerdem durch das Motiv des Segens konstituiert, das mit dem Thema des Tempelbaus eng verbunden ist (vgl. Hag 1,6.9-11; 2,15-19; Sach 8,9-13). Der Wiederaufbau des Tempels markiert die Wende von dem in den Fluchkatalogen von Dtn 28 und Lev 26 angedrohten und eingetretenen Gericht zum Heil. Von den politischen Hintergründen oder diplomatischen Verwicklungen im Zusammenhang mit dem Bauprojekt, wie sie in der Korrespondenz von Elephantine und in theologischer Brechung auch in Esr 1-6 sichtbar werden, ist hier nichts zu spüren. Den globalen politischen Rahmen stecken die beiden Vision in 1,8-11 und 6,1-8 ab. Zwar setzen sie das achämenidische Reichs20 Vgl. Hag 1,1 (l.VI. = 29. Aug. 520); 1,15a (24.VI. = 21. Sept. 520); 1,15b (21.VII. = 17. Okt. 520); 2,10.20 (24.IX. = 18. Dez. 520); Sach 1,1 (VIII. = Okt./Nov. 520); 1,7 (21.XI. = 15. Feb. 519); Sach 7,1 4.IX. = 7. Dez. 518) und dazu „Der Zweite Tempel zu Jeb und zu Jerusalem" (in diesem Band Nr. 4).
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wesen als Vorstellungshintergrund voraus, nehmen es aber ausschließlich aus der Perspektive Jhwhs wahr und verzichten völlig auf konkrete historische Anspielungen. Dasselbe gilt für den Wiederaufbau des Tempels, der zwar unter der Regierung des Perserkönigs Dareios verheißen, aber nicht auf eine amtliche Genehmigung, sondern allein auf die Veranlassung Jhwhs und seines Propheten zurückgeführt wird. Einen neuen, paränetischen Ton schlägt Sach 8,14-17 an. Die Wende zum Heil scheint sich zu verzögern. Sie wird deshalb mit der Erinnerung an die Sünden der Väter eingeleitet und an Bedingungen geknüpft. Dementsprechend geht den Heilsworten in 8,1-17 und dem positiven Bescheid in der Fastenfrage von 7,1-3 in 8,18-19 eine Bußpredigt voraus: 7,4-6.7-14. Diese hat in dem Prolog 1,1-6 ihr Gegenstück, mit dem sie einen neuen Rahmen um das sich verselbständigende Sachaijabuch bildet. Die Datierungen in 1,1 und 7,1 durchkreuzen die Chronologie: Sie lassen Haggai und Sacharja gleichzeitig auftreten und verlängern das Wirken Sacharjas über das Jahr des Baubeginns hinaus. Früher oder später wurden in 2,15 und 8,20-23 die Erwartung einer Völkerwallfahrt zum Zion und in 1,17 und 2,16f die Verheißung einer erneuten „Erwählung" Jerusalems eingetragen. Die Bußpredigt setzt sich in der Grundschicht des Maleachibuchs (Mal 1,2-5; 1,6-2,9; 3,6-12) fort. Die literarischen Anschlüsse, vor allem die Aufnahme des Anfangs Sach 1,3 in Mal 3,6f und des Endes Sach 8,12 in Mal 3,810, erklären sich am leichtesten, wenn man mit einer Fortschreibung von Sach 1-8 rechnen darf.21 Nur ist der Anlaß ein anderer. Grund für das Ausbleiben des Segens sind nicht die Verzögerung des Tempelbaus oder mangelndes Sündenbewußtsein, sondern konkrete Mißstände im längst wieder etablierten Kultbetrieb: Unreine Opfer (Mal 1), nachlässige Priester (Mal 2,6ff), fehlende Abgaben (Mal 3,6ff). Nachdem das Gotteshaus steht, das Jhwh mit seiner „Herrlichkeit" (kbwd) erfüllt (Hag 2,3.7.9; Sach 2,9; vgl. 2,12), wird erwartet, daß dem entsprochen und Jhwh die „Ehre" (kbwd) gegeben wird (Mal 1,6; 2,2). Vom Priester wird erwartet, daß er dem Bund mit Levi entspricht und Jhwhs Wege hält (Sach 3,7; Mal 2,6-9), vom Volk, daß es den Vätern nicht gleichtut, sondern „umkehrt" und den Zehnten entrichtet (Mal 3,6ff nach Sach 1,1-6 und 7,7ff). Mehr noch als die Nachträge zum Tempelbau ist die Bußpredigt nicht an den politischen Umständen, sondern an theologischen Fragen und konkreten ethischen oder kultischen Verhaltensmaßregeln interessiert. Nur einmal, in Mal 1,8, taucht die persische Behörde in der Person des „Statthalters" (phh) auf. Die Aussage erinnert von ferne an das Opfer für den Statthalter in der Korrespondenz von Elephantine (A4.7,25-27//4.8,24—26), dient hier jedoch als Folie für den Vorwurf, das Wohlgefallen Jhwhs mit unreinen Opfern finden zu wollen. Dieselbe argumentative Funktion hat die Behauptung von Mal 21
V g l . BOSSHARD/KRATZ 1 9 9 0 .
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1,11, daß der Name Jhwhs unter den Völkern geehrt und ihm überall auf der Welt geräuchert und reine Opfer dargebracht würden. Das Argument baut auf der Annahme der natürlichen Gotteserkenntnis, mit der sich unter den Bedingungen der Fremdherrschaft Götter und Kulte verschiedener Länder identifizieren ließen,22 und wird gebraucht, um die desolaten Verhältnisse in Jerusalem zu konterkarieren. Es ist religions- und theologiegeschichtlich bemerkenswert, spielt aber im alltäglichen Verkehr mit den persischen Behörden, soweit wir sehen, keine Rolle.
III Weifen wir schließlich einen Blick auf den Zyklus der Nachtgesichte in Sach 1-6 selbst, der den diversen Epexegesen zugrunde liegt. Er besteht aus sieben Visionen, die nach dem Gesetz der konzentrischen Symmetrie angeordnet sind: Die beiden Rahmenvisionen „Reiter" und „Wagen" (1,7-11; 6,1-8) handeln von der globalen politischen Lage; die beiden Visionspaare „Hörner" und „Meßschnur" (2,1^1.5-9) sowie „Schriftrolle" und „Efa" (5,1^1.5-11) von der äußeren und inneren Wiederherstellung Judas (Israels) und Jerusalems, die Vision „Leuchter" (4,1-14) vom kultischen Zentrum der Welt. Wie wir am Beispiel der Vision „Joschua" (Sach 3) gesehen haben, ist der Visionszyklus nicht einheitlich. Auch die übrigen Nachtgesichte weisen erhebliche Unterschiede im Formelwerk und in der Anlage von Vision und Deutung auf. Dies und inhaltliche Gesichtspunkte zwingen zu dem Schluß, daß der Zyklus nicht einheitlich, sondern gewachsen ist. Wachstumsspuren lassen sich auch innerhalb der einzelnen Visionen beobachten. Die wichtigste Beobachtung scheint mir die, daß der Deuteengel in 1,8-11 und 2,5-9 sekundär ist. Es ist hier nicht möglich und für unsere Zwecke auch nicht nötig, die Analyse im einzelnen auszubreiten. Mir hat sich das folgende Ergebnis aufgedrängt:23 Den Anfang macht offenbar das Paar „Reiter" (l,8.9a.l0b.l lb) und „Meßschnur" (2,5-6). Die beiden Visionen zeichnen sich dadurch aus, daß der Visionär in ihnen eine Gestalt aus dem Traumbild anspricht und von ihr die Deutung erhält. Das Paar zielt auf die Restitution Jerusalems in einer befriedeten Welt. Mit ihm sind die beiden Visionen „Leuchter" (4,2b [ab ryty]. 3.4.14) und „Wagen" (6,l-5*.7[aa 2 ?]b) am nächsten verwandt. Sie bedienen sich derselben Einleitungsformeln (ryty bzw. w'Sb w's' 'yny w'r'h whnh) und 22
Vgl. dazu KRATZ 1991b, 167f. Zur Diskussion vgl. SCHÖTTLER 1987, 2ff und passim. Die Bildwelt und die schriftgelehrten Bezüge der einzelnen Visionen zur übrigen prophetischen Überlieferung behandelt DELKURT 2000. Zu einem ähnlichen Ergebnis gelangt HALLASCHKA 2011 mit wichtigen Präzisierungen und Modifikationen, die ich allesamt teile. 23
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haben nahezu denselben Aufbau, fuhren aber den (im Zuge dessen oder nachträglich auch in 1,8-11* und 2,5-9* ergänzten) angelus interpres ein. Das wiederaufgebaute Jerusalem (2,5-9) bekommt mit dem goldenen, von zwei „Ölbäumen" (Adoranten bzw. Führungsgestalten) flankierten Leuchter ein kultisches Zentrum in der weiterhin von Reitern und Wagen kontrollierten (vgl. 1,1 Ob.IIb) und dem in der Vision „Leuchter" dargestellten „Herrn der Erde" beherrschten Welt. Die übrigen Visionen lehnen sich an die Vorlagen an, gehen aber formal und inhaltlich eigene Wege. Die Vision „Hörner" in 2,1-4 kopiert die Einleitungsformel von 2,5, setzt aber in V. 2 den Deuteengel schon voraus; die Einleitung des zusätzlichen Bildes in V. 3 hat wie 3,1 Jhwh zum Subjekt. Wie auch immer man die ursprüngliche Gestalt der sehr umständlich formulierten Vision rekonstruiert, ändert sich nichts an der Hauptaussage: die Bestrafung der Mächte, die „Juda (Israel und Jerusalem) zerstreut haben" (V. 2.4). Die Vision „Schriftrolle" in 5,1—4 kopiert die Einleitungsformel von 6,1, läßt aber in V. 2 den nicht genannten Gesprächspartner wie in dem Zusatz 4,1-2a nach der Wiedergabe des Bildes fragen, um dieses anschließend in 5,3a ohne die übliche Nachfrage des Visionärs sogleich zu erklären. Die ursprüngliche Fassung gipfelt in der Bestrafung der Sünder durch den Fluch, im eigenen Land oder auf der Erde, wofür die Zusätze in V. 3b.4 konkrete Beispiele nachliefern. Die Vision „Efa" in 5,5-11 ist wie 2,1^1 zweigeteilt und in der ersten Hälfte stark glossiert: Die Einleitung in V. 5 entspricht dem sekundären Anfang von 4,l-2a. Das Bild ist in V. 6 selbst Gegenstand der Deutung und wird, eingeführt durch den Visionsmarker whnh, in V. 7-8 präzisiert und weiter ausgedeutet. Die zweite Hälfte der Vision wird in V. 9 mit der Formel aus 2,1.5 eingeleitet und in V. 10-11 regelgerecht durch Nachfrage und Deutung zum Abschluß gebracht. Von der Ankündigung der Vision in V. 5 her und in Analogie zu 5,l-3a gehören nur 5,5-6ba.8-ll (ohne Ibnwt Ih byt) zum ursprünglichen Bestand. Das „Maß", das in das Land Sinear verbracht wird, meint dann entweder das von dem Gesetz und den Propheten verteufelte „falsche Maß" oder das Maß, mit dem - entsprechend dem ausgehenden Fluch über „das Land" - die Schuld des Landes Sinear gemessen wird. Erst die diversen Glossen in 5,6-7 tragen den Gedanken ein, daß es um die Ausschaffung der Sünde und der Bosheit in Gestalt einer Frau (Göttin) aus dem eigenen Land ins Land der Heiden geht, wo ihr ein Tempel gebaut wird (V. 11). Vom Wiederaufbau des Tempels zu Jerusalem ist in den Nachtgesichten des Sacharja ursprünglich nicht die Rede. Sie entwerfen ein umfassendes Programm der Restitution Jerusalems im Rahmen der politischen Weltordnung. Mit Ausnahme der Erwähnung Jerusalems in 2,6.8 bewegen sich die älteren Visionen wie auch noch die Grundfassung der jüngeren Visionen in Bild und Deutung weitestgehend auf der Bildebene. Sie offenbaren das himmlische
5. Serubbabel
und
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Abbild dessen, was auf Erden gilt. Das macht sie noch nicht zum Anfang der Apokalyptik, zeigt aber insofern eine Besonderheit an, als sich das prophetische Medium der Vision verselbständigt hat und zum einzigen, für die weitere Auslegung offenen Aussagegehalt geworden ist. Erst die Erweiterungen der Visionen und vor allem die Epexegesen machen den implizierten oder auch einen anderen Sinn der Bilder nach und nach explizit. Das Bildprogramm der Nachtgesichte ist, außer den innerbiblischen Anleihen, in starkem Maße persisch geprägt.24 „Reiter" und „Wagen" erinnern an die Statussymbole des achämenidischen Königs und das persische Militär-, Post- und Meldewesen. Die beiden Rahmenvisionen bilden das himmlische Pendant zum persischen Großreich unter Dareios I. und seinen Nachfolgern ab. Die Stelle des persischen Großkönigs und seines Gottes Ahuramazda, der ihm die Herrschaft über alle Länder verleiht, hat hier jedoch Jhwh eingenommen, der im wiederaufgebauten Jerusalem residiert und, symbolisiert durch den „Leuchter", als „Herr der ganzen Erde" (4,14; vgl. 6,5) die Welt beherrscht. Dabei mag, wie die Ikonographie nahelegt,25 der Tempel durchaus mitgedacht sein, doch sind weder er noch die Verhandlungen mit den persischen Behörden um den Wiederaufbau das Thema. Die Nachtgesichte des Sachaija erweisen sich vielmehr als theologischer Reflex auf die politischen Verhältnisse im Achämenidenreich. Die Aussage ist ambivalent. Zum einen faßt sie die eigene Gegenwart, einschließlich der Fremdherrschaft, deren Gunst man den Tempel und den politischen Status als Provinz verdankt, als Zustand der Gottesherrschaft auf. Zum anderen relativiert sie die politischen Verhältnisse, indem sie das Zentrum der Weltherrschaft nicht in Susa oder Babylon, sondern in Jerusalem und bei dem hier residierenden Gott Jhwh lokalisiert.
IV Im Haggaibuch kommen Serubbabel und Joschua sowohl in den redaktionellen Stücken als auch in der Wortüberlieferung vor. In den redaktionellen Stücken können sich durchaus historische Erinnerungen an den einstigen Statthalter und den Hohepriester bewahrt haben. Ob die beiden allerdings tatsächlich etwas mit dem Tempelbau zu tun hatten, mit dem sie die Redaktion in Hag 1,1.12-14; 2,2.21 in Verbindung bringt, ist nicht ausgemacht, sondern bedarf einer davon unabhängigen Bestätigung. Eine solche scheint die Wortüberlieferung zu bieten, die in 2,4 und 2,23 die Führungspersönlichkeiten direkt anspricht. Näheres Zusehen gemahnt jedoch zur Vorsicht.
24
V g l . UEHLINGER 1 9 9 7 , 3 3 7 - 3 4 9 .
25
UEHLINGER 1 9 9 7 , 3 1 9 A b b . 13.
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Der Spruch 2,23 hängt mit der für Zusätze kennzeichnenden Formel „An jenem Tag" an dem Orakel 2,20-22. Dieses gibt sich in der Wortereignisformel („zum zweiten Mal") und mit der Reformulierung von 2,6-9 (w'ny mr'yS 't hSmym w't h'rs) seinerseits als Zusatz zu erkennen. V. 23 trägt die direkte Anrede nach, die man nach V. 21 vermißt. Im Unterschied zu V. 21 gebraucht V. 23 nicht den Statthaltertitel, sondern nennt den aus den redaktionellen Stücken bekannten Vaternamen. Nachtragscharakter hat auch die Verheißung, die der Unterwerfung der Völker (2,2 lf) den Messias gegenüberstellt. Die Formulierung verwendet die übliche königliche Topik und setzt Jer 22,24 voraus (vgl. Sir 49,11). Serubbabel erhält von Jhwh die Königswürde zurück, die seinem Großvater Jojachin (vgl. 1 Chr 3,17.19) genommen wurde, und damit eine Position, die seine Rolle in 2,4 und in den redaktionellen Stücken (einschließlich 2,21) bei weitem übertrifft. Der Zusatz in 2,23 ist der Anfang der messianischen Weissagung in Hag-Sach,26 die sich mit der Ankündigung des aus dem Namen Serubbabel gesponnenen, anonymen „Sprosses" in Sach 3,8 („mein Knecht Sproß") und in 6,12f („Sproß, unter dem es sproßt") fortsetzt. Auch Hag 2,4 fallt schon insofern aus dem Rahmen, als die Tempelworte Haggais ansonsten ohne Erwähnung der beiden Führungsgestalten auskommen (1,4—11; 2,10-19). Im übrigen handelt es sich bei dem Trostwort in 2,4, das in V. 5 erweitert wurde (vgl. LXX), um einen paränetischen Einschub, der die Frage nach der früheren „Herrlichkeit" im Vergleich zum jetzigen Zustand des Tempels (V. 3) von ihrer Antwort trennt. Die Antwort wird in 2,6-9 auf vierfache Weise gegeben: Das Orakel V. 6-7 kündigt das Kommen der Völkerschätze zur herrlichen Ausstattung des Tempels an; es ist durch Ein- und Ausleitungsformeln klar abgegrenzt und schließt entsprechend 2,4b mit ky an das Trostwort 2,4f an. 2,8 doppelt nach und versichert, daß Jhwh der Eigner der Völkerschätze ist. V. 9a kündigt an, daß die künftige Herrlichkeit des Hauses die frühere übertreffen wird. V. 9b ergänzt, wohl im Blick auf die Unruhen in der Völkerwelt (V. 6-7), daß an diesem Ort Frieden herrschen wird. Von den vier oder, sieht man von den Nachträgen V. 8.9b ab, zwei Antworten in V. 6-7 und V. 9a kommt der Auskunft in V. 9a eindeutig die Priorität zu. Nur sie nimmt auf die Fragen in V. 3 Bezug und schließt im Rahmen der Prophetenrede, die sich durch die Schlußformel auf ein Gottesorakel beruft, ohne weiteres daran an: „Wer ist unter euch übrig, der dieses Haus noch in seiner früheren Herrlichkeit gesehen hat? Und wie seht ihr es jetzt? Ist es nicht wie nichts in euren Augen? Größer als die frühere wird die künftige Herrlichkeit dieses Hauses sein, spricht Jhwh Zebaoth!"
Erst die Zusätze in V. 4.5, V. 6-7.8, V. 9b machen aus dem prophetischen Orakel eine Gottesrede an Serubbabel im Sinne von 2,2. Der terminologische 26
Zur Frage vgl. BEYSE
1971; ROSE 2000.
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Unterschied von 2,4 („ganzes Volk des Landes") zum Sprachgebrauch der Redaktion in 1,12.14; 2,2 („Rest des Volkes"; vgl. Sach 8,1 lf) legt den Verdacht nahe, daß beides nicht von einer Hand stammt. 2,4(f) scheint sich jedoch speziell an 1,12b. 13 („zum Volk", „Ich bin mit euch") zu orientieren und stimmt im Sprachgebrauch mit Sach 7,5 überein. Daher dürfte der Einschub nicht älter, sondern jünger sein als die Redaktion in Hag. Daß Serubbabel nur mit Namen und Joschua mit Filiaton und Titel genannt sind, entspricht der Praxis in den Zusätzen in Sach 3; 4,6-10 und 6,11 und trägt dem Umstand Rechnung, daß es offenbar mehr auf den Priester (und den Messias) als auf den Statthalter ankommt, auch wenn dieser stets an erster Stelle genannt ist. Fallen somit die Erwähnungen des Statthalters und des Priesters in der Wortüberlieferung aus, bleiben allein die redaktionellen Stücke in Hag, von denen wiederum die Notiz in Esr 5,lf sowie die aus Esr 5,16 abgeleitete Vordatierung der beiden Führungsgestalten in die Zeit des Kyros (II.) in Esr 2—4 abhängig sind. Ob die Verbindung der zweifellos nicht einfach erfundenen, sondern irgendwoher bekannten Persönlichkeiten Serubbabel und Joschua mit dem Tempelbau historisch ist, läßt sich demzufolge nicht mehr überprüfen. Dagegen läßt sich, zumal wenn man auch für die redaktionellen Stücke in Hag mit einer literarhistorischen Entwicklung rechnet,27 für diese Verbindung eine Tendenz ausmachen, die sich in Hag anbahnt und in Esr 1-6 vorherrschend geworden ist. Das Bauprojekt bekommt im Sinne der aramäischen Chronik Esr 5-6 zunehmend einen offiziellen Anstrich, indem es unter einem persischen König datiert und in die Hände von offiziellen Vertretern und Führern der jüdischen Gemeinde gelegt wird. Das Szenario nähert sich dadurch scheinbar der historischen Wirklichkeit an, wie wir sie aus der Korrespondenz von Elephantine kennen, doch darf nicht übersehen werden, daß sich gerade dies der theologischen Reflexion und der von ihr inspirierten literarischen Redaktion verdankt. Es ist deutlich, daß dabei das in Esr 5,11 ff greifbare Konzept der Heilsgeschichte Israels Pate gestanden hat.
V In Hag 2,1-9 sind wir auf einen alten Spruch Haggais gestoßen, der die Verse 2,3.9a umfaßt. Er mag, wie es im Alten Orient üblich war, mit der Datierung l,15b/2,l überschrieben und im Tempel archiviert gewesen sein. Einen ähnlichen Spruch kann man noch in Hag 1,4—11 finden. Wie in 2,3 beginnt er in 1,4 mit einer (rhetorischen) Frage. Was folgt, sind eine Reihe von lose aneinandergefügten Sprüchen, von denen sich die beiden Einleitungsformeln in V. 5.7 sowie die beiden Notschilderungen in V. 6 und V. 9a gleichen, in denen der Gebrauch des Infinitivus absolutus als besonde27
V g l . WOLFF 1986, 4 f f . 1 7 f . 5 2 f U.Ö.; HALLSCHKA 2 0 1 1 .
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res Stilmittel hervorsticht. An V. 9a wiederum hängt die zweite, auf die Notsituation bezogene Frage in V. 9b, die mit einem Rückverweis auf V. 4 und dem Vorwurf beantwortet wird, sich mehr um die eigenen Häuser als und das verwüstete Haus Jhwhs zu kümmern; V. 10-11 führen die Folgen von V. 9 weiter aus. Zwischen V. 5 - 6 und V. 7.9-11 steht in V. 8 eine Aufforderung zum Tempelbau mit Verheißung und abschließender Gottesspruchformel. Während die beiden Notschilderungen in V. 6 und V. 9-11 wie auch die beiden Einleitungsformeln in V. 5.7 lediglich die bösen Folgen der in V. 4 und erneut in V. 9b angemahnten Vernachlässigung des Tempels ausmalen und dem Volk ins Gewissen reden, ruft allein V. 8 dazu auf, Abhilfe zu schaffen. Doch die Abhilfe bezieht sich nicht auf die in V. 6 und V. 9-11 beklagte Not, das Ausbleiben des Segens, sondern auf den Zustand des Tempels. Wie in 2,9a wird die auf den Wiederaufbau folgende, durch Jhwhs Anwesenheit gewährleistete künftige „Herrlichkeit" des Tempels in Aussicht gestellt. Somit ist V. 8, der in seinem jetzigen Kontext etwas verloren wirkt, das unmittelbare Gegenstück zur Frage nach dem Zustand des Tempels in V. 4: „Ist es für euch etwa die Zeit, in überdachten Häusern zu wohnen, während dieses Haus in Trümmern liegt? Steigt hinauf ins Gebirge und holt Holz und baut das Haus, so will ich mein Wohlgefallen daran haben und mich in meiner Herrlichkeit zeigen, spricht Jhwh."
Wenn nicht alles täuscht, ist dies der ursprüngliche Wortlaut eines Orakels des Propheten Haggai zum Tempelbau. Wie das Orakel in l,15b/2,l + 2,3.9a könnte auch 1,4.8 unter der Datierung und Überschrift von l , l a b a ' (bis hnby') überliefert worden oder im Tempel archiviert gewesen sein. Der Gleichklang der eingeschobenen Einleitungsformeln in V. 5.7 (vgl. 2,4.15.18 sowie Sach 8,9.11.13) und der Notschilderungen in V. 6.9-11 (vgl. 2,15ff sowie Sach 8,9-13), der Rückbezug von V. 9b auf V. 4 (vgl. V. 2) sowie die Anlage der ganzen Einheit 1,4—11 nach dem Schema Vorher-Nachher, die sich in 2,1-9 und 2,10-19 (sowie Sach 8,9-13) wiederholt, widerraten der Annahme, daß in 1,4—11 lauter selbständige Einzelworte des Propheten in einer Art Auftrittsskizze aufgezeichnet sind. Auch hier wird man mit Fortschreibungen rechnen müssen, die mit der Redaktion des Buches und der Verbindung mit Sach 1 - 8 zu tun haben. Sie stammen schwerlich von einer Hand, sondern wurden nach und nach zugefügt: zuerst V. 5 - 7 als Vorbereitung für V. 8, dann V. 9 als Inklusion zu V. 4, und zuletzt V. 10-11 als Ausführung von V. 9a im Sinne von V. 6. Die Zusätze lenken den Blick vom Tempelbau auf das größere theologische Thema der Wende vom Fluch zum Segen, vom Gericht zum Heil. Das größere Thema wird in 1,1-11 hinsichtlich der Fruchtbarkeit des Landes und in 2,1-9 hinsichtlich der Ausstattung des Tempels abgehandelt. In 2,10-19 tritt mit 2,10-14 als dritter Aspekt die Reinheit „dieses Volkes" (vgl. 1,2), in den Vordergrund, bevor in V. 15-19 mit dem Motiv des ausbleiben-
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den Segens der Anfang wiederaufgenommen wird: Nach der Verheißung der Verherrlichung Jhwhs (1,8) und der herrlichen Ausstattung des Tempels (2,7.9) folgt die Zusage, die endlich auch den in 1,6.9-11 und 2,15-17 beklagten Zustand aufhebt: 'brk „Ich will segnen" (2,19). Die Einheit 2,10-19 macht einen zusammengesetzten Eindruck. Ein Fremdkörper ist das Stück 2,10—14, das formal, stilistisch und thematisch aus dem Rahmen fällt. Es konstruiert den Fall einer priesterlichen Tora, um in V. 14 das Urteil über das Volk zu sprechen, auf das alles zugeht. Daß es sich um die Verdammung der Samarier handelt, ist eine Verlegenheitslösung, um das Stück für die Verkündigung Haggais zu retten. Vielmehr macht sich darin das schon in Sach 1,1-6 und 7 sowie in der Grundschicht von Maleachi beobachtete und auch in den paränetischen Stücken Hag 1,5-6.7.9-11; 2,4 wirksame Problem der Heilsverzögerung bemerkbar, das zur Anklage des Volkes fuhrt. Diese ist in Hag 2,14a von Jes 6 (sowie Ex 19,6?) und in Hag 2,14b von 1,11 (w'l kl-ygy' kpym) und 1,9 ( w h b ' t m hbyt) inspiriert. Das im „dort" hat in dem „Ort" von 2,9b seinen nächsten Bezugspunkt. Mit anderen Worten: Es scheint, als sei das Stück ein Nachtrag zu Hag 1,1-2,9. Da das Buch kaum einmal mit 2,14 geschlossen haben wird, und 2,15-19, mit Ausnahme der Formulierung kl m'sh ydyhm in 2,16, keine literarische Verbindung zu 2,10-14, wohl aber zu 1,1-2,9 aufweist, dürfte sich 2,10-14 in einen älteren Zusammenhang zwischen 2,1-9 und 2,15-19 eingeschoben haben. Das Stück gibt der Aufhebung des Fluchs durch den Segen einen neuen, kultisch geprägten Anlaß, der an die Fortschreibung von Sach 1-8 in Maleachi erinnert. Doch auch 2,15-19 ist kaum die ursprüngliche Fortsetzung von 1,1-2,9. Schon die unterschiedliche Terminologie für den Tempel, hier wie in Sach 6,9-15; 8,9 hykl, dort byt, gibt zu denken. Des weiteren spricht der Anschluß mit der aus 1,5.7 entlehnten Formel w'th symw-n' Ibbkm in 2,15.18 für einen Nachtrag, der 2,1-9 formal an 1,1-11 angleicht und die Verheißungen für den Tempel im Sinne von Sach 8,9-13 um die noch fehlende Zusage des Segens ergänzt. Im übrigen ist das Stück auch in sich nicht einheitlich, sondern verschiedentlich glossiert: Hag 2,17 zitiert aus Am 4,9 wie Hag 2,14 LXX aus Am 5,10; Hag 2,18b wiederholt die Datierung aus 2,10 und stellt wie Sach 8,9bß den Bezug zur „Gründung" des Tempels sicher. Ein Wort des Propheten Haggai vermag ich in beiden Stücken von 2,10-19 nicht zu entdecken.
VI Nach allem sind im Büchlein Haggai zwei authentische, auf den Tag genau datierte Prophetenorakel zum Wiederaufbau des Tempels zu Jerusalem überliefert: Hag U a b a 1 + 1,4.8 und l,15b/2,l + 2,3.9b. Sie belegen, daß der Tempel im zweiten Jahr des Dareios (I.) noch in Trümmern lag, es zu dieser Zeit
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aber Anstrengungen gab, ihn wieder aufzubauen. Der Prophet kommt darin seiner klassischen Aufgabe nach, die Sorge um den Tempel durch Propaganda im Namen des Herrn zu unterstützen.28 Sein Wirken läßt darauf schließen, daß das Bauvorhaben mit den herrschenden persischen Behörden abgestimmt und im Namen des Königs genehmigt war. Von den diplomatischen Aktivitäten, die, nach der Analogie von Elephantine zu urteilen, dazu nötig waren, erfahren wir allerdings nichts. Auch Serubbabel und Joschua sind in den ursprünglichen Orakeln nicht erwähnt. Das bedeutet nicht, daß sie nicht existent waren. Doch was über sie in Hag gesagt ist, stammt nicht vom Propheten, sondern aus der literarischen Tradition. Auch der Prophet Sacharja weiß von Serubbabel und Joschua ursprünglich nichts. Auf ihn geht eine Serie von Visionen zurück, die von der Restitution Jerusalems im Rahmen des von Jhwh befriedeten (persischen) Weltreichs entwirft und im Laufe der Überlieferung vermehrt und ausgelegt wurde. Ein Zweig der Auslegung bezog die Visionen nach dem Vorbild von Haggai auf den Tempelbau und führte so auch die Gestalten Serubbabel und Joschua in Überlieferung des Sacharja ein. Ebenso wie Esr 1-6 auf den Büchern HagSach aufbaut und die beiden Gestalten zuerst in Esr 5,1 und, davon abgeleitet, als Anführer der Heimkehrer aus der Gola auch in Esr 2-4 auftreten läßt, verdankt sich auch schon die Erwähnung in Sach 3; 4,6-10 und 6,9-15 der innerbiblischen Exegese. Die historische Rekonstruktion ist somit auf die Angaben der Tradition über Serubbabel und Joschua im redaktionellen Rahmenwerk wie auch in den Zusätzen zur Wortüberlieferung von Hag angewiesen. Inwieweit die Tradition eine zuverlässige historische Erinnerung bewahrt hat, läßt sich nicht mehr ermitteln. Außer den Namen und der begründeten Vermutung, daß Serubbabel und der Priester Joscha gleichzeitig oder unabhängig voneinander wichtige Funktionen im perserzeitlichen Juda innehatten, sind die Angaben über ihre Stellung als Statthalter und messianischer „Sproß" bzw. Hohepriester und ihre Rolle beim Tempelbau nicht frei von dem Verdacht, nachträgliche historische Kombinationen zu sein. Die umfangreichen Fortschreibungen der beiden ursprünglichen Orakel in Hag sowie der Nachtgesichte des Sacharja sind daher von geringem historischem, dafür von umso größerem theologischem Wert. Sie tragen dazu bei, den für den Gang der jüdischen Geschichte zweifellos richtungsweisenden Wiederaufbau des Tempels und die beiden in dieser Geschichte etwas verloren wirkenden Gestalten Serubbabel und Joschua in den größeren Zusammenhang der biblischen Heilsgeschichte einzuordnen. Man nimmt der biblischen Geschichte ihre theologische Würde und historische Wirkung, wenn man sie mit Gewalt für historisch erklärt.
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Zum Wirken von Propheten in nachexilischer Zeit vgl. KAI 270 sowie (von der polemischen Verzerrung abgesehen) Neh 6,7.10-14.
6. Statthalter, Hohepriester und Schreiber im perserzeitlichen Juda Neben den Heerscharen von Priestern und Leviten am Zweiten Tempel kennt die biblische Überlieferung drei Ämter im perserzeitlichen Juda mit prominenter Besetzung: die Statthalter Scheschbazzar, Serubbabel und Nehemia,1 den Hohepriester Joschua (Jeschua) und seine Nachfolger2 sowie den Priester und Schreiber Esra.3 Zur Klärung der schwierigen historischen Fragen, die sich mit den drei Ämtern und den einzelnen Amtsinhabern verbinden, steht in beschränktem Umfang eine external evidence zur Verfügung.4 Sie wird in der Regel herangezogen, um die biblischen Daten zu bestätigen und die Lücken der Überlieferung zu füllen. Im Folgenden soll der umgekehrte Weg beschritten und versucht werden, sich zunächst anhand der external evidence ein Bild von der historischen Situation im perserzeitlichen Juda zu machen und damit anschließend den biblischen Befund zu vergleichen.
I. Die Statthalter Der sicherste Beleg für einen Statthalter der Provinz Juda in der Perserzeit ist die zweimalige Erwähnung Bagohis in den Papyri von Elephantine (A4.7,l// 4.8,1 und 4.9,l).5 In dem Bittgesuch Jedanjas, seiner Kollegen und der Prie1
Scheschbazzar: Esr 5,14 (HFIS), als m i " ^ iCEtfn tituliert in 1,8; Serubbabel: Hag 1,1.14; 2,2.21 (mirr nns); Nehemia: Neh 5,14-19 (rrnrr p a a [¡ins] ons, nnsn); 12,26 (nnsn) sowie 8,9; 10,2 (Xntznnn); ferner Tattnai: Esr 5,3.6; 6,6.13 ( m n n 3 S ¡TIS); anonym: Esr 6,7 (XTIiT ITIS); 8,36 u. Neh 2,7.9; 3,7 ("imn -QJ> nna/nnns); Est 3,12; 8,9; 9,3 ( n r i D bs n n n s u.a.); Mal 1,8 q n n s ) ; Dan 3,2.3.27; 6,8 (srnns) sowie Esr 2,63; Neh 7,65.69 (xntzhnn). 2 Joschua/Jeschua: Hag 1,1.12.14; 2,2.4; Sach 3,1.8; 6,11 (VlTTI |H3n); Esr 3,2.8; 5,2; 10,18; Neh 12,26 (ben Jozadak); die Liste der Hohepriester Neh 12,10f.22f.26; Elijaschib: Neh 3,1.20 ( b n j n ]HDn); 13,4 qrDrt); Jojada: Neh 13,28 ( V l i n pDil); anonym: Esr 2,63//Neh 7,65 (CQim D ' T ^ )HDn); Neh 10,39 flrDn ben Aaron); den Titel „der Priester" tragen auch Esra: Esr 7,11.12.21; 10,10.16; Neh 8,2.9; 12,26, seine hohepriesterliche Abstammung Esr 7,1-5; Meremot: Esr 8,33. 3 Esra, der Priester (jrDn): s. Anm. 2; der Scheiber 031017): Esr 7,6.11.12.21; Neh 8,1.4.5.9.13; 12,26.36; ferner Schimschai: Esr 4,8.9.17.23; Zadok: Neh 13,13; anonym: Est 3,12; 8,9. 4 Einen Überblick bietet E. STERN 1982; 2001. 5 Hier und im Folgenden zitiert nach PORTEN/YARDENI 1986-1999.
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Jüdische
Geschichte
ster von Jeb trägt Bagohi den Titel pht yhwd und wird von den Bittstellern als „unser Herr" angesprochen. In dem Memorandum, das Bagohis Antwort wiedergibt, wird er nur namentlich und ohne Titel genannt. Das Bittgesuch ist auf den 20. Marcheschwan des 17. Jahres Dareios' II., d.h. auf den 25. November 407 v.Chr., datiert; das Memorandum bezieht sich auf die Zerstörung des Tempels im 14. Jahr des Dareios, dem Jahr 410 v.Chr. (A4.9,7), und dürfte bald nach 407 v.Chr. verfaßt sein. Beide Dokumente enthalten einen aufschlußreichen Synchronismus. Zeitgleich mit dem Statthalter Bagohi war Sanballat Statthalter der Provinz Samaria (pht imryn) und führte die Amtsgeschäfte gemeinsam mit seinen beiden Söhnen Delaja und Schelemja (A4.7,29//4.8,28; nur Delaja in 4.9,1). In Jerusalem hatte zur selben Zeit Jehochanan das Amt des Hohepriesters (lehn' rb') inne. Neben ihm und „seinen (Priester-)Kollegen" werden Ostanes, der Bruder des Anani, und die „Noblen der Judäer" (hry yhwdy') bzw. die „Noblen Judas" (hry yhwd) genannt (A4.7,18f; 4.8,17f). Der Synchronismus läßt für das ausgehende 5. und frühe 4. Jh. v.Chr., zur Zeit Dareios' II. (424-404 v.Chr.) und Artaxerxes' II. (404-359/8 v.Chr.), die Existenz zweier selbständiger persischer Provinzen erkennen. Während Samaria ganz eindeutig einem einheimischen (jüdischen) 6 Statthalter unterstand, trägt der Statthalter von Juda einen persischen Namen, was allerdings nichts heißen muß.7 Die innere Struktur der Provinz Juda sieht zwei, den Antragstellern gleichgestellte Führungseliten vor: den Hohepriester und seine Kollegen sowie ein Gremium von hochgestellten Laien. Bemerkenswert ist der Einfluß, den die Juden von Elephantine den beiden Provinzen und ihren Führungsorganen bei der Regelung ihrer inneren Angelegenheiten gewährten und zutrauten, obwohl sie in Ägypten einem eigenen Statthalter und dem Satrapen Arscham unterstanden. Angesichts der angespannten und diplomatisch heiklen Lage in Ägypten wandte man sich an die Brüder in Samaria und Juda, denen man sich verbunden fühlte. Die Korrespondenz erweckt nicht den Eindruck, als habe man den Kontakt zum ersten Mal gesucht. Trotz des klaren Autoritätsgefälles betrachteten die Juden auf Elephantine ihren Herrn Bagohi ebenso wie die Autoritäten von Jerusalem und die Söhne des Statthalters von Samaria als einen der Ihren (vgl. A4.7,27f). 8 Ein Mittelsmann zwischen dem Mutterland und der ägyptischen Kolonie scheint Hananja gewesen zu sein (A4.1; 4.3,7f). Auf ein Schisma
6
Dafür sprechen die Namen der Söhne Sanballats. Er war ebenso viel oder wenig J ü disch" wie die Juden auf Elephantine, die sich selbst „Judäer" (nicht etwa „Israeliten") nannten. 7 Ein verwandter iranischer Name findet sich bekanntlich auch in der Liste der jüdischen Heimkehrer Esr 2,2.14; Neh 7,7.19 sowie Esr 8,14; Neh 10,17. 8 Das Verhältnis von „Herr" und „Knecht" ist, wie A4.3 zeigt, auch unter Brüdern üblich.
6. Statthalter, Hohepriester und Schreiber
95
zwischen Samaria und Juda deutet nichts, 9 und auch die ausgebliebene Antwort der Jerusalemer Nobilitäten ist nicht unbedingt auf Differenzen mit den Juden von Elephantine, dem Statthalter Bagohi oder den gleichzeitig mit Bagohi angeschriebenen Juden in Samaria zurückzufuhren. Mit der in den Elephantine-Papyri dokumentierten Konstellation um 400 v.Chr. ist ein Fixpunkt für die Rekonstruktion der Geschichte der beiden Provinzen Juda und Samaria gegeben. Auskunft über die Zeit danach geben diverse numismatische Funde sowie die Papyri und Siegel aus dem Wadi Daliyeh. Da die Belege recht verstreut publiziert sind und in der Literatur nicht immer vollständig oder korrekt wiedergegeben werden, seien sie hier kurz zusammengestellt. Auf den Jehud-Münzen 10 ist ein Statthalter Jechezkia mehrfach belegt, mit voller Titulatur (yhzlcyh hphh yhfdj), mit einfachem Titel (yhzkyh hphh) und (wenigstens einmal) nur mit Namen. 11 Die Münzlegende ist in paläohebräischer Schrift geschrieben, die im mittleren und späten 4. Jh. aufzukommen beginnt und sich in hellenistischer Zeit durchsetzt. Der Wechsel von der vorher üblichen aramäischen zur hebräischen Aufschrift zeugt vielleicht von einem gewachsenen nationalen Selbstbewußtsein der Provinz, die auch in der frühen hellenistischen Zeit ihr Prägerecht noch für eine Weile behielt, auch wenn die Münzen nun nur noch die territoriale Bezeichnung Judas und statt Name und Titel eines Statthalters auf der einen Seite das Portrait Ptolemaios' I., auf der anderen den ptolemäischen Adler zeigen und bald danach dem ptolemäischen Münzmonopol weichen. Ob sich in dem Unterschied, daß der Name Jechezkias einmal mit, das andere Mal ohne Titel erscheint, die politische Entwicklung bereits abzeichnet, ist - nicht zuletzt angesichts der Parallelfalle in den Elephantine-Papyri (Bagohi), auf den Münzen aus Samaria und den Jehud-Siegeln (s.u.) - eher zweifelhaft. Sicher scheint nur, daß Jechezkia der oder einer der letzten Nachfolger Bagohis als Statthalter der Provinz Juda war. Die Münzen belegen ein recht hohes Maß an ökonomischer Autonomie und waren vermutlich für den internen Handel sowie die Versorgung des persischen Militärs bestimmt. 12 Ebenfalls aus dem 4. Jh. stammen die Belege für die Nachfolger des aus den Elephantine-Papyri bekannten Sanballat. In den Samaria-Papyri und ihren
9
V g l . GALLING 1 9 6 4 , 1 6 3 .
10
Vgl. MESHORER 1982, 13-34, bes. 13.33f und Tafel 2-3 (Nr. 10-13, zu Nr. 11 s.u. un-
t e r II D i e H o h e n p r i e s t e r ) ; E . STERN, 1 9 8 2 , 2 2 4 - 2 2 7 ; MILDENBERG 1 9 8 8 ; 1 9 9 6 ; LEMAIRE
2002, 216f; zur Diskussion bes. MACHINIST 1994; CARTER 1999, 268-283, bes. 273-276. 11 Die Identifizierung Jechezkias mit dem bei Josephus Ap I 187-190 (im Auszug aus Hekataios) erwähnten, 66 Jahre alten Hohepriester Ezekias unter Ptolemaios I. (oder einem seiner Vorfahren) ist vom Alter her möglich, aber unsicher. 12
CARTER 1 9 9 9 , 2 8 1 .
96
Jüdische
Geschichte
Siegeln15 begegnet die Wendung: [?]YHW bn [sn']blt pht Smr[n] (WD 22), womit entweder Sanballat selbst (vgl. A4.7,29) oder sein Sohn, dessen Jhwhhaltiger Name nicht ganz erhalten ist, als „Statthalter von Samaria" bezeichnet wird. An anderer Stelle ist ein gewisser Hananja als pht Smryn ausgewiesen (WDSP 7,17 ehemals Pap. 8; vgl. WDSP 8,10; 9,14). Dieser Hananja könnte mit dem in WDSP 11 r, 13 (ehemals Pap. 14) erwähnten Hanan identisch sein, der hier allerdings den Titel „Präfekt" (sgn') trägt; er wird neben einem Sohn Sanballats erwähnt, dessen Name wiederum nicht ganz erhalten ist. Cross liest [?]W< (vgl. WD 23) und identifiziert ihn mit dem in WD 22 erwähnten [?]YHW. Ob Hananja bzw. Hanan ebenfalls ein Sohn des Sanballat und Bruder des anderen, namentlich nur partiell identifizierbaren Sohnes ist,14 geht aus den Belegen, sollte ich nichts übersehen haben, nicht hervor. Auch auf samarischen Münzen erscheinen Sanballat und Hananja und diverse andere Namen, darunter zwei Abkürzungen, die nach Meinung der Herausgeber für Delaja (DL) und Schelemja (SL), die in den Elephantine-Papyri erwähnten Söhne Sanballats, stehen könnten. 15 Die Papyri, Siegel und Münzen stammen aus der Zeit zwischen 375-335 v.Chr. Hananja wird in einem Papyrus erwähnt, der auf das Jahr 354 v.Chr. datiert ist. Da nach unten nicht mehr allzu viel Spielraum ist, dürften ihm Sanballat und gegebenenfalls auch dessen Sohn [?]YHW/[?]W' vorausgegangen sein. Nach Cross16 zählt man den Sanballat der Samaria-Papyri für gewöhnlich als Sanballat II. und unterscheidet ihn von Sanballat I. in den Elephantine-Papyri. Diese Unterscheidung beruht jedoch allein auf der Identifizierung von Sanballat I. mit dem Sanballat des Nehemiabuchs, 17 die davon ausgeht, daß der Sanballat der Elephantine-Papyri schon um 450 v.Chr. Statthalter von Samaria und um 407 v.Chr. ein alter Mann war, der sich darum in der Angelegenheit von Elephantine von seinen Söhnen Delaja und Schelemja vertreten ließ. Hält man sich an die external evidence und vermischt nicht voreilig die epigraphischen mit den literarischen Quellen, ist aber auch die Identifizierung des in den Elephantine- und des in den Samaria-Papyri genannten Sanballat in möglich. Je nachdem, wie alt er im Jahre 407 v.Chr. war, könnten ihm im Laufe des 4. Jh.s nacheinander seine Söhne Delaja und Schelemja, gegebenenfalls auch [?]YHW und/oder [?]W< und anschließend Hananja gefolgt sein. In diesem Fall beruhten die Sanballat-Episoden des Nehemiabuchs ebenso wie die ihnen nicht unähnliche (vgl. Neh 13,28) Sanballates-Episode bei Jo-
13
V g l . CROSS
1 9 7 1 ; GROPP 2 0 0 1 , 7 9 f f ( W D S P
7,17; 8,10; 9,14); Plate X I
(WDSP
1 lr,13); LEITH 1997, 10.184-187 (WD 22-23); LEMAIRE 2002, 221f; DU§EK, 2007. 14 CROSS 1971,62; 1988, 19. 15
MESHORER/QEDAR 1 9 9 1 , 1 5 - 1 7 u n d MESHORER/QEDAR 1 9 9 9 ; LEMAIRE 2 0 0 2 , 2 2 2 .
16
CROSS 1971, 61f; 1988 19f; anders (und wohl verschrieben) DERS. 1975, 17. Neh 2,10.19; 3,33; 4,1; 6,1.2.5.12.14; 13,28.
17
6. Statthalter,
Hohepriester
und
Schreiber
97
sephus (Ant XI 302-303), 18 der sie in seiner Nehemia-Epitome (XI 159-183) ausläßt und dafür an die Geschichte über den Feldherrn Bagoses (= Bagoas/Bagohi?) und den Hohepriester Joannes (= Jochanan?) anhängt (Ant XI 297-301.306ff), eindeutig auf einer historischen Konfusion in der sehr komplexen literarischen Tradition. Wenn man hingegen den Sanballat der Elephantine- und den der Samaria-Papyri unterscheidet, ist vom epigraphischen Befund her nicht ausgemacht, welchen von beiden das Nehemiabuch und Josephus meinen. Doch bevor wir uns den literarischen Quellen zuwenden, sei zunächst die historische Evidenz für die Zeit vor dem Fixdatum der Elephantine-Papyri um 400 v.Chr., d.h. für das späte 6. und das 5. Jh., betrachtet. Entgegen der herrschenden Meinung ist die Provinz Samaria für die persische Epoche vor 410 v.Chr. epigraphisch (bisher) nicht bezeugt.19 Es wäre allerdings völlig abwegig, daraus ableiten zu wollen, daß Samaria erst unter Dareios II. persische Provinz wurde und Sanballat ihr erster Statthalter war. Vielmehr muß man aus den dokumentierten Verhältnissen des 4. Jh.s Rückschlüsse auf die frühere Zeit ziehen und annehmen, daß die Perser den von Assyrern und Babyloniern überkommenen Provinzstatus beibehalten und einen einheimischen, jüdischen Statthalter eingesetzt haben. Erheblich besser ist die Lage in Juda dokumentiert. Bullen und Siegel mit der Aufschrift des Namens der Provinz Jehud in verschiedenen Schreibungen (yh, yhd, yhwd), mit und ohne Personennamen und Titel, in aramäischer wie in hebräischer Schrift sind - mit gewissen Schwerpunkten - über mehrere Orte und, wie sich herausgestellt hat, über die gesamte persische Epoche verstreut.20 Als Personen, die den Titel „der Statthalter" (phw')21 tragen, sind mit Namen der Provinz Jehoezer (yhwd yhw'zr phw'), ohne den Provinznamen Achzai (l'hzy phw') und Elnatan (l'lntn phw' und tSlmyt 'mt 'Intn ph[) belegt. Hinzu kommen Hanana/Hanuna, Malkiu, Uriu und Y'ZN(?) BR YSB, deren Namen ohne Titel dem Provinznamen Jehud beigegeben sind, sowie Jehoezer ohne Provinznamen und ohne Titel; anonym sind die Siegel mit der Aufschrift yhwd
phw'.22
18 Nach CROSS 1971, 6 0 - 6 2 ; DERS. 1975, 5 handelt es sich um Sanballat III. Vgl. dagegen WILLIAMSON 1992b, 974f; neuerdings auch Duäek 2007, 516-549; 2012b, der auf anderem Wege zu demselben Ergebnis gelangt ist wie wir. 19 Die dafür regelmäßig zitierten Inschriften stammen alle aus den jüngeren Funden. Vgl. E. STERN 1982, 214; DERS. 2001, 540ff.544.525; DERS. in CHJ I, 80. 20 E. STERN 1982, 202-213; AVIGAD 1976; ARIEL 2000, 144-155; LEMAIRE 2002, 2 1 3 216; zuletzt LLPSCHLTS/VANDERHOOFT 2011; dazu WILLIAMSON 1988; CARTER 1999, 2 5 9 268.276-285; SCHAPER 2002, 160-164. 21 Zu Lesung und Bedeutung dieser ungewöhnlichen Form vgl. AVIGAD 1976, 6f; WILLIAMSON 1988, 6 9 - 7 4 ; LlPSCHlTS/VANDERHOOFT 2011, 77-80. 22 Vgl. die Übersicht bei CARTER 1999, 267; LEMAIRE 2002, 213f; im einzelnen: AVIGAD 1976, 4f.5-7.1 l - 1 3 . 2 2 f ; E. STERN 1982, 203 (hphh für phw'); ARIEL 2000, 146f.
98
Jüdische Geschichte
Die Belege werden aus paläographischen, diejenigen aus Jerusalem auch aus stratigraphischen Gründen in das ausgehende 6. und 5. Jh. v.Chr. datiert. Eine Reihenfolge der Statthalter ergibt sich daraus nicht. Nur für Achzai legt die Stratigraphie der Fundstücke aus Jerusalem 23 das frühe und/oder das späte 5. Jh. nahe, was immerhin einen terminus a quo ergibt, angesichts weiterer Funde aus römischer Zeit und unstratifiziertem Kontext ansonsten aber nicht allzu viel besagt. Die zeitliche Einordnung und Herstellung einer relativen Ordnung wird dadurch erschwert, daß wir über die durchschnittliche Amtszeit eines Statthalters schlecht orientiert sind und nicht wissen, ob die Namen aller Statthalter erhalten sind. Fraglich ist auch, welche Funktion die Personen, die ohne Titel, z.T. sogar ohne die Bezeichnung der Provinz nur mit Namen genannt sind, hatten, ob sie ebenfalls Statthalter oder, wie Avigad für Hanana vermutet, 24 irgendwelche untergeordneten Verwaltungsbeamte waren. Der Fall des Namens Jehoezer, der mit und ohne Titel bezeugt ist, läßt die Möglichkeit zu, daß es sich bei allen um Inhaber desselben Amtes handelt. 25 Die von Avigad vorgeschlagene Rekonstruktion der Abfolge der Statthalter Judas im 6./5. Jh.26 ist vom epigraphischen Befund her also alles andere als sicher. Sie beruht auf einer vorschnellen Korrelation der external evidence mit dem biblischen Befund. Von dem biblischen Befund ist auch bei der Frage nach dem Status der Provinzstatthalter und der Bedeutung der Bullen und Siegel vorerst abzusehen. Auch wenn der Titel phh ein breites Bedeutungsspektrum aufweist, läßt sich angesichts des epigraphischen Befunds nicht in Abrede stellen, daß Juda vor wie nach 400 v.Chr., dem Fixpunkt der Elephantine-Papyri, bereits eine eigenständige Provinz mit, soweit wir sehen, durchweg einheimischen Provinzstatthaltem war. Die Funktion der Bullen und Siegel ist aus sich heraus schwer zu bestimmen und folglich umstritten, 27 doch darf man sie aufgrund der Analogie zu den späteren Münzen vielleicht am ehesten mit dem innerjudäischen 28 (Zwischen-)Handel oder dem Eintreiben von Steuern in Verbindung bringen. Die mit phh bezeichneten Beamten organisierten und kontrollierten somit die judäische Wirtschaft und waren sicher den übergeordneten
23
ARIEL 2 0 0 0 .
24
AVIGAD 1976, 4f, gefolgt von SCHAPER 2002, 161 Anm. 88. Zu Uriu, den Schaper nicht
erwähnt, vgl. AVIGAD 1976, 22. 25 So CARTER 1999,267. 26 AVIGAD 1976, 35, gefolgt von SCHAPER 2002, 163, der noch einen zweiten Achzai nach Nehemia ergänzt. Die Skepsis von WLLLIAMSON 1992a, 84 bleibt also auch unter Berücksichtigung des Materials aus Jerusalem bis auf weiteres berechtigt. 27
V g l . WlLLIAMSON 1 9 8 8 , 6 8 f ; CARTER 1 9 9 9 , 2 8 2 f .
28
Im „Außenhandel" ist die Provinz auf einem in Babylon gefundenen, beschrifteten Stempel bezeugt (LEMAIRE, 2002, 217); indirekt vielleicht auch auf einer 1989 publizierten babylonischen Tafel (BM 74554) aus dem Jahr 486 v.Chr., die HELTZER 1992 besprochen h a t , d o c h v g l . CARTER 1 9 9 9 , 2 7 2 .
99
6. Statthalter, Hohepriester und Schreiber
Stellen, vor allem dem persischen Satrapen, verantwortlich. Das Gebiet mit dem Namen Jehud, das sie repräsentieren, erweist sich so auch als eigenständige politische Einheit und ihre Stellung als die eines Provinzstatthalters. Die paläographische Entwicklung der Bullen und Siegel sowie die Einfuhrung von Münzen im 4. Jh. lassen auf einen gewissen Umbruch im Übergang vom 5. zum 4. Jh. schließen, der mit den äußeren politischen, demographischen und ökonomischen Rahmenbedingungen zusammenhängen dürfte, doch ändert sich das Bild nicht grundlegend. Es läßt sich folgendermaßen zusammenfassen, für das 6./5. Jh. in alphabetischer, für das 4. Jh. in chronologischer Reihenfolge: Juda 6./5. Jh. v.Chr.
Achzai Elnatan Jehoezer Hanana/Hanuna (?) Malkiu (?) Uriu (?) Y'ZN(?) BR YSB (?)
1. Hälfte 4. Jh. (seit 410) v.Chr.
Bagohi
Samaria
Sanballat Delaja (?) Schelemja (?) [?]YHW/[?]W< (?)
2. Hälfte 4. Jh. v.Chr.
Hananja Jechezkia
Aus dem epigraphischen Befund ergeben sich eine Reihe wichtiger Folgerungen. Die erste betrifft die ingeniöse Hypothese von Alt,29 wonach Juda bis zu Nehemia der Provinz Samaria unterstanden und erst mit Nehemia, dem ersten judäischen Statthalter, den Status einer eigenen Provinz im Achämenidenreich erhalten haben soll. Die Hypothese ist in jüngster Zeit häufig bestritten worden, wobei die Kritiker nicht selten den Fehler begehen, territorialgeschichtliche, archäologische und literarische Daten zu vermengen und aus der Schnittmenge bzw. durch Addition die Geschichte zu rekonstruieren.30 Seriöser ist das Verfahren von Mittmann, der Alt bei seinen Stärken, der historischen Analyse der literarischen Quellen, angreift und zeigt, daß die Hypothese
29 30
1934. So zuletzt SCHAPER 2002. Zur Diskussion vgl. HOGLUND 1992, 69-86.
ALT
100
Jüdische
Geschichte
schon auf dieser Ebene nicht zu halten ist.31 Vollends wird man sie im Licht der external evidence, die Alt noch nicht kannte, fallen lassen müssen. Der erdrückende epigraphische Befund macht deutlich, daß die Bezeugung der Provinz Juda im 5. Jh. v.Chr. nicht nur gut, sondern sogar sehr viel besser ist als die der Provinz Samaria. Umgekehrt finden sich in Juda keinerlei Anzeichen einer direkten politischen oder ökonomischen Einmischung, die man im Falle der Zuständigkeit der Statthalter von Samaria erwarten würde. Hätte man, wie in jedem anderen Falle der Region,32 nur den epigraphischen Befund, wäre wohl nie jemand auf die Idee gekommen, ausgerechnet für Juda den Provinzstatus zu bezweifeln, unbeschadet möglicher politischer Veränderungen im Übergang vom 5. zum 4. Jh., die sich mit den biblischen Berichten aber nicht erklären lassen, sondern darin ihrerseits eine höchst eigenwillige, theologische Deutung erfahren. Dasselbe gilt für die innere Organisation der Provinz. Die Belege hierfür sind zwar spärlich, aber ausreichend, um sagen zu können, daß die Provinz nicht als „Bürger-Tempel-Gemeinde" organisiert war.33 Auch diese Hypothese verdankt sich dem unkritischen Umgang mit den biblischen Quellen. Darüber hinaus sprechen die archäologischen, die daraus abgeleiteten demographischen und ökonomischen wie eben auch die epigraphischen Daten gegen diese Hypothese. Die Provinz Juda war „a small Judah" (Carter), eingebunden in die größere politische Einheit der Satrapie Transeuphratene. Sie zeichnete sich nicht, wie es die Bibel will, durch eine spezifische, von allen anderen unterschiedene und in besonderer Weise religiös determinierte Organisationsstruktur aus. Wie man aus den Elephantine-Papyri erfährt, setzte sich die fuhrende Klasse aus Priestern unter der Führung des Hohepriesters und einem Laiengremium zusammen, über denen allen der - seinerseits dem Satrapen bzw. der Zentralgewalt unterstellte - Statthalter stand. Weitere politische Institutionen sind nicht bekannt und auch nicht zu erwarten. Die soziale Struktur des trnx ITD, die man für das persische Juda annehmen kann, ist ebensowenig eine politische Organisationsform wie der biblische *?np, die Volksversammlung. Auch der Gegensatz zwischen Ansässigen und Rückkehrern aus der Gola, der die Geschicke Judas nach dem biblischen Zeugnis so sehr bestimmt, dürfte mehr die Köpfe der Theologen beschäftigt als die Realität bestimmt haben. Die Theorie der „Bürger-Tempel-Gemeinde" ist kongenial zur biblischen Überlieferung gedacht, entspricht aber ebenso viel oder wenig wie diese der historischen Realität. So bleibt zu fragen, was sich aufgrund des epigraphischen Befunds den biblischen Quellen positiv an historischen Informationen entnehmen läßt. Daß 31
MITTMANN 2 0 0 0 .
32
Vgl. LEMAIRE 2 0 0 2 .
33
WEINBERG 1 9 9 2 ; DERS. 1 9 9 6 . V g l . d a z u WILLIAMSON 1 9 9 8 ; CARTER 1 9 9 9 , 4 6 f f . 2 9 4 -
307; zur sozialen Struktur und ihrer Vielfalt auch WILLIAMSON 2003.
6. Statthalter, Hohepriester und Schreiber
101
die Bibel für Juda in der Perserzeit von Anfang an das Amt des Statthalters und die Provinz Juda (Esr 5,8) kennt, ist nach allem in keiner Weise auffällig. Es wäre im Gegenteil verwunderlich, wenn sie beides gar nicht erwähnte, und es besteht kein Anlaß, das breite Bedeutungsspektrum des Begriffs phh zu bemühen, um sich des „Provinzstatthalters" zu entledigen.34 Nicht das Vorkommen des Titels ist das Problem, sondern die Vergabe an Personen, die epigraphisch nicht als Statthalter belegt sind (Scheschbazzar, Serubbabel, Nehemia), und die Weglassung bei solchen, die ihn nachweislich getragen haben (Sanballat).35 Die fehlende Überschneidung erlaubt zwar, biblische und epigraphische Statthalter zu addieren und in eine Ordnung zu bringen, doch ist damit nichts gewonnen. Es bedarf zusätzlicher Indizien, die Scheschbazzar, Serubbabel und Nehemia als Statthalter ausweisen. Für Serubbabel glaubt man ein solches Indiz gefunden zu haben. Bereits Avigad deutete an, daß die Besitzerin des Siegels auf der Bulle Nr. 14, Schulamit, die „Dienerin" (Ehefrau) des Statthalters Elnatan, mit der in 1 Chr 3,19 genannten Tochter Serubbabels identisch sein könnte, war aber vorsichtig genug, ein Fragezeichen hinter die Vermutung zu setzen.36 Doch selbst wenn die Identifizierung zuträfe, wäre sie kein Beweis dafür, daß der Schwiegervater auch der Vorgänger Elnatans im Amt des Statthalters war. Die Belege dafür finden sich ausschließlich in den redaktionellen Stücken von Haggai (1,14; 2,2.21).37 Sie können die Beweislast nicht tragen. Dem historischen Sachverhalt steht die anonyme Bezeichnung „der Statthalter der Judäer" in Esr 6,7 näher, die sich in den ältesten Partien von Esr 1 6, der Erzählung vom Wiederaufbau des Tempels in Esr 5-6, findet.38 Bezeichnenderweise begegnet der Statthalter hier zusammen mit den „Ältesten der Judäer", die in Esr 5-6 die Verhandlungen fuhren (5,5.9; 6,7f. 14) und an das in den Elephantine-Papyri für Jerusalem bezeugte Laiengremium der „Noblen der Judäer" erinnern. Doch abgesehen davon, daß der Titel auch in Esr 6,7 text- und literarkritisch nicht über jeden Zweifel erhaben ist, muß er sich nicht, wie der sekundäre Kontext in Esr 1-4 und 5,2 nahelegt, auf Serubbabel beziehen, sondern paßt theoretisch auf jeden Namen, der auf den frühen Bullen und Siegeln überliefert ist. Es scheint, als sei der Titel hier wie auch 34
Vgl. SCHUNCK 1999.
35
Etwas anders stellt sich das Problem bei Tattenai dar, bei dem phh für den Titel des Satrapen steht (Esr 5,3.6; 6,6.13). Satrap von Transeuphratene war zu seiner Zeit, im 2.-6. Jahr Dareios' I. (520-516 v.Chr.), allerdings ein Mann namens Ushtani, der in drei Texten den Titel bei pihäti bäbili ü ebir näri trägt. Erst im 20. Jahr des Dareios (502 v.Chr.), also lange nach der Affare um den Bau des Jerusalemer Tempels, taucht in einem Dokument ein gewisser Tattanu als bei pihäti ebir näri auf. Vgl. CAH IV, 131. 36 AVIGAD 1976, 11.32. Vgl. LEMAIRE, 2002, 215f, der auch Hanana/Hanuna mit dem zweiten Sohn Serubbabels Hananja in 1 Chr 3,19.21 identifizieren möchte. 37 Vgl. „Serubbabel und Joschua" (in diesem Band Nr. 5). 38
KRATZ 2 0 0 0 a , 60f.
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Jüdische Geschichte
bei Scheschbazzar in dem Geschichtsabriß Esr 5,11-16 (V. 14) und in den redaktionellen Stücken von Haggai sporadisch in die theologische Überlieferung eingeflossen.39 Die ältesten Teile der Überlieferung in Hag und Sach sowie in Esr 5-6 wissen von Scheschbazzar und Serubbabel und ihrem Statthalteramt unter Kyros und Dareios noch nichts, erst die späteren Redaktionen machen aus ihnen loyale Beamte im Dienst der beiden für den Tempelbau verantwortlichen persischen Könige und legen ihnen den Statthaltertitel zu. In der übrigen Überlieferung mutieren die beiden zu frommen Juden aus der Gola, die im Auftrag Gottes und des persischen Königs allein den Willen ihres Gottes tun. Bei Nehemia glaubt man sich auf sicherem Grund, um die Korrelierung mit dem epigraphischen Material vornehmen zu können. Es gilt als ausgemacht, daß der in Neh 2,10 u.ö. erwähnte Sanballat, der Horoniter, mit dem in den Elephantine-Papyri bezeugten Statthalter von Samaria gleichen Namens identisch ist. Die Identifizierung leidet allerdings etwas daran, daß Sanballat in Nehemia den Titel des Statthalters nicht trägt. Um sie dennoch zu rechtfertigen und ihr den nötigen historischen Anstrich zu geben, wird das Gentilizium „der Horoniter" in Analogie zu Tobia, dem Ammoniter, und Geschem, dem Araber, gerne als „der Hauraniter" gelesen.40 So scheint der Weg frei, die Angaben des Nehemiabuchs auf den Sanballat der Elephantine-Papyri übertragen und in die Geschichte projizieren zu dürfen. Der Zirkel ist damit perfekt, und so kann der biblische Nehemia (um 450 v.Chr.), nicht etwa Bagohi (um 400 v.Chr.), weiterhin als Fixpunkt gelten, um das epigraphische Material in die biblische Chronologie einzuordnen. Der Sachverhalt stellt sich anders dar, wenn man sich versuchsweise von dem üblichen, zirkulären Verfahren löst. Nimmt man die Elephantine-Papyri als Ausgangspunkt, liegt es durchaus nahe, in dem hier erwähnten Statthalter von Samaria den Sanballat wiederzuerkennen, der in Neh 3,34 zu seinen Brüdern und dem Heer von Samaria spricht. Doch trifft die Identifizierung zu, kommen zwei Möglichkeiten in Betracht: Entweder ist Sanballat zur Zeit Nehemias noch nicht Statthalter gewesen, oder der Titel wurde ihm im Nehemiabuch vorenthalten und durch das Gentilizium „der Horoniter" ersetzt (Neh 2,10.19; 13,28), das in das Gebiet von Efraim, des ehemaligen Nordreiches Israel, weist und vielleicht mit Blick auf Neh 4 (V. 14.16) an den heiligen Krieg bei Bet-Horon in Jos 10 (V. 11.12-14) erinnern soll. Gegen die erste Möglichkeit spricht das Auftreten Sanballats als Repräsentant der Samarier (Neh 3,34) gemeinsam mit den Repräsentanten anderer Bevölkerungsgruppen, für die zweite Möglichkeit der Vergleich mit den Papyri von Elephantine. 39
Vgl. „Der Zweite Tempel zu Jeb und zu Jerusalem" (in diesem Band Nr. 4). MITTMANN 2000, 15-17. Verlockend, aber durch nichts zu beweisen ist auch die Identifizierung des jüdischen Unterhändlers Hananja, den wir aus den Elephantine-Papyri kennen, mit Hanani oder Hananja in Neh 1,2; 7,2. 40
6. Statthalter,
Hohepriester
und
Schreiber
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Diese lassen, wie wir sahen, keinerlei Feindseligkeiten des Statthalters von Samaria gegen Juda und den Statthalter der Provinz, Bagohi, erkennen und legen daher die Vermutung nahe, daß die scharfen Angriffe auf Juda, von denen das Nehemiabuch berichtet, zeitlich nicht vor, sondern nach der in den Elephantine dokumentierten historischen Situation liegen und die Tradition dem Statthalter von Samaria Vergehen anlastet, die er in Wahrheit nie begangen hat. Möglicherweise wurden sie ihm im nachhinein angelastet, weil seine Nachfolger im 4. Jh. oder noch später der Provinz Juda nicht freundlich, sondern feindlich gesonnen waren und sich die politischen Verhältnisse insgesamt verändert hatten. Wie in Esr 4 wären demnach Auseinandersetzungen einer späteren Phase in die Zeit des (Tempel- und) Mauerbaus verlegt. Anhalt für die nachträgliche Diffamierung Sanballats könnte gewesen sein, daß es nach Ausweis des epigraphischen Materials (und der Legende bei Josephus Ant XI 302-303) während des 4. Jh.s womöglich nicht nur einen, sondern mehrere Träger desselben Namens und jedenfalls mehrere Mitglieder derselben Familie im Amt des Statthalters von Samaria gab. Ganz ähnlich verhält es sich im Falle von Tobia, „dem ammonitischen Knecht", dessen Familie nach Neh 6,17f; 13,4 wenigstens über zwei Generationen mit angesehenen judäischen Priesterfamilien verschwägert gewesen sein soll und einen berühmten Doppelgänger in den Zenon-Papyri der hellenistischen Zeit hat: Tobias, den Vater des Joseph, Haupt der im Ostjordanland ansässigen Tobiadenfamilie und Schwager des Hohepriesters Onias II., der im 3. Jh. v.Chr. in der Ammantis residierte und dem Tobia des Nehemiabuchs nicht unähnlich ist.41 Besteht zwischen dem Tobia des Nehemiabuchs und dem Tobias im 3. Jh. ein - auch durch das Wortspiel mit dem Patronym im Namen des Stammsitzes der Tobiaden 'BDloeboed „Knecht" angezeigter - Zusammenhang, muß es auch während des 4. Jh.s Tobiaden gegeben haben. Ebenso läßt sich der Araber Geschem (Neh 2,19; 6,1.2.6) nicht auf eine bestimmte Person oder Zeit festlegen. Sein Name ist inschriftlich mehrfach bezeugt und war offenbar weit verbreitet. Die zwei in der Regel zitierten Inschriften - die Weihinschrift des „Qainu, Sohn des Geschem, König von Qedar", die in Unterägypten (Teil el-Maschuta) gefunden wurde und um 400 v.Chr. datiert wird, sowie der Registereintrag eines lihjanitischen Arabers zur Zeit des „Geschem, Sohn des Schahr" und des ,,'Abd, des Statthalters von Dedan"42 - besagen nur, daß der Name geläufig war, nicht aber, daß es sich im41
MITTMANN 2000, 2 - 1 3 , bes. 12: „Offenbar war bereits Tobia, darin seinem ptolemäischen Nachfahren Tubia ähnlich, ein Feudalherr, der von Rabba(t Bene Ammon) aus das persische Ammon in den aufgezeigten Grenzen eher beherrschte als verwaltete und dabei, ganz im Einklang mit Sanballat, gehörig seine Interessen beim judäischen Nachbarn durchzusetzen suchte." Die historische Rückprojektion ist auch schon dem Verfasser des Nehemiabuches zuzutrauen, wen auch immer er von der Familie der Tobiaden vor Augen hatte. Zum epigraphischen B e f u n d vgl. LEMAIRE 2 0 0 2 , 224. 42
V g l . LEMAIRE 2 0 0 2 , 2 2 4 - 2 2 6 ; a u s f ü h r l i c h e r DERS. i n LAPERROUSAZ 1 9 9 4 , 2 4 - 3 0 .
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mer um ein und dieselbe Person und den Geschem des Nehemiabuchs handelt. Die Beziehungen der Judäer zu den arabischen Stämmen im Gebiet von Idumäa erstrecken sich von der persischen bis in die römische Zeit, so daß es mehr als einen Anlaß gab, sich über den benachbarten „Geschem, den Araber" zu beschweren. Die summarische Auflistung der Völker in Neh 4,1 zeigt, worum es dem Nehemiabuch geht: um die Feinde Judas aus allen Himmelsrichtungen, denen nur mit Gottes Hilfe Einhalt geboten werden kann, um das kleine Juda und die Judäer vor kriegerischen Übergriffen zu schützen und zu bewahren. Wie im Verhältnis der epigraphisch dokumentierten zu den biblischen Statthaltern ist auch bezüglich der Feinde Judas eine Korrelierung der biblischen Angaben mit dem inschriftlichen Material zwar nicht ausgeschlossen, doch mangelt es an einem positiven Beweis. Ohne ihn aber ist die Korrelierung historisch wertlos. Sie ist allerdings auch deswegen ohne Wert, weil die fraglichen Passagen nicht alle zum ursprünglichen Bestand der Nehemiadenkschrift gehören.43 Ausgerechnet diejenigen Stücke, die Nehemia ausdrücklich als Statthalter Judas bezeichnen (Neh 5,14-19 und 12,26), stehen ebenso wie der Bericht über die zweite Reise Nehemias nach Jerusalem in Neh 13 in Verdacht, Nachträge zu sein.44 Im Unterschied zum Bericht über den Mauerbau, der eigentlichen Mission Nehemias (vgl. Neh 2,1-6.11-18; 3,1-38; 6,15), widmen sich diese Stücke der Regelung der inneren Angelegenheiten der Provinz Juda, womit Nehemia nicht nur der Titel, sondern auch die Aufgabe eines Statthalters zufällt. Arbeitet Nehemia zunächst noch mit dem Einverständnis der zuständigen, ihm offenbar vorgesetzten Führungseliten - es sind übrigens dieselben, die wir aus den Elephantine-Papyri und Inschriften kennen: die „Priester" (D^ilD), die „Vornehmen" ( • " i n ) und die „Präfekten" (D'330), vgl. Neh 2,16-18 - übernimmt er in den späteren Stücken selbst die Führung und bestimmt die Richtung. Mit der neuen Rolle Nehemias als Statthalter haben aber auch diejenigen Stücke zu tun, die sich mit den Feinden Judas befassen und den Mauerbau in einen sich stetig steigernden Krieg der Statthalter der Satrapie Transeuphratene ausarten lassen (Neh 2,9-10 u.ö.). Wieder muß man die Möglichkeit in Erwägung ziehen, daß sich in den sekundären Stücken der Nehemiadenkschrift eine historisch zutreffende Erinnerung erhalten hat. Auch für den Statthalter Nehemia lassen sich, wie für Scheschbazzar und Serubbabel, eine Reihe von historischen Analogien anfuhren. Am interessantesten ist der Vergleich mit den Persepolis-Täfelchen, den Williamson zu Neh 5,14ff durchgeführt hat.45 Doch das Resultat ist immer das gleiche: Die Analogien erhellen den geschichtlichen Hintergrund und die Vorstellungswelt der biblischen Formulierungen, beweisen aber weder deren 43 44 45
Vgl. KRATZ 2000a, 68-74; WRIGHT 2004. Vgl. WILLIAMSON 1985, xxvi-xxviii; REINMUTH 2002, bes. 18f. WILLIAMSON 1 9 8 8 , 7 9 - 8 2 .
6. Statthalter, Hohepriester und Schreiber
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Authentizität noch die Historizität. Die biblischen Verfasser bedienen sich gewisser historischer und allgemeiner Kenntnisse, um an einem herausragenden Beispiel ihre Sicht der Dinge zu demonstrieren. Im Falle von Neh 5,14-19 heißt das, daß sie die Zuteilung von Rationen zum Beispiel nehmen, um zu zeigen, wie sich, im Unterschied zur üblichen historischen Praxis, ein gottesfurchtiger Statthalter nach dem biblischen Ideal des Nehemiabuchs in dieser Sache verhält: „Gedenke dessen, mein Gott, und laß mir alles zugute kommen, was ich für dieses Volk getan habe." Ob also Scheschbazzar, Serubbabel und Nehemia jemals das Amt des Statthalters in der Provinz Juda innehatten, läßt sich nach dem gegenwärtigen Stand unserer Kenntnisse nicht sagen. Es ist nicht ausgeschlossen, aber auch nicht zu beweisen, weder durch die external evidence noch aus den Texten, die von ihnen handeln. Daß die Personen keine reine Erfindung sind und in der Geschichte der Provinz Juda eine gewisse Rolle gespielt haben, darf man wohl annehmen, da sie ansonsten kaum einen derart prominenten Platz in der überaus selektiven Überlieferung eingenommen hätten. Nehemias historische Leistung war der Mauerbau, der sich in das auch archäologisch nachgewiesene, strategische Konzept der persischen Politik in der Levante der zweiten Hälfte des 5. Jh.s v.Chr. bestens einfugt. 46 Auch die weiteren, aus seiner ursprünglichen Mission erwachsenen Aufgaben Nehemias spiegeln die Lebensund Erfahrungswelt der mittleren und späten Perserzeit, sind ihm aber erst auf literarischem Wege zugewachsen und können, soweit wir sehen, auf ihre Historizität nicht überprüft werden. Gänzlich entzieht sich der historischen Kontrolle die Frage, welche historische Rolle Scheschbazzar und Serubbabel spielten.47 Soweit wir sehen, haben sie erst in einem späteren Stadium der literarischen Überlieferung Eingang in die Geschichte von der Rückkehr der Gola und dem Tempelbau gefunden. Was historisch im Hintergrund der vagen Erinnerungen an diese beiden Gestalten steht, ist anhand des verfügbaren Materials kaum mehr zu ermitteln. Während Serubbabel, Sohn des Pedaja und „Sohn" (oder Enkel?) des Schealtiel, aus der davidischen Linie stammt (1 Chr 3,19) und wahrscheinlich deswegen in der Überlieferung Karriere gemacht hat, könnte Scheschbazzar, der eine Nebenrolle spielt, einer der vielen uns nur dem Namen nach bekannten Amtsträger und Statthalter Judas gewesen sein.48 Vielleicht hatte er tatsächlich den Auftrag oder die Erlaubnis zum Wiederaufbau des Tempels, und vielleicht war er es, nicht Serubbabel (Esr 3), der den Altar errichtete und damit den Grundstein zum Tempelbau legte (Esr 5,16), doch ist sich darin nicht ein46
47
V g l . HOGLUND 1 9 9 2 .
Die biblischen Daten wurden zuletzt wieder von POLA 2003,126-146 zusammengestellt, soweit es irgend geht harmonisiert und für historisch erklärt. 48 Die öfter vorgeschlagene Identifizierung mit dem Daviden Schenazzar (1 Chr 3,18) oder mit Serubbabel entbehrt jeder Grundlage.
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mal die Überlieferung einig. Beide sind, wie der historische Nehemia, überlagert von der literarischen Tradition, die das Zeitkolorit der persischen Provinz Juda in etwa trifft, aber die rund 200-jährige Geschichte der Provinz auf drei theologisch motivierte Gründungsakte konzentriert: die Heimkehr der Gola und den Tempelbau unter dem Davididen Serubbabel und dem Hohepriester Jeschua, die Einführung und Durchsetzung des Gesetzes unter dem Priester und Schreiber Esra sowie die äußere und innere Konsolidierung der Provinz Juda unter dem Statthalter Nehemia.49
II. Die Hohepriester Die Priester im perserzeitlichen Juda haben weniger archäologische Spuren hinterlassen als die Statthalter. Umso mehr dominieren sie die biblische Überlieferung, die weniger an den kurzlebigen politischen Strukturen als an den theologischen Grundlagen interessiert ist, die dem Judentum in den Wechselfallen der Geschichte und nach dem Zusammenbruch der politischen Strukturen und kultischen Institutionen das Überleben ermöglichten. Dennoch haben sich einige wenige epigraphische Zeugnisse erhalten. Einen chronologischen Fixpunkt stellen wiederum die Papyri von Elephantine dar. Wie schon gesehen, sind in ihnen für das Jerusalem der Zeit um 410 v.Chr. der Hohepriester Jehochanan und seine Kollegen bezeugt (A4.7,18; 4.8,17). Des weiteren sind uns bisher zwei bedeutende Münzfünde zur Geschichte des judäischen Priestertums bekannt. Die eine Münze wurde zunächst den Jechezkia-Münzen zugeschlagen, trägt jedoch nach der neuesten und heute weithin anerkannten Lesung die Aufschrift ywhnn hkhn „Jochanan, der Priester".50 Wie die Jechezkia-Münze hat sie eine paläohebräische Legende und ist damit in die ausgehende Perserzeit zwischen 350-330 v.Chr. zu datieren. Die andere Münze, die den Namen ydw' „Jaddua" bietet und damit an einen der Hohepriester der Liste in Neh 12,10f.22 denken läßt, hat eine Legende in aramäischer Kursivschrift und wird darum in die Zeit vor 350, also in die erste Hälfte des 4. Jh.s v.Chr. datiert.51 Die epigraphischen Zeugnisse sind in zweifacher Hinsicht aufschlußreich. Zum einen belegt die Jochanan-Münze, daß es zumindest in der späten Perserzeit möglich, wenn nicht üblich war, daß neben dem Statthalter auch „der Priester", d.h. der Hohepriester, ein Prägerecht besaß. Die andere Möglich49
Vgl. WILLI 1992, der die Leitlinien des theologischen Konzepts der Bücher Esra-Nehemia treffend beschreibt, damit aber nicht die Geschichte oder das Selbstverständnis der Provinz Juda, sondern die Position einer wichtigen theologischen Richtung im persisch-hellenistischen Juda erhebt. 50
BARAG 1 9 8 6 / 8 7 ; v g l . CARTER 1 9 9 9 , 2 7 4 ; LEMAIRE 2 0 0 2 , 2 1 6 f .
51
SPAER 1986/87; vgl. CARTER 1999.
6. Statthalter, Hohepriester und Schreiber
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keit, daß es sich um eine Revolte handelte, in der der Hohepriester eigene Münzen prägen ließ, ist nicht ganz auszuschließen, aber durch nichts zu belegen. Sollte die Jaddua-Münze ebenfalls die Prägung eines Hohepriesters sein, spräche auch dies gegen einen sporadischen Aufruhr. So oder so deutet sich in dem Nebeneinander der Jechezkia- und der Jochanan-Münze eine Art Dyarchie und mit ihr die Entwicklung zur Hierokratie an, die das judäische Gemeinwesen in der hellenistischen Zeit genommen hat. Das Prägerecht bedeutete eine Aufwertung des Hohepriesters und des Priesterkollegiums gegenüber dem Statthalter, dem weiterhin die Leitung des Laienkollegiums (aus Ältesten, Noblen und Beamten) und die staatliche Aufsicht oblag. Zum anderen werfen die Münzfunde ein Licht auf die Reihenfolge der Hohepriester im perserzeitlichen Juda. Es ist evident, daß der Jehochanan der Elephantine-Papyri aus chronologischen Gründen nicht mit dem Jochanan der Münze identifiziert werden kann. Das bedeutet, daß man in diesem Fall zwischen Jochanan I. und Jochanan II. unterscheiden und auch sonst mit Namensgleichheit rechnen muß. Dies ist vor allem im Blick auf die Jaddua-Münze von Belang. Sollte es sich um einen Hohepriester handeln, wäre zu klären, wie sich dieser zu dem Jaddua in der Liste der Hohepriester von Neh 12,10f. 22.26 verhält, die folgende Genealogie52 bietet: Jeschua (Joschua) ben Jozadak,53 Jojakim, Eljaschib, Jojada, Jonatan54/Jochanan, Jaddua. Noch bevor die beiden Münzen bekannt waren, hat Cross aufgrund der biblischen und bei Josephus überlieferten Daten vorgerechnet, daß einige der in der Liste aufgenommenen Namen zu verdoppeln, verdreifachen, ja sogar zu vervierfachen seien, um die Zeit zwischen dem Ende des Staates Juda (Jozadak) und dem Beginn der hellenistischen Zeit (Onias I. = Jochanan IV.) zu füllen.55 Im Falle von Jochanan I. und II. wird diese Annahme grundsätzlich bestätigt, und so ist man vielfach geneigt, die von Cross vorgeschlagene, hier und da modifizierte Liste ganz zu übernehmen und darin auch den epigraphischen Fund unterzubringen.56 Das Verfahren erweist sich vor allem im Falle Jadduas jedoch als Fehlerquelle ersten Ranges. Da auf der Jaddua-Münze der Titel fehlt, ist keineswegs sicher, ob es sich überhaupt um den Hohepriester handelt. Außerdem konvergiert das Fehlen des Titels mit der Entwicklung auf den Jechzekia-Münzen am Ausgang des persischen Zeitalters, wie auch immer man dieses Phänomen interpretiert. Carter hat daraus den Schluß gezogen, daß unbeschadet des paläographischen Unterschieds möglicherweise 52 Einen durchgängigen genealogischen Zusammenhang nehmen nur 1 Chr 5,27^11 und Neh 12,11-12.26 an. Er dürfte sekundär konstruiert sein. 53 Vgl. 1 Chr 5,40-41; Hag l , l ; E s r 3 , 2 ; Sir 49,14 u.ö. 54 Jonatan in Neh 12,11 ist vermutlich ein Schreibfehler für Jochanan in V. 22. Vgl. die Kommentare. 55 CROSS 1975 u.ö. 56 Vgl. SCHAPER 2002, 156-160.
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sämtliche Münzen dieses Typs in die späte Perserzeit oder schon in die makedonische Zeit zu datieren wären." Schließlich basiert die Identifizierung mit einem der von Cross postulierten Hohepriester namens Jaddua auf der Vorgabe, daß der in Neh 12 erwähnte Jaddua (I.) in das frühe 4. Jh. gehört. Gegen diese Vorgabe hat sich VanderKam in einer sorgfältigen Überprüfung der These von Cross ausgesprochen und eine Interpretation der Liste von Neh 12 vorgelegt, die die hypothetische Verdopplung oder Verdreifachung der Hohepriester überflüssig macht: „In other words, it is likely that the extant list of high priests for the Persian period is complete."58 Diese Annahme hat mehrere Vorteile, u.a. den, daß auch der Vergleich mit den epigraphischen Befunden nicht mit zusätzlichen Hypothesen belastet ist. Nimmt man die Liste, wie sie ist, legt sich zuerst die Identifizierung mit dem hier genannten Jochanan und dem Hohepriester gleichen Namens in den Elephantine-Papyri nahe. Daß in Neh 12 nicht der Jochanan der Münze gemeint sein kann, ergibt sich daraus, daß er offenkundig der erste Hohepriester ist, der diesen Namen trägt und die Datierung der Münze eine Identität mit dem Jehochanan der Elephantine-Papyri ausschließt. Damit ist auch für die Liste in Neh 12 ein chronologischer Fixpunkt gewonnen. J(eh)ochanan und Jaddua gehören in das 4. Jh. (terminus a quo 410 v.Chr.), die übrigen in die Zeit davor. Für Jochanan II., den Hohepriester der Jochanan-Münze, bedeutet dies, daß er nach Jaddua anzusetzen ist. Nimmt man alles zusammen - den Synchronismus der Liste mit Elephantine, die Möglichkeit längerer Amtszeiten von Jochanan (unter Dareios II. und Artaxerxes II. bis 370 v.Chr.) und Jaddua (unter Artaxerxes III., Arses, Dareios III. bis etwa 330 v.Chr.) und die Datierung der Münze in die ausgehende Perserzeit - , so liegt es nahe, in dem auf der Münze belegten „Jochanan, dem Priester" Onias I. = Jochanan II zu sehen.59 Die Datierung wird von den Jechezkia-Münzen gestützt, die, wie wir sahen, den letzten Statthalter der Provinz Juda und den Übergang von der persischen in die makedonisch-hellenistische Epoche dokumentieren. Unter dieser Voraussetzung ließe sich denn auch die aramäische Jaddua-Münze, die den paläohebräischen Jechezkia- und Jochanan-Münzen vorausgeht, mit dem letzten Hohepriester der Liste in Neh 12, Jaddua, kombinieren. Ebenso ließe sich mit dieser Chronologie selbst die Überlieferung bei Josephus vereinbaren. Ihmzufolge sollen der Priester Joannes (= Jochanan) gleichzeitig mit dem „Strategen" Bagoses (= Bagoas/Bagohi?) unter „dem anderen Artaxerxes" (II.), d.h. in der ersten Hälfte des 4. Jh. v.Chr., und der Priester Jaddus (= Jaddua) gleichzeitig mit Sanballates von Samaria (= Sanballat II. oder einer seiner Söhne? s.o. I) unter Dareios III., d.h. in der zweiten Hälfte des 4. Jh. v.Chr., amtiert haben (Ant XI 297-303); bald nach Alexanders Einzug in Jerusalem 57
CARTER 1 9 9 9 , 2 7 4 f .
58
VANDERKAM 1991, 91; z u m selben Ergebnis gelangt auch DUSEK 2007, 5 4 9 - 5 9 1 .
59
VANDERKAM 1991, 88f.
6. Statthalter, Hohepriester und Schreiber
109
und noch vor dessen Tod sei ihnen Onias I., ein Sohn Jadduas, gefolgt (Ant XI 347). Es kann natürlich nicht ganz ausgeschlossen werden, daß es dazwischen einen weiteren Wechsel im Amt des Hohepriesters gab, doch reicht das verfugbare Material aus und ergibt diese Reihenfolge: 1. 2.
Jeschua/Joschua Jojakim
im Amt nach 539 v.Chr. 5. Jh. v.Chr.
(Neh 12,10f.26 u.ö.) (Neh 12,10f)
3. 4. 5.
Eljaschib Jojada Jehochanan
5. Jh. v.Chr. 5. Jh. v.Chr. 4. Jh. (seit 410) v.Chr.
(Neh 12,10f.22) (Neh 12,10f.22) (Neh 12,22; TADAE A4.7//A4.8; Ant XI 297-301) (Neh 12,1 lf.22; Jaddua-
6.
Jaddua
4. Jh. bis ca. 330 v.Chr.
7.
Onias I. = Jochanan II.
seit ca. 330 v.Chr.
Münze; Ant XI 302-303) (Jochanan-Münze; Ant XI 347)
In der Liste von Neh 12,1 Of erscheint Jeschua ben Jozadak als erster Hohepriester im perserzeitlichen Juda. Das entspricht der Überlieferung über ihn in Hag, Sach 1-8 und Esr 1-6, wo der Titel b n j n j r o n häufiger begegnet.60 Über den Vaternamen und die Liste in 1 Chr 5,27—41 ist er mit der vorexilischen Linie der levitisch-aaronidisch-zadokidischen Priester verbunden. Dieselbe Überlieferung gibt an einer Stelle (Esr 2,63//Neh 7,65) aber auch zu erkennen, daß das Amt des Hohepriesters nicht immer besetzt war: Vom Hochheiligen darf nicht gegessen werden, bis ein Priester auftritt, der Urim und Tumim verwaltet. Dahinter verbirgt sich nicht nur eine Lücke in der Besetzung des höchsten Priesteramtes, sondern die Tatsache, daß sich das Amt des Hohepriesters erst im Zeitalter des Zweiten Tempels herausgebildet hat.61 Die genealogische Brücke über Jozadak und den Stammbaum der Zadokiden macht deutlich, daß die Liste in Neh 12 dieses Amt nachträglich in der vorexilischen Geschichte des judäischen Priestertums verankert. Daraus ergibt sich auch für die persische Epoche die Frage, wie weit das Amt zurückreicht und ob Joschua tatsächlich schon der erste Hohepriester war oder nicht. Der schmale epigraphische Befund, der mit der Bezeugung Jehochanans in den Elephantine-Papyri einsetzt, gibt dazu nichts her. Man ist somit ganz auf die biblischen Quellen angewiesen und steht vor folgender Alternative: Entweder man schenkt der Hagiographie Glauben und erzählt die Geschichte in 60
S.o. Anm. 2. Auch abgesehen von Joschua sind die Stellen, die den Titel "THün ]i"Dn oder jrDPI BK"in verwenden, anerkanntermaßen jung: 'TITin jPDn Lev 21,10; Num 35,25.28; Jos 20,6; Neh 3,1.20; 13,28; 2 Chr 34,9, aber auch 2 Kön 12,11; 22,4.8; 23,4; tÖKin jPDn (o.a.) Esr 7,5; 1 Chr 27,5; 2 Chr 19,11; 24,11; 26,20; 31,10, aber auch 2 Kön 25,18//Jer 52,24. 61
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Jüdische Geschichte
etwa so nach, wie sie in Esr 1-6 geschrieben steht, leicht korrigiert nach Hag und Sach 1-8. Oder man nimmt den literarhistorischen Befund ernst, daß Joschua den Titel j r o n ausschließlich an solchen Stellen in Hag, Sach 1 8 und Esr 1-6 trägt, die nicht zu den ältesten Partien der Überlieferung zählen,62 und macht sich seinen eigenen Reim darauf. Am plausibelsten ist die Annahme von Galling, wonach die Einsetzung eines Hohepriesters den Bau des Zweiten Tempels voraussetzt.63 Doch man mag in dieser Frage entscheiden, wie man will, über eine mehr oder weniger gut begründete historische Spekulation ist mit den uns zur Verfugung stehenden Quellen nicht hinauszukommen. Die Sache verhält sich nicht anders als im Falle der biblischen Statthalter: Daß Joschua Priester war und eine herausragende Gestalt im frühen Juda der Perserzeit, wird man angesichts seiner dominierenden Stellung in der Überlieferung schwerlich bezweifeln können. Ob aber unter ihm das Amt des Hohepriesters entstanden ist, wissen wir nicht. Die biblische Überlieferung sieht es so und stattet ihn daher als den ersten, aus der Gola heimgekehrten „nachexilischen" Inhaber dieses Amtes mit einer Autorität und theologischen Würde aus, die vermutlich keiner der amtierenden Hohepriester je hatte. Deutlich mehr Schnittstellen zwischen dem epigraphischen und dem biblischen Befund weist die Nehemia-Überlieferung auf. Der Vergleich fällt allerdings nicht leicht, weil die biblische Chronologie auch hier ihre eigenen Wege geht. Mit der Bezeugung Jehochanans in den Elephantine-Papyri (um 410 v.Chr.) ist nicht nur für die Liste der Hohepriester, sondern auch für die Datierung Nehemias ein Fixpunkt gegeben. Nach Neh 3,1.20 ist Eljaschib, der Vorgänger Jojadas und Jochanans, Hohepriester und am Mauerbau beteiligt. Dementsprechend wäre Nehemia erhebliche Zeit vor 410 v.Chr. anzusetzen, wie es die biblische Datierung mit dem 20. Jahr des Königs Artaxerxes - in Frage kommt nur der I. (465-425 v.Chr.) - auch annähernd tut (Neh 2,1, davon abhängig 1,1). Allerdings sind dies nicht die einzigen Synchronismen im Buch. Nach Neh 12,26 werden Esra und Nehemia zu Zeitgenossen deklariert und beide mit dem Hohepriester Jojakim, dem Vorgänger Eljaschibs, synchronisiert. Über Esra gelangt man mit Esr 7,7 in das 7. Jahr eines Königs Artaxerxes, 458 v.Chr., wenn es der erste, 397 v.Chr., wenn es der zweite ist. Für den Hohepriester Jojakim käme nach menschlichem Ermessen nur der erste in Frage. Doch Nehemia hat es auch mit den Nachkommen Eljaschibs zu tun. Gemäß Neh 13,6 reist er im 32. Jahr des Artaxerxes, des Königs von Babel (sie!) zum König und kehrt erst nach einiger Zeit, also in den Jahren zwischen 433/2425 v.Chr., nach Jerusalem zurück. Hier trifft er aber nicht mehr auf Elja62
Vgl. „Serubbabel und Joschua" (in diesem Band Nr. 5).
63
GALLING 1964, 164f. Anders SCHAPER 2000, 174f Anm. 53, der hier wie sonst der bi-
blischen Überlieferung folgt.
6. Statthalter,
Hohepriester
und
Schreiber
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schib, von dem als einer vergangenen Figur geredet wird (Neh 13,4), sondern auf einen der Söhne Jojadas, also einen Enkel oder noch jüngeren Nachfahren Eljaschibs, der der Schwiegersohn Sanballats gewesen sein soll. Damit aber gelangt man nicht nur nach Neh 12,22, sondern auch über den Synchronismus mit dem Sanballat von Elephantine in die Epoche von J(eh)ochanan und Jaddua und mit ihnen in die Zeit von Dareios II. und Artaxerxes II., wenn nicht schon Artaxerxes III. und Dareios III. (s.o.). Nimmt man den Bibeltext, wie er ist, erstreckte sich die Wirksamkeit Nehemias folglich von 458 bis wenigstens 400 v.Chr. oder noch länger bis tief in das 4. Jh. hinein. Daß die Darstellung des Nehemiabuchs den historischen Tatsachen nicht ganz entspricht, dürfte evident sein. Nicht nur die Liste der Hohepriester von Neh 12, sondern auch die Darstellung der Nehemiamemoiren überblickt den gesamten Zeitraum der persischen Epoche, in dem Generationen von Hohepriestern ihren Dienst versahen. Dieser Zeitraum wird in dem Auftreten Nehemias kondensiert und in das Licht seines Wirkens gestellt - ein typisches Merkmal der Hagiographie. Um zu erfahren, wo Nehemia und sein Werk historisch einzuordnen sind, läßt sich darum die kritische Analyse der unter seinem Namen abgefaßten Memoiren nicht umgehen. Sie zeigt, daß für den Mauerbau die Ansetzung unter Artaxerxes I. (Neh 2,1), zeitgleich mit dem Hohepriester Eljaschib (Neh 3,1), wohl das Richtige trifft. Alles andere, auch die Synchronisation mit den in Elephantine bezeugten, hier unter Dareios II. datierten Gestalten Sanballat und J(eh)ochanan, verdankt sich der historiographischen Rekonstruktion, die in der Überlieferung um der Heiligenlegende willen immer und immer wieder betrieben wurde. Merkwürdig ist, daß unter dem dritten Heiligen, Esra, keiner der Hohepriester von Jerusalem Erwähnung findet. Dafür strahlt umso mehr der Glanz des Priesters und Schreibers Esra selbst.
III. Esra, der Priester und Schreiber Noch spärlicher als die Hohepriester sind die Schreiber im perserzeitlichen Juda epigraphisch bezeugt. Der (bisher) einzige Beleg ist eine Serie von zehn Bullen mit einer hebräischen Legende in aramäischer Schrift: lyrmy hspr „dem Jeremai, dem Schreiber".64 Der Beleg findet sich unter der von Avigad herausgegebenen Sammlung der Bullen und Siegel aus dem 5. Jh. v.Chr., aus der auch die yh(w)d- und pAw'-Inschriften stammen.65 Der Kontext des Funds spricht dafür, daß es sich um einen Provinzbeamten und bei dem Titel „der Schreiber" um einen offiziellen Titel handelt. 64 Nicht zu verwechseln mit dem Priester in Esr 10,33, der eine fremde Frau geheiratet hat. Er müßte schon den Beruf gewechselt haben. 65
AVIGAD 1976,7-8.
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Der Fund ist schmal, doch fügt er sich problemlos in das historische Bild, das sich aus anderen Zeugnissen zum Beruf des Schreibers im Alten Orient ergibt.66 Das einschlägige Material reicht vom 2. bis zum 1. Jt. v.Chr. und ist nahezu unerschöpflich. In Syrien-Palästina war die babylonische Tradition der Schreiber (akk. tupSarru) und Schreiberschulen schon früh beheimatet. Sie wird von den im Land gefundenen oder von hier abgesandten keilschriftlichen Dokumenten aus dem 2. Jt. und von allerlei inschriftlichen Kleinfunden aus dem 1. Jt. bezeugt.67 Von hier ist die kanaanäische Bezeichnung als aramäisches Lehnwort in das Akkadische (se/iplru) gelangt. Auch aus der persischen Epoche ist eine Reihe von Belegen bekannt; die wichtigsten finden sich in den Elephantine-Papyri68 und in der Biographie des ägyptischen Priesters und Schreibers Udjahorresenet, der zum „Oberarzt" des Königs berufen wurde.69 Aus dem Material geht hervor, daß es sich bei dem Schreiberberuf um ein angesehenes, hohes Staatsamt, etwa einem heutigen „Staatssekretär" vergleichbar, handelte. Es war stets in allernächster Nähe zum König in der Palast- oder Tempelverwaltung angesiedelt, wofür der weise Schreiber, Ratgeber und Siegelbewahrer des assyrischen Königs im Achiqarrom (C 1.1) ein anschauliches Beispiel abgibt. Der Gebrauch des Plurals und verschiedene Attribute, die dem Titel gelegentlich beigegeben werden und den Rang oder das Aufgabenfeld näher definieren, lassen erkennen, daß der Berufsstand hierarchisch organisiert und vielfältig gegliedert war. In Elephantine sind die „Schreiber des Schatzhauses" (B4.4), also Beamte in der königlichen Finanzverwaltung, sowie die „Schreiber der Provinz" (6.1), also dem Statthalter oder dem Satrapen unterstellte Beamte, bezeugt (vgl. die Kolophone in A6.2,28 u.ö.; Herodot III 128). Sie führten die Korrespondenz von König, Satrap oder Provinzstatthalter und übten notarielle Funktion aus. Während sie die Verträge beglaubigten, sorgten königliche Richter ( K T I ) und Präfekten (X'JJO) für die praktische Einhaltung in strittigen Fällen.70 Kurz: Schreiber waren in fast alle Belange der Hof- und Tempelverwaltung einbezogen und nahmen auf den verschiedenen Ebenen des achämenidischen Reiches diplomatische (innenund außenpolitische), notarielle und fiskalische Aufgaben wahr. Darüber hinaus verbindet sich mit dem Berufsstand seit jeher die Pflege von Wissen und Literatur. Die Schreiber waren, je nachdem in welchem Rang und in welcher Sparte sie arbeiteten, mit den verschiedenen Wissensbeständen der priesterli-
66
Vgl. NIEHR 1986, 922-925 (Lit.). VAN DER T o o r n 2000; zum inschriftlichen Befund DNWSI 1995, 798f sowie NlEHR 1986, 924f. 68 A6.1.1.6; 6.2,28; 6.8,4; 6.9,6; 6.10,10; 6.11,6; 6.12,3; 6.13,5; B4.4,12.14; Cl.1,1.12.18. 35.42; 3.8IIIB,37; 3.19,32. 69 TUAT I, 603-608, bes. Z. 7-10. 70 Vgl. die Liste der Beamten in A6.1,5f und zum ganzen Komplex PORTEN 1968, 45-53. 67
6. Statthalter,
Hohepriester
und
Schreiber
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chen, rechtlichen und insbesondere der weisheitlichen Traditionen bestens vertraut. Auch die Bibel kennt den Berufsstand des Schreibers in persischer Zeit. In Esr 4 (V. 8.9.17.23) begegnet der Schreiber Schimschai zusammen mit dem „Befehlshaber" (DUO Rechum und ihren „Kollegen", darunter auch den Richtern, die einen Beschwerdebrief an den persischen König richten, um den Bau der Mauer in Jerusalem zu verhindern. Die Titulatur der Absender entspricht dem aramäischen Kanzleistil in persischer Zeit, wie man ihn auch in den Papyri von Elephantine durchweg findet. Der hier nicht belegte Titel des „Befehlshabers", den man mit dem iranischen Lehnwort framanakara71 zusammengestellt hat, ist auf einer akkadischen Urkunde aus der Perserzeit belegt, auf der ein und dieselbe Person den Doppeltitel LU si-pi-ri EN te-e-mu „Schreiber, Befehlshaber" trägt.72 Der amtliche Anstrich beweist jedoch nicht die Echtheit der Korrespondenz in Esr 4, sondern zeugt lediglich von der Kenntnis gewisser Details, die sich teilweise bis in hellenistische Zeit gehalten haben. Die aramäische Korrespondenz stört nicht nur die Komposition von Esr 1 - 6 , " sondern bedient sich der Kanzleisprache, um ihrem theologischen Anliegen Geltung zu verschaffen, auf der Negativfolie der Anklagen durch die Feinde Judas und Benjamins (Esr 4,1-5) die Rückkehrer aus der Gola als loyale Untertanen und die Übereinstimmung des Willens Gottes, hier der Tempel- und der Mauerbau, mit den Verfügungen der persischen Könige darzustellen (vgl. Esr 5f; Neh 1 ff). Aus der allgemeinen Kenntnis der Verhältnisse im Perserreich erklären sich auch die Erwähnung der Schreiber des Königs in Est 3,12; 8,9 sowie des Schreibers Zadok in Neh 13,13, der zusammen mit einem Priester und einem Leviten die Aufsicht über den Zehnten fuhren soll. Sehr viel komplizierter stellt sich, gerade vor dem Hintergrund des gemeinorientalischen Berufsbildes des Schreibers, die Sache im Falle Esras dar. Schon daß er gleichzeitig Priester (vgl. Esr 7,1-5) und Schreiber (7,12.21 u.ö.) gewesen sein soll, versteht sich nicht von selbst. In Mesopotamien waren nicht nur die Könige und Provinzstatthalter, für die die Schreiber arbeiteten, sondern auch Priester und Richter vielfach des Lesens und Schreibens unkundig.74 Esra macht also schon in dieser Hinsicht eine Ausnahme. Sodann ist der Aufgabenbereich, mit dem er als Priester und Schreiber betraut ist, überaus vielfaltig und ungewöhnlich. Sein aramäischer Titel lautet „der Priester, der Schreiber des Gesetzes des Himmelsgottes". Abgesehen von den Problemen, die allein schon der Ausdruck „Gesetz des Himmelsgottes" aufwirft, gehört, soweit wir aufgrund der external evidence sehen, ein solches 71
A6.2,4.8; C3.8BIII,1.
72
HELTZER 1992.
73
Vgl. KRATZ 2 0 0 0 a , 65f.
74
NIEHR 1986, 923 (mit Verweis auf B. Landsberger).
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„Gesetz" (aram. m ) nicht gerade zu den klassischen Aufgaben eines Schreibers in der achämenidischen Verwaltung, es sei denn es handele sich um die Niederschrift von Verfügungen des Königs nach mündlichem Diktat, den sprichwörtlich gewordenen Gesetzen der Meder und Perser (Dan 6), was hier aber nicht gemeint ist. Vielmehr hält der Priester und Schreiber bereits ein Gesetzbuch in seiner Hand (Esr 7,14), in dem die „Weisheit" seines Gottes geschrieben steht (7,25), und ihr folgend soll er Untersuchungen in Juda und Jerusalem anstellen (7,14) sowie Rechtsgelehrte und Richter bestellen, damit diese allen Juden in der Satrapie Transeuphratene Recht sprechen bzw. sie die Gesetze Gottes tun lehren. Nebenbei erfährt so auch das Amt der Richter, über das wir aus den Elephantine-Papyri recht gut unterrichtet sind, eine neue Aufgabenbeschreibung. Indirekt ist Esra damit auch für den König tätig, da das „Gesetz des Himmelsgottes" (K'DtÖ rfrx H K m , "¡n^K n x m ) dem „Gesetz des Königs" (ND^Q ' T s m ) entspricht, wenn nicht — dem Status nach - damit identisch ist (7,12.25f). Was Esra mit dem Gesetz „in seiner Hand" unternimmt, stimmt nun nur zur Hälfte mit seinem Auftrag überein. Gemäß dem Auftrag macht er sich in Esr 9-10 daran, die Mischehen, die dem Gesetz zuwiderlaufen, im Verein mit Vorstehern, Ältesten und Richtern (10,8.14) „zu untersuchen" (10,16 text. em.) und aufzulösen. Dem geht ein Gebet voraus, das der richterlichen Tätigkeit den theologischen Grund verleiht. Auffallend ist, daß Esra hier ausschließlich mit „der Priester" tituliert wird (10,10.16). Eine ganz andere Handhabung des Gesetzes ergibt sich aus der Übersetzung des aramäischen Titels von 7,12.21 ins Hebräische, die in 7,6.10.11 zu finden ist. Das Gesetz des Himmelsgottes wird hier, wie stillschweigend auch in Esr 9-10, ausdrücklich mit der Tora des Mose, dem Pentateuch, gleichgesetzt. Der Auftrag, Untersuchungen nach dem Gesetz anzustellen und Richter zu berufen, wird dahingehend interpretiert, daß Esra selbst das Gesetz studiert und es zu tun lehrt. Damit ist nicht mehr nur die Regelung der Mischehenfrage in Esr 9-10 im Blick, sondern die gleichsam gottesdienstliche Verlesung der Tora durch Esra und die Leviten in Neh 8, wo Esra abwechselnd die Titel „der Schreiber" (8,1.4.5.9.13) und „der Priester" (8,2.9) trägt. Doch auch das ist noch nicht alles, was in den Aufgabenbereich des Priesters und Schreibers Esra fällt. Der Hauptzweck seiner Reise von Babylon nach Jerusalem besteht nach Esr 7-8 nämlich gar nicht in der Auflösung der Mischehen und der Verlesung des mosaischen Gesetzes, sondern in der Rückführung von Exilierten und Überbringung von Spenden des persischen Königs zur Verherrlichung des Tempels in Jerusalem (7,27f), von dessen Wohlergehen der Bestand des persischen Reiches abhängt (7,23). Die Aufgaben des Schreibers, die eingegangenen Spenden zu quittieren und ihre Abgabe zu überwachen, nehmen hier Priester wahr (8,33f). Die politische Dimension des Auftrags kommt in der Übergabe der Verordnungen des Königs an den Satra-
6. Statthalter, Hohepriester und Schreiber
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pen und die Provinzstatthalter in der Satrapie Transeuphratene zum Ausdruck (8,36). Esra hat demnach nicht nur eine, sondern viele Aufgaben. Mit dem Amt des Schreibers im perserzeitlichen Juda, von dem man sich anhand der indirekten Bezeugung in den Inschriften und den biblischen Quellen eine Vorstellung machen kann, hat keine dieser Aufgaben wirklich etwas zu tun. Zwar erinnert das eine oder andere Detail an das übliche Staatsamt, doch hat sich Esra insgesamt meilenweit davon entfernt. In seiner Person ist aus dem Priester ein Heiliger und aus dem Schreiber ein Schriftgelehrter geworden, der sich ausschließlich um den Tempel (Esr 7-8), die Reinheit seines Volkes (Esr 9-10) und das Hören und Tun des Gesetzes (Neh 8) kümmert. Die Mutation vom Schreiber zum Schriftgelehrten ist nicht leicht zu erklären. Der erste, der sie erkannt hat, war Hans Heinrich Schaeder. Er schlug vor, den aramäischen Titel „Schreiber des Gottes des Himmels" als persische Amtsbezeichnung und den historischen Esra als Sekretär in Angelegenheiten der jüdischen Religion am persischen Hof zu betrachten, von dem aber praktisch nichts mehr übrig geblieben sei, da der Chronist aus ihm einen jüdischen Schriftgelehrten gemacht habe.75 Umgekehrt hat Klaus Koch gerade in der Sorge um Gola und Tempel, die Reinheit Israels und die Tora die ursprüngliche Aufgabe Esras entdeckt und versucht, das Heiligenbild historisch plausibel zu machen.76 Ich finde beides wenig überzeugend und halte daran fest, daß sich die Überlieferung konzeptionell an den Verhältnissen und der Verwaltungspraxis des Achämenidenreiches 77 orientiert, aber darum nicht ohne weiteres historische Realität besitzt, sondern zuallererst ein theologisches Ideal propagiert.78 Was an Esra historisch ist und was nicht, läßt sich weder durch die historische Analogie noch durch historische Phantasie klären, sondern einzig und allein durch die kritische Analyse der literarischen Quellen. Sie aber führt zu dem Ergebnis, daß sich schon die ältesten Partien der Esra75 SCHAEDER 1930, 39-59. Ähnlich SCHAMS 1998, 46-60, bes. 54f, die freilich auch schon den Himmelsgott im Titel unter der jüdischen Tradition verbucht. Schaeder ist denen, die die Historizität Esras bezweifeln (LEBRAM 1987, GRABBE 1991; 1994) näher, als man auf den ersten Blick meint, doch berufen sich auch diejenigen auf ihn, die Esr-Neh mehr oder weniger historisch-kritisch paraphrasieren. 76
KOCH 1996, 2 0 6 - 3 0 7 . Sehr viel zurückhaltender z.B. HOGLUND 1992, 2 2 6 - 2 4 0 , der sei-
ne Rekonstruktion auf die Mischehenfrage und ihre Bedeutung für die persische Reichspolitik beschränkt. 77 Im Blick auf Esr 7,1-26 vgl. bes. FREI 1996. Das von Frei nachgewiesene verfassungsrechtliche Instrument der „Reichsautorisation" behält ausweislich der von ihm zusammengetragenen historischen wie literarisch-fiktiven Quellen (die als solche auch von historischem Wert sind) ihr Recht, gleichgültig, ob es sich, wie von Frei angenommen, um ein allgemeines und überall praktiziertes Verfassungsprinzip oder um sporadische Einzelentscheidungen handelt. 78 Vgl. KRATZ 1991b, 233-255, bes. 232f.255; weiterführend zur Figur und Überlieferung Esras KRATZ 2008b.
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Überlieferung, auch der Artaxerxes-Ferman in Esr 7, der produktiven Fortschreibung im Rahmen der Komposition des Buches Esr-Neh verdanken.79 In der jüdischen (und frühchristlichen) Tradition gilt Esra, der Priester und Schreiber, als der Schriftgelehrte und Gesetzeslehrer K C I T ' etioxAv- Dazu hat ihn die Esraüberlieferung gemacht, die nach der faktischen Durchsetzung der Tora des Mose, unseres Pentateuchs, die passende Legende dazu schuf, ähnlich wie der Aristeasbrief für die Übersetzung der Tora ins Griechische. So wie die Legende des Aristeasbriefes mit den allgemeinen Kenntnissen der hellenistischen Zeitumstände im Hintergrund verfaßt wurde und diese, schon um glaubwürdig zu sein, in die Darstellung einfließen läßt, so beruht auch die Esralegende auf dem Wissen, das man zur Zeit ihrer Abfassung von der persischen Epoche hatte, und sie setzt dieses Wissen nicht nur um des historischen Anstrichs willen, sondern aus geschichtstheologischer Überzeugung ein: Das „Gesetz des Himmelsgottes" (X'OtÖ s m ) , das zumindest im vorliegenden Kontext von Esr-Neh gar nichts anderes sein kann, als die Tora des Mose nach deuteronomistischem (Esr 7,6; vgl. auch V. 11) bzw. die Tora Jhwhs nach chronistischem Sprachgebrauch (Esr 7,10),80 soll auf Anordnung des persischen Königs zur rechtlichen und kultischen Verfassung der Provinz Juda erhoben und - wie das monotheistische Bekenntnis und die jüdische Gesetzesreligion in Dan 6 (V. 6) - unter Androhung der Todesstrafe dem „Gesetz des Königs" (iO'PO "1 NPH) rechtlich gleichgestellt worden sein. Das theologische Ideal der Esraüberlieferung entspricht damit einer im weitesten Sinne chronistischen oder auch theokratischen Geschichtstheologie, die sich in der Epoche des Zweiten Tempels in persisch-hellenistischer Zeit gebildet und in der aramäischen Tempelbauchronik Esr 5-6, der redaktionellen Bearbeitung der Propheten Hag und Sach 1-8, den Erzählungen Dan 1-6, den Büchern Chr, Esr-Neh und Est sowie - ohne die geschichtlich-politische Dimension - in Ps 145 ihre herausragenden Vertreter hat.81 Diese Theologie knüpft in vielem an die ältere deuteronomistische Geschichtstheologie in der Tora und den vorderen Propheten (Gen-Dtn; Jos-2 Kön) an, hebt sich aber in charakteristischer Weise begrifflich und sachlich von ihr ab, wobei der späte Deuteronomismus, für den sich die Kürzel DtrP(rophetisch), DtrN(omistisch), DtrB(undestheologisch) oder DtrS(upplement/Sekundär) eingebürgert haben, sich seinerseits mehr und mehr auf die theokratische Theologie zubewegt oder - wie z.B. in den klar deuteronomistisch geprägten Bußgebeten Esr 9, Neh 1, Neh 9 und Dan 9 - auch nachträglich noch literarisch auf sie eingewirkt hat.82 Aufgrund dieser Annäherung hat man Esra zu einem nomistischen Deuteronomisten, einem direkten Nachfahren von DtrN, und somit zum wie79 80 81
82
KRATZ 2000a, 74-90; zur weiteren Diskussion GRÄTZ 2004; Pakkala 2004. Zum Unterschied vgl. KRATZ 1991b, 229 mit Anm. 337f. K R A T Z 1991b; s.u. das Kapitel „Theokratie und Eschatologie". Näheres dazu in „Reich Gottes und Gesetz" (in diesem Band Nr. 9).
6. Statthalter,
Hohepriester
und
Schreiber
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derholten Male den Deuteronomismus zur Wiege des Judentums erklärt, und zwar sowohl auf der literarisch-konzeptionellen Ebene wie als historisches Faktum.83 Von einer höheren Warte aus gesehen, ist dies nicht ganz falsch, da sich die biblische und nachbiblische jüdische Überlieferung, auch in den diversen Esraschrifiten (etwa im 3. und 4. Esra), selbst immer und immer wieder um eine Harmonisierung der verschiedenen Positionen bemüht hat. Doch der Nachweis für den historischen Esra läßt sich aus dieser höheren Warte schwerlich erbringen und verkennt die vielen anderen, recht undeuteronomistischen theologischen Züge der vielschichtigen biblischen Esraüberlieferung. Umso dringlicher stellt sich die historische Frage, welche Realität die Esraüberlieferung spiegelt. Lebt sie von der Erinnerung an eine herausragende Figur im perserzeitlichen Juda, an den historischen Esra? Ist das jüdische Gesetz, die Tora des Mose, mit oder ohne Esra, tatsächlich einmal per Dekret der persischen Regierung als Verfassung für Juda eingeführt und sogleich in der Mischehenfrage exekutiert worden? Gab es unterschiedliche Tendenzen unter Priestern und Leviten, ob der Tempelkult oder die gleichsam schon synagogale Lesung und Erklärung (Übersetzung) der Tora die Hauptsache sei? Welche Rolle spielte die babylonische Gola, die einen breiten Raum in der Überlieferung einnimmt? Wer waren die Verfasser der Esraüberlieferung, die ihm - anstelle des für seine Zeit nicht erwähnten Hohepriesters - die Ehrenstellung eines Priesters aus hohepriesterlichem Stamm und Schreibers des Himmelsgottes einräumten? Soweit sich die Fragen auf den Inhalt der Überlieferung und ihren historischen Wahrheitsgehalt beziehen, lassen sie sich, da andere Quellen und für den Vorgang als ganzen auch historische Analogien fehlen, nur mit dem Inhalt der Überlieferung, d.h. zirkulär und mithin gar nicht beantworten. Als Alternative bietet sich an, nach einer möglichen historischen Konstellation zu fragen, in der sich die Entstehung der Überlieferung als Reflex auf die Geschichte verstehen und historisch plausibel machen läßt. Auch dieses Vorgehen bedient sich der historischen Phantasie und fuhrt zu keinem Beweis. Es hat aber den Vorteil, daß man sich dabei auf historische Quellen stützen kann und nicht einfach nur die biblische Überlieferung mehr oder weniger kritisch paraphrasiert. So kann man vermuten, daß hinter der Esraüberlieferung Kreise stehen, die selbst aus der Zunft der Priester und Schreiber stammen und - mit oder ohne 83
VEIJOLA 2 0 0 0 , 2 2 2 - 2 3 6 . E t w a s g e w a l t s a m w i r d d i e s e T h e s e v o n P a k k a l a 2 0 0 4 , e i n e m
Schüler Veijolas, am Text ausgewiesen: Esra kommt von Babylon nach Jerusalem (Esr 7,1.6.8), um dort als „Schreiber" aus der Schule von DtrN oder DtrB, keinesfalls als „Priester", sofort zur Verlesung der Tora zu schreiten (Neh 8,1-3.9-12) und anschließend (sie!) nach den deuteronomisch-deuteronomistischen Gesetzen die Mischehen zu scheiden (Esr 9,1; 10,1-4.10.14.16-17); die Sorge um den Tempel und alles weitere ist sekundär. Abgesehen von der gezwungenen Textrekonstruktion enthält die Arbeit eine Fülle interessanter und wichtiger Beobachtungen zur literarischen Genese der Esraüberlieferung.
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realen Anhalt - Esra zu ihrer Leitfigur erhoben haben. Auf ihn projizieren sie diejenige Entwicklung, die sie offenbar selbst durchgemacht haben - die Wandlung vom Schreiber zum Schriftgelehrten. Das bedeutet, daß es sich um dieselben Kreise handelt, die ihren angestammten Beruf als Priester, Rechtsgelehrte, Weisheitslehrer und eben Schreiber (wenigstens innerlich) verlassen und sich ganz dem Studium der heiligen Schriften, der Tora und, wie die literarischen Bezugnahmen in der Esraüberlieferung und darüber hinaus in EsrNeh und Chr zeigen, auch den Propheten und Psalmen, zugewandt haben. Es sind die Frommen und Schriftgelehrten, deren Ideal Sir 38,34-39,11 preist. Mit der in Esr-Neh eingeschriebenen Esraüberlieferung ergänzten sie die beiden Epochen des Tempelbaus (Esr 1-6) sowie der äußeren und inneren Konsolidierung der Provinz Juda (Neh 1-13) um eine weitere Epoche, in der die theologische Mitte von Tempel und Provinz etabliert wird, die Tora des Mose, die das Volk Israel als Volk Jhwhs konstituiert und in allen Lebensbereichen Geltung haben soll. Mit dieser Fortschreibung der heiligen Geschichte trugen die Verfasser der Esraerzählung vermutlich der Tatsache Rechnung, daß sich die theologische Leitüberlieferung, an die sie sich schon länger hielten und an deren Entstehung, Tradierung und Auslegung sie selbst beteiligt waren, in Juda allmählich durchzusetzen begann oder in Form der, auch von den (Proto-)Samaritanern anerkannten, Tora faktisch vielleicht schon durchgesetzt hatte. Vermutlich hatte die Tora bereits erste Wirkungen in der Gestaltung des öffentlichen und individuellen Lebens gezeitigt und die jüdische Religionsgeschichte in die Bahnen gelenkt, in denen sie sich nachweislich seit der hellenistischen Zeit bewegt. Esra, der Priester und Schreiber, steht somit in der Tat für eine wichtige Etappe auf dem Weg zur Entstehung des Judentums, allerdings nicht so, daß er sie persönlich eingeleitet und in Szene gesetzt hätte, sondern so, daß die Überlieferung an einer Person festmachte und ihr zuschrieb, was sich in einem längeren, historisch hochkomplexen Prozeß herauszubilden im Begriff war. Einmal in die Literatur gelangt, wirkte auch Esra, der Priester und Schreiber, auf diesen Prozeß ein und nahm historische Gestalt an, nämlich in Form des Judentums, das sich für seine geistigen Grundlagen und institutionellen Gründungen auf ihn und die ebenfalls aus der biblischen Überlieferung abgeleitete „Große Versammlung" beruft.
IV. Resultat Das Ergebnis unseres Durchgangs durch das epigraphische Material und des Vergleichs mit der biblischen Überlieferung läßt sich folgendermaßen zusammenfassen.
6. Statthalter,
Hohepriester
und
Schreiber
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Historisch gesichert ist die Erkenntnis, daß Juda und Samaria von Anfang an zwei eigenständige Provinzen im persischen Reich waren, die einheimischen Statthaltern unterstellt wurden. Neben dem Amt des Statthalters sind auch die Ämter des Hohepriesters und des Schreibers als solche für die persische Epoche bezeugt. Die Korrelierung des epigraphischen Befunds mit den Angaben der biblischen Überlieferung gelingt nur teilweise. Als chronologischer Fixpunkt, der weitaus zuverlässiger ist als die üblicherweise zugrundegelegte Datierung Nehemias, erweist sich die historische Konstellation, die in den Elephantine-Papyri für die Zeit um 400 v.Chr. dokumentiert ist. Dieser Fixpunkt erlaubt eine ungefähre Einordnung des epigraphischen Materials sowie der Liste der Hohepriester in Neh 12. Darüberhinaus ergeben sich einige - allerdings sehr vage - Überschneidungen mit einzelnen Angaben der Nehemiaüberlieferung, insbesondere mit der Erwähnung Sanballats. In höchstem Maße unsicher erscheint hingegen die historische Rolle der in der biblischen Überlieferung erwähnten Amtsinhaber: Scheschbazzar, Serubbabel, Joschua/Jeschua, Nehemia und besonders Esra. Im verfugbaren epigraphischen Material, das eine Vielzahl von Namen bietet, kommen sie nicht vor. In den literarischen Quellen sind sie und ihre Amtsbezeichnungen nicht sonderlich fest verankert. Scheschbazzar, Serubbabel und Jeschua/Joschua begegnen ausschließlich in redaktionellen Stücken, so daß weder ihre Titel noch die ihnen zugeschriebenen Aufgaben sicher sind. Mit Nehemia ist der Mauerbau originär in der Überlieferung verbunden; alles weitere, nicht zuletzt der ihm beigelegte Titel des Statthalters, findet sich in jüngeren Partien und ist daher ebenfalls nicht über jeden Zweifel erhaben. Am unsichersten stellt sich der Sachverhalt bei Esra, dem Priester und Schreiber, dar. Hier scheint die Überlieferung fast vollständig auf das Konto der Tradition zu gehen, ohne daß es gelänge, einen mutmaßlichen historischen Kern zu eruieren. Für die historische Rekonstruktion bleiben somit die Namen, im Falle von Esr 5-6 das Faktum des Tempelbaus unter Dareios (I.) und für Nehemia der Mauerbau unter Artaxerxes (I.) Ansonsten aber wäre der Überlieferung in den Büchern Esra und Nehemia Gewalt angetan, wollte man sie als historische Zeugen für die Geschichte Judas in der Perserzeit lesen. Vor dem Hintergrund des epigraphischen Materials und des historischen Bildes, das sich aus ihm ergibt, erweist sich die Überlieferung vielmehr als historischer Zeuge für das werdende Judentum. Mit drei historischen Etappen - dem Bau des Tempels durch die Rückkehrer aus der Gola unter Scheschbazzar, Serubbabel und Joschua (Jeschua), der Etablierung und Verbreitung der Tora des Mose durch Esra und der toragemäßen Konsolidierung der Provinz Juda unter Nehemia legt es sich die Geschichte der persischen Provinz Juda so zurecht, daß aus ihr die Gründungsgeschichte des Judentums wird.
Die Tradition
Einfuhrung Unter den Bedingungen der Fremdherrschaft und der jüdischen Geschichte hat sich die literarische Tradition gebildet, das Fundament des Judentums im Zeitalter des Zweiten Tempels. Die Wurzeln dieser Tradition reichen bis in die vorexilische Zeit des alten Israel zurück, doch hat sie erst im nachstaatlichen Juda ihre letzte, verbindliche Gestalt erhalten. Das Alte Testament, das diese Tradition bewahrt hat, ist das Dokument des Judentums, nicht des alten Israel oder der persischen Provinz Juda. Zur literarischen Tradition des Judentums zählen aber nicht nur die Schriften des Alten Testaments, des nachmaligen Kanons. Seit der hellenistischen Zeit hat sich der Strom der Tradition sehr verbreitert und umfaßt die gesamte Literatur, die man in modernen Ausgaben unter der Bezeichnung „Apokryphen und Pseudepigraphen" findet, die nichtbiblischen Schriften von Qumran und vieles andere mehr. Auch wenn es den Kanon noch nicht gab, nahmen die jüdischen Schriften der hellenistisch-römischen Zeit bei den biblischen Büchern ihren Ausgang. Die frühesten Teile des biblischen Kanons, die Tora, die Propheten und die Psalmen Davids, haben sich im biblischen Judentum rasch durchgesetzt und autoritatives Ansehen gewonnen, so daß sich die literarische Tradition seit dem 3. Jh. v.Chr. mehr oder weniger direkt auf sie bezieht. Autorität hatten die biblischen Schriften allerdings auch schon vorher während der Phase ihrer Entstehung. Sie wären kaum überliefert, permanent bearbeitet und fortgeschrieben worden, wären sie nicht als autoritativ angesehen worden. Inwieweit sie über den Kreis der Überlieferer hinaus bekannt waren und Geltung hatten, entzieht sich unserer Kenntnis. Literarisch bewegt sich die Überlieferung in einem verhältnismäßig kleinen Radius. Die biblischen Schriften sind ausgesprochen selbstreferentiell, indem sie sich selbst oder gegenseitig zitieren und auslegen. Erst in hellenistischer Zeit steigt die Produktion der jüdischen Literatur sprunghaft an und bezieht sich zuallererst auf die Tora des Mose, den Pentateuch, bald auch auf die Propheten und die Psalmen Davids und anderes mehr. Die Grenzen zwischen den biblischen und nichtbiblischen Schriften ist vor allem im dritten Kanonteil, Ketubim, fließend, so daß die hier aufgenommenen Bücher, wie die Chronik, Esra-Nehemia oder das erst Mitte des 2. Jh.s v.Chr. abgeschlossene Buch Daniel, gewissermaßen ein Stück außerbiblischer Literatur im biblischen Kanon repräsentieren. Die Geschichte der biblischen Literatur ist die Geschichte der jüdischen Tradition. Sie hat die Geschichte Israels und Judas und die israelitisch-judäische Religion in vorexilischer wie in nachstaatlicher Zeit zur Voraussetzung,
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Die Tradition
ist damit aber nicht identisch. Vielmehr gibt die Tradition eine Deutung der zeit- und religionsgeschichtlichen Verhältnisse im Licht der theologischen Vorgaben der literarischen Überlieferung und trägt damit zur Überhöhung oder auch Überwindung der realen Gegebenheiten bei. Umgekehrt erfahrt die literarische Überlieferung eine Auslegung im Licht der wechselnden historischen Verhältnisse, was zur Anpassung der Überlieferung an die Realitäten beiträgt. Auf diese Weise stellt die jüdische Traditionsliteratur einen nie enden wollenden, höchst dynamischen Auslegungsprozeß dar, der mit der Abfassung und Fortschreibung der biblischen Schriften beginnt und sich in den Abschriften, Übersetzungen, Kommentaren, Nachschriften, Neufassungen und Nachahmungen fortsetzt. Der Auslegungsprozeß, der sich nach vielen theologischen Richtungen hin verzweigt hat, beruht auf der festen Überzeugung, daß nur in der biblischen Tradition Gott und sein Wort zu finden seien und daß nur das Wort Gottes in der Tradition das Schicksal „Israels" bestimme und erschließe. Tradition heißt hier aber nicht etwa nur die Bewahrung des Alten oder das Klammern am Bewährten, sondern bedeutet im Gegenteil, daß sich diejenigen, die sich in der Tradition bewegen, diese und damit sich selbst ständig neu erfinden, auch wenn das Neue im Gewand des Alten und Bewährten auftritt. Insofern ist der Auslegungsprozeß zugleich ein Vorgang der Selbstvergewisserung und zeugt von dem Selbstverständnis derer, die sich „Israel" nennen und ihn betreiben. In ihm meldet sich das biblische Judentum zu Wort, das seine Existenz nicht auf die Geschichte Israels und Judas, sondern auf die Geschichte Gottes mit seinem Volk „Israel" baut. Die Geschichte der biblischen Tradition ist die Geschichte des Judentums. Ein beliebtes Ratespiel und Argument gegen ungeliebte Hypothesen ist die Frage, wer die Kreise waren, die für Entstehung, Überlieferung und Fortschreibung der biblischen Schriften zuständig waren. Wir wissen es nicht. Aus diesem Grund hat es sich eingebürgert, der Tradition zu folgen und wo immer es geht, die von ihr gemachten Angaben über Verfasser und Herkunft für historisch zu halten. Warum aber etwa die Propheten die Verfasser ihrer Bücher gewesen sein sollen, Mose, David und Salomo hingegen nicht, und warum ausgerechnet Esra und Nehemia und nicht etwa Tobit, Judit und Ester die Autoren ihrer (Auto-)Biographien oder Daniel und Henoch die ihrer Visionen gewesen sein sollen, ist alles andere als einsichtig. Das einzige historische Beispiel für die Überlieferung und Produktion der Traditionsliteratur ist die Schreibstube von Qumran. Hält man sich im Vergleich dazu die literarische Überlieferung vor Augen, die sich unter den Papyri von Elephantine gefunden hat, wird der Unterschied schlagartig klar: Hier die aramäische Version der Behistun-Inschrift Dareios' I. und der Achiqar-Roman neben Verwaltungsdokumenten, Verträgen und Briefen, dort die biblische und parabiblische jüdische Tradition. Hier die Arbeit gelernter Schreiber, dort das Werk
Einführung
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jüdischer Schriftgelehrter, die aus der Schreiberschule und anderen Berufszweigen hervorgegangen sind, aber ihren Beruf zum Gottesdienst und das Studium der heiligen Schriften zu ihrem Lebensinhalt gemacht haben. Ob man die Verhältnisse hochrechnen und auch für die Zeit vor Qumran annehmen darf, ist schwer zu sagen. Immerhin zeigt das Beispiel, daß die Abfassung und Überlieferung der Traditionsliteratur, auch und gerade der biblischen Schriften, nicht unbedingt jedermanns Sache war, sondern in geschlossenen Zirkeln vor sich ging. Hier fanden sich Minoritäten unterschiedlicher Provenienz zusammen, die eines verband: das Studium der heiligen Schriften, allen voran der Tora, und die konkrete Gestaltung des Lebens nach eben diesen Schriften, so, wie es Ps 1,2 oder Sir 38,34—39,11 beschreiben. Es sind Menschen, die sich ganz und gar Gott und seinem in der Tora niedergelegten Willen hingaben und die jüdische Tradition mit formten, lehrten und lebten. Es bedurfte einer gewissen Zeit und des Drucks von außen, daß sich die jüdische Tradition und der daraus abgeleitete Lebensstil der schriftgelehrten „Frommen" allgemein durchsetzten und zur Norm jüdischen Lebens wurden. Soweit wir sehen, ist dies im Laufe der hellenistischen Epoche geschehen und hat das Judentum über die Krise der Tempelzerstörung 70 n.Chr. gerettet, mit der die biblische in die rabbinische Tradition überging. Die beiden folgenden Beiträge sind dem Phänomen der Tradition gewidmet. Anhand einschlägiger Beispiele werden die Formen und literarischen Techniken sowie die Hermeneutik sowohl der Auslegung der fertigen biblischen Bücher als auch der innerbiblischen Textauslegung im Verlauf der Textentstehung untersucht. Die im zweiten Beitrag (Nr. 8) vorausgesetzten literargeschichtlichen Verhältnisse in der erzählenden Literatur des Alten Testaments sehe ich mittlerweile etwas differenzierter (KRATZ 2000a); die Ausfuhrungen zum Verhältnis der beiden großen Traditionswerke in Genesis bis Könige („DtrG") und Chronik, Esra und Nehemia („ChrG") behalten jedoch ihre Gültigkeit. Auf dem Prüfstein steht nichts Geringeres als das Verständnis des Alten Testaments. Ist es, wie hier vorgeschlagen, als jüdische Traditionsliteratur und ist seine Geschichte als die Geschichte der jüdischen Tradition zu verstehen, so ist das Alte Testament keine historische Quelle, sondern eine Quelle des Glaubens, so, wie auch das Judentum im Zeitalter des Zweiten Tempels nicht das Israel der Geschichte, sondern das Israel des Glaubens repräsentiert und als solches Geschichte gemacht hat. Weitere Beiträge des Autors zu diesem Kapitel: 2007a; 2009a; 2009d; 2010; 2011c; 201 ld; 2013; im Druck: „Das Alte Testament und die Texte vom Toten Meer" (ZAW 2013); „Biblical Scholarship and Qumran Studies" (G. J. Brooke / C. Hempel, Companion to the Dead Sea Scrolls, T & T Clark); „Text und Kommentar: Die Pescharim von Qumran im Kontext der hellenistischen Schultradition" (P. Gemeinhardt / S. Günther, Von Rom nach Bagdad, Tübingen 2013); „Rewriting Torah in the Hebrew Bible and in the Dead Sea Scrolls" (B. U. Schipper / D. A. Teeter, The Reception of 'Torah' in the Wisdom Literature of the Second Temple Period, JSJ.S, Leiden 2013).
7. Innerbiblische Exegese und Redaktionsgeschichte im Lichte empirischer Evidenz I. Schrift und Tradition Luthers Grundsatz, dass die Heilige Schrift ihr eigener Interpret sei,1 richtete sich, gepaart mit dem reformatorischen Schriftprinzip, gegen die kirchliche Tradition, auch und vor allem die Auslegungstradition der vorreformatorischen Kirche. Im Geiste des Reformators definierte der Kirchenhistoriker und spätere systematische Theologe Gerhard Ebeling in seiner Tübinger Antrittsvorlesung von 1946 (erschienen 1947) die „Kirchengeschichte als Geschichte der Auslegung der Heiligen Schrift" und stellte dem Fach die Aufgabe, alles das kritisch zu destruieren, „was sich im Laufe der Geschichte zwischen uns und Christus gestellt hat, ohne auf ihn hinweisende Auslegung der Heiligen Schrift zu sein", und „ferner dem Aufweis des unendlichen Reichtums des Wortes Gottes in seiner Auslegung in die Welt hinein bei seinem Gang durch die Geschichte" zu dienen.2 Das Spannungsverhältnis von Schrift und Tradition ist hier vom christlichen, genauer: christologischen Standpunkt aus bestimmt. Es läßt sich mutatis mutandis leicht auf das Judentum übertragen, in dem das Problem, wie die Schrift selbst, seine Wurzeln hat. Zwischen dem hebräischen Kanon und der jüdischen Tradition, auch und vor allem der rabbinischen Auslegungstradition, besteht ein Unterschied. Wie die Kirchengeschichte ließe sich auch die Geschichte des Judentums nach 70 n.Chr. auf weite Strecken als eine Geschichte der Auslegung der Heiligen Schrift schreiben. Nun weiß man, nach dem sensationellen Fund der Handschriften vom Toten Meer heute mehr denn je, daß die Kluft zwischen Schrift und Tradition, historisch betrachtet, gar nicht so groß ist, wie es auf den ersten Blick scheint. Martin Hengel hat in einer breit angelegten Studie die Zeit des Zweiten Tempels als eine Epoche der „Schriftauslegung" und „Schriftwerdung" beschrieben.3 Im Detail hat Michael Fishbane den Vorgang der „innerbiblischen Exegese" als das Bindeglied erkannt, das zwischen dem hebräischen Kanon und
1 WA 7, 97, 23f: ut sit ipsa per sese certissima, facillima, apertissima, sui ipsius interpres, omnium omnia probans, iudicans et illuminans; vgl. 99, 1. 2 EBELING 1947, 27; vgl. DERS. 1942. 3
HENGEL 1994.
7. Innerbiblische Exegese und Redaktionsgeschichte
127
der jüdischen Auslegungstradition vermittelt.4 Beide kommen zum selben Schluß: Die Auslegung der Schrift setzt nicht nur schon sehr bald nach Abschluß der biblischen Schriften und Schriftensammlungen ein, sondern beginnt in der Schrift selbst, in und mit dem Werden des Kanons nach Hengel, in und mit den biblischen Schriften nach Fishbane. Die Grenzen zwischen Schrift und Tradition sind also fließend, auch wenn Hengel und Fishbane zwischen beidem unterscheiden. Auf dieselbe Spur fuhrt von der anderen Seite, nicht vom Ende, sondern vom Anfang der biblischen Überlieferung her, Gerhard von Rad. Sein Begriff von der Überlieferungsgeschichte als „einer sich in der Geschichte immer neu betätigenden Reflexion Israels über sich selbst"5 impliziert einen permanenten Prozeß der Selbstauslegung Israels und seiner Überlieferung, den man nur aus der Mündlichkeit in die Schriftlichkeit, methodisch ausgedrückt: aus der (vorliterarischen) Überlieferungs- oder Traditionsgeschichte in die Redaktionsgeschichte, übersetzen muß, um ihn am Text der biblischen Schriften nachvollziehen zu können. Das bedeutet: Innerbiblische Exegese ist nicht ohne redaktionskritische Analyse zu haben. Schrift und Tradition sind keine fixen Größen, sondern bezeichnen die Relation von Vorlage und Rezension, Text und Auslegung, methodisch ausgedrückt: von Tradition und Redaktion, im Prozeß der Textentstehung und -Überlieferung. Die Schrift selbst ist Tradition, und zwar in dem doppelten Sinne, daß in ihr Tradiertes (traditum) tradiert wird und das Tradieren (traditio) zum Tradierten geworden ist. Beides vollzog sich zunächst, während ihrer Entstehung, innerhalb der später kanonisch gewordenen biblischen und parabiblischen Schriften und nach Abschluß des hebräischen Kanons im Zusammenspiel von Schrift und Tradition.6 Mir ist klar, dass man damit ein heikles Thema berührt. Die Möglichkeiten zur literar- und redaktionsgeschichtlichen Rekonstruktion biblischer Texte werden heute von vielen sehr skeptisch beurteilt, und spannt man innerbiblische Exegese und Redaktionsgeschichte zusammen, läuft man Gefahr, für beides nur ein müdes Lächeln oder harsche Kritik zu ernten. Ich möchte dieser Gefahr so begegnen, daß ich für beides die empirische Evidenz (oder external evidence) ins Spiel bringe. So werde ich im Folgenden einige unstrittige Beispiele der Textauslegung aus der exegetischen Tradition mit Phänomenen der 4
FISHBANE 1 9 8 5 , 1 8 f u . ö . V g l . s c h o n DERS. 1 9 7 7 b ; DERS. 1980. K r i t i s c h HARRIS 1 9 9 6 .
1987, 132. So neuerdings auch FISHBANE 1998, hier 18 über die Unterscheidung von traditum und traditio in der Biblical Interpretation von 1985: „That conviction has only increased over the years, and I would now stress that the Bible is only tradition, in form and content, and that a proper analysis of its materials must take note of its composite character. ... As we now have them, we have tradition producing tradition through the mediation of a silent redaction. This silent hand of culture-formation and its anthological product is of the essence of biblical and 5
VON RAD
6
p o s t b i b l i c a l t r a d i t i o n . " F ü r d i e p r o p h e t i s c h e L i t e r a t u r v g l . STECK 1 9 9 6 , DERS. 2 0 0 1 ; KRATZ 201
ld.
128
Die Tradition
innerbiblischen Exegese vergleichen, die zugleich Indizien für die Textentstehung und das Textwachstum der biblischen Schriften sind. Das Material, Beispiele aus der jüdischen und christlichen Auslegungstradition, ist sehr umfangreich. 7 Es soll nicht ein weiteres Mal ausgebreitet, sondern unter der speziellen Fragestellung herangezogen werden, was es für das Verhältnis von innerbiblischer Exegese und Redaktionsgeschichte austrägt. Als ergiebigste Quelle erweisen sich die Texte vom Toten Meer. Sie setzen nicht unbedingt den fertigen Kanon, aber den Abschluß der in den späteren Kanon eingegangenen Schriften voraus. Die Unterscheidung von inner- und außerbiblischer Exegese, genauer: von internal und external evidence, bezieht sich daher nicht auf das Schriftenkorpus der Bibel als Ganzes, sondern vornehmlich auf die Auslegung innerhalb und außerhalb, vor wie nach Abschluß der einzelnen biblischen Bücher. In der klassischen Studie zum Thema, Fishbane's Biblical Interpretation in Ancient Israel von 1985, sind die vielfältigen Phänomene der innerbiblischen Exegese teilweise nach äußeren, teilweise nach inneren Kriterien geordnet. Der erste Teil ist mit Scribal Comments and Corrections überschrieben und behandelt die Einträge zur Sicherung des Textverständnisses im Zuge der Textüberlieferung, die folgenden Teile gehen Beispiele in der gesetzlichen {Legal Exegesis), erzählenden (Aggadic Exegesis) und - im weitesten Sinne prophetischen Literatur (Mantological Exegesis) durch. Ich halte mich an äußere Kriterien, Textsorten und Arten der Textüberlieferung, und berücksichtige nur solche Phänomene, die auch empirisch nachweisbar sind. Nacheinander werden behandelt: der Kommentar, Zitat und Nachschrift, Textüberlieferung und Übersetzung und schließlich, der strittigste Punkt, die Redaktion.
II. Der Kommentar (Pescher) Neben der Homilie sind Kommentare über die biblischen Bücher bis heute die gängigste Form der Schriftauslegung und lassen die hermeneutischen Grundsätze am deutlichsten erkennen. Die Gattung wurde, soweit wir sehen, erstmals in Qumran systematisch ausgebildet, wenn auch hier nicht erfunden. Auch der Kommentar hat altorientalische Vorbilder.8 Im Rahmen der vielfaltigen exegetischen Literatur von Qumran nehmen die Kommentare über die Prophetenbücher (einschließlich des Psalters), die Pescharim, eine herausragende Stellung ein.9 Die in anderen Werken sporadisch praktizierte, durch Zitations- und Interpretationsformeln markierte Auslegung von Schriftzitaten ist 7
MULDER ( H g . ) 1 9 8 8 ; BREWER 1 9 9 2 ; HENGEL/LÖHR ( H g . ) 1 9 9 4 ; S / E B 0 ( H g . ) 1 9 9 6 .
8
Vgl. RA 6 1983, 188-191.
9
V g l . FISHBANE 1 9 8 8 ; MAIER 1 9 9 6 ; a u ß e r d e m HORGAN 1 9 7 9 ; BROOKE 1 9 8 5 ; FELTES
1 9 8 6 ; STEUDEL 1 9 9 4 , b e s . 1 7 0 - 1 9 2 ; f e r n e r KRATZ 2 0 1 l d , 9 9 - 1 4 5 .
7. Innerbiblische
Exegese und
Redaktionsgeschichte
129
hier das herrschende Prinzip. Kennzeichnend ist die strikte Trennung von Text und Deutung durch die - der mesopotamischen Mantik entlehnte 10 - Formel pSrw „seine Deutung" o.ä., die der Gattung ihren Namen gegeben hat. Unterschiede im Formel- und Schriftgebrauch" erlauben eine gewisse Klassifizierung und relative Datierung, historische Anspielungen und die Paläographie die absolute Datierung der Pescharim, die, soweit erhalten, alle im 1. Jh. und mehrheitlich nach 70 v.Chr. entstanden sind. Gegenstand der Schriftauslegung in den Pescharim sind ausgewählte Zitate aus einzelnen Prophetenbüchern, die nicht selten mit anderen Schriftzitaten kombiniert und so interpretiert werden; je länger desto mehr gehen die Pescharim zu ganzen Büchern über, die Vers für Vers kommentiert werden. Inwieweit dabei das Buch als Ganzes oder nur die Einzelheiten wahrgenommen wurden, läßt sich aufgrund des schlechten Erhaltungszustandes schwer beurteilen. Ein gewisser Hang zur Atomisierung ist nicht zu verkennen, doch zeigt die Tendenz zur lectio continua, daß den Auslegern die Sinneinheit des Buchzusammenhangs nicht völlig gleichgültig gewesen sein kann. Die exegetischen Techniken sind vielfältig und der späteren rabbinischen Schriftexegese nicht unähnlich, finden sich aber auch schon früher im vorderorientalischen Raum und im Alten Testament. 12 Die Kombinationen, die auf direktem Wege oder auf Umwegen vom Text zur Deutung führen, kann man sich gar nicht kompliziert genug vorstellen. Was den Aufwand nötig macht, ist das hermeneutische Grundproblem, das sich jedem stellt, der den überlieferten Text auf die eigene Gegenwart bezieht. Im Falle der prophetischen Weissagungen steht dabei die Frage im Vordergrund, auf wen sie gehen und wann sie eintreten. Die Frage stellte sich der Qumrangemeinde um so dringlicher, weil sie in dem Bewußtsein lebte, der Endzeit, von der die Propheten künden, ganz nahe zu sein. Auch die Berechnungen des Endes sind auf prophetische Weissagungen gestützt. 13 So deutete man die 390 Jahre des Zorns aus Ez 4,5 auf die Zeit von der Zerstörung des Tempels im Jahre 587 bis zu den Anfängen der Gemeinde und dem Auftreten ihres Meisters, des Lehrers der Gerechtigkeit, nach weiteren 20 Jahren (CD I 5-11). Nimmt man die Zahlen wörtlich, gelangt man - in Übereinstimmung mit dem archäologischen Befund - in die erste Hälfte des 2. Jh.s v.Chr., in die Zeit um 197 und 177 v.Chr., bzw. legt man die Chronologie des jüdischen Historikers Demetrius zugrunde, 14 um 170 (Ermordung des Hohenpriesters Onias III.) und 150 v.Chr. (Jonathan wird Hohepriester, 10 11 12
S. AHW, 842f s.v. paSäru(m) und vgl. ptr in Gen 40-41, pSr in Dan 2-7. Dazu STEUDEL 1994, 188f.l97f.
Vgl. FlSHBANE 1977a. Vgl. dazu STEUDEL 1994, 203-207; zu den historischen Fragen vgl. VAN DER WOUDE 1992. Der historischen Kombination stehe ich heute sehr viel skeptischer gegenüber. 14 JSHRZ III/2, Gütersloh 1980, 280-292; vgl. dazu LAATO 1992. 13
130
Die Tradition
Auftreten des Lehrers, Gründung der Siedlung von Qumran). Doch damit ist das Ende noch nicht erreicht. Gemäß CD XX 13-15 (vgl. XIX 33-XX 1) muß die Gemeinde bis zum Tod ihres Lehrers und danach noch „etwa 40 Jahre" durchhalten, die Zeit der Wüstenwanderung bis zum Tod der „Männer des Krieges" nach Dtn 2,14. Setzt man den Tod des Lehrers etwas vor der Entstehung der Damaskusschrift CD um 100 an, gelangt man in die Zeit um 70 v.Chr. als Termin fiir das Ende, rund 100 Jahre nach Gründung der Gemeinde. Rechnet man sie mit den 390 Jahren aus Ez 4,5 zusammen oder summiert die verschiedenen relativen Daten (390 bis Gründung der Gemeinde + 20 bis zum Auftreten des Lehrers + 40 vom Tod des Lehrers bis zum Ende) und gibt noch einmal „etwa 40 Jahre" für die Wirksamkeit des Lehrers dazu, ergibt sich wiederum ein biblisches Datum: die 70 Jahrwochen oder 490 Jahre aus Dan 9 (V. 25), die in 11Q13 (llQMelch) II 6-7 die Grundlage für die Berechnung der 10 Jubiläen ( 1 0 x 7 x 7 ) vom Exil bis zum Ende bilden (vgl. das rekonstruierte Danielzitat in II 18). Schon bald nach dem Tod des Lehrers und erst recht nach Ablauf der Frist von „etwa 40 Jahren" ergab sich somit nicht nur die bange Frage, ob und wann das erwartete Ende endlich gekommen sei, sondern auch das exegetische Problem, daß der Gang der Ereignisse nicht immer den der Schrift entnommenen Berechnungen und Erwartungen entsprach. Das Problem und der hermeneutische Ansatz, es zu lösen, sind im Pescher Habakuk, lQpHab, dem meist diskutierten Exemplar der Gattung, eigens reflektiert.15 In der Auslegung von Hab 2,1-3, am Übergang von Kol VI 12ff zu Kol VII lff, wird zunächst das Verhältnis von Text und Auslegung bedacht. Sowohl der Text als auch die Deutung gehen auf das letzte Geschlecht (VII2), die letzte Zeit (VII 7.12). Es ist die Zeit, in der die Qumrangemeinde als Geschlecht der Endzeit lebt, geleitet vom Lehrer der Gerechtigkeit und umgeben von feindlichen Gruppen im eigenen Volk, dem Volk und Land Gottes, auf die sich die Worte der Propheten beziehen (I 16-11 9). Doch der überlieferte Text birgt ein Geheimnis, das Gott dem Habakuk nicht kundgetan hat und das die Auslegung nötig macht: die „Vollendung der Zeit" (VII 2). Nicht, daß der überlieferte Text nicht auch dieses Wissen enthielte. Die schriftgelehrte Deutung bringt es ja nur durch ihn an den Tag. Aber um das Wissen dem Wortlaut des Texts nach allen Regeln der Deutekunst entnehmen zu können, bedarf es einer zusätzlichen Offenbarung. Diese wurde dem Lehrer der Gerechtigkeit zuteil, dem Gott die Geheimnisse der Worte seiner Knechte, der Propheten, offenbart hat (VII 4f; vgl. I 8f vom „Priester"; Sir 39,1-3.6 vom schriftgelehrten Weisen). Was ist unter dieser Offenbarung der Geheimnisse Gottes zu verstehen? Sie ist nicht einfach identisch mit der Deutung der Prophetenworte in den Pe-
15
Vgl. STECK 1996, 133-135, und zur Diskussion VAN DER WOUDE 1992, 23-30.
7. Innerbiblische
Exegese und
Redaktionsgeschichte
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scharim. Der Lehrer der Gerechtigkeit ist nicht der Verfasser der Pescharim, und so besteht auch kein Anlaß, die Sonderoffenbarung und die protorabbinischen Methoden der Textauslegung gegeneinander auszuspielen. Vielmehr handelt es sich um einen hermeneutischen Grundsatz, der den tieferen Sinn der Prophetenlogien erschließt und den Interpreten in Stand setzt, ihnen durch seine Auslegungsmethoden das verborgene Wissen, die „Vollendung der Zeit", zu entlocken. Der hermeneutische Grundsatz lautet sehr einfach und ist doch sehr folgenreich: Die letzte Zeit zieht sich in die Länge, weit hinaus über alles, was die Propheten gesagt haben (lQpHab VII 7f). Das bedeutet, daß sämtliche Berechnungen gemäß den Ordnungen der göttlichen Zeiten (VII 12-14) immer wieder nachberechnet und zeitlich gedehnt sowie sämtliche Worte der Propheten immer wieder neu auf die Geschehnisse und Personen der Gegenwart bezogen und entsprechend reformuliert werden müssen - genau so, wie es in den Pescharim geschieht. So wird man in den Pescharim von Qumran einer inspirierten und zugleich schriftgelehrten Auslegungskultur ansichtig, die den Text der Prophetenbücher wenn nicht als kanonisch, so doch als autoritativ ansieht, ihn deswegen mit den Erfahrungen der eigenen Zeit konfrontiert und aus ihm die neu formulierten Antworten auf die Fragen der Gegenwart gewinnt. Die Auslegung hält am Wortlaut des überlieferten Texts fest, der, von einigen - z.T. sehr bedeutungsvollen und mit der Deutung abgestimmten! - Varianten abgesehen, genauestens und vollständig zitiert wird. Auf der Grundlage dieses in der Substanz unverändert übernommenen, autoritativen Texts und nach Maßgabe der - dem Lehrer der Gerechtigkeit offenbarten und durch ihn vermittelten göttlichen Hermeneutik geht die Deutung jedoch gleichzeitig darüber hinaus, indem sie Zeit und Adressaten aktualisiert. Unbedingte Texttreue und größte Freiheit gegenüber dem Literalsinn des Textes gehen so Hand in Hand. Denn die von Gott inspirierten Texte der Propheten sind unerschöpflich und die Geheimnisse Gottes wunderbar (lQpHab VII 8). Der Pescher wurde nicht kanonisiert. Er hat bereits einen mehr oder weniger festen Kanon von Schriften zum Gegenstand und zählt, obwohl die Auslegung inspiriert ist und den tieferen Sinn der Prophetenworte expliziert, selber nicht als Schrift. Die Gattung lebt von der strikten Unterscheidung zwischen überliefertem Text und Auslegung und befestigt sie, trägt damit gewissermaßen selbst zur Kanonisierung der Prophetenbücher bei. Dennoch findet sich die Pescher-Auslegung auch schon in den biblischen Schriften selbst. Bezeichnung und Methode der Pescher-Auslegung begegnen bei der Traum- und Rätseldeutung in Gen 40-41 und in Dan 2; 4-5 und 7. Hierbei handelt es sich jedoch um den - auch im Alten Orient vielfach bezeugten Vorläufer der Auslegungstechnik, nicht um eine wirkliche Parallele zu den Pescharim von Qumran. Die als Pescher (ptr, pir) bezeichnete Deutung hat nicht eine überlieferte Schrift, sondern je und je auftretende Träume oder an-
132
Die
Tradition
dere göttliche Vorzeichen zum Gegenstand. Und bei aller Verwandtschaft mit der altorientalischen Mantik und Omenwissenschaft darf man den Unterschied nicht übersehen, daß in den Pescharim von Qumran die Fachleute für Traum- und Omendeutung, die Propheten einschließlich des Traumdeuters und Visionärs Daniel, 16 nicht die Ausleger, sondern ihrerseits Gegenstand der Auslegung sind. In diese Richtung weist allenfalls Dan 7, wo Daniel selbst anders als in Dan 2,19-23 - das ihm von Gott zuteil werdende Nachtgesicht nicht versteht und von Gott in Gestalt des angelus interpres erklärt bekommt. Sehr viel näher kommt man den hermeneutisehen Prinzipien der PescherAuslegung in einem anderen Kapitel des Danielbuches, nämlich Dan 9.17 Das Wort „Pescher" kommt hier zwar nicht vor, doch ist die Art der Schriftbenutzung und Schriftauslegung dieselbe. Ausgangspunkt „in den Schriften", die Textgrundlage also, ist die 70-JahrProphetie des Jeremiabuchs (Jer 25,1 lf; 29,10), über die Daniel nachdenkt (Dan 9,2). Es ist der einzige Fall in der Bibel, bei dem wie in den Pescharim eine bestimmte Schriftstelle angeführt und ausdrücklich als exegetisches Problem exponiert wird. Daniel wendet sich im Gebet (9,3.4—19) an Gott, um die Sünden seines Volkes zu bekennen, und bekommt daraufhin Aufklärung über den Sinn der vorher angeführten Schriftstelle: die Ankündigung der Deutung in 9,20.21-23, die Deutung selbst in 9,24-27. Auch das Problem ist ähnlich gelagert. Es ist die Zahl, die 70 Jahre „für Babel", die als Frist für das Kommen des Endes verstanden wird und sowohl in der literarischen Fiktion - der Zwischenzeit zwischen den babylonischen Königen und dem Perserkönig Kyros (1,21; 6,29; 10,1; vgl. 2 Chr 36,20f.), im ersten Jahr des ominösen medisch-persischen Königs Dareios - abgelaufen als auch in der als Endzeit begriffenen Gegenwart des Verfassers längst verstrichen ist. Dieselbe Zahl, die der Qumrangemeinde bei ihren Berechnungen Schwierigkeiten bereitet hat, war schon für Dan 9 selbst ein Problem. Die Lösung des Problems basiert auf zwei Offenbarungsquellen: auf der als autoritativ angesehenen, darum zitierten und detailliert ausgelegten Schrift und auf der zusätzlichen, hier von Gott direkt gegebenen, durch den Deuteengel vermittelten Offenbarung, die die Auslegung steuert. Wie sehr die Auslegung auf die Schrift bezogen ist, zeigt schon die Wiedergabe der Jeremiasteile, die neben Jer 25,1 lf und 29,10 auch die anderen Schriftstellen im Blick hat, die von den 70 Jahren handeln: Sach 1,12 und 7,5 für die „Trümmer Jerusalems" statt der Zeit „für Babel" in Jer 25 und 29; sowie 2 Chr 36,20f.22f und Esr 1, wo Lev 26 verarbeitet ist, und die „Erfüllung" (vgl. Jer 29,10) der 16 In Qumran zählte auch er zu den Propheten. Vgl. 4Q174 (4QFlor) II 3; 11Q13 (1 lQMelch) II 18. 17 Vgl. FISHBANE 1985, 4 8 2 - 4 8 9 ; STECK 1996, 131-133; KRATZ 1991b, 2 6 5 - 2 6 7 ; „Die Visionen des Daniel" (in diesem Band Nr. 10); sowie die wichtigen Präzisierungen von BERNER 2006, 19-99.
7. Innerbiblische Exegese und
Redaktionsgeschichte
133
Sabbatjahre bis zum ersten Jahr des Kyros und dem Wiederaufbau des Tempels, worauf die Datierung in Dan 9,1 und die Deutung der 70 Jahre in 9,2427 abheben. Nur kann die Jeremiastelle auch aufgrund dieser (innerbiblischen) Schriftbezüge offensichtlich noch nicht, richtiger: nicht mehr hinreichend verstanden werden. Dazu bedarf es der gesonderten Offenbarung, die das tiefere Verständnis der geheimnisvollen Weissagung erschließt. Schließlich die Lösung des Problems. Auch sie bewegt sich in denselben Bahnen wie wenig später die Pescharim von Qumran. Die Zeit wird gedehnt, die Frist verlängert: die 70 Jahre meinen 70 Jahrwochen, also 7 x 70 = 490 Jahre (oder 10 Jubiläen wie in 1 lQMelch), und reichen weit über die Zeit der Propheten Jeremia und Daniel hinaus in die Gegenwart von Verfasser und Leser des Danielbuchs um die Mitte des 2. Jh.s v.Chr. Die Bezugsgröße der Weissagung wird erweitert: Die 70 Jahre bzw. Jahrwochen sind nicht nur eine Frist „für Babel" und die babylonische Gola, auch nicht nur, mit Sach 1,12 und 2 Chr 36, für die „Trümmer Jerusalems" und den Tempel, sondern für das von Sünde und Gericht belastete Volk im ganzen (Dan 9,24; vgl. 8,19.23 und das Bußgebet 9,4-19). Ferner wird die zeitliche Ordnung konkretisiert mit Ereignissen und Personen der eigenen Gegenwart, hier der Schändung des Tempels unter Antiochus IV., womit auch die Vergangenheit und Zukunft in Beziehung gesetzt wird. Dan 9 ist eine frappante Parallele, die das Danielbuch nachgerade als einen „kanonisierten Pescher" erscheinen läßt.18 Nur, dass die Pescharim Text und Deutung strikt voneinander trennen, während die Deutung in Dan 9, obschon auch hier die fremde Textgrundlage und die eigene Deutung ausdrücklich unterschieden werden, in einem Buch steht, das kein Kommentar zum Jeremiabuch ist und in Qumran seinerseits zur Schrift, des näheren zu den Propheten, zählt. Ob der Verfasser des Danielbuchs sich selbst eher als inspirierter Ausleger der von ihm vorausgesetzten, in Dan 9 zitierten autoritativen „kanonischen" Bücher oder als Autor eines ebensolchen Buches verstanden hat, ist schwer zu sagen und vermutlich auch keine adäquate Frage. Den Unterschied, den die Pescharim von Qumran machen, macht er noch nicht. Er ist Ausleger und Autor in einem. Der Fall lehrt, daß es nicht darauf ankommt, ob und seit wann ein Buch als „kanonisch" eingestuft und verstanden wurde, sondern, ob in ihm das Prinzip der Auslegung überlieferter Texte eine Rolle spielt. Und das ist in Dan 9 wie auch in anderen, später nicht in den Kanon gelangten Büchern eindeutig gegeben, mag sich das Buch nun selbst unter die „kanonischen" Bücher gerechnet haben oder nicht. Schon die Entstehung der (biblischen) Schrift, auf die sich die (außerbiblische) Auslegung bezieht, bewegt sich im Fluß ein und derselben Tradition.
18
SZÖRENYI 1966.
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Die Tradition
Dies gilt im übrigen nicht nur im Verhältnis von Daniel zu Jeremia und anderen Schriftstellen in Dan 9, sondern ebenso im Verhältnis von Dan 9 zum eigenen literarischen Kontext, wohin das Kapitel mancherlei literarische und sachliche Beziehungen aufweist. Wie die nähere Analyse zeigt,19 ist Dan 9 ein literarischer Nachtrag im Danielbuch, der nicht nur, wie sämtliche Visionen in Dan 7-12, die Erzählungen in Dan 1-6 und den chronologischen Rahmen der Erzählsammlung, vor allem den in 1,1.21; 6,29 abgesteckten Zeitrahmen der 70 Jahre, sondern auch die eschatologische Perspektive der Visionen Dan 7-8 und 10-12 theologisch neu im Geiste des deuteronomistischen Geschichtsbildes interpretiert. Das Kapitel ist kein sporadischer Einzelzusatz, sondern paßt sich sehr überlegt in das Gesamtkorpus des Danielbuches ein. Beides, die Auslegung „der Schriften" und die produktive Selbstauslegung des Danielbuches in Dan 9, demonstriert die innerbiblische Exegese im Werden der biblischen Bücher, im besonderen der Prophetenbücher. Man mag gegen die weitreichenden Schlußfolgerungen des Vergleichs einwenden, daß man sich mit dem Danielbuch schon in der Zeit des sich formierenden Kanons und der beginnenden Auslegungsliteratur, nicht lange vor Qumran, bewege und dem Befund folglich keinerlei grundsätzliche Bedeutung für die ältere Literatur zukomme. Doch das Beispiel des Danielbuches macht ebenso wie die Pescharim von Qumran die hermeneutischen Prinzipien nur explizit, die wenigstens in den Prophetenbüchern von Anfang an leitend gewesen sein müssen, sofern die schriftliche Überlieferung für die Tradenten irgendeine Bedeutung gehabt haben soll. Schon bald nach dem Tod des Propheten, spätestens aber ab dem 7. Jh. v.Chr., mußte sich auch ihnen die Frage stellen, auf welche Zeit und auf wen die Orakel eines Arnos, Hosea oder Jesaja aus dem 8. Jh. gehen. Der wiederholte Rekurs auf die 70 Jahre in Jer, Sach, 2 Chr 36/Esr 1 sowie Dan 1 und 9 spricht für sich, und an diesem Detail wird die Grundüberzeugung sichtbar, die die gesamte Prophetenüberlieferung angestoßen und von den ersten Sammlungen bis zum Abschluß der Bücher und dem Beginn der externen Auslegung in Gang gehalten hat.20 Ohne die Überzeugung von der Langzeitwirkung des Wortes Gottes in den Worten seiner Propheten, die die Übertragung in andere Zeiten und auf andere Umstände erlaubt und sowohl die Tradierung als auch die Fortschreibung der Prophetenbücher durchzieht, hätten wir kein einziges biblisches Prophetenbuch, ja nicht einmal ein Prophetenwort in der Gestalt, wie es die biblischen Bücher bieten und die Zufallsfunde der Archäologie bisher nicht zutage gefordert haben. Schon mit der ersten Niederschrift eines - eingetroffenen oder nicht eingetroffenen - Orakels, vermutlich im literarischen Kontext einer kleinen Sammlung, beginnt die Interpretation. Und sobald die erste Niederschrift zur Matrize für 19 20
2001.
Vgl. „Die Visionen des Daniel" (in diesem Band Nr. 10). Vgl. d a z u KRATZ 1991a, 2 1 8 - 2 2 9 ; DERS. 201 l d , 3 2 ^ 8 . 4 9 - 7 0 ; STECK 1996; DERS.
7. Innerbiblische Exegese und
Redaktionsgeschichte
135
weitere Einträge bis hin zum vorliegenden Buch wird, beginnt der Prozeß der innerbiblischen Exegese. Abgesehen von der Gattung und den verschiedenen Überlieferungsinteressen trifft das alles mehr oder weniger auch für die anderen Überlieferungsbereiche, das Recht, die Weisheit, die Psalmen und die erzählende Literatur, zu.21
III. Zitat und Nachschrift (rewritten bible) Die biblischen Bücher werden nicht nur in Kommentaren, sondern auch in anderen Werken zitiert und kommentiert. Anspielungen, Zitate und Exzerpte bis hin zu Reformulierungen ganzer Bücher beherrschen bekanntlich die gesamte jüdische Literatur zwischen Mikra und Talmud und finden sich in den nichtbiblischen Schriften von Qumran, den - teilweise auch dort bezeugten - sogenannten Apokryphen und Pseudepigraphen, bei den hellenistischen Poeten und Historikern, Philo, Josephus sowie im Neuen Testament und darüber hinaus in der rabbinischen und frühchristlichen Literatur. Im Unterschied zu den Pescharim wird der Text nicht eigens exponiert, um anschließend gedeutet zu werden, sondern geht in den neuen Text ein. Auch diese Art von Schriftbenutzung wird heute zunehmend unter dem Gesichtspunkt der Auslegungs- und Rezeptionsgeschichte behandelt und unter dem Titel rewritten bible zusammengefaßt.22 Um eine Schneise durch das Dickicht dieser Literaturmassen zu schlagen, empfiehlt es sich, die Fülle der Phänomene auf die Hauptkategorien zu reduzieren und sich auf wenige Beispiele zu beschränken. Ich beziehe mich hauptsächlich auf die nichtbiblischen Texte von Qumran23 sowie die Apokryphen und Pseudepigraphen24 und konzentriere mich einerseits auf explizite oder implizite Zitate und Anspielungen auf biblische Texte oder Inhalte, andererseits auf Exzerpte oder Paraphrasen biblischer Bücher. Die Übergänge zwischen den verschiedenen Arten der Schriftbenutzung sind fließend, doch lassen sich die verschiedenen Kategorien durchaus unterscheiden. Das explizite Schriftzitat steht der Pescher-Methode am nächsten, erfüllt jedoch eine andere Funktion. In Qumran25 begegnen außerhalb der Pescharim 21
Zur Frage vgl. „Die Suche nach Identität" (in diesem Band Nr. 8). Zum Material vgl. STONE (Hg.) 1984; zur Schriftbenutzung und -auslegung die oben Anm. 7 angegebene Literatur. 23 Vgl. die oben Anm. 9 angegebene Literatur, und außerdem BERNSTEIN 1998; BROOKE 1998; DIMANT/KRATZ (Hg.) 2009 sowie 2013. Für die Verbindung von inner- und außerbiblischer Auslegung vgl. KRATZ 2009a mit einem Beispiel aus der erzählenden Überlieferung; DERS. 201 lc mit einem Beispiel aus der legislativen Überlieferung. 22
24
V g l . DIMANT 1 9 8 8 ; KRAFT 1996.
25
STEUDEL 1994, 170-187.
136
Die Tradition
explizite Zitate mit und ohne Deutung, in den Apokryphen26 nur solche ohne ausdrückliche Deutung. Sofern es sich um thematische Midraschim (z.B. 4Q MidrEschat = 4Q174 + 4Q177) oder Exzerpttexte (z.B. 4QTest = 4Q175) handelt, die Schriftstelle an Schriftstelle reihen, erfüllen die Zitate eine ähnliche Funktion wie in den Pescharim: Sie werden zitiert, um gedeutet zu werden, wenn auch hier nicht das biblische Buch, sondern das Thema die Auswahl der Zitate und die Disposition des Werkes leitet. Ansonsten gehen die Zitate ganz im Kontext des Werkes auf, in dem sie stehen (1QS V 15.17; VII 13f; 1QM X 6-8; XI 5-7.1 lf; CD I 13f u.ö.; Tob 2,6; 8,6 etc.). Die Schrift wird nicht zitiert, um anschließend gedeutet zu werden, sondern um ihrerseits den neuen Kontext zu deuten, die Aussage mit einem göttlichen Wort zu bekräftigen oder zu erläutern. Das ist auch da der Fall, wo eine explizite Auslegung mit entsprechender Interpretationsformel folgt (CD IV 14; vgl. auch VII 13—VIII 1 in der Hs AI). Die Auslegung hat hier die Funktion, den Beitrag des Zitats zum Kontext zu explizieren. Andererseits geht daraus hervor, daß auch die Kommentierung des Kontexts durch ein Schriftzitat ohne Deutung ein entsprechendes Verständnis der Schriftstelle und also Schriftauslegung voraussetzt. Zitat und Kontext legen sich gegenseitig aus. Was die Textform der expliziten Zitate anbelangt, so findet man wie in den Pescharim leichte, mitunter auch gravierendere Abweichungen vom Masoretentext, die textgeschichtliche, mnemotechnische oder inhaltliche Gründe haben können. Besonders interessant sind solche Fälle, bei denen Abweichungen in den Handschriften desselben Werkes auftreten.27 Selbst Formulierungen, die so nicht in der Schrift stehen, können ohne weiteres als Schriftzitat ausgegeben werden.28 In die Kategorie der expliziten Zitate gehören im übrigen die Reminiszenzen an biblische Personen und Geschichten.29 Mehr noch als die expliziten sind die impliziten Anspielungen auf biblische Textstellen oder Geschichten in den Kontext des zitierenden Werkes eingebettet. Ihre Identifizierung fallt nicht immer leicht. Denn außer den (nahezu) wörtlichen, aber als solchen nicht ausgewiesen Zitaten30 reichen die Möglichkeiten vom Gedächtniszitat über die Anspielung bis hin zur freien
26
DIMANT 1 9 8 8 .
27
CD A l Vili 3//B XIX 15f; verschiedene Zitate A l VII 10-12//B XIX 7-9. Vgl. dazu
KRATZ 2 0 1 l d , 2 4 9 f f . 28
Vgl. 4QMMT sowie das apokryphe Levizitat in CD IV 15.
29
Vgl. die Listen Sir 16,6-10; 44-49; 1 Makk 2,49-69 oder Einzelfälle wie Jes 36-37// 2 Kön 18f in 1 Makk 7,41; Gen 34 in Judit 9,2-4; Jub 30 und TestLevi 2,lf; 5-7; aber auch die historischen Reminiszenzen in Tobit, Judit, die explizite Anbindung an die biblische Leitüberlieferung in Baruch, EpJer, ZusDan und ZusEst, Gebet des Manasse, 1 Henoch; 4 Esra sowie in dem parabiblischen Material von Qumran (s. BROOKE 1998). 30
Vgl. z.B. Jes 11,2.4f in 1 QSb V 21.24-26; Prov 10,2 bzw. 11,4 in Tob 4,10; Num 23,19 in Judit 8,16; Ps 146,4 in 1 Makk 2,63.
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137
Formulierung einer bestimmten Textstelle, eines ganzen Textes oder einer Gattung nach biblischem Vorbild, wie man es vor allem in den Apokryphen und Pseudepigraphen und in Sirach vielfach beobachten kann. Es sind vor allem die impliziten Zitate, gepaart mit einem Hang zum biblischen Sprachgebrauch, der „Sprache Kanaans", die den Apokryphen und Pseudepigraphen, aber auch den Texten vom Toten Meer insgesamt den biblischen Anstrich geben. Das ist auch zweifellos beabsichtigt. Die zitierten biblischen Bücher stehen bereits derart hoch im Kurs, daß sie den neuen literarischen Erzeugnissen Autorität verleihen, wie auch umgekehrt die literarische Bezugnahme auf die biblischen Bücher deren Ansehen steigert und den Prozeß der Kanonisierung befördert. Aber nicht nur das. Wie die expliziten, so steuern erst recht die impliziten Zitate das Verständnis des mit ihnen formulierten neuen Texts und geben gleichzeitig die Auffassung des zugrundeliegenden Bibeltexts zu erkennen, die in ihnen literarisch produktiv geworden ist. Die literarische Bearbeitung erfolgt in der Regel außerhalb ihrer Vorlagen (mit und ohne expliziten Verweis auf sie), manchmal aber auch in ihnen selbst (ZusDan, ZusEst) oder - als eine Art externer Fortschreibung - im literarischen Anschluß an sie (Bar, EpJer). Der literarische Horizont von expliziten und impliziten Zitaten ist für gewöhnlich nicht sehr weit. Die Auswahl des Zitats ist meistens durch den unmittelbaren Kontext des nehmenden Texts motiviert und nimmt auf den Zusammenhang des Spendertexts wenig Rücksicht. Anders verhält es sich bei Anspielungen auf größere biblische Zusammenhänge, Imitationen von biblischen Vorbildern oder Fortschreibungen der biblischen Überlieferung. Hier ist auch der weitere Kontext von gebendem und nehmendem Text im Blick, so etwa der Erzählverlauf von Gen 24 in Tobit,31 der literarische Rahmen des Jeremiabuchs in Bar und EpJer,32 des Daniel- und des Esterbuchs in den griechischen Zusätzen, die Bücherabfolge des biblischen Kanons in Sir 44-49. Je näher die neuen Kompositionen an die biblische Vorlagen heranrücken, desto näher kommen sie der nächsten Kategorie, der Nachschrift ganzer Bücher. Die Nachschrift ist dem Zitat verwandt, aber durchaus eine andere Kategorie. Im Unterschied zu Zitaten, Anspielungen, Imitationen und Fortschreibungen, die von einer oder mehreren Vorlagen, auf die explizit oder implizit verwiesen wird, leben, aber ein eigenes Werk schaffen, hat die Nachschrift immer nur eine Hauptvorlage, auf die sie nicht nur rekurriert, sondern die sie - auch unter Verwendung anderer Vorlagen nach Art des Zitats - reproduziert und im Zuge dessen auslegt. Die Nachschrift bewegt sich zwischen Textüberlieferung (einschließlich Übersetzung) und von der Interpretation gesteuerter, literarischer Fortschreibung. Die Beispiele - Reworked Pentateuch 31
32
V g l . DESELAERS 1 9 8 2 , 2 9 3 - 3 0 4 .
Vgl. STECK 1993a; STECK/KRATZ/KOTTSIEPER 1998 sowie „Die Rezeption von Jer 10 und 29 im pseudepigraphen Brief des Jeremia" (in diesem Band Nr. 13).
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Die Tradition
4Q364-367, Jubiläen, Genesis-Apokryphon lQapGen (aram.), 1 Hen 6-11, Tempelrolle 1 IQ 19-20, verschiedene Fassungen des Psalters und darunter bes. 1 lQPs a , 3 Esra (1 Esra), aber auch Josephus, Liber Antiquitatum Biblicarum, andere jüdische Historiker und Tragiker33 - reichen daher vom Exzerpt bis hin zur völligen Reformulierung und Neufassung der Vorlage. Der Schriftgebrauch ist im Unterschied zum Pescher und den Zitaten weder eklektisch noch atomistisch. Die Nachschrift ganzer Bücher hat die Gesamtkomposition vor Augen, die sie übernimmt oder neu arrangiert, indem sie Text streicht, umstellt, abändert oder ergänzt. Sie entsteht per se außerhalb der Vorlage, doch indem sie diese - wie textnah auch immer - reproduziert, bewegt sich ihre Auslegung zugleich innerhalb der Vorlage. Ist sie daher eine (im kanonischen Rang) ebenbürtige, gar höherwertige Neuauflage des biblischen Buches oder ein eigenes Werk? Soll sie die biblische Vorlage ersetzen oder neben und mit ihr überliefert werden? Die Antwort fallt nicht leicht, da die Nachschriften darüber nichts sagen. Nur an einer Stelle, in Jub 1, ist das Selbstverständnis reflektiert. Danach befindet sich Mose auf dem Sinai (Ex 19-24) und bekommt von Gott selbst (Jub 1,5.7.26) bzw. vom Engel des Angesichts, der das Wort Gottes repräsentiert (1,27; 2,1), die von Gott (1,1 und in einigen Hss 1,26) bzw. dem Engel (1,27) für Mose aufgeschriebene Ordnung der Zeiten, die früheren und die kommenden Dinge, diktiert, verbunden mit dem Auftrag, sie seinerseits in ein Buch zu schreiben (1,5.7.26; 2,1). Das ist - vordergründig - die Entstehungslegende des Jubiläenbuches, das die der Sinaiperikope vorausliegende Geschichte von Gen 1-Ex 14 unter Berücksichtigung der im Pentateuch folgenden Gesetzgebung vom Sinai rekapituliert. Was Mose aufschreibt, ist also nichts anderes als die Summe des Pentateuchs im Sinne der „früheren und kommenden Abfolge der Einteilung aller Tage des Zeugnisses und des Gesetzes" (Jub 1,4; für die Zeit danach vgl. den geschichtlichen Vorblick in l,5.6ff), und so erweist sich die Entstehungslegende des Jubiläenbuches zugleich als Entstehungslegende des Pentateuchs und Beleg für die Verfasserschaft des Mose bzw. Gottes selbst. Das Jubiläenbuch versteht sich gewissermaßen als „das himmlische Urbild der qualifizierten Zeitordnung von »Gesetz« und des qualifizierten Zeitverlaufs von »Zeugnis«"34, d.h. als das für alle Zeiten gültige „himmlische Urbild" für Geschichte und Gesetz im Pentateuch und wohl auch als sinaitisches Vorbild für die von Mose im Lande Moab angefertigte Niederschrift (Dtn 31,9). Die Tatsache, daß die Geschichte von Gen 1-Ex 14 nicht einfach wiedergegeben, sondern in der Szene von Ex 19-24 als hermeneutischem Rahmen eingebettet ist, spricht sehr dagegen, daß das „himm33 Auch unter den parabiblischen Texten von Qumran finden sich Beispiele, sofern die erhaltenen Exzerpte und Paraphrasen biblischer Texte und Szenen nicht in einem völlig anderen Zusammenhang standen. 34
Vgl. STECK 1995a.
7. Innerbiblische Exegese und
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139
lische Urbild" die vorhandene Abschrift ersetzen soll. Vielmehr leitet das Jubiläenbuch den Leser an, den überlieferten Pentateuch im hermeneutischen Rahmen des Sinai so zu lesen, wie es das „Urbild" will und wie man es, angeleitet durch das Jubiläenbuch, im Pentateuch auch wiederfinden soll. Kurz: Nach Jub 1 soll die Nachschrift das Original nicht verdrängen, doch wird das Original erst durch die Nachschrift, indem sie sich als „himmlisches Urbild" ausgibt, ins rechte Licht gerückt. Man wird die im Jubiläenbuch greifbare hermeneutische Konstruktion nicht ohne weiteres auf sämtliche Nachschriften biblischer Schriften übertragen können. Dennoch macht sie deutlich, daß die Nachschrift selbst dann, wenn sie für sich das göttliche Urheberrecht in Anspruch nimmt, die Autorität der biblischen Vorlage nicht schmälert, sondern im Gegenteil verstärkt. Auch andere Indizien weisen in diese Richtung, etwa die Gesetzesauslegung in 4QMMT und der Damaskusschrift (CD), die Gesetze, welche so nicht in der Schrift zu finden sind, mit der Schrift begründet,35 oder die thematischen Schwerpunkte in der Auslegung des Pentateuchs, auf die Moshe Bernstein36 aufmerksam gemacht hat und die den Schluß nahelegen, daß die biblischen Vorlagen nicht revidiert oder ersetzt, sondern an bestimmten Punkten, vor allem bei Noach und Abraham, nur ausgeführt und aktualisiert werden sollten. Die Nachschriften sind gewissermaßen innerbiblische Exegese außerhalb der Bibel. Indem sich die damit verbundene literarische Bearbeitung zugleich außerhalb wie innerhalb der biblischen Vorlage abspielt, bieten sie sich in besonderer Weise für den Vergleich mit der literar- und redaktionsgeschichtlichen Rekonstruktion innerhalb der biblischen Bücher an.37 Die nächste Parallele für Zitat und Paraphrase in der hebräischen Bibel ist die Chronik, in der ebenfalls Auslegung und literarische Bearbeitung der Vorlage (Gen-Ri) Sam-Kön Hand in Hand gehen38 und die, da die Vorlage erhalten ist, als Testfall für die literar- und redaktionskritische Rekonstruktion gelten kann.39 Allerdings darf man von ihr auch nicht zu viel erwarten. Die Tatsache, daß die beiden Fassungen hier innerhalb des hebräischen Kanons, in den anderen Fällen hingegen entweder innerhalb des griechischen Kanons oder verteilt auf kanonische und nichtkanonische Schriften überliefert sind, macht keinen Unterschied. Die Chronik ist ein willkommener weiterer Beleg
35
V g l . BERNSTEIN 1998, 1 4 2 - 1 4 5 . 1 5 4 - 1 5 8 .
36
BERNSTEIN 1 9 9 8 , 1 3 7 .
37
V g l . KAUFMANN 1 9 8 2 .
38
V g l . WILLI 1 9 7 2 .
39
V g l . JOHNSTONE 1 9 8 7 .
140
Die
Tradition
der external evidence, mehr aber auch nicht. Dasselbe gilt für die Doppelüberlieferungen,40 auf die wir weiter unten zu sprechen kommen. Wie die außerbiblischen Belege weist auch die Chronik alle möglichen Spielarten der Schriftbenutzung auf: das (nahezu) wörtliche Exzerpt mit unbeabsichtigten und beabsichtigten Varianten, das sporadische explizite und implizite Zitat auch aus anderen Quellen als der Hauptvorlage, das freie Arrangement des Materials, die Straffung bzw. Ausführung der Vorlage, die Auslassung von Text und die Ergänzung von Sondergut, und das alles - doch hier hört die empirische Evidenz auf - vermutlich nicht in einem, sondern in mehreren Schüben.41 Die Hermeneutik im Verhältnis von Vorlage und Nachschrift, von der die literarische Bearbeitung lebt, bestätigt die oben anhand von Jub 1 angestellten Überlegungen.42 Auch die Chronik basiert auf einer eigens dafür konstruierten Quellentheorie, die den Quellennotizen in Sam-Kön nachempfunden ist, diese aber weiterentwickelt. In ihren Quellenverweisen führt sich die Chronik auf ein „Buch der Könige von Juda und Israel" zurück, in dem die Aufzeichnungen von Propheten gesammelt sind, wobei die Auffassung herrscht, daß jede Zeit ihren Propheten hat, der die Ereignisse aufschreibt. Die literarische Fiktion verfolgt den Zweck, die Vorlage, den Zusammenhang von Gen-Kön einschließlich der Prophetenbücher und der Psalmen, die hier und dort zitiert werden, und ihre „Wiedergabe", die Chronik selbst, auf eine dahinter liegende gemeinsame, prophetisch inspirierte Quelle zurückzuführen. Das verleiht sowohl der Vorlage als auch der Chronik selbst Autorität, die ihre Vorlage nicht ersetzen oder ergänzen, auch nicht einfach interpretieren oder kommentieren, sondern „wiedergeben" will. In dieser „Wiedergabe", faktisch eine literarische Bearbeitung und Fortschreibung, herrscht der Geist des Anfangs, und in ihm wird der Text der Vorlage in der Fassung „wiedergegeben", die die Chronik bietet. Auf diese Weise wird die Zeit des Ersten mit der des Zweiten Tempels korreliert. Die „Wiedergabe" verweist den Leser auf die Vorlage, die Aktualisierung steuert das Verständnis. Auch die Chronik ist wie sämtliche Nachschriften der biblischen Bücher eine Leseanweisung für ebendiese Bücher des werdenden Kanons. Daß mit der Chronik auch die Leseanweisung in den Kanon gekommen ist, hat vermutlich damit zu tun, daß sie die ganze Überlieferung, Tora und (vordere und hintere) Propheten einschließlich des Psalters überblickt. Wieder könnte man einwenden, daß die Chronik eine ziemlich junge Schrift sei, die, wie die außerbiblischen Analogien, schon beinahe den fertigen Kanon, jedenfalls den literarischen Abschluß der benutzten biblischen 40
Ps 14//53; Ps 57,8-12 + 60.7-14//108; Ps 115,4-11//135,15-20; Ps 18//2 Sam 22; Ex 20//Dtn 5 (für die Harmonisierung vgl. Pap. Nash); 2 Kön 18-20//Jes 3 8 - 3 9 ; 2 Kön 2 4 - 2 5 / / Jer 52; 1 Chr 16//Ps 105 + 96 + 106,47f; Esr 2//Neh 7. 41
Vgl. KRATZ 2000a, 14-53, bes. 42ff.
42
Vgl. „Die Suche nach der Identität" (in diesem Band Nr. 8).
7. Innerbiblische Exegese und
Redaktionsgeschichte
141
Bücher voraussetze und das Beispiel darum wenig besage. Doch das Phänomen der rewritten bible ist schon früher in den Schriften des Alten Testaments belegt. Wir wenden uns daher nun den Fällen zu, bei denen die in den jüngeren Schriften empirisch nachweisbaren Phänomene von Zitat und Nachschrift im selben literarischen Zusammenhang innerhalb der biblischen Bücher begegnen. Die Beispiele dafür sind Legion, einige wenige seien genannt. Bestes Beispiel für die Kategorie des Zitats sind die wörtlichen Wiederaufnahmen, literarischen Anspielungen, Imitationen und Variationen von Formulierungen im Jesajabuch, nicht nur im Verhältnis von Trito- zu Deuterojesaja, sondern auch innerhalb der beiden literarischen Blöcke Jes 40-55 und 56-66, und, zieht man Jes 12 oder 35 (//40//49//60-62) mit ins Kalkül, verteilt über das gesamte Buch. 43 Zu den Selbstzitaten kommen die Fremdzitate, im Zweiten Jesaja (ab Jes 40) insbesondere solche aus dem Jeremiabuch. 44 Das Jesajabuch wiederum wird seinerseits in anderen biblischen Büchern zitiert, etwa in 2 Chr 20,20 (Jes 7,9) oder in Dan (9,27; 10,10.22.26.40 nach Jes 8,8; 28,2; Dan 11,36 nach Jes 10,22-27). Das Phänomen ist nicht auf das Jesajabuch beschränkt, sondern läßt sich, von den Eigenarten der einzelnen Bücher abgesehen, im gesamten corpus propheticum vielfach beobachten. Man denke nur an die Dubletten und die deuteronomistisch anmutenden Formulierungen im Jeremiabuch, an die Redundanzen und die vielen Anspielung auf Symbolhandlungen anderer Propheten im Ezechielbuch oder an die literarische Verkettung der Bücher im Zwölfprophetenbuch. Aber auch die Geschichtsbücher und die Schriften, bes. Psalmen und Sprüche, sind voll von Selbst- und Fremdzitaten, unter denen Fälle wie die Verheißungen in der Genesis, die verschiedenen Varianten der Ahnfraugeschichte (Gen 12; 20 und 26) und des Dekalogs (Ex 20; 34 und Dtn 5), die summarische Rekapitulation von Sinaioffenbarung (Ex 19-Num 10) und Wüstenwanderung (Num 10-36) im Buch Deuteronomium, die Reden und anderen deuteronomistischen Versatzstücke in Jos-Kön oder die Zitatkombinationen in den Psalmen (z.B. Ps 1; 100; 105-106, vgl. Neh 9; Ps 135; 145150) nur die Spitze des Eisberges sind. Die Identifizierung und Abgrenzung der Zitate ist allerdings nicht immer eindeutig und daher in der Forschung umstritten. Explizite Schriftzitate im engeren Sinne sind im ganzen Alten Testament selten und kommen in der prophetischen Literatur so gut wie gar nicht vor.45 Die Regel sind implizite Zitate 43
Vgl. STECK 1985; DERS. 1991b; LAU 1994; KRATZ 1991a; DERS. 201 l d , 233ff.
44
V g l . KRATZ 2 0 1 l d , 1 9 8 f f . 2 1 6 f f ; SOMMER 1 9 9 6 .
45
Eine Ausnahme macht das Zitat des Micha von Moreschet in Jer 26,18 (Mi 3,12); auf sich selbst verweist das Jeremiabuch in Jer 25,13 sowie 30,2; 36; 45,1; 51,60; vgl. Jes 8,16; 30,8; Ez 2,8ff; 24,2; 43,11; Hab 2,2. In der übrigen Literatur wird öfter auf uns unbekannte, verschollene oder erfundene, Bücher verwiesen und daraus auch zitiert (Jos 10,12f), mit der Zitierformel „wie geschrieben steht" aber nur auf die Tora als Schriftgrundlage rekurriert
142
Die Tradition
und mehr oder weniger wortgetreue Anspielungen auf Formulierungen, Personen und Inhalte. Das hat sicher etwas damit zu tun, daß die biblischen Schriften noch nicht abgeschlossen und kanonisch waren. Das explizite Zitieren fangt nicht ohne Grund mit der Größe an, die zuerst kanonische Geltung erlangt hat, mit der Tora des Mose. Das bedeutet aber nicht, daß die Bücher anfanglich, während ihrer Entstehung, noch nicht wirklich zitationswürdig gewesen wären und die (expliziten und impliziten) biblischen Zitate mit den wörtlichen Zitaten aus dem Munde Gottes, der Propheten oder anderer Personen, von denen die biblischen Texte handeln, oder aus irgendwelchen (tatsächlich existierenden oder fiktiven) Büchern, auf die sie manchmal verweisen, auf einer Stufe stünden. Vielmehr scheinen es gerade die in den Texten mitgeteilten Reden und Taten der heiligen Geschichte und der Verweis auf alte Quellen zu sein, die den Texten von Anfang an einen besonderen Rang verleihen und sie zitabel machen. Die external evidence bestätigt diese Vermutung. Explizite Schriftzitate sind auch in der Chronik, in den Apokryphen und Pseudepigraphen sowie, von den Pescharim und ihnen nahestehenden Werken abgesehen, in den Schriften von Qumran die Ausnahme. Wie die Pescharim, die sonstige Schriftbenutzung, der Handschriftenbefund und der Beleg für den zwei-, vielleicht sogar dreigliedrigen Kanon in 4QMMT 46 klar dokumentieren, hat sich der präkanonische Bestand an biblischen Büchern, namentlich Tora, Propheten und Psalter (David), längst etabliert, und doch bevorzugen die daneben entstehenden Schriften noch immer das implizite Zitieren und berufen sich weiterhin auf altehrwürdige Bücher, die es nicht mehr gibt oder nie gegeben hat. Mit einem Wort: Nicht die Kanonizität, auch nicht der kanonische Bestand macht das Zitat, sondern das Zitat macht den Kanon. Und dies gilt nicht erst für die Schriften der späten Zeit, sondern für die biblischen Bücher insgesamt, die - ebenso wie die Chronik und die anderen Nachschriften - in ihrer Substanz von literarischen Selbst- und biblischen Fremdzitaten leben. Die Nachschrift eines biblischen Buches im selben Buch kommt naturgemäß selten vor. Doch sie kommt vor, auf Anhieb erkennbar wenigstens in (vgl. die Nachweise in ThWAT IV, 390f.393f). Nimmt man allerdings die Anspielungen auf biblische Personen und Geschichten hinzu, sieht die Sache etwas anders aus. Von den Schriftpropheten werden namentlich Jesaja (in 2 Kön 18-19//Jes 36-39 sowie 2 Chr 26,22; 32,20.32), Jeremia (in 2 Chr 36,12 und V. 21-22//Esr 1,1 sowie Dan 9), Haggai und Sacharja (in Esr 5,1; 6,14) erwähnt, in den Prophetenerzählungen der Geschichtsbücher sowie in den Quellennotizen der Chronik auch andere. Umgekehrt wird in der prophetischen Literatur hin und wieder auf die heilige Geschichte in Erinnerung gerufen, besonders massiv z.B. in Hos 9-13. 46
4Q394-399, die kanonischen Bücher (Mose, Propheten und, sofern die Lesung stimmt, David) in 4Q397 Fr. 14-21 Z. 10 = 4Q398 Fr. 14-17 Z. 5; vgl. dazu KRATZ 2006b. Die Bezeichnung entspricht in ungefähr dem Bestand, den der Väterhymnus des Sirach in Sir 44—49 voraussetzt und der Enkel in seinem griechischen Vorwort erwähnt.
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zwei Fällen: bei der Wiederholung der Gesetzesoffenbarung am Sinai von Ex 19-24 in Ex 32-34 sowie bei der schon für die Zitate angeführte Rekapitulation der Sinaiperikope und der Wüstenwanderung (Ex + Num) in der Abschiedsrede des Mose im Lande Moab (Dtn), wobei man hier noch einmal zweierlei unterschieden kann: das Gesetzeskorpus (Bundesbuch Ex 20-23// Dtn 12-30, vgl. auch Lev 17-27) und die historische Szene am Sinai (Ex 1924 + 32-34//Dtn 4-11 einschließlich des Dekalogs in Ex 20//34//Dtn 5) und in der Wüste (Num 10ff//Dtn 1-3; 31-34). In beiden Fällen sorgt die szenische Fiktion für das Motiv zur Wiederholung im selben literarischen Erzählzusammenhang: der Sündenfall und die zerbrochenen Tafeln in Ex 19-24 + 32-34, der bevorstehende Tod des Mose (Num 27//Dtn 31-34) und die noch nicht (vollständig) erfolgte Promulgation und Niederschrift des Gesetzes vom Sinai im Deuteronomium. Andere Beispiele sind weniger evident bzw. setzen eine literarkritische Analyse voraus, deren Notwendigkeit nicht jeder einsieht. Vielleicht darf man aber noch das Verhältnis von priesterschriftlichem und nichtpriesterschriftlichem Text in den Büchern Gen-Num anführen, deren literarkritische Unterscheidung in der Regel auch von den Kritikern der Literarkritik zugegeben wird. Hält man daran fest, dass die Priesterschrift ursprünglich selbständig war, so hat man es mit dem interessanten Fall zu tun, daß die (nichtpriesterschriftliche) Vorlage und die (priesterschriftliche) Nachschrift wie meistens separat entstanden sind und erst sekundär zusammengearbeitet wurden.47 Wie bei den außerbiblischen Beispielen und in der Chronik ist das literarische Verhältnis gleichermaßen von Treue zur Vorlage und tiefgreifenden Veränderungen bestimmt. Vom wörtlichen Zitat bis zur selbständigen Formulierung, von der Übernahme der Disposition bis zur souveränen Anordnung des Materials sind alle Möglichkeiten vertreten. Die literarische Bearbeitung der Vorlage im neuen Kontext desselben Werkes, des Pentateuchs, hat das Ganze der Vorlage im Blick. Nur was die Hermeneutik im Verhältnis von Vorlage und Nachschrift angeht, tut sich die Frage auf, ob es einen Unterschied macht, daß die Nachschrift hier als Fortschreibung im selben literarischen Zusammenhang, dort außerhalb des Originals als eigene Schrift erfolgte. Ein Unterschied besteht zweifellos darin, daß sich in den werkimmanenten Nachschriften das Motiv zur Duplizierung durch den Gang der Handlung ergibt, während es in den externen Nachschriften entweder nicht genannt ist oder künstlich durch eine aufwendige Quellentheorie (Chr, Jub) erzeugt werden muß. Zudem bietet die werkimmanente Nachschrift die Möglichkeit, daß die Vorlage vollständig erhalten bleibt, so daß - was für die literar- und redaktionskritische Analyse von entscheidender Bedeutung ist - alter und neuer Text nebeneinander stehen und der neue ohne den alten Text nicht wirklich zu ver-
47
Für den gesamten Komplex vgl. KRATZ 2000a, 99-155 sowie 226-313.
144
Die Tradition
stehen ist, während die externe Nachschrift nur das Ergebnis der literarischen Bearbeitung, den neuen Text, bietet, der zwar für sich gelesen werden kann, für das vollständige Verständnis aber auf die Überlieferung der Vorlage angewiesen ist. Schließlich markiert der äußere Unterschied - jedenfalls in der Konsequenz - auch ein Autoritätsgefalle: die immanente Nachschrift wurde gemeinsam mit der Vorlage kanonisch, die externe Nachschrift in der Regel nicht. Letzteres hat jedoch nicht allzu viel zu besagen, macht man sich klar, daß immerhin die Chronik noch in den hebräischen, die Apokryphen in den griechischen und lateinischen und das in Qumran sehr geschätzte Jubiläenbuch (neben vielem anderen) in den äthiopischen Kanon gelangten. Im hermeneutischen Grundsatz sind sich werkimmanente und externe Nachschrift jedenfalls einig: Hier wie dort soll die Nachschrift die Vorlage auslegen, aber nicht ersetzen. Gerade die Nachschriften im Pentateuch, der beide Fassungen im selben literarischen Zusammenhang überliefert, lassen erkennen, daß Vorlage und Nachschrift als sich ergänzende und gegenseitig interpretierende Größen betrachtet wurden. Soweit der Befund, wie er sich im Vergleich mit der empirischen Evidenz darstellt. Eine andere Frage ist, wie man diesen Befund genetisch erklärt. Da Zitate und Anspielungen nicht auf Anhieb und nicht in jedem Fall sicher zu identifizieren sind, fuhrt man sie gerne auf den besonderen Stil eines Autors, geprägte Wendungen oder eine eigene Tradition hinter den Texten und nicht auf literarische Abhängigkeit zurück. Auch die Nachschriften im Pentateuch, die verschiedenen Quellenschriften und das Deuteronomium, und andere, vergleichbare Phänomene werden für gewöhnlich eher aus der (mündlichen oder schriftlichen) Vorgeschichte als aus einer kontinuierlichen Auslegungsgeschichte erklärt. Der Befund in den Apokryphen und Pseudepigraphen sowie in den Schriften von Qumran, die nachweislich von biblischen Vorlagen abhängig sind und mit ihnen, unbeschadet der Autorität, die ihnen zugemessen wird, ziemlich frei verfahren (können), belehrt jedoch eines Besseren. Schriftautorität und Freiheit im Umgang mit der Schrift, literarische Abhängigkeit und Verarbeitung fremder Stoffe, Bewahrung und Aktualisierung des Texts sind keine Gegensätze, sondern bedingen sich gegenseitig im Werden der Bücher. So wird man auch die expliziten und impliziten Zitate in und zwischen den biblischen Büchern sowie das Phänomen der Nachschrift auf dieselbe Weise erklären müssen wie in den außer- und nachbiblischen Beispielen, als schriftgelehrte Auslegung und literarische Bearbeitung einer literarischen Vorlage, hier aber in der Vorlage selbst, d.h. als innerbiblische Exegese im eigentlichen Sinne. Wieder eine andere Frage ist sodann, was Vorlage und was Auslegung ist und ob diese in einem oder mehreren Schritten vor sich ging. Hier setzt die literar- und redaktionskritische Methode an.
7. Innerbiblische
Exegese und
145
Redaktionsgeschichte
IV. Textüberlieferung und Übersetzung Doch bevor wir zur Literar- und Redaktionsgeschichte kommen, zunächst noch ein anderes Beispiel der innerbiblischen Exegese, für das es empirische Belege gibt. Es ist ein altbekanntes Phänomen der Textkritik. Sowohl die handschriftliche Überlieferung der Masoreten als auch die verschiedenen Versionen des Bibeltexts, allen voran die Septuaginta und die Targumim, zeigen in aller Deutlichkeit, dass die Überlieferung des Texts in seiner Ursprache wie in den Übersetzungen nicht nur „Textpflege", sondern auch „Sinnpflege" 48 bedeutet. Mit dem Abschreiben und Übersetzen geht immer auch die Interpretation der biblischen Bücher einher. Auch dieses Phänomen wird von den Handschriften vom Toten Meer, den Bibelhandschriften wie den Handschriften nichtbiblischer Werke, aufs schönste illustriert.49 Hier lassen sich die verschiedenen Schreibgewohnheiten und die vielfältigen Varianten in verhältnismäßig früher Zeit, bald nach und z.T. noch während Fertigstellung der biblischen Schriften, gewissermaßen in statu nascendi studieren. Was dabei als erstes auffällt, ist die Vielfalt der Handschriftenüberlieferung in der Zeit vom 3. Jh. v.Chr. bis ins 1. Jh. n.Chr. Emanuel Tov50 hat sie in fünf verschiedene, sich teilweise überlappende Kategorien unterteilt: 1. Handschriften, die in einer für Qumran spezifischen Weise geschrieben wurden und relativ frei mit dem biblischen Text verfahren; 2. protomasoretische (oder protorabbinische) Textzeugen; 3. präsamaritanische (oder harmonistische) Textzeugen; 4. Handschriften, die der Vorlage der Septuaginta nahestehen; 5. eigenständige Handschriften, die sich keiner der vorher genannten Gruppen eindeutig zuordnen lassen. Hinzu kommen die Textfassungen von Zitaten in nichtbiblischen Werken und Exzerpten. Eugene Ulrich51 hält selbst diese Klassifizierung noch für zu eng und rechnet mit einer Vielzahl von successive literary editions. Die Vielfalt beweist, daß es in dieser Zeit noch keinen standardisierten Text gegeben hat, und positiv, daß der biblische Text noch im Werden ist und die Auffassungen über den „richtigen" Wortlaut auseinandergehen. Insofern sind die verschiedenen Textzeugen als solche Zeugen für die innerbiblische Exegese im Prozeß der Textentstehung. Im Einzelfall ist es allerdings nicht immer leicht zu entscheiden, welches die Intention der Überlieferer und Übersetzer war und ob es sich bei den Textvarianten um zufällige oder bewußte Änderungen handelt. Unklar scheint, wo 48
D i e T e r m i n o l o g i e n a c h A S S M A N N 1 9 9 2 , 8 8 , a u f g e n o m m e n v o n SCHMID 1 9 9 6 , 4 2 . 3 2 7 f .
49
Vgl. die einschlägigen Beiträge in MULDER (Hg.) 1988, 87ff.l61ff.l89ff.217ff.255ff.
299ff; S/EB0 (Hg.) (Hg.)
2000;
1996, 49ff.84ff.323ff.587ff.642ff; außerdem T o v
GREENSPOON
1998;
Beispiele
aus
der
Prophetie
101f.l25ff.243ff.358ff. 50
Vgl. T o v 1997, 9 5 - 9 7 und 2012, 107-110 ; DERS. 2000.
51
ULRICH 1 9 9 8 .
1 9 9 7 ; DAHMEN in
KRATZ
u.a.
201 ld,
146
Die Tradition
genau die „Textpflege" endet und wo die „Sinnpflege" beginnt. Doch die Alternative ist falsch. Selbst das sklavische Kopieren einer Handschrift, wie es am ehesten in der protomasoretischen (oder protorabbinischen) Textgruppe und in den masoretischen Handschriften begegnet, oder eine noch so wortgetreue und konkordante Übersetzung, wie z.B. die der Psalmen, verfolgt immerhin die Absicht, den Text, wie man ihn vorgefunden hat, genauestens zu bewahren. Die Treue zum Buchstaben ist hier das herrschende Auslegungsprinzip. Natürlich kommt es dabei zu Abschreibefehlern und anderen unbeabsichtigten Textverderbnissen. Doch wie sogleich oder später eingefügte Korrekturen solcher Fehler in den Handschriften belegen,52 ist man sich dessen bewußt und achtet auf die „Richtigkeit" des Texts. Das setzt ein waches Interesse für den Sinn dessen voraus, was man abschreibt und überliefert. Dasselbe gilt für die mehr äußerlichen Praktiken der Schreiber und Masoreten wie Schrift, Orthographie, Wort- und Satztrennung, Textaufteilung, Gliederungszeichen und Adnotationen zum Text, die man sowohl in den Handschriften vom Toten Meer wie auch in der masoretischen Handschriftenüberlieferung findet und die teilweise erst sekundär eingetragen wurden.53 Sie sind in ihrer Absicht nicht immer leicht zu durchschauen54 und lassen - gewollt oder ungewollt - unterschiedliche Interpretationen zu. Doch auch sie folgen dem Auslegungsprinzip der Textbewahrung. Sie wollen den Text sichern, indem sie ihn in der Darbietung strukturieren, die grammatische und syntaktische Struktur kenntlich machen und auf Besonderheiten, mögliche Fehler, unsichere oder unverständliche Lesungen oder Varianten hinweisen. Eine deutlichere Sprache sprechen zweifellos die manchmal in den Randbemerkungen der Schreiber oder im Vergleich der Handschriften und der Versionen auftretenden unterschiedlichen Lesarten: morphologische und semantische Varianten, Über- und Unterschüsse, unterschiedliche Textanordnung.55 Zwar dienen auch die jeweils gebotenen Lesarten primär der Textsicherung, doch unterscheiden sich Varianten vom bloßen Abschreiben und den Praktiken der Schreiber dadurch, daß sie einen anderen Text und mithin an der einen oder anderen Stelle einen mehr oder weniger starken Eingriff in die Textsubstanz belegen. In vielen Fällen bleiben die Gründe für den Eingriff verborgen, so daß auch die Entscheidung, welches die primäre Lesart ist, kaum zu treffen ist.56 In anderen Fällen, z.B. den samaritanischen Glossen, liegt die 52
Vgl. T o v 1999.
53
Vgl. T o v 1997, bes. 162ff; DERS. 1998.
54
Vgl. den Versuch von STECK 1998; DERS. 1999; DERS. 2000.
55
Vgl. T o v 1997, 192ff, die größeren Abweichungen 259ff.
56
Die in jüngster Zeit, gerade aufgrund der Textfunde vom Toten Meer, wieder häufiger vertretene Ansicht, dass es den ursprünglichen Text nie gegeben habe, mag aufs Ganze gesehen richtig sein, nicht aber für die einzelnen Lesarten, auch nicht für die Synonyme. Sie können nicht gleichzeitig an verschiedenen Orten und in verschiedenen Varianten unabhängig
7. Innerbiblische Exegese und
Redaktionsgeschichte
147
Richtung der Abhängigkeit und mit ihr der Interpretationsvorgang auf der Hand. Die allermeisten Fälle liegen zwischen diesen beiden Extremen. Arie van der Kooij" hat am Beispiel von Hab 1,11-12 demonstriert, welche Bedeutung den Varianten in Handschriften und Versionen, einschließlich der Bezeugung in nichtbiblischen Texten, für die Auslegungs- und Rezeptionsgeschichte zukommt. Wie die Zitierweise des biblischen Texts in den Pescharim sowie die Zitate und Nachschriften in anderen Büchern zeigen und wie folglich auch für die Wahl der Lesarten im Bibeltext angenommen werden kann, steckt oft schon in der Wiedergabe des Texts die Deutung. Das heißt nicht, daß man sich den Text so zurechtgelegt und hingeschrieben hat, wie man es gerade wollte. Vielmehr ist Kongruenz von Text und Deutung Ausdruck dessen, daß auch die Deutung nichts anderes sein will als Textsicherung und Textbewahrung und - sei es im Text selbst oder sei es in einer zugefugten Deutung - nur expliziert, was der Ausleger, gegebenenfalls dank zusätzlicher Offenbarung, im Text gefunden hat. So gesehen, bewegt sich die textkritische Variante im Gang der Auslegungs- und Rezeptionsgeschichte zwischen der Fortschreibung und der Kommentierung im Stile der Pescharim. Das fuhrt auf ein Weiteres, das der Textkritik schon lange bekannt, aber erst durch die Handschriften vom Toten Meer für die vorchristliche Zeit evident geworden ist. Die Übergänge von der Text- zur Literar- und Redaktionsgeschichte sind fließend, und je genauer man hinsieht, desto verschwommener werden sie. In den verschiedenen Texttypen oder successive literary editions der Textgeschichte setzt sich fort, was mit der Entstehung und Geschichte der Komposition der biblischen Bücher beginnt. Das trifft schon auf viele der kleineren Varianten mit engem literarischen Horizont zu,58 und erst recht auf komplexere Varianten bis hin zu unterschiedlichen Textfassungen, die mit der Entstehung und Komposition ganzer Bücher (Psalter, Jer, Dan etc.) zusammenhängen. 59 Alle diese Phänomene der Textgeschichte haben, wie immer man sie im einzelnen erklärt, ihre inhaltlichen, des näheren theologischen Implikationen, so daß man die Veränderungen auf dem Weg von dem einen zum anderen Textstadium auch unter dem Gesichtspunkt der Auslegung und Rezeption des biblischen Texts zu betrachten hat. Die durch Handschriften und voneinander entstanden sein, sondern müssen irgendwo ihren Ursprung haben, um dann entweder übernommen oder verändert zu werden. Das aber macht die Frage unausweichlich, welche Lesart die ursprünglichere (nicht unbedingt die ursprüngliche) ist und in welcher Richtung die Abhängigkeit verläuft. Dasselbe gilt von Abweichungen größeren Ausmaßes, sei es primär in der Anordnung (z.B. Psalter) oder sei es in der Textfassung (Jer, Dan etc.). Vgl. zur Frage Tov 1997, 136ff; DERS. 2012, 161ff. 57
VAN DER KOOIJ 2 0 0 0 . V g l . a u c h SEELIGMANN 1 9 6 1 ; BROOKE 1 9 8 7 ; ROFE 1 9 9 7 .
58
V g l . WELLHAUSEN 1 8 7 1 , X l f f ; WILLI-PLEIN 1 9 7 1 .
59 Vgl. Tov 1997, 259ff; DERS. 2012, 283ff, sowie die Beiträge in: TIGAY 1985, 53ff.97ff.l31ff.211ff; DAHMEN u.a. (Hg.) 2000, 35ff.l09ff; außerdem STIPP 1990; VAN DER
KOOIJ 1 9 9 7 .
148
Die Tradition
Versionen (mit hebräischer oder aramäischer Vorlage) belegten Vorgänge der Textentstehung sind nur die eine Seite der Textgeschichte, die auf der anderen Seite, ebenfalls mit fließenden Übergängen, in die Weitergabe und Übersetzung des Textes einmündet und hier weitere Varianten kleineren und größeren Ausmaßes bis hin zu midraschartigen Explorationen in den Übersetzungen, besonders den Targumim, und Nachschriften ganzer biblischer Bücher produziert. Auch diese Vorgänge dienen der Bewahrung des biblischen Texts, die sich als Auslegungsprinzip durch die ganze Textgeschichte zieht, nur nicht allein dem Buchstaben, sondern auch dem Geiste nach. Textüberlieferung und Übersetzung sind keine außerbiblischen Analogien im strengen Sinne, sondern eher Beispiele für die innerbiblische Exegese, allerdings solche mit externer Evidenz. Sie gibt es bekanntlich auch innerhalb der Bibel, unabhängig von der handschriftlichen Überlieferung. Es sind die Doppelüberlieferungen im Alten Testament.60 Dem äußeren Befund nach hat man es mit zwei Textvertretern (Rezensionen) desselben Texts zu tun. Für die Beurteilung der Varianten gelten dieselben textkritischen Gesetzmäßigkeiten und hermeneutischen Grundsätze, die man auch im Vergleich der alten Handschriften entdeckt. Dennoch handelt es nicht nur um ein textkritisches Phänomen. Das wäre der Fall, wenn die Doppelüberlieferungen zwei unabhängige Rezensionen repräsentierten. Doch das ist nur bei den in verschiedenen, ehemals selbständigen Sammlungen des Psalters überlieferten Dubletten Ps 14// 53 und Ps 57,8-12 + 60,7—14//108 möglich, aber auch hier wenig wahrscheinlich. Im ersten Fall spricht die Abänderung von Ps 14,5 in 53,6 (vgl. hnh in 1 Sam 26,3.5), die vom Kontext der Davidbiographie (Ps 52,2 und 54,2 nach 1 Sam 22,9ff; 23,19 und 26,1) her motiviert ist, für eine literarische Abhängigkeit, im zweiten der anthologische Charakter von Ps 108, der sich nicht gerade aus traditionellen Formularen zusammensetzt. Bei allen übrigen Parallelüberlieferungen, einschließlich Esr 2//Neh 7, scheint mir eine - mehr oder weniger direkte - literarische Abhängigkeit vorzuliegen. Mehr oder weniger direkt darum, weil nicht auszuschließen ist, daß die Abhängigkeit auf einem anderen als dem masoretischen Textvertreter basiert und manche Variante von daher textgeschichtlich zu erklären ist. Je stärker die Abweichungen, desto deutlicher treten jedoch die theologischen Intentionen zutage. Sie sind einer schriftgelehrten, dem neuen Kontext entsprechenden Auslegung der übernommenen Vorlage entsprungen und, wie manchmal im Schriftzitat der außerbiblischen Literatur, für Textvarianten, Über- und Unterschüsse etc. verantwortlich. Am deutlichsten zeigt das die Chronik, an der man studieren kann, wie aus der Textüberlieferung zur Textsicherung und Textbewahrung in allen nur denkbaren Spielarten der textgeschichtlichen Entwicklung durch innerbiblische Exegese eine literarische Neufassung der Vorlage hervorgeht
60
S.o. Anm. 40.
7. Innerbiblische Exegese und
Redaktionsgeschichte
149
und damit wiederum ein neues Kapitel der Textgeschichte aufgeschlagen wird. Was so innerhalb der Bibel durch Vergleich der Handschriften und der Parallelüberlieferungen erwiesen ist, entspricht dem, was man in anderen Fällen durch die literar- und redaktionskritische Rekonstruktion herausbekommt, von der Einzelglosse bis zur Fortschreibung und literarischen Neufassung ganzer Werke. Auch wenn man nie sämtliche Stadien der Textgeschichte erreichen wird, so gibt doch die external evidence für die Auslegungsvorgänge in der Textüberlieferung hinreichende Kriterien an die Hand, um die innerbiblische Exegese, und zwar nicht erst in den Spätphasen der Bücher, sondern von Anfang an, als treibende Kraft zur Textentstehung und -entwicklung und umgekehrt die text- und literarkritischen Indizien als Hinweise auf die Auslegungsund Rezeptionsgeschichte in der Entstehung der biblischen Bücher und der Entwicklung des Bibeltexts zu verstehen. Mit gewissen Einschränkungen wird man dasselbe sogar von der Übersetzung in eine andere Sprache sagen können. Sie bildet innerhalb der hebräischaramäischen Bibel zwar die Ausnahme, kommt aber durchaus vor und trägt auch hier, wie die späteren Versionen, das Ihre zur Interpretation und mit ihr zum literarischen Wachstum des biblischen Texts bei. Bestes Beispiel ist die Glosse in Gen 31,47, die V. 48 vorgreift und die hier gegebene Volksetymologie der Ortschaft Gal'ed „Steinhaufe des Zeugnisses" wörtlich ins Aramäische yegar säh"dutä' überträgt.61 Der Anlaß scheint mir nicht so sehr die Überlegung, daß Laban eine andere Sprache gesprochen haben müsse als Jakob, sondern eher die Lokalisierung der Szene an der Grenze zwischen dem aramäischen Laban und dem ostjordanischen, hebräischen Jakob, die einen gelehrten Schreiber auf den Gedanken gebracht hat, gerade an dieser Stelle für den Ortsnamen und nur für ihn die Zweisprachigkeit einzutragen. Ein anderes Beispiel für eine literarisch produktive Übersetzung ist die Übertragung und midraschartige Ausführung etlicher Informationen aus der aramäischen Tempelbauchronik Esr 5-6 in der hebräischen Vorgeschichte Esr 1-4 (vgl. auch 6,16-18.19-22) 62 sowie die mehrfachen Übersetzungs- und Interpretationsversuche des aramäischen Titels „Priester, Schreiber des Gesetzes des Himmelsgottes" aus Esr 7,12.21 in 7,(1-)6.10.11 (vgl. Neh 8,lff). 63 Das eine ist gewissermaßen ein Targum, nur in umgekehrter Richtung, das andere zeigt die semantischen Schwierigkeiten und die Tragweite der Übersetzung der Gesetzesterminologie, womit auch die Septuaginta zu kämpfen hatte. Schließlich sei noch auf die oft vermutete Übersetzung aus dem Aramäischen von Dan 1,1-2,4a im Zuge der Anfügung der hebräischen Visionen Dan 8-12, 61 In der Septuaginta steht die Glosse zwischen V. 46.48a (=V. 46 LXX) und V. 51.52a (= V. 48a LXX), woran sich die Verse 48b-50.52b (= V. 48b.49-50 LXX) anschließen. 62
Vgl. dazu KRATZ 2000a, 63-67.
63
Vgl. dazu KRATZ 1991b, 236-239.
150
Die Tradition
am Übergang in 2,4 vermittelt durch die Glosse rämit,64 sowie auf die hebräische Erklärung der aramäischen Vision Dan 7 in Dan 865 hingewiesen. Das eine scheint in erster Linie Übersetzungsarbeit zu sein, das andere ist wieder eine Art Targum. So zeigt sich, daß die Auslegungsprinzipien sowohl der Textüberlieferung als auch der Übersetzungen des Bibeltexts sich schon in dem Bibeltext selbst finden und hier an der Entstehung der biblischen Schriften beteiligt sind.
V. Die Redaktion Nachdem wir bisher von den empirisch belegten Phänomenen der innerbiblischen Exegese ausgegangen sind und von hier auf die Entstehung des biblischen Texts geschlossen haben, wenden wir uns nun der Textentstehung und ihrer Rekonstruktion selbst zu. Die Identifizierung der innerbiblischen Exegese hat zur Voraussetzung, daß man innerhalb der biblischen Bücher zwischen Textgrundlage und Auslegung und also zwischen älteren und jüngeren Bestandteilen unterscheiden kann. Die Unterscheidung erfolgt durch das methodische Instrumentarium der Literar- und Redaktionskritik, und genau dies macht die Sache für viele so schwierig, wenn nicht unglaubwürdig. Denn die Methode der Literar- und Redaktionskritik66 ist heute in Verruf geraten, nicht nur unter denen, die sie aus religiösen Gründen schon immer abgelehnt haben, sondern auch unter denen, die sie zwar bis zu einem gewissen Grade anwenden, im einzelnen aber für undurchführbar halten und daher durch mehr oder weniger gelungene Paraphrasen, Strukturanalysen oder Reliefbeschreibungen des überlieferten biblischen Texts (für gewöhnlich in der Fassung des masoretischen Kanons) ersetzen. Innerbiblical allusions werden so nicht als innerbiblical exegesis, sondern eben als innerbiblical allusions oder biblical intertextuality behandelt, d.h. sie werden konstatiert, aber nicht erklärt.67 Die textgenetische Fragestellung, d.h. eine Entscheidung über die Richtung der Abhängigkeit von innerbiblischen Referenzen, entfallt, womit nicht nur die historische Neugier enttäuscht wird, sondern auch die theologische Tiefenschärfe verlorengeht. Doch auch hierfür steht eine external evidence zur Verfugung, Analogien, die auf der Grundlage empirischer Daten Schlußfolgerungen über die Entstehung und Überlieferung antiker Texte im allgemeinen und der biblischen Bü-
64
Vgl. KRATZ 1991b, 42.
65
Vgl. „Die Visionen des Daniel" (in diesem Band Nr. 10). Zu ihr und dem Verhältnis von Redaktionsgeschichte und innerbiblischer Schriftausle-
66
g u n g v g l . KRATZ 1 9 9 7 ; SCHMID 2 0 0 0 . 67
S o ESLINGER 1 9 9 2 .
7. Innerbiblische Exegese und
Redaktionsgeschichte
151
eher im speziellen erlauben.68 Der Bibel am nächsten stehen die Fälle, die den biblischen Text selbst zum Gegenstand haben und schon zur Sprache kamen: die verschiedenen Fassungen des Bibeltexts in den Handschriften vom Toten Meer, im Samaritanus und in der Septuaginta sowie die Nachschriften biblischer Bücher innerhalb (Sam-Kön/Chr) und außerhalb des hebräischen Kanons. An zweiter Stelle kommen die Analogien aus der altorientalischen Umwelt, von denen bisher vorzugsweise das Gilgamesch-Epos69 und assyrische Königsinschriften 70 untersucht wurden, zuletzt auch die Werke des Schreibers Ilimilku von Ugarit.71 Des weiteren werden zuweilen Beispiele aus Talmud und Midrasch, aus der frühchristlichen und der arabischen Literatur, die homerischen Epen, ja sogar die neuere Literatur als Analogien herangezogen. Unter diesem Gesichtspunkt noch kaum beachtet wurden bisher die Schriften von Qumran. Wenigstens für die Kriegsregel (1QM und par.) und die Gemeinderegel Serekh ha-Jachad (1QS und par.) läßt sich eine Textentwicklung in der handschriftlichen Überlieferung nachweisen, und in den Handschriften der Hodajot finden sich Anhaltspunkte für die auch in der Psalmenüberlieferung von Qumran bezeugte Variation von Anzahl und Organisation der Hymnen.72 Was trägt die external evidence aus? Zunächst einmal verifizieren die empirischen Daten die Hypothese, daß antike Texte und also auch die biblischen Bücher, nicht vom Himmel gefallen sind, sondern eine Geschichte haben. Das ist zwar ein Allgemeinplatz, den jeder unterschreiben würde, doch muß der Sachverhalt offenbar von Zeit zu Zeit in Erinnerung gerufen werden, ebenso wie die Tatsache, daß er empirisch nachweisbar ist. Was sich schon von den verschiedenen Textzeugen der biblischen Bücher und den verschiedenen Fassungen des Kanons her nahelegt, wird von den altorientalischen Analogien bestätigt: Die masoretische Fassung des hebräischen (und aramäischen) Kanons ist nur eine unter vielen und zudem das späte Produkt einer vermutlich sehr langen, verwickelten Entstehungsgeschichte der einzelnen biblischen Bücher. Wer sich auf die „Endgestalt" der Bibel beruft, muß Rechenschaft darüber ablegen, auf welche „Endgestalt" er sich beruft und warum gerade auf diese und keine andere. Und er muß sich im klaren darüber sein, daß er mit der Fixierung auf eine der vielen „Endgestalten" vielleicht einem gewissen
68
V g l . TIGAY 1 9 8 5 ; TERTEL 1 9 9 4 ; CARR 2 0 1 1 .
69
TIGAY 1982; DERS. 1985, 21-52; für das Textmaterial vgl. GEORGE 1999; TUAT III, 540-559 und 646-744. 70 TERTEL 1994, 67ff.l71ff. Das zur Verfügung stehende Material ist allerdings sehr viel umfangreicher und unter redaktionsgeschichtlichen Gesichtspunkten noch lange nicht ausgeschöpft. 71
72
KORPEL 1 9 9 7 .
Vgl. die Hinweise bei LANGE/LICHTENBERGER 1997, hier 55f.60-62.63f.; KRATZ 201 lc und die hier genannte Lit.
152
Die Tradition
theologischen oder homiletischen Interesse entgegenkommt, aber keine wissenschaftliche Erklärung liefert. Letztere umfaßt die historische Frage nach der Entstehung und dem Verständnis der betreffenden „Endgestalt" in ihrer Zeit. Man mag diese Frage für unerheblich erachten, sollte sie in diesem Fall aber lieber ganz und unverhohlen vernachlässigen statt gegen sie und die Versuche, sie auf historisch-kritischem Wege zu lösen, zu polemisieren und die Deskription des überlieferten Texts unter der Hand mit der historischen Erklärung in eins zu setzen. Eines ist das theologische, auch homiletische Verstehen eines Textes in seiner Zeit, um das sich die historisch-kritische Forschung bemüht, ein anderes das Verstehen desselben Texts in unserer Zeit, um das sich - auf der Grundlage der historischen Forschung - die theologische Hermeneutik bemüht. Aufs Große und Ganze gesehen fuhren die empirischen Daten also zu einem eindeutigen Ergebnis: Wie überall im Alten Orient und in der antiken jüdischen Überlieferung ist auch in den biblischen Büchern mit einem sukzessiven Wachstum der Textmassen zu rechnen. Geht man ins Detail, liegen die Dinge natürlich sehr viel komplizierter. Empirisch gesichert sind alle nur denkbaren Fälle der Textentwicklung: Die einmalige Komposition eines größeren Zusammenhangs aus überkommenen, ehemals selbständigen oder in anderem Kontext überlieferten Einzelstücken verschiedener Provenienz bei völliger oder sehr weitgehender Umgestaltung und Reformulierung der Vorlagen (Gilgamesch, Tempelrolle); die nachträgliche Ergänzung eines gegebenen Zusammenhangs durch - mehr oder weniger wortgetreu übernommene - Einzelstücke (12. Tafel des Gilgamesch, 1QS); die Kopie eines überkommenen Zusammenhangs von der wortgetreuen Abschrift bis zur völligen Umarbeitung mit mehr oder weniger starken Änderungen, z.B. Zufugungen, Auslassungen, Wortersetzungen, verkürzenden oder ausweitenden Reformulierungen und Umstrukturierung des Materials (Gilgamesch, assyrische Inschriften, verschiedene Textvertreter des biblischen Texts, Chronik und die anderen Beispiele der rewritten bible, Kriegsregel und Gemeinderegel, Hodajot). Vergleicht man die empirischen Daten mit den Methoden und Ergebnissen der Literar- und Redaktionskritik in den Schriften des Alten Testaments, ist das Ergebnis keineswegs eindeutig. So will Jeffrey Tigay mit der Überlieferungsgeschichte des Gilgamesh-Epos die Richtigkeit der Urkundenhypothese im Pentateuch beweisen, während Hans Jürgen Tertel anhand der assyrischen Inschriften die Unmöglichkeit der Rekonstruktion von Vorlagen aus den überlieferten biblischen Textfassungen und im Zweifelsfall die Ursprünglichkeit des überlieferten, komplexen Textbestands zu begründen sucht. Der Dissens beruht nicht nur auf den Unterschieden des Materials, sondern auch auf einer verschiedenen Fragerichtung. Tigay fragt nach einer Analogie zum Entstehungsprozeß. Er untersucht daher die Entstehung und Überlieferung des Epos aus Vorlagen und mehreren Zwischenstationen und wendet dieses Modell auf
7. Innerbiblische Exegese und
Redaktionsgeschichte
153
die biblischen Erzählungen und Quellen an. Tertel hingegen fragt nach einer (vor allem formalen) Analogie für den vorliegenden biblischen Text im Entstehungsprozeß des außerbiblischen Materials. So betrachtet er die von ihm benannte generelle redaktionelle Tendenz in den akkadischen Epen zur Harmonisierung paralleler Partien durch Zusätze nicht als Beleg für das Textwachstum, sondern vergleicht sie inhaltlich mit den vorliegenden biblischen Texten, wo sich Derartiges kaum findet.73 In ähnlicher Weise will er auch der Chronik keine heuristische, sondern wie den akkadischen Epen nur illustrative oder bestätigende Bedeutung zubilligen, indem er die Probleme des literarischen Verhältnisses zu Samuel und Könige unnötig strapaziert und in der Chronik nur das für aussagekräftig hält, was sich nach seinen Kriterien aus den assyrischen Inschriften ergibt.74 Die assyrischen Inschriften wiederum werden nach einem vorher festgelegten, sehr formalistischen Raster des Handlungsverlaufs untersucht und mit den vorliegenden biblischen Texten verglichen, um am Ende festzustellen, welcher der mehr oder weniger komplexen Fassungen der Inschriften der biblische Text am ehesten entspricht. Nicht die vielfältigen, keineswegs nur in eine Richtung weisenden literarhistorischen Phänomene, sondern der Grad der Komplexität am Anfang der Textgeschichte ist das entscheidende Kriterium.75 Berücksichtigt man jedoch das gesamte Spektrum der redaktionsgeschichtlichen Möglichkeiten, muß man auch bezüglich der assyrischen Inschriften dieselbe Einschränkung machen, die Tertel gegen die akkadischen Epen und die Chronik einwendet: „It reminds us that the application of any analogy necessarily implies some inaccuracy. An empirical model can only give a broad picture."76 Dennoch: Die external evidence trägt dazu bei, das weite Feld ein wenig besser zu überblicken sowie die Möglichkeiten und Grenzen sowohl der empirischen Modelle als auch der Literar- und Redaktionskritik genauer abzustecken. Die empirisch nachgewiesenen Möglichkeiten der Textgenese führen die Grenzen der literar- und redaktionsgeschichtlichen Rekonstruktion deutlich vor Augen. Rekonstruieren lassen sich lediglich solche Vorgänge der Textentstehung, bei denen die Vorlage mehr oder weniger vollständig in den überlieferten Text eingegangen ist, in ihrem Bestand nicht angetastet, sondern abgeschrieben und allenfalls um Zufügungen jeglicher Art erweitert wurde. Nicht rekonstruieren lassen sich hingegen vollständige Umarbeitungen, Reformulierungen und Auslassungen der Vorlage, sofern sie im überlieferten Text nicht irgendwelche Spuren hinterlassen haben. Hätten wir, um ein Beispiel zu geben, nur die Chronik, dürfte es schwerfallen, aus ihr den Text von Samuel und Könige als Vorlage zu isolieren. Und ist im überlieferten Text ei73
T E R T E L 1994, 54f.
74
T E R T E L 1994, 67.156.171.
75
TERTEL 1994, 186.221.231.233f.
76
T E R T E L 1994, 233.
154
Die Tradition
ne Vorlage als solche zu eruieren, kann es sich entweder um eine wortgetreue Wiedergabe oder um eine reformulierte Fassung handeln. Auch das läßt sich jedenfalls theoretisch - nicht mehr feststellen. Zufiigungen jeder Art sind zwar empirisch belegt, doch ist kein Fall bekannt, bei dem man in den Handschriften das allmähliche Anwachsen eines Texts ohne wesentliche Änderung des jeweils erreichten Textbestands von den Anfängen eines schmalen Schriftstücks bis zum Korpus einer Schrift oder Schriftensammlung im einzelnen nachvollziehen könnte, wie man es bei der literar- und redaktionsgeschichtliche Rekonstruktion der biblischen Schriften anzunehmen pflegt. Nur das Verhältnis von masoretischem Text und Septuaginta (Jer, Dan etc.) sowie der handschriftliche Befund bei der Kriegsregel und der Gemeinderegel von Qumran weisen an einigen Stellen in diese Richtung. Ist damit die Untauglichkeit der Literar- und Redaktionskritik empirisch erwiesen? Ich denke nein. Denn auch die empirischen Modelle haben ihre Grenzen. Die Daten sind aus ganz unterschiedlichen Textsorten mit je eigenen, ganz spezifischen Entstehungs- und Überlieferungsbedingungen gewonnen. Ein aus sumerischen Vorlagen zusammengesetztes altbabylonisches Epos ist keine neuassyrische Königsinschrift, und beides ist wiederum Welten von biblischen Erzählungen und Erzählwerken, Prophetenbüchern, Psalmen oder Weisheitsschriften entfernt. Jedes Medium und jede Gattung folgt eigenen Überlieferungsgesetzen, und das Überlieferungswesen im Alten Orient ist nicht ohne weiteres mit der jüdischen Überlieferungskultur, wie sie in den biblischen Schriften, den Apokryphen und Pseudepigraphen, Qumran und der rabbinischen Tradition entgegentritt, identisch. John Barton hat in diesem Zusammenhang einmal die Frage gestellt: „What is a Book?"77 Einschlägige historische Untersuchungen78 haben ergeben, daß die mit der Königszeit einsetzende, immer nur auf enge Kreise begrenzte Literaturproduktion und -rezeption im alten Israel und im Juda der vorexilischen Zeit, wenn auch in sehr viel kleinerem Maßstab, mehr oder weniger den allgemeinen Gepflogenheiten der altorientalischen Schreiberkultur entsprach, sowohl was die offiziellen Archive als auch was das Bibliothekswesen anbelangt. Daß sich die Verhältnisse in und nach dem Exil grundsätzlich nur wenig geändert haben, belegen je auf ihre Weise die Funde von Elephantine und Qumran. Qumran, ein für die historische Anschauung unschätzbares und noch lange nicht voll ausgeschöpftes Beispiel, zeigt aber auch noch etwas anderes. Mit, in und neben dem üblichen Verwaltungs- und Schulbetrieb hat sich im Judentum eine neue, ganz eigene Überlieferungskultur entwickelt. Nicht nur, daß sich hier wie auch in Ägypten, Mesopotamien und Griechenland eine Samm77
78
BARTON 1 9 9 7 .
Vgl. JAMIESON-DRAKE 1991, sowie den vorzüglichen Überblick bei SCHMID 1994, 3 5 43 (mit Lit.).
7. Innerbiblische Exegese und
Redaktionsgeschichte
155
lung klassischer oder autoritativer, gewissermaßen „kanonischer" Referenzwerke herausgebildet hat, die im Schulbetrieb sorgsam abgeschrieben, gelernt und ausgelegt wurden.79 Hinzu kommt, daß das Studieren, Abschreiben und Verfassen von heiligen Büchern zum Inbegriff des frommen Lebens geworden ist (Dtn 6,4-9; Ps 1; Sir 38,34-39,11), einer jüdischen Identität, die an die Stelle der verloren gegangenen staatlichen Identität tritt. Aus dem israelitischen bzw. judäischen Schreiber ist der jüdische Schriftgelehrte geworden. Die Entwicklung fängt nicht erst in Qumran an und hört dort auch nicht auf. Qumran ist ein Zwischenglied, das, bei aller Divergenz in den Ansichten, zwischen den Anfängen in den biblischen und den Nachfahren in den rabbinischen Schriften steht. Die biblischen Schriften selbst, die sich von den in ihnen noch enthaltenen und den archäologisch nachgewiesenen Resten der altisraelitischen und judäischen Schriftkultur der Form und dem Inhalt nach markant unterscheiden, sind das beste Zeugnis der jüdischen Schriftgelehrsamkeit und der ihr entsprechenden, eigentümlichen Überlieferungskultur. Von der external evidence wird diese Entwicklung nicht erfaßt, mit Ausnahme von Qumran. Während sich die altorientalischen Analogien formal und inhaltlich ganz im Rahmen der üblichen Schreiberkultur, der Ependichtung hier, der offiziellen Annalistik dort, bewegen, gehen die biblischen Schriften überlieferungstechnisch und theologisch eigene Wege. In dieser Hinsicht ist die literar- und redaktionsgeschichtliche Rekonstruktion den empirischen Modellen überlegen, da nur sie der Gattung, dem Inhalt und der besonderen Überlieferungskultur gerecht wird. Damit ist ein Weiteres gegeben. Oben haben wir uns die Grenzen klargemacht, die die empirischen Daten der Literar- und Redaktionskritik setzen. Insbesondere Auslassungen und Reformulierungen, so sahen wir, lassen sich ohne Kenntnis der Vorlage kaum ausmachen. Die Gattung der rewritten bible ist dafür das beste Beispiel, auch wenn die Vertreter dieser Gattung (Chronik, Reworked Pentateuch, Jubiläenbuch, Tempelrolle etc., aber auch das Deuteronomium im Verhältnis zum Bundesbuch oder rekonstruierte Größen wie die Priesterschrift im Verhältnis zum nichtpriesterschriftlichen Text) ihre - weiter überlieferten - Vorlagen vermutlich nicht ersetzen, sondern nur interpretieren wollen. So scheint es auf den ersten Blick schwierig, wenn nicht unmöglich zu entscheiden, ob man es bei einem Einzelstück tatsächlich mit der Vorlage oder mit einer Neuformulierung, bei den verschiedenen Verzweigungen eines Texts in Haupt- und Nebenlinien mit geänderten, dem Kontext angepassten Vorlagen oder mit Zufugungen und bei Störungen des Texts mit Streichungen oder mit sekundären Nachträgen des Redaktors bzw. Autors zu tun hat. Doch die Schwierigkeiten sind, wie schon angedeutet, theoretischer Natur. Denn in der Praxis weisen die verschiedenen Textbestandteile meist auch ver-
79
Vgl. dazu
HALLO
1991.
156
Die Tradition
schiedene theologische Profile auf, die eine Unterscheidung der Hände erlauben. Auch das hat mit der besonderen jüdischen Überlieferungskultur zu tun, die, anders als die altorientalischen Analogien, eine große theologische Meinungsvielfalt hervorgebracht und in der Bibel bewahrt hat. Das entscheidende Kriterium ist die Tendenzkritik, die - auf der Grundlage der gängigen literarund redaktionskritischen Indizien - für die Entscheidung und die Differenzierung der literarischen Ebenen den Ausschlag gibt, ein Verfahren, das die Möglichkeiten der empirischen Modelle übersteigt. Das bedeutet nicht, daß man in jedem Fall den ältesten, ursprünglichen Text wird erreichen und jeden einzelnen redaktionellen Eingriff wird nachvollziehen können. Man kann nur so weit in die Vorgeschichte eines Textes eindringen, wie er sie selbst zu erkennen gibt, manchmal mehr, manchmal weniger. Und man wird auch immer nur so weit gehen dürfen, wie es der Text gestattet, und mit dem Vorbehalt leben müssen, daß einem dabei vieles entgeht. Doch immerhin ist es auf diese Weise möglich, die verschiedenen theologischen Profile, verteilt auf verschiedene Hände, ins Verhältnis zu setzen und historisch zu erklären. Und indem man so verfahrt, wird man des fortlaufenden Auslegungsprozesses im Werden der Schriften, der innerbiblischen Exegese als des treibenden Motivs zur Entstehung der alttestamentlichen Texte, gewahr. Oder anders ausgedrückt: Wie die - empirisch belegten - Regeln der innerbiblischen Exegese mit Notwendigkeit auf ein sukzessives Wachstum der Texte fuhren, so legt erst der nach den - ebenfalls am empirischen Material erprobten - Regeln der Literar- und Redaktionskritik, besonders der Tendenzkritik, rekonstruierte Prozeß der Textentstehung den Prozeß der innerbiblischen Exegese frei. Innerbiblische Exegese und die Redaktionsgeschichte der biblischen Bücher sind eins.
8. Die Suche nach Identität in der nachexilischen Theologiegeschichte Zur Hermeneutik des chronistischen Geschichtswerkes und ihrer Bedeutung für das Verständnis des Alten Testaments
I Mit dem Wort „Identität" bedient sich die Themenstellung eines Begriffs der Philosophie und der modernen Psychologie.1 Über die Psychologie ist er vor allem von der Praktischen Theologie in der Religionspädagogik und der Seelsorge rezipiert worden. Ist er aber auch geeignet zur Beschreibung theologiegeschichtlicher Sachverhalte im Alten Testament und in der übrigen Literatur des antiken Judentums? Sicher nicht dem Begriff, wohl aber der Sache nach. Das gilt einmal für den Gang der israelitischen Theologiegeschichte selbst. Ihre literarische Hinterlassenschaft läßt sich - um mit Gerhard von Rad2 zu sprechen - als „das Ergebnis einer sich in der Geschichte immer neu betätigenden Reflexion Israels über sich selbst" bezeichnen. Von Rad weiter: „Jede Generation stand vor der immer gleichen und immer neuen Aufgabe, sich als Israel zu begreifen. Jede Generation mußte erst in einem gewissen Sinne Israel werden." Und man wird hinzufügen dürfen und müssen, daß dies die „immer gleiche und immer neue Aufgabe" mit einschloß, Gott und sein Tun zu begreifen, ihn als den Gott Israels wahrzunehmen und zu verstehen; in gewissem Sinne mußte auch Gott für jede Generation erst zum Gott Israels werden. Die ganze Theologiegeschichte, die zugleich Literaturgeschichte des Alten Testaments und aller übrigen Schriften bis hinein ins Neue Testament ist, erscheint so als „Suche nach Identität" im Sinne der Frage, wer Israel und wer der Gott Israels ist im Wandel der Zeit, im Wandel der Erfahrungen und im Wandel der geschichtlichen Erscheinungsformen Israels und seines Gottes. Zum anderen läßt sich aber auch die Frage der Neuzeit, unsere Frage nach der Theologie des Alten Testaments oder einer Biblischen Theologie gewissermaßen als „Suche nach Identität" verstehen, sofern dabei nach etwas Verbindendem und Verbindlichem in der israelitischen Literatur- und Theologiegeschichte, nach einer „Mitte der Schrift" oder dem „Kanon im Kanon" gefragt wird. Die beiden Felder überschneiden sich schließlich, wenn mit von Rad, 1
Vgl. fürs erste TRE 16, 1987, 25-28.28-32; des näheren etwa E. HIRSCH 1982.
2
VON RAD 1987, 132.
158
Die Tradition
aber auch mit einer entsprechend weit gefaßten, für verschiedene Inhalte offenen Bundesformel (Jhwh der Gott Israels - Israel das Volk Jhwhs) als Mitte der Schrift3 die Suche nach Identität in der Theologie- und Literaturgeschichte selbst zum Gegenstand der Theologie des Alten Testaments erklärt wird. Bei alldem umfaßt der Begriff „Identität" zweierlei, das im Grunde eins ist: das Selbstverständnis und die Wahrung solchen Selbstverständnisses im Sinne der Selbigkeit. In Anlehnung an das Oberthema des Kongresses der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Theologie von 1993, „Pluralismus und Identität", läßt sich also auch hier von einer Spannung im Verhältnis von Selbigkeit und Anderssein oder Anderswerden, Kontinuität und Wandel, Einheit, vielleicht auch Einmaligkeit und Vielfalt der Bezeugungen Israels und seines Gottes sprechen. Inwieweit der so definierte Gebrauch des Begriffs auch philosophisch oder psychologisch gedeckt ist, sei einmal dahingestellt. Logische oder ontologische Festlegungen, gar mit metaphysischem Hintersinn und offenbarungsgeschichtlichem Ziel, empfehlen sich, da es um ein geschichtliches Selbstverständnis geht, m.E. nicht. Thema im engeren Sinne ist das Identitätsproblem innerhalb der nachexilischen Theologiegeschichte, wofür ich mich auf das chronistische Geschichtswerk (ChrG) als Beispiel konzentrieren möchte. Die Eingrenzung hat zwei Gründe. Zum einen stellt sich das Problem in nachexilischer, genauer: nachstaatlicher Zeit sehr viel klarer dar als vorher, nicht zuletzt weil auch die literarischen Verhältnisse sehr viel klarer sind, jedenfalls soweit man sich auf die eindeutig hierher gehörenden Schriften bezieht. Der Zusammenhang von Theologie- und Literaturgeschichte und die sich darin vollziehende „Suche nach Identität" stehen hier also auf einer relativ gesicherten literarischen Basis und können so einmal für sich studiert werden, ohne durch divergierende analytische Ergebnisse oder methodische Differenzen sofort wieder in Frage gestellt zu werden. Zum anderen wird speziell das ChrG als Beispiel gewählt, da es in diesem Beitrag nicht um eine oder mehrere konkurrierende theologische Konzeptionen als solche, sondern um die Frage gehen soll, wie in diesen Konzeptionen Identität gesucht und bestimmt wird, welche Faktoren dabei eine Rolle spielen und wie sie zusammenwirken. Und dafür eignet sich das ChrG m.E. in vorzüglicher Weise. Denn die „Suche nach Identität" ist darin nicht nur thematisch,4 sondern in der Quellenbenutzung, im Verhältnis von 3
Vgl. SMEND 1963, llf.39; DERS. 1970, bes. 73ff; auch KAISER 1993, 159.350, der aber die Grundbeziehung Jhwh - Israel über die „Grundgleichung, daß Gerechtigkeit und Leben einander im Leben des Volkes wie des Einzelnen entsprechen" (350), in der „Tora als Mitte der Schrift" und d.h. in dem Verhältnis von „Evangelium und Gesetz", Erwählung und Verpflichtung, festmacht (22f.329ff). 4 Dazu schon VON RAD 1930, 19-37. Weiterführend WILLIAMSON 1977, 87ff; JAPHET 1989, bes. 267ff; VOGT 1966; WILLI 1992; zur Frage auch KRATZ 1991b, 185 Anm. 124.
8. Die Suche nach
Identität
159
Vorlage und Neufassung, auch literarisch greifbar und an den Quellen nachvollziehbar.5 Man kann es nur einen Glücksfall nennen, daß das vielgeschmähte ChrG in den hebräischen Kanon aufgenommen wurde, gibt es doch Maßstäbe an die Hand, die uns nicht nur ähnliche Schriften der Folgezeit z.B. das Jubiläenbuch oder die Tempelrolle von Qumran sondern vielleicht auch die ihm vorausgehende Literatur- und damit einhergehende Theologiebildung im Alten Testament nach ihrer hermeneutischen Seite etwas besser verstehen lassen. Was die einleitungswissenschaftlichen Fragen anbelangt, so gehe ich von der Einheit des ChrG, d.h. von einem Zusammenhang von 1. und 2. Chronik und Esr-Neh als Fortsetzung aus.6 Gleichgültig, ob es sich um das Werk eines oder mehrerer Autoren, in einem Zug oder separat verfaßt, handelt, jedenfalls sind Chr und Esr-Neh nicht unabhängig voneinander entstanden, sei es, daß Esr-Neh (ebenso wie Dan 1-6 in Ausführung von 2 Chr 36,21) von vornherein als Fortsetzung von Chr verfaßt, sei es - worauf vielleicht die jetzige Stellung im hebräischen Kanon weist - , daß sie zunächst als Fortsetzung von (Pentateuch und) Deuteronomistischem Geschichtswerk (DtrG) gedacht waren und durch die Chr als Vorgeschichte ergänzt wurden. Entscheidend für die folgenden Überlegungen ist das allerdings nicht, sie könnten sich auch allein auf die beiden Chronikbücher beziehen. Hinsichtlich der Datierung hat sich mittlerweile ein gewisser Konsens gebildet,7 wonach für den Grundbestand mit einer Entstehung noch in persischer Zeit, des näheren vielleicht in der zweiten Hälfte des 4. Jh.s (unter Artaxerxes III.) gerechnet werden kann.
II Wenden wir uns nun also den einzelnen Faktoren zu, die das Verhältnis von Vorlage und Neufassung im chronistischen Werk und in diesem Verhältnis die Identität bestimmen. Die Erklärung der Differenzen 8 bewegte sich lange Zeit zwischen der Alternative Sammler oder Autor, zusätzliche, nichtbiblische Quellen oder freie Erfindung des Chronisten, ist aber mehr und mehr von der Suche nach zusätzlichen Quellen abgekommen und richtet sich heute 5 Eigens dazu WILLI 1972; ACKROYD 1991, 311-343; STRÜBIND 1991; BEENTJES 1993; KALIMI 1994; sowie FISHBANE 1985, 380ff. 6
Mit ZUNZ 1832, 21. Zur Diskussion vgl. SJEB0 1981, 80-83; STRÜBIND 1991, 25-36, neuerdings JAPHET 1991; POHLMANN 1991. Für die literarhistorische Differenzierung vgl. KRATZ 2000a. 7
Zur Diskussion S/EB0 1981, 79f; STRÜBIND 1991, 23-25; KALIMI 1993a,; zur näheren Eingrenzung KRATZ 1991b, 270ff. 8 Vgl. zur Forschungsgeschichte WILLI 1972, 10-47.48ff; zur Quellenfrage NOTH 1943, 131 ff; zur Diskussion SVEB0 1981, 77-79; STRÜBIND 1991, 14-21.
160
Die Tradition
vor allem auf die Tätigkeit des Chronisten im Umgang mit seinen biblischen Vorlagen. Die Alternative lautet jetzt: Interpret oder Autor, Auslegung des DtrG aus seinem Geist und um seiner selbst willen oder schöpferische Nachschrift aus dem Geist der nachexilischen Zeit mit eigenen zeitgeschichtlichen und theologischen Interessen.9 Es wäre allerdings verfehlt, entweder nur das eine oder nur das andere zu sehen. Beides, die Vermittlung und Auslegung der Vorlage wie auch die eigenen Interessen, kommt im ChrG zu seinem Recht und ist konstitutiver Bestandteil eines umfassenden literarischen Rezeptionsvorgangs; die Frage ist vielmehr, wie und warum beides zusammenkommt. Mit Bezug auf unser Thema etwas systematisiert, lassen sich die bestimmenden Faktoren dieses Rezeptionsvorgangs, wenn ich recht sehe, in drei Aspekte einteilen, mit denen das ChrG seine Vorlage reproduziert: 1. Identität im Text, 2. Identität in der Zeit, 3. Identität im prophetischen Geist. 1. Identität im Text. Es ist heute fast einhelliger Konsens, daß die literarische Grundlage der Chronik keine andere ist als die uns vorliegende Fassung von Pentateuch und DtrG. Wo die Chronik ganz oder beinahe wörtlich mit ihrer Vorlage übereinstimmt und ihr auch in Anlage und Darstellungsform folgt, gibt sie selbst zu erkennen, daß sie mit der älteren Überlieferung identisch sein will. Dagegen scheinen die Fälle zu stehen, in denen die Chronik von ihrer Vorlage abweicht; die Möglichkeiten reichen bekanntlich von der kleinsten textlichen Variante bis hin zum chronistischen Sondergut.10 Doch auch diese Differenzen sind weitgehend aus der Vorlage gespeist oder wenigstens durch sie veranlaßt. Das gilt für die seit J. W. Rothstein und J. Hänel" so genannte „genealogische Vorhalle" 1 Chr 1-9(10), die eine spezielle, eigenwillige Wiedergabe von Gen-1 Sam darstellt, ebenso wie für die Fortschreibung des in der Chronik wiedergegebenen Zusammenhangs von Gen-2 Kön in Esr-Neh, die den Wiederaufbau dessen schildert, was zerstört wurde, und dabei vielfach auf Gen-2 Kön und weitere biblische Schriften, insbesondere Prophetenbücher (namentlich Jeremia, Haggai und Sacharja) rekurriert. Und das gilt schließlich auch für die Differenzen in den parallelen Stücken von 1 Sam-2 Kön und 1-2 Chr, die sich entweder aus dem näheren Kontext der Parallele im DtrG selbst oder aus anderen, entlegeneren Textstellen erklären 9 In den Worten WILLIS 1972, 53: „... ob man in der Chronik mehr das Geschichtswerk oder die ,Programmschrift für das nachexilische Israel' sieht" (hier und 13lf mit Zitat aus VON RAD 1930, 121). Vgl. die grundsätzlich zutreffende Kritik an dieser Alternative von WELTEN 1973, 204-206; STRÜBIND 1991, 20f.98.99; ACKROYD 1977, 342. 10 Vgl. die einschlägigen Synopsen (VANNUTELLI 1931, 1934; BENDAVID 1965, 1969; KEGLER/AUGUSTIN 1984) sowie NOTH 1943, 155ff.l66ff; WILLI 1972, 67f und passim (schön zusammengefaßt von STRÜBIND 1991, 83-95); zum Sondergut bes. WELTEN 1973.
" KAT XVIII/2, 1927, 2. Dazu KARTVEIT 1989; OEMING, 1990; WILLI 1991; DERS. 1992, 91 ff.
8. Die Suche nach Identität
161
lassen, und zwar wiederum Stellen in Gen-2 Kön, d.h. Pentateuch und DtrG, wie auch in den hinteren Propheten, Psalmen und vielleicht sogar Hiob.12 In jedem Fall soll auf die ganz oder unvollständig, wörtlich oder nur in Anlehnung „zitierten" Texte durch die literarische Anspielung verwiesen werden; ihre Kenntnis und die Assoziation ihres Kontexts ist vorausgesetzt und für das Verständnis von ChrG teilweise unerläßlich.13 Zur Verdeutlichung ein Beispiel, 2 Chr 36,20f: (20) Und was vom Schwert übrig geblieben war, führte er (Nebukadnezar) in die Verbannung nach Babel, und sie wurden ihm und seinen Söhnen zu Knechten, bis das Reich der Perser zur Herrschaft kam (21), zu erfüllen das Wort JHWHs im Munde Jeremias, bis das Land seine Sabbate ersetzt bekam, alle Tage der Verwüstung ruhte es, zu erfüllen die siebzig Jahre.
Die Stelle14 schließt an die Schilderung der Tempelzerstörung in 2 Chr 36,1719/2 Kön 25,8ff (bes. V. 9f.l3ff) an und faßt den letzten Akt der Wegfuhrung in 2 Kön 25,11 f. 18ff (bes. V. 21) sowie die Gedaljaepisode (par. Jer 40f) und die Begnadigung Jojachins (par. Jer 52,31-34) in 2 Kön 25,22ff.27ff zusammen. Hier wie dort markieren die Nachrichten aus der Exilszeit eine Zäsur, die in 2 Chr neu akzentuiert bzw. weitergeführt wird. Schon die Vorlage in 2 Kön 25 hat den Chronisten also auf Jeremia geführt, der nun auch namentlich genannt (vgl. noch 2 Chr 35,25; 36,12.22; Esr 1,1) und ausdrücklich zitiert wird. Allerdings zitiert der Chronist nicht die in 2 Kön 25 angedeuteten Texte, sondern die 70 Jahre aus Jer 25,1 lf; 29,10 (Sach 1,12; 7,5) zusammen mit der Aufforderung von Jer 21,Ii, Nebukadnezar und seinen Söhnen zu dienen. Die 70 Jahre fassen beides zusammen, die vertane Chance der Gedaljaepisode für das Land und die Begnadigung Jojachins für das Überleben der Gola. Die prophetische Weissagung verbindet der Chronist mit einem Zitat aus der Tora, Lev 26,33.39 (2 Chr 36,20) und 34f.43 (2 Chr 36,21), ohne zwischen Mose- und Jeremiawort, die beide Gottes Wort sind, zu unterscheiden.
12 Vgl. NOTH 1943, 114.169ff; WILLI 1972, 56.62.65.66.132f.l76ff (zu Hiob 133.155f. 242); auch STRÜBIND 1991, 200 mit Anm. 5 am Beispiel Josaphats. Zu den entsprechenden literarischen Verknüpfungstechniken (Block- und Leitworttechnik, Typisierung) WILLI 1972, 63f.65f.137f sowie 160ff, zur historisch-literarischen Rekonstruktion des Chronisten 207ff; KALIMI 1993b. Fast dieselben Phänomene der literarischen Anknüpfung hat übrigens SHEPPARD 1980, lOOff in Jesus Sirach und Baruch gefunden; zur literarisch-historischen Rekonstruktion in Bar vgl. STECK 1993a (dazu unten III). 13
Vgl. WILLI 1972, 56.66 sowie ACKROYD 1991, 341f; anders FISHBANE 1985, 381f. Die Assoziation über ein partielles „Zitat" (Wort- und/oder Sachbezug) ist übrigens nicht erst aus der rabbinischen Literatur bekannt (WILLI, 226), sondern in der Fortschreibung der biblischen Bücher die Regel. Vgl. für die Prophetenfortschreibung STECK 1993b, hier 229; für Sir und Bar SHEPPARD, 1980, 101. 14
Zu ihr vgl. KRATZ 1991b, 262.
162
Die Tradition
A u s 2 K ö n 2 5 , i m Licht v o n L e v 2 6 g e l e s e n , wird die Theorie v o m leeren Land. D i e Verbindung der Frist aus Tora und Propheten mit d e m Herrschaftsantritt der Perser ist der - seinerseits aus prophetischen Q u e l l e n (Jes 4 0 f f , Hag/ Sach) gespeiste - Eigenanteil des Chronisten (2 Chr 3 6 , 2 2 f / E s r 1,1 f f entsprechend Esr 5,11 ff). Sämtliche Texte, die hier anklingen, sollen assoziiert und i m Sinne der v o m Chronisten rekonstruierten Exilszeit und ihrer B e g r e n z u n g als einheitliches Z e u g n i s z u s a m m e n g e s e h e n werden. D e r B e f u n d hat z w e i Seiten: Z u m einen bilden nach a l l e m nicht nur der in Chr ü b e r n o m m e n e und in Esr-Neh weitergeführte Z u s a m m e n h a n g G e n 2 K ö n , sondern auch die hinteren Propheten und die Psalmen, d.h. die späteren Kanonteile Tora, N e b i i m und P s a l m e n i m damaligen Bestand, 1 5 die literarische Grundlage des ChrG. S o w o h l in den mit 1 S a m - 2 K ö n übereinstimm e n d e n Textpartien als auch in den A b w e i c h u n g e n , s o w e i t sie auf andere
15
Er spiegelt sich in der chronistischen Rezeption wider, die damit auch kanongeschichtliche Bedeutung hat. Tora und DtrG sind danach bereits mehr oder weniger fertige Größen; die Verbindung von DtrG und Propheten zum Kanonteil Nebiim (Jos-Mal) scheint - da eine Zäsur zwischen Tora und vorderen Propheten fehlt (anders Sir 46,1 ff) und der Übergang von 2 Kön nach Jes nicht fortlaufend, sondern zeitlich gelesen ist und sich so überschneidet (so freilich auch Sir 48,22fi) - noch nicht erfolgt. Von den Propheten sind gemäß Esr 5,1; 6,14 sicher Hag und Sach 1-8, gemäß den tragenden Themen in Esr-Neh (neben Tempel- und Mauerbau auch die innere Organisation der Provinz Juda) wohl auch schon Maleachi vorausgesetzt. Vermutlich handelt es sich um die Redaktionsstufe, die mit der Einschreibung der Grundschicht von Mal als unmittelbarer Fortsetzung von Sach 1-8 im Rahmen eines Mehrprophetenbuchs (Hos-Sach/Mal) bzw. des ganzen Prophetenkorpus (Jes-Sach/Mal) erreicht ist; vgl. dazu BOSSHARD/KRATZ 1990. In diesem Rahmen werden Jes 1-39 (mit Jes 3639!) und Jer (mit Jer 52!) und parallel dazu Hos-Zef auf die vorexilische Königszeit bis und mit 587 v.Chr. gelesen und in 1-2 Chr mit dem entsprechenden Zeitabschnitt in Gen-2 Kön 25 korreliert, Jes 40ff und Ez und parallel dazu Hag, Sach 1-8 + Mal-Grundschicht (als Sacharjatext) in 2 Chr 36/Esr-Neh auf die exilisch-„nachexilische" Zeit der Heilswende bezogen. Die Kombination von Jeremia mit Jes 40ff und Hag/Sach 1-8 in 2 Chr 36/Esr lff (s. das Textbeispiel und dazu auch unten 11,2) legt im übrigen die Vermutung nahe, daß dem eine Anordnung der Prophetenbücher zugrundeliegt, in der Jes 40ff noch nicht auf Jes 1-39, sondern auf Jer folgte; zum literarischen Anschluß vgl. KRATZ 201 ld, 216-232. Auch für den Bestand der Psalmen gibt es einschlägige Indizien: die in 1 Chr 6,16ff; 25,lff u.ö. erwähnten Sängergilden der Überschriften von Ps 42-50 und bes. Ps 73-89 wie auch die Historisierungen in einzelnen Überschriften zu den Davidpsalmen, die Komposition aus Ps 105.96.106 in 1 Chr 16, die Zitation der Lob-Formel aus Ps 100,5; 106,1; 107,1; 118,1.29; 136,lff in 2 Chr 5,13; 7,3; 20,21; Esr 3,11 oder die Parallele in 2 Chr 6,41f mit Ps 132,8-10. Inwieweit dabei allerdings Teile (etwa Ps 2-72 oder 2-89) oder - wenigstens in einem gewissen Umfang (etwa Ps 1-136) - schon die Gesamtanlage des Psalters, der sowohl der Tora nachgebildet (Ps 1 und die Ordnung in fünf „Bücher") als auch heilsgeschichtlich strukturiert ist (Buch I—II für die vorexilische Königszeit, Buch III und IV für den Untergang des Königtums und das Exil, Buch V für die „nachexilische" Heilszeit), vorausgesetzt oder ihrerseits vom ChrG abhängig sind, bedarf noch näherer Untersuchung; vgl. dazu „Die Gnade des täglichen Brots" (in diesem Band Nr. 11) sowie „Die Tora Davids" (in diesem Band Nr. 12).
8. Die Suche nach Identität
163
Texte verweisen oder - in Eigenformulierung bzw. mit zusätzlichem Material - aus ihnen abgeleitet oder daran angeschlossen sind, sucht das ChrG Identität im Sinne der Selbigkeit mit dem Text von Tora, DtrG, Propheten und Psalmen und bezieht daraus Identität im Sinne des Selbstverständnisses Israels. Die Identität im Text umfaßt Identität sowohl im Wortlaut als auch in der Sache, die die vielen verschiedenen Worte der Vorlagen wie auch des ChrG selbst eint. Die „Sache" ist kein von außen herangetragener Gesichtspunkt, sondern ein Bild der Geschichte Israels, das den Vorlagen, dem geschichtlichen Zusammenhang Gen-2 Kön wie auch den Propheten und Psalmen, die Exil und Exilswende mit einschließen, entnommen ist. Zum anderen gewinnen in der chronistischen Rezeption die benutzten Quellen selbst neues Profil und Gewicht. Pentateuch und DtrG, Tora und vordere Propheten, wachsen in der Chronik (wieder) zu einer Einheit zusammen. Die hinteren Propheten wie auch die Psalmen, soweit sie schon vorlagen, werden auf derselben Ebene zitiert und mit dem Zusammenhang Gen-2 Kön korreliert, mit dem sie sich zeitlich überschneiden (Jes 1-39, Jer bzw. HosZef, Psalmen „Buch" I-IV), und werden so zur Geschichte - im Sinne des Chronisten zur Geschichte, wie sie sich zugetragen hat und zugleich normativ ist, in unserem Sinne zum normativen Bild der Geschichte, wie es der Chronist konstruiert. Sie bekommen damit einen Sinn, der ihnen teilweise schon vorher eingeschrieben worden war; in der späteren, der Tora nachgebildeten Formation als Nebiim mit Jos 1 und Mal 3 als Klammer und den fünf „Büchern" der Psalmen als Anhang wird dieses Geschichtsbild weiter ausgeführt, in Sir 44ff entsprechend rezipiert.16 Daneben ist zweifellos auch einiges an zusätzlichem Material - in Frage kommen genealogische oder sonstige Verzeichnisse, vor allem aber die aramäische Chronik in Esr 4-6, vielleicht auch Esr 7 und eine ältere Esraerzählung, die Nehemiadenkschrift 17 - und an „mündlicher Tradition"18 eingegangen. Auch diese Quellen sind, für sich genommen, allein schon durch ihre Verwendung, durch Auswahl, (erste) schriftliche Fixierung und redaktionelle Be16 Vgl. STECK 1991a, 112ff.l27ff,157ff; DERS. 1993b, 217ff; für den im ChrG vorausgesetzten Bestand und die historisierende Rezeption oben Anm. 15 sowie KRATZ 1991a, 189f; etwas anders MCCONVILLE 1986. 17 Zur Quellenfrage s.o. Anm. 8, bes. NOTH 1943, 131ff.l44ff, zur neueren Diskussion STRÜBIND, 1991, 14-21; KAISER 1992, 134ff; ferner KRATZ 2000a; GRÄTZ 2004; WRIGHT 2004. Der Unterschied zwischen integrierten und separat überlieferten Vorlagen besteht somit nicht nur im Verhältnis von ChrG zu DtrG (dazu NOTH 1943, 166 Anm. 3), sondern im ChrG selbst, und zwar innerhalb von Chr ebenso wie im Verhältnis von Chr zu Esr-Neh. Ein grundsätzlich verschiedenes Quellen- oder gar Geschichtsverständnis (WILLI 1972, 182f) ergibt sich daraus nicht, die Rezeption - ob intern oder extern - bescheinigt den Quellen durchweg dieselbe Dignität. 18 Zur Sache schon NOTH 1943, 139ff; zum Begriff WILLI 1991, 58f.72; DERS. 1972, 187-189.
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Die Tradition
arbeitung oder Fortschreibung, Gegenstand der Rezeption und also - innerhalb der Rezeption selbst aufbewahrte - Vorlagen. Doch im Rahmen des ChrG stehen sie mit den Eigenformulierungen des Chronisten, davon oft gar nicht zu unterscheiden, auf einer Ebene und gehen wie diese in der Rezeption der weiterhin separat überlieferten Vorlagen auf; zusammen mit den parallelen Stücken und Zitaten aus Gen-2 Kön, Propheten und Psalmen sind sie ihrerseits zur „Wiedergabe" der (biblischen) Vorlagen geworden. Das heißt aber nicht, daß etwa die aramäische Chronik in Esr 4—6 oder die Nehemiadenkschrift von geringerer Autorität gewesen wären - sie hätten sonst gar keine Aufnahme gefunden - , sondern nur, daß diese innerhalb ihrer Rezeption überlieferten und so intern vorausgesetzten Quellen mit allem anderen auf ein und dieselbe externe Vorlage, auf dieselbe „Quelle" der nachmals kanonischen Schriften bezogen werden. In allem zeigt sich die Tendenz zur Harmonisierung der älteren Überlieferungen. Der Chronist sucht offenbar zuallererst in seinen Quellen selbst nach verborgener, implizierter Identität und Einheit, die er dann mit Bezug auf die Vorlage im eigenen Werk explizit macht und woraus er die Identität Israels und seines Gottes begründet. Somit sind die Chronik und das ChrG durchaus „als Auslegung" zu verstehen, eine Auslegung freilich, die sich noch nicht jenseits von Kanonsgrenzen weiß, sondern durch die Rezeption älterer, im ChrG vollkommen integrierter oder von ihm als separate Vorlage vorausgesetzter Überlieferung diese in einem gewissen, vorläufigen Sinne „kanonisch" macht und zugleich ihrerseits in demselben Sinne „kanonisch", d.h. mit der in der Rezeption „kanonisch" gewordenen Überlieferung identisch sein will. Sowenig die Chronik bereits ein Midrasch ist, sondern eher zu den „Voraussetzungen der Midraschexegese"19 gehört, sowenig setzt sie den - nicht zuletzt durch Schriften wie sie überhaupt erst möglich gewordenen - späteren Kanon voraus, sondern ist - nach der Bildung der Tora, deren Status als „Gesetz" nach dem Muster des achaimenidischen Gesetzgebungsverfahrens definiert wird (Esr 7)20 - ein weiterer Schritt auf dem Weg dorthin. Sie partizipiert an einem gewissen, vorkanonischen Kanonbewußtsein,21 das die Überlieferung von Texten, ihre Bewahrung und produktive Rezeption, von Anfang an prägt, sei es im selben oder in einem separaten literarischen Kontext. So gesehen ist das ChrG nichts anderes als eine Art „Fortschreibung" von Gen-2 Kön, Propheten und Psalmen in einem selbständigen Werk, das für sich und zugleich parallel zu seiner Gesamtvorlage gelesen werden soll, diese aber nicht ersetzen und auch nicht
19
SEELIGMANN 1953. Vgl. KRATZ 1991b, 225ff, bes. 246ff; STECK 1991a, 13ff. 21 Zum Begriff vgl. SEELIGMANN 1953, 152; danach SHEPPARD 1980, 109ff; DERS. 1982. Gegen die anachronistische Verwendung des Begriffs „Kanon" zuletzt wieder TALMON 1987. 20
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einfach nur ergänzen, sondern - in den Übernahmen und Anspielungen ebenso wie in den Ersetzungen und Ergänzungen - authentisch „wiedergeben" will. Wozu aber diese „Wiedergabe", wenn doch das Original noch existiert und dessen Kenntnis vorausgesetzt ist? 2. Identität in der Zeit. Dem eigenen Anspruch nach authentische, in Wort und/oder Sache identische „Wiedergabe" der Vorlage, tatsächlich aber ein Werk mit vielen Eigenheiten, eigenwilliger Auswahl und Präsentation der übernommenen Textpartien, eigenen Formulierungen und eigenem theologischem Profil - so stellt sich das ChrG einer nüchternen Betrachtung dar. Läßt sich der Widerspruch auch damit relativieren, daß unsere heutige, aufgeklärte und kritische Betrachtungsweise nicht die des antiken Autors oder Lesers gewesen ist, so stellt sich doch die Frage, was den oder die Verfasser zu dieser „Wiedergabe" genötigt hat. Die Auskunft von Thomas Willi: „Der einzige Anlaß für die Abfassung der Chronik ist im Anspruch der alten Quellen auf Auslegung zu sehen"22 macht die Mittel der Darstellung zu ihrem Zweck. Sie unterstellt dem Verfasser das erst sehr viel später (von Josephus und den Rabbinen) formulierte Selbstverständnis einer Zeit der erloschenen Prophetie, in der nicht mehr zeitnah produziert und nicht mehr rückblickend gesammelt und bewahrt, sondern einzig und allein noch ausgewertet und interpretiert worden sei. Das aber ist ein theologisches Epochenkonstrukt, das sich im ChrG, dem rezipierten Bücherbestand und zeitlichen Rahmen von „Mose" (Adam) bis „Artaxerxes" (Nehemia) nach geurteilt, vielleicht gerade zu bilden beginnt, im Selbstverständnis der Schrift hier jedoch ebenso viel oder wenig wirksam ist wie in jeder anderen Literatur, die mit alten Worten Neues formuliert, was in der Literaturwerdung des Alten Testaments zu allen Zeiten der Fall war. So lenkt die Frage nach den Gründen zur Abfassung des chronistischen Werkes den Blick vielmehr auf die neuen Herausforderungen seiner Zeit. Die Auffassung der „Chronik als Auslegung" schließt die zeitund theologiegeschichtliche Einordnung der Chronik und des ChrG im ganzen nicht aus,23 sondern ein. Beides, der zeitgeschichtliche Horizont und die eigene theologische Position, ist am deutlichsten in Esr-Neh zu greifen. Es ist die Fortsetzung des in der Chronik aufgenommenen Zusammenhangs Gen-2 Kön, an den auch der Geschichtsabriß Esr 5,11 ff ausdrücklich anknüpft,24 verfaßt auf der Grundlage 22
WILLI 1972, 193, vgl. zum Folgenden auch 53f.66.133f.204ff.241ff.
23
So WILLI 1972, 62f; DERS. 1992, 29f.93; ihm folgt STRÜBIND 1991, 37-44.201.
24
Vgl. auch Esr 3,12; 4,15; Esr 9 und Neh 9. Anders WILLI 1992, 33, bei dem allerdings nicht recht deutlich wird, ob Esr-Neh (von demselben Verfasser wie Chr, aber selbständig) nun - entsprechend den vorher unter der Überschrift „Kontinuität und nationale Identität" referierten historisch-archäologischen Befunden (10-28) - die Kontinuität und darin gesuchte Identität Israels begründet (31.141) oder aber ein ganz anderes, neues Israel beschreibt (32ff),
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der in den Propheten und Psalmen überlieferten Heilsperspektiven für die Zeit nach dem Gericht, mit zusätzlichen Quellen und im Geist der persischen Zeit sowie der chronistischen Konzeption. Aber auch die Darstellung der vergangenen, vorexilischen Zeit in 1-2 Chr ist durchgängig auf diese, im Sinne des Chronisten „nachexilische" Zeit hin transparent. Dafür braucht man sich nicht einmal auf bestimmte, in ihrer Deutung heute umstrittene theologische Themen wie „das Gesetz", den Kult, das „Vergeltungsdogma" oder dergleichen zu berufen.25 Den zeitgeschichtlichen Horizont26 machen manche der historischen Notizen in der Genealogie 1 Chr 1-9 (3,17ff; 5,41; 9,1) und vor allem der Schluß der Chronik in 2 Chr 36 selbst ausdrücklich. Noch einmal das prominente und in verschiedener Hinsicht aufschlußreiche Beispiel 2 Chr 36,20f mit den beiden Folgeversen:27 (20) Und was vom Schwert übrig geblieben war, führte er (Nebukadnezar) in die Verbannung nach Babel, und sie wurden ihm und seinen Söhnen zu Knechten, bis das Reich der Perser zur Herrschaft kam, (21) zu erfüllen das Wort JHWHs im Munde Jeremias, bis das Land seine Sabbate ersetzt bekam, alle Tage der Verwüstung ruhte es, zu erfüllen die siebzig Jahre. (22) Und im Jahr 1 des Kyros, des Königs von Persien, zu vollenden das Wort JHWHs im Munde Jeremias, erweckte JHWH den Geist des Kyros, des Königs von Persien, und er ließ eine Kunde in seinem ganzen Reich auch schriftlich verbreiten: (23) So spricht Kyros, der König von Persien: Alle Reiche der Erde hat mir JHWH, der Gott des Himmels, gegeben, und er hat mich beauftragt, ihm in Jerusalem, das in Juda liegt, ein Haus zu bauen. Wer unter euch zu seinem ganzen Volk gehört, mit dem sei JHWH, sein Gott, und er ziehe hinauf.
Ob mit oder ohne Fortsetzung in Esr 1 ff, die Stelle ist auch für sich genommen aufschlußreich genug. Zwei Aspekte bestimmen danach die Darstellung der vorexilischen Zeit in 1-2 Chronik. Zum einen der Standpunkt in der Geschichte Israels. Nach 2 Chr 36 reicht der Horizont, den das Ende der vorexiwobei „nicht die Kontinuität zum vorexilischen Israel", sondern die „Identität" der Provinz Juda das Thema sei (37). 25 Vgl. WELLHAUSEN 1905b, 165ff; VON RAD 1930; DERS. 1987, 359ff; NOTH 1943, 171 ff; zur Diskussion SJEB0 1981, 83ff; STRÜBIND 1991, 37ff. 26 Vgl. dazu NOTH 1943, 150ff.l61ff; WELTEN 1973, 172f.l99f.201ff, die zeitgeschichtliche Probleme namhaft machen, wie sie sich - wenn auch im Fall der antisamaritanischen Polemik nicht ohne weiteres - aus einer Datierung ins 3. Jh. ergeben; für die Konstellation in persischer Zeit ACKROYD 1991, bes. 8-86. Im Unterschied dazu fragen wir hier nicht nach der konkreten historischen Veranlassung, sondern nach dem konzeptionellen Zeitrahmen, den sich die Chronik und das ChrG selbst geben, der freilich auch für die Datierung nicht unberücksichtigt bleiben sollte (s.o. Anm. 7). 27 Umstritten ist, ob 2 Chr 36,22f zum ursprünglichen Bestand der Chronik gehören (vgl. WILLIAMSON 1977, 7ff), doch weisen schon V. 20f mit dem Herrschaftsantritt der Perser (Kyros) nach „70 Jahren" auf dieselben Quellen (s.o. 11,1) und somit auf denselben zeitgeschichtlichen Horizont wie die V. 22f, die - ob ursprünglich oder sekundär - die Verbindung zu Esr 1 ff herstellen.
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lischen Königszeit eröffnet, wenigstens bis zur ersten Heimkehrerwelle und zum Bau des zweiten Tempels (520-515 v.Chr.). Die Darstellung schließt entsprechend Esr 5,1; 6,14 - so auch noch die Geschehnisse zur Zeit der Propheten Haggai (vgl. Hag 1,14) und Sacharja (1-8 einschließlich Mal-Grundschicht) mit ein, die hier mit weiteren prophetischen Quellen (Jes 44,28; 45,lff.l3 kombiniert mit den jeremianischen 70 Jahren) und mit Esr 5,13; 6,3 (1. Jahr des Kyros) ausgeglichen und auf Kyros zurückgeführt werden.28 Das chronistische erste Jahr des Kyros in Babel (539/8 v.Chr.), das über die prophetische Quelle Jeremia (2 Chr 36,22.21) das Ende der 70 Jahre und folglich die Wende von der exilischen zur „nachexilischen" Zeit markiert, und alles, was es für Israel mit sich brachte, bilden die heimliche Mitte, von der aus die gesamte vorexilische Zeit in 1-2 Chr wie auch die „nachexilische" Zeit in Esr-Neh entworfen ist. Derselbe Zusammenhang von vor- und nachexilischer Königs- und Tempelgeschichte, den der Geschichtsabriß Esr 5,11 ff um das „erste Jahr des Kyros" herum konstruiert, wird auch in 2 Chr 36,20-23 angedeutet und im Zusammenhang von 1-2 Chr/Esr-Neh breit entfaltet.29 Mit diesem heilsgeschichtlichen Datum der Geschichte Israels ist der zweite Aspekt, der politische Rahmen, verbunden. Nach 2 Chr 36,21.22f ist die „nachexilische" Zeit gekennzeichnet durch das „Reich der Perser", dem die „Reiche der Erde" von Jhwh unterworfen wurden. Dahinter steht die achaimenidische Reichskonzeption, derzufolge in dem einen, vom höchsten Gott an die Perser vergebenen Reich die schöpfungsgemäße Existenz der vielen unterworfenen Länder und Völker garantiert ist; die jeweils verschiedene Lebensformen und Gesetze sind durch das Gesetz des persischen Königs autorisiert und geeint. Aus dieser Konzeption erklärt sich nicht nur die Fortsetzung in Esr-Neh, sondern sie hat auch die Darstellung der judäischen Reichsgeschichte in 1-2 Chr maßgeblich beeinflußt und ist nicht zuletzt für den Überschuß gegenüber dem DtrG in 1 Chr 1-9 mit verantwortlich, der die Geschichte Israels, die göttlich-judäische Reichsgeschichte, durch Rezeption der Tora in den Rahmen der Menschheitsgeschichte stellt.30 Daneben gibt es theologisch-konzeptionelle Querverbindungen,31 die zeigen, daß die Auslegung der Vorlage in 1-2 Chr die vorexilische Geschichte 28
Vgl. 1991a, 45 mitAnm. 142; 102ff.l86ff sowie oben Anm. 15.
29
Vgl. KRATZ 1991b, 187f.272f.
30
Vgl. dazu KRATZ 1991b, 169ff.l82ff.201ff.225ff; zum menschheitsgeschichtlichen Aspekt auch KRATZ 1991a, 112. 31
Zu ihnen vgl. NOTH 1943, 174 sowie GUNNEWEG 1985, 24ffu.ö., bes. 48 zur „Identität von heiliger Stätte, Tempel, Kultgeräten, Kultpersonal aus Priestern und Leviten", die der „Selbigkeit des vor- und nachexilischen Gottesvolkes" entspricht. Hinzu kommt die „Identität" des göttlich-judäischen bzw. persischen „Reichs" und der göttlich-königlichen „Tora"; vgl. KRATZ 1991b, 169ff.l82ff sowie 225ff.233ff, zur theologiegeschichtlichen Einordnung im Unterschied zum DtrG „Reich Gottes und Gesetz" (in diesem Band Nr. 9). Die
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Israels vom Standpunkt der in 2 Chr 36,21.22f angedeuteten und in Esr-Neh dargestellten Heilswende aus rekonstruiert und, insbesondere durch das Mittel der Typologisierung,32 auf sie hin öffnet. Klassisches und für die chronistische Konzeption zentrales Beispiel ist die Natanverheißung an David in 1 Chr 17, die in V. 14 gegenüber 2 Sam 7,16 aus Haus und Königtum Davids Haus und Reich Gottes macht, damit beides, Tempel und Reich Gottes, im Sinne der persischen Reichsidee von David und seinen Söhnen ab 2 Chr 36 und EsrNeh in das Reich der Perser übergehen kann.33 Dynastien und Königshäuser wechseln, Gott aber bleibt derselbe und handelt zu allen Zeiten an den wechselnden Königshäusern und durch sie auf immer dieselbe Weise. Der Befund hat wieder seine zwei Seiten. Zum einen ist allein schon dies bemerkenswert, daß sich die nachstaatliche Zeit im ChrG so intensiv, ohne Esr-Neh gar exklusiv, mit der Vergangenheit befaßt. Die spätere Zeit bezieht demnach aus der früheren ihre Identität, ihr Selbstverständnis als Israel und Volk Jhwhs. Im Licht der vergangenen, vorexilischen Geschichte und Überlieferung wird die Gegenwart des Chronisten - gegen die historische Wirklichkeit - überhaupt erst zur „nachexilischen" Zeit, zur Zeit der Heilswende (2 Chr 36,20f.22f). Zum anderen ist aber auch deutlich, daß die alte, vorexilische Zeit im Licht der neuen, „nachexilischen" Zeit gesehen und dargestellt, mit Esr-Neh auch in sie hinein verlängert ist. Aktuelles Zeitgeschehen (erste Heimkehrer, Tempelbau und andere Segnungen des Perserreichs), israelitische und nichtisraelitische (spätbabylonisch-achaimenidische) Ideologien der Perserzeit und eine eigene, profilierte theologische Position des Chronisten wirken auf die Darstellung der vorexilischen Geschichte Israels ein und steuern die Rezeption von Pentateuch (Tora), DtrG, Propheten und Psalmen im damaligen Umfang. Das stiftet Kontinuität oder eben auch Identität im Sinne der Selbigkeit Israels und seines Gottes über die verschiedenen Zeiten hinweg, eine Einheitlichkeit, die sowohl in der vergangenen Geschichte selbst als auch im Verhältnis von vorexilischer und „nachexilischer" Geschichte, von Vergangenheit und Gegenwart, gesucht wird und aus der sich wiederum das Selbstverständnis Israels und das Verständnis seines Gottes in der Zeit des Zweiten Tempels speist. Die Identität in der Zeit, was nicht Identität der Zeit, sondern Identität im Verlauf wechselnder Zeiten meint, basiert ebenso wie die Identität im Text Verbindungen bestehen auch dann, wenn aufgrund der zweifellos vorhandenen Unterschiede mit getrennter Entstehung oder Verfasserschaft zu rechnen ist, und die Unterschiede, mögen sie gewollt oder unvereinbar sein, ändern nichts daran, daß durch die konzeptionellen Querverbindungen - ob ursprünglich oder sekundär - bewußt ein Zusammenhang hergestellt wird. Zur Diskussion vgl. S/EB0 1981, 82f; STRÜBIND 1991, 29-35 sowie JAPHET 1991a, 304ff einerseits, POHLMANN 1991, 314ff andererseits. 32 33
Vgl. WILLI 1972, 160ff; die „Topoi" bei WELTEN 1973; auch R. MOSIS, 1973. Vgl. KRATZ 1991b, 172ff.
8. Die Suche nach Identität
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auf der Einheit von Geschichte und Überlieferung. Diese garantiert Einheit und Kontinuität in der Kontingenz der Ereignisse. Das in dieser Einheit entworfene Gesamtbild der Geschichte Israels entspringt somit nicht etwa einer Sonderoffenbarung und ist auch nicht nur die theologische Deutung der Ereignisse als Sinngeschichte eigener Art jenseits von Geschichte,34 sondern die im Sinne des Chronisten - für ihn wie für andere, die wieder anders rekonstruieren, sub specie dei - eine und einzige Geschichte, wie sie sich aus der Rekonstruktion und Synthese der Quellen (Pentateuch, DtrG, Propheten und Psalmen) als gleichzeitige und gleichsinnige Überlieferung derselben Geschichte ergibt. Für den Chronisten gibt es keine andere Geschichte als die in seinen Vorlagen dargestellte, und diese ist keine andere als die auch wirklich passierte Geschichte. Überlieferung und Ereignis fallen zusammen, und in der Einheit der Überlieferung gründet die Einheit der Geschichte. Das gilt sowohl für die Vergangenheit, von der die Vorlage offensichtlich handelt, als auch für die Gegenwart, von der im Verständnis des Chronisten seine Quellen ebenfalls handeln, die der alten Zeit, weil die Gegenwart in ihr angelegt und aus ihr hervorgegangen ist, Propheten und Psalmen, weil sie vom vergangenen und vom gegenwärtigen Israel, vom vergangenen und vom gegenwärtigen Jhwh und also von immer demselben Israel und demselben Jhwh handeln und so auch die „nachexilische" Zeit der Heilswende mit umgreifen. Insofern sind Identität im Text, d.h. die Bewahrung und Übermittlung der Vorlage, und Identität in der Zeit, d.h. Neufassung der Vorlage aus der aktuellen Erfahrung und dem Geist der eigenen Zeit, auch keineswegs Gegensätze, sondern zwei Seiten derselben Medaille. In unnachahmlicher Weise hat den komplexen Sachverhalt schon Leopold Zunz,35 der Entdecker des chronistischen Geschichtswerkes, in seiner Definition des Midraschs beschrieben: „Die Chronik arbeitet zwar für bewusste Zwecke, doch aber in einem Geiste steter Unterordnung: die Art, in der sie Begebenheiten und Personen der Vorzeit auffasst und darstellt, bezeugt sowohl die Herrschaft dieses Alterthums, als das Streben, die Begriffe und Interessen der Gegenwart, damit sie von ihnen geheiligt werden, aus Thatsachen und Worten der Vorfahren herauszudeuten. Schon damals wurden Schriften des höheren Alterthums nach den herrschenden Ansichten gedeutet und also in gewissem Sinne geändert." Die Vorlage wird im ChrG aber deshalb der Intention nach wort- und sachgetreu wiedergegeben und zugleich auf die „nachexilische" Zeit hin neu ausgerichtet, expliziert und so „geändert", weil die Qualifizierung der Gegenwart als „nachexilischer" Zeit der Heils34 In anderem Zusammenhang haben KOCH 1987, 15 u.ö., bes. 157ff, und danach auch STECK 1993b, 217f; DERS. 1993a, 5f den Begriff der „Metahistorie" vorgeschlagen, der von der reinen Wortbedeutung her somit nicht ganz unproblematisch ist, aber eine dem hier gegebenen Sachverhalt durchaus entsprechende Geschichtsauffassung meint. 35 ZUNZ 1832, 35.
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wende aus der Vorlage gewonnen ist und so auch in die „Wiedergabe" der Vorlage im ChrG gehört. Neues wird im Alten gesagt, weil das Alte das Neue in sich schließt, Altes wird neu gesagt, weil das Neue aus dem Alten hervorgeht.36 „Der Midrasch" - so J. Wellhausen37 in deutlicher Anlehnung an Zunz - „ist die Folge der Heilighaltung der Reliquien der Vergangenheit, eine ganz eigene Wiedererweckung der toten Gebeine, auf künstlichem und zunächst auf schriftlichem Wege, wie die Vorliebe für Listen von Namen und Zahlen zeigt. Wie Efeu umgrünt derselbe den abgestorbenen Stamm mit fremdartigem Leben, Altes und Neues in sonderbarer Vereinigung mischend. Es ist die Hochschätzung der Überlieferung, welche sich in ihrer Modernisierung äußert; aber dabei wird sie auf das willkürlichste umgedeutet, verrenkt und mit fremdartigen Zutaten versetzt." Wenn also - ob mit oder ohne „Verrenkung", sei dahingestellt - die Einheit der Geschichte (Identität in der Zeit) in der Einheit der Überlieferung (Identität im Text) gründet, so ist als nächstes zu fragen, was diese Einheit angesichts der Vielfalt der Überlieferung stiftet. 3. Identität im prophetischen Geist. Daß im ChrG Propheten eine eminent wichtige Stellung einnehmen, ist offenkundig. 38 Wo die Vorlage rezipiert wird, werden auch die in ihr erwähnten Prophetengestalten übernommen, wozu neben dem im DtrG wie auch mit seinem Buch vertretenen Jesaja auch der durch sein eigenes Buch und durch parallele Textabschnitte im DtrG ausgewiesene Jeremia zählt; wo in der Vorlage Propheten fehlen, werden sie aus ihr erschlossen oder erfunden. Dahinter steht die Auffassung, „daß jede Periode der heiligen Geschichte ihren leitenden Propheten hat".39 Daneben erscheinen die Propheten in den chronistischen Quellennotizen, die auf weitere, frühere und spätere „Worte" (d.h. Begebenheiten, Sachen) einzelner Könige und für deren schriftliche Aufzeichnung entweder nur auf die „Worte" (auch Weissagung, Vision oder Midrasch) der Propheten oder nur auf ein „Buch der Könige von Juda und Israel" (o.ä.) oder auf beides verweisen.40 Aus den Stellen, wo auf beides verwiesen ist, insbesondere 2 Chr 20,34, geht hervor, daß damit nicht verschiedene Quellen, sondern immer ein und dieselbe Quelle gemeint ist: Die „Worte" („Midrasch" 2 Chr 13,22) der verschiedenen Propheten und Seher sind alle aufgenommen in das eine Buch („Worte" 2 Chr 33,18; 36
Vgl. dazu KRATZ 1991a, 182.183f.218f.
37
1905b, 223.
38
Vgl. WILLI 1972, 216ff; SEELIGMANN 1978; MICHEEL 1983; zusammenfassend STRÜBIND 1991, 167ff; ferner THEN 1990; KEGLER 1993. 39 WELLHAUSEN 1905b, 221 mit Hinweis auf die ¿ K P I ß T | S TG>V ITPTITÖV SiaSoxii des Josephus in Ap 1,41. 40 Propheten: 1 Chr 29,29f; 2 Chr 9,29; 12,15; 13,22; 26,22; „Buch der Könige": 1 Chr 9,1; 2 Chr 16,11; 24,27; 25,26; 27,7; 28,26; 35,26f; beides: 2 Chr 20,34; 32,32; 33,18f.
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„Midrasch" 2 Chr 24,27) der Könige von Juda und Israel. Wie 2 Chr 26,22 in bezug auf Jesaja ausdrücklich vermerkt, ist der Chronist offenbar der Meinung, daß nicht nur jede Periode ihren Propheten hatte, sondern auch, „daß jeder Prophet seine Periode selbst beschrieben habe".41 Danach handelt es sich bei dem Buch der Könige von Juda und Israel um ein Werk, in dem die von den Propheten selbst verfaßten Zeitberichte ihrer Epoche, gemäß 1 Chr 29,29f Geschichte Israels im weltgeschichtlichen Horizont, gesammelt und zu einem umfassenden Geschichtswerk vereint waren. Was hat es mit diesem Werk auf sich? Weder ist damit einfach nur die Vorlage des Chronisten (DtrG einschließlich Tora, Propheten und Psalmen) gemeint, da es mehr und noch anderes enthalten haben soll als sie,42 noch wird man darin irgendwelche zusätzlichen Quellen des Chronisten finden können, die sich in nichts von der Chronik selbst unterscheiden würden.43 Vielmehr hat man es offenbar mit einer literarisch-historischen Fiktion, besser: Rekonstruktion des Chronisten zu tun, der auch darin seine Vorlagen wortgetreu und sachgerecht „wiedergeben" möchte.44 Das zeigt sich vor allem daran, daß die Quellenverweise in der Regel45 an genau derselben Stelle wie im DtrG stehen und Propheten als Verfasser genannt werden, die für den betreffenden oder einen benachbarten Zeitabschnitt aus dem DtrG selbst bekannt oder erschlossen sind.46 So werden die Quellenverweise des DtrG mit den aus ihm genommenen Propheten in dem Sinne interpretiert, daß auch die Vorlage wie ihre „Wiedergabe" im ChrG auf den in dem (erfundenen) Buch 41 WELLHAUSEN 1905b, 221f mit Hinweis auf die spätere Bezeichnung prophetae priores; NOTH 1943, 138. Auch dazu wäre wieder an Josephus (Ap l,39ff) zu erinnern, wonach die Propheten in der Zeit von Mose bis Artaxerxes Geschichtsschreiber waren. 42
WELLHAUSEN 1905b, 222.
43
„Ob man Chronik sagt oder Midrasch des Buchs der Könige, ist dabei ziemlich gleichgültig, sie sind beide Kinder des selben Schoßes und nach Geist und Sprache auf keine Weise zu unterscheiden...", WELLHAUSEN 1905b, 223. Vgl. auch NOTH 1943, 114; WILLI 1972, 23 l f (nach C. C. Torrey). 44
So mit NOTH 1943, 133ff; weiterführend WILLI 1972, 233ff.
45
Mit Ausnahme von 1 Chr 29,29f an dem für den Chronisten gewichtigen Übergang von David zu Salomo (1 Chr 29,26f/2 Chr 1,1 par. 1 Kön 2,11.12) sowie im Sondergut 1 Chr 9,1. 2 Chr 35,26f entspricht 2 Kön 23,28 und ist nur darum umgestellt, um die Notiz mit dem zusätzlichen Quellenverweis in 2 Chr 35,24b.25 (Klagelieder Jeremias) zwischen 2 Chr 35,20-24a/2 Kön 23,29-30a und 2 Chr 36,1/2 Kön 23,30b zu verbinden, die natürlicherweise nur nach dem Tod des Josia stehen kann. 46 Aus dem DtrG bekannt sind Samuel, Natan, Gad und Ahia von Silo (1 Chr 29,29f; 2 Chr 9,29), Semaja (2 Chr 12,15), Jehu ben Hanani (2 Chr 20,34), Jesaja (2 Chr 26,22; 32,32) und die anonymen Seher unter Manasse (2 Chr 33,18f text.em., vgl. 2 Kön 21,10); erschlossen sind Jeremia (2 Chr 35f), Iddo (2 Chr 12,15, wohl aus dem Vaternamen Sacharjas Sach 1,1.7; Esr 5,1; 6,14; zeitlich einigermaßen passend 1 Kön 4,14; vgl. auch Neh 12,4.16) und schließlich auch der bisher ungeklärte Name Jedi/Jedo (2 Chr 9,29), der wohl für den anonymen Gottesmann in 1 Kön 13 stehen soll.
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der Könige von Juda und Israel gesammelten Zeitberichten der Propheten und folglich auf diesen (ebenfalls erfundenen) prophetischen Originalquellen basiert. Das DtrG, namentlich 1 Sam-2 Kön, wird so zum Auszug aus diesen fiktiven Quellen, und mit dem - in der Meinung des Chronisten zweifellos zuverlässigen und für den entsprechenden Zeitabschnitt in der Sache vollständigen - Auszug gibt auch das ChrG die Originalquellen wieder und verweist auf sie. Die übrigen Vorlagen, Tora, Propheten und Psalmen (vielleicht auch Hiob), dürften dem Chronisten hingegen als prophetische Originalquellen gegolten haben, was sich bei den Propheten von selbst versteht, bei der Tora (über Dtn 18,15.18; Hos 12,14) und den Psalmen (über 2 Sam 23,lff und gemäß 2 Chr 29,25 sowie 8,14; Neh 12,36, vgl. l l Q P s a Kol. XXVII,11; Apg 2,30; zu Hiob vgl. Sir 49,9) aus der Verfasserschaft des Mose und des David ergibt.47 Ist das DtrG ein Auszug, so repräsentiert alles übrige (Tora, Propheten und Psalmen) den weiteren Bestand des umfassenden „Buches der Könige", das die originalen Prophetenschriften als Zeitdokumente für jede einzelne Epoche der Geschichte Israels enthalten haben soll. Der Titel dieses „Buches" läßt zwar zunächst nur an die israelitische Königszeit denken, doch zeigt schon 1 Chr 9,1, daß zumindest die genealogische Vorgeschichte Israels und also die vorstaatliche Zeit ebenfalls unter diesem Titel Platz hat. In einem weiteren Sinne gehören so für die Vorgeschichte auch die Tora (das „Buch" der Tora des Mose bzw. Gottes) und für die Königszeit und die sich daran anschließende Folgegeschichte die Prophetenbücher als prophetische Originalquellen zum Bestand des „Buchs der Könige". Das eine „Buch" wird gewissermaßen zum Sammelbegriff für die vielen Bücher,48 zu einer verbindenden Größe, die die Komplexität der vielen, durchweg auf prophetische Verfasserschaft zurückgeführten Quellen umfaßt. Wo der Chronist der Epitome im DtrG folgt, verweist er wie diese selbst auf die Originalquellen und läßt solche - soweit sie ihm vorlagen - im Zitat von Tora, Propheten und Psalmen ohne ausdrücklichen Verweis einfließen; wo er sich außerhalb der Epitome bewegt, in 1 Chr 1-9(10) und Esr-Neh, greift er unmittelbar auf die ihm zugänglichen Originalquellen zurück, ganz ohne oder mit indirektem Quellenverweis (bes. in 2 Chr 36,21.22; Esr 1,1 oder mit Esr 5,1; 6,14 als Verweis auf die Bauchronik in Haggai/Sacharja 1-8 + Mal-Grundschicht).49 Sämtliche Vorlagen haben demnach dieselbe prophetische Autorität und Inspiration. 47
Vgl. WILLI 1972, 133.230.240; THEN 1990, 55ff.l38.189ff.
48
Zu diesem bücherübergreifenden Gebrauch von sefcer vgl. ThWAT V, Sp. 929-944, hier 941f.944. 49 Neben Haggai und Sacharja als prophetischen Originalquellen kommen für Esr 1 - 6 und 7 - ähnlich dem „Buch der Könige" in Chr - die „amtlichen" Quellen aus den Archiven der persischen Könige hinzu, die in die Darstellung eingegangen sind (vgl. Esr 4,15.19; 5,17; 6,lf). Gelten für alles Weitere - nach wie vor mit Hag/Sach 1 - 8 einschließlich Mal sowie Jes
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Identität
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Die Bedeutung des Befunds für unsere Fragestellung liegt auf der Hand. Die vom Chronisten geschaffene Quellentheorie läßt die Vielfalt der älteren Überlieferungen im ChrG als Einheit erscheinen, von der auch die literarische Verarbeitung der Vorlagen zeugt, und sie besagt, daß auch der Chronist seinerseits an dem prophetischen Geist partizipiert, der für die Abfassung der Originalquellen verantwortlich und im „Buch der Könige von Juda und Israel" wie in dessen Epitome (DtrG), in den übrigen Vorlagen (Tora, Propheten und Psalmen) und mit allem also auch im ChrG anwesend ist. Die Identität im Text, die die Identität in der Zeit vermittelt, basiert auf der Identität im prophetischen Geist. In diesem Sinne ist das ChrG ebenso viel oder wenig „inspiriert" wie seine biblischen Vorlagen, die es nicht ersetzen oder ergänzen, auch nicht einfach interpretieren oder kommentieren, sondern „wiedergeben" will. In dieser „Wiedergabe" herrscht der Geist des Anfangs, und der schließt auch alles Neue und Innovative mit ein, das die Wiedergabe des Alten im Alten selbst und darüber hinaus hervorbringt. Ein Bewußtsein für den Abstand zur Überlieferung im Sinne des Dogmas der erloschenen Prophetie50 kann ich darin nicht erkennen. Der Abstand wurde, vielleicht sogar in stärkerem Maße als in früheren Traditionswerken, wohl empfunden, doch bestimmend war er (noch) nicht. Wo der Abstand die Auslegung bestimmt, dort treten in der Regel zusätzliche Vermittlungsquellen als hermeneutischer Schlüssel und Ausweis der Autorität dazwischen, um ihn zu überbrücken.51 Aber selbst dabei ist zu unterscheiden zwischen hermeneutischen Quellen, etwa Sonderoffenbarungen, die - wie in Dan 9 - im Rahmen einer literarisch-historischen Fiktion ergehen, und solchen, die - wie in Sir 39,1.6f mit 42,18f oder im Habakuk-Pescher von Qumran - erklärtermaßen neu und aktuell in der Zeit, für die die Auslegung gilt, ergehen. Auch Dan 9, wo der Abstand zu den Schriften, namentlich zu Jeremia, ausgesprochen ist
40ff und Ez als prophetischen Quellen (s.o. Anm. 15) - auch der torakundige „Schreiber" Esra (vgl. später 4 Esr 12,42) und Nehemia, der Verfasser einer Denkschrift (vgl. Sir 49,13; 2 Makk 2,13ff), als „Propheten" im chronistischen Sinn, d.h. als kritische Begleiter und Chronisten ihrer Zeit? Der Unterschied zur Chr (WILLI 1972, 216; WILLIAMSON 1977, 68) sollte darum nicht überbewertet werden, er „findet seine hinreichende Erklärung in der Sache selbst" (WILLI 1972, 183 Anm. 18): Wie das Königtum, so geht auch das prophetische Amt nach Jeremia, dem Propheten des Übergangs vom Unheil zum Heil, in verschiedene andere Hände über, beides wirkt j e d o c h nach wie vor zusammen (vgl. Esr 5 , l f ; 6,14 sowie 7,6; 7,27f nach Jes 60,7.9.13; N e h 2,8.18). Der Chronist hält sich auch dabei streng an seine Vorlagen, für die vorexilische Königszeit eben an den Usus in DtrG, für die „nachexilische" Zeit an die hier berücksichtigten oder aufgenommenen prophetischen Originalquellen, und über die Quellentheorie in der Chr, die auch das DtrG auf prophetische Originalquellen zurückfuhrt, gleicht er das eine mit dem anderen aus. 50 So WILLI 1972 (wie oben Anm. 22); vgl. dagegen schon FISHBANE 1985 380ff sowie die Hinweise oben Anm. 21, unten A n m . 57. 51
Vgl. KRATZ 1991a, 220ff; ferner KOCH 1987, bes. 195ff.200; STECK 1993b, 199ff.
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Die Tradition
und - nach Sir 39,1 ff - zum ersten Mal Auslegung der Schrift im eigentlichen Sinne begegnet, will in der Auslegung der Überlieferung durchaus selbst Überlieferung sein. Die historische Fiktion, die Daniel (nach Dan 6 und Jer 51,11.28; Jes 13,17; 21,2) in der Mederzeit (Dan 9,1) die Bedeutung der jeremianischen 70 Jahre erfahren und das Ende sehen läßt, hebt den Abstand auf. Was hier die vom Engel vermittelte Sonderoffenbarung ist, das ist im ChrG wie auch sonst die selbstverständliche Rezeption, d.h. Benutzung, Reproduktion und Fortschreibung der autoritativen, heiligen Schriften. Was das ChrG von anderen Schriften trennt, ist somit nicht so sehr der Anspruch auf prophetische Autorität und Inspiration, sondern das Prophetenverständnis.52 „Glaubt an JHWH, euren Gott, so bleibt ihr; glaubt an seine Propheten, und ihr habt Gelingen" heißt es in 2 Chr 20,20 in Aufnahme und Weiterfuhrung von Jes 7,9. Gotteswort und Prophetenwort sind demnach eins,53 und das gilt für das Auftreten der Propheten in ihrer Zeit ebenso wie für die von ihnen verfaßten Zeitdokumente, die als historische Quelle rezipiert werden. Damit steht das ChrG, was das Prophetenverständnis anbelangt, Sir 39,1 und dem Väterhymnus Sir 44ff sehr viel näher als der Rezeption in Dan 9, die auch 2 Chr 36,21.22f; Esr l , l f bereits mit einbezieht und sich wie das ChrG als „Überlieferung" versteht, oder als dem Habakuk-Pescher, der sich wie Sir 39,1 ff ausdrücklich als Auslegung von Überlieferung versteht. Die Gleichung von Prophetenwort und Gotteswort gilt natürlich auch für Dan 9 oder lQpHab, doch hat das prophetische Gotteswort hier eine Qualität, die es im ChrG nirgends hat. Wie schon in der prophetischen Überlieferungsbildung selbst wohnt ihm eine dynamische Potenz inne, die weit über die Zeit der Propheten hinausreicht, neues Geschehen in Gang setzt und weite zeitliche Horizonte erfaßt.54 Das Gotteswort in ChrG und Sir 44ff ist in der Geschichte aufgegangen und zur Darstellung der Geschichte geworden, das Gotteswort bei den Propheten und denen, die es ihnen nachtun, hat Geschichte bewirkt und wirkt weiter bis ans Ende.
III Fassen wir zusammen. Identität im Text, d.h. die Übereinstimmung in Wortlaut und/oder Sache mit den benutzten Quellen (Tora, DtrG, Propheten und Psalmen), kennzeichnet die Mittel der chronistischen Rezeption der Vorlage und Darstellung der Geschichte Israels. Identität in der Zeit, d.h. die Verschränkung von Vergangenheit und Gegenwart im Ablauf der Geschichte,
52
Vgl. oben Anm. 38, bes. SEELIGMANN und KEGLER.
53
WILLI 1972, 228f.
54
Vgl. KRATZ 1991a, 158f; STECK 1993b, 214ff.238ff.
8. Die Suche nach Identität
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kennzeichnet die Motivation und Intention der chronistischen Rezeption. Identität im prophetischen Geist, d.h. Authentizität und Übereinstimmung mit den ursprünglichen Verfassern der Quellen, kennzeichnet die Voraussetzung und das Selbstverständnis der chronistischen Rezeption. Alle drei Aspekte stiften Identität im Sinne von Einheitlichkeit und Kontinuität sowohl in der Vielfalt der Quellen und geschichtlichen Erfahrungen als auch im Verhältnis des ChrG zu seinen Quellen und der Geschichte, und daraus wiederum entsteht Identität im Sinne der Selbigkeit Israels und der Selbigkeit Gottes im Selbstverständnis Israels als des Volkes Gottes. Indem das ChrG diese Identitätsbestimmung in der Rezeption älterer Überlieferung vornimmt und selbst das Ergebnis dieses Rezeptionsvorgangs darstellt, vollzieht sich in der literarischen Genese des ChrG die Bildung von Theologie. Die Frage legt sich nahe, inwieweit dieses hermeneutische Modell auf andere Vorgänge des Textgenese übertragbar ist. Für die Folgezeit, die Literaturgeschichte in hellenistischer Zeit, ist die Frage eindeutig zu bejahen. Hier gibt es klare Analogien, das Jubiläenbuch oder die Tempelrolle von Qumran, in bezug auf das ChrG selbst natürlich auch die Epitome in 1 bzw. 3 Esra. Aber auch die Masse der sogenannten Pseudepigraphen und Apokryphen, die einschlägigen Texte aus Qumran, die griechischen und aramäischen Übersetzungen und nicht zuletzt die frühchristlichen Schriften sind zu nennen, die ebenfalls Überlieferung rezipieren, ob sie sich dabei mehr oder weniger eng an bestimmte Texte oder Überlieferungen anschließen (ZusDan, ZusEst, Bar, EpJer), neue Leitüberlieferung kreieren (Tobit, Judit, Henoch), wie Chr, aber im Bewußtsein des Abstands überlieferte Geschichtsschreibung rekapitulieren und rekonstruieren (Sir 44ff und die jüdisch-hellenistischen Historiker bis und mit Josephus) oder wie in Esr-Neh Zeitgeschichte schreiben (Makkabäerbücher). 55 Sie alle suchen - implizit oder explizit - die wörtliche und/oder sachliche Übereinstimmung mit den zitierten Texten, die damit in ihrem autoritativen Rang bestätigt werden und ihrerseits Autorität verleihen; sie suchen darin - ob in der literarisch-historischen Fiktion oder direkt - eine Vermittlung zwischen einem früheren Israel und ihrer Gegenwart; und sie gehen davon aus, daß der eigene Text - ob mit oder ohne zusätzliche hermeneutische Instanz - nur auf der Grundlage und unter Verwendung des überlieferten Texts göttlich inspiriert ist und Gültigkeit besitzt. Die Unterschiede zwischen all diesen Literaturen liegen somit nicht so sehr in der Hermeneutik und Methodik der Auslegung, 56 sondern - neben dem grundlegenden Unterschied im 55
Vgl. KRATZ 1991a, 220ff; für die Fülle des Materials die einschlägigen Beiträge in MULDER (Hg.) 1988; auch STEMBERGER 1989, 11-21; GRAF REVENTLOW 1990. In ähnliche Richtung geht KOCH 1991b; DERS. 1991a, bes. 223f. 56
Von ferne kündigen sich die späteren rabbinischen Auslegungsregeln an, die z.T. ihrerseits auf Auslegungsphänomenen in den Texten selbst beruhen und diese zu einem System ausbauen. Die Regeln ehemals bei H. L. Strack, jetzt STEMBERGER 1992, 25ff.
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Die Tradition
Selbstverständnis als Überlieferung oder Auslegung - vor allem in den unterschiedlichen Zeiterfahrungen und theologischen Konzeptionen, die die Rezeption der älteren Überlieferung steuern. Die Frage, ob das alles auch für die Zeit vor dem ChrG gilt, ist nicht so einfach zu beantworten. Die Antwort hängt davon ab, welches Bild vom Werden der alttestamentlichen Überlieferung man zugrunde legt. Grundsätzlich wird man an alle Arten der redaktionellen Bearbeitung von der Sammlung, Komposition und Verschriftung überkommenen Gutes bis hin zur Fortschreibung denken müssen. Es sind Vorgänge, wie sie sich bekanntlich in allen Bestandteilen des Alten Testaments finden und die die Tendenz haben, den älteren Text zu bewahren und zugleich in, mit und aus diesem Text etwas „Neues" zu formulieren, um auf diese Weise, in der Synthese von alt und neu, aktuelle Zeiterfahrungen und eigene theologische Interessen zum Ausdruck zu bringen. Die Herleitung der Gegenwart aus der Vergangenheit ist vor allem in den Geschichtswerken zu greifen, sei es die Herleitung des vor- wie des exilisch-nachexilischen Israel aus der Väterzeit oder aus dem Exodus und der Wüstenzeit im werdenden Pentateuch, sei es die Herleitung Israels aus der Richter- und Königszeit und ihrem Scheitern im allmählichen Anwachsen des DtrG.57 Aber auch die Bildung und vor allem die Fortschreibung der Prophetenbücher bis hin zum corpus propheticum und seiner Vereinigung mit dem DtrG zum Kanonteil Nebiim58 sowie das Werden des Psalmenbuches und wohl auch der Weisheitsschriften lassen sich in den hermeneutischen Koordinaten des ChrG verstehen. Ein wesentlicher Unterschied besteht darin, ob es sich dabei um Textgenese innerhalb desselben Buches, also um Verschriftung und Fortschreibung, oder um Textbenutzung über Buchgrenzen hinaus, also um Zitation, Zusammenstellung von Büchern mit redaktionellen Formulierungen oder wie im ChrG um externe Rezeption („Wiedergabe") handelt.59 Je nachdem geht der alte Text im neuen auf, und beide zusammen bilden einen Text, oder der alte Text klingt nur an oder wird streckenweise ganz übernommen und so in Beziehung zum neuen gesetzt, beide bleiben aber selbständig und können für sich gelesen werden. Der Unterschied betrifft aber nicht die gemeinsame hermeneutische Perspektive des literarischen Rezeptionsvorgangs und ist auch 57
Zum Verhältnis der Traditionswerke vgl. NOTH 1943, 155f.l71f; ACKROYD 1991, 276f.; sowie KRATZ 2000a. Anders WILLI 1972, 51f.182.243, der DtrG und Chr (trotz der Würdigung 207ff) in das Epochenschema von Lehre, Buße und Hoffnung (205f) bzw. von primärer, sekundärer und tertiärer Geschichtsschreibung zwängt, das aus der Quellentheorie des Chronisten abgeleitet wird (237ff.241), obwohl doch die Quellentheorie den Abstand von ChrG und DtrG zur ursprünglichen Überlieferung gerade nivelliert (s.o. II) und im übrigen kaum dem historischen Sachverhalt entspricht. 58 Vgl. STECK 1991a; zur Hermeneutik DERS. 1993b. 59 Vgl. STECK 1993b, 211 Anm. 28.
8. Die Suche nach
Identität
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nicht etwa nur auf die späte Zeit abgeschlossener, quasikanonischer Bücher beschränkt. Schon das Deuteronomium bietet eine Neufassung des Bundesbuches und wohl auch der vorpriesterschriftlichen Sinaiperikope in einem separaten Kontext. Und auch die Priesterschrift, die vielleicht doch als eigenes Werk entstanden ist, setzt die ältere Erzählung, klassisch JE, literarisch voraus und ist eine Art „Wiedergabe" ihrer Vorlage für und aus der Perspektive ihrer Zeit, nicht zuletzt unter literarischer Benutzung der Propheten. Wie das ChrG für den Zusammenhang Gen-2 Kön, Propheten und Psalmen, und wie später das Jubiläenbuch für Gen 1-Ex 12 - geoffenbart in der Szene von Ex 19-24 und in Korrelation mit dem Gesetz vom Sinai - , das viele Implikationen explizit macht, die mit P in den Pentateuch gelangt sind, war so vielleicht schon P selbst als Leseanleitung für die benutzte Vorlage, den älteren Erzählstrang in Gen-Num (und gegen das Dtn), gedacht. Die vieldiskutierte Alternative Quelle oder Redaktion wäre damit übrigens hinfallig. Nach allem scheint es so, daß das Werden des ganzen Alten Testaments, soweit es in den Texten literarisch zu greifen ist, in solchen, freilich nicht einlinigen, sondern vielfach verzweigten literarischen Rezeptionsprozessen besteht, auf die sich das hermeneutische Modell des ChrG anwenden ließe. Damit sind wir wieder beim Ausgangspunkt unserer Überlegungen angelangt. Der am ChrG in seinen hermeneutischen Eigenarten beobachtete Vorgang der literarischen Rezeption berührt sich aufs engste mit dem Vorgang der Traditions- oder Überlieferungsgeschichte, wie ihn vor allem Gerhard von Rad in seiner Theologie für das ganze Alte Testament, auf seine Weise auch Hartmut Gese für die biblische Theologie beschrieben haben.60 Wesentliche Unterschiede bestehen in zwei Punkten. Einmal in der Verbindung der traditions- oder auch theologiegeschichtlichen Entwicklung mit der literarischen Entwicklung der Texte des Alten Testaments. Dies hat, wie wir sahen, sachliche Gründe, insofern die „Identität im Text" für die Verfasser die Einheit und Selbigkeit Israels und vor allem die Selbigkeit Gottes in wechselnden Zeiten garantiert. Zum anderen kommt so notwendig der Bezug zur Zeitgeschichte hinzu, auf die literarische und theologische Entwicklungen als Reflex von Erfahrung im Sinne der „Identität in der Zeit" reagieren. Anders ausgedrückt: Da Traditions- oder Theologiegeschichte ein Vorgang ist, der sich in Literatur niederschlägt, gehören Literatur- und Theologiegeschichte zusammen. Und da Theologie- bzw. Literaturgeschichte ein Vorgang ist, der nicht nur dem geschichtlichen Verlauf folgt, sondern zugleich sachlich darauf bezogen ist, gehören Literatur- bzw. Theologiegeschichte und Geschichte Israels (im weitesten Sinne) zusammen. So wird man dem komplexen Rezeptionsvorgang in den alttestamentlichen Schriften nur gerecht, wenn Literatur- und darin sich
60 VON RAD 1987. GESE 1970; OERS. 1977; DERS. 1978; DERS. 1985. Vgl. zur Frage auch STRÜBIND 1991, 61 ff.
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Die Tradition
vollziehende Theologiegeschichte mit Zeit-, Religions- und Geistesgeschichte Israels und seiner Umwelt zeitlich und sachlich korreliert und in den verschiedenen Verzweigungen nach ihrem Selbstverständnis neben- und nacheinander im geschichtlichen Verlauf gesehen werden.61 Doch der Vorgang Rezeption ist nicht nur literarisch und auch nicht nur religions- oder traditionsgeschichtlich, sondern in der sachlichen Verschränkung von beidem eben auch theologisch produktiv. Damit ist die literarische Rezeption auch für die Frage der Theologie des Alten Testaments bzw. der biblischen Theologie von Bedeutung.62 Soweit es um Theologie im Alten und Neuen Testament geht,63 sind Rezeptionsgeschichte und Theologie nachgerade identisch. Anders sieht es allerdings aus, wenn darüber hinaus nach Verbindendem und Verbindlichem gefragt wird, das in der geschichtlichen Vielfalt Gültigkeit bis heute haben soll. Hier stößt man auf die Grenzen der biblischen Überlieferung und unseres modernen historischen Bewußtseins. Bleiben wir bei dem Beispiel des ChrG, das für vieles im Alten Testament steht: Für den modernen Historiker, sofern er sich nicht auf die Rekonstruktion von Fakten beschränkt, ist das ChrG ein überaus interessantes Zeugnis einer eigenen, theologisch profilierten Konzeption zu einer bestimmten Zeit, freilich eines unter vielen; maßgebend sind für ihn die historischen, literarischen und theologisch-konzeptionellen Unterschiede zur übrigen Überlieferung, die das Werk rezipiert. Im Selbstverständnis des Chronisten jedoch, und auch das kann dem Historiker nicht gleichgültig sein, sind das alles keine Unterschiede, sondern für ihn handelt es sich um die Summe der Überlieferung, die er - in seinem Sinne - einheitlich rezipiert und in sein eigenes Konzept zu integrieren sucht. Weder läßt sich das literarisch-geschichtliche Einheitsdenken des Chronisten mit dem historischen Sachverhalt gleichsetzen, der eine Vielfalt aufweist, noch läßt sich die historische Vielfalt mit der Absicht des Chronisten verbinden, der nicht das gleichberechtigte Nebeneinander, 61 Am nächsten kommt dem vielleicht nach wie vor G. von Rad, der sich zwar nicht auch dann nicht, wenn man von den heute z.T. anders beurteilten Datierungen absieht - konsequent an den geschichtlichen Verlauf hält, aber wie kein anderer die theologischen Entwürfe des Alten Testaments in ihrer geschichtlichen Individualität nachzeichnet („nacherzählt") und nicht daneben, sondern gerade darin „an vielen Stellen dieser .Theologie' (sc. des Alten Testaments als Wort fiir uns) näher kommt als mancher, der sie im Munde fuhren mag" (SMEND 1970, 56). An den geschichtlichen Verlaufhingegen hält sich H. Gese, der mit seinen ontologischen Kategorien und der These einer notwendigen Zielgerichtetheit der geschichtlichen Offenbarung in ihm freilich mehr sieht als zu sehen ist. An neueren, theologie- und literaturgeschichtlich ausgerichteten Entwürfen sind zu nennen: ALBERTZ 1992, der die biblisch-historische Vielfalt beschreibt; KAISER 1993, der die „Einheit der alttestamentlichen Gottesbezeugungen in ihrer Verschiedenheit" (157ff) sucht. 62 Vgl. DOHMEN 1987, ferner KRATZ 1991a, 227f; KOCH 1991b; DERS. 1991a; speziell zur Chronik schon DERS. 1965; ACKROYD 1991, 280f. 63
Vgl. SMEND 1982.
8. Die Suche nach Identität
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sondern im Gegenteil die Vereinheitlichung der Vielfalt anstrebt. Das aber heißt, daß sich die Theologie des Alten Testaments, sofern sie sich sowohl dem Kanon als auch den Verstehensbedingungen unserer Zeit verpflichtet weiß, weder auf einheitliche Perspektiven, etwa eine Mitte der Schrift oder dergleichen - so, wie der Chronist und alle übrigen kanonischen Schriften je auf ihre Weise es wollen - , noch auf die Pluralität im Alten und Neuen Testament - so, wie es dem historischen Sachverhalt und vielleicht auch unserem postmodernen Denken entspricht - berufen kann. Gegen die Einheitlichkeit oder die Mitte der Schrift spricht der historische Sachverhalt, gegen den historischen Sachverhalt spricht das Selbstverständnis der einzelnen Schriften und Schriftensammlungen. Das Alte Testament selbst bietet demnach keine Handhabe, die beiden widerstreitenden Prinzipien, kurz gesagt: das historische und das kanonische, miteinander zu versöhnen. Es ist das altbekannte, schon von Johann Philipp Gabler64 mit seiner Unterscheidung von „wahrer" (historischer) und „reiner" (normativer, noch nicht dogmatischer) biblischer Theologie auf den Punkt gebrachte, aber nicht gelöste Dilemma der Neuzeit. Wie es scheint, läßt es sich nicht lösen, und vielleicht muß es von uns auch gar nicht gelöst werden. Im Sinne des - nun freilich doch dem Alten Testament selbst entnommenen Modells der Rezeptionsgeschichte65 ist es vielmehr bereits gelöst, rein äußerlich durch die Auswahl und Festlegung eines kanonischen Bestands, inhaltlich durch die neutestamentliche und christliche Rezeption des Kanons, hinter die wir - bei aller Vielfalt, die sich daraus wiederum entwickelt hat - als Christen ebensowenig zurück können wie Juden hinter die rabbinische Rezeption, die, wie die christliche, weitere Rezeptionsweisen (Qumran, die Apokalyptik) ausgeschieden bzw. auf ihre Weise integriert hat. In der Konsequenz des rezeptionsgeschichtlichen Modells käme es so darauf an, in der Reproduktion oder Deskription der gesamten (kanonischen und nichtkanonischen) Literatur- und Theologiegeschichte, die sich noch ganz im Rahmen der historischen Rekonstruktion bewegt, zu fragen, was je und je theologisch wirksam und identitätsstiftend gewesen ist, um gleichzeitig oder anschließend zu fragen, was davon auch unter den Bedingungen unserer Zeit und unter den Prämissen des angestammten Bekenntnisses gegebenenfalls noch wirksam und identitätsstiftend ist oder nicht, was heute zur Vergewisserung der eige-
64 In seiner Altdorfer Antrittsrede von 1787 De iusto discrimine theologiae biblicae et dogmaticae regundisque recte utriusque finibus, Kleine Schriften II, Ulm 1831, 179-198. Dazu SMEND 1962; MERK 1972, 31 ff, eine deutsche Übersetzung der Rede ebd., 273-284; SAEB0 1987; NIEBUHR/BÖTTRICH (Hg.) 2003, darin KRATZ 2003b. 65
Wie bei G. von Rad die Größe „Israel" oder wie die Bundesformel als formales, hermeneutisches Prinzip und nur so gewissermaßen auch als „Mitte der Schrift"; vgl. die Hinweise oben Anm. 2. und 3.
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Die Tradition
nen Identität in einer Gesellschaft, die sich auch in der Theologie der Pluralität bewußt geworden ist, vielleicht wieder wirksam sein sollte und was nicht. So wird aus der Reproduktion der israelitischen Literatur- und Theologiegeschichte zugleich ein weiterer Schritt auf dem weitverzweigten Weg der Rezeptionsgeschichte. Richtig verstanden,66 leistet sie heute - unter anderen, namentlich durch das historistische Bewußtsein veränderten Bedingungen wie eh und je im ChrG und der gesamten israelitischen Literatur- und Theologiegeschichte, was jüngst J. Assmann für verschiedene antike Kulturen unter dem Begriff des „kulturellen Gedächtnisses" zusammengefaßt hat.67 Rezeptionsgeschichte als „Suche nach Identität" und „kulturelles Gedächtnis" sind beinahe austauschbare Begriffe, insofern im Medium der Schriftlichkeit die Bindung an Tradition und Überlieferung mit der Vergewisserung von kollektiver und darin aufgehobener individueller Identität für eine neue Zeit zusammenkommt. Beides, die aus der Überlieferung rekonstruierte Erinnerung und die Erschließung der eigenen Zeit und Lebensumstände, gehört unabdingbar zusammen, und nur zum Schaden sowohl für Tradition und Überlieferung als auch für die eigene Identität läßt sich eines vom anderen lösen. Auch die Theologie ist heute wie eh und je auf die Schriftlichkeit des Vorgangs der identitätsstiftenden Rezeption angewiesen. Damit ist die Wirkung und Verbreitung des Vorgangs - damals mehr als heute - eher auf kleinere, professionelle Kreise beschränkt. Insbesondere die Theologie ist darum ebenso darauf angewiesen, daß aus der Schriftlichkeit des Vorgangs in der Verkündigung auch mündliches Wort wird, das die Überlieferung in neuer Zeit für weite Kreise neu zum Sprechen bringt und auch auf diese Weise Identität vermittelt.
66 Vgl. gegenüber einer nur vom Leser und seiner Zeit oder etwa auch nur vom Lehramt der Kirche gesteuerten Rezeption die berechtigten Abgrenzungen bei KOCH 1991b, 155 Anm. 15; DERS. 1991a, 223f mit Anm. 21. Zum Begriff der Rezeption im theologischen (ökumenischen) Gebrauch FISCHER 1990. 67 ASSMANN 1992.
Theokratie und Eschatologie
Einführung Die jüdische Tradition hat sich nicht nur in eine, sondern in viele Richtungen entwickelt. Man hat in ihr zwei Grundströmungen des theologischen Denkens identifiziert: die theokratische und die eschatologische (Plöger 1959). Für die eine ist kennzeichnend, daß sie Gottes Heil in der Gegenwart erkennt, für die andere, daß sie Gottes Einschreiten für die nahe oder fernere Zukunft erwartet. Mit ersterer verbindet sich die priesterliche, kultische und weisheitliche Überlieferung sowie die chronistische Theologie, mit der zweiten die prophetische und apokalyptische Überlieferung sowie der Deuteronomismus. Gemeinsam ist beiden Richtungen die Treue zum Gesetz, das in der deuteronomistischen Tradition immer die „Tora des Mose", in der chronistischen außerdem und bevorzugt die „Tora Jhwhs" heißt. Es versteht sich, daß diese Unterscheidung viel zu einfach und schematisch ist und eine Reihe von Zwischentönen und Übergängen überdeckt. Dennoch erweist sie sich heuristisch als hilfreich und macht auf Aspekte aufmerksam, die die jüdische Tradition und ihre Zersplitterung in diverse Religionsparteien der hellenistisch-römischen Zeit bestimmten. Der Begriff der Theokratie wurde von Josephus in Ap II 164—167 geprägt. Er meint hier die Staatsform, die der Gesetzgeber Mose den Juden verordnet hat, im Unterschied zu Monarchie, Oligarchie und Demokratie. Josephus (Ap II 184-189) und Julius Wellhausen folgend, wird der Begriff in der alttestamentlichen Forschung gerne promiscue mit „Hierokratie" verwendet und ist geradezu zum Synonym für das Judentum im Zeitalter des Zweiten Tempels geworden. Gegen diese Auffassung hat man unter Hinweis auf die neueren epigraphischen Funde verschiedentlich eingewandt, daß Juda in der Perserzeit keineswegs als Theokratie oder Hierokratie, sondern als persische Provinz organisiert gewesen und also nicht von Priestern, sondern einem Statthalter regiert worden sei. Erst in hellenistischer Zeit könne man von einer Art Theokratie oder Hierokratie sprechen. Beides ist richtig und falsch zugleich. Soweit es die politische Verfassung Judas betrifft, ist den Kritikern Recht zu geben, soweit es aber das Selbstverständnis des Judentums anbelangt, haben eher Josephus und Wellhausen das Richtige getroffen, nur daß sie wie ihre Kritiker der Suggestion der jüdischen Tradition erlagen und die politische Verfassung Judas mit dem in der Überlieferung formulierten Selbstverständnis des Judentums gleichsetzten. Wie die Eschatologie ist also auch die Theokratie zunächst eine Idee der Literatur- und Theologiegeschichte, bevor in hellenistischer Zeit die Bestre-
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Theokratie und Eschatologie
bungen einsetzen, die literarischen Ideen und Visionen in die Tat umzusetzen. Doch auch als literarische Idee bedarf der Begriff der Differenzierung. Wie es nicht nur eine Form der Eschatologie gab, so ist auch die Theokratie keine starre Vorstellung. Josephus selbst definiert den Begriff an der Stelle, an der er ihn einführt, etwas anders als man es aufgrund des Kontexts von Contra Apionem und der üblichen Klischees erwarten würde. Nach Ap II 166-167 ist darunter nicht etwa die Herrschaft des mosaischen Gesetzes oder der Priester verstanden. Josephus argumentiert, dem apologetischen Zweck seiner Schrift entsprechend, vielmehr universal: Gott ist einer, ungeschaffen und unveränderlich in alle Ewigkeit, und seine Herrschaft erstreckt sich über alle Menschen. Als der Geber aller guten Gaben kümmert er sich um die Belange, die allen Menschen gemeinsam sind, und speziell um solche, die sie im Gebet vor ihn bringen, wenn sie in Not sind. Die Definition des Josephus erinnert an Psalm 145, den einzigen Text im Alten Testament, in dem die Herrschaft Gottes in ähnlicher Weise universal beschrieben wird. Der Psalm, der das Reich Gottes zum Thema hat, unterscheidet sich damit in charakteristischer Weise von diversen anderen Konzeptionen der Gottesherrschaft, in denen der Begriff als Sieg über die Völkerwelt gefaßt (Jhwh-König-Psalmen), auf Israel beschränkt und mit der Einhaltung des Gesetzes verbunden (deuteronomistische Redaktion in den vorderen Propheten), politisch konnotiert (Chronik, Dan 1-6) oder - ausnahmsweise - eschatologisch bestimmt ist (Dan 2,44 und 7). Auch wenn die Vorstellung vom Reich Gottes, wie Dan 2 und 7 zeigen, in den jüdischen Schriften der hellenistisch-römischen Zeit gelegentlich eschatologische Züge annehmen kann, handelt es sich - gegen die landläufige Meinung - von Hause aus nicht um einen apokalyptischen Begriff. Vielmehr schwingt in ihm stets die Überzeugung mit, auch in der Gegenwart schon im Reich Gottes zu leben und dessen Gnaden zu empfangen, mit und ohne ausdrücklichen Hinweis auf den Gehorsam gegen die Tora, in der sich Gott den Menschen offenbart hat und in der er anwesend ist, ebenso wie im Tempelkult oder in der Schöpfung. Nicht von ungefähr halten sich die präsentische und die eschatologische Bedeutung bis ins Neue Testament hinein ungefähr die Waage. Ähnlich differenziert ist auch die jüdische Eschatologie zu sehen. Sie ist von den Propheten ausgegangen und hat sich bereits in deren Schriften nach verschiedenen Seiten verzweigt. Die eschatologischen Erwartungen, auch die Hoffnungen auf bald bevorstehendes oder noch in weiter Ferne liegendes Heil, basieren auf der Grundüberzeugung, daß Gott das „Ende" seines Volkes Israel beschlossen hat und Gericht hält. Es herrscht die Auffassung, daß dieses Gericht entweder schon eingetreten ist und demnächst überwunden wird oder noch bevorsteht bzw. anhält und erst nach weiteren Gerichtsakten gegen die Frevler in Israel, die Völker und die ganze Welt bis hin zur Rücknahme der Schöpfung am Ende der Zeiten zu einem definitiven Ende kommt. Die Vor-
Einfiihrung
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Stellung impliziert den Gedanken der Schuld Israels, die sich in mancherlei Vergehen gegen Gott äußert und abgetragen werden muß, bevor das „Ende" kommt. Diese prophetische Grundüberzeugung liegt auch der jüdischen Apokalyptik zugrunde, die sie unter riesigem Aufgebot priesterlicher, kultischer, weisheitlicher und anderer Vorstellungen und Kenntnisse ausbaut und in ein theologisches System bringt. Die prophetische Grundüberzeugung liegt aber auch dem deuteronomistischen Geschichtsbild zugrunde, das die Propheten als Warner vor dem drohenden Gericht, Mahner zur Umkehr und Lehrer zum Gesetzesgehorsam stilisiert und - um der Rechtfertigung Gottes willen - die Geschichte Israels unter dem Vorzeichen von Schuld und Strafe rekapituliert. Wie die Theokratie mit der Eschatologie, so mischt sich zuweilen auch die Eschatologie mit der Theokratie. Die gegenseitige Annäherung läßt sich am besten im Vergleich der beiden großen erzählenden Traditionswerke des Alten Testaments beobachten, der Komposition aus Tora und vorderen Propheten in Gen-Kön und der davon literarisch abhängigen Chronik, in denen der späte, kaum mehr deuteronomistisch zu nennende Deuteronomismus, dem man die Siglen DtrP(rophetisch), DtrN(omistisch) oder DtrB(undestheologisch) angeheftet hat, eine Liaison mit der chronistischen Theokratie eingegangen ist. Überhaupt tendiert die literarische Tradition je länger desto mehr dazu, die verschiedenen theologischen Richtungen zusammenzufuhren, zu systematisieren und Unterschiede zu nivellieren. So kommt es, daß nicht nur in der Apokalyptik, sondern fast überall mit fremden Einflüssen priesterlicher, kultischer, weisheitlicher, prophetischer, deuteronomistischer oder chronistischer Prägung zu rechnen ist, ohne daß man die literarischen Erzeugnisse nur einer Richtung zuordnen könnte. Die Tradition hebt sich damit abermals von der historischen Entwicklung ab, in der sich verschiedene, konkurrierende Religionsparteien gebildet haben: die Gruppe der „Frommen" (Chasidim oder Asidäer), die Essener, die Sadduzäer, die Pharisäer und Schriftgelehrten, nicht zu vergessen die makkabäischen Kämpfer und Wegbereiter des hasmonäischen Königtums und die späteren Zeloten. Sie alle werden ihre Vorlieben gehabt haben und kreierten teilweise auch ihre eigene Leitüberlieferung, doch will es nicht ohne weiteres gelingen, sie mit den verschiedenen Strängen der literarischen Tradition zu identifizieren. Daß sich nach der Zerstörung des Tempels 70 n.Chr. eine Gruppe durchgesetzt, aus der literarischen Tradition eine Auswahl getroffen und eine darauf aufbauende, schriftgelehrte Tradition, die rabbinische Überlieferung, begründet hat, bedeutet nicht, daß diese Gruppe auch vorher schon den Ton angab und für die biblische Überlieferung verantwortlich war. Es folgen vier Beiträge, die eine Differenzierung der literarischen Tradition aus dem Blickwinkel zweier biblischer Bücher vornehmen: des Buches Daniel und des Psalters. Beide Schriften sind theologiegeschichtliche Kompendien, in die im Zuge ihrer literarischen Entstehung verschiedene theologische Rieh-
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Theokratie und Eschatologie
tungen und Interessen Eingang gefunden und die ihrerseits in verschiedene Richtungen, in die Apokalyptik einerseits und die jüdische Gebetstradition andererseits, gewirkt haben. Und beide bewegen sich zwischen den zwei Polen von Theokratie und Eschatologie. In ihrer Literargeschichte spiegelt sich exemplarisch die Theologiegeschichte des Judentums im Zeitalter des Zweiten Tempels. Hinsichtlich der in Daniel wie im Psalter vorausgesetzten Traditionswerke „DtrG" und „ChrG", auf die vor allem der Beitrag Nr. 9 in diesem Band eingeht, sei auch hier wieder auf die Modifikationen hingewiesen, die sich mir mittlerweile ergeben haben (KRATZ 2000a). Weitere Beiträge des Autors zu diesem Kapitel: 2004b; 2006a; 201 la; 201 ld.
9. Reich Gottes und Gesetz im Danielbuch und im werdenden Judentum I
Geht es nach dem Neuen Testament, haben das Reich Gottes und das Gesetz nicht viel miteinander zu tun. Von ersterem kündet der Jesus der Evangelien ohne oder aber gegen das zweite, das zweite wiederum ist ohne das erste Gegenstand der theologischen Polemik bei Paulus. Das Reich Gottes in den Evangelien steht für die von Jesus von Nazareth verkündigte, mit dem gekreuzigten und auferstandenen Christus in Zukunft vollendete Selbstdurchsetzung des gerechten Gottes, das Gesetz bei Paulus ebenso wie die pharisäisch-schriftgelehrte „Überlieferung" in den Evangelien für die Durchsetzung des selbstgerechten Menschen. Im einzelnen liegen die Dinge natürlich sehr viel komplizierter, zeugen etwa in den Evangelien auch „das Gesetz und die Propheten" vom Gottesreich und ist bei Paulus das Gesetz auch heilig, gerecht und gut, doch geht die Grundtendenz in die andere Richtung. Im Danielbuch ist von beidem die Rede, vom einen mehr, vom anderen etwas weniger. Wie es scheint und auch oft genug so gesehen wird,1 repräsentieren Reich Gottes und Gesetz hier also (noch) keine gegensätzlichen Positionen, sondern gehören zusammen. Wie aber sieht dieser Zusammenhang aus? In der Danielforschung 2 gehen die Meinungen auseinander. Dabei kann man zwei Ebenen der Argumentation unterscheiden: einerseits geht es um die Stellung des Danielbuchs im Rahmen der nachexilischen Theologiegeschichte, andererseits um die Analyse des Buches selbst. Zum ersten: Das geschlossene Bild vom Zusammenhang der beiden fraglichen Themen basiert auf der Annahme der literarischen Einheitlichkeit des Buches, wie sie in der älteren Forschung etwa von Bleek, von Gall und besonders Rowley verteidigt wurde3 und in neuerer Zeit nicht nur von funda-
1 Z. B. von KELLERMANN 1971, 116: „Gottesherrschaft und Gesetz bilden die Leitmotive der chasidischen Apokalypsensammlung des Danielbuchs." Vgl. auch CAMPONOVO 1984, 117ff.437; ihm folgt LOHFINK 1987, 77ff.81ff. Vgl. ferner ZENGER 1986, 187f; HAAG 1986, 106.108f und im Blick aufs Gesetz HENGEL 1973, 325f, für den weiteren Horizont 532ff.557ff sowie schon BOUSSET/GRESSMANN 1926, 124f. 2 Ausführliche Berichte von BAUMGARTNER 1939; KOCH 1980. 3 BLEEK 1822; VON GALL 1895; ROWLEY 1950/51.
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Theokratie und Eschatologie
mentalistischer Seite her,4 sondern ebenso von prominenten kritischen Kommentatoren wie Bentzen, Porteous, Plöger oder Delcor vertreten wird,5 wobei für letztere im Unterschied zu den Evangelikaien die Entstehung im 2. Jh. v.Chr. natürlich feststeht. Strittig ist auf dieser Grundlage nicht die Verbindung von Reich Gottes und Gesetz an sich, sondern die Frage, welches der beiden Themen konzeptionell im Mittelpunkt steht.6 Die Unterschiede verbinden sich exemplarisch mit den beiden Namen Julius Wellhausen auf der einen und Otto Plöger auf der anderen Seite. Seit Wellhausen und der maßgeblich von ihm begründeten Sicht der israelitisch-jüdischen Religionsgeschichte gehört das Danielbuch ins Judentum und also in den Strom der nachexilischen Gesetzesreligion, ja mehr noch in die Phase seiner „letzten Versteifung", aus der dann recht unmittelbar der „Rabbinismus" und der „Pharisaismus" hervorgegangen seien.7 Im Zentrum der eschatologischen Erwartung steht der Begriff des „Reichs", und zwar als strikter Gegensatz von gegenwärtigem Weltreich und zukünftigem Gottesreich. Doch: „Die Frommen handeln nicht auf das Reich, sondern in dem Reich, d.h. nach den in ihm gültigen Gesetzen".8 So ist die Erwartung des Gottesreichs Horizont und Antrieb, eigentlicher Grund zum Gesetzesgehorsam, der in der bestehenden „Theokratie" 9 schon erfüllt, was für das kommende Gottesreich erwartet wird. Man wird Wellhausen also schwerlich vorwerfen können, er habe die Eschatologie (und Apokalyptik) unterschlagen oder an den Rand gedrängt. Im Gegenteil: Sie gilt ihm gerade als das wesentlichste Kennzeichen der späten, asidäisch-pharisäischen Ausprägung der jüdischen Gesetzestheologie im Unterschied zu den makkabäischen Kämpfern, aus denen der hellenistisch angepaßte, hasmonäisch-sadduzäische Priesteradel und die zelotischen Aktivisten hervorgingen, und weist für ihn gar über das Judentum hinaus auf das „prophetische" Evangelium10 und eine „christ-
4 Repräsentativ ist der Sammelband „Symposium on Daniel", hg. von HOLBROOK 1986. Bes. zur Frage der Einheitlichkeit FERCH 1983. 5 BENTZEN 1952; PORTEOUS 1985; PLÖGER 1965; DELCOR 1971. 6 Vgl. dazu KOCH 1980, 12f.l27ff.l58ff, bes. 161f; ferner LIMBECK 1971, 11-28. 7 WELLHAUSEN 1905a, 108f. Vgl. DERS. 1914, 241f.275ff, bes. 286f; DERS. 1874, 21f. 23f; DERS. 1899. 8 WELLHAUSEN 1874, 24; vgl. 21f: „Die Triebkraft, die hierbei wirkt, ist der theokratische Grundgedanke: der Herr ist König. Man thut, was er befohlen hat; was daraus wird, ist seine Sache." 9 Zu ihr vgl. WELLHAUSEN 1905b, 409ff; DERS. 1874, 12ff und noch einmal 24: „Die Theokratie, d.h. die israelitische Gemeinde, und das Reich Gottes fallen auseinander, für letzteres ist die Weltherrschaft charakteristisch. Sie stehen aber auch wiederum in Zusammenhang ...", nämlich, wie gerade vorhin (Anm. 8) zitiert, im Halten des Gesetzes. 10 Vgl. WELLHAUSEN 1899, 231 im Blick auf spätere Apokalypsen (syrBar, 4 Esr) und ihren Unterschied zu Daniel: „Wir dürfen die Erhebung der Hoffnung in das Individuelle und Transcendente wol als eine Vergeistigung bezeichnen. Wie die Eschatologie überhaupt das
9. Reich Gottes und Gesetz
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liehe Universalhistorie".11 Daß Wellhausen die Eschatologie (übrigens seit dem Exil, von Ezechiel angefangen) gleichwohl in den Hauptstrom der nachexilischen, von Esra begründeten „theokratischen" Gesetzesreligion einordnet, hätte - man mag von der ganzen Konstruktion und ihren Werturteilen halten, was man will - ihre historische Bedeutung eigentlich nicht mindern, sondern, wie dann die Werke von Volz und Bousset/Greßmann zeigen, eher steigern sollen.12 Die Wende, die in der alttestamentlichen Forschung13 für die Eschatologie der Apokalyptik und speziell des Danielbuchs eine Arbeit von Plöger, fur das Gesetz in der Apokalyptik (ohne Daniel!) die von Rössler markiert,14 besteht im wesentlichen darin, daß die von Wellhausen15 im 2. Jh. wahrgenommene Zersplitterung des Judentums ansatzweise zurückdatiert und auf Positionen verteilt wurde, die für ihn - auch im 2. Jh. - noch weitgehend eins waren. So wird bei Plöger16 die asidäisch-pharisäische Richtung, die außer der Treue zum Gesetz im besonderen die prophetische Eschatologie mit gewisser Nähe zum Deuteronomismus 17 auszeichnet, eine eigenständige Ausprägung nicht in, sondern neben der theokratischen, im wesentlichen uneschatologischen Gesetzesreligion, die von Esra (Priesterschrift und Chronik) ausgegangen ist und in der offiziellen Priesterschaft selbständig weiterlebt, teils dann in dem hellenistischen Reformjudentum,18 teils im makkabäisch-hasmonäisch-saddu-
innerste Wesen des Judentums offenbart, so entspricht auch die Vergeistigung der Eschatologie der Vergeistigung des Judentums selber, deren Consequenz das Evangelium ist." Und WELLHAUSEN 1874, 21 zum Verhältnis Neues Testament und Pharisäer: „Man darf nun aber nicht vergessen, dass diese Gegensätze artverwandt sind. „Trachtet vor Allem nach der Gerechtigkeit Gottes" gilt für die Christen so wohl wie für die Pharisäer. Wichtiger noch ist, dass die allgemeine Weltanschauung, welche für diese Forderung das Motiv ist, bei beiden im Grunde die selbe ist." Es folgen die Ausführungen zur pharisäischen Eschatologie und zu Daniel. Vgl. dazu WELLHAUSEN 1914, 358ff. " WELLHAUSEN 1914, 286: „das Buch Daniel hat die selbe Bedeutung für die Geschichtswissenschaft wie das erste Kapitel der Genesis für die Naturwissenschaft." Zum Verständnis des Satzes ist die Äußerung über Gen 1 als Ausnahme, die sich über die priesterschriftliche Theokratie erhebt, zu vergleichen in WELLHAUSEN 1905a, 101. 12 VOLZ 1903, 9ff kommt ganz ohne das Gesetz aus; BOUSSET/GRESSMANN 1926, 11. Auf die Forschungsgeschichte zur Apokalyptik kann hier nicht eingegangen werden. Vgl. dazu J. M. SCHMIDT 1969a; DERS. 1969b; KOCH 1970; LEBRAM 1978; MÜLLER 1978; COLLINS u.a. 1979; STECK 1981; KOCH/SCHMIDT 1982, bes. 1-29. 13 Zu den früheren Entwicklungen im angelsächsischen Bereich und in der neutestamentlichen Forschung vgl. KOCH 1970, 47ff.55ff. 14 PLÖGER 1959; RÖSSLER 1960. Für das Gesetz in Qumran vgl. LIMBECK 1971. 15 Ausführlich in seiner wegweisenden Studie: Die Pharisäer und die Sadducäer von 1874. 16 1959, 37ff.l29ff. "PLÖGER 1959, 134f. 18 Vgl. PLÖGER 1959, 57 und 137f.
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zäischen Flügel19 aufgeht. Ähnliches zeigt Rössler für das Gesetz, indem er die pharisäisch-asidäische Richtung selbst auseinandernimmt, die pharisäisch-rabbinische Orthodoxie auf das chronistische Geschichtswerk und das hasmonäische erste Makkabäerbuch zurückführt 20 und für die eschatologische Apokalyptik einen eigenen Gesetzes- und Geschichtsbegriff postuliert.21 Das Danielbuch erscheint damit in einem anderen Licht. Es behält seinen Platz in der asidäisch (-pharisäischen) Bewegung, gehört aber gerade so nicht dem priesterschriftlich-chronistischen Strom der jüdischen Gesetzestheologie, sondern der prophetisch-eschatologischen Seitenlinie an, für die Gesetzesobservanz wichtig, aber nicht alles ist. Nicht gerade gegen, aber über das Gesetz hinaus geht der schon von Wellhausen betonte Gegensatz von Weltreich und Gottesreich,22 der auf eine letzte Entscheidung durch Gott drängt. Das Reich Gottes erscheint so als Inbegriff apokalyptischer Eschatologie, womit auch die Brücke zum Neuen Testament - trotz mancher Berührungsängste von dieser Seite aus - noch leichter zu schlagen war. Die konsequent eschatologische Deutung der religionsgeschichtlichen Schule, für die insbesondere der Name Johannes Weiss steht, bekommt so auch vom Alten Testament her eine nachträgliche Bestätigung; und kaum zufällig ist die Apokalyptik etwa zeitgleich mit dem Erscheinen von Plögers und Rösslers Arbeiten von Ernst Käsemann zur „Mutter aller christlichen Theologie" erklärt worden.23 Soweit die theologiegeschichtlichen Alternativen. Der Zusammenhang von Reich Gottes und Gesetz stellt sich freilich noch einmal ganz anders dar, sobald im Danielbuch literarkritisch oder wenigstens überlieferungsgeschichtlich differenziert wird. Das ist heute meistens der Fall, doch herrscht noch keineswegs Einigkeit darüber, welche der vom Text selbst an die Hand gegebenen Indizien den Vorzug verdienen - das stilistische (Erzählungen Dan 1-6 und Visionen Dan 7-12), das sprachliche (Dan 2-7, hebräischer Rahmen Dan 1-2,4a und 8-12) oder die chronologischen. 19
PLÖGER 1959, 55f. RÖSSLER 1960, 12-42. 21 RÖSSLER 1960, 43-105. Eine noch weitergehende Differenzierung nimmt HENGEL 1973 im Blick auf das hellenistische Judentum und die Weisheit vor sowie im Anschluß daran STECK 1967, 196ff, der vier vormakkabäische Hauptströmungen unterscheidet: die „priesterlich-theokratische", die „weisheitliche", die „prophetisch-eschatologische" und die „levitisch-dtr Position" (205), von denen vor allem die drei letzten (Weise, Propheten und Schriftgelehrte, 208) sich in der Sammelbewegung der Asidäer unter dem dtr. Geschichtsbild zusammengefunden hätten und in den Pharisäern (und Essenern, vielleicht noch den Zeloten) weiterlebten (21 Off), während die theokratische Priesterschaft sich weitgehend der Hellenisierung geöffnet (206) und in Hasmonäern und Sadduzäern (1 Makk) weiterbestanden habe (209ff). 20
22
Vgl. PLÖGER 1959, 30ff (zu Dan 7ff). Bes. bezeichnend und von nachhaltiger Wirkung war der Beitrag von NOTH 1954. 23 KOCH 1970, 55ff.69ff.
9. Reich Gottes und Gesetz
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Wenn ich recht sehe, überwiegt die Aufteilung in Erzählungen und Visionen bei weitem. Sie wurde schon von einigen Vertretern der Einheit vorsichtig zugegeben,24 wird gegenwärtig vor allem im angelsächsischen Sprachraum, besonders profiliert von Collins und P. R. Davies, aber auch Goldingay in seinem Kommentar, vertreten25 und ebenso in einer Reihe von Arbeiten zur Erzählungssammlung Dan 1-6 mehr oder weniger deutlich vorausgesetzt.26 Das Reich Gottes als eschatologische Größe hat danach vor allem in den Visionen seinen Ort, die Dan 7 einleitet, während das Vorkommen des Begriffs innerhalb der Erzählungen ohne Dan 7 für die meisten27 in den Hintergrund rückt und ein Ausdrucksmittel neben anderen ist, die Überlegenheit des jüdischen Gottes und seiner Bekenner über die heidnischen Konkurrenten und Könige zu bezeichnen. Das ändert sich grundlegend, folgt man dem sprachlichen Kriterium und geht, wie neuerdings vor allem Lebram und Albertz,28 von einem aramäischen Danielbuch Dan 2-7 aus, dem ältere Überlieferungen zugrunde liegen mögen, das aber erst durch den eschatologischen Rahmen in Dan 2 und 7 sein redaktionelles Profil bekommt. Danach bewegen sich auch die Erzählungen und besonders die auf das Gottesreich weisenden Stellen in Dan 4 und 6 von vornherein im Horizont der eschatologisch-apokalyptischen Reich-Gottes-Erwartung, die auf die Zerstörung der Weltmacht zielt und darin von den hebräischen Visionen Dan 8-12, wenn auch mit zeitgeschichtlichen Differenzen, konsequent weitergeführt wird. Das Gesetz findet bei den neueren Auslegern, wie auch immer sie abtrennen, kaum eine besondere, über die Einzelstelle hinausgehende Erwähnung. Es fugt sich mehr oder minder unauffällig ein sowohl in die Sicht der Erzählungen als Beispielgeschichten für jüdisches Leben und Bestehen in der Diaspora29 oder unter fremder Herrschaft30 als auch in das allgemeine Bild von der antihellenistischen Opposition im 2. Jh. v.Chr., in dem die Visionen Dan 7 und 8-12 entstanden sind. Wie an anderer Stelle ausführlich dargelegt,31 lassen sich diese Indizien am besten im Anschluß an das von Johannes Meinhold und Gustav Hölscher entwickelte Modell der von Klaus Koch so genannten „Aufstockungshypo24
Vgl. z.B. BENTZEN 1952, 5f.9; PLÖGER 1965, 26; DERS. 1959, 19ff.25 u.a. COLLINS 1975; DERS. 1977, 7ff; DERS. 1984, 27-39; DAVIES 1985, 40ff.57ff; GOLDINGAY 1989, 326ff (aber offenbar mit sukzessiver Entstehung!); vgl. schon DERS. 1987. 26 Vgl. die Lit.-Hinweise in KRATZ 1991b, 7f Anm. 19ff; 14 Anm. 13 sowie 77ff.81ff. Inzwischen neu erschienen: FEWELL 1988; WESSELIUS 1988. 27 Anders GOLDINGAY 1989, 329ff, bes. 330f. 28 LEBRAM 1984, 18ff; ALBERTZ 1988, 157ff; vgl. ferner die Hinweise in KRATZ 1991b, 14 Anm. 14. 29 So diejenigen, auf die oben Anm. 25f verwiesen ist; im Blick auf das Gesetz bes. auch ANDERSON 1984, XVf.lffu.ö. 30 So die in Anm. 28 Genannten. 31 KRATZ 1991b, 11-76, speziell zu Stil, Sprache und Chronologie lff.llf.14f.16ff.38ff. 57.73. 25
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these"32 erklären, also mit einem Grundstock von aramäischen Erzählungen in Dan 1-6, einer ersten, aramäischen Fortschreibung dieser Erzählungssammlung in Dan 7 und einer zweiten, hebräischen Fortschreibung jenes aramäischen Danielbuchs in Dan 8-12 samt (aramäischen) Zusätzen in Dan 2 und 7 und der Übersetzung von Dan 1 ins Hebräische. Das hat wiederum nicht unerhebliche Konsequenzen für die vorhin referierte theologiegeschichtliche Debatte. Je nachdem, welchen Indizien man folgt und wo man scheidet, verschieben sich natürlich auch hinsichtlich der Themen Reich Gottes" und Gesetz die Gewichte. In jedem Fall aber scheint gerade die literarische Schichtung des Danielbuchs einen neuen Zugang zu der alten Frage nach Entstehung und Werden des Judentums zu versprechen, die sich nicht zuletzt im Blick auf die Entwicklung im Neuen Testament oder eigentlich von ihm her mit den Begriffen Reich Gottes und Gesetz verbindet. Um nun aber nicht von fertigen Modellen auszugehen, beginne ich mit einigen elementaren Beobachtungen an der überlieferten masoretischen Textgestalt von Dan 1-12, wobei ich mich auf die beiden Schlüsselbegriffe konzentriere und daran die entsprechenden literarkritischen und redaktionsgeschichtlichen Folgerungen anschließe (II). Darauf folgt der Versuch einer theologiegeschichtlichen Auswertung des Befunds (III—IV).
II 1. Zunächst zu Begrifflichkeit und Vorkommen des „Reiches Gottes".34 Hebr. mlkwt, aram. mlkwlmlkwt' und parallel dazu Sltn bezeichnen im ganzen Danielbuch zunächst das irdische Reich, d.h. die Herrschaft sowie die Macht der babylonischen, medischen, persischen und „griechischen" (ptolemäischen und seleukidischen) Großkönige. Vom „Reich Gottes" ist hingegen ausschließlich im aramäischen Buchteil Dan 2-7, nicht mehr im hebräischen Teil Dan 8-12 die Rede, was oft übersehen wird, aber höchst bezeichnend ist. Die Verteilung der Belege bewegt sich also ganz im Rahmen der sprachlichen Grenzen. Aber auch innerhalb von Dan 2-7 ist die Redeweise vom „Reich Gottes" nicht einheitlich. Namentlich 2,44 und Dan 7 (V. 14.18.22.27) heben
32
Vgl. MEINHOLD 1884; DERS. 1888; HÖLSCHER 1919. Dazu KOCH 1980, 61ff sowie KRATZ 1991b, 3ff.14f.20f Anm. 39. 33 In dieser Hinsicht vgl. für den Zusammenhang von Literarkritik und theologischem Konzept nach dem Aufstockungsmodell schon ATZERODT 1924; STECK 1980; letzterem folgend ZENGER 1986, 187f und SEIDL 1987, 170ff. Für die Fragestellung als solche auch HALL 1974. 34 Vgl. CAMPONOVO 1984, 119ff; KRATZ 1991b, 161ff; Stellennachweise (für den Begriff wie den gesamten Vorstellungszusammenhang) im einzelnen 161 f. 175 mit Anm. 78; 179f.
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sich von allen übrigen Belegen in Dan 3 (V. 33) und 4 (V. 31, beides innerhalb derselben Erzählung 3,31-4,34) und Dan 6 (V. 27) ab: Nur in 2,44 und 7 ist das Reich nicht direkt - wie sonst immer durch rückbezügliches sf. - auf Gott bezogen, sondern ist von „einem/dem Reich" die Rede, das Gott aufrichten wird und das in 7,14.27 (und 2,44aß?) durch sf. auf den „Menschensohn" bzw. das „Volk der Heiligen" bezogen ist;35 nur in 2,44 und 7 (V. 23.27; vgl. 8,22) ist gegenüber dem einen Gottesreich, mit dem sonst immer das eine Weltreich korrespondiert, von den aufeinanderfolgenden Weltreichen im Plural die Rede; und nur in 2,44 und 7 erscheint das Gottesreich nicht wie sonst im Mund, und zwar im Hymnus nichtisraelitischer Großkönige vor aller Welt, sondern entweder im Mund Daniels selbst (2,44) oder in der himmlischen Schau Daniels bzw. in der Deutung des Engels für Daniel (Dan 7). Diese Unterschiede entsprechen dem stilistischen Wechsel vom Er der Erzählungen zum Ich der Visionen, mit dem der chronologische Neueinsatz in 7,1 konvergiert,36 so daß sich vom Begriff des „Reiches Gottes" her die dreifache Schichtung des Buches in Erzählungen Dan 1-6, aramäische Vision Dan 7 und hebräische Visionen Dan 8-12 weitgehend bestätigt. Einzige Ausnahme ist 2,40-44. Sachlich bestimmt diesen Unterschied das Verhältnis von Gottesreich und Weltreich. In Dan 2-6, ausgenommen 2,(40-)44, stehen sie keineswegs in Opposition zueinander, sondern sind in eigentümlicher Weise aufeinander bezogen. Im Hymnus des babylonischen (3,31-33; 4,31-34; vgl. auch 2,47; 3,28f) und „medischen" (6,26-28) Großkönigs bis hin zum „ersten Jahr des Kyros" (1,21; 6,29) sind - wie schon im programmatischen Hymnus Daniels in Dan 2,20-23 (V. 21a im Blick auf V. 37ff) - das „Reich", das Gott an eben diese Könige vergibt oder ihnen (zeitweise oder ganz) wieder entzieht, und das von diesen Königen demselben Gott zugeschriebene „Reich", also Weltreich und Gottesreich eins. Auch 2,40-44 und Dan 7 setzen dieses Konzept zweifellos voraus, fuhren aber mit dem vierten (griechischen) Reich eine 35
Beide Ausdrucksweisen haben ihre Entsprechung in der Darstellung der Weltreiche: Vgl. mit sf. der 1. sg. 4,15.33; 6,27, der 2. sg. 4,23; 5,11.26.28, der 3. sg. 5,20; Vergabe (und Entzug) des Reichs in l , l f ; 2,21.37f; 4,14.22f.28f.33; 5,18ff.28; 6,1. Doch nur in 2,44 und Dan 7 ist der gerade damit angezeigte Zusammenhang als unversöhnlicher Gegensatz qualifiziert und entsprechend in ein zeitliches Nacheinander aufgelöst: Vgl. negativ l'm 'hrn l' tStbq in 2,44, positiv yhybt l'm qdySy 'lywnyn in 7,27 (für 7,14) und dazu KRATZ 1991b 30f sowie 26f Anm. 59; 46f zum Wechsel der „Zeiten". 36
Das chronologische Gerüst des Danielbuchs nach den vier Reichen in Dan 2 und 7 und mit den 70 Jahren in Dan 1 und 9 gilt meistens als Zeichen seiner Einheitlichkeit und wird darum von denen, die literarkritisch differenzieren, stillschweigend übergangen oder nur zögerlich mit einbezogen. Aber auch in ihm finden sich charakteristische Unterschiede. Vgl. dazu KRATZ 1991b, 16ff.38ff.57 sowie 261ff; zu Dan 9 (außer der dort 265-267 angegebenen Lit.) neuerdings GRABBE 1987; LAATO 1990; WILSON 1990; ferner „Die Visionen des Daniel" (in diesem Band Nr. 10).
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neue Größe ein, die den Zusammenhang durch die Eigenmächtigkeit des Weltreichs von sich aus aufkündigt und so den endgültigen, gerichtlich vollzogenen Bruch von Gottesreich und Weltreich „am Ende der Tage" (2,28) nach sich zieht. Dieser Gegensatz setzt sich fort in Dan 8-12, hier allerdings, wie gesagt, ohne ausdrückliche Erwähnung des göttlichen Reichs. Und auch die Darstellung vom Kampf um die Macht in Dan 8; 10-11 - auf irdischer und himmlischer Ebene zwischen einzelnen Völkern und ihren Engelfürsten zeugt von einem gewandelten Vorstellungskonzept, das an Dan ( l - ) 7 anknüpft, aber eigene Wege geht. Das Verhältnis von Weltreich und Gott steht im Unterschied zu Dan ( l - ) 7 hier schon immer im Zeichen des Endgeschehens und zielt nach der gegenseitigen wie göttlich verursachten Vernichtung der Weltmächte auf die ganz „unpolitisch" gedachte, nur mehr angedeutete Verklärung der „Weisen" in Israel, die im Auferstehungsgericht bestehen (Dan 12, bes. V. l^l). 37 Nach allem läßt sich die weitverbreitete Auffassung, daß das „Reich Gottes" ein, wenn nicht schlechterdings das zentrale, überall gleich akzentuierte Thema des gesamten Danielbuchs sei, kaum aufrechterhalten. Sowohl die ungleiche Verteilung der Belege als auch die unterschiedliche Ausdrucks- und Vorstellungsweise dort, wo das „Reich Gottes" vorkommt, zwingen zur - literarischen - Differenzierung. 2. Ein ganz ähnliches Bild ergibt sich im Blick auf das „Gesetz". Im zweiten, hebräischen Buchteil ist das Vorkommen von twrh und Parallelbegriffen (mSpt, mswh) auf das Gebet in Dan 9 beschränkt (V. 10.11.13, die Äquivalente V. 4f) und bezeichnet hier ausschließlich das göttliche Gesetz (sf. V. 4f. 10.11), das auch „Gesetz Moses, des Knechts Gottes" heißt (V. 11.13) und entweder - so hinsichtlich der Übertretung und mit dem pl. (!) - durch „deine/seine Knechte, die Propheten" vermittelt ist (V. 5ff.l0, im sg. zusammengefaßt in V. IIa) oder - so hinsichtlich Segen und Fluch - eben im Gesetz des Knechts Mose geschrieben steht (V. 1 lb,13f). Zum Bestand des Gesetzes gehören demnach offenbar schon die Kanonteile „Tora" und „Nebiim". Anders im aramäischen Teil. Nur einmal, in 6,6, ist ausdrücklich von Gottes 37 Zum unterschiedlichen Konzept der Engelwelt (bes. 7,27 gegenüber 8,24f; 12,7) vgl. KRATZ 1991b, 28ff. Zur Endzeitperspektive vgl. 9,24ff und bes. 8,17.19 als Überschrift über das gesamte geschichtliche Geschehen V. 20ff sowie 10,13f.20f; auch Persien und Kyros (10,1) sind demnach zu Feinden des Gottesvolkes, seinerseits vertreten durch den Engelfursten Michael, geworden. Demgegenüber leitet in Dan 1-6 (hier 2,40—44) und selbst noch in Dan 7* (mit der Unterscheidung V. 7.19) erst das vierte Reich/Tier das „Ende der Tage" (2,28) ein und zieht so gewissermaßen die drei früheren Reiche mit in das Gericht hinein (auch hier unterschieden V. llf.26); so sehr auch in Dan 7.8ff, vor allem 7,(4.)8.20f; 8,9ff.25, besonders wohl an Dan 4f erinnert werden soll, so wird doch in Dan 1-6 selbst mitnichten ein endzeitlicher Kampf gegen die Könige Babylons, Mediens und Persiens ausgetragen.
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„Gesetz" die Rede (es. dt 'Ihh), aber auch 7,25 (zmnyn wdt) bezieht sich eindeutig und vor allem nach den einschlägigen, buchinternen Bezugsstellen für „Zeiten" (2,21) und „Gesetz" (Dan 6) auf Gottes Ordnung in Kosmos und Kult. In der Mehrzahl der Fälle aber bezeichnet das persische Lehnwort dt/dt' das großkönigliche Gesetz, das die königliche Verfügung (2,13.15, von der Sache her davon abgeleitet auch das Todesurteil selbst in 2,9), die Behandlung einer Verordnung als Reichsrecht (6,9.13) sowie einen allgemeinen Rechtsgrundsatz (6,16) umfaßt. Parallel dazu steht im aramäischen Buchteil noch die auch in Esr 4-7 mit dt und dem königlichen Gesetzgebungsverfahren verbundene Wendung sym t'm, die außer dem einfachen Befehl (4,3; vgl. 5,2) in 3,10.29 sowie 6,27 auch den förmlichen Gesetzeserlaß an alle Völker des (wohlgemerkt heidnischen) Reiches bezeichnet (anders, aber davon wohl abgeleitet von der Loyalität: 3,12; 6,14; vgl. auch 6,3 und 2,14) und so besonders in Dan 6 in den Konkurrenzkampf von göttlichem und großköniglichem „Gesetz" (6,6 bzw. 6,9.13.16) gehört.38 Die Differenzen im Sprachgebrauch und Bedeutungsgehalt entsprechen ziemlich genau dem für das Reich Gottes erhobenen Befund, womit sich auch gewisse konzeptionelle Zusammenhänge ergeben. So findet das zuweilen zwar gestörte, aber stets wieder ins rechte Lot gebrachte, grundsätzlich harmonische Wechselverhältnis von Gottesreich und Weltreich in Dan 2-6 sein genaues Gegenstück in dem Verhältnis von göttlichem und großköniglichem Gesetz in Dan 6. Nach anfänglicher Opposition (6,6 bzw. 6,9.13.16) stellt der Erlaß des Königs am Ende der Erzählung (in 6,26-28) die Verehrung des jüdischen Gottes, d.h. sein „Gesetz" von 6,6 und die Gebetspraxis von 6,11, nachträglich unter den Schutz des Reichsrechts und setzt damit im Namen des Großkönigs vor allen Völkern seines Reichs das Gesetz Gottes in Kraft. Um welches Gesetz es sich handelt oder ob überhaupt ein bestimmtes Gesetz oder Gesetzeskorpus im Blick ist,39 ist nicht zu ersehen und spielt offenbar auch keine Rolle. Entscheidend ist die Verrechtlichung der ganzen Geschichte40 und die damit einhergehende Fixierung der jüdischen Religion, wofür dt hier 38 Ausführliche Stellennachweise einschließlich Est, wo dt und mlkwt (in profanem Gebrauch) mit am meisten vorkommen und ebenfalls in enger sachlicher Verbindung stehen, in KRATZ 1991b, 226f; vgl. für Dan 1-6 im übrigen die komplementären Loyalitätserklärungen für Gott und König in 6,22f nach 6,2-5.11 sowie 3,12.28f. 39 Zur Frage KRATZ 1991b, 256ff. 40 Sie zeigt sich im Vergleich mit der überlieferungsgeschichtlichen Vorstufe von Dan 6, der Drachenerzählung in Bei et Draco V. 23^*2. Vgl. KRATZ 1991b, 11 l f f und zur entsprechenden politisch-rechtlichen Interpretation auch ANDERSON 1974, 64ff; GOLDINGAY 1987, 100-103; DERS. 1989, 119ff, bes. 135f; FE WELL 1988, 141ff; WALTON 1988, sowie FREI 1996. Aus der Verrechtlichung erklärt sich übrigens zwanglos der ominöse „Dareios, der Meder" in 6,1 (davon abhängig 9,1; 11,1): In ihm verbindet sich der persische Gesetzgeber mit dem die Anlage von Dan 1-6 bestimmenden Drei-Reiche-Schema. Vgl. dazu die Hinweise in KRATZ 1991b, 119f Anm. 166 und darüber hinaus GRABBE 1980; FREI 1996.
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steht, auf den Gesetzesbegriff. Denselben Vorgang spiegelt schon das zweifache sym t'm in Dan 3 (V. 10.29) wider. Dementsprechend wird in Dan 2 der generelle Tötungsbefehl (2,9.13.15) implizit durch den Ausgang der Geschichte in 2,46ff (mit Bekenntnis zu Daniel und seinem Gott V. 46.47) aufgehoben, und auch Sturz und Wiederaufstieg des Königs in Dan 4 werden in eine ediktartig stilisierte Epistel an alle Bewohner des Reichs gefaßt (3,31 ff). Doch nicht nur in der Art des Verhältnisses von Gott und Großkönig, sondern auch in der Sache sind Reich Gottes und Gesetz eng aufeinander bezogen, ist es doch in Dan 4 und 6 gerade das großkönigliche Edikt, das neben der mehr oder weniger ausdrücklichen Autorisation des Gottesgesetzes zugleich das Reich Gottes zum Inhalt hat und in gesetzlich verbriefter Form proklamiert. Diese für das Gesetzesverständnis in Dan 2-6 so wesentliche Verbindung von göttlichem und königlichem Gesetz und von beidem zum göttlich-königlichen „Reich" fehlt in Dan 7 und 9.41 Am leichtesten läßt sich der Befund in Dan 9 erklären: Das Fehlen des großköniglichen Gesetzes korrespondiert mit dem Fehlen des „Reiches Gottes" im hebräischen Buchteil überhaupt. Auch hier stehen sich zwar mlkwt für das Weltreich und twrh (samt Äquivalenten) für den Jhwh-Willen nicht beziehungslos gegenüber; doch das eine - die Herrschaft der Weltreiche - ist (im Gesetz selbst angekündigte) Strafe für die Übertretung des anderen, des Gesetzes Gottes (vgl. 9,7f.l 1 f. 16ff und den Kontext in Dan 8 und lOf, bes. 8,19.23).42 Ein Ausgleich, wie er in Dan 2-6 immer wieder gesucht und gefunden wird, erscheint danach kaum mehr als möglich oder auch nur erstrebenswert. Etwas komplizierter liegen die Dinge in 7,25. Doch wie näheres Zusehen zeigt, ist dieselbe Anschauung wie im hier vorausgesetzten43 - Gebet Dan 9 leitend, die in Dan 7 gegenüber Dan 2-6 ihre nähere Begründung erfährt. In der Kombination des Gesetzesbegriffs (dt) aus Dan 6 mit 2,21 fzmny', par. 'dn wie 7,25by für die von Gott gesetzte Zeit) löst 7,25 das „Gesetz" und mit ihm den in Dan 6 erreichten Status der jüdischen Religion aus der Verklammerung mit dem heidnischen Reichsgesetz und bezieht es stattdessen auf die kosmische Ordnung der „Zeiten". Ihr soll auch die jüdische Religion, gemeint ist in erster Linie der Tempelkult,44
41
Vgl. KRATZ 1991b, 258ff. Die Thematik spiegelt sich auch in der Chronologie; vgl. schon oben Anm. 36, bes. KRATZ 1991b, 39.73.265ff. 43 Zur Frage der Ursprünglichkeit vgl. die Hinweise in KRATZ 1991b, 41 Anm. 117; WILSON 1990. 44 Vgl. KRATZ 1991b, 245. Gesetz und Kult (Heiligtum) gehören durchweg eng zusammen, außer in 7,25 noch in Dan 1 (Tempelgeräte, rein - unrein) und Dan 6 (V. 6.11 in Richtung Jerusalem!) sowie in Dan 8-12 (8,1 lf. 13 wie 7,25; 9,2.16-19.20f.24ff mit Gesetz und Bund im Gebet; „heiliger Bund" in 1 l,28ff, vgl. bes. V. 31). Die Feststellung von LOHFINK 1987, 77: „Die Tempelgemeinde kommt im Buche nicht vor" stimmt so ganz sicher nicht; allerdings besteht in der Tat ein Unterschied zwischen dem kultisch geprägten Lebensgesetz 42
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folgen, weil der jüdische Gott, der Jhwh von Dan 9, sie allein, ohne jede fremdstaatliche Repräsentanz und Autorisation, lenkt. Der Unterschied zum Gesetzeskonzept in Dan (1)2-6 könnte nicht präziser ausgedrückt werden als durch das Snh ha. des letzten Weltherrschers, der sein „Reich" eben nicht dem „Reich" Gottes unterstellt und Gottes Gesetz nicht autorisiert, sondern sich an Gottes - in 2,21 mit Snh ha. parallel zur Ein- und Absetzung von Königen (!) definierte - Stelle setzt, zudem gegen den - gemäß 6,26-28 für das Gottesgesetz 6,6 geltenden - Grundsatz von 6,9.16 (!' IhSnyh) verstößt. Die unbeugsame Eigengesetzlichkeit irdischer Macht führt so zum Auseinanderbrechen der Einheit von göttlichem und staatlichem Gesetz und wird dann ihrerseits in Dan 9 von der Tora selbst her als Strafe für die eigene Übertretung des Gesetzes interpretiert. 7,25 zeigt also gewissermaßen die Außenseite (Gesetz und Weltmacht), Dan 9 die Innenseite (Gesetz und Israel) dieses Bruchs. Der Unterschied zu Dan 2 - 6 liegt dabei nicht so sehr in der Frage der Materialisierung des Gesetzes,45 als vielmehr im Gesetzesbegriff selbst, über den sich die jüdische Identität in beiden Fällen definiert. Schließlich noch ein Wort zu Dan 1 und der Enthaltsamkeit Daniels von den königlichen Speisen (V. 8ff). Entscheidend für die Schichtenzugehörigkeit ist m.E. dies, daß die Reinlichkeit Daniels (g'l hitp.)46 nicht nur diesem selbst dient, sondern zugleich die Bedingungen aufs beste erfüllt, die der König für die Ausbildung der Judäer gestellt hat (V. 4f mit der Erfolgsmeldung V.15.17 bzw. 19f). Gerade die verpflichtende, gesetzliche jüdische Lebensart steht damit im Dienst des heidnischen Königs. Der Sache wie auch der Chronologie (l,lf.21; 6,29) nach gehört Dan 1 also eindeutig zu den Erzählungen Dan 2-6, der Sprache nach jedoch zu Dan 8-12. Der Befund regt zum Sprachvergleich an, der schon längst zu dem Ergebnis geführt hat, daß Dan 1 wie 2,l-4a ursprünglich aramäisch verfaßt und erst später, wohl im Zuge der Anfügung von Dan 8-12, ins Hebräische übersetzt wurde.47 3. Reich Gottes und Gesetz - zwei zentrale Themen des Danielbuchs? Ja und nein. Übereinstimmend mit den Indizien der klassischen „Aufstockungshypothese", den sprachlichen, stilistischen und chronologischen Differenzen, stellt für die 70 Jahre der Gola (in Dan 1-6) und dem ausgeprägten Interesse am Kultgeschehen in Jerusalem und dem Landesinneren selbst in 7,25 und Dan 8-12. 45 Auch die Einzelvorschriften 9,4f. 10 (pl.) sind im sg. der Tora von V. 11.13 zusammengefaßt. 46 Zur Diskussion vgl. KOCH 1986, bes. 58ff; KRATZ 1991b, 35ff, bes. 37 Anm. 105; 145f.l48ff; neuerdings TOWNER 1988; BRUEGGEMANN 1989, 129f. Die von Daniel verlangte Nahrung erinnert an das priesterschriftliche Ideal vor der Sintflut (Gen 9,1 ff) in Gen 1,29 (zr')\ 47 Vgl. PREISWERK 1902/03; dazu KOCH 1986, 16-18. Die Unstimmigkeit der Daten in 1,1.5.18 mit 2,1 erklärt sich aus der sekundären Zufugung von 2,laa (mit V. 28*.20-44*) im Zuge der Anfügung von Dan 7* (KRATZ 1991b, 57).
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sich der Zusammenhang der beiden Leitthemen jeweils verschieden dar: in den Erzählungen Dan 1-6 (ohne 2,40-44) als ein harmonisches Miteinander von Gottesreich und Weltreich sowie großköniglichem und göttlichem Gesetz; in Dan 7 (und 2,28.44) als eschatologische Überwindung von Weltreich und Königsgesetz durch das Gottesreich; in Dan 8-12, bes. Dan 9, als Opposition von göttlichem Gesetz und Weltreich. Verteilung, Sprachgebrauch und Aussagekontur der beiden Schlüsselbegriffe bestätigen somit das literarkritische Modell von Meinhold und Hölscher.48 Nun basiert dieses Ergebnis im wesentlichen auf den Unterschieden zwischen den Buchteilen. Es gibt aber auch Gemeinsamkeiten, sachliche und literarische Querbeziehungen, an denen sich das literarische Schichtenmodell im besonderen zu bewähren hat. Mit Recht wird in der heutigen Forschung, und zwar nicht nur des Danielbuchs, sondern ebenso in der Pentateuch- und Prophetendiskussion, solchen Bezügen wieder vermehrte Aufmerksamkeit geschenkt, da sie oft größere Kompositionsbögen in den einzelnen Büchern (und z.T. auch darüber hinaus) anzeigen und so einer nur an der Einzelperikope orientierten, mehr oder weniger mechanistischen Literarkritik (und/oder Formgeschichte) die nötigen, vom Text selbst geforderten Grenzen setzen.49 Nur enthebt dies natürlich nicht der Notwendigkeit zur Differenzierung. Den Ausschlag gibt in aller Regel die Tendenz, die darüber entscheidet, ob Querbeziehungen auf einer oder verschiedenen Ebenen liegen und wer von wem abhängig ist. So lassen die Querbezüge auch in unserem Fall darauf schließen, daß sowohl die (ihrerseits sukzessive) Anfügung von Dan 8-12 (samt Zusätzen in 2 und 7) an Dan 1-7 als auch die Anfügung von Dan 7* (samt Zusätzen in 2) an Dan 1-6 nicht kontextunabhängig erfolgt ist. Mögen auch ältere Überlieferungen oder Wissensstoffe im Hintergrund stehen, die vorliegenden Texte sind von vornherein für den Kontext und auf ihn hin verfaßt,50 bieten also im wesentlichen Fortschreibungen des jeweils überkommenen Texts, aus dem sprachlich und sachlich geschöpft, ausgelegt und im literarischen Zusammenhang von altem und neuem Text eine neue Konzeption entwickelt wird. Aus redaktionsgeschichtlicher Perspektive sind daher die einzelnen, literarkritisch differenzierten Teile nicht für sich, sondern immer auch im jeweils erreichten literarischen Gesamtzusammenhang zu lesen.
48
Vgl. die Hinweise oben Anm. 32. Da einerseits die rein formgeschichtliche Aufteilung in Erzählungen und Visionen bei weitem nicht ausreicht, andererseits Dan 7 mit seinem ausgeprägten, an Dan 1-6 orientierten Interesse am Reichsbegriff keinesfalls ganz zu Dan 8-12 gehören kann, bestätigt sich so auch die Ausscheidung entsprechender, von Dan 8 - 1 2 inspirierter („makkabäischer") Zusätze in 2,41 —43 und Dan 7, darunter 7,25. Vgl. dazu KRATZ 1991b, 21ff.32ff. 49 Vgl. KRATZ 1991b, 81 (für Dan 1-6); 32 Anm. 88 (für Dan 7); 41 Anm. 117 (für Dan 8-12). 50 So schon HÖLSCHER 1919, 119 (für Dan 7*) und 127 (für Dan 8-12).
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In Dan 8-12, wo für das Reich Gottes direkte Anknüpfungspunkte fehlen, stiften diesen Zusammenhang besonders die Datierungen und Erzählnotizen (in 8,1 f. 15-18.27; 9,lf; 10,1 ff nach Dan 1; 11,1), die die hebräischen Visionen mit der Weltreiche-Geschichte von Dan 1-6 synchronisieren (7 u. 8 = 1 5; 9 = 6; 10[—12 noch ohne 11,1?] = l,21/6,29).51 Ansatzpunkt ist das vierte Reich in 2,40ff und Dan 7 (V. 7f.l9ff), wo eigens Zusätze angebracht werden und von wo an speziell der Übergang des medisch-persischen zum griechischen Reich sowie dessen Geschichte bis zum „Ende" im Konzept der Völkerengel neu geschrieben wird. Im Blick auf Dan 1-6 besteht der hermeneutische Grundgedanke darin, daß schon die geschichtliche Situation der Weltreiche, auf die in den Überschriften angespielt wird, über sich hinausweist, allerdings nicht selbst das Heil bringt (so Dan 1-6*) noch aus sich heraus zum Heil führt (so Dan 1-7* für sich), sondern - bezeichnenderweise immer am Ende eines Weltreichs aus Sorge vor dem erwarteten Wechsel (8,1 mit 7,1 entsprechend Dan 5; 9,1 kurz vor 1,21/6,29) oder nach enttäuschter Erwartung (10,1 nach 1,21/6,29) - zu der Frage nach dem „Wie" und „Wann" des von Anfang an fälligen Endes drängt. Dan 8-12 liefert sozusagen - in Ausführung von Dan 7 - das zweite, himmlische Stockwerk für die geschichtliche Situation von Dan 1-6 nach, auf dem entschieden wird, was auf der Erde fraglich bleibt und noch aussteht. Daß die Geschichte der Weltreiche und selbst die Aussicht auf deren Überwindung durch das Gottesreich in Dan 7 keine Antwort auf die Frage nach dem „Ende" sind, daß beides diese Frage vielmehr selbst erst provoziert, dies begründen die Visionen in Dan 8-12 eben mit der Schuld Israels, wofür die Herrschaft der Völker, d.h. die Situation von Dan 1-6, die in dieser Optik von vornherein vom gotteslästerlichen Übergriff der Herrscher gekennzeichnet ist und im Angriff auf alles Heilige unter Antiochus IV. gipfelt (7,8.20f.25; 8,9ff.23ff; 9,27; 11,21 ff), die Strafe ist.52 Im eschatologischen Reich von 2,44 (vgl. b'ps yd in 8,25 nach 2,34.45) und 7,9ff.22.26f sehen Dan 8-12 gegenüber den Herrscheräußerungen in 3,31 ff; 4,31 ff und 6,26ff so nicht unbedingt mehr dieses „Reich" als solches, sondern in erster Linie die Rettung der Frommen („Weisen") vor dem Tod (nach Dan 3 und 6; vgl. 11,35 und 12,1 ff); und gegenüber der Gesetzgebung des Königs in Dan 1-6, die gemäß 7,25 (sowie 2,20ff und dem Konflikt in Dan 6) nur als Anmaßung wahrgenommen werden kann, macht im Schuldbekenntnis von Dan 9 Israel selbst das eigene, gegen Israel sprechende Gesetz geltend.
51
Auf dieser Ebene des vorliegenden Endtexts von Dan 1-12 haben manche der Argumente ihr Recht, die die Befürworter der Einheit des Buches geltend machen. Vgl. die Hinweise in KRATZ 1991b, 14 Anm. 10; ferner GOODING 1981 sowie ZDRAVKO 1989. 52 Vgl. 8,19.23 (Zorn und Frevel); 9,2.24.25b sowie 9,7.11-14.16.18; 11,36 (Zorn) und dazu KRATZ 1991b, 39.265ff und die dort genannte Lit.
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Sehr viel enger als Dan 8 - 1 2 ist die Vision Dan 7 durch literarische Querbezüge mit Dan 1-6 verbunden, weshalb ja auch viele einzig das aramäische Danielbuch Dan 2 - 7 für ursprünglich und eine selbständige Erzählungssammlung Dan 1-6 für unwahrscheinlich halten.53 Doch wie die Einzelbeobachtungen zu Reich Gottes und Gesetz gezeigt haben und wie auch die genaue Analyse aller übrigen Berührungspunkte ergibt,54 sind diese Bezüge obschon natürlich allesamt gewollt - sekundärer Natur, und zwar mit Dan 1 6 als gebendem, Dan 7 als nehmendem Teil: Die herrscherliche Hybris, die in Dan 1-6 fallweise und individuell überwunden wird - mit Hilfe und zugunsten der Judäer wie zugunsten der heidnischen Könige - , führt nach Dan 7 Daniel selbst in die Hilflosigkeit der Vision und (so auch mit 2,40-44) die heidnischen Reiche allesamt ins eschatologische Gericht.55 Im Lesezusam53 Vgl. die Hinweise oben Anm. 28. Zur Struktur vgl. außer dem immer wieder bemühten LENGLET 1977 auch SHEA 1985. 54 Vgl. ausführlich dazu KRATZ 1991b, 43ff.51ff, zur eschatologischen Perspektive in 2,28.40^14 gleich im folgenden. ALBERTZ 1988, 171ff.l85ff zieht gerade aufgrund der Querbezüge den umgekehrten Schluß. Er geht dabei von der richtigen, im Vergleich mit LXX in Dan 4—6 gewonnenen Voraussetzung aus, daß die politische, vom Reichs- und Gesetzesgedanken (Dan 6) getragene Akzentuierung der Erzählungen redaktionell ist; vgl. zur Frage KRATZ 1991b, 84ff, bes. 91 ff, sowie 99-134. Nur folgt daraus keineswegs ein ursprünglicher Zusammenhang von Dan 2 - 7 in M und also auch nicht der eschatologische Sinn der redaktionellen Akzente in Dan 1-6! In ihnen jedenfalls dürfte die positive Tendenz der älteren (!) Überlieferung eigentlich nicht mehr nachwirken (zu ALBERTZ 1988, 179), und so muß sich denn auch Albertz (174 u.ö.) mit der üblichen Verlegenheitsauskunft einer „partiellen Duchsetzungskraft" und Vorläufigkeit des Gottesreichs in Dan (1)2-6 behelfen. Vgl. HAAG 1983, 49ff.73ff.l03ff.l26ff; DERS. 1987; ferner etwa CAMPONOVO 1984, 117-126, bes. 120f.121f.125f; LOHFINK 1987, 77ff; auch KOCH 1986, 24 („apokalyptischer Beigeschmack") und entsprechend 41.61ff. Gegen diese verharmlosende, durch scheinbare Aktualität (vgl. ALBERTZ 1988, 7) nur umso fragwürdigere Einebnung der Unterschiede spricht gerade die „sprachliche und sachliche Evidenz" (ALBERTZ 1988, 174f) sowohl der hymnischen Stücke (2,20-23.47; 3,28f; 3,31-33/4,31-34 entsprechend 4,14.22f.29; und 6,26-28) als auch weiterer, damit übereinstimmender Aussagen (vgl. 2,37f.39; 4,17-19.23f.27.33f; 5,18ff); vgl. im übrigen Ps 145 und ChrG. Demgegenüber stellt Dan 7 eine eschatologische Neufassung dar (Aufnahme aller Gottesreich-Stellen aus Dan 2 - 6 in 7,14.27, vgl. KRATZ 1991b, 46f Anm. 138 nach Camponovo; es fehlen hsn' wtqp' aus 2,37; 4,27, tqp wohl wegen 2,40.42; 7,7, hsn ha. aber in 7,18.22). 55 Daß die positive Sicht der Weltreiche in Dan 1 - 6 von vornherein auf die Differenzierung zwischen den ersten drei Tieren/Reichen und dem vierten in 7,7.19 (entsprechend V. 1 l f ) zielt, ist ganz unwahrscheinlich. In 2,40ff fehlt eine solche Bemerkung, obschon auch hier der Bruch deutlich spürbar ist, und für Dan 7* sind die Weltreiche allemal Bestien: 7,2ff.l7f; vgl. den pl. der Gesamtheit in 2,44! Und so, wie das differenzierte, geschichtliche Nacheinander der Reiche aus 2,37ff (sowie Dan 1 - 6 im ganzen) und danach auch 7,2ff erst im Gericht 2,44; 7,9ff.26f zur Gleichzeitigkeit verschmilzt und zur globalen Vernichtung/ Entmachtung aller Weltreiche fuhrt (vgl. bes. 2,44; 7,17 und dazu KRATZ 1991b, 26 Anm. 57 sowie 54 Anm. 159), so geht auch das „menschliche" Antlitz der Macht in den Weltreichen (7,4 nach Dan 4 und 5,21; positiv auch 7,6b nach 2,39b) aufgrund der Perversion dieser
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menhang des Buches erscheinen die Erzählungen so als Einlösung dessen, was Daniel schon seit Anbeginn weiß. Dan 2 gibt die Perspektive für Dan 3-6 vor, Dan 7* blickt zurück (7,4-6 entsprechend 1,1.21/6,29) und bereitet zugleich vor, was gemäß Dan 2 (V. 40fi) noch aussteht (7,7ff.l9ff). Mit Daniels Vision und ihrer (jetzt eschatologisch gedachten) Teilerfüllung im Sinn (vgl. 7,28) kann der Leser zuversichtlich in die bedrohliche Gegenwart der Fremdherrschaft im vierten Reich und die darüber hinausgehende Zukunft blicken. Aber es sind nicht nur die Querbezüge, sondern es ist vor allem die Erzählungssammlung selbst, die erkennen läßt, daß der eschatologischen Fortschreibung in Dan 7 nicht frei herumlaufende oder auch lose verbundene Einzelerzählungen vorlagen, sondern daß ihr eine geschlossene, wohldisponierte Komposition mit eigenem Aussageprofil vorausging (und zwar in M, nicht nur in der Sonderüberlieferung LXX 4-6). Von dieser Komposition Dan 1-6 muß nun noch etwas die Rede sein, legt sie doch hinsichtlich der Themen Reich Gottes und Gesetz den literarischen und sachlichen Grund für alles Folgende. Nach meiner Auffassung sind es genau diese beiden Themen und nicht so sehr die oft behauptete didaktisch-paränetische Abzweckung, die Gehalt und Anlage der einzelnen Erzählungen für sich wie im Zusammenhang von Dan 1-6 prägen. Drei redaktionelle Gestaltungsprinzipien seien besonders hervorgehoben.56 Zwei gibt bereits Dan 1 vor, die eigentliche Einleitung der ganzen Sammlung, die in Dan 6 ihren Höhepunkt und Abschluß erreicht: zum einen die Chronologie von Nebukadnezar bis zum ersten Jahr des Kyros; zum anderen die Themenschwerpunkte. Die Chronologie in Dan 1 weist evidente Bezüge zu 2 Chr Macht (der „Menschlichkeit" in 7,8) im vierten Reich, die im Unterschied zur befristeten Strafe in Dan 4 nun alle Reiche (auch das „menschliche" von Dan 4 in 7,4!) zu Tieren degradiert, im eschatologischen Gericht allein auf den „Menschensohn" über (vgl. KRATZ 1991b, 46 mit Anm. 132 sowie schon KVANVIG 1978; DERS. 1988, 487.498ff). Somit dürfte auch die Symbolik in Dan 7 vor allem von Dan 1-6 inspiriert sein, obschon etwas anderes gemeint ist: Dan 4 glaubt an die „Vermenschlichung" des Weltherrschers, Dan 7 hat sie aufgegeben. Vgl. zu den beiden Aspekten auch ALBERTZ 1988, 175f.l90 (alle Weltreiche!) sowie 52f.59f.73f.173.194 („menschliche" Macht), doch passen die Unterschiede nicht in sein Konzept. Aber auch die Parallele zu den vier Reichen (hier freilich Könige derselben Nation!) mit folgendem Gottesreich in der iranischen Tradition (vgl. Denkart IX,8; Bahman Yascht I und II und dazu KRATZ 1991b, 58ff.64ff) besagt nicht allzuviel; dieselbe Tradition hat einmal bei drei positiv bewerteten Reichen (Assyrien - Medien - Persien, ohne Metalle) angefangen, von denen das letzte der Reihe, das achaimenidische, als göttlich legitimiertes Reich galt, vielleicht sogar als Verwirklichung des zarathustrischen Gottesreichs, wofür der „Stein" stehen könnte. Vgl. KOCH 1996, 156ff; zum „Stein" in Dan 2 DERS. 1991c; AHN 1992; zum iranischen Hintergrund der Reichsidee in Daniel (und ChrG) außerdem KOCH 1986, 36ff; KRATZ 1991b, 197ff. 56 Zum Folgenden vgl. KRATZ 1991b, 148-160; für die wesentlichen redaktionellen Verbindungen auch 84ff (Chronologie, Freunde und Umbenennung, judäische Abstammung, Laufbahn und Konkurrenz, hymnische Stücke).
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36/Esr 1 (vgl. auch Esr 5,11 ff) auf und steckt damit - auch ohne Dan 9! - den Rahmen der jeremianischen 70 Jahre Exilszeit ab. Diese 70 Jahre werden ihrerseits in der Abfolge der Erzählungen nach dem Schema der Drei-ReicheLehre ausgefüllt (Babylon in 1-5, Medien in 6, Persien in 1,21; 6,29); das Schema erscheint als solches am Anfang (2,31-39.45) und am Ende (5,2527) der babylonischen Zeit. Einzig in 2,40-44 findet sich die schon mehrfach angesprochene Ausnahme des vierten Reichs mit eschatologischem Ausblick auf das Gottesreich, der sprachlich und sachlich auf der Linie von Dan 7 liegt.57 Nimmt man die Verse (zusammen mit V. 1* und V. 28*) heraus, wozu (überlieferungsgeschichtliche und literarische) Spannungen innerhalb von Dan 2 berechtigen, ja nötigen, ergibt sich ein stimmiger Zusammenhang von Traum und Deutung in zwei Szenen: die „Statue" für das babylonische Reich mit den Metallen für die Dynastie und Nebukadnezar an der goldenen Spitze (V. 31-33.37-38); der gottgesandte „Stein" für das Reich der Meder und Perser (V. 34-35.39, bes. V. 39b/35) - ein Zusammenhang also, der mit der Deutung der Rätselschrift in Dan 5 übereinstimmt und exakt die chronologische Ordnung der Erzählungssammlung im Drei-Reiche-Schema (entsprechend l,lf.21; 5,30/6,1.29) abbildet. In thematischer Hinsicht gibt Dan 1 mit Daniel und seinen Freunden in der Gola, dem heidnischen König und der jüdischen Bekenntnistreue und Intelligenz im Dienst des heidnischen Hofs den Kontext vor, in dem sich alle folgenden Erzählungen bewegen, und zwar in sinnvoller Reihenfolge: Dan 2 auf der grundsätzlichen Ebene des Verhältnisses von Welt- und Gottesreich, entsprechend der chronologischen Anlage nach Weltreichen; Dan 3 auf der Ebene des individuellen Geschicks der Judäer in der Gola; Dan 4-5 auf der Ebene des individuellen Geschicks der heidnischen Könige - alles innerhalb der babylonischen Exilszeit (mit Rahmen Dan 2 und 5); schließlich auf der staatsrechtlichen Ebene in medisch-persischer Zeit Dan 6, wo die Konfrontation des Judäers mit dem heidnischen Hof in der Übereinkunft von Gottesreich und Weltreich und von Gottesgesetz und Königsgesetz gipfelt. Außer dem chronologischen und dem thematischen sind als drittes herausragendes redaktionelles Prinzip die hymnischen Stücke zu nennen, die den gedanklichen Zusammenhang der Erzählungen eigens artikulieren. Sie bilden jeweils den Höhepunkt und Schluß einer Erzählung, sind aber auch unter sich verbunden und bilden so eine fortlaufende, auf Steigerung hin angelegte Linie. Nach dem anfänglichen, programmatischen Dankhymnus Daniels in Dan 2,20-23 (zielend auf 2,31 ff) spiegeln sie die sukzessiv gewonnene Erkenntnis des Königs wider, und zwar jedesmal mit Reflex auf die jeweils vorausgehende Handlung: Zuerst das Bekenntnis zur Überlegenheit (zum „Können") des
57 Vgl. jüngst wieder ALBERTZ 1988, 176ff. Zur Frage und den in der Forschung gegebenen Antworten KRATZ 1991b, 48ff, bes. 50f, der eigene Vorschlag im einzelnen 55ff.62ff.
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jüdischen Gottes in Sachen Weisheit (2,47) und Rettung (3,28f mit vorläufigem Abschluß in 3,30); sachgerecht folgt ab Dan 4 (mit Gegenstück in 5) im Blick auf das Königsschicksal das erste Bekenntnis zum Gottesreich (3,3133/4,31-34, vgl. 5,18ff), das in Dan 6,26-28 mit Abschluß in 6,29 ins Edikt des Königs eingeht. So verbinden sich die Bestätigung des jüdischen Bekenntnisses im Königserlaß (sym t'm, Syzb Dan 3) und das Bekenntnis zum Gottesreich im Weltreich (ediktartige Epistel, mlkwt) im Gesetz des Königs, das auch das Gesetz Gottes (6,6.11) in Kraft setzt, zu einer Einheit. Diese kommt speziell der Gola (mit Tempelgeräten!) schon während der 70 Jahre Exil zugute. Soviel zu den redaktionsgeschichtlichen Folgerungen, die sich aus den Beobachtungen zu Reich Gottes und Gesetz im Danielbuch ergeben. Die beiden Begriffe fuhren also auf eine bestimmte literarische Schichtung und zeigen zudem den redaktionellen Sinn sowie die Anlage der Komposition in den einzelnen Schichten an. Kehren wir nun zurück zu der weiteren theologiegeschichtlichen Fragestellung, von der wir ausgingen.
III 1. Daß das Danielbuch als Ganzes weder nur in den breiten Strom der Wellhausenschen „Theokratie" noch allein in den Bereich der Plögerschen „Eschatologie" hineingehört, dürfte nach allem hinreichend deutlich geworden sein. Die Analyse des Danielbuchs verbietet derart globale Zuweisungen und leitet vielmehr dazu an, das Bild der nachexilischen Theologiegeschichte zu differenzieren. Dabei kommt es schon auf die gewählte Terminologie an. Insbesondere bedarf der dem Josephus entlehnte, in der Forschung unterschiedlich gebrauchte Begriff der „Theokratie" der Präzisierung. Wenn wir im folgenden dennoch an ihm festhalten, so ganz einfach darum, weil er zunächst nichts anderes als das hier untersuchte Wortfeld der Gottesherrschaft bezeichnet. Alle übrigen, von Wellhausen und Plöger damit verbundenen Implikationen sind daran zu messen. Danach aber bestätigt die Analyse des Danielbuchs fürs erste die von Plöger angeregte und insbesondere von Steck weiterentwickelte Unterscheidung,58 die sich freilich im Danielbuch selbst und hier in unterschiedlicher Spielart und mit anders gelagerten thematischen Akzenten findet. So entspricht die theologische Konzeption der Erzählungssammlung Dan 1-6*, die als einzige beide Themen, Reich Gottes und Gesetz, vereint, ziemlich genau dem theokratischen Konzept, nach dem im chronistischen Geschichtswerk die nachexilische Geschichte Judas neu geschrieben ist und die vorexili58
S. die Hinweise oben Anm. 21.33 sowie STECK 1968; DERS. 1978b, 31 lff.
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sehe Königszeit rekapituliert wird. Dan 1-6* füllt gewissermaßen für die babylonische Gola die exilische Lücke der 70 Jahre von 2 Chr 36,21 konzeptionsgemäß aus. Die Übereinstimmung zeigt sich sowohl an der speziellen Vorstellung des Königtums, wonach Davididen und nichtisraelitische, hier persische Könige (vgl. Nebukadnezar in Jer 27-29, Kyros in Jes 40-55) als deren legitime Rechtsnachfolger im „Reich Gottes" (mlkwt yhwh) regieren und dieses eine, von Jhwh vergebene judäische „Reich" (mlkwt) verwalten; 59 und sie zeigt sich an der nicht minder speziellen Vorstellung vom Gesetz (twrh, dt), das zugleich Gesetz Gottes und des judäischen oder persischen Königs sein soll.60 Beides geht sowohl in ChrG wie auch in Dan 1-6* auf die persische Reichsidee seit Dareios I. zurück, wonach die von Ahuramazda geschaffene Welt und die vielen unterworfenen Völker im einen Reich des einen, von Gott eingesetzten Großkönigs sowie nach seinem Gesetz, das die Gesetze der Völker zu persischem Reichsrecht erklärt, ihre Einheit und ihren Bestand haben.61 Auf der anderen Seite findet - im Danielbuch anschließend, sonst eher parallel zur „Theokratie" - nach Plögers Unterscheidung in der Tat eine Kehre ins Eschatologische statt. Hier allerdings gilt es noch einmal zu differenzieren, und zwar zunächst wieder im Danielbuch selbst zwischen der Eschatologisierung des theokratischen Konzepts von Dan 1-6* im vormakkabäischen Bestand von Dan 7* (und 2,28.40-44*) und dem - weniger am „Reich" als vielmehr an Israel und seinem Gesetz (Bund) orientierten eschatologischen Konzept von Dan 8-12 (samt Zusätzen in Dan 2 und 7), das wenigstens gemäß dem Gebet in Dan 9 eindeutig deuteronomistisch geprägt ist.62 Demgegenüber trägt die von Plöger63 ins Spiel gebrachte Eschatologie später Prophetenfortschreibungen wiederum ein ganz anderes Gepräge, das zwar Berührungen mit dem Danielbuch aufweist, damit aber nicht identisch ist.64 Achtet man auf die unterschiedliche Prägung, so zeigt sich auch im Da-
59
Vgl. KRATZ 1991b, 161 ff. 179ff und im folgenden. Vgl. KRATZ 1991b, 225ff und im folgenden. 61 Vgl. KRATZ 1991b, 197ff, bes. 205f; 225f.246ff sowie die Hinweise oben Anm. 55 (KOCH, AHN). Für entsprechende Redaktionsschichten im Jeremiabuch: KRATZ 1991b, 190ff; in Dtjes: KRATZ 1991a, 175ff. 62 Vgl. STECK 1967, 113ffu.ö.; DERS. 1980, 284ff. 63 1959, 69ff; vgl. zur weiterführenden Differenzierung die Hinweise oben Anm. 21 und 58 und zu den entsprechenden Texten (bes. Sach 9 - 1 4 im Verhältnis zu späten Jesaja-Schichten, darunter auch Jes 24-27!) STECK 1991a. 64 Die Königsprädikation (mlk) für Jhwh bei den Propheten (vgl. dazu CAMPONOVO 1984, 102ff) entspricht in etwa Dan 2,40-44* und 7*, begegnet aber selten und nie in dem für Dan 1-6.7 konstitutiven Zusammenhang mit den Weltreichen (so am ehesten noch Mal 1,11-14). Als ältester Beleg (aus vorexilischer Zeit) gilt allgemein Jes 6,5; ansonsten handelt es sich immer um eschatologische Reaktivierungen der Jerusalemer Tradition aus später und allerspätester Zeit: Vgl. Ez 20,33 sowie das Vorkommen in der Dtjes-Grundschrift Jes 41,21; 60
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nielbuch, w a s v o m chronistischen Werk her ohnehin naheliegt, daß nämlich das entscheidende Gegenüber zur „Theokratie" nicht eigentlich die Eschatologie als solche, sondern - o b e s c h a t o l o g i s c h oder nicht - die deuteronomistische Geschichtskonzeption ist. Natürlich läßt sich auch diese Polarität nicht einfach generalisieren. A u f g r u n d des B e f u n d s i m D a n i e l b u c h erscheint es mir j e d o c h der Prüfung wert, o b und i n w i e w e i t sie den G a n g der nachexilischen T h e o l o g i e g e s c h i c h t e auch sonst bestimmt hat, neben oder vielleicht sogar in anderen B e r e i c h e n w i e d e m der eben genannten Prophetenschriften, aber auch denen v o n P s a l m e n und Weisheit 6 5 bis über das A l t e Testament hinaus. 2. D i e Frage ist zunächst an die traditionsgeschichtlichen Voraussetzungen des D a n i e l b u c h s zu richten, die sich a m N a c h - und N e b e n e i n a n d e r v o n deuteronomistischem und chronistischem Geschichtswerk dingfest m a c h e n lassen. W i e ein V e r g l e i c h der beiden Werke erkennen läßt, spielen auch in ihnen die Leitthemen R e i c h Gottes (Königtum) und G e s e t z eine nicht u n m a ß g e b l i c h e Rolle, die eine genauere Verhältnisbestimmung erlaubt.
43,15; 44,6; 52,7 für die Befreiung aus dem Exil, den neuen Exodus und die Inthronisation Jhwhs auf dem Zion nach dem Modell von Ex 15 (dazu KRATZ 1991a, 148ff.l71ff), danach auch Mi 2,13; 4,6f.(9?) (vgl. ferner Jes 40,10 sowie 63,19 mSl); für Jhwh in Zion-Jerusalem Jer 8,19a; Jes 33,22; 24,23(1); Ob (16-)21; Zeph 3,14f; Sach 14,9.16f(!); im Fremdvölkerorakel Jer 46,18 = 48,15 = 51,57; gegenüber Götzen, die schon in Dtjes Einzug gehalten haben, Jer (8,19) 10,7.10. Zum Gesetz (twrh) vgl. ZIMMERLI 1963; SMEND in SMEND/LUZ 1981, l l f f ; KOCH 1984, 45f sowie THAT II, 1035ff. Wo es vorkommt, meint es ursprünglich die „priesterliche(n) Weisung(en)" (vgl. Hos 4,6; 8,12 text.em.; Jer 2,8; 18,18; Ez 7,26; 22,26; 43,1 lf; 44,5.24; Zeph 3,4; Hg 2,11; Mal 2,6-9; davon abgeleitet auch Jes 1,10; in spez. prophetischer Bedeutung, aber wohl ebenfalls älter Jes 8,16(.20), darauf bezogen 5,24; 30,9?); ansonsten ist entweder an eine universale Weltordnung (par. mSpt Hab 1,4 sowie für alle Völker Jes 2,3 = Mi 4,2; Jes 42,4; 51,4; vgl. auch 24,5 nach Gen 9) oder wahrscheinlich schon an das geschriebene Gesetz gedacht (Jes (5,24; 30,9?) 42,21.24; Jer 6,19; 8,8; 9,12; 16,11; 26,4; 31,33; 32,23; 44,10.23; Hos 8,1(.12); Am 2,4; Sach 7,12, ganz sicher Mal 3,22). Letzteres erinnert somit an die dtr. geprägte „Eschatologie" von Dan 9 (im Kontext 8-12), wobei allerdings auffallt, daß in den Prophetenbüchern mit Ausnahme von Mal 3,22 (nach Jos 1) nie (wie in Dan 9,1.13; Neh 9,14 und mit dem dtr. Sprachgebrauch) von der „Tora des Mose", sondern immer (wie in Dan 9,10f sg./pl.; Neh 9,3.26.29.34 und mit dem ehr. Sprachgebrauch) von der „Tora Jhwhs" die Rede ist; s. im folgenden. Im ganzen aber spielt das Gesetz (außer in Jer) eine untergeordnete Rolle, es sei denn als autoritative Textgrundlage, auf die sich die produktive Prophetenauslegung im Prophetenbuch bezieht, ohne sie ausdrücklich zu nennen. 65 Zum Königtum in den Psalmen vgl. CAMPONOVO 1984, 91 ff; Jörg JEREMIAS 1987; SPIECKERMANN 1989, 165ff; ferner KRATZ 2004a; R. MÜLLER 2008; zum Gesetz in der späten Weisheit SMEND in SMEND / LUZ 1981, 34ff.37ff sowie unten Anm.73. In der Fragestellung berührt sich der folgende Durchgang durch das einschlägige Material mit der Studie von KELLERMANN 1971, der aufgrund der Orientierung an der Messiasvorstellung freilich anders auswählt und die Positionen insgesamt anders bestimmt.
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Als erstes springt die Differenz in der Beurteilung des Königtums ins Auge. Die wenigen Stellen in DtrG, die von Gottes Königsherrschaft reden (Ri 8,23; 1 Sam 8,7; 12,12),66 begründen die praktische oder grundsätzliche Verwerfung des israelitischen und irdischen Königtums (wie bei den Völkern!) überhaupt. Sie gehören vermutlich einer jüngeren, „nomistischen" Redaktionsstufe (DtrN) an und formulieren gleich für den Anfang, was sich in einer älteren, „historisch" orientierten Gestalt des Werkes (DtrH) allein aus dem Gang der Ereignisse ergab, nämlich daß die Einrichtung des Königtums Israel in die Katastrophe und mithin unter die („nachexilisch" anhaltende) Herrschaft der Völker gefuhrt hat. Ganz im Gegensatz dazu bewegt sich der Sprachgebrauch in ChrG in Aufnahme und Abänderung der Vorlage gerade darauf zu, das irdische, judäische bzw. persische, Königtum als Stellvertretung Gottes auf Erden zu etablieren. Terminologisch manifestiert sich dies, wie schon erwähnt, vor allem in der Verwendung des Begriffs mlkwt,67 der mit 1 Sam 20,31 und 1 Kön 2,12 zwei gewichtige Stellen aus der Aufstiegsund der Thronnachfolgegeschichte und damit die positive Sicht des davidischen Königtums von DtrH und seinen Quellen reaktiviert; sachlich am profiliertesten tritt die chronistische Sicht in der berühmten Umformulierung der Natanverheißung 1 Chr 17,11-15 gegen 2 Sam 7,12-17 in Erscheinung, die aus der davidischen Dynastie die Herrschaft der judäischen Könige im Reich Gottes und aus dem „Haus Davids" das „Haus Gottes", den Tempel, macht und mit beidem den Weg für die fremden Könige und Tempelerbauer in persischer Zeit vorzeichnet. Im Licht des zweiten Tempels unter persischer Herrschaft gewinnt für ChrG das judäische Königtum seine heilige Qualität zurück. Die vorexilische, deuteronomistische Unheilsgeschichte der israelitischen Könige wandelt sich zur chronistisch-theokratischen Heilsgeschichte des göttlich-judäischen „Reichs", die sich mit nur kurzer Unterbrechung für das Land (2 Chr 36,21) in „nachexilischer" Zeit fast nahtlos fortsetzt. Die Natanverheißung ist aber auch im Blick auf das Gesetz und das Verhältnis von Gesetz und Königtum aufschlußreich. Schon die Strafandrohung 66 Zur Diskussion der Stellen vgl. BOECKER 1969, 19ff.75f; CRÜSEMANN 1978, 42ff. 73ff; zur literarhistorischen Einordnung VEIJOLA 1977, 83ff.l00ff; danach auch SMEND 1978, 118f; DERS. 1983b, 191f.l97f; DIETRICH 1987, 101 Anm. 257; 133f; kritisch dazu neuerdings BECKER 1987, bes. 269; MOMMER 1991, 56.61f.67.127ff, die grundsätzliche Kritik 52ff.200ff; weiterführend MÜLLER 2004. 67 Vgl. mlkwt von Jhwh 1 Chr 17,14; 28,5 neben mmlkh (sg.) 1 Chr 29,11; 2 Chr 13,8;mSl 1 Chr 29,12; 2 Chr 20,6; ks'yhwh (außer ySb in 1 Chr 13,6; 2 Chr 6 und 18,18) ohne Parallele in DtrG noch 1 Chr 28,5; 29,23; 2 Chr 9,8. Auch mlkwt für das irdische Königtum begegnet im Rahmen eines überaus differenzierten Sprachgebrauchs mit anderen, teilweise übernommenen, teilweise ergänzten Ausdrücken; Einzelnachweise in KRATZ 1991b, 174 Anm. 7 4 76; 175f mit Anm. 81 und zum Ganzen 169ff.l83ff. Zur Diskussion vgl. WILDA 1959; IM 1985 sowie schon HOLZEL 1972, 188-191; CAMPONOVO 1984, 90f; ZENGER 1986, 185f; LOHFINK 1987, 75.
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in 2 S a m 7 , 1 4 , die 1 Chr 17 ausläßt und in 2 Chr 2 2 , 1 0 nicht nachgeholt wird (vgl. hier V . 12f), und erst recht die R e m i n i s z e n z e n in 1 K ö n 2,2ff; 2 K ö n 2 1 , 7 f b z w . 1 Chr 2 8 , 5 f f ; 2 Chr 9,8 (letzterem ähnlich und parallel zu 1 K ö n 2 , 1 2 auch 1 Chr 2 9 , 2 3 ) lassen die unterschiedlichen Maßstäbe in der B e urteilung des K ö n i g t u m s erkennen: hier allein das Gesetz, dort anstelle d e s s e n oder darüber hinaus die Herrschaft in Gottes Reich. 6 8 D i e der T e n d e n z nach g e g e n l ä u f i g e Überschneidung an einer derart prominenten, für beide fundamentalen Stelle ist kaum zufällig. Weitere Sachverhalte w e i s e n in dieselbe Richtung. Zunächst w i e d e r die Terminologie. D i e Z u s a m m e n f a s s u n g der göttlichen Gebote des D e u t e r o n o m i u m s b z w . d e s ganzen Pentateuchs unter d e m B e g r i f f der „Tora" in DtrG 69 stammt in der Hauptsache w o h l ebenfalls v o n der jüngeren Redaktion DtrN und zeichnet sich durch e i n e n w e i t g e h e n d einheitlichen Sprachgebrauch aus. 70 E s handelt sich durchweg und nach der Niederschrift Dtn 3 1 , 9 f f (V. 1 9 . 2 2 . 2 4 ) eindeutig u m das „Gesetz des M o s e " ,
68 Das Gesetz bleibt natürlich auch in ChrG verpflichtend und ist - außer bei der vorausgehenden, bedingungslosen göttlichen Setzung in 1 Chr 17 und im Reflex 2 Chr 9,8 - fast überall präsent, wo von der Gottesherrschaft die Rede ist: 1 Chr 28,7 (wie noch 2 Chr 6,16 in Abänderung von 1 Kön 8,25; 2 Chr 7,17f nach 1 Kön 9,4f); 1 Chr 28,9f und 29,18f mit V. l l f und vor V. 23 (entsprechend 1 Chr 22,12f); ferner 2 Chr 13,5.8 mit V. 10ff; 2 Chr 20,6 im Mund des Gesetzgebers Josaphat. 69 Im Dtn begegnet der Begriff - außer 17,11 und der sicher späten Stelle 1 7 , 1 8 f - ausschließlich in den dtr. Rahmenkapiteln: 1,5; 4,8.44; 27,3.8.26; 28,58.61; 29,20.28; 30,10; 31,9.11.12.24.26; 32,46; 33,4.10; vgl. dazu BRAULIK 1970, 36-38. In der Fortsetzung: Jos 1,7.8; 8,31.32.34; 22,5; 23,6; 24,26; (2 Sam 7,19 text.?); 1 Kön 2,3; 2 Kön 10,31; 14,6; 17,13.34.37; 21,8; 22,8.11; 23,24.25; vgl. dazu SMEND 1972, und zur literarhistorischen Einordnung zusammenfassend SPIECKERMANN 1982, 43f mit Anm. 25; 50ff, bes. 56 Anm. 57; 78 Anm. 100; 137f; 167f mit Anm. 19; ThWAT V, 937ff. 70 Auf Unterschiede macht PERLITT 1969, 270; DERS. 1990, 23f aufmerksam, doch lassen sich manche aus dem Zusammenhang erklären: So verkündet Mose das Gesetz zunächst mündlich (Dtn 1,5; 4,8.44, im Rückblick auch 32,46), befiehlt im Vorblick auf Jos 8,30ff (hier dann das „Buch"!) dessen Abschrift auf Steine im gelobten Land (Dtn 27,3.8.26) und schreibt es danach - zum Zwecke der sicheren Überlieferung und Überführung ins Land durch Josua - selbst auf in ein Buch (31,9ff); vgl. dasselbe für das Lied Dtn 32 in 31,30; 32,44 gegenüber 31,19.22, das nach 31,22.24ff, 32,45f (mit Josua in V. 44 wie 31,22.23ff entsprechend 31,l-8.9ff) Teil des Gesetzes ist. Nur Dtn 28,58.61; 29,19f.26 (anders V. 28) und 30,10 passen nicht ins Konzept und sind darum entweder älter als die Rahmenhandlung 1,5 (4,8.44)/27 und 31 (mit Mose-Redenotizen für 28-30 in 27,lff.llff; 28,69; 29,1 wie 31,1 ff) oder jünger als diese (so auch 17,18f). In Jos-2 Kön findet sich nach Dtn 31,9ff fast ausschließlich das „geschriebene" Gesetz und „Buch", das - nach der dtn Selbstbezeichnung (z.T. im Munde Moses selbst) mit dem Demonstrativum als „diese (dieses Buch der) Tora" natürlich erst von da an den Namen seines Verfassers trägt und auch in Jos 1,8 durch 1,7 und in 8,34 durch 8,31f.35 entsprechend identifiziert ist. Ausnahmen sind das „Buch der Tora" in 2 Kön 22,8.11 („Buch des Bundes" 23,2.21) und das „Gesetz(buch) Gottes/Jhwhs" in Jos 24,26; 2 Kön 10,31 und 17,13.34.37, das jedenfalls in 2 Kön sachlich durch „die Propheten" motiviert ist, s. dazu im folgenden.
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w o m i t die geschichtliche Verankerung und der damit g e g e b e n e , ausschließliche B e z u g z u m V o l k Israel betont ist. D i e s e T e r m i n o l o g i e wird v o m Chronisten (für den g a n z e n Pentateuch) übernommen, aber w i e d e r u m ergänzt. 71 B e v o r z u g t erscheint hier die B e z e i c h n u n g „ ( B u c h der) Tora Jhwhs/ Gottes", die die „priesterliche W e i s u n g " (aus eigener Tradition w i e aus den Prophetenbüchern) 7 2 mit der Schriftlichkeit der M o s e - T o r a zusammenbringt und so den Priester nach Art v o n Esr 7 und N e h 8 z u m Schriftgelehrten werden läßt, i m übrigen nicht geschichtlich festgelegt ist, w a s den Ausdruck auch für die späte W e i s h e i t anziehend g e m a c h t haben dürfte. 73 V o r allem aber hängt die unterschiedliche Terminologie mit d e m unterschiedlichen Gesetzesbegriff z u s a m m e n . Er definiert sich kaum über das M a -
71
Vgl. dazu KRATZ 1991b, 229f.233ff; ferner KELLERMANN 1988. Das „Gesetz Jhwhs/Gottes": 1 Chr 16,40; 22,12; 2 Chr 12,1; 17,9; 31,3f; 34,14; 35,26 in Abänderung von 2 Kön 22,28 wie noch (mit sf.) 2 Chr 6,16/1 Kön 8,25; Esr 7,10.12.14.21; Neh 8,8.18; 9,3 (mit sf. V. 26.29.34); 10,29f; ferner Esr 6,14; 7,23. 72 S.o. Anm. 64. Von hier aus erklärt sich auch die Ausnahme in 2 Kön 10,31 und 17,13.34.37 (s.o. Anm. 70), mit der Grundstelle 17,13, wo „die Propheten" regelrecht „zitiert" werden. Natürlich ist hier sowenig wie in ChrG tatsächlich an den priesterlichen Kultbescheid gedacht. Jeder rezipiert die Dinge in seinem Sinn: DtrG die Propheten als Gesetzesmahner, ChrG den Priester als Schriftgelehrten, der seine „Weisung" aus dem Studium von Tora und Propheten bezieht. Rätselhaft ist mir in DtrG bisher einzig Jos 24,26: In welches Buch schreibt Josua eigentlich, wenn doch das Gesetzbuch schon geschrieben ist (Dtn 31,9ff)? Melden sich hier die Überlieferer von DtrG zu Wort (vgl. ThWAT V, 942)? Die Stelle spielt in der neueren Pentateuch-/Hexateuch-Debatte eine große Rolle, wird dabei allerdings vielleicht etwas überschätzt. 73
Vgl. Ps 1,2; 19,8; 37,31; 119,1; mit sf. gehäuft in Ps 119, ferner 40,9; 78,10; 89,31; 94,12; 105,45. Im Sirachbuch steht dafür das „Gesetz des Höchsten", hebr.: 41,4.8; 42,2; 49,4; mit sf. 33(36),3, in der gr. Übersetzung (Göttinger Ausgabe): 9,15; 19,17; 23,23; 24,23; 38,34; 41,8; 42,2; 44,20; 49,4; das „Gesetz des Herrn" 39,8 und 46,14; mit Pronomen 45,17 (sonst immer absolut: Prolog 1.8.24; 15,1 (+hebr.); 19,20.24; 21,11; 36(33),2f; 31(34),8; 32(35),1; 35,15.24 (hebr. 32,15.17f.24); vgl. auch ¿VTOXI\lmswh in 1,26; 6,37; 10,19; 15,15; 23,27; 28,6.7; 29,1.9.11; 35,23f (32,270; 32(35),2.7; 37,12; 39,31; 40,30; 45,5.17). Besonders interessant ist 24,23 (das „Buch des Bundes des höchsten Gottes, das Gesetz, das uns Mose auferlegt hat"), wo die dtn.-dtr. Terminologie (vgl. 2 Kön 23,2.21; Ex 24,7) und Vorstellung (Gesetz durch Mose) in das eigene (theokratische) Konzept integriert wird (vgl. auch 45,5 sowie 17,1 lf im Kontext): Dieses Gesetz der Weisheit stammt eben nicht erst von Mose, sondern ist präexistent und von Anfang an - im Horizont der ganzen Schöpfung einschließlich der Völkerwelt - speziell in Israel (Jerusalem und Tempel) beheimatet, wie Sir 24 lehrt. Zur Verbindung vgl. übrigens schon die sonderbare Formulierung in Esr 7,25 (khkmt... wie V. 14 vom Gesetz). Anders als SMEND in SMEND/LUZ 1981, 37 sehe ich diese Entwicklung also gerade nicht in „Verlängerung der deuteronomisch-deuteronomistischen Linie", auch wenn es zweifellos zur gegenseitigen Beeinflussung gekommen ist, in umgekehrter Richtung und sicher noch vor Sir etwa in Dtn 4,6 im Blick auf V. 7f, oder vielleicht auch in Dtn 17,18f und Jos 1,8 (Mal 3,22ff)/Ps 1; auch das Tobitbuch (s.u. Anm. 121) und Baruch wären in dieser Frage näher zu betrachten. Zur Entwicklung selbst vgl. HENGEL 1973, 252ff.284ff; MARBÖCK 1971, 81 ff; DERS. 1976.
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terial, auf das er sich bezieht, und schon gar nicht über die Alternative von Einzelgesetz und Einheitsbegriff,74 sondern offenbar über die Funktion. In DtrG dient das Mosegesetz im wesentlichen als Maßstab für das persönliche Verhalten der einzelnen Führer (Mose, Josua) und Könige, vermittelnd oder stellvertretend für das ganze Volk. Eine eigentlich politische Rolle spielt es nicht, auch und gerade nicht nach Dtn 17,14-20.75 Die einzige Stelle, an der die Tora einmal fast zum Staatsgesetz wird, nämlich unter Josia in 2 Kön 22f mit den auffälligen Bezeichnungen in 22,8.11 und 23,2.21, wird in 2 Kön 23,24f entsprechend Dtn 17,18f korrigiert. Der förmliche Staatsakt (vgl. qwm hi. vom „Bundesbuch" in 23,2f; ähnlich Ex 24,7f) paßt in das Konzept von DtrH und seinen Vorlagen, so daß hier der Ausgangspunkt für die „nomistische" Redaktion liegen könnte,76 die den älteren Bericht in 23,21-23.24 (bes. V. 21b.24b aus 23,3; 22,8) ihren spezifischen Bedürfnissen angepaßt hat und so als fallweise Anwendung der Tora (wie auch 2 Kön 14,6) erscheinen läßt, in 23,25 sodann gänzlich in ihrem Sinne auf den persönlichen Gesetzesgehorsam hin uminterpretiert hat. Das ältere Konzept kommt hingegen wieder in ChrG zu neuen Ehren. Der Chronist denkt auch das Gesetz und die von DtrG übernommene persönliche Observanz im staatspolitischen Horizont von Reich Gottes und Weltreich und läßt darum schon den König Josaphat das „Gesetz Jhwhs/Gottes" so handhaben, wie es nachher in Esr 7 die juristische Gleichsetzung von Gottes- und Königsgesetz unter den Persern verlangt.77 Sowohl die terminologische Weite als auch die politische Akzentuierung des Gesetzesbegriffs lebt demzufolge von dem chronistisch-theokratischen Konzept der judäischen „Reichs"-Geschichte, die von der Perserzeit her entworfen ist und in diese einmünden soll. Allein in diesem Konzept wird die jüdische, mosaische Tora erst eigentlich zum „Gesetz", zur dat, zum nomos im Sinne des Worts.78 Ist es hier also der universale Reichsgedanke, der den Gesetzesbegriff für Israel in der Völkerwelt und damit auch den persönlichen Gesetzesgehorsam neu prägt und festigt, so ist es im anderen Fall das Gesetz 74 Gegen RÖSSLER 1960, 38ff und passim. Zur Kritik vgl. schon NIESSEN 1967, 250ff. 260ff sowie LIMBECK 1971 für die spätere Zeit. 75 Um altes Königsrecht handelt es sich - wenigstens in V. 18f — kaum; vgl. dafür allenfalls die - ältere, freilich ihrerseits redaktionelle - Notiz 1 Sam 10,25, mit kritischer Ergänzung 1 Sam 10,19 entsprechend 1 Sam 8,5/Dtn 17,14. 76 So mit SPIECKERMANN 1982, 51f.73ff, auf einen Blick 423.425 für die älteren Stellen; ob auch in 23,(21-23.)24.25 noch einmal geschichtet werden muß, sei hier dahingestellt. Anders WÜRTHWEIN 1984, z.St. sowie LEVIN 1984, 369ff, die, wie ich heute meine (KRATZ 2002a, 173), wohl im Recht sind. 77 Vgl. dazu KRATZ 1991b, 230 Anm. 341; 233ff, bes. 237f. 78 Damit ist der entscheidende Schritt zur „Gesetzesreligion" getan, der sich in exzeptioneller Weise und - ob historisch oder nicht - jedenfalls auf der konzeptionellen Ebene (von ChrG) mit Reich und Herrschaftspraxis der Perser als Erfahrungshintergrund verbindet. Vgl. dazu E. MEYER 1896; KRATZ 1991b, 230-233 (sowie 228 Anm. 331).
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allein, das eine unmittelbare, vornehmlich religiöse und ausschließlich vom Volks- und Erwählungsgedanken geprägte Gottesbeziehung stiftet.79 Dasselbe Verhältnis zeigt sich schließlich an der Verteilung der Belege in den beiden Werken. In der Verteilung zeichnen sich gewisse kompositionelle Strukturen ab, die in DtrG durch den Torabegriff markiert sind und in ChrG offensichtlich vorausgesetzt und durch den Reichsbegriff neu akzentuiert oder von anderen Strukturen durchkreuzt werden. In DtrG sind auf diese Weise zunächst Dtn und Jos, die mündliche Promulgation, dann schriftliche Niederlegung des Gesetzes durch Mose und seine Überfuhrung ins Land durch Josua, aufs engste verzahnt.80 Darauf folgt eine längere Beleglücke in Ri und 1-2 Sam, d.h. für die Zeit der Entstehung des Königtums, die - auf derselben literarischen Ebene (DtrN) - mit den Aussagen zur Gottesherrschaft und für David mit 2 Sam 7 abgedeckt ist. Sodann sind durch den Begriff der - meistens mißachteten - Tora mit 1 Kön 2,381 die Zeit Salomos (1 Kön 2-11), mit 2 Kön 10,31 und 2 Kön 17,13(.34.37)82 die Generationen im Zeichen der „Sünde Jerobeams" seit der Reichsspaltung bis und mit Jehu und dem Untergang des Nordreichs (1 Kön 12-2 Kön 10, 2 Kön 17) und schließlich mit 2 Kön 21,8 und trotz 2 Kön 22f (bes. 23,24f)83 die verbleibende Zeit des Südreichs im Zeichen der „Sünde Manasses" als Epochen markiert. Wie wichtig demgegenüber in ChrG die Verteilung des Begriffs mlkwt ist, geht schon daraus hervor, daß sich bei den damit ausgezeichneten Königen auch das Son-
79 In dieser Hinsicht ist auch von Bedeutung, daß DtrG in Dtn mit Mose am Sinai, ChrG hingegen (im Sinne von P) mit Adam beginnt, Israel hier also im Rahmen der ganzen Welt, ihrer Länder und Völker (vgl. Gen 10), gesehen ist. Dazu vgl. OEMING 1990 und WILLI 1991; zur entsprechenden Sicht eines Ergänzers in Dtjes KRATZ 1991a, 175ff, im einzelnen 112f sowie 131 ff. 141 ff. Auch dieser gut „theokratische" Gedanke ist nur auf dem Hintergrund der achaimenidischen Reichsidee verständlich; vgl. KRATZ 1991b, 204ff. So gesehen, bekommen vielleicht auch die von SMEND 1972 erhobenen, dazu gänzlich konträren Aussagekonturen von DtrN deutlicheres Profil, vorausgesetzt, die Redaktionsschicht stammt aus persischer Zeit. 80 Vgl. oben Anm. 70 und die Inklusionen: Jos l,7f/Dtn 31,9ff (geschriebenes Gesetz); Jos 8,31ff/Dtn 27,1 ff; Jos 22,5 und 23,6 (mit Inklusion zu l,7f)/Dtn 1,4 (4,8.44); 32,46 (mündliche Gesetzesvermahnung vor ganz Israel); ferner Jos 24,26/Dtn 31,9ff. 81 Als erste Stelle nach Dtn/Jos in Aufnahme des Rahmens Jos 1,71723,6 und in Erinnerung an 2 Sam 7. Die damit angedeutete Kritik an Salomo entspricht Dtn 17,16f. 82 Dazwischen 2 Kön 14,6 für die judäische Ausnahme, die die Regel bestätigt. Zur Verbindung der beiden Stellen im Ausdruck s.o. Anm. 70; die „Sünde Jerobeams" im Rückblick auf 1 Kön 12 als Einschnitt 2 Kön 10,29.31; 17,21 ff. 83 Zu beachten ist die Ausnahmeformulierung 2 Kön 23,22, ferner die Fortsetzung von 23,25 mit dem Verweis auf Manasse V. 26f für Juda wie 24,3, mit den Propheten als Knechten V. 2 entsprechend 2 Kön 17.
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dergut findet.84 Die markanten Stellen lenken den Blick auf bevorzugte Könige und entsprechende Epochen der judäischen Reichsgeschichte, die den deuteronomistischen Helden und Epochen der Tora geradewegs entgegengesetzt sind: Statt David, Hiskia und Josia in DtrG sind dies in ChrG zunächst David (1 Chr 11-29) und - mit der Einsetzung ins göttliche „Reich" nach 1 Chr 17 (vgl. 17,11; 22,9f) - Salomo (1 Chr 28f; 2 Chr 1-9) für den Tempel; es folgen Rehabeam (2 Chr 11,17; 12,1) als Gegengewicht zur Reichsteilung (2 Chr 10, die Trennung 2 Chr 13, vgl. V. 5.8!) und Josaphat (2 Chr 20,30) als Gesetzgeber zu einer Zeit, die in DtrG noch von der „Sünde Jerobeams", d.h. von Gesetzlosigkeit bestimmt ist;85 darauf folgt - besonders überraschend - Manasse (2 Chr 33,13), dessen „Demütigung" nicht nur die lange Regierungszeit erklären soll, sondern - in einer Reihe mit Hiskia und Josia (Passa!; vgl. 2 Chr 30,1 ff gegen 2 Kön 23,22/2 Chr 35,18) - vor allem die „Sünde Manasses" als Grund für den Untergang des Südreichs aufhebt und die Schuld dafür allein der letzten Generation (2 Chr 36) zuschreibt; und schließlich kommen die Perserkönige Kyros und Dareios (ab 2 Chr 36,22ff/Esr lff), die dem Paar David und Salomo entsprechen, wie Josaphat das Gesetz staatlich autorisieren (Esr 7/Neh 8) und damit - wie 2 Chr 19,10, aber auch wie die „Demütigung" Rehabeams (2 Chr 12,6f.l2) und Manasses (2 Chr 33,12.19.23; vgl. 32,2426) - den „Zorn" Jhwhs abwenden (vgl. Esr 7,23; 6,12). In allem bestätigt sich der erste, aufgrund der Natanverheißung gewonnene Eindruck, daß in DtrG das (nicht gehaltene) mosaische Gesetz, in ChrG dagegen eher das (die Autorisation und Einhaltung des Gesetzes garantierende) göttlich-judäische „Reich" die Wahrnehmung der Geschichte Israels bestimmt. Der Vergleich der beiden Geschichtswerke des Alten Testaments fuhrt somit zu einem eindeutigen Ergebnis: Dieselben Alternativen im Verhältnis von Reich Gottes und Gesetz, die das Werden des Danielbuchs beeinflußt haben, prägen auch die Polarität von deuteronomistischem und chronistischem Geschichtsbild in den beiden Werken. Es drängt sich die Vermutung auf, daß es sich um einen fundamentalen Gegensatz handelt, der sich vom einen zum anderen durchgehalten hat, nur daß die Entwicklung jeweils in umgekehrter Richtung verlief, zunächst vom deuteronomistischen zum chronistischen Werk, dann innerhalb desselben Buches von der chronistisch geprägten Theokratie in Dan 1-6* über die Eschatologisierung des (theokratischen) Reichsgedankens in Dan 7* (und 2,28.40-44*) zur deuteronomistisch geprägten Eschatologie in Dan 8-12. Wie aber ist diese Entwicklung zu erklären? 84 Die Könige: David, Salomo, Asa, Josaphat, Ahas (im Rückblick unter Hiskia), Manasse und Josia. Vgl. dazu WELTEN 1973, 187f; zur Verteilung KRATZ 1991b, 173f (mit Anm. 76); 186f. 85 Vgl. im Blick darauf und auf die Zäsur in 2 Kön 10 (Jehu) die Fortsetzung unter Joram und Ahasja von Juda 2 Chr 21f gegenüber 2 Kön 8,16ff.25ff, bes. 2 Chr 21,1-3.12ff sowie 22,9.
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Zunächst wird man feststellen müssen, daß die von Wellhausen86 begründete, von Noth und anderen87 wenigstens für die nachexilische Zeit noch übernommene Sicht der Dinge sie nicht erklärt. Denn auch abgesehen von der Gefahr einer das Wesen des Judentums gründlich verzeichnenden, pejorativen Wertung des Gesetzes,88 wird das Hin und Her der theologiegeschichtlichen Bewegung in den Texten selbst nicht verständlich, wenn man von nur einer einzigen, kontinuierlichen (und abfallenden) Entwicklung in die immer enger werdende Gesetzlichkeit ausgeht. Verschiedene Ausprägungen des Gesetzesverständnisses werden damit ebenso nivelliert wie gegenseitige Beeinflussung bei gleichbleibenden Differenzen in der Grundposition. Daher ist nach anderen Modellen zu suchen. Von unserem Ergebnis her legt es sich nahe, statt des Nacheinanders an ein konkurrierendes Nebeneinander zu denken. Soll die Polarität von deuteronomistischem und chronistischem Geschichtsbild nicht nur - in der Reihenfolge der Entstehung der Werke - ein Nacheinander auf derselben Linie sein, sondern weiterreichende Bedeutung haben, so setzt dies voraus, daß beide Konzeptionen - von einem gewissen Zeitpunkt ab - schon während und nach ihrer Literaturwerdung nebeneinander tradiert, weitergedacht und fortgeschrieben wurden. Damit sind außerordentlich schwierige Fragen aufgeworfen, Fragen, die hier gerade noch gestellt, aber kaum mehr hinreichend beantwortet werden können. Die Literargeschichte der beiden Werke wäre ebenso eingehend zu behandeln wie die Datierung und historische Veranlassung der Konzeptionen und ihrer Veränderung, nicht zu reden von dem Problem der dabei supponierten, verschiedenen Trägerkreise. Es seien jedoch wenigstens einige begründete Überlegungen dazu vorgetragen. Für das deuteronomistische Geschichtsbild, seine sukzessive Ausbildung und Überlieferung hat vor Jahren O. H. Steck den Nachweis erbracht.89 Für den Anfang in DtrG selbst ließe dieser sich aufgrund der neueren literarkritischen Differenzierungen 90 vermutlich noch präzisieren, wobei insbesondere solche Schichten Aufmerksamkeit verdienen, die wie Jepsens „levitische Redaktion" oder Smends DtrN ins persische Zeitalter hineinreichen dürften und sich (gerade auch mit den Themen Gottesherrschaft und Tora) bereits der Chronik nähern bzw. von deren (theo86 S.o. I; zur Entwicklung Dtn, DtrG, P, ChrG vgl. WELLHAUSEN 1905b, 292f. Seinem Bild entspricht SMEND (sen.) 1882. 87 Vgl. NOTH 1940, hier bes. 81 ff. 112ff; ihm und WELLHAUSEN folgt wieder SMEND (jun.) in SMEND/LUZ 1981, 9 ^ 4 . 88 Vgl. KOCH 1984, 42f. Für ein (auch theologisch) differenziertes Verständnis der jüdischen Gesetzesauffassung vgl. LIMBECK 1971 sowie die einschlägigen Beiträge in KERTELGE (Hg.) 1986; BALDERMANN u.a. (Hg.) 1989 (überall weitere Lit.). 89 STECK 1967, zu dem für die Entwicklung besonders wichtigen Umkehrgedanken, 123f; SPIECKERMANN 1982, 44 Anm. 26. 90 S. die Hinweise oben Anm. 66.69; zusammenfassend SMEND 1978, 111-125; KAISER 1984, 166ff.l72ff und bes. WEIPPERT 1985. Zur Präzisierung vgl. KRATZ 2000a.
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kratischem) Geschichtsbild beeinflußt zeigen, ohne doch damit einfach identisch und also gänzlich undeuteronomistisch zu sein. Im Blick auf die weitere Tradierung wäre die Rezeption in den Prophetenbüchern (bes. Jeremia) wie auch in den Volksklageliedern des Psalters und den Jhwh-Königs-Psalmen (Ps 95 und 99) noch einmal des näheren zu untersuchen. Umgekehrt ist aber auch das chronistisch-theokratische Geschichtsbild nicht vom Himmel gefallen, sondern allmählich gewachsen. Dafür spricht zum einen die literarhistorische Entwicklung von ChrG selbst, die im - von DtrG abhängigen Grundbestand m.E. unter Artaxerxes III. (2. Hälfte 4. Jh. v.Chr.) abgeschlossen war, deren Anfang jedoch mit der „aramäischen Chronik" Esr 4-6, der Dokumentensammlung Esr 5-6 und dem Geschichtsabriß Esr 5,11 ff (als Vorbild für 2 Chr 36/Esr 1) im ausgehenden 6. und 5. Jh. v.Chr. liegt.91 Daneben kommen ebenso gewisse protochronistische Prophetenfortschreibungen in Haggai-Sacharja (Sach 1-8 und Mal) sowie im Jeremia- und Deuterojesaja-Buch in Betracht,92 die ihren Schwerpunkt ebenfalls in der Zeit Dareios' I. (zwischen Tempelbau und Mauer in Esr 4 bzw. unter Nehemia) haben und denen bald danach - wie in ChrG Esr 9 und Neh 9 - ihrerseits wieder deuteronomistisch beeinflußte, aber nicht unbedingt genuin deuteronomistische Schichten gefolgt sind.93 Dies alles sind Indizien einer Entwicklung, die sich spätestens seit dem ausgehenden 6. Jh. parallel und in wechselseitiger Abhängigkeit vollzogen hat und von dem Bemühen auf beiden Seiten zeugt, die Polarität zu überwinden und die jeweils andere Seite in die eigene, sich im Lauf der Zeit wandelnde Deutung der Geschichte zu integrieren. 3. Sind damit in etwa die Hintergründe und historischen Möglichkeiten umrissen, aus denen sich die Rezeption des deuteronomistischen Konzepts in der späten („makkabäischen") Schicht Dan 8-12 und vorher die Ausbildung des chronistisch-theokratischen Konzepts in der (perserzeitlichen oder frühhellenistischen) Schrift Dan 1-6* sowie dessen (vormakkabäische) Eschatologisierung in Dan 7* und 2,28.40-44* erklären, so zeigt schließlich auch der Blick über die Grenzen des alttestamentlichen Kanons hinaus, wie sehr diese Polarität noch immer auf die jüdische Theologiegeschichte einwirkt, auch wenn Annäherung und gegenseitige Beeinflussung - wohl unter dem wachsenden Druck der zeitgeschichtlichen Verhältnisse der hellenistischrömischen Zeit - mehr und mehr zunehmen. Auch dazu können im Rahmen dieser Studie keine vollständigen Analysen geboten, sondern nur einige Hin91
Vgl. KRATZ 1991b, 270ff. S. die Hinweise oben Anm. 61 und KRATZ 1991b, 271f. 93 Vgl. KRATZ 1991a, 208ff, bes. 212ff für Dtjes; in denselben Zusammenhang gehört vermutlich die Erweiterung von Hag/Sach 1-8 um die Grundschicht von Mal, dazu BOSSHARD/KRATZ 1990. Auch das Werden von Jeremia und Ezechiel wäre zu berücksichtigen; zu ersterem neuerdings SEITZ 1989; zu letzterem KRÜGER 1989 sowie POHLMANN 1992. 92
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weise gegeben werden, wofür wir uns weiterhin an das Vorkommen des Begriffs der Gottesherrschaft (Stamm mlk, ßaaiA) 94 halten. Auffallend und höchst bezeichnend ist zunächst die niedrige Belegdichte des Begriffs in den Schriften der hellenistisch-römischen Zeit überhaupt,95 was aber nicht heißt, daß er kein prominentes Thema gewesen wäre; es kommt sehr darauf an, wo er - mehr oder weniger gehäuft - begegnet. Insbesondere in der apokalyptischen Literatur ist er selten, womit sich aufs Ganze bestätigt, was wir oben bei der Verteilung der Belege im Danielbuch beobachtet haben. Wo wie in Dan 8-12 (mit Dan 9 für Dan 1-12 im ganzen) zudem das dtr. Geschichtsbild begegnet,96 stehen der Begriff und damit verbundene Vorstellungen (Tempel, Jerusalem und Völkerheil) immer in gewisser Spannung dazu. Noch vormakkabäisch, zur Zeit des frühen 2. Jh.s, ist das vor allem in Tob 1-12 (vgl. hier 1,18; 10,13 G II) wie auch in Tob 13f der Fall. Weder die weisheitlich-gesetzliche und dafür reichlich belohnte Lebensführung einzelner unter dem Schutz des Himmelskönigs noch die eschatologische Erwartung des neuen Jerusalem im Völkerhorizont, die sich auf positive (!) Gegenwartserfahrungen auch in der Diaspora gründet, will so recht zu dem in Tob 13f und 3,2-5 abgelegten Schuldbekenntnis Israels, dem Eingeständnis der Gesetzesübertretung, zur aktuellen Notlage und Gefangenschaft unter den Völkern oder zur Reserve gegenüber der Heimkehr der Gola und dem zweitem Tempel passen. Ähnlich verhält es sich mit TestDan 5,13 (das Gesetz 5,1-3) im Kontext 5,4ff. Etwas später, während und nach der Krise unter Antiochus IV., gilt dasselbe für den ersten, an sich für die Ewigkeit bestimmten Tempel äthHen 93,7f im Kontext der Unheilsgeschichte der Zehnwochenapokalypse (ohne zweiten Tempel!) gegenüber 91,13; ebenso für das hymnisch-weisheitliche Gebet äthHen 84 (V. 2.5)97 unmittelbar vor der Unheilsgeschichte (nach Reichen und 70 Jahren!) der Tierapokalypse Kap. 85ff (der negativ besetzte zweite Tempel hier 89,72f, das neue Jerusalem 90,28ff); ebenso für Jub l,27f an entscheidender Stelle nach 1,5-26 und vor der Engel94
Die Auswahl richtet sich im wesentlichen nach der Zusammenstellung des Materials bei CAMPONOVO 1984, auf einen Blick 450-452 (mit kleineren Versehen bei den Stellenangaben); ergänzend HENGEL/SCHWEMER (Hg.) 1991. Eine erste (grobe) Einordnung der Belege im theologiegeschichtlichen Zusammenhang in KRATZ 1991b, 243-246; vgl. zum Folgenden auch KELLERMANN 1971. Für die Einleitungsfragen der hier behandelten Schriften sei summarisch auf folgende Sammelwerke verwiesen: STONE (Hg.) 1984 sowie die engl. Neubearbeitung des alten „Schürer" (1909) von VERMES/MILLAR (Hg.) 1973-1987; vgl. auch MAIER 1990. 95 Vgl. CAMPONOVO 1984, 437. Ausnahmen sind - neben dem Danielbuch - insbesondere die Sabbatlieder aus Qumran und die jüdischen Gebete innerhalb und außerhalb der „Apokryphen und Pseudepigraphen". 96 Vgl. zu den Belegen im einzelnen STECK 1967, 147ff; 121 Anm. 3; 184f Anm. 2. 97 Mit deutlichen Anklängen an äthHen 9,4-11 (und 63,2^4), aber auch an Dan 2,21-23 und die Bekenntnisse 3,33; 4,31 f; 6,27b bzw. 7,14.27.
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belehrung, die die göttlichen Setzungen Gottes (Sabbatordnung) offenbart; ebenso für die Heilstat des Kyros in AssMos 4,5f (vgl. aber auch Esr 9,8f), der im Auftrag des göttlichen Königs handelt (4,2), im Kontext der ganzen Schrift wie noch Sib III,286ff im Zusammenhang 265-294; schließlich auch für den Gedanken der Gotteserkenntnis des heidnischen Königs und Stellvertreters in Gottes Reich PsSal 2,28ff (messianisch 17,l-3.4ff.34.46) oder ZusEst C 14.23 gegenüber den Sündenaussagen des Volkes im jeweiligen Kontext, die die Völkerherrschaft als Gericht qualifizieren. Die überall spürbare Spannung ist Zeichen dafür, daß sich eigene (theokratische) Traditionen gegenüber der rezipierten dtr. Rahmenperspektive behauptet haben bzw. umgekehrt in das die apokalyptische Literatur vielfach bestimmende dtr. Geschichtsbild integriert wurden.98 Die Vorstellung vom „Reich Gottes" steht somit weder für eine genuin deuteronomistische noch für eine genuin apokalyptisch-eschatologische Erwartung, was für die Frage der Renaissance des Begriffs im Neuen Testament nicht ohne Belang ist. Seinen ursprünglichen Ort hat der Begriff hingegen in solchen Schriften, in denen eine (chronistisch-)theokratische Rahmenkonzeption priesterlicher, kultisch-hymnischer oder weisheitlicher Provenienz (oft auch mit heilsprophetischen Anleihen) die führende geblieben ist. Diese Schriften bewegen sich nach wie vor auf einer Linie mit der Erzählungssammlung Dan 1-6* oder dem aramäischen Danielbuch Dan 1-7*. So hat die Konzeption von ChrG und Dan 1-6* zunächst im hellenisierten Reformjudentum Schule gemacht. Für die vormakkabäische Zeit belegt dies etwa die Pagenerzählung in (1 bzw.) 3 Esra, 3 Esr 3,1-5,6" (vgl. hier 4 , 4 3 ^ 6 sowie 4,58ff; das Gesetz 4,52), wo nun allerdings - durch das hellenistische Milieu motiviert - der „Wahrheit" die entscheidende Rolle zukommt (vgl. 3 Esr 4,33-41.59f nach Art von 1 Chr 29,1 Off; Dan 2,37f/5,18 sowie 3,32f; 4,3 lf; 6,27f) Die rhetorische Szene erinnert kaum zufällig an Arist 187ff, einen in hellenistischem Stil abgefaßten Traktat TTepi ßaaiXeiag. 100 In ihm wird auch die Rolle des Gesetzes im Königtum von Gottes Gnaden genauer bestimmt (vgl. 240.279 und zum Gottesgnadentum bes. 196.219.224.245.247.267), wozu vorher schon die 98 Zur Traditionsmischung und der wichtigen Unterscheidung von Vorstellungsbestand (aus priesterlicher, kultisch-hymnischer, weisheitlicher oder prophetischer Tradition) und dtr. Vorstellungszusammenhang im engeren Sinne vgl. STECK 1967, 107 Anm. 4 sowie 187ff, bes. 191 (Anm. 1-3); danach auch KRATZ 1991b, 245 Anm. 412. 99 Vgl. zur neueren Diskussion POHLMANN 1970, 35ff; DERS. 1980, 380ff. Terminus ad quem der jüdischen Bearbeitung ist Josephus, der die Pagenerzählung bereits voraussetzt, alles weitere reine Vermutung. Auch wenn ein semitisches Original zugrunde liegt, spricht manches für alexandrinische Herkunft aus der Ptolemäerzeit. Auch 3 Esra selbst, nach meiner Auffassung doch eher eine Epitome von ChrG als dessen ursprünglicher Schluß, gehört natürlich in denselben Traditionszusammenhang. 100 Vgl. dazu MEISNER 1977, 40f; KÜCHLER 1979, 152ff, zur Szene des sympotischen Wettkampfs 140-156.
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jüdische Tora, um die es in der Schrift geht, in Beziehung gesetzt ist (programmatisch für den Zusammenhang Arist 15f mit dem entsprechenden Erlaß 22ff sowie 128ff). Es dürfte sich um dieselbe Art von Reformjudentum handeln, das, wie E. Bickermann101 gezeigt hat, im 2. Jh. aktiv hinter der Religionspolitik Antiochus' IV. gestanden und dabei nur in letzter Konsequenz ausgeführt hat, was in der theokratischen Position von jeher angelegt war: die Symbiose von heidnischem Weltreich und Gottesreich (Kult für den b'l Smym, vgl. Dan 8,13; 9,27; 11,31; 12,11; 1 Makk 1,54) und die Aufhebung der Tora im großköniglichen Edikt nach Art von Esr 7 und Josephus Ant XII 138ff. Nur daß anstelle des national differenzierten Nebeneinanders verschiedener Landesgesetze im gemeinsamen Status des Reichsrechts nun die nivellierende Forderung zur völligen Assimilation stand: e'ivca TTavTas e i s Xaov eva (1 Makk 1,41 ff).102 Damit war der theokratische Ausgleichsgedanke praktisch ad absurdum geführt und lebte, geläutert durch die Krise, erst nach der Wiedereinweihung des Tempels im Jahr 164/3 v.Chr., vornehmlich in priesterlichen Kreisen, wieder auf. Beredtes Zeugnis davon geben ZusEst,103 2 Makk104 und das sogenannte dritte Makkabäerbuch.105 Überall scheinen die leidvollen Erfahrungen und entsprechenden Hoffnungen der asidäischen Sammelbewegung in der Makkabäerzeit hindurch. Sie spiegeln sich in den Gebeten ZusEst C 1-11.1230 (mit eschatologischem Ausblick in den beiden Rahmenstücken A 1-11 und F 1-10), aber auch in 2 Makk 6-7; 14,37-46, wonach das unschuldige Leiden des Frommen am selbstverschuldeten Unheil des Volkes partizipiert (ZusEst C 17ff;106 2 Makk l,7f; 5,17ff!; 6,12-16!; 7,18.30ff; 10,4; vgl. auch 1,27-29; 2,18); ebenso in den Gebeten 3 Makk 2,1-20 und 6,1-15. 107 Vor allem in diesem Zusammenhang begegnet auch die Königsprädikation für
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BICKERMANN 1937; danach auch HENGEL 1973, bes. Kap IV und hier 503ff. Vgl. dazu KRATZ 1991b, 259f. 103 Zur Datierung nach dem Kolophon F 11 vgl. BARDTKE 1973, 24ff.57ff; MOORE 1977, 165f.250ff; zu grEst im ganzen CLINES 1984. 104 Zur Orientierung vgl. BUNGE 1971; HABICHT 1979, 167ff; DORAN 1981. Zur Front gegen 1 Makk HENGEL 1973, 179f; HABICHT 1979, 188f; 191 mit Anm. 131; „asidäisch" ist es - trotz mancher Berührungspunkte - darum freilich keineswegs. Dagegen spricht das vollkommen ungestörte Verhältnis zum zweiten Tempel (vgl. demgegenüber Dan 9,25f; Tob 14,5; äthHen 89,73 und das Schweigen in der 10-Wochenapokalypse) und nicht zuletzt eben die differenzierte Haltung zur seleukidischen Fremdherrschaft (vgl. im folgenden). 105 Zur Orientierung vgl. die Hinweise bei CAMPONOVO 1984, 194f sowie NICKELSBURG 1984, 80ff.87. Für die weitere Entwicklung im alexandrinischen Judentum UMEMOTO 1991, hier bes. 249f. 106 Wie in C ist auch in A 8 und F 8f von Israel, Gottes Volk und Erbe, die Rede. 107 Bes. in 3 Makk wird deutlich, daß die auf den Einzelfall beschränkten Leidensvorstellungen andere sind als die des dtr. Geschichtsbildes, von dem sie sich teilweise beeinflußt zeigen. Zur Differenzierung vgl. STECK 1967, 252ff, bes. 260f. 102
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Gott: ZusEst C 2.8.14.23; 2 Makk 7,9 (ferner 1,7.24; 13,4; 15,3.23); 3 Makk 2,2.9.13; 6,2 (ferner 5,35; 6,39); dazu die Berufung auf das im Leiden bewährte Gesetz: ZusEst C 26-29 (parallel C 5-7); 2 Makk 6,1.28; 7,2.9.11.23.24.30.37; 3 Makk 1,12.23.108 In alldem macht sich ganz offenbar der Abstand der jüngeren zur älteren Ausprägung der Theokratie bemerkbar. Und dennoch wird wieder das Einvernehmen mit der (seleukidischen bzw. ptolemäischen) Fremdmacht angestrebt und ganz in den alten Bahnen auf der Ebene der Gesetzesloyalität auch gefunden. Zus Est B 1 - 7 (angeschlossen an Est 3,13) und E 1-24 (an Est 8,12) setzen damit die Tendenz des masoretischen Esterbuches 109 fort und machen den hier allenfalls implizierten Gottesbezug explizit, programmatisch für die Legitimation des Weltreichs in E 15f (vgl. B 2/E 8), für das Loyalitätsverhalten und die Autorisation des jüdischen Gesetzes zur Stabilisierung des Reichs in E 15.19 gegenüber B 4f bzw. für den Staatsverräter in E lOff (bes. 14) gegenüber B 3ff. Dasselbe Ziel verfolgen die Dekrete in 2 Makk 9,19ff; 1 l,16ff.22ff.27ff.34ff, U 0 die nicht einfach den erkämpften status quo des selbständigen Staates anerkennen (so 1 Makk 15,1 ff), sondern Schutzgarantien für die in den Seleukidenstaat eingegliederte Tempelgemeinde darstellen und in 11,24.31 eigens das jüdische Gesetz anerkennen (vgl. auch 3,1-3). Die kriegerischen Auseinandersetzungen halten nur solange an, bis die rechtlichen Vereinbarungen, die von Heiden (vgl. 12,2; 13,9ff) auf Betreiben von Menelaos und Alkimos (13,3; 14,3ff.26) m unterlaufen werden, in Geltung sind. Danach ist das Programm der Epitome (2,1922) erfüllt (15,37;" 2 nur vorläufig 1 Makk 7,50) und das Ordnungsgefüge der Theokratie wiederhergestellt (1,7' 13 für den akuten Vorgang; 1,24 im Kontext 1,19-36 für das historische Vorbild). 3 Makk schließlich ähnelt schon in der Anlage dem Esterbuch" 4 und kreist um dasselbe Thema. Das jüdische Gesetz 108 Vgl. im übrigen 2 Makk 1,4; 2,2.3.18.22(1); 3,1(!).15(!); 4,2(!).11(!).17; 5,8.10.15; 6,5; 8,21(!).36; 10,26; 11,24(!).31(!); 12,40; 13,10(!).14(!); 15,9; fernenTpooTay^a 1,4; 2,3 (sowie 10,8) und bes. 7,30 (das Gebot des Königs gegen das Gebot des Mosegesetzes!); 3 Makk 3,4; 7,10-12(!) und 1,3; 3,2 bzw. 5,36; 7,5; ferner 4,1 bzw. 7,(2.)11. 109 Vgl. KRATZ 1991b, 241-243. 110 Zur Frage der Echtheit, Reihenfolge und Zuordnung vgl. HABICHT 1979, 178ff sowie die Anm. z.St. Jedenfalls im jetzigen Kontext gelten alle Erlasse auch für Judas Makkabäus und seine Leute (258 Anm. 27a). 111 Mit dem aus ZusEst B 5 bekannten Vorwurf OVIK e ö v r e s R R | V ßaaiXeiap ewjTaSeias xuxelv in 14,6. 112 Die Herrschaft der Hebräer in der Stadt bedeutet hier (im Unterschied zu 1 Makk) nicht die staatliche, sondern die kultische Autonomie; vgl. das Kriegsziel nach 2,22 in 8,21; 13,10.14 und 15,17f gegen 1 Makk 13,6 (dazu auch HABICHT 1979, 186f mit Anm. 99); ferner 5,20; 9,16 für den politischen Rahmen. 113 Zum Verständnis vgl. HABICHT 1979, z.St.; CAMPONOVO 1984, 187f. Zur Einsicht der Könige ferner 3,1-3; 7,37; 9,1 lff; 13,3ff.23f und 15,2-5.23 gegenüber 11,24.31. 114 Ringförmig angelegt sind 3 Makk 2,1-20/6,1-15 (Gebet), 3,1 ff/6,41; 7, l f f (Briefe des Königs), 4,1 ff/6,30ff; 7,18 (Festgelage) entsprechend Est 3,9ff/8,3ff bzw. l,lff/5,4ff/8,17;
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Theokratie und
Eschatologie
steht nicht gegen den Willen und die Gesetze des Königs (1,12.23; 3,1-10), sondern ist in Wahrheit staatstragend, wie eingangs schon in l,8f entsprechend 3,3-5 angedeutet und am Ende mit der Aufhebung des Edikts 3,11-30 durch 6,41-7,9 sowie in 7,10-16 (gegen 1,3; 3,31) festgestellt wird. Was zur Ordnung fehlt, ist auch hier allein die Einsicht des heidnischen Herrschers in die Macht des jüdischen Gottes (2,21-24; 3,11; 5,27-35 mit Königsprädikation V. 35!; 6,20.22ff; bes. 7,9). Daß der theokratische Ausgleichsgedanke auch nach Antiochus IV. in dieser Weise wiederaufgenommen wird, ist keineswegs selbstverständlich. In krassem Widerspruch dazu hat sich daneben die nach völliger staatlicher Souveränität strebende Position der makkabäischen Kämpfer und späteren Hasmonäer herausgebildet, wie sie 1 Makk (und wohl auch Judit)" 5 vertritt; auch sie bewegt sich durchaus im Rahmen der Theokratie. Doch schon im Laufe des 3. Jh.s hat sich noch ein anderer Ableger der Theokratie entwickelt, der eher auf der Linie von Dan 7* und dem aramäischen Danielbuch liegt und zu großer Bedeutung gelangen sollte. Er zeichnet sich dadurch aus, daß der theokratische Reichsgedanke angesichts geschichtlicher Defizite - wie in Dan 7* und 2,28.40-44* - ganz in die Eschatologie hinein verlängert bzw. verlegt oder - gewissermaßen als Kehrseite dessen und mit Anhalt in Dan 1-6" 6 auf den individuellen Erfahrungsbereich der persönlichen Lebenspraxis reduziert wird. Beides ist uns in indirekter Bezeugung bereits an den apokalyptisch-deuteronomistischen Stellen sowie in ZusEst, 2 und 3 Makk begegnet, und zwar nicht von ungefähr in Gebeten. In der hymnischen Prädikation des Gebets bewahrt der theokratische Königstitel nämlich stets seine ihm eigene, präsentische Qualifikation, auch dann, wenn er im Kontext mehr oder minder konsequent auf eine umfassende, die Völkerwelt mit einschließende Heilswende eschatologischer Art zielt. Von daher empfiehlt es sich, die weitere Verzweigung der Konzeption anhand eben dieser Prädikation (in direkter Gottesanrede) zu entfalten. Nur vorübergehend weichen, wie vorhin ausgeführt, ZusEst (mit C 2.8.14. 23 sowie A und F), 2 Makk (mit 1,24 und 7,9) und 3 Makk (mit 2,2.9.13; 6,2) (ähnlich Jdt 9,12) von dem ursprünglichen Modell ab, für das in Dan 1-6*; ChrG; 3 Esr 4,58 (und 4,46 sowie 2 Makk 13,4; 15,3.23; 3 Makk 5,35) die hymnische Prädikation steht. Ebenfalls vorausgesetzt, aber eschatologisch überwunden wird dieses Modell hingegen in Tob 13f und PsSal 2 und 17. Die 9,17ff mit weiteren Parallelen in Est 8,3-9,19 und 3 Makk 7. Den Gang der Dinge beschließt hier in 3 Makk 6,36 (und 7,19) wie in Est 9,20ff und - auf Est ausdrücklich Bezug nehmend - 2 Makk 15,36 die Stiftung eines Fests. 115 Vgl. hier 9,12 und dazu CAMPONOVO 1984, 177f. Zur Schrift als ganzer HAAG 1963; ZENGER 1981. 116 Rezipiert im Blick auf die bekenntnishafte Lebensführung und Rettung der Judäer in Dan 3 und 6; vgl. 1 Makk 2,59f; 3 Makk 6,6f!
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V e r w u r z e l u n g in der theokratischen K o n z e p t i o n verrät hier außer der Prädikation (bes. T o b 1 3 , 1 - 8 s o w i e PsSal 2 , 3 0 . 3 2 ; 1 7 , 1 . 3 . 3 4 . 4 6 ) vor a l l e m der Zus a m m e n h a n g v o n göttlicher und irdischer Herrschaft, der hier w i e an anderen Stellen nachwirkt, w o das K ö n i g t u m Gottes nicht nur implizit durch den K o n text, sondern unmittelbar z u m Gegenstand der e s c h a t o l o g i s c h e n Erwartung g e w o r d e n ist." 7 B e s o n d e r s markant tritt der - nun freilich gestörte - Z u s a m m e n h a n g mit der W e l t r e i c h e f o l g e in Tob 1 4 , 4 f f 1 8 s o w i e Sib I I I , 9 7 f f 1 9 hervor, e b e n s o mit d e m Gedanken der Statthalterschaft in TestBenj 9,1 ;120 PsSal 2 , 2 8 f f und SapSal 6,3f. D o c h in d e m Maße, w i e sich die irdischen Herrscher der Gotteserkenntnis verschließen und die Weltreiche ihr grausames Eigenleben entfalten, entfernt sich auch das Gottesreich immer mehr v o n der irdischen Repräsentanz und wird zu einer Größe, die allein für die Endzeit jetzt schon bereitgehalten oder künftig zu errichten sein wird, während die Weltreiche und K ö n i g e erst i m Völkergericht unterworfen und zur Gotteserkennt-
117 Außer Tob 13f (hier V. 11) vgl. noch TestDan 5,13; TestBenj 9,lf; 10,2ff (V. 7) (christlich interpoliert TestJos 19,1 lf); äthHen 25,3-5; 41,1; 91,13 sowie das zukünftige Lob 23,7; 63,1-4; Jub 1,28 (in der Zeitperspektive von 1,29); AssMos 10,l(ff), in der Szene zukünftig auch 4,2; Sib III (499.560.616.715.767.808 und 46ff.56); stärker individualisiert SapSal (1,14) 3,8; 5,16 (vielleicht auch 6,20). Auf derselben Linie liegen die Targume, insbesondere die Redeweise vom sich offenbarenden Reich (mlkwt' + glh itp.) in TgJon: mit Anhalt am M Jes 24,23; 52,7; Ob 21; Mi 4,7f; Sach 14,9, ohne Anhalt Jes 31,4; 40,9; Ez 7,7.10 (nur das Abstraktum Jer 10,7; 49,38). Aber auch andernorts ist das Abstraktem durchaus signifikant: Ex 15,18 anstelle des vb.; ohne Anhalt Gen 49,2; Ex 15,3 und bes. im Tg zur Chronik mit dem Text 1 Chr 17,14; 28,5, darüber hinaus 1 Chr 29,11 (wie Ps 22,29); 2 Chr 7,18; 13,8 und 1 Chr 29,23; 2 Chr 9,8. Vgl. die Übersicht der Stellen bei CAMPONOVO 1984, 401—436; zur Interpretation KOCH 1979. Ebenfalls zu nennen sind die jüdischen Gebete (Benediktionen zum Schema, Schemone Esre XI und XII, Qaddisch, Abinu Malkenu, Alenu und Malkijot (richtiger Malkujot) in der Neujahrsliturgie, Vaterunser mit Mt 6,13), die den Lobpreis der Gottesherrschaft aus späten Psalmen (bes. Ps 103 und 145) und der Eulogie von „Name" und „Reich" entwickelt haben; neben der gegenwärtigen Partizipation am Reich Gottes (im hymnischen Lob, im Bekenntnis des Schema sowie im Lesen und Halten der Tora) findet sich in ihnen zugleich die Bitte um die endgültige Aufrichtung und Durchsetzung des Reichs in aller Welt. Vgl. dazu DALMAN 1898, 79ff; ELBOGEN 1931, 5.22.26.93. 495ff sowie 140-149; HEINEMANN 1977, 32f.93ff.l35ff.l57(ff).178.191.256f.264f.270ff. 284 (in Auswahl nach Index, 308); JACOBS 1986; LEHNARDT 1991; zum Vorstellungshorizont auch EGO 1991; zur alttestamentlichen Verwurzelung „Die Gnade des täglichen Brots" (in diesem Band Nr. 11). 118
Vgl. LEBRAM 1964; dazu KRATZ 1991b, 217f, die übrigen Belege 220f.245 Anm.
412. 119 Mit den Weltreichen bes. in 158-161.162ff (vgl. Sib IV,47ff), der Heilstat des Kyros in 286ff wie AssMos 4,2.5f und dem Zusammenhang von Königtum (über alle Menschen) und Gesetz 767f und vorher 755ff. Zur durchgehenden Thematik des Königtums treffend CAMPONOVO 1984, 332ff. 120 Sofern hier das Königtum Gottes im Königtum Sauls gemeint ist; vgl. CAMPONOVO 1984, 325.
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Theokratie und
Eschatologie
nis gebracht werden. So blickt schließlich auch die hymnische Prädikation in äthHen 25,7 und 84,2.5 auf dieses Endgeschehen (25,3-6 bzw. die Weltreiche in Kap. 89f; in der Zukunft liegen auch 27,3; 6 3 , 2 ^ ) und bezieht folglich ihre präsentische Qualifikation wie äthHen 9,4; 12,3 und 4Q Giants a 9f aus der gegenwärtigen Einsicht in die zukünftigen, im Himmel verborgenen Ereignisse. Letzteres fuhrt uns zu dem anderen Aspekt dieser theokratischen Seitenlinie, die Reduktion auf den individuellen Erfahrungsbereich. Was nämlich in äthHen allein auf die Zukunft bezogen ist, gilt in SapSal 10,10 (nach Gen 28) und dementsprechend in 6,20; 9,4.10 für die Zwischenzeit der Gegenwart, für die bis zur eschatologischen Wende für den Gerechten (3,8; 5,16) schon jetzt Weisheit und Gesetz (6,18; 9,5.9) vom Himmel geoffenbart werden, um an Gottes Reich praktisch partizipieren zu können. Weisheit und Gesetz aber sind auch in Tob 1-12*' 21 das Unterpfand des Reiches Gottes (Tob 1,18; 10,13 beide G II sowie 13f), nicht minder in Sirach, sofern sich die Identität der beiden Heilsgrößen hier (nach Sir 24,10f) auch im Kult des Hohepriesters Simon manifestiert (das Königsprädikat hebr. 50,2.7; gr. 50,15). Im übrigen sind für die Weisheit schon aram. Achiqar Z. 95, für das Gesetz - außer den Psalmen 1; 19; 119 (vgl. auch Ps 99; 147,19f) - speziell noch Jub 12,19; 50,9 und 2 Makk 1,7 (im Effekt auch Jub 16,18; 33,20 und 2 Makk 2,17 nach Ex 19,6) zu beachten, wo sich schon die rabbinische Redeweise vom „Aufsichnehmen des Jochs des Himmelreichs" Bahn bricht. Und schließlich läßt die himmlische Offenbarung von SapSal, die sich vorher in Sir 39,6f; 42,18f findet und die an beiden Orten - im Unterschied etwa zu äthHen - bewußt nicht 121 Vgl. bes. Tob 4 (mit Hss. B, A und La sowie 4Q) und 12,6-10 bzw. 14,9ff (AchiqarReminiszenz wie auch l,21f; 2,10; 11,18!) und dazu KÜCHLER 1979, 364ff.425ff; speziell zu 4,8f KOCH 1968, 53f. Das „Gesetz" wird zunächst in verschiedenen Lebenspraktiken zur Geltung gebracht: durch kultische Orientierung nach Jerusalem (1,6-8; 2,1), Endogamie (1,9 bzw. 4,12f; 6,13ff; 7,11-13; 8,5ff), Speisevorschriften (1,10-12), Almosen (1,3.16f; 2,2), Bestattung von Toten (l,17f; 2,4 mit Sorge um Reinheit 2,5.9) von Tobit; durch Elternliebe (3,10; vgl. 6,14f von Tobias), Jerusalem zugewandtes Gebet (3,11) und geschlechtliche Reinheit (3,14f) von Sara. Ausdrücklich ist es dann in 1,8 G II; 6,13; 7,11 G 11.12.13 G II (Göttinger Ausgabe); 14,9 G I (yö|ios), in 3,4f; 4,5 (ferner 4,19; 6,16 G II) (evroXii) und in 1,6(.8 G II); 14,9 G I (upöcTTayiia) erwähnt; vgl. zu dem ganzen Komplex GAMBERONI 1977 sowie D. Dimant in DIMANT/KRATZ (Hg.) 2009, 121-143. Chronistisch-theokratischer (1,6-8; 6,13; 7,1 l f f und allgemein 4,5 im Kontext; 14,9) und deuteronomistischer Gesetzesbegriff (3,4f und die dominierende Bezeichnung als „Gesetz des Mose") sind hier zusammengeflossen, vermutlich in zwei, höchstens drei Wachstumsphasen, die denen von Dan nicht unähnlich sind: I Grunderzählung Tob 1-12* (vgl. hierfür bes. 3,1.6 und 3,10ff) aus dem 3. Jh. oder noch älter (der Erklärung bedarf vor allem die geographische Ansiedlung des Stoffs!); II eschatologische Akzente in Tob 13f* oder 4,8f gegen Ende des 3., Anfang des 2. Jh.s; III Rezeption des dtr. Geschichtsbildes in 3,2-5 und 13f in der ersten Hälfte des 2. Jh.s, wobei II und III auch identisch sein könnten. Anders, m.E. aber nicht überzeugend jüngst DESELAERS 1982, zur Datierungsfrage 320ff.
9. Reich Gottes und Gesetz
221
Einblick in die eschatologischen Geheimnisse gewährt,122 fragen, ob nicht auch die Sabbatliturgie (4 bzw. 1 IQ und Masada) ShirShabb mit ihrer auffallend reichen Verwendung des Königstitels und des Abstraktums mlkwtm im selben Zusammenhang gesehen werden muß. Sie könnte nachgerade das himmlische Gegenstück zu dem in Sirach mit (Gottesfurcht) Weisheit und Gesetz in eins gesetzten Kults für den himmlischen König oder zu der im Jubiläenbuch der Geschichte eingeprägten, in der Identität von Sabbat und Reich (50,9)124 gipfelnden Sabbatordnung sein. Himmlische und irdische Welt, die in äthHen und Dan 8-12 in der Erfahrung auseinanderliegen, bilden hier (noch immer oder wieder) eine Einheit. Einen weiteren Bereich der individuellen Lebensführung neben Weisheit, Gesetz und Kult zeigt zuletzt wieder die hymnische Prädikation an, die vorher nur gerade in Jub 12,9 und indirekt in Tob 10,13 (G II); SapSal 9,4.10; Sir 50 (öfter in ShirShabb) anzutreffen war, in ZusDan 3,54f; Sir 51,l(gr.).12 n und PsSal 5,18f hingegen wieder in direkter Anrede erscheint. Hier wie schon in den (späten) kanonischen Psalmen 103,19-22 und 145, mit denen insbesondere PsSal 5 enge Beziehungen aufweist,125 ist es die Erfahrung der persönlichen Lebensbewahrung, der rettenden Gebetserhörung einzelner (wie schon in ZusEst C, 2 Makk 6f, 3 Makk 2 und 6, bes. 6,6f wie ZusDan 3,88) und - so nach Ps 145 und PsSal 5 - zudem die schöpfungserhaltende Versorgung mit dem Nötigsten für die ganze Welt, die den einzelnen Frommen in seinem Leben, aber auch stellvertretend für ganz Israel (vgl. ZusDan 3,83ff; Sir 51,12 e ff; PsSal 5,18) an Gottes Herrschaft und Reich teilhaben läßt. Wie aber verhalten sich die beiden gefundenen Aspekte, der eschatologische und der individuelle, zueinander? Sind es, wie wir annehmen, zwei Seiten derselben Medaille, oder sind es doch eher zwei verschiedene Richtungen innerhalb der theokratischen Konzeption? Zweifellos können, wie die Belege zeigen, beide Aspekte für sich stehen. Sie decken die individuelle Lebensund globale Welterfahrung jeweils vollständig ab und sind daher nicht notwendig aufeinander angewiesen. Allerdings kommt es an einigen Stellen zu 122 Signifikant ist auch hierfür der Königstempel Sir 50,2.7.15 gegenüber äthHen 91,13 (und 93,7f). 123 Vgl. in der Ausgabe von NEWSOM 1985 die Konkordanz 426f und dazu VAN DER WOUDE 1990, 245ff (Lit.) und bes. - noch vor der vollständigen Publikation - CAMPONO VO 1984, 273ff; CARMIGNAC 1986; SCHWEMER 1991. Die Bedeutung der Beleglage für das NT kann m.E. kaum hoch genug veranschlagt werden; vgl. im Sammelband von HENGEL/SCHWEMER das Vorwort, 15f.l8; SCHWEMER 1991, 117f sowie den Beitrag zum Hebräerbrief von LOHR 1991, 185-205. Zum übrigen Befund in Qumran, auf den hier nicht eigens eingegangen werden kann, vgl. CAMPONO VO 1984, 259-307; SCHWEMER 1991, 64 ff. 124 Vgl. die Hinweise von BERGER 1981, 554 Note 9f sowie SCHWEMER 1991, 49ff, zum weiteren Traditionshintergrund der Sabbatlieder auch 58ff. 125 Dazu mehr in „Die Gnade des täglichen Brots" (in diesem Band Nr. 11).
222
Theokratie und
Eschatologie
Ü b e r s c h n e i d u n g e n , d i e n u n d o c h eher für e i n e k o n z e p t i o n e l l e
Verbindung
sprechen. D a s gilt für d a s T o b i t b u c h i m g a n z e n ( 1 - 1 2 m i t 1 3 f ) w i e für S a p S a l 3 , 8 ; 5 , 1 6 n e b e n 6 , 2 0 ; 9 , 4 . 1 0 ; 1 0 , 1 0 u n d Jub 1 , 2 7 - 2 8 n e b e n 1 2 , 1 9 ; 5 0 , 9 . V o r a l l e m aber ist in d i e s e m Z u s a m m e n h a n g das S i r a c h b u c h z u n e n n e n . In i h m s i n d s ä m t l i c h e , s o n s t e i n z e l n traktierte i n d i v i d u e l l e B e r e i c h e ( W e i s h e i t , G e setz, Kult, G e b e t s e r h ö r u n g u n d S c h ö p f u n g ) vereint u n d w e r d e n a u f e i n e n N e n n e r gebracht, w o m i t Sirach i m frühen 2. Jh. d i e E n t w i c k l u n g d e s 3. Jh.s, d i e s i c h n e b e n d e m a l l m ä h l i c h e n A b s c h l u ß d e s P r o p h e t e n k a n o n s für d i e t h e o kratischen K r e i s e in späten ( w e i s h e i t l i c h - k u l t i s c h e n ) P s a l m e n u n d d e m W e r d e n d e s P s a l m e n b u c h s abspielt, 1 2 6 z u s a m m e n f a ß t u n d für d i e f o l g e n d e Z e i t d e n B o d e n bereitet. B e n Sira ist d a m i t der k l a s s i s c h e Vertreter der individualisierten Theokratie. 1 2 7 U n d g e r a d e in i h m f i n d e t s i c h m i t d e m G e b e t Sir 3 6 , w e n n a u c h v e r e i n z e l t , e i n e e s c h a t o l o g i s c h e P e r s p e k t i v e für d a s V o l k , die mit d e m w e n i g jüngeren Text T o b 13f ziemlich genau übereinkommt.128 Die
gemeinsame
Erfahrungsgrundlage
von
individueller
Reduktion
und
e s c h a t o l o g i s c h e r P e r s p e k t i v e b e s c h r e i b t - a u f einer L i n i e m i t D a n 2 , 4 0 - 4 4 * ; 7 , 7 f . l 9 f f u n d 2 , 2 0 - 2 3 - Sir 1 0 , 1 - 1 7 ( v g l . bes. V . 4 f . 8 . 1 4 f f ; ferner H i 1 2 , 7 f f , bes. V. 17f.22ff). W i e sehr d i e s e V e r b i n d u n g der A s p e k t e a u c h in der F o l g e z e i t w e i t e r g e wirkt hat, ist nicht zuletzt an j ü d i s c h e n S y n a g o g e n g e b e t e n u m d i e Z e i t e n -
126
Zu ersterem vgl. STECK 1991a; zum zweiten die Hinweise in „Die Gnade des täglichen Brots" (in diesem Band Nr. 11) sowie „Die Tora Davids" (in diesem Band Nr. 12). Für die theokratischen Kreise war natürlich auch die Klammer von „Nebiim", Jos 1/Mal 3,22-24, über die (gewollte, auch literarische?) Brücke von Ps 1 gut in ihrem Sinne zu rezipieren: Fürs erste die Tora (in der schriftlichen Form von Tora und Nebiim, fürs praktische Leben und den liturgischen Gebrauch in den Pss) - in weiter Ferne dann auch einmal das prophetische Ende mit Elia (vgl. Sir 48,1-11). 127 Dies gilt sogar für den - die Geschichte ganz Israels - überblickenden Väterhymnus Sir 44-50, der den geschichtlichen Zusammenhang weitgehend auf Einzelgestalten reduziert. Er steht unter dem Vorspann 44,1-15 der in seinem ersten Abschnitt 44,1-7 (Inklusion V.lf/7) mit den im Väterlob entfalteten Eigenschaften der „Gnadenmänner" in ungefähr dieselben Dinge benennt, mit denen sich gemäß 38,34-39,8 der Weisheitslehrer beschäftigt oder die auch er darstellt, mit Ausnahme natürlich vom Gesetz in der Inklusion 38,34/39,8, das die „Gnadenmänner" in der kanonischen Reihenfolge von Kap. 44ff ja selbst verkörpern. Sinn und Ziel der Eigenschaften ist gemäß 44,8-14.15 und 39,9-11 (beidemal Inklusion „Name"; 44,15 = 39,10) das Ansehen über den Tod hinaus, wovon auch 40,1-42,14 handelt (vgl. das Motto 40,11 und 41,10f, entsprechend gut/böse in 39,12ff.4f, mit den Alternativen 40,17ff, bes. V. 19, und 41,11-13.14ff). So ergibt sich im übrigen eine wohldurchdachte Anlage mit 38,(24)34-39,11/44,1-15 + Lob der Väter als äußerem Rahmen, 39,12-35/42,15^3,33 als innerem Rahmen und 40,1-42,14 im Zentrum. Kaum zufällig steht unmittelbar vor diesem Komplex allerdings das Gebet Sir 36, das in den parallelen, ihrerseits wieder strukturprägenden Bemerkungen 46,1 lf; 49,10 einen Widerhall findet. Zum Sirachbuch vgl. die Hinweise oben Anm. 73; SAUER 1981 sowie den Kommentar von SKEHAN/DILELLA 1987. 128
Vgl. dazu MARBÖCK 1977; STECK 1991c.
9. Reich Gottes und Gesetz
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wende zu beobachten, die mit ihrer eschatologischen Ausrichtung vermutlich den Hintergrund für die frührabbinische Gebets- und Gesetzespraxis (das „Joch des Himmelreichs") bilden und im Schemone Esre wie im Vaterunser nach Bitten für das eine und das andere zweigeteilt sind. Aufs Ganze gesehen scheint es so, daß für die Präsenz des Gottesreichs die individuellen Lebensbezüge geltend gemacht werden, während die politischen Implikationen des Reichsbegriffs (Völkerfrage) zunehmend in der Eschatologie aufgehen, die natürlich ihrerseits auch individuelle Bedürfnisse berücksichtigen kann.129 Sowohl für sich genommen als auch in ihrer Verbindung unterscheiden sich die beiden Aspekte damit in charakteristischer Weise von dem ursprünglichen Modell der (chronistisch-) theokratischen Ausgleichskonzeption, von der sie ausgehen. Beide Richtungen unterscheiden sich wiederum von solchen Texten der Spätzeit, die vom deuteronomistischen Geschichtsbild geprägt sind. In ihm ist die gegenwärtige Lage von Volk, einzelnem und Völkern negativ qualifiziert. Der Begriff des Reiches Gottes, der positive Perspektiven für den einzelnen Frommen und die Völker bereithält, spielt darin keine oder allenfalls eine untergeordnete Rolle. Nach allem, was wir beim Durchgang durch das einschlägige Material gesehen haben, setzt sich in der jüngeren Theologiegeschichte des 3.-1. Jh.s der alte, im 6.-4. Jh. ausgebildete Gegensatz von - im weitesten Sinne - deuteronomistischer und (chronistisch-)theokratischer Geschichtsanschauung fort. Einen neuen, ganz entscheidenden Schritt in der Entwicklung bedeutete jedoch die im Übergang vom 4. zum 3. Jh. einsetzende Öffnung der Theokratie für die Eschatologie, mit der auf der anderen Seite eine Individualisierung des Reiches Gottes (in Weisheit, Gesetz, Kult, Gebetserhörung und Schöpfung) einhergeht. Von diesem Moment an sind die Grenzen fließend. Die Öffnung ermöglichte den theokratischen Kreisen die Rezeption prophetischer und deuteronomistischer Traditionselemente in ihrem ursprünglichen Sinn,130 wie auch umgekehrt das (in Bußgebeten und Apokalypsen überlieferte) deuteronomistische Geschichtsbild für die Schilderung der eschatologischen Wende aus prophetischen und theokratischen Quellen schöpfen konnte bzw. von entsprechenden Trägerkreisen, die sich ihm öffneten, aus den ihnen eigenen (weisheitlichen, priesterlichen, prophetischen) Traditionen gespeist wurde. So nähern sich die Positionen im 3. und 2. Jh. und insbesondere in der Zeit der Religionskrise unter Antiochus IV. immer mehr an, sind aber vorher wie 129
Vgl. nur SapSal oder die Ausbildung der täglichen Lebensversorgung mit Nahrung zur Vorstellung von der eschatologischen Mahlgemeinschaft im Reich Gottes in Ps 22,27ff; Jes (24,23) 25,6; äthHen 62,14 und natürlich im Neuen Testament. 130 Daneben gibt es natürlich auch eine Rezeption gegen den ursprünglichen Sinn, so wenn in Ps 107 Anleihen aus den Propheten zur Darstellung von mehr oder minder typischen Situationen einzelner gemacht werden, oder wenn in Ps 147,14 die dtr. geprägte Unheilsgeschichte von Ps 81 (hier V. 17) zur Heilsgeschichte wird.
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Theokratie und
Eschatologie
nachher dennoch klar geschieden, wie die Kontinuität der theokratischen Ausgleichskonzeption, die eschatologisch-individuelle Seitenlinie der Theokratie und ebenso die hasmonäische Sonderentwicklung belegen. Beherrschend bleibt der fundamentale Unterschied zwischen einer durchweg negativen und einer (wenigstens teilweise) positiven Qualifikation der Gegenwart in Hinsicht auf das „Reich" (Gottes und der Welt) und das Gesetz. Sollte dieses Bild einigermaßen zutreffen, folgt also in den einzelnen Schichten des Danielbuchs zeitlich nacheinander, was sich im nachexilischen Judentum nebeneinander entwickelt hat.
IV Rückblickend werden manchem die hier durchschrittenen zeitlichen und literaturgeschichtlichen Bereiche vielleicht als zu weit auseinanderliegend erscheinen. Und in der Tat kann es sich bei der präsentierten Zusammenschau nur um einen Versuch der Annäherung handeln, der nicht alles umfaßt und weiterer Differenzierung, vor allem einer präziseren zeitgeschichtlichen Profilierung bedarf. Was diesen Versuch der Synthese gleichwohl rechtfertigt und auch hervorgerufen hat, ist die terminologische Konstanz der beiden Leitbegriffe Reich Gottes und Gesetz in ihrer verschiedenen Verwendung und Zuordnung innerhalb und außerhalb des Danielbuchs. Der terminologische Befund bietet einen durch die Zeiten und Überlieferungen hindurch nachvollziehbaren Anhaltspunkt, der zu dem erreichten Ergebnis fuhrt und damit vielleicht gewisse Perspektiven für die Weiterarbeit zu eröffnen vermag. Für die eingangs thematisierte theologiegeschichtliche Alternative ergibt sich daraus folgendes: Daß der von Plöger konstruierte Gegensatz von „Theokratie und Eschatologie" in dieser einfachen Weise nicht stimmen kann, haben wir bereits aufgrund der Schichtung des Danielbuchs festgestellt; diese Einsicht wird von dem übrigen Befund, namentlich von der eschatologischen Richtung der Theokratie, bestätigt. Unser Ergebnis trifft sich eher mit den Distinktionen, die Hengel und Steck in die Diskussion eingeführt haben.131 In gewisser Hinsicht trifft es sich aber auch wieder mit der Sicht von Wellhausen, dessen „eine", seiner Auffassung nach die ganze nachexilische Theologiegeschichte bestimmende „Theokratie" mit dem oben definierten eschatologisch-individuellen Ableger identisch ist, nur daß er eben nur eine neben anderen Richtungen (der Theokratie, der prophetischen und der deuteronomistischen Eschatologie) darstellt. Inwieweit diese Differenzierung der Strömungen mit den theologischen Parteien, von denen Josephus und andere antiken Autoren berichten, korreliert werden kann, ist aufgrund der Lückenhaf-
131
S. die Hinweise oben Anm. 21.
9. Reich Gottes und Gesetz
225
tigkeit der Quellen132 schwer zu sagen. Allzu weit in die Zeit vor der makkabäischen Erhebung wird man mit ihnen ohnehin nicht gelangen. Für die Zeit unmittelbar vor und während der Erhebung läßt sich versuchsweise bei den aus 1 Makk 2,(29ff)42; 7,12ff; 2 Makk 14,6 bekannten „Asidäern" vielleicht doch'33 an einen zeitweisen Zusammenschluß verschiedener Gruppen weitgehend unter eschatologisch-deuteronomistischem Bekenntnis denken, aus dem danach aufgrund der alten Differenzen die neuerlichen Parteiungen hervorgegangen sind. Neben denen, die an der asidäischen Position festhalten, neben den Essenern, die, sofern mit den Qumranleuten identisch, von Anfang an eine Sonderrolle spielen und ihrerseits eine eigene Sammelbewegung aus verschiedenen Richtungen bilden, und neben den aus der makkabäischen Kampfbewegung neu hervorgegangenen Hasmonäern wird man die Position des hellenisierten Reformjudentums und der theokratischen Ausgleichskonzeption am ehesten mit den (Proto-)Sadduzäern, die eschatologisch-individuelle Richtung der Theokratie vielleicht mit den (Proto-)Pharisäern und Schriftgelehrten in Verbindung bringen können. Doch sei noch einmal betont, daß in dieser Frage wohl kaum über begründete Vermutungen hinauszukommen ist. Von allen Strömungen scheint - so wieder mit Wellhausen - die theokratische, und zwar in ihrer komplexen, eschatologisch-individualisierten Gestalt, die größte Ausstrahlung besessen zu haben. Sie dürfte sozusagen die orthodoxe Durchschnittstheologie gewesen sein, die das Judentum um die Zeitenwende bestimmte und den Mutterboden auch für das Neue Testament darstellt. Auf die entsprechende Prägung der jüdischen Gebete (im Anschluß an die Entwicklung in späten Psalmen), in die sich auch das Vaterunser mit der prominenten Reichsbitte einreiht, wurde bereits oben verschiedentlich hingewiesen. In Hinblick auf das Neuen Testament ist über das Vaterunser hinaus vor allem an die dominierende Rolle des Reiches Gottes in den Evangelien zu denken, dessen vieldiskutierte Spannung zwischen präsentischer und eschatologischer Bedeutung und weitgehende Entpolitisierung sich mit der Herleitung aus besagter Richtung der Theokratie von selbst erklären.134 An den ursprünglichen Zusammenhang mit den Weltreichen erinnern nur wenige Stellen: das Reich von Satans Gnaden Mt 4,8-10/Lk 4,5-8, Satans und Gottes Reich Mt 12,25ff/Lk ll,17ff (anders Mk 3,24ff), der Krieg zwischen den Weltreichen und das Reich Gottes Mt 24,6f.l4; positiv rezipiert scheint er hingegen in der Frage der Steuer, die ganz im Sinne des theokratischen Ausgleichsdenkens beantwortet wird (Mk 12,12-17 par. wie auch Rom 13,1-7 mit „christlicher" Gesetzeserfullung V.8-10); eigens ausgeführt scheint er 132
Vgl. zuletzt ausführlich STEMBERGER 1991. Mit HENGEL 1973, 319ff und STECK 1967, 205ff; zur Diskussion vgl. KAMPEN 1988; STEMBERGER 1991, 91-98. 134 Zum Stand der Diskussion vgl. jüngst MERKEL 1991. 133
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Theokratie und
Eschatologie
mir - in der klassischen Verbindung von Reich und Gesetz Gottes (der Juden) und des Kaisers - in der johanneischen Pilatusszene Joh 18,28-19,16.135 Ansonsten aber ist der Begriff des Reiches Gottes hier sowohl in der ihm von Hause aus eigenen, neu mit der Person und Offenbarungsautorität 136 Jesu verbundenen präsentischen als auch in der theokratisch-eschatologischen Dimension auf den einzelnen Menschen (aus Israel und den Völkern) konzentriert, namentlich auf seine Lebensversorgung und Rettung in den Speisungs-, Heilungs- und Rettungswundern, seine Lebensführung coram deo nach den neu interpretierten Regeln von Weisheit, Gesetz und Tempelkult/Synagogengebet in den Gleichnissen, Logien und Streitgesprächen sowie seine in alldem sich schon in der Gegenwart ereignende eschatologische Zukunft. Damit ist eine Möglichkeit zur traditionsgeschichtlichen Erklärung der frühen Jesusverkündigung und der synoptischen Tradition (wieder) eröffnet, die den Versuchen der Herleitung aus dem (späteren) rabbinischen Judentum oder aus der vorchristlichen, jüdischen Apokalyptik bei weitem überlegen ist. Daneben haben natürlich auch verschiedene andere, nicht spezifisch theokratische Traditionen nachgewirkt, nicht zuletzt deuteronomistisch geprägte Vorstellungen wie der Bußruf des Täufers oder die „Schuld der Väter" an den Propheten in Lk 1 l,47ff/Mt 23,29ff und die entsprechende Unheilsgeschichte im Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg (Mk 12 par.),137 die nun in der Polemik gegen den israelorientierten Volks- und Erwählungsgedanken zur Unterstützung der jesuanisch-synoptischen Verkündigung des Reiches Gottes aufgenommen wird. So spiegelt sich auch im Neuen Testament die innerjüdische Polarität wider, die sich uns anhand der Begriffe Reich Gottes und Gesetz ergeben hat. Sie hat die Theologiegeschichte demnach über weite Strecken geprägt und übt - mutatis mutandis - bis heute ihren Einfluß auf die Geistesströmungen des (orthodox-chasidischen, liberal-assimilierten und national-zionistischen) Judentums aus.138
135
Vgl. dazu HENGEL 1983. Ähnlich dem apokalyptischen Seher von äthHen, aber auch dem Weisheitslehrer in Sir und natürlich dem „Lehrer der Gerechtigkeit" in Qumran. 137 Dazu ausfuhrlich STECK 1967, 20-58 sowie 218ff.222ff.265-316. 138 Vgl. hierzu die Erweiterung der letzten Auflage von GUNNEWEG 1989, 193ff. 136
10. Die Visionen des Daniel I. Die Komposition des Buches Daniel Odil Hannes Steck hat für die Prophetenforschung die Wege aufgezeigt, wie man von der überlieferten Schlußfassung zur Genese der biblischen Bücher und zu dem darin sich abzeichnenden innerbiblischen Rezeptions- und Auslegungsprozeß vordringt.1 Im Falle des Buches Daniel weist, wie in anderen Fällen, schon die Textüberlieferung, hier die Fassung der Septuaginta von Dan 4—6 und die deuterokanonischen Zusätze, auf das literarische Wachstum. Läßt man die griechischen Zeugen außer Acht und hält sich an die masoretische Fassung, führt die Endgestalt auf eine wenigstens dreistufige Entstehung: Der Stilwechsel in Dan 7, mit dem der Rückschritt in der Chronologie zur Situation von Kap. 5 und der Rollenwechsel Daniels vom Traumdeuter zum Visionär einhergehen, trennt Erzählungen und Visionen und läßt auf eine Aufstockung von Dan 1-6 durch Dan 7-12 schließen. Der Sprachenwechsel in Dan 2 und 8 erklärt sich am einfachsten so, daß zuerst die aramäische Version Dan 7, danach die hebräischen Versionen Dan 8-12 angefügt und im Zuge der Anfügung von Dan 8-12 die aramäische Einleitung Dan 1,1-2,4 ins Hebräische übersetzt wurden. 2 Mit der Separierung der großen Blöcke ist es jedoch nicht getan. Die Schlußfassung eines Buches lebt davon, daß die sekundären Eingriffe auch im älteren Textbestand ihre Spuren hinterlassen haben, um dem Buch eine einheitliche Gestalt zu geben. Wie Kap. 7 handelt so auch Nebukadnezars Traum in Kap. 2 von den vier Reichen und ihrer Ablösung durch das Gottesreich, und wie alle Visionen in Kap. 7-12 ist auch Kap. 2 auf das Jahr genau datiert (2,1) und geht auf das „Ende der Tage" (2,28). Die Stellen erweisen sich aus inneren Gründen sämtlich als sekundär.3 Die Datierung 2,laa ist aus den Angaben 1,1 und 1,5 errechnet (3. Jahr des Jojakim + 3 Jahre), widerspricht aber den drei Jahren in 1,5 und kann vor dem erneuten Einsatz der Erzählung in 2,laß ohne weiteres fehlen. 2,28aßyb (oder V. 27b-28) ist eine Vorwegnahme von V. 29, die den einfachen Ausdruck ITH ' i n x Xlil'p "H HD bzw. 'T HO I O N B ins Eschatologische wendet: I C Q V M N I A XINB H H D . Schließlich konkurrieren in 2,31—45 miteinander zwei Deutungen des Steins (V. 34f), der
1
STECK 1 9 9 6 .
2
Vgl. HÖLSCHER 1919; KRATZ 1991b, 1 1 - 7 6 .
3
Der Nachweis in KRATZ 1991b, 55-70.
228
Theokratie und Eschatologie
auf die Statue schlägt, an ihrer Stelle zum Berg anwächst und die ganze Erde erfüllt: a) die Deutung auf zwei Nachfolgereiche in V. 39, von denen das eine geringer ist als Nebukadnezar, das zweite „über die ganze Erde herrscht", b) die Deutung auf das Gottesreich in V. 44, das sämtliche Vorgängerreiche zerstört und in Ewigkeit besteht. Nach der ersten Deutung symbolisieren die Statue das babylonische Reich und die einzelnen Glieder und Metalle die babylonischen Könige, nach der zweiten symbolisieren die Metalle der Statue die Reiche der Welt. Die erste Deutung V. 39 stimmt mit V. 37f zusammen und setzt sich nahtlos in V. 45 fort. Sie ist die ursprüngliche und bewegt sich mit der Lehre von den drei Reichen4 im Rahmen der Sammlung Dan 1-6 (vgl. 1,1.21; 5,25-28; 6,29). Die zweite Deutung biegt das Bild um. Sie fugt in 2,39 notdürftig die Numerierung und Deutung der Reiche auf die einzelnen Metalle hinzu, um in V. 40-43 ein viertes Reich und schließlich in V. 44 das Gottesreich folgen zu lassen, das den Exzessen des vierten Reichs ein Ende bereitet. Der Gegensatz von viertem Reich und Gottesreich beherrscht auch die Vision in Kap. 7, den Zehen in 2,40-^14 entsprechen die Hörner in Kap. 7 8 und die Könige des Nordens und des Südens in Kap. 11. Die vorliegende Gestalt des Buches Daniel beruht folglich auf einer umfangreichen Überarbeitung der älteren, ihrerseits redaktionellen Sammlung der aramäischen Danielerzählungen in Dan 1-6. 5 Die Ergänzungen und Anhänge haben eines gemeinsam: Sie alle zielen auf die „Endzeit" unter dem einen letzten seleukidischen König, Antiochus IV. Epiphanes. Auf ihn und seine zwischen 169-164 v.Chr. begangenen Freveltaten an dem Jerusalemer Tempel und dem Gottesvolk laufen die Zehen in 2,41-43, die Hörner in Kap. 7 und 8, die Berechnung der 70 Jahre in Kap. 9 sowie der Geschichtsabriß in Kap. 11 zu. Und: Sie fügen sich in das übergreifende, die Schlußgestalt des Buches prägende theologische Konzept des deuteronomistischen Geschichtsbildes, das Steck in seiner wegweisenden Studie zum Danielbuch insbesondere für Dan 8-12 nachgewiesen hat.6 Im Detail weichen die Beschreibungen allerdings stark voneinander ab. Zu einem guten Teil mag dies mit traditionsgeschichtlichen Vorgaben zusammenhängen. 7 Doch das erklärt nicht alles, z.B., warum in den Visionen drei- bis viermal hintereinander auf verschiedene Weise ungefähr dasselbe gesagt wird. Lebram ist der Frage anhand der Gestalt des Königs Antiochus nachgegangen und hat verschiedene Typologien ausfindig gemacht, die er auf Antiochus III. und IV. und drei literarische Schichten verteilt.8 Andere vor und nach ihm sind auf andere literarkritische 4
Vgl. KRATZ 1991b, 197-222. Über sie vgl. KRATZ 1991b sowie „Reich Gottes und Gesetz" (in diesem Band Nr. 9). Was die Datierung anbelangt, gebe ich KAISER 1994, 167f das halbe Jahrhundert gerne zu. 5
6
STECK 1 9 8 0 .
7
So z.B. COLLINS 1977, 95-122. Eine Übersicht bietet KOCH 1980, 113-118.
8
LEBRAM 1975, 737-772; DERS. 1984, 18-25.84.92f.
10. Die Visionen des
Daniel
229
Lösungen gekommen. Der Hauptunterschied besteht darin, daß die einen mit breiten Fortschreibungen im selben Buch,9 andere mit Einzelstücken aus fremden Zusammenhängen rechnen.10 Näheres Zusehen fuhrt darauf, daß die Visionen Fortschreibungen sind, die als solche aber stärker traditions- und literarhistorisch differenziert werden müssen. Als eine Art Midrasch zu den Danielerzählungen lagern sich die Visionen des Daniel sukzessive an. Das Ganze ist ein Musterbeispiel für die innerbiblische Exegese, die sich immer aus zwei Quellen speist: dem unmittelbaren literarischen Kontext und anderen autoritativen Schriften des nachmaligen Kanons." Den Anlaß geben meist die historischen Umstände. Fremde, nicht ableitbare Kenntnisse oder Stoffe haben dienende Funktion.
II. Die vier Tiere und der Menschensohn (Dan 2 und 7) Ausgangspunkt sind die Erzählungen Dan 1-6, 12 die von Daniels und seiner Freunde Karriere unter babylonischen, medischen und persischen Königen berichten. Als Angehörige der jüdischen Gola werden sie in den chaldäischen Wissenschaften unterrichtet und so für den Dienst am Hof tauglich gemacht. Ihre Bewährungsprobe bestehen sie dank Gottes Hilfe und trotz der Unannehmlichkeiten, die ihnen die jüdischen Speisevorschriften bereiten. Den heidnischen Konkurrenten gegenüber erweisen sie sich als derart überlegen, daß sie deren Mißgunst auf sich ziehen. Das aber kann ihren Erfolg beim König nicht aufhalten. Zuneigung und Förderung der heidnischen Könige gewinnen sie sowohl im Wettbewerb um die Deutung von Träumen und Rätseln, bei dem es auf Weisheit (Kap. 2; 4 und 5), als auch in strittigen Fragen des jüdischen Bekenntnisses, in denen es auf Standfestigkeit Gott und dem König gegenüber ankommt (Kap. 3 und 6). Dabei stehen aber nicht nur Leben und Bekenntnis der vier jüdischen Helden, sondern zugleich das Leben des Königs und der Bestand seines Reiches auf dem Spiel. Denn die Juden in der Gola arbeiten nicht nur für sich und das Reich Gottes, sondern, indem sie das tun, auch fiir das Reich der Welt. Solange dies auch die heidnischen Herrscher einsehen, die der Gott des Himmels zum Wohl aller Menschen und speziell der jüdischen Gola der Reihe nach in sein Reich einsetzt, existieren Weltreich und 9
HÖLSCHER 1919, 133f; N o r a 1926; KRATZ 1991b, 41f. Mit anderer Schichtung GAMMIE
1 9 7 6 ; HASSLBERGER 1 9 7 7 . 10
JUNKER 1 9 3 2 ; G I N S B E R G 1 9 4 8 ; D E R S . 1 9 5 4 ; J E P S E N 1 9 6 1 ; H A R T M A N / D I LELLA
1978,
11-14. 11
12
V g l . SEELIGMANN 1 9 5 3 , 1 7 0 f ; FISHBANE 1 9 8 5 , 4 7 9 ^ 9 5 ; KNIBB 1 9 9 3 .
1,1-2,4a aramäisch und ohne die Zusätze 2,laa.(27b-)28aßyb.39(nur NTI ,L T sowie H
XÖm).40-44.
230
Theokratie und
Eschatologie
Gottesreich in bester Harmonie. Den Geist der Erzählungssammlung bringen die hymnischen Stücke auf den Begriff, der Dankhymnus im Munde Daniels 2,20-23 und die Bekenntnisse zum höchsten Gott im Munde der heidnischen Könige 2,47; 3,28f; 3,31-33/4,31-34 (5,18ff), zuletzt das zusammenfassende Edikt in 6,26-28, das auch den in Kap. 6 ausgetragenen Konflikt zwischen dem „Gesetz der Meder und Perser" und dem „Gesetz" des Gottes Daniels zu einem guten, beide Seiten befriedigenden Ende bringt. Und so schließt die Sammlung in 6,29, wie sie in 1,21 begonnen hat, mit einem Ausblick auf das Heilsdatum für die babylonische Gola aus 2 Chr 36,22f/Esr 1: „Und diesem Daniel erging es gut unter der Regierung des Dareios (des Meders), und unter der Regierung des Persers Kyros." Die Sammlung Dan 1 - 6 kennt zwei Ausnahmen, die die Regel bestätigen: die Hybris Nebukadnezars in Kap. 4, und den Frevel Belschazzars in Kap. 5. In Kap. 7 wird die Ausnahme mit einem Mal zur Regel. Nicht von ungefähr wird der Leser noch einmal in die Zeit Belschazzars zurückversetzt, und zwar an den Anfang seiner Regierung ins erste Jahr (7,1). Am Ende der babylonischen Herrschaft kündigt sich der Untergang der Weltreiche an. Man hat viel Fleiß darauf verwendet, um Analogien aus der altorientalischen Mythologie für die seltsame Tierreihe in 7,4-8 und den „Menschensohn" in 7,13f zu finden - mit mäßigem Erfolg. Das verwundert nicht, denn die Lösung des Rätsels liegt viel näher. Die Metaphorik stammt aus Kap. 4, die meisten Formulierungen sind aus Kap. 1 - 6 zusammengelesen. 13 Die Tierreihe erklärt sich aus der Kombination von Dan 4 mit Hos 13,7-8. Während sich Nebukadnezar nur zeitweise in ein Tier verwandeln muß (4,12f.20.22.29f), nehmen die Reiche in Dan 7 dauerhaft Tiergestalt an (vgl. Prov 28,15). Das passivum divinum in 7,4—6 macht deutlich, daß sie nicht in eigener Macht, sondern in Gottes Auftrag handeln, und darum nehmen sie die Gestalt der Eigenschaften Gottes aus Hos 13,7f (Löwe, Panther, Bär) an, angereichert mit Zügen aus Dan 2 und 4, die auf die ersten drei Tiere bzw. Reiche verteilt werden: der Vorgang von Machtentzug und Wiederaufrichtung nach Kap. 4, der Adler nach 4,30, das Menschenherz nach 4,13; 5,21, Fleisch statt Gras als Nahrung nach 4,9.22.29f, 14 die vier Vogelflügel und vier Köpfe zusammen mit der Herrschaftsvergabe nach 2,37-39. Das vierte Tier wird nicht identifiziert und ist von den drei ersten gänzlich verschieden (7,7). Aber auch seine Beschreibung orientiert sich an Kap. 1-6: Es ist furchterregend wie die Statue in 2,31, der König in 5,19 und der Gott 13
Zum Folgenden vgl. die Einzelnachweise in KRATZ 1991b, 43^18; „Reich Gottes und Gesetz" (in diesem Band Nr. 9). 14 Die Gefräßigkeit des zweiten Tieres (Medien) ist vielleicht eine Anspielung auf die Löwengrube Dan 6, die merkwürdige Aufrichtung „nach einer Seite" im Unterschied zur vollen Aufrichtung des ersten Tieres in 7,5 entspricht der Relation des zweiten Reiches zum ersten in 2,39.
10. Die Visionen des Daniel
231
Daniels in 6,27, nur sehr viel schrecklicher, und es ist überaus stark wie Gottes Wunder in 3,33 und die von Gott verliehene Herrschaft in 2,37; 4,19, doch die Stärke manifestiert sich entsprechend 2,40 in eiserner Härte und destruktivem Tun. Die Eigenschaften des vierten Tieres sind die des Weltreiches selbst, allerdings in grausamer Perversion. Was in Dan 1-6 der Ordnung und dem Segen der ganzen Erde dient,15 richtet sich im vierten Tier gegen die ganze Erde und mithin gegen den höchsten Gott, der die Herrschaft zum Wohl der ganzen Erde vergibt und entzieht. Und erst mit dem vierten Tier bzw. Reich werden auch die drei ersten Reiche zu Bestien und erleiden mehr oder weniger dasselbe Schicksal im eschatologischen Gericht (7,1 lf.17f.26). Das geschichtliche Nacheinander der Reiche verschmilzt darin zur Gleichzeitigkeit irdischer Macht, die nicht nur, wie in Kap. 4, zeitweise, oder, wie in Kap. 5, im Einzelfall, sondern gesamthaft und definitiv entzogen wird. Die Unterschiede in der Darstellung der ersten drei Tiere (7,4—6) und ihres Schicksals (7,12) gegenüber dem vierten Tier (7,7.11.19ff) tragen den positiven Erfahrungen Rechnung, die Daniel und seine Freunde mit den Weltreichen in Kap. 1-6 gemacht haben. Doch aufgrund der Erfahrungen mit dem vierten Reich geraten auch die Vorgängerreiche in das eschatologische Gericht. Das Gericht tagt im Himmel, versammelt ist der himmlische Hofstaat unter dem Vorsitz des , Alten der Tage", Bücher werden aufgetan (7,9f). Die Szene malt den himmlischen Beschluß von Kap. 4 aus. Die Gottesbezeichnung entspricht dem „Ende der Tage" von 2,28 und zeigt Gott als Herrn der Zeit (vgl. 2,21 und die Frist in 4,13.20.22.29.31) und mit Zügen, die an Ez 1 erinnern, könnte also ad hoc geschaffen sein. Nach dem Gericht kommt das Gottesreich. Es wird einem übertragen, der ist „wie ein Mensch" (7,13f). Auch das menschliche Antlitz der Gottesherrschaft ergibt sich aus Dan 4, bes. 4,13 (5,21), und ist nichts anderes als der Gegensatz zum bestialischen Antlitz der Weltreiche. Der „Menschensohn" als eschatologische Figur ist gerade erst im Entstehen begriffen, hier ist er noch ein Symbol, das aus dem Kontrast geboren ist und ganz für die Sache des Gottesreiches steht. Der Deutung zufolge ist er identisch mit den „Heiligen des Höchsten" (7,18.27). Aufgrund von 4,10.14.20.22 und der Szene in 7,9f.l6 kann es sich dabei nur um Engelwesen handeln.16 Die in Kap. 4 über das Schicksal Nebukadnezars befinden, werden in Kap. 7 selber zu Erben des Reiches. Die Formulierungen sind aus 2,37f; 4,19.33; 5,18f bzw. 2,44; 3,33; 4,31; 6,27 geliehen. Zu allem fügt sich aufs beste, daß Daniel in Kap. 7 zum Visionär wird, den seine Gesichte der Nacht nicht aufklären (2,19), sondern verwirren, der nicht Auskunft gibt, sondern selbst um Auskunft bittet. Die Rahmenformulierungen der Vision in 7,lf.l5f.28 zitieren einschlägige Wendungen aus Kap. 2 und 4, bes. 4,2.16 und 2,45b (für 7,16). Traum und Gesicht, die bis dahin Nebukad15 16
Vgl. 2,37-39; 3,31-33; 4,7-9.17-19.27.31-34; 5,18f. Weitere Gründe in KRATZ 1991b, 27-31.
232
Theokratie und
Eschatologie
nezar plagten, plagen nun Daniel selbst. Die Rolle Daniels für den König übernimmt einer aus dem Kreis der Himmlischen für Daniel. Es zeigt sich, daß Kap. 7 nie ein selbständiger Text war, auch nicht in Teilen, sondern in seiner Substanz von vornherein für den Zusammenhang mit Kap. 1-6 verfaßt wurde. Aber Kap. 7 ist auch nicht die ursprüngliche Fortsetzung von Kap. 1-6. Gerade die literarischen Verbindungen, die die Einheitlichkeit der Endgestalt herstellen, beweisen, daß die ursprüngliche Sammlung in Kap. 7 neu verstanden und gedeutet wurde. Kap. 1-6 und 7 verhalten sich zueinander wie Text und Kommentar, nur daß der Kommentar in Form der Erzählung als Rückblende in die Zeit von Kap. 5 angehängt ist. Historisch steht hinter dem Nachtrag der Niedergang des persischen Großreiches, der Zug Alexanders und der Zerfall des Reiches in die zerstrittenen Diadochenstaaten. Der theologische Standpunkt von Kap. 1-6 ist an der Wirklichkeit zerbrochen. Der Verfasser des Nachtrags trennt sich von den Weltreichen und rettet das Gottesreich in die Eschatologie. So läßt er dem Schriftstück des Königs in 6,26-28 das Schriftstück Daniels folgen, das in der Ich-Form abgefaßt ist (7,1.28a). Dieses Schriftstück trägt ein Wissen Daniels nach, das der Daniel von Dan 1-6 noch nicht hatte und das den Erzählungen einen neuen Sinn verleiht. Um Daniel und den Leser nicht zu lange warten zu lassen und sofort zu informieren, sind in Kap. 2 die oben ermittelten Zusätze angebracht: die Datierung in 2,1, die eschatologische Zuspitzung in 2,28 und die Ergänzung von viertem Reich und Gottesreich in 2,40-44, die die Metalle der Statue auf die Reiche bezieht und durchnumeriert (2,39) und den Stein vom Himmel auf das ewige Gottesreich deutet. Die Spannungen, die der Ergänzer erzeugt, um die Mischung von Eisen und Ton mit der Härte des vierten Reiches in Einklang zu bringen, zeigen in aller Deutlichkeit, daß dem Bild eine sekundäre Pointe aufgesetzt wurde.17 Die Teilung der Diadochenreiche kam ihm dabei zu Hilfe. Die sprachlichen und sachlichen Berührungen dieser Ergänzungen mit Kap. 7 sind so eng,18 daß man an denselben Verfasser denken möchte, der in Kap. 2 bereits andeutet, was er in Kap. 7 nach den Vorgaben von Kap. 4 selbständig formuliert. Allerdings geht nicht alles in 2,40-44 und in Kap. 7 auf sein Konto. Zusatz im Zusatz sind die (zehn) Zehen und ihre Vermischung in 2,41—43.19 Dem ersten Ergänzer kam es bei den Füßen aus Eisen und Ton im Sinne von 7,7.19.23 allein auf die Festigkeit und Schlagkraft des Eisens an: „Und es wird ein viertes Reich erstehen ... (2,40). Ein geteiltes Reich wird es sein, doch von der Festigkeit des Eisens wird in ihm sein, so wie du gesehen hast 17
Im Zuge dessen mag auch der Traumbericht glossiert worden sein, bes. V. 34f wirken etwas überfüllt. Die Füße aus Eisen und Ton lassen sich jedoch nicht entfernen (V. 34). Anders NOTH 1926, 23f. 18
Vgl. bes. 2,40 mit 7,7.19.23 und KRATZ 1991b, 48-55.
19
Vgl. KRATZ 1991b, 32-35.
10. Die Visionen des Daniel
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die Füße teils aus Eisen und teils aus Ton (2,4 laß-ba ,42a)". Ein zweiter Ergänzer fugt die Zehen hinzu und deutet die Mischung der Metalle im Sinne von Kap. 11 auf die instabile Heiratspolitik der Diadochen (2,4 laa.bßy ,42a „und die Zehen" 42b.43). Ebenso fallen, wie von Hölscher und vielen anderen längst erkannt, auch die zehn Hörner und das kleine Horn in Dan 7 aus dem strukturellen Geftige wie dem literarischen Bezugsrahmen der Vision von den vier Tieren und dem Menschensohn heraus.20 Klar ist die Ausscheidung der Zusätze zur Vision in 7,7bß.8.1 la. In der Deutung kann man fragen, ob damit der gesamte Abschnitt 7,19-27 nachgetragen wurde, der nach 7,17f überflüssig scheint. Doch die gesonderte Deutung des Tieres in 7,19.23.26f ist in der Vision angelegt und hat mit den Hörnern ursprünglich nichts zu tun. Denkbar ist allerdings, daß es einmal ein Grundstratum gab, das mit 7,17f.28a schloß und die gesonderte Deutung des vierten Tieres noch nicht enthielt. Diese kann sich auch nachträglich an der Unklarheit entzündet haben, daß die Tiere in der Vision nacheinander auf- und wieder abtreten, am Anfang in 7,2f und in der Deutung 7,17 aber in einem Atemzug genannt werden. In der Gerichtsszene verhält es sich gerade umgekehrt. Hier könnte das Schicksal der drei ersten Tiere in 7,12 aufgrund der Sammeldeutung 7,17 und nach dem Vorbild der gleichzeitigen Vernichtung sämtlicher Weltreiche in 2,34f.44f nachgetragen sein. Jedenfalls jünger als die - gegebenenfalls gewachsene - Grundschicht von Kap. 7 (V. l-7ba.9-10.llb.12.13-14.15-16.17-18.19.23.26-27.28a), mit der die Zusätze des ersten Ergänzers in 2,1.28.39^14 harmonieren, ist die Hornbearbeitung in 7,7bß.8.1 la.20-22.24-25, mit der die Ergänzung der Zehen in 2,41—43 harmoniert. Die Verschiedenheit des vierten Tieres (7,7ba) ist auf das kleine Horn übergegangen (7,24), das ebenso wie das vierte Reich drei der (zehn) Vorgänger in Grausamkeit übertrifft. Auch diese Bearbeitung ist vermutlich nicht einheitlich. Mit V. 7bß.8.1 la stimmen lediglich V. 20.24. 25aa.26 überein, die übrigen Verse, V. 21f.25aßb, schießen über. Aus den Himmlischen sind die Repräsentanten des Gottesvolkes geworden, gegen das das kleine Horn Krieg fuhrt. Die Hornbearbeitung ergibt sich nicht aus dem literarischen Zusammenhang mit Kap. 1-6. Wie die Zehen in 2 , 4 1 ^ 3 mit Kap. 11, hängt sie mit der Anfügung von Kap. 8 zusammen.
III. Die Hörner und das kleine Horn (Dan 8) Mit 7,28a ist der in 7,1 in Erzählform eingeleitete schriftliche Bericht Daniels in der Ich-Form zu Ende. Wie die zweite Redeeinleitung nach V. 1 in V. 2aa und die Nachbemerkung in V. 28b anzeigen, soll der Ich-Bericht jedoch wei20
Vgl. KRATZ 1991b, 21-32.
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Theokratie und
Eschatologie
tergehen. Er wird in Kap. 8 in hebräischer Sprache fortgesetzt. Daniel ist auch nach der Deutung noch unruhig und behält die Sache im Herzen. Zwei Jahre später, im dritten Jahr des Belschazzar, wird ihm eine zweite Vision zuteil, die er ausdrücklich mit der ersten in Beziehung setzt. Das Schema ist dasselbe wie beim ersten Mal: Auf die Einleitung 8,lf folgt die Vision 8,3-12 in mehreren Bildern, auf das Entsetzen und die Frage nach dem Verständnis 8,15-19 eine ausführliche, zweigeteilte Deutung in 8,20-22.23-25, das Ende markieren zwei Abschlußbemerkungen in 8,26 und 8,27. Schon daran wird ersichtlich, daß Kap. 8 nach dem Muster von Kap. 7 gestrickt und als Ergänzung gedacht ist; 7,28b ist das dafür gemachte redaktionelle Scharnier. Im Grunde handelt es sich um ein hebräisches Targum zur ersten Vision, mit dem man vielleicht auch schon die Übersetzung von 1,1-2,4 in Verbindung bringen darf. Beides gibt dem aramäischen Danielbuch Dan 1-7 einen neuen, hebräischen Rahmen. Die zweite Vision nennt beim Namen, was Kap. 7 nur verschlüsselt offenbart: Die Vision geht auf den Wechsel vom medisch-persischen Reich zum Reich Alexanders und auf die Zersplitterung in einzelne Diadochenstaaten (8,20-22 nach 8,3-8). Verschlüsselt bleibt die Rede vom kleinen Horn in 8,9-14.23-25 entsprechend der Hornbearbeitung in 7,7f.2022.24—25, doch werden einige zusätzliche Details mitgeteilt. Vom Gottesreich ist nicht mehr die Rede. Alles kommt auf die Identität, das Tun und das Schicksal der beiden letzten Weltmächte an, die das „Ende" ankündigen. Manches Detail scheint erst nachträglich zugewachsen zu sein. In den Rahmenteilen muß man das für V. 2.16.18-19 und 27b annehmen. V. 2 macht einige Umstände, um die Lokalisierung der Vision dem Inhalt anzugleichen und den Visionsempfang an dem hier näher bestimmten Ort von 8,3.6 anzusiedeln. In V. 16 tritt Gabriel ziemlich unvermittelt in die aus 7,15f entwickelte Szene zwischen Daniel und den, der „aussieht wie ein Mann". 8,18-19 läßt Daniel ein zweites Mal zu Boden gehen (zum Ausdruck vgl. 10,9f), um ihn anschließend auf die Beine zu stellen und die folgende Auskunft näher zu qualifizieren: Die ferne Zeit des Endes (V. 17.26) ist die Zeit am Ende des Zorns. V. 27b schließlich ahmt den Übergang in 7,28b nach und ist auf Fortsetzung angewiesen. Der ursprüngliche Schluß liegt in 8,26b.27a, der ebenfalls 7,28 nachgebildet ist, aber keine Fortsetzung verlangt. Mit Ausnahme von 8,2 weisen sämtliche Zusätze einen von Kap. 8 abweichenden Sprachgebrauch auf, der ebenso wie die inhaltlichen Anliegen nach Kap. 9-12 führt.21 Im Verhältnis von Vision und Deutung fallen zunächst die auf den Tag genaue Berechnung des Endes in V. 13f und mit ihr V. 26a (nach 2,45b; 7,16) aus der Reihe. Die Berechnung legt die unbestimmte Angabe 8,26b zahlenmäßig fest und ist hier wie in den Nachbesserungen 12,11.12 sekundär gegenüber der Frist in 7,25; 9,27 und 12,7. Des weiteren wirken die Verse 8,9-12
21
Vgl. 8,16 mit 9,21; 8,18f mit 10,9-11.15; 8,27b mit 9,21-23; 10,1.12ff.
10. Die Visionen des Daniel
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überfüllt. V. 11—12a geben sich durch die 3. Pers. masc. als Nachtrag zu erkennen, V. 12b ist Wiederaufnahme von V. 10. Der Zusatz identifiziert den Krieg des kleinen Horns gegen das Heer des Himmels mit der Aufhebung des Opfers unter Antiochus IV., die in der Deutung V. 23-25 nicht wiederkehrt, aber in Dan 9 und 11 die Hauptsache ist. Allerdings stimmen Bild und Deutung in 8,9-10.23-25 auch ohne V. l l f nicht wirklich überein. In V. 9f fallt das zweifache bl'. auf. Einmal ist es gegen bestimmte geographische Regionen, darunter das heilige Land, das andere Mal gegen das Heer des Himmels gerichtet, wofür in V. 23-25 zum einen aufgrund von Dtn 28,50 - die Frechheit gegen Starke und Viele (V. 23-25a), zum anderen das Aufstehen gegen den „Fürsten der Fürsten" steht (V. 25b). Doch der Text in V. 23-25 ist derart entstellt, daß sich eine passende Deutung kaum mehr rekonstruieren läßt. Man hat es mit dem seltenen Fall zu tun, daß die Vision sehr viel klarer und konkreter ist als die Deutung. Enge Berührungen gibt es sowohl mit der Hornbearbeitung in Kap. 7 als auch mit dem Geschichtsabriß in Kap. 11.8,9-12.23-25 unterscheiden sich damit gravierend von 8,3-8.20-22, wo Bild und Deutung exakt aufeinander abgestimmt sind und einzig und allein die Funktion haben, die Vision von Kap. 7 mit einer weiteren Tiervision zu präzisieren. Ich kann mir das nur so erklären, daß das kleine Horn auch in Kap. 8 nachgetragen ist. Wem der Schluß in V. 8 = 22 nicht genügt, findet auch in V. 9-10.1 lf.23-25 nicht mehr. Die schöne Anspielung an 2,34.45 in 8,25bß sagt von dem kleinen Horn nichts anderes als V. 8.22 von dem großen, nämlich, daß es zerbrochen wird. Hier wie auch im Verhältnis von V. 7 und V. 10.12 (001, niHX -p17tönA>,sn) und an anderen Stellen22 handelt es sich um eine literarische Wiederaufnahme. Wie die Hornbearbeitung in Kap. 7 überträgt sie die Eigenschaften des vierten Tieres auf das kleine Horn. Versuchen wir nun, die vielen Zusätze ins Verhältnis zu setzen und die literarhistorische Entwicklung nachzuzeichnen. Darf man in Dan 8 von einer Grundschicht ausgehen, die 8,l(2.)3-8.15.17.20-22.26b.27a umfaßt, so ist klar, daß sich der Rückverweis in V. 8 nur auf die Grundschicht von Kap. 7 mit Übergang in V. 28b beziehen kann. Wie in Kap. 7 liegt auch in 8 das Hauptgewicht auf dem Bildteil. Der Austausch der Tiere trägt dem Umstand Rechnung, daß das vierte Tier in Kap. 7 nicht identifiziert ist, und deutet bereits in der Metapher die historische Präzisierung an. Widder und Ziegenbock stehen in der astrologischen Geographie für Persien und Syrien23 und ersetzen die drei Tiere/Reiche von Dan 7, die vom Standpunkt des Sehers aus (vgl. 7,1; 8,1) noch folgen, durch den Antagonismus zweier Staaten und ihrer durch die 22
Vgl. b l l und CSV in V. 8 (vom Widder V. 4) und V. 9f.24f; HIDU X1? in V. 22 (vom Widder V. 7) und V. 24; auch V. 4 mit V. 9; H"D m m V. 6 (auf Antiochus IV. übertragen in 11,30) m i t V . 19. 23 Vgl. CUMONT 1909.
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Eschatologie
Hörner symbolisierten Herrscher. Die Unterschiede in der Beschreibung der Tiere/Reiche in Kap. 7 werden in Kap. 8 in die Hörner verlegt. Die Überleitung zur Deutung in 8,15.17 folgt ziemlich genau dem Vorbild 7,15f. Bemerkenswert ist, daß der Vergleich mit einem menschlichen Wesen von 7,13f auf den angelus interpres aus dem Bereich der Himmlischen und die Bezeichnung „Menschensohn" nach dem Vorbild von Ez auf den Seher übergeht. Auch die neue Ausrichtung auf die „Zeit des Endes" dürfte von Ez inspiriert sein (vgl. Ez 7,2.3.6; 21,30.34). Die knappe Deutung 8,20-22 lehnt sich an 7,17f an und kennt die spezielle Deutung des vierten Tieres in 7,19.23.26f vielleicht noch nicht. An die Stelle der vier bzw. drei Tiere, die zu drei Hörnern geworden sind, treten die vier Hörner, die sich nach den vier Winden verteilen, dorthin, woher die vier Tiere von 7,2f kommen. Möglicherweise liegt Einfluß von Sach 2,1-4.10; 6,5 vor. Historisch ist natürlich an den Zerfall des Alexanderreiches in die (drei) Diadochenstaaten gedacht. Die Vierzahl will aber offenbar noch etwas anderes sagen: Mit ihr wird die übergroße Macht des großen Horns gebrochen und zugleich eine neue Gefahr heraufbeschworen. Der Ausgang bleibt offen, doch weiß der Leser nach Kap. 7, was mit vier gleichzeitigen Reichen geschieht und was ihn erwartet. Darum kann die Vision an diesem Punkt schließen. Der Abschlußvermerk 8,26b.27a, der 7,28 nachahmt, fuhrt die schriftliche Aufzeichnung und Aufbewahrung der Vision (7,1.28a) auf eine göttliche Anweisung zurück und läßt Daniel wieder seinen Geschäften von Dan 1 - 6 nachgehen. Die Zusätze zur Grundschicht in Kap. 8 verteilen sich auf zwei Gruppen: die Ergänzungen zum Visionsempfang in V. 16.18f und 27b, die mit der Fortsetzung in Dan 9-12 zusammenhängen, und die Ergänzung des kleinen Horns samt Berechnung des Endes in V. 9-12.13f und V. 23-25.26a, die mit der Hornbearbeitung in Kap. 7 zusammenhängt und ebenfalls Berührungen mit Dan 9-12 aufweist. Welche Gruppe früher und welche später ist, ist kaum auszumachen. Ich tendiere dazu, die Ergänzungen zum Modus des Visionsempfangs als erste, die Hornzusätze als zweite Brücke zu Dan 9 - 1 2 anzusehen. Auch was die Reihenfolge der Hornzusätze in Kap. 7 - 8 anbelangt, ist keine Sicherheit zu erreichen. So viel ist deutlich, daß das kleine Horn eine Extrapolation der Hörner von Widder und Ziegenbock ist. Es legt sich daher die Vermutung nahe, daß es in Kap. 8 ursprünglich ist und von dort nach Kap. 7 gelangte. Aber auch der umgekehrte Weg ist denkbar. In Kap. 7 hat es nicht fünf, sondern zehn Vorgänger, von denen drei gesondert genannt werden (7,7f.20.24). Die Zehnzahl stimmt mit den Zehen in 2 , 4 1 ^ 3 überein, die Niederwerfung der drei Vorgänger orientiert sich vermutlich an den 3+1 Tieren in Kap. 7 und an 8,7f. Außerdem besitzt das kleine Horn in Kap. 7 Menschenaugen und einen Mund, womit es das menschliche Antlitz der Welt- und Gottesherrschaft (7,4.13f) pervertiert. Mit seinem Mund spricht es nur große Worte gegen den Höchsten. In 7,21f.25 kommen der Krieg gegen die Heiligen des
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Höchsten (7,13f. 18.27) und der Eingriff in die kosmische Ordnung, die Änderung von Zeiten und Gesetz (2,21; 6,6), hinzu, was auf dreieinhalb Zeiten befristet wird. Von diesen Aussagen zeigen 7,7bß.8.11a.20.24.25aa kaum, 7,21f.25 enge Berührungen mit den Zusätzen in 8,9-12.23-25, die ihrerseits in 8,24 an 7,21.25 angeglichen und in 8,1 lf. 13f im Sinne von 7,25 ergänzt wurden: Der Krieg gegen die Heiligen ist der Krieg gegen das heilige Volk, der Eingriff in Zeiten und Gesetz meint die Aussetzung des Opfers unter Antiochus IV., die Frist der dreieinhalb Zeiten beläuft sich auf 2300 Abend-Morgen. Es bestätigt sich der oben gewonnene Eindruck, daß die Hornbearbeitung nicht einheitlich ist. Die Zusätze wurden wechselseitig nachgebessert. Für den Anfang aber muß offenbleiben, ob das kleine Horn zuerst in 7,7f.lla. 20.24f oder in 8,9f gewachsen und immer größer geworden ist (vgl. 8,3.8), ob die Niederwerfung dreier Vorgänger und die großen Reden gegen den Höchsten in Kap. 7 oder der Krieg gegen die drei Erdregionen und die Sterne in 8,9f. 23-25 (vgl. Jes 14) den Ausgangspunkt bilden, aus dem sich alles weitere entwickelt hat. Beide Möglichkeiten setzen jedenfalls Kap. 11 voraus. Das ist daran ersichtlich, daß man die Zusätze in Kap. 2; 7 und 8 nicht ohne Kap. 11, dieses aber ohne die Zusätze verstehen kann. Die Visionen von den vier Reichen (Kap. 2 und 7) und von den vier Diadochen (Kap. 8) werden in Kap. 11 aufgegriffen und zeitgeschichtlich fortgeschrieben. Im Unterschied dazu nehmen die Zusätze in Kap. 2; 7 und 8 die Fortschreibung sachlich und bes. in 8,2325 auch sprachlich vorweg. 2,41^43 kombinieren die Eisen-Ton-Mischung mit 11,6.17 und fugen darum die Zehen hinzu. Sieben der zehn Hörner in 7,7.20.24 sind womöglich mit den aktiven Königen von Kap. 11 identisch, die zusammen mit den drei gesondert genannten Vorgängern die Zehnzahl vollmachen;24 die großen Reden haben einen Anhalt in 11,36. Die Zusätze in 8,912.23-25 vereinigen Züge von Antiochus (III.25 und) IV. aus Kap. 11, bes. V. 21.23f.25.26.33.36ff, auf sich, vorwiegend in typologischer Verschleierung, so daß himmlische und irdische Welt miteinander verschmelzen.26 Die Vorwegnahme stammt schwerlich von derselben Hand, denn dafür sind wiederum die Differenzen und Unklarheiten, die durch die Interpolation entstanden sind, zu groß. Und die Zusätze können auch nicht älter sein als Dan 1012, denn dafür sind sie in sich zu unverständlich, im Verhältnis von Bild und Deutung zu unausgewogen und in Kap. 11 nicht deutlich genug als Vorlage benutzt. Mit einem Wort: Die Zusätze sind nicht nur „von der Geschichte des elften Kapitels her zu deuten",27 sondern von dort auch in den Text des zwei24
HANHART 1 9 6 7 , 142f.
25
Vgl. 8,9 mit 11,16.41.45 p x ) ; 8,25 mit 11,14.18 (Crm), auch 11,11 f. Vgl. z.B. 8,10.11f als Auslegung von 11,31.33-39 gegen den „Fürsten" von 10,13.21;
26
12,1. 27
HANHART 1 9 6 7 , 142.
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Theokratie und Eschatologie
ten, siebten und achten Kapitels eingetragen. Sie liefern dem historischen Geschichtsabriß die visionäre Erscheinung nach und tragen das Ihre zu dem Eindruck der theologischen Homogenität von Dan 8-12 und des „makkabäischen" Danielbuchs bei.28
IV. Der König des Südens und der König des Nordens (Dan 10-12) 8,27b leitet zur Fortsetzung von Kap. ( l - ) 8 in Kap. 9-12 über. Seit Hölscher bestimmt man das Verhältnis gerne so, daß zunächst Kap. 9 und etwas später Kap. 10-12 angeschlossen wurden.29 Das kommt daher, daß im vorliegenden Text Kap. 10-12 als eine detailliertere Rekapitulation von Kap. (7)8-9 erscheint. Tatsächlich ist Kap. 9 aber ein Fremdkörper in Dan 8-12. Beide Komplexe, Kap. 9 und 10-12, verleihen Daniel die Einsicht, die ihm nach 8,27b versagt blieb (9,2.22f; 10,1.11.12.14). Dabei bezieht sich Kap. 9 nicht direkt auf Kap. 8, sondern auf dem Umweg über die jeremianischen 70 Jahre, die Daniel nicht versteht. Kap. 10-12 geben dagegen ohne Umschweife Auskunft über das Verständnis von Kap. 8, die Hauptsache von Kap. 9, die 70 Jahre und die Sünde, kommt in Kap. 10-12 nicht vor. In den Beziehungen zwischen Kap. 9 und 10—1230 scheinen mir Kap. 10-11 der gebende, Kap. 9 der nehmende Teil zu sein. Wie bei den Zusätzen in Kap. 2; 7 und 8 deutet auch in diesem Fall nichts darauf hin, daß es sich in Kap. 11 etwa um literarische Anspielungen handelte, die das Vorangehende voraussetzten. Umgekehrt leuchtet die Auswahl der Begriffe in Kap. 9 von Kap. 11 her unmittelbar ein. Im übrigen setzt Kap. 9 mit der Erwartung der Wiederherstellung des Heiligtums (vgl. 8,14) ein vorgerücktes Stadium des Religionskampfes voraus. Das führt zu dem Schluß, daß Kap. 10-12 die erste, Kap. 9 die zweite Antwort auf das Unverständnis von 8,27b ist.31 Der Anschluß von Kap. 10-12 an 8 ist entweder in 10,1 oder in 10,2 zu suchen. 10,1 ahmt 7,1 nach und greift inhaltlich auf Kap. 1, bes. l,6f.21, sowie auf 6,29 zurück. Anders als Kap. 8 und 9 und die Fortsetzung in 10,2ff ist die Datierung in Erzählform gehalten. Sie soll einen deutlichen, Kap. 7 entsprechenden Neueinsatz markieren. Das paßt weniger gut zu der Fortsetzung von Kap. 8 in 10-12 und dürfte daher auf das Konto der Interpolation von Kap. 9 gehen. 9,1 schließt im Ich-Stil an 8 an, 10,1 ist eine Art Wiederaufnahme, die
28
Vgl. dazu STECK 1980, 272ff. Vgl. KRATZ 1991b, 41f.73. 30 Vgl. 9,21-23 mit 10,1 lf.14.20f; 11,2a; 9,24 mit 11,14; 9,26b mit 11,10.22.26.40; 9,27 mit 11,30-34.36. 31 Vgl. GINSBERG 1954,273-275; HASSLBERGER 1977,397^00. 29
10. Die Visionen des Daniel
239
nach der eingeschobenen Auskunft von Kap. 9 und dem zeitlichen Vorgriff in 9,27 den älteren Anschluß an 8,26f wiederherstellt. Das leitende Prinzip ist offenbar dies, daß die Visionen in Kap. 7 - 9 vor, in Kap. 10-12 nach der längst verstrichenen und in Kap. 9 darum zeitlich gestreckten Wende der 70 Jahre im ersten Jahr des Kyros (2 Chr 36/Esr 1) liegen sollen. Der Anfang in 10,2 schließt dagegen nahtlos an 8,27 an: Daniel fastet, weil er Kap. 8 nicht verstanden hat (vgl. 10,12). Doch das ist nicht die einzige Zutat, die Kap. 10-12 erfahren hat. Die überlange Vision in Kap. 10, die Kap. 11 einleitet, weist in 10,15-11,2a eine Dublette zu 10,2-14 auf.32 Wie 8,18f läßt auch 10,15ff Daniel ein zweites Mal auf die Erscheinung reagieren. Die Scheu gegenüber dem angelus interpres nimmt von Mal zu Mal zu. In 7,15 geht Daniel auf ihn zu, in 8,15.17 geht der Engel auf Daniel zu, der daraufhin zu Boden fallt, in 9,21-23 (8,16) und 10,2ff wird der Engel selbst zur Erscheinung, dessen Reden heftige Reaktionen auslöst (8,18f; 10,9.15ff). In 8,18f ist nach der Erscheinung in 10,2ff und der Reaktion darauf in V. 9-11 eine zweite Reaktion geworden, und nach ihr wiederum ist 10,15ff ergänzt. Innerhalb des ersten Visionsganges 10,2-14 dürfte auch die Zwischenbemerkung 10,7-8.9a, die den Zusammenhang von V. 6 und 9b unterbricht, ein Zusatz sein. Er liegt vielleicht mit der Anfügung von 10,15ff auf einer Ebene (cf. V. 8.16). Schließlich sind auch die Stellen interpoliert, die aus dem angelus interpres einen Völkerengel machen, der Seite an Seite mit Michael gegen die (Engel-)Fürsten von Persien und Griechenland kämpft, hier (noch) keinen Namen hat und in 8,16; 9,21 Gabriel heißt. 10,13 unterbricht die erste Ankündigung der Geschichtsoffenbarung von l l , 2 f f in 10,12.14, 10,14 könnte auch eine sekundäre Wiederaufnahme sein. In 10,20-11,2a zeigen das zweifache nni?" und die zweifache Ankündigung der folgenden Offenbarung in 10,20a; 11,2a die literarischen Nähte an. Entweder wurden nacheinander 10,20aß-21a und 10,21-11,2a ergänzt oder 10,20aß-ll,l in 10,(15-)20aa; 11,2a eingeschoben. Von diesen Stellen nicht zu trennen ist die Heilsweissagung in 12,13. Die Vorstellung vom Kampf der Völkerengel in Kap. 10 und 12 verlegt die Geschichtsschau Kap. 11 in den Himmel und kommt darin mit den - ihrerseits von Kap. 11 abhängigen, Irdisches und Himmlisches vermischenden - Zusätzen in Kap. 7 und 8, bes. 7,21f.25; 8,9f. 11,24f (IDIT • ntö "ItO ^ 1 ) , überein. Nicht nur Antiochus IV., sondern sämtliche Weltmächte kämpfen auf zwei Ebenen, im Himmel und auf der Erde, gegen Gott und das Gottesvolk. Der ursprüngliche Schluß der Geschichtsdeutung liegt in 12,4 und ist in Anlehnung an 8,26b formuliert. 12,5-12 enthält Nachträge, die sich mit der Berechnung des Endes befassen. Die Szene ist nach 8,lf.l5ff.26b; 10,4ff; 12,4 und dem Engelgespräch in Sach 1,10-13 gestaltet, die Frist in 12,7 geht
32
S o DAVID 1993.
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Theokratie und
Eschatologie
auf 7,25 (9,27) zurück, in 12,1 lf werden wie in 8,13f die Tage gezählt. 12,5-9 ist ein erster, 12,10.13 ein zweiter, 12,11 ein dritter, 12,12 ein vierter Nachtrag. 12,10.13 setzt die Einfügung von 12,1-3 voraus. Nach allem bildet folgender Textzusammenhang die ursprüngliche Fortsetzung von Kap. 8: 10,2-6.9b-12(.14) + 11,2-45 + 12,4. Aufgrund des Unverständnisses in 8,27b beginnt Daniel zu fasten und erhält daraufhin eine weitere Vision, wieder an einem Fluß, diesmal am Tigris. Doch die Vision wiederholt nicht das vorher Geschaute, das Daniel nicht versteht, sondern hat den aus 7,15f; 8,15.17 bekannten, mit Zügen aus Ez ausgestatteten angelus interpres zum Gegenstand. Das heißt: Die unverständlich gewordene Deutung selbst wird zum Gegenstand der Vision, die Vision geschieht allein zur Erklärung des vorher Geschauten. Das spricht der Engel in der Anrede Daniels auch aus: 10,11-12(.14). Inhalt der Vision sind die Worte, die der Engel überbringt. Gemeint ist die Geschichtsschau in Kap. 11, die nicht Kap. 8 neu auslegt, sondern die Geschichte fortschreibt. Historischer Hintergrund des Unverständnisses in 8,27b, das zur Fortschreibung treibt, sind die Ereignisse unter Antiochus IV. Die Eingriffe in den Kult und die makkabäische Erhebung sind bereits im Blick (11,31.34). Die Ereignisse sprengen die Voraussagen von Kap. 7-8, zeitlich und sachlich, und bedürfen daher einer eigenen Darstellung. Es ist eine verbreitete Ansicht, daß in Kap. 11 eine ältere Quelle verarbeitet sei. Lebram33 rechnet auch in ihr, vor allem natürlich in 1 l,14.30ff, mit Zusätzen, die im Zuge der Aufnahme in das Danielbuch angebracht worden seien. Das aber ist ganz unwahrscheinlich. Kap. 11 ist zwar die älteste, von allen anderen Nachrichten im Danielbuch unabhängige Darstellung der auf Antiochus IV. zulaufenden Geschichte der Ptolemäer und Seleukiden, setzt aber die Visionen in 7 und 8 voraus. Nur werden die Visionen nicht in ihrer vorliegenden Gestalt, sondern in der Grundfassung vorausgesetzt. Das ist leicht daran zu erkennen, daß in 11,2-4 zunächst der Inhalt der Grundfassung von Kap. 8 in fast gleichlautenden Wendungen rekapituliert wird. Aus den vier Tieren in Kap. 7 und den zwei Hörnern des Widders in 8,3 werden die - im Alten Testament erwähnten - vier persischen Könige, die dem Reich Alexanders und den vier nach den Himmelsrichtungen verteilten Diadochen aus 8,(5-)8.22 vorangehen. Was folgt, ist die Fortschreibung der Geschichte in zwei der vier Himmelsrichtungen, Süden und Norden, bis in die Gegenwart des Verfassers, die Zeit um das ab 11,40 geweissagte Ende Antiochus IV. Die beinahe zeitgleiche Wiedereinweihung des Heiligtums findet (noch) keine Erwähnung. Es ist an dieser Stelle nicht möglich, den Formulierungen und Aussagen, die der Text über die Diadochen und ihre Bedeutung für Palästina im 3. und 2. Jh. v.Chr. macht, im einzelnen nachzugehen. Doch soviel sei gesagt: Die sprach33
LEBRAM
1984,112.
10. Die Visionen des
Daniel
241
lieh ziemlich monotone Geschichtsdarstellung mag sich an Vorbildern orientiert haben, dürfte aber in einem Zuge und von vornherein für den Kontext des Danielbuches verfaßt sein. Dafür sprechen nicht nur die literarischen Anschlüsse in 10 und 11,2—4, sondern auch die Anspielungen auf andere biblische Schriften, bes. das Jesajabuch,34 die den Zweck haben, daß die Schriften sich gegenseitig erklären: Was Jesaja geweissagt hat, vermag die unverständliche Vision von Dan 8 zu klären, und Dan 11 klärt, wer und was in der jesajanischen Prophetie über Assur und Ägypten gemeint ist. Kap. 10-12 sind daher nicht nur ein Pescher über Kap. 8, sondern versteckt auch über einige für den Verfasser höchst aktuelle Weissagungen der älteren Propheten.
V. Die 70 Jahre Jeremias (Dan 9) Nicht versteckt, sondern ganz offen ein Pescher ist Kap. 9, das sich nachträglich zwischen Kap. 8 und 10-12 geschoben hat. Hier wird die Schriftstelle beim Namen genannt, über die Daniel nachdenkt: Es sind die 70 Jahre von Jer 25,1 lf; 29,10. Dan 9,1-2 zitiert die Stelle, 9,24.25-27 legt sie aus. Als Überleitung dient das Gebet Daniels in V. 3, das in V. 21-23 erhört und in V. 4-20 in extenso wiedergeben wird. Bei dem Gebet handelt es sich nicht, wie oft angenommen, um ein Traditionsstück, sondern um eine literarische Bildung, die entweder gleichzeitig mit 9,1-3.21-27 oder auch nachträglich in den Kontext geschrieben wurde. Außer den beiden Jeremiasteilen sind Sach 1,12 (7,5) und 2 Chr 36,21 (Lev 26,31 ff) berücksichtigt. Auf die erste Stelle führen die „Trümmer Jerusalems", auf die zweite die „Erfüllung" der Prophetie und die in 9,24-27 folgende Qualifizierung des Zeitraums als Sabbatjahre. Anlaß zur Nachfrage ist die Gleichsetzung der Ereignisse unter Antiochus IV. mit dem Datum 587 v.Chr. Dadurch wird die Zahl der 70 Jahre zum Problem. In Jeremía gelten sie als Zeit Babels, und in 2 Chr 36,22f/Esr 1 ist daraus und aus der Rückdatierung des Tempelbaus von Sach 1,12; 7,5 die Heilswende im „ersten Jahr des Kyros" abgeleitet. Das Problem tritt auf, da auch Dan 1 (und 6,29) den chronistischen Rahmen der 70 Jahre für Babel bis zum ersten Jahr des Kyros zugrunde legt.35 Die sich anbahnende Heilsverzögerung macht sich in der Datierung 9,1 bemerkbar: Unter dem Achämeniden Dareios aus medischem Geschlecht, der als König über die Chaldäer eingesetzt ist, ist die Zeit Babels bereits überschritten und steht das erste Jahr des Kyros unmittelbar bevor. Dan 9 löst das Problem, indem es die 70 Jahre inhaltlich neu füllt und auf 34
Vgl. die Verwendung von (-Qin) in Dan 11,10.22.26.40 (9,27) nach Jes 8,8; 28,2.15ff; Dan 11,36 mit Jes 10,22-27; Dan 10,14; 11,27.35 mit Hab 2,3; auch Dan 11,30 mit Num 24,24 und dazu die Hinweise oben Anm. 11; ferner KRATZ 201 ld, 195f.266. 35
Vgl. KRATZ 1991b, 38^10.261-267.
242
Theokratie und Eschatologie
dieser Basis neu berechnet. Zum einen wird die Frist im Sinne der deuteronomistischen Theologie auf Israel selbst bezogen und als Zeit der Sünde und des anhaltenden Zorns gesehen. Das geht aus 9,24 hervor und wird in dem Gebet 9,4—20 kongenial ausgeführt. Zum anderen werden die 70 Jahre im Sinne der Sabbatjahre zeitlich auf 70 Jahrwochen gestreckt. Die Einteilung in 7 + 6 2 + 1 setzt sich zusammen aus 49 Jahren für Babylon (die ursprünglichen „70 Jahre" von 587 bis 539 v.Chr.), den 62 Jahren des Meders Dareios in 6,1 und der verbleibenden letzten Jahrwoche, die noch einmal geteilt wird, wobei nicht klar ist, ob die Aufhebung der Opfer in die erste oder in die zweite Hälfte der Woche fällt. Der „Bund der Vielen" muß eine ganze Woche durchhalten. Wie man auch rechnet, man trifft nie genau die Zeit zwischen 167-164 v.Chr., auf die sich Kap. 9 in besonderer Weise konzentriert. Kap. 9 mißt dem in Kap. 7-8 und 10-12 geweissagten, in 9,26f aus 11,31-35.36 zitierten und mit dem Datum der Tempelzerstörung 587 v.Chr. korrelierten Geschehen unter Antiochus IV. offenbar eine - auch zeitlich - weiter reichende Bedeutung zu. Man kann sogar fragen, ob die Wiedereinweihung des Tempels, die 8,14 und 9,24 - anders als Kap. 11 - in Aussicht stellen, schon der Vergangenheit angehört, das Ende aber immer noch aussteht. Das Heil in 12,1-3.13 hat jedenfalls einen weiteren Horizont. Auch Dan 9 ist als Fortsetzung der Vision in Kap. (7-)8 konzipiert, auf die in 9,21 ausdrücklich verwiesen wird. Der Nachtrag Gabriels in 8,16 ist vorausgesetzt, beide Stellen nennen den Deuteengel von Kap. 10 beim Namen. Doch im Unterschied zu Kap. 11-12 geht es nicht um die historischen Ereignisse der Endzeit, sondern speziell um die Zerstörung Jerusalems und des Heiligtums und die zeitliche Erstreckung der Unheilszeit. Die Frage entzündet sich an der vagen Auskunft in 8,26b. Wie 12,8 bezieht der Verfasser von Kap. 9 das Unverständnis von 8,27b auf den Termin des Endes. Auf der Suche nach einer Antwort stößt er über Dan 1 auf die 70 Jahre in Jeremia, die ihrerseits nicht ohne weiteres verständlich sind und sich erst durch eine Zusatzoffenbarung erschließen. Das Rätsel um das Wort Jhwhs in Jeremia (9,2) kann nur ein weiteres, aktuelles „Wort" lösen (9,21-23). „Wort und Gesicht" in 9,23, auch hier eine Antwort auf Fasten und Beten, treten an die Stelle der Wortoffenbarung von Kap. 10-12, die darum in 10,1 eine neue, mit Kap. 9 konvergierende Überschrift und im Gesamtzusammenhang der Visionen eine neue Funktion erhält. Die beiden Überschriften in 9,1 und 10,1 greifen das Schema der vier Reiche aus Dan 1-7 auf und sind für die chronologische Zweiteilung des Buches in Dan 1-6 und 7-12 verantwortlich. Sachlich bringen sie die Verzögerungsproblematik der 70 Jahre zum Ausdruck, indem 9,1 kurz vor und 10,1 kurz nach der chronistischen Heilswende im ersten Jahr des Kyros datieren. Der stilistische Neueinsatz in 10,1, der 7,1 entspricht, teilt die Visionen in zwei Durchgänge, Kap. 7-9 und Kap. 10-12. Kap. 9 beschließt den ersten Durchgang mit der Berechnung des vorher geschauten Endes, Kap.
10. Die Visionen des Daniel
243
10-12 füllen diesen Zeitraum materialiter aus. Die Vorwegnahmen von Kap. 10-12 in 9,21—2736 tragen dazu bei, einen adäquaten Ersatz für die ursprüngliche Erklärung von Kap. 8 in 10-12 zu schaffen und die folgende Geschichtsweissagung vorzubereiten. Dabei bekommen sowohl die Visionen in 7-8 als auch die Geschichtsschau 10-12 einen neuen theologischen Stempel aufgedrückt. Anhalt dafür bot die nicht von ungefähr in 9,27 zitierte Exegese von Jes 10,22-27 in 11,36. Auch 8,13.19.23 deuten die theologische Zuspitzung der Visionen in Kap. 9 an. Doch erst in Kap. 9, und nur hier, setzt sich in der Interpretation des Zeitraums unter den vier Reichen bis und mit Antiochus IV. die auch in Esr 9, Neh 1 und 9 und an vielen anderen Stellen greifbare, deuteronomistisch geprägte jüdische Theologie des 2. Jh.s v.Chr. durch, die, wie Steck nachgewiesen hat,37 die Endgestalt des Buches Daniel beherrscht.
VI. Schluß Machen wir uns zum Schluß noch einmal kurz den Werdegang der Visionen des Daniel klar. Den Anfang bildet die Anfügung von Kap. 738 an Dan 1-6, die die ältere Sammlung der Danielerzählungen ins Eschatologische wendet. Es folgen die Anfügung von Kap. 839 an Kap. 1-7, die die aramäische Vision Kap. 7 ins Hebräische übersetzt und aktualisiert, sowie die Anfügung von Kap. 10-1240, die Kap. (7-)8 bis ins 2. Jh. v.Chr. fortschreibt. Auffallend ist das von Mal zu Mal zunehmende Interesse an dem einfachen Gang der Geschichte. Während sich Dan 7 noch ganz in der Metaphorik und Sprache von Dan 1-6 bewegt und Weltreich und Gottesreich gegenüberstellt, wendet sich Kap. 8 nur noch den Weltmächten, Kap. 10-12 den Details der Tagespolitik zu. Hand in Hand damit geht allerdings die wachsende Bedeutung der himmlischen Vermittlung von Vision und Deutung. In Kap. 10-12 wird der himmlische Vermittler selbst zum Gegenstand der Vision, an die Stelle von Vision und Deutung tritt das vermittelte Wort. Leitend ist nicht das antiquarische, sondern das theologische Interesse. Da das Gottesreich weder in der Geschichte (Kap. 1-6) noch im Anschluß an die Geschichte der vier Weltreiche (Kap. 7) zu erkennen war, wurde die immer unerträglicher werdende Geschichte selber in jeder Einzelheit der Vorbestimmung Gottes zugeschrieben. Die Weltreiche schalten und walten nach eigenem Belieben und mit Erfolg, aber genau dies geschieht nach Gottes Plan. Alles, was auf Erden passiert, ist 36
Siehe oben Anm. 30.
37
V g l . STECK 1980,
38
278-286.
7,l-7ba.9-10.1 lb.(12.)13-14.15-16.17-18.(19.23.26.27.)28a; auf einer Ebene damit 2,laa.(27-)28aßyb.(34f.)39(nur NTV^n, Klön] 'l).40.41aß-ba.42a.44. 39 8,1 (2.)3-8.15.17.20-22.26b.27a. 40 10,2-6.9b-12(.14); 1 1 , 2 - 4 5 ; 12,4.
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Theokratie und
Eschatologie
von Gott gewollt, alles ist so, wie es passiert, dem Seher durch den Deuteengel im voraus offenbart, alles signalisiert, sobald es passiert, das erwartete Ende. 9,1-10,1 teilt diese Sicht der Dinge, fügt ihr aber eine neue Begründung und die Berechnung des Endes hinzu. Der Gang der Geschichte ist, wie er ist, weil Israel sich noch im Status der Sünde und des seit 587 v.Chr. andauernden Gerichts befindet. Die Geschichte der Weltreiche ist die Fortsetzung der Zerstörung Jerusalems und des Heiligtums und daher die Strafe Gottes für die Sünden seines Volkes. Kap. 9 zerschneidet den ursprünglichen Zusammenhang zwischen Kap. 8 und 10-12 und schließt die beiden Visionen in Kap. 7 8 ab. Kap. 10-12 führen danach nur noch im einzelnen aus, was in 7-9 vorausgesehen und vorausgesagt ist. Möglicherweise ist dies der Anlaß für weitere Auffüllungen des Texts, die aber auch schon vor der Einschaltung von Kap. 9, nach der Anfügung von 10-12, begonnen haben mögen. Sie blähen den Visionsempfang weiter auf,41 tragen die historischen Details der letzten, entscheidenden Phase der Geschichte vor dem erwarteten Ende in die Visionen zurück,42 transportieren das Geschehen auf der Erde in den Himmel43 und zählen die Tage bis zum Ende.44 Daß viermal hintereinander auf verschiedene Weise ungefähr dasselbe gesagt ist, erklärt sich also aus dieser Nachgeschichte der sukzessive angewachsenen Visionen. Die vielen Zusätze gleichen die Visionen und nach dem Einschub von Kap. 9 die beiden Durchgänge in Kap. 7-9 und 10-12 aneinander an und geben dem in Kap. 10-12 offenbarten Lauf der Geschichte zusätzliches theologisches Profil.
41 8,16.18-19; 10,7-9a. 15-20aa.21 a (oder 11,2a). Einfluß von Kap. 9 ist in 8,16.18f wahrscheinlich. 42 2,41aa.bßy.42a (nur nB^K1).b.43; 7,7bß.8.1 la.20-22.24-25; 8,9-12.23-25. Einfluß von Kap. 9 ist in 7,21f.25 sowie 8,1 lf.23 wahrscheinlich. 43 10,13; 10,20-11,1; 12,1-3. 44 7,25; 8,13f; 12,5-13. Die Frist in 7,25; 12,7 ist von 9,27, das Zählen der Tage von den dreieinhalb Zeiten abhängig.
11. Die Gnade des täglichen Brots Späte Psalmen auf dem Weg zum Vaterunser'
„Der Brot gibt allem Fleisch, ja seine Güte währet ewig" lautet das Lob Gottes im Psalter (136,25) - „unser täglich Brot gib und heute" lautet die Bitte des Vaterunser in der wohlvertrauten Übersetzung Martin Luthers. Daß das eine mit dem anderen nichts zu tun hätte, ist kaum anzunehmen. Theologisch besteht kein Unterschied. Der Hymnus wie das Bittgebet (vgl. Mt 6,8) bringen je auf ihre Weise die unbedingte Angewiesenheit des Menschen auf Gott zum Ausdruck, und dies nicht von ungefähr hinsichtlich des elementarsten Grundbedürfnisses des Lebens überhaupt, der Versorgung mit Nahrung, die alles andere als selbstverständlich ist, nicht nur, wo Mangel an Nahrungsmitteln herrscht, sondern erst recht, wo solche reichlich zur Verfügung stehen. Doch nicht nur dem Sinn, sondern auch der Form nach stehen sich beide Aussagen näher, als es auf den ersten Blick scheinen mag. Ob Lob oder Bitte, in beidem, dem Psalm wie dem Vaterunser, hat das christliche Gebet seine Sprache gefunden, eine Sprache, die Gott und den Menschen in allen seinen Lebensbezügen zusammenführt, Gott dem Menschen näher und den Menschen Gott nahe bringt.2 So besteht hinreichend Anlaß, den sprachlichen und theologischen Gleichklang genauer zu erkunden und nach den theologiegeschichtlichen Zusammenhängen zwischen Altem und Neuem Testament zu fragen, die sich in ihm vernehmen lassen. Nach einer ersten Orientierung im Alten Testament (I) wenden wird uns sogleich dem Ende der Entwicklung im Neuen Testament zu (II), um von hier zurückzublicken und zu prüfen, wie es vom einen zum anderen gekommen ist (III—VII).
1
Ausgeführte Fassung meiner am 14.12.1990 gehaltenen Probevorlesung vor der Theologischen Fakultät der Universität Zürich. 2 Vgl. für diesen Zusammenhang EßELING 1979, 209f; zur zentralen Bedeutung des Vaterunser in der christlichen Rezeption die Hinweise bei LUZ 1985, 337ff.352, sowie unten Anm. 108.
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Theokratie und Eschatologie I
I m A l t e n Testament w e i s e n die e i n s c h l ä g i g e n B e l e g e z u m T h e m a vor allem in den B e r e i c h der Psalmen; locus classicus und wahrscheinlich ältester B e l e g ist hier Ps 104: Der Gras sprossen läßt für das Vieh und Saatgrün für die Feldarbeit des Menschen, 3 um Brot aus der Erde hervorgehen zu lassen, und Wein erfreue des Menschen Herz, um das Antlitz leuchten zu lassen von Öl, und Brot stärke des Menschen Herz (V. 14f),4 U n d im weiteren die berühmten Sätze: Sie alle warten auf dich, daß du ihre Speise gibst zur rechten Zeit; gibst du ihnen, lesen sie auf, öffnest du deine Hand, sättigen sie sich an Gutem (V. 27f). W i e die e i n z e l n e n Verse richtet der g e s a m t e Psalm sein A u g e n m e r k unmittelbar auf P h ä n o m e n e in der Welt, die v o n Gottes Erhaltung und fürsorglicher Bewahrung, j a steten Erneuerung 5 dieser W e l t und des Lebens auf ihr z e u g e n und den Psalmsänger zu s e i n e m Lobpreis veranlassen. A u c h die A u s s a g e n über die Erschaffung der W e l t durch Gott i m A n f a n g , m ö g e n sie ursprünglich oder zugesetzt sein, 6 sind auf diesen A s p e k t hin ausgerichtet, 7 w i e i m besonderen aus d e m resümierenden Abschnitt g e g e n Ende des Psalms (V. 2 7 - 3 0 ) erhellt. Er bezieht sich deutlich auf die unmittelbar vorausgehenden A b schnitte über das L e b e n zu Land (V. 1 0 - 2 3 ) und zu W a s s e r (V. 2 5 f ) zurück 8
3
Zur Übersetzung von 'sb (Saat/Saatgrün) und 'bäh (Ackerdienst/Feldarbeit) vgl. etwa KRAUS 1978, 877.879 (Note i). 4 Zum (finalen) Sinn der schwierigen Konstruktion in V. 14b. 15, die hier bewußt etwas holprig, dafür offen wiedergegeben ist, vgl. die Komm., bes. DELITZSCH 1894, 638.642; DUHM 1899, 243; GUNKEL 1926, 455. Zur Frage des Subjekts der Infinitive im folgenden. 5 Vom Menschen V. 30a, von der Erde V. 30b. 6 Vgl. SPIECKERMANN 1989, 21ff (angezweifelt werden V. 1.5-9.12f.l9.24*.25f.31f. 34f). Zur Frage der Vorgeschichte schon CRÜSEMANN 1969, 285ff; AUFFRET 1981b, 175ff. 198ff und 221ff in Auseinandersetzung mit Crüsemann. Zur Analyse vgl. jetzt KÖCKERT 2000; KRATZ 2004a, 32f; MÜLLER 2008, 21 lff. 7
Vgl. STECK 1978a, 251f.253f. klm in V. 27 etc. bezieht sich genaugenommen auf alle vorher (in V. 5-24) genannten, auf Nahrung angewiesenen Lebewesen der Erde (Menschen, Tiere, aber auch Berge V. 13a und Bäume V. 16, kurzum: die ganze Erde V. 13b), mithin auf „deine Werke" bzw. „deine .Schöpfungen'" in V. 24, jedenfalls in der Endgestalt auch auf die des Meeres (V. 25f), die 8
11. Die Gnade des täglichen Brots
247
und ist bestimmend für die Anlage des ganzen Texts.9 Versorgung allen Lebens, vor allem der Menschen, aber auch der Tiere, mit Nahrung und zugleich Entzug wie Vergabe von Leben bilden danach die Grundkonstante, die der Psalmist in der dreigeschossigen Welt (Himmel - Erde - Meer) und in ihr bei Gott wahrnimmt, zum Ruhme Gottes wie zur eigenen Freude. Mit dieser Wahrnehmung Gottes als Lebensspender unmittelbar im Beobachten der Natur und ihrer Abläufe bewegt sich der Psalm bekanntlich in den traditionellen Bahnen altorientalischer Hymnik und Weisheit.10 So begegnet denn auch in der wohl berühmtesten und nächsten Parallele, dem ägyptischen Aton-Hymnus von Echnaton (Amenophis IV.) aus der Amarna-Zeit (14. Jahrhundert v.Chr.),11 wie in vielen anderen Beispielen derselben Tradition, aber auch in solchen mesopotamischer Herkunft die ausreichende Versorgung mit Nahrung als ein herausragendes Merkmal des von Gott gewährten Lebens als unverfugbarer Gabe.12 Die Dominanz des Themas beruht auf der konkreten Erfahrung, daß die Welt einer vom Menschen in ihren Grundlagen noch nicht ernsthaft in Frage gestellten guten Ordnung folgt (vgl. in Ps 104 demgegenüber gerade nur V. 35), in der jedes Einzelphänomen seinen festen, für das Tiere und wohl auch die Menschen auf den Schiffen. Vgl. dazu STECK 1978a, 249 Anm. 18; SPIECKERMANN 1989, 42. 9 Zur Anlage des Psalms in seiner vorliegenden Fassung vgl. AUFFRET 1981b, 137ff. 175ff, bes. 179ff zur Rahmenstellung von V. (1-9 und) 27ff; STECK 1978a 247ff.250ff, bes. 248ff.250f zur zentralen Bedeutung von V. 27-30 (Lebensversorgung und Lebenszeit) fürs Ganze: Luftraum in V. 2—4; Schaffung von Lebensräumen Erde/Meer V. 5-9; verschiedene Lebensräume V. 10-12.13-18 und entsprechende Zeiträume V. 19-23 auf der Erde; Lebensraum Meer V. 25f. Etwas anders SPIECKERMANN 1989, 43ff, der seine drei Teile stärker voneinander abhebt und theologisch entsprechend gewichtet: I V. Gottes Gegenwart (Gott); II V. 10-23* Die gute Ordnung auf der Erde (Welt); III V. 24-33*, bes. V. 29f Gott als Herr über Leben und Tod (Mensch - Gott). 10 Zur „Weisheit" in Ps 104 vgl. bes. HERMISSON 1978, 47ff.51ff, sowie STECK 1978a, 242f Anm. 6; 244 Anm. 8. 11 Vgl. dazu die Hinweise bei STECK 1978a, 244f Anm. 9; SPIECKERMANN 1989, 31 Anm. 28; 38f; 40 Anm. 48; 41 Anm. 53; 44 mit Anm. 59; 47f; ferner AUFFRET 1981b, 255ff.279ff; JANOWSKI 1989, 27f. Im Blick auf unser Thema bemerkenswert ist die Zeichnung der Nachttiere, nicht als Repräsentanten der Todessphäre (vgl. ÄHG Nr. 92,33f), sondern als Zeugen des Lebens; vgl. zuletzt Jörg JEREMIAS 1990, 21f mit Anm. 22; 23. 12 Vgl. im Echnaton-Hymnus ÄHG Nr. 92 Z. 45.46-58 (gefolgt von der Lebensvergabe Z. 59ff wie Ps 104,27f.29f). 85f sowie 90ff (Bewässerung). 105ff (Vegetation, Jahreszeiten) und aus demselben Umkreis Nr. 89,33(.39 gemäß Anm. S. 556).46; 95,37; ferner etwa die in BEYERLIN (Hg.) 1975, 40ff.52f aufgeführten Belege = ÄHG Nr. 87,17.38.67.111-120.148 und 195,92.121-123.170f samt Parallelen 78,6f; 88,55ff; 101,8ff; 129,79f.82f; 141,14-16; auch BEYERLIN 1975, 70-72. Im mesopotamischen und syrischen Bereich dominiert das Motiv der Fruchtbarkeit (durch Regen etc.) zum Zwecke der Ernährung von Göttern und Menschen: Vgl. in bezug auf Ps 104 die Hinweise bei GUNKEL 1926, 450 und BEYERLIN 1975, 104-106; ferner SAHG, 60f.76f.l 10 sowie 224.250 und bes. 303 (für Götter). 307 (für die Menschen). 311 (wohl für alle).
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Theokratie und
Eschatologie
Funktionieren des Ganzen sinnvollen Ort hat. Hinzu kommt die israelitische Rezeption der altorientalischen Tradition, die konsequent zwischen dem transzendenten Gott als dem Schöpfer und Herrn der Welt und der entdämonisierten Welt selbst unterscheidet. Damit waren in Israel die günstigsten Voraussetzungen gegeben, um sich in aller Unbefangenheit und freudiger Hingabe, ohne Scheu und mit großer Liebe zum Detail der Beobachtung der von Gott gelenkten Natur, ihrer Abläufe und Einzelphänomene widmen zu können.13 Im Rahmen von Ps 104 verschafft sich so auf spezifisch tempeltheologische Weise Ausdruck, was auf ihre geschichtstheologische Weise auch die dtn.dtr. Konzeption von der Gabe des Landes als Lebens- und Ernährungsgrundlage,14 meist in Auseinandersetzung um den wahren Spender des Regens und der Fruchtbarkeit,15 vertritt: Leben und lebenserhaltende Güter kommen von Jhwh, dem höchsten Gott im Tempel zu Jerusalem, wie die einen, dem alleinigen Gott Israels, wie die anderen sagen würden. Im Blick auf den Fortgang der Untersuchung ist noch auf zwei Einzelfragen einzugehen. Die eine betrifft das Verhältnis von Gottes Tun und des Menschen Zutun bei der Hervorbringung von Nahrung und ist schon ein Problem der Grammatik So ist nicht ohne weiteres ersichtlich, wer als Subjekt der beiden finalen Infinitive in V. 14f zu gelten hat, zumal es auch in V. 15aa.b noch einmal wechselt: Gott, der das Feld sprießen läßt, oder der Mensch, der es zu bewirtschaften hat.16 Für das eine (Gott als Subjekt) sprechen V. 27f und die Tradition. Für das andere spricht V. 23, wo als Tagewerk des Menschen der Ackerbau genannt ist, der im Rhythmus der Zeit, abwech-
13 Zu den beiden Aspekten der „Erfahrung" und der Unterscheidung von „Gott und Welt" vgl. STECK 1978a, 242f.243ff. Aus beidem wird die scheinbar profane Weltwahrnehmung der Erfahrungsweisheit verständlich; vgl. Prov 6,6-8; 12,9.11; 19,15; 20,13; 24,30ff; 27,(23-)27; 28,19; 30,25; 31,14f(27) (theologisch motiviert 3,9f; 10,3; 13,25; 19,23), anders Koh 9,11. Die nächste Parallele zur detaillierten, positiven Naturbeschreibung in Ps 104 bilden die Gottesreden im Hiobbuch (vgl. hier 38,26f.39^tl; 39,29f; ferner 36,30f; 28,5), die im Kontext des Buches freilich eine ganz andere Funktion haben (s. u. III). Vgl. dazu Jörg JEREMIAS 1990, 20ff.24f. 14 Es ist das „Land, wo Milch und Honig fließt" (Ex 3,8 u.ö.), vgl. bes. Dtn 11,1 Off; 26,1 ff; 33,13ff sowie Lev 26,4f.20.26 und dazu ZIMMERLI 1975, 56-58; für den Zusammenhang mit dem Manna in der Wüste gemäß Dtn 8 (bes. V. 9, weitere Belege zu Brot und Manna/Land unten Anm. 21f) PERLITT 1981, 406f.410. 15
Vgl. zu diesem Aspekt der in Anm. 14 genannten Stellen (sowie Jer 5,24 und bes. Hos 2) W. H. SCHMIDT 1990, 166ff, bes. 168f; DERS. 1966, 61f; ferner BRONNER 1968, 65ff. 77ff. Aussagen wie Ps 104,13f.23; Hi 38,24ff, aber auch Ps 65,5.lOff (Segen/Fruchtbarkeit vom Tempel aus) sind ebenfalls vor diesem Hintergrund der kanaanäisch-israelitischen Auseinandersetzung zu sehen. 16 Die Frage wird in den Kommentaren kaum gestellt; nur DELITZSCH 1894, 642, spricht sich eindeutig für Gott als Subjekt aus, DUHM 1899, 243, verbindet die beiden Infinitive im gleichen Sinn mit V. 13a. Zur Spannung vgl. bes. SPIECKERMANN 1989, 35f.
11. Die Gnade des täglichen Brots
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selnd mit dem nächtlichen Schreien des Löwen zu Gott nach Beute, ebenso wie die Feldarbeit in V.14 die Erzeugung von Nahrung zum Ziel hat. Wenn es sich nun aus verschiedenen Gründen nahelegt, in V.14b.l5aß Gott als Subjekt beizubehalten,17 löst sich also die Spannung im ganzen Psalm damit nicht auf. Dem Menschen geht es dabei nicht viel anders als dem Löwen: Muß der seine ihm von Gott zugedachte Beute selbst erjagen (V. 21f), so fällt auch für den Menschen das Brot nicht vom Himmel, sondern will erarbeitet sein.18 Gottes Gabe zeigt sich dann in der Ermöglichung solcher Arbeit und im reichen Ertrag, so daß das Produzieren zum Empfangen wird. Die zweite Frage betrifft das Lexikalische. Auch wenn das Vaterunser nicht von ungefähr gerade das „Brot" als das einfachste Grundnahrungsmittel nennt, darf die Untersuchung sich nicht allein auf dieses Lexem beschränken. „Brot" steht im Vaterunser gewiß nicht für sämtliche Bedürfnisse des täglichen Lebens,19 wohl aber für die Nahrung überhaupt. In Ps 104 begegnet die traditionelle Trias „Brot (Korn) - Wein - Öl", die im Alten Testament wie im übrigen Alten Orient die Grundnahrungsmittel bezeichnet20 und hier (in V. 14f) in besonderer Weise aufs „Brot" {Ihm, in LXX meistens dpTos, zuweilen aber auch Tpo^rj), 2 1 in V. 2 7 f auf die „Speise" ('klh, in L X X wieder-
17 Der „Mensch" ist Objekt in V. 15aa.b, ebenso in V. 15aß („Gesicht" des Menschen); demnach dürfte das Subjekt in beiden Fällen von ihm, für den und an dem etwas geschieht, verschieden sein. Hinzu kommt der sachliche Zusammenhang mit V. 14a und 13: Nach der notwendigen Voraussetzung des Regens (V. 13a.b für V.14f. 16-18 wie V. 10 für V. l l f und von der Zeit V. 19 für V. 20-23) legt V. 14a die Bestimmung der von Jhwh durch den Regen bewirkten Vegetation fest, den einfachen Genuß für das Vieh (V. 14aa wie V. 1 lf. 16—18), den Ackerbau für den Menschen; die finalen Infinitive und Verbalsätze V. 14b. 15 erscheinen so als Verlängerung der göttlichen Bestimmung für den Menschen, immer noch abhängig von msmyh ... 'sb und parallel (nicht etwa subordiniert) zu l'bdt h'dm in V. 14a. Jhwh läßt das Feld durch den Menschen bewirtschaften und bewirtschaftet es darin - zum Erhalt wie zur Freude des Menschen - doch selbst. Des näheren dürften die Verse so angelegt sein, daß V. 14b (nach 14a) Obersatz ist, der durch die Trias in V. 15 mit Inklusion „Brot" ausgeführt wird, was freilich nicht mit der syntaktischen Anlage (im Parallelismus) übereinstimmt; vgl. zur Frage die Hinweise oben Anm. 4 sowie AUFFRET 1981b, 151-153; RAVASI 1985, 117f; SPIECKERMANN 1989, 35f Anm. 36. 18 S. die Parallelen in der Weisheit oben Anm. 13, bes. die „Ameise" Prov 6,6ff; 30,25. Zum Stellenwert der Arbeit als Gabe Gottes SPIECKERMANN 1989, 36 Anm. 37. 19 So Luther im Kleinen Katechismus und danach STRECKER 1985, 123 mit Anm. 71. 20 Vgl. SPIECKERMANN 1989, 35 Anm. 36 mit Verweis auf E. Kutsch. 21 In den Psalmen: 78,20.25; 104,14f; 105,40; 132,15; 146,7; 147,9, dazu 37,25; 127,2. Vgl. im übrigen: Prov 30,8f; vom Manna (wie Ps 78; 105) öfter in Ex 16 (wie dort V. 8.12 auch 1 Kön 17,6); Num 21,5; Neh 9,15; Dtn 8,3; vom Land Lev 26,4f.26; Num 15,18f; Dtn 8,(3.)9; auch 2 Kön 18,32 = Jes 36,17; für den Fremdling Dtn 10,18; ferner Vergabe oder Entzug (Mangel) in Jes 3,1(.7); 30,23; 33,16; 51,16 (übertragen 30,20; 55,lf.l0f); Jer 5,17; 37,21; 38,9; 52,6; Ez 4,9ff bes. V. 16 wie noch 5,16; 14,13 (und Lev 26,26; Ps 105,16, ähn-
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Theokratie und Eschatologie
g e g e b e n mit ßpwcris oder Tpo avjovs ¿Trdpxeiu Qeoi>s\ ttös ovv voßi$r hglh nbwkdn'sr myrwilm bblh) zu ersetzen scheint, ist damit aber nicht identisch und daraus also auch nicht vollständig abzuleiten. Des Rätsels Lösung liegt darum vielleicht im semitischen Original, das entweder wie Est 3,14; 4,8; 8,13 - hebräisch ptign hktb (G avTiypa^oy Tfjs euicjToXfjs')28 oder aber - wie Esr 4,11; 5,6 und entsprechend der Wiedergabe von Jer 29,1 im Targum von Jer 10,11 - aramäisch prSgn 'grt' (oder spr')29
27
Kai OSTOI. ol XöyoL TOÜ ßißXiov, oüs ... ist Wiedergabe von w'lh dbry hspr 'ir ... in Jer 29,1 M, anders als G, der hier (wie Bar 1,3; 4,1) ßißXos, in Jer 29,29 hingegen (wie Bar. 1,1.3.14) ßißXCov für spr hat. 28
Vgl. auch (ohne überlieferte Vorlage) Est 3,13 a (B 1); 8,12 a .12 s (E 1.19) sowie 3 Esr (Esdras A) 6,7; 8,8, u.ö. in 1 Makk. 29 Das demzufolge für die in Jer 10,11 T (s.o. Anm. 9) offenkundig zitierte Formulierung in Jer 29,1 selbst (hier hat T ptgmy spr') stehen kann, in der Septuaginta freilich nie mit
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Die
Haggada
gelautet haben könnte. Demnach wäre der Titel von EpJer eine freie, das w'lh dbry hspr 'Sr ülh yrmyh interpretierende (ursprünglich hebräische oder aramäische) Wiedergabe von M. Ihr Sinn könnte darin bestehen, die Schrift eigens als Appendix des Jeremiabuchs auszuweisen, indem der Brief, der wie ja auch Jer 29 - in der Originalfassung schon in den Händen der babylonischen Gola ist, nun eben in einer palästinischen „Abschrift" dem Jeremiabuch, und hier vielleicht speziell dem - ebenfalls verschickten und wie Jer 29 gleichwohl ins Buch aufgenommenen - „Serajabuch" von Jer 51,59ff (im jetzigen Kontext ist das wohl Jer 50f) angehängt wird. Der Form nach ist EpJer ebenso viel oder wenig ein Brief 50 wie Bar und Jer 29 selbst. Das übliche Präskript, das die Adresse mit Angabe von Absender und Empfänger, Grußformel und zuweilen Datierung sowie den meist durch „Und nun" (anders EpJer 3) markierten Übergang zum Briefkorpus enthält, ist hier überall mit einer erzählenden Einleitung zusammengeflossen, die alles Folgende als Wortlaut oder Abschrift eines Briefes (Buches) bezeichnet und mehr oder weniger ausführlich über die Umstände seiner Entstehung und Überbringung orientiert.31 Es handelt sich um eine literarische Fiktion, die außer in der Überschrift auch in der direkten Anrede (2. pl. in V. 1 - 6 sowie im Refrain V. 14.22.28.64.68.71) und vielleicht noch im Futur von V. 22 und 71 (gemäß V. 1-6) durchgehalten ist. Dabei entsprechen sich im Übergang von der erzählenden Einleitung zur wörtlichen Rede Jer 29,l-3.4ff und EpJer Überschrift + V. 1 ff.32 Ansonsten aber dominiert der unpersönliche, traktatartige Stil der Götzenpolemik. Nur ist darum die künstliche Stilisierung als Brief keineswegs überflüssig: Die allgemeinen Darlegungen richten sich sowohl der fiktiven Situation wie auch der Sache nach speziell an die in der Überschrift und V. 1 - 6 genannte Adresse der babylonischen Gola und können daher nicht einfach nur als beliebig übertragbare Polemik gegen Fremdgötter und ihre Bilder überhaupt verstanden werden.
dim-ypa^ov, sondern mit r| SiaTayri -rrjs emaToXfjs (Esr 4,11) bzw. 8L,aadriCTLs 6TTL(jToXf)s (Esr 5,6; vgl. auch 4,23; 7,11) wiedergegeben wird. 30
Vgl. METZGER 1957, 95: „Contrary to its title and opening sentence (1:1), this little pamphlet is not a letter ...", ein vor- und nachher oft wiederholter Satz. GUNNEWEG 1975, 185 sieht in der Briefform das Mittel zur Erlangung jeremianischer Autorität und stellt damit das hermeneutische Selbstverständnis auf den Kopf: Nicht die Erlangung eigener, sondern die Anerkennung der schon vorgegebenen prophetischen Autorität bestimmt die produktive Aneignung autoritativer Texte. 31 Eine gewisse Parallele stellt der formlose Eingang des Memorandums APFC 32 (COWLEY 1923, 123) dar; einleitenden Bericht und im Brief selbst enthaltene Adresse (wie etwa Esr 4,6-11.17; 5,6f; 7,1 l f u.ö.) haben hingegen syrBar 78,lf; ParJer 6,16f (anders 7,23). Vgl. ALEXANDER 1984, 579-596, 581 mit Anm. 13; 584f Anm. 26. 32 Allein diese Entsprechung zeigt, daß die Überschrift von EpJer ursprünglich dazugehört. Vgl. zur Diskussion A P O T I (C. J. BELL), 599; MOORE 1977, 334.
13. Die Rezeption von Jer 10 und 29
331
Aber handelt es sich auch um dieselben Adressaten? Die historische Fiktion - und um eine solche handelt es sich in beiden Fällen - ist zweifellos eine andere: Will Jer 29 an die Exilierten in Babylon geschrieben sein, so gibt sich EpJer (anders als Jer 10,11 T) als Schreiben aus, das den Exilierten noch vor ihrer Wegführung zugesandt wurde. Neu gegenüber Jer 29 ist auch, daß die Sünden als Grund für die Wegführung eigens genannt werden. Das könnte bedeuten, daß in EpJer gar nicht die in Jer 29 angesprochenen „guten Feigen" (Jer 24), d.h. die unter Jojachin weggeführte (erste) Gola von 597, sondern die in Jer 29,16-20 M (om. G) verurteilten „schlechten Feigen", d.h. die Übriggebliebenen von 587, im Blick sind," die im Unterschied zu Jer 29,16ff und ergänzend zum Brief an die erste Gola in Babylon nun nicht den Tod geweissagt, sondern ebenfalls gewisse Verhaltensmaßregeln mit auf den Weg und die Heimfuhrung von Jer 29,10-14 in Aussicht gestellt bekommen. Doch von einer solchen Differenzierung verlautet nichts. Deswegen ist EpJer nun aber auch nicht von der griechischen Fassung von Jer 29 abhängig, in der V. 16-20 fehlen, denn gerade in der Überschrift und V. lf ist (mit der Erwähnung Nebukadnezars) M vorausgesetzt. Vielmehr schließt sich EpJer so genau wie möglich an den Brief in Jer 29 an. So ist in EpJer Überschrift und V. 1-6 nur von denen die Rede, die tatsächlich nach Babylon kommen und nicht, wie der Rest in Jer 29,16ff, aufgerieben werden. Ebenso ist der Zeitraum von 7 Generationen in EpJer 2 kein anderer als die 70 Jahre in Jer 29,10 (und 25,1 lf), die vor Jer 29,16ff stehen und sich hier exklusiv auf die in V. 1— 14 angeredete erste Gola beziehen, in EpJer aber auch nicht anders bezogen werden. Und mit beidem, dem Hinweis auf die Wegführung und der Ankündigung der Heimfuhrung nach 7 Zeiten, faßt EpJer lf als historischer Vorspann für V. 3-6.7ff (vwi 8e ...) exakt Anfang und Ende des an die erste Gola gerichteten Abschnitts Jer 29,1-14 zusammen. So ist wohl doch am ehesten an dieselben Adressaten zu denken, die mit EpJer vor, mit Jer 29 nach ihrer Wegführung einen Brief von Jeremia, im ganzen also zwei Briefe erhalten haben sollen. Die unübersehbare, für eine Fälschung denkbar ungeeignete und also beabsichtigte Nachahmung will demnach den Brief in Jer 29 keineswegs ersetzen, sondern die überlieferte Korrespondenz (vgl. schon die weiteren Briefe in Jer 29,24ff) komplementieren. Das ist von einiger Bedeutung für das Verständnis von EpJer selbst, die damit nicht auf sich selbst gestellt ist, sondern auch in Ergänzung zu Jer 29 gelesen sein will. Was aber besagen dann Gemeinsamkeiten und Unterschiede? Wie schon festgestellt, faßt die historische Einleitung in EpJer Überschrift und V. 1-2 Anfang und Ende von Jer 29,1-14 zusammen. Um der historischen Fiktion willen wandeln die Überschrift und V. 1 Jer 29,1-3.4, besonders den Rückblick V. lbß.2 M, in eine Ankündigung des historisch unmittelbar bevorste-
33
So ausdrücklich REUSCH 1853, 79f, aber ohne Jer 29 als Vorbild (a.a.O. 81f).
332
Die Haggada
henden Ereignisses der Wegfiihrung um.34 Auch daß die Sünden als Grund genannt werden, entspricht dieser gegenüber Jer 29 veränderten Perspektive. Außer dem näheren Kontext von Jer 29, hier Jer 25 (70 Jahre), 26 und 27-28, ist dabei nach Ausweis der Formulierung35 im besonderen die Stelle Jer 16,10ff im Blick, die ihrerseits an Dtn 29,23ff erinnert und in Jer 16,14f entsprechend Dtn 30 eine Rückfiihrungsverheißung enthält. Die Stelle ist für EpJer allerdings nicht nur darum anziehend gewesen, weil an ihr wie in EpJer 1 f Verbannung und Heimkehr so nahe beieinander stehen, sondern vor allem deswegen, weil sie die Exilierung mit dem Götzendienst begründet und für das Exil selbst die Möglichkeit ins Auge faßt, daß Israel „dort anderen Göttern dienen wird" (16,13), bis sich selbst die Völker eines Besseren besinnen (16,19-21; vgl. EpJer 50f). Es handelt sich um die Abwandlung eines Gedankens, auf den indirekt Jer 9,15 und die Parallelen in Dtn 28,36.64 sowie 4,27f fuhren. Und gerade Jer 9,15 dürfte als Ankündigung des Exils im Lesezusammenhang mit der Götzenpolemik in Jer 10 eine zentrale Rolle bei der Kombination von Jer 10 und 29 gespielt haben, bei der Jer 29 mit neuem Inhalt gefüllt und Jer 10 auf eine neue Situation bezogen wurde. Dieser Lesezusammenhang von Jer 9,15; 10,1-16 und 16,1 Off beantwortet denn auch die Frage, warum sich EpJer selbst zeitlich vor die Korrespondenz von Jer 29 einschaltet. EpJer versteht sich als Fortsetzung der im Jeremiabuch noch vor der Wegfiihrung als Begründung oder in der Androhung des Gerichts ergangenen Götzenpolemik. Dabei werden die schon begangenen „Sünden" im Land exemplarisch mit dem Bezug auf Jer 16,10-12 vorausgesetzt; für die mit dem Eintreffen der Strafe entstehende, in Jer 9,15 und 16,13 nur gerade angedeutete Situation im Exil werden dagegen neue, aus dem ebenfalls vor der Wegführung situierten Text Jer 10 entwickelte und weiterführende Perspektiven eröffnet: statt der Fortsetzung der alten Sünden (so Jer 16,13) jetzt die
34
Auch die Terminologie in Überschrift (zum Titel s.o.) und V. 1 könnte aus Anfang und Ende von Jer 29,1-14 gespeist sein, stünden hier üytiv - wie in G nur 2 Kön 17,28 bzw. Jer 47(40),1 (ho.), für q. Am 7,11.17 - für glh hi. aus Jer 29,1 M (T gl' af., om. G) und atx|i.dXü)Tos - wie in der Septuaginta sonst nur für andere Ableitungen desselben Stamms für Sbwt aus 29,14 M (T glwtkwn, om. G; Th hat das üblichere aixpaXüKTLa, vgl. G in Jer 25,19 [M 49,39 Qere]; 37[30],18; 38[31],23 u.ö.; vb. 27[50],33 u.ö.). Aus Jer 29,3 stammt „nach Babylon (von) Nebukadnezar, dem König der Babylonier"; die Wiedergabe von mlk bbl (29,3.21.22) - sei es schon im semit. Original, sei es erst in der gr. Übersetzung - entsprechend mlk ksdym (2 Chr 36,17; aram. Dan 5,30; vgl. auch 3 Esr [Esdras A] 6,14 nach Esr 5,12) und wie G in Jes 39,7 und „die Babylonier" in Esr 4,9; Bei et Draco 3.23.28(Th). 35
Aid TAS D^ap-rias (B* üpwv), äs T|papTr|KATE e v a i m o v TOÜ 9eoC entspricht 'wnnw bzw. ht'tnw 'Sr ht'nw lyhwh ihynw in Jer 16,10 (T hwbn' bzw. swrhnn' dhbn' qdm ywy 'Ihn', G t| aSiKta r|p.(5v bzw. r| d(iapTLa ri^iüv, rip.dpTop.ef e v a i m Kiipiou TOÜ 9eoC ri^iüv); ähnlich 33,8 ('wnm/ 'wnwtyhm 'Sr hfw ly, T hwbyhwn dhbw qdmy, G sowohl dSiKia wie auch d p a p T i a für 'wn). Zur Beziehung vgl. schon REUSCH 1853, 238 sowie APOT I, 599 und danach MOORE 1977, 334.
13. Die Rezeption von Jer 10 und 29
333
Vermeidung alter und neuer Sünden schon im Exil, die hier nicht mehr als selbstverschuldetes Unheil (so mit Jer 9,15 und seinen Dtn-Parallelen), sondern als von den fremden Göttern selbst drohende Gefahr für die Exilierten gesehen sind und hier (EpJer 50) wie dort (Jer 16,19-21) von einer allgemeinen Gotteserkenntnis (yd'lyiyv&OKeiv) abgelöst werden sollen. Als Anhalt für die historische Fiktion dieser letzten Äußerung zur ersten Gola kurz vor ihrem Weggang in der Biographie des Propheten könnte die Szene Jer 40,1-6 (bes. V. 1 zur Situation, V. 3 zur Begründung, V. 4 das „Kommen" nach Babylon) gedient haben. Soweit der Anfang von Jer 29,1-3.4 in EpJer Überschrift und V. 1; der Schluß Jer 29,10-14 kehrt in EpJer 2 und wohl auch in V. 5f wieder. Ganz deutlich ist der Bezug auf die 70 Jahre von Jer 29,10, auf die Rückfuhrungsverheißung von 29,10.14 36 und auf den für das „Danach" angekündigten „Frieden" von 29,11; 37 von 29,12—14init. dürften sodann Bekenntnis und Bewahrungszusage in EpJer 5b-6 inspiriert sein, die an V. (3)5a anschließen wie Jer 29,12f an 29,(5-)7. 38 Die wichtigste Abweichung betrifft die Frist von 70 Jahren, die in EpJer - wie später auch in Dan 9 und der Sache nach in Bar 1 anders berechnet wird. Wie im einzelnen gerechnet wird, ob mit Schreibfehler T bzw. r| (7) statt 3 bzw. y (3 nach Jer 27,7), ob mit 7 Generationen zu je 30, 40 oder mehr Jahren, ob von 597, 587 oder 539 v.Chr. an, ist ganz ungewiß. 39 Sicher und bisher zu wenig beachtet ist nur, daß EpJer 2 verschiede-
36 e £ d y e i v für die Heimfuhrung entspricht weder Swb hi., q. trans. oder qbs pi. in Jer 29,10.14 M (T twb, knif) noch G in 36(29),10a. Vermutlich wirkt auch hier wieder Jer 16,1 Off mit dem 'lh hi. des Exodus in 16,14f (T nsq af., G ävayeiv; vgl. für die Wiedergabe aber auch Ex 32,1.7; Num 21,5; Ri 6,13; Neh 9,18) ein, kombiniert mit dem „dort" und - rückgängig gemachten - „von dort" aus Jer 29,7.14. 37 Zum „Danach" (|IETD TOÜTO) vgl. in Jer 29,11 M 'hryt wtqwh (T swp wsybwr, om. G); „mit Frieden" nach Jer 29,11.7 (und 28,9) und wie an einigen wenigen Stellen (z.B. in Gen 15,15) in G für bSlwm; vgl. sachlich Jes 52,12. 38 SiavoLci - wie öfter in der Septuaginta, aber nirgends in Jer - für das „Herz" (Ibb) in Jer 29,13. TTpoCTKUveiy steht vermutlich für hSthwh. (T sgd), das nicht in Jer 29,12f, aber wieder in 16,11 (u.ö., zuletzt 25,6 mit den fremden Göttern, 26,2 mit Jhwh als Objekt) sowie in Ex 23,20ff (V. 24 von den fremden Göttern!) begegnet, woher auch der „Engel" in EpJer 6 stammt; vgl. im übrigen pll hitp. (Jer 29,12.7) und hSthwh/sgd in Jes 44,15.17; 45,14; 45,20/46,6. SeairÖTTis für >dny (oder yhwh) wie G in Jer 1,6; 4,10; 14,13 (A); 15,11 und andernorts. Vgl. zu dem Bekenntnis im Herzen Jer 5,24 ('mr blbbl, Jhwh „fürchten" wie noch V. 22; Regen geben wie EpJer 52 und Jer 10,11 T; vgl. auch Jer 14,22), wohin über 5,19 wiederum 16,1 Off (Dtn 28,23ff) fuhrt. 39
Ältere Kommentare (FRITZSCHE, REUSCH) zählen 30, neuere (GUNNEWEG, MOORE) 40, Gen 15 zählt offenbar 100 Jahre für eine Generation. Die 7 Generationen berechnen die meisten neueren von 597/587 an und kommen damit in eine Zeit kurz vor 300 v.Chr.; additiv, d.h. von 539 an als Verlängerung der „vielen" = 70 Jahre um die „lange Zeit" von 7 Generationen, zählt A. Robert, DBS 4, 856f und kommt damit ins Jahr 258 v.Chr. Vgl. aber schon FRITZSCHE 1851, 207, der an eine runde, unbestimmte Zahl denkt; durchaus im Sinne des
334
Die
Haggada
ne Zeitangaben in Jer 29 und darüber hinaus kombiniert: die „vielen Jahre" (ETT| TiXeiova) wie auch die Zahl 7 aus Jer 29,10 und 25,1 l f , die „lange Zeit" (xpövov [iQKpoy) aus dem abgekürzten Zitat von 29,10 in 29,28 ('rkh hy\ T 'ryk'
hy',
G ^ C T K P D V ¿ C T T L V ; v g l . a u c h 3 2 , 1 4 ymym
rbym),
die Z ä h l u n g nach
Generationen aus 27,7 (om. G ) und entsprechend 29,6 (jeweils 3). A l l e diese Angaben, bes. „Jahre" und Generationen, werden ähnlich wie in Gen 15,1316 (400 Jahre, 4 Generationen nach Ex 12,40), womit sich EpJer auch in der Sache berührt,40 miteinander harmonisiert und im Sinne der Stelle Jer 29,10 und wie einst sie selbst gegen eine zu kurze Frist (vgl. 28,3.11), und seien es auch die wörtlich genommenen, unterdessen kurz gewordenen „70 Jahre", gedehnt. Die Frist ist damit so offen formuliert, daß sie in die eigene Gegenwart des Verfassers (und Lesers) hinein und potentiell noch weiter reicht. Für den Verfasser von EpJer besagen also sämtliche Angaben im Jeremiabuch dasselbe und weisen, mit Jer 29 am ehesten wohl von 597 an gedacht, in seine Zeit, und so will auch die Angabe in EpJer 2 damit identisch sein. Somit verdankt sich die historische Fiktion und Rahmenhandlung in EpJer Überschrift und V . l-2.5b-6 einer intensiven Lektüre und Auslegung von Jer 29 im Horizont des ganzen Jeremiabuchs, die die vorgegebene Korrespondenz Jeremias mit der babylonischen Gola auf die eigene Gegenwart bezieht und für sie vervollständigt. Dazu fügt sich auch alles Übrige in der Einleitung in EpJer 3-5, das inhaltlich an Jer 10,2f.6ff, von der Funktion her aber ebenfalls an Jer 29 orientiert ist. Dieses Zwischenstück, das, wie wir oben sahen, das Thema der folgenden sechs Hauptabschnitte und ihrer Abschlußformel in V . 7-72 exponiert, steht ziemlich genau für den Teil in Jer 29,1-14, der in EpJer l-2.5b-6 ausgespart wurde. W i e in Jer 29,5-9 werden auch in EpJer 3— 5a (und 5b nach Jer 29,7 bzw. 12f) Verhaltensmaßregeln für die Situation im Exil gegeben. Dabei ist offenbar im besonderen die Polemik gegen die Lügenpropheten in 29,8f im Blick, die im Anschluß an 29,1-14 in V . 15.21-23 (mit weiteren Briefen in V . 2 4 f f ! ) ebenso wie die in EpJer 3-5a vorbereitete Götzenpolemik im Anschluß an V . 1 - 6 in V . 7ff noch einmal eigens behandelt wird und die auch eine sachliche und - über das Stichwort ij;eu8iis bzw. tJieCSos für $qr41 - terminologische Affinität besitzt. Wenn man so will, ist der Inhalt von Jer 29,8f.l5ff in EpJer 3-5a.7ff durch den Inhalt aus Jer 10 ersetzt. Zugleich ist damit jedoch auch das andere Thema von Jer 29,5-9, das
Verfassers, aber ohne dessen geistige Freiheit gegenüber dem Buchstaben tritt REUSCH 1853, 84-86.238 für die Identität mit den jeremianischen Zeitangaben ein. 40
Vgl. E W A L D 1868, 285 mit Anm. 1.
41
Vgl. EpJer 7.44.50.58 sowie 47 und vor Jer 29 schon 10,14; 16,19 (T überall Sqr>). An-
ders als in Jer 10 und 16 hat G in 36(29),8 zwar die „Pseudopropheten", in V . 9.31 (wie öfter) jedoch äSiKOS, in V . 21.23 gar nichts Entsprechendes. Für den sachlichen Zusammenhang vgl. im übrigen Dtn 18,20, das wie Dtn 12,30 (s. Anm. 17) und Ex 23,20ff (s. Anm. 38) mit Jer 10 und 16,10ff auf die Situation des Exils übertragen wird; ferner Hab 2,18.
13. Die Rezeption von Jer 10 und 29
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Sicheinrichten im fremden Land, angesprochen, das durch die ausdrücklich auf die fremden Götter bezogene Warnung, es den Fremden nicht gleichzutun (EpJer 4 nach Jer 10,2f), deutlich hindurchscheint. Auch die Aussagen in 29,5-7 werden so nicht aufgehoben, sondern weiterführend präzisiert: Gegen das Häuserbauen, Gärtenpflanzen, Heiraten, Beten für die fremde Stadt, kurz: das Leben unter fremder Herrschaft (wie in Jer 27-29 im ganzen) ist danach nichts einzuwenden.42 All das ist auch von dem Bekenntnis zum einen Gott (EpJer 5b) nicht ausgeschlossen und dient wie dieses selbst (EpJer 6) dem Überleben im fremden Land. Nur die Verehrung der fremden, falschen Götter und ihrer Bilder bleibt, so wird vorgängig zu den positiven Anweisungen in Jer 29 nach Maßgabe von Jer 10 ausgeführt, ebenso verboten wie in Jer 29,8f.l5(21)ff das Hören auf die eigenen, falschen (Heils-)Propheten. Werden die Propheten darum verteufelt, weil sie die in Jer 29,5-7 ausgegebene, identitätsstiftende Parole einer golaorientierten, dem fremden Staat positiv gesinnten Theologie bestreiten (29,28 wie schon Hananja in Jer 28), so die fremden Götter darum, daß man sie nicht mit dem Gastland und seinen nach Jer 29,57 (und 27,5ff) ansonsten akzeptierten Institutionen verwechselt und darüber die eigene jüdische Identität verliert (EpJer 5b-6). Nach allem erweist sich auch die Rezeption von Jer 29 in EpJer 1-6 als höchst überlegter Vorgang, der alles andere als nur eine beiläufige Anspielung auf Jer 29 darstellt. Vielmehr wird der Text ebenso wie bei der Aufnahme von Jer 10 systematisch in der Einleitung EpJer 1-6 verarbeitet und über Jer 51,15-19 und die weiteren Kontaktstellen Jer 16,1 Off; 9,15 mit Jer 10 in Beziehung gesetzt. Obschon die gesamte, durch EpJer komplementierte Korrespondenz in Jer 29 berücksichtigt wird, dient insbesondere der Brief Jer 29,1-14.15-23 als Vorbild, der sowohl in der Anlage als auch in der Sache nachgeahmt, damit aber nicht ersetzt, sondern ergänzend dupliziert wird: Jer 29,1-3.4/EpJer Überschrift und V. 1; Jer 29,10-14 (bes. V. 10f.l4)/EpJer 2; Jer 29,5-9/EpJer 3-5a; Jer 29,8f.l5ff/EpJer 3-5a.7ff (nach Jer 10); Jer 29,1014 (bes. V. 12f)/EpJer 5b-6. Die in V. 7ff folgende Götzenpolemik ist so nicht nur - etwa allein um der Legitimation willen - dem Namen nach mit dem Propheten Jeremia verbunden. Die nach dem Vorbild von Jer (25.27-)29 gestaltete historische Fiktion ist - ähnlich wie in Bar 1 (bes. V. 11 ff) - zugleich der theologische Ansatzpunkt, von dem her die über Jer 9,15 und 16,1 Off rezipierte Götzenpolemik aus Jer 10 in EpJer gedacht und geschrieben ist: eine golaorientierte, staatsloyale43 Konzeption, bei der im Laufe der Zeit
42 Im Gegenteil zeigt gerade die Erwähnung von Königen in EpJer 33.52.65 und 50 sowie 17.54.58, daß das Königtum, auch das fremde, grundsätzlich akzeptiert ist; strittig ist nur, wer die Könige ein- oder absetzt. 43 Außer EpJer (s. Anm. 42) und der Orientierung an Jer 27-29, bes. 27,5ff, vgl. noch Dan 2,21 u.ö. in Dan 1-6; ChrG (bes. 2 Chr 36,22f/Esr lff); Bar 1,1 lf sowie Prov 8,15f; Hi
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Die Haggada
die Frage nach der Erhaltung der jüdischen Identität beinahe zwangsläufig zum Problem werden mußte und hier wie noch an anderen Stellen44 mit den weisheitlich geprägten, rationalen - Argumenten der Götzenpolemik, andernorts45 mit anderen - mehr theologischen - Argumenten gelöst wird.
V Mit Jer 10 und 29 sind in EpJer (und Jer 10,11 T) zwei an sich sehr unterschiedliche und literarisch wie sachlich fernstehende Texte miteinander in Beziehung gesetzt. Wie wir sahen, wird die Beziehung durch Aufnahme, Kombination und Verarbeitung verschiedener Texte aus demselben Buch und darüber hinaus hergestellt. Doch was hat diese Zusammenschau verschiedener Texte evoziert, und was will EpJer bei ihrem Leser damit erreichen? Vom Befund her ließe sich zunächst an ein rein enzyklopädisches Interesse denken. EpJer enthält Anspielungen auf sämtliche Texte wenigstens des hebräischen Kanons und mit Bei et Draco auch etwas darüber hinaus, die auf gleiche Weise am Objekt selbst - und nicht pauschal aufgrund des 1. und 2. Gebots - das Gottsein der Götter bestreiten. So handelt es sich gewissermaßen um eine systematisierende Zusammenstellung aller einschlägigen Argumente, die über das Alte Testament verstreut sind?46 Der Sinn einer solchen Zusammenstellung könnte darin bestehen, ein handliches und durch die Schriftbezüge autorisiertes Nachschlagewerk zur internen Belehrung jüdischer Gemeinden (oder Reisender) in der Diaspora zu schaffen. Eine apologetische, für die Auseinandersetzung mit der nichtjüdischen Umwelt bestimmte Tendenz ist der Schrift selbst nicht zu entnehmen, aber auch nicht von vornherein abzusprechen; zumindest die griechische Übersetzung könnte durchaus einmal dafür gedacht gewesen sein. Doch dies ist sicher nicht der einzige, wohl auch nicht der entscheidende Antrieb für die intensive Schriftbenutzung gewesen, aus der EpJer hervorgegangen ist. Denn was nötigt EpJer dazu, in dieser Ausführlichkeit nur zu wiederholen, was so oder ähnlich auch anderswo, in Jes 40-48 (Hab 2,18f) sogar für dieselbe Situation schon einmal gesagt ist? Auch die meisten anderen Texte götzenpolemischen Inhalts, die hier benutzt sind, weisen solche Schriftbezüge auf, sind ihrerseits voneinander, die späteren wie etwa SapSal. 13-15 12,17f.23f; Sir 10,4f(8); SapSal 6,lff; PsSal 2,18ff Dazu KRATZ 1991b, 161ff; „Reich Gottes und Gesetz" (in diesem Band Nr. 9). 44 Vgl. dazu KRATZ 1991a, 192-206; zum traditionsgeschichtlichen und theologischen Profil vgl. VON RAD 1970, 229-239. 45 Vgl. die Hinweise in Anm. 43, außerdem KRATZ 1991b, 128ff.l34ff; DERS. 1991a, 212ff. 46
So etwa PREUSS 1971, 264 mit Anm. 14; ROTH 1975, 42.
13. Die Rezeption von Jer 10 und 29
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oder Jub l l f (nach EpJer 52.54) wiederum von EpJer abhängig. Was bei ihnen freilich hinzukommt, ist ein literarischer Kontext, in dem die Bildung (Jes 40-48; Dtn 4,27f) oder Rezeption der Götzenpolemik (Jer 10; Ps 115/ 135; Hab 2,18f u.a.) eingebettet und für den sie bestimmt ist. Ein solcher Kontext fehlt in EpJer, ist aber ebenfalls durch Schriftbezüge angezeigt. Es ist der weitere Kontext des Jeremiabuchs, auf den allein schon die Überschrift, die Jeremia als göttlich inspirierten Autor nennt, führt. So empfiehlt es sich, bei den verschiedenen Textaufnahmen zwischen primären und sekundären, führenden und dienenden Bezügen zu unterscheiden. Führend sind demnach allein die Bezüge zum Jeremiabuch und hier vor allem die Orientierung an Jer 10 und 29, aus der sich Inhalt und Struktur von EpJer ergeben. Dem untergeordnet dienen alle weiteren Aufnahmen besonders in der Götzenthematik ebenso wie manche darüber hinausgehende religionsgeschichtliche Details der inhaltlichen Auffüllung, Ausführung und Präzisierung. Die Assoziation alles dessen wie auch der vor allem in der Einleitung EpJer 1-6 verarbeiteten Dtn-Parallelen haben sich bei dem schriftkundigen Verfasser ganz offenbar im Zuge der Aufnahme von Jer 10 und 29 und den anderen Texten aus dem Jeremiabuch eingestellt. Sie müssen nicht, können sich aber auch bei einem schriftkundigen Leser von neuem einstellen und verbinden so die literarische Orientierung mit dem enzyklopädischen Interesse, alles Wesentliche zum Thema berücksichtigt bzw. aus autoritativen Texten der Überlieferung, nämlich aus Tora und Propheten einschließlich der Psalmen, genommen zu haben. Das alles ist integriert in den geschichtstheologischen Rahmen aus Jeremia. Hier wiederum ist, wie wir gesehen haben, die Kombination von Jer 10 und 29 leitend. Sie erklärt, warum sich EpJer für „ihre" Götzenpolemik, die auch andernorts vorkommt, ausgerechnet Jer 10 als Vorbild ausgesucht hat. Und sie zeigt, daß es in EpJer trotz des quantitativen Übergewichts von V. 7— 72 um mehr als nur um das Sammeln von Argumenten gegen die Götzen geht. Was diese Kombination nötig gemacht hat und was sie leistet, geht aus dem Rezeptionsvorgang selbst hervor: Es ist zunächst die Frage nach dem sachlichen und „historischen" Zusammenhang von Jer 10,1-16 und 51,15-19 im babylonischen Kontext Jer 50f (vgl. bes. 50,2.38; 51,44.52). Diese Frage führt auf die Stellen Jer 9,15 und 16,10-21, bes. 16,13, die - zumal mit der zusätzlichen Assoziation von Dtn 4,27f; 28,36.64 - Jer 10 schon im Jeremiabuch selbst einen doppelten Sinn geben: im jetzigen Kontext den der Begründung für die in 9,15 (zum ersten Mal mit dem Verbum pws hi.)47 und anschließend an 10,1-16 in 10,17ff (V. 21 pws ni.) angekündigte „Zerstreuung unter die Völker", im Blick auf Jer 50f den einer Belehrung, die über das Eintreffen des Gerichts hinaus für die - offenbar bis in die Gegenwart des Ver-
47 Vgl. im Folgenden noch 13,24; 18,17 (mit Höraufruf an die Völker V. 13); 23, lf; 30,11 (Völker); ni. 10,21(!) sowie 40,15; 52,8.
338
Die Haggada
fassers anhaltende - Zeit des Exils in Babylon ihre Aktualität behält. Das Problem der Dublette führt sodann auf Jer 29, den einzigen Text im Jeremiabuch, der - in der Fassung von M - nach der Ankündigung des Babelgerichts (ab Jer 20) und nach dessen Eintreffen (Jer 27f) eigens vom Leben im babylonischen Exil handelt, bevor in Jer 30-33 der Restitutionsteil beginnt und in Jer (34)36ff die Erzählungen folgen. Mit seiner neuen, heilvollen Perspektive des Sicheingewöhnens im fremden Land paßt Jer 29 eigentlich gar nicht zu der Ankündigung von Jer 16,13 und auch nicht zu der in EpJer 4 repetierten Warnung von Jer 10,2, sich nicht an den „Weg der Völker" zu gewöhnen. EpJer schließt die Lücke, indem sie Jer 10 und 29 kombiniert und so im Blick auf 51,15ff die Befürchtung von 16,13 nivelliert und Jer 29 mit der götzenpolemischen Einschränkung von Jer 10 vollumfanglich gelten läßt und lediglich ergänzt. Demnach ist EpJer als Appendix zum Jeremiabuch („Abschrift eines Briefes") für den Lesezusammenhang von Jer 9,15 - 10,1-16 - 10,17ff über 16,1 Off und Jer 29 bis Jer 50f gedacht und aus ihm heraus zu verstehen. Nimmt man die Benutzung der „babylonischen" Götzenpolemik in Jes 40-48 und deren (ältere) literarische Beziehungen zu Jer 10 hinzu, wäre sogar zu erwägen, ob damit nicht ein noch weiter gefaßter Leseablauf, in dem schon die Reihung von Prophetenbüchern eine Rolle spielt, im Blick ist, sei es, daß Jes 40ff im Anschluß an Jeremia noch folgt,48 sei es in Entsprechung zum „babylonischen" Teil des voranstehenden ganzen Jesajabuchs (vgl. hier auch Jes 2,8.18.20; 17,7f; 30,22; 31,7; 37,18f). Was uns als literarisch-historische Fiktion erscheint, mit der sich EpJer in diesen Lesezusammenhang einschaltet, ist also nach dem Selbstverständnis von EpJer eine „historische" und theologische Rekonstruktion dessen, was in den rezipierten Texten zwar nicht ausgesprochen, aber nach Meinung des Verfassers von EpJer impliziert ist und darum mit den Worten dieser Texte explizit gemacht wird. So wird im wahrsten Sinne des Wortes die Schrift ihr eigener Interpret. Und doch geschieht auch eine derart literarisch gedachte, am Leseablauf eines Buches orientierte Schriftrezeption kaum allein um ihrer selbst und der Befriedigung einer durch Leerstellen im Text geweckten exegetischen Neugier willen. Der Rezeptionsvorgang und vor allem die inhaltliche Beschränkung auf das Thema der fremden Götter (nach Jer 10 u.a.) im babylonischen Exil (nach Jer 16,13; 29 und mit Jes 4 0 ^ 8 ) sind nur zu begreifen, wenn dafür auch eine konkrete historische Veranlassung bestand. Sie dürfte den Verfasser von EpJer, der aus seiner Zeit ins überlieferte Buch und vom Buch in seine Zeit blickt,49 überhaupt erst auf das Problem der Dublette von Jer 10,12ff und 51,15ff und damit auf beides, die Götzenpolemik in Jer 10 und die ge-
48
S. die Hinweise oben Anm. 25. Zu den hermeneutischen Implikationen vgl. KRATZ 1991a, 159.182f. 183f.218ff; „Die Suche nach Identität" (in diesem Band Nr. 8). 49
13. Die Rezeption
von Jer 10 und 29
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schichtlichen Umstände von Jer 50f; 16,13 und 29, gebracht haben, wobei gegenüber der Rezeption von Jes 40-48 das Spezifische in der Aufnahme von Jer 29 gesehen werden muß. Das läßt auf eine Zeit schließen, in der die Anweisungen von Jer 29,5ff fleißig befolgt wurden und gerade darum die Frage der religiösen und kultischen Anpassung in der (auch nach „70 Jahren") nach wie vor bestehenden babylonischen Gola zur Existenzfrage für die jüdische Identität geworden ist: Wer sich auf lange Zeit im fremden Staat einrichtet und arrangiert, mit Einheimischen Tisch und Bett teilt, der entgeht, zumal im seleukidischen Babylon des 3. Jh.s v.Chr., auch dem beherrschenden, wohl auch faszinierenden Einfluß seiner Götter und Tempel so leicht nicht. Aus einer solchen, in Jer 29 selbst noch nicht berücksichtigten, aber eben in Jer 16,13 und 9,15 (mit Dtn-Parallelen) angedeuteten und schon in Jes 40—48 (ferner in Dan 1-6, Bei et Draco) reflektierten Situation werden die anonymen „Völker" von Jer 9,15 und 10 (Ps 115,2.4; 135,15) - nicht zuletzt über Jer 9,25 (vgl. 27,1 ff) - zu Völkern in oder unter der Herrschaft von Babylon, von denen in Jer 25; 27,5ff; 29,14(M) die Rede ist. Und in einer solchen Situation hat EpJer schließlich auch als eigenständige Schrift, nämlich als einzelner Brief des Propheten Jeremia neben anderen, ihren guten Sinn. Nur deuten die unverkennbaren Schriftbezüge auf Jer 29 auch in diesem Fall an, daß dieselben Adressaten weitere Post vom Propheten bekommen haben, die sie bei der Lektüre von EpJer wohl auch assoziieren sollten. Wie die Art der Rezeption zeigt, schließt EpJer die Anweisungen von Jer 29 nicht aus, sondern ein. Wie sehr aber auch der selbständige Gebrauch von EpJer neben und über Jer 29 und das Jeremiabuch hinaus für spätere Zeiten von Belang war, zeigt die spätere Rezeption: der Targum von Jer 10,11 und das Zeugnis von 2 Makk 2,2,50 die beide die Rezeption von Jer 10 und 29 in EpJer bereits voraussetzen und verarbeiten, die Weiterführung dessen in SapSal 13-15 und Jub 1 lf und nicht zuletzt entsprechende Reflexe im Neuen Testament (Rom 1-3; 1 Thess 1,9; 1 Joh 5,21; Apg 14,15).
50 2,1 Man findet aber in den Schriften, daß der Prophet Jeremia ... 2 und daß der Prophet den ,Weggeführten', als er ihnen das Gesetz gab, auftrug, sie sollten die Gebote des Herrn nicht vergessen und sich nicht verführen lassen T O L S SLavoicus ß X e n w T e s äydX(iaTa X p w ä Kai a p y v p ä Kai TÖV u e p i aÜTa KÖatxov. Die Anspielung notiert u.a. schon EWALD 1868, 286; außer den goldenen und silbernen Göttern sprechen nicht zuletzt auch die „Sinne" (vgl. EpJer 5) für sie, die über EpJer hinausgehenden Züge in 2 Makk 2,1 ff keineswegs dagegen. Die Abhängigkeit ist aber auch nicht unumstritten, wie etwa der Vergleich von SCHÜRER 1909, 467 mit der englischen Neuausgabe III/2, 1987, S. 744 zeigt; zu Recht bestreitet FRITZSCHE 1851, 206 das umgekehrte Verhältnis, wonach EpJer von 2 Makk abhängig sei: „eine verkehrtere Behauptung (lässt sich) wohl nicht denken." Vgl. zur Frage auch ARTOM 1935, 64f mit Anm. 2.
14. „Öffne seinen Mund und seine Ohren" Wie Abraham Hebräisch lernte
„Und Gott, der Herr, sprach zu mir: ,Öffne seinen Mund und seine Ohren. Er soll hören und sprechen mit seiner Zunge in der Sprache, welche offenbart worden ist. Denn sie ist gewichen aus dem Mund aller Menschenkinder vom Tage des Falls an' Und ich öffnete seinen Mund und seine Ohren und seine Lippen, und ich begann mit ihm Hebräisch zu reden, in der Sprache der Schöpfung. Und er nahm die Bücher seiner Väter. Und sie waren hebräisch geschrieben. Und er schrieb sie ab und begann, sie zu lernen von da an. Und ich ließ ihn alles wissen, was er nicht konnte. Und er lernte sie in den sieben Regenmonaten." (Jub 12,25-27 zitiert nach B E R G E R 1981). Wer seine Bibel leidlich kennt, wird sich nicht wenig wundern. Die Geschichte von dem Engel, dem Gott den Auftrag erteilt, Abraham in einem sieben Monate dauernden Sprachkurs Hebräisch beizubringen, ist ihm in seiner Bibel noch nicht begegnet. Und doch steht sie in einer Bibel. Die Episode findet sich in einem Buch, das die uns vertrauten biblischen Bücher 1. und 2. Mose (Genesis und Exodus) teils wörtlich, teils frei wiedergibt und im Zuge dessen einiges zusätzliches Material einträgt. Vollständig ist dieses Buch nur in äthiopischer Sprache erhalten, und bis heute gehört es zum Kanon, also zur Bibel der äthiopischen Kirche. Die erste Druckausgabe, die das Werk der Wissenschaft zugänglich gemacht hat, erfolgte in Übersetzung 1850, in der Originalsprache 1859 und wurde von August Dillmann besorgt, einem Schüler des Göttinger Orientalisten Heinrich Ewald. Daneben sind Teile einer syrischen, einer griechischen und einer lateinischen Übersetzung bekannt, und seit den sensationellen Textfunden in den Höhlen von Qumran am Toten Meer auch die Fragmente des hebräischen Originals. Der ursprüngliche Titel dieser einst viel gelesenen und oft kopierten Schrift lautet: „Buch der Einteilungen der Zeiten nach ihren Jubiläen und ihren Jahrwochen" (CD 16,3f), kurz Jubiläenbuch, weil es die Geschichte von der Schöpfung bis zum Auszug Israels aus Ägypten (Gen 1-Ex 14) in einem chronologischen Siebenerschema von Jahrwochen und Jubiläen erzählt (eine Jahrwoche beträgt 7 Jahre, ein Jubiläum 7 Jahrwochen, also 7x7 Jahre). So, wie Abraham die Sprache der Schöpfung erlernt, so ist in diesem Buch auch die Chronologie der Weltgeschichte nach der Zeitstruktur der Schöpfung, der Siebentagewoche mit dem Sabbat Gottes am Ende der ersten Woche, berechnet.
14. „ Öffne seinen Mund und seine Ohren "
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Abraham, der Hebräischschüler, lernt nicht einfach eine alte Sprache auf dem humanistischen Gymnasium, sondern wird - was vielleicht auch einmal die Aufgabe oder wenigstens das Ideal des Gymnasiums war - in die Sprache und geistige Welt seiner Väter, ja mehr noch in die Sprache und Gedankenwelt Gottes eingeführt. Die Begründung, die den Verlust der hebräischen Sprache nicht etwa mit der babylonischen Sprachenverwirrung, sondern mit dem Fall der Menschheit in Verbindung bringt, ist nicht ohne bittere Ironie. Die Sprache der Schöpfung ging der Menschheit in dem Moment verloren, als sie begann, die Welt zu begreifen, und lernte, Gut und Böse zu unterscheiden. Darunter haben bis heute die Theologiestudenten zu leiden, die sich an der Universität mit dem Hebräischen abplagen müssen. Auch die Theologen leben eben nach dem Fall. Doch Abraham muß keine hebräischen Vokabeln pauken, er wird von einem Engel unterrichtet, wird von ihm religiös alphabetisiert, damit aus ihm werden kann, was nach der biblischen Überlieferung aus ihm geworden ist: der Urahn Israels. Und der muß Hebräisch gekonnt haben, weil der Abraham aus Ur in Chaldäa, der umherirrende Aramäer, in der Bibel nun einmal Hebräisch spricht und seine Verheißungen auf Hebräisch erhält, und: weil der Verfasser des Jubiläenbuchs in einer Zeit lebte, in der das Hebräische längst anderen Sprachen gewichen war: dem Aramäischen, der Verkehrssprache des persischen Reichs, und dem Griechischen, der lingua franca der hellenistischen Zeit. Das Hebräische, ursprünglich ein gewöhnlicher kanaanäischer Dialekt, ist zum status confessionis, zur Bekenntnisfrage, geworden. Wie Abraham Hebräisch lernte - dabei geht es also um mehr als nur darum, daß Abraham einen Sprachkurs absolviert. Es geht um die bedrohte Existenz des Judentums in hellenistischer Zeit, dem 3. bis 1. vorchristlichen Jahrhundert, und die Anstrengung, aus den überkommenen Überlieferungen den geistigen Herausforderungen des Hellenismus zu begegnen und in Schriften wie dem Jubiläenbuch das jüdische Bekenntnis zu verteidigen. Um solche Schriften, die sogenannten Apokryphen und Pseudepigraphen, soll es in diesem Beitrag gehen, der 1) kurz die Art dieser Literatur charakterisiert, 2) auf die Wiedergabe der biblischen Abrahamgeschichte im Jubiläenbuch eingeht und 3) - wieder kurz - ein paar Anmerkungen zur Bedeutung der apokryphen Abrahamtradition macht.
I Wie Abraham Hebräisch lernte, sagt bereits viel über die Art dieser Literatur aus. Es ist eine von vielen Besonderheiten des Jubiläenbuchs - verglichen mit der biblischen Erzählung. Und auf diesen Vergleich kommt es an. Die Apokryphen und Pseudepigraphen haben nämlich vielfach eine biblische Vorlage oder wenigstens einen Anknüpfungspunkt in der Bibel. Zwar gab es zu ihrer
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Die Haggada
Zeit die Bibel, den Kanon der Heiligen Schrift, noch gar nicht, doch standen schon seit dem 3. Jh. v.Chr. die Tora, die fünf Bücher Mose, aber auch die Propheten und die Psalmen Davids in derart hohem Ansehen, daß man sich auf sie berief, sie vielfach zitierte, kopierte, nachahmte oder ergänzte. Die Bibel selbst enthält ein Beispiel solcher Art von Literatur: das Buch der Chronik, das auf weite Strecken die Samuel- und Königebücher wörtlich ausschreibt, an entscheidender Stelle aber entscheidende Änderungen anbringt und damit die biblische Vorlage in ihrem Sinne interpretiert und aktualisiert. Es handelt sich um Auslegungsliteratur, die Vorläufer des rabbinischen Midrasch, noch kein Kommentar zu den biblischen Büchern, aber überarbeitete Ausgaben, die den Kommentar in den Stoff selbst hineinlegen. Von dieser Art ist nicht nur das Jubiläenbuch aus der Mitte des 2. Jahrhunderts v.Chr., sondern auch das ebenfalls im 2. oder im 1. vorchristlichen Jahrhundert entstandene sogenannte Genesis-Apokryphon, eine aramäische Version des Buches Genesis, von der sich Reste der Urgeschichte und Teile der Abrahamgeschichte bis Gen 15 in Qumran gefunden haben. In dieser Schrift geht die Wiedergabe der biblischen Geschichte einher mit der Übertragung des hebräischen Bibeltexts in die gesprochene Sprache des Aramäischen, eine Mischung von Übersetzung, Targum genannt, und Auslegung, Midrasch. Anders als das Jubiläenbuch, das sich als Offenbarung Gottes und Rede des Engels ausgibt, läßt das Genesis-Apokryphon die biblische Geschichte von ihren Helden selbst in der Ich-Form erzählen. Man hat es mit dem Phänomen der Pseudepigraphie, d.h. mit der Abfassung unter falschem Namen, zu tun. Andere Fragmente aus Qumran belegen, daß es noch mehr solcher Nachschriften des Pentateuchs mit mehr oder weniger großen Abweichungen vom biblischen Text gegeben hat und daß das Jubiläenbuch und die Traditionen, aus denen es schöpft, noch sehr lange rezipiert und verarbeitet wurden. Nach- und Anklänge finden sich über Qumran hinaus in verschiedenen jüngeren Schriften aus nachchristlicher Zeit, z.B. in der Apokalypse Abrahams oder in dem Testament Abrahams, bis in die rabbinische Literatur, bei den christlichen Vätern und in islamischen Quellen. Unter Vertretern der alttestamentlichen Wissenschaft genießen solche Schriften keinen besonders guten Ruf, zählen sie doch nicht zu denjenigen Apokryphen des Alten Testaments, von denen Luther schreibt, daß sie der heiligen Schrift zwar nicht gleich zu halten, aber doch nützlich und gut zu lesen sind. Sie stören die Kreise, weil sie einem bewußt machen, daß die biblischen Schriften nur eine verhältnismäßig kleine Auswahl aus der Fülle der antiken jüdischen Literatur und keineswegs die Norm darstellen, weder für die historische Rekonstruktion noch für die theologische Urteilsbildung. Im Lichte der Apokryphen und Pseudepigraphen verlieren die biblischen Bücher den Nimbus der Originalität. Weil die Nachschriften unter falschen Namen verfaßt sind, werden sie gerne als Plagiat, Machwerk von Epigonen oder gar Fäl-
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schung diffamiert. Doch wollte man die Verfasserschaft ernsthaft als Kriterium anlegen, fielen auch nicht wenige Bücher des Alten Testaments durch und wären die Fachgenossen um Arbeit und Brot gebracht. Kein Buch des Mose stammt von Mose, kein Psalm Davids von David, kein Spruch Salomos von Salomo, keine Vision Daniels von Daniel, die allerwenigsten Prophetenworte von den Propheten, unter deren Namen die Bücher überliefert sind. Die antike jüdische Literatur ist keine Autoren-, sondern Traditionsliteratur. In ihr zählt nicht der Autor, sondern die Autorität, die sich über Generationen hinweg vieler anonymer Verfasser bedienen kann. Der erste jüdische Autor, der seinen richtigen Namen nennt, ist ein gewisser Simon, Sohn des Jesus, Sohn des Eleasar, Sohn des Sirach, der Verfasser des nach dem ältesten Glied der Filiation benannten Sirachbuchs, einer Weisheitsschrift aus dem frühen 2. Jh. v.Chr., die von seinem Enkel ins Griechische übersetzt wurde und nur darum nicht mehr in den hebräischen Kanon gelangte, weil in ihr der Name des Autors und nicht eine biblische Autorität aus der kanonischen Zeit zwischen Mose und Artaxerxes (Esra bzw. Nehemia) als Verfasser genannt ist. Aber das Jubiläenbuch oder das Genesis-Apokryphon sind auch nicht, wie von fortschrittlichen Fachgenossen gerne behauptet, einfach neben das biblische Original zu stellen und alle drei wie gleichberechtigte oder konkurrierende Fassungen desselben Werkes zu behandeln. Dagegen sprechen die literarischen Abhängigkeitsverhältnisse, die ein deutliches Gefälle vom Original zur Nachschrift erkennen lassen. Wie das Verhältnis zu verstehen ist, geht aus der szenischen Fiktion des Jubiläenbuchs hervor, die den hermeneutischen Rahmen dieser Schrift absteckt. Es ist die Szene von Ex 19-24. Mose steigt auf den Gottesberg und nimmt die Tafeln des Gesetzes entgegen. Darüber hinaus zeigt und diktiert ihm Gott im Jubiläenbuch aber noch mehr, nämlich die früheren und die kommenden Dinge: „Schreibe auf vom Beginn der Schöpfung bis wann gebaut wird mein Heiligtum unter ihnen für die Ewigkeit der Ewigkeiten" so lautet der Schreibbefehl an den Engel, der wiederum dem Mose die Geschichte - natürlich auf Hebräisch - in die Feder diktiert. Vordergründig ist dies die Entstehungslegende des Jubiläenbuchs. Doch was Mose diktiert bekommt und aufschreibt, ist nichts anderes als die Summe des Pentateuchs, und so erweist sich die Entstehungslegende des Jubiläenbuchs zugleich als Entstehungslegende des Pentateuchs und Beleg für die Verfasserschaft des Mose bzw. Gottes selbst. Das Jubiläenbuch begreift sich als Urschrift des Pentateuchs, die Mose auf dem Berg Sinai nach dem Diktat Gottes bzw. des Engels angefertigt haben soll. Alle Abweichungen vom biblischen Original sind danach nicht als Konkurrenz gemeint, sondern als Präzisierung, Explikation und Vertiefung dessen, was im biblischen Text steht. Die Nachschrift soll das biblische Original nicht verdrängen oder ersetzen, sondern im Gegenteil dessen Autorität bekräftigen, wenn auch sie erst klärt, worin die
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Autorität gründet. Und in diesem Licht ist auch die Wiedergabe der Abrahamgeschichte im Jubiläenbuch zu sehen, der ich mich nun zuwende.
II Wer die Bibel etwas genauer kennt, wird sehr bald feststellen, wie wenig sie über das Herkommen Abrahams zu sagen weiß. Auf einmal ist er da, der Sohn des Terach aus der Linie Sems, eines der Söhne Noachs, nach dem in der Wissenschaft die semitische Sprachenfamilie benannt ist. Und kaum ist er da, wird er von Gott aus seinem Vaterland, seiner Verwandtschaft und seines Vaters Haus herausgenommen und zum Vater Israels und vieler Völker bestimmt. Will man mehr über die Herkunft Abrahams, über Ur in Chaldäa, Harran und die umherirrenden Aramäer, die Nomaden, in Mesopotamien, erfahren, darf man nicht die Bibel, sondern muß die Assyriologen befragen. Aber auch sie, so viel Wissenswertes sie mitzuteilen haben und so gerne für gewöhnlich gerade sie der Bibel Glauben schenken möchten, können über den Werdegang des biblischen Abraham vor seinem Auszug aus Mesopotamien wenig sagen. Diese Wissenslücken, mit denen sich der moderne Historiker vergeblich herumschlägt, haben bereits die antiken Bibelleser beschäftigt und zu intensiven Nachforschungen angeregt. Sie waren erfolgreicher als der moderne Historiker. Ihre Quellen waren neben der Bibel ihre allgemeinen Kenntnisse über die Verhältnisse in Mesopotamien zu ihrer Zeit, andere Überlieferungen, die sie für einschlägig hielten, und vor allem ihr Gespür für feine Andeutungen in der Bibel, denen sie assoziationen- und ideenreich ganze Geschichten entnahmen. So entnahm der Verfasser des Jubiläenbuchs den Namen der Vorväter Abrahams aus der Linie Sems, daß die Verhältnisse nach Noachs Tod und vor Abrahams Geburt nicht gerade zum Besten bestellt waren: Ragu, dessen Schreibweise an das hebräische Wort für „Bosheit" (ra', i n ) erinnert, verdankt danach seinen Namen dem Turmbau zu Babel: „Siehe, die Kinder sind böse geworden zu dem bösen Plan, daß sie sich eine Stadt und einen Turm bauen in dem Lande Sinear" sagt der Vater Ragus zur Begründung der Namensgebung (Jub 10,18). Und eine Generation später, unter Serug, dessen Name von dem hebräischen Wort für , Abkehr" (sor, TIO) abgeleitet wird und im übrigen - von der hebräischen Wortwurzel (srg, „binden") her - auf eine Stelle in den Klageliedern (Thr 1,14) fuhrt, wo es heißt, daß die Sünden Zions „in seiner (Gottes) Hand gebunden" sind, unter diesem Serug sieht es nicht viel besser aus: „Denn jeder hatte sich abgewandt, alle Sünde zu tun" heißt es zur Begründung seines Namens (Jub 11,6). Die Söhne Noachs führen Krieg gegeneinander und die Vorfahren Abrahams in Chaldäa beten die Göt-
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terbilder aus Metall, Stein und Holz und die Sterne an. Behilflich sind ihnen böse Geister und der Herr der Geister, Mastema (stm, DQÖ „anfeinden"), schon lexikalisch der Doppelgänger des Satan (stn, C | DtD „anfeinden"), der durch exegetische Kunst aus einer Textstelle im Hoseabuch (Hos 9,7f) geboren ist (Jub 11,5). Und weil die Götzen in einer andern apokryphen Schrift, einem Brief des Jeremia, einmal mit den unreinen Raben verglichen werden (EpJer 54), schickt Mastema im Jubiläenbuch die Raben, „damit sie den Samen fräßen, der auf der Erde gesät war, und um die Erde zu verderben, damit sie den Menschenkindern ihre Arbeit raubten" (Jub 11,11). Damit wird wiederum der Name von Abrahams Vater, Terach, begründet, vermutlich weil man in ihm das aramäisch-hebräische Lexem f/tära', UlP gehört hat, das „zerstören, verwüsten" bedeutet. Abraham, so weiß das Jubiläenbuch aufgrund solcher schon im Alten Testament üblicher Namensätiologien die Wissenslücken der Bibel zu füllen, wird in eine Welt von abgrundtiefer Schlechtigkeit geboren. Das schlimmste Übel: der Götzendienst. Abraham ist noch kein Verehrer des wahren Gottes und kein Jude. Er ist einer aus den Völkern, ein Heide, der, von seinem Vater im Lesen und Schreiben unterwiesen (Jub 11,16), die Sprache der Heiden spricht und unter den heidnischen Göttern lebt. Und ausgerechnet ihn soll der eine Gott, außer dem kein Gott ist, erwählt und zum Segen Israels und aller Völker bestimmt haben? Die Frage brannte dem Verfasser des Jubiläenbuchs nicht nur aus akademischen, sondern aus existenziellen Gründen auf den Nägeln. Was er beschreibt, sind nicht eigentlich die Verhältnisse zur Zeit der Vorfahren Abrahams, sondern ist in Wahrheit seine eigene Gegenwart, wie er sie erfahren und gedeutet hat. Seit dem Exil, dem 6. Jahrhundert v.Chr., lebten die Juden unter den Völkern, und gerade in Babylonien, dem Herkunftsland Abrahams, hatte sich eine bedeutende jüdische Kolonie gebildet, die tagtäglich mit dem eindrucksvollen Bilder- und Gestirnskult der Babylonier konfrontiert war. Sollten sie nicht ihrem Gott abschwören, sich arrangieren und in das Gastland integrieren, das ihnen mittlerweile gute Lebensbedingungen bot? Seit Alexander dem Großen breitete sich die Kultur des Hellenismus mit Macht aus und zog auch die Juden sowohl in der Diaspora Ägyptens und Mesopotamiens als auch im Stammland Palästina in ihren Bann. Es entwickelte sich so etwas wie eine hellenische Ökumene, eine Weltkultur, in der alle ein Volk sein sollten (1 Makk 1,41). Da wollte man nicht abseits stehen, wollte mit dabei sein und den Anschluß an die Globalisierung mit all ihren wirtschaftlichen und kulturellen Verlockungen keineswegs verpassen. Man lernte die griechische Sprache und die Parolen der hellenistischen Reform, kleidete und gab sich im Stil der Zeit oder rannte unbekleidet durch das Gymnasion, wofür allerdings eine Schönheitsoperation nötig war, um die Beschneidung unkenntlich zu machen, für die man sich vor den Unbeschnittenen schämte. Wer noch einen Funken
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Anstand in sich verspürte, lernte die neue Sprache, um in ihr den Glauben der Väter zu bewahren und an die neue Zeit weiterzugeben. Dem verdanken wir die griechische Übersetzung des Alten Testaments, die Septuaginta, und die Schriften des hellenistischen Judentums. Den Höhepunkt erreichte die Reform unter dem Seleukidenkönig Antiochus IV. Epiphanes, der nicht ohne Einwilligung führender jüdischer Kreise auf dem heiligen Tempelplatz in Jerusalem den Kult des Zeus Olympios, des Gottes der Griechen, begründete und, um auch die letzten Barrieren zu beseitigen und die hellenistische Reform zu vollenden, per Dekret das jüdische Gesetz, die Tora, außer Kraft setzte. Dies brachte das Faß zum Überlaufen und weckte in der kleinen Ortschaft Modein nordwestlich von Jerusalem den Widerstand einer Priesterfamilie, der Makkabäer, die zum heiligen Krieg gegen die Parteigänger des Königs und hellenistischen Reformer aufriefen. Damit nahm der religiös motivierte, mit wechselnden Rollen bis heute anhaltende Terror in Palästina seinen Lauf. Am Ende seines Lebens soll Matthatias, der Vater des Judas Makkabäus, eine Rede an seine Söhne gehalten haben, die die Zustände um die Mitte des 2. Jahrhunderts in ähnlicher Weise anprangert wie das Jubiläenbuch die Verhältnisse vor Abrahams Geburt: „Jetzt herrschen Hochmut und Zurechtweisung, eine Zeit der Zerstörung und ein grimmiger Zorn." Und er ruft auf, für das jüdische Gesetz zu streiten und sich der Väter zu erinnern, zuvörderst natürlich des Vaters Abraham: „Jetzt, Kinder, eifert für das Gesetz und gebt euer Leben hin für den Bund unserer Väter. Gedenkt der Taten unserer Väter, die sie in ihren Zeiten vollbrachten, und erlangt großen Ruhm und einen ewigen Namen! Wurde Abraham nicht in der Versuchung als treu erfunden, und wurde es ihm nicht zur Gerechtigkeit angerechnet?" (1 Makk 2,49-52). Im 1. Makkabäerbuch dürfte bei der Versuchung Abrahams an die Opferung Isaaks, Gen 22, gedacht sein. Das Jubiläenbuch weiß von weiteren Versuchungen zu berichten. Die allererste ist der Götzendienst, in den hinein der Vater Israels geboren wird. Doch der 14-jährige Abraham ist genauso renitent wie der 12-jährige Jesus im Tempel: „Der Knabe begann, den Irrtum der Erde zu erkennen ... Und er trennte sich von seinem Vater, damit er nicht die Götzen anbeten mußte. Und er fing an, anzubeten den Schöpfer aller Dinge, daß er ihn errette aus dem Irrtum der Menschenkinder und daß sein Anteil nicht falle in den Irrtum der Unreinheit und Schlechtigkeit." (Jub 11,16-17). Wie es sich gehört, setzt die Bekehrung sofort wunderbare Kräfte frei. Kaum hat er den Irrtum begriffen und sich zum einen Gott bekehrt, gelingt es Abraham, die Raben vom Feld zu verjagen, und zur Verbesserung der Aussaat erfindet er auch gleich noch das geeignete Instrument, den Pflug. Danach will er seinen Vater Terach zum wahren Gott bekehren, der zwar um den Irrtum weiß, aber aus Angst vor dem Zorn des Volkes lieber den Götzen die Stange hält. Abraham aber hat keine Angst und schreitet zur Tat: Er verbrennt die Götzen in seines Vaters Haus. Verfolgt von seinen Brüdern, wendet er sich im
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Gebet an Gott und wird erhört: „Komm heraus aus deinem Land, aus deinem Geschlecht und aus dem Haus deines Vaters in das Land, das ich dir zeigen werde" (Jub 12,22). Die alles in Gang setzende Verheißung an Abraham, die ihn in Gen 12 aus heiterem Himmel erreicht, bekommt hier eine Vorgeschichte: Die Bekehrung zum wahren Gott. Abraham ist gewissermaßen schon Jude, wenigstens Proselyt, als er berufen wird und gleich anschließend das Hebräische, die Sprache der jüdischen Tradition, erlernt. Aus der Initialzündung in Gen 12 ist eine Durchhalteparole geworden, die Zusage der Bewahrung vor Überfremdung und Verfolgung, eine Verheißung für den bedrohten Glauben der Väter. Wie in der Bibel macht sich Abraham auf den Weg. Das Jubiläenbuch gibt die biblische Geschichte von da an ziemlich wortgetreu wieder. Wortgetreu, aber keineswegs wörtlich. Hier wie auch im Genesis-Apokryphon sorgen intertextuelle Bezüge und Zufügungen dafür, daß Zusammenhänge, die im Bibeltext verborgen sind, aufgedeckt, Unklarheiten beseitigt, Widersprüche geglättet und nicht zuletzt die Bedürfnisse des frommen Lesers nach erbaulicher Lektüre befriedigt werden. Vor allem sollte auch nur der leiseste Zweifel an der moralischen Integrität Abrahams und seines Gottes, der einen bei der Lektüre der Vätergeschichte hier und dort beschleichen kann, ausgeräumt werden. Als Abraham, nachdem er das Land einmal durchquert hat, in Gen 12 sogleich nach Ägypten weiterzieht und von der schönen Sara verlangt, sie möge sich als seine Schwester ausgeben, damit er am Leben bleibe, wenn es den Pharao nach ihr gelüste, hat er im Genesis-Apokryphon zuvor einen Traum. In ihm bittet die Dattelpalme, Sara selbst, man möge die Zeder, Abraham, nicht fällen, da sie beide aus einer Wurzel seien. Damit ist der eigennützige Abraham exkulpiert: Gott hat es den beiden im Traum eingegeben und so gefügt. Und als der Pharao die schöne Sara zu sich nehmen will, deren Liebreiz ihm von einem Hofbeamten geschildert wird und bei der Gelegenheit auch einmal wortreich und wunderbar von Kopf bis Fuß beschrieben ist, da wird ausdrücklich erwähnt, daß man Abraham um ihretwillen umbringen wollte, um dem Leser zu versichern, daß Abraham wirklich in Lebensgefahr schwebte. Und nachdem ihm Sara geraubt worden ist, weint Abraham und wendet sich in seiner Not mit einem Gebet an Gott. Der schickt - vor der Zeit - schon einmal die ägyptischen Plagen, die kein ägyptischer Magier, sondern (wie später Mose und Aaron) nur Abraham zu heilen vermag, und löst Sara damit wieder aus. Um die Exkulpierung Abrahams und seines Gottes geht es auch bei der Opferung Isaaks im Jubiläenbuch. Um das Verständnis der abgründigen Geschichte von Anfang an in die richtige Richtung zu lenken, wird ein Prolog im Himmel nach Art der Hiobnovelle vorgeschaltet: Der ungeheuerliche Vorschlag, daß Abraham seinen Sohn opfern soll, kommt natürlich von Mastema, dem Doppelgänger des Satan, der Abraham und seinen Gott auf die Probe stellen will. Aber er hat keine Chance. „Denn der Herr wußte, daß Abraham
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gläubig war in all seiner Trübsal. Denn er hatte ihn versucht..." (Jub 17,17). Es folgt die älteste Aufzählung von sieben der zehn Versuchungen Abrahams, die in der Tradition immer wieder genannt werden. „Und in alledem, wodurch er ihn versuchte, wurde er als glaubend erfunden. Und seine Seele war nicht ungeduldig, und er hat nicht gezögert, es zu tun, denn er glaubte und liebte den Herrn." (Jub 17,18). In diesem Licht liest sich die Geschichte von der Opferung Isaaks leichter. Aus dem Hiobbuch weiß man, wie es ausgeht, wenn der Satan Gott und seine Frommen versucht. Wortgetreu, aber keineswegs wörtlich. Das geht soweit, daß der Abraham des Jubiläenbuchs bereits das Gesetz des Mose hält, noch ohne es zu kennen. Und hier schlägt das theologische Herz des Verfassers. Auf seinem Weg quer durch das gelobte Land baut Abraham nach dem Text der Bibel überall, wo er zum ersten Mal hinkommt, einen Altar und ruft den Namen Gottes an. Im Jubiläenbuch kann man nachlesen, wonach man im Bibeltext vergeblich sucht: Abraham bringt auf dem Altar auch ein Opfer dar und spricht ein Gebet, so, wie es das Gesetz des Mose vorschreibt. Ganz ohne Anhalt im Bibeltext ist auch das nicht. Schon bei der Schöpfung in Gen 1 hält Gott selbst das Sabbatgebot ein. Und in Gen 17 bekommt der Abraham der Bibel die Beschneidung als Zeichen des Bundes verordnet, wie es das Gesetz des Mose vorschreibt. Das Jubiläenbuch fugt der Erzählung von der Beschneidung Abrahams und seines Hauses nach Gen 17 eine lange Gesetzesvermahnung an, und eine Warnung an die Adresse derer, die im Geiste der hellenistischen Reform die Beschneidung rückgängig machten und ihre Söhne nicht mehr beschneiden ließen, eine Warnung „gemäß diesem ganzen Gesetz" (Jub 15,33-34). Und wie die Welt in sechs Tagen geschaffen wurde und Gott am siebten Tag den Sabbat hielt, so endet das Jubiläenbuch in einem fulminanten Kapitel, das die Geschichte Israels bis zur Vollendung der Welt nach Sabbatjahren, den Jahrwochen und Jubiläen, vorrechnet und das Sabbatgebot des langen und breiten begründet. Sabbat und Beschneidung, das waren seit dem Exil die beiden äußeren Merkmale, die den Juden vom Nichtjuden unterschieden und das Bewußtsein für die eigene, jüdische Identität im fremden Land wachhielten. Sabbat und Beschneidung waren auch und gerade in hellenistischer Zeit der Ausweis dafür, wer es mit dem jüdischen Gesetz hielt und wer nicht, wer dazugehörte und wer nicht, im Diesseits wie im letzten Gericht. Wenn es ans Sterben geht, werden die biblischen Texte oft sehr breit. Mose hält eine ausführliche Abschiedsrede, die ganzen 34 Kapitel des Buches Deuteronomium, Josua redet zwei Kapitel lang, bis er seine matten Augen schließt. Der Tod Abrahams hingegen ist in Gen 25 nur ganz lakonisch notiert, Anlaß für den Verfasser des Jubiläenbuchs, nachzutragen, was er im biblischen Text vermißte. Wie der Anfang, so ist auch der Schluß der Abrahamgeschichte breit ausgebaut. Kurz vor seinem Tod setzt Abraham dreimal zu gewichtigen Abschiedsreden an, von denen die eine an Ismael, den Vater der
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Araber, und Isaak, den Vater Jakob-Israels (Jub 20), die zweite an Isaak allein (Jub 21) und die dritte an Jakob allein (Jub 22) gerichtet ist. Es sind immer wieder dieselben Mahnungen, die er an seine Söhne weitergibt: Fürchtet Gott und haltet seine Gebote. Sondert euch ab von den Völkern und ihren Göttern, denn ihr sollt eine Pflanze der Gerechtigkeit (Jub 21,24) und ein heiliges Volk sein (Jub 22,12). Nach dem Tod Abrahams schaltet der Verfasser schließlich mitten in der Vätergeschichte eine apokalyptische Weissagung all dessen ein, was noch geschehen wird und tatsächlich geschehen ist bis zur Religionskrise unter Antiochus IV., in der sich das Judentum spaltete, in solche, die der hellenistischen Reform begeistert nachliefen, solche, die mit Gewalt gegen die Reform vorgingen und ein eigenes jüdisches, bald freilich seinerseits hellenisiertes Königtum erstritten, und solche, die mit geistigen Waffen gegen den Hellenismus kämpften, darunter die Leute von Qumran und die Chassidim, die Frommen, die in die innere oder äußere Emigration gingen, ihre Sünden bekannten und auf das Ende harrten. Man mag die apokalyptischen Spekulationen und vor allem die Berechnungen des permanent verschobenen Weltendes, die sich mit ihnen verbinden, für abwegig und weltfremd erachten. Doch man sollte nicht aus den Augen verlieren, daß sie aus schmerzlicher Erfahrung der Realität, aus der Demütigung, geboren sind. Die Demütigung hat den heiligen Krieg, aus der Sicht der Herrschenden: den Krieg von Terroristen, gegen die hellenistische Front im eigenen Land und bald auch gegen die ferne Supermacht, das römische Reich, provoziert. Sie hat im Judentum aber immer auch dazu geführt, daß man sich auf die eigenen Versäumnisse, theologisch gesprochen: auf die eigenen Sünden gegen Gott und sein Gesetz, als Ursache von Krieg, Terror und Verfolgung besann. Darum ist der Aufruf des Jubiläenbuchs, am Glauben der Väter festzuhalten, nicht so sehr Ausdruck von Trotz und Widerstand, als vielmehr Mahnung an die eigene Adresse. Auch das duldsame, tatenlose Warten auf das Ende sollten aufgeklärter Hochmut und politischer Tatendrang nicht verachten. Wer Gott die Entscheidung überläßt, steht nicht in der gefahrlichen Versuchung, selbst die Entscheidung für den Gottesstaat auf Erden zu erzwingen: „Und sie werden erkennen, daß es der Herr ist, der Gericht hält und der Güte wirkt an Hunderten und an Tausenden und an allen, die ihn lieben." (Jub 23,31) - mit dieser Reminiszenz an das erste Gebot schließt der apokalyptische Geschichtsüberblick im Jubiläenbuch.
III Die Traditionen, die sich im Jubiläenbuch und verwandten Schriften finden, sind natürlich noch sehr viel reichhaltiger. Historisch verwertbare Angaben über Abraham sind von ihnen nicht zu erwarten. Dafür tragen sie umso mehr zum Verständnis des antiken Judentums in hellenistisch-römischer Zeit bei.
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Damit aber werfen sie auch ein Licht auf die biblische Abrahamgeschichte, von der sie abhängig sind, da an ihnen deutlich wird, daß nicht alles historisch sein muß, um wahr zu sein. Auch was in der Bibel von Abraham erzählt wird, sagt weniger über Abraham aus als über die Erfahrungen, Überzeugungen und den Glauben derer, die von ihm erzählen. Gegenüber der biblischen Gestalt zeichnet sich der Abraham des Jubiläenbuchs durch zunehmende Stilisierung im Sinne einer jüdischen Orthodoxie aus. Daß er Hebräisch lernt, ist symptomatisch. Die Apokryphen und Pseudepigraphen waren eine Art theologische Sprachlehre für die Frommen und das Bindeglied zwischen dem biblischen und dem rabbinischen Judentum, so, wie die Septuaginta die Sprachlehre für das hellenistische Judentum und das Christentum war. Der äußere Druck zur Anpassung im Zeitalter des Hellenismus mobilisierte die Kräfte zur inneren Selbstbehauptung, ohne die es das Judentum wohl nicht mehr gäbe. Aber der äußere Druck führte auch zur Verengung des Blicks und mobilisierte die Gewalt gegen alles Fremde und die Gegengewalt der Fremdmacht. Beides, Gewalt und Gegengewalt, endete in der Katastrophe des palästinischen Judentums, damals, um 100 n. Chr., des Schwächeren in Palästina. In ähnlicher Weise hat auch die christliche und die islamische Rezeption der biblischen Abrahamgestalt zu einer immer profilierteren Positionierung des Eigenen und Trennenden geführt. Auch hier nahm dies exklusive bis militante Züge an, damals meist aus der Position des Stärkeren. Solange die Abschottung gegen außen der eigenen Identitätsfindung dient, mag das angehen. Sobald sie jedoch beim Wort genommen und in die Tat umgesetzt wird, wird sie, wie jeder Fundamentalismus, gefährlich, sei es aus der Position des Stärkeren, sei es des Schwächeren. Man darf sich nichts vormachen. Auch der Abraham des Jubiläenbuchs ist ein Fundamentalist und gibt fanatischen Fundamentalisten jedweder Konfession Nahrung, sich zu Recht oder zu Unrecht auf ihn zu berufen. Aber es gibt auch den anderen Abraham, der seine Sünden bekennt und dem einen und einzigen Gott überläßt, über die zu richten, die an ihn glauben und die nicht an ihn glauben. Und: Es gibt - gerade in der apokryphen Tradition, in der sich nicht selten alle drei Religionen, das Judentum, das Christentum und der Islam, treffen - den Abraham, der für seinen Glauben, das Bekenntnis zum einen Gott, selbst verfolgt und den allergrößten Gefahren ausgesetzt ist. Ein Beispiel ist die Legende von Abraham im Feuerofen, die in christlichen, jüdischen und islamischen Quellen vielfach bezeugt ist. Auch dieses Motiv hat einen biblischen Anhalt: Der Name der Stadt Ur in Chaldäa wurde etwas anders vokalisiert und als 'or, "11X „Feuer" gelesen, aus dem Gott nach Gen 15,7 den Abraham herausgeführt hat, und sofort war die Verbindung zu den drei Männern im Danielbuch hergestellt, die für ihr standhaftes Bekenntnis zu ihrem Gott vom babylonischen König Nebukadnezar in den Feuerofen
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geworfen und von Gott gerettet wurden. Ähnlich soll es nach dem 2. Makkabäerbuch einer Mutter und ihren sieben Kindern unter Antiochus IV. ergangen sein, als diese sich weigerten von dem verbotenen Schweinefleisch zu essen; das Bekenntnis legen sie in der Sprache ihrer Väter, dem Hebräischen, ab, die Rettung erfolgt nach dem Tod (2 Makk 7). Und so soll es eben auch schon Abraham unter dem sagenhaften babylonischen König Nimrod aus Gen 10 ergangen sein, nachdem er sich zum wahren Gott bekehrt und die Götterbilder seines Vaters Terach verbrannt hatte. Auch die sich heute in den Tod schicken lassen und andere mitnehmen, meinen, wie Abraham für ihren Gott zu sterben. Doch das ist nicht nur ein tödlicher Irrtum, sondern Gotteslästerung. Es ist eine Perversion des Bekenntnisses zum einem Gott, wenn im Namen dieses Gottes, dessen Hand den Vater der Juden, Christen und Muslime aus dem Feuer zog, Menschen von Menschenhand ins Feuer geworfen werden, ob mit der Verbrennung ihrer Bücher und Körper, ob mit Panzern, Bomben oder Flugzeugen, ob aus der Position des Stärkeren oder des Schwächeren. Die Perversion ist jedoch kein Grund, das Bekenntnis zum einen Gott zu diskreditieren, sondern macht es im Gegenteil nur umso nötiger, um Abrahams willen, der dafür durchs Feuer ging.
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Serubbabel und Joschua Bisher unveröffentlicht
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Statthalter, Hohepriester und Schreiber i m perserzeitlichen Juda Bisher unveröffentlicht
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Innerbiblische E x e g e s e und Redaktionsgeschichte i m Lichte empirischer Evidenz M. OEMING u.a. (Hg.), Das Alte Testament und die Kultur der Moderne. Beiträge des Symposiums „Das Alte Testament und die Kultur der Moderne" anlässlich des 100. Geburtstags Gerhard von Rads (1901-1971), Heidelberg, 18. - 21. Oktober 2001 (Altes Testament und Moderne 8), Münster 2004, 37-69
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Reich Gottes und Gesetz im Danielbuch und im werdenden Judentum A. S. VAN DER WOUDE (Hg.), The Book of Daniel in the Light of New Findings (BEThL 106), Leiden 1993,435^t79
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11. Die Gnade des täglichen Brots. Späte Psalmen auf dem Weg zum Vaterunser ZThK 89, 1992, 1-40
12. Die Tora Davids. Ps 1 und die doxologische Fünfteilung des Psalters ZThK 93, 1996, 1-34
13. Die Rezeption von Jeremia 10 und 29 im pseudepigraphen Brief des Jeremia JSJ26, 1995,2-31
14. „Öffne seinen Mund und seine Ohren". Wie Abraham Hebräisch lernte R. G. KRATZ / T. NAGEL (Hg.), „Abraham, unser Vater". Die gemeinsamen Wurzeln von Judentum, Christentum und Islam, Göttingen 2003, 53-65
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