Das forum necessitatis im europäischen Zuständigkeitsrecht 9783161599361, 9783161599378, 3161599365

Die Europäisierung des Internationalen Privat- und Zivilverfahrensrechts schreitet immer weiter voran. In den jüngsten e

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German Pages 268 [269] Year 2021

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Titel
Vorwort
Inhaltsübersicht
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Einleitung
A. Ausgangspunkt: Vermeidung von Rechtsverweigerung als einziger Zweck des forum necessitatis
B. Ziel der Untersuchung
C. Methodik der Untersuchung
I. Berücksichtigung rechtsvergleichender Erwägungen im autonomen Auslegungsprozess
II. Auswahl der Länder für den Rechtsvergleich
D. Eingrenzung des Untersuchungsgegenstandes
E. Gang der Darstellung
1. Teil: Das forum necessitatis in den nationalen Zuständigkeitsordnungen
A. Deutschland
I. Die Notzuständigkeit zur Vermeidung eines negativen internationalen Kompetenzkonfliktes im weiten Sinn
1. Negativer internationaler Kompetenzkonflikt im engen Sinn
a) Unterschiedliche inhaltliche Bestimmung desselben Anknüpfungspunktes
b) Verwendung unterschiedlicher Anknüpfungspunkte
c) Gerichtsstandsvereinbarung
2. Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit der Rechtsverfolgung im Ausland
a) Faktische Unmöglichkeit
(1) Stillstand der Rechtspflege
(2) Rechtlosstellung des Klägers
b) Unzumutbarkeit
(1) Schwerwiegende Mängel in der Rechtsstaatlichkeit im Auslandsverfahren
(2) Die Verfahrensdauer
(3) Allgemeine Erschwernisse der Prozessführung im Ausland
3. Nichtanerkennungsfähigkeit in Deutschland
II. Eilzuständigkeit
III. Notzuständigkeit aufgrund schlechterer Prozesschancen im Ausland
1. Ordre public-Zuständigkeit
2. Kein forum legis zur Durchsetzung zwingenden deutschen materiellen Rechts
IV. Not- und Fürsorgezuständigkeit wegen der Nicht-Erhältlichkeit des Rechtsschutzes im Ausland
V. Sachlich notwendige Zuständigkeit Deutschlands
VI. Das maßgebliche Ausland
VII. Ausreichende Beziehung zu Deutschland
1. Wirkungsentfaltung und Vollstreckbarkeit des Urteils in Deutschland
2. Belegenheit von Vermögen in Deutschland
3. Persönliche Verbindungen der Beteiligten zu Deutschland
4. Anwendbarkeit deutschen Rechts
VIII. Rechtsfolge
B. Frankreich
I. Notzuständigkeit zur Vermeidung eines déni de justice
1. Notzuständigkeit wegen der Unmöglichkeit der Rechtsverfolgung im Ausland
a) Negativer internationaler Kompetenzkonflikt
(1) Kollision aufgrund der Verwendung verschiedener Anknüpfungsmomente für die internationale Zuständigkeit Frankreichs
(2) Ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarungen
b) Faktische Unmöglichkeit
(1) Faktischer Ausschluss der Rechtsverfolgung im zu weit entfernten Forum
(2) Eilzuständigkeit
c) Rechtlosstellung des Klägers
2. Notzuständigkeit wegen der Unzumutbarkeit der Rechtsverfolgung im Ausland
a) Schlechtere Prozesschancen im ausländischen Verfahren
b) Ordre public-Zuständigkeit
(1) Verstoß gegen absolute Grundwerte des ordre public international
(2) Verstoß gegen vom ordre public international geschütztes materielles französisches Sachrecht
c) Nichtanerkennungsfähigkeit in Frankreich
3. Ausreichende Beziehung zu Frankreich
a) Lokalisierbares Rechtsschutzinteresse des Klägers
b) Persönliche Verbindungen der Beteiligten
II. Rechtsfolge
III. Ausschließliche Zuständigkeit Frankreichs
C. Österreich
I. Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit der Rechtsverfolgung im Ausland
1. Negativer internationaler Kompetenzkonflikt
2. Stillstand der Rechtspflege
3. Nichtanerkennung der ausländischen Entscheidung
4. Verstöße gegen rechtsstaatliche Grundsätze im ausländischen Verfahren
5. Die Verfahrensdauer
6. Eilzuständigkeit
7. Politische Verfolgung
8. Kosten des Auslandsprozesses
9. Schlechtere Prozesschancen im Ausland und ordre public- Zuständigkeit
10. Faktischer Ausschluss der Rechtsverfolgung im Ausland aufgrund faktischer Hindernisse
II. Nicht-Erhältlichkeit der Einantwortung im Ausland
III. Sachlich notwendige Zuständigkeit Österreichs
IV. Das maßgebliche Ausland
V. Der ausreichende Bezug zu Österreich
VI. Ausschluss der Ordination trotz drohender Rechtsverweigerung
VII. Rechtsfolge des § 28 Abs. 1 Nr. 2 JN
D. Schweiz
I. Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit der Rechtsverfolgung im Ausland
1. Unmöglichkeit der Rechtsverfolgung
a) Fehlen eines international zuständigen Forums
b) Nicht-Erhältlichkeit des nach Schweizer Recht notwendigen Rechtsschutzes
c) Rechtlosstellung des Klägers
2. Unzumutbarkeit der Rechtsverfolgung
a) Versagung der Anerkennung und Vollstreckung einer ausländischen Entscheidung
b) Stillstand der Rechtspflege
c) Verstöße gegen rechtsstaatliche Grundsätze im Auslandsverfahren
d) Die Verfahrensdauer
e) Politische Verfolgung des Klägers im ausländischen Forum
f) Schlechtere Prozesschancen im Ausland und ordre public-Zuständigkeit
g) Fehlgeschlagene ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarung
h) Notwendige passive Streitgenossenschaft
II. Sachlich notwendige internationale Zuständigkeit der Schweiz
III. Das maßgebliche Ausland
IV. Ausreichender Zusammenhang des Sachverhaltes zur Schweiz
1. Wirkungsentfaltung und Vollstreckbarkeit eines Urteils in der Schweiz
2. Belegenheit von Teilen des Vermögens in der Schweiz
3. Persönliche Verbindungen der Beteiligten zur Schweiz
V. Rechtsfolge des Art. 3 IPRG
E. Zusammenfassende Analyse
I. Die Rechtsverweigerung im internationalen Privatrechtsverkehr
1. Rechtsverweigerung aufgrund der Unmöglichkeit des Auslandsverfahrens
2. Rechtsverweigerung aufgrund der Unzumutbarkeit des Auslandsverfahrens
3. Relative Rechtsverweigerung aufgrund von Anerkennungslücken
II. Das Prinzip des Forumsbezuges
III. Ergebnis zu Teil 1
2. Teil: Grundstrukturen einer europäischen Notzuständigkeit
A. Der Begriff des Drittstaates in den untersuchten Verordnungen
B. Rechtsverweigerung aufgrund der Unmöglichkeit eines drittstaatlichen Verfahrens
I. Der negative internationale Kompetenzkonflikt
1. Unterschiedliche Bestimmung des gleichen Anknüpfungspunktes
2. Zusammentreffen verschiedener Anknüpfungspunkte
a) Kollisionen im Internationalen Unterhaltsrecht
b) Kollisionen im Internationalen Erbrecht
c) Kollisionen im Internationalen Güterrecht
3. Die weitergehende Unzuständigkeit
4. Fehlgeschlagene ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarungen
II. Nicht-Erhältlichkeit des Rechtsschutzes im an sich zuständigen Drittstaat
1. Prozessuale Abweisung eines unbekannten Rechtsschutzbegehrens
a) Mögliche Kollisionen am Beispiel des internationalen Erbrechts
(1) Nicht-Erhältlichkeit der Einantwortung im Drittstaat
(2) Sonderfall: Erhältlichkeit der Einantwortung vor Gerichten eines Mitgliedstaates
(3) Nicht-Erhältlichkeit eines europäischen Nachlasszeugnisses im Drittstaat
b) Keine Substituierbarkeit des begehrten Rechtsschutzes
c) Ausnahme: Wegfall der drohenden Rechtsverweigerung durch faktische Befriedigung des Rechtsschutzbegehrens
2. Abgrenzung zur Abweisung des Rechtsschutzbegehrens aus materiell-rechtlichen Gründen im Drittstaat
3. Ausnahme: Materiell-rechtliche Qualifikation der Abweisung eines an sich bekannten Verfahrens im Drittstaat
III. Stillstand der Rechtspflege
IV. Rechtlosstellung des Klägers im an sich zuständigen Forum
C. Rechtsverweigerung aufgrund der Unzumutbarkeit des drittstaatlichen Verfahrens
I. Verstöße gegen die Rechtsstaatlichkeit des drittstaatlichen Verfahrens
II. Die Verfahrensdauer
III. Die politische und strafrechtliche Verfolgung des Klägers im drittstaatlichen Forum
IV. Übermäßige Kosten des Verfahrens in einem Drittstaat
V. Nichtanerkennung einer drittstaatlichen Entscheidung
1. Relative Rechtsverweigerung durch Anerkennungslücken
2. Unzumutbarkeit auch bei bereits gescheiterter Anerkennung?
3. Ursachen der Anerkennungslücken bei Verfahren mit Drittstaatenbezug
a) Uneinheitlichkeit der Anerkennungslücken wegen der Verbürgung der Gegenseitigkeit
b) Anerkennungslücke trotz an sich bestehender Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaates
c) Ausschluss der Anerkennungslücke durch Zuständigkeitsanknüpfung an das Vermögen
VI. Schlechtere Erfolgsaussichten im drittstaatlichen Verfahren
1. Ordre public-Zuständigkeit
a) Ordre public-widriges Ergebnis als Ursache drohender Rechtsverweigerung
b) Unionsrechtlicher oder nationaler ordre public als Maßstab
(1) Maßgeblichkeit des nationalen anerkennungsrechtlichen ordre public
(2) Bindung der Mitgliedstaaten an Unionsrecht bei Ausführung europäischen Sekundärrechts
c) Zusammenfassendes Zwischenergebnis
2. Die ordre public-Zuständigkeit im Anwendungsbereich der einzelnen Verordnungen
a) Ordre public-Zuständigkeit im Internationalen Unterhaltsrecht
b) Ordre public-Zuständigkeit im Internationalen Erbrecht
c) Ordre public-Zuständigkeit im Internationalen Güterrecht
3. Abgrenzung zur Nicht-Erhältlichkeit des Rechtsschutzes im Drittstaat
VII. Notwendige passive Streitgenossenschaft
VIII. Eilzuständigkeit
IX. Faktischer Ausschluss der Rechtsverfolgung aufgrund sonstiger Umstände
D. Der enge Bezug zum Drittstaat – Der Prüfungsumfang
I. Die nationale Anerkennungszuständigkeit als Maßstab
II. Bestimmung der Anerkennungszuständigkeit
1. Spiegelung der nationalen Zuständigkeiten
2. Berücksichtigung der europäischen internationalen Gerichtsstände
III. Folgerung für die Bestimmung des engen Bezuges
E. Sachlich notwendige Zuständigkeit des Forums
I. Keine eigene Ursache einer drohenden Rechtsverweigerung
II. Bedeutung der sachlich notwendigen Zuständigkeit für die europäische Notzuständigkeit
F. Das Prinzip des Forumsbezugs: Der ausreichende Bezug zum Mitgliedstaat
I. Wirkungsentfaltung und Vollstreckbarkeit der Entscheidung in der mitgliedstaatlichen Rechtsordnung
1. Maßgeblichkeit im Rahmen der EuUntVO
2. Maßgeblichkeit im Rahmen der EuErbVO
3. Maßgeblichkeit im Rahmen der Güterstands-Verordnungen
II. Belegenheit von Teilen des (Nachlass-)Vermögens im Mitgliedstaat
III. Persönliche Verbindungen der Beteiligten zum Mitgliedstaat
1. Mögliche Kriterien im Rahmen der EuUntVO
2. Mögliche Kriterien im Rahmen der EuErbVO
3. Mögliche Kriterien im Rahmen der Güterstands- Verordnungen
IV. Anwendbarkeit des Rechts des Mitgliedstaates
V. Rangfolge beim Bestehen mehrerer Bezüge
G. Drohende Rechtsverweigerung in einem Mitgliedstaat – Innereuropäische Notzuständigkeit
I. Ursachen der drohenden Rechtsverweigerung im europäischen Justizraum
II. Lösung der drohenden Rechtsverweigerung
III. Europäische Notzuständigkeit aufgrund staatsvertraglicher Friktionen
H. Rechtsfolge des forum necessitatis
Schlussüberlegungen
Literaturverzeichnis
Sachregister
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Das forum necessitatis im europäischen Zuständigkeitsrecht
 9783161599361, 9783161599378, 3161599365

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Studien zum ausländischen und internationalen Privatrecht 465 Herausgegeben vom

Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht Direktoren: Holger Fleischer, Ralf Michaels und Reinhard Zimmermann

Maximilian Kübler-Wachendorff

Das forum necessitatis im europäischen Zuständigkeitsrecht

Mohr Siebeck

Maximilian Kübler-Wachendorff, geboren 1992; Studium der Rechtswissenschaft an der Universität Augsburg; 2015 Erstes Juristisches Staatsexamen; wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Wirtschaftsrecht, Internationales Privat- und Verfahrensrecht sowie Rechtsvergleichung an der Universität Augsburg; Rechtsreferendar im Bezirk des OLG München.

Zugleich Dissertation, Universität Augsburg, 2020. ISBN 978-3-16-159936-1 / eISBN 978-3-16-159937-8 DOI 10.1628/978-3-16-159937-8 ISSN 0720-1141 / eISSN 2568-7441 (Studien zum ausländischen und internationalen Privatrecht) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind über http://dnb.dnb.de abrufbar.

© 2021  Mohr Siebeck Tübingen.  www.mohrsiebeck.com Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für die Verbreitung, Vervielfältigung, Übersetzung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Laupp & Göbel in Gomaringen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und gebunden. Printed in Germany.

Meinen Eltern

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2019/2020 von der Juristischen Fakultät der Universität Augsburg als Dissertation angenommen. Gesetzgebung, Rechtsprechung und Literatur wurden bis zum Juli 2020 berücksichtigt. Der Abschluss des Werks gibt Anlass, mich von Herzen bei allen zu bedanken, die zu seinem Gelingen beigetragen haben. Mein Dank gilt in erster Linie meinem akademischen Lehrer Professor Dr. Wolfgang Wurmnest, LL.M. (Berkeley), der die Untersuchung angeregt hat. An seinem Lehrstuhl habe ich als wissenschaftlicher Mitarbeiter eine äußerst lehrreiche und schöne Zeit und das denkbar beste Umfeld zum Anfertigen der Arbeit gehabt. In zahlreichen Gesprächen hat er mir wertvolle Anregungen gegebenen. Zugleich hat er das Gelingen der Arbeit durch das in mich gesetzte Vertrauen und seine stets geduldige Betreuung wesentlich gefördert. Professor Dr. Christoph Becker danke ich für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens und die darin enthaltenen hilfreichen Hinweise. Bedanken möchte ich mich außerdem bei den zahlreichen Freunden und Kollegen, die mir durch ihre Ermunterungen und ihr offenes Ohr zur Seite gestanden haben. Durch sie wird mir die Promotionszeit immer in schöner Erinnerung bleiben. Ein besonderer Dank geht an Dr. Michael Tischendorf für das gewissenhafte Korrekturlesen der Arbeit sowie seine zahlreichen wertvollen Anmerkungen. Außerdem danke ich Benedikt Wössner, Dr. Jonas Körner, Finn Mrugalla, Dr. Lilian Gutkin, Lena Franke und Thomas Heuermann für die zahlreichen fachlichen Gespräche und die daraus resultierenden Erkenntnisse. Größter Dank gilt meinen Eltern Dr. Elke Wachendorff und Dr. Hans Kübler. Durch ihren Zuspruch und ihre bedingungslose Unterstützung haben sie meine persönliche und akademische Entwicklung stets gefördert. Ohne sie würde es diese Arbeit nicht geben. Von Herzen möchte ich mich schließlich bei meiner Lebensgefährtin, Angelika Hoffmann, für die uneingeschränkte Unterstützung in jeder Lebenslage sowie die oftmals stark beanspruchte Geduld bedanken. München, im August 2020

Maximilian K.-Wachendorff

Inhaltsübersicht Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

VII

Inhaltsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

XI

Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

XIX

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1

A. Ausgangspunkt: Vermeidung von Rechtsverweigerung als einziger Zweck des forum necessitatis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

2

B. Ziel der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

4

C. Methodik der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

5

D. Eingrenzung des Untersuchungsgegenstandes . . . . . . . . . . . . . . . . .

9

E. Gang der Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

10

1. Teil: Das forum necessitatis in den nationalen Zuständigkeitsordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

11

A. Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

12

B. Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

44

C. Österreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

68

D. Schweiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

88

E. Zusammenfassende Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

113

2. Teil: Grundstrukturen einer europäischen Notzuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

123

A. Der Begriff des Drittstaates in den untersuchten Verordnungen . . .

125

B. Rechtsverweigerung aufgrund der Unmöglichkeit eines drittstaatlichen Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

127

X

Inhaltsübersicht

C. Rechtsverweigerung aufgrund der Unzumutbarkeit des drittstaatlichen Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

159

D. Der enge Bezug zum Drittstaat – Der Prüfungsumfang . . . . . . . . .

196

E. Sachlich notwendige Zuständigkeit des Forums . . . . . . . . . . . . . . . .

202

F. Das Prinzip des Forumsbezugs: Der ausreichende Bezug zum Mitgliedstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

205

G. Drohende Rechtsverweigerung in einem Mitgliedstaat – Innereuropäische Notzuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

217

H. Rechtsfolge des forum necessitatis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

224

Schlussüberlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

227

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

235

Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

245

Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

VII

Inhaltsübersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

IX

Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

XIX

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1

A. Ausgangspunkt: Vermeidung von Rechtsverweigerung als einziger Zweck des forum necessitatis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

2

B. Ziel der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

4

C. Methodik der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Berücksichtigung rechtsvergleichender Erwägungen im autonomen Auslegungsprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Auswahl der Länder für den Rechtsvergleich . . . . . . . . . . . . . . . .

5 6 7

D. Eingrenzung des Untersuchungsgegenstandes . . . . . . . . . . . . . . . . .

9

E. Gang der Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

10

1. Teil: Das forum necessitatis in den nationalen Zuständigkeitsordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

11

A. Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Notzuständigkeit zur Vermeidung eines negativen internationalen Kompetenzkonfliktes im weiten Sinn . . . . . . . . . 1. Negativer internationaler Kompetenzkonflikt im engen Sinn a) Unterschiedliche inhaltliche Bestimmung desselben Anknüpfungspunktes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verwendung unterschiedlicher Anknüpfungspunkte . . . . c) Gerichtsstandsvereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit der Rechtsverfolgung im Ausland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Faktische Unmöglichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

12 14 15 17 18 20 21 22

XII

Inhaltsverzeichnis

(1) Stillstand der Rechtspflege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Rechtlosstellung des Klägers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Unzumutbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Schwerwiegende Mängel in der Rechtsstaatlichkeit im Auslandsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Die Verfahrensdauer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Allgemeine Erschwernisse der Prozessführung im Ausland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Nichtanerkennungsfähigkeit in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . II. Eilzuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Notzuständigkeit aufgrund schlechterer Prozesschancen im Ausland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ordre public-Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kein forum legis zur Durchsetzung zwingenden deutschen materiellen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Not- und Fürsorgezuständigkeit wegen der Nicht-Erhältlichkeit des Rechtsschutzes im Ausland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Sachlich notwendige Zuständigkeit Deutschlands . . . . . . . . . . . . . VI. Das maßgebliche Ausland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Ausreichende Beziehung zu Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Wirkungsentfaltung und Vollstreckbarkeit des Urteils in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Belegenheit von Vermögen in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Persönliche Verbindungen der Beteiligten zu Deutschland . . . 4. Anwendbarkeit deutschen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Rechtsfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Notzuständigkeit zur Vermeidung eines de´ni de justice . . . . . . . . . 1. Notzuständigkeit wegen der Unmöglichkeit der Rechtsverfolgung im Ausland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Negativer internationaler Kompetenzkonflikt . . . . . . . . . (1) Kollision aufgrund der Verwendung verschiedener Anknüpfungsmomente für die internationale Zuständigkeit Frankreichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarungen . . . . . . b) Faktische Unmöglichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Faktischer Ausschluss der Rechtsverfolgung im zu weit entfernten Forum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Eilzuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Rechtlosstellung des Klägers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Notzuständigkeit wegen der Unzumutbarkeit der Rechtsverfolgung im Ausland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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48 50 51 52 54 55 56

Inhaltsverzeichnis

a) Schlechtere Prozesschancen im ausländischen Verfahren b) Ordre public-Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Verstoß gegen absolute Grundwerte des ordre public international . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Verstoß gegen vom ordre public international geschütztes materielles französisches Sachrecht . . . . . c) Nichtanerkennungsfähigkeit in Frankreich . . . . . . . . . . . . 3. Ausreichende Beziehung zu Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Lokalisierbares Rechtsschutzinteresse des Klägers . . . . . . b) Persönliche Verbindungen der Beteiligten . . . . . . . . . . . . . II. Rechtsfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Ausschließliche Zuständigkeit Frankreichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Österreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit der Rechtsverfolgung im Ausland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Negativer internationaler Kompetenzkonflikt . . . . . . . . . . . . . 2. Stillstand der Rechtspflege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Nichtanerkennung der ausländischen Entscheidung . . . . . . . . 4. Verstöße gegen rechtsstaatliche Grundsätze im ausländischen Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Die Verfahrensdauer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Eilzuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Politische Verfolgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Kosten des Auslandsprozesses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Schlechtere Prozesschancen im Ausland und ordre publicZuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10. Faktischer Ausschluss der Rechtsverfolgung im Ausland aufgrund faktischer Hindernisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Nicht-Erhältlichkeit der Einantwortung im Ausland . . . . . . . . . . III. Sachlich notwendige Zuständigkeit Österreichs . . . . . . . . . . . . . . . IV. Das maßgebliche Ausland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Der ausreichende Bezug zu Österreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Ausschluss der Ordination trotz drohender Rechtsverweigerung VII. Rechtsfolge des § 28 Abs. 1 Nr. 2 JN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Schweiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit der Rechtsverfolgung im Ausland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Unmöglichkeit der Rechtsverfolgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Fehlen eines international zuständigen Forums . . . . . . . . b) Nicht-Erhältlichkeit des nach Schweizer Recht notwendigen Rechtsschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

XIII 56 57 58 60 62 64 64 65 66 67 68 70 71 72 72 74 75 76 76 77 79 81 82 84 85 86 87 88 88 90 91 91 94

XIV

II. III. IV.

V.

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c) Rechtlosstellung des Klägers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Unzumutbarkeit der Rechtsverfolgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Versagung der Anerkennung und Vollstreckung einer ausländischen Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Stillstand der Rechtspflege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Verstöße gegen rechtsstaatliche Grundsätze im Auslandsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Die Verfahrensdauer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Politische Verfolgung des Klägers im ausländischen Forum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Schlechtere Prozesschancen im Ausland und ordre publicZuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Fehlgeschlagene ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . h) Notwendige passive Streitgenossenschaft . . . . . . . . . . . . . . Sachlich notwendige internationale Zuständigkeit der Schweiz Das maßgebliche Ausland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ausreichender Zusammenhang des Sachverhaltes zur Schweiz 1. Wirkungsentfaltung und Vollstreckbarkeit eines Urteils in der Schweiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Belegenheit von Teilen des Vermögens in der Schweiz . . . . . . . 3. Persönliche Verbindungen der Beteiligten zur Schweiz . . . . . . Rechtsfolge des Art. 3 IPRG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

96 96 98 99 99 100 100 101 103 104 105 107 108 110 111 111 113

E. Zusammenfassende Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Rechtsverweigerung im internationalen Privatrechtsverkehr 1. Rechtsverweigerung aufgrund der Unmöglichkeit des Auslandsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtsverweigerung aufgrund der Unzumutbarkeit des Auslandsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Relative Rechtsverweigerung aufgrund von Anerkennungslücken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Das Prinzip des Forumsbezuges . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Ergebnis zu Teil 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

113 113

117 119 120

2. Teil: Grundstrukturen einer europäischen Notzuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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A. Der Begriff des Drittstaates in den untersuchten Verordnungen . . .

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B. Rechtsverweigerung aufgrund der Unmöglichkeit eines drittstaatlichen Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Der negative internationale Kompetenzkonflikt . . . . . . . . . . . . . .

127 128

114 115

Inhaltsverzeichnis

1. Unterschiedliche Bestimmung des gleichen Anknüpfungspunktes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zusammentreffen verschiedener Anknüpfungspunkte . . . . . . . a) Kollisionen im Internationalen Unterhaltsrecht . . . . . . . . b) Kollisionen im Internationalen Erbrecht . . . . . . . . . . . . . . c) Kollisionen im Internationalen Güterrecht . . . . . . . . . . . . 3. Die weitergehende Unzuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Fehlgeschlagene ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Nicht-Erhältlichkeit des Rechtsschutzes im an sich zuständigen Drittstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Prozessuale Abweisung eines unbekannten Rechtsschutzbegehrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Mögliche Kollisionen am Beispiel des internationalen Erbrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Nicht-Erhältlichkeit der Einantwortung im Drittstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Sonderfall: Erhältlichkeit der Einantwortung vor Gerichten eines Mitgliedstaates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Nicht-Erhältlichkeit eines europäischen Nachlasszeugnisses im Drittstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Keine Substituierbarkeit des begehrten Rechtsschutzes c) Ausnahme: Wegfall der drohenden Rechtsverweigerung durch faktische Befriedigung des Rechtsschutzbegehrens 2. Abgrenzung zur Abweisung des Rechtsschutzbegehrens aus materiell-rechtlichen Gründen im Drittstaat . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ausnahme: Materiell-rechtliche Qualifikation der Abweisung eines an sich bekannten Verfahrens im Drittstaat . . . . . . . . . . . III. Stillstand der Rechtspflege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Rechtlosstellung des Klägers im an sich zuständigen Forum . . . . C. Rechtsverweigerung aufgrund der Unzumutbarkeit des drittstaatlichen Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Verstöße gegen die Rechtsstaatlichkeit des drittstaatlichen Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Verfahrensdauer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die politische und strafrechtliche Verfolgung des Klägers im drittstaatlichen Forum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Übermäßige Kosten des Verfahrens in einem Drittstaat . . . . . . . . V. Nichtanerkennung einer drittstaatlichen Entscheidung . . . . . . . . 1. Relative Rechtsverweigerung durch Anerkennungslücken . . . 2. Unzumutbarkeit auch bei bereits gescheiterter Anerkennung?

XV 129 131 132 133 136 137 140 142 143 144 144 145 148 150 151 152 153 155 158 159 161 163 165 167 169 170 172

XVI

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3. Ursachen der Anerkennungslücken bei Verfahren mit Drittstaatenbezug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Uneinheitlichkeit der Anerkennungslücken wegen der Verbürgung der Gegenseitigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Anerkennungslücke trotz an sich bestehender Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaates . . . . . . . . . . . c) Ausschluss der Anerkennungslücke durch Zuständigkeitsanknüpfung an das Vermögen . . . . . . . . . . VI. Schlechtere Erfolgsaussichten im drittstaatlichen Verfahren . . . . 1. Ordre public-Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ordre public-widriges Ergebnis als Ursache drohender Rechtsverweigerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Unionsrechtlicher oder nationaler ordre public als Maßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Maßgeblichkeit des nationalen anerkennungsrechtlichen ordre public . . . . . . . . . . . . . . (2) Bindung der Mitgliedstaaten an Unionsrecht bei Ausführung europäischen Sekundärrechts . . . . . . . . . . c) Zusammenfassendes Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die ordre public-Zuständigkeit im Anwendungsbereich der einzelnen Verordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ordre public-Zuständigkeit im Internationalen Unterhaltsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ordre public-Zuständigkeit im Internationalen Erbrecht c) Ordre public-Zuständigkeit im Internationalen Güterrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Abgrenzung zur Nicht-Erhältlichkeit des Rechtsschutzes im Drittstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Notwendige passive Streitgenossenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Eilzuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX. Faktischer Ausschluss der Rechtsverfolgung aufgrund sonstiger Umstände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

173 173 175 176 178 179 180 181 182 183 185 185 185 186 187 190 190 192 193

D. Der enge Bezug zum Drittstaat – Der Prüfungsumfang . . . . . . . . . I. Die nationale Anerkennungszuständigkeit als Maßstab . . . . . . . . II. Bestimmung der Anerkennungszuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Spiegelung der nationalen Zuständigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Berücksichtigung der europäischen internationalen Gerichtsstände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Folgerung für die Bestimmung des engen Bezuges . . . . . . . . . . . .

196 196 198 199 200 201

E. Sachlich notwendige Zuständigkeit des Forums . . . . . . . . . . . . . . . . I. Keine eigene Ursache einer drohenden Rechtsverweigerung . . . .

202 202

Inhaltsverzeichnis

II. Bedeutung der sachlich notwendigen Zuständigkeit für die europäische Notzuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . F. Das Prinzip des Forumsbezugs: Der ausreichende Bezug zum Mitgliedstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Wirkungsentfaltung und Vollstreckbarkeit der Entscheidung in der mitgliedstaatlichen Rechtsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Maßgeblichkeit im Rahmen der EuUntVO . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Maßgeblichkeit im Rahmen der EuErbVO . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Maßgeblichkeit im Rahmen der Güterstands-Verordnungen II. Belegenheit von Teilen des (Nachlass-)Vermögens im Mitgliedstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Persönliche Verbindungen der Beteiligten zum Mitgliedstaat . . . 1. Mögliche Kriterien im Rahmen der EuUntVO . . . . . . . . . . . . . 2. Mögliche Kriterien im Rahmen der EuErbVO . . . . . . . . . . . . . 3. Mögliche Kriterien im Rahmen der GüterstandsVerordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Anwendbarkeit des Rechts des Mitgliedstaates . . . . . . . . . . . . . . . V. Rangfolge beim Bestehen mehrerer Bezüge . . . . . . . . . . . . . . . . . . G. Drohende Rechtsverweigerung in einem Mitgliedstaat – Innereuropäische Notzuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Ursachen der drohenden Rechtsverweigerung im europäischen Justizraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Lösung der drohenden Rechtsverweigerung . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Europäische Notzuständigkeit aufgrund staatsvertraglicher Friktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

XVII 204 205 208 209 209 210 211 212 214 215 215 215 216 217 218 219 220

H. Rechtsfolge des forum necessitatis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

224

Schlussüberlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

227

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

235

Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

245

Abkürzungsverzeichnis a.A. a.E. a.F. AB ABl. ABGB Abs. AG Alt. Art./Artt. AS BayOblG BBl BeckOGK Begr. BGB BGBl. BGE BGer BGH BGHZ BörsG Brüssel I-VO

Brüssel Ia-VO

Brüssel IIa-VO

bzw. Cass. Civ. Cass. Civ. I Cass. Soc. CDT EG

andere Ansicht am Ende alte Fassung Abschlussbericht des Nationalrats Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaft/Union Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch Absatz Amtsgericht Alternative Artikel Amtliche Sammlung des Bundesrechts Bayerisches Oberstes Landesgericht Bundesblatt beck-online.GROSSKOMMENTAR Begründer Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt/Bundesgesetzblatt für die Republik Österreich Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts Bundesgericht Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Börsengesetz Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (Neufassung) Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rates vom 27. November 2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 beziehungsweise Cour de Cassation Chambre civile Cour de Cassation Premie`re chambre civile Cour de Cassation Chambre sociale Cuadernos de Derecho Transnacional Europäische Gemeinschaft

XX EGMR EheG EMRK ErläutRV ESR EU EUV EuErbVO

EuGRCh EuGüVO

EuGVÜ

EuGVO-E

EuPartVO

EuUntVO

f./ff. FamFG FamRZ FS Hrsg. HUP HUÜ 2007

ICLQ IPRax IPR IPRG

Abkürzungsverzeichnis Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Ehegesetz Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten Erläuterung der Regierungsvorlage European Succession Regulation (=EuErbVO) Europäische Union Vertrag über die Europäische Union Verordnung (EU) Nr. 650/2012 des europäischen Parlaments und des Rates vom 4.7.2012 über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Annahme und Vollstreckung öffentlicher Urkunden in Erbsachen sowie zur Einführung eines Europäischen Nachlasszeugnisses (EuErbVO) Charta der Grundrechte der Europäische Union Verordnung (EU) 2016/1103 des Rates vom 24.6.2016 zur Durchführung einer Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich der Zuständigkeit, des anzuwendenden Rechts und der Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Fragen des ehelichen Güterstands Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (unterzeichnet am 27. September 1968) Vorschlag der Europäischen Kommission für eine Verordnung des europäischen Parlaments und des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (Neufassung), KOM(2010) 748 endgültig Verordnung (EU) 2016/1104 des Rates vom 24. Juni 2016 zur Durchführung der Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich der Zuständigkeit, des anzuwendenden Rechts und der Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Fragen güterrechtlicher Wirkungen eingetragener Partnerschaften Verordnung (EG) Nr. 4/2009 des Rates vom 18.12.2008 über die Zuständigkeit, das anwendbare Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Zusammenarbeit in Unterhaltssachen (EuUntVO) folgende Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit Zeitschrift für das gesamte Familienrecht Festschrift Herausgeber(in) Haager Protokoll über das auf Unterhaltspflichten anzuwendende Recht vom 23.11.2007 Haager Übereinkommen über die internationale Geltendmachung der Unterhaltsansprüche von Kindern und anderen Familienangehörigen vom 23.11.2007 International & Comparative Law Quarterly Praxis des Internationalen Privat- und Verfahrensrechts Internationales Privatrecht Bundesgesetz über das Internationale Privatrecht

Abkürzungsverzeichnis IPRspr i.S.v. i.V.m. IZVR JBl JCP JDI (Clunet) JN JuS JZ KG LDIP lit. MüKo m.w.N. NJW NJW-RR Nr. NZ OGH OLG öZÖR ÖZW RabelsZ Rev. crit. DIP Rev. Socie´te´s RIW Rn. Rom I-VO

Rom II-VO

RZ S. SchKG StAZ SJZ SZIER SZZP/RSPC u.a. Uabs. UdSSR vgl. WM ZBJV ZErb

XXI

Die deutsche Rechtsprechung auf dem Gebiete des Internationalen Privatrechts im Sinne von in Verbindung mit Internationale Zivilverfahrensrecht Juristische Blätter Juris-Classeur pe´riodique (La Semaine Juridique) Journal du droit international (Clunet) Jurisdictionsnorm Juristische Schulung Juristenzeitung Kammergericht Loi fe´de´rale sur le droit international prive´ (=IPRG) littera Münchener Kommentar mit weiteren Nachweisen Neue Juristische Wochenschrift NJW-Rechtsprechungs-Report, Zivilrecht Nummer Österreichische Notariatszeitschrift Oberster Gerichtshof Oberlandesgericht Österreichische Zeitschrift für öffentliches Recht und Völkerrecht Österreichische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht Revue critique de droit international prive´ Revue des Socie´te´s Recht der Internationalen Wirtschaft Randnummer Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 2008über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I) Verordnung (EG) Nr. 864/2007 des europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Juli 2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom II) Österreichische Richterzeitschrift Seite Bundesgestz über Schuldbetreibung und Konkurs Das Standesamt Schweizerische Juristen-Zeitung Schweizerische Zeitschrift für internationales und europäisches Recht Schweizerische Zeitschrift für Zivilprozessrecht und andere, unter anderem Unterabsatz Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken vergleiche Zeitschrift für Wirtschafts- und Bankrecht Zeitschrift des bernischen Juristenvereins Zeitschrift für die Steuer- und Erbrechtspraxis

XXII ZGB ZfRV Ziff. ZPO ZR ZVglRWiss ZZW

Abkürzungsverzeichnis Schweizerisches Zivilgesetzbuch Zeitschrift für Rechtsvergleichung Ziffer Zivilprozessordnung Blätter für Zürcherische Rechtsprechung Zeitschrift für Vergleichende Rechtswissenschaft Zeitschrift für Zivilstandswesen

Einleitung Die Europäisierung des Internationalen Privat- und Zivilverfahrensrechts schreitet immer weiter voran. Im Verlauf der letzten 20 Jahre hat die EU eine Vielzahl von Verordnungen in diesen Rechtsgebieten erlassen.1 In Bezug auf das internationale Verfahrensrecht enthielten die von der EU erlassenen älteren Verordnungen, wie die Brüssel Ia-VO2 oder Brüssel IIa-VO3, keine abschließende Regelung der internationalen Zuständigkeit. Es verblieb stets ein kleiner Anwendungsraum für nationale Zuständigkeitsregelungen. Diesen Rekurs auf nationales Zuständigkeitsrecht sehen diese Verordnungen ausdrücklich in Art. 6 Abs. 1 Brüssel Ia-VO und Art. 7 Abs. 1 Brüssel IIa-VO unter der Voraussetzung vor, dass der Beklagte keinen Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates hat. In jüngster Zeit hat der europäische Normsetzer aber einen neuen universelleren Ansatz der Regelung der internationalen Zuständigkeit der mitgliedstaatlichen Gerichte verfolgt: Zum einen sind die Zuständigkeitsbestimmungen der EuUntVO4, der EuErbVO,5 der EuGüVO6 und der EuPartVO7 universell anwendbar, sodass die Zuständig1

Vgl. Becker, in: Recht in Europa, 25 ff. Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (Neufassung), ABl. 2012 L 351, 1. 3 Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rates vom 27. November 2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000, ABl. 2003 L 338, 1. 4 Verordnung (EG) Nr. 4/2009 des Rates vom 18.12.2008 über die Zuständigkeit, das anwendbare Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Zusammenarbeit in Unterhaltssachen (EuUntVO), ABl. 2009 Nr. L 7, 1. 5 Verordnung (EU) Nr. 650/2012 des europäischen Parlaments und des Rates vom 4.7.2012 über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Annahme und Vollstreckung öffentlicher Urkunden in Erbsachen sowie zur Einführung eines Europäischen Nachlasszeugnisses (EuErbVO), ABl. 2012 Nr. L 201, 107. 6 Verordnung (EU) 2016/1103 des Rates vom 24.6.2016 zur Durchführung einer Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich der Zuständigkeit, des anzuwendenden Rechts und der Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Fragen des ehelichen Güterstands, ABl. 2016 Nr. L183, 1. 7 Verordnung (EU) 2016/1104 des Rates vom 24. Juni 2016 zur Durchführung der Ver2

2

Einleitung

keitsvorschriften dieser Verordnungen auch im Verhältnis zu Drittstaaten zum Tragen kommen.8 Zum anderen, und weitaus gewichtiger, regeln diese Verordnungen die internationale Zuständigkeit der mitgliedstaatlichen Gerichte abschließend. Sehen diese Verordnungen aufgrund eines starken Bezuges zu einem Drittstaat keine Zuständigkeit eines europäischen Mitgliedstaates vor, so soll sich grundsätzlich kein mitgliedstaatliches Gericht für zuständig erklären. Ein Rückgriff auf nationales Zuständigkeitsrecht im Anwendungsbereich dieser Verordnungen ist daher nicht mehr möglich.9 Nationale Zuständigkeitsbestimmungen der Mitgliedstaaten werden im Anwendungsbereich dieser neueren Verordnungen beinahe vollständig verdrängt.10 Diese abschließende Regelung der internationalen Zuständigkeiten soll stets eine eindeutige und einheitliche Verteilung der internationalen Zuständigkeiten im europäischen Justizraum gewährleisten.11

A. Ausgangspunkt: Vermeidung von Rechtsverweigerung als einziger Zweck des forum necessitatis Dieser Grundsatz der Unzuständigkeit in Fällen, in denen kein ordentlicher oder subsidiärer Gerichtsstand in einem Mitgliedstaat besteht, greift jedoch nicht ausnahmslos. Alle hier interessierenden Verordnungen enthalten Regelungen für eine Notzuständigkeit eines mitgliedstaatlichen Gerichtes (Art. 7 EuUntVO, Art. 11 EuErbVO, Art. 11 EuGüVO und Art. 11 EuPartVO).12 Die abschließende Regelung der Gründe der internationalen Zustän-

stärkten Zusammenarbeit im Bereich der Zuständigkeit, des anzuwendenden Rechts und der Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Fragen güterrechtlicher Wirkungen eingetragener Partnerschaften, ABl. 2016 Nr. L183, 30. 8 Vgl. nur Andrae, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Vorbem. zu Art. 3 EG-UntVO Rn. 2. 9 Erwägungsgrund 15 EuUntVO; Erwägungsgrund 30 EuErbVO; Erwägungsgrund 40 EuGüVO; Erwägungsgrund 39 EuPartVO; vgl. auch Andrae, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Einl. EG-UntVO Rn. 23, Vorbem. zu Art. 3 EG-UntVO Rn. 5; Dutta, in: MüKo BGB, Vorbemerkungen zu Art. 4 EuErbVO Rn. 26; Hertel, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Einleitung EuErbVO Rn. 29; Hau, FS Kaissis, 359; Mayer, in: MüKo FamFG, Art. 11 EuGüVO Rn. 1. 10 Schack, IZVR, Rn. 434; Andrae, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Einl. EG-UntVO Rn. 23, Vorbem. zu Art. 3 EG-UntVO Rn. 2. Nach Art. 14 EuUntVO, Art. 19 EuErbVO, Art. 19 EuGüVO und Art. 19 EuPartVO bleibt ein Rückgriff auf nationales Zuständigkeitsrecht in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes möglich. 11 Erwägungsgrund 15 EuUntVO; Erwägungsgrund 30 EuErbVO; Erwägungsgrund 40 EuGüVO; Erwägungsgrund 39 EuPartVO. 12 Diese Eröffnen eine Zuständigkeit in einem Mitgliedstaat, wenn ein Verfahren in einem Drittstaat unmöglich oder unzumutbar ist und die Sache einen ausreichenden Bezug zu dem Mitgliedstaat aufweist.

A. Vermeidung von Rechtsverweigerung als einziger Zweck des forum necessitatis

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digkeit darf nicht dazu führen, dass der Kläger rechtsschutzlos gestellt wird. Ist dies der Fall, droht dem Kläger eine Rechtsverweigerung im internationalen Privatrechtsverkehr – auch de´ni de justice oder Justizverweigerung genannt. Um einer solchen zu begegnen, muss sich aber unmittelbar aus den Verordnungen selbst die Möglichkeit einer außerordentlichen Zuständigkeit ergeben, weil der Rückgriff auf nationale Zuständigkeitsgründe nicht möglich ist.13 Ausweislich der Erwägungsgründe sollen diese Notzuständigkeiten daher insbesondere „Fälle[n] drohender Rechtsverweigerung“ begegnen.14 Die europäische Notzuständigkeit schützt demnach den klägerischen Anspruch auf Justizgewährung, dem sämtliche Mitgliedstaaten nach Art. 6 Abs. 1 EMRK15 und Art. 47 Abs. 2 EuGRCh16 verpflichtet sind.17 Dies ist Sinn und Zweck der Regelungen zur europäischen Notzuständigkeit.18 Einen über diesen Zweck hinausgehenden Anwendungsbereich für die Notzuständigkeit gibt es nicht. Die europäische Notzuständigkeit ist ausweislich der Erwägungsgründe und des Wortlautes der Vorschriften eine Aus13 Andrae, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 7 EG-UntVO Rn. 1; Dutta, in: MüKo BGB, Art. 11 EuErbVO Rn. 3; Fucik, in: Fasching/Konecny, Art. 7 EuUVO Rn. 1; Mayer, in: MüKo FamFG, Art. 11 EuGüVO Rn. 1 ff.; Nagel/Gottwald, Internationales Zivilprozessrecht, § 3 Rn. 496; Panopoulos, in: Pamboukis, ESR Commentary, Art. 11 ESR Rn. 6; Schmidt, in: BeckOGK, Stand 1.5.2020, Art. 11 EuErbVO Rn. 3; Schütze, Deutsches und europäisches internationales Zivilprozessrecht, Rn. 128; Wall, in: Geimer/Schütze, Int. Rechtsverkehr, Art. 11 EuErbVO Rn. 4; Wurmnest, in: BeckOGK, Stand 1.11.2019, Art. 7 EuUntVO Rn. 2 ff. 14 Vgl. Erwägungsgrund Nr. 16 EuUntVO; Erwägungsgrund 31 EuErbVO; Erwägungsgrund Nr. 41 EuGüVO und Erwägungsgrund Nr. 40 EuPartVO. 15 Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten in der Fassung der Bekanntmachung vom 22. Oktober 2010, BGBl. II 2010, 1198. 16 Charta der Grundrechte der Europäische Union, ABl. 2012 Nr. C 326, 391. 17 Andrae, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 7 EG-UntVO Rn. 1; Bidell, Die Erstreckung der Zuständigkeiten der EuGVO auf Drittstaatensacherhalte, 168 ff. und 176 ff.; Dutta, in: MüKo BGB, Art. 11 EuErbVO Rn. 1; Fucik, in: Fasching/Konecny, Art. 7 EuUVO Rn. 1; Grolimund, Drittstaatenproblematik des europäischen Zivilverfahrensrechts, Rn. 696 ff.; Hausmann, Internationales und Europäisches Familienrecht, Teil C Rn. 197; Mayer, in: MüKo FamFG, Art. 11 EuGüVO Rn. 1 f.; Schütze, FS Rechberger, 567, 573; Wall, in: Geimer/Schütze, Int. Rechtsverkehr, Art. 11 EuErbVO Rn. 4; Wurmnest, in: BeckOGK, Stand 1.11.2019, Art. 7 EuUntVO Rn. 2 ff.; in Bezug auf Art. 6 EMRK: Kropholler, in: Handbuch des IZVR I, Kap. III Rn. 57; Matscher, öZÖR 31 (1980), 1, 19; Milleker, Der negative internationale Kompetenzkonflikt, 69. Ähnlich EGMR (Große Kammer), 15. 3. 2018 – Nr. 51357/07 (Nait-Liman/Schweiz) ECLI:CE:ECHR:2018:0315 JUD005135707 Rn. 115 und 216. 18 Statt aller Andrae, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 7 EG-UntVO Rn. 1; Dutta, in: MüKo BGB, Art. 11 EuErbVO Rn. 1; Fucik, in: Fasching/Konecny, Art. 7 EuUVO Rn. 1; Mayer, in: MüKo FamFG, Art. 11 EuGüVO Rn. 1 f.; Panopoulos, in: Pamboukis, ESR Commentary, Art. 11 ESR Rn. 6; Wall, in: Geimer/Schütze, Int. Rechtsverkehr, Art. 11 EuErbVO Rn. 4; Wurmnest, in: BeckOGK, Stand 1.11.2019, Art. 7 EuUntVO Rn. 2 ff.

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nahmezuständigkeit.19 Die abschließende Zuständigkeitsverteilung der Verordnungen darf nicht durch eine zu weitreichende Anwendung der Notzuständigkeit unterlaufen werden. Denn mit der Notzuständigkeit wird ein weiterer, oftmals nur schwer vorhersehbarer Gerichtsstand geschaffen, der geeignet ist, die Gerichtspflichtigkeit des Beklagten in streitigen Verfahren massiv zu erweitern. Diese Unvorhersehbarkeit eines möglichen Gerichtsstandes im Ausland widerspricht dem Zweck des europäischen Zuständigkeitsrechts, im Interesse der Rechtssicherheit klare Zuständigkeiten zu schaffen. Aus diesem Grund darf die Notzuständigkeit nur in absoluten Ausnahmefällen in die von den Verordnungen vorgenommene Zuständigkeitsverteilung eingreifen und eine ansonsten nicht bestehende Zuständigkeit eines mitgliedstaatlichen Gerichts begründen. Als schwerster Eingriff in die Rechte des Klägers begründet nur die drohende Rechtsverweigerung im internationalen Privatrechtsverkehr einen solchen Ausnahmefall.20 Anlass zu einer europäischen Notzuständigkeit besteht folglich nur, aber stets dann, wenn die Ablehnung der Notzuständigkeit den Kläger einer Rechtsverweigerung aussetzen würde.21 Es ist somit das Konzept der Rechtsverweigerung, das die Reichweite der europäischen Notzuständigkeit definiert.

B. Ziel der Untersuchung Um in jedem Einzelfall zu verhindern, dass dem Kläger im internationalen Rechtsverkehr eine Rechtsverweigerung widerfährt, verwenden die hier untersuchten Verordnungen im Rahmen der Notzuständigkeiten unbestimmte Rechtsbegriffe.22 Die Vorschriften der Art. 7 EuUntVO, Art. 11 EuErbVO, Art. 11 EuGüVO und Art. 11 EuPartVO fordern nach dem weitestgehend übereinstimmenden Wortlaut für die Eröffnung der Notzuständigkeit in einem Mitgliedstaat, dass: (1.) kein Gericht eines Mitgliedstaates für den Rechtsstreit nach Maßgabe der jeweiligen Verordnungen international zuständig ist, (2.) ein Verfahren in dem Drittstaat, zu dem der Rechtsstreit einen engen Bezug aufweist, unmöglich oder unzumutbar ist und (3.) ein ausreichender Bezug zwischen dem Rechtsstreit und dem Mitgliedstaat des angerufenen Gerichtes besteht.

19 Vgl. Erwägungsgrund Nr. 16 EuUntVO; Erwägungsgrund 31 EuErbVO; Erwägungsgrund Nr. 41 EuGüterVO und Erwägungsgrund Nr. 40 EuPartVO. 20 So auch Panopoulos, in: Pamboukis, ESR Commentary, Art. 11 ESR Rn. 6. 21 Vgl. zu Art. 3 IPRG Berti/Droese, in: Basler Kommentar IPRG, Art. 3 Rn. 7. 22 Mayer, in: MüKo FamFG, Art. 11 EuGüVO Rn. 1.

C. Methodik der Untersuchung

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Die Verwendung solcher unbestimmten Rechtsbegriffe im Zuständigkeitsrecht birgt jedoch mehrere Gefahren in sich: Einerseits ist es möglich, dass langwierige Streitigkeiten über die internationale Zuständigkeit des angerufenen Gerichts entstehen.23 Andererseits darf nicht leichtfertig von der Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit eines Verfahrens im Drittstaat ausgegangen werden, da ansonsten dem Kläger ein weiterer Gerichtsstand zur Verfügung gestellt werden würde, der die Gerichtspflichtigkeit des Beklagten unvorhersehbar erweitern würde. Beide Probleme widersprechen dem eigentlichen Ziel des europäischen IZVR, möglichst klare und für die Verfahrensbeteiligten im Vorfeld vorhersehbare internationale Zuständigkeiten zu schaffen.24 Es ist daher dringend notwendig, diese unbestimmten Rechtsbegriffe zu konkretisieren. Ziel dieser Untersuchung ist es die von den Verordnungen verwendeten Systembegriffe mit Inhalt zu füllen und mögliche Anwendungsfälle einer europäischen Notzuständigkeit aufzuzeigen. Dabei geht es vor allem um die Frage, wann aufgrund einer dem Kläger im internationalen Privatrechtsverkehr drohenden Rechtsverweigerung eine außerordentliche Zuständigkeit eines mitgliedstaatlichen Gerichtes eröffnet werden muss. Um die rechtsaktübergreifende Stimmigkeit des europäischen Rechts zu gewährleisten, ist es sinnvoll, diese verschiedenen Notzuständigkeiten rechtsaktübergreifend einheitlich auszulegen.25 Deshalb werden die verschiedenen Notzuständigkeiten im Rahmen dieser Arbeit gemeinschaftlich behandelt.

C. Methodik der Untersuchung Die aufgeworfenen Fragen zu beantworten, fällt jedoch nicht leicht. Es gibt auf europäischer Ebene keine Erfahrung mit der Notzuständigkeit, da mit Art. 7 EuUntVO erstmals eine solche Zuständigkeit eingeführt worden ist.26 Anders ist das jedoch auf nationaler Ebene: Verschiedene EU-Staaten sowie Drittstaaten haben in ihren Rechtsordnungen Notzuständigkeiten verankert oder die Gerichte haben auf Grundlage allgemeiner Prinzipien außerordentlich Rechtsschutz gewährt. In diesen Rechtsordnungen gibt es mehr oder weniger stark ausgeprägte Erkenntnisse in Literatur und Rechtsprechung 23 Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht, RabelsZ 74 (2010), 522, 584; Schmidt, in: BeckOGK, Stand 1.5.2020, Art. 11 EuErbVO Rn. 4. 24 EuGH, 15.3.2012 – C-292/10 (G/Cornelius de Visser), ECLI:EU:C:2012:142 Rn. 39; Wall, ZErb 2014, 272, 273 m.w.N. Vgl. auch Breuleux, Internationale Zuständigkeit und anwendbares Recht, 84. 25 Hau, FS Kaissis, 355, 359; auch: Gitschthaler, in: Deixler-Hübner/Schauer, Art. 11 EuErbVO Rn. 2; Wurmnest, in: BeckOGK, Stand 1.11.2019, Art. 7 EuUntVO Rn. 8. 26 Wurmnest, in: BeckOGK, Stand 1.11.2019, Art. 7 EuUntVO Rn. 7.

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darüber, wann einem Kläger Rechtsverweigerung zu widerfahren droht und ob und welche Bezüge zum Forumstaat notwendig sind, um eine außerordentliche Zuständigkeit des Forums zu begründen. Diese Erkenntnisse der nationalen Rechtsordnungen sollen für die Auslegung der europäischen Notzuständigkeiten fruchtbar gemacht werden.

I. Berücksichtigung rechtsvergleichender Erwägungen im autonomen Auslegungsprozess Die Einbeziehung rechtsvergleichender Erwägungen in den autonomen Auslegungsprozess ist jedoch nicht unproblematisch. Grundsätzlich sind die Tatbestandsmerkmale der Notzuständigkeit europäisch-autonom auszulegen und zu bestimmen, um die Rechtssicherheit und Einheitlichkeit der Anwendung der Vorschriften zu garantieren.27 Die Auslegung von Normen und Begriffen des autonomen Europarechts durch rechtsvergleichende Erwägungen darf nicht dazu führen, dass dem Europarecht fremde Wertungen und Prinzipien importiert werden.28 Der Zweck der Verordnungen darf durch eine solche Interpretation der Vorschriften nicht geändert werden. Dies kann nicht Ziel der Auslegung sein und steht allein dem Normgeber zu.29 Es ist daher stets darauf zu achten, ob eine bestimmte nationale Auslegung gerade ein Prinzip oder eine Wertung widerspiegelt, die dem europäischen Recht nicht oder so nicht geläufig ist. Gleichwohl können rechtsvergleichende Erwägungen einen Beitrag zur autonomen Auslegung europäischer Rechtsbegriffe leisten.30 So ist es möglich aus der Untersuchung verschiedener nationaler Rechtsordnungen einen weiteren Erkenntnisgewinn zu erzielen, etwa um verschiedene mögliche Aus-

27

Statt aller: EuGH, 18.10.2011 – C-34/10 (Oliver Brüstle/Greenpeace e. V.), ECLI:EU:C:2011:669 Rn. 25; Andrae, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 7 EG-UntVO Rn. 5; Dutta, in: MüKo BGB, Vorbemerkungen zu Art. 1 EuErbVO Rn. 11; Nagel/Gottwald, Internationales Zivilprozessrecht, § 3 Rn. 14; Wurmnest, in: BeckOGK, Stand 1.11.2019, Art. 7 EuUntVO Rn. 8. 28 Grundmann/Riesenhuber, JuS 2001, 529, 533. 29 Grundmann/Riesenhuber, JuS 2001, 529, 533. 30 Vgl. etwa EuGH, 19.5.1982 – Rs. 155/79(AM & S Europe Limited/Kommission der Europäischen Gemeinschaften) ECLI:EU:C:1982:157 Rn. 18 ff.; Schack, IZVR, Rn. 99; Nagel/Gottwald, Internationales Zivilprozessrecht, § 3 Rn. 14; Andrae, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Einl. EG-UntVO Rn. 43; v. Hein, in: MüKo BGB, Art. 3 EGBGB Rn. 174. Der erweiterte Erkenntnisgewinn aus einem Rechtsvergleich der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen ist vor allem bei privatrechtlichen Verordnungen von Relevanz, da diese nicht nur dem Zweck der Harmonisierung der Regelungen des Binnenmarktes dienen, sondern darüber hinaus weitere Regelungsziele im Sinne einer privatrechtlichen Problemlösung verfolgen, vgl. Schwartze, in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 4 Rn. 26.

C. Methodik der Untersuchung

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legungsvarianten hervorzuheben oder wenn die Auslegung ansonsten zu keinem klaren Ergebnis führt.31 Hilfreich kann dies etwa sein, wenn unbestimmte Rechtsbegriffe ausgelegt werden sollen, die auch in mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen verwendet werden. So können die bereits bestehenden Gemeinsamkeiten des mitgliedstaatlichen Rechts berücksichtigt werden.32 Die gemeinsame Bedeutung eines unbestimmten Rechtsbegriffes kann somit Inspiration und Ausgangspunkt der autonomen Begriffsbestimmung sein.33 Ein gemeinsames Verständnis der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen von Rechtsverweigerung ist daher für das Verständnis der Regelungen der europäischen Notzuständigkeiten von großem Interesse. Zudem kann auch der Vergleich mit nicht-mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen einen erweiterten Erkenntnisgewinn ermöglichen. Dieser ist vor allem dann interessant, wenn die Rechtsordnung eines Drittstaates bereits seit längerem praktische Erfahrung mit der untersuchten Regelung gemacht hat.34 Auch über Ausführungen in Literatur und Rechtsprechung einer solchen Rechtsordnung können daher mögliche Auslegungsmöglichkeiten ergründet werden. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Regelung des Drittstaates der unionsrechtlichen Regelung als Vorbild diente. Zusammengefasst bedeutet dies, dass die Tatbestandsvoraussetzungen der europäischen Notzuständigkeit primär unionsrechtlich-autonom ausgelegt werden müssen. Sofern sich jedoch nichts Anderes – insbesondere kein Verbot – aus dem Unionsrecht ergibt, können und werden rechtsvergleichende Erkenntnisse aus den untersuchten Rechtsordnungen als Ausgangspunkt herangezogen. Hierdurch kann ein Grundverständnis für das europäische forum necessitatis erarbeitet werden, das gleichzeitig die Besonderheiten des Unionsrechts bei der Auslegung berücksichtigt.

II. Auswahl der Länder für den Rechtsvergleich Nachdem die Möglichkeit der Berücksichtigung rechtsvergleichender Erwägungen bei der Auslegung der hier interessierenden Vorschriften zu den europäischen Notzuständigkeiten erörtert wurde, muss als nächstes die Auswahl der zu untersuchenden Rechtsordnungen begründet werden. Untersucht werden als mitgliedstaatliche Rechtsordnungen das deutsche, französische und österreichische Recht. Sowohl das deutsche als auch französische 31

Basedow, in: Rechtsgeschichte und Privatrechtsdogmatik, 79, 96; Grundmann/Riesenhuber, JuS 2001, 529, 533; Lenaerts, ICLQ 52 (2003), 873, 896. 32 So etwa in EuGH, 19.5.1982 – Rs. 155/79 (AM & S Europe Limited/Kommission der Europäischen Gemeinschaften) ECLI:EU:C:1982:157 Rn. 18 ff.; Martiny, RabelsZ 45 (1981), 427, 442. 33 Martiny, RabelsZ 45 (1981), 427, 442; vgl. auch: Lenaerts, ICLQ 52 (2003), 873, 897. 34 Martens, Methodenlehre des Unionsrechts, 497 m.w.N.

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Recht kennen keine gesetzlich normierte Notzuständigkeit. Gleichwohl eröffnen diese Rechtsordnungen außerordentliche Zuständigkeiten, um eine dem Kläger drohende Rechtsverweigerung zu verhindern. Weil diese beiden Rechtsordnungen wichtige Rechtskreise im Rahmen der europäischen Union repräsentieren, ist deren nationale Rechtstradition für die Bildung eines einheitlichen Konzepts von Rechtsverweigerung auf europäischer Ebene von großer Bedeutung. Die Untersuchung der österreichischen Rechtsordnung bietet sich in erster Linie deshalb an, weil es dort eine gesetzliche Regelung des forum necessitatis in § 28 I Nr. 2 JN gibt.35 Aus der österreichischen Rechtstradition im Umgang mit dieser geschriebenen Notzuständigkeit können möglicherweise Anhaltspunkte für das europäische Verständnis gezogen werden. Zuletzt soll auch das schweizerische Recht in der vergleichenden Analyse berücksichtigt werden. Auch wenn es sich bei der Schweiz nicht um einen Mitgliedstaat der EU handelt, können die in der Schweiz gewonnenen Erkenntnisse zum Umgang mit der Notzuständigkeit zur Vermeidung einer drohenden Rechtsverweigerung fruchtbar gemacht werden. So liegt die Vermutung nahe, dass die eidgenössische Notzuständigkeit des Art. 3 IPRG36 dem europäischen Normsetzer als Vorbild diente.37 Dies zeigt sich bereits daran, dass die Tatbestandsmerkmale der europäischen Notzuständigkeiten weitestgehend mit denen des Art. 3 IPRG übereinstimmen:38 Nach beiden Regelungskomplexen zum forum necessitatis setzt die Eröffnung einer Notzuständigkeit voraus, dass die Rechtsverfolgung im (drittstaatlichen) Ausland unmöglich oder unzumutbar ist und dass ein ausreichender Bezug zum Forumstaat gegeben ist. Verhindern sollen diese Notzuständigkeiten stets, dass dem Kläger tatsächlich Rechtsverweigerung widerfährt.39 Diese wahrscheinliche Vorbildfunktion der schweizerischen Regelung rechtfertigt eine genauere Untersuchung dieser Regelung, um etwaige Rückschlüsse für die europäische Notzuständigkeit zu gewinnen.

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Gesetz vom 1. August 1895, über die Ausübung der Gerichtsbarkeit und die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte in bürgerlichen Rechtssachen (Jurisdictionsnorm), RGBl. Nr. 111/1895, 333 ff., zuletzt geändert durch das Bundesgesetz BGBl. I Nr. 87/2015. 36 Bundesgesetz über das Internationale Privatrecht vom 18.12.1987 (IPRG, SR 291), BBl 1988 I, 5 ff.; AS 1988, 1776. 37 Bremner, King’s Student Law Review 2 (2010), 5, 14; Wurmnest, in: BeckOGK, Stand 1.11.2019, Art. 7 EuUntVO Rn. 6. 38 Art. 3 IPRG lautet: Sieht dieses Gesetz keine Zuständigkeit in der Schweiz vor und ist ein Verfahren im Ausland nicht möglich oder unzumutbar, so sind die schweizerischen Gerichte oder Behörden am Ort zuständig, mit dem der Sachverhalt einen genügenden Zusammenhang aufweist. 39 Für die Schweiz siehe Teil 1 D.

D. Eingrenzung des Untersuchungsgegenstandes

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D. Eingrenzung des Untersuchungsgegenstandes Die Untersuchung fokussiert sich auf die Frage, unter welchen Voraussetzungen eine europäische Notzuständigkeit erforderlich ist und ob deren Eröffnung im richterlichen Ermessen steht. Nicht behandelt wird hingegen die Frage, ob aufgrund einer drohenden Rechtsverweigerung die fehlende (völkerrechtliche) Gerichtsbarkeit des angerufenen Staates überbrückt werden kann. Denn bei diesen Fällen geht es gerade nicht um die Gewährung einer sonst nicht bestehenden Zuständigkeit im Forumstaat, sondern um die Frage, ob die völkerrechtliche Immunität des Beklagten ausnahmsweise nicht zu beachten ist.40 Auch wird im Rahmen dieser Arbeit nicht das aus dem allgemeinen Völkerrecht herrührende Verbot der Rechts- und Justizverweigerung thematisiert. Dieses völkerrechtliche Verständnis von Rechtsverweigerung umfasst lediglich das Verbot, Ausländer willkürlich zu diskriminieren und dabei den justiziellen Mindeststandard zu unterschreiten.41 Das hier interessierende Verständnis von Rechtsverweigerung im internationalen Privatrechtsverkehr ist weiter und muss vom völkerrechtlichen Verständnis abgegrenzt werden. Die Rechtsverweigerung im internationalen Privatrechtsverkehr leitet sich aus der Justizgewährungspflicht des Art. 6 Abs. 1 EMRK ab. Sie setzt keine Diskriminierung des Klägers voraus, sondern liegt vor, wenn der Kläger andernfalls rechtsschutzlos gestellt ist.42 In der Folge sind die Vertragsstaaten der EMRK verpflichtet, eine außerordentliche Zuständigkeit zu eröffnen. Für die Untersuchung der europäischen Notzuständigkeiten kommt es daher maßgeblich auf das Verständnis der Rechtsverweigerung im internationalen Rechtsverkehr an. Nur dieses ist daher Grundlage der vorliegenden Untersuchung. Zuletzt ist darauf hinzuweisen, dass diese Arbeit weitere problematische Aspekte der hier interessierenden Verordnungen nur insoweit behandelt, als dies für die Ausführungen über das eigentliche Thema der Arbeit notwendig ist. Weitere und tiefere Ausführungen über solche Aspekte enthält die Arbeit nicht. So werden etwa Fragen der Beweislastverteilung und der Anforderungen an Gerichtsstandsvereinbarungen nicht vertieft dargestellt.

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Vgl. für einen solchen Fall die Entscheidung Cass. Civ. I., 1.1.2005, JDI (Clunet) 2005, 1142 mit Anmerkung Corbion, JDI (Clunet) 2005, 1143, 1163 ff. 41 Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, Rn. 1909 ff.; Heldrich, Internationale Zuständigkeit und anwendbares Recht, 146; Kropholler, in: Handbuch des IZVR I, Kap. III Rn. 43; Milleker, Der negative internationale Kompetenzkonflikt, 61 und 68 jeweils m.w.N. 42 Milleker, Der negative internationale Kompetenzkonflikt, 68. In diesen Fällen besteht aus Sicht des allgemeinen Völkerrechts schon gar keine Rechtsverweigerung. Vgl. auch Kropholler, in: Handbuch des IZVR I, Kap. III Rn. 187.

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Einleitung

E. Gang der Darstellung In einem ersten Teil werden die deutsche, französische, österreichische und schweizerische Rechtsordnung dahingehend untersucht, ob sie außerordentliche Zuständigkeiten zur Vermeidung einer drohenden Rechtsverweigerung gewähren, in welchen Fällen sie von einer drohenden Rechtsverweigerung ausgehen, welche ausländische Staaten sie bei der Prüfung der Störung der Rechtsverfolgung im Ausland berücksichtigen und ob und welche Arten von Forumsbezügen diese Rechtsordnungen für eine Notzuständigkeit voraussetzen. Vor allem über den Begriff der Rechtsverweigerung im internationalen Privatrechtsverkehr und das Prinzip des Forumsbezugs sollen in einer ersten Zwischenanalyse Grundzüge für ein europäisches Begriffsverständnis entwickelt werden. Anschließend soll in einem zweiten Teil behandelt werden, welche der auf Grundlage der rechtsvergleichenden Umschau gefundenen Erkenntnisse auch im Rahmen der europäischen Notzuständigkeiten von Interesse sein können. Da die Notzuständigkeit der Vermeidung einer drohenden Rechtsverweigerung im internationalen Privatrechtsverkehr dient, soll vor allem ein europäisches Verständnis des Begriffs der Rechtsverweigerung erarbeitet werden. Vor diesem Hintergrund sollen die Voraussetzungen der Tatbestandsmerkmale der „Unmöglichkeit“ und „Unzumutbarkeit“ definiert werden und mögliche Fallgruppen gebildet werden. Zudem soll erörtert werden, wonach die Drittstaaten zu bestimmen sind, in denen die Rechtsverfolgung gestört sein muss. Ebenfalls soll auf die möglichen und maßgeblichen Forumsbezüge eingegangen werden. Darüber hinaus sollen auch weitere Probleme der europäischen Notzuständigkeiten thematisiert werden, soweit diese für das Verständnis des europäischen forum necessitatis erforderlich sind.

1. Teil

Das forum necessitatis in den nationalen Zuständigkeitsordnungen Im ersten Teil dieser Arbeit soll untersucht werden, ob sich aus den nationalen Rechtsordnungen ein einheitliches Verständnis des Begriffs der Rechtsverweigerung im internationalen Privatrechtsverkehr herausstellen lässt. Hierfür sollen vor allem die Ursachen einer drohenden Rechtsverweigerung in den nationalen Rechtsordnungen dargestellt und untersucht werden. Dabei wird sich herausstellen, dass alle hier untersuchten Rechtsordnungen ein ähnliches Verständnis von Rechtsverweigerung haben. Darüber hinaus soll auch das in allen Rechtsordnungen enthaltene Prinzip des Forumsbezuges analysiert werden. Hierbei geht es vor allem um die möglichen Bezüge, die die verschiedenen Rechtsordnungen als ausreichend erachten. Zuletzt werden, soweit hierzu Ausführungen zu finden sind, auch diejenigen Parameter untersucht, anhand derer die Rechtsordnungen das maßgebliche Ausland bestimmen, in dem die Rechtsverfolgung gestört sein muss. Im Rahmen dieses Teils sollen freilich nicht sämtliche Aspekte der nationalen Rechtsordnungen untersucht werden. Untersucht und dargestellt werden diese nur insofern, als die nationalen Definitionen des Begriffs der Rechtsverweigerung sowie Voraussetzungen und Folgen der nationalen Notzuständigkeiten für die europäischen Regelungen relevant sein können. Nicht behandelt werden daher Fragen, die die europäischen Verordnungen nicht regeln. Hierzu gehört etwa die Frage nach der örtlichen Zuständigkeit eines Gerichtes oder die Frage der Beweislastverteilung für die Voraussetzungen der Notzuständigkeit. Der Darstellung und Untersuchung der nationalen Rechtsordnungen liegen die Terminologie und das autonome Begriffsverständnis der hier untersuchten europäischen Verordnungen zu Grunde. Dies betrifft etwa die Begriffe des Klägers und des Beklagten. Soweit die hier untersuchten EU-Verordnungen sachlich neben Verfahren der streitigen Gerichtsbarkeit auch Verfahren der nicht-streitigen Gerichtsbarkeit erfassen – wie etwa Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit oder Außerstreitsachen –, beziehen sich die Begriffe des Klägers und des Beklagten auch auf die von den nationalen Rechtsordnungen verwendeten Bezeichnungen der Beteiligten in diesen Verfahren. Zudem erfasst der Begriff der Entscheidung in den EU-Verordnun-

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1. Teil: Das forum necessitatis in den nationalen Zuständigkeitsordnungen

gen sämtliche Entscheidungsformen nationaler Gerichte.1 Daher wird dieses Begriffsverständnis der Bearbeitung zu Grunde gelegt.

A. Deutschland Die deutsche Rechtsordnung enthält keine den europäischen Rechtsakten vergleichbare gesetzlich normierte Notzuständigkeit. Dennoch kennt das deutsche Recht die Problematik einer drohenden Rechtsverweigerung im internationalen Rechtsverkehr. In Deutschland wird diese Problematik vor allem unter dem Überbegriff des negativen internationalen Kompetenzkonfliktes abgehandelt,2 der teilweise als Synonym für sämtliche Ursachen der drohenden Rechtsverweigerung verstanden wird.3 Dabei ist es vor allem in der Literatur anerkannt, dass zur Vermeidung einer dem Kläger drohenden Rechtsverweigerung eine deutsche internationale Notzuständigkeit eröffnet werden muss.4 Grundlage einer solchen Notzuständigkeit, die auch unter dem Begriff der „Ersatzzuständigkeit“ zu finden ist,5 ist der klägerische Justizgewährungsanspruch, der sich vor allem aus Art. 6 Abs. 1 EMRK, Art. 47 Abs. 2 EuGRCh sowie aus dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG herleiten lässt.6 Sofern die Nichtannahme eines Verfahrens zu einer Rechts1 Art. 2 Abs. 1 Nr. 1 EuUntVO; Art. 3 Abs. 1 lit. g) EuErbVO; Art. 3 Abs. 1 lit. d) EuGüVO; Art. 3 Abs. 1 lit. e) EuPartVO. 2 Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, Rn. 1024 ff.; Kropholler, in: Handbuch des IZVR I, Kap. III Rn. 187; Linke/Hau, IZVR, Rn. 246; Patzina, in: MüKo ZPO, § 12 ZPO Rn. 100; Schack, IZVR, Rn. 456. 3 So Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, Rn. 1025 ff.; Kropholler, in: Handbuch des IZVR I, Kap. III Rn. 183; Patzina, in: MüKo ZPO, § 12 ZPO Rn. 100; Schack, IZVR, Rn. 456. Milleker, Der negative internationale Kompetenzkonflikt, 79 versteht unter dem Begriff des „unechten negativen internationalen Kompetenzkonfliktes“ auch die Fälle der Anerkennungslücke; a.A.: Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 451; Schütze, FS Rechberger, 567, 571, die hierunter nur die Unzuständigkeit aller aus deutscher Sicht entscheidungszuständigen ausländsichen Gerichte verstehen. Vgl. hierzu: Hau, FS Kaissis, 357. 4 Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, Rn. 1030; Kropholler, in: Handbuch des IZVR I, Kap. III Rn. 192 und 202; Linke/Hau, IZVR, Rn. 246; Nagel/Gottwald, Internationales Zivilprozessrecht, § 3 Rn. 496; Neuhaus, RabelsZ 20 (1955), 201, 265; Patzina, in: MüKo ZPO, § 12 ZPO Rn. 100; Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 451; Roth, in Stein/Jonas, ZPO, vor § 12 ZPO Rn 37; Rosenberg/Schwab/ Gottwald, Zivilprozessrecht, § 31 Rn. 20; Schack, IZVR, Rn. 457; Schröder, Internationale Zuständigkeit, 214; Schütze, Deutsches und europäisches internationales Zivilprozessrecht, Rn. 128; Schütze, FS Rechberger, 567, 571 ff. 5 So etwa: Heldrich, Internationale Zuständigkeit und anwendbares Recht, 184; Roth, in: Stein/Jonas, ZPO, vor § 12 ZPO Rn 37. 6 Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, Rn. 1031 und 1035; Geimer, RIW 1975, 83;

A. Deutschland

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verweigerung führen würde, gebietet der Justizgewährungsanspruch die Eröffnung einer Notzuständigkeit.7 Die praktische Bedeutung der Notzuständigkeit für vermögensrechtliche Streitigkeiten ist jedoch wegen des Gerichtsstands des Vermögens in § 23 ZPO von geringer Bedeutung geblieben.8 Neben dieser gewohnheitsrechtlich anerkannten Notzuständigkeit, vor allem für streitige Verfahren, lassen sich im deutschen Recht auch gesetzlich normierte (Not-)Zuständigkeitsgründe für bestimmte Familienverfahren und Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit finden. Hierbei handelt es sich um sogenannte Fürsorgezuständigkeiten, die die internationale Zuständigkeit Deutschlands an ein besonderes Fürsorgebedürfnis knüpfen.9 Eine derartige Fürsorgezuständigkeit sieht das Zuständigkeitsrecht etwa in § 99 Abs. 1 S. 2 FamFG für Kindschaftssachen und § 104 Abs. 1 S. 2 FamFG für Betreuungssachen vor. Darüber hinaus sieht § 12 Abs. 2 des Verschollenheitsgesetzes eine deutsche internationale Zuständigkeit vor, wenn ein berechtigtes Interesse an der Todeserklärung oder der Feststellung der Todeszeit durch deutsche Gerichte besteht.10 Mit Hilfe dieser Fürsorgezuständigkeiten soll unter anderem auch das Auftreten von Rechtsverweigerung verhindert werden.11 Insoweit handelt es sich bei der Fürsorgezuständigkeit faktisch um gesetzlich normierte Notzuständigkeiten. Die deutsche Literatur geht zum Teil von verschiedenen Fallgruppen der Notzuständigkeit aus. So haben sich neben der Notzuständigkeit zur Vermeidung eines negativen internationalen Kompetenzkonfliktes (im weiten Sinne) etwa die „ordre public-Zuständigkeit“12 und die „EilzuständigKropholler, in: Handbuch des IZVR I, Kap. III Rn. 187 und 57; Linke/Hau, IZVR, Rn. 246; Nagel/Gottwald, internationales Zivilprozessrecht, § 3 Rn. 496; Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 451. 7 Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, Rn. 1031 und 1035; Geimer, RIW 1975, 83; Kropholler, in: Handbuch des IZVR I, Kap. III Rn. 187 und 57; Nagel/Gottwald, Internationales Zivilprozessrecht, § 3 Rn. 496; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 3 Rn. 4 jeweils m.w.N. 8 Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, Rn. 1036, der von der heilsamen Wirkung des Vermögensgerichtsstandes spricht; Patzina, in: MüKo ZPO, § 12 ZPO Rn. 101. 9 Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, Rn. 1038; Linke/Hau, IZVR, Rn. 246; Milleker, Der negative internationale Kompetenzkonflikt, 65 f. Als Beispiel siehe etwa: AG Weinheim, 25.1.1994 – FR X 17/94, IPRax 94, 371: Hier sah das AG ein besonderes Fürsorgebedürfnis in Deutschland für die Erteilung einer vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung nach dem italienischen Passgesetz für einen italienischen Staatsbürger. 10 Hierzu: Holoch, in: Erman BGB, Art. 9 EGBGB Rn. 7. 11 So Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, Rn. 1038; Geimer, in: Zöller, ZPO, IZPR Rn. 47; Mitzkus, Internationale Zuständigkeit im Vormundschafts-, Pflegschaftsund Sorgerecht, 227. 12 Siehe etwa: Kropholler, in: Handbuch des IZVR I, Kap. III Rn. 193; Mitzkus, Internationale Zuständigkeit im Vormundschafts-, Pflegschafts- und Sorgerecht, 229; Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 753.

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keit“13 herausgebildet. Auch bei diesen Zuständigkeiten handelt es sich funktional um Notzuständigkeiten zur Vermeidung einer drohenden Rechtsverweigerung. Denn diese ist der Grund für die Gewährung einer außerordentlichen Zuständigkeit in Deutschland.14 Die nachfolgende Darstellung der einzelnen anerkannten Ursachen einer drohenden Rechtsverweigerung richtet sich weitestgehend nach dieser in der deutschen Literatur vorgenommenen Einteilung.

I. Die Notzuständigkeit zur Vermeidung eines negativen internationalen Kompetenzkonfliktes im weiten Sinn Die erste Ursache einer drohenden Rechtsverweigerung, die die deutsche Rechtsordnung zum Anlass einer Notzuständigkeit nimmt, findet sich unter dem Überbegriff des negativen internationalen Kompetenzkonfliktes im weiten Sinn. Weiter unterteilt die Literatur diese Ursache in zwei bis drei Fallgruppen, derentwegen eine Notzuständigkeit eröffnet werden muss: Als erste Hypothese wird stets ein negativer internationaler Kompetenzkonflikt im engen Sinn genannt, bei dem die Gerichte des nach § 328 Abs. 1 Nr. 1 ZPO und § 109 Abs. 1 Nr. 1 FamFG anerkennungszuständigen Staates keine eigene Entscheidungszuständigkeit eröffnen.15 Zweite Ursache drohender Rechtsverweigerung ist nach Ansicht einiger Autoren die faktische Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit der Rechtsverfolgung im nach § 328 Abs. 1 Nr. 1 ZPO und § 109 Abs. 1 Nr. 1 FamFG anerkennungszuständigen auslän-

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Ausdrücklich: Mitzkus, Internationale Zuständigkeit im Vormundschafts-, Pflegschafts- und Sorgerecht, 228. Siehe auch: Kropholler, in: Handbuch des IZVR I, Kap. III Rn. 193. 14 Bauer, Competence judiciaire internationale des tribnunaux civils franc¸ais et allemands, Rn. 139; Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, Rn. 1038; Geimer, in: Zöller, ZPO, IZPR Rn. 47; Mitzkus, Internationale Zuständigkeit im Vormundschafts-, Pflegschafts- und Sorgerecht, 232 f.; ausdrücklich in Bezug auf die Fürsorgezuständigkeit: Milleker, Der negative internationale Kompetenzkonflikt, 65 f; ausdrücklich Kropholler, in: Handbuch des IZVR I, Kap. III Rn. 193. Er sieht weitere Anwendungsfälle der Eil- und ordre public-Zuständigkeit als die Vermeidung von Rechtsverweigerungen im internationalen Rechtsverkehr. Deshalb ist eine Überschneidung dieser Zuständigkeiten mit der Notzuständigkeit nur für den Fall der Vermeidung einer drohenden Rechtsverweigerung gegeben. 15 Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, Rn. 1024 ff.; Kropholler, in: Handbuch des IZVR I, Kap. III Rn. 183; Milleker, Der negative internationale Kompetenzkonflikt, 27 ff.; Mitzkus, Internationale Zuständigkeit im Vormundschafts-, Pflegschafts- und Sorgerecht, 230; Patzina, in: MüKo ZPO, § 12 ZPO Rn. 98; Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 451; Schack, IZVR, Rn. 456; Schütze, Deutsches und europäisches internationales Zivilprozessrecht, Rn. 126; Schütze, FS Rechberger, 567, 571.

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dischen Forum.16 Andere Teile des Schrifttums betrachten diese Ursache als Unterkategorie des negativen internationalen Kompetenzkonfliktes,17 was jedoch keine Auswirkungen auf die Notzuständigkeit hat. Als dritte Ursache einer möglichen Rechtsverweigerung ist die Nichtanerkennungsfähigkeit einer ausländischen Entscheidung zu finden.18 Im Nachfolgenden werden diese Fallgruppen genauer untersucht. 1. Negativer internationaler Kompetenzkonflikt im engen Sinn Im deutschen Recht wird beim Auftreten eines negativen internationalen Kompetenzkonfliktes eine Notzuständigkeit zur Verfügung gestellt. Ein solcher liegt vor, wenn Deutschland sich mangels verwirklichter Zuständigkeitsanknüpfung für international unzuständig erklärt und gleichzeitig der aus deutscher Sicht nach § 328 Abs. 1 Nr. 1 ZPO und § 109 Abs. 1 Nr. 1 FamFG anerkennungszuständige Staat keine eigene Entscheidungszuständigkeit eröffnet.19 Dem Kläger droht Rechtsverweigerung zu widerfahren: Da sich kein ausländisches Forum für zuständig erklärt, wird das konkrete Rechtsschutzbedürfnis des Klägers nicht durch eine Entscheidung in der Sache befriedigt. Dass es grundsätzlich zu solchen Kompetenzkonflikten kommen kann, ist der Tatsache geschuldet, dass jeder Staat die Vorschriften über die interna16 Kropholler, in: Handbuch des IZVR I, Kap. III Rn. 184 f.; Patzina, in: MüKo ZPO, § 12 ZPO Rn. 99; Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 451; Roth, in Stein/Jonas, ZPO, vor § 12 ZPO Rn 37; Schack, IZVR, Rn. 456; Schütze, Deutsches und europäisches internationales Zivilprozessrecht, Rn. 126 und 129; Schütze, FS Rechberger, 567, 571 ff. 17 Geimer sieht diese Erscheinungsform einer Rechtsverweigerung als eine Unterform der ersten Hypothese an: Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, Rn. 1027. Milleker sieht diese Ursache ebenfalls als Ursache einer Rechtsverweigerung an, die durch die Notzuständigkeit verhindert werden kann, geht jedoch nicht weiter auf diese ein: Milleker, Der negative internationale Kompetenzkonflikt, 64. 18 Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, Rn. 1029; Kropholler, in: Handbuch des IZVR I, Kap. III Rn. 186; Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 451; Schack, IZVR, Rn. 456; Schütze, FS Rechberger, 567, 573 ff; ähnlich Milleker, Der negative internationale Kompetenzkonflikt, 79, der diese Ursache als unechten negativen internationalen Kompetenzkonflikt bezeichnet; Mitzkus, Internationale Zuständigkeit im Vormundschafts-, Pflegschafts- und Sorgerecht, 339 f., als Unterfall der ordre publicZuständigkeit. 19 Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, Rn. 1024 ff.; Kropholler, in: Handbuch des IZVR I, Kap. III Rn. 183; Milleker, Der negative internationale Kompetenzkonflikt, 27 ff.; Mitzkus, Internationale Zuständigkeit im Vormundschafts-, Pflegschafts- und Sorgerecht, 230; Patzina, in: MüKo ZPO, § 12 ZPO Rn. 98; Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 451; Schack, IZVR, Rn. 456; Schütze, Deutsches und europäisches internationales Zivilprozessrecht, Rn. 126; Schütze, FS Rechberger, 567, 571.

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tionale Entscheidungszuständigkeit selbst gestaltet und Staaten keine „Allzuständigkeit“ beanspruchen.20 Sofern kein ausreichender Inlandsbezug für die Eröffnung der internationalen Zuständigkeit in Deutschland gegeben ist, wird der Kläger auf ein ausländisches Forum verwiesen, das aus deutscher Sicht nach § 328 Abs. 1 Nr. 1 ZPO und § 109 Abs. 1 Nr. 1 FamFG anerkennungszuständig ist.21 Das deutsche Recht verweist dabei auf die Gerichte desjenigen Staates, die bei Anwendung der deutschen Zuständigkeitsvorschriften international zuständig wären – sogenanntes Spiegelbildprinzip.22 Da das ausländische Forum nach seinem eigenen Zuständigkeitsrecht prüft, ob eine Entscheidungszuständigkeit gewährt wird, muss es diese Verweisung nicht annehmen.23 Deshalb kann es zu Konstellationen kommen, in denen kein Staat eine internationale Entscheidungszuständigkeit eröffnet. Vor allem in der älteren Literatur finden sich auch andere Ansätze zur Lösung des internationalen Kompetenzkonfliktes. Dabei handelt es sich um eine sogenannte Renvoi-Zuständigkeit.24 Sofern der aus deutscher Sicht zuständige Staat die Zuständigkeit an Deutschland rück- oder an einen Staat weiterverweist, der sich ebenfalls als unzuständig erachtet, soll diese Rückoder Weiterverweisung von deutschen Gerichten ausnahmsweise als zuständigkeitsbegründend beachtet werden.25 Gegen die Annahme eines solchen Renvoi spricht aber bereits die Überlegung, dass ein solcher nur Kompetenzkonflikte erfassen kann, in denen sich die beteiligten Staaten gegenseitig die Zuständigkeit zuweisen. Die Renvoi-Zuständigkeit vermag nicht Rechtsverweigerungen in Fällen zu verhindern, in denen sich zwar ein zuständiges Forum im Ausland finden lässt, die Rechtsverfolgung dort aber aus tatsächlichen oder politischen Gründen nicht möglich oder zumutbar ist.26 Eine Notzuständigkeit bleibt gleichwohl notwendig. Aus diesem und anderen

20 Kropholler, in: Handbuch des IZVR I, Kap. III Rn. 182; Patzina, in: MüKo ZPO, § 12 ZPO Rn. 98; Riezler, Internationales Zivilprozessrecht, 205. 21 Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 451. 22 Siehe nur: Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, Rn. 2896 m.w.N. 23 Aden, Internationale Notzuständigkeit, ZVglRWiss 106 (2007), 490, 492 f.; Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, Rn. 851; Kropholler, in: Handbuch des IZVR I, Kap. III Rn. 182; Patzina, in: MüKo ZPO, § 12 ZPO Rn. 98; Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 450 f.; Riezler, Internationales Zivilprozessrecht, 209 f.; Schröder, Internationale Zuständigkeit, 205. 24 So vor allem: Milleker, Der negative internationale Kompetenzkonflikt, 81 ff. Siehe auch: Kropholler, in: Handbuch des IZVR I, Kap. III Rn. 196 ff; Schröder, Internationale Zuständigkeit, 208. 25 Beschreibend Kropholler, in: Handbuch des IZVR I, Kap. III Rn. 197. 26 Patzina, in: MüKo ZPO, § 12 ZPO Rn. 100.

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Gründen27 wird in der deutschen Literatur der Renvoi überwiegend abgelehnt und die Notzuständigkeit bevorzugt.28 Im deutschen Schrifttum hat der negative internationale Kompetenzkonflikt viel Aufmerksamkeit erfahren.29 Diese Ausführungen sind auch für das europäische Recht interessant, weil das deutsche Recht die strukturellen Ursachen des negativen internationalen Kompetenzkonfliktes beschreibt. Deshalb sollen die Ursachen solcher Kompetenzkonflikte nachfolgend vertieft dargestellt werden. Ein negativer internationaler Kompetenzkonflikt wird vor allem durch die folgenden beiden Konfliktsituationen ausgelöst:30 a) Unterschiedliche inhaltliche Bestimmung desselben Anknüpfungspunktes Zu einem negativen internationalen Kompetenzkonflikt kommt es zum einen dann, wenn die beteiligten Rechtsordnungen zwar den gleichen Anknüpfungspunkt zur Bestimmung der internationalen Zuständigkeit verwenden, dessen Vorliegen jedoch nach anderen materiell-rechtlichen Kriterien bemessen.31 Hierdurch ist es möglich, dass die beteiligten Rechtsordnungen das gleiche Anknüpfungsmoment nicht in ihrem Hoheitsgebiet, sondern im jeweils anderen oder einem dritten Staat verwirklicht sehen, der sich ebenfalls für unzuständig erachtet. Die folgende vormundschaftliche Entscheidung des Reichsgerichts vom 17. Juni 1942 verdeutlich den Ablauf dieser gegenseitigen Zuständigkeits-

27 Vergleiche die Stellungnahme zur Renvoi- und Notzuständigkeit in: Kropholler, in: Handbuch des IZVR I, Kap. III Rn. 200 ff; ausführlich hierzu: Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 459 f., der vor allem den Widerspruch der Renvoizuständigkeit mit den zuständigkeitsrechtlichen Prinzipien der Zuständigkeitsgerechtigkeit und Zuständigkeitsklarheit hervorhebt. 28 Vgl. etwa: Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, Rn. 1018; Kropholler, in: Handbuch des IZVR I, Kap. III Rn. 200 ff.; Patzina, in: MüKo ZPO, § 12 ZPO Rn. 100; Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 459 f.; Roth, in Stein/Jonas, ZPO, vor § 12 ZPO Rn. 37; Schack, IZVR, Rn. 459; Schütze, Deutsches und europäisches internationales Zivilprozessrecht, Rn. 127. 29 Vgl. etwa Milleker, Der negative internationale Kompetenzkonflikt, 27 ff.; Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, insb. Rn. 1025 ff.; Kropholler, in: Handbuch des IZVR I, Kap. III Rn. 183; Schröder, Internationale Zuständigkeit, 205. 30 Patzina, in: MüKo ZPO, § 12 ZPO Rn. 98; Schack, IZVR, Rn. 456; Schütze, FS Rechberger, 567, 571. Etwas andere und stets unterschiedliche Einteilungen sind zu finden in: Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, Rn. 1025 ff.; Kropholler, in: Handbuch des IZVR I, Kap. III Rn. 183; Milleker, Der negative internationale Kompetenzkonflikt, 27 ff. Letztlich lassen sich die meisten Unterkategorien unter die Verwendung unterschiedlicher Anknüpfungsmomente subsumieren. 31 Kropholler, in: Handbuch des IZVR I, Kap. III Rn. 183; Milleker, Der negative internationale Kompetenzkonflikt, 28; Patzina, in: MüKo ZPO, § 12 ZPO Rn. 98; Schütze, FS Rechberger, 567, 571.

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zuweisung:32 Nachdem der Vater zweier Kinder am Wohnort der Familie in Berlin starb, zog die Mutter mit dem ersten Sohn nach Wien, wo sie das zweite Kind gebar und verstarb. Sowohl das österreichische als auch deutsche Zuständigkeitsrecht knüpften damals die internationale Zuständigkeit für vormundschaftliche Verfahren an den Wohnort der Kinder an. Allerdings bestimmten die beteiligten Rechtsordnungen diesen unterschiedlich: Während das österreichische Recht den kindlichen Wohnort auch nach dem Tod am Wohnort des Vaters in Berlin verortet sah, leitete das deutsche Recht nach dem Tod des Vaters den Kindeswohnsitz vom Wohnort der Mutter in Wien ab. Ein negativer internationaler Kompetenzkonflikt drohte, weil sich das deutsche und österreichische Zuständigkeitsrecht gegenseitig die Zuständigkeit zuwiesen. Das RG löste diesen Kompetenzkonflikt mit einer Zuweisung des Rechtsstreits an das Wiener Gericht; eine Maßnahme, die nur zur damaligen Zeit aufgrund des Anschlusses Österreichs an das Deutsche Reich möglich war. Nichtsdestoweniger wurde ausnahmsweise durch diese Zuweisung die internationale Zuständigkeit Österreichs erweitert, um eine drohende Rechtsverweigerung abzuwenden. b) Verwendung unterschiedlicher Anknüpfungspunkte Zum anderen kann ein negativer internationaler Kompetenzkonflikt entstehen, wenn die an einem Rechtsstreit beteiligten Zuständigkeitsordnungen unterschiedliche Anknüpfungspunkte für die Bestimmung der internationalen Zuständigkeit heranziehen.33 Hierdurch kann es vorkommen, dass der von der deutschen Zuständigkeitsordnung verwendete Anknüpfungspunkt in einem anderen Staat verwirklicht ist, die Zuständigkeitsordnung dieses Staates aber einen anderen Anknüpfungspunkt heranzieht, der entweder in Deutschland oder einem dritten, ebenfalls unzuständigen, Staat verwirklicht ist. Der dem Kläger auch in diesen Fällen drohenden Rechtsverweigerung ist mit einer Notzuständigkeit zu begegnen.34 In der deutschen Literatur haben sich dabei bestimmte Fallgruppen von verschiedenen Anknüpfungsmomenten entwickelt, deren Kollision einen negativen internationalen Kompetenzkonflikt auslösen kann. So entsteht ein solcher Konflikt etwa, wenn eine Rechtsordnung, die die internationale Zuständigkeit an den Wohnsitz anknüpft, auf eine Rechtsordnung trifft, die die Zuständigkeit an die Staatsangehörigkeit anknüpft.35 Hat der Staatsange-

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RG, 17.6.1942 – VIII GB 53/42, DR 1942, 1286. Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, Rn. 1025; Kropholler, in: Handbuch des IZVR I, Kap. III Rn. 183; Milleker, Der negative internationale Kompetenzkonflikt, 33. 34 Milleker, Der negative internationale Kompetenzkonflikt, 33 und 43. 35 Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, Rn. 1025; Milleker, Der negative internationale Kompetenzkonflikt, 33; Kropholler, in: Handbuch des IZVR I, Kap. III Rn. 183. 33

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hörige des Erststaates seinen Wohnsitz im Zweitstaat, ist keiner von beiden zuständig. Eine Kollision kann auch dadurch hervorgerufen werden, dass eine der beteiligten Rechtsordnungen keinen allgemeinen, sondern nur besondere Gerichtsstände zur Verfügung stellt, die allesamt nicht eingreifen.36 Hierbei wird der negative internationale Kompetenzkonflikt dadurch hervorgerufen, dass eine beteiligte Rechtsordnung an den allgemeinen Gerichtsstand einer Person anknüpft und dieses Merkmal in einem anderem Gerichtsstaat verwirklicht sieht. Das Zuständigkeitsrecht des verwiesenen Gerichtsstaates kennt jedoch ausschließlich besondere Gerichtsstände und sieht für diesen Fall gerade keinen solchen vor. Auch ein Verweis aus einer Rechtsordnung, die ausschließlich besondere Gerichtsstände zur Bestimmung der internationalen Zuständigkeit heranzieht, führt zur universellen Unzuständigkeit, wenn der verwiesenen Rechtsordnung diese besondere Anknüpfung fremd ist und zudem kein allgemeiner Gerichtsstand in diesem Staat erfüllt ist.37 Darüber hinaus können auch Divergenzen im Hinblick auf die maßgebliche Bezugsperson eine gegenseitige Zuständigkeitszuweisung hervorrufen. Dies ist etwa der Fall, wenn der Wohnsitzstaat des Klägers den Wohnsitz des Beklagten als Anknüpfungspunkt heranzieht, während der Wohnsitzstaat des Beklagten den klägerischen Wohnsitz für maßgeblich hält.38 Ein Zuständigkeitskonflikt kann zuletzt auch dann auftreten, wenn eine Rechtsordnung, die ihre internationale Zuständigkeit nur annimmt, wenn ihr eigenes Sachrecht anwendbar ist, auf eine solche trifft, die andere Anknüpfungsmomente heranzieht.39 Ein derartiger Gleichlauf wurde in Deutschland bis zum 1. September 2009 auf dem Gebiet des Nachlassverfahrensrechts vertreten.40 Gerade dieser Gleichlauf verursachte mehrere negative internationale Kompetenzkonflikte, die eine deutsche Notzuständigkeit erforderlich machten. So eröffnete das Bayerische Oberste Landesgericht unter dem Gesichtspunkt des „Fürsorgebedürfnisses“ zweier minderjähriger Erben eine Notzuständigkeit in Deutschland für eine Haftungsbeschränkung 36 Vgl. Kropholler, in: Handbuch des IZVR I, Kap. III Rn. 183; Milleker, Der negative internationale Kompetenzkonflikt, 41 ff. 37 Vgl. Milleker, Der negative internationale Kompetenzkonflikt, 41 ff., mit einem so nicht mehr aktuellen Beispiel aus dem spanischen Recht vor Einführung der europäischen Zuständigkeitsverordnungen. 38 Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, Rn. 1025; Kropholler, in: Handbuch des IZVR I, Kap. III Rn. 183; Patzina, in: MüKo ZPO, § 12 ZPO Rn. 98; Milleker, Der negative internationale Kompetenzkonflikt, 39. 39 Milleker, Der negative internationale Kompetenzkonflikt, 52. 40 Vgl. nur. OLG Brandenburg, 9.9.1997 – 10 Wx 9/97, FamRZ 1998, 986; Dörner, in: Staudinger BGB, Art. 25 EGBGB Rn. 835; Kegel/Schurig, Internationales Privatrecht, § 21 IV 2; Milleker, Der negative internationale Kompetenzkonflikt, 53; Schack, IZVR, Rn. 572, jeweils m.w.N.

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der Erben.41 Ein negativer internationaler Kompetenzkonflikt lag vor, weil aus italienischer Sicht die deutschen Gerichte am Wohnort der Kinder international zuständig waren und aus deutscher Sicht deutsche Gerichte unzuständig waren, weil das Erbstatut italienisch war.42 Eine Kollision aufgrund der Gleichlauftheorie hatte darüber hinaus auch die Entscheidung des OLG Zweibrücken vom 10. Juli 1985 zum Gegenstand.43 In diesem Fall lag ein negativer internationaler Kompetenzkonflikt für die Ausstellung eines Fremdrechtserbscheins vor, weil sich deutsche Gerichte aufgrund des französischen Erbstatuts für unzuständig erklärten und auch in Frankreich keine Zuständigkeit bestand, da der Erblasser seinen letzten Wohnsitz nicht in Frankreich hatte.44 In diesem Fall eröffnete das OLG Zweibrücken jedoch keine Notzuständigkeit, da im konkreten Fall die Ausstellung des Erbscheins nicht notwendig war, um die Rechtsinhaberschaft der Erbin nachzuweisen. Dies konnte sie nach Ansicht des Gerichtes bereits mit den von deutschen Gerichten erteilten (Eigenrechts-) Erbscheinen bewirken. Der Erbin fehlte insofern das Rechtsschutzbedürfnis, sodass ihr letztlich auch keine Rechtsverweigerung zu widerfahren drohte.45 c) Gerichtsstandsvereinbarung Zuletzt können auch die Parteien eines Rechtsstreites selbst eine negative Zuständigkeitskollision durch ausschließliche internationale Gerichtsstandsvereinbarungen hervorrufen.46 Ein Konflikt entsteht, wenn das von den Parteien als ausschließlich zuständig erkorene Forum die Prorogation als unwirksam ansieht, während das derogierte Gericht sie für wirksam hält. Die Lösung des hierdurch verursachten negativen internationalen Kompetenzkonfliktes liegt aus deutscher Sicht darin, die Derogation der an sich gegebenen deutschen internationalen Zuständigkeit für unwirksam zu erachten.47 Anders verhält es sich jedoch, wenn die Prorogation einer deutschen Zuständigkeit aus deutscher Sicht unwirksam ist, aber das derogierte auslän-

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BayObLG, 2.12.1965 – BReg. 1 b Z 67/65, BayObLGZ 1965, 423, 430 f. BayObLG, 2.12.1965 – BReg. 1 b Z 67/65, BayObLGZ 1965, 423, 431. 43 OLG Zweibrücken, 10.7.1985 – 3 W 133/85, OLGZ 1985, 413 ff. 44 OLG Zweibrücken, 10.7.1985 – 3 W 133/85, OLGZ 1985, 413, 415. 45 OLG Zweibrücken, 10.7.1985 – 3 W 133/85, OLGZ 1985, 413, 416. 46 Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, Rn. 1032; Kropholler, in: Handbuch des IZVR I, Kap. III Rn. 183 und 567; Milleker, Der negative internationale Kompetenzkonflikt, 48 ff. 47 OLG Koblenz, 24. 6. 2004 – 5 U 1353/02, NJOZ 2004, 3346, 3349; Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, Rn. 1763; Kropholler, in: Handbuch des IZVR I, Kap. III Rn. 566; Milleker, Der negative internationale Kompetenzkonflikt, 49 f.; Schröder, Internationale Zuständigkeit, 459 f. 42

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dische Forum an der Derogation festhält und sie nicht für unwirksam erklärt. In diesem Fall erfordert die dem Kläger drohende Rechtsverweigerung eine deutsche Notzuständigkeit, wenn ein ausreichender Bezug zu Deutschland besteht.48 2. Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit der Rechtsverfolgung im Ausland Dieser, einem Kompetenzkonflikt geschuldeten, rechtlichen Unmöglichkeit ein Auslandsverfahren durchzuführen, steht die faktische Unmöglichkeit und Unzumutbarkeit der Rechtsverfolgung im an sich gegebenen Forum gleich.49 Auch in solchen Fällen droht dem Kläger Rechtsverweigerung zu widerfahren.50 Die äußeren Umstände verhindern, dass der Kläger im an sich zuständigen Forum wirklich „Justiz“ erlangen kann.51 Kommt das erkennende Gericht zu dem Schluss, dass ein Verfahren im Ausland nicht möglich oder nicht zumutbar ist, reicht die hierdurch bedingte Gefahr einer Rechtsverweigerung aus, um eine Notzuständigkeit zu eröffnen.52 Dass dem Kläger tatsächlich Rechtsverweigerung widerfahren ist, kann nicht verlangt werden.53 Der klägerische Anspruch auf Justizgewährung verbietet es einem Gericht den Kläger sehenden Auges tatsächlich einer Rechtsverweigerung auszusetzen. Der Kläger muss daher nicht vergeblich die Inanspruchnahme des ausländischen Verfahrens versucht haben.54 In der folgenden Übersicht werden die von der Rechtsprechung und Literatur anerkannten Fallgruppen zur (faktischen) Unmöglichkeit und Unzumutbarkeit dargestellt. Die Rechtsprechung hat dabei im Wesentlichen Fälle behandelt, in denen die Rechtsverfolgung nachträglich im ausländischen forum prorogatorum faktisch unmöglich oder unzumutbar wurde, nachdem die Parteien dessen ausschließliche internationale Zuständigkeit vereinbart hatten.55 Auch wenn die Lösung einer solchen Kollision keine Notzuständigkeit erfordert – die Derogation der deutschen Zuständigkeit

48 Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, Rn. 1783; Kropholler, in: Handbuch des IZVR I, Kap. III Rn. 567. 49 Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, Rn. 1032; Kropholler, in: Handbuch des IZVR I, Kap. III Rn. 184 f.; Patzina, in: MüKo ZPO, § 12 ZPO Rn. 99; Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 451; Roth, in: Stein/Jonas, ZPO, vor § 12 ZPO Rn. 37; Schack, IZVR, Rn. 456; Schröder, Internationale Zuständigkeit, 206; Schütze, Deutsches und europäisches internationales Zivilprozessrecht, Rn. 126 und 129; Schütze, FS Rechberger, 567, 571 ff. 50 Schröder, Internationale Zuständigkeit, 206. 51 Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 451. 52 Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 464. 53 Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 464. 54 Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 464. 55 Schütze, FS Rechberger, 567, 572.

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wird in diesem Fall für unwirksam erklärt, sodass die alte Zuständigkeit wiederauflebt56 – treffen die hierzu entwickelten Grundsätze auch auf die Notzuständigkeit zu: Hintergrund der Erweiterung der an sich nicht bestehenden Zuständigkeit ist in beiden Fällen die Tatsache, dass im ausländischen Forum dem Kläger Rechtsverweigerung widerfährt.57 a) Faktische Unmöglichkeit Ist es dem Kläger faktisch nicht möglich, ein Gericht im Ausland aufzusuchen, das sein Rechtsschutzbegehren mit einer Sachentscheidung befriedigt, droht ihm Rechtsverweigerung zu widerfahren. Hiervon sind die Fälle erfasst, in denen sich die Unerreichbarkeit des an sich zuständigen Forums aus objektiven Gründen ergibt, die außerhalb des Lebensbereichs der Parteien liegen. Das Verfahren im Ausland ist objektiv unmöglich.58 (1) Stillstand der Rechtspflege Im deutschen Recht ist anerkannt, dass ein Verfahren im Ausland unmöglich ist, wenn das Forum aufgrund eines Stillstands der Rechtspflege tatsächlich nicht zur Verfügung steht.59 Als Beispiele für solche Situationen werden vor allem Kriege, Bürgerkriege, Blockaden oder auch die Dismembration des Staates – also der Zerfall oder die Zerteilung in zwei oder mehrere neue Staaten – als Völkerrechtssubjekt genannt.60 Ein Sillstand der Rechtspflege wurde etwa kurz nach Ende des zweiten Weltkrieges in den ehemaligen deutschen Gebieten in Polen bejaht, da dort die (deutschen) Gerichte aufgelöst wurden und noch keine gesetzlichen oder staatsvertraglichen Bestimmungen darüber getroffen worden sind, vor welchen Gerichten bereits anhängige Verfahren fortgeführt werden sollten.61 Des Weiteren hat das Bundesarbeitsgericht aus diesem Grund eine Gerichtsstandsvereinbarung zugunsten des Libanons in einem Arbeitsvertrag als un56

Vgl. Kropholler, in: Handbuch des IZVR I, Kap. III Rn. 570. So etwa: Kropholler, in: Handbuch des IZVR I, Kap. III Rn. 185 und Rn. 570; Schütze, FS Rechberger, 567, 573. 58 Schröder, Internationale Zuständigkeit, 206. 59 BGH, 17.1.1952 – IV ZR 106/51, NJW 1952, 705, 706; BAG, 29.6.1978 – 2 AZR 973/77, NJW 1979, 1119, 1120; Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, Rn. 1032; Kropholler, in: Handbuch des IZVR I, Kap. III Rn. 184; Patzina, in: MüKo ZPO, § 12 ZPO Rn. 99; Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 451; Roth, in Stein/Jonas, ZPO, vor § 12 ZPO Rn. 37; Schack, IZVR, Rn. 456; Schröder, Internationale Zuständigkeit, 206; Schütze, Deutsches und europäisches internationales Zivilprozessrecht, Rn. 126 und 129; Schütze, FS Rechberger, 567, 571 ff. 60 Kropholler, in: Handbuch des IZVR I, Kap. III Rn. 184; Patzina, in: MüKo ZPO, § 12 ZPO Rn. 99. 61 BGH, 17.1.1952 – IV ZR 106/51, NJW 1952, 705, 706. 57

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wirksam erachtet, da aufgrund des zwischenzeitlich ausgebrochenen Bürgerkrieges dort die Rechtspflege nachhaltig zum Erliegen gekommen war.62 Auch nach der Revolution im Iran mit bürgerkriegsähnlichen Zuständen war nach Ansicht des Landesarbeitsgericht Hamburg die Rechtspflege zum Erliegen gekommen.63Schütze nennt als weitere konkrete Beispiele Argentinien nach dem Sturz Perrons und Staaten des Nahen und Mittleren Ostens aufgrund der dort vorherrschenden Kriegs- und Revolutionsumstände,64 wobei dies heutzutage wohl nur eingeschränkt auf Libyen und Teile Syriens zutrifft. All diese Fälle belegen, dass ein tatsächlicher Stillstand der Rechtspflege die Unmöglichkeit der Verfahrensführung im Ausland bedingt. Aber es herrscht zumindest in der Literatur Einigkeit darüber, dass ein nur vorübergehender Stillstand nicht zur Begründung einer Notzuständigkeit ausreicht.65 Ist die Wiederaufnahme der Rechtspflege absehbar, so ist eine Notzuständigkeit nicht gerechtfertigt.66 Notwendig ist deshalb, dass zum Zeitpunkt der Klageerhebung mit der baldigen Aufnahme der Rechtspflege im Forum nicht zu rechnen ist.67 Deshalb droht Rechtsverweigerung bereits dann, wenn die an sich zuständigen Gerichte aufgrund eines Generalstreiks für zwei Monate untätig sind, sofern die Dauer des Stillstands der Rechtspflege zum Zeitpunkt der Klageerhebung nicht absehbar ist.68 Wo jedoch genau die Grenze zwischen einem vorübergehenden Stillstand und einem dauerhaften Stillstand der Rechtspflege verläuft, ist mangels Entscheidungsdichte kaum zu sagen.69 Jedenfalls bleibt eine deutsche Notzuständigkeit wegen des Grundsatzes der perpetuatio fori selbst dann bestehen, wenn die Gerichte im an sich zuständigen Forum ihre Tätigkeit wiederaufnehmen.70 (2) Rechtlosstellung des Klägers Neben dem Stillstand der Rechtspflege sind auch Fälle denkbar, in denen das an sich zuständige Forum den Kläger komplett rechtlos stellt. So ist es möglich, dass das international zuständige Forum einem ausländischen Kläger

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BAG, 29.6.1978 – 2 AZR 973/77, NJW 1979, 1119, 1120. LAG Hamburg, 21.9.1979 – 3 Sa 64/79, IPRspr. 1980, Nr. 137 A. 64 Schütze, FS Rechberger, 567, 571. 65 Schütze, FS Rechberger, 567, 571; Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 465. 66 BGH, 17.1.1952 – IV ZR 106/51, NJW 1952, 705, 706; Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 465; Schütze, FS Rechberger, 567, 571. 67 LAG Frankfurt a.M., 10.6.1981 – 7 Sa 1247/80, RIW/AWD 1982, 524; Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 465. 68 LAG Frankfurt a.M., 10.6.1981 – 7 Sa 1247/80, RIW/AWD 1982, 524. 69 So auch Kropholler, in: Handbuch des IZVR I, Kap. III Rn. 570. 70 BAG, 29.6.1978 – 2 AZR 973/77, NJW 1979, 1119, 1120; LAG Frankfurt a.M., 10.6.1981 – 7 Sa 1247/80, RIW/AWD 1982, 524. 63

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grundsätzlich den Rechtsschutz verweigert.71 Eine solche Form der Rechtslosstellung stellt letztlich eine Rechtsverweigerung im völkerrechtlichen Sinne dar, also eine willkürliche Diskriminierung Fremder durch den ausländischen Staat, der die justiziellen Mindeststandards unterschreitet.72 Einen so gelagerten Fall hatte das OLG Stuttgart zu entscheiden.73 Das für ein Aufgebotsverfahren zum Zwecke der Kraftloserklärung eines Wechsels an sich international zuständige Gericht in der damaligen Sowjetzone verweigerte dem bundesdeutschen Bürger die Durchführung des Verfahrens. Das OLG Stuttgart stellte deshalb fest, dass das Aufgebot aus politischen Gründen nicht in der Sowjetzone zu erhalten sei und eröffnete eine deutsche Ersatzzuständigkeit. Auch in der jüngeren Vergangenheit sind solche Fälle vor die Gerichte gelangt. Das OLG Frankfurt hat eine Gerichtsstandsvereinbarung für unwirksam erachtet, weil dem Kläger im prorogierten Forum im Irak Rechtsverweigerung zu widerfahren drohte.74 Der Irak hatte als Gegenmaßnahme zum Einfrieren von irakischem Vermögen im Ausland seinen Gerichten gesetzlich untersagt, über Forderungen ausländischer Auftragnehmer gegen den Staat zu verhandeln. Aufgrund dieser drohenden Rechtsverweigerung erklärte das OLG die Derogation deutscher Gerichte für unwirksam und erklärte sich für international zuständig. Auch diese Wertung kann für die Notzuständigkeit herangezogen werden. Darüber hinaus sind derartige Probleme der Rechtlosstellung bestimmter Personen vor allem mit im Ausland enteigneten juristischen Personen aufgetreten, die Vermögen in der Bundesrepublik hatten, ohne jedoch dort einen Sitz begründet zu haben.75 Die deutsche Rechtsprechung hat mehrmals bezüglich der für das Vermögen in Deutschland entstandenen Spaltgesellschaft eine Notzuständigkeit eröffnen müssen. Dabei ging es regelmäßig um die Bestellung eines Notvorstandes, um die Handlungsfähigkeit der Spaltgesellschaft herzustellen.76 In diesen Fällen waren die Gesellschaften im Ausland durch die Enteignung als Rechtssubjekt untergegangen, sodass die Verfahren am ausländischen Sitz nicht angestrengt werden konnten. 71

Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, Rn. 1026a; Kropholler, in: Handbuch des IZVR I, Kap. III Rn. 184; Milleker, Der negative internationale Kompetenzkonflikt, 62 m.w.N. aus dem anglo-amerikanischen Recht. 72 Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, Rn. 1909 ff.; Heldrich, Internationale Zuständigkeit und anwendbares Recht, 146; Kropholler, in: Handbuch des IZVR I, Kap. III Rn. 43; Milleker, Der negative internationale Kompetenzkonflikt, 61 und 68 jeweils m.w.N. Siehe hierzu auch Einleitung C. 73 OLG Stuttgart, 28.4.1955 – 3 U 3/54, NJW 55, 1154. 74 OLG Frankfurt, 1.10.1998 – 1U16396 1 U 163/96, IPRax 1999, 247, 250. 75 Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, Rn. 1028. 76 Vgl. etwa: BGH, 21.11.1955 – II ARZ 1/55, BGHZ 19, 102; BGH, 19.11.1984 – II ARZ 11/84, IPRax 1985, 342; BGH, 30.9.1985 – II ARZ 5/85, WM 1985, 1415.

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b) Unzumutbarkeit Neben der faktischen Unmöglichkeit der Durchführung eines Verfahrens im Ausland können rechtliche und tatsächliche Umstände den Gang vor ein fremdes Forum unzumutbar machen. Typisierend kann man sagen, dass sich die Unzumutbarkeit auf Umstände bezieht, die dem Lebenskreis der Partei entstammen.77 Nichtsdestotrotz muss das Zumutbarkeitskriterium selbst als ein objektives verstanden werden.78 Es wäre verfehlt auf persönliche Befindlichkeiten des Klägers oder Antragsstellers abzustellen. Es reicht deshalb nicht aus, dass der Kläger oder Antragssteller kein Vertrauen in die Rechtspflege und Justiz des an sich zuständigen Auslandes hat.79 Ein deutsches Notforum kann nicht aufgrund der Tatsache eröffnet werden, dass dem Kläger die deutsche Justiz aus irgendeinem Grund besser behagt.80 Zumutbar sind daher die gewöhnlichen Schwierigkeiten und Hindernisse der Rechtsverfolgung im Ausland, wie etwa Sprachbarrieren oder eine andere Entscheidung des ausländischen Gerichts.81 Unzumutbar ist ein Verfahren etwa dann, wenn der Kläger im an sich zuständigen Forum politisch verfolgt wird.82 In der deutschen Literatur und Rechtsprechung finden sich insgesamt nur rudimentäre Ansatzpunkte zu der Frage, wann die Zumutbarkeitsgrenze überschritten ist. Anwendungsfälle sind selten. Aus diesem Grund ist eine exakte Bestimmung der Grenze zwischen noch zumutbaren Erschwernissen und unzumutbaren Hindernissen kaum möglich.83 Im Nachfolgenden sollen die Ansätze, die in der deutschen Rechtsprechung und Literatur zu finden sind, dargestellt werden. (1) Schwerwiegende Mängel in der Rechtsstaatlichkeit im Auslandsverfahren In der Literatur haben schwerwiegende Rechtsstaatlichkeitsmängel im ausländischen Forum als Ursache einer drohenden Rechtsverweigerung etwas mehr Aufmerksamkeit als die politische Verfolgung des Klägers bekommen.84 Dem Kläger ist es unzumutbar, ein Verfahren im Ausland anzustren-

77 Schröder, Internationale Zuständigkeit, 206 spricht deshalb von der subjektiven Unzumutbarkeit. 78 Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 463. 79 BGH, 2.7.1991 – XI ZR 206/90, NJW 1991, 3092, 3095. 80 Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 463. 81 Kropholler, in: Handbuch des IZVR I, Kap. III Rn. 185; Schütze, FS Rechberger, 567, 572. 82 Kropholler, in: Handbuch des IZVR I, Kap. III Rn. 185. 83 So auch Kropholler, in: Handbuch des IZVR I, Kap. III Rn. 570. 84 Schütze, Deutsches und europäisches internationales Zivilprozessrecht, Rn. 129; Schütze, FS Rechberger, 567, 572.

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1. Teil: Das forum necessitatis in den nationalen Zuständigkeitsordnungen

gen und durchzuführen, wenn „bei dem ausländischen Gericht eine sachgerechte, den elementaren rechtsstaatlichen Garantien entsprechende Entscheidung des Rechtsstreits nicht gewährleistet ist.“85 Auch in der Rechtsprechung erlangte diese Ursache der Unzumutbarkeit praktische Bedeutung in Bezug auf Gerichtsstandsvereinbarungen. In der oben erläuterten Entscheidung des OLG Frankfurt sah das Gericht die Gefahr einer Rechtsverweigerung – neben der Weigerung über Forderungen ausländischer Auftragnehmer zu verhandeln – auch dadurch hervorgerufen, dass ernsthafte Zweifel an der Existenz eines politisch unabhängigen Gerichtswesens im Irak bestanden, wenn es um die Geltendmachung von Ansprüchen gegen den irakischen Staat ging.86 Das OLG erklärte die Derogation deutscher Gerichte aus diesem Grund für unwirksam und eröffnete eine eigene Entscheidungszuständigkeit. Darüber hinaus ist die Grenze des Zumutbaren etwa auch dann überschritten, wenn verbreitete Korruption im an sich zuständigen Gerichtsstaat herrscht.87 (2) Die Verfahrensdauer Ein etwas näher behandelter Aspekt rechtsstaatlicher Garantien ist die Verfahrensdauer im an sich zuständigen ausländischen Forum.88 Rechtsprechung und Literatur gehen davon aus, dass eine längere Verfahrensdauer im Ausland dem Kläger grundsätzlich zuzumuten ist.89 Lediglich in Ausnahmefällen kann eine überlange Verfahrensdauer die Grenze der Zumutbarkeit überschreiten. Einen solchen hat der BGH aufgrund der unbestrittenen vierjährigen Untätigkeit der an sich zuständigen Gerichte angenommen.90 Die Verfahrenslänge führte in diesem Fall zu einer mit Art. 6 EMRK nicht mehr

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OLG Frankfurt, 1.10.1998 – 1U16396 1 U 163/96, IPRax 1999, 247, 250; so auch Schütze, FS Rechberger, 567, 572. 86 OLG Frankfurt, 1.10.1998 – 1U16396 1 U 163/96, IPRax 1999, 247, 250. 87 Schütze, FS Rechberger, 567, 572. 88 Vgl. Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 464; Schütze, FS Rechberger, 567, 572. 89 BGH, 10.10.1985 – I ZR 1/83, NJW 1986, 2195, 2196; Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 464; Schütze, Deutsches und europäisches internationales Zivilprozessrecht, Rn. 129; Schütze, FS Rechberger, 567, 572. 90 BGH, 26.1.1983 – IVb ZR 335/81, NJW 1983, 1269, 1270: In diesem Verfahren eröffnete der BGH allerdings keine Notzuständigkeit, sondern hielt aufgrund der überlangen Prozessdauer die Rechtshängigkeit des italienischen Scheidungsverfahren für unbeachtlich. Der tragende Grund hierfür war die drohende Rechtsverweigerung des Klägers, weshalb diese Erwägung auch für die Notzuständigkeit relevant ist. Ähnlich auch BGH, 26.10.1960 – IV ZR 3/60, NJW 1961, 124 ff.: Das Verfahren in England ruhte seit vier Jahren, weil die Klägerin einer Anordnung des Gerichts nicht nachgekommen war – und dies aus Sicht des BGH auch nicht musste.

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zu vereinbarende faktischen Rechtlosstellung des Klägers.91 Die deshalb drohende Rechtsverweigerung machte eine deutsche Zuständigkeit erforderlich. Bei der Beurteilung kommt es stets auf die konkreten Umstände des Einzelfalls an.92 Die allgemeine Furcht des Klägers vor der Langsamkeit der Gerichte im an sich zuständigen Forum führt deshalb nicht zur Unzumutbarkeit aufgrund der Verfahrensdauer.93 Nur wenn im konkreten Einzelfall die überlange Verfahrensdauer zu einer faktischen Rechtlosstellung des Klägers führt, kann die Unzumutbarkeit angenommen werden. (3) Allgemeine Erschwernisse der Prozessführung im Ausland Erschwernisse eines Auslandsverfahrens gegenüber einem Verfahren in Deutschland sind grundsätzlich zumutbar.94 Im Hinblick auf die Wirksamkeit von Gerichtsstandsvereinbarungen hat der BGH lediglich festgestellt, dass Sprachprobleme und ähnliche Erschwernisse nicht ausreichen, um eine Derogation deutscher Gerichte für unwirksam zu erklären.95 Derartige Hindernisse und Erschwernisse sind einem Kläger regelmäßig zumutbar und begründen keine Gefahr einer drohenden Rechtsverweigerung im prorogierten Forum. Diese Wertung lässt sich auch auf die Notzuständigkeit übertragen. Es gibt jedoch einen Anhaltspunkt, dass die Rechtsprechung die Grenze der Zumutbarkeit überschritten sieht, wenn faktische Hindernisse und Erschwernisse eines Auslandsverfahrens ein erhebliches Ausmaß annehmen. Dieser Schluss lässt sich aus einer Entscheidung des Amtsgerichts GroßGerau vom 11. Juni 1980 ziehen:96 Nach Auffassung des Gerichts war einer tschechoslowakischen Klägerin ein Scheidungsverfahren in der Türkei aufgrund tatsächlicher Erschwernisse unzumutbar. Die Klägerin hatte bis auf die zusätzliche türkische Staatsbürgerschaft, die sie durch die Hochzeit mit ihrem türkischen Mann erlangt hatte, keine Beziehung zur Türkei: Sie hatte nie in der Türkei gelebt noch vor dort zu leben. Sie sprach kein Türkisch und hatte auch sonst keine Verbindungen in die Türkei, sodass sie die Wahrnehmung ihrer Rechte vor einem türkischen Richter überfordert hätte. Der Verweis auf ein solches Verfahren in der Türkei hätte, dem Gericht zufolge, eine Rechtsverweigerung dargestellt, weshalb das Amtsgericht eine deutsche Zuständigkeit eröffnete. Ob aus dieser Entscheidung der Schluss gezogen wer91 Schütze, Deutsches und europäisches internationales Zivilprozessrecht, Rn. 129; Schütze, FS Rechberger, 567, 572 ebenfalls mit Hinweis auf die Bedeutung im Rahmen der Notzuständigkeit. 92 Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 464. 93 LG Frankfurt a.M., 22.2.1988 – 2/21 O 185/86, IPRax 1990, 234 f. 94 Schütze, FS Rechberger, 567, 572. 95 BGH, 3.12.1973 – II ZR 91/72, BeckRS 1973 30380980. 96 AG Groß-Gerau, 11.6.1980 – 7 F 468/79, FamRZ 1981, 51 f.

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den sollte, dass faktische Hindernisse und Erschwernisse sich zu einer drohenden Rechtsverweigerung kumulieren können, ist jedenfalls fraglich. Die Klägerin hätte ohne Weiteres die Möglichkeit gehabt, mit Übersetzern und türkischen Anwälten das Verfahren in der Türkei zu führen. Gerade dies muss im internationalen Rechtsverkehr von den Parteien verlangt werden können, und kann nicht die Unzumutbarkeit eines Auslandsverfahrens begründen. 3. Nichtanerkennungsfähigkeit in Deutschland Rechtsverweigerung droht indes nicht nur demjenigen, der international kein Forum findet oder dem der Gang in das international zuständige Forum unmöglich oder unzumutbar ist; ebenso schwer wiegt es, wenn eine deutsche internationale Zuständigkeit nicht vorliegt und gleichzeitig eine ausländische Entscheidung in Deutschland nicht anerkannt wird.97 Auch in diesem Fall droht dem Kläger Rechtsverweigerung zu widerfahren, weil es dem Kläger unmöglich ist, die Rechtslage auch mit Wirkung für die deutsche Rechtsordnung feststellen zu lassen und das Vermögen des Beklagten in Deutschland dem klägerischen Zugriff komplett entzogen ist.98 Hat der Kläger jedoch ein Interesse an der Wirkungsentfaltung und/oder Vollstreckung eines Urteiles in Deutschland und damit ein Rechtsschutzbedürfnis in Deutschland, muss ein deutsches Notforum zur Verfügung gestellt werden.99 Aber nicht nur im Fall der gesicherten Nichtanerkennung einer ausländischen Entscheidung muss eine Notzuständigkeit eröffnet werden: Rechtsverweigerung droht bereits dann, wenn zum Zeitpunkt der Verfahrenseinleitung feststeht, dass eine ausländische Entscheidung nicht anerkannt werden kann.100 Dem Kläger zu-

97 Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, Rn. 1029 f.; Kropholler, in: Handbuch des IZVR I, Kap. III Rn. 186; Milleker, Der negative internationale Kompetenzkonflikt, 79; Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 451 und 753; Nagel/ Gottwald, Internationales Zivilprozessrecht, § 3 Rn. 496; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 31 Rn. 20; Roth, in Stein/Jonas, ZPO, vor § 12 ZPO Rn 38; Schack, IZVR, Rn. 456 und 267; Schütze, Deutsches und europäisches internationales Zivilprozessrecht, Rn. 129; Schütze, FS Rechberger, 567, 573 ff.; Walchshöfer, ZZP 80 (1967), 165, 204. 98 Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, Rn. 1030; Kropholler, in: Handbuch des IZVR I, Kap. III Rn. 186; Mitzkus, Internationale Zuständigkeit im Vormundschafts-, Pflegschafts- und Sorgerecht, 229; Schack, IZVR, Rn. 456; Schütze, FS Rechberger, 567, 573. 99 Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, Rn. 1030. 100 Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 464 und 759; Kropholler, in: Handbuch des IZVR I, Kap. III Rn. 186; a.A. Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, Rn. 1030; Roth, in Stein/Jonas, ZPO, vor § 12 ZPO Rn 38.

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nächst die vergebliche Inanspruchnahme dieses Verfahrens abzuverlangen kann nicht verlangt werden.101 Ursache einer solchen Anerkennungslücke kann dabei jedes Anerkennungshindernis des deutschen Rechts sein, insbesondere ein Verstoß gegen den deutschen ordre public nach § 328 Abs. 1 Nr. 4 ZPO und § 109 Abs. 1 Nr. 4 FamFG. Selbst wenn die ausländische Entscheidung in einem rechtsstaatlich einwandfreien Verfahren zustande gekommen ist und ihr Inhalt nicht gegen fundamentale deutsche Rechtsprinzipien des ordre public verstößt, ist die Anerkennung noch immer nicht gesichert. Das deutsche Recht verweigert einer ausländischen Entscheidung über vermögensrechtliche Ansprüche nach § 328 Abs. 1 Nr. 5 ZPO und in den Fällen des § 109 Abs. 4 FamFG auch dann die Anerkennung, wenn die Gegenseitigkeit der Anerkennung nicht verbürgt ist.102 Dabei kommt es auf die materielle Gegenseitigkeit der Anerkennung an. Ausreichend ist daher, dass das Anerkennungsrecht und die Anerkennungspraxis der Gerichte des Urteilsstaates im Wesentlichen eine gleichwertige Anerkennung gewährleisten, ohne dass es auf eine komplette Gleichartigkeit ankommt.103 Nicht notwendig ist hingegen, dass eine staatsvertragliche Regelung die Gegenseitigkeit auch formell sichert.104 In der Rechtsprechung sind indes keine Fälle zu finden, in denen eine nationale Notzuständigkeit aufgrund dieser Ursache eröffnet worden ist. Dies liegt vor allem an der weiten internationalen Zuständigkeit Deutschlands auf Grund des internationalen Gerichtsstands des Vermögens nach § 23 ZPO. Durch diesen exorbitanten Gerichtsstand werden Anerkennungslücken geschlossen, noch bevor sie entstehen.105 Lediglich im Falle der ordre public-Zuständigkeit, die über die Notzuständigkeit begründet wird, finden sich Fälle einer deutschen Notzuständigkeit, die jedoch an anderer Stelle zu behandeln sind.106

101 Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 464 und 759; Kropholler, in: Handbuch des IZVR I, Kap. III Rn. 186. Vgl. auch Teil 1 A. 2. 102 In Familiensachen und Angelegenheiten der Freiwilligen Gerichtsbarkeit ist auf diese Anerkennungsvoraussetzung weitestgehend verzichtet worden. In Bezug auf die mit einer Statusentscheidung verbundenen vermögensrechtlichen Ansprüche bleibt die Verbürgung Anerkennungsvoraussetzung, § 109 Abs. 4 FamFG. Vgl. hierzu: Gottwald, in: MüKo ZPO, § 328 ZPO Rn. 138.; Rauscher, in: MüKo FamFG, § 109 FamFG Rn. 58 ff. 103 BGH, 30.9.1964 – VIII ZR 195/61, NJW 1964, 2350 f.; BGH, 24.10.2000 – XI ZR 300/99, NJW 2001, 524 f; Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, Rn. 2879 f. 104 BGH, 24.10.2000 – XI ZR 300/99, NJW 2001, 524 f. 105 Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, Rn. 1030 Fußnote 251 und 1036; ähnlich Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 630 ff.; Schack, IZVR, Rn. 460 und 373. 106 Siehe hierzu unten. Teil 1 A. III.

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1. Teil: Das forum necessitatis in den nationalen Zuständigkeitsordnungen

II. Eilzuständigkeit Als zweite Kategorie der Notzuständigkeiten wird in der Literatur zum deutschen Recht die „Eilzuständigkeit“ genannt.107 Mit dieser Zuständigkeit wird eine ansonsten nicht bestehende deutsche Zuständigkeit für einstweilig sichernde Maßnahmen begründet, wenn das Abwarten auf die endgültige Entscheidung im Hauptverfahren das Wohl der Betroffenen oder öffentliche Belange gefährdet.108 Die Zuständigkeit beschränkt sich dabei auf die notwendigen einstweiligen Maßnahmen. Auch wenn die Eilzuständigkeit regelmäßig von anderen Notzuständigkeiten abgegrenzt wird,109 liegt der Grund für das Bedürfnis einer außerordentlichen Zuständigkeit ebenfalls in der drohenden Rechtsverweigerung: Sind einstweilige Maßnahmen zur Sicherung der aktuellen Rechtslage im ausländischen Forum nicht so zu erlangen, dass sie rechtzeitig die in Deutschland notwendige Wirkung entfalten können, steht der Kläger rechtsschutzlos da. Eben dies begründet aber eine ansonsten drohende Rechtsverweigerung.110 Relevant ist die Eilzuständigkeit vor allem auf dem Gebiet der freiwilligen Gerichtsbarkeit. Hier enthält das deutsche Recht eine gesetzlich normierte Eilzuständigkeit für einstweilig sichernde Maßnahmen in § 105 FamFG i.V.m. § 50 Abs. 2 FamFG. Besondere Bedeutung hatte diese Zuständigkeit zu der Zeit, als die Maßgeblichkeit ausländischen Sachrechts den Ausschluss der deutschen internationalen Zuständigkeit nach der Gleichlauftheorie bedingte.111 Mittels der Eilzuständigkeit konnten einstweilige Sicherungsmaßnahmen auch dann angeordnet werden, wenn ein Fürsorgebedürfnis in Deutschland bestand, aber keine internationale Zuständigkeit.112 Dies war vor allem der Fall, wenn sich Nachlassgegenstände eines ausländischen Erblassers in Deutschland befanden, für die Sicherungsmaßnahmen ausländischer Gerichte nicht oder nicht rechtzeitig einzuholen waren. Seit der Überwindung der Gleichlauftheorie auf dem Gebiet der freiwilligen Gerichtsbar-

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Kropholler, in: Handbuch des IZVR I, Kap. III Rn. 193; Mitzkus, Internationale Zuständigkeit im Vormundschafts-, Pflegschafts- und Sorgerecht, 228; Neuhaus, Grundbegriffe des IPR, 427. 108 Mitzkus, Internationale Zuständigkeit im Vormundschafts-, Pflegschafts- und Sorgerecht, 228. 109 Kropholler, in: Handbuch des IZVR I, Kap. III Rn. 193; Mitzkus, Internationale Zuständigkeit im Vormundschafts-, Pflegschafts- und Sorgerecht, 228; Neuhaus, Grundbegriffe des IPR, 427. 110 So auch Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 451. 111 Dölle, RabelsZ 27 (1962/63), 201, 223; vgl. auch Mitzkus, Internationale Zuständigkeit im Vormundschafts-, Pflegschafts- und Sorgerecht, 228. 112 Dölle, RabelsZ 27 (1962/63), 201, 220 ff.

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keit hat die Eilzuständigkeit wesentlich an praktischer Bedeutung verloren.113 Die Verwendung anderer Anknüpfungsmomente kann die internationale Zuständigkeit Deutschlands seitdem auch dann begründen, wenn ausländisches Recht zur Anwendung kommt.

III. Notzuständigkeit aufgrund schlechterer Prozesschancen im Ausland Der Umstand, dass das Ergebnis eines Auslandsverfahrens von der vom deutschen Recht vorgesehenen Rechtsfolge abweicht, begründet grundsätzlich keine deutsche Notzuständigkeit.114 Auch mangelnde Erfolgsaussichten im ausländischen Verfahren durch die Anwendung eines anderen Kollisionsoder Sachrechts stellen keine Rechtsverweigerung dar.115 Deshalb ist es etwa zumutbar, dass die im ausländischen Verfahren zugesprochenen Schmerzensgeldansprüche wesentlich niedriger sind als in Deutschland.116 Andernfalls würde jede Abweichung der vom nationalen Sachrecht vorgezeichneten Lösung eine deutsche Zuständigkeit auslösen, wodurch die Aufteilung in Entscheidungs- und Anerkennungszuständigkeit bedeutungslos würde.117 Diese Abweichung im Ergebnis der Entscheidung ist gerade das Ergebnis der Anwendung unterschiedlicher aber gleichwertiger nationaler Sachrechte und zuständigkeitsrechtlich grundsätzlich irrelevant.118 Grenzenlos ist diese Toleranz gegenüber dem Ergebnis einer ausländischen Entscheidung jedoch nicht. 1. Ordre public-Zuständigkeit Verstößt der Inhalt einer ausländischen Entscheidung gegen fundamentale Rechtsprinzipien des deutschen materiell-rechtlichen ordre public, ist die Anerkennung dieses Urteils nach § 328 Abs. 1 Nr. 4 ZPO und § 109 Abs. 1 Nr. 4 FamFG ausgeschlossen.119 Dem Kläger droht Rechtsverweigerung zu widerfahren, weil ein für das deutsche Inland wirkender Richterspruch nicht zu

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Mitzkus, Internationale Zuständigkeit im Vormundschafts-, Pflegschafts- und Sorgerecht, 228. 114 Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 737, 753, 758; Schröder, Internationale Zuständigkeit, 217, 222 und 225 ff. 115 Schröder, Internationale Zuständigkeit, 217; Schütze, FS Rechberger, 567, 572. 116 Schütze, FS Rechberger, 567, 572. 117 Schröder, Internationale Zuständigkeit, 222; Schütze, FS Rechberger, 567, 572. 118 Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 737 und 758. 119 Siehe hierzu im Einzelnen Gottwald, in: MüKo ZPO, § 328 ZPO Rn. 121 ff. m.w.N.

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1. Teil: Das forum necessitatis in den nationalen Zuständigkeitsordnungen

erhalten ist.120 Um dieser zu begegnen, wird eine deutsche Notzuständigkeit eröffnet, die auch „ordre public-Zuständigkeit“ genannt wird.121 Steht die Abweichung der ausländischen Entscheidung von zwingendem deutschen Recht, das vom ordre public geschützt ist, fest, droht daher Rechtsverweigerung aufgrund der Anerkennungslücke.122 Ob aber darüber hinaus dem Kläger auch dann Rechtsverweigerung zu widerfahren droht, wenn zu erwarten ist, dass eine ausländische Entscheidung gegen den deutschen ordre public verstoßen wird, ist in der deutschen Literatur umstritten.123 Teile des deutschen Schrifttums wenden sich gegen eine solche Möglichkeit mit dem Argument, dass die ordre public-Widrigkeit einer ausländischen Entscheidung nicht vorhergesagt werden könne.124 Erst wenn die Anerkennung tatsächlich gescheitert sei, liege Rechtsverweigerung vor. Der BGH scheint indes davon auszugehen, dass bereits die zu erwartende Abweichung von international zwingendem deutschen materiellen Recht, das Bestandteil des deutschen ordre public ist, zur Rechtsverweigerung führt. Dies lässt sich aus seiner Rechtsprechung zur internationalen Durchsetzung des Termineinwands des § 53 BörsG a.F. schließen, der nach § 61 BörsG a.F.125 als zwingende deutsche Kollisionsnorm ausgestaltet war.126 Hier hat der BGH die Derogation der deutschen internationalen Zuständigkeit für

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Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, Rn. 1054; Kropholler, in: Handbuch des IZVR I, Kap. III Rn. 186 und 193; Mitzkus, Internationale Zuständigkeit im Vormundschafts-, Pflegschafts- und Sorgerecht, 229; Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 753. Ähnlich Schröder, Internationale Zuständigkeit, 223: Bei einem ordre public-Verstoß wird die Anwendung eines anderen Sachrechts unerträglich, weshalb eine deutsche Notzuständigkeit eröffnet werden muss. Siehe unten Teil 1 A. I. 3. 121 Kropholler, in: Handbuch des IZVR I, Kap. III Rn. 193; Mitzkus, Internationale Zuständigkeit im Vormundschafts-, Pflegschafts- und Sorgerecht, 229; Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 753 und 756. 122 Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, Rn. 1054 und 1058; Roth, in Stein/Jonas, ZPO, vor § 12 ZPO Rn 41. 123 Dafür: Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 759; Schröder, Internationale Zuständigkeit, 223 f. Offen gelassen: Kropholler, in: Handbuch des IZVR I, Kap. III Rn. 193. Ablehnend: Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, Rn. 1054; Roth, in Stein/Jonas, ZPO, vor § 12 ZPO Rn 41. 124 Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, Rn. 1054 und 1058; Roth, in Stein/Jonas, ZPO, vor § 12 ZPO Rn 41. 125 Börsengesetz vom 22. Juni 1896, RGBl. 1896, 157, §§ 53 und 61 i.d.F. vom 1.1.1964, BGBl. III 1964. 126 BGH, 12.3.1984 – II ZR 10/83, NJW 1984, 2037; BGH, 15.6.1987 – II ZR 124/86, NJW 1987, 3193; BGH, 21.9.1987 – II ZR 41/87, NJW-RR 1988, 172; so auch Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 753 ff. und 759 m.w.N. Der BGH hat an dieser Rechtsprechung nach der Novelle des BörsG von 1989 nicht mehr festgehalten und zählt seitdem den Termineinwand nicht mehr zum ordre public, BGH, 21.4.1998 – XI ZR 377/9, NJW 1998, 2358.

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unwirksam gehalten, wenn hierdurch dem nicht termingeschäftsfähigen Inländern der Termineinwand des § 53 BörsG a.F. abgeschnitten wurde.127 Ausländischen Entscheidungen, die den Termineinwand nicht berücksichtigten, wurde wegen eines ordre public-Verstoßes nach § 328 Abs. 1 Nr. 4 ZPO a.F. die Anerkennung versagt.128 Auf diese prognostizierte Nichtanerkennungsfähigkeit gestützt, hat der BGH geurteilt, dass Derogationsvereinbarungen aus „demselben Grund“ – wegen eines ordre public-Verstoßes – unwirksam seien.129 Unwirksam war die Derogationsvereinbarung also nicht, weil die Entscheidung nicht anerkannt werden konnte, sondern allein aufgrund der gesicherten ordre public-Widrigkeit der Entscheidung, die gleichermaßen die Nichtanerkennungsfähigkeit bedingt. Dies zeigt, dass es auf eine tatsächliche Nichtanerkennungsfähigkeit nicht ankommt, um Rechtsverweigerung zu begründen. Der BGH forderte also nicht den vergeblichen Versuch der tatsächlichen Anerkennung einer ausländischen Entscheidung; Rechtsverweigerung drohte bereits wegen der mit Sicherheit zu erwartenden ordre public-Widrigkeit der ausländischen Entscheidung. Auch Stimmen in der Literatur folgen diesem Ansatz.130 Die in dieser Debatte aufgegriffene Frage ist letztlich, wie konkret die Gefahr der drohenden Rechtsverweigerung für den Kläger sein muss, um eine Notzuständigkeit zu eröffnen.131 Hierfür kann es aber nicht darauf ankommen, dass dem Kläger tatsächlich Rechtsverweigerung widerfährt. Ausreichend ist die Gewissheit, dass dem Kläger Rechtsverweigerung droht, da neben der Unmöglichkeit auch Zumutbarkeitserwägungen eine Rechtsverweigerung begründen können.132 Für die Unzumutbarkeit kommt es aber gerade nicht darauf an, dass das ausländische Verfahren vergeblich in Anspruch genommen worden ist. Dies wäre widersinnig, da dem Kläger dieses Verfahren gerade erspart werden soll. Es muss daher ausreichend sein, wenn die ordre public-Widrigkeit einer ausländischen Entscheidung ernsthaft zu erwarten ist.133

127 Für nicht termingeschäftsfähige Inländer waren Terminsgeschäfte unverbindlich, § 53 BörsG a.F. 128 BGH, 4.6.1975 – VIII ZR 232/73, NJW 1975, 1600; BGH, 15.6.1987 – II ZR 124/86, NJW 1987, 3193; siehe hierzu Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 755: Obwohl der Termineinwand internationalprivatrechtlich aufgrund einer Sonderanknüpfung nach § 61 BörsG a.F Anwendung fand, hat der BGH diese Norm anerkennungsrechtlich zum Bestandteil des nationalen ordre public gemacht. 129 BGH, 12.3.1984 – II ZR 10/83, NJW 1984, 2037 130 Dafür: Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 759; Schröder, Internationale Zuständigkeit, 223 f. 131 Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 759. 132 Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 464. 133 Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 759.

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1. Teil: Das forum necessitatis in den nationalen Zuständigkeitsordnungen

2. Kein forum legis zur Durchsetzung zwingenden deutschen materiellen Rechts Die eben dargestellten Ausführungen des BGH demonstrieren die genaue Ursache der drohenden Rechtsverweigerung: Nicht die Nichtanerkennungsfähigkeit der ausländischen Entscheidung ist der Grund für die Unwirksamkeit der Derogation; vielmehr basierten Nichtanerkennung und Unwirksamkeit auf demselben Grund, nämlich der voraussichtlichen ordre public-Widrigkeit der ausländischen Entscheidung.134 Daraus lässt sich schließen, dass international zwingendes Recht nur insoweit notzuständigkeitsbegründend ist, als es Bestandteil des deutschen ordre public ist.135 Allein die Abweichung von materiell zwingendem Recht, das dem Schutz des ordre public nicht unterliegt, kann daher eine Notzuständigkeit nicht rechtfertigen.136 Es lässt sich daher kein forum legis zur Durchsetzung aus deutscher Sicht zwingenden Rechts über die Notzuständigkeit begründen.137 Einzig die Tatsache, dass im Fall der ordre public-Widrigkeit der ausländischen Entscheidung dem Kläger Rechtsverweigerung zu widerfahren droht, kann eine deutsche Notzuständigkeit begründen.

IV. Not- und Fürsorgezuständigkeit wegen der Nicht-Erhältlichkeit des Rechtsschutzes im Ausland Des Weiteren gibt es in der deutschen Rechtsprechung und Literatur Hinweise, dass eine Not- oder Ersatzzuständigkeit dann zu eröffnen ist, wenn im ausländischen Forum eine nach deutschem Recht vorgesehene gerichtliche Sachentscheidung nicht erhältlich ist.138 Hierbei handelt es sich um Konstellationen, in denen in der Sache deutsches Recht zur Anwendung gelangt,

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Roth, IPRax 1985, 198 f. Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 753 ff. 136 Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, Rn. 1054; Kropholler, in: Handbuch des IZVR I, Kap. III Rn. 193; Mitzkus, Internationale Zuständigkeit im Vormundschafts-, Pflegschafts- und Sorgerecht, 229; Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 752 f.; Roth, in Stein/Jonas, ZPO, vor § 12 ZPO Rn 41. 137 Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 751 ff.; auch: Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, Rn. 1054; Roth, in Stein/Jonas, ZPO, vor § 12 ZPO Rn 41. 138 KG, 14.9.1961 – 1 W 1591/61, FamRZ 1961, 477, 479; Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, Rn. 1053; Geimer, in: Zöller, ZPO, IZPR Rn. 47; Heldrich, Internationale Zuständigkeit und anwendbares Recht, 184 (Zuständigkeit annehmend ohne drohende Rechtsverweigerung); Mitzkus, Internationale Zuständigkeit im Vormundschafts-, Pflegschafts- und Sorgerecht, 230 und 205; Neuhaus, JZ 1966, 239, 241; Neuhaus, RabelsZ 20 (1955), 201, 259; Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 737; ungenau Walchshöfer, ZZP 80 (1967), 165, 204. 135

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aber kein internationaler Gerichtsstand in Deutschland besteht.139 Ansatzpunkt einer deutschen Not- oder Fürsorgezuständigkeit in diesen Fällen ist jedoch nicht die Anwendbarkeit deutschen Rechts, sondern eine drohende Rechtsverweigerung.140 Das international zuständige Forum im Ausland kann oder will eine nach deutschem Recht vorgesehene Sachentscheidung aus Gründen des eigenen Verfahrensrechts nicht treffen, insbesondere weil der geforderte Rechtsschutz dem Verfahrensrecht des Forums unbekannt oder sogar wesensfremd ist.141 Das ausländische Forum trifft also keine Sachentscheidung, sondern lehnt das Verfahren zur Erlangung der begehrten Entscheidung grundsätzlich als unzulässig oder unstatthaft ab.142 Der nach deutschem Recht vorgesehene Rechtsschutz ist daher nicht erhältlich und das Verfahren im Ausland daher unmöglich.143 Betroffen sind hiervon regelmäßig, aber nicht nur, rechtsgestaltende Mitwirkungshandlungen eines Gerichtes, die das materielle Recht vorschreibt.144 Möglich ist jedoch auch, dass eine im deutschen Recht vorgesehen Verbands- oder Gruppenklage im Ausland unbekannt ist und daher als unzulässig abgewiesen wird.145 Besonders auf dem Gebiet der freiwilligen Gerichtsbarkeit konnte eine solche Inkompatibilität der beteiligten Rechtsordnungen den Kläger der Gefahr einer drohenden Rechtsverweigerung aussetzen.146 Dies lässt sich etwa anhand einer Entscheidung des Berliner Kammergerichts vom 14. September 1961 nachvollziehen.147 Zur Vermeidung einer Rechtsverweigerung 139

Walchshöfer, ZZP 80 (1967), 165, 204. Die Anwendbarkeit deutschen Rechts vermittelt aber die Binnenbeziehung zu Deutschland, siehe Teil 1 A. VII. 4. 141 KG, 14.9.1961 – 1 W 1591/61, FamRZ 1961, 477, 479; Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, Rn. 1053; Heldrich, Internationale Zuständigkeit und anwendbares Recht, 182 und 184 f.; Mitzkus, Internationale Zuständigkeit im Vormundschafts-, Pflegschafts- und Sorgerecht, 205; Neuhaus, RabelsZ 20 (1955), 201, 259; Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 737. 142 So auch Schröder, Internationale Zuständigkeit, 220. 143 Von den von Schröder, Internationale Zuständigkeit, 218 ff. beschriebenen Fällen des Rechtsumschwungs unterscheiden sich diese Fälle dadurch, dass die Rechtsverweigerung durch die Inkompatibilität der beteiligten Rechtsordnungen ausgelöst wird und der Kläger eine notwendige gerichtliche Entscheidung schlicht nicht erhalten kann. Diese Fälle stehen damit dem negativen internationalen Kompetenzkonflikt nahe und machen ein Verfahren im Ausland schlicht unmöglich. 144 Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, Rn. 1053; hierzu ausführlich Heldrich, Internationale Zuständigkeit und anwendbares Recht, 187 ff. 145 Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 737 ff. am Beispiel der AGB-rechtlichen Verbandsklage nach § 13 AGBG, inzwischen § 1, 3 UKlaG. 146 Bauer, Compe´tence judiciaire internationale des tribunaux civils franc¸ais et allemands, Rn. 139; Mitzkus, Internationale Zuständigkeit im Vormundschafts-, Pflegschaftsund Sorgerecht, 230 und 205 147 KG, 14.9.1961 – 1 W 1591/61, FamRZ 1961, 477, 479. 140

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1. Teil: Das forum necessitatis in den nationalen Zuständigkeitsordnungen

hat das KG ausnahmsweise eine deutsche internationale (Not-)Zuständigkeit für die Erteilung eines Auseinandersetzungszeugnisses nach § 9 EheG a.F. eröffnet.148 Der Antragsteller deutscher Staatsangehörigkeit begehrte vom Standesamt ein Ehefähigkeitszeugnis, mit dem er in der Schweiz eine neue Ehe eingehen wollte. Hierfür verlangte das anwendbare materielle deutsche Eherecht die Vorlage eines Auseinandersetzungszeugnisses, § 9 EheG a.F.149 Das aus deutscher Sicht zuständige eidgenössische Vormundschaftsgericht konnte dieses Auseinandersetzungszeugnis jedoch nicht in der für das deutsche Recht benötigten Form ausstellen, da das Auseinandersetzungszeugnis i.S.d. § 9 EheG a.F. dem Schweizer Recht „institutionell fremd“ war und es deshalb kein Verfahren hierfür vorsah.150 Weil das Auseinandersetzungszeugnis in der Schweiz nicht erhältlich war, drohte dem Kläger Rechtsverweigerung zu widerfahren. Denn ohne das Auseinandersetzungszeugnis, hätte der Antragssteller nicht die Voraussetzungen für eine weitere Ehe erfüllen können. Aus diesem Grund eröffnete das Gericht eine deutsche Notzuständigkeit, um die begehrte Entscheidung zu treffen. Diese Entscheidung zeigt, wie einem Kläger Rechtsverweigerung drohen kann, wenn ein bestimmter Rechtsschutz, der nach deutschem Recht konstitutiv für die Verwirklichung einer materiellen Rechtsposition ist, nicht im ausländischen Forum erhältlich ist.151 Den Ausführungen des KG ist aber gleichzeitig auch zu entnehmen, dass es nicht allein auf die Tatsache ankommt, dass eine vorgesehene Entscheidung im Ausland nicht erhältlich ist. Das Kammergericht ging in der Begründung davon aus, dass ein von einer schweizerischen Behörde ausgestelltes Schreiben nicht die Voraussetzungen des geforderten Auseinandersetzungszeugnises erfüllen könne, weil das Ausstellen eines solchen Zeugnisses den Schweizer Behörden wesensfremd war.152 Dies bedeutet letztlich nichts anderes, als dass aus Sicht des deutschen Rechts

148 KG, 14.9.1961 – 1 W 1591/61, FamRZ 1961, 477, 479; im Ergebnis so auch LG Berlin, 3.10.1955 – 83 T 229/55, StAZ 1956, 194 f., welches sich jedoch nicht auf die dem Kläger drohende Rechtsverweigerung beruft, sondern die Zuständigkeit aus Aspekten des Kindesschutzes herleitet und im Ergebnis auf einen Gleichlauf kommt. 149 Dieses Zeugnis diente dem Schutz eines Kindes vor vermögensrechtlichen Nachteilen, die ihm durch die Wiederverheiratung der Eltern entstehen können. In diesem Zeugnis hatte der Vormundschaftsrichter dem Heiratswilligen zu bescheinigen, dass dieser dem Kind gegenüber die ihm aus Anlass der Eheschliessung obliegenden Pflichten erfüllt hat oder dass ihm solche Pflichten nicht obliegen, § 9 EheG a. F. 150 KG, 14.9.1961 – 1 W 1591/61, FamRZ 1961, 477, 479 f. 151 Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, Rn. 1053; Mitzkus, Internationale Zuständigkeit im Vormundschafts-, Pflegschafts- und Sorgerecht, 230; Neuhaus, JZ 1966, 239, 241; Neuhaus, RabelsZ 20 (1955), 201, 259; Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 140 f.; Walchshöfer, ZZP 80 (1967), 165, 204. allgemeiner Heldrich, Internationale Zuständigkeit und anwendbares Recht, 181 und 187 ff. 152 KG, 14.9.1961 – 1 W 1591/61, FamRZ 1961, 477, 479.

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das Zeugnis nicht in dieser Form substituierbar war, mit der Folge, dass das Zeugnis tatsächlich nicht zu erhalten war. Verallgemeinernd lässt sich hieraus der Umkehrschluss ziehen, dass einem Kläger keine Rechtsverweigerung zu widerfahren droht, wenn aus Sicht des deutschen Rechts die Wirkung des im Ausland nicht erhältlichen Rechtsschutzes durch Substitution in gleicher Weise hergestellt werden kann. Die Substitution der nicht erhältlichen Sachentscheidung verhindert daher das Auftreten einer Rechtsverweigerung und macht in solchen Fällen eine Notzuständigkeit unnötig. Ob und inwieweit eine Substitution möglich ist, richtet sich nach dem anwendbaren deutschen Recht. Rechtsverweigerung droht daher, wenn eine gerichtliche Entscheidung, die das deutsche Sachrecht vorsieht, nicht im Ausland erhältlich ist und eine Substitution dieser Entscheidung nicht in Betracht kommt. Erst dann wird eine deutsche Notzuständigkeit erforderlich.153

V. Sachlich notwendige Zuständigkeit Deutschlands Im deutschen Recht gibt es zuletzt Anhaltspunkte dafür, dass für bestimmte Verfahrensgegenstände notwendigerweise eine deutsche Zuständigkeit bestehen muss. Der Sache nach ist eine solche Zuständigkeit mit der Frage verwandt, ob Deutschland für bestimmte Verfahren ausschließlich international zuständig sein muss, was in der Lehre insgesamt umstritten ist.154 Es besteht allerdings ein gravierender Unterschied: Während die Frage der ausschließlichen Zuständigkeit die Frage zum Gegenstand hat, ob bestimmte ausschließliche örtliche Zuständigkeiten auch eine internationale Ausschließlichkeit bedingen,155 wird im Falle der sachlich notwendigen Zuständigkeit die internationale Zuständigkeit Deutschlands außerordentlich – also mittels Fürsorge- oder Notzuständigkeit – eröffnet, weil es keine anderweitige Zuständigkeit Deutschlands gibt. In den hier interessierenden Fällen geht es daher ebenfalls um eine Erweiterung der deutschen Zuständigkeit. Für die Zwecke dieser Untersuchung ist diese Erweiterung interessant, wenn der wahre Grund dieser Zuständigkeit ebenfalls die Vermeidung einer drohenden Rechtsverweigerung ist. Dies soll daher im Folgenden untersucht werden. 153 KG, 14.9.1961 – 1 W 1591/61, FamRZ 1961, 477, 479; Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, Rn. 1053; Geimer, in: Zöller, ZPO, IZPR Rn. 47; Heldrich, Internationale Zuständigkeit und anwendbares Recht, 184; Mitzkus, Internationale Zuständigkeit im Vormundschafts-, Pflegschafts- und Sorgerecht, 205 und 230; Neuhaus, JZ 1966, 239, 241; Neuhaus, RabelsZ 20 (1955), 201, 259; Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 140 f. und 737 f.; Walchshöfer, ZZP 80 (1967), 165, 204. 154 Siehe nur Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, Rn. 872 ff. m.w.N. 155 Siehe nur Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, Rn. 872 ff. m.w.N.

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In der deutschen Rechtsprechung sind zwei Fälle zu finden, die die Existenz einer solchen sachlich notwendigen Zuständigkeit Deutschlands für bestimmte Verfahrensgegenstände belegen. Zunächst zeigt dies die Entscheidung des Bayerischen Obersten Landesgerichtes vom 22. April 1958.156 Für die vom Antragsteller begehrte Auszahlungsanordnung bezüglich seines Kindergeldanspruchs gegenüber einer deutschen Behörde war keine deutsche Zuständigkeit gegeben. Eine solche Auszahlungsanordnung gegenüber deutschen Behörden konnte jedoch nur ein inländisches Gericht treffen, da ein ausländisches Gericht zu derart staatlichen Eingriffen in inländische Vermögensrechte nicht berechtigt ist. Nach Auffassung des Gerichts war daher die deutsche Zuständigkeit sachlich notwendig. Das Gericht sah deshalb ein Fürsorgebedürfnis des Antragstellers begründet und eröffnete eine deutsche Zuständigkeit. Das Gericht führte die Zuständigkeit indes nicht auf eine drohende Rechtsverweigerung zurück. Der eigentliche Grund für die Zuständigkeit war die Tatsache, dass die Entscheidung unmittelbar die Ausübung von Hoheitsrechten betraf. Eine solche Entscheidung musste notwendigerweise von einem deutschen Gericht getroffen werden, auch wenn eine reguläre Zuständigkeit nicht bestand. Auch eine etwas jüngere Entscheidung des BGH vom 12. Oktober 1989 belegt die Existenz einer sachlich notwendigen Zuständigkeit, selbst im Anwendungsbereich des europäischen Zuständigkeitsrechts:157 Hier entschied der BGH, eingekleidet in eine Auslegungsfrage zu Art. 16 Nr. 3 EuGVÜ158 (heute: Art. 24 Nr. 3 Brüssel Ia-VO), zugunsten einer solchen Zuständigkeit. Gegenstand dieses Verfahrens bildete eine AGB-rechtliche Verbandsklage nach § 13 AGBG a.F. zur Überprüfung der AGB eines deutschen Vermieters, der unter anderem in Frankreich Ferienhäuser vermietete. Nach Art. 16 Nr. 3 EuGVÜ waren an sich ausschließlich französische Gerichte für dieses Verfahren international zuständig. Dennoch eröffnete der BGH entgegen Art. 16 Nr. 3 EuGVÜ eine deutsche internationale Zuständigkeit, da das Verfahren nach § 13 AGBG die umfassende Freihaltung der deutschen Rechtsordnung von nach deutschen Maßstäben unwirksamen AGB zum Gegenstand hatte. Dieses Ziel konnte aber nach Ansicht des BGH nur erreicht werden, wenn ein deutsches Gericht international zuständig ist.159 Deshalb war die ausschließliche Zuständigkeit des Art. 16 Nr. 3 EuGVÜ zugunsten eines französischen Gerichts nicht einschlägig. Auch hier eröffnete ein deut156

BayOblG, 22.4.1958 – BReg. 1 Z 105/56, NJW 1958, 1444. BGH, 12.10.1989 – VII ZR 339/88, BGHZ 109, 29 ff.; vgl. auch: Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 736 f. 158 Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (unterzeichnet am 27. September 1968), ABl. 1972 Nr. L 299 S. 32. 159 BGH, 12.10.1989 – VII ZR 339/88, BGHZ 109, 29, 33 f. 157

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sches Gericht aufgrund der Besonderheit des Streitgegenstandes eine deutsche Zuständigkeit, weil es der Ansicht war, dass das Verfahren nur in Deutschland durchgeführt werden konnte. Auch bei dieser Entscheidung war der Grund der außerordentlichen Zuständigkeit Deutschlands indes nicht die drohende Rechtsverweigerung des Klägers. Denn ob eine Verbandsklage vor einem französischen Gericht möglich gewesen wäre, oder eine Entscheidung eines französischen Gerichts in Deutschland anerkannt worden wäre, wurde in der Entscheidung nicht thematisiert.160 Die Gefahr einer drohenden Rechtsverweigerung hätte allenfalls dann bestanden, wenn der klagende Verband den vorgesehenen Rechtsschutz in Frankreich nicht hätte erhalten können, etwa weil das französische Verfahrensrecht die Verbandsklage nicht kannte und ein solches Verfahren daher unzulässig gewesen wäre.161 Der eigentliche Grund dieser Zuständigkeit lag also auch im Verfahrensgegenstand selbst: Die Notwenigkeit, dass die Entscheidung unmittelbar im deutschen Rechtsverkehr wirken sollte, bedingte, dass das Verfahren nur vor einem deutschen Gericht geführt werden konnte.

VI. Das maßgebliche Ausland Für die Eröffnung einer Notzuständigkeit in Deutschland ist es nicht notwendig, dass die Rechtsverfolgung in allen Foren der Welt aus einer der untersuchten Gründe unmöglich oder unzumutbar ist. Ausreichend ist, dass die aus deutscher Sicht nach § 328 Abs. 1 Nr. 1 ZPO und § 109 Abs. 1 Nr. 1 FamFG anerkennungszuständigen Staaten die Klage nicht zur sachlichen Entscheidung annehmen bzw. in diesen Staaten die Rechtsverfolgung aufgrund anderer Ursachen gestört ist.162 Das deutsche Recht verweist dabei auf die Gerichte derjenigen Staaten, die bei Anwendung der deutschen Zuständigkeitsvorschriften international zuständig wären – sogenanntes Spiegelbildprinzip.163 Ob darüber hinaus andere ausländische Foren ein Verfahren zur Verfügung stellen können, ist irrelevant, weil eine Entscheidung eines aus deutscher Sicht international unzuständigen Forums nicht anerkannt werden kann. Da eine deutsche Notzuständigkeit auch aus diesem Grund erforderlich wird,164 kommt es bei der Überprüfung der Möglichkeit und der Zumutbarkeit eines Auslandsverfahrens nicht auf aus deutscher Sicht international unzuständige Staaten an. 160 So auch Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 737 ff., der eine internationale Notzuständigkeit Deutschlands in diesen Fällen nur aufgrund einer drohenden Rechtsverweigerung für möglich hält. 161 Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 737. 162 Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, Rn. 1024; Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 451. 163 Siehe nur: Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, insb. Rn. 2896 m.w.N. 164 Siehe: Teil 1 A. I. 3.

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1. Teil: Das forum necessitatis in den nationalen Zuständigkeitsordnungen

VII. Ausreichende Beziehung zu Deutschland Allein aufgrund der Tatsache, dass dem Kläger eine Rechtsverweigerung zu widerfahren droht, eröffnet das deutsche Recht keine Notzuständigkeit. Die Reichweite der deutschen Justizgewährung, auch zur Vermeidung von Rechtsverweigerungen, ist durch das Erfordernis einer Binnenbeziehung zu Deutschland beschränkt.165 Diese Binnenbeziehung ist bei den gesetzlich normierten Fürsorgezuständigkeiten Teil des notwendigen Fürsorgebedürfnisses.166 Die deutsche Justiz ist deshalb nicht verpflichtet, für alle Rechtsstreitigkeiten der Welt eine Notzuständigkeit hilfsweise zur Verfügung zu stellen.167 Auf den ersten Blick scheint deshalb das Postulat von Neuhaus „Wo sonst kein Land zuständig ist, soll jedes Land zuständig sein“168 zu weitreichend.169 Jedoch geht Neuhaus selbst nicht von einer grenzenlosen Zuständigkeit Deutschlands aus. Auch er macht die Gewährung von Rechtsschutz vom Bestehen eines klägerischen Rechtsschutzbedürfnisses im Inland abhängig.170 Es ist das Rechtsschutzbedürfnis des Klägers, das die Gewährung inländischer Justiz erforderlich macht, wenn anderweitig dem Kläger eine Rechtsverweigerung zu widerfahren droht.171 Weist ein Rechtsstreit keine Binnenbeziehung zu Deutschland auf, so fehlt es an diesem Rechtsschutzbedürfnis.172 Welche Arten und Intensitäten der Binnenbeziehung für die Begründung des Rechtsschutz- oder Fürsorgebedürfnisses ausreichen, soll im Folgenden geklärt werden. Dabei ist es notwendig hinsichtlich verschiedener Rechtsschutzziele, Verfahrensarten und Ursachen der drohenden Rechtsverweigerung zu unterscheiden.173

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Kropholler, in: Handbuch des IZVR I, Kap. III Rn. 192; Nagel/Gottwald, Internationales Zivilprozessrecht, § 3 Rn. 496; Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 453 ff.; Schack, IZVR, Rn. 457; Schröder, Internationale Zuständigkeit, 211 und 216; Schütze, FS Rechberger, 567, 575. 166 KG, 14.9.1961 – 1 W 1591/61, FamRZ 1961, 477; Schröder, Internationale Zuständigkeit, 217. 167 Schack, IZVR, Rn. 457. 168 Neuhaus, RabelsZ 20 (1955), 201, 265. 169 So vor allem: Schack, IZVR, Rn. 457; Schütze, FS Rechberger, 567, 575. 170 Nagel/Gottwald, Internationales Zivilprozessrecht, § 3 Rn. 496; Neuhaus, RabelsZ 20 (1955), 201, 265; so zutreffend auch: Kropholler, in: Handbuch des IZVR I, Kap. III Rn. 192; Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 453; Schröder, Internationale Zuständigkeit, 211 und 216. 171 Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 454; Schack, IZVR, Rn. 457; Schröder, Internationale Zuständigkeit, 216; Schütze, FS Rechberger, 567, 575. 172 Schröder, Internationale Zuständigkeit, 216. 173 Ähnlich Schütze, FS Rechberger, 567, 575.

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1. Wirkungsentfaltung und Vollstreckbarkeit des Urteils in Deutschland Zunächst leuchtet ein, dass die angestrebte (Präjudiz-) Wirkungsentfaltung eines Urteiles in Deutschland für ein späteres Verfahren, egal welcher Art, oder die Vollstreckbarkeit des Urteiles die notwendige Binnenbeziehung herstellen.174 In diesen Fällen besteht eine unmittelbares Rechtsschutzbedürfnis des Klägers in Deutschland. Diese Möglichkeiten begründen ein unmittelbares Rechtsschutzinteresse des Klägers und vermitteln, grundsätzlich unabhängig von der konkreten Ursache der drohenden Rechtsverweigerung, die benötigte Binnenbeziehung.175 In der oben besprochenen Entscheidung vom 14. September 1961 hat etwa das Kammergericht die Binnenbeziehung zu Deutschland auch deshalb als ausreichend angesehen, weil die begehrte Entscheidung über das Auseinandersetzungszeugnis (Präjudiz-)Wirkung im Inland entfalten musste.176 Diese notwendige Wirkungsentfaltung der begehrten Entscheidung reichte für die Begründung der Binnenbeziehung aus. Auch wenn die Vollstreckbarkeit eines Urteils in Deutschland grundsätzlich die Binnenbeziehung herstellen kann, ist in solchen Fällen der Rückgriff auf die Notzuständigkeit nur in Ausnahmefällen notwendig. In Deutschland vollstreckbar ist ein Urteil vor allem dann, wenn der Beklagte Vermögen in Deutschland hat. Die Belegenheit von Vermögen in Deutschland erfüllt regelmäßig die Anknüpfung an den ordentlichen Gerichtsstand des Vermögens nach § 23 ZPO. Bei Vermögenswerten im Inland ist die internationale Zuständigkeit Deutschlands daher aufgrund dieses internationalen Gerichtsstands regelmäßig begründet.177 Nur sofern die Voraussetzungen des § 23 ZPO nicht erfüllt sind, kann die durch inländisches Vermögen bedingte Vollstreckbarkeit einer Entscheidung für die Notzuständigkeit eine ausreichende Beziehung zu Deutschland begründen.178 Dies ist der Fall, wenn es sich um eine nichtvermögensrechtliche Streitigkeit handelt, der von der Rechtsprechung für § 23 ZPO geforderte über das Vermögen hinausgehende Inlands-

174 Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, Rn. 1030; Kropholler, in: Handbuch des IZVR I, Kap. III Rn. 186 und 192; Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 454; Schütze, FS Rechberger, 567, 576. 175 So auch Kropholler, in: Handbuch des IZVR I, Kap. III Rn. 192. 176 KG, 14.9.1961 – 1 W 1591/61, FamRZ 1961, 477, 479. Die notwendige Binnenbeziehung wurde dabei auch durch die Anwendbarkeit deutschen Sachrechts vermittelt. Die beiden Punkte gehen in dieser Hinsicht einher, weil ohne die Anwendbarkeit deutschen Sachrechts auch keine Präjudizwirkung des Auseinandersetzungszeugnisses in Deutschland notwendig gewesen wäre. 177 Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, Rn. 1036; Schütze, FS Rechberger, 567, 576. 178 Schack, IZVR, Rn. 460 und 373; Schütze, FS Rechberger, 567, 576; ähnlich Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 630 ff.

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1. Teil: Das forum necessitatis in den nationalen Zuständigkeitsordnungen

bezug nicht vorliegt,179 oder das Vermögen in Deutschland so gering ist, dass es Kosten der Vollstreckung nicht deckt.180 Ist die Ursache der drohenden Rechtsverweigerung eine Anerkennungslücke in Deutschland, begründet nur die begehrte Wirkungsentfaltung oder angestrebte Vollstreckung der Entscheidung in Deutschland eine ausreichende Binnenbeziehung. Dem Kläger in Fällen der Anerkennungslücke ein deutsches Verfahren mittels einer Notzuständigkeit zu ermöglichen ist nur erforderlich, wenn er ein dahingehendes Rechtsschutzbedürfnis aufweisen kann. Dieses kann jedoch nur in der angestrebten Wirkungsentfaltung oder Vollstreckung der Entscheidung liegen.181 Nur dann besteht das notwendige Rechtsschutzinteresse des Klägers an der Feststellung der Rechtslage auch mit Wirkung für die deutsche Rechtsordnung. 2. Belegenheit von Vermögen in Deutschland Belegenheit von Vermögen in Deutschland kann darüber hinaus auch dann eine ausreichende Binnenbeziehung begründen, wenn das Verfahren nicht mit einer Vollstreckung endet. Besonders in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit und in Familienverfahren kann die Belegenheit von Vermögen in Deutschland ein Fürsorgebedürfnis deutscher Gerichte begründen, das die notwendige Beziehung zu Deutschland herstellt.182 So hat etwa der BGH die Belegenheit von Vermögen in Deutschland als ausreichende Binnenbeziehung erachtet, um für die in Bezug auf dieses Vermögen entstandene Spaltgesellschaft einen Notvorstand zu bestellen.183 3. Persönliche Verbindungen der Beteiligten zu Deutschland Weitergehend können auch die persönlichen Verbindungen der Verfahrensbeteiligten die Binnenbeziehung herstellen, soweit diese nicht bereits Anknüpfungsmomente einer regulären Zuständigkeit erfüllen. Neben Wohnsitz und gewöhnlichem Aufenthalt, kommen auch Staatsangehörigkeit und der schlichte Aufenthalt in Deutschland als mögliche Verbindungen in Be-

179 BGH, 2.7.1991 – XI ZR 206/90, NJW 1991, 3092 f.; vgl. weitergehend: Schütze, FS Ishikawa, 499 ff. 180 Vgl. BGH, 22.9.2005 – IX ZR 1/05, BeckRS 2005, 11442. 181 Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, Rn. 1030; Kropholler, in: Handbuch des IZVR I, Kap. III Rn. 192; Schack, IZVR, Rn. 456 und 267. 182 Vgl. etwa: Rauscher, in: MüKo FamFG, § 99 FamFG Rn. 55; v. Hein, in: Staudinger BGB, Art. 24 EGBGB Rn. 118; weitreichender: Mitzkus, Internationale Zuständigkeit im Vormundschafts-, Pflegschafts- und Sorgerecht, 222 f. 183 BGH, 21.11.1955 – II ARZ 1/55, BGHZ 19, 102; BGH, 19.11.1984 – II ARZ 11/84, IPRax 1985, 342; BGH, 30.9.1985 – II ARZ 5/85, WM 1985, 1415. Siehe hierzu Teil 1 A. I. 2. a) (2).

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tracht.184 Je nach Rechtsschutzziel und Verfahrensart können verschiedene Verbindungen eine ausreichende Beziehung herstellen.185 Der klägerische Wohnsitz oder gewöhnliche Aufenthalt reichen dabei regelmäßig aus, bei einer ihm drohenden Rechtsverweigerung ein ausreichendes Rechtsschutzinteresse in Deutschland zu begründen.186 Insbesondere im Rahmen der Fürsorgezuständigkeiten kann das Fürsorgebedürfnis – und damit die notwendige Binnenbeziehung – bereits durch den schlichten Aufenthalt des Schützlings in Deutschland begründet werden.187 Demgegenüber sieht Schütze die deutsche Staatsangehörigkeit des Klägers nur dann als ausreichend an, wenn es sich um Scheidungssachen handelt188 – wobei sich diese Erwägung auf alle Statussachen übertragen lassen sollte. In einem weiteren Verständnis der Binnenbeziehung lässt Pfeiffer jede Beziehung der Parteien zu Deutschland ausreichen, da durch diese der Anspruch auf Justizgewährung begründet wird.189 Folglich muss eine ausgeprägte Beziehung zu Deutschland, wie die der Staatsangehörigkeit, im Falle drohender Rechtsverweigerung unabhängig vom Rechtsschutzziel stets ausreichen, um die notwenige Binnenbeziehung zu vermitteln. Einheitliche Aussagen hierzu lassen sich im deutschen Recht letztlich nicht finden. 4. Anwendbarkeit deutschen Rechts Zuletzt kann die Anwendbarkeit deutschen Sachrechts auf den Streitgegenstand eine ausreichende Binnenbeziehung begründen.190 Relevant ist dies vor allem für diejenigen Fälle, in denen Ursache der drohenden Rechtsverweigerung die Nicht-Erhältlichkeit des nach anwendbarem deutschen Sachrecht vorgesehenen Rechtsschutzes ist.191 In diesen Fällen besteht ein Rechts184

Schütze, FS Rechberger, 567, 575 f.; hinsichtlich der Fürsorgezuständigkeit: Rauscher, in: MüKo FamFG, § 99 FamFG Rn. 55; v. Hein, in: Staudinger BGB, Art. 24 EGBGB Rn. 118. 185 Schütze, FS Rechberger, 567, 575. 186 BayObLG, 2.12.1965 – BReg. 1 b Z 67/65, BayObLGZ 1965, 423, 431; Schütze, FS Rechberger, 567, 575 f. 187 Rauscher, in: MüKo FamFG, § 99 FamFG Rn. 55; v. Hein, in: Staudinger BGB, Art. 24 EGBGB Rn. 118; ebenso für den Fall der drohenden Rechtsverweigerung wohl zustimmend: Hau, in: Prütting/Helms, FamFG, § 99 FamFG Rn. 36. 188 Schütze, FS Rechberger, 567, 576. 189 Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 454. 190 Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, Rn. 1030; Kropholler, in: Handbuch des IZVR I, Kap. III Rn. 192; Heldrich, Internationale Zuständigkeit und anwendbares Recht, 184; Mitzkus, Internationale Zuständigkeit im Vormundschafts-, Pflegschafts- und Sorgerecht, 205 f.; Neuhaus, RabelsZ 20 (1955), 201, 259; Rauscher, in: MüKo FamFG, § 99 FamFG Rn. 56; Schütze, FS Rechberger, 567, 575. 191 So im Ergebnis wohl auch Schütze, FS Rechberger, 567, 575, der die Anwendbarkeit deutschen Rechts nur für die Unterbrechung der Verjährung ausreichen lassen will, wenn

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1. Teil: Das forum necessitatis in den nationalen Zuständigkeitsordnungen

schutzbedürfnis in Deutschland, weil das anwendbare deutsche Recht ein Verfahren vorsieht, das im Ausland nicht erhältlich ist. Um in solchen Fällen das klägerische Rechtsschutzbedürfnis zu befriedigen, kommt nur ein Verfahren vor deutschen Gerichten in Betracht. In den oben erörterten Entscheidungen des Bayerischen Obersten Landesgerichtes192 und des Kammergerichtes193 lag daher, neben der beabsichtigten Wirkungsentfaltung der Entscheidung im Inland, auch aus diesem Grund eine ausreichende Beziehung zu Deutschland vor.

VIII. Rechtsfolge Sofern dem Kläger eine Rechtsverweigerung zu widerfahren droht und eine ausreichende Binnenbeziehung für sein inländisches Rechtsschutzinteresse besteht, ist eine Notzuständigkeit zu eröffnen. Ein richterliches Ermessen kann, auch ohne gesetzliche Normierung der Notzuständigkeit und deren Ausnahmecharakter, nicht bestehen, da die Möglichkeit des Erstreitens eines wirksamen Titels unmittelbare Folge der Justizgewährungspflicht ist.194 Um diese zu wahren, kann dem Richter bei der Eröffnung der Zuständigkeit kein Ermessen zu kommen. Denn die Ablehnung der deutschen Notzuständigkeit würde die Gefahr der drohenden Rechtsverweigerung für den Kläger erst realisieren. Allein daraus folgt die Pflicht des Richters in diesen Fällen eine Notzuständigkeit zu eröffnen.

B. Frankreich Auch in Frankreich ist es gewohnheitsrechtlich anerkannt, eine französische Zuständigkeit zu eröffnen, wenn das Fehlen einer inländischen Zuständigkeit den Kläger der Gefahr einer Rechtsverweigerung (de´ni de justice) aussetzen würde.195 Diese außerordentliche Zuständigkeit französischer Gediese Wirkung im ausländischen Verfahren wegen der prozessrechtlichen Qualifizierung der Verjährung nicht erhältlich ist. Angesprochen ist damit die hier behandelte Fallgruppe. 192 BayOblG, 22.4.1958 – BReg. 1 Z 105/56, NJW 1958, 1444; siehe Teil 1 A. IV. 193 KG, 14.9.1961 – 1 W 1591/61, FamRZ 1961, 477, 479; siehe Teil 1 A. IV. 194 So auch Kropholler, in: Handbuch des IZVR I, Kap. III Rn. 187. 195 Eine Notzuständigkeit eröffnend: Cass. Civ. I, 1.2.2005, Rev. crit. DIP 2006, 140 mit Anmerkung Clay; Cass. Soc., 10.5.2006, Rev. crit. DIP 2006, 856 mit Anmerkung Pataut und Hammje; ansonsten die Existenz der Notzuständigkeit zur Vermeidung eines de´ni de justice anerkennend, aber stets im Einzelfall ablehnend, etwa: Cass. Civ. I, 13.1.1981, Rev. crit. DIP 1981, 331; Cass. Civ. I, 7.1.1982, Rev. crit. DIP 1983, 87 mit Anmerkung Ancel; Cass. Soc., 14.9.2017, Rev. crit. DIP 2018, 267 mit Anmerkung Pataut; Cour d’appel de Paris, 10.11.1959, Rev. crit. DIP 1960, 218, mit Anmerkung Francescakis; Cour d’appel de Paris, 16.12.1974, JDI (Clunet) 1976, 147 mit Anmerkung Holleaux; Tribunal de grande

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richte zur Vermeidung eines de´ni de justice hat ihren Ursprung in der Zeit vor 1948. Bis dahin bemaßen die französischen Gerichte ihre internationale Zuständigkeit anhand der Artt. 14 und 15 Code Civil. Diesen beiden Vorschriften zufolge besteht eine internationale Zuständigkeit Frankreichs, wenn ein französischer Staatsangehöriger auf Kläger- (Art. 14 Code Civil) oder Beklagtenseite (Art. 15 Code Civil) an dem Rechtsstreit beteiligt ist. Sofern jedoch ausschließlich Ausländer Beteiligte eines Rechtsstreits waren, wurde, unter anderem, aus diesen Vorschriften hergeleitet, dass französische Gerichte generell unzuständig waren.196 Trotz zahlreicher Ausnahmen von dieser generellen Unzuständigkeit,197 behielt sie eine herausragende Bedeutung in Angelegenheiten des Personenstandsrechts bis zu ihrer Abschaffung.198 Die generelle Unzuständigkeit barg jedoch die Gefahr eines negativen internationalen Kompetenzkonfliktes in sich, denn es war nicht gesichert, dass die Parteien im Ausland ein Forum finden konnten.199 Ließ sich in solchen Fällen auch im Ausland kein zuständiges Forum finden, eröffneten französische Gerichte ausnahmsweise eine Notzuständigkeit, wenn eine ausreichende Verbindung zu Frankreich bestand, um einen dem Kläger drohenden de´ni de justice abzuwenden.200 Das Prinzip der generellen Unzuständigkeit französischer Gerichte für Verfahren zwischen Ausländern hat die Cour de Cassation in der Entschei-

instance de Paris, 1.10.1976, Rev. crit. DIP 1977, 535 mit Anmerkung Huet. Aus der Literatur: Audit/d’Avout, Droit international prive´, Rn. 417; Batiffol, Rev. crit. DIP 1986, 697; Batiffol/Lagarde, Droit international prive´, Rn. 674–1; Bauer, Compe´tence judiciaire internationale des tribunaux civils franc¸ais et allemands, Rn. 138; Corbion, Le de´ni de justice en droit international prive´, Rn. 211 ff.; Mayer/Heuze´, Droit international prive´, Rn. 299; Niboyet/de Geouffre de La Pradelle, Drot international prive´, Rn. 477; Re´tornaz/ Volders, Rev. crit. DIP 2008, 225, 229; Sinay-Cytermann, L’ordre public en matie`re de compe´tence judiciaire internationale, Rn. 312 ff. 196 Ancel, Rev. crit. DIP 1983, 94; Audit/d’Avout, Droit international prive´, Rn. 391; Batiffol/Lagarde, Droit international prive´, Rn. 671; Gaudemet-Tallon, Rev. crit. DIP 1981, 332, 337 f.; Milleker, Der negative internationale Kompetenzkonflikt, 35. 197 Neben der hier interessierenden Ausnahme zur Vermeidung eines de´ni de justice gab es weitere Ausnahmen von diesem Grundsatz. Beispielsweise wurde aufgrund der Anwendbarkeit französischen Sachrechts eine französische Zuständigkeit eröffnet, obwohl kein Franzose am Rechtsstreit beteiligt war, so etwa aufgrund der Anwendbarkeit französischen Rechts für Rechtsstreitigkeiten über französische Grundstücke. Siehe hierzu: Batiffol/Lagarde, Droit international prive´, Rn. 674–1; Corbion, Le de´ni de justice en droit international prive´, Rn. 37 m.w.N.; Gautier, Rev. crit. DIP 1987, 620, 624 f. 198 Audit/d’Avout, Droit international prive´, Rn. 396. 199 So auch Milleker, Der negative internationale Kompetenzkonflikt, 35 und 37. 200 Vgl. etwa: Cass. Civ., 29.5.1905, JDI (Clunet) 1905, 1006 mit Anmerkung Levincon; Cass. Civ., 29.7.1912, JDI (Clunet) 1914, 207; Tribunal de la Seine, 2.4.1931, JDI (Clunet) 1932, 370.

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dung vom 21. Juni 1948 aufgegeben.201 Dies bestätigend stellte die Cour de Cassation schließlich mit Urteil vom 30. Oktober 1962 ausdrücklich fest, dass „die Fremdheit der Parteien kein Grund für die internationale Unzuständigkeit Frankreichs ist.“202 Hiermit löste sich die Cour de Cassation formal von dem Prinzip der Unzuständigkeit für Verfahren zwischen Ausländern. Stattdessen sollte sich fortan die internationale Zuständigkeit Frankreichs auch aus den Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit der französischen Gerichte ergeben:203 Ist ein französisches Gericht örtlich zuständig, so begründet dies auch die internationale Zuständigkeit Frankreichs, auch wenn kein Beteiligter französischer Staatsangehöriger ist.204 Art. 14 und 15 des Code Civil fungieren nun als Auffangzuständigkeiten der französischen internationalen Zuständigkeit, auf deren Grundlage eine französische Zuständigkeit begründet werden kann, sofern die internationale Zuständigkeit Frankreichs nicht anderweitig begründet ist.205 Dieser Paradigmenwechsel in der Bestimmung der internationalen Zuständigkeit Frankreichs hat sich auch auf die Gewährung der Notzuständigkeit ausgewirkt. Seitdem Frankreich vom Prinzip der Ausländerunzuständigkeit abgerückt ist, hat die Zuständigkeit zur Vermeidung des de´ni de justice stark an Bedeutung verloren.206 Dennoch ist die zuständigkeitsbegründende Wirkung der drohenden Rechtsverweigerung grundsätzlich anerkannt: So hat die Rechtsprechung seit 1948 mehrmals auf die Möglichkeit einer Notzuständigkeit zur Vermeidung einer Rechtsverweigerung hingewiesen207 und vereinzelt sogar eine derartige Notzuständigkeit eröffnet.208 Auch und vor allem in der Literatur sind Ausführungen zur internationalen Notzuständig201

Cass. Civ., 21.6.1948, Rev. crit. DIP 1949, 557 mit Anmerkung Francescakis. Cass. Civ. I, 30.10.1962, Rev. crit. DIP 1963, 387 f. mit Anmerkung Francescakis: „l’extrane´ite´ des parties n’est pas une cause d’incompe´tence des juridictions franc¸aise…“. 203 Cass. Civ. I, 30.10.1962, Rev. crit. DIP 1963, 387 f. mit Anmerkung Francescakis. 204 Vgl. nur: Ancel, Rev. crit. DIP 1983, 94; Audit/d’Avout, Droit international prive´, Rn. 398 f.; Batiffol/Lagarde, Droit international prive´, Rn. 674; Mayer/Heuze´, Droit international prive´, Rn. 291; Mezger, FS Nagel, 246. 205 Corbion, JDI (Clunet) 2005, 1143, 1163; Mayer/Heuze´, Droit international prive´, Rn. 291; Mezger, FS Nagel, 246, 249 spricht etwas ungenau von Notgerichtständen. 206 Audit/d’Avout, Droit international prive´, Rn. 417; Batiffol/Lagarde, Droit international prive´, Rn. 674–1; Bauer, Compe´tence judiciaire internationale des tribunaux civils franc¸ais et allemands, Rn. 138; Gaudemet-Tallon, Rev. crit. DIP 1981, 332, 338; Mayer/ Heuze´, Droit international prive´, Rn. 299. 207 Cass. Civ. I, 13.1.1981, Rev. crit. DIP 1981, 331; Cass. Civ. I, 16.4.1985, Rev. crit. DIP 1985, 694 mit Anmerkung Batiffol; Cour d’appel de Paris, 10.11.1959, Rev. crit. DIP 1960, 218, mit Anmerkung Francescakis; Cour d’appel de Paris, 16.12.1974, JDI (Clunet) 1976, 147 mit Anmerkung Holleaux; Tribunal de grande instance de la Seine,28.9.1959, JCP 1960, Nr. 11716 mit Anmerkung Bellet. 208 Cass. Civ. I, 1.2.2005, Rev. crit. DIP 2006, 140 mit Anmerkung Clay; Cass. Soc., 10.5.2006, Rev. crit. DIP 2006, S 856 mit Anmerkung Pataut/Hammje. 202

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keit zu finden.209 Im Nachfolgenden werden die Voraussetzungen dargestellt, die die Rechtsprechung und Literatur für eine französische Notzuständigkeit zur Vermeidung eines de´ni de justice entwickelt haben.

I. Notzuständigkeit zur Vermeidung eines de´ni de justice Die Eröffnung einer französischen Notzuständigkeit, um eine drohende Rechtsverweigerung zu verhindern, setzt nach Ansicht der Rechtsprechung und Literatur einerseits voraus, dass die Rechtsverfolgung im Ausland unmöglich sein muss und andererseits, dass der Rechtsstreit eine gewisse Verbindung zu Frankreich aufweist.210 Erst wenn diese beiden Voraussetzungen kumulativ erfüllt sind, kann eine französische Zuständigkeit eröffnet werden. 1. Notzuständigkeit wegen der Unmöglichkeit der Rechtsverfolgung im Ausland Primäre Voraussetzung ist, dass die Rechtsverfolgung im Ausland unmöglich ist. Notwendig ist, dass die Unmöglichkeit der Rechtsverfolgung im Ausland feststeht. Die Cour de Cassation hat wiederholt die Eröffnung einer Notzuständigkeit zur Vermeidung eines de´ni de justice abgelehnt, wenn die Unmöglichkeit der Rechtsverfolgung im Ausland bloß behauptet wurde.211 Als Ursache der Unmöglichkeit der Rechtsverfolgung im Ausland kommen so-

209

Vgl. etwa: Audit/d’Avout, Droit international prive´, Rn. 417; Batiffol, Rev. crit. DIP 1986, 697; Batiffol/Lagarde, Droit international prive´, Rn. 674–1; Bauer, Compe´tence judiciaire internationale des tribunaux civils franc¸ais et allemands, Rn. 138; Corbion, Le de´ni de justice en droit international prive´, Rn. 211 ff.; Huet, 1.10.1976, Rev. crit. DIP 1977, 536, 540; Gautier, Rev. crit. DIP 1987, 620, 624 f; Mayer/Heuze´, Droit international prive´, Rn. 299; Niboyet/de Geouffre de La Pradelle, Droit international prive´, Rn. 477; Ponsard, Rev. crit. DIP 1970, 301, 309; Sinay-Cytermann, L’ordre public en matie`re de compe´tence judiciaire internationale, Rn. 312 ff. 210 Vgl. etwa: Cass. Civ. I, 7.1.1982, Rev. crit. DIP 1983, S 87, 89 f.; Cass. Civ. I, 1.2.2005, Recueil Dalloz 2005, I.R. 520; Cour d’appel de Paris, 10.11.1959, Rev. crit. DIP 1960, 218, mit Anmerkung Francescakis; Tribunal de grande instance de Paris, 1.10.1976, Rev. crit. DIP 1977, 535 mit Anmerkung Huet; Audit/d’Avout, Droit international prive´, Rn. 417; Batiffol, Rev. crit. DIP 1986, 697; Corbion, Le de´ni de justice en droit international prive´, Rn. 213 f.; Huet, Rev. crit. DIP 1977, 536, 538 ff.; Mayer/Heuze´, Droit international prive´, Rn. 299. 211 Vgl. etwa: Cass. Civ. I, 13.1.1981, Rev. crit. DIP 1981, 331 (Kein Nachweis, dass das Verfahren in Schwerden unmöglich war); Cass. Civ. I, 16.4.1985, Rev. crit. DIP 1985, 694 mit Anmerkung Batiffol (Kein Nachweis, dass das Verfahren in Israel nicht möglich war); Cass. Civ. I, 3.2.1987, Rev. crit. DIP 1987, 617, 619 f. mit Anmerkung Gautier (Kein Nachweis, dass Verfahren in Deutschland unmöglich war).

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wohl rechtliche als auch faktische Gründe in Betracht.212 Diese werden im Folgenden dargestellt. a) Negativer internationaler Kompetenzkonflikt Aus rechtlichen Gründen ist die Rechtsverfolgung im Ausland unmöglich, wenn ein negativer internationaler Kompetenzkonflikt im engeren Sinne auftritt.213 Diese Fälle sind von einer doppelten Unzuständigkeit sowohl der französischen Gerichte als auch der aus französischer Sicht an sich zuständigen ausländischen Gerichte geprägt, sodass sich kein international zuständiges Forum finden lässt.214 Der Kläger findet daher international kein Forum, das bereit ist, sein Rechtsschutzbegehren zu verhandeln. Um die in einem solchen Fall drohende Rechtsverweigerung abzuwenden, muss ein französisches Notforum eröffnet werden.215 Diese doppelte Inkompetenz der Gerichte in Frankreich als auch im Ausland kann verschiedene Ursachen haben, die im Nachfolgenden dargestellt werden sollen. (1) Kollision aufgrund der Verwendung verschiedener Anknüpfungsmomente für die internationale Zuständigkeit Frankreichs Wie auch im deutschen Recht können negative internationale Kompetenzkonflikte dadurch ausgelöst werden, dass die beteiligten Rechtsordnungen verschiedene Anknüpfungsmomente für die Bestimmung ihrer eigenen internationalen Zuständigkeit verwenden. Wenn so jede Rechtsordnung die internationale Zuständigkeit in einem anderen Staat verwirklicht sieht, entsteht eine Lücke, in der sich kein Staat für zuständig hält.216 Derartige Kollisionen waren der Anlass für die Entwicklung der Zuständigkeit zur Vermeidung eines de´ni de justice.217 Die generelle Unzuständigkeit der fran212

Audit/d’Avout, Droit international prive´, Rn. 417; Corbion, Le de´ni de justice en droit international prive´, Rn. 213 f. 213 Corbion, Le de´ni de justice en droit international prive´, Rn. 213; Huet, Rev. crit. DIP 1977, S. 536, 539. 214 Audit/d’Avout, Droit international prive´, Rn. 417; Corbion, Le de´ni de justice en droit international prive´, Rn. 213; Mayer/Heuze´, Droit international prive´, Rn. 299; SinayCytermann, L’ordre public en matie`re de compe´tence judiciaire internationale, Rn. 314. 215 Corbion, Le de´ni de justice en droit international prive´, Rn. 213; Sinay-Cytermann, L’ordre public en matie`re de compe´tence judiciaire internationale, Rn. 312 und Rn. 322. 216 Ähnlich Audit/d’Avout, Droit international prive´, Rn. 417; Corbion, Le de´ni de justice en droit international prive´, Rn. 213; Mayer/Heuze´, Droit international prive´, Rn. 299; Milleker, Der negative internationale Kompetenzkonflikt, 35 ff. 217 Siehe Fn. 11; Ancel, Rev. crit. DIP 1983, 94; Audit/d’Avout, Droit international prive´, Rn. 391; Batiffol/Lagarde, Droit international prive´, Rn. 674–1; Gaudemet-Tallon, Rev. crit. DIP 1981, 332, 337 f.; Milleker, Der negative internationale Kompetenzkonflikt, 35; Sinay-Cytermann, L’ordre public en matie`re de compe´tence judiciaire internationale, Rn. 315 m.w.N.

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zösischen Rechtsordnung für Verfahren unter Ausländern war anfällig, negative internationale Kompetenzkonflikte hervorzurufen, wenn die französische Rechtsordnung auf andere Rechtsordnungen traf, die für die Bestimmung ihrer internationalen Zuständigkeit andere Anknüpfungspunkte als die Staatsangehörigkeit eines der Beteiligten heranzog.218 Zwei Entscheidungen aus der damaligen französischen Rechtsprechung vermögen diesen Effekt zu veranschaulichen: In der Entscheidung vom 2. April 1931 eröffnete das Tribunal de la Seine eine französische Notzuständigkeit zugunsten einer Scheidungsklage einer in Frankreich wohnhaften Russin.219 Grund der Notzuständigkeit war ein negativer internationaler Kompetenzkonflikt, ausgelöst durch die Verwendung unterschiedlicher Anknüpfungspunkte für die Bestimmung der internationalen Zuständigkeit. Während die französische Rechtsordnung an die Staatsangehörigkeit des türkischen Beklagten anknüpfte und deshalb die Türkei für ausschließlich zuständig hielt, verwendete das türkische Recht den klägerischen Wohnsitz als maßgeblichen Anknüpfungspunkt und sah die internationale Zuständigkeit Frankreichs begründet. Durch diese wechselseitige Zuweisung der internationalen Zuständigkeit wäre, ohne die Eröffnung einer französischen Notzuständigkeit, eine Entscheidung in der Sache nicht zu erhalten gewesen. Ähnlich verhielt es sich auch in einer Entscheidung der Cour de Cassation vom 29. Juli 1912.220 Die französische Rechtsordnung erklärte sich generell für unzuständig, da die beteiligten Personen österreichische Staatsangehörige waren, und hielt Österreich für international zuständig. Die österreichische Rechtsordnung wiederum knüpfte an den Beklagtenwohnsitz in Frankreich an, sodass beide beteiligten Rechtsordnungen keine Zuständigkeit eröffneten. Ohne die französische Notzuständigkeit wäre auch in diesem Fall keine Entscheidung in der Sache erhältlich gewesen. Diese beiden Entscheidungen veranschaulichen, wie die Verwendung unterschiedlicher Anknüpfungspunkte regelmäßig internationale Kompetenzkonflikte ausgelöst hat. Dabei wird ersichtlich, wie die einseitige Anknüpfung der französischen Rechtsordnung an die eigene Staatsangehörigkeit eine besondere Anfälligkeit für solche Konflikte bot.221 Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass die Zuständigkeit zur Vermeidung eines de´ni de justice gerade in dieser Zeit bedeutend war. Seitdem die Staatsangehörigkeit nicht mehr als ausschließliche Anknüpfung für die internationale Zuständigkeit Frankreichs verwendet wird, gab es, soweit ersichtlich, keine Entscheidungen 218 So auch Sinay-Cytermann, L’ordre public en matie`re de compe´tence judiciaire internationale, Rn. 315. 219 Tribunal de la Seine, 2.4.1931, JDI (Clunet) 1932, 370. 220 Cass. Civ., 29.7.1912, JDI (Clunet) 1914, 207; ähnlich Cass. Civ., 29.5.1905, JDI (Clunet) 1905, 1006. 221 So auch Milleker, Der negative internationale Kompetenzkonflikt, 39.

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1. Teil: Das forum necessitatis in den nationalen Zuständigkeitsordnungen

französischer Gerichte, die eine Notzuständigkeit aufgrund eines derart hervorgerufenen Kompetenzkonfliktes eröffnen mussten. Vereinzelte Versuche von Klägern, sich auf die Unmöglichkeit der Rechtsverfolgung im Ausland aufgrund eines negativen internationalen Kompetenzkonfliktes zu berufen, sind stets gescheitert, da die französischen Gerichte keinen Grund für die Unzuständigkeit des aus französischer Sicht zuständigen Forums finden konnten.222 In der Literatur hingegen ist die Notzuständigkeit zur Vermeidung solcher Kompetenzkonflikte immer noch anerkannt.223 (2) Ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarungen Häufiger ist in der französischen Literatur der Fall zu finden, in dem die Parteien selbst einen negativen internationalen Kompetenzkonflikt durch eine ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarung hervorgerufen haben.224 Wie in Deutschland kommt es auch im französischen Recht zu einem Kompetenzkonflikt, wenn ein französisches Gericht die Derogationsvereinbarung für wirksam hält, während das von den Parteien prorogierte Forum die Prorogation als unwirksam ansieht. Dies ist möglich, da jeder Staat die Wirksamkeit einer solchen Gerichtsstandsvereinbarung nach seinem eigenen Recht beurteilt.225 Der Lösungsweg des französischen Rechts aus einer solchen Kollision gleicht dem Vorgehen im deutschen Recht:226 Um einem negativen internationalen Kompetenzkonflikt in dieser Situation zu entgehen, hat der französische Richter, bevor er die Derogation der französischen Zuständigkeit für wirksam erklärt, zu überprüfen, ob das prorogierte Forum die Prorogation anerkennt.227 Sofern das ansonsten unzuständige Forum im Ausland die Prorogation für unwirksam hält, muss das französische Forum auch die Wirksamkeit der Derogation aberkennen, um einen negativen internatio222 So vor allem in: Cass. Civ. I, 13.1.1981, Rev. crit. DIP 1981, 331; Cass. Civ. I, 16.4.1985, Rev. crit. DIP 1985, 694. 223 Corbion, Le de´ni de justice en droit international prive´, Rn. 211 ff.; Re´tornaz/Volders, Rev. crit. DIP 2008, 225, 244 f.; Sinay-Cytermann, L’ordre public en matie`re de compe´tence judiciaire internationale, Rn. 316 ff. 224 Corbion, Le de´ni de justice en droit international prive´, Rn. 213; Sinay-Cytermann, L’ordre public en matie`re de compe´tence judiciaire internationale, Rn. 323. 225 Ancel/Lequette, Les grands arreˆts de la jurisprudence franc¸aise de droit international ´ tat e´tant seul prive´, Anmerkung zu Cass. Civ. I, 17.12.1985, Nr. 72, Rn. 11:»chaque E ´ tat ne peut pre´tendre re´gler la compe´tence des organes maıˆtre de sa compe´tence, aucun E ´ tat. Partant, la seule loi qui ait vocation a` admettre ou a` refuser, dans son d’un autre E principe, l’extension ou la restriction conventionnelle de la compe´tence des tribunaux d’un ´ tat est celle de cet E ´ tat« E 226 Vgl. Teil 1 A. I. 1. c). 227 Corbion, Le de´ni de justice en droit international prive´, Rn. 213; Sinay-Cytermann, L’ordre public en matie`re de compe´tence judiciaire internationale, Rn. 323.

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nalen Kompetenzkonflikt zu vermeiden.228 In der Folge besteht eine französische internationale Zuständigkeit aufgrund eines „Wiederauflebens“ der ursprünglich derogierten französischen Zuständigkeit.229 b) Faktische Unmöglichkeit Auch wenn sich grundsätzlich ein international zuständiges ausländisches Forum finden lässt, wird das klägerische Rechtsschutzbegehren nicht durch eine Entscheidung in der Sache befriedigt, wenn das Gericht im Ausland aufgrund tatsächlicher Umstände seine Tätigkeit nicht ausüben kann oder will.230 Steht die Rechtspflege im ausländischen Staat still oder verhindert höhere Gewalt, dass der Kläger das ausländische Forum aufsuchen kann, gleicht diese Situation der rechtlichen Unmöglichkeit der Rechtsverfolgung im Ausland aufgrund eines negativen internationalen Kompetenzkonfliktes.231 Derartige tatsächlichen Umstände machen die Rechtsverfolgung im Ausland faktisch unmöglich, weshalb es notwendig ist, eine französische Notzuständigkeit zu eröffnen.232 Im Folgenden sollen die im französischen Recht anerkannten Ursachen einer faktischen Unmöglichkeit dargestellt werden.

228 Ancel/Lequette, Les grands arreˆts de la jurisprudence franc¸aise de droit international prive´, Anmerkung zu Cass. Civ. I, 17.12.1985, Nr. 72, Rn. 11; Corbion, Le de´ni de justice en droit international prive´, Rn. 213; im Ergebnis auch: Sinay-Cytermann, L’ordre public en matie`re de compe´tence judiciaire internationale, Rn. 323. 229 Hierfür: Corbion, Le de´ni de justice en droit international prive´, Rn. 213. Ebenfalls: Ancel/Lequette, Les grands arreˆts de la jurisprudence franc¸aise de droit international prive´, Anmerkung zu Cass. Civ. I, 17.12.1985, Nr. 72, Rn. 11. A.A.: Sinay-Cytermann, L’ordre public en matie`re de compe´tence judiciaire internationale, Rn. 323: Für die Wirksamkeit der Derogation der französischen Zuständigkeit muss die Wirksamkeit der Prorogation ohne Bedeutung sein, da andernfalls die Wirksamkeit einer Derogationsvereinbarung auch nach ausländischem Recht beurteilt werden würde. Da aber hierfür nur das französische Recht maßgeblich sein kann, muss die Unwirksamkeit der Prorogation im Ausland grundsätzlich unberücksichtigt bleiben. Die Derogation bleibt selbst im Fall drohender Rechtsverweigerung wirksam. Um diese zu verhindern soll stattdessen eine Notzuständigkeit zur Vermeidung des drohenden de´ni de justice eröffnet werden. 230 Corbion, Le de´ni de justice en droit international prive´, Rn. 217. 231 Corbion, Le de´ni de justice en droit international prive´, Rn. 214, 217; Huet, Rev. crit. DIP 1977, 536, 538 f. In Bezug auf die Dringlichkeit der Entscheidung: Sinay-Cytermann, L’ordre public en matie`re de compe´tence judiciaire internationale, Rn. 311. 232 Audit/d’Avout, Droit international prive´, Rn. 417; Corbion, Le de´ni de justice en droit international prive´, Rn. 214, 217; Huet, Rev. crit. DIP 1977, 536, 538 f.

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1. Teil: Das forum necessitatis in den nationalen Zuständigkeitsordnungen

(1) Faktischer Ausschluss der Rechtsverfolgung im zu weit entfernten Forum Der überschaubaren französischen Literatur zufolge ist das Recht auf einen Richter vor allem dann gefährdet, wenn zwar ein Forum im Ausland existiert, dieses Forum jedoch „zu weit entfernt“ vom Kläger ist.233. Hierbei handelt es sich um Erschwernisse und Hindernisse, mit denen der Kläger konfrontiert ist, wenn er ein ausländisches Forum aufsucht. Diese können aus französischer Sicht ein Verfahren im Ausland faktisch unmöglich machen, wenn für den Kläger keine reelle Chance besteht, dass Recht gesprochen wird.234 Neben der tatsächlichen (Reise-)Entfernung des international zuständigen Forums als solcher fallen hierunter auch Sprachprobleme im ausländischen Forum und die mit dem Auslandsverfahren verbundenen höheren Kosten.235 Anders als im deutschen Recht, wo derartige Hindernisse allenfalls die Unzumutbarkeit begründen können,236 liegt in Frankreich in einem solchen Fall eine faktische Unmöglichkeit vor. Auch Verstöße gegen die Grundsätze eines rechtsstaatlichen Verfahrens können im französischen Recht unter die faktische Unmöglichkeit subsumiert werden.237 Darüber hinaus hat die Rechtsprechung etwa während des zweiten Weltkrieges eine faktische Unmöglichkeit der Rechtsverfolgung im Ausland angenommen, wenn das an sich zuständige Forum im feindlichen Ausland lag238 oder in einem anderen Staat, mit dem die Kommunikation von der deutschen Besatzungsmacht rigoros verboten war.239 Wenn der Zugang zu einem ausländischen Forum praktisch unmöglich ist, muss eine französische Notzuständigkeit eröffnet werden. Der Fokus der französischen Literatur im Zusammenhang mit diesen Ursachen der faktischen Unmöglichkeit liegt auf der Wirksamkeit von Ge233

Corbion, Le de´ni de justice en droit international prive´, Rn. 214; Sinay-Cytermann, L’ordre public en matie`re de compe´tence judiciaire internationale, Rn. 358 ff.: l’e´loignement du for e´tranger 234 Sinay-Cytermann, L’ordre public en matie`re de compe´tence judiciaire internationale, Rn. 359 und 367; in Bezug auf Gerichtsstandsvereinbarungen in Arbeitsverträgen: Holleaux, JDI (Clunet) 1975, 88, 93. 235 Corbion, Le de´ni de justice en droit international prive´, Rn. 214. 236 Teil 1 A. I. 2. b). 237 Corbion, Le de´ni de justice en droit international prive´, Rn. 214. 238 Cour d’appel de Paris, 23.12.1941, Gazette du Palais 1942 I, 230 (Unmöglichkeit aufgrund des Kriegszustandes zwischen dem von Deutschland besetzten Frankreich mit dem an sich zuständigen Forum in Großbritannien); ebenso: Huet, Rev. crit. DIP 1977, 536, 538 f. 239 Nancy, 26.10.1943, Rev. crit. DIP 1947, 97 f. mit Anmerkung Niboyet (Unmöglichkeit, weil die Kommunikation zwischen den französischen Behörden und den an sich zuständigen spanischen Behörden durch die deutsche Besatzung kategorisch untersagt war); ebenso: Huet, Rev. crit. DIP 1977, 536, 538 f.

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richtsstandsvereinbarungen. Zum Schutz der schwächeren Vertragspartei – vor allem bei Verbrauchern und Arbeitnehmern – kann die Derogation als unwirksam angesehen werden, sofern das gewählte Forum „zu weit entfernt“ ist.240 Aus diesem Grund hat etwa das Tribunal de commerce de Rouen in seinem Urteil vom 10. Januar 1955 die Prorogation zugunsten der Gerichte der UdSSR für unwirksam erklärt und eine französische Zuständigkeit eröffnet, ohne jedoch dabei auf die genauen Schwierigkeiten einzugehen.241 Andererseits hat der Cour de Cassation in der Entscheidung vom 14. September 2017 die übermäßig lange Verfahrensdauer im Ausland nicht zur Annahme der faktischen Unmöglichkeit eines Auslandsverfahrens ausgereicht.242 In diesem Fall war das Verfahren der Kläger (ehemalige Angestellte der Beklagten) gegen die beklagte kongolesische Bergbaufirma vor den kongolesischen Gerichten in den letzten 20 Jahren nicht vorangeschritten.243 Das Gericht lehnte eine französischen Notzuständigkeit mit der Begründung ab, dass den Klägern ein Verfahren im Ausland möglich war, weil diese tatsächlich ein Verfahren gegen die Beklagte eingeleitet hatten. Das Verfahren war demnach nicht unmöglich, auch wenn die Verfahrensdauer unangemessen lang war. Zudem fehlte ein ausreichender Bezug zu Frankreich: Die einzige Verbindung zu Frankreich bestand darin, dass das beklagte Unternehmen Hauptaktionär eines französischen Unternehmens war. In der Literatur wurde diese Entscheidung als eine zu restriktive und formale Auslegung der faktischen Unmöglichkeit angesehen. Die Entscheidung stehe im Widerspruch zu der sonstigen Rechtsprechungspraxis, die ein weiteres Verständnis der faktischen Unmöglichkeit anwendet.244 Außerdem geht das Gericht in den Entscheidungsgründen ohne weiteres davon aus, dass die Länge der Verfahrensdauer offensichtlich einen de´ni de justice bedingen würde.245 Da die Cour de Cassation die Notzuständigkeit letztlich an der fehlenden ausreichenden Verbindung des Rechtsstreits zu Frankreich scheitern ließ, müsste daher auch die überlange Verfahrensdauer zur faktischen Unmöglichkeit eines Auslandsverfahrens führen.246 240 Corbion, Le de´ni de justice en droit international prive´, Rn. 214; beschreibend aber ablehnend: Sinay-Cytermann, L’ordre public en matie`re de compe´tence judiciaire internationale, Rn. 367. 241 Tribunal de commerce de Rouen, 10.1.1955, Le Droit maritime franc¸ais (DMF) 1955, 544, 547. 242 Cass. Soc., 14.9.2017, Rev. crit. DIP 2018, 267 mit Anmerkung Pataut. 243 Und ist bis heute noch nicht entschieden, vgl. Hess/Mantovani, MPILux Research Paper Series2019 (1), II. 1. a). 244 Boskovic, Rev. Socie´te´s 2018, 467 ff.; Hess/Mantovani, MPILux Research Paper Series2019 (1), II. 1. a). 245 Vgl. Cass. Soc., 14.9.2017, Rev. crit. DIP 2018, 267 mit Anmerkung Pataut. 246 Ähnlich Boskovic, Rev. Socie´te´s 2018, 467 ff.; Hess/Mantovani, MPILux Research Paper Series2019 (1), II. 1. a).

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(2) Eilzuständigkeit Als weiteren Anlass einer Notzuständigkeit lässt sich in der französischen Literatur die Dringlichkeit der Entscheidung („urgence“) für einstweilige Maßnahmen finden.247 Für solche einstweiligen Maßnahmen muss Frankreich immer dann international zuständig sein, wenn eine entsprechende Entscheidung des an sich zuständigen ausländischen Forums nicht rechtzeitig in Frankreich vollstreckt werden kann und der Zweck der notwendigen Maßnahmen deshalb nicht erreicht werden kann.248 Das Verfahren im Ausland ist in einem solchen Fall faktisch unmöglich. Die dem Kläger drohende Rechtsverweigerung erfordert eine französische Notzuständigkeit.249 Nur ein französisches Gericht kann rechtzeitig die einstweiligen Maßnahmen anordnen. Die Zuständigkeit beschränkt sich dabei auf diese notwendigen einstweiligen Maßnahmen.250 Während sich die Autoren über die zuständigkeitsbegründende Wirkung der Dringlichkeit einer Entscheidung einig sind, wird sie dennoch unterschiedlich zugeordnet: Einige Autoren sehen hierin einen eigenen Zuständigkeitsgrund,251 während andere diese als Unterfall der (Not-) Zuständigkeit zur Vermeidung eines de´ni de justice klassifizieren.252 Die Eilzuständigkeit stammt ebenfalls aus der Zeit, als die französische Rechtsprechung die internationale Zuständigkeit noch generell ablehnte, wenn kein Franzose an dem Rechtsstreit beteiligt war.253 Aber auch noch heutzutage ist die Eilzuständigkeit von Relevanz. Dies zeigt auch ein Blick in die französische Rechtsprechung: So eröffnete die Cour d’appell de Paris eine französische Eilzuständigkeit für die Bestellung eines provisorischen Ver-

247

Audit/d’Avout, Droit international prive´, Rn. 416; Batiffol/Lagarde, Droit international prive´, Rn. 674; Corbion, Le de´ni de justice en droit international prive´, Rn. 214; ausfürhlich auch zur historischen Entwicklung: Sinay-Cytermann, L’ordre public en matie`re de compe´tence judiciaire internationale, Rn. 290 ff. Aus der Rechtsprechung etwa: Cour d’appel de Paris, 8.10.1964, JDI (Clunet) 1965, 901 mit Anmerkung Sialelli. 248 Sinay-Cytermann, L’ordre public en matie`re de compe´tence judiciaire internationale, Rn. 290. 249 Corbion, Le de´ni de justice en droit international prive´, Rn. 214; Sinay-Cytermann, L’ordre public en matie`re de compe´tence judiciaire internationale, Rn. 311. 250 Corbion, Le de´ni de justice en droit international prive´, Rn. 214. 251 So etwa: Audit/d’Avout, Droit international prive´, Rn. 416; Batiffol/Lagarde, Droit international prive´, Rn. 674. 252 Corbion, Le de´ni de justice en droit international prive´, Rn. 214. Sinay-Cytermann, L’ordre public en matie`re de compe´tence judiciaire internationale, Rn. 290 ff. hält die Dringlichkeit der Entscheidung zwar auch für einen eigenen Zuständigkeitsgrund, sieht die Begründung der französischen internationalen Zuständigkeit jedoch in der Vermeidung eines de´ni de justice. 253 Audit/d’Avout, Droit international prive´, Rn. 416; Batiffol/Lagarde, Droit international prive´, Rn. 674; Sinay-Cytermann, L’ordre public en matie`re de compe´tence judiciaire internationale, Rn. 290 ff.

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walters für in Frankreich belegene Vermögenswerte eines ausländischen Unternehmens, da die ausländische Entscheidung nicht rechtzeitig hätte anerkannt und vollstreckt werden können.254 c) Rechtlosstellung des Klägers Auch in Frankreich wird eine Notzuständigkeit eröffnet, wenn ein an sich zuständiges Gericht im Ausland den Kläger komplett rechtlos stellt. Hierbei geht es um Fälle, in denen das Forum im Ausland dem Kläger grundsätzlich jeglichen Rechtsschutz – vor allem aus politischen Gründen – verweigert. Das Verfahren kann daher nicht eingeleitet werden und ist somit unmöglich. Dass die Rechtlosstellung eines ausländischen Klägers im an sich zuständigen Forum eine Notzuständigkeit zur Vermeidung eines de´ni de justice in Frankreich erforderlich macht, hat die Cour de Cassation jüngst in einer Entscheidung vom 1. Februar 2005 festgestellt: Diese Entscheidung betraf ein Verfahren zur Einsetzung eines Schiedsrichters, um ein Schiedsgericht für einen Rechtsstreit zwischen der National Iranian Oil Company (NIOC) und dem Staat Israel zu konstituieren.255 Der zwischen den Parteien im Jahr 1968 geschlossenen Schiedsvertrag sah keinen Sitz des Schiedsgerichts vor, sondern bestimmte lediglich, dass, sollten sich die von den beiden Vertragsparteien eingesetzten Schiedsrichter nicht auf einen dritten Schiedsrichter einigen können, der Präsident der Chambre de commerce internationale de Paris den dritten Schiedsrichter benennen könne.256 Als im Jahr 1994 eine Streitigkeit zwischen den beiden Vertragsparteien entstand, weigerte sich der Staat Israel den zweiten Schiedsrichter zu benennen. Zur Frage der Einsetzung dieses zweiten Schiedsrichters bestand nach Ansicht der Cour de Cassation eine französische Notzuständigkeit, weil die Weigerung Israels den Kläger, die NIOC, einer Rechtsverweigerung aussetzen würde. Denn das Verfahren zur Einsetzung des zweiten Schiedsrichters konnte nicht in Israel geführt werden, da die dortigen Gerichte aufgrund der angespannten politischen Lage zwischen Israel und dem Iran kein Verfahren zuließen.257 Umgekehrt weigerte sich der israelische Staat ein Verfahren im Iran anzuerkennen.258 Der NIOC drohte daher Rechtsverweigerung zu widerfahren, weil das an sich zuständige Forum in Israel die Klägerin komplett rechtlos gestellt hatte.259 Gestützt auf den Anspruch auf Justizgewährung nach Art. 6 Abs. 1 EMRK eröffnete die Cour de Cassation eine Notzuständigkeit, wobei die Tatsache,

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Cour d’appel de Paris, 8.10.1964, JDI (Clunet) 1965, 901 mit Anmerkung Sialelli. Cass. Civ. I, 1.2.2005, Rev. crit. DIP 2006, 140 mit Anmerkung Clay. 256 Clay, Rev. crit. DIP 2006, 142, 144; Re´tornaz/Volders, Rev. crit. DIP 2008, 225, 248. 257 Clay, Rev. crit. DIP 2006, 142, 151. 258 Re´tornaz/Volders, Rev. crit. DIP 2008, 225, 248. 259 Re´tornaz/Volders, Rev. crit. DIP 2008, 225, 248.

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dass der Präsident der Chambre de commerce internationale de Paris den dritten Schiedsrichter benennen sollte, den ausreichenden Forumsbezug vermittelte.260 2. Notzuständigkeit wegen der Unzumutbarkeit der Rechtsverfolgung im Ausland Auch das französische Recht stellt bestimmte Fälle der Unzumutbarkeit der Unmöglichkeit eines Auslandsverfahrens gleich. Die hierzu in der Rechtsprechung und vor allem in der Literatur zu findenden Fallgruppen unterscheiden sich jedoch von denen der anderen Rechtsordnungen: Die Ausführungen beschränken sich vor allem auf die Frage, ob ein Auslandsverfahren zumutbar ist, wenn das ausländische Forum das Rechtsschutzbegehren des Klägers mit Sicherheit abweisen wird, etwa aufgrund der Anwendung eines anderen materiellen Sachrechts oder der Berufung auf den ordre public des ausländischen Forum.261 Dabei muss das erkennende Gericht eine Wertungsentscheidung treffen. Trotz Möglichkeit des Verfahrens im Ausland kann die Inanspruchnahme dieses Verfahrens dem Kläger nicht zugemutet werden.262 Die Maßstäbe für diese Entscheidung sollen im Folgenden behandelt werden. a) Schlechtere Prozesschancen im ausländischen Verfahren Wie auch im deutschen Recht geht es im Kern um die Problematik, ob die Tatsache, dass die Entscheidung eines ausländischen Gerichts inhaltlich von der hypothetischen Entscheidung eines französischen Gerichts abweicht, die Grenze der Zumutbarkeit überschreitet und so eine französische Notzuständigkeit erforderlich machen kann. Leitentscheidung und Ausgangspunkt der Debatte ist die Entscheidung Dawn Addams der Cour d’appel de Paris vom 10. November 1959.263 In diesem Verfahren lehnte das Gericht die Eröffnung einer französischen (Not-)Zuständigkeit zur Vermeidung eines de´ni des justice für den Scheidungsantrag einer in Frankreich lebenden britischen und

260 Clay, Rev. crit. DIP 2006, 142, 152. Art. 6 Abs. 1 EMRK verpflichtete auch in diesem Fall die französischen Gerichte, da es sich um ein Verfahren vor einem staatlichen Gericht handelte, das die Hilfestellung bei der Durchführung eines Schiedsverfahrens zum Gegenstand hatte, vgl. Clay, Rev. crit. DIP 2006, 142, 153. 261 Vgl. hierzu: Corbion, Le de´ni de justice en droit international prive´, Rn. 221 ff.; Holleaux, JDI (Clunet) 1976, 146, 149; Huet, Rev. crit. DIP 1977, 536, 539; Ponsard, Rev. crit. DIP 1968, 301, 309; Re´tornaz/Volders, Rev. crit. DIP 2008, 225, 246; Sinay-Cytermann, L’ordre public en matie`re de compe´tence judiciaire internationale, Rn. 330 ff. 262 Ähnlich Corbion, Le de´ni de justice en droit international prive´, Rn. 220 ff. 263 Cour d’appel de Paris, 10.11.1959, Rev. crit. DIP 1960, 218, mit Anmerkung Francescakis.

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italienischen Doppelstaaterin gegen ihren in Italien lebenden italienischen Ehemann ab. Die an sich zuständigen italienischen Gerichte hätten den Scheidungsantrag mit Sicherheit abgelehnt, da das anwendbare italienische Recht keine Scheidung vorsah und eine Scheidung überdies gegen den italienischen ordre public verstieß. Nach Ansicht der Cour d’appel de Paris stellte dies keine Rechtsverweigerung dar, da für das begehrte Verfahren tatsächlich die italienischen Gerichte international zuständig waren, die Willens und in der Lage waren, über das Klagebegehren zu verhandeln. Diese Entscheidung hat viel Zuspruch in der Literatur gefunden, die ebenfalls anerkennt, dass Rechtsverweigerung nicht schon durch die gesicherte Abweisung des Rechtsschutzbegehrens im Ausland vorliegt; denn geschützt ist nur das Recht des Klägers auf einen Richter und nicht, dass der Richter einem bestimmten Antrag des Klägers stattgibt.264. Eine französische (Not-) Zuständigkeit zur Vermeidung eines de´ni de justice kann demnach nicht allein deshalb eröffnet werden, weil das ausländische Forum – aufgrund eines anderen anwendbaren Sachrechts oder aufgrund des ordre public-Vorbehaltes des Forums – den Antrag des Klägers mit Sicherheit abweisen wird. Nachteile, die der Kläger dadurch erleidet, dass im ausländischen Forum ein anderes Sach- oder Verfahrensrecht zur Anwendung kommt, sind somit grundsätzlich zumutbar. b) Ordre public-Zuständigkeit Dieser Grundsatz gilt jedoch nicht uneingeschränkt. In der oben erwähnten Entscheidung hat die Cour d’appel de Paris die Feststellung getroffen, dass ein Recht auf Scheidung nicht vom Schutz des französischen ordre public erfasst sei.265 Folglich würde die Ablehnung der Scheidung durch das ausländische Urteil nicht gegen den französischen ordre public verstoßen. Aus dieser Ausführung leiten einige Stimmen in der Literatur im Umkehrschluss her, dass eine französische Notzuständigkeit dann zu eröffnen sei, wenn das ausländische Forum eine Entscheidung trifft, die gegen den französischen materiell-rechtlichen ordre public verstößt.266 264 Bellet, JCP 1960 II. 11716; Bischoff, Rev. crit. DIP 1975, 670, 678; Corbion, Le de´ni de justice en droit international prive´, Rn. 221; Gautier, Rev. crit. DIP 1987, 620, 625 f.; Huet, Rev. crit. DIP 1977, 536, 539; Ebenso: Audit/d’Avout, Droit international prive´, Rn. 417; Francescakis, Rev. crit. DIP 1960, 222; Gaudement-Tallon, Rev. crit. DIP 1977, 337, 339; Sinay-Cytermann, L’ordre public en matie`re de compe´tence judiciaire internationale, Rn. 334 und 342. In Bezug zum EuGVÜ: Huet, JDI (Clunet) 1988, 137 f. 265 Paris, 10.11.1959, Rev. crit. DIP 1960, 218, mit Anmerkung Francescakis. 266 Corbion, Le de´ni de justice en droit international prive´, Rn. 222; Holleaux, JDI (Clunet) 1976, 146, 149; Mayer/Heuze´, Droit international prive´, Rn. 299 in note 22; Ponsard, Rev. crit. DIP 1970, 301, 310; kritisch hierzu: Sinay-Cytermann, L’ordre public en matie`re de compe´tence judiciaire internationale, Rn. 331 und 334 ff.

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Ob wegen eines Verstoßes gegen den französischen ordre public eine französische Notzuständigkeit eröffnet werden kann, ist im französischen Schrifttum umstritten. Gegen eine solche Zuständigkeit wird vor allem eingewendet, dass hierdurch die internationale Zuständigkeit Frankreichs vom Ergebnis des anwendbaren Rechts abhängig gemacht würde.267 Dies würde letztlich das Kollisionsrecht über die internationale Zuständigkeit Frankreichs entscheiden lassen, was die grundsätzliche Trennung zwischen der internationalen Zuständigkeit Frankreichs und dem anwendbaren Sachrecht verletzen würde.268 Die Mehrheit im französischen Schrifttum und auch die Rechtsprechung teilen diese kategorische Ablehnung jedoch nicht.269 Für die weitere Untersuchung ist es jedoch notwendig, zwischen der Verletzung verschiedener Arten von Rechten und Prinzipien zu differenzieren, die dem Schutz des französischen ordre public international unterstehen: Einerseits geht es um die Verletzung von absoluten Grundwerten des ordre public international und andererseits um eine Verletzung von zwingendem französischen materiellen Recht, das vom (positiven) ordre public international beschützt ist.270 (1) Verstoß gegen absolute Grundwerte des ordre public international Zumindest Fälle schwerwiegender Verstöße gegen absolute Grundwerte des französischen internationalen ordre public können eine französische Notzuständigkeit rechtfertigen.271 Gemeint sind hiermit Werte universeller Gerechtigkeit, die in der Meinung der Franzosen mit absoluter internationaler Durchsetzungskraft ausgestattet sind.272 Hierzu gehören etwa alle Rechte, die 267

Sinay-Cytermann, L’ordre public en matie`re de compe´tence judiciaire internationale, Rn. 334 ff.; ebenso: Bischoff, Rev. crit. DIP 1975, 670, 678. 268 Sinay-Cytermann, L’ordre public en matie`re de compe´tence judiciaire internationale, Rn. 334 ff. 269 Cass. Soc., 10.5.2006, Rev. crit. DIP 2006, S 856 mit Anmerkung Pataut/Hammje; Corbion, Le de´ni de justice en droit international prive´, Rn. 222; Holleaux, JDI (Clunet) 1976, 146, 149; Mayer/Heuze´, Droit international prive´, Rn. 299 in Fußote 22; Ponsard, Rev. crit. DIP 1970, 301, 309 f. 270 Bei der letzten Fallgruppe geht es vor allem um die internationale Durchsetzung französischer Rechtsvorstellungen, die Gegenstand des ordre public sind. Der Verstoß gegen den ordre public international wird in diesen Fällen durch „politische Motive“ der französischen Rechtsordnungen gerechtfertigt und nicht durch einen Verstoß gegen Werte universeller Gerechtigkeit. Für Einzelheiten der Abgrenzung siehe Corbion, Le de´ni de justice en droit international prive´, Rn. 288 ff. m.w.N.; Mayer/Heuze´, Droit international prive´, Rn. 211. 271 Cass. Soc., 10.5.2006, Rev. crit. DIP 2006, S 856 mit Anmerkung Pataut/Hammje; Cass. Soc., 14.9.2017, Rev. crit. DIP 2018, 267 mit Anmerkung Pataut; Corbion, Le de´ni de justice en droit international prive´, Rn. 224; Pataut, Rev. crit. DIP 2018, 269, 272, 277. 272 Cass. Civ. I, 25.5.1948, Rev. crit. DIP. 1949, 89, 91; Corbion, Le de´ni de justice en droit international prive´, Rn. 224.

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auf den Schutz des Menschen und seiner Würde abzielen, wesentliche Grundsätze des französischen Rechts und Grundrechte. Auch die politischen, familiären und sozialen Grundvorstellungen der französischen Gesellschaft sind geschützt.273 Verstöße ausländischer Entscheidungen hiergegen können nach Ansicht der Rechtsprechung eine Rechtsverweigerung begründen. So hat die Cour de Cassation in der Entscheidung vom 10. Mai 2006 eine Notzuständigkeit für die Klage einer faktischen „Haussklavin“ auf Zahlung eines angemessenen Arbeitslohns eröffnet.274 Ein an sich zuständiges Gericht im nigerianischen Ausland hätte diesen Anspruch mit Sicherheit abgelehnt, weil ein derartiges Beschäftigungsverhältnis nigerianischem Vertragsrecht entsprach. Diese Ablehnung aus materiell-rechtlichen Gründen des nigerianischen Rechts hätte nach Ansicht der Cour de Cassation den französischen ordre public international verletzt, weil dieser das Verbot der modernen Sklaverei als ein Grundprinzip erfasst und schützt.275 Aus dieser Entscheidung wird ersichtlich, dass die Entscheidung eines ausländischen Forums, die gegen absolute Grundwerte universeller Gerechtigkeit des französischen ordre public verstößt, die Gefahr einer Rechtsverweigerung begründet.276 Trotz der Möglichkeit eines Verfahrens im Ausland, kommt dieses Verfahren einer kompletten Nichtverhandlung gleich, weil dieses Forum ein aus französischer Sicht vollkommen inakzeptables Ergebnis hervorbringen wird.277 Das Rechtsschutzbegehren des Klägers wird daher nicht mit einer Sachentscheidung befriedigt. Dies stellt Rechtsverweigerung dar, die eine französische Notzuständigkeit erforderlich macht, wenn der Verstoß gegen vom ordre public international erfasste Grundwerte feststeht.278 Gleichzeitig bedingt der Verstoß einer ausländischen Entscheidung gegen vom ordre public international erfasste Grundsätze, dass diese nicht anerkannt werden kann. Auch aus diesem Grund ist eine Notzuständigkeit zu eröffnen.279 273

Cour de Cassation, Rapport annuel 2013; 128 f. Cass. Soc., 10.5.2006, Rev. crit. DIP 2006, S 856 mit Anmerkung Pataut/Hammje. 275 Vgl. zur Herleitung dieses absoluten Verbotes: Pataut/Hammje, Rev. crit. DIP 2006, 858, 860 ff. Das Gericht unterstellte den Rechtsstreit auch französischem Recht, um dieses vom ordre public international erfasste Verbot zu schützen, ohne jedoch die genauen Gründe hierfür zu nennen, vgl. Pataut/Hammje, Rev. crit. DIP 2006, 858, 864. 276 Corbion, Le de´ni de justice en droit international prive´, Rn. 223 f.; Pataut/Hammje, Rev. crit. DIP 2006, 858, 867. In Bezug zum EuGVÜ: Holleaux, JDI (Clunet) 1976, 146, 149. Anerkennend auch Cass. Soc., 14.9.2017, Rev. crit. DIP 2018, 267 mit Anmerkung Pataut. 277 Corbion, Le de´ni de justice en droit international prive´, Rn. 223 f.; ähnlich Pataut, Rev. crit. DIP 2018, 269, 272, 277; kritisch jedoch Pataut/Hammje, Rev. crit. DIP 2006, 858, 867. 278 Corbion, Le de´ni de justice en droit international prive´, Rn. 224. 279 Bauer, Compe´tence judiciaire internationale des tribunaux civils franc¸ais et alle274

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(2) Verstoß gegen vom ordre public international geschütztes materielles französisches Sachrecht Zusätzlich will man im französischen Schrifttum eine Notzuständigkeit Frankreichs eröffnen, wenn das ausländische Forum eine Entscheidung trifft, die inhaltlich eine materiell-rechtliche Vorschrift des französischen ordre public nicht beachtet, obwohl das französische Kollisionsrecht diese Vorschrift – vor allem aufgrund der positiven Funktion des ordre public280 – für anwendbar hält.281 In diesem Fall sieht das französische Recht bestimmte Rechtsfolgen als zwingend an. Um Klägern diese Rechtsfolgen gewähren zu können, muss notfalls eine französische Notzuständigkeit eröffnet werden.282 Begründet wird dies ebenfalls mit einer drohenden Rechtsverweigerung: Eine ausländische Entscheidung, die die Rechtsfolge des aus französischer Sicht international zwingenden Rechts nicht gewährt, kann in Frankreich aufgrund des ordre public-Verstoßes nicht anerkannt werden. Wenn ansonsten keine Zuständigkeit besteht, droht dem Kläger Rechtsverweigerung zu widerfahren, weil in diesem Fall die Rechtslage nicht auch mit Wirkung für die französische Rechtsordnung festgestellt werden kann.283 Umgekehrt droht jedoch keine Rechtsverweigerung, wenn ein Verstoß gegen den ordre public interne des französischen Rechts der Anerkennung der ausländischen Entscheidung nicht im Wege steht.284 Corbion hingegen will diese Zuständigkeit als eine Art forum legis zur Durchsetzung von international zwingendem französischen Sachrecht rechtfertigen – auch for de police genannt.285 Dieser Ansicht zufolge stellt die inhaltliche Abweichung von vom ordre public geschütztem materiellen Recht keine Rechtsverweigerung dar, weil ein ausländisches Gericht tatsächlich

mands, Rn. 133; Corbion, Le de´ni de justice en droit international prive´, Rn. 226. In Bezug auf das EuGVÜ: Holleaux, JDI (Clunet) 1976, 146, 149. 280 Die Abgrenzung zwischen der positiven Funktion des ordre public und Eingriffsnormen ist in Frankreich nicht trennscharf, vgl. nur Audit/d’Avout, Droit international prive´, Rn. 368 m.w.N. 281 Bauer, Compe´tence judiciaire internationale des tribunaux civils franc¸ais et allemands, Rn. 133; Mayer/Heuze´, Droit international prive´, Rn. 835; Ponsard, Rev. crit. DIP 1970, 301, 309; im Ergebnis gleich Corbion, Le de´ni de justice en droit international prive´, Rn. 225 mit einer anderen Begründung der Zuständigkeit Frankreichs. 282 Bauer, Compe´tence judiciaire internationale des tribunaux civils franc¸ais et allemands, Rn. 133; Mayer/Heuze´, Droit international prive´, Rn. 835; Ponsard, Rev. crit. DIP 1970, 301, 309. 283 Bauer, Compe´tence judiciaire internationale des tribunaux civils franc¸ais et allemands, Rn. 133; In Bezug auf das EuGVÜ: Holleaux, JDI (Clunet) 1976, 146, 149. 284 Bauer, Compe´tence judiciaire internationale des tribunaux civils franc¸ais et allemands, Rn. 135. 285 Corbion, Le de´ni de justice en droit international prive´, Rn. 225.

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eine Sachentscheidung über das Rechtsschutzbegehren trifft.286 Vielmehr ergeht eine Sachentscheidung unter Nichtbeachtung von Vorschriften, die das französische Recht als international zwingend ansieht, da sie vom französischen ordre public erfasst sind. Die Notwendigkeit einer außerordentlichen Zuständigkeit ergibt sich daher ausschließlich aus dieser inhaltlichen Abweichung und nicht aus einer drohenden Rechtsverweigerung. Allerdings bedingt diese Abweichung auch nach dieser Ansicht die Nichtanerkennungsfähigkeit einer ausländischen Entscheidung in Frankreich.287 Auch in der Rechtsprechung ist zu dieser Frage keine klare und einheitliche Position zu finden. Abgelehnt hat die Cour d’appel de Paris in der Entscheidung vom 29. Juni 1968 eine solche Notzuständigkeit, ohne sie jedoch ausdrücklich zu behandeln.288 In diesem Fall begehrte ein französischkanadisches Ehepaar mit Wohnsitz in Quebec die Änderung des ehelichen Güterstandes durch ein französisches Gericht. Eine französische Zuständigkeit bestand nach Ansicht des Gerichts nicht bereits nach Art. 14 Code Civil, da es diese Vorschrift auf dem Gebiet der freiwilligen Gerichtsbarkeit für nicht anwendbar hielt.289 Das an sich zuständige Forum in Quebec lehnte diese Änderung ab, weil die Gerichte dort das Recht Quebecs als Güterstatut ansahen, das die Änderung des Güterstandes verbot. Vor einem französischen Gericht wäre die Änderung jedoch möglich gewesen: Die Möglichkeit der Änderung des Güterstandes nach Art. 1397 Code Civil hätte sich gegen das eigentliche Güterstatut, das Recht Quebecs, durchgesetzt, weil es sich hierbei nach Ansicht des Gerichts um eine zwingend anwendbare Vorschrift des positiven französischen ordre public handelte.290 Um dieses Recht durchzusetzen, eröffnete das Gericht jedoch keine französische Zuständigkeit.291 Nur sechs Jahre später hat dasselbe Gericht allerdings in einer Entscheidung vom 16. Dezember 1974 die Möglichkeit einer Notzuständigkeit im Rahmen des EuGVÜ gesehen, wenn das ausländische Forum von der Rechtsfolge einer zwingenden französischen Norm abweicht, die vom ordre public erfasst ist.292 In diesem Fall sah die Cour d’appel de Paris jedoch keine Gefahr einer Rechtsverweigerung, da das ausländische Forum in den Niederlanden eine dem französischen materiellen Recht vergleichbare Regelung

286

Corbion, Le de´ni de justice en droit international prive´, Rn. 225. Corbion, Le de´ni de justice en droit international prive´, Rn. 226. 288 Cour d’appel de Paris, 29.6.1968, Rev. crit. DIP 1970, 298. 289 Siehe hierzu Mayer/Heuze´, Droit international prive´, Rn. 304 m.w.N. 290 So die Vermutung im Schrifttum Corbion, Le de´ni de justice en droit international prive´, Rn. 225; ebenso aber kritisch Ponsard, Rev. crit. DIP 1970, 301, 303 ff. insbesondere 305; ähnlich Mayer/Heuze´, Droit international prive´, Rn. 835. 291 Kritisch Mayer/Heuze´, Droit international prive´, Rn. 835; Ponsard, Rev. crit. DIP 1970, 301, 309. 292 Cour d’appel de Paris, 16.12.1974, JDI (Clunet) 1976, 146. 287

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zur Rückerstattung während des Zweiten Weltkrieges enteigneter Besitzgüter enthielt. In diesem Fall ging das Gericht implizit davon aus, dass die inhaltliche Abweichung einer ausländischen Entscheidung von einem aus französischer Sicht zwingenden Ergebnis Rechtsverweigerung begründen kann.293 Dem widersprach zuletzt die Cour de Cassation in einer Entscheidung vom 3. Februar 1987 mit der Begründung, dass dem EuGVÜ die Konformität der Entscheidung des nach dem Übereinkommen zuständigen Gerichts mit dem ordre public für die Bestimmung der internationalen Zuständigkeit unbekannt sei.294 Inwieweit sich hieraus jedoch auch für das nationale Zuständigkeitsrecht Frankreichs eine grundlegende Ablehnung der Notzuständigkeit aufgrund eines ordre public-Verstoßes durch eine ausländische Entscheidung herauslesen lässt, ist fraglich. c) Nichtanerkennungsfähigkeit in Frankreich Kann eine ausländische Entscheidung in Frankreich nicht anerkannt und vollstreckt werden, ist es in der französischen Literatur umstritten, ob eine französische Notzuständigkeit eröffnet werden muss. Ähnlich wie im eben ausgeführten Punkt dreht sich die Diskussion dabei um die Frage, ob in diesen Fällen eine Rechtsverweigerung droht. Einerseits lehnen Teile der französischen Literatur es grundsätzlich ab, eine französische Notzuständigkeit zu eröffnen, wenn eine ausländische Entscheidung in Frankreich nicht anerkannt werden kann.295 In diesen Fällen drohe keine Rechtsverweigerung, weil ein ausländisches Gericht tatsächlich über das Rechtsschutzbegehren entschieden hat.296 Dass eine Entscheidung in Frankreich nicht anerkannt werden kann, bedingt zwar, dass dem Gläubiger das Vermögen des Beklagten in Frankreich der Vollstreckung entzogen ist; diese Tatsache allein rechtfertige jedoch nicht die Eröffnung einer Notzuständigkeit.297 Andere Teile des Schrifttums gehen hingegen davon aus, dass einem Kläger sehr wohl Rechtsverweigerung drohe, wenn die Entscheidung eines ausländischen Gerichtes nicht in Frankreich anerkannt werden könne und 293

Gautier, Rev. crit. DIP 1987, 620, 628; Holleaux, JDI (Clunet) 1976, 146, 149. Cass. Civ. I, 3.2.1987, Rev. crit. DIP 1987, 617 mit Anmerkung Gautier; Corbion, Le de´ni de justice en droit international prive´, Rn. 225 in Fußnote 70; Gautier, Rev. crit. DIP 1987, 620, 628 f. 295 Bischoff, Rev. crit. DIP 1975, 678; Corbion, Le de´ni de justice en droit international prive´, Rn. 226; Sinay-Cytermann, L’ordre public en matie`re de compe´tence judiciaire internationale, Rn. 344 ff. und 340. In Bezug zum EuGVÜ: Huet, JDI (Clunet) 1988, 138. 296 Bischoff, Rev. crit. DIP 1975, 678; Corbion, Le de´ni de justice en droit international prive´, Rn. 226; Sinay-Cytermann, L’ordre public en matie`re de compe´tence judiciaire internationale, Rn. 344 ff. und 340. In Bezug zum EuGVÜ: Huet, JDI (Clunet) 1988, 138. 297 Corbion, Le de´ni de justice en droit international prive´, Rn. 226. 294

B. Frankreich

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gleichzeitig keine französische Zuständigkeit bestehe.298 Eine Notzuständigkeit sei zu eröffnen, weil ein für Frankreich wirkender Urteilsspruch nicht zu erhalten ist. Aus französischer Sicht fehle es deshalb an einem international zuständigen Forum, das über das Rechtsschutzbegehren entscheiden wird. Für die Eröffnung einer Notzuständigkeit müsse dabei nicht abgewartet werden, bis die Anerkennung einer ausländischen Entscheidung in Frankreich tatsächlich verweigert worden ist. Die begründete Annahme reiche aus, dass die ausländische Entscheidung die Anerkennungsvoraussetzungen nicht erfüllen wird.299 Aus welchem Grund die Anerkennung der ausländischen Entscheidung versagt wird, spiele ebenfalls keine Rolle.300 Als Anerkennungshindernis des französischen Rechts kommt dabei vor allem ein Verstoß gegen den französischen verfahrens- oder materiell-rechtlichen ordre publicVorbehalt in Betracht.301 Für die Anerkennung ist jedoch nicht erforderlich, dass die Gegenseitigkeit der Anerkennung verbürgt ist.302 So umstritten die Nichtanerkennungsfähigkeit als Ursache drohender Rechtsverweigerung in der französischen Literatur auch ist, sehen auch die Gegner eines solchen Verständnisses von Rechtsverweigerung eine verbleibende Notwendigkeit einer Notzuständigkeit Frankreichs:303 Kann eine ausländische Entscheidung nicht anerkannt werden, weil sie gegen fundamentale Grundprinzipien des französischen verfahrens- oder materiell-rechtlichen ordre public verstößt,304 erfüllt diese Entscheidung „wesentliche Eigenschaften einer gerechten richterlichen Entscheidung“ nicht.305 Die Entscheidung kann daher nicht anerkannt werden, weil das ausländische Gericht

298

Bauer, Compe´tence judiciaire internationale des tribunaux civils franc¸ais et allemands, Rn. 134; Ponsard, JDI (Clunet) 1975, 100, 101 f. In Bezug zum EuGVÜ: Holleaux, JDI (Clunet) 1976, 146, 149; Holleaux, JDI (Clunet) 1975, 88, 98. 299 Diese Ansicht darstellend: Sinay-Cytermann, L’ordre public en matie`re de compe´tence judiciaire internationale, Rn. 343.; Corbion, Le de´ni de justice en droit international prive´, Rn. 226. 300 Vgl. zu den Anerkennungsvoraussetzungen des französischen Rechts Laugwitz, Die Anerkennung und Vollstreckung drittstaatlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, 50 ff. 301 Siehe hierzu Laugwitz, Die Anerkennung und Vollstreckung drittstaatlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, 50 f. und 255 ff. m.w.N. 302 Audit/d’Avout, Droit international prive´, Rn. 519 f. 303 Sinay-Cytermann, L’ordre public en matie`re de compe´tence judiciaire internationale, Rn. 351 ff.; so auch Corbion, Le de´ni de justice en droit international prive´, Rn. 226. 304 Corbion, Le de´ni de justice en droit international prive´, Rn. 226; nach Sinay-Cytermann, L’ordre public en matie`re de compe´tence judiciaire internationale, Rn. 344 ff. gilt diese nur für Verstöße gegen den verfahrensrechtlichen ordre public, weil ansonsten materiell-rechtliche Erwägungen die Zuständigkeit Frankreichs begründen würden. 305 Corbion, Le de´ni de justice en droit international prive´, Rn. 226: „parce qu’elle ne re´pond pas aux caracte´ristiques essentielles d’une de´cision de justice.“

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1. Teil: Das forum necessitatis in den nationalen Zuständigkeitsordnungen

überhaupt keine Sachentscheidung trifft.306 In solchen Fällen droht dem Kläger eine Rechtsverweigerung, weil es tatsächlich kein ausländisches Forum gibt, das eine Sachentscheidung trifft. Auch in diesen Fällen erfährt das Rechtsschutzbegehren des Klägers keine Befriedigung durch eine Entscheidung in der Sache. Sofern die ausländische Entscheidung von französischem Sachrecht abweicht, das vom ordre public geschützt ist, bedingt dies ebenfalls die Nichtanerkennung einer ausländischen Entscheidung. Die außerordentliche Zuständigkeit Frankreichs in diesen Fällen will Corbion aber nicht mit einer drohenden Rechtsverweigerung begründen, sondern mit der Durchsetzung zwingender französischer Rechtsvorstellungen.307 Im Ergebnis wir daher auch von ihr die Notwendigkeit einer französischen Zuständigkeit in diesen Fällen anerkannt. 3. Ausreichende Beziehung zu Frankreich Allein die rechtliche oder faktische Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit reicht auch in der französischen Rechtsordnung nicht zur Begründung einer Notzuständigkeit aus. Die französische Rechtsordnung ist nicht dazu berufen, jede drohende Rechtsverweigerung weltweit durch ein französisches Notforum zu beseitigen.308 Maßgeblich ist deshalb auch hier, dass der Rechtsstreit eine ausreichende Beziehung zu Frankreich aufweist.309 Welche Verbindungen hierzu ausreichen, lässt sich nicht ohne weiteres aus der französischen Rechtsprechung und Literatur ableiten, da nur wenige Ausführungen hierzu zu finden sind. a) Lokalisierbares Rechtsschutzinteresse des Klägers Einen ausreichenden Bezug vermittelt aber auch im französischen Recht das lokalisierbare Interesse des Klägers an der Rechtsverfolgung in Frankreich.310 Ein solches Interesse liegt stets vor, wenn die Entscheidung, zumin306 Corbion, Le de´ni de justice en droit international prive´, Rn. 226; Ausschließlich in Bezug auf Verstöße gegen den verfahrensrechtlichen ordre public Sinay-Cytermann, L’ordre public en matie`re de compe´tence judiciaire internationale, Rn. 353. 307 Corbion, Le de´ni de justice en droit international prive´, Rn. 226. 308 Ponsard, Rev. crit. DIP 1970, 301, 309. 309 Tribunal de grande instance de la Seine,28.9.1959, JCP 1960, Nr. 11716 mit Anmerkung Bellet; Tribunal de grande instance de Paris, 1.10.1976, Rev. crit. DIP 1977, 535 mit Anmerkung Huet; Audit/d’Avout, Droit international prive´, Rn. 416; Corbion, Le de´ni de justice en droit international prive´, Rn. 218; Huet, Rev. crit. DIP 1977, 536, 540; Mayer/ Heuze´, Droit international prive´, Rn. 299; Sinay-Cytermann, L’ordre public en matie`re de compe´tence judiciaire internationale, Rn. 326 ff. 310 Ponsard, Rev. crit. DIP 1970, 301, 309; ebenso: Corbion, Le de´ni de justice en droit international prive´, Rn. 218; Huet, Rev. crit. DIP 1977, 536, 540; Sinay-Cytermann, L’ordre public en matie`re de compe´tence judiciaire internationale, Rn. 326.

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dest teilweise, in Frankreich vollstreckt werden soll.311 Aus diesem Grund hat etwa die Cour d’appell de Paris in der Entscheidung vom 8. Oktober 1964 eine Eilzuständigkeit in Frankreich angenommen.312 Die anzuordnenden einstweiligen Maßnahmen betrafen unmittelbar das in Frankreich belegene Vermögen und mussten daher in Frankreich vollstreckt werden. Darüber hinaus sieht die Literatur in Frankreich einen ausreichenden Forumsbezug auch dann begründet, wenn die geforderte Entscheidung notwendigerweise in Frankreich eine bestimmte Wirkung entfalten soll.313 Als Beispiel werden Entscheidungen im Personenstandsrechts aufgeführt, etwa das Ausstellen einer Geburtsurkunde.314 Sofern Feststellungen in einer solchen Urkunde auch für den französischen Rechtsverkehr Wirkung erzeugen müssen, etwa für Gerichte und Behörden, besteht ein ausreichender Bezug zum Forum.315 Kann eine solche Urkunde nicht im Ausland ausgestellt werden, besteht ein lokalisierbares Interesses des Klägers, diese mittels einer französischen Notzuständigkeit zu erhalten.316 b) Persönliche Verbindungen der Beteiligten Ansonsten können vor allem persönliche Verbindungen der Beteiligten einen ausreichenden Bezug zum Forum vermitteln. Zwar kommen hierfür mehrere Verbindungen in Betracht; größtenteils auszuschließen ist jedoch von Vorneherein die französische Staatsangehörigkeit einer der Beteiligten. In den meisten Fällen stellt die französische Rechtsordnung für ihre Staatsangehörigen durch die Art. 14 und 15 Code Civil eine exorbitante internationale Zuständigkeit zur Verfügung.317 In solchen Fällen gibt es deshalb regelmäßig keinen Bedarf für eine Notzuständigkeit. Aussagen der Rechtsprechung über personenbezogene Verbindungen, die einen ausreichenden Forumsbezug vermitteln können, sind indes kaum zu finden und sind zudem widersprüchlich. So hat der Tribunal de grande instance de Paris in seiner Entscheidung vom 1. Oktober 1976 die Aussage

311

Mayer/Heuze´, Droit international prive´, Rn. 299. Cour d’appel de Paris, 8.10.1964, JDI (Clunet) 1965, 901 mit Anmerkung Sialelli. 313 Corbion, Le de´ni de justice en droit international prive´, Rn. 218; Huet, Rev. crit. DIP 1977, 536, 540; Sinay-Cytermann, L’ordre public en matie`re de compe´tence judiciaire internationale, Rn. 328. 314 Huet, Rev. crit. DIP 1977, 536, 540; ebenso: Sinay-Cytermann, L’ordre public en matie`re de compe´tence judiciaire internationale, Rn. 328. 315 Huet, Rev. crit. DIP 1977, 536, 540; ebenso: Sinay-Cytermann, L’ordre public en matie`re de compe´tence judiciaire internationale, Rn. 328. 316 Huet, Rev. crit. DIP 1977, 536, 540; ebenso: Sinay-Cytermann, L’ordre public en matie`re de compe´tence judiciaire internationale, Rn. 328. 317 Audit/d’Avout, Droit international prive´, Rn. 391; Mayer/Heuze´, Droit international prive´, Rn. 301 ff. m.w.N. 312

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1. Teil: Das forum necessitatis in den nationalen Zuständigkeitsordnungen

getroffen, dass nur der dauerhafte klägerische Wohnsitz in Frankreich („une residence stable du demandeur“) die notwendige Beziehung vermitteln könne.318 Andererseits hat die Cour de Cassation im Urteil vom 10. Mai 2006 den einfachen Aufenthalt der Klägerin in Frankreich im Zeitpunkt der Klagerhebung als Beziehung zu Frankreich ausreichen lassen, um eine Notzuständigkeit zu eröffnen.319 Auch in der Literatur wird die Begrenzung der ausreichenden Beziehung auf den französischen Wohnsitz als zu restriktiv angesehen. Auch schwächere Bezüge zu Frankreich sollen einen ausreichenden Forumsbezug begründen können.320 Denn es spielt keine Rolle, ob der Aufenthalt in Frankreich nur vorübergehend oder ständig ist: Die Unmöglichkeit der Rechtsverfolgung im Ausland stellt in beiden Fällen ein legitimes Rechtsschutzinteresse in Frankreich dar, das das Einschreiten der französischen Justiz erfordert. Bereits bei einfachem Aufenthalt des Klägers in Frankreich bedroht die Rechtsverweigerung den öffentlichen Frieden und die soziale Ordnung. Die Erhaltung dieser Rechtsgüter ist eine der elementarsten Aufgaben der Justiz.321 Aus diesem Grund muss bereits der einfache Aufenthalt des Klägers einen ausreichenden Forumsbezug begründen können.322

II. Rechtsfolge Es gibt keine Anhaltspunkte in der französischen Rechtsprechung und Literatur, ob dem erkennenden Gericht ein Ermessensspielraum zusteht. Vor dem Hintergrund des Anspruches auf Justizgewährung aus Art. 6 Abs. 1 EMRK muss jedoch davon ausgegangen werden, dass dem Gericht kein Ermessen zusteht.323 318

Tribunal de grande instance de Paris, 1.10.1976, Rev. crit. DIP 1977, 535 mit Anmerkung Huet. Ebenfalls an den Wohnsitz einer der beiden nichtfranzösischen Parteien anknüpfend zur Zeit der generellen Unzuständigkeit französischer Gerichte für Ausländer vor 1948: Cass. Civ., 29.7.1912, JDI (Clunet) 1914, 207; Tribunal de la Seine, 2.4.1931, JDI (Clunet) 1932, 370. 319 Cass. Soc., 10.5.2006, Rev. crit. DIP 2006, S 856 kritisch in Bezug auf die weite Anknüpfung am schlichten Aufenthalt: Pataut/Hammje, Rev. crit. DIP 2006, 858, 867. 320 Corbion, Le de´ni de justice en droit international prive´, Rn. 218; Huet, 1.10.1976, Rev. crit. DIP 1977, 536, 540; Sinay-Cytermann, L’ordre public en matie`re de compe´tence judiciaire internationale, Rn. 326. 321 Sinay-Cytermann, L’ordre public en matie`re de compe´tence judiciaire internationale, Rn. 327. 322 Corbion, Le de´ni de justice en droit international prive´, Rn. 218; Huet, Rev. crit. DIP 1977, 536, 540; Sialelli, JDI (Clunet) 1965, 901; Sinay-Cytermann, L’ordre public en matie`re de compe´tence judiciaire internationale, Rn. 326; a.A.: Pataut/Hammje, Rev. crit. DIP 2006, 858, 867. 323 Ähnlich in Bezug auf die Bindung französischer Gerichte an den Anspruch auf Justizgewährung Clay, Rev. crit. DIP 2006, 142, 153.

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III. Ausschließliche Zuständigkeit Frankreichs Auch das französische Recht kennt ausschließliche Zuständigkeiten für bestimmte Streitgegenstände, die einen Akt öffentlicher Gewalt – „un service public“ – betreffen, ohne dass diese ausdrücklich normiert sind.324 So ist es anerkannt, dass für Entscheidungen, die die Eintragung, Änderung oder Berichtigung des Personenstands in französischen Registern betreffen – „de´cision d’un Etat Civil“ – notwendigerweise eine ausschließliche Zuständigkeit in Frankreich eröffnet sein muss.325 Aus diesem Grund ist die Zuständigkeit Frankreichs zwingend, wenn etwa die Eintragung einer Geburt in ein französisches Geburtsregister begehrt wird. Nur ein französisches Gericht kann derartige Anordnungen mit Wirkung für ein solches französisches Register treffen.326 Für derartige Verfahren besteht daher aufgrund der Natur der Sache eine sachlich notwendige ausschließliche Zuständigkeit Frankreichs. Gleiches gilt auch für Rechtsstreitigkeiten bezüglich in Frankreich angemeldeter Patente, sofern Gegenstand des Verfahrens die Rechtmäßigkeit der Eintragung des Patents ist, die von französischen Behörden zuvor geprüft worden ist.327 Auch hier betreffen Verfahren über die Rechtmäßigkeit eines Patents unmittelbar einen Akt französischer öffentlicher Gewalt. Diese Tatsache erfordert stets eine französische internationale Zuständigkeit. Auch in Frankreich ist die Grundlage dieser Zuständigkeit daher nicht eine dem Kläger ansonsten drohende Rechtsverweigerung. Vielmehr sind französische Gerichte in diesen Verfahren stets ausschließlich international zuständig aufgrund des Verfahrensgegenstandes.328 Da es anerkannt ist, dass französische Gerichte aufgrund des Verfahrensgegenstandes immer international zuständig sind, werden diese Fälle nicht mit einer Notzuständigkeit zur Vermeidung einer Rechtsverweigerung in Verbindung gebracht. Es greift stets eine ordentliche internationale Zuständigkeit Frankreichs.329

324

Audit/d’Avout, Droit international prive´, Rn. 415 m.w.N. Cour d’appel de Paris, 18.5.1994, Rev. Crit. DIP 1995, 563 mit Anmerkung Droz; Audit/d’Avout, Droit international prive´, Rn. 415. 326 Cour d’appel de Paris, 18.5.1994, Rev. Crit. DIP 1995, 563 mit Anmerkung Droz; Audit/d’Avout, Droit international prive´, Rn. 415. 327 Audit/d’Avout, Droit international prive´, Rn. 415 m.w.N. 328 Audit/d’Avout, Droit international prive´, Rn. 415. 329 Audit/d’Avout, Droit international prive´, Rn. 415. 325

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1. Teil: Das forum necessitatis in den nationalen Zuständigkeitsordnungen

C. Österreich Im österreichischen Recht ist eine Regelung über die Notzuständigkeit explizit gesetzlich geregelt. § 28 Abs. 1 Nr. 2 der Jurisdiktionsnorm (JN)330 normiert die Voraussetzungen für die Eröffnung einer Notzuständigkeit in Österreich. Hiernach hat der Oberste Gerichtshof aus den sachlich (aber nicht international) zuständigen Gerichten eines zu bestimmen, um sich dem Rechtsstreit anzunehmen, wenn der Kläger österreichischer Staatsbürger ist oder seinen Wohnsitz, gewöhnlichen Aufenthalt oder Sitz im Inland hat und im Einzelfall ein Verfahren im Ausland unmöglich oder unzumutbar ist. Die Eröffnung einer Notzuständigkeit setzt also neben bestimmten Arten des Forumsbezuges voraus, dass die Rechtsverfolgung im Ausland entweder unmöglich oder unzumutbar ist. Es geht hierbei um Fälle, in denen ein Bedürfnis nach Gewährung österreichischen Rechtsschutzes besteht, da „das Bedürfnis mangels effektiver Klagemöglichkeit im Ausland nicht befriedigt werden kann“.331 Umschrieben werden mit diesen Begriffen Fälle der drohenden Rechtsverweigerung, die § 28 Abs. 1 Nr. 2 JN zur Wahrung des Anspruches auf Justizgewährung aus Art. 6 Abs. 1 EMRK und Art. 47 Abs. 2 EuGRCh zu verhindern sucht.332 Im österreichischen Prozessrecht ist die Notzuständigkeit unter dem Überbegriff der Ordination zu finden.333 Die drohende Rechtsverweigerung im Ausland ist dabei eine von drei Tatbestandsvoraussetzungen, die alternativ eine Ordination, das heißt eine Bestimmung des örtlich – bei der Notzuständigkeit international – zuständigen Gerichts durch den OGH, rechtfertigen.334 Anders als im deutschen und französischen Recht, hat der österreichische Gesetzgeber in bestimmten Fällen die Eröffnung einer Notzuständigkeit trotz einer drohenden Rechtsverweigerung ausgeschlossen. § 28 Abs. 3 JN schließt die Zulässigkeit einer Ordination für die Fälle aus, in denen die österreichische Gerichtsbarkeit oder internationale Zuständigkeit aufgrund

330

Gesetz vom 1. August 1895, über die Ausübung der Gerichtsbarkeit und die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte in bürgerlichen Rechtssachen (Jurisdictionsnorm), RGBl. Nr. 111/1895, 333, § 28 JN i.d.F. vom 1.1.1998, BGBl. I 140/1997, 1711. 331 Garber, in: Fasching/Konecny, § 28 JN Rn. 54. 332 OGH, 28.6.2000 – 8 Nds 1/00; OGH, 24.9.1980 – 3 Ob 619/79; Burgstaller/Neumayr, FS Schlosser, 119, 131 Garber, in: Fasching/Konecny, § 28 JN Rn. 54. 333 Burgstaller/Neumayr, FS Schlosser, 119, 128; Simotta, FS Schütze, 831, 845. 334 Die anderen beiden Tatbestandsvarianten ermöglichen die Bestimmung eines örtlich zuständigen Gerichtes in Österreich, wenn Österreich auf Grund eines völkerrechtlichen Vertrages zur Ausübung von Gerichtsbarkeit verpflichtet ist (§ 28 Abs. 1 Ziff. 1 JN), oder die inländische Gerichtsbarkeit, nicht aber ein örtlich zuständiges Gericht vereinbart worden ist (§ 28 Abs. 1 Ziff. 3 JN).

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des Völkerrechts, etwa durch europäisches Sekundärrechtsakte, oder besonderer gesetzlicher Bestimmungen, die die internationale Zuständigkeit ausdrücklich regeln, nicht gegeben ist.335 Die österreichische Notzuständigkeit kann daher weder entgegen der Zuständigkeitsverteilung der europäischen Zuständigkeitsverordnungen noch entgegen einer ausdrücklichen Zuständigkeitsbestimmung des nationalen Zuständigkeitsrechts eröffnet werden.336 Neben der Notzuständigkeit des § 28 Abs. 1 Nr. 2 JN enthielt die JN bis zum 16. August 2015 noch eine weitere Notkompetenz in § 106 Abs. 1 Nr. 2 c) und 3 b) JN.337 Diese Vorschrift eröffnete auf dem Gebiet des Erbrechts eine Notzuständigkeit für in Österreich (§ 106 Abs. 1 Nr. 2 c) JN) und im Ausland (§ 106 Abs. 1 Nr. 3 b) JN) belegenes Vermögen, wenn die Durchsetzung des Erbrechts oder Pflichtteilsrechts oder Rechte aus einem Testament im Ausland unmöglich ist. Auch diese Regel versuchte, auf dem Gebiet des Erbrechts eine Rechtsverweigerung zu verhindern und ist mit § 28 Abs. 1 Nr. 2 JN vergleichbar.338 Für den Zweck dieser Untersuchung sind deshalb die Ausführungen zur Unmöglichkeit im Rahmen des § 106 JN a.F. relevant.339 Die internationale Notzuständigkeit nach § 28 Abs. 1 Nr. 2 JN und § 106 Abs. 1 Nr. 2 c) JN erweitert die internationale Zuständigkeit Österreichs unter den dort vorgeschrieben Voraussetzungen.340 Eine Notzuständigkeit kann daher nicht eröffnet werden, wenn die internationale Zuständigkeit Österreichs bereits aufgrund anderer Vorschriften besteht.341 Im Folgenden sollen die Tatbestandsvoraussetzungen der Notzuständigkeit genauer untersucht werden. Den Gegenstand der nachfolgenden Darstellung bilden insbesondere die Ausführungen der Rechtsprechung und Literatur zu den Ursachen der Unmöglichkeit und Unzumutbarkeit im Rahmen des § 28 Abs. 1 Nr. 2 JN bzw. § 106 Abs. 1 Nr. 2 c) JN und dem ausreichenden Forumsbezug.

335

Vgl. ErläutRV 898 NR XX. GP 34; Siehe hierzu ausführlich: Garber, in: Fasching/ Konecny, § 28 JN Rn. 80 ff.; Simotta, FS Schütze, 831, 845 ff. 336 Garber, in: Fasching/Konecny, § 28 JN Rn. 82. 337 § 106 JN i.d.F. vom 1.1.2005, BGBl. I Nr. 112/2003, 1599, wegen Inkraftretens der EuErbVO außer Kraft getreten mit Wirkung zum 16.8.2015 durch BGBl. I Nr. 87/2015, 36. 338 So ausdrücklich der OGH in: OGH, 28.3.2006 – 10 Ob 17/06g und OGH, 21.5.2013 – 1 Ob 74/13h. Bajons, NZ 2010, 321, 324 ff.; Potyka, RZ 2005, 6, 8. 339 Siehe hierzu vor allem Teil 1 C. II. 340 Garber, in: Fasching/Konecny, § 28 JN Rn. 22; Mayr, JBl 2001, 144, 159; Simotta, FS Schütze, 831, 845; Rechberger/Simotta, Zivilprozessrecht, Rn. 89. 341 Mayr, in: Rechberger, ZPO, § 28 JN Rn. 2.

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1. Teil: Das forum necessitatis in den nationalen Zuständigkeitsordnungen

I. Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit der Rechtsverfolgung im Ausland Die Eröffnung einer Notzuständigkeit setzt zunächst voraus, dass die Rechtsverfolgung im Ausland unmöglich oder unzumutbar ist. Die Unmöglichkeit und die Unzumutbarkeit der Rechtsverfolgung im Ausland umschreiben dabei die Gefahr einer dem Kläger drohenden Rechtsverweigerung.342 Dementsprechend müssen diese beiden Begriffe restriktiv ausgelegt werden. Keinesfalls darf durch ein zu extensives Verständnis ein neuer internationaler Gerichtsstand in der JN geschaffen werden.343 Ein Verfahren ist im Ausland daher nur dann unmöglich oder unzumutbar, wenn absehbar ist, dass dem Kläger im konkreten Einzelfall, ohne die österreichische Notzuständigkeit, Rechtsverweigerung zu widerfahren droht. Diese ex ante Prognose ist ausreichend, um die materiellen Voraussetzungen für die Notzuständigkeit zu erfüllen.344 Es ist daher nicht erforderlich, dass der Kläger vergeblich die Inanspruchnahme des ausländischen Rechtsschutzes versucht hat.345 Dies würde nur die Inanspruchnahme eines österreichischen Gerichtes ungebührlich verzögern.346 Diese Auslegungsgrundsätze hat der OGH auch bei der Auslegung des Begriffes der Unmöglichkeit im Rahmen § 106 Abs. 1 Nr. 2 c) und 3 b) JN herangezogen.347 Eine weitergehende exakte Abgrenzung zwischen der Unmöglichkeit einerseits und der Unzumutbarkeit andererseits wird von der österreichischen Literatur und Rechtsprechung jedoch nicht vorgenommen.348 Hierdurch bedingt können auch im Folgenden die verschiedenen Ursachen nicht genau der Unmöglichkeit einerseits und der Unzumutbarkeit andererseits zugeordnet werden. Zwar kann die Unmöglichkeit eher als ein objektives Unvermögen und die Unzumutbarkeit mehr als ein subjektives Unvermögen betrachtet werden, aber auch dies ermöglicht keine genaue Abgrenzung.349 Eine 342 OGH, 28.6.2000 – 8 Nds 1/00; OGH, 24.9.1980 – 3 Ob 619/79; Burgstaller/Neumayr, FS Schlosser, 119, 131; Garber, in: Fasching/Konecny, § 28 JN Rn. 54. 343 Burgstaller/Neumayr, FS Schlosser, 119, 131; Garber, in: Fasching/Konecny, § 28 JN Rn. 56 ff; Matscher, JBl 1998, 488, 494; siehe auch OGH, 12.5.2003 – 9Nc109/02g; OGH, 27.7.2005 – 10 Nc 19/05h; OGH, 11.2.2019 – 6 Nc 1/19b; a.A.: Seber, ZfRV 1983, 270, 298. 344 Burgstaller/Neumayr, FS Schlosser, 119, 133; Garber, in: Fasching/Konecny, § 28 JN Rn. 62. 345 Burgstaller/Neumayr, FS Schlosser, 119, 133; Garber, in: Fasching/Konecny, § 28 JN Rn. 62. 346 Burgstaller/Neumayr, FS Schlosser, 119, 134; Garber, in: Fasching/Konecny, § 28 JN Rn. 62. 347 Vgl. nur OGH, 28.3.2006 – 10 Ob 17/06g. 348 Garber, in: Fasching/Konecny, § 28 JN Rn. 72 f. Vgl. auch die Entscheidung OGH, 11.1.1996 – 6 Nd 513/95, in der Unmöglichkeit und Unzumutbarkeit ohne Abgrenzung gleichsetzt wird. 349 Garber, in: Fasching/Konecny, § 28 JN Rn. 73.

C. Österreich

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solche ist jedoch auch nicht erforderlich, da die Rechtsfolge der beiden Alternativen identisch ist. Wichtig ist, dass sowohl die Unmöglichkeit als auch die Unzumutbarkeit eines Auslandsverfahrens durch rechtliche als auch tatsächliche Ursachen ausgelöst werden können.350 Die in Literatur und Rechtsprechung anerkannten Ursachen der Unmöglichkeit und Unzumutbarkeit werden im Folgenden dargestellt. 1. Negativer internationaler Kompetenzkonflikt Die Rechtsverfolgung im Ausland ist stets dann unmöglich, wenn alle in Betracht kommenden ausländischen Staaten keinen internationalen Gerichtsstand zur Verfügung stellen.351 Aufgrund eines solchen Kompetenzkonfliktes steht dem Kläger weltweit kein Forum zur Verfügung, das sein Rechtsschutzbegehren verhandeln und entscheiden wird. Ihm droht daher Rechtsverweigerung zu widerfahren, der mit einer Notzuständigkeit nach § 28 Abs. 1 Nr. 2 JN begegnet werden kann bzw. nach § 106 Abs. 1 Nr. 2 c) und 3 b) JN begegnet werden konnte.352 Tatsächlich hat auch der OGH bereits in seiner Rechtsprechungspraxis aufgrund eines solchen Konfliktes eine Notzuständigkeit nach § 28 Abs. 1 Nr. 2 JN eröffnet. So ging der OGH in einer Entscheidung vom 28.6.2000 davon aus, dass für eine Klage eines Arbeitnehmers gegen seinen ehemaligen niederländischen Arbeitgeber auf Zahlung eines Insolvenzausfallgeldes aus einem österreichischen Insolvenz-Ausfallgeld-Fond keine internationale Zuständigkeit der Niederlande bestand.353 Aus Sicht des OGH war das Verfahren in den Niederlanden aufgrund des wohl fehlenden Zuständigkeitstatbestandes unmöglich.354 Da in der Entscheidung des OGH keine weiteren Ausführungen hierzu zu finden sind, ist die genaue Ursache des negativen internationalen Kompetenzkonfliktes nicht ersichtlich. Die Entscheidung zeigt jedoch, dass auch der OGH solche Kompetenzkonflikte als Ursache einer drohenden Rechtsverweigerung anerkennt.

350 OGH, 27.4.1994 – 4 Nd 505/94; Matscher, JBl 1998, 488, 494; Schwimann, ÖZW 1984, 97, 107; Simotta, FS Schütze, 831, 849. 351 OGH, 28.3.2006 – 10 Ob 17/06g in Bezug auf die Unmöglichkeit im Rahmen von § 106 Abs. 1 Ziffer 2 c) und 3 b) JN; Garber, in: Fasching/Konecny, § 28 JN Rn. 75; Loewe, ZfRV 1983, 180, 185; Schwimann, JBl 1984, 9, 12; Schwimann, ÖZW 1984, 97, 107, Traar, in: Fasching/Konecny, § 106 JN Rn. 33. 352 Garber, in: Fasching/Konecny, § 28 JN Rn. 75; Loewe, ZfRV 1983, 180, 185; Potyka, RZ 2005, 6, 8; Schwimann, JBl 1984, 9, 12; Schwimann, ÖZW 1984, 97, 107; Traar, in: Fasching/Konecny, § 106 JN Rn. 33. Anerkennend in Bezug auf die Unmöglichkeit im Rahmen von § 106 Abs. 1 Ziffer 2 c) und 3 b) JN OGH, 28.3.2006 – 10 Ob 17/06g; OGH, 9.10.2007 –10 Ob 15/07i; OGH, 21.6.2011 – 4 Ob 75/11z. 353 OGH, 28.6.2000 – 8 Nds 1/00. 354 OGH, 28.6.2000 – 8 Nds 1/00.

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1. Teil: Das forum necessitatis in den nationalen Zuständigkeitsordnungen

2. Stillstand der Rechtspflege Herrscht im an sich international zuständigen ausländischen Forum ein Stillstand der Rechtspflege, so ist die Rechtsverfolgung in diesem Staat unmöglich, i.S.v. § 28 Abs. 1 Nr. 2 JN und § 106 Abs. 1 Nr. 2 c) und 3 b) JN.355 Kriege und Bürgerkriege als auch revolutionäre Unruhen und Umstürze können eine solchen Stillstand hervorrufen.356 Auch in der Rechtsprechung des OGH ist der Stillstand der Rechtspflege infolge solcher Vorgänge als Ursache einer drohenden Rechtsverweigerung anerkannt. In der Entscheidung vom 11.1.1988 eröffnete er eine österreichische Notzuständigkeit, weil das an sich zuständige Gericht in einem ausländischen Staat lag, in dem seit Jahren Krieg herrschte.357 Aus den Entscheidungsgründen wird dabei ersichtlich, dass dem OGH für die Begründung einer dem Kläger drohenden Rechtsverweigerung die Tatsache ausreichte, dass im ausländischen Forum kriegerische Auseinandersetzungen stattfanden.358 Hieraus leitete das Gericht die Vermutung ab, dass aufgrund der Kriegslage, die Rechtspflege zum Erliegen gekommen war. Anders als etwa im deutschen Recht musste daher nicht nachgewiesen werden, dass das konkrete Verfahren im Ausland aufgrund des Stillstandes der Rechtspflege unmöglich war.359 Dies lässt den Schluss zu, dass der allgemeine Stillstand der Rechtspflege im Forumstaat ein Verfahren im Ausland aus Sicht Österreichs unmöglich machen kann. 3. Nichtanerkennung der ausländischen Entscheidung In der österreichischen Rechtsprechung und Lehre wird die Notzuständigkeit insbesondere mit der Anerkennungslücke in Verbindung gebracht.360 Unzumutbar ist ein Verfahren im Ausland demnach dann, wenn die Entscheidung dieses Forums in Österreich nicht anerkannt werden kann, obgleich die Entscheidung anerkannt und/oder vollstreckt werden müsste.361 355

OGH, 28.5.1991 – 6 Nd 506/91; Fasching, Lehrbuch österreichische ZPO, Rn. 78; Garber, in: Fasching/Konecny, § 28 JN Rn. 75; Schwimann, ÖZW 1984, 97, 107. 356 Garber, in: Fasching/Konecny, § 28 JN Rn. 75; Schwimann, ÖZW 1984, 97, 107. 357 OGH, 11.1.1988 – 6 Nd5 16/87. 358 OGH, 11.1.1988 – 6 Nd5 16/87. 359 Vgl. Teil 1 A. 2. a) (1). 360 OGH, 26.6.1985 – 1 Nd 502/85, JBl 1986, 191 f.; OGH, 11.1.1996 – 6 Nd 513/95; OGH, 16.5.2002 – 6 Nd 512/01; OGH, 25.88.2011 – 5 Nc 14/11w; vgl. auch RIS-Justiz RS0046148; Fasching, Lehrbuch österreichische ZPO, Rn. 78; Garber, in: Fasching/Konecny, § 28 JN Rn. 75; Matscher, FS Schwind 93, 71, 79 f.; Mayr, in: Rechberger, ZPO, § 28 JN Rn. 4; Rechberger/Simotta, Zivilprozessrecht, Rn. 89; Schwimann, JBl 1984, 9, 13; Simotta, FS Schütze, 831, 849; Traar, in: Fasching/Konecny, § 106 JN Rn. 34; im Übrigen so auch die Erläuterung der Regierungsvorlage, ErläutRV 669 BlgNR XV. GP 29 und der Abschlussbericht des Nationalrats, AB 1337 BlgNR XV. GP. 2. 361 ErläutRV 669 BlgNR XV. GP 29; OGH, 27.4.1989 – 7Nd504/89; OGH, 27.4.1994 –

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Die Rechtsverfolgung im Ausland, auch wenn sie möglich ist, hilft dem Kläger in diesem Fall nicht weiter, da das ausländische Verfahren keine Entscheidung mit Wirkung für die österreichische Rechtsordnung fällen kann. Hinsichtlich dieser bleibt das Rechtsschutzbegehren letztlich ungehört.362 Ohne eine österreichische Notzuständigkeit würde der Kläger daher einer Rechtsverweigerung ausgesetzt werden. Eine Notzuständigkeit nach § 28 Abs. 1 Nr. 2 JN muss daher eröffnet werden, wenn bereits bei Verfahrenseinleitung feststeht, dass eine ausländische Entscheidung in Österreich nicht anerkannt werden kann.363 In diesem Fall ist ein Verfahren im Ausland unzumutbar. Dass diese Fallgruppe der Rechtsverweigerung in Österreich besondere Bedeutung erlangt hat, liegt an einem bestimmten Anerkennungshindernis des österreichischen Verfahrensrechts. Wie auch im deutschen Recht sind in Österreich ausländische Urteile nicht anerkennungsfähig, wenn die Gegenseitigkeit der Vollstreckung nicht verbürgt ist.364 Anders als im deutschen Recht, setzt die Verbürgung der Gegenseitigkeit nach § 406 EO voraus,365 dass die geplante Vollstreckung in den Anwendungsbereich eines Staatsvertrages fällt, der die Gegenseitigkeit der Vollstreckung sichert. Die Anforderungen an die Gegenseitigkeit der Anerkennung im österreichischen Recht sind daher strenger als im deutschen Recht,366 weil die materielle Gegenseitigkeit der Anerkennung nicht ausreichend ist.367 Die Auswirkungen dieses strengen Gegenseitigkeitserfordernisses haben sich in der Eröffnung österreichischer Notzuständigkeiten bemerkbar gemacht. Der OGH musste wiederholt eine solche eröffnen, weil er aufgrund der Nichtanerkennungsfähigkeit ausländischer Entscheidungen ein Verfahren im jeweiligen Ausland für unzumutbar erklärt hat. Ursache der Nichtanerkennungsfähigkeit der Entscheidungen war dabei stets und ausschließlich die mangelnde formelle Verbürgung der Gegenseitigkeit: So führte der OGH in seiner Entscheidung vom 26.6.1985 aus, dass dem Kläger ein Verfahren in Großbritannien, dem Wohnsitzstaat des Beklagten, nicht zugemutet werden konnte, da das dortige Urteil mangels staatsvertraglich verbürgter Gegen4 Nd 505/94; OGH, 4.12.2014 – 10Nc28/14w; Fasching, Lehrbuch österreichische ZPO, Rn. 78; Garber, in: Fasching/Konecny, § 28 JN Rn. 75; Loewe, ZfRV 1983, 180, 186. 362 AB 1337 BlgNR XV. GP. 2. 363 Vgl. hierzu die Erläuterung der Regierungsvoralge ErläutRV 669 BlgNR XV. GP 29; Garber, in: Fasching/Konecny, § 28 JN Rn. 75. 364 Garber, in: Fasching/Konecny, § 28 JN Rn. 75; Loewe, ZfRV 1983, 180, 186; Traar, in: Fasching/Konecny, § 106 JN Rn. 34. 365 Gesetz vom 27. Mai 1896, über das Exekutions- und Sicherungsverfahren (Exekutionsordnung – EO), RGBl. Mr. 79/1896, § 406 i.d.F. vom 2.1.2017, BGBl I 100/2016; zuvor § 79 EO, in Kraft bis 1.1.2017 366 Vgl. Teil 1 A. I. 3. 367 Garber, in: Angst/Oberhammer, EO, § 79 EO Rn. 18 f.

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1. Teil: Das forum necessitatis in den nationalen Zuständigkeitsordnungen

seitigkeit in Österreich nicht anerkennungsfähig war.368 Auch im Verhältnis zu Zypern und Mazedonien,369 Usbekistan370 und Thailand371 hat der OGH Verfahren als unzumutbar angesehen und österreichische Notzuständigkeiten eröffnet, weil Entscheidungen aus diesen Staaten anerkannt werden konnten. Jüngst hat der OGH auch die fehlende Vollstreckbarkeit Entscheidungen serbischer Gerichte in Bezug auf die Fluggastrechte-Verordnung zum Anlass einer Notzuständigkeit genommen, weil auf diesem Gebiet kein Staatsvertrag die gegenseitige Anerkennung regelt.372 Gerade anhand der vielzähligen Entscheidungen, die eine Notzuständigkeit eröffnet haben, ist erkennbar, wie problematisch das Anerkennungshindernis der Verbürgung der Gegenseitigkeit für das Entstehen von Anerkennungslücken sein kann. Diese Fallgruppe der Notzuständigkeit wirft im österreichischen Recht vor allem dann Probleme auf, wenn die Anerkennung der ausländischen Entscheidung in Österreich tatsächlich bereits gescheitert ist. Steht die Anerkennungslücke tatsächlich fest, gibt es kein ausländisches Verfahren mehr, das unmöglich oder unzumutbar sein könnte. Dieser Fall ist daher nicht mehr vom Wortlaut des § 28 Abs. 1 Nr. 2 JN gedeckt, der die Unmöglichkeit und Unzumutbarkeit der Rechtsverfolgung im Ausland fordert.373 Die Literatur geht indes davon aus, dass auch dieser Fall erfasst sein muss, um Rechtsschutzlücken zu verhindern.374 Denn die feststehende Anerkennungslücke wiegt mindestens genauso schwer, wie die drohende Anerkennungslücke. 4. Verstöße gegen rechtsstaatliche Grundsätze im ausländischen Verfahren Rechtsverweigerung droht dem Kläger auch dann zu widerfahren, wenn im ausländischen Forum elementare Grundsätze eines rechtsstaatlichen Verfahrens nicht eingehalten oder beachtet werden. In einem solchen Fall ist das Verfahren einem Kläger nicht zuzumuten.375 Maßgeblich sind insoweit die Verfahrensgarantien sowohl des Art. 6 Abs. 1 EMRK als auch des Art. 47 Abs. 2 EuGRCh.376 Auch die mangelnde politische Unabhängigkeit der Rechtsprechung kann die Unzumutbarkeit des Auslandsverfahrens begrün368 OGH, 26.6.1985 – 1 Nd 502/85, JBl 1986, 191: Die Vollstreckung scheiterte in diesem Fall daran, dass das Vollstreckungsabkommen zwischen Österreich und Großbritannien sich nicht auf die Vollstreckung untergerichtlicher Entscheidungen bezog. 369 OGH, 11.1.1996 – 6 Nd 513/95. 370 OGH, 16.5.2002 – 6 Nd 512/01. 371 OGH, 25.8.2011 – 5 Nc 14/11w. 372 OGH, 11.2.2019 – 6 Nc 1/19b. 373 Garber, in: Fasching/Konecny, § 28 JN Rn. 75. 374 Garber, in: Fasching/Konecny, § 28 JN Rn. 75. 375 Garber, in: Fasching/Konecny, § 28 JN Rn. 76; Matscher, FS Schwind 93, 71, 79. 376 Garber, in: Fasching/Konecny, § 28 JN Rn. 76; Matscher, FS Schwind 93, 71, 79.

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den.377 So hat der OGH etwa ein Verfahren in Usbekistan als unzumutbar angesehen, weil im konkreten Verfahren die politische Einflussnahme des Staatapparats auf den Prozess zu befürchten war.378 Die Unzumutbarkeit der Prozessführung im Ausland ergibt sich jedoch nicht allein aus der abstrakten Feststellung, dass die Rechtsprechung im Ausland grundsätzlich nicht politisch unabhängig ist. Wie sich aus dem Urteil des OGH vom 13. Januar 1988 ergibt, ist es notwendig, dass sich dieser Mangel auch konkret auf das Ergebnis des Prozesses auswirken wird.379 Der OGH führte in der Urteilsbegründung aus, dass die im Recht der ehemaligen UdSSR mögliche politische Einflussnahme auf Gerichtsverfahren nicht zur Verneinung berechtigter Schadensersatzansprüche wegen des Reaktorunglücks in Tschernobyl führen würde. Eine Einflussnahme hatte der Kläger lediglich behauptet. Für eine tatsächliche Einflussnahme des Staatsapparates sah das Gericht aber keine Anhaltspunkte. Das Verfahren in der UdSSR war deshalb zumutbar und die Eröffnung eines Notforums in Österreich nicht gerechtfertigt, auch wenn die Rechtsprechung abstrakt einer politischen Einflussnahme ausgesetzt war.380 5. Die Verfahrensdauer Zu den relevanten Aspekten, die bei der Frage der Unzumutbarkeit eines Auslandsverfahrens zu berücksichtigen sind, ist auch die Verfahrensdauer zu zählen.381 Es ist jedoch auch im österreichischen Recht notwendig, zwischen der zumutbaren und unzumutbaren Dauer eines Auslandsverfahrens zu differenzieren. Allein die längere Verfahrensdauer im Ausland als vor einem österreichischen Gericht kann nicht bereits die Grenzen der Zumutbarkeit überschreiten, da ansonsten die zuständigkeitsabgrenzende Funktion der Vorschriften der JN über die internationale Zuständigkeit Österreichs untergraben werden würde.382 Jede negative Abweichung der Verfahrensdauer würde eine ansonsten nicht bestehende Zuständigkeit Österreichs begründen. Erst eine übermäßig lange Verfahrensdauer, die nicht mehr mit den

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OGH, 13.1.1988 – 3 Nd 511/87; OGH, 16.5.2002 – 6 Nd 512/01. OGH, 16.5.2002 – 6 Nd 512/01. 379 OGH, 13.1.1988 – 3 Nd 511/87. 380 OGH, 13.1.1988 – 3 Nd 511/87. Zudem ging das Gericht davon aus, dass ein österreichisches Urteil, dass die UdSSR zum Schadensersatz verpflichten würde, nicht in der UdSSR anerkannt werden könnte. Zur Rechtsdurchsetzung hielt das Gericht deshalb nur ein Verfahren in der UdSSR für zielführend. 381 Garber, in: Fasching/Konecny, § 28 JN Rn. 76; Loewe, ZfRV 1983, 180, 186; kritisch Schwimann, ÖZW 1984, 97, 107. 382 Loewe, ZfRV 1983, 180, 186; Schwimann, ÖZW 1984, 97, 107 spricht vom Jurisdiktionsmissbrauch. 378

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1. Teil: Das forum necessitatis in den nationalen Zuständigkeitsordnungen

Verfahrensgarantien der Art. 6 Abs. 1 EMRK und Art. 47 Abs. 2 EuGRCh zu vereinbaren ist, kann als unzumutbar angesehen werden.383 6. Eilzuständigkeit Auch im österreichischen Recht ist es anerkannt, dass ein Verfahren im Ausland unzumutbar ist, wenn eine im Inland dringend benötigte Entscheidung im Ausland nicht rechtzeitig erwirkt werden kann.384 Dem Kläger droht ohne eine österreichische Zuständigkeit Rechtsverweigerung zu widerfahren, da sein eigentliches Rechtsschutzbegehren ansonsten nicht erreicht werden kann. Hiervon sind vor allem einstweilig sichernde Maßnahmen betroffen. So hat der OGH in der Entscheidung vom 11. Januar 1995 die Unzumutbarkeit eines Verfahrens in Zypern und im (heutigen) Nord-Mazedonien unter anderem damit begründet, dass in diesen Staaten eine einstweilige Verfügung, die dringend im österreichischen Inland benötigt worden ist, nicht rechtzeitig hätte erwirkt werden können.385 Zur Abwendung dieser Rechtsverweigerung eröffnete der OGH nach § 28 Abs. 1 Nr. 2 JN eine österreichische Notzuständigkeit. 7. Politische Verfolgung Die politische Verfolgung des Klägers oder seiner Familie im an sich zuständigen Ausland ist sowohl in Literatur und Rechtsprechung als Ursache der Unzumutbarkeit anerkannt.386 In diesen Fällen ist die Rechtsverfolgung im ausländischen Gerichtsstaat faktisch ausgeschlossen, sodass das klägerische Rechtsschutzbegehren keine Sachentscheidung erfahren wird. In der österreichischen Literatur findet sich der Hinweis, dass diese Ursache beide Parteien betreffen kann.387 Nichtsdestoweniger ist es korrekt, auf die politische 383

Garber, in: Fasching/Konecny, § 28 JN Rn. 76. Die Unzumutbarkeit annehmend OGH, 11.1.1996 – 6 Nd 513/95; siehe allgemein etwa OGH, 5.11.1987 – 4 Nd 511/87, RdW 1988, 133; OGH, 11.5.1988 – 4 Nd 1/88; OGH, 12.5.2003 – 9Nc109/02g; OGH, 23.11.2006 – 8 Nc 25/06b; OGH, 26.1.2007 – 10 Nc 44/06 m; OGH, 19.10.2016 – 7 Nc 18/16f; vgl. RIS-Justiz RS0046148; Mayr, in: Rechberger, ZPO, § 28 JN Rn. 4; Rechberger/Simotta, Zivilprozessrecht, Rn. 89; Simotta, FS Schütze, 831, 849. 385 OGH, 11.1.1996 – 6 Nd 513/95. 386 Allgemein OGH, 5.11.1987 – 4 Nd 511/87, RdW 1988, 133; OGH, 11.5.1988 – 4 Nd 1/88; OGH, 12.5.2003 – 9Nc109/02g; OGH, 23.11.2006 – 8 Nc 25/06b; OGH, 26.1.2007 – 10 Nc 44/06 m; OGH, 19.10.2016 – 7 Nc 18/16f; vgl. RIS-Justiz RS0046148; Fasching, Lehrbuch österreichische ZPO, Rn. 78; Mayr, in: Rechberger, ZPO, § 28 JN Rn. 4; Rechberger/Simotta, Zivilprozessrecht, Rn. 89; Schwimann, ÖZW 1984, 97, 107; Simotta, FS Schütze, 831, 849. 387 Fasching, Lehrbuch österreichische ZPO, Rn. 78; Mayr, in: Rechberger, ZPO, § 28 JN Rn. 4; Rechberger/Simotta, Zivilprozessrecht, Rn. 89; Schwimann, ÖZW 1984, 97, 107; Simotta, FS Schütze, 831, 849. 384

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Verfolgung des Klägers abzustellen. Sofern der Beklagte im ausländischen Forum diskriminiert wird, wird er zum Kläger (regelmäßig auf negative Feststellung) im österreichischen Verfahren, wenn er dort die Unzumutbarkeit des ausländischen Verfahrens für die Eröffnung einer Notzuständigkeit geltend macht. Insofern müssen die Voraussetzungen für die Eröffnung der Notzuständigkeit in seiner Person vorliegen. Maßgeblich ist daher, dass keine anderweitige Zuständigkeit eines ausländischen Staates für sein Rechtsschutzbegehren besteht.388 Gerade im österreichischen Recht wird die Notwendigkeit betont, hinsichtlich der Ursache der Verfolgung des Klägers zu differenzieren. Eine schlichte, rechtsstaatlichen Verfahrensgarantien entsprechende Strafverfolgung des Klägers kann nicht zur Begründung der Unzumutbarkeit des Auslandsverfahrens führen. Mittels der Notzuständigkeit darf dem Kläger nicht erleichtert werden, sich seiner strafrechtlichen Verantwortung zu entziehen.389 8. Kosten des Auslandsprozesses Auch übermäßige Kosten eines Auslandsprozesses können bei der Frage der Zumutbarkeit eines Auslandsprozesses eine Rolle spielen.390 In den Erläuterungen zur letzten Reform des § 28 JN im Jahr 1997 führte der Gesetzgeber aus, dass das Prozesskostenargument in der Frage der Zumutbarkeit eines Auslandsverfahrens stärker zu berücksichtigen sein soll.391 Im Gesetz wurde jedoch keine Stütze für dieses Bestreben aufgenommen.392 Die ältere Rechtsprechung des OGH ist diesen Erläuterungen zunächst auch nicht gefolgt.393 Der OGH hat vor und nach der Reform aus dem Jahr 1997 wiederholt betont, dass allein ein erhöhter Kostenaufwand, wie er in einem Auslands388

Die anderweitige Rechtshängigkeit der Sache im Ausland kann in diesem Fall einer Notzuständigkeit in Österreich nicht entgegengehalten werden: Das Verfahren im Ausland ist dem Beklagten aufgrund der Diskriminierung unzumutbar. Der Verweis auf dieses unzumutbare Verfahren würde für den Kläger auf negative Feststellung eine Rechtsverweigerung bedingen. 389 Garber, in: Fasching/Konecny, § 28 JN Rn. 76. 390 Allgemein etwa OGH, 5.11.1987 – 4 Nd 511/87, RdW 1988, 133; OGH, 11.5.1988 – 4 Nd 1/88; OGH, 12.5.2003 – 9Nc109/02g; OGH, 23.11.2006 – 8 Nc 25/06b; OGH, 26.1.2007 – 10 Nc 44/06 m; OGH, 19.10.2016 – 7 Nc 18/16f; OGH, 11.2.2019 – 6 Nc 1/19b; vgl. RISJustiz RS0046148; Fasching, Lehrbuch österreichische ZPO, Rn. 78; Loewe, ZfRV 1983, 180, 186; Mayr, in: Rechberger, ZPO, § 28 JN Rn. 4; Simotta, FS Schütze, 831, 849; kritisch Schwimann, ÖZW 1984, 97, 107. 391 ErläutRV 898 BlgNR XX. GP 34; so auch OGH, 22.10.2010 – 7 Nc 21/10p; OGH, 11.2.2019 – 6 Nc 1/19b. 392 Mayr, in: Rechberger, ZPO, § 28 JN Rn. 4. 393 Garber, in: Fasching/Konecny, § 28 JN Rn. 78; siehe auch OGH, 28.8.2000 – 9 Nd 509/00; OGH, 4.3.2004 – 2 Nc 8/04 f.

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1. Teil: Das forum necessitatis in den nationalen Zuständigkeitsordnungen

prozess typischerweise entsteht, sich im Rahmen des einem Kläger Zumutbaren bewegt. Denn in Distanzprozessen stellt sich das Problem erhöhter Kosten für beide Parteien mit jeweils umgekehrten Vorzeichen und geht daher zu Lasten des Klägers. Dies ergibt sich auch aus dem Grundsatz, dass der Kläger den Beklagten an dessen Wohnsitz zu verklagen hat, actor sequitur forum rei.394 Nur in Ausnahmefällen ist die Höhe der Prozesskosten des Auslandsverfahrens geeignet, dessen Unzumutbarkeit zu begründen.395 Um festzustellen, ob ein solcher Ausnahmefall vorliegt, scheint der OGH auf verschiedene Faktoren zu rekurrieren. Insbesondere berücksichtigt er, ob in der maßgeblichen ausländischen Rechtsordnung ein Prozesskostenersatz vorgesehen ist396 oder ob das ausländische Forum irgendeine Art von Prozesskostenhilfe gewährt.397 Besteht die Möglichkeit, dass dem Kläger diese auch tatsächlich gewährt wird, so spricht dies grundsätzlich gegen die Annahme der Unzumutbarkeit. Dementsprechend hat der OGH in seiner Entscheidung vom 14. April 2004 die Unzumutbarkeit eines Schadensersatzprozesses in Japan bejaht, weil dem Kläger dort tatsächlich keine Prozesskostenhilfe gewährt wurde und die Übernahme von Anwaltskosten nicht möglich war.398 Der Kläger hätte deshalb die hohen Anwaltskosten (zumindest) vorläufig selbst tragen müssen, was ihm jedoch nicht möglich war. Dies schloss die Rechtsverfolgung in Japan faktisch aus, sodass dem Kläger Rechtsverweigerung zu widerfahren drohte.399 Gegen die Unzumutbarkeit der Verfahrenskosten im Ausland spricht zuletzt auch die Existenz eines Abkommens – etwa das Hager Prozessübereinkommen vom 1. März 1954 – zwischen Österreich und dem Gerichtsstaat (bzw. ein internationales Übereinkommen, dem beide Staaten beigetreten sind), welches Angehörige der Vertragsstaaten sowohl von der Verpflichtung zur Sicherheitsleistung für Prozesskosten als auch von der Einzahlung eines Ausländervorschusses auf die Gerichtskosten befreit.400 394

OGH, 1.7.1986 – 6 Nd 507/86, RdW 1986, 308; so auch OGH, 24.8.1992 – 7 Nd 3/92; OGH, 28.8.2000 – 9 Nd 509/00; OGH, 4.3.2004 – 2 Nc 8/04f; OGH, 17.12.2009 – 6 Nc 20/08f, OGH, 19.10.2016 – 7 Nc 18/16f; RIS-Justiz RS0046420. 395 OGH, 24.9.2008 – 2 Ob 32/08g; OGH, 9.2.2010 – 8 Nc 27/09a; OGH, 10.2.2010 – 5 Nc 21/09x, JBl 2010, 526; OGH, 4.12.2014 – 10 Nc 28/14w; OGH, 19.10.2016 – 7 Nc 18/16 f. 396 OGH, 4.3.2004 – 2 Nc 8/04f; Czernich, JBl 2002, 613, 616 f.; Garber, in: Fasching/ Konecny, § 28 JN Rn. 78. 397 OGH, 4.3.2004 – 2 Nc 8/04f; vgl. auch OGH, 14.4.2004 – 2 Nc 11/04x. 398 OGH, 14.4.2004 – 2 Nc 11/04x. 399 OGH, 14.4.2004 – 2 Nc 11/04x. 400 OGH, 4.3.2004 – 2 Nc 8/04f (Hager Prozessübereinkommen); vgl. auch OGH, 10.2.2010 – 5 Nc 21/09x (Zusatzabkommen zum Haager Übereinkommen vom 1.3.1954 zwischen Österreich und der Türkei); OGH, 28.8.2000 – 9 Nd 509/00 (New Yorker Unterhaltsübereinkommen).

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Erst in der jüngeren Rechtsprechung scheint der OGH jedoch, wie vom Reformgesetzgeber intendiert, die höheren Prozesskosten im Ausland als solche stärker zu berücksichtigen. In mehreren Entscheidungen hat der OGH Auslandsverfahren allein aufgrund der besonders hohen Kostspieligkeit der Rechtsverfolgung in diesen Foren für unzumutbar gehalten. So etwa in seinen Entscheidungen vom 22. Oktober 2010 in Bezug auf Dubai401 und vom 27. Februar 2013 in Bezug auf China.402 Zwar betonte der OGH auch in diesen Entscheidungen, dass das Kostenargument nur in Ausnahmefällen zur Unzumutbarkeit führen kann. Gleichwohl begründete er die Wertung der Unzumutbarkeit allein mit den besonders hohen Kosten des Prozesses in diesen Foren und der Intention des Reformgesetzgebers, die Kosten von Auslandsprozessen stärker zu berücksichtigen. Zuletzt begründete der OGH in seiner Entscheidung vom 29. Oktober 2014 die Unzumutbarkeit eines Prozesses in Südafrika mit den sehr viel höheren Kosten eines dortigen Verfahrens verglichen mit einem Österreichischen.403 Vor diesem Hintergrund scheint es so, als ob nach neuerer Ansicht des OGH auch dann die effektive Inanspruchnahme staatlicher Gerichtsbarkeit im Ausland nicht zumutbar ist, wenn der Kläger mit sehr viel höheren Kosten als im Inland konfrontiert ist. 9. Schlechtere Prozesschancen im Ausland und ordre public-Zuständigkeit In der österreichischen Rechtsprechung und Literatur ist anerkannt, dass die Anwendung eines ungünstigeren materiellen Rechts allein keine Unzumutbarkeit begründen kann.404 Die Notzuständigkeit darf nicht dazu dienen, einer bestimmten materiellen Rechtslage zu entrinnen, die der Kläger als hart und ungerecht empfindet.405 Aus diesem Grund können etwa erhöhte Beweisanforderungen im ausländischen Forum nicht die Eröffnung einer Notzuständigkeit rechtfertigen.406 Nicht anders ist die Situation zu beurteilen, wenn im ausländischen Forum auch im Übrigen das angewendete Verfahrensrecht

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OGH, 22.10.2010 – 7 Nc 21/10p. OGH, 27.2.2013 – 7 Nc 4/13t. 403 OGH, 29.10.2014 – 4 Nc 23/14s; vgl. auch OGH, 11.2.2019 – 6 Nc 1/19b, hier hat das Gericht eine Notzuständigkeit hinsichtlich eines Verfahrens in Serbien auch aufgrund höherer Prozesskosten angenommen. 404 OGH, 12.5.2003 – 9 Nc 109/02g; OGH, 27.7.2005 – 10 Nc 19/05h; OGH, 28.3.2006 – 10 Ob 17/06g; OGH, 22.10.2010 – 7 Nc 21/10p; OGH, 21.5.2013 – 1 Ob 74/13h; OGH, 11.2.2019 – 6 Nc 1/19b; RIS-Justiz RS0117751; Burgstaller/Neumayr, FS Schlosser, 119, 132; Garber, in: Fasching/Konecny, § 28 JN Rn. 76 und 78; Matscher, JBl 1996, 798, 799; Mayr, in: Rechberger, ZPO, § 28 JN Rn. 4. 405 OGH, 27.7.2005 – 10 Nc 19/05h; OGH, 22.10.2010 – 7 Nc 21/10p; OGH, 11.2.2019 – 6 Nc 1/19b; Burgstaller/Neumayr, FS Schlosser, 119, 132 f. 406 OGH, 11.3.2010 – 3 Nc 9/10v; OGH, 11.2.2019 – 6 Nc 1/19b. 402

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1. Teil: Das forum necessitatis in den nationalen Zuständigkeitsordnungen

für den Kläger nachteilhaft ist.407 Auch in diesem Fall ist das Verfahren im Ausland zumutbar und es droht keine Rechtsverweigerung. Der OGH hat mehrfach betont, dass auch die erwartete Ab- oder Zurückweisung einer Klage bzw. eines Anspruchs durch ein ausländisches Gericht aus materiellen Gründen dem Kläger durchaus zuzumuten ist.408 Andernfalls würde jegliche, für den Kläger negative Abweichung des ausländischen Sachrechts von der österreichischen materiellen Rechtslage stets eine internationale Zuständigkeit Österreichs begründen. Ein solches Verständnis würde die Abgrenzungsfunktion des österreichischen Zuständigkeitsrechts untergraben, was sich nicht durch den Sinn und Zweck der Notzuständigkeit als Ausnahmezuständigkeit rechtfertigen lässt.409 Aus diesem Grund bewirkte etwa der Umstand, dass bei der Prozessführung im Ausland der einzuklagende Anspruch bereits verjährt war, keine Unzumutbarkeit.410 Dies gilt erst recht, wenn der Kläger solange mit der Geltendmachung der Ansprüche im ausländischen Forum wartet, bis deren Verjährung eingetreten ist.411 Unmöglich bzw. unzumutbar wird ein Verfahren im Ausland erst dann, wenn die erwartete Ab- und Zurückweisung des Anspruches im ausländischen Forum aus Gründen vollzogen wird, die mit den vom ordre public geschützten Grundwerten und Rechtsvorstellungen des österreichischen Rechts unvereinbar sind.412 Denn eine solche Entscheidung wäre in Österreich aufgrund § 408 EO413 nicht anerkennungsfähig.414 Die Nichtanerkennungsfähigkeit der zu erwartenden Entscheidung des Auslandes bedingt eine dem Kläger drohende Rechtsverweigerung.415 Diese macht die Gewährung 407 Ähnlich Burgstaller/Neumayr, FS Schlosser, 119, 132 und 134; Garber, in: Fasching/ Konecny, § 28 JN Rn. 78; Matscher, JBl 1996, 798, 799. 408 OGH, 12.5.2003 – 9Nc109/02g; OGH, 27.7.2005 – 10 Nc 19/05h; OGH, 28.3.2006 – 10 Ob 17/06g; OGH, 22.10.2010 – 7 Nc 21/10p; OGH, 21.5.2013 – 1 Ob 74/13h; RIS-Justiz RS0117751; Matscher, JBl 1996, 798, 799. A.A.: Garber, in: Fasching/Konecny, § 28 JN Rn. 76, der eine Notzuständigkeit dann eröffnen will, wenn die Ausgestaltung der materiellen Rechtslage im ausländischen Forum dem Kläger von vornherein jede Chance nimmt, den Anspruch dort durchzusetzen. Dabei zitiert er in der Fußnote 205 Burgstaller/ Neumayr, FS Schlosser, 119, 132, welcher die Chancenlosigkeit der Anspruchsrealisierung aber nur bei einem besonders schweren Eingriff in die materielle Rechtsphäre des Klägers zulassen will, eben dem Verstoß gegen den österreichischen ordre public. 409 OGH, 12.5.2003 – 9Nc109/02g 410 OGH, 6.2.1996 – 10 Ob 519/95. 411 OGH, 9.2.2010 – 8 Nc 27/09a; OGH, 10.2.2010 – 5 Nc 21/09x, JBl 2010, 526. 412 OGH, 28.3.2006 – 10 Ob 17/06g; OGH, 21.5.2013 – 1 Ob 74/13h; Burgstaller/Neumayr, FS Schlosser, 119, 132 f. m.w.N.; Garber, in: Fasching/Konecny, § 28 JN Rn. 76 f.; anders wohl noch: OGH, 12.5.2003 – 9Nc109/02g. 413 § 408 EO, i.d.F BGBl. I 100/2016, in Kraft seit 2.1.2017; zuvor § 81 EO in Kraft bis 1.1.2017. 414 Burgstaller/Neumayr, FS Schlosser, 119, 133. So schon Teil 1 C. I. 3. 415 OGH, 28.3.2006 – 10 Ob 17/06g; OGH, 21.5.2013 – 1 Ob 74/13h.

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österreichischen Rechtsschutzes mittels der Notzuständigkeit erforderlich, wenn der in § 28 Abs. 1 Nr. 2 JN beschriebene Bezug zum österreichischen Inland besteht.416 In diesem Fall kann das Rechtsschutzbegehren des Klägers erst durch eine österreichische Entscheidung in der Sache befriedigt werden.417 Auch der OGH hat dies wiederholt ausgeführt, obgleich er deswegen noch keine Notzuständigkeit eröffnet hat.418 Dasselbe soll Burgstaller und Neumayr zufolge auch dann gelten, wenn das Forum im Ausland den Anspruch des Klägers aus Gründen des dortigen Verfahrensrechts abweisen wird, die dem österreichischen ordre public widersprechen.419 Denn es ist kaum möglich zu unterscheiden, ob sich die Nichtverfolgbarkeit eines Anspruches aus materiell-rechtlichen oder verfahrensrechtlichen Gründen ergibt. Ein Anspruch kann sowohl durch die materiellrechtliche Aberkennung als auch durch den formell-rechtlichen Ausschluss der Geltendmachung ausgeschlossen werden. Die Folge für den Kläger ist in beiden Fällen aber dieselbe: Er kann seinen Anspruch gegen den Beklagten im Ausland nicht durchsetzen. Aus diesem Grund muss auch der Maßstab für die Beurteilung der Zumutbarkeit des Verfahrens im Ausland in beiden Fällen derselbe sein: Eine Notzuständigkeit ist daher nur zu eröffnen, wenn die Klage im Ausland voraussichtlich aus Gründen abgewiesen wird, die mit dem österreichischen ordre public unvereinbar sind.420 10. Faktischer Ausschluss der Rechtsverfolgung im Ausland aufgrund faktischer Hindernisse Faktische Schwierigkeiten der Geltendmachung von Ansprüchen im ausländischen Staat sind grundsätzlich zumutbar.421 So hat es ein Kläger nach Ansicht des OGH hinzunehmen, dass er dem Auslandsprozess nicht persönlich beiwohnen kann, weil er nicht in den betreffenden Staat reisen kann, sofern er keinen Grund geltend macht, weshalb seine persönliche Anwesenheit erforderlich ist.422 Auch Sprachprobleme, die die Rechtsverfolgung im Ausland erschweren, rechtfertigen grundsätzlich nicht die Eröffnung einer Notzuständigkeit.423 In diesem Punkt ist jedoch erkennbar, dass der OGH bei der Beurteilung der Zumutbarkeit faktischer Schwierigkeiten auch auf Grundwertungen des europäischen internationalen Zivilverfahrensrechts zurückgreift. Dementsprechend hat er einen Auslandsprozess in Curac¸ao wegen der 416

Burgstaller/Neumayr, FS Schlosser, 119, 133. Burgstaller/Neumayr, FS Schlosser, 119, 133. 418 OGH, 28.3.2006 – 10 Ob 17/06g; OGH, 21.5.2013 – 1 Ob 74/13h. 419 Burgstaller/Neumayr, FS Schlosser, 119, 132 und 134. 420 Burgstaller/Neumayr, FS Schlosser, 119, 132 und 134. 421 Garber, in: Fasching/Konecny, § 28 JN Rn. 78. 422 OGH, 23.11.2006 – 8 Nc 25/06b; OGH, 26.1.2007 – 10 Nc 44/06 m. 423 Garber, in: Fasching/Konecny, § 28 JN Rn. 78. 417

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1. Teil: Das forum necessitatis in den nationalen Zuständigkeitsordnungen

Sprachhürde für einen österreichischen Verbraucher als unzumutbar angesehen und eröffnete ein Notforum. Dies begründete er mit dem besonderen Schutz des Verbrauchers im europäischen Zivilverfahrensrecht.424 Für eine europäische Notzuständigkeit können derartige Erwägungen jedoch nicht fruchtbar gemacht werden, da aufgrund solcher Erwägungen bereits ordentliche Gerichtsstände existieren, die den Verbraucher schützen. Anders gestaltet sich die Lage jedoch, wenn die tatsächlichen Schwierigkeiten derart gravierend sind, dass die Realisierung des Anspruches im Ausland faktisch ausgeschlossen ist. In diesem Fall kann es zu einer Rechtsverweigerung kommen, wenn kein österreichisches Notforum gewährt wird. So nahm der OGH die Unmöglichkeit bzw. Unzumutbarkeit eines Auslandsverfahrens unter anderem an, weil die Klage im an sich zuständigen Forum in Usbekistan über 3,5 Jahre hinweg, auch unter Einschaltung österreichischer Auslandsvertretungen, dem Beklagten nicht zugestellt werden konnte.425 Das Verfahren im Ausland konnte daher schlicht nicht eingeleitet werden. Weil dem Kläger deshalb Rechtsverweigerung zu widerfahren drohte, eröffnete der OGH eine Notzuständigkeit in Österreich.

II. Nicht-Erhältlichkeit der Einantwortung im Ausland Auch in Österreich kann eine Notzuständigkeit gewährt werden, wenn der vom österreichischen Recht vorgesehen Rechtsschutz im Ausland nicht erhältlich ist. Als Fallgruppe einer drohenden Rechtsverweigerung ist die Nicht-Erhältlichkeit des vorgesehenen Rechtsschutzes auf dem Gebiet des internationalen Erbrechts zu finden.426 Vor Inkrafttreten der EuErbVO enthielt § 106 Abs. 1 Nr. 3 b) JN eine eigene Notzuständigkeit für den Fall, dass das an sich zuständige Forum im Ausland die nach österreichischem Erbrecht erforderliche Einantwortung der Erbschaft nicht vornehmen konnte oder wollte.427 Bei der Einantwortung handelt es sich um eine Besonderheit des österreichischen Erbrechts. Mit dieser gerichtlichen Sachentscheidung wird die Erbschaft auf den Erben übertragen, § 797 Abs. 1 ABGB.428 Der Erbe erwirbt demnach nicht ipso jure den Nachlass im Erbfall. Vielmehr muss vor Gericht das Erbrecht im sogenannten Verlassenschaftsverfahren verhandelt werden, 424

OGH, 27.7.2005 – 10 Nc 19/05h; a.A.: Garber, in: Fasching/Konecny, § 28 JN Rn. 78. OGH, 16.5.2002 – 6 Nd 512/01. Der genaue Grund hierfür war nicht ersichtlich, obgleich die Vermutung nahe lag, dass sich der Beklagte dem Prozess entziehen wollte. 426 Potyka, RZ 2005, 6, 8; Riering/Tersteegen, ZfRV 2006, 211, 215; Traar, in: Fasching/ Konecny, § 106 JN Rn. 43. 427 Potyka, RZ 2005, 6, 8; Riering/Tersteegen, ZfRV 2006, 211, 215; Traar, in: Fasching/ Konecny, § 106 JN Rn. 43; die Problematik beschreibend: Bajons, NZ 2010, 321 ff. 428 Traar, in: Fasching/Konecny, § 106 JN Rn. 36. 425

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das mit dem Einantwortungsbeschluss des Verlassenschaftsgerichts abschließt.429 Die Einantwortung gemäß § 797 Abs. 1 ABGB ist die konstitutive Voraussetzung für den Erwerb der Erbschaft; erst mit der Einantwortung wird der Erbberechtigte zum Erben. Diese Besonderheit konnte bis zum Inkrafttreten der EuErbVO zu Kollisionen führen, wenn ein österreichischer Erblasser im Ausland verstarb und nur dort bewegliches Vermögen hinterließ. Für diese Nachlassgegenstände eröffnete Österreich grundsätzlich keine internationale Zuständigkeit nach § 106 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 3 a) JN, sondern verwies auf den Belegenheitsstaat, obwohl aus österreichischer Sicht österreichisches Recht Erbstatut war, § 28 Abs. 1 IPRG a.F. Ging auch das international zuständige Forum im Ausland von der Maßgeblichkeit österreichischen Erbrechts aus, war es möglich, dass die Erbberechtigten die Erbschaft nicht erwerben konnten, weil das Forum im Ausland die zwingend erforderliche Einantwortung der Erbschaft nicht kannte und daher nicht vornehmen konnte oder wollte.430 Aus Sicht des österreichischen materiellen Erbrechts kann jedoch ohne einen gerichtlichen Einantwortungsbeschluss die Erbschaft nicht auf die Erben übergehen.431 In einem solchen Fall drohte den Erbberechtigten daher Rechtsverweigerung zu widerfahren, weil sie ohne die Einantwortung ihr Erbe nicht antreten konnten. Mithin war die Durchsetzung ihres Erbrechts im Ausland unmöglich. Gestützt auf die Notzuständigkeit des 106 Abs. 1 Nr. 3 b) JN musste in solchen Fällen ein österreichisches Gericht die Einantwortung vornehmen.432 Indes machte nicht jede Kollision des österreichischen Erbrechts mit einer Rechtsordnung, die die Einantwortung nicht kannte, eine Notzuständigkeit erforderlich. Rechtsverweigerung drohte den Erben nur dann zu widerfahren, wenn die Einantwortung nicht durch einen ähnlichen Rechtsakt im Ausland substituiert werden konnte. In diesem Fall war es den Erben faktisch möglich, ihr Erbrecht durchzusetzen. Dabei konnte aus österreichischer Sicht die Einantwortung wirksam substituiert werden, wenn das ausländische Forum eine vergleichbare Entscheidung traf, mit der die Erben ihr Erbrecht im Ausland durchsetzen konnten.433 Darüber hinaus konnte die Durchsetzung des Erbrechts im Ausland auch dann möglich sein, wenn der ausländische Rechtsverkehr die Erbberechtigten auch ohne Einantwortung faktisch als Erben akzeptierte.434 Den Erben

429 Ludwig, ZEV 2005, 419, 420; Riering/Tersteegen, ZfRV 2006, 211, 212 m.w.N; Tersteegen, ZErb 2007, 339, 340. 430 Traar, in: Fasching/Konecny, § 106 JN Rn. 43; ähnlich Potyka, RZ 2005, 6, 8. 431 Traar, in: Fasching/Konecny, § 106 JN, Rn. 36; Schwimann, in: Rummel, ABGB, § 28 IPRG Rn. 8. So auch Mayer, in: MüKo BGB, 6. Auflage 2013, § 2369 BGB Rn. 38 ff. 432 Traar, in: Fasching/Konecny, § 106 JN Rn. 43; ähnlich Potyka, RZ 2005, 6, 8. 433 Traar, in: Fasching/Konecny, § 106 JN Rn. 42 und 46. 434 Vgl. die Fallgruppen bei Traar, in: Fasching/Konecny, § 106 JN Rn. 42; in Bezug auf

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drohte auch in einem solchen Fall keine Rechtsverweigerung zu widerfahren, weil das ausländische Forum auch ohne die an sich erforderliche Einantwortung dem Rechtsschutzbegehren der Erben vollumfänglich entsprach. Da die Erben kein Rechtsschutzinteresse en einer österreichischen Einantwortung mehr haben konnten, musste keine Notzuständigkeit nach § 106 Abs. 1 Nr. 3 b) JN eröffnet werden.

III. Sachlich notwendige Zuständigkeit Österreichs Vor allem in der österreichischen Literatur gibt es Stimmen, die in bestimmten Fallkonstellationen eine Notzuständigkeit Österreichs nach § 28 Abs. 1 Nr. 2 JN eröffnen wollen, ohne dass dem Kläger im konkreten Einzelfall Rechtsverweigerung zu widerfahren droht.435 So muss insbesondere nach der Ansicht Garbers für bestimmte Verfahren stets eine sachlich notwendige Zuständigkeit Österreichs bestehen, ohne dass es auf die Möglichkeit und Zumutbarkeit eines Auslandsverfahrens ankomme.436 Ähnlich wie in den zuvor untersuchten Rechtsordnungen betrifft dies Verfahren, in denen aufgrund der besonderen Nähe des Rechtsstreits oder des Streitgegenstandes zum österreichischen Inland eine Entscheidung eines österreichischen Gerichtes stets notwendig sei.437 Auch wenn keine ordentliche internationale Zuständigkeit Österreichs bestehe, müsse aufgrund des Verfahrensgegenstandes eine sachlich notwendige Zuständigkeit in Österreich eröffnet werden. So müsse etwa für Amtshaftungsansprüche aufgrund österreichischer Hoheitsmaßnahmen stets eine österreichische Zuständigkeit bestehen, auch wenn die Rechtsgutverletzung im Ausland eingetreten sei und die reguläre Zuständigkeitsanknüpfung versage.438 Das Gleiche gelte auch in Bezug auf in österreichischen Registern eingetragene Vermögensrechte.439 Denn auch hier betrifft die Streitigkeit die Ausübung von Hoheitsrechten, die nur im österreichischen Inland verhandelt werden könnten. Der OGH hat in solchen Fällen hingegen die österreichische Zuständigkeit mit der Vermeidung einer drohenden Rechtsverweigerung begründet, da ausländische Entscheidungen über solche Verfahrensgegenstände nicht in Österreich anerkannt und vollstreckt werden können.440 Der eigentliche

Deutschland auch OGH, 1.2.2005 – 6 Nc 1/05g; a.A.: Schwimann, in: Rummel, ABGB, § 28 IPRG Rn. 8 der stets eine österreichische Notzuständigkeit begründet sieht. 435 Garber, in: Fasching/Konecny, § 28 JN Rn. 87 ff. 436 Garber, in: Fasching/Konecny, § 28 JN Rn. 87 ff. 437 Garber, in: Fasching/Konecny, § 28 JN Rn. 87 ff. 438 Garber, in: Fasching/Konecny, § 28 JN Rn. 94 ff. insbesondere Rn 96. 439 Vgl. etwa: OGH, 25.8.1979 – 4 Nd 303/ 79, JBl 1980, 211; Garber, in: Fasching/ Konecny, § 28 JN Rn. 105; vgl. auch: Matscher, FS Schwind 78, 173, 188 ff. 440 OGH, 2.11.1998 – 1 Nd 16/98; OGH, 26.11.2003 – 1 Nc 73/03 f.

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Grund dieser Zuständigkeiten ist dabei die sachliche Notwendigkeit eines österreichischen Verfahrens. Denn der Verfahrensgegenstand macht schlicht die Erhältlichkeit von Rechtsschutz in Österreich erforderlich.441 Das Verfahren kann nur in Österreich geführt werden, da alles andere die völkerrechtliche Souveränität Österreichs verletzen würde. Dies hat aber gleichzeitig zur Folge, dass Verfahren in sämtlichen ausländischen Staaten, sofern sie ein solches Verfahren überhaupt zuließen, in Österreich nicht anerkannt werden könnten. Insoweit besteht zwischen der sachlich notwendigen Zuständigkeit Österreichs und der drohenden Rechtsverweigerung eine Verbindung: Ohne die österreichische Zuständigkeit droht dem Kläger Rechtsverweigerung zu widerfahren, weil sein Rechtsschutzbegehren nur durch eine Entscheidung eines österreichischen Gerichts befriedigt werden kann.

IV. Das maßgebliche Ausland Maßgeblich ist nach dem Wortlaut des § 28 Abs. 1 Nr. 2 JN, dass das Verfahren im Ausland unmöglich und unzumutbar ist. Dabei meint der Begriff des „Auslandes“ jedoch nicht, dass alle Staaten der Welt auf die Möglichkeit und Zumutbarkeit eines dortigen Verfahrens überprüft werden müssen. Ausreichend ist vielmehr, dass diejenigen Staaten, denen aus österreichischer Sicht eine „konkurrierende Jurisdiktion“442 zukommt, berücksichtigt werden.443 Maßgeblich ist, dass ein Verfahren in den Staaten unmöglich oder unzumutbar ist, die aus österreichischer Sicht nach § 407 Nr. 1 EO anerkennungszuständig sind.444 Dabei bestimmt sich die Anerkennungszuständigkeit auch in Österreich anhand einer spiegelbildlichen Anwendung der Vorschiften über die Entscheidungszuständigkeit Österreichs.445 Der OGH zeiht dagegen oftmals nur einen geringeren Prüfungsumfang heran: Er wägt die Möglichkeit der Rechtsverfolgung im Inland nur mit der Möglichkeit einer Rechtsverfolgung im Staat des (Wohn-) Sitzes des Beklagten ab.446 Aus der Entscheidung des OGH vom 15.12.2003 ergibt sich, dass auch dritte ausländische Staaten in Betracht zu ziehen sein können, in denen eine Entscheidung „verwertbar“ – im Sinne von vollstreckbar – wäre.447 441 Garber, in: Fasching/Konecny, § 28 JN Rn. 94 ff. insbesondere Rn 96; Matscher, FS Schwind 78, 173, 187. 442 Garber, in: Fasching/Konecny, § 28 JN Rn. 70. 443 Garber, in: Fasching/Konecny, § 28 JN Rn. 70; Schwimann, ÖZW 1984, 97, 107; Seber, ZfRV 1983, 270, 298. Fasching, Lehrbuch österreichisches Zivilprozessrecht, Rn. 78 spricht von einer ausreichenden Beziehung. 444 § 407 EO, i.d.F. vom 2.1.2017, BGBl. I 100/2016; zuvor § 80 EO in Kraft bis 1.1.2017. 445 Garber, in: Angst/Oberhammer, EO, § 80 EO Rn. 8. 446 Vgl. etwa: OGH, 27.4.1994 – 4 Nd 505/94 und OGH, 12.1.1995 – 7 Nd 511/94. Nachweise zur älteren Rechtsprechung bei: Garber, in: Fasching/Konecny, § 28 JN Rn. 70. 447 OGH, 15.12.2003 – 3 Nc 23/03t.

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V. Der ausreichende Bezug zu Österreich Zur Eröffnung einer österreichischen Notzuständigkeit setzt § 28 Abs. 1 Nr. 2 JN neben der Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit des Auslandsverfahrens voraus, dass der Kläger Österreicher ist oder seinen Wohnsitz, gewöhnlichen Aufenthalt oder Sitz in Österreich hat. Eine österreichische Notzuständigkeit wird daher nur dann eröffnet, wenn eine ausreichende Nähebeziehung des Rechtsstreits zur österreichischen Rechtsordnung besteht.448 Im Unterschied zu den anderen untersuchten Rechtsordnungen definiert § 28 Abs. 1 Nr. 2 JN selbst welche Anknüpfungsmomente eine solche ausreichende Verbindung herstellen können. Diese Konkretisierung wurde durch den Gesetzgeber 1997 eingeführt und löste die bis dahin geforderte hinreichende Nähbeziehung ab. Hierdurch wollte der Gesetzgeber nicht zuletzt die Rechtsicherheit erhöhen, da das Vorliegen der hinreichenden Nähebeziehung nur schwer zu bestimmen war.449 Das Gesetz arbeitet dabei ausschließlich mit personenbezogenen Anknüpfungsmomenten. Liegen diese nicht vor, kommt eine österreichische Notzuständigkeit nicht mehr in Betracht.450 Sachbezogene Verbindungen, wie etwa die Belegenheit von Vermögenswerten des Beklagten in Österreich, reichen deshalb nicht aus, um eine Notzuständigkeit in Österreich zu eröffnen.451 Nach Ansicht der österreichischen Lehre, ist dies jedoch auch nicht erforderlich, weil sachbezogene Verbindungen zur österreichischen Rechtsordnung regelmäßig Anknüpfungsmoment einer ordentlichen Zuständigkeit Österreichs sind.452 Bei solchen Verbindungen ist Österreich daher ohnehin international zuständig. Insoweit kommen im Rahmen der Notzuständigkeit von vornherein nur personenbezogenen Anknüpfungsmomente für die Begründung einer ausreichenden Nähebeziehung in Betracht. Diese reichen aus, um in sämtlichen Fällen, in denen eine Nähebeziehung zu Österreich besteht, die Letztverantwortlichkeit der österreichischen Justiz sicherzustellen.453 Ganz grundsätzlich ist diese Beschränkung der Ausübung der österreichischen Justiz auf Fälle, die einen bestimmten Inlandsbezug zu Österreich aufweisen, auch mit dem Anspruch auf Justizgewährung des Art. 6 Abs. 1 EMRK und Art. 47 Abs. 2 EuGRCh vereinbar, da diese keine weltweite Justizgewährungspflicht vorschreiben.454 448

Burgstaller/Neumayr, FS Schlosser, 119, 131. ErläutRV 898 BlgNR XX. GP 34. 450 OGH, 17.10.2008 – 3 Nc 66/08y; Garber, in: Fasching/Konecny, § 28 JN Rn. 61. 451 Garber, in: Fasching/Konecny, § 28 JN Rn. 64. 452 Garber, in: Fasching/Konecny, § 28 JN Rn. 64. Dazu besteht auch noch die Möglichkeit, dass ein vereinbarter Gerichtsstand (§§ 88, 104 JN) gegeben ist. 453 Garber, in: Fasching/Konecny, § 28 JN Rn. 64. 454 Garber, in: Fasching/Konecny, § 28 JN Rn. 65; Matscher, öZÖR 31 (1980), 1, 19 ff. Hinsichtlich der gewählten Anknüpfungsmomente der Notzuständigkeit, insbesondere 449

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VI. Ausschluss der Ordination trotz drohender Rechtsverweigerung Nach ständiger Rechtsprechung des OGH ist eine Ordination, trotz Vorliegens der Tatbestandsvoraussetzungen des § 28 Abs. 1 Nr. 2 JN, dann nicht vorzunehmen, wenn eine inländische Entscheidung mangels vollstreckbaren Vermögens in Österreich oder einem anderen Staat, in dem die Entscheidung anerkannt und vollstreckt werden könnte, nicht möglich ist.455 Teilweise fordert er sogar, dass eine Vollstreckung im Inland vom Kläger beabsichtigt sein muss.456 Hiermit will der OGH sicherstellen, dass ein Verfahren auch der Durchsetzung der Forderung des Klägers und der Rechtsdurchsetzung dient und das Ergebnis eines Verfahrens in Österreichs nicht nur eine „wertlose“ Sachentscheidung ist.457 In der Literatur ist diese Herangehensweise des OGH jedoch auf Kritik gestoßen:458 Einerseits findet sich für diese zusätzliche Voraussetzung für die Eröffnung einer Notzuständigkeit keine Stütze im Wortlaut des § 28 Abs. 1 Nr. 2 JN.459 Andererseits wird ins Feld geführt, dass das österreichische Verfahrensrecht auch sonst die Zulässigkeit von Erkenntnisverfahren nicht von der tatsächlich gesicherten Möglichkeit der Vollstreckung abhängig macht. Viele Titel bleiben in dieser Hinsicht „wertlos“, wenn der Schuldner tatsächlich über kein Vermögen verfügt, in das vollstreckt werden kann.460 Es kann aber nicht ausgeschlossen werden, dass der Schuldner in Zukunft Vermögen in Österreich erlangen wird, in das vollstreckt werden könnte.461 Vor diesem Hintergrund ist eine derartige Begrenzung, auch wenn sie der Prozessökonomie dient, nicht sachgerecht.

der österreichischen Staatsbürgerschaft, bestehen jedoch bedenken, ob diese mit dem europäischen Diskriminierungsverbot vereinbar sind, vgl. hierzu Mayr, JBl 2001, 144, 159; Matscher, JBl 1998, 488, 494; Simotta, FS Schütze, 831, 848. Die Erläuterungen der Regierungsvorlage halten diese Beschränkung hingegen ausdrücklich für mit europäischen Vorschriften vereinbar: ErläutRV 898 BlgNR XX. GP 34. Für den Gegenstand dieser Untersuchung ist diese Frage allerdings nicht von Bedeutung. 455 OGH, 23.9.1987 – 3 Nd 509/87, JBl 1988, 322; OGH, 13.1.1988 – 3 Nd 511/87, JBl ,1988, 323; OGH, 31.1.1989 – 5 Nd 501/89; OGH 13.4.1989 – 6 Nd 503/89; OGH, 27.4.1989 – 7 Nd 504/89; OGH, 28.8.2000 – 9 Nd 509/00; OGH, 16.5.2002 – 6 Nd 512/01; ähnlich auch: OGH, 4.12.2014 – 10 Nc 28/14w; weiter Nachweise bei Garber, in: Fasching/Konecny, § 28 JN Rn. 79. 456 OGH, 9.2.2010 – 8 Nc 27/09a. 457 OGH, 13.1.1988 – 3 Nd 511/87, JBl ,1988, 323; OGH 13.4.1989 – 6 Nd 503/89; OGH, 27.4.1989 – 7 Nd 504/89; OGH, 16.5.2002 – 6 Nd 512/01; OGH, 14.4.2004 – 2 Nc 11/04x; vgl. auch: RIS-Justiz RS0046593. 458 Czernich, JBl 2002, 613, 617; Garber, in: Fasching/Konecny, § 28 JN Rn. 79. 459 Czernich, JBl 2002, 613, 617; Garber, in: Fasching/Konecny, § 28 JN Rn. 79. 460 Czernich, JBl 2002, 613, 617; Garber, in: Fasching/Konecny, § 28 JN Rn. 79. 461 Czernich, JBl 2002, 613, 617; Garber, in: Fasching/Konecny, § 28 JN Rn. 79.

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1. Teil: Das forum necessitatis in den nationalen Zuständigkeitsordnungen

VII. Rechtsfolge des § 28 Abs. 1 Nr. 2 JN Sofern die Voraussetzungen des § 28 Abs. 1 Nr. 2 JN vorliegen, sind nach § 28 Abs. 2 JN keine weiteren Voraussetzungen zu stellen.462 Der OGH hat in diesen Fällen ein Notforum im Wege der Ordination zu bestimmen. Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 28 JN steht dem OGH deshalb kein weiterer Ermessensspielraum zu Verfügung. Sofern die Voraussetzungen vorliegen, muss er ein zuständiges Gericht bestimmen. Auch im Rahmen der Notzuständigkeit nach 106 Abs. 1 Nr. 3 b) JN besteht kein Ermessensspielraum österreichischer Gerichte. Außerdem ist zu berücksichtigen, dass ein späterer Wegfall der hier dargestellten Voraussetzungen nicht zu einem Verlust der internationalen Zuständigkeit Österreichs führt. Es gilt auch hier der Grundsatz der perpetuatio fori nach § 29 JN.463

D. Schweiz Zur Vermeidung einer dem Kläger drohenden Rechtsverweigerung eröffnet auch das Schweizer Recht eine internationale Notzuständigkeit.464 Wie in Österreich enthält das schweizerische Recht hierfür einen gesetzlich normierten Zuständigkeitsgrund, Art. 3 IPRG.465 Die Notzuständigkeit nach Art. 3 IPRG ist eine „Not- und Ausweichklausel“, um das Auftreten von Rechtsverweigerung im internationalen Rechtsverkehr zu verhindern.466 Die Vorschrift begründet eine internationale Zuständigkeit schweizerischer Gerichte und Behörden an dem Ort, mit dem der Sachverhalt einen genügenden Zusammenhang aufweist, wenn das IPRG ansonsten keine Zuständigkeit in der Schweiz vorsieht und ein Verfahren im Ausland nicht möglich oder unzumutbar ist. Eine Notzuständigkeit nach Art. 3 IPRG kann sowohl in kon-

462

Siehe hierzu auch: Garber, in: Fasching/Konecny, § 28 JN Rn. 84. Garber, in: Fasching/Konecny, § 28 JN Rn. 85. 464 Berti/Droese, in: Basler Kommentar IPRG, Art. 3 Rn. 7; Bucher, in: Commentaire Romand LDIP, Art. 3 Rn. 8; Müller-Chen, in: Zürcher Kommentar IPRG, Art. 3 Rn. 1. 465 Bundesgesetz über das Internationale Privatrecht vom 18.12.1987, (IPRG; SR 291), AS 1988, 1776. Art. 3 IPRG lautet: „Sieht dieses Gesetz keine Zuständigkeit in der Schweiz vor und ist ein Verfahren im Ausland nicht möglich oder unzumutbar, so sind die schweizerischen Gerichte oder Behörden am Ort zuständig, mit dem der Sachverhalt einen genügenden Zusammenhang aufweist.“ 466 Bundesgesetz über das internationale Privatrecht (IPR-Gesetz). Schlussbericht der Expertenkommission zum Gesetzesentwurf, 45, 312; Volken, in: Zürcher Kommentar IPRG 2004, Art. 3 Rn. 4. 463

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tradiktorischen Verfahren als auch in Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit des Schweizer Rechts eröffnet werden.467 Neben der Notzuständigkeit kennt das IPRG noch weitere Zuständigkeiten, die einen internationalen Gerichtsstand in der Schweiz eröffnen, wenn ein Verfahren im Ausland unmöglich oder unzumutbar ist. Hierbei handelt es sich um sogenannte Heimatzuständigkeiten, wie etwa Art. 47, 60, 67, 76 IPRG. Diese Zuständigkeiten bezwecken den Schutz von Auslandsschweizern vor ausländischen Verfahren auf den sensiblen Rechtsgebieten des Familien- und Erbrechts.468 Um diesen Schweizern den Zugang zu den eidgenössischen Gerichten zu erleichtern, wird bei diesen Zuständigkeiten die Unzumutbarkeit der Rechtsverfolgung im Ausland weit ausgelegt, ohne dass es dabei auf die Gefahr einer drohenden Rechtsverweigerung ankommt.469 Diese Zuständigkeiten dienen dem Schutz der eigenen Bürger im Ausland und nicht der Abwendung einer dem Kläger drohenden Rechtsverweigerung.470 Sie stehen daher in einem anderen Zusammenhang als die Notzuständigkeit nach Art. 3 IPRG und sind daher für die vorliegende Untersuchung auch nicht von Bedeutung. Aus Art. 3 IPRG lassen sich drei Voraussetzungen herleiten, die kumulativ vorliegen müssen, um eine internationale Notzuständigkeit der Gerichte und Behörden der Schweiz bejahen zu können:471 Zunächst darf die Schweiz nicht bereits aufgrund anderer Zuständigkeitsgründe international zuständig sein, wobei neben dem IPRG auch Staatsverträge, wie das Luganer Übereinkommen472 zu berücksichtigen sind.473 Zweite Voraussetzung ist die Unzumutbarkeit oder Unmöglichkeit der Rechtsverfolgung im Ausland und dritte und letzte Voraussetzung ist ein ausreichender Zusammenhang des Sachverhaltes zur Schweiz. 467

Müller-Chen, in: Zürcher Kommentar IPRG, Art. 3 Rn. 9. Bucher, in: Commentaire Romand LDIP, Art. 3 Rn. 8; Müller-Chen, in: Zürcher Kommentar IPRG, Art. 3 Rn. 18; Volken, in: Zürcher Kommentar IPRG 2004, Art. 3 Rn. 27; Westenberg, Staatsangehörigkeit im Schweizerischen IPRG, 95. 469 Bucher, in: Commentaire Romand LDIP, Art. 3 Rn. 8; Westenberg, Staatsangehörigkeit im Schweizerischen IPRG, 97. 470 Berti/Droese, in: Basler Kommentar IPRG, Art. 3 Rn. 7; Bucher, in: Commentaire Romand LDIP, Art. 3 Rn. 8; Müller-Chen, in: Zürcher Kommentar IPRG, Art. 3 Rn. 19 f; Volken, in: Zürcher Kommentar IPRG 2004, Art. 3 Rn. 30. 471 BGer. 22.5.2007 – 4 C.379/ 2006 E.3.3; Kren Kostkiewicz, IPRG/LügÜ Kommentar, Art. 3 IPRG Rn. 4; Volken, in: Zürcher Kommentar IPRG, Art. 3 Rn. 4. 472 Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (Lugano-Übereinkommen, LugÜ; SR 0.275.12), AS 2010, 5609. 473 BGer Urt. v. 5. 3 1991, SJ 113 (1991), 457, 464 ff., E. 5; Obergericht Aargau, 27.9.1995, SJZ 1996, 470; Berti/Droese, in: Basler Kommentar IPRG, Art. 3 Rn. 2a f.; Kren Kostkiewicz, IPRG/LügÜ Kommentar, Art. 3 IPRG Rn. 3; Müller-Chen, in: Zürcher Kommentar IPRG, Art. 3 Rn. 6; Volken, in: Zürcher Kommentar IPRG 2004, Art. 3 Rn. 9. 468

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1. Teil: Das forum necessitatis in den nationalen Zuständigkeitsordnungen

Da nur die letzten beiden Voraussetzungen für den Gegenstand der vorliegenden Untersuchung relevant sind, beschränken sich die weiteren Ausführungen hierauf. Den Gegenstand der nachfolgenden Darstellung bilden daher vor allem die Ausführungen der eidgenössischen Rechtsprechung und Literatur zu den Gründen der Unmöglichkeit und Unzumutbarkeit im Rahmen des Art. 3 IPRG und welche Anforderungen sie an den ausreichenden Forumsbezug des Sachverhalts zur Schweiz stellen. Zudem soll auch untersucht werden, welche Staaten bei der Überprüfung der Möglichkeit und Zumutbarkeit eines Auslandsverfahrens zu berücksichtigen sind.

I. Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit der Rechtsverfolgung im Ausland Die Eröffnung einer Notzuständigkeit nach Art. 3 IPRG setzt voraus, dass die Rechtsverfolgung im Ausland unmöglich oder unzumutbar ist. Auch im eidgenössischen Recht umschreiben diese beiden Begriffe dabei die Gefahr einer drohenden Rechtsverweigerung.474 Eine Notzuständigkeit ist nur, aber stets dann zu eröffnen, wenn dem Kläger ansonsten eine Rechtsverweigerung zu widerfahren droht.475 Diese Funktion des Art. 3 IPRG als „Not- und Ausweichklausel“476 erfordert daher, die Tatbestandsvoraussetzungen der Unmöglichkeit und Unzumutbarkeit restriktiv auszulegen.477 Ein Verfahren im Ausland ist erst dann unmöglich oder unzumutbar, wenn dem Kläger dort Rechtsverweigerung droht. Im Nachfolgenden werden die einzelnen Fallgruppen erörtert, die aus Sicht des eidgenössischen Rechts ein Verfahren unmöglich oder unzumutbar machen können.

474 Vgl. Berti/Droese, in: Basler Kommentar IPRG, Art. 3 Rn. 7; Bucher, in: Commentaire Romand LDIP, Art. 3 Rn. 8; Müller-Chen, in: Zürcher Kommentar IPRG, Art. 3 Rn. 20; Volken, in: Zürcher Kommentar IPRG 2004, Art. 3 Rn. 30. 475 Berti/Droese, in: Basler Kommentar IPRG, Art. 3 Rn. 7; Brandenberg Brandl, Direkte Zuständigkeit der Schweiz im internationalen Schuldrecht, 208; a.A. aber de lege ferrenda zustimmend: Othenin-Girard, SZIER 1999, 251, 270. Die leicht a.A. beruht wohl auf einem Missverständnis der Autoren, da beide die gleiche Einschränkung durch den ausreichenden Zusammenhang des Sachverhaltes mit der Schweiz anerkennen. 476 Volken, in: Zürcher Kommentar IPRG 2004, Art. 3 Rn. 4. 477 BGer, 22.5.2007 – 4C.379/2006 E 3.4; Obergericht Zürich, 27.8.1990, ZR 89 (1990), Nr. 65, S. 139; Brandenberg Brandl, Direkte Zuständigkeit der Schweiz im internationalen Schuldrecht, 208; Buhr/Gabriel/Schramm, in: Handkommentar Schweizer Privatrecht IPRG, Art. 3 Rn. 2; Dutoit, in: Droit international prive´ suisse, Art. 3 LDIP Rn. 5; MüllerChen, in: Zürcher Kommentar IPRG, Art. 3 Rn. 3; Volken, in: Zürcher Kommentar IPRG 2004, Art. 3 Rn. 4; a.A. aber im Ergebnis gleich: Berti/Droese, in: Basler Kommentar IPRG, Art. 3 Rn. 7.

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1. Unmöglichkeit der Rechtsverfolgung Wie auch in den anderen untersuchten Rechtsordnungen ist im eidgenössischen Recht die Rechtsverfolgung im Ausland unmöglich, wenn das Verfahren im Ausland schlicht nicht eingeleitet werden kann. Weil das Rechtsschutzbegehren des Klägers in einem solchen Fall keine Entscheidung in der Sache erfahren kann, droht dem Kläger Rechtsverweigerung zu widerfahren. In der Schweiz kommen als Ursache der Unmöglichkeit drei Konstellationen in Betracht. Unmöglich ist ein Verfahren im Ausland, wenn ein negativer internationaler Kompetenzkonflikt auftritt, wenn es zwar ein zuständiges Forum gibt, der begehrte Rechtsschutz in diesem aber nicht erhältlich ist und zuletzt, wenn das ausländische Forum den Kläger rechtlos gestellt hat.478 Im Nachfolgenden werden diese Fallgruppen für das Schweizer Recht genauer dargestellt. a) Fehlen eines international zuständigen Forums Die Eröffnung eines Notgerichtsstandes nach Art. 3 IPRG kommt in Betracht, wenn eine Klage im Ausland unmöglich ist, da eine „rechtsgenügliche Beziehung zum betreffenden ausländischen Staat fehlt“.479 Hiermit sind Fälle gemeint, in denen schlicht kein international zuständiges Forum gefunden werden kann, da diejenigen Staaten, zu denen der Rechtsstreit eine Verbindung aufweist, keine internationale Zuständigkeit zur Verfügung stellen. Der negative internationale Kompetenzkonflikt macht die Rechtsverfolgung im Ausland unmöglich.480 In mehreren Urteilen eidgenössischer Gerichte lassen sich die Ursachen eines negativen internationalen Kompetenzkonfliktes auf dem Gebiet des internationalen Erbrechts nachverfolgen. Das Obergericht Zürich eröffnete im Beschluss vom 1. Februar 1990 eine Notzuständigkeit für die Testamentseröffnung eines verstorbenen Briten mit letztem Wohnsitz in Italien. Das Testament behandelte den Nachlass des Erblassers in der Schweiz und Luxemburg.481 Die Testamentseröffnung war im Ausland aufgrund eines negativen internationalen Kompetenzkonfliktes unmöglich: An den letzten Wohnsitz des Verstorbenen nach Art. 86 Abs. 1 IPRG anknüpfend waren aus

478

Vgl. Volken, in: Zürcher Kommentar IPRG 2004, Art. 3 Rn. 17; Berti/Droese, in: Basler Kommentar IPRG, Art. 3 Rn. 8. Ähnlich Müller-Chen, in: Zürcher Kommentar IPRG, Art. 3 Rn. 11 ff. 479 Volken, in: Zürcher Kommentar IPRG 2004, Art. 3 Rn. 17. Ähnlich Müller-Chen, in: Zürcher Kommentar IPRG, Art. 3 Rn. 13. 480 Siehe hierzu: Buhr/Gabriel/Schramm, in: Handkommentar Schweizer Privatrecht IPRG, Art. 3 Rn. 5; Othenin-Girard, SZIER 1999, 251, 273; Schwander, Einführung IPR, Rn. 629. 481 Obergericht Zürich, 1.2.1990, ZR 89 (1990), Nr. 4, S. 7 ff.

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1. Teil: Das forum necessitatis in den nationalen Zuständigkeitsordnungen

Schweizer Sicht die italienischen Gerichte international zuständig. Das italienische Zuständigkeitsrecht verwies die Testamentseröffnung an den englischen Heimatgerichtsstand des Erblassers, welcher jedoch die Ausübung der Zuständigkeit für Nachlasswerte außerhalb des eigenen Hoheitsgebietes ablehnte, sodass es zu einer zuständigkeitsrechtlichen Nachlassspaltung kam („scission“).482 Eine internationale Zuständigkeit luxemburgischer Gerichte für die Eröffnung des Testaments war ebenfalls nicht gegeben, da allein der Belegenheitsort der (beweglichen) Vermögenswerte dort keinen Anknüpfungsmoment erfüllte.483 Das Obergericht Zürich nahm daher die internationale Zuständigkeit der Schweiz für die Eröffnung des gesamten Testaments an, „wenn nicht nach Art. 88 Abs. 1 IPRG, nach Art. 3 IPRG“484, wobei die Belegenheit von Teilen des Nachlasses in der Schweiz als ausreichende Verbindung zur Schweiz angesehen wurde. Die Notzuständigkeit diente in diesem Fall der Erweiterung der Schweizerischen Zuständigkeit:485 Die Zuständigkeit nach Art. 88 Abs. 1 IPRG eröffnete eine eidgenössische Zuständigkeit für das Nachlassvermögen, das sich in der Schweiz befand.486 Für das Nachlassvermögen außerhalb der Schweiz bestand aufgrund dieser Vorschrift keine Zuständigkeit der Schweiz.487 In Bezug auf die in Luxemburg belegenen beweglichen Nachlasswerte, für die sich kein international zuständiges Forum finden ließ, konnte deshalb nur mittels einer Notzuständigkeit mitentschieden werden.488 Ähnlich verhielt es sich im Urteil vom 26. Februar 1992 des Obergericht Zürich.489 Es sollte über den in der Schweiz, London und Liechtenstein belegenen Nachlass eines in London verstorbenen Irakers ein Erbschein ausgestellt werden. In Bezug auf den in der Schweiz und Liechtenstein belegenen Nachlass ergab sich die Unzuständigkeit des englischen Forums für Nachlasswerte außerhalb des eigenen Hoheitsgebietes. Und auch für die Nachlasswerte im Hoheitsgebiet Großbritanniens war nach Ansicht des Obergerichtes kein englisches Forum erhältlich: Nach schweizerischem Rechtsverständnis 482 Zu der Ausübung der Zuständigkeit für Eigentum außerhalb der englischen Jurisdiktion und der Nachlassspaltung: Torremans/Fawcett, Cheshire, North & Fawcett Private International Law, 484, 1330 ff. m.w.N. 483 Obergericht Zürich, 1.2.1990, ZR 89 (1990), Nr. 4, S. 7, 9. 484 Obergericht Zürich, 1.2.1990, ZR 89 (1990), Nr. 4, S. 7, 9. 485 Schnyder/Liatowitsch, in: Basler Kommentar IPRG, Art. 88 Rn. 10. Diese Funktion der Notzuständigkeit anerkennend, auch wenn im konkreten Fall keine Notzuständigkeit eröffnet wurde: BGer, 28.11.2013 – 5A 264/2013, E 3.3.1. 486 Schnyder/Liatowitsch, in: Basler Kommentar IPRG, Art. 88 Rn. 2. 487 Schnyder/Liatowitsch, in: Basler Kommentar IPRG, Art. 88 Rn. 9 f. 488 A.A.: Siehr, IPR der Schweiz, § 34 III. 2. g), der eine Zuständigkeit aufgrund der Belegenheit der Immobilien beruft, dabei jedoch verkennt, dass sich das Urteil des Obergerichtes mit beweglichen Vermögenswerten befasste. 489 Obergericht Zürich, 26.2.1992, ZR 90 (1991), Nr. 89, S 289 f.

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hatte der Erblasser seinen gewöhnlichen Aufenthalt – in Ermangelung eines Wohnsitzes – nach Art. 20 Abs. lit. b) IPRG in Großbritannien. Ob der Erblasser jedoch auch sein „domicile“ in London begründet hatte, wonach sich die Zuständigkeit eines englischen Gerichts für die Erteilung eines Erbscheins richtete, konnte nicht geklärt werden. Möglich schien vor allem, dass die englischen Gerichte das „domicile“ des Irakers in der Schweiz oder im Irak verorteten. Da jedoch der Erblasser als Flüchtling den Irak verlassen hatte, kam aus Sicht der Schweiz ein Verfahren im Irak nicht mehr in Betracht, da die internationale Zuständigkeit in einem solchen Fall nicht mehr an die Staatsangehörigkeit angeknüpft werden kann, Art. 24 Abs. 3 IPRG. In der Folge lag ein negativer internationaler Kompetenzkonflikt vor, da sich für die Nachlasswerte in Liechtenstein und England kein zuständiges Forum finden ließ. Aus diesem Grund sah sich das Obergericht Zürich nach Art. 88 Abs. 1 IPRG für die in der Schweiz belegenen Nachlasswerte für international zuständig und darüber hinaus mittels der Notzuständigkeit nach Art. 3 IPRG auch für die Nachlasswerte in Liechtenstein und England, sodass ein einheitlicher Erbschein über den gesamten Nachlass ausgestellt werden konnte.490 Auch außerhalb des Erbrechts sind derartige Kompetenzkonflikte aufgetreten, wie eine sorgerechtliche Entscheidung des Obergericht Luzern vom 2. April 1993 aufzeigt.491 Der Schweizer Kläger mit Wohnsitz in den USA begehrte die Zuweisung der elterlichen Sorge für die gemeinsam mit der beklagten Mutter in Japan lebende Tochter, unter Abänderung des früheren Scheidungsurteils. Die aus Schweizer Sicht zuständigen japanischen Gerichte am gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes lehnten ihre internationale Zuständigkeit ab. Aus Sicht des japanischen Rechts war für die Urteilsabänderung ausschließlich der Erlassstaat zuständig. Auch in den USA ergab sich keine Zuständigkeit, da der Kläger zum Zeitpunkt der Klageerhebung seinen Wohnsitz noch in Luzern hatte. Dem Kläger drohte daher aufgrund eines negativen internationalen Kompetenzkonfliktes Rechtsverweigerung zu widerfahren, weshalb das Obergericht Luzern eine Notzuständigkeit nach Art. 3 IPRG eröffnete.492 In all diesen Fällen sind die negativen internationalen Kompetenzkonflikte dadurch entstanden, dass die beteiligten Zuständigkeitsordnungen unterschiedliche Anknüpfungsmomente verwendeten und so jeder beteiligte Staat einen anderen für (ausschließlich) zuständig hielt. In den ersten beiden Fällen bestand der Kompetenzkonflikt in Bezug auf die beweglichen Nach490

Obergericht Zürich, 26.2.1992, ZR 90 (1991), Nr. 89, S. 289 f. Obergericht Luzern, 2.4.1993, ZBJV 131 (1995), 48 f. 492 Siehr, IPR der Schweiz, § 34 IV. 1. a); Volken, in: Zürcher Kommentar IPRG 2004, Art. 3 Rn. 13 kritisieren diese Entscheidung, da die Schweiz bereits aufgrund Art. 85 Abs. 2 IPRG a.F. und Art. 4 MSA international zuständig gewesen sein soll. 491

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1. Teil: Das forum necessitatis in den nationalen Zuständigkeitsordnungen

lasswerte außerhalb der Schweiz. Für diese ließ sich aufgrund einer Kollision vieler verschiedener Anknüpfungsmomente kein international zuständiges Forum finden. Auch im letzten Fall wurde der Kompetenzkonflikt dadurch ausgelöst, dass die Schweiz die Zuständigkeit zur Abänderung des Urteils an den gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes anknüpfte, während das japanische Recht den Erlassstaat des Urteils, das abgeändert werden sollte, für ausschließlich zuständig hielt. b) Nicht-Erhältlichkeit des nach Schweizer Recht notwendigen Rechtsschutzes Auch im Schweizer Recht besteht weitestgehend Einigkeit, dass Unmöglichkeit auch dann gegeben ist, wenn sich im Ausland ein zuständiges Forum finden lässt, eine entsprechende Klage in diesem Forum aber nicht möglich ist.493 Hiergegen wendet sich ausdrücklich nur Bucher mit der Begründung, dass es nicht Sinn und Zweck der Notzuständigkeit sei, dem Kläger dasjenige in der Schweiz zu gewähren, was er im Ausland nicht bekommen kann.494 Zur Begründung führt er eine Entscheidung des Obergericht Zürich vom 27. August 1990 an, in der das Gericht eine Schweizerische Notzuständigkeit für einen Scheidungsantrag einer Deutschen abgelehnt hat, weil diese hiermit nur die einjährige Scheidungsfrist des deutschen Rechts umgehen wollte.495 Aus diesem Fall wird aber ersichtlich, dass es sich bei der von Bucher und auch Othenin-Girard behandelten Fallgruppe um etwas Anderes handelt.496 Diese Autoren thematisieren die Frage, ob Rechtsverweigerung durch die Anwendung eines nachteiligen Sachrechts im ausländischen Forum hervorgerufen werden kann. Der Gang vor das deutsche Forum war für die Klägerin nur nachteilhaft, weil die Klägerin die im deutschen Recht vorgeschrieben Trennungszeit hätte abwarten müssen. Ob und inwieweit einem Kläger aufgrund einer anderen Rechtslage im Ausland Rechtsverweigerung zu widerfahren drohen kann, ist jedoch eine andere Frage, die an anderer Stelle zu behandeln ist.497 493 Berti/Droese, in: Basler Kommentar IPRG, Art. 3 Rn. 8; Müller-Chen, in: Zürcher Kommentar IPRG, Art. 3 Rn. 14; Volken, in: Zürcher Kommentar IPRG 2004, Art. 3 Rn. 17. ähnlich Buhr/Gabriel/Schramm, in: Handkommentar Schweizer Privatrecht, Art. 3 IPRG Rn. 6; anerkennend: BGer, 1.2.2002 – 4C.189/2001, E 5g; Re´tornaz/Volders, Rev. crit. DIP 2008, 225, 245: L’incompatibilite´ des syste`mes juridiques; a.A.: Bucher, in: Commentaire Romand LDIP, Art. 3 Rn. 7. 494 Bucher, in: Commentaire Romand LDIP, Art. 3 Rn. 7, der gleichwohl ohne nähere Begründung eine Notzuständigkeit eröffnen will, wenn das ausländische Forum die Klage nach § 85a SchKG nicht kennt. Siehe hierzu Teil 1 D. II. 495 Obergericht Zürich, 27.8.1990, ZR 89 (1990), Nr. 65, S. 139. 496 Bucher, in: Commentaire Romand LDIP, Art. 3 Rn. 7; Othenin-Girard, SZIER 1999, 251, 273 f. 497 Siehe hierzu Teil 1 D. I. 2. f).

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Die hier interessierenden Fälle zeichnet vielmehr aus, dass ein vom anwendbaren Schweizer Sachrecht benötigter Rechtsschutz im international zuständigen Forum nicht oder nicht in der für das Schweizer Recht benötigten Form erhältlich ist.498 Dieser Rechtsschutz kann im ausländischen Forum nicht gewährt werden, weil das schweizerische Rechtsinstitut, für das das Verfahren den Rechtsschutz bietet, dem ausländischen Forum unbekannt ist und es deshalb kein Verfahren hierfür vorsieht.499 Das Forum lehnt es daher aus prozessualen Gründen ab, überhaupt eine Sachentscheidung zu treffen. Will oder kann das ausländische Forum deshalb die Sachentscheidung nicht oder nicht in der für das schweizerische Recht benötigten Form vornehmen, besteht die Gefahr einer Rechtsverweigerung.500 Insbesondere in der eidgenössischen Rechtsprechung zur Abkürzung der 300-tägigen Wartefrist für Frauen nach der Ehescheidung gemäß Art. 103 Abs. 3 ZGB a.F501 lässt sich das Problem derartiger Kollisionen nachvollziehen.502 Die Frauenwartefrist war eine vom ordre public erfasste zwingende Bestimmung des Schweizer Rechts, die bei jeder Eheschließung in der Schweiz einzuhalten war.503 In den beiden hier interessierenden Entscheidungen des Bezirksgerichts Laufenberg vom 20. März 1989 und des Obergericht Aargau vom 27. September 1995 musste eine Notzuständigkeit in der Schweiz eröffnet werden, weil die an sich international zuständigen Foren das Rechtsinstitut der Frauenwartefrist nicht kannten und deshalb kein Verfahren für deren Abkürzung zur Verfügung stellten. Die Abkürzung der Frauenwartefrist durch einen ausländischen Richter war daher unmöglich.504 Ohne die vom eidgenössischen Sachrecht vorgesehen Entscheidung wäre es 498

Berti/Droese, in: Basler Kommentar IPRG, Art. 3 Rn. 8; Müller-Chen, in: Zürcher Kommentar IPRG, Art. 3 Rn. 14; Volken, in: Zürcher Kommentar IPRG 2004, Art. 3 Rn. 17; ähnlich Buhr/Gabriel/Schramm, in: Handkommentar Schweizer Privatrecht, Art. 3 IPRG Rn. 6; prinzipiell anerkennend BGer, 1.2.2002 – 4C.189/2001, E 5g. 499 Berti/Droese, in: Basler Kommentar IPRG, Art. 3 Rn. 8; Müller-Chen, in: Zürcher Kommentar IPRG, Art. 3 Rn. 14; Volken, in: Zürcher Kommentar IPRG 2004, Art. 3 Rn. 19; so auch Re´tornaz/Volders, Rev. crit. DIP 2008, 225, 242 und 245: L’incompatibilite´ des syste`mes juridiques. 500 Berti/Droese, in: Basler Kommentar IPRG, Art. 3 Rn. 8; Müller-Chen, in: Zürcher Kommentar IPRG, Art. 3 Rn. 14; insbesondere Re´tornaz/Volders, Rev. crit. DIP 2008, 225, 242 und 245; Volken, in: Zürcher Kommentar IPRG 2004, Art. 3 Rn. 19. 501 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 (ZGB; AS 24 233) in der bis zum 1. Januar 2000 gültigen Fassung. 502 Bezirksgericht Laufenberg AG, 20.3.1989, ZZW 5 (1989), 129 ff.; Obergericht Aargau, 27.9.1995, SJZ 92 (1996), 470. 503 Bezirksgericht Laufenberg AG, 20.3.1989, ZZW 5 (1989), 129 ff.; Obergericht Aargau, 27.9.1995, SJZ 92 (1996), 470; Volken, in: Zürcher Kommentar IPRG 2004, Art. 3 Rn. 20. 504 Bezirksgericht Laufenberg AG, 20.3.1989, ZZW 5 (1989), 129 ff.; Obergericht Aargau, 27.9.1995, SJZ 92 (1996), 470.

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den Gesuchstellerinnen jedoch nicht möglich gewesen, in der Schweiz vor Ablauf der Wartefrist eine neue Ehe einzugehen. Weil der vom eidgenössischen Recht vorgesehene Rechtsschutz zur Abkürzung der Frist im Ausland nicht zu erhalten war, drohte den Frauen daher Rechtsverweigerung zu widerfahren. Um diese abzuwenden, eröffneten beide Gerichte eine Notzuständigkeit in der Schweiz und kürzten die Wartefrist ab. Auch in anderen Fällen hat sich die Möglichkeit solcher Kollisionen aufgezeigt. So ist es möglich, dass in der Schweiz eingetragene Partner im Ausland die im Schweizer Recht vorgesehen Auflösung der Partnerschaft nicht erhalten können. Für solche Kollisionen enthält Art. 65b IPRG sogar eine besondere Notzuständigkeit eidgenössischer Gerichte, die lex specialis zu Art. 3 IPRG ist.505 Verursacht wird die drohende Rechtsverweigerung in diesen Fällen dadurch, dass das ausländische Verfahrensrecht für die Auflösung einer Partnerschaft kein Verfahren vorsieht, weil das Rechtsinstitut der eingetragenen Partnerschaft dem Forum unbekannt ist.506 Das Rechtsschutzbegehren der Partner, nämlich die Auflösung der Partnerschaft, erfährt daher keine Befriedigung durch eine Sachentscheidung. Aus diesem Grund bedarf es einer Schweizer Notzuständigkeit nach Art. 65b IPRG. c) Rechtlosstellung des Klägers Sofern sich zwar ein international zuständiges Forum im Ausland finden lässt, dieses aber ausländische Staatsangehörige als Jurisdiktionsfrei ansieht und solchen Staatsangehörigen generell den Zugang zu den Gerichten verwehrt, liegt ebenfalls Unmöglichkeit i.S.v. Art. 3 IPRG vor.507 Aus der Rechtsprechung lassen sich indes keine Nachweise einer so bedingten Unmöglichkeit eines Verfahrens im Ausland finden. Wie Bucher ausführt, sind diese Fälle der vollständigen Rechtlosstellung (bestimmter) Ausländer extrem selten.508 Nichtsdestoweniger ist auch diesem Fall die Gefahr einer Rechtsverweigerung immanent, der nach dem eidgenössischen Recht mit einer Notzuständigkeit begegnet werden muss, sofern der Sachverhalt einen ausreichenden Inlandsbezug zur Schweiz aufweist. 2. Unzumutbarkeit der Rechtsverfolgung Die tatsächliche Möglichkeit eines Auslandsverfahrens allein vermag jedoch nicht sicherzustellen, dass das klägerische Rechtsschutzbegehren tatsächlich durch eine Sachentscheidung befriedigt wird. Wie in den anderen untersuch-

505

Bopp, in: Basler Kommentar IPRG, Art. 65b Rn. 9. Bopp, in: Basler Kommentar IPRG, Art. 65b Rn. 7. 507 Bucher, in: Commentaire Romand LDIP, Art. 3 Rn. 4. 508 Bucher, in: Commentaire Romand LDIP, Art. 3 Rn. 4.

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ten Rechtsordnungen auch,509 stellt Art. 3 IPRG die Unzumutbarkeit eines Auslandsverfahrens der Unmöglichkeit gleich.510 Wie bereits eingangs erwähnt muss auch das Merkmal der Unzumutbarkeit restriktiv ausgelegt werden.511 Nicht jeder kleine Nachteil, der durch den Gang in ein ausländisches Forum hervorgerufen wird, darf zu einer Unzumutbarkeit der Prozessführung im Ausland führen.512 Eine Notzuständigkeit in der Schweiz darf nicht aufgrund von Unterschieden in der Funktionsweise des Gerichtssystems im international zuständigen Forum eröffnet werden.513 Allein die Tatsache, dass ein Verfahren in der Schweiz bequemer wäre, kann nicht zur Begründung der Unzumutbarkeit ausreichen.514 Erst die drohende Rechtsverweigerung bedingt die Unzumutbarkeit des Verfahrens.515 Erforderlich ist daher, dass das Verfahren im Ausland das Rechtsschutzbegehren des Klägers in keiner Weise befriedigen kann.516 Auch wenn die Grundsätze der Auslegung des Begriffes der Unzumutbarkeit klar sind, hängt die Frage nach der Zumutbarkeit eines Verfahrens im Ausland nicht zuletzt von einer Wertung des erkennenden Gerichtes ab. Im Rahmen dieser Wertung kann neben rechtlichen, politischen und tatsächlichen Gründen auch die subjektive Situation des Klägers im Einzelfall berücksichtigt werden.517 Im Rahmen dieser Wertung besteht daher ein eingeschränkter Beurteilungsspielraum des erkennenden Gerichtes für die Frage, ab wann ein Verfahren im Ausland das Rechtsschutzbegehren des Klägers nicht mehr befriedigen kann.518 509

Vgl. Teil 1 A. I. 2.; Teil 1 B. I. 2.; Teil 1 C. I. 1. Berti/Droese, in: Basler Kommentar IPRG, Art. 3 Rn. 9. 511 BGer, 22.5.2007 – 4C.379/2006 E 3.4; Obergericht Zürich, 27.8.1990, ZR 89 (1990), Nr. 65, S. 139; Brandenberg Brandl, Direkte Zuständigkeit der Schweiz im internationalen Schuldrecht, 208; Buhr/Gabriel/Schramm, in: Handkommentar Schweizer Privatrecht IPRG, Art. 3 Rn. 2; Dutoit, in: Droit international prive´ suisse, Art. 3 LDIP Rn. 5; MüllerChen, in: Zürcher Kommentar IPRG, Art. 3 Rn. 20; Volken, in: Zürcher Kommentar IPRG 2004, Art. 3 Rn. 4; a.A. aber im Ergebnis gleich Berti/Droese, in: Basler Kommentar IPRG, Art. 3 Rn. 7. 512 Obergericht Zürich Beschluss v. 27.8.1990, ZR 89 (1990), Nr. 65, S. 139. 513 Vgl. Re´tornaz/Volders, Rev. crit. DIP 2008, 225, 252. 514 Berti/Droese, in: Basler Kommentar IPRG, Art. 3 Rn. 9. 515 Vgl. Bundesgesetz über das internationale Privatrecht (IPR-Gesetz). Schlussbericht der Expertenkommission zum Gesetzesentwurf, 45, Berti/Droese, in: Basler Kommentar IPRG, Art. 3 Rn. 9; Müller-Chen, in: Zürcher Kommentar IPRG, Art. 3 Rn. 20; Volken, in: Zürcher Kommentar IPRG 2004, Art. 3 Rn. 30. 516 Acocella, Internationale Zuständigkeit, 66. 517 Bundesgesetz über das internationale Privatrecht (IPR-Gesetz). Schlussbericht der Expertenkommission zum Gesetzesentwurf, 45; Brandenberg Brandl, Direkte Zuständigkeit der Schweiz im internationalen Schuldrecht, 202; Re´tornaz/Volders, Rev. crit. DIP 2008, 225, 234 f. 518 Othenin-Girard, SZIER 1999, 251, 272; Bucher, in: Commentaire Romand LDIP, 510

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In den nachfolgenden Ausführungen sollen die verschiedene Fallgruppen dargestellt werden, in denen die eidgenössische Lehre und Rechtsprechung von der Unzumutbarkeit eines Auslandsverfahrens ausgeht. a) Versagung der Anerkennung und Vollstreckung einer ausländischen Entscheidung Insbesondere in der französischsprachigen Literatur zum Schweizer Recht finden sich Hinweise, dass dem Kläger ein Auslandsverfahren im Falle einer Anerkennungslücke nicht zuzumuten ist.519 Kann die ausländische Entscheidung nicht anerkannt werden und besteht gleichzeitig keine internationale Zuständigkeit der Schweiz, kann der Kläger die Rechtslage nicht mit Wirkung für die eidgenössische Rechtsordnung feststellen lassen. Dies bedingt die Gefahr einer drohenden Rechtsverweigerung, wenn der Kläger die Wirkungsentfaltung der Entscheidung für die Schweizer Rechtsordnung begehrt oder in Vermögen des Schuldners vollstrecken will, das sich in der Schweiz befindet.520 Indes lassen sich in der Schweiz keine Anwendungsfälle finden, in denen die Rechtsprechung eine eidgenössische Notzuständigkeit aufgrund einer solchen Anerkennungslücke eröffnet hat. Dies liegt an den äußerst liberalen Anerkennungsvoraussetzungen des Schweizer IPRG, die sich im Wesentlichen auf eine ordre public-Kontrolle der anzuerkennenden Entscheidung und des vorausgegangenen Verfahrens beschränken. Für die Anerkennung einer ausländischen Entscheidung in der Schweiz ist es daher nicht notwendig, dass die Gegenseitigkeit der Anerkennung verbürgt ist.521 Insgesamt will das IPRG die Anerkennung ausländischer Entscheidungen sehr weitreichend ermöglichen, um die Entstehung hinkender Rechtsverhältnisse zu verhindern.522

Art. 3 Rn. 8; Berti/Droese, in: Basler Kommentar IPRG, Art. 3 Rn. 9; Volken, in: Zürcher Kommentar IPRG 2004, Art. 3 Rn. 25. Etwas zu weitrechend Müller-Chen, in: Zürcher Kommentar IPRG, Art. 3 Rn. 8, der den Beurteilungsspielraum auch hinsichltich der Unmöglichkeit sieht. 519 Bucher, in: Commentaire Romand LDIP, Art. 3 Rn. 10; Othenin-Girard, SZIER 1999, 251, 272. 520 Bucher, in: Commentaire Romand LDIP, Art. 3 Rn. 10; Othenin-Girard, SZIER 1999, 251, 272. 521 Däppen/Mabillard, in: Basler Kommentar IPRG, Art. 27 Rn. 3. 522 In Bezug auf die Anerkennungsversagungsgrnünde siehe: Däppen/Mabillard, in: Basler Kommentar IPRG, Art. 27 Rn. 5.

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b) Stillstand der Rechtspflege Die Grenze der Zumutbarkeit ist überschritten, wenn im international zuständigen Forum das Gerichtssystem nicht funktioniert.523 Diese weite Umschreibung in der einschlägigen Literatur meint zuallererst diejenigen Fälle, in denen die Rechtspflege aufgrund von Kriegszuständen, Revolutionen und Bürgerkriegen, Naturkatastrophen oder sonstiger höherer Gewalt zum Stillstand gekommen ist, sodass die Aussicht auf ein Verfahren in dem Forum auf absehbare Zeit nicht besteht.524 Notwendig ist, dass in diesen Foren ein Verfahren tatsächlich nicht angestrengt werden kann, da nur dann die Gefahr einer Rechtsverweigerung besteht. Umgekehrt darf eine Notzuständigkeit nicht allein aufgrund einer kriegerischen Auseinandersetzung eröffnet werden, wenn diese auf das etwaige Verfahren keinen Einfluss hat und diesem mithin nicht im Weg steht.525 In diesem Fall liegt keine Unzumutbarkeit vor. c) Verstöße gegen rechtsstaatliche Grundsätze im Auslandsverfahren Beachtet das ausländische international zuständige Forum grundsätzliche Anforderungen an die Rechtsstaatlichkeit nicht, besteht ebenfalls die Gefahr einer Rechtsverweigerung. Die Einleitung eines Verfahrens in diesem Forum erweist sich als unzumutbar.526 Zu diesen Anforderungen an die Rechtsstaatlichkeit zählen insbesondere die Verfahrensgarantien des Art. 6 Abs. 1 EMRK, sodass bei Verletzung einer der Garantien das Verfahren im ausländischen Forum unzumutbar wird.527 Exemplarisch wird in der Literatur die offensichtliche Korruption der Richterschaft als solch ein Verstoß gegen elementare rechtsstaatliche Grundprinzipien aufgeführt, der das Verfahren im Ausland unzumutbar macht.528 Aber auch in diesem Zusammenhang ist die Grenze des noch Zumutbaren weit auszulegen. Allein die Tatsache, dass ein Verfahren in der Schweiz bequemer wäre, macht das Verfahren im Ausland nicht unzumutbar.529

523

Berti/Droese, in: Basler Kommentar IPRG, Art. 3 Rn. 9; Othenin-Girard, SZIER 1999, 251, 273. 524 Re´tornaz/Volders, Rev. crit. DIP 2008, 225, 243. 525 Re´tornaz/Volders, Rev. crit. DIP 2008, 225, 243. 526 Re´tornaz/Volders, Rev. crit. DIP 2008, 225, 250; Vgl. Schwander, Einführung IPR, Rn. 629. 527 Re´tornaz/Volders, Rev. crit. DIP 2008, 225, 250 ff. 528 Berti/Droese, in: Basler Kommentar IPRG, Art. 3 Rn. 9; Othenin-Girard, SZIER 1999, 251, 273. 529 Berti/Droese, in: Basler Kommentar IPRG, Art. 3 Rn. 9.

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1. Teil: Das forum necessitatis in den nationalen Zuständigkeitsordnungen

d) Die Verfahrensdauer In der eidgenössischen Rechtsprechung und Literatur finden sich vermehrt Verweise auf die Unzumutbarkeit eines Verfahrens im Ausland im Fall einer übermäßig langen Verfahrensdauer.530 In diesem Zusammenhang stellte das Bundesgericht im Urteil vom 5. März 1991 in einem obiter dictum fest, dass die Dauer eines Verfahrens dann unzumutbar ist, wenn nicht zu erwarten ist, dass das ausländische Forum innerhalb einer angemessenen Frist („dans un de´lai convenable“) eine Entscheidung treffen wird.531 Vor dem Hintergrund des Zwecks der Notzuständigkeit ist die Angemessenheit der Frist jedoch weit zu verstehen. Unzumutbar ist die Verfahrensdauer erst dann, wenn dem Kläger oder Gesuchsteller hierdurch eine Rechtsverweigerung droht,532 das Verfahren für den Kläger also aufgrund der Dauer schlicht sinnlos ist und von Prozessverschleppung gesprochen werden kann.533 e) Politische Verfolgung des Klägers im ausländischen Forum Der Gang in ein ausländisches Forum ist dem Kläger auch dann unzumutbar, wenn der Kläger im ausländischen Forum politisch verfolgt wird, etwa aufgrund der Volksgruppe, der er angehört.534 Gleiches gilt für Verfahren in einem Staat, aus dem der Kläger geflohen ist, wenn er in der Schweiz als Flüchtling anerkannt ist.535 So hat das Bundesgericht im Urteil vom 12. Juli 1962 eine eidgenössische Zuständigkeit für die Scheidung aus Ungarn stammender Flüchtlinge eröffnet.536 Ohne die Schweizer Zuständigkeit wäre den Flüchtlingen Rechtsverweigerung widerfahren, da sie nicht für die Scheidung nach Ungarn hätten zurückkehren können.

530

BGer, 5.3.1991, SJ 113 (1991), 457, 466; Berti/Droese, in: Basler Kommentar IPRG, Art. 3 Rn. 9; Buhr/Gabriel/Schramm, in: Handkommentar Schweizer Privatrecht IPRG, Art. 3 Rn. 8; Bucher, in: Commentaire Romand LDIP, Art. 3 Rn. 10; Othenin-Girard, SZIER 1999, 251, 272. 531 BGer, 5.3.1991, SJ 113 (1991), 457, 466: Das Bundesgericht stütze diese Feststellung auf einen Vergleich des Art. 3 IPRG mit Art. 9 IPRG, wonach die anderweitige Rechtshängigkeit im Ausland einem Verfahren in der Schweiz nicht entgegensteht, wenn nicht zu erwarten ist, dass das ausländische Forum innerhalb einer angemessenen Frist urteilen wird. 532 Berti/Droese, in: Basler Kommentar IPRG, Art. 3 Rn. 9. 533 Acocella, Internationale Zuständigkeit, 68. 534 BGer, 22.5.2007 – 4C.379/2006 3.4; Brandenberg Brandl, Direkte Zuständigkeit der Schweiz im internationalen Schuldrecht, 204; Othenin-Girard, SZIER 1999, 251, 273; Patocchi/Geisinger, Kommentar IPRG, Art. 3 Rn. 1; Schwander, Einführung IPR, Rn. 629. 535 BGer, 12.7.1962, BGE 88 II 329; Knoepfler/Schweizer/Othenin-Girard, Droit international prive´ suisse, Rn. 616; Othenin-Girard, SZIER 1999, 251, 273. 536 BGer, 12.7.1962, BGE 88 II 329.

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f) Schlechtere Prozesschancen im Ausland und ordre public-Zuständigkeit Wie auch in den anderen untersuchten Rechtsordnungen, darf eine eidgenössische Notzuständigkeit nicht deshalb eröffnet werden, weil das Verfahren in der Schweiz für den Kläger angenehmer oder einfacher wäre.537 Mittels der Notzuständigkeit darf dem Kläger nicht geholfen werden, einer ihm unangenehmen materiellen Rechtslage zu entrinnen.538 Deshalb ist ein Scheidungsverfahren im Ausland zumutbar, wenn das dort anzuwendende Scheidungsrecht den Ablauf eines Trennungsjahres voraussetzt.539 Auch die Tatsache, dass der Kläger im ausländischen Forum mit seinem Rechtsschutzbegehren aufgrund der Anwendung eines anderen Sachrechts oder eines Verstoßes gegen den ordre public des Forums unterliegen wird, stellt noch keine Rechtsverweigerung dar und ist daher zumutbar.540 Ist etwa der vom Kläger geltend gemachte Anspruch im ausländischen Forum bereits verjährt und daher nicht durchsetzbar, kann dieser Anspruch nicht mittels einer Schweizer Notzuständigkeit unter Anwendung eines vorteilhafteren Sachrechts durchgesetzt werden.541 Die Abweichung des ausländischen Gerichts von dem vom schweizerischen Sachrecht vorgezeichneten Weg wird jedoch nicht grenzenlos hingenommen. Ist absehbar, dass die Entscheidung eines ausländischen Gerichts gegen den eidgenössischen ordre public-Vorbehalt verstoßen wird, soll eine eidgenössische Notzuständigkeit nach Art. 3 IPRG eröffnet werden.542 Der gesicherte Verstoß der ausländischen Entscheidung gegen fundamentale Werte des eidgenössischen Rechtssystems, wie sie vom ordre public geschützt sind, führt zur Nichtanerkennungsfähigkeit der ausländischen Entscheidung. Kann auch aus einem anderen Forum keine anerkennungsfähige Entscheidung eingeholt werden, droht dem Kläger aufgrund der Anerkennungslücke Rechtsverweigerung.543

537 Berti/Droese, in: Basler Kommentar IPRG, Art. 3 Rn. 9; Dutoit, in: Droit international prive´ suisse, Art. 3 LDIP Rn. 5; Müller-Chen, in: Zürcher Kommentar IPRG, Art. 3 Rn. 21; Othenin-Girard, SZIER 1999, 251, 273 f.; Volken, in: Zürcher Kommentar IPRG 2004, Art. 3 Rn. 8. 538 Bucher, in: Commentaire Romand LDIP, Art. 3 Rn. 7. 539 Obergericht Zürich, 27.8.1990, ZR 89 (1990), Nr. 65, S. 139. 540 Buhr/Gabriel/Schramm, in: Handkommentar Schweizer Privatrecht IPRG, Art. 3 Rn. 9; Othenin-Girard, SZIER 1999, 251, 273 f.; ähnlich Bucher, in: Commentaire Romand LDIP, Art. 3 Rn. 7. So auch Bezirksgericht Muri AG, 11.9.2001, ZZW 2003, 39 f. 541 Beispiel nach Othenin-Girard, SZIER 1999, 251, 273 f. 542 Bezirksgericht Muri AG, 11.9.2001, ZZW 2003, 39 f.; Bucher, in: Commentaire Romand LDIP, Art. 3 Rn. 13; Buhr/Gabriel/Schramm, in: Handkommentar Schweizer Privatrecht IPRG, Art. 3 Rn. 9; Othenin-Girard, SZIER 1999, 251, 274. 543 Othenin-Girard, SZIER 1999, 251, 274.

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1. Teil: Das forum necessitatis in den nationalen Zuständigkeitsordnungen

Nach Bucher begründet hingegen bereits der Verstoß gegen den ordre public als solcher und nicht erst die entstehende Anerkennungslücke die drohende Rechtsverweigerung.544 Ähnlich wie im französischen Recht liegt in einem solchen Fall nach dieser Ansicht schon keine gerichtliche Sachentscheidung vor, die das Rechtsschutzbegehren des Klägers befriedigen könnte.545 Die Nichtbeachtung zwingender Vorschriften und Wertungen des eidgenössischen ordre public rechtfertigt daher eine Notzuständigkeit in der Schweiz. Dass ein Verstoß gegen vom eidgenössischen ordre public erfasstes materielles Recht notzuständigkeitsbegründend ist, zeigt etwa die Entscheidung des Bundesgerichts vom 2. Juni 1959.546 Das Bundesgericht eröffnete eine Notzuständigkeit für die Klage einer Schweizerin auf Zuweisung der elterlichen Sorge über ein gemeinsames Kind, die sie gegen ihren iranischen Ehemann angestrengt hatte.547 In einem möglichen Verfahren vor den an sich zuständigen iranischen Gerichte wäre die Mutter mit Sicherheit aus Gründen des materiell anwendbaren iranischen Rechts unterlegen:548 Nach dem anwendbarem iranischen Recht stand die elterliche Sorge ausschließlich dem Vater zu und konnte unter keinen Umständen auf die Mutter übertragen werden.549 Dieses Ergebnis eines Verfahrens im Iran verstieß aus Schweizer Sicht gegen elementare Prinzipien des Schweizer Rechts, wonach demjenigen Elternteil das Sorgerecht zu übertragen ist, dessen Sorge am besten für das Kindeswohl ist.550 Auch wenn sich das Bundesgericht nicht ausdrücklich auf den ordre public-Vorbehalt des Schweizer Rechts berief, zeigt die Bezugnahme auf die zwingenden schweizerischen Rechtsvorstellungen, dass es um die Verteidigung fundamentaler Werte des eidgenössischen Rechts ging. Die ordre public-Widrigkeit einer zu erwartenden Entscheidung war somit der Grund für die Notzuständigkeit.551 Auf eine hierdurch hervorgerufene Anerkennungslücke kam es dem Bundesgericht indes nicht an. Auch eine jüngere Entscheidung des Bezirksgerichts Muri vom 11. September 2001 behandelt die (not-)zuständigkeitsbegründende Wirkung der ordre public-widrigen Abweisung einer Klage im an sich zuständigen Forum.552 In diesem Fall konnte ein thailändischer Kläger vor den an sich zuständigen Gerichten in Thailand keine rechtliche Anpassung seines Ge-

544

Bucher, in: Commentaire Romand LDIP, Art. 3 Rn. 13. So auch die Ansicht in Frankreich, vgl. Teil 1 B. I. 2. b). 546 BGer, 2.7.1959, BGE 85 II 153, 167. 547 BGer, 2.7.1959, BGE 85 II 153, 167. 548 Schröder, Internationale Zuständigkeit, 220. 549 BGer, 2.7.1959, BGE 85 II 153, 167; Schröder, Internationale Zuständigkeit, 220. 550 BGer, 2.7.1959, BGE 85 II 153, 167; Schröder, Internationale Zuständigkeit, 220. 551 So auch schon BGer, 7.7.1949, BGE 75 II 177, 180 f. 552 Bezirksgericht Muri AG, 11.9.2001, ZZW 2003, 39 ff. 545

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schlechtes erlangen, weil das anwendbare thailändische Sachrecht eine solche Änderung nicht vorsah. Ein entsprechendes Verfahren hätte daher aus materiell-rechtlichen Gründen keine Aussicht auf Erfolg gehabt. Dass der Kläger im Ergebnis sein rechtliches Geschlecht nicht angleichen konnte und daher auch nicht in der Schweiz heiraten konnte, verstieß nach Auffassung des Bezirksgericht Muri gegen den eidgenössischen ordre public. Um in diesem Fall zu verhindern, dass dem Kläger Rechtsverweigerung widerfuhr, eröffnete das Gericht eine Zuständigkeit in der Schweiz.553 g) Fehlgeschlagene ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarung Die eidgenössische Literatur geht darüber hinaus davon aus, dass ein Auslandsverfahren unzumutbar ist, wenn aufgrund einer fehlgeschlagenen ausschließlichen Gerichtsstandsvereinbarung ein negativer internationaler Kompetenzkonflikt entsteht.554 Dabei sind zwei denkbare Konstellationen zu unterscheiden: Einerseits kann es zu einer drohenden Rechtsverweigerung kommen, wenn die internationale Zuständigkeit der Schweiz aus Sicht des eidgenössischen Rechts nach Art. 5 IPRG wirksam derogiert worden ist, das ausländische prorogierte Forum die Prorogation jedoch als unwirksam erachtet oder ein Prozess in diesem Forum aus anderen Gründen555 unzumutbar ist.556 Auch in der Schweiz ist in einem solchen Fall jedoch keine Notzuständigkeit erforderlich. Um die drohende Rechtsverweigerung zu verhindern, wird in diesen Fällen die Derogation der schweizerischen internationalen Zuständigkeit für unwirksam erklärt.557 Andererseits ist es möglich, dass ein negativer internationaler Kompetenzkonflikt auftritt, wenn die Parteien die internationale Zuständigkeit eines ausländischen Forums aus Sicht dieses Forums wirksam derogiert haben, die Prorogation zugunsten der Schweiz jedoch aus schweizerischer Sicht nach Art. 5 IPRG unwirksam ist.558 Im Unterschied zur ersten Fallgruppe kann in

553 Das Gericht eröffnete diese nicht unter Berufung auf Art. 3 IPRG, sondern stützte diese auf Art. 33 IPRG, indem es den Anknüpfungspunkt des Wohnsitzes extensiv auslegte. Dies tat das Gericht, um eine Rechtsverweigerung zu vermeiden und stützte dieses Ergebnis auch auf Überlegungen zur Notzuständigkeit, vgl. Bezirksgericht Muri AG, 11.9.2001, ZZW 2003, 39, 41. 554 Bucher, in: Commentaire Romand LDIP, Art. 3 Rn. 11; Othenin-Girard, SZIER 1999, 251, 272 f. 555 Vgl. Kaufmann-Kohler, FS Vischer, 161, 173. 556 Bucher, in: Commentaire Romand LDIP, Art. 3 Rn. 11; Othenin-Girard, SZIER 1999, 251, 272 f. 557 Bucher, in: Commentaire Romand LDIP, Art. 3 Rn. 11, Art. 5 Rn. 43; KaufmannKohler, FS Vischer, 161, 173. 558 Bucher, in: Commentaire Romand LDIP, Art. 3 Rn. 11; Othenin-Girard, SZIER 1999, 251, 272 f.

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diesem Fall das eidgenössische Forum der drohenden Rechtsverweigerung nur durch die Eröffnung einer Notzuständigkeit begegnen.559 Die Wirksamkeit der Derogation hängt in diesem Fall von der Entscheidung des ausländischen Forums ab. Sofern dieses nicht die Derogation ihrer internationalen Zuständigkeit für unwirksam erklärt aufgrund der Tatsache, dass die Prorogation der schweizerischen Zuständigkeit gescheitert ist, besteht die Gefahr einer drohenden Rechtsverweigerung, die die Eröffnung einer eidgenössischen Notzuständigkeit erfordern kann.560 h) Notwendige passive Streitgenossenschaft Im Rahmen internationaler Verhältnisse kann es zu Konstellationen kommen, in denen notwendige passive Streitgenossen nicht einheitlich an einem Gerichtsstand in der Schweiz oder im Ausland verklagt werden können.561 Ob die Streitgenossenschaft eine notwendige ist, bestimmt sich dabei nach dem anwendbaren Sachrecht.562 Ist dies der Fall, kann es sein, dass für einen Teil der notwendigen Streitgenossen eine Anknüpfungspräsenz in der Schweiz, etwa durch den Wohnsitz, besteht, während für die anderen Streitgenossen nur ein internationaler Gerichtsstand im Ausland vorliegt. Auch kann es passieren, dass sich kein einheitlicher internationaler Gerichtsstand im Ausland für die notwendigen passiven Streitgenossen finden lässt.563 Derartige Konstellationen führen zur Unzumutbarkeit eines oder mehrerer Verfahren im Ausland.564 Das Vorgehen gegen einzelne notwendige passive Streitgenossen in verschiedenen Verfahren kann zu sich widersprechenden Sachentscheidungen führen.565 Sofern das anwendbare materielle Recht, wie etwa das der Schweiz, aus diesem Grund vorschreibt, dass gegen notwendige passive Streitgenossen nur einheitlich ein Urteil ergehen kann, ist eine Klage gegen einzelne Streitgenossen aufgrund der fehlenden Passivle-

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Bucher, in: Commentaire Romand LDIP, Art. 3 Rn. 11, Art. 5 Rn. 45; Othenin-Girard, SZIER 1999, 251, 272 f. 560 Bucher, in: Commentaire Romand LDIP, Art. 3 Rn. 11, Art. 5 Rn. 45. 561 Acocella, Internationale Zuständigkeit, 69; Berti/Droese, in: Basler Kommentar IPRG, Art. 3 Rn. 12; Bucher, in: Commentaire Romand LDIP, Art. 3 Rn. 12; Geier, Die Streitgenossenschaft im internationalen Verhältnis, 103 f.; Schwander, Einführung IPR, Rn. 635. 562 Geier, Die Streitgenossenschaft im internationalen Verhältnis, 103; Schwander, Einführung IPR, Rn. 635. 563 So: Obergericht Zürich, 22.3.2000, ZR 99 (2000), Nr. 112, S. 299, 305, auch wenn dieses im konkreten Fall keine notwendige passive Streitgenossenschaft annahm; Schwander, Einführung IPR, Rn. 635. 564 Müller-Chen, in: Zürcher Kommentar IPRG, Art. 3 Rn. 21. 565 Bucher, in: Commentaire Romand LDIP, Art. 3 Rn. 12; Schwander, Einführung IPR, Rn. 635.

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gitimation unbegründet.566 Ist es nicht möglich, alle notwendigen Streitgenossen in einem Verfahren zu verklagen, kann das Rechtsschutzbegehren des Klägers daher keine Entscheidung in der Sache erhalten. Die hierdurch bedingte Rechtsverweigerung begründet eine Notzuständigkeit nach Art. 3 IPRG.567

II. Sachlich notwendige internationale Zuständigkeit der Schweiz Gerade im eidgenössischen Recht finden sich Anhaltspunkte einer Notzuständigkeit nach Art. 3 IPRG für Verfahren, die aufgrund ihrer Natur der Sache nur in der Schweiz verhandelt werden können.568 Dies lässt sich an der Entscheidung des Bundesgerichts vom 15. Dezember 2005 nachvollziehen.569 Gegenstand dieses Verfahrens bildete eine negative Feststellungsklage, die untrennbar mit der Aufhebung der Betreibung (Zwangsvollstreckung) und Löschung im Betreibungsregister verbunden war. Für dieses Verfahren bestand kein internationaler Gerichtssand in der Schweiz, da die Zuständigkeitsbestimmung des Art. 85a SchKG570 (am Betreibungsort) aufgrund Art. 30a SchKG im internationalen Verhältnis nicht anwendbar ist.571 Aus Sicht des Schweizer Zuständigkeitsrechts war für dieses Verfahren das Gericht am Wohnsitz des Vollstreckungsgläubigers in Kalifornien international zuständig. Im kalifornischen Forum konnte dieses Verfahren jedoch nicht durchgeführt werden. Das Gericht in Kalifornien konnte die begehrte Rechtsfolge der Klage nicht aussprechen. Der Grund dafür liegt im Schweizer Recht: Das vom Kläger begehrte Verfahren entsprach im Wesentlichen einer negativen Feststellungsklage nach Art. 85a SchKG.572 Diese Klage des Vollstreckungs-

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BGer, 19.11.2012 – 5A 702/2012, BGE 138 III 737; Geier, Die Streitgenossenschaft im internationalen Verhältnis, 103 f. 567 Bucher, in: Commentaire Romand LDIP, Art. 3 Rn. 11; Müller-Chen, in: Zürcher Kommentar IPRG, Art. 3 Rn. 21; so auch Geier, Die Streitgenossenschaft im internationalen Verhältnis, 104, 107 ff.: die jedoch eine entsprechende Anwendung des Art 3 IPRG i.V.m. Art. 1 Abs. 2 ZGB postuliert (a.A. Bucher, in: Commentaire Romand LDIP, Art. 3 Rn. 3); Schwander, Einführung IPR, Rn. 635. 568 So auch Re´tornaz/Volders, Rev. crit. DIP 2008, 225, 253 ff., insbesondere 256. 569 BGer, 15.12.2005 – 5C.264/2004, BGE 132 III 277, Die Praxis 2007, Nr. 10, S. 55 ff. = SZZP 2006, 245 ff. mit Anmerkung Berti, 248. 570 Bundesgestz über Schuldbetreibung und Konkurs vom 11.April 1889 (SchKG; SR 281.1), AS 11, 529. 571 Bodmer/Bangert, in: Basler Kommentar SchKG I, Art. 85a Rn. 25; Meier/Sogo, FS Schlosser, 592; a.A.: Berti, SZZP 2006, 248: dieser übersieht den Vorbehalt des SchKG aus Art. 30a SchKG gegenüber den Regelungen des IPRG und staatsvertraglicher Regelungen. 572 BGer, 15.12.2005 – 5C.264/2004, BGE 132 III 277, Die Praxis 2007, Nr. 10, S. 55, 58.

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1. Teil: Das forum necessitatis in den nationalen Zuständigkeitsordnungen

schuldners entscheidet sowohl über das Bestehen des materiell-rechtlichen Anspruch mit materieller Rechtskraft und stellt gleichzeitig, im Falle des Obsiegens, die Zwangsvollstreckung ein, Art. 85a Abs. 3 SchKG. Dieses Verfahren ist sowohl ein Erkenntnisverfahren als auch verfahrensrechtlicher Rechtsbehelf.573 Diese gestalterische Doppelfunktion der begehrten Klage nach Art. 85a SchKG stellt den Richter im ausländischen Forum jedoch vor eine unüberwindbare Hürde:574 Während er über die negative Feststellungsklage als solche problemlos entscheiden könnte, kann er über das eigentliche Hauptziel des verfahrensrechtlichen Rechtsbehelfs, nämlich die Einstellung der Zwangsvollstreckung, nicht entscheiden.575 Derart hoheitliche Maßnahmen können nicht von ausländischen Gerichten angeordnet werden, da ihnen aufgrund des Territorialprinzips im Zwangsvollstreckungsrecht die hoheitliche Befugnis hierzu fehlt.576 Nur ein Schweizer Gericht hätte diesem Rechtsschutzziel entsprechen können. Die Natur des Streitgegenstandes bedingte daher, dass nur ein Gericht in der Schweiz darüber entscheiden konnte. Ohne ein Schweizer Forum droht mithin in diesen Fällen stets Rechtsverweigerung, weil diese Verfahren in allen anderen ausländischen Foren unmöglich oder unzumutbar sind:577 Einerseits ist es möglich, dass dem ausländischen Forum der aus Schweizer Sicht erforderliche Rechtsschutz unbekannt ist und die Gerichte dieses Staates deshalb die Verhandlung des Rechtsschutzbegehrens nicht zulassen. Dies führt zur Unmöglichkeit eines Auslandsverfahrens, weil das Forum im Ausland das Rechtsschutzbegehren des Klägers nicht in der Sache entscheidet. Der Rechtsschutz ist im an sich zuständigen Ausland nicht zu erhalten.

573 BGer, 15.12.2005 – 5C.264/2004, BGE 132 III 277, E 4.3.1, Die Praxis 2007, Nr. 10, S. 55, 58; Meier/Sogo, FS Schlosser, 583 und 592. Die Notwendigkeit eines solchen Rechtsschutzes ergibt sich aus der Einheitlichkeit des Schweizerischen Betreibungsverfahrens: Der Vollstreckung braucht in der Schweiz kein Erkenntnisverfahren vorauszugehen, sodass eine Vollstreckung auch ohne Titel möglich ist. Die Klage nach Art. 85a SchKG ist einer von mehreren Rechtsbehelfen in dem Verfahren, in dem das tatsächliche Bestehen des materiell-rechtlichen Anspruches gerichtlich überprüft wird, vgl. hierzu: Meier/Sogo, FS Schlosser, 580 f. m w. N. 574 BGer, 15.12.2005 – 5C.264/2004, BGE 132 III 277, E 4.3, Die Praxis 2007, Nr. 10, S. 55, 58. 575 BGer, 15.12.2005 – 5C.264/2004, BGE 132 III 277, E 4.3.1, Die Praxis 2007, Nr. 10, S. 55, 58. 576 BGer, 15.12.2005 – 5C.264/2004, BGE 132 III 277, E 4.3, Die Praxis 2007, Nr. 10, S. 55, 58; Bodmer/Bangert, in: Basler Kommentar SchKG I, Art. 85a Rn. 25; Fritzsche/ Walder, Schuldbetreibung und Konkurs, § 1 Rn. 17. So auch Re´tornaz/Volders, Rev. crit. DIP 2008, 225, 256. 577 Kritisch Re´tornaz/Volders, Rev. crit. DIP 2008, 225, 258 ff.: Hierdurch verliert die Notzsutändigkeit ihren Ausnahmecharakter, da für alle diese Klagen eine Schweizer Notzuständigkeit besteht.

D. Schweiz

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Andererseits droht dem Kläger selbst dann Rechtsverweigerung, wenn das ausländische Forum eine Entscheidung in der Sache trifft: Eine Entscheidung des Auslands könnte in der Schweiz nicht anerkannt werden, weil dem ausländischen Forum schlicht die hoheitliche Befugnis fehlt über diese Verfahrensgegenstand zu entscheiden. Rechtsverweigerung tritt also in Form einer Anerkennungslücke auf, die das Verfahren im Ausland unzumutbar macht.578 Es ist daher erkennbar, dass ein Verfahren im Ausland auf keinen Fall geeignet ist, das Rechtsschutzbegehren mit Wirkung für die eidgenössische Rechtsordnung zu entscheiden. Es besteht eine sachliche Notwendigkeit der Verhandlung des Rechtsschutzbegehrens in der Schweiz, da die Verweigerung eines schweizerischen Verfahrens den Kläger einer Rechtsverweigerung preisgeben würde. Sofern, wie im vom Bundesgericht entschiedenen Fall, eine ordentliche Zuständigkeitsanknüpfung fehlt, muss eine Notzuständigkeit nach Art. 3 IPRG eröffnet werden.

III. Das maßgebliche Ausland Es obliegt grundsätzlich dem Kläger, der sich auf die Notzuständigkeit beruft, nachzuweisen, dass ein Verfahren im Ausland unmöglich oder unzumutbar ist.579 Das bedeutet jedoch nicht, dass er die Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit eines Verfahrens in jedem Staat der Welt nachweisen muss. Ein solcher Nachweis wäre kaum möglich.580 Gleichzeitig darf die Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit eines Auslandsverfahrens auch nicht nur abstrakt festgestellt werden.581 So geht die Botschaft zum IPRG davon aus, dass die Feststellung, dass ein Verfahren im Ausland unmöglich sein wird, „sich nur unter umfassender Berücksichtigung der konkreten Umstände und unter Würdigung allfälliger Folgen für die Rechtsuchenden im Einzelfall beurteilen“ lässt.582 Um dieser Würdigung der gesamten Umstände des Einzelfalls gerecht werden zu können und dem Kläger gleichzeitig keine unüberwindbare Be-

578

Vgl. hierzu Re´tornaz/Volders, Rev. crit. DIP 2008, 225, 258 ff. Botschaft zum IPRG vom 10.11.1982, BBl 1983 I, 263 ff., Ziff. 213.3; Obergericht Zürich, 22.3.2000, ZR 99 (2000), Nr. 112, S. 299, 301; Kassationsgericht Zürich Beschluss v. 2.10.2007, ZR 107 (2008), Nr. 17, S. 59, 69; Berti/Droese, in: Basler Kommentar IPRG, Art. 3 Rn. 13; Othenin-Girard, SZIER 1999, 251, 276; Schwander, Einführung IPR, Rn. 629; a.A. Westenberg, Staatsangehörigkeit im Schweizerischen IPRG, 94, die die Behauptung der Voraussetzungen für ausreichend erachtet, da die eidgenössischen Gerichte ihre Zuständigkeit (auch die internationale) von Amts wegen festzustellen haben. 580 Geier, Die Streitgenossenschaft im internationalen Verhältnis, 100; Othenin-Girard, SZIER 1999, 251, 270 verwendet treffend den Begriff des „preuve diabolique“. 581 Othenin-Girard, SZIER 1999, 251, 270. 582 Botschaft zum IPRG vom 10.11.1982, BBl 1983 I, 263 ff., Ziff. 213.3. 579

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1. Teil: Das forum necessitatis in den nationalen Zuständigkeitsordnungen

weislast aufzubürden, beschränkt sich die Nachweispflicht auf diejenigen Staaten, zu denen der konkrete Rechtsstreit aufgrund der üblichen Anknüpfungskriterien des Schweizer IPRG – etwa Wohnsitz und Staatsangehörigkeit der Parteien, Erfüllungsort vertraglicher Verpflichtungen und weitere gegenstandsbezogene Kontakte – einen Zusammenhang aufweist.583 Es kommen somit alle Staaten in Betracht, in die die Vorschriften über die direkte Zuständigkeit des IPRG spiegelbildlich verweisen. Darüber hinaus werden auch diejenigen Staaten berücksichtigt, die aus schweizerischer Sicht nach Art. 26 IPRG anerkennungszuständig sind.584 Eine Notzuständigkeit in der Schweiz darf nicht eröffnet werden, wenn im anerkennungszuständigen Ausland ein Verfahren möglich und zumutbar ist.585 Denn in diesem Fall droht dem Kläger im ausländischen Verfahren keine Rechtsverweigerung zu widerfahren. Insofern müssen auch die anerkennungszuständigen Staaten bei der Prüfung der Möglichkeit und Zumutbarkeit eines Auslandsverfahrens berücksichtigt werden. In der Schweiz ist diese Differenzierung deshalb von Bedeutung, weil die direkten und indirekten Zuständigkeiten, anders als in Deutschland586 und Österreich587, nicht deckungsgleich sind. In manchen Bereichen stellt das IPRG weitere Anerkennungszuständigkeiten zur Verfügung als es eigene Entscheidungszuständigkeiten eröffnet. Hierdurch ist eine weite Anerkennung ausländischer Entscheidungen auf bestimmten Gebieten möglich.588

IV. Ausreichender Zusammenhang des Sachverhaltes zur Schweiz Zuletzt erfordert die eidgenössische Notzuständigkeit nach Art. 3 IPRG, dass der konkrete Sachverhalt einen ausreichenden Bezug zur Schweiz aufweist. Auch dieser Begriff bietet den eidgenössischen Richtern einen Auslegungsspielraum und stellt diesen ein Ermessen bei der Eröffnung der Notzuständigkeit zur Verfügung.589 Mittels dieses Tatbestandsmerkmals soll eine Relativierung der Reichweite der Notzuständigkeit erreicht werden. Die 583 Geier, Die Streitgenossenschaft im internationalen Verhältnis, 100; Othenin-Girard, SZIER 1999, 251, 270 f.; Volken, in: Zürcher Kommentar IPRG 2004, Art. 3 Rn. 17. 584 Othenin-Girard, SZIER 1999, 251, 271. 585 Othenin-Girard, SZIER 1999, 251, 271; Eine Übersicht über diese Anerkennungszuständigkeiten ist bei Volken, in: Zürcher Kommentar IPRG 2004, Art. 26 Rn. 5 ff. zu finden. 586 Teil 1 A. VI. 587 Teil 1 C. IV. 588 Volken, in: Zürcher Kommentar IPRG 2004, Art. 26 Rn. 14,16 und 23 ff. 589 Geier, Die Streitgenossenschaft im internationalen Verhältnis, 102; Othenin-Girard, SZIER 1999, 251, 275 f.; Walter/Domej, IZVR der Schweiz, § 3 II 3 b), 112; Auf die Umstände des Einzelfalls abstellend Müller-Chen, in: Zürcher Kommentar IPRG, Art. 3 Rn. 24.

D. Schweiz

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Letztverantwortlichkeit der schweizerischen Rechtsordnung zur Vermeidung einer drohenden Rechtsverweigerung greift erst, wenn eine gewisse Beziehung zur schweizerischen Rechtsordnung besteht. Welche Art der Beziehung und welche Intensität für die Begründung einer Notzuständigkeit ausreicht, ist auch in der Schweiz nicht abschließend geklärt. Zunächst ist in der eidgenössischen Rechtsprechung und Literatur umstritten, ob dieses Tatbestandsmerkmal restriktiv auszulegen ist. Dies hat das Obergericht des Kantons Zürich in der Entscheidung vom 22. März 2000 gefordert. Hier ging das Gericht davon aus, dass an den ausreichenden Zusammenhang im Rahmen der Notzuständigkeit nach Art. 3 IPRG „strengere Anforderungen“ zu stellen sind als an den ausreichenden Zusammenhang im Sinne des Art. 271 Abs. 1 Nr. 4 SchKG für den Ausländerarrest von Vermögenswerten in der Schweiz.590 Diese Aussage wird in der eidgenössischen Literatur kritisch betrachtet. Denn diese Aussage impliziert, dass die gesicherte Vollstreckbarkeit eines Urteiles in der Schweiz keinen ausreichenden Zusammenhang begründen kann. Gerade die Vollstreckbarkeit einer Entscheidung in der Schweiz begründet aber in jedem Fall einen ausreichenden Zusammenhang.591 Nach Ansicht der Literatur ist der Schluss, dass an den ausreichenden Zusammenhang des Art. 3 IPRG strenge Anforderungen zu stellen sind, insgesamt verfehlt.592 Sofern eine intensivere Beziehung zur Schweiz vorliegt, ist regelmäßig bereits ein ordentliches Anknüpfungsmoment für die internationale Zuständigkeit des IPRG erfüllt.593 Um das Auftreten einer Rechtsverweigerung gerade in den Fällen zu verhindern, die nur eine geringe Beziehung zur Schweiz aufweisen, die aber ansonsten keinen Zuständigkeitsgrund erfüllen, müssen bereits geringfügige Beziehungen des Sachverhaltes zur Schweiz ausreichen.594 Aus diesem Grund verlangt Bucher, dass die Anforderungen an die Intensität der Beziehungen des Sachverhaltes zur Schweiz

590 Obergericht Zürich, 22.3.2000, ZR 99 (2000), Nr. 112, S. 299, 301 f.; Art. 271 Abs. 1 Ziff. 4 SchKG sieht die Möglichkeit vor, Vermögenswerte eines ausländischen Schuldners, die sich in der Schweiz befinden, mit Arrest belegen zu lassen, wenn die Forderung einen genügenden Zusammenhang zur Schweiz aufweist und der Schuldner keinen Wohnsitz in der Schweiz hat, noch sonstige Arrestgründe gegeben sind. 591 Berti/Droese, in: Basler Kommentar IPRG, Art. 3 Rn. 10; Bucher, in: Commentaire Romand LDIP, Art. 3 Rn. 5. 592 Berti/Droese, in: Basler Kommentar IPRG, Art. 3 Rn. 10; Bucher, in: Commentaire Romand LDIP, Art. 3 Rn. 5. 593 Othenin-Girard, SZIER 1999, 251, 276. 594 Botschaft zum IPRG vom 10.11.1982, BBl 1983 I 263 ff., Ziff. 213.3; Berti/Droese, in: Basler Kommentar IPRG, Art. 3 Rn. 10; Othenin-Girard, SZIER 1999, 251, 276; Bucher, in: Commentaire Romand LDIP, Art. 3 Rn. 5; Buhr/Gabriel/Schramm, in: Handkommentar Schweizer Privatrecht IPRG, Art. 3 Rn. 10.

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1. Teil: Das forum necessitatis in den nationalen Zuständigkeitsordnungen

umso geringer anzusetzen sind, je krasser die drohende Rechtsverweigerung ist.595 Trotz dieser unterschiedlichen Auffassungen über die abstrakten Anforderungen an dieses Tatbestandsmerkmal, haben sich in der eidgenössischen Rechtsprechung und Literatur verschiedene Fallgruppen herausgestellt, die zur Begründung einer Notzuständigkeit ausreichen. Im Nachfolgenden sollen diese Fallgruppen dargestellt werden. 1. Wirkungsentfaltung und Vollstreckbarkeit eines Urteils in der Schweiz Eine ausreichende Verbindung des Sachverhaltes zur Schweiz liegt insbesondere dann vor, wenn die spätere Entscheidung in der Schweiz Wirkung entfalten soll.596 Insbesondere die unmittelbare Gestaltungs- oder Präjudizwirkung der Entscheidung für ein anderes Verfahren können einen ausreichenden Forumsbezug vermitteln.597 Dies zeigen die beiden Entscheidungen zur Frauenwartefrist des Bezirksgerichts Laufenberg598 und des Obergerichts Aargau599: In beiden Fällen sollten die begehrten Entscheidungen unmittelbar in der schweizerischen Rechtsordnung gestaltend wirken. Auch die Entscheidung des Bundesgerichts vom 15. Dezember 2005 zeigt, dass die begehrte Gestaltungswirkung in der Schweiz – Einstellung der eingeleiteten Zwangsvollstreckung – einen ausreichenden Zusammenhang zur Schweiz begründet.600 Darüber hinaus ist auch in der Literatur anerkannt, dass ein ausreichender Bezug zur Schweiz vorliegt, wenn die begehrte Entscheidung in der Schweiz vollstreckt werden soll.601 Dies setzt insbesondere voraus, dass der Beklagte Vermögenswerte in der Schweiz besitzt, in die vollstreckt werden kann.

595

Bucher, in: Commentaire Romand LDIP, Art. 3 Rn. 5. Dem zustimmend: MüllerChen, in: Zürcher Kommentar IPRG, Art. 3 Rn. 23. 596 Berti/Droese, in: Basler Kommentar IPRG, Art. 3 Rn. 10; Othenin-Girard, SZIER 1999, 251, 276; ähnlich Brandenberg Brandl, Direkte Zuständigkeit der Schweiz im internationalen Schuldrecht, 209. 597 Berti/Droese, in: Basler Kommentar IPRG, Art. 3 Rn. 10; Müller-Chen, in: Zürcher Kommentar IPRG, Art. 3 Rn. 23. 598 Bezirksgericht Laufenberg AG, 20.3.1989, ZZW 5 (1989), 129 ff.; vgl. Teil 1 D. I. 1. b). 599 Obergericht Aargau, 27.9.1995, SJZ 92 (1996), 470.; vgl. Teil 1 D. I. 1. b). 600 BGer, 15.12.2005 – 5C.264/2004, BGE 132 III 277. 601 Berti/Droese, in: Basler Kommentar IPRG, Art. 3 Rn. 10; Othenin-Girard, SZIER 1999, 251, 276; ähnlich Brandenberg Brandl, Direkte Zuständigkeit der Schweiz im internationalen Schuldrecht, 209; wohl a.A.: Obergericht Zürich, 22.3.2000, ZR 99 (2000), Nr. 112, S. 299, 307.

D. Schweiz

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2. Belegenheit von Teilen des Vermögens in der Schweiz Auch die Belegenheit von Teilen des Vermögens in der Schweiz kann einen ausreichenden Forumsbezug zur Schweiz vermitteln. In den beiden erbrechtlichen Verfahren vom 1. Februar 1990602 und vom 26. Februar 1992603 sah das Obergericht Zürich den ausreichenden Zusammenhang für die Eröffnung der Notzuständigkeit darin begründet, dass Teile des betroffenen Nachlasses sich in der Schweiz befanden. Diese Entscheidungen zeigen, dass auch nur die Belegenheit von Vermögensteilen in der Schweiz einen ausreichenden Zusammenhang begründen können, selbst wenn die Entscheidung nicht in der Schweiz wirken oder vollstreckt werden soll.604 Bemerkenswert ist dabei, dass für die in der Schweiz gelegenen Nachlasswerte die Zuständigkeit auf Art. 88 IPRG gestützt werden konnte, während das Obergericht für die weiteren Nachlasswerte im Ausland seine Entscheidungszuständigkeit nur auf Art. 3 IPRG stützen konnte. Ob diese Entscheidungen in diesen Ländern anerkannt werden würden, spielte dabei keine Rolle: Das Obergericht Zürich ging in beiden Entscheiden davon aus, dass eine Anerkennung der Entscheide nicht offensichtlich scheitern würde und überließ es den Klägern, dieses Risiko zu tragen.605 3. Persönliche Verbindungen der Beteiligten zur Schweiz In Teilen der Literatur finden sich Hinweise, dass auch persönliche Verbindungen des Klägers zur Schweiz einen ausreichenden Zusammenhang des Sachverhaltes zur Schweiz begründen können. Als ausreichend wird der klägerische Wohnsitz in der Schweiz oder auch eine schweizerische Staatsangehörigkeit des Klägers angesehen.606 So sah das Obergericht Luzern in der Entscheidung vom 2. April 1993 dieses Tatbestandsmerkmal des Art. 3 IPRG (unter anderem) durch die schweizerische Staatsbürgerschaft des Klägers erfüllt.607 Schwächere persönliche Verbindungen des Klägers zur Schweiz sind jedoch von der Rechtsprechung als nicht ausreichend erachtet worden. Das Bundesgericht hat im Urteil vom 22. Mai 2007 entschieden, dass der schlichte Aufenthalt des Klägers in der Schweiz bei einer Klage auf Schadensersatz und Entschädigung für erlittene Misshandlungen durch den tunesischen

602

Obergericht Zürich, 1.2.1990, ZR 89 (1990), Nr. 4, S. 7, 9; siehe Teil 1 D. I. 1. a). Obergericht Zürich, 26.2.1992, ZR 90 (1991), Nr. 89, S. 289 ff.; siehe Teil 1 D. I. 1. a). 604 Bezogen auf Nachlasswerte im Ausland: Schnyder/Liatowitsch, in: Basler Kommentar IPRG, Art. 88 Rn. 10 und 11. 605 Obergericht Zürich, 1.2.1990, ZR 89 (1990), Nr. 4, S. 7, 9; Obergericht Zürich, 26.2.1992, ZR 90 (1991), Nr. 89, S. 289, 290. 606 Kren Kostkiewicz, IPRG/LügÜ Kommentar, Art. 3 IPRG Rn. 45. 607 Obergericht Luzern Entscheid v. 2.4.1993, ZBJV 131 (1995), 48 f. 603

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1. Teil: Das forum necessitatis in den nationalen Zuständigkeitsordnungen

Staat keinen ausreichenden Zusammenhang des Sachverhaltes zur Schweiz i.S.v. Art. 3 IPRG herstellen kann.608 Im konkreten Fall lehnte das Bundesgericht den ausreichenden Zusammenhang zur Schweiz ab, da der Kläger, der gefolterte Tunesier, vor seiner Abschiebung nach Tunesien seinen Wohnsitz in Italien hatte, die Täter tunesische Beamte mit Wohnsitz in Tunesien waren und außer dem schlichten Aufenthalt des Klägers in der Schweiz zum Zeitpunkt der Klageerhebung, wo dieser politisches Asyl erhielt, keine Verbindung des Sachverhaltes zur Schweiz bestand.609 Aus der Tatsache, dass Art. 3 IPRG einen Zusammenhang des Sachverhaltes zur Schweiz vorschreibt, leitete es ab, dass der geltend gemachte Sachverhalt in Verbindung zur Schweiz stehen muss und nicht die Person des Klägers. Hieraus ergibt sich, dass persönliche Verbindungen des Klägers zur Schweiz keine Verbindung des Sachverhaltes zur Schweiz herstellen können, sofern diese Verbindungen für den zu entscheidenden Sachverhalt irrelevant sind.610 Diese restriktive Auslegung des Bundesgerichts an die Anforderungen des ausreichenden Zusammenhangs des Sachverhaltes stößt vor allem in der Literatur auf Kritik: Dieses Verständnis schließe eine internationale Notzuständigkeit der Schweiz für Menschenrechtsverletzungen, die im Ausland begangen worden sind, systematisch aus.611 Hierdurch würde die Schweiz faktisch solche Menschenrechtsverletzungen des Auslands akzeptieren.612 Um dies zu verhindern, müsse auch der schlichte Aufenthalt des Klägers einen ausreichenden Zusammenhang herstellen können, wenn es um die Ahndung von Menschenrechtsverletzungen geht. Der EGMR hat hingegen im Urteil vom 21. Juni 2016 die restriktive Auslegung des Bundesgerichts zum Erfordernis des ausreichenden Zusammenhangs des Art. 3 IPRG bestätigt und festgestellt, dass in diesem Fall die Verweigerung der Notzuständigkeit in der Schweiz nicht gegen Art. 6 EMRK verstoße.613 Auch die große Kammer des EGMR hat in der Entscheidung vom 15. März 2018 diese Auffassung bestätigt und festgestellt, dass der Ausschluss der Schweizer Zuständigkeit in diesem Fall zur Sicherstellung einer ordentlichen Rechtspflege keine willkürliche und unverhältnismäßige Verletzung des klägerischen Anspruches aus Art. 6 Abs. 1 EMRK darstelle.614 Art. 6 Abs. 1 EMRK erfordere 608

BGer Urt. v. 22.5.2007 – 4C.379/2006, E.3.5. BGer Urt. v. 22.5.2007 – 4C.379/2006, E.3.5. 610 BGer Urt. v. 22.5.2007 – 4C.379/2006, E.3.5. 611 Bucher, in: Commentaire Romand LDIP, Art. 3 Rn. 6; Re´tornaz/Volders, Rev. crit. DIP 2008, 225, 237 f.; vgl. auch Hess/Mantovani, MPILux Research Paper Series2019 (1), II. 1. b) 612 Bucher, in: Commentaire Romand LDIP, Art. 3 Rn. 6. 613 EGMR, 21.6.16 – Nr. 51357/07 (Nait-Liman/Schweiz) ECLI:CE:ECHR:2016:0621 JUD005135707 Rn. 114. 614 EGMR (Große Kammer), 15. 3. 2018 – Nr. 51357/07 (Nait-Liman/Schweiz) ECLI:CE:ECHR:2018:0315JUD005135707 Rn. 114 ff. Vgl. vgl. auch Hess/Mantovani, MPILux Research Paper Series2019 (1), II. 2. a) 609

E. Zusammenfassende Analyse

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daher nicht die Annahme eines ausreichenden Zusammenhangs zur Schweiz, wenn die einzige Verbindung zur Schweiz der schlichte Aufenthalt des Klägers in der Schweiz zum Zeitpunkt der Klageerhebung ist.

V. Rechtsfolge des Art. 3 IPRG Liegen die Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 3 IRPG vor, ist eine internationale Notzuständigkeit in der Schweiz zu eröffnen. Den Schweizer Gerichten steht bei der Eröffnung einer Notzuständigkeit kein Ermessensspielraum zu. Zwar war im Schlussbericht der Expertenkommission die Eröffnung einer Notzuständigkeit noch als eine Kannvorschrift ausgestaltet gewesen.615 Gleichwohl wurde diese Formulierung nicht in den tatsächlichen Gesetzestext des Art. 3 IPRG übernommen. Dies lässt nur den Schluss zu, dass es sich bei der Eröffnung der Notzuständigkeit um eine gebundene Entscheidung handeln muss, sobald die Tatbestandsmerkmale vorliegen.

E. Zusammenfassende Analyse Nach der Untersuchung der verschiedenen Rechtsordnungen bietet es sich an, an dieser Stelle das Verständnis der verschiedenen Rechtsordnungen von Rechtsverweigerung und die Reichweite des Anspruchs auf Justizgewährung zu analysieren. Dabei wird sich zeigen, dass die Rechtsordnungen grundsätzlich dasselbe Verständnis von Rechtsverweigerung im internationalen Privatrechtsverkehr haben. Auch wird sich zeigen, dass alle untersuchten Rechtsordnungen die Reichweite des verletzten Anspruchs des Klägers auf Justizgewährung aus Art. 6 Abs. 1 EMRK durch das Prinzip des Forumsbezuges beschränken. Diese beiden Aspekte sollen im Folgenden genauer untersucht werden.

I. Die Rechtsverweigerung im internationalen Privatrechtsverkehr Um eine dem Kläger drohende Rechtsverweigerung im internationalen Privatrechtsverkehr abzuwenden, enthalten alle hier untersuchten Rechtsordnungen nationale Notzuständigkeiten, entweder in Form normierter außerordentlicher Zuständigkeiten oder als gewohnheitsrechtlich anerkannte.616 Als ein „Sicherheitsventil“617 verhindern diese Notzuständigkeiten, dass dem 615 Bundesgesetz über das internationale Privatrecht (IPR-Gesetz). Schlussbericht der Expertenkommission zum Gesetzesentwurf, 45, 312. 616 Vgl. die Einführungen zu den nationalen Rechtsordnungen in Teil 1 in B. C. D. und E. 617 Volken, in: Zürcher Kommentar IPRG 2004, Art. 3 Rn. 3 (zur Schweiz).

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1. Teil: Das forum necessitatis in den nationalen Zuständigkeitsordnungen

Kläger eine Rechtsverweigerung widerfährt, auch wenn der Rechtsstreit ansonsten keine Verbindung, die eine reguläre Zuständigkeitsanknüpfung erfüllen würde, zur betroffenen Rechtsordnung aufweist. Dabei wird deutlich, dass es in den hier dargestellten Rechtsordnungen keine Notzuständigkeit ohne eine drohende Rechtsverweigerung geben kann. Erst diese verpflichtet die Rechtsordnungen, eine Zuständigkeit zu eröffnen, um den Justizgewährungsanspruch insbesondere aus Art. 6 Abs. 1 EMRK zu wahren. Die Reichweite des Anwendungsbereichs der Notzuständigkeit bestimmt sich somit in allen Rechtsordnungen nach der Bedeutung und dem Inhalt des Begriffes der Rechtsverweigerung. Dem Verständnis der Rechtsverweigerung kommt deshalb eine herausragende Bedeutung zu. 1. Rechtsverweigerung aufgrund der Unmöglichkeit des Auslandsverfahrens Übereinstimmend gehen die dargestellten Rechtsordnungen davon aus, dass Rechtsverweigerung im internationalen Privatrechtsverkehr vorliegt, wenn der rechtsschutzsuchende Kläger tatsächlich kein Gericht finden kann, das sich seines Rechtsschutzbegehrens annimmt.618 Ein konkretes Rechtsschutzbegehren wird vor keinem Gericht verhandelt und bleibt deshalb letztlich in der Sache unentschieden. Dies verletzt den klägerischen Anspruch auf Justizgewährung aus Art. 6 Abs. 1 EMRK. Weil der Kläger von keinem Gericht eine Sachentscheidung erhalten kann, ist ein Verfahren im Ausland unmöglich. Die Unmöglichkeit der Rechtsverfolgung im Ausland ist als Tatbestandsalternative der Notzuständigkeit in allen der hier untersuchten Rechtsordnungen in der ein oder anderen Form zu finden. In Art. 3 IPRG und in § 28 Abs. 1 Nr. 1 JN ist die Unmöglichkeit des Auslandsverfahrens Tatbestandsmerkmal.619 In Deutschland ist die Unmöglichkeit eine Fallgruppe der gewohnheitsrechtlich anerkannten Notzuständigkeit, die auch im Rahmen der normierten Fürsorgezuständigkeiten zum Tragen kommt.620 Und auch in Frankreich setzt die Eröffnung einer gewohnheitsrechtlich anerkannten Notzuständigkeit zur Vermeidung eines de´ni de justice die Unmöglichkeit eines Auslandsverfahrens voraus.621 Die untersuchten nationalen Rechtsordnungen erfassen im Rahmen der Unmöglichkeit – in Abgrenzung zum alternativen Tatbestandsmerkmal der Unzumutbarkeit – insbesondere Umstände, die außerhalb des Lebensbereichs und der Person des Klägers liegen. So ist etwa ein Auslandsverfahren im Falle eines negativen internationalen Kompetenzkonfliktes objektiv unmöglich, da die unterschiedliche Ausgestaltung der Zuständigkeitssysteme

618

Schröder, Internationale Zuständigkeit, 204. Teil 1 C. I. und Teil 1 D. I. 1. 620 Teil 1 A. I. 2. a). 621 Teil 1 B. I. 1. 619

E. Zusammenfassende Analyse

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als Ursache unabhängig von der subjektiven Situation des Klägers im Einzelfall ist. Das französische Recht berücksichtigt darüber hinaus im Rahmen der Unmöglichkeit auch Umstände, die aus dem Lebensbereich des Klägers entstammen. So können etwa zu hohe Kosten oder auch die tatsächliche Reiseentfernung ein Auslandsverfahren unmöglich machen.622 Im französischen Recht werden also bereits an dieser Stelle diejenigen Fallgruppen behandelt, die die übrigen Rechtsordnungen im Rahmen der Unzumutbarkeit behandeln. Kleinere Unterschiede bestehen auch hinsichtlich der Art der Ursachen, die von der Unmöglichkeit erfasst werden. Im deutschen und französischen Recht kann die Ursache der Unmöglichkeit sowohl rechtlicher – etwa der negative internationale Kompetenzkonflikt – als auch tatsächlicher Natur – etwa der Stillstand der Rechtspflege im an sich zuständigen Forum – sein.623 Im Schweizerischen Recht können hingegen nur rechtliche Umstände die Rechtsverfolgung im Ausland unmöglich machen.624 Tatsächliche Umstände behandelt das eidgenössische Recht gesammelt als Frage der Zumutbarkeit des Auslandsverfahrens. Schließlich spielt die Unterteilung in Österreich grundsätzlich kaum eine Rolle, da dort keine trennscharfe Unterscheidung zwischen der Unmöglichkeit und der Unzumutbarkeit vorgenommen wird.625 All diese Unterschiede sind jedoch angesichts der stets gleichen Rechtsfolge und auch sonst gleichen Voraussetzungen der Notzuständigkeit ohne praktische Bedeutung. Insgesamt behandeln die verschiedenen Rechtsordnungen im Rahmen der Unmöglichkeit weitestgehend die gleichen Fallgruppen. Dabei bestehen wenig Divergenzen in der Handhabung der Frage der Unmöglichkeit. Dies liegt vor allem daran, dass die Feststellung, ob ein Verfahren im Ausland möglich oder unmöglich ist, in den meisten Fällen ohne eine Wertung des erkennenden Gerichts vorgenommen werden kann. 2. Rechtsverweigerung aufgrund der Unzumutbarkeit des Auslandsverfahrens Aber nicht nur die Unmöglichkeit eines Auslandsverfahrens stellt einen ausreichenden Anlass für die Eröffnung einer Notzuständigkeit dar. Auch wenn dem Kläger tatsächlich ein internationaler Gerichtsstand zur Verfügung steht, eröffnen alle hier untersuchten Rechtsordnungen eine Notzuständigkeit, wenn dem Kläger der Gang in dieses Forum nicht zuzumuten ist.626 Rechtsverweigerung im internationalen Privatrechtsverkehr droht also nicht

622

Teil 1 B. I. 1. b) (1). Teil 1 A. I. 1. und 2. a); Teil 1 B. I. 1. 624 Teil 1 D. I. 1. 625 Teil 1 C. I. 626 Teil 1 A. I. 2. b); Teil 1 B. I. 2.; Teil 1 C. I. 1.; Teil 1 D. I. 2. 623

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1. Teil: Das forum necessitatis in den nationalen Zuständigkeitsordnungen

nur dann, wenn das Verfahren im Ausland objektiv nicht möglich ist. Das Verständnis dieser muss vielmehr um einen Aspekt erweitert werden: Trotz Möglichkeit eines Auslandsverfahrens besteht die Gefahr einer Rechtsverweigerung, wenn das tatsächlich mögliche Verfahren im Ausland das Rechtsschutzbegehren des Klägers in keiner Weise zu befriedigen vermag.627 In diesem Fall erhält der Kläger im ausländischen Forum faktisch keinen Rechtsschutz, der diesen Namen verdient. Mit anderen Worten ist ein Verfahren im Ausland dann unzumutbar, wenn dieses Verfahren im Ergebnis einer kompletten Nichtverhandlung des Rechtsschutzbegehrens gleichkommt. Der Kläger erlangt im an sich zuständigen Forum keine „Justiz“.628 Somit bleibt die Möglichkeit des Auslandsverfahrens für den Kläger theoretisch, denn durch die Inanspruchnahme ist ihm nicht geholfen. Die Unzumutbarkeit muss als Ursache der Rechtsverweigerung folglich im Zusammenhang mit der Unmöglichkeit eines Auslandsverfahrens verstanden werden: Der Kläger steht faktisch ebenso ohne Rechtsschutz da, wie wenn kein Gericht sein Rechtsschutzbegehren gehört hätte. Hierdurch bedingt wird der klägerische Anspruch auf Justizgewährung aus Art. 6 Abs. 1 EMRK verletzt, weil das klägerische Rechtsschutzbegehren faktisch nicht durch eine Sachentscheidung befriedigt wird. Anders als bei der Unmöglichkeit, bei der das Auslandsverfahren schlicht nicht möglich ist, muss die Frage der Zumutbarkeit des Auslandsverfahrens durch eine Wertung des erkennenden Gerichts beantwortet werden.629 Dieses muss entscheiden, ob im Einzelfall ein Verfahren im Ausland zumutbar ist, also ob dieses Forum tatsächlich „Rechtsschutz“ in diesem Sinne bieten kann. Von Rechtsordnung zu Rechtsordnung divergieren die einzelnen Ursachen, die im Rahmen der Zumutbarkeit berücksichtigt werden. Dabei ist insgesamt erkennbar, dass mit dem Kriterium der Zumutbarkeit die meisten untersuchten Rechtsordnungen Umstände berücksichtigen, die dem persönlichen Lebensbereich des Klägers entspringen. Ausdrücklich ist dies so im deutschen, österreichischen und schweizerischen Recht.630

627

Acocella, Internationale Zuständigkeit, 66 (zur Schweiz). Ähnlich; Erecin´ski/Weitz, FS Kaissis, 187 (in Bezug zur EuUntVO und Polen); Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 451 (In Bezug zu Deutschland) und Re´tornaz/Volders, Rev. crit. DIP 2008, 225, 234 (rechtsvergleichend zu Frankreich, der Schweiz und der Niederlande). 629 So auch im ähnlichen Zusammenhang Re´tornaz/Volders, Rev. crit. DIP 2008, 225, 249 (rechtsvergleichend zu Frankreich, der Schweiz und der Niederlande). 630 Teil 1 A. I. 2. b); Teil 1 C. I. 1.; Teil 1 D. I. 2.; so auch Bundesgesetz über das internationale Privatrecht (IPR-Gesetz). Schlussbericht der Expertenkommission zum Gesetzesentwurf, 45; Brandenberg Brandl, Direkte Zuständigkeit der Schweiz im internationalen Schuldrecht, 202; Re´tornaz/Volders, Rev. crit. DIP 2008, 225, 234 f. (jeweils zur Schweiz). 628

E. Zusammenfassende Analyse

117

Im französischen Recht werden diese Ursachen hingegen bereits im Rahmen der faktischen Unmöglichkeit berücksichtigt.631 Die Wertung anhand der „Zumutbarkeit“ des Auslandsverfahrens findet in Frankreich daher bereits auf Ebene der Unmöglichkeit statt. Dieser kleine Unterschied ist dadurch bedingt, dass im französischen Recht eine Notzuständigkeit im Falle der Unmöglichkeit allgemein anerkannt ist, während die Fallgruppen der Unzumutbarkeit, die ausschließlich die schlechteren Prozesschancen im Ausland und die Nichtanerkennungsfähigkeit ausländischer Entscheidungen behandeln, umstritten sind.632 Letztlich ergibt sich aber auch hier im Ergebnis kein nennenswerter Unterschied, denn auch im französischen Recht ist der Maßstab für die Unzumutbarkeit, dass das Verfahren im Ausland einer Nichtverhandlung gleichkommt. Auch wenn subjektive Gründe im Rahmen der Zumutbarkeit berücksichtigt werden, zeigt die Untersuchung der nationalen Rechtsordnungen, dass die Wertung anhand eines objektiven Maßstabes zu erfolgen hat. Es wäre verfehlt auf die persönlichen Befindlichkeiten des Klägers abzustellen. Nur weil ein Kläger subjektiv kein Vertrauen in die Justiz des ausländischen Staates hat, kann ihm keine Notzuständigkeit eröffnet werden. Dies würde dem Begriff der Unzumutbarkeit jegliche Kontur rauben und die Pforten für eine uferlose Notzuständigkeit öffnen. Letztlich würde hierdurch das gesamte Zuständigkeitsrecht einer jeden Rechtsordnung untergraben.633 Die subjektive Situation des Klägers kann die Grenze der Zumutbarkeit deshalb nur dann überschreiten, wenn diese Situation allgemein einen Umstand darstellt, der nach einer objektiven Beurteilung zur Unzumutbarkeit des Auslandsverfahrens führt. So ist etwa die politische Verfolgung des Klägers im an sich zuständigen Forum ein Umstand, der objektiv und allgemein die Rechtsverfolgung in diesem Staat jedem Kläger im Falle politischer Verfolgung unzumutbar machen würde. 3. Relative Rechtsverweigerung aufgrund von Anerkennungslücken Zuletzt bringen die hier untersuchten Rechtsordnungen auch Anerkennungslücken mit einer dem Kläger drohenden Rechtsverweigerung in Verbindung. Das österreichische und das eidgenössische Recht nehmen Anerkennungslücken zum Anlass, von der Unzumutbarkeit eines Verfahrens im Ausland auszugehen.634 Auch im deutschen Recht ist es anerkannt, dass An631

Siehe oben Teil 1 B. I. 1. b) (1). Teil 1 B. I. 2. 633 Vgl. auch die Ausführungen zu Deutschland Teil 1 A. I. 2. b) und zu Frankreich Teil 1 B. I. 2. Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 463 f. (zu Deutschland). 634 Teil 1 C. I. 3.; Teil 1 D. I. 2. a). 632

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1. Teil: Das forum necessitatis in den nationalen Zuständigkeitsordnungen

erkennungslücken eine Notzuständigkeit begründen.635 Lediglich in Frankeich ist die Nichtanerkennungsfähigkeit als Ursache der Rechtsverweigerung umstritten, wobei sie zumindest im Falle schwerer Verstöße gegen den ordre public Frankreichs anerkannt zu sein scheint.636 Ohne Rücksicht auf diese Unterschiede lässt sich hieraus grundsätzlich ableiten, dass Anerkennungslücken Rechtsverweigerung verursachen können: Trotz Möglichkeit eines Auslandsverfahrens erhält der Kläger faktisch auch keinen Rechtsschutz, wenn der Anerkennungsstaat weder eine ausländische Entscheidung anerkennt noch eine eigene Zuständigkeit zur Verfügung stellt. Dem Kläger ist es in diesen Fällen nicht möglich, die Rechtslage mit Wirkung für den Anerkennungsstaats feststellen zu lassen. Aus Sicht des Anerkennungsstaats kommt ein Verfahren im Ausland letztlich ebenfalls einer Nichtverhandlung gleich, da die Entscheidung in der Sache nicht als solche anerkannt wird. Das Verfahren im Ausland ist aus diesem Grund unzumutbar, weshalb die Gefahr einer Rechtsverweigerung im Raum steht.637 Verglichen mit den anderen Fällen einer drohenden Rechtsverweigerung beeinträchtigen Anerkennungslücken den Justizgewährungsanspruch jedoch auf andere Art und Weise. Im Ausland existiert tatsächlich ein Forum, das willens und in der Lage ist, das Rechtsschutzbegehren des Klägers zu verhandeln und hierüber eine Sachentscheidung zu treffen. Der die Rechtsverweigerung auslösende Umstand tritt erst dann ein, wenn der Anerkennungsstaat dieser ausländischen Entscheidung keine Wirkung für den eigenen Rechtsverkehr einräumen will. Rechtsverweigerung droht dem Kläger daher nur hinsichtlich der Rechtsordnung des Anerkennungsstaates zu widerfahren, der die Anerkennung der ausländischen Entscheidung ablehnt. Nur für diese Rechtsordnung lässt sich die Rechtslage nicht feststellen. Die drohende Rechtsverweigerung ist demnach relativ, da sie nur hinsichtlich dieser Rechtsordnung droht. Nichtsdestoweniger ist in einem solchen Fall die Rechtsverfolgung im Ausland unzumutbar. Diese schwächere Intensität des Eingriffs in die Rechte des Klägers in Fällen einer Anerkennungslücke führt aber in den untersuchten Rechtsordnungen zu einer Einschränkung der Eröffnung von Notzuständigkeiten. In keinem Staat wird eine außerordentliche Zuständigkeit gewährt, nur weil eine ausländische Entscheidung nicht anerkannt werden kann. Gerade in diesen Fällen muss der Kläger ein besonderes Rechtsschutzbedürfnis vorweisen: Er muss darlegen, dass es ihm gerade darauf ankommt, dass die Rechtslage mit Wirkung für den Rechtsverkehr des jeweiligen Anerkennungsstaats festgestellt wird. Hierfür ist es regelmäßig notwendig, dass die 635

Teil 1 A. I. 3. Teil 1 B. I. 2. c). 637 Vgl. Grolimund, Drittstaatenproblematik des europäischen Zivilverfahrensrechts, Rn. 697. 636

E. Zusammenfassende Analyse

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Entscheidung im Anerkennungsstaat irgendeine Wirkung entfalten oder vollstreckt werden soll. Nur hierdurch wird der ausreichende Bezug des Rechtsstreits zum Forumstaat hergestellt.

II. Das Prinzip des Forumsbezuges In allen hier untersuchten Rechtsordnungen wird eine Notzuständigkeit nicht allein aufgrund einer dem Kläger drohenden Rechtsverweigerung eröffnet. Als weiteres Element muss ein gewisser Bezug zum Forumstaat bestehen.638 Dieser Forumsbezug ist in den hier untersuchten Rechtsordnungen ähnlich ausgestaltet. Im deutschen und französischen Recht setzt die Eröffnung einer Notzuständigkeit stets eine ausreichende Beziehung des Rechtsstreites zum Forum voraus. Das eidgenössische Recht fordert in Art. 3 IPRG einen genügenden Zusammenhang des Sachverhaltes mit der Schweiz. Und auch das österreichische Recht normiert in § 28 Abs. 1 Nr. 2 JN bestimmte Anknüpfungspunkte für eine Notzuständigkeit. Obgleich sich die verwendeten Begrifflichkeiten unterscheiden, wird ersichtlich, dass die verschiedenen Rechtsordnungen durch das Prinzip des Forumsbezuges den Anspruch auf Justizgewährung des Klägers begrenzen. Keine der untersuchten Rechtsordnungen eröffnet für jede weltweit drohende Rechtsverweigerung eine Notzuständigkeit. Hierzu verpflichtet sie der Anspruch auf Justizgewährung auch nicht.639 Erst wenn ein ausreichender Bezug gegeben ist, kann eine drohende Rechtsverweigerung einen Staat verpflichten, ein Notforum zur Verfügung zu stellen. Insofern ist eben nicht jedes Land zuständig, wo sonst kein Land zuständig ist.640 Nur wo ein unabweisbares Rechtsschutzinteresse des Klägers an Rechtsschutz im Forum auftritt, ist eine internationale Notzuständigkeit erforderlich.641 Dieses Rechtsschutzinteresse des Klägers wird durch den Forumsbezug verkörpert, der den klägerischen Anspruch auf Justizgewährung aus Art. 6 Abs. 1 EMRK begrenzt.642 Wo ein solcher Forumsbezug auftritt, besteht auch ein Interesse des Klägers an Rechtsschutz. Weist ein Rechtsstreit hingegen keine Beziehung zum Forumstaat auf, so fehlt es an diesem Rechtsschutzbedürfnis und eine Notzuständigkeit ist nicht erforderlich.643 638

Teil 1 A. VII; Teil 1 B. I. 3.; Teil 1 C. V.; Teil 1 D. IV. Vgl. Schack, IZVR, Rn. 457 (zu Deutschland). 640 Neuhaus, RabelsZ 20 (1955), 201, 265. 641 Vgl. Burgstaller/Neumayr, FS Schlosser, 119, 132 (zu Österreich); Schröder, Internationale Zuständigkeit, 217. 642 Kropholler, in: Handbuch des IZVR I, Kap. III Rn. 57; Heldrich, Internationale Zuständigkeit und anwendbares Recht, 139 f. (jeweils zu Deutschland); vgl. auch EGMR (Große Kammer), 15. 3. 2018 – Nr. 51357/07 (Nait-Liman/Schweiz) ECLI:CE:ECHR: 2018: 0315JUD005135707 Rn. 115 und 216. 643 Schröder, Internationale Zuständigkeit, 216. 639

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1. Teil: Das forum necessitatis in den nationalen Zuständigkeitsordnungen

Für die Vermittlung dieses Rechtsschutzbedürfnisses wird dabei in den untersuchten Rechtsordnungen weitestgehend auf ähnliche personenbezogene als auch sachbezogene Verbindungen zum Forum zurückgegriffen. Nur das österreichische Recht begrenzt die möglichen Anknüpfungspunkte auf Ebene des Gesetzestextes auf bestimmte personenbezogene Anknüpfungsmomente: Nur die österreichische Staatsangehörigkeit des Klägers oder der klägerische Wohnsitz, Sitz oder gewöhnliche Aufenthalt in Österreich können die Eröffnung einer Notzuständigkeit rechtfertigen. Die Begrenzung der Notzuständigkeit auf das Vorliegen eines Rechtsschutzinteresses des Klägers ist dabei durchaus sinnvoll. Diese Begrenzung der Reichweite der Notzuständigkeit unterbindet zunächst exorbitante Möglichkeiten zum forum shopping. Die Notzuständigkeit hat deshalb gerade keine weltweite Gerichtspflichtigkeit des Beklagten zur Folge.644 Darüber hinaus stellt das lokalisierte Rechtsschutzinteresse sicher, dass die aufgrund der Notzuständigkeit gefällte Entscheidung zu einem sinnvollen Ergebnis im Forum führt. So wird das Verfahren nicht zum reinen Selbstzweck, sondern dient weiterhin der Durchsetzung von Ansprüchen oder der Herstellung bestimmter (Präjudiz- oder Gestaltung-)Wirkungen. Das Prinzip des Forumsbezuges ist daher auch Ausdruck der Gewährleistung einer ordentlichen Rechtspflege im Forumstaat:645 Das ist vor allem deshalb notwendig, weil die Anerkennung einer aufgrund einer Notzuständigkeit gefällten Entscheidung im Ausland häufig nicht gesichert ist.646 Diese Erwägungen finden sich vor allem im österreichischen Recht wieder. In der Rechtsprechung des OGH wird, ohne entsprechende Verankerung im Gesetz, eine österreichische Notzuständigkeit abgelehnt, wenn das zu erstreitende Urteil nicht vollstreckt werden kann.647

III. Ergebnis zu Teil 1 Es lässt sich somit ein erstes Fazit zu den eingangs aufgeworfenen Fragen ziehen: Die hier untersuchten Rechtsordnungen kennen Notzuständigkeiten zur Vermeidung von Rechtsverweigerungen, die teilweise unterschiedlich heißen. Eröffnet werden diese Notzuständigkeiten, wenn dem Kläger eine Rechtsverweigerung zu widerfahren droht. Erst sie erfordert und rechtfertigt 644 Schack, IZVR, Rn. 457 (zu Deutschland); Schwimann, ÖZW 1984, 97, 106 (zu Österreich). 645 Vgl. EGMR (Große Kammer), 15. 3. 2018 – Nr. 51357/07 (Nait-Liman/Schweiz) ECLI:CE:ECHR:2018:0315JUD005135707 Rn. 122 ff. 646 Schack, IZVR, Rn. 457 (zu Deutschland). 647 Vgl. Teil 1 C. VI. Die ungeschriebene Voraussetzung, dass eine Entscheidung eines österreichischen Gerichts tatsächlich vollstreckt werden kann, ist jedoch umstritten, da sie die Reichweite der Notzuständigkeit übermäßig einschräkt.

E. Zusammenfassende Analyse

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eine Notzuständigkeit. Dem Umfang des Konzepts der Rechtsverweigerung kommt deshalb wesentliche Bedeutung zu. Dabei umschreiben die untersuchten Rechtsordnungen die Rechtsverweigerung übereinstimmend mit der Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit eines Auslandsverfahrens. Sie droht einer rechtsschutzsuchenden Partei dann zu widerfahren, wenn sie tatsächlich kein Gericht finden kann, das sich ihres Rechtsschutzbegehrens annimmt. Andererseits liegt Rechtsverweigerung vor, wenn das Verfahren im Ausland aus verschiedenen Gründen einer Nichtverhandlung gleichkommt, wozu auch der Sonderfall der Anerkennungslücke zu zählen ist. Rechtsverweigerung bedeutet daher, dass das Rechtsschutzbedürfnis des Klägers in keiner Weise durch eine Sachentscheidung eines Gerichtes befriedigt wird. Dass das Verständnis der Rechtsverweigerung in allen untersuchten Rechtsordnungen grundsätzlich dasselbe ist, verwundert jedoch nicht. Mittels der außerordentlichen (Not-) Zuständigkeiten schützen alle untersuchten Rechtsordnungen denselben klägerischen Anspruch auf Justizgewährung, insbesondere aus Art. 6 Abs. 1 EMRK.648 Rechtsverweigerung ist letztlich nichts anderes als die Tatsache, dass der Anspruch des Klägers auf Justizgewährung dadurch verletzt wird, dass ein Rechtsschutzbegehren nicht in der Sache entschieden wird. Dabei beinhaltet Art. 6 Abs. 1 EMRK die Voraussetzungen, die an ein Verfahren zu stellen sind, damit die resultierende Entscheidung als eine gerechte und faire Sachentscheidung des klägerischen Rechtsschutzbegehrens anzusehen ist.649 Der genaue Inhalt des Anspruches auf Justizgewährung determiniert daher das Verständnis von Rechtsverweigerung: Kann keine Entscheidung eingeholt werden, die den Vorgaben des Art. 6 Abs. 1 EMRK gerecht wird, liegt keine Entscheidung in der Sache vor und dem Kläger droht Rechtsverweigerung zu widerfahren. Diese realisiert sich, wenn kein Gericht eines Konventionsstaates das Rechtsschutzbegehren in der Sache verhandelt und entscheidet. Es sind somit die Verstöße gegen den Anspruch auf Justizgewährung des Art. 6 Abs. 1 EMRK, die das Verständnis von Rechtsverweigerung im internationalen Privatrechtsverkehr definieren und prägen.650 Gleichzeitig kann die Gefahr einer drohenden Rechtsverweigerung allein in keiner untersuchten Rechtsordnung eine Notzuständigkeit begründen. Als weiteres Element muss ein gewisser Forumsbezug bestehen. Dieses Prinzip des Forumsbezuges begrenzt die Reichweite des Anspruches auf Justizgewährung und dadurch die Reichweite der Letztverantwortlichkeit der un648 Bidell, Die Erstreckung der Zuständigkeiten der EuGVO auf Drittstaatensacherhalte, 190. 649 Ähnlich auch Heldrich, Internationale Zuständigkeit und anwendbares Recht, 139 f. (zu Deutschland); Matscher, FS Schwind 93, 71, 79 f.; Matscher, öZÖR 31 (1980), 1, 12 ff. (jeweils zu Österreich). 650 So auch Heldrich, Internationale Zuständigkeit und anwendbares Recht, 140.

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1. Teil: Das forum necessitatis in den nationalen Zuständigkeitsordnungen

tersuchten Rechtsordnungen, Rechtsverweigerung zu vermeiden. Erst wenn ein solcher Bezug besteht, verpflichtet der Justizgewährungsanspruch des Klägers zur außerordentlichen Gewährung einer Notzuständigkeit.

2. Teil

Grundstrukturen einer europäischen Notzuständigkeit Im ersten Teil hat sich gezeigt, dass es in den verschiedenen untersuchten nationalen Rechtsordnungen große Gemeinsamkeiten hinsichtlich der Notzuständigkeiten zur Vermeidung drohender Rechtsverweigerung gibt. Dabei hat sich ein grundsätzlich übereinstimmendes Verständnis der Rechtsverweigerung im internationalen Privatrechtsverkehr herauskristallisiert: Rechtsverweigerung umschreibt den Umstand, dass das klägerische Rechtsschutzbegehren nicht mit einer Entscheidung in der Sache befriedigt werden kann. Möglich ist dies einerseits, wenn sich im Ausland tatsächlich kein Gericht finden lässt, dass eine Entscheidung in der Sache trifft – dann ist das Verfahren unmöglich – oder wenn die Entscheidung des ausländischen Gerichts derart mangelhaft ist, dass sie das Rechtsschutzbegehren des Klägers nicht adäquat befriedigen kann – dann ist das Verfahren unzumutbar. So umschreiben die untersuchten nationalen Rechtsordnungen, geprägt vom selben Verständnis des Anspruches auf Justizgewährung, insbesondere aus Art. 6 Abs. 1 EMRK, die Rechtsverweigerung im internationalen Privatrechtsverkehr mit der Unmöglichkeit und Unzumutbarkeit eines Auslandsverfahrens. Auch die hier interessierenden Vorschriften des europäischen forum necessitatis der Art. 7 EuUntVO, Art. 11 EuErbVO, Art. 11 EuGüVO und Art. 11 EuPartVO umschreiben die Rechtsverweigerung mit den Systembegriffen der Unmöglichkeit und Unzumutbarkeit eines Verfahrens in einem Drittstaat. Diese Notzuständigkeiten verfolgen dabei ebenfalls den Zweck, den klägerischen Anspruch auf Justizgewährung aus Art. 6 Abs. 1 EMRK und Art. 47 Abs. 2 EuGRCh zu schützen und dem Kläger im Falle einer drohenden Rechtsverweigerung ein außerordentliches Forum in einem Mitgliedstaat zu eröffnen.1 Auf Ebene des europäischen Verordnungsrechts 1

Vgl. Erwägungsgrund Nr. 16 EuUntVO; Erwägungsgrund 31 EuErbVO; Erwägungsgrund Nr. 41 EuGüVO und Erwägungsgrund Nr. 40 EuPartVO; Andrae, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 7 EG-UntVO Rn. 1; Bidell, Die Erstreckung der Zuständigkeiten der EuGVO auf Drittstaatensacherhalte, 168 ff.; Bonomi, in: Bonomi/Wautelet, Le droit europe´en des successions, Art. 11 Rn. 1 ff.; Buonaiuti, in: Calvo Caravaca/Davı`/Mansel, ESR Commentary, Art. 11 ESR Rn. 2; Erecin´ski/Weitz, FS Kaissis, 187, 193; Gitschthaler, in: Deixler-Hübner/Schauer, Art. 11 EuErbVO Rn. 1; Looschelders, in: MüKo BGB, Art. 11

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2. Teil: Grundstrukturen einer europäischen Notzuständigkeit

schützt die Notzuständigkeit dabei denselben Anspruch auf Justizgewährung wie auf Ebene des nationalen Zuständigkeitsrechts. Inhalt und Reichweite des geschützten Justizgewährungsanspruches determiniert dabei vor allem Art. 6 Abs. 1 EMRK. Diese Vorschrift bindet die untersuchten Rechtsordnungen als Vertragsstaaten der EMRK bei der Ausführung des nationalen Rechts ebenso wie die Europäische Union und die Mitgliedstaaten bei der Ausführung europäischer Rechtsakte. Dies ergibt sich unmittelbar aus Art. 6 Abs. 3 EUV,2 wonach die Grundrechte, wie sie in der EMRK gewährleistet sind, als allgemeine Grundsätze Teil des Unionsrechts sind. Zudem bestätigt auch Art. 52 Abs. 3 EuGRCh dieses Verständnis, indem er vorgibt, dass der Anspruch auf Justizgewährung aus Art. 47 Abs. 2 EuGRCh nicht enger als der von Art. 6 Abs. 1 EMRK erfasste Anspruch verstanden werden darf.3 Die Anwendung der hier untersuchten Verordnungen muss daher mit den Rechten, wie sie sich aus der EMRK ergeben, im Einklang stehen. Weil sowohl auf Ebene der nationalen Rechtsordnungen als auch auf Ebene der europäischen Verordnungen derselbe Anspruch auf Justizgewährung durch die Notzuständigkeit geschützt wird, muss auch das grundsätzliche Verständnis von Rechtsverweigerung im Rahmen einer europäischen Notzuständigkeit ein ähnliches sein. Das aus Literatur und Rechtsprechung der untersuchten Rechtsordnungen herauskristallisierte Verständnis einer drohenden Rechtsverweigerung kann als Ausgangspunkt für ein europäisches Verständnis herangezogen werden, wenngleich dieses zur Lösung gemein unionsrechtlicher Problemfelder erweitert werden kann und muss.4 Auch im Rahmen des europäischen forum necessitatis beschreibt die Rechtsverweigerung daher grundsätzlich den Umstand, dass das klägerische Rechtsschutzbegehren tatsächlich nicht mit einer Entscheidung in der Sache befriedigt wird. Dabei ist es egal, ob sich schlicht kein internationaler Gerichtsstand finden lässt, oder die Entscheidung des an sich zuständigen Ge-

EuGüVO Rn. 1; Panopoulos, in: Pamboukis, ESR Commentary, Art. 11 ESR Rn. 6; Schmidt, in: BeckOGK, Stand 1.5.2020, Art. 11 EuErbVO Rn. 3; Simotta, in: Fasching/ Konecny, § 77 JN Rn. 147; Weber, in: Burgstaller/Neumayr, Internationales Zivilverfahrensrecht, Art. 7 EuUntVO Rn. 2; Wurmnest, in: BeckOGK, Stand 1.11.2019, Art. 7 EuUntVO Rn. 3 jeweils m.w.N. 2 Vertrag über die Europäische Union (konsolidierte Fassung), ABl. 2012 Nr. C 326, 13. 3 Bidell, Die Erstreckung der Zuständigkeiten der EuGVO auf Drittstaatensacherhalte, 169 f. 4 Die Besonderheiten des Unionsrechts können es etwa erforderlich machen, weitere Fallgestaltungen in das Verständnis von Rechtsverweigerung mit aufzunehmen. Das aus den nationalen Rechtsordnungen herausgebildete Verständnis darf daher nicht als abschließende Definition des europäischen Rechts verstanden werden.

A. Der Begriff des Drittstaates in den untersuchten Verordnungen

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richts schlicht einer Nichtverhandlung gleichkommt. Der Kläger steht in beiden Fällen rechtsschutzlos dar.5 Weitergehend wird auch im Rahmen der europäischen Notzuständigkeit die Reichweite der mitgliedstaatlichen Verpflichtung zur Justizgewährung aus Art. 6 Abs. 1 EMRK und Art. 47 Abs. 2 EuGRCh durch das Prinzip des Forumsbezuges eingeschränkt. Ausweislich des Uabs. 2 der Artt. 7 EuUntVO, 11 EuErbVO, 11 EuGüVO und 11 EuPartVO muss der Rechtsstreit einen ausreichenden Bezug zum Mitgliedstaat des angerufenen Gerichtes aufweisen, damit dieses sich für international zuständig erklären kann. Wie in den nationalen Rechtsordnungen, begrenzen somit auch die europäischen Notzuständigkeiten die Reichweite der Letztverantwortlichkeit der mitgliedstaatlichen Gerichte. Nur soweit eine ausreichende Nähebeziehungen zur Rechtsordnung des angerufenen Gerichts existiert, besteht die aus Art. 6 Abs. 1 EMRK und Art. 47 Abs. 2 EuGRCh herrührende Pflicht des Staates des angerufenen Gerichts zur Justizgewährung. Vor diesem Hintergrund wird klar, dass für die weitere Untersuchung der europäischen Notzuständigkeit die in den nationalen Rechtsordnungen gefundenen Fallgruppen der Rechtsverweigerung die Basis der Auslegung bilden können. Auf dieser Grundlage können anschließend anhand der unionsrechtlich-autonomen Auslegung die Grundstrukturen einer europäischen Notzuständigkeit entwickelt werden. Die Bildung solcher allgemeinen Grundsätze fördert die „rechtsaktübergreifende Stimmigkeit“6 der europäischen Regelungen zur Notzuständigkeit und leistet so einen Beitrag zur Klarheit und Anwendbarkeit der verschiedenen europäischen Regelungen.

A. Der Begriff des Drittstaates in den untersuchten Verordnungen Dem Wortlaut der Art. 7 EuUntVO, Art. 11 EuErbVO, Art. 11 EuGüVO und Art. 11 EuPartVO nach muss die Rechtsverfolgung in einem Drittstaat unmöglich oder unzumutbar sein. Bevor die Grundstrukturen einer europäischen Notzuständigkeit erarbeitet werden können, ist die Klärung der Reichweite des Begriffs des „Drittstaates“ notwendig. Was ein „Drittstaat“ im Rahmen der jeweils anwendbaren Verordnung ist, ist von Verordnung von Verordnung unterschiedlich. Denn um „Drittstaaten“ im Sinne dieser Verordnungen handelt es sich um all diejenigen Staaten, die nicht unmittelbar durch die Verordnungen gebunden sind.7 Grundsätzlich binden diese Verord-

5

Vgl. Teil 1 E. I. Hau, FS Kaissis, 355, 359. 7 Bonomi, in: Bonomi/Wautelet, Le droit europe´en des successions, Introduction Rn. 16 6

126

2. Teil: Grundstrukturen einer europäischen Notzuständigkeit

nungen alle Mitgliedstaaten der EU, da EU-Recht in allen Mitgliedstaaten gilt (Art. 52 EUV). In Dänemark sind diese Verordnungen jedoch nicht anwendbar, da Dänemark grundsätzlich nicht an der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen teilnimmt.8 Zudem haben das Vereinigte Königreich von Großbritannien und Nordirland sowie Irland sich eine besondere Stellung bei Maßnahmen im Bereich des Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts ausbedungen: Diese Sonderstellung ermöglicht diesen Staaten, bei bestimmten Rechtsakten der EU im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit nicht mitzuwirken.9 Sofern diese Mitgliedstaaten sich nicht an den hier untersuchten Verordnungen beteiligen, sind diese Staaten als Drittstaaten im Sinne der Verordnungen zu klassifizieren. An der EuUntVO haben sich Dänemark durch einen Staatsvertrag,10 das Vereinigte Königreich von Großbritannien und Nordirland11 und Irland12 beteiligt, sodass sie im Rahmen dieser Verordnungen Mitgliedstaaten und keine Drittstaaten sind.13 An der EuErbVO haben sich diese Staaten hingegen nicht beteiligt, sodass sie im Rahmen dieser Verordnung als Drittstaaten zu qualifizieren sind.14 Komplizierter ist die Rechtslage bei der EuGüVO und EuPartVO: Diese Verordnungen sind im Rahmen einer verstärkten Zusammenarbeit mehrerer Mitgliedstaaten nach Artt. 326 ff. AUEV entstanden, nachdem die nach Art. 81 Abs. 3 Uabs. 1 S. 2 AUEV für den Erlass einer Verordnung notwendige Einstimmigkeit aller Mitgliedstaaten im Rat nicht erzielt werden und Art. 3 Rn. 4; Dutta, in: MüKo BGB, Vorbemerkungen zu Art. 1 EuErbVO Rn. 30; Reuß, in: Geimer/Schütze, Int. Rechtsverkehr, Art. 7 EuUntVO Rn. 5; Wall, in: Geimer/ Schütze, Int. Rechtsverkehr, Art. 11 EuErbVO Rn. 9; Wurmnest, in: BeckOGK, Stand 1.11.2019, Art. 11 EuUntVO Rn. 11 jeweils m.w.N. 8 Artt. 1, 2 des Protokolls (Nr. 22) über die Position Dänemarks, ABl. 2008 C 115, 299. 9 Artt. 1–4a des Protokolls (Nr. 21) über die Position des Vereinigten Königreichs und Irlands hinsichtlich des Raums, der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, ABl. 2008 C 115, 295. 10 Abkommen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und dem Königreich Dänemark über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, ABl. 2009 L 149, 80. 11 Erklärung vom 3.2.2009, 5810/09 Justciv 29, von der Kommission angenommen durch Entscheidung 2009/451/EG vom 8.6.2009, ABl. 2009 L 149, 73. Zu beachten ist jedoch der Austritt des Vereinigten Königreiches von Großbritannien und Nordirland aus der Union nach Art. 50 EUV. 12 Erwägungsgrund 46 EuUntVO. 13 Hierzu ausführlich Wurmnest, in: BeckOGK, Stand 1.11.2019, Art. 1 EuUntVO Rn. 111 ff. m.w.N. auch in Bezug auf die Geltung der EuUntVO in verschiedenen Teilen des Hoheitsgebiets einzelner Mitgliedstaaten. 14 Erwägungsgründe 81 und 82 EuErbVO; hierzu ausführlich Bonomi, in: Bonomi/ Wautelet, Le droit europe´en des successions, Introduction Art. 1 Rn. 16 und Art. 3 Rn. 4; Dutta, in: MüKo BGB, Vorbemerkungen zu Art. 1 EuErbVO Rn. 29 ff. jeweils m.w.N.

B. Rechtsverweigerung bei Unmöglichkeit eines drittstaatlichen Verfahrens

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konnte.15 Aus diesem Grund binden diese Verordnungen nur 18 Mitgliedstaaten.16 Die übrigen Staaten der EU, die nicht in den Erwägungsgründen 11 der EuGüVO und EuPartVO aufgezählt sind, sind daher solange Drittstaaten im Sinne dieser Verordnungen, bis sie den Verordnungen nach Maßgabe des Art. 328 AUEV beigetreten sind. Für fast alle untersuchten Verordnungen muss daher ein etwas anderes Verständnis des Begriffes des Drittstaates herangezogen werden. Sofern in der nachfolgenden Untersuchung der Begriff des Drittstaates verwendet wird, bezieht er sich auf das oben dargestellte Verständnis dieses Begriffes im Rahmen der jeweiligen Verordnung.

B. Rechtsverweigerung aufgrund der Unmöglichkeit eines drittstaatlichen Verfahrens Erster Gegenstand der Untersuchung ist die Rechtsverweigerung aufgrund der Unmöglichkeit des drittstaatlichen Verfahrens. Unmöglichkeit bedeutet dabei grundsätzlich, dass eine rechtsschutzsuchende Partei tatsächlich kein Gericht finden kann, das sich seinem Rechtsschutzbegehren annimmt. Das konkrete Rechtsschutzbegehren wird vor keinem Gericht verhandelt und bleibt deshalb letztlich in der Sache unentschieden. Die Tatsache, dass der Kläger keine Entscheidung in der Sache erhält, verletzt den klägerischen Anspruch auf Justizgewährung aus Art. 6 Abs. 1 EMRK und stellt Rechtsverweigerung dar. Denn dieser Anspruch sieht vor, dass ein klägerisches Rechtsschutzbegehren vor einem kompetenten Gericht verhandelt und in der Sache selbst entschieden wird.17 Als Ursache der Unmöglichkeit eines Verfahrens im Drittstaat kommen sowohl rechtliche als auch tatsächliche Ursachen in Betracht. Ob im Einzelfall ein Verfahren in einem Drittstaat möglich ist oder nicht, hängt von keiner Wertung des erkennenden Gerichtes eines Mitgliedstaates ab. Es geht lediglich um die Feststellung, ob vor einem Gericht in einem Drittstaat ein Ver-

15 Erwägungsgründe 10 ff. EuGüVO und Erwägungsgründe 10 ff. EuPartVO; hierzu ausführlicher Looschelders, in: MüKo BGB, vor Art. 1 EuGüVO Rn. 14 ff. m.w.N. 16 Erwägungsgrund 11 EuGüVO und Erwägungsgrund 11 EuPartVO; hierzu ausführlicher Looschelders, in: MüKo BGB, vor Art. 1 EuGüVO Rn. 14 ff. Die teilnehmenden Mitgliedstaaten sind: Belgien, Bulgarien, die Tschechische Republik, Deutschland, Griechenland, Spanien, Frankreich, Kroatien, Italien, Luxemburg, Malta, die Niederlande, Österreich, Portugal, Slowenien, Finnland, Schweden und Zypern. 17 Vgl. EGMR, 12.6.2001 – Nr. 42527/98 (Prinz Hans-Adam II von Liechtenstein/ Deutschland), ECLI:CE:ECHR:2001:0712JUD004252798, Rn. 52; EGMR, 21.2.2002 – Nr. 48778/99 (Kutic/Kroatien), ECLI:CE:ECHR:2002:0301JUD004877899, Rn. 24.

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2. Teil: Grundstrukturen einer europäischen Notzuständigkeit

fahren möglich ist. Die Hindernisse, die zur Unmöglichkeit eines Verfahrens in einem Drittstaat führen, müssen objektiv festgestellt werden. Es reicht daher nicht aus, dass der Kläger nur behauptet, ein Verfahren in einem Drittstaat sei nicht möglich, ohne diese Behauptung nachzuweisen.18 Die Gefahr einer drohenden Rechtsverweigerung muss positiv feststehen. Sobald dies der Fall ist, muss der Kläger jedoch nicht vorher vergeblich versucht haben, im Drittstaat ein Verfahren zu führen. Die Tatsache, dass der Drittstaat das Rechtsschutzbegehren des Klägers nicht in der Sache entscheiden wird, reicht zur Begründung der Unmöglichkeit aus. Nachfolgend sollen die Ursachen der Rechtsverweigerung aufgrund der Unmöglichkeit des Verfahrens, die in den nationalen Rechtsordnungen anerkannt sind, im Hinblick auf die Verwertbarkeit für die europäischen Regelungen genauer analysiert werden. Hierdurch soll dieser Aspekt der Rechtsverweigerung auf europäischer Ebene weiter konkretisiert werden.

I. Der negative internationale Kompetenzkonflikt Das Auftreten eines negativen internationalen Kompetenzkonfliktes nehmen alle hier untersuchten Rechtsordnungen zum Anlass, eine Notzuständigkeit zu eröffnen.19 Die Literatur zu den europäischen Notzuständigkeiten, insbesondere zu den Notzuständigkeiten der Art. 7 EuUntVO und Art. 11 EuErbVO, führt ebenfalls den negativen internationalen Kompetenzkonflikt als mögliche Ursache für die Unmöglichkeit eines drittstaatlichen Verfahrens auf.20 Ein solcher liegt vor, wenn diejenigen (Dritt)Staaten, zu denen der Rechtsstreit eine enge Verbindung aufweist,21 nach ihren jeweiligen Verfahrensrechten, ihre Entscheidungszuständigkeit ablehnen.22 Dies ist möglich, da jeder Staat die Vorschriften über die internationale Entscheidungszuständigkeit ausschließlich selbst gestaltet und Staaten keine internationale „All18

Panopoulos, in: Pamboukis, ESR Commentary, Art. 11 ESR Rn. 9; Wall, in: Geimer/ Schütze, Int. Rechtsverkehr, Art. 11 EuErbVO Rn. 19. 19 Teil 1 A. I. 1.; Teil 1 B. I. 1. a); Teil 1 C. I. 1.; Teil 1 D. I. 1. a). 20 Andrae, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 7 EG-UntVO Rn. 8; Bonomi, in: Bonomi/ Wautelet, Le droit europe´en des successions, Art. 11 Rn. 8; Buonaiuti, in: Calvo Caravaca/ Davı`/Mansel, ESR Commentary, Art. 11 ESR Rn. 2; Erecin´ski/Weitz, FS Kaissis, 187; Gitschthaler, in: Deixler-Hübner/Schauer, Art. 11 EuErbVO Rn. 1; Hau, FS Kaissis, 355, 356; Hertel, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 1 EuErbVO Rn. 5; Panopoulos, in: Pamboukis, ESR Commentary, Art. 11 ESR Rn. 7; Rauscher, in: MüKo FamFG, Art. 11 EuErbVO Rn. 4; Schmidt, in: BeckOGK, Stand 1.5.2020, Art. 11 EuErbVO Rn. 13; Wall, in: Geimer/Schütze, Int. Rechtsverkehr, Art. 11 EuErbVO Rn. 21; Wurmnest, in: BeckOGK, Stand 1.11.2019, Art. 7 EuUntVO Rn. 15. Zu Art. 26 EuGVO-E Bidell, Die Erstreckung der Zuständigkeiten der EuGVO auf Drittstaatensacherhalte, 193. 21 Siehe hierzu Teil 2 D. 22 Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 451.

B. Rechtsverweigerung bei Unmöglichkeit eines drittstaatlichen Verfahrens

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zuständigkeit“ beanspruchen.23 Deshalb ist es möglich, dass Staaten Zuständigkeiten unterschiedlich bestimmen, sich gegeneinander die Zuständigkeit zuweisen und kein Staat diese „Verweisung“ annimmt. Es droht Rechtsverweigerung, weil ohne eine Notzuständigkeit ein konkretes Rechtsschutzbegehren vor keinem Gericht verhandelt werden würde. Ein Verfahren in einem Drittstaat ist daher unmöglich. Im Übrigen ist unerheblich, ob die Unzugänglichkeit der in Frage kommenden Gerichtsstände in rechtsstaatlich einwandfreien Verfahren beschieden wurde. Denn die rechtsstaatlich einwandfreie Bescheidung ändert nichts an der Tatsache, dass ein konkreter Streitfall von keinem Gericht gehört wird und eine Entscheidung in der Sache selbst versagt bleibt.24 In den untersuchten nationalen Rechtsordnungen ist der negative internationale Kompetenzkonflikt als Ursache einer drohenden Rechtsverweigerung nicht nur theoretischer Natur. Dort sind diverse Entscheidungen zu finden, in denen nationale Gerichte eine nationale Notzuständigkeit aufgrund solcher Kompetenzkonflikte eröffnet haben.25 Hieraus ergibt sich eine Struktur von drei Fallgruppen für das Entstehen eines negativen internationalen Kompetenzkonfliktes: Die beteiligten Rechtsordnungen verwenden das gleiche Anknüpfungsmoment, definieren und bestimmen diesen jedoch unterschiedlich (1). Die beteiligten Rechtsordnungen verwenden unterschiedliche Anknüpfungsmomente (2). Eine Gerichtsstandsvereinbarung wird vom prorogierten Forum für unwirksam, vom derogierten Forum für wirksam gehalten (3). Diese Einteilung ist vor allem in der Literatur zum deutschen Recht zu finden, die sich mit dem Phänomen des negativen internationalen Kompetenzkonflikts ausführlich beschäftigt hat.26 1. Unterschiedliche Bestimmung des gleichen Anknüpfungspunktes Ein negativer internationaler Kompetenzkonflikt kann dadurch entstehen, dass die an einem Rechtsstreit beteiligten Rechtsordnungen die gleichen Anknüpfungspunkte zur Bestimmung der internationalen Zuständigkeit verwenden, diese jedoch unterschiedlich auslegen und definieren.27 Ebenso wie das Zuständigkeitsrecht selbst, richtet sich auch die Auslegung prozessrechtlicher Begriffe, wie der Anknüpfungsmomente, regelmäßig nach dem Recht 23

Brandenberg Brandl, Direkte Zuständigkeit der Schweiz im internationalen Schuldrecht, 202; Kropholler, in: Handbuch des IZVR I, Kap. III Rn. 182; Riezler, Internationales Zivilprozessrecht, 205. 24 Schröder, Internationale Zuständigkeit, 204. 25 Für die Entscheidungen siehe Teil 1 A. I. 1.; Teil 1 B. I. 1. a); Teil 1 D. I. 1. a). 26 Vgl. Teil 1 A. I. 1. 27 Brandenberg Brandl, Direkte Zuständigkeit der Schweiz im internationalen Schuldrecht, 203; Kropholler, in: Handbuch des IZVR I, Kap. III Rn. 183; Milleker, Der negative internationale Kompetenzkonflikt, 28; Walter/Domej, IZVR der Schweiz, § 3 II 3 b), S. 112.

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2. Teil: Grundstrukturen einer europäischen Notzuständigkeit

des Gerichtsstaates (der lex fori)28, bzw. im europäischen internationalen Zivilverfahrensrecht nach europarechtsautonomer Auslegung.29 Deshalb können verschiedene Rechtsordnungen die gleichen Anknüpfungspunkte für die Zuständigkeit verschieden definieren oder andere Kriterien zur Bestimmung des Vorliegens dieses Anknüpfungspunktes heranziehen.30 Hierdurch ist es möglich, dass die Rechtsordnung des zuerst um Rechtsschutz ersuchten Staates einen bestimmten Anknüpfungspunkt in einem zweiten Staat verwirklicht sieht, der die Anknüpfung jedoch in dem ersten Staat oder gar einem dritten Staat, der sich ebenfalls für unzuständig hält, als erfüllt ansieht. Auf diese Art können im Anwendungsbereich aller hier interessierenden Verordnungen negative internationale Kompetenzkonflikte entstehen. Ein Drittstaat kann dieselben Anknüpfungsmomente zur Bestimmung der internationalen Zuständigkeit verwenden, wie die hier untersuchten Verordnungen, diese aber anders ausgelegen und definieren. Praktisch relevant kann diese Ursache vor allem für die Anknüpfung an den „gewöhnlichen Aufenthalt“ werden, der in allen hier interessierenden Verordnungen als Anknüpfungsmoment herangezogen wird.31 Die Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts einer Person hängt von einer rechtlichen Abwägung des erkennenden Gerichtes ab.32 Die Unbestimmtheit dieses Anknüpfungsmoments und die Tatsache, dass die Auslegung dieses Begriffs stets einen gewissen Wertungsspielraum zulässt,33 können unterschiedliche Interpretationen desselben Anknüpfungsmoments durch ein Gericht in einem Drittstaat und ein Gericht in einem Mitgliedstaat fördern. Es ist daher möglich, dass ein mitgliedstaatliches Gericht den gewöhnlichen Aufenthalt als maßgeblichen Anknüpfungsmoment in einem Drittstaat erfüllt sieht, während der Drittstaat den gewöhnlichen Aufenthalt anhand anderer Kriterien bestimmt und diesen in dem Mitgliedstaat erfüllt sieht.

28 Vgl. nur Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, Rn. 319 ff.; Milleker, Der negative internationale Kompetenzkonflikt, 28; Riezler, Internationales Zivilprozessrecht, 91 und 103; Schnyder/Liatowitsch, Internationales Privat- und Zivilverfahrensrecht, § 10 Rn. 322; Siehr, IPR der Schweiz, § 34 IV. 1. a); Walder, Einführung in das IZPR der Schweiz, § 3 Rn. 1. 29 Schack, IZVR, Rn. 55 und 98; Staudinger, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Einl. Brüssel Ia-VO Rn. 36. 30 Kropholler, in: Handbuch des IZVR I, Kap. III Rn. 183; Milleker, Der negative internationale Kompetenzkonflikt, 28; Schütze, FS Rechberger, 567, 571. 31 Siehe etwa: Art. 3 lit. a) und b) EuUntVO, Art. 4 EuErbVO und Artt. 6 lit. a), b) und c) EuGüVO und EuPartVO. Die Bedeutung des „gewöhnlichen Aufenthalts“ ist jedoch im Rahmen dieser Verordnungen unterschiedlich, vgl. nur Rentsch, Der gewöhnliche Aufenthalt im System des Europäischen Kollisionsrechts, 7 ff. m.w.N. 32 Vgl. nur Rentsch, Der gewöhnliche Aufenthalt im System des Europäischen Kollisionsrechts, 7 ff. m.w.N.; Schurig, FS Spellenberg, 343, 346 zur EuErbVO. 33 Schurig, FS Spellenberg, 343, 346; Wall, ZErb 2014, 272, 273 ff.

B. Rechtsverweigerung bei Unmöglichkeit eines drittstaatlichen Verfahrens

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Tatsächlich kann im Anwendungsbereich der hier untersuchten Verordnungen eine so verursachte Kollision sogar unter Mitgliedstaaten entstehen. So hat Wall am Beispiel der Auslegung des Anknüpfungsmoments des „gewöhnlichen Aufenthalts“ nach Art. 4 EuErbVO beschrieben, wie ein negativer internationaler Kompetenzkonflikt zwischen zwei mitgliedstaatlichen Gerichten auftreten kann.34 Gerade weil der Begriff des „gewöhnlichen Aufenthalts“ einen gewissen Wertungsspielraum zulässt,35 können zwei mitgliedstaatliche Gerichte bei der Auslegung zu unterschiedlichen aber vertretbaren Ergebnissen kommen und den gewöhnlichen Aufenthalt des Erblasser jeweils im anderen beteiligten Mitgliedstaat verwirklicht sehen. Die Lösung dieses Konfliktes führt jedoch nicht über die Notzuständigkeit, sondern über eine Vorlage zum EuGH nach Art. 267 AEUV.36 Können solche Kollisionen unter Mitgliedstaaten entstehen, so ist es erst recht möglich, dass Drittstaaten ein anderes Verständnis des gewöhnlichen Aufenthaltes haben und diesen in einem Mitgliedstaat verwirklicht sehen, während der Mitgliedstaat den Drittstaat für zuständig hält. Gerade anhand dieses Beispiels ist es erkennbar, dass die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe mit einem Wertungsspielraum anfällig für das Auftreten negativer internationaler Kompetenzkonflikte ist. 2. Zusammentreffen verschiedener Anknüpfungspunkte Alternativ, und in den oben dargestellten Rechtsordnungen weitaus häufiger anzutreffen,37 kann ein negativer internationaler Kompetenzkonflikt durch das Zusammentreffen verschiedener Anknüpfungspunkte entstehen. Da das Zuständigkeitsrecht nationales Recht ist, können verschiedene Rechtsordnungen andere Anknüpfungspunkte für die internationale Entscheidungszuständigkeit bestimmen.38 Weisen die verschiedenen Anknüpfungspunkte den beteiligten Staaten gegenseitig die Entscheidungszuständigkeit oder einem dritten Staat zu, der sich ebenfalls für unzuständig erklärt, weil auch diese Rechtsordnung das entsprechende Anknüpfungsmerkmal nicht kennt oder nicht bei sich verwirklicht sieht, kann es zu einem negativen internati34

Wall, ZErb 2014, 272, 273 ff. Schurig, FS Spellenberg, 343, 346. 36 So in Bezug auf Unklarheiten bei Art. 3 lit. b) EuUntVO Hau, FS Kaissis, 355, 365. Nach Wall, ZErb 2014, 272, 276 ff. soll das Gericht des Zweitstaates sogar an die Subsumtion des Erstgerichts wegen Art. 39 ff. EuErbVO gebunden sein. So auch Dutta, in: MüKo BGB, Art. 4 EuErbVO Rn. 13. 37 Vgl. insbesondere Deutschland Teil 1 A. I. 1. b), Frankreich Teil 1 B. I. 1. a) (1) und die Schweiz Teil 1 D. I. 1. a). 38 Vgl. Schnyder/Liatowitsch, Internationales Privat- und Zivilverfahrensrecht, § 10 Rn. 322; Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, Rn. 844 und 848; Aden, Internationale Notzuständigkeit, ZVglRWiss 106 (2007), 490, 492. 35

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2. Teil: Grundstrukturen einer europäischen Notzuständigkeit

onalen Kompetenzkonflikt kommen.39 Welche Anknüpfungspunkte miteinander kollidieren, ist dabei unerheblich.40 Die theoretischen Möglichkeiten sind vielzählig.41 In den untersuchten nationalen Rechtsordnungen gibt es für solche Konstellationen viele Beispiele. Dabei lässt sich anhand der französischen Rechtsordnung besonders gut nachvollziehen, wie das Aufeinandertreffen einer Staatsangehörigkeitsanknüpfung mit einer Wohnsitzanknüpfung negative internationale Kompetenzkonflikte auslösen kann:42 Vom Prinzip der generellen Unzuständigkeit Frankreichs für Rechtsstreitigkeiten unter Ausländern ausgehend, knüpfte das französische Recht lange Zeit die internationale Zuständigkeit an die Staatsangehörigkeit an.43 Dies löste Kompetenzkonflikte aus, wenn die französische Rechtsordnung auf eine andere Rechtsordnung traf, die an den Wohnsitz des Klägers oder Beklagten in Frankreich anknüpfte. Diese Kollisionsmöglichkeiten lösen negative internationale Kompetenzkonflikte auch dann aus, wenn die interanationale Zuständigkeit durch eine der hier interessierenden Verordnungen bestimmt wird. Verwenden die europäischen und drittstaatlichen Zuständigkeitsordnungen unterschiedliche Anknüpfungsmomente, so kann bei einer gegenseitigen Zuständigkeitszuweisung ein Kompetenzkonflikt entstehen, wenn keine weitere Zuständigkeit einer der beteiligten Rechtsordnungen vorliegt. Es sind verschiedene Fallgestaltungen ersichtlich, in denen es im Anwendungsbereich der hier interessierenden Verordnungen zu einem negativen internationalen Kompetenzkonflikt kommen kann. Im Nachfolgenden sollen solche Fallgestaltungen für jede Verordnung separat dargestellt werden. a) Kollisionen im Internationalen Unterhaltsrecht Im Internationalen Unterhaltsrecht können Kollisionen auftreten, wenn die Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt des Beklagten (Art. 3 lit. a) EuUntVO) oder Berechtigten (Art. 3 lit. b) EuUntVO) mit einer Wohnsitzanknüpfung kollidiert. So kann etwa ein Drittstaat die Zuständigkeit an den neu begründeten Wohnsitz eines Beklagten in einem Mitgliedstaat anknüpfen, während aus Sicht dieses Mitgliedstaates der Beklagte seinen gewöhnlichen Aufenthalt noch in dem Drittstaat hat. Eine Kollision kann sich auch dann ergeben, wenn der Drittstaat, in dem sowohl das unterhaltsberechtigte 39

So auch Milleker, Der negative internationale Kompetenzkonflikt, 33 und 43. Beispiele für weitere Anknüpfungsmomente, die miteinander kollidieren können sind in den Ausführungen zu Deutschland zu finden: Teil 1 A. 1. b). 41 Milleker, Der negative internationale Kompetenzkonflikt, 27. 42 Teil 1 B. I 1. a) (1). Vgl. auch Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, Rn. 1025; Milleker, Der negative internationale Kompetenzkonflikt, 33; Kropholler, in: Handbuch des IZVR I, Kap. III Rn. 183. 43 Teil 1 B. I 1. a) (1). 40

B. Rechtsverweigerung bei Unmöglichkeit eines drittstaatlichen Verfahrens

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Kind als auch der beklagte Vater ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, die internationale Zuständigkeit für Unterhaltsverfahren an den Wohnsitz des Kindes anknüpft, diesen jedoch vom Wohnsitz der Mutter ableitet, die in einem Mitgliedstaat wohnt. Auch in einem solchen Fall liegt ein negativer Kompetenzkonflikt vor, da der Drittstaat den Mitgliedstaat für zuständig erachtet, während aus Sicht der EuUntVO der Drittstaat aufgrund des gewöhnlichen Aufenthaltes des Beklagten und des Berechtigten zuständig wäre. Dem Kläger droht Rechtsverweigerung zu widerfahren, wenn keine anderweitige Zuständigkeit nach der EuUntVO, insbesondere keine Annexzuständigkeiten nach Art. 3 lit. c) und d) EuUntVO, besteht.44 Wie sich aus einem Hinweis in einem Beschluss des BGH ergibt, können im Rahmen der EuUntVO insbesondere die Fälle Probleme aufwerfen, in denen eine drittstaatliche Rechtsordnung für die Urteilsabänderung ausschließlich den Erlassstaat für zuständig hält.45 Dies kann etwa im Verhältnis zu den Vereinigten Staaten möglich sein, wenn dort der Grundsatz der „continuing exclusive jurisdiction“ greift, wonach zur Änderung eines Urteils ausschließlich die Gerichte des Erlassstaates zuständig sind.46 Zudem zeigt die oben beschriebene Entscheidung des Obergericht Luzern, dass auch im Verhältnis zu Japan eine solche Kollision in Unterhaltssachen möglich ist.47 Weil die EuUntVO eine solche Zuständigkeit nicht kennt, kann dies zu einem negativen internationalen Kompetenzkonflikt führen, wenn auch sonst keine Zuständigkeit der EuUntVO eingreift.48 Notwendig hierfür ist, dass beide Parteien zwischenzeitlich keinen gewöhnlichen Aufenthalt mehr in einem Mitgliedstaat haben, keine Gerichtsstandsvereinbarung treffen wollen und keine gemeinsame Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates haben. Ausweg aus dieser dem Kläger drohenden Rechtsverweigerung bietet nur die Notzuständigkeit nach Art. 7 EuUntVO. b) Kollisionen im Internationalen Erbrecht Die Verwendung unterschiedlicher Anknüpfungsmomente für die internationale Zuständigkeit kann indes vor allem im Internationalen Erbrecht Ursache negativer internationaler Kompetenzkonflikte werden. Dass gerade dieses Rechtsgebiet besonders anfällig für solche Kollisionen ist, zeigt die Tatsache, dass deutsche und schweizerische Gerichte häufig in internatio44 Vgl. zu diesen Zuständigkeiten Bittmann, in: Gebauer/Wiedmann, EuropZivilR (EuUntVO), Kap. 36 Rn. 34 ff. Siehe zu dem Erfordernis der weitergehenden Unzuständigkeit der in Betracht kommenden Gerichte Teil 2 B. I. 3. 45 BGH, 14.10.2015 – XII ZB 150/15, NZFam 2016, 46. 46 BGH, 14.10.2015 – XII ZB 150/15, NZFam 2016, 46; Wurmnest, in: BeckOGK, Stand 1.11.2019, Art. 7 EuUntVO Rn. 15. 47 Teil 1 D. I. 1. a). 48 So auch Wurmnest, in: BeckOGK, Stand 1.11.2019, Art. 7 EuUntVO Rn. 15.

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2. Teil: Grundstrukturen einer europäischen Notzuständigkeit

nalen Erbverfahren nationale Notzuständigkeiten eröffnet haben.49 Das gehäufte Auftreten negativer internationaler Kompetenzkonflikte lässt sich darauf zurückführen, dass sich gerade im internationalen Erbrecht die Zuständigkeitsanknüpfungen stark von Rechtsordnung zu Rechtsordnung unterscheiden. Die EuErbVO hat zwar innerhalb Europas – ohne Dänemark, dem Vereinigten Königreich und Irland – die Zuständigkeitsanknüpfung vereinheitlicht und am Ort des gewöhnlichen Aufenthalts des Erblassers konzentriert, gleichwohl können Drittstaaten noch immer teilweise sehr unterschiedliche Anknüpfungen verwenden. Vor diesem Hintergrund sind viele Kollisionen von Anknüpfungsmomenten möglich, die negative Kompetenzkonflikte entstehen lassen können. Eine Kollision ist etwa dann möglich, wenn ein Erblasser mitgliedstaatlicher Nationalität seinen gewöhnlichen Aufenthalt zum Zeitpunkt seines Todes nach Art. 4 EuErbVO in einem Drittstaat hatte, der die Zuständigkeit in Erbsachen ausschließlich nach der Nationalität50 oder anhand des anwendbaren Sachrechts bestimmt, und ausschließlich dort Nachlassvermögen hatte. Aus Sicht eines mitgliedstaatlichen Gerichts besteht keine Zuständigkeit nach Art. 4 oder 10 EuErbVO. Sofern der Drittstaat keine Zuständigkeit aufgrund der Belegenheit des Nachlassvermögens in seinem Hoheitsgebiet eröffnet, liegt ein negativer internationaler Kompetenzkonflikt vor. Ein Verfahren im Drittstaat ist daher unmöglich. Um die einem Kläger drohende Rechtsverweigerung abzuwenden, muss eine europäische Notzuständigkeit nach Art. 11 EuErbVO eröffnet werden, wobei die Nationalität des Erblassers einen ausreichenden Bezug begründen kann.51 Ähnliche Konstellationen sind auch dann denkbar, wenn ein Drittstaat die Zuständigkeit anhand des Wohnsitzes anknüpft oder etwa auch an das „domicile“ des Erblassers. Die Notwendigkeit einer Notzuständigkeit entfällt in diesen Beispielen, sobald der Erblasser Nachlasswerte in seinem mitgliedstaatlichen Heimatstaat hatte. In diesem Fall besteht grundsätzlich eine Zuständigkeit der Gerichte dieses Mitgliedstaates für den gesamten Nachlass nach Art. 10 Abs. 1 lit. a) EuErbVO. Die Zuständigkeitsanknüpfung an die Belegenheit von Nachlassvermögen kann generell das Auftreten negativer internationaler Kompetenzkonflikte in einer Vielzahl von Fällen vermeiden. Insbesondere die subsidiäre Zuständigkeit nach Art. 10 Abs. 2 EuErbVO verhindert, dass ein negativer internationaler Kompetenzkonflikt in Bezug auf Nachlassvermögen entsteht, das sich im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates befindet.52 49

Teil 1 A. 1. b); Teil 1 D. I. 1. a). Bonomi, in: Bonomi/Wautelet, Le droit europe´en des successions, Art. 11 Rn. 8. 51 Siehe Teil 2 F. III 2. 52 Dutta, in: MüKo BGB, Art. 11 EuErbVO Rn. 1; Traar, in: Mondel/Nademleinsky, EuErbVO, Art. 11 EuErbVO Rn. 4; im Ergebnis auch Panopoulos, in: Pamboukis, ESR Commentary, Art. 11 ESR Rn. 3; Wall, in: Geimer/Schütze, Int. Rechtsverkehr, Art. 11 EuErbVO Rn. 7. Vgl. auch die Ausführungen zur Anerkennungslücke Teil 2 C. V. 3.c). 50

B. Rechtsverweigerung bei Unmöglichkeit eines drittstaatlichen Verfahrens

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Es sind jedoch auch Fälle denkbar, in denen eine nach Art. 10 Abs. 2 EuErbVO bestehende subsidiäre Zuständigkeit auf Nachlasswerte, die außerhalb des Mitgliedstaates belegen sind, erweitert werden muss. Tatsächlich zeigen zwei von eidgenössischen Gerichten entschiedene Fälle, wie solche negativen internationalen Kompetenzkonflikte in Bezug auf bestimmtes Nachlassvermögen entstehen können, die außerhalb des eigenen Staatsgebietes liegen.53 Für die EuErbVO können diese Fälle relevant werden, weil das schweizerische IPRG in Art. 88 Abs. 1 eine dem Art. 10 Abs. 2 EuErbVO sehr ähnliche Regelung enthält: Nach beiden Vorschriften kann eine subsidiäre Zuständigkeit eröffnet werden, die auf das im Forumstaat belegene Nachlassvermögen beschränkt ist. Angelehnt an diese Fälle aus der Schweiz lassen sich daher auch für die EuErbVO Beispielsfälle für Kompetenzkonflikte bilden: Ein Erblasser englischer Nationalität,54 der seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem weiteren Drittstaat hat, hinterlässt in diesem Staat bewegliches Vermögen und zusätzlich jeweils ein Grundstück in England und einem Mitgliedstaat. Eine Kollision entsteht, wenn der Drittstaat die Zuständigkeit für Erbverfahren an die Nationalität des Erblassers anknüpft und daher englische Gerichte für allumfassend zuständig hält und im Falle der zuständigkeitsrechtlichen Nachlassspaltung keine eigene Zuständigkeit für das Nachlassvermögen einräumt, das sich im eigenen Hoheitsgebiet des Drittstaates befindet. Die Gerichte des Mitgliedstaates, in dem sich das eine Grundstück befindet, sind nach Art. 10 Abs. 2 EuErbVO nur für dieses Grundstück zuständig. Lehnen nun auch englische Gerichte die Zuständigkeit für Nachlasswerte außerhalb des eigenen Hoheitsgebietes ab, etwa weil aus englischer Sicht der Erblasser kein „domicile“ mehr in England hatte und sie daher nur ein „ancillary grant“ für das in England belegene Grundstück ausstellen,55 liegt in Bezug auf das im Drittstaat belegene (bewegliche) Nachlassvermögen ein negativer internationaler Kompetenzkonflikt vor. Ausweg aus dieser drohenden Rechtsverweigerung bietet wiederum die Notzuständigkeit nach Art. 11 EuErbVO, mit der der Mitgliedstaat seine nach Art. 10 Abs. 2 EuErbVO bestehende Zuständigkeit auf das außerhalb dieses Staates belegene Nachlassvermögen erweitert. Die Tatsache, dass Teile des Nachlassvermögens in diesem Mitgliedstaat liegen, stellt hierzu einen auseichenden Forumsbezug her.56

53

Siehe oben Teil 1 D. I. 1. a). England ist ein Drittstaat i.S.d. EuErbVO, vgl. Erwägungsgrund 81 und 82 EuErbVO. 55 Siehe hierzu Torremans/Fawcett, Cheshire, North & Fawcett Private International Law, 484, 1330 ff. m.w.N. 56 Siehe unten Teil 2 F. II. 54

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2. Teil: Grundstrukturen einer europäischen Notzuständigkeit

c) Kollisionen im Internationalen Güterrecht Auch im europäischen Internationalen Güterrecht ist es grundsätzlich möglich, dass die Verwendung unterschiedlicher Anknüpfungsmomente für die internationale Zuständigkeit zu einem negativen internationalen Kompetenzkonflikt mit einer drittstaatlichen Rechtsordnung führt. Kollisionen können aber nur dann entstehen, wenn die in Art. 4 EuGüVO bzw. Art. 4 EuPartVO und Art. 5 EuGüVO bzw. Art. 5 EuPartVO bestehenden Annexzuständigkeiten die internationale Zuständigkeit keinem mitgliedstaatlichen Gericht zuweisen. Diese Normen koppeln, unter bestimmten Voraussetzungen, die internationale Zuständigkeit für güterrechtliche Streitigkeiten an bereits anhängige Erbverfahren und Verfahren in Ehesachen i.S.v. Art. 1 Abs. lit. a) Brüssel IIa-VO bzw. Verfahren zur Auflösung oder Ungültigerklärung einer eingetragenen Partnerschaft vor mitgliedstaatlichen Gerichten.57 Dieses System der Annexzuständigkeiten macht es unwahrscheinlich, dass für eine güterrechtliche Streitigkeit ein negativer internationaler Kompetenzkonflikt entsteht. Denn güterrechtliche Streitigkeiten entstehen vor allem in den von den Annexzuständigkeiten erfassten Fällen. Nur sofern keine Zuständigkeit aufgrund einer solchen Annexzuständigkeit besteht, wird die internationale Zuständigkeit anhand der Güterstands-Verordnungen nach Artt. 6 ff. EuGüVO und Artt. 6 ff. EuPartVO bestimmt.58 Erst dann kann eine Zuständigkeitskollision eine internationale Notzuständigkeit nach Art. 11 EuGüVO und Art. 11 EuPartVO erforderlich machen. Denkbar wäre die Erforderlichkeit einer Notzuständigkeit daher in folgender Konstellation: Ehegatten unterschiedlicher Nationalitäten haben ihre Ehe in einem Mitgliedstaat geschlossen und haben anschließend ihren gewöhnlichen Aufenthalt in einen Drittstaat verlegt, der die internationale Zuständigkeit für güterrechtliche Streitigkeiten ausschließlich anhand des Ortes der Eheschließung bestimmt. Die Eheleute haben keine Gerichtsstandsvereinbarung nach Art. 7 Abs. 1 EuGüVO zugunsten des Mitgliedstaates getroffen, in dem sie die Ehe eingegangen sind und haben auch kein unbewegliches Vermögen in einem Mitgliedstaat. In einem solchen Fall ist keine Anknüpfung eines regulären Gerichtsstands nach Artt. 6 ff. EuGüVO in einem Mitgliedstaat erfüllt. Es droht ein negativer internationaler Kompetenzkonflikt, wenn auch der Drittstaat keine Zuständigkeit eröffnet.59

57

Siehe hierzu ausführlich Simotta, ZvglRWiss 116 (2017), 44, 48 ff. Simotta, ZvglRWiss 116 (2017), 44, 60 ff. 59 Derartige Konstellationen können vor allem bei gleichgeschlechtlichen Ehen auftreten. Diese Problematik wird in einem anderen Zusammenhang vertieft dargestellt, vgl. Teil 2 C. VI. 2. c). 58

B. Rechtsverweigerung bei Unmöglichkeit eines drittstaatlichen Verfahrens

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Im Rahmen der Annexzuständigkeiten kann die Frage relevant werden, ob diese auch dann einschlägig ist, wenn sich das mitgliedstaatliche Gericht, vor dem die Verfahren anhängig sind, aufgrund von Art. 11 EuErbVO oder einer nationalen Notzuständigkeit zuständig ist. Für die Beantwortung dieser Frage muss zwischen den verschiedenen Annexzuständigkeiten differenziert werden, da sie sich hinsichtlich der Reichweite der Verweisung unterscheiden: Im Rahmen des Art. 4 EuGüVO und Art. 4 EuPartVO muss auch ein aufgrund von Art. 11 EuErbVO eröffnetes Verfahren vor einem Gericht eines Mitgliedstaates unter die Annexzuständigkeit fallen. Hierfür sprechen der Wortlaut der beiden Vorschriften, die sich auf ein vor einem Gericht eines Mitgliedstaates anhängiges Verfahren in Erbsachen aufgrund der EuErbVO beziehen, und zum anderen die Intention der Annexzuständigkeit. Mit dieser sollen Fragen des ehelichen Güterstandes bzw. der güterrechtlichen Wirkungen der eingetragenen Partnerschaft, die mit dem Nachlass in Zusammenhang stehen, immer und ausschließlich in dem Mitgliedstaat verhandelt werden, in dem ein Erbverfahren nach der EuErbVO anhängig ist. Hat sich der Mitgliedstaat aufgrund Art. 11 EuErbVO für zuständig erklärt, ist kein Grund ersichtlich, weshalb in diesem Fall die Annexzuständigkeiten nach Art. 4 EuGüVO und Art. 4 EuPartVO von der bezweckten internationalen Zuständigkeitskonzentration eine Ausnahme machen sollten. Ähnlich ist die Rechtslage im Rahmen des Art. 5 EuPartVO. Diese Norm verweist auf ein anhängiges Verfahren vor einem Gericht eines Mitgliedstaates, dass sich aufgrund seines nationalen Zuständigkeitsrechts für die Auflösung der Partnerschaft für zuständig erklärt hat. Dieser Verweis beinhaltet vom Wortlaut her auch den Verweis auf eine nationale Notzuständigkeit, sodass sich in diesem Fall die Annexkompetenz auch aufgrund einer nationalen Notzuständigkeit ergeben kann. Anders ist die Rechtslage hingegen bei der Annexzuständigkeit nach Art. 5 EuGüVO zu beurteilen. Diese Norm enthält nur einen Verweis auf die Zuständigkeit für Ehesachen nach der Brüssel IIa-VO, die keine Regelung einer Notzuständigkeit enthält. Eröffnet ein Gericht eines Mitgliedstaates eine nationale Notzuständigkeit, so bezieht sich der Verweis des Art. 5 EuGüVO nicht auf diese nationale Notzuständigkeit. In diesem Fall bestimmt sich die Zuständigkeit für die güterrechtliche Entscheidung nach Artt. 6 ff. EuGüVO, weshalb in einer solchen Konstellation Raum für eine Notzuständigkeit nach Art. 11 EuGüVO bleibt. 3. Die weitergehende Unzuständigkeit Die hier beschriebenen gegenseitigen Kompetenzzuweisungen können für sich allein keinen negativen internationalen Kompetenzkonflikt auslösen. In allen dargestellten Fällen tritt dieser erst auf, wenn keine weiteren Zustän-

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2. Teil: Grundstrukturen einer europäischen Notzuständigkeit

digkeiten eingreifen.60 Neben der Kompetenzverweisung ins (drittstaatliche) Ausland, die dort – unabhängig vom genauen Grund – nicht angenommen wird, darf daher in keiner der beteiligten Rechtsordnungen eine weitere Zuständigkeit gegeben sein. Im Rahmen der EuUntVO und der GüterstandsVerordnungen betrifft dies in erster Linie die Annexzuständigkeiten der Art. 3 lit. c) und d) EuUntVO sowie Art. 4 und 5 EuGüVO bzw. Art. 4 und 5 EuPartVO. Ebenfalls darf ein mitgliedstaatliches Gericht nicht aufgrund einer subsidiären Zuständigkeit nach Art. 10 EuErbVO, Art. 10 EuGüVO und Art. 10 EuPartVO oder der Auffangzuständigkeit nach Art. 6 EuUntVO zuständig sein. Erst wenn diese Zuständigkeiten nicht einschlägig sind, kann aus Sicht der europäischen Verordnungen ein negativer internationaler Kompetenzkonflikt auftreten. Dass nun auch ein oder mehrere Drittstaaten, zu denen ein enger Bezug besteht, keine weitere Zuständigkeit zur Verfügung stellen, liegt einerseits ebenfalls daran, dass aus Sicht der drittstaatlichen Rechtsordnungen die Anknüpfungsmomente für weitere Gerichtsstände (allgemeine, subsidiäre oder andere Auffangzuständigkeiten) nicht erfüllt sind. Andererseits ist es jedoch möglich, dass der an der Kollision beteiligte Drittstaat die in Rede stehende Zuständigkeitsanknüpfung, die er nicht in seinem Hoheitsgebiet verwirklicht sieht, als eine international ausschließliche definiert hat.61 Eine internationale ausschließliche Zuständigkeit schließt den Rückgriff auf weitere Zuständigkeiten aus. Die Verwendung solcher ausschließlichen Zuständigkeiten wirkt dabei wie ein „Katalysator“ für das Auftreten negativer internationaler Kompetenzkonflikte: Selbst wenn der Drittstaat noch weitere Zuständigkeiten zur Verfügung stellen würde, ist ein Rückgriff auf diese ausgeschlossen, obgleich die Rechtsordnung, auf die verwiesen wird, keine eigene Zuständigkeit eröffnet.62 Dies zeigt sich etwa in den oben beschriebenen Fällen, in denen ein Drittstaat für die Änderung einer Entscheidung, insbesondere in Unterhaltssachen, den Erlassstaat eines Urteils für ausschließlich zuständig hält.63 Selbst wenn alle sonstigen Verbindungen auf eine Zuständigkeit dieses 60 Vgl. auch die in den nationalen Rechtsordnungen gefunden Fälle: Deutschland Teil 1 A. I. 1.; Frankreich Teil 1 B. I. 1. a); Österreich Teil 1 C. I. 1. und die Schweiz Teil 1 D. I. 1. a). 61 Ähnlich Milleker, Der negative internationale Kompetenzkonflikt, 30 und 47. In Bezug auf den Ausschluss weiterer Zuständigkeiten durch ausschließliche Zuständigkeiten Schnyder/Liatowitsch, Internationales Privat- und Zivilverfahrensrecht, § 10 Rn. 285; Siehr, IPR der Schweiz, § 34 III. 2. e); Schütze, Deutsches und europäisches internationales Zivilprozessrechts, Rn. 105. 62 Milleker, Der negative internationale Kompetenzkonflikt, 47. 63 Teil 2 B. I. 2. a). Weitere Beispiele finden sich auch in den nationalen Rechtsordnungen. Vgl. hierzu vor allem die alte Rechtslage in Frankreich, als die Zuständigkeit ausschließlich anhand der Staatsangehörigkeit der Beteiligten bestimmt wurde, Teil 1 B. I 1. a) (1). Vgl. auch zum Stand im deutschen Recht Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, Rn. 929.

B. Rechtsverweigerung bei Unmöglichkeit eines drittstaatlichen Verfahrens

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Drittstaats hindeuten, eröffnet dieser aufgrund der Ausschließlichkeit der Zuständigkeit keine eigene Zuständigkeit. Es mag auf den ersten Blick seltsam erscheinen, dass eine Rechtsordnung einen anderen Staat aufgrund eines außergewöhnlichen Interesses an einer Entscheidung in eben diesem Staat oder einer großen Sachnähe des Forums zum Rechtsstreit für ausschließlich international zuständig hält, die Zuständigkeitsordnung des verwiesenen Staates sich jedoch für unzuständig erklärt.64 Indes ist dies durchaus möglich, da jeder Staat selbst entscheidet, ob und welche Zuständigkeiten eine internationale Ausschließlichkeit – mit den entsprechenden Folgen der Nichtanerkennung ausländischer Entscheidungen und Gefährdung des internationalen Entscheidungseinklangs65 – begründen.66 Eine völkergewohnheitsrechtliche Verpflichtung, bestimmte Gerichtsstände als ausschließliche zu klassifizieren, besteht nicht.67 Möglich ist zwar durchaus, dass Rechtsordnungen aufgrund bestimmter öffentlicher Interessenlagen die ausschließlichen Zuständigkeiten ähnlich definieren.68 Regelmäßig ist das – aus verschiedenen Gründen herrührende – Interesse des Staates an einer Entscheidung im Inland ausschlaggebend für eine solche Ausschließlichkeit.69 Diese Gestaltungsmöglichkeiten, die einer jeden Rechtsordnung zukommen, lassen theoretisch eine Vielzahl verschiedener ausschließlicher internationaler Gerichtsstände zu. Die erhöhte Gefahr eines negativen internationalen Kompetenzkonfliktes sollte bei der Festlegung solcher ausschließlichen Zuständigkeiten berücksichtigt werden. Sinnvoll im Sinne des internationalen Entscheidungseinklangs und für die Vermeidung der eben beschriebenen negativen Kompetenzkonflikte erscheint es, die Anzahl solcher Zuständigkeiten äußerst gering zu halten.

64

So auch Milleker, Der negative internationale Kompetenzkonflikt, 46. Vgl. nur Schack, IZVR, Rn. 228; Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, Rn. 864; Linke/Hau, IZVR, Rn. 122; Mankowski, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 24 Brüssel Ia-VO Rn. 3. 66 Milleker, Der negative internationale Kompetenzkonflikt, 46. 67 Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, Rn. 869; Matscher, in: Fasching/Konecny, vor Art. IX EGJN, Rn. 61. 68 Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, Rn. 874, Walchshöfer, ZZP 80 (1967), 165, 214; im Ergebnis auch: Milleker, Der negative internationale Kompetenzkonflikt, 46. 69 Walchshöfer, ZZP 80 (1967), 165, 174 f. und 194 f. mit Auflistung verschiedener ausschließlicher Gerichtsstände und der Interessen an der Ausschließlichkeit für das deutsche Recht. 65

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2. Teil: Grundstrukturen einer europäischen Notzuständigkeit

4. Fehlgeschlagene ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarungen Weitaus häufiger als in den oben beschriebenen Konstellationen kann ein negativer internationaler Kompetenzkonflikt durch die Parteien selbst im Rahmen einer fehlgeschlagenen ausschließlichen Gerichtsstandsvereinbarung ausgelöst werden. Als Ursache eines negativen internationalen Kompetenzkonfliktes wird dieser Fall im deutschen, französischen und eidgenössischen Recht behandelt:70 Hält das derogierte Forum die Derogation der an sich gegeben internationalen Zuständigkeit durch die Gerichtsstandsvereinbarung für wirksam, während die ausschließliche Prorogation vom prorogierten Forum für unwirksam erachtet wird, sind beide Foren international unzuständig.71 Auch im Rahmen der hier interessierenden Verordnungen können Gerichtsstandsvereinbarungen fehlschlagen und einen negativen internationalen Kompetenzkonflikt auslösen: Der europäische Verordnungsgeber hat in keiner der hier untersuchten abschließenden Zuständigkeitsordnungen eine ausdrückliche Regelung getroffen, die die Derogation einer gegebenen internationalen Zuständigkeit eines Mitgliedstaates behandelt. Gleichwohl wird im Kontext der EuUntVO, EuErbVO und EuGüVO vertreten, dass solche Derogationsvereinbarungen zulässig sind, auch wenn nicht geklärt ist, wonach sich Zulässigkeit, Anforderungen und Wirkungen bestimmen.72 Ob sich diese Fragen nach nationalem,73 einer analogen Anwendung der europäischen Regelungen74 oder beidem zusammen richten sollen,75 ist für die hier interessierende Frage aber nicht relevant. Maßgeblich ist lediglich die Feststellung, dass nach den Verordnungen an sich bestehende internationale Zuständigkeiten mitgliedstaatlicher Gerichte wirksam zugunsten eines drittstaatlichen Gerichtes derogiert werden können. Es ist daher auch im Anwen70

Teil 1 A. I. 1. c); Teil 1 B. I. 1. a) (2); Teil 1 D. I. 2. g). Kropholler, in: Handbuch des IZVR I, Kap. III Rn. 183; Milleker, Der negative internationale Kompetenzkonflikt, 49 f; Bucher, in: Commentaire Romand LDIP, Art. 3 Rn. 11. 72 Siehe hierzu Andrae, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 4 EG-UntVO Rn. 65–70; Deixler-Hübner, in: Deixler-Hübner/Schauer, Art. 5 EuErbVO Rn. 9; Dutta, in: MüKo BGB, Art. 5 EuErbVO Rn. 12; Looschelders, in: MüKo BGB, Art. 7 EuGüVO Rn. 9; Magnus, IPRax 2013, 393, 395; Mayer, in: MüKo FamFG, Art. 7 EuGüVO Rn. 30 ff.; Weber, in: Burgstaller/ Neumayr, Internationales Zivilverfahrensrecht, Art. 4 EuUntVO Rn. 10; Wurmnest, in: BeckOGK, Stand 1.11.2019, Art. 4 EuUntVO Rn. 77 ff. jeweils m.w.N. 73 Magnus, IPRax 2013, 393, 395. 74 Andrae, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 4 EG-UntVO Rn. 5 und 65–70; DeixlerHübner, in: Deixler-Hübner/Schauer, Art. 5 EuErbVO Rn. 9; Dutta, in: MüKo BGB, Art. 5 EuErbVO Rn. 12; Mayer, in: MüKo FamFG, Art. 7 EuGüVO Rn. 30 ff.; Wurmnest, in: BeckOGK, Stand 1.11.2019, Art. 4 EuUntVO Rn. 79. 75 Weber, in: Burgstaller/ Neumayr, Internationales Zivilverfahrensrecht, Art. 4 EuUntVO Rn. 10. 71

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dungsbereich dieser Verordnungen möglich, dass ein Gericht eines Mitgliedstaates die Derogation seiner Zuständigkeit für wirksam erachtet, während der prorogierte Drittstaat die Prorogation für unwirksam hält. Gerade in erbrechtlichen Fällen könnten solche Konstellationen entstehen, wenn der prorogierte Drittstaat Gerichtsstandsvereinbarung auf dem Gebiet des Erbrechts generell für unzulässig erklärt. Zur Lösung solcher Kompetenzkonflikte gehen die untersuchten Rechtsordnungen sehr ähnlich vor: Die Derogation der eigenen Zuständigkeit wird als unwirksam angesehen, wenn das ausländische prorogierte Forum die Prorogation für unwirksam hält.76 In diesem Fall lebt die ursprünglich derogierte Zuständigkeit wieder auf, wodurch das Auftreten eines negativen internationalen Kompetenzkonfliktes verhindert wird. Eine Notzuständigkeit muss in diesen Fällen deshalb nicht eröffnet werden.77 Dies ist auch dann das Vorgehen, wenn das Verfahren aufgrund anderer Ursachen im prorogierten Ausland unmöglich oder unzumutbar wird.78 Es bietet sich an, diese Herangehensweise für das Unionsrecht zu übernehmen. Das Aufleben der ursprünglichen Zuständigkeit bietet den besten Ausweg aus der drohenden Rechtsverweigerung.79 Nur sofern eine solche nicht besteht, kommt eine europäische Notzuständigkeit in Betracht. Wie bei den übrigen Fällen des negativen internationalen Kompetenzkonfliktes setzt eine solche freilich eine weitergehende Unzuständigkeit auch sonstiger Drittstaaten voraus, zu denen ein „enger Bezug“ besteht.80 Ein Blick in das deutsche und Schweizer Recht zeigt zuletzt, dass eine verbleibende Notwendigkeit für die Notzuständigkeit auch bei fehlgeschlagenen Gerichtsstandsvereinbarungen besteht.81 Die eben aufgezeigte Lösung bietet sich nur an, wenn die eigene an sich gegebene Zuständigkeit derogiert worden ist. Hält jedoch im umgekehrten Fall ein eigenes Gericht die Prorogation der eigenen, ansonsten nicht bestehenden, internationalen Zuständigkeit für unwirksam, während das ausländische Forum die Derogation dessen internationaler Zuständigkeit für wirksam erachtet, kommt nur eine Notzuständigkeit in Betracht. Das Verfahren im Ausland ist unmöglich, wenn das ausländische Forum an der Wirksamkeit der Derogation der eigenen Zuständigkeit festhält und auch sonst kein zuständiges Forum zu finden ist.

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Teil 1 A. I. 1. c); Teil 1 B. I. 1. a) (2); Teil 1 D. I. 2. g). A.A. Sinay-Cytermann, L’ordre public en matie`re de compe´tence judiciaire internationale, Rn. 323 für das französische Recht, die in diesem Fall eine Notzuständigkeit eröffnen will. Siehe hierzu Teil 1 B. I. 1. a) (2). 78 Teil 1 A. I. 1. c); Teil 1 B. I. 1. a) (2); Teil 1 D. I. 2. g). 79 So auch Mayer, in: MüKo FamFG, Art. 7 EuGüVO Rn. 33. 80 Zur weitergehenden Unzuständigkeit siehe Teil 2 B. I. 3. Zur Bestimmung des „engen Bezugs“ siehe Teil 2 D. 81 Teil 1 A. I. 1. c); Teil 1 D. I. 2. g). 77

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2. Teil: Grundstrukturen einer europäischen Notzuständigkeit

Es droht Rechtsverweigerung. Das prorogierte Forum muss, sofern ein ausreichender Forumsbezug besteht, eine Notzuständigkeit eröffnen. Auch im Anwendungsbereich der hier interessierenden europäischen Verordnungen ist eine solche Kollision denkbar. Die aufgrund des negativen internationalen Kompetenzkonfliktes drohende Rechtsverweigerung begründet die Notwendigkeit einer europäischen Notzuständigkeit, die eröffnet werden muss, sofern ein ausreichender Bezug zum Forumstaat besteht.

II. Nicht-Erhältlichkeit des Rechtsschutzes im an sich zuständigen Drittstaat Findet ein Kläger im drittstaatlichen Ausland ein Forum, ist die Gefahr eines negativen internationalen Kompetenzkonfliktes gebannt. Dass dieses Forum das klägerische Rechtsschutzbegehren auch befriedigt, ist jedoch nicht gesichert. In Deutschland, Österreich und der Schweiz werden daher mit einer drohenden Rechtsverweigerung auch Fälle in Verbindung gebracht, in denen der begehrte Rechtsschutz im allein zuständigen Forum nicht erhältlich ist.82 Auch wenn dieses Phänomen in diesen Rechtsordnungen unterschiedlich bezeichnet wird, beschreiben sie doch grundsätzlich dasselbe: Ein ausländisches Gericht kann oder will eine Sachentscheidung oder eine sonstige Anordnung aus prozessualen Gründen nicht treffen oder vornehmen, obwohl die Heimat-Rechtsordnung diesen Rechtsschutz als zwingend vorsieht. Kann der Kläger den begehrten Rechtsschutz nicht oder nicht in der benötigten Form erhalten, droht ihm Rechtsverweigerung zu widerfahren. Denn das Rechtsschutzziel des Klägers kann nicht durch eine Entscheidung in der Sache befriedigt werden. Aus diesem Grund haben in den untersuchten Rechtsordnungen nationale Gerichte mehrfach nationale Notzuständigkeiten eröffnet.83 Dass dem Kläger in solchen Fällen Rechtsverweigerung drohen kann, wird auch im Rahmen der europäischen Notzuständigkeiten vereinzelt vertreten.84 Wie bei einem negativen internationalen Kompetenzkonflikt bleibt das Rechtsschutzbegehren des Klägers letztlich in der Sache unbefriedigt. Indes erfordert der klägerische Anspruch auf Justizgewährung aus Art. 6 Abs. 1 EMRK nicht nur, dass dem Kläger ein zuständiges Gericht zur Verfügung gestellt wird, sondern auch, dass dessen Rechtsschutzbegehren in der Sache selbst entschieden wird.85 Diese Vorgabe wird verletzt, wenn ein Forum 82

Teil 1 A. IV.; Teil 1 C. II.; Teil 1 D. I. 1. b). Vgl. die Entscheidungen der nationalen Gerichte Deutschlands Teil 1 A. IV.; Österreichs Teil 1 C. II. und der Schweiz Teil 1 D. I. 1. b). 84 Generell bejahend Buonaiuti, in: Calvo Caravaca/Davı`/Mansel, ESR Commentary, Art. 11 ESR Rn. 8; Rossolillo, CDT 2 Nr. 1 (2010), 403, 408 f. 85 EGMR, 12.6.2001 – Nr. 42527/98 (Prinz Hans-Adam II von Liechtenstein/Deutsch83

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in einem Drittstaat keine Entscheidung in der Sache trifft, sondern das Verfahren zur Herbeiführung der begehrten Sachentscheidung als unzulässig oder unstatthaft ablehnt. Hat der Kläger aufgrund der besonderen Ausgestaltung einer mitgliedstaatlichen Rechtsordnung ein besonderes Rechtsschutzinteresse, so muss dieses auch befriedigt werden, selbst wenn ein an sich zuständiger Drittstaat es nicht befriedigen will oder kann. Ohne eine europäische Notzuständigkeit kann dem Kläger in diesen Fällen Rechtsverweigerung widerfahren. 1. Prozessuale Abweisung eines unbekannten Rechtsschutzbegehrens Kann eine Entscheidung nicht eingeholt werden, weil der Drittstaat das der Entscheidung vorausgehende Verfahren als unzulässig oder unstatthaft abweist, droht Rechtsverweigerung, weil keine Sachentscheidung getroffen wird. Die Entscheidungen nationaler Gerichte in den untersuchten Rechtsordnungen zeigen, dass es vor allem einen Grund gibt, weshalb ein an sich zuständiges Ausland die Eröffnung eines Verfahrens aus prozessualen Gründen ablehnt.86 Die vom Kläger begehrte Entscheidung ist der Rechtsschutz für ein Rechtsinstitut, das dem ausländischen Forum unbekannt ist, weshalb das Prozessrecht der lex fori kein Verfahren für den begehrten Rechtsschutz bereitstellt. Deshalb kann oder will das ausländische Forum – unter Umständen sogar, aber nicht notwendigerweise, unter Verweis auf eine wesenseigene Unzuständigkeit – die begehrte Sachentscheidung nicht oder nicht in der für das anwendbare Recht benötigten Form treffen.87 Insbesondere solche Konstellationen können auch für die europäischen Notzuständigkeiten relevant werden. Denn das materielle Recht eines Mitgliedstaates kann den Gerichten eines Drittstaates keine Zuständigkeit für Aufgaben zuweisen, die dem fremden Recht unbekannt sind.88 Lehnt ein Gericht in einem Drittstaat es daher ab, eine vom Sachrecht eines Mitgliedstaates vorgesehene Sachentscheidung zu treffen, weil das hierzu notwendige Verfahren dem Verfahrensrecht der lex fori unbekannt ist, erhält der Kläger keinen Rechtsschutz. Sein Rechtsschutzbedürfnis wird nicht durch eine Entscheidung in der Sache befriedigt. Weil das Verfahren zur Erlangung der begehrten Entscheidung oder Tätigkeit in dem Drittstaat nicht durchgeführt werden kann, ist das Verfahren dort unmöglich. Letztlich kommt es für diese land), ECLI:CE:ECHR:2001:0712JUD004252798, Rn. 52: Die Tatsache, dass eine Klage als unzulässig abgewiesen wird, ist ein Eingriff in Art. 6 Abs. 1 EMRK, der jedoch gerechtfertigt werden kann; EGMR, 21.2.2002 – Nr. 48778/99 (Kutic/Kroatien), ECLI:CE: ECHR:2002:0301JUD004877899, Rn. 24. 86 Teil 1 A. IV.; Teil 1 C. II.; Teil 1 D. I. 1. b). 87 Teil 1 A. IV.; Teil 1 C. II.; Teil 1 D. I. 1. b). Vgl. zur wesenseigenen Zuständigkeit Breuleux, Internationale Zuständigkeit und anwendbares Recht, 90 ff. 88 Vgl. KG, 14.9.1961 – 1 W 1591/61, Fam RZ 1961, 477, 479.

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2. Teil: Grundstrukturen einer europäischen Notzuständigkeit

Fallgruppe der Rechtsverweigerung darauf an, dass das ausländische Forum aus Gründen, die verfahrensrechtlich zu qualifizieren sind, keine Sachentscheidung trifft und nicht, dass es die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für die begehrte Sachentscheidung als nicht gegeben ansieht.89 a) Mögliche Kollisionen am Beispiel des internationalen Erbrechts Die Undurchführbarkeit eines Verfahrens in einem Drittstaat, das von dem Recht eines Mitgliedstaates als zwingend vorgesehen ist, kann insbesondere im internationalen Erbrecht auftreten. Gerade auf diesem Rechtsgebiet können Verfahrens- und Sachrecht besonders eng miteinander verwoben sein.90 Zudem können vor allem im Erbrecht signifikante Unterschiede von einer Rechtsordnung zur anderen bestehen. Deshalb können vor allem solche Kollisionen für eine Notzuständigkeit nach Art. 11 EuErbVO relevant werden. Im Nachfolgenden sollen einige Anwendungsfälle für solche Konstellationen dargestellt werden. (1) Nicht-Erhältlichkeit der Einantwortung im Drittstaat Das österreichische Recht enthielt vor dem Inkrafttreten der EuErbVO eine eigene Notzuständigkeitsregelung für internationale Erbfälle für den Fall, dass die vom materiellen Erbrecht vorgesehene gerichtliche Übertragung des Erbes auf die Erben (Einantwortung) im Ausland nicht zu erhalten war. Diese Notzuständigkeit ermöglichte eine Entscheidung in Österreich, wenn das ausländische Verfahrensrecht kein Verfahren für die Einantwortung oder eine vergleichbare Entscheidung vorsah und das ausländische Forum daher diese notwendige Sachenentscheidung nicht treffen konnte oder wollte.91 Solche Kollisionen können grundsätzlich auch nach Inkrafttreten der EuErbVO entstehen, wie das folgende Beispiel zeigt: Ein Erblasser österreichischer Nationalität hatte vor seinem Tod seinen gewöhnlichen Aufenthalt und sein Vermögen in einem Drittstaat, der sich aufgrund dieser Umstände für international zuständig erklärt. Eine Zuständigkeit österreichischer Gerichte nach Art. 4 oder 10 EuErbVO besteht nicht. Das IPR des Drittstaates knüpft zur Bestimmung des Erbstatutes an die Nationalität des Erblassers an, welches nach Österreich verweist. Sofern es sich bei dieser Verweisung um eine Sachnormverweisung handelt, wendet der Drittstaat österreichisches Erbrecht an. Die Gefahr einer Rechtsverweigerung besteht in solchen Fällen, wenn die Gerichte des Drittstaates die begehrte Einantwortung der Erbschaft als unzulässig ablehnen, weil ein solches Verfahren im Drittstaat nicht vor89

Dieser Fall ist besonders zu behandeln siehe unten Teil 2 C. VI. Wie etwa Nachlassverfahren des deutschen Rechts, vgl. Dutta, in: MüKo BGB, Vorbemerkungen zu Art. 4 EuErbVO Rn. 29. 91 Teil 1 C. II. 90

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gesehen ist oder die Einantwortung eine Tätigkeit darstellt, die den Gerichten dieses Staates wesensfremd ist. Können die Erbprätendenten aufgrund der fehlenden Einantwortung nicht das Erbe antreten, droht ihnen Rechtsverweigerung zu widerfahren.92 Sie verlieren hierdurch ihre materiell rechtliche Erbenstellung ersatzlos. Die Durchführung eines Verlassenschaftsverfahrens in dem Drittstaat zur Erlangung der Einantwortung ist daher für die Erbberechtigten unmöglich. In solchen Fällen ist eine Notzuständigkeit nach Art. 11 EuErbVO erforderlich. Der ausreichende Forumsbezug besteht einerseits in der österreichischen Nationalität des Erblassers und wird andererseits auch durch die Tatsache vermittelt, dass das ausländische Forum österreichisches Erbrecht für anwendbar hält. Die im Drittstaat geforderte Einantwortung können österreichische Gerichte vornehmen, indem sie nach Art. 21 Abs. 2 EuErbVO ihr eigenes Erbrecht anwenden. (2) Sonderfall: Erhältlichkeit der Einantwortung vor Gerichten eines Mitgliedstaates Vor Inkrafttreten der EuErbVO bestand die Problematik um die Erhältlichkeit der Einantwortung insbesondere im Verhältnis zu Deutschland, wenn ein österreichischer Erblasser mit letztem gewöhnlichem Aufenthalt in Deutschland dort Nachlasswerte hinterlassen hatte.93 In solchen Fällen waren deutsche Gerichte für die Abwicklung des Nachlasses zuständig, während österreichisches Recht Erbstatut nach § 25 EGBGB a.F. i.V.m. § 28 Abs. 1 IPRG a.F. war.94 Die Vornahme der Einantwortung wurde teilweise von der deutschen Rechtsprechung und Literatur als wesensfremde Tätigkeit abgelehnt. Deutsche Gerichte konnten dieser Auffassung nach selbst unter Anpassung des eigenen Verfahrensrechtes die Einantwortung nicht vornehmen, da deutschen Gerichten die Einsetzung von Erben nicht als Aufgabe zugewiesen ist.95 92

Zur Möglichkeit der Abwendung dieser Rechtslage durch Substitution siehe Teil 2. B. II. 1. b). 93 Bajons, NZ 2010, 321 ff.; Riering/Tersteegen, ZfRV 2006, 211, 214; Traar, in: Fasching/Konecny, § 106 JN Rn. 46 ff. 94 Siehe hierzu ausführlich Mayer, in: MüKo BGB, 6. Auflage 2013, § 2369 BGB Rn. 38 ff. Diese Problematik ergab sich vor allem dann, wenn der Erbe zur faktischen Durchsetzung seines Erbrechts einen deutschen Fremdrechtserbschein nach § 2369 BGB a.F (nunmehr § 352c FamFG) beantragte: Bajons, NZ 2010, 321; Mayer, in: MüKo BGB, 6. Auflage 2013, § 2369 BGB Rn. 38 ff.; Riering/Tersteegen, ZfRV 2006, 211, 215; Traar, in: Fasching/Konecny, § 106 JN Rn. 46; Tersteegen, ZErb 2007, 339, 342. 95 BayObLG, 8. 5. 1967 – BReg. 1 a Z 95/66, BayObLGZ 1967, 197 201; BayObLG, 15. 2. 1971 – BReg. 1 Z 90/70, BayObLGZ 1971, 34, 44; ausführlich: Tersteegen, ZErb 2007, 339, 342; Ludwig, ZEV 2005, 419, 422 und 424; Riering/Tersteegen, ZfRV 2006, 211, 214; a.A. Kegel/Schurig, Internationales Privatrecht, § 21 IV 2. Gelöst wurde diese Kollision letztlich dadurch, dass § 28 Abs. 2 IPRG a.F. als allseitige Kollisionsnorm zu verstehen

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Dieses Problem kann auch im Anwendungsbereich der EuErbVO entstehen, wenn ein Gleichlauf zwischen forum und jus im Einzelfall nicht zustande kommt.96 Das ist etwa dann möglich, wenn ein österreichischer Erblasser seinen gewöhnlichen Aufenthalt i.S.d. Art. 4 EuErbVO in Deutschland hatte und mittels einer Rechtswahl nach Art. 22 EuErbVO das Recht Österreichs als Erbstatut wählte. Ein deutsches Gericht ist grundsätzlich zur Verhandlung des Erbfalls nach Art. 4 EuErbVO zuständig, wenn die Erben als Parteien keine Gerichtsstandsvereinbarung nach Art. 5 EuErbVO treffen (Art. 6 lit. b) EuErbVO) oder sich das deutsche Gericht nach Art. 6 lit. a) EuErbVO nicht für unzuständig erklären kann, weil keine Verfahrenspartei den erforderlichen Antrag stellt. Darüber hinaus kann sich dieses Problem stellen, wenn der österreichische Erblasser seinen letzten gewöhnlichen Aufenthalt i.S.d. Art. 4 EuErbVO in Deutschland hatte und keine Rechtswahl vorgenommen hat, aber österreichisches Recht nach Art. 21 Abs. 2 EuErbVO Erbstatut ist.97 Ferner ist dies möglich bei letztem gewöhnlichem Aufenthalt des Erblassers in einem Drittstaat, internationaler Zuständigkeit Deutschlands aufgrund unbeweglichen Vermögens nach Art. 10 Abs. 2 EuErbVO und Rückverweisung des gemäß Art. 21 Abs. 1 i.V.m. Art. 34 Abs. 1 lit. a) EuErbVO berufenen drittstaatlichen Kollisionsrechts auf österreichisches Sachrecht.98 In all diesen Fällen ist ein deutsches Nachlassgericht mit der Aufgabe berufen, eine nach dem österreichischen Erbrecht vorgeschrieben Einantwortung vorzunehmen. Denn nach Art. 23 Abs. 2 lit. e) EuErbVO umfasst die Reichweite des Erbstatutes auch die Art und Weise des Übergangs der Erbschaft auf die Erben, weshalb das Erfordernis der Einantwortung des Erbfalles besteht.99 Es stellt sich somit die Frage, ob ein deutsches Gericht die nach österreichischem Erbrecht notwendige Einantwortung vornehmen kann. Die Zuweisung der internationalen Zuständigkeit durch die EuErbVO verdrängt im Anwendungsbereich der EuErbVO nicht nur nationales Zuständigkeitsrecht, sondern auch sonstige verfahrensrechtliche Vorschriften der lex fori, wenn diese die Durchführung der EuErbVO gefährden. Dies ergibt sich insbesondere nach Dutta aus dem effet utile, da den Zuständigkeitsregeln der Artt. 4 ff. EuErbVO ansonsten ihre praktische Wirksamkeit

war, die für den Modus des Erbrechtserwerbs auf die lex fori verweis. Demnach war eine Einantwortung nicht notwendig, sondern die Erbschaft ging kraft Universalsukzession nach § 1922 Abs. 1 BGB auf die Erben über, Bajons, NZ 2010, 321, 229 ff.; Ludwig, ZEV 2005, 419, 424; Mayer, in: MüKo BGB, 6. Auflage 2013, § 2369 BGB Rn. 39. 96 Dutta, in: MüKo BGB, Vorbemerkungen zu Art. 4 EuErbVO Rn. 29. 97 Bajons, in: Erbfälle unter Geltung der Europäischen Erbrechtsverordnung, 93, 101 f. 98 Bajons, in: Erbfälle unter Geltung der Europäischen Erbrechtsverordnung, 93, 101 f. 99 Dutta, in: MüKo BGB, Art. 8 EuErbVO Rn. 4.

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genommen würde.100 Die Zuständigkeitsvorschriften der EuErbVO könnten mitgliedstaatlichen Gerichten daher auch funktional Aufgaben zuweisen, die ihnen das nationale Verfahrensrecht oder Gerichtsorganisationsrecht nicht übertragen habe. Ein mitgliedstaatliches Gericht könne daher eine Tätigkeit nicht mit der Begründung ablehnen, dass diese Tätigkeit den funktionalen Zuständigkeitsbereich des Gerichtes übersteige.101 Für dieses Ergebnis spricht auch die Entscheidung Owusu des EuGH vom 1. März 2005,102 aus der sich entnehmen ließe, dass die Ausübung europäischer Zuständigkeiten nicht unter Rückgriff auf nationale Verfahrensinstrumente abgelehnt werden dürfe.103 Dies müsse auch dann gelten, wenn das Gericht eines Mitgliedstaates sich auf eine funktionale oder institutionelle Unzuständigkeit berufen wolle, die sich aus dem nationalen Recht ergebe.104 Diese Auffassung Duttas überzeugt nicht zuletzt deshalb, weil im Fall der Ablehnung einer solchen Tätigkeit als wesensfremd ansonsten im innereuropäischen Rechtsverkehr dem Kläger Rechtsverweigerung droht.105 Erklären sich im beschriebenen Beispielsfall die deutschen Gerichte für wesenseigen unzuständig, besteht auf der Grundlage der EuErbVO keine Zuständigkeit eines anderen mitgliedstaatlichen Gerichts. Dem Kläger könnte der Nachlass daher überhaupt nicht mehr eingeantwortet werden. Zwar besteht auch im innereuropäischen Rechtsverkehr grundsätzlich die Pflicht, im Falle drohender Rechtsverweigerung eine Notzuständigkeit zu eröffnen.106 Gleichwohl ist diese Notwendigkeit, mangels ausdrücklicher Normierung, nicht stets klar, sodass in einem solchen Fall die Gefahr besteht, dass auch ein österreichisches Gericht sich für unzuständig erklärt. Zudem kann gerade im innereuropäischen Rechtsverkehr eine Notzuständigkeit nur die allerletzte Möglichkeit sein, Rechtsverweigerung zu verhindern. Kann diese auch durch eine innerhalb der Verordnung liegende Lösung abgewendet werden, ist diese Lösung in jedem Fall vorzugswürdig. Somit muss, trotz aller verfahrensrechtlichen Schwierigkeiten, ein deutsches Gericht eine Einantwortung nach österreichischem Recht vornehmen,107 auch wenn das FamFG hierfür kein Verfahren vorsieht.108 Ganz ge100

Dutta, in: MüKo BGB, Vorbemerkungen zu Art. 4 EuErbVO Rn. 29. So auch Bajons, in: Erbfälle unter Geltung der Europäischen Erbrechtsverordnung, 93, 102 in Bezug auf die Einantwortung vor einem deutschen Gericht. 102 EuGH, 1.3.2005 – C-281/02 (Owusu/Jackson u. a.), ECLI:EU:C:2005:120 Rn 22 ff. 103 Bonomi, in: Bonomi/Wautelet, Le droit europe´en des successions, Art. 4 Rn. 30; Dutta, in: MüKo BGB, Vorbemerkungen zu Art. 4 EuErbVO Rn. 29. 104 Dutta, in: MüKo BGB, Vorbemerkungen zu Art. 4 EuErbVO Rn. 29. 105 Dutta, in: MüKo BGB, Vorbemerkungen zu Art. 4 EuErbVO Rn. 29. 106 Siehe Teil 2 G. 107 Bajons, in: Erbfälle unter Geltung der Europäischen Erbrechtsverordnung, 93, 102. 108 Hierzu müssen die jeweils einschlägigen Regelungen des FamFG angepasst werden: Grundlage des Verfahrens sind im deutschen Recht die Vorschriften zur Erteilung eines 101

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nerell ergibt sich aus diesen Erwägungen die Pflicht mitgliedstaatlicher Gerichte, ihnen unbekannte Tätigkeiten des fremden Rechts vorzunehmen. Dies gilt auch dann, wenn die EuErbVO das Recht eines Drittstaates für anwendbar erklärt.109 (3) Nicht-Erhältlichkeit eines europäischen Nachlasszeugnisses im Drittstaat Vor diesem Hintergrund lässt sich auch die von Dutta festgestellte Notwendigkeit einer Notzuständigkeit in den Fällen erklären, in denen ein europäisches Nachlasszeugnis nicht in einem an sich zuständigen Drittstaat zu erhalten ist.110 Die EuErbVO räumt in Art. 75 Abs. 1 Uabs. 1, Abs. 2 EuErbVO staatsvertraglichen Regelungen, die auf dem Gebiet des internationalen Erbrechts zwischen mindestens einem Mitgliedstaat und einem oder mehreren Drittstaaten bestehen, Vorrang vor den Regelungen der EuErbVO ein. Enthalten solche Staatsverträge eigene Zuständigkeitsvorschriften, gehen diese den Artt. 4 ff. EuErbVO vor.111 Erfassen diese Zuständigkeitsregeln auch die Ausstellung von Erbnachweisen, ist es möglich, dass ein nach Art. 64 EuErbVO i.V.m. Artt. 4, 7, 10 oder 11 EuErbVO für die Erteilung eines europäischen Nachlasszeugnisses international zuständiger Mitgliedstaat aufgrund eines solchen Staatsvertrages an der Ausübung seiner Zuständigkeit gehindert ist, weil der Staatsvertrag den Drittstaat für international zuständig erklärt. Gleichzeitig bleiben in einem solchen Fall die Vorschriften zur Erteilung eines europäischen Nachlasszeugnisses unberührt, weil der Staatsvertrag trotz Regelung über die Zuständigkeit über das europäische Nachlasszeugnis keine Regelung enthält.112 Ein europäisches Nachlasszeugnis müsste daher in dem Drittstaat beantragt werden, den der vorrangige Staatsvertrag für die Ausstellung von Erbnachweisen für zuständig erklärt. Das europäische Nachlasszeugnis ist ein „Rechtstitel sui generis“ der EuErbVO,113 der mit dieser eingeführt wurde, um internationale Erbsachen zügig, unkompliziert und effizient abzuwickeln.114 Ein Drittstaat, der aufgrund eines Staatsvertrages zur Ausstellung von Erbnachweisen zuständig ist, kann jedoch regelmäßig ein europäisches Nachlasszeugnis nicht ausstellen, weil Erbscheins, §§ 352 ff. FamFG, die analog am Vorbild der österreichsichen Verfahrensvorschriften herangezogen werden müssen. Die Erteilung des Erbscheins hat in der Folge die vom österreichischen Recht benötigte Gestaltungswirkung der Erbeinsetzung. 109 Lein, in: Dutta/Weber, Internationales Erbrecht, Art. 4 EuErbVO Rn. 37 f. 110 Dutta, in: MüKo BGB, Art. 64 EuErbVO Rn. 9. 111 Dutta, in: MüKo BGB, Vorbemerkungen zu Art. 4 EuErbVO Rn. 28. 112 Dutta, in: MüKo BGB, Vorbemerkungen zu Art. 62 EuErbVO Rn. 1 und Art. 75 EuErbVO Rn. 5. 113 Dutta, in: MüKo BGB, Vorbemerkungen zu Art. 62 EuErbVO Rn. 1; Perscha, in: Deixler-Hübner/Schauer, Vor. Art. 62 ff. EuErbVO Rn. 1. 114 Erwägungsgrund 67 EuErbVO.

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dieses dem Drittstaat unbekannt ist und es daher kein Verfahren für dessen Erteilung in dem Drittstaat gibt. Ein europäisches Nachlasszeugnis ist in einem Drittstaat daher regelmäßig nicht erhältlich. Einem betreffenden Erben, Vermächtnisnehmer, Testamentsvollstrecker oder Nachlassverwalter ist es daher unmöglich das Erteilungsverfahren des Nachlasszeugnisses in dem entsprechenden Drittstaat einzuleiten.115 Insoweit besteht jedoch die Gefahr einer Rechtsverweigerung, weil der betroffene Erbe, Vermächtnisnehmer, Testamentsvollstrecker oder Nachlassverwalter ohne das an sich vorgesehene europäische Nachlasszeugnis seine Rechtsposition nicht unionsweit einheitlich nachweisen kann. Dies rechtfertigt die Eröffnung einer europäischen Notzuständigkeit nach Art. 11 EuErbVO in dem Mitgliedstaat, dessen Gerichte an sich nach den Artt. 4 ff. EuErbVO zuständig wären. Die Tatsache, dass ein Anknüpfungsmoment der Artt. 4 ff. EuErbVO in dem Mitgliedstaat erfüllt ist, begründet in einem solchen Fall ausnahmsweise den ausreichenden Forumsbezug.116 In der Tat sind derartige Fälle insbesondere aus Sicht der Tschechischen Republik möglich. Dieser Mitgliedstaat ist noch an eine Vielzahl von Staatsverträgen gebunden, die umfassend die internationale Zuständigkeit in Erbsachen regeln und daher auch die Ausstellung von Erbnachweisen betreffen.117 So kann eine Notzuständigkeit tschechischer Gerichte etwa notwendig werden, wenn ein Erblasser vietnamesischer Nationalität mit gewöhnlichem Aufenthalt in Tschechien verstirbt, der seinen aus beweglichen Vermögenswerten bestehenden Nachlass in Tschechien und Vietnam hinterlässt. Zuständig für die Erbsache sind aufgrund Art. 38 Abs. 1 des vorrangigen Staatsvertrages zwischen der sozialistischen Tschechoslowakischen Republik und der Sozialistischen Republik Vietnam über Rechtshilfe in zivil- und strafrechtlichen Angelegenheiten vom 12. Oktober 1984 die Gerichte Vietnams, die jedoch kein europäisches Nachlasszeugnis ausstellen können.118 Mittels 115

Dutta, in: MüKo BGB, Art. 64 EuErbVO Rn. 9 und Art. 75 EuErbVO Rn. 5. Zur Frage der Substituierbarkeit des Nachlasszeugnisses durch andere drittstaatliche Maßnahmen Teil 2 B. II. 2. c). 116 Dutta, in: MüKo BGB, Art. 64 EuErbVO Rn. 9. 117 Vgl. Pfeiffer, in: European Private International Law and Member State Treaties with Third States, 85, 92 ff. 118 ˇ eskoslovenskou socialistickou republikou a Vietnamskou socialiSmlouva mezi C stickou republikou o pra´vnı´ pomoci ve veˇcech obcˇansky´ch a trestnı´ch ze dne 12.10.1982, Vyhla´sˇka ministra zahranicˇnı´ch veˇcı´ cˇ. 98/1984 Sb (Vertrag zwischen der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik und der Sozialistischen Republik Vietnam über die Rechtshilfe in Zivil- und Strafsachen vom 12.10.1982); die englische Übersetzung des Vertrages von Pfeiffer ist auszugsweise abgedruckt in Dutta/Wurmnest, European Private International Law and Member State Treaties with Third States, 404 ff. Zu diesem Vertrag siehe Pfeiffer, in: Dutta/Wurmnest, European Private International Law and Member State Treaties with Third States, 85, 101 ff.

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2. Teil: Grundstrukturen einer europäischen Notzuständigkeit

einer Notzuständigkeit nach Art. 11 EuErbVO kann das begehrte Nachlasszeugnis in Tschechien ausgestellt werden.119 b) Keine Substituierbarkeit des begehrten Rechtsschutzes Dass der begehrte Rechtsschutz nicht oder nicht in der vorgesehenen Form im Drittstaat erhältlich ist, setzt den Kläger der Gefahr einer Rechtsverweigerung aus, wenn die begehrte Entscheidung nicht substituierbar ist. Keine Rechtsverweigerung droht dem Kläger indes zu widerfahren, wenn der begehrte Rechtsschutz, der im an sich zuständigen Drittstaat nicht erhältlich ist, durch eine andere Entscheidung substituiert werden kann. In diesem Fall tritt nämlich unabhängig von der Tatsache, dass der begehrte Rechtsschutz nicht erhältlich ist, die gewünschte Rechtsfolge ein. Bevor eine dem Kläger drohende Rechtsverweigerung angenommen werden kann, muss daher untersucht werden, ob die Wirkung des nicht erhältlichen Rechtsschutzes auch im Wege der Substitution hergestellt werden kann. Ob und wie die Entscheidung substituiert werden kann, entscheidet das anwendbare Sachrecht. Dass die Möglichkeit der Substitution der vorgesehenen Entscheidung Rechtsverweigerung verhindern kann, zeigen die Ausführungen im deutschen und österreichischen Recht.120 Die Gefahr einer Rechtsverweigerung droht daher nicht nur, wenn die Entscheidung überhaupt nicht zu erhalten ist. Das Ergebnis ist dasselbe, wenn das Ausland eine Entscheidung trifft, die nicht den Anforderungen des anwendbaren Sachrechts entspricht und daher nicht die erforderliche Wirkung erzeugen kann.121 Es kommt somit zur Begründung einer dem Kläger drohenden Rechtsverweigerung darauf an, dass eine Entscheidung im Ausland nicht erhältlich ist und dass die Wirkung der Entscheidung nicht im Wege einer Substitution auf andere Art und Weise hergestellt werden kann. Erst wenn dies der Fall ist, kann eine europäische Notzuständigkeit eröffnet werden. Für die oben dargestellten erbrechtlichen Fälle ist es daher erforderlich, dass vor Eröffnung einer Notzuständigkeit nach Art. 11 EuErbVO der Frage nachgegangen wird, ob die Entscheidung im Drittstaat substituiert werden konnte. Im oben untersuchten Fall, in dem die aus österreichischer Sicht notwendige Einantwortung im Drittstaat nicht zu erhalten ist, muss daher vor der Annahme einer Rechtsverweigerung untersucht werden, ob die Einantwor-

119 Der Inhalt des Nachlasszeugnis richtet sich jedoch weiterhin nach dem anwendbaren vietnamesischen Erbrecht. Es weist daher den nach vietnamesischem Erbrecht berechtigten Erbe, Vermächtnisnehmer, Testamentsvollstrecker oder Nachlassverwalter aus. 120 Teil 1 A. IV.; Teil 1 C. II. 121 Siehe Teil 1 A. IV.; Teil 1 C. II.; Teil 1 D. I. 1. b). In den untersuchten Rechtsordnungen waren oftmals Gestaltungsentscheidungen von dieser Problematik betroffen.

B. Rechtsverweigerung bei Unmöglichkeit eines drittstaatlichen Verfahrens

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tung durch eine ähnliche Entscheidung eines Gerichtes im Forumstaat substituiert wurde.122 Die Substituierbarkeit der Einantwortung hängt aus Sicht des österreichischen Rechts vor allem davon ab, ob der Rechtsakt die Durchsetzung des Erbrechts ermöglicht oder nicht. Erst wenn die Einantwortung nicht substituiert werden kann, droht den Erbberechtigten Rechtsverweigerung zu widerfahren. Eine Notzuständigkeit aufgrund der Unmöglichkeit des Verfahrens in dem Drittstaat kann nach Art. 11 EuErbVO daher erst dann eröffnet werden, wenn die Substituierbarkeit abzulehnen ist. Die zuweisende Wirkung auch funktionaler Zuständigkeiten durch die EuErbVO wirkt sich darüber hinaus auch im nationalen Recht der Mitgliedstaaten auf die Frage der Substituierbarkeit geforderter Entscheidungen aus: Müssen Gerichte eines anderen Mitgliedstaates auch ihnen wesensfremde Verrichtungen vornehmen, die das anwendbare Sachrecht ihnen abverlangt, dann müssen diese Verrichtungen auch in der betroffenen Rechtsordnung den dort vorgesehenen Effekt auslösen. Folglich substituiert die – im konkreten Fall rechtsgestaltende – Erteilung eines Erbscheins eines deutschen Gerichts, mit der der Nachlass den Erben übertragen wird, die Einantwortung eines österreichischen Gerichts, wenn deutsche Gerichte aufgrund der EuErbVO diese Entscheidung vornehmen müssen.123 Rechtsverweigerung kann dem Kläger daher nicht drohen, sodass es grundsätzlich keinen Anlass für eine innereuropäische Notzuständigkeit in solchen Konstellationen geben kann. c) Ausnahme: Wegfall der drohenden Rechtsverweigerung durch faktische Befriedigung des Rechtsschutzbegehrens Die Tatsache, dass im Fall der Substitution der Entscheidung Rechtsverweigerung nicht droht, weil die begehrte Wirkung der Entscheidung gleichwohl hergestellt werden kann, kann unabhängig von der Frage sein, ob das anwendbare Sachrecht diese Substitution tatsächlich zulässt. Geht ein Gericht im an sich zuständigen Drittstaat fälschlicherweise von der Substituierbarkeit der Entscheidung aus – oder ignoriert es das Erfordernis dieser Entscheidung nach dem anwendbaren Recht komplett – droht keine Rechtsverweigerung, wenn der Kläger auch in diesem Fall gleichwohl faktisch sein Rechtsschutzziel erreicht. Aus der Perspektive des potenziellen Notforums, dessen Recht im Ausland nicht richtig angewandt worden ist, besteht kein Rechtsschutzinteresse mehr.

122

Zur alten Rechtslage vgl. Traar, in: Fasching/Konecny, § 106 JN Rn. 42 und 46. Ähnlich Dutta, in: MüKo BGB, Vorbemerkungen zu Art. 4 EuErbVO Rn. 29. Siehe auch auf Basis des Kommissionsvorschlags Schäuble, Die Einweisung der Erben in die Erbschaft nach österreichischem Recht durch deutsche Nachlassgerichte, 193 ff.; Weber, in: Dutta/Weber, Internationales Erbrecht, Art. 39 EuErbVO Rn. 30. 123

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2. Teil: Grundstrukturen einer europäischen Notzuständigkeit

Dies zeigte sich unmittelbar in der österreichischen Praxis zu § 106 Abs. 1 Nr. 3 b) JN vor Inkrafttreten der EuErbVO. Hiernach war die Durchsetzung des Erbrechts im Ausland möglich, wenn der Erbe trotz nicht vorgenommener Einantwortung im Ausland tatsächlich die Erbschaft in Empfang nehmen konnte.124 Obwohl nach dem angewandten österreichischen Recht die Erbschaft ohne die Einantwortung nicht übertragen werden kann, droht dem Kläger in einem solchen Fall keine Rechtsverweigerung mehr, weil sein Rechtsschutzziel faktisch auch ohne den vorgesehenen Rechtsschutz erreicht werden konnte.125 Diese Lösung ist auch im Anwendungsbereich der EuErbVO vorzugswürdig. Geht der Drittstaat auch ohne Einantwortung davon aus, dass die Erbprätendenten wirksam Erben werden konnten und behandelt er Erbprätendenten als Erben, muss die Einantwortung nicht mehr in Österreich nachgeholt werden. Die Tatsache, dass der Kläger auch ohne die Einantwortung sein Rechtsschutzziel faktisch erreichen konnte, schließt sein Rechtsschutzinteresse aus. Es droht ihm daher keine Rechtsverweigerung zu widerfahren, wenn er die Einantwortung nicht erhalten kann. Gerade in diesen Konstellationen schließt also das fehlende Rechtsschutzinteresse die Eröffnung einer Notzuständigkeit aus. Diese Lösung ist vor allem deshalb sinnvoll, weil die Tatsache, dass eine Einantwortung nicht zu erhalten ist, nicht den österreichischen Rechtsverkehr betrifft. In diesen Fällen hat der Erblasser weder den gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich noch befindet sich dort Nachlassvermögen des Erblassers – sonst wären österreichische Gerichte nach Art. 4 oder 10 EuErbVO zuständig. Es geht lediglich um die Überbrückung der fehlenden Einantwortung im Rechtsverkehr des Drittstaates, mit der das Auftreten einer ansonsten drohenden Rechtsverweigerung verhindert werden kann. Können die Erben das Erbe in solchen Fällen auch ohne Einantwortung antreten, muss diese nicht in Österreich mittels einer Notzuständigkeit nachgeholt werden. 2. Abgrenzung zur Abweisung des Rechtsschutzbegehrens aus materiellrechtlichen Gründen im Drittstaat Von den hier behandelten Fällen der verfahrensrechtlichen Abweisungen des Rechtsschutzes im Drittstaat müssen die Fälle unterschieden werden, in denen der Drittstaat das Rechtsschutzbegehren als in der Sache unbegründet zurückweist. Zwar unterliegt der Kläger im Ergebnis in beiden Fällen im Drittstaat, allerdings begründet nur die verfahrensrechtliche Undurchführbarkeit des Verfahrens die Gefahr einer drohenden Rechtsverweigerung, wie sie hier beschrieben worden ist. Denn im Unterschied zu den Fällen der Abweisung des klägerischen Rechtsschutzbegehrens aus materiell-rechtli124 125

Teil 1 C. II. Teil 1 C. II.

B. Rechtsverweigerung bei Unmöglichkeit eines drittstaatlichen Verfahrens

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chen Gründen trifft das erkennende Gericht in solchen Fällen keine Sachentscheidung. Das klägerische Rechtsschutzbegehren wird nicht auf Grundlage des angewandten Sachrechts als unbegründet abgewiesen, sondern wird überhaupt nicht durch eine Entscheidung in der Sache befriedigt. Diese Situation gleicht der des negativen internationalen Kompetenzkonfliktes und stellt stets für sich genommen eine drohende Rechtsverweigerung dar. Ist hingegen nach Auffassung des erkennenden Gerichts im Drittstaat das Begehren des Klägers unbegründet, erhält dieser aber gerade eine Entscheidung in der Sache, sodass ihm grundsätzlich keine Rechtsverweigerung droht.126 An dieser Bewertung ändert sich erst etwas, wenn das materiell-rechtliche Ergebnis der Entscheidung unerträglich ist und gegen den ordre public verstößt.127 Bis zu dieser Grenze muss der Kläger die Entscheidung in der Sache hinnehmen. Der Verlust der vorgesehenen Rechtsschutzmöglichkeit aus verfahrensrechtlichen Gründen ist dagegen immer unerträglich, egal ob ein vom ordre public erfasstes Recht in Frage steht, oder „nur“ ein nichtbeglichener Zahlungsanspruch.128 3. Ausnahme: Materiell-rechtliche Qualifikation der Abweisung eines an sich bekannten Verfahrens im Drittstaat Zwischen der Undurchsetzbarkeit eines Anspruches aus Gründen des fremden Verfahrensrechts einerseits und aus Gründen des materiellen Rechts andererseits zu unterscheiden, kann im Einzelfall jedoch erhebliche Probleme bereiten.129 Der Kläger erhält im Grunde auch dann keine Entscheidung in der Sache, wenn das Verfahrensrecht des Drittstaates den begehrten Rechtsschutz kennt, das Verfahren aber gleichwohl aus anderen verfahrensrechtlichen Gründen ausschließt. Abgrenzungsprobleme ergeben sich, wenn dieser Ausschluss aufgrund einer verfahrensrechtlichen Regelung der lex fori stattgefunden hat, die letztlich eine rein materiell-rechtliche Wertung enthält und daher materiell-rechtlich zu qualifizieren ist. So kann das Prozessrecht eines drittstaatlichen Forums Unterhaltsklagen Erwachsener ab 25 gegen die eigenen Eltern für unzulässig erklären, weil dieser Staat der Ansicht ist, dass es nicht mehr Sache der Eltern sei, die eigenen Kinder ab diesem Alter zu unterhalten. Eine solche fiktive Ausschlussnorm würde auf verfahrensrechtlicher Ebene eine Klage aufgrund dieser materiell-rechtlichen Wertung für unzulässig erklären. Ebenso gut könnte der Drittstaat solche Ansprüche auf materiell-rechtlicher Ebene mittels einer Eingriffsnorm ausschließen, die solche Ansprüche

126

Siehe unten Teil 2 C. II. Siehe unten Teil 2 C. II. 128 So schon Schröder, Internationale Zuständigkeit, 215 f. 129 Burgstaller/Neumayr, FS Schlosser, 119, 132 und 134. 127

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2. Teil: Grundstrukturen einer europäischen Notzuständigkeit

auch dann unterbindet, wenn nicht das eigene Recht angewendet wird. Ein solcher Ausschluss muss aus Sicht der EuUntVO materiell-rechtlich qualifiziert werden. Einerseits würde eine Notzuständigkeit nach Art. 7 EuUntVO die vom Drittstaat getroffene Wertung ohne Not untergraben, wenn nur darauf abgestellt werden würde, dass aufgrund des Ausschlusses der Kläger keine Sachentscheidung erhalten würde. Andererseits sieht Art. 11 lit. d) HUP 2007 vor,130 dass die Frage, wer zur Einleitung von Unterhaltsverfahren berechtigt ist, vom Umfang des auf die Unterhaltspflicht anzuwendenden Sachrechts erfasst ist. Wird diese Frage daher auf Ebene des Kollisionsrechts materiell-rechtlich qualifiziert, muss diese Qualifikation auch im Rahmen der Beurteilung der Zumutbarkeit eines Auslandsverfahrens berücksichtigt werden. Ein verfahrensrechtlicher Ausschluss des Anspruches in solchen Fällen ist daher in Wirklichkeit eine Entscheidung in der Sache selbst, die als solche bist zur Grenze des ordre public zu würdigen ist, der hier jedoch nicht betroffen ist.131 Dasselbe Vorgehen ist notwendig, wenn eine drittstaatliche Rechtsordnung Klagen unehelicher Kinder auf Beteiligung am Erbe als unzulässig abweist.132 In diesem Fall will der Drittstaat unehelichen Abkommen des Erblassers von der Erbfolge ausschließen, was eine materiell-rechtliche Wertung beinhaltet. Sie betrifft die Frage, ob und mit welchem Anteil die Abkommen des Erblassers als seine Erben berufen sind. Aus Sicht der EuErbVO unterliegt diese Frage jedoch dem Erbstatut, Art. 23 Abs. 2 lit. b) EuErbVO. Die Abweisung einer Klage in dem Drittstaat aus diesem Grund muss daher aus Sicht der EuErbVO materiell-rechtlich qualifiziert werden. Zwar muss in diesem Fall eine europäische Notzuständigkeit nach Art. 11 EuErbVO eröffnet werden. Der innere Grund für diese ist jedoch nicht, dass das Verfahren im Drittstaat unmöglich ist, weil der Kläger keine Sachentscheidung erhält.133 Vielmehr ist das Verfahren unzumutbar, weil die als Abweisung in der Sache zu qualifizierende Entscheidung des Drittstaates gegen das unionsrechtliche Diskriminierungsverbot des Art. 21 EuGRCh verstößt und deshalb ordre public widrig ist.134 Nur aus diesem Grund ist eine Notzuständigkeit als ordre public-Zuständigkeit zu eröffnen. Letztlich kann dieses Problem überall da auftreten, wo Rechtsinstitute von verschiedenen Rechtsordnungen unterschiedlich qualifiziert werden. Als

130 Haager Protokoll über das auf Unterhaltspflichten anzuwendende Recht vom 23.11.2007, ABl. 2009 L 331 19. 131 Für die Frage, welcher ordre public-Vorbehalt maßgeblich ist vgl. Teil 2 C. VI. 1. b). 132 Beispiel nach Buonaiuti, in: Calvo Caravaca/Davı`/Mansel, ESR Commentary, Art. 11 ESR Rn. 8. 133 So aber Buonaiuti, in: Calvo Caravaca/Davı`/Mansel, ESR Commentary, Art. 11 ESR Rn. 8. 134 Siehe hierzu Teil 2 C. VI. 2. b).

B. Rechtsverweigerung bei Unmöglichkeit eines drittstaatlichen Verfahrens

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fast schon klassisches Beispiel mag die Qualifikation der Verjährung dienen:135 Die Verjährung ist in machen Rechtsordnungen – vor allem angloamerikanischen – ein verfahrensrechtliches Rechtsinstitut, das Klagen ab Eintritt der Verjährung für unzulässig erklärt. Im europäischen Kollisionsrecht – und auch im Hager-Unterhaltsprotokoll in Art. 11 lit. e)136 – ist die Frage nach der Verjährung und deren Wirkung grundsätzlich materiellrechtlich qualifiziert.137 Diese Qualifizierung muss sich auch im Rahmen der Auslegung der Tatbestandsvoraussetzungen der Notzuständigkeit durchsetzen, um Wertungswidersprüche zu verhindern. Allein die Tatsache, dass ein drittstaatliches Forum eine (Unterhalts-)Klage wegen Eintritt der Verjährung im Ausland als unzulässig abweisen wird, kann daher nicht die Unzumutbarkeit dieses Verfahrens begründen. Da die Frage nach der Verjährung materiell-rechtlich beurteilt werden muss, ist auch diese Abweisung als Abweisung in der Sache zu qualifizieren. Eine Notzuständigkeit kann nur aufgrund eines ordre public-Verstoßes eröffnet werden.

III. Stillstand der Rechtspflege Als weitere Ursache von Rechtsverweigerung ist in allen untersuchten Rechtsordnungen ein Stillstand der Rechtspflege im an sich zuständigen Forum anerkannt.138 Dabei sind die Ausführungen im österreichischen und französischen Schrifttum oberflächlicher und knapper als diejenigen im deutschen und Schweizerischen Recht. Außerdem führt diese Fallgruppe in der Schweiz „nur“ zur Unzumutbarkeit des Verfahrens,139 während die anderen untersuchten Rechtsordnungen diese Fallgruppe im Rahmen der Unmöglichkeit einordnen.140 Diese unterschiedliche Klassifizierung ist jedoch unerheblich, weil alle untersuchten Rechtsordnungen im Falle des Stillstands der Rechtspflege gleichermaßen zur Vermeidung einer Rechtsverweigerung eine Notzuständigkeit eröffnen. Auch in der Literatur zum europäischen Recht ist anerkannt, dass ein Stillstand der Rechtspflege im an sich zuständigen Drittstaat zur Unmöglichkeit des Verfahrens führt.141 135

Auch andere Ausschlussfristen sind hiervon betroffen: Kegel/Schurig, Internationales Privatrecht, § 17 VI 2. 136 Staudinger, in: MüKo BGB, Art. 11 HUP Rn. 99 ff. 137 Dutta, in: MüKo BGB, Art. 23 EuErbVO Rn. 41. So auch in Art. 12 Abs. 1 lit. d) Rom I-VO und Art. 15 lit. h) Rom II-VO. Siehe hierzu etwa Kegel/Schurig, Internationales Privatrecht, § 17 VI mit Nachweisen für das österreichische und französische Recht; Kropholler, Internationales Privatrecht, § 41 II. 1. 138 Teil 1 A. I. 2. a) (1); Teil 1 B. I. 1. b) (1); Teil 1 C. I. 2.; Teil 1 D. I. 2. b). 139 Teil 1 D. I. 2. b). 140 Teil 1 A. I. 2. a) (1); Teil 1 B. I. 1. b) (1); Teil 1 C. I. 2. 141 Andrae, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 7 EG-UntVO Rn. 8; Bonomi, in: Bonomi/Wautelet, Le droit europe´en des successions, Art. 11 Rn. 9; Buonaiuti, in: Calvo Ca-

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2. Teil: Grundstrukturen einer europäischen Notzuständigkeit

Zu einem Stillstand der Rechtspflege kann es dabei aufgrund verschiedener Ursachen kommen. In den nationalen Rechtsordnungen finden sich als anerkannte Auslöser etwa Kriege, Bürgerkriege, Naturkatastrophen, Blockaden, Generalstreiks, größere politische Umstürze, wie nach dem Sturz Perrons, und sonstige tatsächliche Umstände höherer Gewalt, die Gerichte an der Ausübung jeglicher Rechtspflege hindern.142 Dieses Verständnis kann ohne weiteres auch im Rahmen der europäischen Regelungen zur Notzuständigkeit zugrunde gelegt werden, die selbst in den Erwägungsgründen den Bürgerkrieg exemplarisch als Ursache der Unmöglichkeit eines Verfahrens in einem Drittstaat aufzählen.143 Die Literatur zu den europäischen Regelungen zählt zusätzlich noch weitere Fallgruppen auf, wie etwa Epidemien, Putsch, Staatensukzession mit längerfristig nicht funktionierendem Gerichtswesen und Okkupationen durch Terrororganisationen, wie zeitweise in Teilen Syriens und des Iraks.144 Sämtlichen aufgezählten Fallgruppen ist gemein, dass ein Gericht im an sich zuständigen Forum tatsächlich nicht angerufen werden kann, weil es die Tätigkeit komplett eingestellt hat. Das Verfahren im Drittstaat ist deshalb unmöglich. Dabei wird deutlich, dass dieser Zustand von einer gewissen Dauer sein muss; nur kurze Unterbrechungen der Rechtspflege machen das Verfahren in einem Drittstaat nicht unmöglich.145 Insbesondere in Deutschland und der Schweiz lässt sich daher die Notwendigkeit finden, den andauernden Stillstand der Rechtspflege von einer nur kurzzeitigen Unterbrechung ebendieser abzugrenzen.146 Als maßgeblichen Zeitpunkt für die Abgrenzung wird in diesen Rechtsordnungen auf den Zeitpunkt der Klageerhebung abgestellt. Ist zu diesem Zeitpunkt die baldige Wiederaufnahme der Rechtspflege im Forum nicht absehbar, muss von Rechtsverweigerung ausgegangen

ravaca/Davı`/Mansel, ESR Commentary, Art. 11 ESR Rn. 2; Dutta, in: MüKo BGB, Art. 11 EuErbVO Rn. 1; Erecin´ski/Weitz, FS Kaissis, 187, 194; Gitschthaler, in: DeixlerHübner/Schauer, Art. 11 EuErbVO Rn. 3; Hau, FS Kaissis, 355, 357; Hertel, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 1 EuErbVO Rn. 5; Looschelders, in: MüKo BGB, Art. 11 EuGüVO Rn. 8; Schmidt, in: BeckOGK, Stand 1.5.2020, Art. 11 EuErbVO Rn. 13; Traar, in: Mondel/Nademleinsky, EuErbVO, Art. 11 EuErbVO Rn. 3; Wall, in: Geimer/Schütze, Int. Rechtsverkehr, Art. 11 EuErbVO Rn. 20; Wurmnest, in: BeckOGK, Stand 1.11.2019, Art. 7 EuUntVO Rn. 16. Zu Art. 26 EuGVO-E Bidell, Die Erstreckung der Zuständigkeiten der EuGVO auf Drittstaatensacherhalte, 193. 142 Teil 1 A. I. 2. a) (1); Teil 1 B. I. 1. b) (1); Teil 1 C. I. 2.; Teil 1 D. I. 2. b). 143 Erwägungsgrund Nr. 16 EuUntVO; Erwägungsgrund 31 EuErbVO; Erwägungsgrund Nr. 41 EuGüVO und Erwägungsgrund Nr. 40 EuPartVO. 144 Andrae, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 7 EG-UntVO Rn. 8; Schmidt, in: BeckOGK, Stand 1.5.2020, Art. 11 EuErbVO Rn. 13. 145 So auch Andrae, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 7 EG-UntVO Rn. 8; Schmidt, in: BeckOGK, Stand 1.5.2020, Art. 11 EuErbVO Rn. 13. 146 Teil 1 A. I. 2. a) (1); Teil 1 D. I. 2. b).

B. Rechtsverweigerung bei Unmöglichkeit eines drittstaatlichen Verfahrens

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werden, auch wenn die Rechtspflege tatsächlich kurze Zeit später wieder aufgenommen wird.147 Das erkennende Gericht trifft daher eine „Prognoseentscheidung“. Auch auf europäischer Eben macht es daher Sinn, von einem Stillstand der Rechtspflege erst dann auszugehen, wenn zum Zeitpunkt der Verfahrenseinleitung die baldige Wiederaufnahme der Rechtspflege im Drittstaat nicht absehbar ist.148 Ungeachtet dessen, kann eine durch eine absehbare Unterbrechung der Rechtspflege längere Verfahrensdauer auch zur Rechtsverweigerung im Rahmen der Unzumutbarkeit führen. Dies richtet sich aber nach den Kriterien, nach denen die Verfahrensdauer zur Rechtsverweigerung führt.149 Darüber hinaus ist es erforderlich, dass der Stillstand der Rechtspflege das konkrete Verfahren unmöglich macht. Überzeugend sind deshalb die Ausführungen zum eidgenössischen Recht, die besagen, dass eine Notzuständigkeit nicht eröffnet werden kann, wenn eine kriegerische Auseinandersetzung keinen Einfluss auf ein Verfahren haben wird und diesem nicht im Weg stehen wird.150 Denn in diesem Fall liegt tatsächlich kein Stillstand der Rechtspflege vor. So sollte keine Notzuständigkeit eröffnet werden, wenn zwar in Teilen eines Staates die Rechtspflege zum Stillstand gekommen ist – etwa aufgrund eines Bürgerkrieges oder der Okkupation von Staatsteilen durch Terrororganisationen – dieser Staat aber Ausweichkapazitäten geschaffen hat, wodurch das Verfahren in diesem Staat dennoch durchgeführt werden kann. Deshalb kann eine pauschale Feststellung, dass im an sich zuständigen Forum seit mehreren Jahren Krieg herrscht, und deshalb auch ein Stillstand der Rechtspflege eingetreten ist, wie vom OGH angenommen,151 auf europäischer Ebene nicht ausreichen. Erst wenn das konkrete Verfahren tatsächlich nicht vor irgendeinem Gericht in diesem Forum durchgeführt werden kann, ist von einem Stillstand der Rechtspflege auszugehen. Erst dann droht Rechtsverweigerung durch die Unmöglichkeit dieses Verfahrens und erst dann ist eine Notzuständigkeit gerechtfertigt. An diesen Ausführungen zeigt sich auch eine gewisse Diskrepanz in der Rechtsprechung des OGH, der in Bezug auf die rechtsstaatlichen Mindestgarantien geurteilt hat, dass eine Unzumutbarkeit erst anzunehmen sei, wenn das konkrete Ergebnis durch die politische Einflussnahme der Regierung auf das Verfahren auch betroffen ist.152

147

So auch LAG Frankfurt a.M., 10.6.1981 – 7 Sa 1247/80, RIW/AWD 1982, 524. So auch Traar, in: Mondel/Nademleinsky, EuErbVO, Art. 11 EuErbVO Rn. 1. 149 Siehe hierzu unten Teil 2 C. II. 150 Teil 1 D. I. 2. b). 151 Vgl. Teil 1 C. I. 2. 152 Vgl. Teil 1 C. I. 4.

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2. Teil: Grundstrukturen einer europäischen Notzuständigkeit

IV. Rechtlosstellung des Klägers im an sich zuständigen Forum Zuletzt zeigt die Untersuchung der nationalen Rechtsordnungen, dass ein Verfahren im Ausland für den Kläger immer dann unmöglich ist, wenn das an sich zuständige Forum im Ausland den Kläger komplett rechtlos stellt.153 Auch im Anwendungsbereich der untersuchten europäischen Verordnungen rechtfertigt die durch die Rechtlosstellung des Klägers drohende Rechtsverweigerung eine Notzuständigkeit.154 Kennzeichnend ist, dass das Forum in einem Drittstaat dem Kläger jeglichen Rechtsschutz verweigert. In den Augen des Drittstaates befindet sich der Kläger außerhalb der Jurisdiktion dieses Staates, der daher nicht gewillt ist, das Rechtsschutzbegehren des Klägers für eine Entscheidung in der Sache anzunehmen. Dem Kläger droht Rechtsverweigerung zu widerfahren, die eine Notzuständigkeit rechtfertigt. Aus welchem Grund der Drittstaat dem Kläger den Zugang zu seinen Gerichten verweigert, spielt dabei keine Rolle. Möglich ist dies vor allem aufgrund politischer Motive. So ist es etwa denkbar, dass der Drittstaat die Eröffnung eines Verfahrens aufgrund der Tatsache ablehnt, dass es sich bei dem Kläger um einen Angehörigen einer verfeindeten Nation handelt.155 Auch kann der Drittstaat den Kläger aufgrund seiner Religionszugehörigkeit von der Inanspruchnahme seiner Gerichtsbarkeit ausschließen. In diesen und vergleichbaren Fällen, kann der Kläger aufgrund einer bestimmten Eigenschaft seiner Person in einem Drittstaat das Verfahren nicht einleiten, weshalb ihm Rechtsverweigerung droht.156 Dem Kläger widerfährt indes nicht nur im Falle seines Ausschlusses von der staatlichen Gerichtsbarkeit im Drittstaat Rechtsverweigerung. Ebenso schwer wiegt der Fall, wenn der Drittstaat den Beklagten von seiner Gerichtsbarkeit durch Gewährung von Immunität ausschließt.157 Auch wenn der Kläger in diesem Fall faktisch die staatliche Gerichtsbarkeit des Drittstaates in Anspruch nehmen kann, ist es ihm aufgrund der Immunität des Beklagten unmöglich, gegen diesen ein Verfahren in dem Drittstaat einzuleiten und zu führen. Das Rechtsschutzbegehren des Klägers wird nicht durch eine Entscheidung in der Sache befriedigt. Ihm droht Rechtsverweigerung zu widerfahren. Da das Verfahren in dem Drittstaat unmöglich ist, besteht Anlass für eine europäische Notzuständigkeit.

153 So in Deutschland Teil 1 A. I. 2. a) (2), Frankreich Teil 1 B. I. 1. c) und der Schweiz Teil 1 D. I. 1. c). 154 Bonomi, in: Bonomi/Wautelet, Le droit europe´en des successions, Art. 11 Rn. 8; Rauscher, in: MüKo FamFG, Art. 11 EuErbVO Rn. 4. 155 Dies ist etwa bei der „alien enemy“-Doktrin im englischen Recht der Fall, siehe Torremans/Fawcett, Cheshire, North & Fawcett Private International Law, 496. 156 Bonomi, in: Bonomi/Wautelet, Le droit europe´en des successions, Art. 11 Rn. 8. 157 Rauscher, in: MüKo FamFG, Art. 11 EuErbVO Rn. 4.

C. Rechtsverweigerung bei Unzumutbarkeit des drittstaatlichen Verfahrens

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C. Rechtsverweigerung aufgrund der Unzumutbarkeit des drittstaatlichen Verfahrens Wie auch schon die untersuchten nationalen Zuständigkeitsordnungen158 geht das europäische Zuständigkeitsrecht davon aus, dass die Möglichkeit eines Drittstaatsverfahrens allein es nicht vermag, in jedem Fall eine drohende Rechtsverweigerung auszuschließen. Auch im Falle der Unzumutbarkeit eines Verfahrens in einem Drittstaat kann eine europäische Notzuständigkeit eröffnet werden. Kommt das Verfahren in einem Drittstaat faktisch einer Nichtverhandlung des Rechtsschutzbegehrens gleich, weil das Verfahren dieses Begehren des Klägers in keiner Weise zu befriedigen vermag, bleibt die Möglichkeit der Inanspruchnahme eines drittstaatlichen Forums für den Kläger rein theoretisch.159 Der Kläger erhält in einem solchen Fall tatsächlich keinen wirklichen Rechtsschutz, sodass das Verfahren im Drittstaat unzumutbar wird. Trotz dieses Forums im Drittstaat droht dem Kläger Rechtsverweigerung zu widerfahren.160 Anders als beim Kriterium der Unmöglichkeit hängt die Feststellung der Unzumutbarkeit von einer Wertung des erkennenden Gerichtes ab. Dies hat bereits die erste Analyse der nationalen Rechtsordnungen gezeigt.161 Auch im Rahmen der europäischen Notzuständigkeit kann erst diese Wertung das Kriterium der Zumutbarkeit mit Inhalt füllen. Nur so kann eine Abgrenzung zwischen noch zumutbaren Erschwernissen auf der einen Seite und einer Rechtsverweigerung auf der anderen Seite vorgenommen werden. Dabei hat sich gezeigt, dass das Zumutbarkeitskriterium als ein objektives verstanden werden muss, sodass persönliche Befindlichkeiten des Klägers allein nicht ausreichen, um eine Notzuständigkeit zu begründen.162 Fraglich ist nichtsdestoweniger, wann eine Überschreitung der Zumutbarkeitsgrenze angenommen werden kann. Auch diesbezüglich hat die erste Analyse gezeigt, dass es sich bei diesem Kriterium abstrakt um die Feststellung handelt, dass das ausländische Verfahren keinen wirklichen Rechtsschutz für den Kläger bietet. Dieses Verständnis der Unzumutbarkeit stellt somit eine gewisse Parallele zur Unmöglichkeit her: Notwendig ist, dass der Kläger im Ausland keine „Justiz“ erhält

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Vgl. die Zusammenfassung in Teil 1 E. I. 2. Acocella, Internationale Zuständigkeit, 66. Vgl. Teil 1 E. I. 2. 160 Panopoulos, in: Pamboukis, ESR Commentary, Art. 11 ESR Rn. 6. 161 Teil 1 E. I. 2; ähnlich Rauscher, in: MüKo FamFG, Art. 11 EuErbVO Rn. 8; wohl a.A. Gitschthaler, in: Deixler-Hübner/Schauer, Art. 11 EuErbVO Rn. 6. 162 Teil 1 E. I. 2.; so auch Panopoulos, in: Pamboukis, ESR Commentary, Art. 11 ESR Rn. 6. 159

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2. Teil: Grundstrukturen einer europäischen Notzuständigkeit

und dass ein Verfahren in diesem Forum deshalb einer kompletten Abwesenheit eines rechtsprechenden Körpers gleichkommt.163 Dieses Verständnis kann auch für die europäischen Notzuständigkeiten herangezogen werden. Die Notzuständigkeit dient einzig dem Zweck, in Ausnahmefällen eine dem Kläger drohende Rechtsverweigerung zu verhindern.164 Mit der Gleichstellung der Unzumutbarkeit mit der Tatbestandsalternative der Unmöglichkeit in Art. 7 EuUntVO, Art. 11 EuErbVO, Art. 11 EuGüVO und Art. 11 EuPartVO soll diese Ausnahmefunktion der Notzuständigkeit jedoch nicht umgangen werden. Vor diesem Hintergrund kann die Gleichsetzung der Tatbestandsalternativen nur bedeuten, dass beide gleichermaßen die Rechtsverweigerung umschreiben. Daher muss auch das Merkmal der Unzumutbarkeit als Umschreibung der Rechtsverweigerung ausgelegt werden.165 Deshalb kann Unzumutbarkeit erst dann angenommen werden, wenn die Erschwernisse eines Auslandsprozesses so schwer wiegen, dass der Verweis auf ein Verfahren in einem Drittstaat einer faktischen Nichtverhandlung des Rechtsstreits gleichkommt. In einem solchen Fall widerfährt dem Kläger eine Rechtsverweigerung im Drittsaat. Nur diese Auslegung berücksichtigt die Intention des europäischen Normgebers, mit der Notzuständigkeit Fälle drohender Rechtsverweigerung abzuwenden und gleichzeitig die mitgliedstaatliche Notzuständigkeit nur in Ausnahmefällen zu eröffnen.166 Deshalb spricht der Sinn und Zweck dieser Vorschrift für dieses Verständnis der Unzumutbarkeit, bei dem bloße Hindernisse und Erschwernisse eines Verfahrens in einem Drittstaat unberücksichtigt bleiben. Für die Begründung der Unzumutbarkeit kann es indes nicht erforderlich sein, dass der Kläger vergeblich die Inanspruchnahme des Verfahrens in einem Drittstaat versucht hat.167 Sofern ein erkennendes Gericht eines Mitgliedstaates zur Überzeugung gelangt, dass ein Verfahren aus verschiedenen Gründen einer Nichtverhandlung des Rechtsschutzbegehrens gleichkommt, soll dem Kläger gerade dieses Verfahren mittels der Notzuständigkeit erspart bleiben. Dies ergibt sich auch aus dem Wortlaut der Vorschriften zur Notzuständigkeit, die es ausreichen lassen, dass das Verfahren im Drittstaat „nicht zumutbar ist“.168 Hierdurch kommt zum Ausdruck, dass die Durchführung des drittstaatlichen Verfahrens nicht verlangt werden kann. 163

Teil 1 E. I. 2. Erwägungsgrund Nr. 16 EuUntVO; Erwägungsgrund 31 EuErbVO; Erwägungsgrund Nr. 41 EuGüVO und Erwägungsgrund Nr. 40 EuPartVO; vgl. auch Einleitung A. 165 Panopoulos, in: Pamboukis, ESR Commentary, Art. 11 ESR Rn. 6. 166 Erwägungsgrund Nr. 16 EuUntVO; Erwägungsgrund 31 EuErbVO; Erwägungsgrund Nr. 41 EuGüVO und Erwägungsgrund Nr. 40 EuPartVO. 167 In Bezug auf die absehbare Nichtanerkennung: Hausmann, Internationales und Europäisches Familienrecht, Teil C Rn. 203. 168 Auch in den englischen („proceedings cannot reasonably be brought or conducted“) und französischen („proce´dure ne peut raisonnablement eˆtre introduite ou conduite“) Fassungen der hier untersuchten Verordnungen ist diese Formulierung so zu finden. 164

C. Rechtsverweigerung bei Unzumutbarkeit des drittstaatlichen Verfahrens

161

Welche Ursachen im Einzelnen zur Unzumutbarkeit eines Verfahrens in einem Drittstaat führen können, wird im Folgenden untersucht. Ausgangspunkt sind hierfür die in den nationalen Rechtsordnungen gefundenen möglichen Ursachen, die auf ihre Relevanz für die europäischen Notzuständigkeit untersucht werden.

I. Verstöße gegen die Rechtsstaatlichkeit des drittstaatlichen Verfahrens In den oben dargestellten nationalen Rechtsordnungen wird übereinstimmend davon ausgegangen, dass ein Auslandsverfahren unzumutbar ist, wenn das Forum im Ausland gegen elementare Garantien eines rechtsstaatlichen Verfahrens verstößt.169 Auch die Literatur zu den europäischen Notzuständigkeiten führt derartige Verstöße gegen rechtsstaatliche Garantien als Grund für die Unzumutbarkeit eines drittstaatlichen Verfahrens auf.170 Auf europäischer Ebene, wie auch auf nationaler Ebene,171 sind dabei vor allem die Verfahrensgarantien des Art. 6 Abs. 1 EMRK und des Art. 47 Abs. 2 EuGRCh als Maßstab heranzuziehen. Verletzt ein Gericht im ausländischen bzw. drittstaatlichen Forum diese Verfahrensgarantien, etwa durch eine weitverbreitete Korruption unter der Richterschaft172 oder durch die fehlende Unabhängigkeit und Unparteilichkeit des erkennenden Gerichtes,173 so ist dem Kläger dieses Verfahren nicht zuzumuten. Auch der Ausschluss bestimmter Beweismittel und die Verletzung des rechtlichen Gehörs im Drittstaat sind als mögliche Verstöße zu beachten.174 Es droht Rechtsverweige-

169 Teil 1 A. I. 2. b) (1); Teil 1 C. I. 4.; Teil 1 D. I. 2. c). Im französischen Recht führen solche Verstöße zur faktischen Unmöglichkeit des Auslandsverfahrens, vgl. Teil 1 B. I. 1. b). Diese unterschiedliche Klassifizierung ist auch an dieser Stelle angesichts der identischen Rechtsfolgen unerheblich. 170 Andrae, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 7 EG-UntVO Rn. 9; Bonomi, in: Bonomi/Wautelet, Le droit europe´en des successions, Art. 11 Rn. 10; Buonaiuti, in: Calvo Caravaca/Davı`/Mansel, ESR Commentary, Art. 11 ESR Rn. 11; Gitschthaler, in: DeixlerHübner/Schauer, Art. 11 EuErbVO Rn. 3; Hertel, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 11 EU-ErbVO Rn 5; Weber, in: Burgstaller/ Neumayr, Internationales Zivilverfahrensrecht, Art. 7 EuUntVO Rn. 10; Wall, in: Geimer/Schütze, Int. Rechtsverkehr, Art. 11 EuErbVO Rn. 22; Wurmnest, in: BeckOGK, Stand 1.11.2019, Art. 7 EuUntVO Rn. 17. 171 Vgl. Teil 1 A. I. 2. b) (1); Teil 1 C. I. 4.; Teil 1 D. I. 2. c). 172 Wurmnest, in: BeckOGK, Stand 1.11.2019, Art. 7 EuUntVO Rn. 17. 173 Vgl. EuGH, 1.7.2008 – C-341/06 P und C-342/06 P (Chronopost SA und La Poste/ Union franc¸aise de l’express u.a.), ECLI:EU:C:2008:375 Rn 44–46. 174 Vgl. EuGH, 28.3.2000 – C-7/98 (Krombach/Bambersk), ECLI:EU:C:2000:164 Rn. 38 f.; EuGH, 2.4.2009 – C-394/07 (Gambazzi/DaimlerChrysler Canada Inc.), ECLI:EU:C:2009:219 Rn. 28: Der Ausübung von Verteidigungsrechten kommt im Rahmen der europäischen Grundrechte und der EMRK herausragende Bedeutung zu.

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2. Teil: Grundstrukturen einer europäischen Notzuständigkeit

rung, weil der Kläger in einem solchen Verfahren keine „Justiz“ im Sinne einer gerechten und rechtsstaatlichen Entscheidung erhalten kann. Das Verfahren kommt einer kompletten Nichtverhandlung gleich.175 In den oben untersuchten nationalen Rechtsordnungen wurde vor allem die fehlende politische Unabhängigkeit der Gerichte im an sich zuständigen Forum als Ursache von Verstößen gegen Rechtsstaatsgarantien behandelt: Deutsche und österreichische Gerichte haben aus diesem Grund Notzuständigkeiten eröffnet.176 Die Ausführungen zum österreichischen Recht zeigen dabei, dass der OGH die Unzumutbarkeit erst annimmt, wenn eine mögliche politische Einflussnahme sich auch auf das Ergebnis des Prozesses auswirken wird.177 Ist dies nicht der Fall, so ist ein Verfahren im Ausland dem Kläger ohne weiteres zuzumuten. Hieraus ergibt sich, dass erst die Verletzung rechtsstaatlicher Garantien im Einzelfall eine Unzumutbarkeit bedingen kann, nicht jedoch der Verweis auf die rechtsstaatliche Gesamtsituation im an sich zuständigen Forum.178 Auch im Rahmen der europäischen Notzuständigkeiten ist diese Einschränkung sinnvoll. Denn Rechtsverweigerung droht einem Kläger tatsächlich erst dann zu widerfahren, wenn im konkreten Verfahren Verletzungen rechtsstaatlicher Garantien, wie die Unabhängigkeit der Gerichte, zu befürchten sind. Sind indes dafür keine Anhaltspunkte ersichtlich, so ist es auch nicht gerechtfertigt, entgegen der an sich bestehenden Zuständigkeit im Drittstaat eine europäische Notzuständigkeit zu eröffnen. Zur Begründung der Unzumutbarkeit eines Verfahrens in einem Drittstaat aus diesem Grund kann daher nicht nur auf die abstrakte Betrachtung der rechtsstaatlichen Gesamtsituation im Forum abgestellt werden. Dies würde zur generellen Unzumutbarkeit sämtlicher Verfahren in dem Forum führen, auch wenn im konkreten Verfahren keine Rechtsverweigerung zu befürchten ist. Nur die unmittelbar drohende Rechtsverweigerung im konkreten Verfahren in einem Drittstaat kann eine Unzumutbarkeit begründen. Die abstrakte Betrachtung der rechtsstaatlichen Gesamtsituation im Drittstaat ist deshalb das erste und starke Indiz für mögliche Verstöße gegen

175 In solchen Fällen wird eine drittstaatliche Entscheidung auch gegen den verfahrensrechtlichen ordre public des nationalen Anerkennungsrechts eines Mitgliedstaates verstoßen, sodass, wenn dort die Anerkennung begehrt wird, auch aufgrund der Anerkennungslücke eine Notzuständigkeit eröffnet werden muss, siehe Teil 2 C. V. 176 Teil 1 A. I. 2. b) (1); Teil 1 C. I. 4. 177 Teil 1 C. I. 4. 178 A.A.: Andrae, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 7 EG-UntVO Rn. 9; Weber, in: Burgstaller/ Neumayr, Internationales Zivilverfahrensrecht, Art. 7 EuUntVO Rn. 10; Wall, in: Geimer/Schütze, Int. Rechtsverkehr, Art. 11 EuErbVO Rn. 22; Wurmnest, in: BeckOGK, Stand 1.11.2019, Art. 7 EuUntVO Rn. 17: Allgemeine rechtsstaatliche Situation ausreichend.

C. Rechtsverweigerung bei Unzumutbarkeit des drittstaatlichen Verfahrens

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rechtsstaatliche Garantien. Wird jedoch bei genauerer Betrachtung ersichtlich, dass solche Verstöße im konkreten Verfahren nicht zu befürchten sind, ist es nicht gerechtfertigt von der Unzumutbarkeit des Verfahrens im drittstaatlichen Ausland auszugehen. Im Rahmen der möglichen politischen Einflussnahme des Staatapparats im Ausland kann dies etwa durch die Feststellung geschehen, dass der Staatsapparat an dem Ausgang des konkreten Verfahrens kein Interesse hat und daher die Wahrscheinlichkeit der Einflussnahme äußerst gering ist. Andernfalls könnten Verfahren aus Sicht der hier untersuchten Verordnungen grundsätzlich nicht mehr in Staaten geführt werden, in denen eine solche Einflussnahme möglich ist.

II. Die Verfahrensdauer Zu den Garantien eines Rechtsstaates gehört auch, dass das Verfahren von einem zuständigen Gericht innerhalb angemessener Frist verhandelt wird, Art. 6 Abs. 1 EMRK, Art. 47 Abs. 2 EuGRCh. Eine überlange Verfahrensdauer muss daher auch im Rahmen der europäischen Notzuständigkeiten bei der Beurteilung der Zumutbarkeit eines drittstaatlichen Verfahrens berücksichtigt werden.179 Allerdings muss hierzu zwischen einer drohenden Rechtsverweigerung einerseits und einer noch zumutbaren Prozessdauer andererseits differenziert werden. Diese Abgrenzung kann dem Rechtsanwender im Einzelfall erhebliche Schwierigkeiten bereiten. Um dieses Problem genauer zu untersuchen, bietet es sich daher an, die Verfahrensdauer als Ursache einer Rechtsverweigerung separat zu analysieren. Bei der genaueren Untersuchung der nationalen Rechtsordnungen fällt auf, dass eine allgemeine Definition einer unangemessen langen Verfahrensdauer nicht zu finden ist. Die untersuchten Rechtsordnungen gehen grundsätzlich davon aus, dass eine längere Verfahrensdauer im Ausland zumutbar ist.180 Mit Ausnahme Frankreichs,181 nehmen sie die Unzumutbarkeit an, wenn die Dauer des Verfahrens den Verfahrenszweck gefährdet, mithin das

179 So auch: Andrae, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 7 EG-UntVO Rn. 8; Burandt, in: Burandt/Rojahn, Art. 11 EuErbVO Rn. 1; Wurmnest, in: BeckOGK, Stand 1.11.2019, Art. 7 EuUntVO Rn. 20. Zu Art. 26 EuGVO-E Bidell, Die Erstreckung der Zuständigkeiten der EuGVO auf Drittstaatensacherhalte, 194. 180 Teil 1 A. I. 2. b) (2); Teil 1 C. I. 5.; Teil 1 D. I. 2. d). 181 Die Cour de Cassation geht widersprüchlich davon aus, dass eine überlange Verfahrensdauer im Ausland Ursache eines de´ni de justice sein kann, die aber nicht zur faktischen Unmöglichkeit eines Verfahrens führt, Cass. Soc., 14.9.2017, Rev. crit. DIP 2018, S 267. Die Literatur will hingegen die Verfahrensdauer berücksichtigen vgl. Boskovic, Rev. Socie´te´s 2018, 467 ff.; Hess/Mantovani, MPILux Research Paper Series2019 (1), II. 1 a); vgl. hierzu Teil 1 B. I. 1. b) (1).

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2. Teil: Grundstrukturen einer europäischen Notzuständigkeit

Verfahren für den Kläger sinnlos wird. In einem solchen Fall stellt die überlange Verfahrensdauer den Kläger faktisch rechtlos.182 Dieser Ansatz kann auch auf die europäischen Regelungen übertragen werden. Eine überlange Verfahrensdauer im Drittsaat kann einem Kläger grundsätzlich zugemutet werden.183 Die voreilige Annahme der Unzumutbarkeit könnte die sonstigen Regelungen der europäischen Zuständigkeitsordnungen untergraben und übermäßige Möglichkeiten zum forum shopping schaffen.184 Vor diesem Hintergrund muss die Grenze der Zumutbarkeit weit verstanden werden.185 Erst wenn das Verfahren aufgrund der Dauer den vom Kläger verfolgten Zweck nicht mehr erreichen kann, mithin für ihn nutzlos wird, kommt ein Verfahren in einem Drittstaat einer Nichtverhandlung gleich und es droht eine Rechtsverweigerung. Eine längere Verfahrensdauer im Drittstaat allein führt noch nicht zur Unzumutbarkeit.186 Ab welchem Zeitraum die Dauer das Verfahren für den Kläger sinnlos macht, kann aber nicht pauschal festgelegt werden, sondern hängt vor allem von den Begleitumständen des Verfahrens ab. Dabei kommt es maßgeblich darauf an, inwieweit das Rechtsschutzbegehren das Klägers eine baldige Entscheidung verlangt: Gerade bei dringend benötigten Entscheidungen gefährdet eine überlange Verfahrensdauer schneller den Zweck des Verfahrens. So muss etwa in einem Verfahren auf Unterhaltszahlung eine längere Verfahrensdauer eher als unzumutbar angesehen werden, wenn der Kläger dringend auf den Unterhalt für seine Lebensgrundlage angewiesen ist.187 Denn ohne eine schnelle Entscheidung in dem Prozess ist der Zweck des Verfahrens, Unterhalt für die Deckung der Lebensgrundlage zu erhalten, nicht zu erreichen. Aber auch hier darf die Unzumutbarkeit nicht voreilig angenommen werden: Kann der Kläger im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes vorsorgliche Maßnahmen zur Sicherung seines Unterhaltes im drittstaatlichen Forum erstreiten, so ist auch eine längere Verfahrensdauer im Hauptprozess

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Teil 1 A. I. 2. b) (2); Teil 1 C. I. 5.; Teil 1 D. I. 2. d). Andrae, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 7 EG-UntVO Rn. 8; Burandt, in: Burandt/Rojahn, Art. 11 EuErbVO Rn. 1; Wall, in: Geimer/Schütze, Int. Rechtsverkehr, Art. 11 EuErbVO Rn. 22; Wurmnest, in: BeckOGK, Stand 1.11.2019, Art. 7 EuUntVO Rn. 20. 184 Gitschthaler, in: Deixler-Hübner/Schauer, Art. 11 EuErbVO Rn. 3; Wurmnest, in: BeckOGK, Stand 1.11.2019, Art. 7 EuUntVO Rn. 20; so auch in Österreich Teil 1 C. I. 1. e); a.A. Burandt, in: Burandt/Rojahn, Art. 11 EuErbVO Rn. 1. 185 Vgl. auch in Deutschland Teil 1 A. I. 2. b) (2) und in der Schweiz Teil 1 D. I. 2. d). 186 Fucik, in: Fasching/Konecny, Art. 7 EuUntVO Rn. 2; Weber, in: Burgstaller/ Neumayr, Internationales Zivilverfahrensrecht, Art. 7 EuUntVO Rn. 10; Wurmnest, in: BeckOGK, Stand 1.11.2019, Art. 7 EuUntVO Rn. 20. 187 Andrae, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 7 EG-UntVO Rn. 8; Wurmnest, in: BeckOGK, Stand 1.11.2019, Art. 7 EuUntVO Rn. 20. 183

C. Rechtsverweigerung bei Unzumutbarkeit des drittstaatlichen Verfahrens

165

zumutbar.188 Sofern der Verfahrenszweck jedoch keine besondere Dringlichkeit erkennen lässt, ist eine längere Verfahrensdauer zumutbar. So zeigt sich an dieser Stelle, dass nur eine umfassende Abwägung der Umstände und der betroffenen Interessen im Einzelfall Auskunft über die Zumutbarkeit der Verfahrensdauer im Drittstaat geben kann. Erst wenn diese Abwägung ergibt, dass aufgrund der Verfahrensdauer die Erreichung des Zwecks des Verfahrens gefährdet ist, kann das Verfahren im Drittstaat als unzumutbar angesehen werden.

III. Die politische und strafrechtliche Verfolgung des Klägers im drittstaatlichen Forum Unzumutbar ist ein Verfahren in einem Drittstaat auch, wenn der Kläger in diesem Drittstaat politisch verfolgt wird. Diese Ursache wird, mit Ausnahme Frankreichs, in allen untersuchten nationalen Rechtsordnungen zumindest im Schrifttum erwähnt,189 und ist auch in der Literatur zu den europäischen Notzuständigkeiten aufgeführt.190 Wird der Kläger in dem Drittstaat, der an sich international zuständig wäre, politisch verfolgt, wird er vernünftigerweise davon abgehalten, ein Verfahren in diesem Forum zu führen, da er sich dann selbst gefährden würde – zumindest, wenn er persönlich vor Gericht erscheinen muss. Unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten kann man von einem Kläger nicht verlangen, sich selbst zur Geltendmachung bestimmter Ansprüche der politischen Verfolgung auszusetzen. Das trifft vor allem auf Kläger zu, die aus ihrem Heimatstaat aufgrund ihrer politischen Verfolgung geflohen sind und den Status eines internationalen Flüchtlings nach der Genfer Flüchtlingskonvention besitzen.191 In derartigen Fällen droht dem Kläger Rechtsverweigerung zu widerfahren, weil er das Verfahren in einem Drittstaat tatsächlich nicht in Anspruch nehmen kann. Die Möglichkeit der Inanspruchnahme des Verfahrens in dem drittstaatlichen Forum bleibt somit für den Kläger nur eine theoretische.

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Wurmnest, in: BeckOGK, Stand 1.11.2019, Art. 7 EuUntVO Rn. 20. Teil 1 A. I. 2. b); Teil 1 C. I. 7.; Teil 1 D. I. 2. e). 190 Andrae, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 7 EG-UntVO Rn. 9; Dutta, in: MüKo BGB, Art. 11 EuErbVO Rn. 1; Erecin´ski/Weitz, FS Kaissis, 187, 194; Gitschthaler, in: Deixler-Hübner/Schauer, Art. 11 EuErbVO Rn. 4; Mayer, in: MüKo FamFG, Art. 11 EuGüVO Rn. 6; Schmidt, in: BeckOGK, Stand 1.5.2020, Art. 11 EuErbVO Rn. 14; Wall, in: Geimer/Schütze, Int. Rechtsverkehr, Art. 11 EuErbVO Rn. 25; Wurmnest, in: BeckOGK, Stand 1.11.2019, Art. 7 EuUntVO Rn. 17. 191 Genfer UN-Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28.7.1951 (BGBl. 1953 II, 560); Genfer Protokoll über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 31.1.1976 (BGBl. 1969 II, 1294); Wurmnest, in: BeckOGK, Stand 1.11.2019, Art. 7 EuUntVO Rn. 17. 189

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2. Teil: Grundstrukturen einer europäischen Notzuständigkeit

Thematisch hiermit eng verbunden ist die Frage, wie sich die strafrechtliche Verfolgung eines Klägers im Drittstaat auf die Zumutbarkeit eines Verfahrens in diesem Forum auswirkt. Hierzu muss nach Anlass und Rechtsfolge der Strafverfolgung differenziert werden.192 Ist die strafrechtliche Verfolgung des Klägers willkürlich oder politisch motiviert, ist das Verfahren für den Kläger im drittstaatlichen Forum aufgrund seiner politischen Verfolgung unzumutbar.193 Die Gefahr, dass der Kläger einer solchen Verfolgung ausgesetzt wird, macht das Verfahren in diesem Drittstaat unerreichbar. Entspricht die Strafverfolgung hingegen rechtsstaatlichen Verfahrensgarantien, spricht dies für die Zumutbarkeit eines Verfahrens im Drittstaat. Andernfalls würde mittels der Notzuständigkeit dem Kläger geholfen werden, sich seiner strafrechtlichen Verantwortung zu entziehen.194 Dies ist jedoch nicht vom Zweck der Notzuständigkeit erfasst. Vielmehr kann von einem Straftäter erwartet werden, sich einer rechtsstaatlichen Strafverfolgung zu stellen. Der Verweis auf ein solches Forum kommt deshalb nicht einer Nichtverhandlung gleich, da der Kläger unter Wertungsgesichtspunkten tatsächlich in diesem Forum das Verfahren führen kann. Darüber hinaus würde die Annahme der Unzumutbarkeit in solchen Fällen ein forum shopping by tort ermöglichen.195 Diese Argumente sprechen eindeutig gegen die Annahme einer Rechtsverweigerung und deshalb für die Zumutbarkeit.196 Allerdings kann ausnahmsweise selbst im Falle rechtsstaatlicher Strafverfolgung im Drittstaat ein Verfahren in diesem unzumutbar sein, wenn dem Kläger im Strafverfahren die Todesstrafe droht.197 In einem solchen Fall muss das erkennende Gericht die Wertung des Art. 2 Abs. 2 EuGRCh berücksichtigen, welcher ein absolutes Grundrecht eines jeden Menschen beinhaltet, nicht zur Todesstrafe verurteilt zu werden.198 Im Rahmen einer chartakonformen Auslegung der hier untersuchten Verordnungen, die Teil des Sekundärrechts sind, kann ein mitgliedstaatliches Gericht daher nicht von einem Kläger verlangen, in einem Forum zu prozessieren, in dem er der Gefahr der 192 Fucik, in: Fasching/Konecny, Art. 7 EuUntVO Rn. 2; Weber, in: Burgstaller/ Neumayr, Internationales Zivilverfahrensrecht, Art. 7 EuUntVO Rn. 10; Wurmnest, in: BeckOGK, Stand 1.11.2019, Art. 7 EuUntVO Rn. 19. 193 Wurmnest, in: BeckOGK, Stand 1.11.2019, Art. 7 EuUntVO Rn. 19. 194 Fucik, in: Fasching/Konecny, Art. 7 EuUntVO Rn. 2; Gitschthaler, in: DeixlerHübner/Schauer, Art. 11 EuErbVO Rn. 4; Wall, in: Geimer/Schütze, Int. Rechtsverkehr, Art. 11 EuErbVO Rn. 25; Weber, in: Burgstaller/ Neumayr, Internationales Zivilverfahrensrecht, Art. 7 EuUntVO Rn. 10; Wurmnest, in: BeckOGK, Stand 1.11.2019, Art. 7 EuUntVO Rn. 19; so auch im österreichischen Recht Teil 1 C. I. 1. f). 195 Fucik, in: Fasching/Konecny, Art. 7 EuUntVO Rn. 2; Weber, in: Burgstaller/Neumayr, Internationales Zivilverfahrensrecht, Art. 7 EuUntVO Rn. 10. 196 Allg. für Unzumutbarkeit bei Strafverfolgung Gruber, IPRax 2010, 128, 134. 197 Ähnlich Mayer, in: MüKo FamFG, Art. 11 EuGüVO Rn. 6. 198 Vgl. nur Borowsky, in: Meyer/Hölscheidt, EuGRCh, Art. 2 EuGRCh Rn. 45 m.w.N.

C. Rechtsverweigerung bei Unzumutbarkeit des drittstaatlichen Verfahrens

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Todesstrafe ausgesetzt ist.199 Deshalb kommt die Möglichkeit eines Verfahrens in diesem Drittstaat einer kompletten Nichtverhandlung gleich, da der Kläger dieses Verfahren berechtigter Weise nicht in Anspruch nehmen kann. Es droht auch in diesem Fall Rechtsverweigerung und das Verfahren in dem Drittstaat ist als unzumutbar anzusehen.

IV. Übermäßige Kosten des Verfahrens in einem Drittstaat Wie sich aus den Ausführungen zu Frankreich und insbesondere zu Österreich ergibt, kann in diesen Rechtsordnungen auch die Höhe der Kosten des Auslandsverfahrens für die Beurteilung der Unzumutbarkeit berücksichtigt werden.200 Während in Frankreich pauschal die höheren Kosten eines Auslandsverfahren zur Unzumutbarkeit führen können,201 enthält das österreichische Recht eine vertiefte Auseinandersetzung mit dieser Ursache. Dabei folgt das österreichische Recht dem Grundsatz, dass höhere Kosten eines Auslandsprozesses nicht per se die Unzumutbarkeit begründen können. Gleichwohl will das österreichische Recht in Ausnahmefällen doch die Unzumutbarkeit annehmen.202 Wann genau ein solcher Ausnahmefall vorliegt, ist jedoch nicht ganz klar. So hat es der OGH insbesondere in seiner jüngeren Rechtsprechung für die Annahme der Unzumutbarkeit ausreichen lassen, wenn ein Prozess im Inland billiger wäre als der Auslandsprozess.203 In anderen Fällen hat der OGH vor allem die kostenrechtliche Lage im an sich zuständigen Forum berücksichtigt: Findet dort Prozesskostenersatz statt oder ist der Kläger, etwa auf Grundlage eines Übereinkommens, von der Verpflichtung zur Zahlung von Sicherheitsleistungen und Ausländervorschüssen für die Gerichtskosten befreit, spricht dies grundsätzlich für die Zumutbarkeit. Auch die Gewährung von Prozesskostenhilfe spricht für die Zumutbarkeit.204 Vor diesem Hintergrund stellt sich daher die Frage, ob und inwieweit im Rahmen der europäischen Notzuständigkeiten die höheren Kosten eines drittstaatlichen Verfahrens die Unzumutbarkeit begründen können.205 Dabei

199 Unzumutbarkeit bei konkreter Gefahr für Leib und Leben Schmidt, in: BeckOGK, Stand 1.5.2020, Art. 11 EuErbVO Rn. 14. 200 Teil 1 B. I. 1. b) (1); Teil 1 C. I. 8. 201 Teil 1 B. I. 1. b) (1). 202 Teil 1 C. I. 8. 203 Teil 1 C. I. 8. Vgl. OGH, 22.10.2010 – 7 Nc 21/10p; OGH, 27.2.2013 – 7 Nc 4/13t; OGH, 29.10.2014 – 4 Nc 23/14s. 204 Teil 1 C. I. 8. Vgl. OGH, 4.3.2004 – 2 Nc 8/04f; OGH, 14.4.2004 – 2 Nc 11/04x; Czernich, JBl 2002, 613, 616 f.; Garber, in: Fasching/Konecny, § 28 JN Rn. 78. 205 Dafür Buonaiuti, in: Calvo Caravaca/Davı`/Mansel, ESR Commentary, Art. 11 ESR Rn. 10; Wall, in: Geimer/Schütze, Int. Rechtsverkehr, Art. 11 EuErbVO Rn. 22.

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2. Teil: Grundstrukturen einer europäischen Notzuständigkeit

ist zu berücksichtigen, dass sich das Problem der höheren Verfahrenskosten im Ausland in internationalen Verfahren immer für eine der beteiligten Parteien stellt. Dass der Kläger aufgrund des Grundsatzes actor sequitur forum rei grundsätzlich derjenige ist, den die höheren Kosten treffen, weil er in einer fremden Jurisdiktion klagen muss, ist ausdrücklich so in den Verordnungen vorgesehen und deshalb zumutbar.206 Andernfalls würden höhere Kosten in einem Drittstaat stets eine europäische Notzuständigkeit ermöglichen und die Abgrenzung der internationalen Zuständigkeiten, wie sie von den Verordnungen vorgenommen worden ist, wäre hinfällig. Deshalb macht die Tatsache, dass ein Verfahren in einem europäischen Mitgliedstaat billiger wäre, das Verfahren in einem Drittstaat nicht unzumutbar. Trotz der höheren Kosten kann ein Verfahren ohne weiteres in dem Drittstaat geführt werden; es kommt deshalb insbesondere keiner Nichtverhandlung gleich. Insofern überzeugt eine pauschale oder zumindest stärkere Berücksichtigung der Prozesskosten, wie in Frankreich und Österreich, nicht auf europäischer Ebene, da die Notzuständigkeit nicht den Zweck verfolgt, europäischen Unionsbürgern den Zugang zu mitgliedstaatlichen Gerichten zu erleichtern. Die höheren Kosten eines Verfahrens in einem Drittstaat können deshalb grundsätzlich nicht die Zumutbarkeitsgrenze überschreiten. Anders liegt der Fall jedoch, wenn die Verfahrenskosten im Drittstaat so hoch sind, dass der Verfahrenszweck gefährdet ist und das Verfahren für den Kläger gänzlich sinnlos wird.207 Dabei kommt es insbesondere auf die persönlichen finanziellen Verhältnisse des Klägers an. So ist der Kläger faktisch rechtlos gestellt, wenn er das Verfahren im Drittstaat aufgrund seiner schwachen finanziellen Leistungsfähigkeit nicht führen kann. Die Möglichkeit dieses Verfahrens in einem Drittstaat kommt dann einer Nichtverhandlung gleich und dem Kläger droht Rechtsverweigerung zu widerfahren. In solchen Fällen muss das Verfahren im Drittstaat daher ausnahmsweise als unzumutbar angesehen werden. Allerdings hängt in solchen Fällen – wie im österreichischen Recht beschrieben208 – die Frage, ob die Verfahrenskosten in einem Drittstaat das Verfahren für den Kläger gänzlich sinnlos machen, in erster Linie von der kostenrechtlichen Situation im Drittstaat ab: Prozesskostenersatz, Befreiung von Sicherheitsleistungen und Ausländervorschüssen für die Gerichtskosten209 und die tatsächlich mögliche Inanspruchnahme von Prozess- oder Ver206

Ähnlich Schröder, Internationale Zuständigkeit, 229 ff. Wall, in: Geimer/Schütze, Int. Rechtsverkehr, Art. 11 EuErbVO Rn. 22; ähnlich Buonaiuti, in: Calvo Caravaca/Davı`/Mansel, ESR Commentary, Art. 11 ESR Rn. 10. Zu Art. 26 EuGVO-E Bidell, Die Erstreckung der Zuständigkeiten der EuGVO auf Drittstaatensacherhalte, 194. 208 Teil 1 C. I. 8. 209 Vgl. etwa Art. 17 des Haager Übereinkommen über den Zivilprozeß vom 1. März 1954. 207

C. Rechtsverweigerung bei Unzumutbarkeit des drittstaatlichen Verfahrens

169

fahrenskostenhilfe deuten regelmäßig auf die Zumutbarkeit des Verfahrens im Drittstaat hin: Denn die Senkung der Verfahrenskosten gewährt auch finanziell schwachen Klägern einen effektiven Rechtsschutz im Drittstaat.210 Unerheblich ist dabei, ob diese Instrumente nach dem nationalen Recht des Drittstaates gewährt werden, oder ob staatsvertragliche Übereinkommen dies vorsehen. An dieser Stelle ist etwa Art. 20 des Haager Übereinkommen über den Zivilprozess vom 1. März 1954 zu nennen, der die Angehörigen der Vertragsstaaten in Bezug auf die Möglichkeit Prozesskostenhilfe in Anspruch zu nehmen, in allen Vertragsstaaten gleichstellt. Speziell für internationale Unterhaltsprozesse ist insbesondere die Prozesskostenhilfe des Art. 15 des Haager Unterhaltsübereinkommens vom 23. November 2007 zu berücksichtigen. Derartige völkerrechtliche Verträge ermöglichen regelmäßig einen kostengünstigen Zugang zu den Gerichten der Vertragsstaaten. Insbesondere die mögliche Inanspruchnahme der Prozesskostenhilfe in den Vertragsstaaten deutet regelmäßig auf die Zumutbarkeit eines Verfahrens hin. Deshalb spielt diese Ursache im Rahmen der hier untersuchten Verordnungen auf dem Gebiet des Erb- und Familienrechts keine besonders große Rolle. Die einzigen positiv entschiedenen Fälle, die im Rahmen dieser Untersuchung im österreichischen Recht gefunden werden konnten, betrafen ausschließlich vermögensrechtliche Streitigkeiten auf dem Gebiet des Vertrags- und Deliktsrechts, in denen der Schutz der Parteien vor den Verfahrenskosten nicht so ausgeprägt ist, wie in den hier interessierenden Rechtsgebieten.

V. Nichtanerkennung einer drittstaatlichen Entscheidung In den untersuchten nationalen Rechtsordnungen werden mit der Notzuständigkeit zur Vermeidung einer drohenden Rechtsverweigerung auch Anerkennungslücken in Verbindung gebracht.211 Eine solche entsteht, wenn ein Staat eine ausländische Entscheidung nicht anerkennt und gleichzeitig keine eigene Entscheidungszuständigkeit zur Verfügung stellt. In Deutschland, Österreich und der Schweiz ist es anerkannt, dass zur Vermeidung solcher Anerkennungslücken eine nationale Notzuständigkeit eröffnet werden muss, da in diesen Fällen Rechtsverweigerung droht.212 Lediglich im französischen Recht ist es umstritten, ob in solchen Fällen dem Kläger tatsächlich Rechtsverweigerung zu widerfahren droht und eine Notzuständigkeit gerechtfertigt 210 Ähnlich Wall, in: Geimer/Schütze, Int. Rechtsverkehr, Art. 11 EuErbVO Rn. 22. Zu Art. 26 EuGVO-E Bidell, Die Erstreckung der Zuständigkeiten der EuGVO auf Drittstaatensacherhalte, 194. 211 Teil 1 A. I. 3.; Teil 1 B. I. 2. c); Teil 1 C. I. 3.; Teil 1 D. I. 2. a). 212 Teil 1 A. I. 3.; Teil 1 C. I. 3.; Teil 1 D. I. 2. a). Vgl. auch die zusammenfassende Analyse Teil 1 E. I 3.

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2. Teil: Grundstrukturen einer europäischen Notzuständigkeit

ist. Nur im Falle eines ordre public-Verstoßes der ausländischen Entscheidung scheint eine Mehrheit in der französischen Literatur die Unzumutbarkeit eines Auslandsverfahrens annehmen zu wollen.213 Der Blick in die Literatur zum europäischen Recht zeigt, dass die Mehrheit der Autoren eine europäische Notzuständigkeit grundsätzlich annehmen will, um solche Anerkennungslücken zu schließen.214 Allerdings finden sich auch Stimmen, die eine solche Anwendung der Notzuständigkeit kritisch sehen.215 Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob Anerkennungslücken eine europäische Notzuständigkeit rechtfertigen können. Klärungsbedürftig erscheint außerdem, ob es für die Eröffnung einer Notzuständigkeit auf die absehbare oder tatsächliche Nichtanerkennung einer drittstaatlichen Entscheidung ankommt. Diese Fragen sollen im Folgenden erörtert werden. 1. Relative Rechtsverweigerung durch Anerkennungslücken Die europäischen Notzuständigkeiten verfolgen den Zweck, eine dem Kläger drohende Rechtsverweigerung zu verhindern.216 Anerkennungslücken können daher eine Notzuständigkeit rechtfertigen, wenn durch die Nichtanerkennung einer drittstaatlichen Entscheidung der Kläger einer drohenden Rechtsverweigerung ausgesetzt wird. Justizgewährung ist ein Zusammenspiel von Anerkennung fremder Entscheidungen und eigener Erkenntnis. Erkennt ein Mitgliedstaat die Entscheidung eines Drittstaates nicht an, während er gleichzeitig keine Entscheidungszuständigkeit einräumt, ist es dem Kläger nicht möglich, die Rechtslage mit Wirkung für den Rechtsverkehr dieses Mitgliedstaates feststellen zulassen. An dieser Feststellung hat der Kläger jedoch ein berechtigtes Interesse, wenn er in dort belegenes Vermögen des Beklagten vollstrecken will oder wenn die Entscheidung eine bestimmte Wirkung im Rechtsverkehr des Mitgliedstaates erzeugen soll – etwa die Rechtskrafterstreckung auf ein anderes Verfahren oder eine Gestaltungswirkung.217 Dies begründet ein

213 Teil 1 B. 2. c). Die Begründung hierfür ist, dass in diesen Fällen das Ausland schon gar keine Sachentscheidung trifft, die anerkannt werden könnte. 214 Erecin´ski/Weitz, FS Kaissis, 187, 194; Hau, FS Kaissis, 355, 356 und 360, Hausmann, Internationales und Europäisches Familienrecht, Teil C Rn. 203; Gitschthaler, in: DeixlerHübner/Schauer, Art. 11 EuErbVO Rn. 5; Schmidt, in: BeckOGK, Stand 1.5.2020, Art. 11 EuErbVO Rn. 14; Traar, in: Mondel/Nademleinsky, EuErbVO, Art. 11 EuErbVO Rn. 3; Wall, in: Geimer/Schütze, Int. Rechtsverkehr, Art. 11 EuErbVO Rn. 23; Wurmnest, in: BeckOGK, Stand 1.11.2019, Art. 7 EuUntVO Rn. 18 und 20. 215 Andrae, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 7 EG-UntVO Rn. 10 f.; Reuß, in: Geimer/Schütze, Int. Rechtsverkehr, Art. 7 EuUntVO Rn. 6; Weber, in: Burgstaller/Neumayr, Internationales Zivilverfahrensrecht, Art. 7 EuUntVO Rn. 10. 216 Vgl. nur Teil 2 A.; Panopoulos, in: Pamboukis, ESR Commentary, Art. 11 ESR Rn. 6. 217 Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, Rn. 1030; Hau, FS Kaissis, 355, 356.

C. Rechtsverweigerung bei Unzumutbarkeit des drittstaatlichen Verfahrens

171

Rechtsschutzbedürfnis des Klägers in dem jeweiligen Mitgliedstaat, das den Schutz des Art. 6 Abs. 1 EMRK genießt. Denn der dort verankerte Anspruch auf ein faires Verfahren beinhaltet auch den Anspruch auf eine effektive Sachentscheidung, deren Wirkung zur Not auch zwangsweise durchgesetzt werden kann.218 Ein gerichtliches Verfahren ist daher kein Selbstzweck: „Prozesse werden nicht um der Entscheidung willen geführt, sondern um der Durchsetzung des Anspruchs willen.“219 Wenn der Kläger aber weder durch Anerkennung noch durch Erkenntnisentscheidung die Rechtslage gerichtlich feststellen lassen kann, obwohl er hieran ein Interesse hat, bekommt er effektiv keinen Rechtsschutz. Aus Sicht des Rechtsverkehres eines Mitgliedstaates kommt daher ein Verfahren in einem Drittstaat, das eine nichtanerkennungsfähige Entscheidung hervorbringen wird, einer Nichtverhandlung des Rechtsschutzbegehrens gleich. Anerkennungslücken begründen somit die Gefahr einer drohenden relativen Rechtsverweigerung, weil sie sich auf die Rechtsordnung des Mitgliedstaates beschränkt, der die Entscheidung nicht anerkennt.220 Ein Verfahren in einem Drittstaat ist daher unzumutbar, wenn bereits zum Zeitpunkt der Verfahrenseinleitung feststeht, dass die Entscheidung dieses Forums nicht anerkannt werden kann.221 Vor diesem Hintergrund ist es auch klar, dass eine Notzuständigkeit nicht nur im Falle des Verstoßes gegen den nationalen ordre public eröffnet werden kann. Die Anerkennungslücke bedingt stets Rechtsverweigerung, egal aus welchem Grund der Mitgliedstaat die Anerkennung versagt, weil für diesen Mitgliedstaat die Rechtslage nicht wirksam festgestellt werden kann. Sofern eine Notzuständigkeit nur im Falle der Nichtanerkennung wegen eines ordre public-Verstoßes angenommen werden soll, wie teilweise zum französischen Recht vertreten,222 wird diese Folge nicht berücksichtigt. Eine solche Einschränkung ist daher abzulehnen.

218 EGMR, 19.3.1991 – Nr. 18357/91 (Hornsby/Griechenland), ECLI:CE:ECHR:1997: 0319JUD001835791, Rn. 40. 219 Schütze, FS Rechberger, 567, 573. 220 Grolimund, Drittstaatenproblematik des europäischen Zivilverfahrensrechts, Rn. 697; vgl. auch die zusammenfassende Analyse Teil 1 E. I. 3. 221 Erecin´ski/Weitz, FS Kaissis, 187, 194; Hau, FS Kaissis, 355, 356 und 360. So auch in Österreich: Teil 1 C. I. 1. c). So auch zu Art. 26 lit. a) EuGVO-E Bidell, Die Erstreckung der Zuständigkeiten der EuGVO auf Drittstaatensacherhalte, 198. 222 Bischoff, Rev. crit. DIP 1975, 678; Corbion, Le de´ni de justice en droit international prive´, Rn. 226; Sinay-Cytermann, L’ordre public en matie`re de compe´tence judiciaire internationale, Rn. 344 ff. und 340 ; siehe hierzu Teil 1 B. 2. c).

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2. Teil: Grundstrukturen einer europäischen Notzuständigkeit

2. Unzumutbarkeit auch bei bereits gescheiterter Anerkennung? Dass Anerkennungslücken, egal aus welchem Grund, eine relative Rechtsverweigerung auslösen können, ist daher evident. Ein Verfahren in einem Drittstaat ist unzumutbar, wenn bereits zum Zeitpunkt der Verfahrenseinleitung feststeht, dass die Entscheidung dieses Forums nicht wird anerkannt werden können.223 Eine europäische Notzuständigkeit muss eröffnet werden, wenn ein ausreichender Forumsbezug in Form der beabsichtigten Wirkungsentfaltung oder Vollstreckung der Entscheidung im Rechtsverkehr des Forumstaates besteht.224 Problematischer ist jedoch der Fall, in dem ein mitgliedstaatliches Gericht die Nichtanerkennungsfähigkeit einer bereits erstrittenen drittstaatlichen Entscheidung festgestellt hat.225 Die Eröffnung einer europäischen Notzuständigkeit erfordert nach dem übereinstimmenden Wortlaut der Artt. 7 EuUntVO, 11 EuErbVO, 11 EuGüVO und 11 EuPartVO, dass ein Verfahren in einem Drittstaat unzumutbar sein muss. Hat dieses Verfahren aber bereits stattgefunden, gibt es kein drittstaatliches Verfahren mehr, das als unzumutbar gewertet werden könnte. Insoweit ist der Fall der Anerkennungslücke aufgrund einer tatsächlich gescheiterten Anerkennung nicht mehr vom Wortlaut der Vorschriften der Notzuständigkeiten erfasst.226 Dies hat jedoch unerwünschte Rechtsschutzlücken zur Folge. Tatsächlich wiegt der Fall der bereits gescheiterten Anerkennung einer drittstaatlichen Entscheidung mindestens genauso schwer wie der vom Wortlaut erfasste Fall, dass die Nichtanerkennung der drittstaatlichen Entscheidung vor Verfahrenseinleitung sicher feststeht: Rechtsverweigerung droht im einen und im anderen Fall im gleichen Maße. Um diese tatsächlich bestehende Rechtsverweigerung abzuwenden, muss über den Wortlaut der Normen hinaus auch ohne Unzumutbarkeit eines Auslandsverfahrens eine europäische Notzuständigkeit eröffnet werden.227 Dies ist auch die Auffassung in den meisten untersuchten Rechtsordnungen. In Österreich ist anerkannt, dass § 28 Abs. 1 Nr. 2 JN auch den Fall der

223

Erecin´ski/Weitz, FS Kaissis, 187, 194; Hau, FS Kaissis, 355, 356 und 360. Allgemein zur Tatsache, dass die vergebliche Inanspruchnahme eines unzumutbaren Verfahrens im Ausland nicht verlangt werden kann siehe Teil 2 C. 224 Dies stellt zugleich den ausreichenden Forumsbezug zum Mitgliedstaat her. Siehe Teil 2 F. I. 225 Erecin´ski/Weitz, FS Kaissis, 187, 194; Hau, FS Kaissis, 355, 356 und 360; Simotta, in: Fasching/Konecny, § 77 JN Rn. 149. 226 Erecin´ski/Weitz, FS Kaissis, 187, 194; Hau, FS Kaissis, 355, 356 und 360; Simotta, in: Fasching/Konecny, § 77 JN Rn. 149. 227 Erecin´ski/Weitz, FS Kaissis, 187, 194; Hau, FS Kaissis, 355, 356 und 360; Simotta, in: Fasching/Konecny, § 77 JN Rn. 149. Im Ergebnis auch Gitschthaler, in: Deixler-Hübner/ Schauer, Art. 11 EuErbVO Rn. 5.

C. Rechtsverweigerung bei Unzumutbarkeit des drittstaatlichen Verfahrens

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festgestellten Nichtanerkennungsfähigkeit erfassen muss, obgleich diese Fallgestaltung die Grenze des Wortlauts der Norm überschreitet.228 In Deutschland wird darüber hinaus die Eröffnung der Notzuständigkeit sogar nur in diesem Fall befürwortet.229 Auch dies spricht letztlich für die Eröffnung einer europäischen Notzuständigkeit über den Wortlaut der Vorschriften hinaus. 3. Ursachen der Anerkennungslücken bei Verfahren mit Drittstaatenbezug Nachdem feststeht, dass Anerkennungslücken Rechtsverweigerung verursachen können, stellt sich die Frage, wie solche Lücken im Anwendungsbereich der hier untersuchten EuUntVO, EuErbVO, EuGüVO und EuPartVO entstehen können. Die Antwort hierauf findet sich nicht in den Verordnungen. Diese enthalten ausschließlich Regelungen zur gegenseitigen Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen mitgliedstaatlicher Gerichte. Die Anerkennung drittstaatlicher Entscheidungen regelt jeder Mitgliedstaat weiterhin nach seinem nationalen Verfahrensrecht.230 Ursache der Anerkennungslücken im Rahmen der hier untersuchten Verordnungen sind daher die Anerkennungshindernisse der nationalen Verfahrensrechte. Steht der Anerkennung einer drittstaatlichen Entscheidung tatsächlich ein nationales Anerkennungshindernis entgegen, ist das Verfahren im Drittstaat aus Sicht dieses Mitgliedstaates nicht zumutbar.231 a) Uneinheitlichkeit der Anerkennungslücken wegen der Verbürgung der Gegenseitigkeit An dieser Feststellung ist jedoch problematisch, dass jede mitgliedstaatliche Rechtsordnung eigene und teils unterschiedliche Anerkennungsvoraussetzungen und -hindernisse enthält.232 Das bedeutet, dass Anerkennungslücken im europäischen Justizraum uneinheitlich entstehen können: Während aus Sicht des einen Mitgliedstaates die Entscheidung eines Drittstaates anerkennungsfähig wäre, kann ein anderer Mitgliedstaat der drittstaatlichen Entscheidung die Anerkennung versagen.

228

Österreich: Teil 1 C. I. 3.; Garber, in: Fasching/Konecny, § 28 JN Rn. 75. Teil 1 A. I. 3. In Deutschland ist hingegen der umgekehrte Fall strittig, ob also eine Notzustädigkeit im Fall der prognostizierten Nichtanerkennungsfähigkeit erröffnet werden muss. 230 Wall, in: Geimer/Schütze, Int. Rechtsverkehr, Art. 11 EuErbVO Rn. 24. 231 Dabei kommt vor allem ein Verstoß gegen den materiell-rechtlichen oder verfahrensrechtlichen ordre public-Vorbehalt des nationalen Anerkennungsrechts in Betracht. 232 Vgl. Teil 1 A. I. 3.; Teil 1 B. I. 2. c); Teil 1 C. I. 3. Für eine detaillierte Beschreibung des Anerkennungsrechts Deutschlands und Frankreichs siehe Laugwitz, Die Anerkennung und Vollstreckung drittstaatlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen. 229

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2. Teil: Grundstrukturen einer europäischen Notzuständigkeit

Als in dieser Hinsicht besonders problematisches Anerkennungshindernis hat sich in der Untersuchung der nationalen Rechtsordnungen die Verbürgung der Gegenseitigkeit der Anerkennung erwiesen: Während diese Anerkennungsvoraussetzung dem französischen Recht fremd ist, kann der Anerkennung einer drittstaatlichen Entscheidung in Deutschland und Österreich die fehlende Verbürgung der Gegenseitigkeit im Wege stehen.233 Es ist daher möglich, dass eine drittstaatliche Entscheidung in Frankreich anerkennungsfähig wäre, während aus deutscher oder österreichischer Sicht die Anerkennung aufgrund der fehlenden Verbürgung der Gegenseitigkeit scheitern würde. Die hierdurch bedingte relative Rechtsverweigerung für Deutschland und Österreich würde in diesem Fall das Eröffnen einer Notzuständigkeit rechtfertigen, obzwar aus französischer Sicht eine anerkennungsfähige drittstaatliche Entscheidung vorliegt. In diesen Fällen kann demnach eine einheitliche Feststellung der Rechtslage für den europäischen Rechtsraum kaum gewährleistet werden. Zusätzlich sind auch die Anforderungen an die Verbürgung der Gegenseitigkeit von Rechtsordnung zu Rechtsordnung unterschiedlich: So verlangt das deutsche Recht nur die materielle Gegenseitigkeit der Anerkennung, während in Österreich die formale staatsvertragliche Verbürgung der Gegenseitigkeit Voraussetzung der Anerkennung ist.234 Aufgrund dieser strengen Anforderungen musste der OGH mehrmals eine nationale Notzuständigkeit Österreichs eröffnen.235 Auch im Anwendungsbereich der hier interessierenden Verordnungen ist es daher durchaus denkbar, dass eine europäische Notzuständigkeit in Österreich eröffnet werden muss, weil kein Staatsvertrag die Gegenseitigkeit der Anerkennung mit einem Drittstaat regelt. Auch diese Unterschiede können eine uneinheitliche Feststellung der Rechtslage im europäischen Justizraum fördern. Eine uneinheitliche Feststellung der Rechtslage kann jedoch unerwünschte Folgen haben. Sie kann das erklärte Ziel der untersuchten Verordnungen, durch Harmonisierung des Verfahrens- und Kollisionsrechts im europäischen Justizraum möglichst klare und einheitliche Rechtslagen zu schaffen, unterwandern.236 In diesen Fällen können Mitgliedstaaten der Ent-

233

Nicht erforderlich Frankreich Teil 1 B. I. 2. c); materielle Gegenseitigkeit Deutschland Teil 1 A. I. 3., und formelle Gegenseitigkeit Österreich Teil 1 C. I. 3. 234 Teil 1 C. I. 3. 235 OGH, 26.6.1985 – 1 Nd 502/85, JBl 1986, 191; OGH, 11.1.1996 – 6 Nd 513/95; OGH, 16.5.2002 – 6 Nd 512/01; OGH, 25.8.2011 – 5 Nc 14/11w; vgl. Teil 1 C. I. 3. 236 Vgl. Erwägungsgrund 7 EuErbVO; Erwägungsgrund 15 EuGüVO; Erwägungsgrund 15 EuPartVO; ähnlich Erwägungsgrund 9 EuUnthVO. Dies soll vor alllem durch die automatische Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen anderer Mitgliedstaaten erreicht werden, Artt. 17 Abs. 1 und 23 Abs. 1 EuUnthVO, Art. 39 Abs. 1 EuErbVO, Art. 36 Abs. 1 EuGüVO und Art. 36 Abs. 1 EuPartVO.

C. Rechtsverweigerung bei Unzumutbarkeit des drittstaatlichen Verfahrens

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scheidung eines anderen mitgliedstaatlichen Gerichts, das aufgrund einer Anerkennungslücke eine Notzuständigkeit eröffnet hat, die Anerkennung mit der Begründung versagen, dass bereits ein Drittstaat eine anerkennungsfähige Entscheidung erlassen hat, Artt. 20 Abs. 2 Uabs. 2 und 24 lit. d) EuUntVO, Art. 40 lit. d) EuErbVO, Art. 37 lit. d) EuGüVO und Art. 37 lit. d) EuPartVO. Die Entscheidung des Notforums kann damit nur noch in den Mitgliedstaaten anerkannt werden, die ebenfalls die Entscheidung des Drittstaates für nichtanerkennungsfähig halten. Je nach Ausgestaltung der nationalen Anerkennungshindernisse kann daher entweder die drittstaatliche oder die Entscheidung des mitgliedstaatlichen forum necessitatis in den übrigen Mitgliedstaaten anerkannt werden. Die beabsichtigte Rechtssicherheit und Vereinheitlichung der Rechtslage im europäischen Justizraum kann in diesen Fällen nicht erreicht werden. Dies gilt umso mehr, wenn die auf einer Notzuständigkeit basierende Entscheidung des mitgliedstaatlichen Gerichts der Entscheidung des Drittstaates inhaltlich widerspricht. Vor diesem Hintergrund sollten die Regelungen zur Anerkennung drittstaatlicher Entscheidung ebenfalls harmonisiert werden. In einem ersten Schritt sollten hierzu sämtliche Mitgliedstaaten auf die Verbürgung der Gegenseitigkeit als Anerkennungsvoraussetzung verzichten, zumindest soweit diese Anforderung die Ziele der hier untersuchten Verordnungen gefährden kann. b) Anerkennungslücke trotz an sich bestehender Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaates Die unterschiedliche Beurteilung der Anerkennungsfähigkeit drittstaatlicher Entscheidungen je nach Mitgliedstaat kann auch weitere unerwünschte Kollisionen hervorrufen. So ist es möglich, dass ein an sich aufgrund der hier untersuchten Verordnungen zuständiger Mitgliedstaat es ablehnt, die ihm von der Verordnung eingeräumte Zuständigkeit auszuüben, weil dieser Mitgliedstaat eine Entscheidung eines Drittstaates anerkannt hat. In Bezug auf den Rechtsverkehr anderer Mitgliedstaaten kann dies jedoch zu einer Anerkennungslücke führen, wenn nach den Zuständigkeitsregelungen der Verordnungen keine internationale Zuständigkeit eines weiteren Mitgliedstaates besteht. Folgendes Beispiel kann dieses Problem veranschaulichen: Eine begehrte Unterhaltsentscheidung soll in Deutschland ihre Wirkung entfalten, weil sich dort vollstreckbares Vermögen des beklagten Unterhaltsschuldners befindet. Eine Zuständigkeit nach der EuUntVO besteht indes nur in Frankreich, weil sich dort der Unterhaltsberechtigte gewöhnlich aufhält, Art. 3 lit. b) EuUntVO. Das angerufene Gericht in Frankreich lehnt es jedoch ab, diese Zuständigkeit auszuüben, weil die Rechtskraft einer bereits in Frankreich anerkannten Entscheidung eines Drittstaates dem neuen Verfahren entge-

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2. Teil: Grundstrukturen einer europäischen Notzuständigkeit

gensteht.237 In Deutschland hingegen, wo die Entscheidung vollstreckt werden müsste, scheitert die Anerkennung an der fehlenden Verbürgung der Gegenseitigkeit, § 109 Abs. 4 Nr. 1 FamFG i.V.m. § 112 Nr. 1 FamFG. In Bezug auf Deutschland liegt eine Anerkennungslücke vor, weil Deutschland weder die Entscheidung des Drittstaates anerkennt, noch selbst eine Zuständigkeit eröffnet. In das in Deutschland belegene Vermögen des Unterhaltschuldners könnte der Berechtigte demnach nicht vollstrecken. Die hierdurch bedingte Rechtsverweigerung macht aus deutscher Sicht das Verfahren in dem Drittstaat unzumutbar. Problematisch ist jedoch, dass im Beispielsfall ein Gericht eines anderen Mitgliedstaates nach Art. 3 lit. b) EuUntVO zuständig wäre. Diese Zuständigkeit schließt eine Notzuständigkeit nach Art. 7 EuUntVO eigentlich aus. Gleichwohl muss auch in diesem Fall eine deutsche Notzuständigkeit eröffnet werden. Der Zweck der Notzuständigkeit, Fällen drohender Rechtsverweigerung zu begegnen,238 erfordert, dass in einem solchen Fall der Ausschluss der Notzuständigkeit teleologisch reduziert wird. Der Ausschluss kann nur greifen, wenn ein Gericht eines anderen Mitgliedstaates die bestehende Zuständigkeit nach der EuUntVO auch tatsächlich ausübt und eine Sachentscheidung trifft. Alles andere wäre mit dem klägerischen Anspruch auf Justizgewährung aus Art. 6 Abs. 1 EMRK und Art. 47 Abs. 2 EuGRCh nicht zu vereinbaren. Es muss daher in diesem Fall trotz der an sich nach Art. 3 lit. b) EuUntVO bestehenden Zuständigkeit Frankreichs eine deutsche Notzuständigkeit eröffnet werden.239 c) Ausschluss der Anerkennungslücke durch Zuständigkeitsanknüpfung an das Vermögen Diese Probleme stellen sich indes nicht für jede untersuchte Verordnung im gleichen Maße. Denn die Relevanz von Anerkennungslücken als Ursache einer drohenden Rechtsverweigerung variiert von Verordnung zu Verordnung: Verordnungen, die die Belegenheit von Vermögen im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates als Anknüpfung einer regulären, wenn auch subsidiären, Zuständigkeit normiert haben, wird das Problem der Anerkennungslücke kaum betreffen.240 Dies trifft vor allem auf die EuErbVO zu, die aufgrund Art 10 Abs. 2 EuErbVO jedem Mitgliedstaat eine subsidiäre Zuständigkeit in Erbsachen für das Nachlassvermögen einräumt, das in dem

237 Vgl. Arreˆt Patin˜o Cass. Civ., 15.5.1963, Rev. crit. DIP 1964, 532 f., siehe hierzu auch Laugwitz, Die Anerkennung und Vollstreckung drittstaatlicher Entscheidungen in Zivilund Handelssachen, 51 m.w.N. 238 Erwägungsgrund 16 EuUntVO. 239 Hau, FS Kaissis, 355, 364 bildet ein ähnliches Beispiel für die Brüssel I-VO. 240 Traar, in: Mondel/Nademleinsky, EuErbVO, Art. 11 EuErbVO Rn. 3.

C. Rechtsverweigerung bei Unzumutbarkeit des drittstaatlichen Verfahrens

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Hoheitsgebiet des Mitgliedstaates belegen ist. Diese subsidiäre Zuständigkeit kann sich sogar nach Art. 10 Abs. EuErbVO auf den gesamten Nachlass erstrecken, etwa wenn der Erblasser nach lit. a) die Staatsangehörigkeit des Mitgliedstaates hatte. Diese weite Zuständigkeit aufgrund der Belegenheit des Nachlassvermögens schließt es so gut wie aus, dass Anerkennungslücken im Rahmen der EuErbVO relevant werden können. Denn über den im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates belegenen Nachlass kann der betroffene Mitgliedstaat regelmäßig selbst entscheiden. Ähnliches gilt für die EuGüVO und EuPartVO. Diese beiden Verordnungen enthalten in Art. 10 einen subsidiären Gerichtsstand des Vermögens, der die Zuständigkeit an die Belegenheit des unbeweglichen Vermögens eines oder beider Ehegatten bzw. Partner anknüpft. In Bezug auf dieses unbewegliche Vermögen ist daher regelmäßig ein Gericht in diesem Mitgliedstaat zuständig, sodass Anerkennungslücken in solchen Fällen nicht auftreten. Geht es jedoch um bewegliches Vermögen eines oder beider Ehegatten bzw. Partner, liegt der Fall anders. In diesem Fall greift der subsidiäre Gerichtsstand des Art. 10 EuGüVO bzw. EuPartVO nicht. Es kann daher vorkommen, dass die güterrechtliche Entscheidung eines drittstaatlichen Gerichtes nicht in dem Mitgliedstaat anerkannt wird, in dem das bewegliche Vermögen des beklagten Ehegatten oder Partners belegen ist und gleichzeitig keine Entscheidungszuständigkeit dieses Mitgliedstaates besteht. Aus deutscher Sicht ist dies etwa möglich, wenn die Anerkennung einer güterrechtlichen Entscheidung, etwa auf Ausgleich des Zugewinns nach erfolgter Ehescheidung im Drittstaat, aufgrund der fehlenden Verbürgung der Gegenseitigkeit nach § 109 Abs. 4 Nr. 1 FamFG i.V.m. § 112 Nr. 2 FamFG ausgeschlossen ist. In diesem Fall muss aufgrund der Anerkennungslücke eine Notzuständigkeit nach Art. 11 EuGüVO bzw. Art. 11 EuPartVO in Deutschland eröffnet werden, wobei die Vollstreckbarkeit der Entscheidung den ausreichenden Forumsbezug vermittelt.241 Als besonders problematisch können sich Anerkennungslücken schließlich im Rahmen der EuUntVO erweisen. Diese enthält keinen subsidiären Gerichtsstand des Vermögens, der wie in den anderen Verordnungen oder auch im deutschen Recht,242 eine Anerkennungslücke ausschließen könnte.243 Aus der Sicht Deutschlands ist es gerade hier möglich, dass eine Unterhaltsentscheidung eines Drittstaates, der nicht beim HUÜ 2007244 teilnimmt, aufgrund der fehelenden Verbürgung der Gegenseitigkeit nach § 109 Abs. 4 Nr. 1 241

Hierzu Teil 2 F. I. Siehe Teil 1 A. I. 3. 243 So auch Andrae, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 7 EG-UntVO Rn. 11. 244 Haager Übereinkommen über die internationale Geltendmachung der Unterhaltsansprüche von Kindern und anderen Familienangehörigen vom 23.11.2007, ABl. 2011 L 192, 51. 242

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2. Teil: Grundstrukturen einer europäischen Notzuständigkeit

FamFG i.V.m. § 112 Nr. 1 FamFG nicht anerkannt werden kann, während gleichzeitig keine Zuständigkeit Deutschlands aufgrund der EuUntVO greift, obwohl der Beklagte vollstreckbares Vermögen in Deutschland hat. Auch in diesem Fall muss die Vollstreckbarkeit einer Unterhaltsentscheidung in Deutschland zum Anlass genommen werden, eine deutsche Notzuständigkeit zu eröffnen, weil das Unterhaltsverfahren in dem Drittstaat unzumutbar ist, dessen Entscheidung nicht anerkannt werden kann. Insgesamt wäre der Verzicht auf die Gegenseitigkeit als nationale Anerkennungsvoraussetzung de lege ferenda der beste Weg, solche Anerkennungslücken gar nicht erst aufkommen zu lassen. Das Entstehen unterschiedlicher Rechtslagen im europäischen Justizraum kann so effektiv verringert werden.245De lege lata führt der einzige Ausweg aus der durch solche Anerkennungslücken drohenden Rechtsverweigerung über die Notzuständigkeit.

VI. Schlechtere Erfolgsaussichten im drittstaatlichen Verfahren Schlechtere Erfolgsaussichten eines Auslandsverfahrens nimmt keine der hier untersuchten Rechtsordnungen zum Anlass, eine Notzuständigkeit zu eröffnen.246 Die Annahme einer Notzuständigkeit würde dem Kläger nur helfen, eine ihm unangenehme prozessuale oder materielle Rechtslage zu umgehen.247 Es ist gerade Ausdruck des internationalen Rechtsverkehrs, dass ein Rechtsstreit in verschiedenen Foren unter Anwendung unterschiedlicher Verfahrens- und Sachrechte entschieden wird, die grundsätzlich gleichwertig sind.248 Ein Verfahren im Ausland wird daher nicht unzumutbar, nur weil das ausländische Forum anders entscheidet, als es ein inländisches Gericht getan hätte.249 Schlechtere Erfolgsaussichten im Ausland begründen keine drohende Rechtsverweigerung. An dieser Bewertung ändert sich auch dann nichts, wenn das ausländische Forum voraussichtlich den geltend gemachten Anspruch aufgrund der Anwendung eines anderen Sachrechts abweisen wird. Der von einer Notzuständigkeit geschützte Anspruch auf Justizgewährung enthält nur das Recht des Klägers auf eine Sachentscheidung und nicht ein Recht auf ein „bestimmtes“ Ergebnis derselben.250

245

Andrae, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 7 EG-UntVO Rn. 11 Dies wird auch allgemein gefordert vgl. nur: Schack, IZVR, Rn. 965 ff. 246 Teil 1 A. III.; Teil 1 B. I. 2. a); Teil 1 C. I. 9.; Teil 1 D. I. 2. f). 247 Teil 1 A. III.; Teil 1 B. I. 2. a); Teil 1 C. I. 9.; Teil 1 D. I. 2. f). 248 Vgl. nur Breuleux, Internationale Zuständigkeit und anwendbares Recht, 83 ff; Schack, IZVR, Rn. 39; kritisch Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, Rn. 37 f. jeweils m.w.N. 249 Teil 1 A. III. 1.; Teil 1 B. I. 2. a); Teil 1 C. I. 9.; Teil 1 D. I. 2. f). 250 Corbion, Le de´ni de justice en droit international prive´, Rn. 221; Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 751 ff.

C. Rechtsverweigerung bei Unzumutbarkeit des drittstaatlichen Verfahrens

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Aus diesem Grund begründen schlechtere oder keine Erfolgsaussichten des Verfahrens im Ausland auch im Rahmen der europäischen Notzuständigkeiten keine Unzumutbarkeit.251 Allein die Abweichung des ausländischen Forums von jeweils inländischen Rechtsvorstellungen eines Mitgliedstaates darf nicht notzuständigkeitsbegründend wirken.252 Andernfalls würden weitreichende Möglichkeiten des Klägers geschaffen, zu Lasten des Beklagten forum shopping zu betreiben. Der Kläger könnte sich immer das Forum heraussuchen, in dem er die besten Erfolgsaussichten hat. Ein solch weitreichendes Verständnis der Notzuständigkeit würde die Abgrenzung der internationalen Zuständigkeit in den untersuchten Verordnungen gegenüber Drittstaaten redundant werden lassen. In Fällen mit einem Drittstaatenbezug würde letztlich über die Notzuständigkeit ein weiterer regulärer Gerichtsstand geschaffen, der sich allein am Inhalt der zu erwartenden Entscheidung orientiert. Eine derartige Anwendung der Notzuständigkeit ließe sich jedoch weder mit dem Sinn und Zweck der Notzuständigkeit noch mit ihrem Ausnahmecharakter vereinbaren. Aus diesem Grund dürfen Erwägungen hinsichtlich der Erfolgsaussichten grundsätzlich nicht im Rahmen der Zumutbarkeit berücksichtigt werden. Ein Verfahren im Drittstaat ist daher nicht unzumutbar, nur weil die Beweislast zuungunsten des Klägers verteilt ist, oder das im Drittstaat angewandte Sachrecht zusätzliche oder andere Tatbestandsvoraussetzungen für die Gewährung des begehrten Rechtsschutzzieles vorschreibt. Ebenso wenig können geringere Unterhaltsbeträge im Drittstaat die Grenze der Zumutbarkeit überschreiten lassen.253 Die von einem präsumtiven Verfahren in einem Mitgliedstaat abweichende Entscheidung in einem Drittstaat ist daher grundsätzlich zumutbar und kann keine Notzuständigkeit begründen. 1. Ordre public-Zuständigkeit Dieser Grundsatz gilt jedoch nicht ausnahmslos: Die Untersuchung der nationalen Rechtsordnungen hat gezeigt, dass die Vorgaben wesentlicher materieller Rechtsgrundsätze ausnahmsweise außerordentlich (not-)zuständigkeitsbegründend wirken können, sofern diese Bestandteil des nationalen ordre public sind.254

251 Rauscher, in: MüKo FamFG, Art. 11 EuErbVO Rn. 6; Wurmnest, in: BeckOGK, Stand 1.11.2019, Art. 7 EuUntVO Rn. 20. 252 So auch Schröder, Internationale Zuständigkeit, 222. 253 Ancel/Muir Watt, Rev. crit. DIP 2010, 457, 483 f.; Fucik, in: Fasching/Konecny, Art. 7 EuUVO Rn. 2; Rauscher, in: MüKo FamFG, Art. 11 EuErbVO Rn. 5; Weber, in: Burgstaller/Neumayr, Internationales Zivilverfahrensrecht, Art. 7 EuUntVO Rn. 10; Wurmnest, in: BeckOGK, Stand 1.11.2019, Art. 7 EuUntVO Rn. 20. 254 Teil 1 A. III. 1.; Teil 1 B. I. 2. b); Teil 1 C. I. 9.; Teil 1 D. I. 2. f).

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2. Teil: Grundstrukturen einer europäischen Notzuständigkeit

Tatsächlich ist auch in der Literatur zu den europäischen Notzuständigkeiten überwiegend anerkannt, dass die Abweichung von zwingenden materiell-rechtlichen Rechtsvorstellungen ausnahmsweise ein Verfahren in einem Drittstaat unzumutbar macht. Maßstab für die Zumutbarkeit ist auch im Rahmen der europäischen Notzuständigkeit der ordre public.255 Die genaue Ursache der drohenden Rechtsverweigerung in solchen Fällen muss jedoch im Folgenden untersucht und geklärt werden. a) Ordre public-widriges Ergebnis als Ursache drohender Rechtsverweigerung Eine ausländische Entscheidung, die den ordre public eines Mitgliedstaates verletzt, kann in diesem Staat nicht anerkannt werden.256 Wie bereits erläutert, begründet diese Anerkennungslücke eine dem Kläger drohende Rechtsverweigerung, wenn die Anerkennung der Entscheidung zur Rechtsdurchsetzung erforderlich ist.257 Auch in den untersuchten nationalen Rechtsordnungen wird dies im Fall des ordre public-Verstoßes so gesehen.258 Ein Verfahren im Drittstaat ist daher unzumutbar, wenn bereits zum Zeitpunkt der Verfahrenseinleitung feststeht, dass die drittstaatliche Entscheidung gegen den ordre public verstoßen wird und ein Rechtsschutzbedürfnis im Mitgliedstaat besteht.259 Aber nicht nur unter dem Gesichtspunkt der Anerkennungslücke droht Rechtsverweigerung im Fall eines ordre public-Verstoßes. Insbesondere aus den Ausführungen zum französischen Recht ist zu erkennen, dass es auch um

255

Ancel/Muir Watt, Rev. crit. DIP 2010, 457, 483 f.; Andrae, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 7 EG-UntVO Rn. 9; Fucik, in: Fasching/Konecny, Art. 7 EuUVO Rn. 2; Panopoulos, in: Pamboukis, ESR Commentary, Art. 11 ESR Rn. 9; Rauscher, in: MüKo FamFG, Art. 11 EuErbVO Rn. 5; Rossolillo, CDT 2 Nr. 1 (2010), 403, 408 f.; Schmidt, in: BeckOGK, Stand 1.5.2020, Art. 11 EuErbVO Rn. 14; Traar, in: Mondel/Nademleinsky, EuErbVO, Art. 11 EuErbVO Rn. 3; Wall, in: Geimer/Schütze, Int. Rechtsverkehr, Art. 11 EuErbVO Rn. 23; Weber, in: Burgstaller/Neumayr, Internationales Zivilverfahrensrecht, Art. 7 EuUntVO Rn. 10; Wurmnest, in: BeckOGK, Stand 1.11.2019, Art. 7 EuUntVO Rn. 18 und 20. 256 Zumindest in allen hier untersuchten Rechtsordnungen ist ein Verstoß gegen den ordre public ein Anerkennungshindernis des nationalen Rechts ,Vgl. Teil 1 A. III. 1.; Teil 1 B. I. 2. c); Teil 1 C. I. 9.; Teil 1 D. I. 2. f). 257 Zur Anerkennungslücke als Ursache einer drohenden Rechtsverweigerung siehe Teil 2 C. V. 1. 258 Teil 1 A. III. 1.; Teil 1 C. I. 9.; Teil 1 D. I. 2. f). In Frankreich ist dies strittig und nur im Falle des Verstoßes gegen fundamentale Grundprinzipien des ordre public internationale anerkannt, vgl. Teil 1 B. I. 2. 259 Sofern jedoch die Anerkennungslücke bereits aufgetreten ist, muss über den Wortlaut hinaus ebenfalls eine europäische Notzuständigkeit eröffnet werden, siehe Teil 2 C. V. 2.

C. Rechtsverweigerung bei Unzumutbarkeit des drittstaatlichen Verfahrens

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den Schutz bestimmter materiell-rechtlicher Gerechtigkeitsvorstellungen als solcher geht.260 Dieser Ausprägung der Notzuständigkeit ist eine Kontrolle des materiell-rechtlichen Ergebnisses einer ausländischen Entscheidung auf Ebene des Zuständigkeitsrechts immanent. Das erkennende mitgliedstaatliche Gericht bewertet das Ergebnis des drittstaatlichen Verfahrens als vollkommen inakzeptabel, weil es gegen elementare Rechtsgrundsätze und Grundwerte des ordre public verstößt. Dieser Verstoß bedingt, dass der Kläger im drittstaatlichen Verfahren keine „gerechte“ Entscheidung in der Sache erhalten kann. Das untragbare Ergebnis begründet einen Mangel an „Justiz“ im drittstaatlichen Forum, dessentwegen das Verfahren in dem Drittstaat einer sachlichen Nicht-Verhandlung des Rechtsschutzbegehrens gleichkommt.261 Die Notzuständigkeit als ordre public-Zuständigkeit schützt daher einen Mindeststandard an materiell-rechtlichen Gerechtigkeitsvorstellungen – „reasons of substantial justice“262 – des Forums, deren Unterschreitung einer Entscheidung die Qualität einer gerechten Sachentscheidung abspricht. Dem Kläger droht daher Rechtsverweigerung zu widerfahren, weil sein Rechtsschutzbegehren in den Augen des mitgliedstaatlichen Forumstaates keine Entscheidung in der Sache erhält. Das bedingt eine dem Kläger drohende Rechtsverweigerung, weshalb ein Verfahren in dem Drittstaat unzumutbar ist. Es zeigt sich mithin, dass im Fall der ordre public-Widrigkeit der drittstaatlichen Entscheidung dem Kläger aufgrund zwei verschiedener Ursachen eine Rechtsverweigerung zu widerfahren droht: Diese droht einerseits aufgrund der entstehenden Anerkennungslücke. Andererseits bedingt bereits die Unterschreitung des materiell-rechtlichen Mindeststandards selbst Rechtsverweigerung, weil eine solche Entscheidung keine Sachentscheidung darstellt. Beide Ursachen begründen gleichermaßen die Notwendigkeit einer Notzuständigkeit, die in diesem Fall auch ordre public-Zuständigkeit genannt werden kann. b) Unionsrechtlicher oder nationaler ordre public als Maßstab Ist der Maßstab für die Zumutbarkeit eines anderen materiell-rechtlichen Ergebnisses in einem drittstaatlichen Verfahren der ordre public, drängt sich unmittelbar die Frage auf, ob hiermit ein unionsrechtlicher263 oder nationaler ordre public-Vorbehalt des Forums264 gemeint ist. Diese Frage lässt sich nur 260

Frankreich: Teil 1 B. I. 2. b) (1). Vgl. Ausführungen zu Frankreich: Teil 1 B. I. 2. b) (1). 262 Panopoulos, in: Pamboukis, ESR Commentary, Art. 11 ESR Rn. 8 f. 263 So Schmidt, in: BeckOGK, Stand 1.5.2020, Art. 11 EuErbVO Rn. 14. 264 Ancel/Muir Watt, Rev. crit. DIP 2010, 457, 483 f.; Panopoulos, in: Pamboukis, ESR Commentary, Art. 11 ESR Rn. 9.; Wall, in: Geimer/Schütze, Int. Rechtsverkehr, Art. 11 EuErbVO Rn. 23; Wurmnest, in: BeckOGK, Stand 1.11.2019, Art. 7 EuUntVO Rn. 18 und 261

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2. Teil: Grundstrukturen einer europäischen Notzuständigkeit

unter Berücksichtigung der Ursachen der Rechtsverweigerung im Falle eines (absehbaren) ordre public-Verstoßes durch eine drittstaatliche Entscheidung beantworten. (1) Maßgeblichkeit des nationalen anerkennungsrechtlichen ordre public Die Unterschreitung bestimmter Mindeststandards materiell-rechtlicher Gerechtigkeitsvorstellungen als Ursache der drohenden Rechtsverweigerungen in solchen Fällen deutet dabei auf keine der beiden möglichen ordre publicVorbehalte: Sowohl ein nationaler als auch ein unionsrechtlicher ordre public-Vorbehalt können diese Standards definieren, die zuständigkeitsrechtlich durch die Notzuständigkeit geschützt sind. Aufschlussreicher in dieser Hinsicht ist die genauere Betrachtung der zweiten Ursache der Rechtsverweigerung. Die Tatsache, dass der ordre public-Verstoß der drittstaatlichen Entscheidung zu einer Anerkennungslücke führt, deutet auf die Maßgeblichkeit eines nationalen ordre public-Vorbehaltes hin. Denn die Beurteilung der Anerkennungsfähigkeit drittstaatlicher Entscheidungen richtet sich nach dem nationalen Recht der Mitgliedstaaten. Die Maßgeblichkeit des unionsrechtlichen ordre public-Vorbehaltes würde diese Ursache einer drohenden Rechtsverweigerung außer Acht lassen. Um das Auftreten von Anerkennungslücken zu verhindern, muss im Rahmen der ordre public-Zuständigkeit grundsätzlich der nationale anerkennungsrechtliche ordre public-Vorbehalt maßgeblich sein.265 Dieser bemisst mithin grundsätzlich die Zumutbarkeit der Abweichung von materiell-rechtlichen Rechtsvorstellungen und Grundwerten durch eine drittstaatliche Entscheidung. Die europäische Notzuständigkeit als ordre public-Zuständigkeit importiert daher nationale materiell-rechtliche Erwägungen in das europäische (Not-)Zuständigkeitsrecht.

20; wohl auch Traar, in: Mondel/Nademleinsky, EuErbVO, Art. 11 EuErbVO Rn. 3; Weber, in: Burgstaller/Neumayr, Internationales Zivilverfahrensrecht, Art. 7 EuUntVO Rn. 10. 265 Dabei kommt ein Verstoß sowohl gegen den materiell-rechtlichen als auch verfahrensrechtlichen ordre public-Vorbehalt in Betracht. Im letztgenannten Fall begründet neben der Anerkennungslücke (vgl. Teil 2 C. V. 1.) bereits der Verstoß gegen Grundprinzipien der Rechtsstaatlichkeit (vgl. Teil 2 C. I.) – etwa die Verletzung des rechtlichen Gehörs –die Unzumutbarkeit des Verfahrens in einem Drittstaat. Aus diesem Grund spielt der verfahrensrechtliche ordre public im Rahmen der ordre public-Zuständigkeit eine untergeordnete Rolle. Hier geht es vor allem um die (Un-)Zumutbarkeit eines anderen materiell-rechtlichen Ergebnisses.

C. Rechtsverweigerung bei Unzumutbarkeit des drittstaatlichen Verfahrens

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(2) Bindung der Mitgliedstaaten an Unionsrecht bei Ausführung europäischen Sekundärrechts Indes kann die europäische ordre public-Zuständigkeit als Notzuständigkeit nicht frei von europäischen Werten sein. Die europäischen Regelungen zum forum necessitatis sind Teil des europäischen Sekundärrechts. Im Rahmen der Ausführung solcher europäischen Rechtsakte dürfen die Mitgliedstaaten kein höherrangiges Unionsrecht verletzen und sind nach Art. 51 Abs. 1 EuGRCh an die Grundrechte der Charta gebunden. Die Annahme oder Ablehnung einer Notzuständigkeit darf daher nicht im Widerspruch zu höherrangigem Unionsrecht stehen: So muss ein mitgliedstaatliches Gericht eine Notzuständigkeit eröffnen, wenn höherrangiges Unionsrecht dies erfordert und darf gleichzeitig keine Notzuständigkeit eröffnen, wenn deren Eröffnung gegen höherrangiges Unionsrecht verstoßen würde. Um solche Widersprüche mit dem Unionsrecht zu verhindern, muss das Unionsrecht daher in der Lage sein, der Definition des nationalen anerkennungsrechtlichen ordre public im Rahmen der Notzuständigkeit Grenzen zu setzen. Es besteht ein Einfluss des Unionsrechts auf die vom nationalen ordre public der Mitgliedstaaten geschützten Rechtsvorstellungen und Werte. Dieser Einfluss des Unionsrechts auf den nationalen anerkennungsrechtlichen ordre public-Vorbehalt ähnelt den vom EuGH zum unionsrechtlichen ordre public aufgestellten Grundsätzen.266 Hiernach ist die Auslegung des vom unionsrechtlichen ordre public geschützten Inhalts grundsätzlich den Mitgliedstaaten überlassen. Das Unionsrecht setzt dieser Auslegung durch die Mitgliedstaaten jedoch Grenzen, deren Einhaltung der EuGH kontrolliert.267 Die nationale Auslegung des ordre public-Vorbehaltes darf nicht im Widerspruch zum Unionsrecht stehen.268 Hierdurch werden europäische Werte und Rechtsvorstellungen vom ordre public geschützt, die sich vor allem

266 Siehe hierzu ausführlich Wurmnest, in: Leible/Unberath, Brauchen wir eine Rom 0-Verordnung?, 445, 460 ff. 267 Vgl. EuGH, 28.3.2000 – C-7/98 (Krombach/Bambersk), ECLI:EU:C:2000:164 Rn. 22 ff.; EuGH, 11.5.2000 – C-38/98 (Maxicar SpA/Orazio Formento), ECLI:EU:C: 2000:225 Rn 27 f.; EuGH, 2.4.2009 – C-394/07 (Gambazzi/DaimlerChrysler Canada Inc.), ECLI:EU:C:2009:219 Rn. 26 ff.; EuGH, 28.4.2009 – C-420/07 (Apostolides/Orams), ECLI:EU:C:2009:271 Rn. 56 f.; EuGH, 6.9.2012 – C-619/10 (Trade Agency Ltd./Seramico Investments Ltd.), EuGH, 23.10.2014 – C-302/13 (flyLAL-Lithuanian Airlines AS/Starptautiska¯ lidosta Rı¯ga VAS, Air Baltic Corporation AS), ECLI:EU:C:2014:2319 Rn. 47; ECLI:EU:C:2012:531 Rn. 49; EuGH, 16.7.2015 – C-681/13 (Diageo Brands/Simiramida), ECLI:EU:C:2015:471 Rn. 42. 268 Vgl. insgesamt hierzu auch Stürner, in: BeckOGK, Stand 1.5.2020, Art. 6 EGBGB Rn. 220 ff. und 228 f.; Wurmnest, in: Leible/Unberath, Brauchen wir eine Rom 0-Verordnung?, 445, 462 ff.

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2. Teil: Grundstrukturen einer europäischen Notzuständigkeit

aus den Grundrechten der Charta,269 der EMRK,270 den vier Grundfreiheiten271 und den vom EuGH entwickelten Rechtsgrundsätzen ergeben.272 Diese Grundsätze können auch den Einfluss des europäischen Rechts im Rahmen der europäischen Notzuständigkeiten auf den nationalen ordre public-Vorbehalt beschreiben. Die grundlegenden Rechtsvorstellungen und Werte des Unionsrechts definieren im Anwendungsbereich der hier interessierenden Verordnungen die äußersten Grenzen der Zumutbarkeit für die Notzuständigkeit. Die Eröffnung einer Notzuständigkeit kann durch den EuGH dahingehend kontrolliert werden, ob die Annahme eines ordre public-Verstoßes mit dem Unionsrecht vereinbar ist.273 Damit greift im sachlichen Anwendungsbereich der hier interessierenden Verordnungen das Unionsrecht mittelbar auch in das nationale Anerkennungsrecht der Mitgliedstaaten ein: Verstöße gegen die fundamentale Werte und Rechtsvorstellungen des Unionsrechts können einen Verstoß gegen den mitgliedstaatlichen anerkennungsrechtlichen ordre public-Vorbehalt begründen, um hierdurch eine Notzuständigkeit zu eröffnen. Auch wenn ein Mitgliedstaat die Entscheidung des Drittstaates ansonsten für anerkennungsfähig halten würde, muss er der Entscheidung die Anerkennung versagen, um eine effektive Anwendung des Europarechts zu gewährleisten. Andererseits darf die Eröffnung einer Notzuständigkeit wegen der Annahme eines Verstoßes gegen den nationalen anerkennungsrechtlichen ordre public nicht gegen Unionsrecht und die geschützten europäischen Werte verstoßen. In diesem Fall darf der Mitgliedstaat der drittstaatlichen Entscheidung auch nicht die Anerkennung verweigern.

269

Vgl. Erwägungsgrund 58 S. 2 EuErbVO und Erwägungsgrund 54 S. 2 EuGüVO; so auch Wurmnest, in: Leible/Unberath, Brauchen wir eine Rom 0-Verordnung?, 445, 461. 270 Martiny, FS Sonnenberger, 523, 533 ff.; Wurmnest, in: Leible/Unberath, Brauchen wir eine Rom 0-Verordnung?, 445, 461.; Gemäß Art. 6 Abs. 3 EUV sind die Grundrechte, wie sie in der EMRK gewährleistet sind und wie sie sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten ergeben, als allgemeine Grundsätze Teil des Unionsrechts. 271 Leible/Lehmann, RIW 2007, 721, 734 (in Bezug auf die Rom II VO); Schulze, in: Nomos Kommentar BGB, Art. 26 Rom II VO, Rn. 2 jeweils m.w.N.; Wurmnest, in: Leible/ Unberath, Brauchen wir eine Rom 0-Verordnung?, 445, 461. 272 Jayme, Ein internationales Privatrecht für Europa, 37. Für eine ausführliche Darstellung der europäischen Einflüsse auf den nationalen ordre public siehe Stürner, FS von Hoffmann, 463, 464 ff.; Wurmnest, in: Leible/Unberath, Brauchen wir eine Rom 0-Verordnung?, 445, 461. 273 Besonders die Beachtung des Diskirminierungsverbot des Art. 21 EuGRCh wird von den untersuchten Verordnugnen als Grenze der Anwendung des ordre public hervorgehoben, vgl. Erwägungsgrund 58 S. 2 EuErbVO; Erwägungsgrund 54 S. 2 EuGüVO und und Erwägungsgrund 53 S. 2 EuPartVO.

C. Rechtsverweigerung bei Unzumutbarkeit des drittstaatlichen Verfahrens

185

Ein solcher Eingriff in den nationalen ordre public-Vorbehalt ist den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen indes nicht fremd. Im Rahmen des nationalen kollisionsrechtlichen ordre public-Vorbehaltes ist anerkannt, dass auch europäische Werte und Rechtsvorstellungen zum integralen Bestandteil der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen geworden sind. Diese sind daher auch von der nationalen Vorbehaltsklausel geschützt.274 Dass sich dieser Schutz auch auf den anerkennungsrechtlichen ordre public-Vorbehalt erstreckt, ist daher nicht fernliegend. Im Rahmen der ordre public-Zuständigkeit als Notzuständigkeit wird dieser Einfluss jedoch in besonderer Weise erkennbar. c) Zusammenfassendes Zwischenergebnis Zusammengefasst ergibt sich für den Schutz bestimmter grundlegender Werte und Rechtsvorstellungen im Rahmen der europäischen Notzuständigkeit folgendes Bild: Verstößt die absehbare Entscheidung gegen den jeweiligen anerkennungsrechtlichen ordre public eines Mitgliedstaates, ist das Verfahren im Ausland unzumutbar. Da jedoch die Eröffnung oder Nicht-Eröffnung einer europäischen Notzuständigkeit nicht im Widerspruch zum Unionsrecht stehen darf, beeinflusst das Unionsrecht den geschützten Inhalt der anerkennungsrechtlichen ordre public-Vorbehalte der Mitgliedstaaten. Diese schützen auch die wesentlichen Werte und Rechtsvorstellungen des Unionsrechts. Insoweit definieren die Vorgaben des Unionsrechts die äußersten Grenzen der Zumutbarkeit im Rahmen der europäischen Notzuständigkeiten. 2. Die ordre public-Zuständigkeit im Anwendungsbereich der einzelnen Verordnungen Vor dem Hintergrund der eben gefundenen Ergebnisse, sollen im Folgenden mögliche Fallkonstellationen für eine ordre public-(Not-)Zuständigkeit im Anwendungsbereich der einzelnen Verordnungen erörtert werden. a) Ordre public-Zuständigkeit im Internationalen Unterhaltsrecht Im Internationalen Unterhaltsrecht kommen vor allem Diskriminierungen als Ursache eines ordre public-Verstoßes im Drittstaat in Betracht, die eine Notzuständigkeit nach Art. 7 EuUntVO erforderlich machen können. Ein Verfahren in einem Drittstaat ist etwa unzumutbar, wenn das Forum eine Klage auf Zahlung von Unterhalt eines nicht ehelichen Kindes gegen den Vater als unbegründet abweist, weil das dort angewendete Unterhaltsrecht 274

Vgl. Martiny, FS Sonnenberger, 523, 531 ff.; Stürner, in: BeckOGK, Stand 1.5.2020, Art. 6 EGBGB Rn. 220 ff. und 228 f.; Stürner, FS von Hoffmann, 463, 464 jeweils m.w.N.

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2. Teil: Grundstrukturen einer europäischen Notzuständigkeit

nur ehelichen Kindern Unterhalt gewährt. Ein solches Ergebnis wäre etwa aus deutscher, österreichischer und französischer Sicht ordre public-widrig.275 Dass das Verfahren in einem Drittstaat bei einem solchen Ergebnis unzumutbar ist, kann sich darüber hinaus auch aus dem unionsrechtlichen Diskriminierungsverbot des Art. 21 Abs. 1 EuGRCh ergeben, der eine Diskriminierung wegen der Geburt ausdrücklich aufführt. Nichtsdestoweniger ist es in diesen Fällen notwendig zu differenzieren: Ist die Klage des Kindes auf Unterhaltszahlung im Drittstaat deshalb unbegründet, weil das angewendete Sachrecht schlicht keine Unterhaltsansprüche kennt, reicht dies nicht zur Begründung eines ordre public-Verstoßes aus. Ein vom anwendbaren Sachrecht unabhängiger Anspruch auf Unterhalt ist regelmäßig nicht vom ordre public geschützt.276 b) Ordre public-Zuständigkeit im Internationalen Erbrecht Auch im Internationalen Erbrecht ist im Rahmen der ordre public-Zuständigkeit vor allem an Diskriminierungsfälle zu denken. Insbesondere betont die EuErbVO die besondere Bedeutung des unionsrechtlichen Diskriminierungsverbotes bei der Anwendung des kollisionsrechtlichen ordre publicVorbehaltes des Art. 35 EuErbVO in Erwägungsgrund 58 S. 2. Angenommen werden kann ein Verstoß daher, wenn die konkret zu erwartende Entscheidung eines Drittstaates, etwa aufgrund der Anwendung der Scharia, Männern und Frauen unterschiedliche Erbquoten zugesprochen werden.277 Diese Ungleichbehandlung aufgrund des Geschlechts würde im Ergebnis gegen nationale Gleichbehandlungsgebote verstoßen, wie etwa Art. 3 Abs. 1 und 3 GG, als auch gegen das unionsrechtliche Diskriminierungsverbot der Art. 14 EMRK und Art. 21 Abs. 1, 23 Uabs. 1 EuGRCh.278 In diesem Fall verpflichten daher die Vorgaben des Unionsrechts mitgliedstaatliche Gerichte von einem ordre public-Verstoß auszugehen und eine Notzuständigkeit zu eröffnen. Dies bedeutet gleichzeitig, dass die Vorgaben des Unionsrechts auch die Anerkennung einer solchen Entscheidung verbieten.279 Darüber hinaus sind auch Fälle denkbar, in denen uneheliche Kinder, gleichgeschlechtliche Ehepartner oder Hinterbliebene des Erblassers einer 275

Andrae, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 7 EG-UntVO Rn. 9; Weber, in: Burgstaller/ Neumayr, Internationales Zivilverfahrensrecht, Art. 7 EuUntVO Rn. 10; Wurmnest, in: BeckOGK, Stand 1.11.2019, Art. 7 EuUntVO Rn. 18. 276 Ancel/Muir Watt, Rev. crit. DIP 2010, 457, 483 f. 277 Wall, in: Geimer/Schütze, Int. Rechtsverkehr, Art. 11 EuErbVO Rn. 23; Rauscher, in: MüKo FamFG, Art. 11 EuErbVO Rn. 5. Auch Panopoulos, in: Pamboukis, ESR Commentary, Art. 11 ESR Rn. 9 mit einem Beispiel zur innereuropäischen Notzuständigkeit. 278 Wall, in: Geimer/Schütze, Int. Rechtsverkehr, Art. 11 EuErbVO Rn. 23; Panopoulos, in: Pamboukis, ESR Commentary, Art. 11 ESR Rn. 9. 279 Siehe hierzu Teil 2 C. VI. 1. b) (2).

C. Rechtsverweigerung bei Unzumutbarkeit des drittstaatlichen Verfahrens

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anderen Religionszugehörigkeit gänzlich von der Erbfolge ausgeschlossen werden.280 Auch derartige Diskriminierungen sind vom Standpunkt der europäischen materiell-rechtlichen Mindeststandards aus nicht hinzunehmen. Eine drittstaatliche Entscheidung dieses Inhaltes würde gegen das unionsrechtliche Diskriminierungsverbot des Art. 21 EuGRCh verstoßen und wäre daher ordre public-widrig.281 Auch in einem solchen Fall verpflichten die Vorgaben des Unionsrechts mitgliedstaatliche Gerichte, von der Unzumutbarkeit des Verfahrens in diesem Drittstaat auszugehen. Dies gilt auch dann, wenn der Drittstaat Verfahren zur Erbenfeststellung der von der Erbfolge ausgeschlossenen Hinterbliebenen für unzulässig erklärt und prozessual abweist.282 Trotz der Unzumutbarkeit eines Verfahrens in einem Drittstaat kommt eine europäische Notzuständigkeit nach Art. 11 EuErbVO jedoch nicht bei jedem Verstoß in Betracht. Ohne einen ausreichenden Bezug zum Forum kann keine Notzuständigkeit eröffnet werden. Das Prinzip des Forumsbezuges hat daher gerade in solchen Fällen eine relativierende Wirkung. Werden Hinterbliebene des Erblassers in einem drittstaatlichen Forum in diskriminierender Art und Weise von der Erbfolge ausgeschlossen, so kann ein ausreichender Forumsbezug insbesondere durch die Vollstreckbarkeit eines Pflichtteilsanspruches gegen den persönlich haftenden Erben in einem Mitgliedstaat begründet werden. Dies ist möglich, wenn der Erbe selbst Vermögen in einem Mitgliedstaat hat oder aber die angetretene Erbschaft in einen Mitgliedstaat verlegt hat.283 c) Ordre public-Zuständigkeit im Internationalen Güterrecht Untragbare Ergebnisse drittstaatlicher Verfahren sind auch im internationalen Güterrecht denkbar. ordre public-Zuständigkeiten als Notzuständigkeiten sind daher auch im Rahmen der EuGüVO und EuPartVO möglich. Die Relevanz der Notzuständigkeit ist jedoch für beide Verordnungen unterschiedlich. Art. 6 lit. e) EuPartVO enthält eine ordentliche internationale Zuständigkeit der Gerichte des Mitgliedstaates nach dessen Recht die eingetragene Partnerschaft begründet wurde, sofern keine sonstige Zuständigkeit nach Artt. 4, 5 oder 6 lit. a)–d) EuPartVO begründet ist. Diese Zuständigkeit 280

Ähnlich Buonaiuti, in: Calvo Caravaca/Davı`/Mansel, ESR Commentary, Art. 11 ESR Rn. 8. 281 Aus deutscher Sicht läge auch ein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 5 GG und Art. 3 Abs. 1 GG vor. 282 Siehe zur Qualifikation einer solchen Abweisung aus Gründen des fremden Verfahrensrechts als Abweisung aus materiell-rechtlichen Gründen, die am Maßstab des ordre public zu würdigen ist Teil 2 B. II. 3. 283 Ähnlich hierzu Traar, in: Mondel/Nademleinsky, EuErbVO, Art. 11 EuErbVO Rn. 1.

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2. Teil: Grundstrukturen einer europäischen Notzuständigkeit

verhindert, dass es zu Kollisionen mit drittstaatlichen Rechtsordnungen kommt, die gleichgeschlechtlichen Partnerschaften ablehnend gegenüberstehen.284 Anders ist die Situation jedoch im Rahmen der EuGüVO. Im Rahmen der EuGüVO ist der Begriff der Ehe nicht definiert. Was als Ehe anzusehen ist, bestimmt sich nach dem nationalen Recht der Mitgliedstaaten.285 Der Begriff der Ehe im Sinne der EuGüVO kann daher auch die gleichgeschlechtliche Ehe umfassen, wenn das nationale Recht eines Mitgliedstaates als lex causae dies vorsieht.286 Dieses Verständnis der Ehe hat jedoch zur Folge, dass der reguläre Gerichtsstand des Art. 6 lit. e) EuPartVO einer gleichgeschlechtlichen Ehe nicht zur Verfügung steht. Dies kann jedoch zur Folge haben, dass die EuGüVO die Zuständigkeit für eine güterrechtliche Streitigkeit in Bezug auf eine gleichgeschlechtliche Ehe in einem Drittstaat verortet sieht, der solche Ehen aufgrund seines Internationalen Privatrechts nicht anerkennt. Besteht nach Ansicht des Drittstaat schon keine Ehe oder Partnerschaft der gleichgeschlechtlichen Ehegatten, kann eine güterrechtliche Streitigkeit nicht in der Sache begründet sein. Ein Kläger wird in einem solchen Fall stets aus materiell-rechtlichen Gründen unterliegen. Derartige Probleme hinsichtlich gleichgeschlechtlicher Ehen können sich insbesondere bei den güterrechtlichen Folgen einer Scheidung ergeben. Folgendes Beispiel kann dieses Problem veranschaulichen: Ein Deutscher und ein Franzose gehen in Deutschland eine nach deutschem Recht wirksame gleichgeschlechtliche Ehe ein.287 Die Ehegatten haben ihren ersten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland und ziehen anschließend in einen Drittstaat, der keine gleichgeschlechtlichen Ehen kennt und solche aufgrund seines ordre public-Vorbehaltes auch nicht anerkennt. Dabei hinterlassen die Eheleute kein unbewegliches Vermögen in Deutschland, das eine Zuständigkeit nach Art. 10 EuGüVO begründen könnte. Da die Brüssel IIaVO nicht auf gleichgeschlechtliche Scheidungen anwendbar ist,288 richtet sich die internationale Zuständigkeit für die Scheidung nach nationalem deutschen Recht. Für die Scheidung der Ehegatten bestünde eine internationale Zuständigkeit Deutschlands nach § 98 Abs. 1 Nr. 1 FamFG. Für die daran

284

Im Übrigen trifft dies nicht nur auf die materiell-rechtliche Ablehnung solcher Partnerschaften zu. Auch in den Fällen, in denen Drittstaaten güterrechtliche Entscheidungen in Partnerschaften grundsätzlich nicht kennen und daher verfahrensrechtlich nicht behandelt können, verhindert diese Zuständigkeiten das Auftreten von Rechtsschutzlücken. 285 Erwägungsgrund 17 EuGüVO. 286 Simotta, ZvglRWiss 116 (2017), 44, 46 f. 287 § 1353 Abs. 1 S. 1 BGB i.d.F. vom 1.10.2017, BGBl. I 2017, 2787. 288 So die noch herrschende Meinung vgl. hierzu Looschelders, in: MüKo BGB, Art. 5 EuGüVO Rn. 5; Rauscher, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 1 Brüssel IIa-VO Rn. 6 f. jeweils m.w.N.

C. Rechtsverweigerung bei Unzumutbarkeit des drittstaatlichen Verfahrens

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anschließenden güterrechtlichen Folgen der Scheidung fehlt jedoch ein deutscher Gerichtsstand. Diese richtet sich seit Inkrafttreten der EuGüVO ausschließlich nach den Artt. 4 ff. EuGüVO, die einen Rückgriff auf das nationale Zuständigkeitsrecht nicht zulassen.289 Eine internationale Verbundzuständigkeit deutscher Gerichte nach § 98 Abs. 3 FamFG i.V.m. § 137 Abs. 2 Nr. 4 FamFG besteht daher nicht.290 Aber auch die EuGüVO sieht in einem solchen Fall keinen Gerichtsstand in Deutschland oder einem anderen Mitgliedstaat vor: Die Annexkompetenz des Art. 5 EuGüVO schließt solche nationalen Verfahren nicht ein, weil sie sich ausschließlich auf Scheidungsverfahren nach der Brüssel IIa-VO bezieht, die wiederum auf gleichgeschlechtliche Ehen nicht anwendbar ist.291 Eine Zuständigkeitsanknüpfung der Art. 6 EuGüVO ist ebenfalls nicht erfüllt, weil keiner der scheidungswilligen Ehegatten seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem Mitgliedstaat hat. Zuständig ist aus Sicht des Art. 6 lit. a) EuGüVO vielmehr der Drittstaat, in dem die Ehegatten bis zum Zeitpunkt der Scheidung ihren gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt hatten. Da dieser jedoch die verfahrensgegenständliche Ehe nicht anerkennt, können in dem Drittstaat keine Ansprüche aus den güterrechtlichen Folgen einer Scheidung durchgesetzt werden.292 Gerade wenn in solchen Fällen eine Gerichtsstandsvereinbarung nach Art. 7 EuGüVO nicht zustande kommt, bleibt als Ausweg nur der Gang über die Notzuständigkeit nach Art. 11 EuGüVO.293 Die Tatsache, dass die Eheleute aufgrund ihres Geschlechts keine Entscheidung über die güterrechtlichen Ausgleichsansprüche erhalten können, verstößt gegen das Diskriminierungsverbot des Art. 21 EuGRCh, welchem die EuGüVO besonderen Schutz in Erwägungsgrund 54 S. 2 einräumt.294 289

Erwägungsgrund 40 EuGüVO; Mayer, in: MüKo FamFG, Art. 11 EuGüVO Rn. 1. Die internationale Verbundzuständigkeit nach § 98 Abs. 3 FamFG i.V.m. § 137 Abs. 2 und 3 FamFG kommt nur in Betracht, wenn die Zuständigkeit der Folgesache nicht selbstständig durch eine abschließende europäische Zuständigkeitsverordnung geregelt wird. Für Unterhaltssachen § 98 Abs. 3 FamFG i.V.m. § 137 Abs. 2 Nr. 2 FamFG und Güterrechtssachen § 98 Abs. 3 FamFG i.V.m. § 137 Abs. 2 Nr. 4 FamFG kommt der internationalen Verbundzuständigkeit deshalb keine Bedeutung mehr zu. 291 Rauscher, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 1 Brüssel IIa-VO Rn. 6 f m.w.N. 292 Diese besondere Konstellation bei gleichgeschlechtlichen Ehen kann auch einen negativen internationalen Kompetenzkonflikt auslösen, wenn der aus Sicht der EuGüVO zuständige Drittstaat die Zuständigkeit an den Staat der Eheschließung anknüpft. Vgl. hierzu Teil 2 B. I. 2. c). 293 A.A. Looschelders, in: MüKo BGB, Art. 5 EuGüVO Rn. 7, der eine entsprechende Anwendung des Art. 5 EuGüVO vorschlägt. 294 Zusätzlich ist auch ein Verstoß gegen den besonderen Schutz der Ehe und der Familie nach Art. 6 Abs. 1 GG denkbar, wenn es den Eheleuten verwehrt wird, eine güterrechtliche Entscheidung zu erhalten, nur weil das Ausland die Ehe nicht als solche anerkennt. Dies hängt jedoch davon ab, ob auch die gleichgeschlechtliche Ehe als Ehe i.S.v. Art. 6 Abs. 1 GG anzusehen ist. 290

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2. Teil: Grundstrukturen einer europäischen Notzuständigkeit

Stellt das anwendbare Sachrecht, die lex causae, die gleichgeschlechtliche Ehe der heterosexuellen Ehe gleich,295 darf die Anwendung der EuGüVO nicht zu einer Diskriminierung der gleichgeschlechtlichen Ehe führen. Daher muss auch einem gleichgeschlechtlichen Ehepaar die Möglichkeit eingeräumt werden, eine Entscheidung in Bezug auf eine güterrechtliche Streitigkeit zu erhalten, wenn heterosexuelle Ehepaare eine solche Entscheidung erhalten können. Ist ihnen das nicht möglich, weil das drittstaatliche Forum gleichgeschlechtliche Ehen nicht anerkennt, begründet diese Diskriminierung der Eheleute einen ordre public-Verstoß, der das Verfahren im Drittstaat unzumutbar macht. Dem Kläger, der güterrechtliche Ausgleichsansprüche nach der Scheidung geltend macht, droht daher Rechtsverweigerung zu widerfahren, wenn der an sich zuständige Drittstaat diese Ansprüche ablehnt, weil er die verfahrensgegenständliche Ehe nicht anerkennt. Dies erfordert eine Notzuständigkeit Deutschlands nach Art. 11 EuGüVO, wobei die Anwendbarkeit des deutschen Rechts nach Art. 26 Abs. 1 EuGüVO den ausreichenden Forumsbezug vermittelt. 3. Abgrenzung zur Nicht-Erhältlichkeit des Rechtsschutzes im Drittstaat Wie bereits an anderer Stelle beschrieben, ist es notwendig die Fälle, in denen der Drittstaat das Rechtsschutzbegehren des Klägers als in der Sache unbegründet zurückweist, von der verfahrensrechtlichen Abweisung des Rechtsschutzbegehrens im Drittstaat abzugrenzen.296 Nur im Fall der verfahrensrechtlichen Abweisung des Rechtsschutzbegehrens im Drittstaat, ist das Verfahren dort unmöglich. Sofern der Drittstaat aufgrund des angewendeten Sachrechts das Rechtsschutzbegehren als unbegründet zurückweist, trifft er eine Sachentscheidung. Es droht dem Kläger daher grundsätzlich keine Rechtsverweigerung. Erst wenn der Inhalt dieser Entscheidung gegen den anerkennungsrechtlichen ordre public eines Mitgliedstaates verstößt, der auch europarechtliche Werte und Rechtsvorstellungen schützt, kann die Entscheidung im Drittstaat das Rechtsschutzbegehren des Klägers nicht in der Sache befriedigen. Das Verfahren im Drittstaat ist erst in diesem Fall unzumutbar. Eine europäische Notzuständigkeit kann erst dann eröffnet werden.

VII. Notwendige passive Streitgenossenschaft Im eidgenössischen Recht findet sich die Notwendigkeit einer Notzuständigkeit, wenn notwendige passive Streitgenossen nicht einheitlich an einem in-

295 Der Begriff der „Ehe“ nach der EuGüVO erfasst auch gleichgeschlechtliche Ehen, wenn die lex causae dies vorsieht, Erwägungsgrund 17 EuGüVO. 296 Siehe hierzu ausführlich Teil 2 B. II. 2. und 3.

C. Rechtsverweigerung bei Unzumutbarkeit des drittstaatlichen Verfahrens

191

ternationalen Gerichtsstand verklagt werden können.297 Die Literatur zum Schweizer Recht begründet die Unzumutbarkeit separater Verfahren damit, dass die notwendigen passiven Streitgenossen nur einheitlich passivlegitimiert sind, sodass Verfahren gegen einzelne Streitgenossen stets unbegründet sind. Aus Sicht des eidgenössischen Rechts droht einem Kläger in solchen Fällen Rechtsverweigerung zu widerfahren, weil der Kläger seine Ansprüche gegen die Streitgenossen nicht durchsetzen kann.298 Theoretisch kann eine solche Konstellation auch für die europäischen Notzuständigkeiten bedeutsam werden. Das ist etwa im Anwendungsbereich der EuErbVO möglich, wenn das Erbstatut die Miterben einer Erbengemeinschaft als notwendige passive Streitgenossen ansieht, die nur einheitlich verklagt werden können. Das trifft etwa auf die Erbengemeinschaft nach deutschem Recht zu, wenn die Miterben nur gemeinschaftlich über einen bestimmten Nachlassgegenstand verfügen können.299 Verlangt etwa ein Vermächtnisnehmer die Übereignung eines Gegenstandes aus dem Nachlass, kann er die Befriedigung nach § 2059 Abs. 2 BGB nur von sämtlichen Miterben der Erbengemeinschaft verlangen. Die Gefahr einer drohenden Rechtsverweigerung entsteht dabei, wenn diese Erbengemeinschaft international keinen einheitlichen Gerichtsstand in einem Mitgliedstaat oder Drittstaat hat. In einem solchen Fall kann es dem Kläger nicht zugemutet werden, einzelne Verfahren in verschiedenen Foren zu führen, da diese aufgrund der notwendigen passiven Streitgenossenschaft unzulässig oder – in einem anderen Staat – mangels Passivlegitimation unbegründet wären. Das Rechtsschutzbegehren des Vermächtnisnehmers könnte somit nicht in der Sache selbst entschieden werden. Dass es zu dem eben beschriebenen Problem kommt, ist jedoch äußerst unwahrscheinlich. Innerhalb des europäischen Justizraumes besteht stets für alle erbrechtlichen Verfahren ein einheitlicher internationaler Gerichtsstand für die notwendigen Streitgenossen einer Erbengemeinschaft: So bedingt die Anknüpfung der Zuständigkeit an den gewöhnlichen Aufenthalt des Erblassers zum Zeitpunkt seines Todes nach Art. 4 EuErbVO, dass sämtliche Miterben einer Erbengemeinschaft dort gemeinsam von einem Dritten verklagt werden können. Selbst wenn der Erblasser seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem Drittstaat hatte, besteht grundsätzlich eine allumfassende Zuständigkeit seines Heimatstaates nach Art. 10 Abs. 1 lit. a) EuErbVO, wenn er dort Nachlassvermögen hatte. Auch in diesem Fall haben die notwendigen passiven Streitgenossen einen gemeinsamen internationalen Gerichtsstand für gegen sie gerichtete Klagen. 297

Teil 1 D. I. 2. h). Teil 1 D. I. 2. h). 299 Vgl. Ann, in: MüKo BGB, § 2059 BGB Rn. 22; Gergen, in: MüKo BGB, § 2032 BGB Rn. 46. 298

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2. Teil: Grundstrukturen einer europäischen Notzuständigkeit

Eine Notzuständigkeit infolge eines fehlenden einheitlichen Gerichtsstandes notwendiger passiver Streitgenossen wäre daher nur in folgendem Fall denkbar: Ein Erblasser drittstaatlicher Nationalität, dessen Nachlass sich ausschließlich in diesem Drittstaat befindet, hat zum Zeitpunkt seines Todes in diesem Staat seinen gewöhnlichen Aufenthalt und hinterlässt mehrere Miterben, die ausschließlich in einem oder mehreren Mitgliedstaaten der EuErbVO ihren Wohnsitz haben und nach dem Recht des Drittstaates eine notwendige passive Streitgenossenschaft bilden. Knüpft der Drittstaat die internationale Zuständigkeit für eine Klage gegen die Erbengemeinschaft an den Wohnsitz der Miterben an und eröffnet daher keine eigene Zuständigkeit, so kann in diesem Fall ein Dritter die Erbengemeinschaft vor keinem international zuständigen Gericht gemeinsam verklagten. Für ein Verfahren gegen die Erbengemeinschaft müsste eine Notzuständigkeit nach Art. 11 EuErbVO vor einem mitgliedstaatlichen Gericht eröffnet werden, weil dem Kläger einzelne Verfahren gegen die Erbengemeinschaft unzumutbar sind. Maßgeblich für die Zuständigkeit eines mitgliedstaatlichen Gerichts ist auch hier der ausreichende Forumsbezug. Dieser besteht etwa zu dem Mitgliedstaat, in dem mehrere Miterben ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben oder in dem der Miterbe mit der höchsten Erbquote seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat.

VIII. Eilzuständigkeit Vor allem in Frankreich, aber auch in Deutschland und Österreich wird eine Notzuständigkeit auch als Eilzuständigkeit für einstweilige Sicherungsmaßnahmen zur Erhaltung der aktuellen Rechtslage eröffnet.300 Sinn und Zweck der Eilzuständigkeit ist es, einem Kläger auch dann einstweiligen Rechtsschutz zu gewähren, wenn solche Maßnahmen des an sich zuständigen ausländischen Forums nicht rechtzeitig im jeweiligen Inland anerkannt und vollstreckt werden können. Der Zweck dieser Maßnahmen kann nicht erfüllt werden, wenn sie nicht rechtzeitig im anvisierten Wirkungsstaat ihre Wirkung entfalten können. Der eigentliche Grund hinter dieser Notzuständigkeit ist dabei ebenfalls die Vermeidung einer drohenden Rechtsverweigerung: Ohne eine Eilzuständigkeit steht der Kläger faktisch rechtsschutzlos da, weil er die begehrten Sicherungsmaßnahmen nicht rechtzeitig erhalten kann. Der Verweis auf das ausländische Forum kommt daher einer Nichtentscheidung seines Rechtsschutzbegehrens gleich. Im Rahmen der europäischen Notzuständigkeiten spielt die Eilzuständigkeit jedoch kaum eine Rolle: Alle hier untersuchten abschließenden Zuständigkeitsordnungen enthalten für solche provisorischen Maßnahmen eine Öffnungsklausel zugunsten des nationalen Zuständigkeitsrechts.301 Die inter300 301

Teil 1 B. I. 1. b) (2); Teil 1 A. II.; Teil 1 C. I. 6. Art. 14 EuUntVO, Art. 19 EuErbVO, Art. 19 EuGüVO und Art. 19 EuPartVO.

C. Rechtsverweigerung bei Unzumutbarkeit des drittstaatlichen Verfahrens

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nationale Zuständigkeit eines mitgliedstaatlichen Gerichts für solche Maßnahmen kann sich daher entweder aufgrund des Zuständigkeitsrechts der hier interessierenden Verordnungen oder aufgrund eines nationalen Gerichtsstands der lex fori ergeben.302 Ein Rückgriff auf eine europäische Notzuständigkeit ist daher regelmäßig nicht erforderlich. Nur sofern nach dem nationalen Zuständigkeitsrecht des Mitgliedstaates kein Gerichtsstand für einstweilige Maßnahmen besteht,303 kommt eine europäische Notzuständigkeit in Betracht. Diese kann eröffnet werden, wenn dem Kläger durch den Verweis auf die Inanspruchnahme eines drittstaatlichen Verfahrens für solche provisorischen Maßnahmen Rechtsverweigerung zu widerfahren droht. Dies ist nur der Fall, wenn die provisorischen Maßnahmen nicht rechtzeitig im Mitgliedstaat die begehrte Sicherungswirkung entfalten können. Nur dann ist ein Verfahren unzumutbar und nur dann besteht die Möglichkeit eines mitgliedstaatlichen Gerichts mittels der Notzuständigkeit einstweilig sichernde Maßnahmen anzuordnen.

IX. Faktischer Ausschluss der Rechtsverfolgung aufgrund sonstiger Umstände Dass die Unzumutbarkeit der Verfahrensführung in einem Drittstaat faktische Erschwernisse und Hindernisse grundsätzlich nicht erfasst, sondern von diesen abzugrenzen ist, wurde bereits im Rahmen der allgemeinen Ausführungen zur Unzumutbarkeit erläutert.304 Dies ist auch in den meisten untersuchten Rechtsordnungen der grundsätzliche Konsens in Literatur und Rechtsprechung.305 Da jedes Verfahren im Ausland gegenüber einem Verfahren im Inland mit Erschwernissen und Schwierigkeiten einhergeht, würde ein gegenteiliges Verständnis die Notzuständigkeit uferlos ausweiten und die Abgrenzung der internationalen Entscheidungszuständigkeit untergraben. Dennoch zeigt eine genauere Analyse der untersuchten nationalen Rechtsordnungen, dass faktische Schwierigkeiten und Hindernisse der Verfahrensführung im Ausland ausnahmsweise die Gefahr einer drohenden Rechtsverweigerung begründen können. Mehrere Entscheidungen nationaler Gerichte

302

Wurmnest, in: BeckOGK, Stand 1.11.2019, Art. 14 EuUntVO Rn. 26. Aus deutscher Sicht dies dies insbesondere der Gerichtsstand des Vermögens nach §§ 105 FamFG, 50 Abs. 1, 232 Ans. 3 S. 1 FamFG i.V.m.§ 23 ZPO und die Eilgerichtsstände nach §§ 105, 50 Abs. 2 FamFG. Für Erbstreitigkeiten kommt im Rahmen des Art. 19 EuErbVO auch der Vermögensgerichtsstand nach §§ 919, 937 Abs. 1 ZPO i.V.m § 23 ZPO und der Eilgerichtsstand nach § 942 Abs. 1 ZPO in Betracht. 304 Siehe Teil 2 C. 305 Teil 1 A. I. 2. b) (3); Teil 1 B. I. 1. b) (1); Teil 1 C. I. 10. In der Schweiz ist dies wohl implizit auch damit angesprochen, wenn festgestellt wird, dass es nicht ausreicht, wenn ein Verfahren in der Schweiz angenehmer für den Kläger ist; Schweiz: Teil 1 D. I. 2. 303

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2. Teil: Grundstrukturen einer europäischen Notzuständigkeit

belegen, dass einem Kläger auch Rechtsverweigerung droht, wenn die Hindernisse und Erschwernisse der Verfahrensführung im Ausland ein solches Ausmaß annehmen, dass sie die Rechtsverfolgung faktisch ausschließen.306 Auch im Rahmen der europäischen Notzuständigkeiten muss in solchen Fällen ausnahmsweise von der Unzumutbarkeit eines Verfahrens in einem Drittstaat ausgegangen werden: Ist die Rechtsverfolgung in einem Drittstaat faktisch ausgeschlossen, kommt der Verweis auf das theoretisch mögliche Verfahren einer Nichtverhandlung des Rechtsschutzbegehrens gleich. Es ist daher erforderlich, zwischen noch zumutbaren Hindernissen und Schwierigkeiten der Rechtsverfolgung im Drittstaat einerseits und dem faktischen Ausschluss der Rechtsverfolgung andererseits zu differenzieren. Diese Differenzierung muss das erkennende Gericht eines Mitgliedstaates anhand einer Wertungsentscheidung treffen. Dieses muss bewerten, ob die vorgetragenen Tatsachen im Einzelfall die Rechtsverfolgung im Drittstaat faktisch ausschließen. Einige mögliche Abgrenzungskriterien können der Rechtsprechung zu den untersuchten nationalen Rechtsordnungen entnommen werden. Zunächst lässt sich anhand der Rechtsprechung des OGH zum österreichischen Recht der Schluss ziehen, dass eine Notzuständigkeit dann zu eröffnen ist, wenn objektive Hindernisse es ausschließen, dass das Verfahren im Drittstaat eingeleitet wird. Dies kann verschiedenen Gründen geschuldet sein, wie etwa dem Umstand, dass die Klage dem Beklagten nicht zugestellt wird oder werden kann.307 Ein derartiges Hindernis schließt es aus, dass das Verfahren zum Abschluss gebracht wird und der Kläger eine Entscheidung in der Sache erhält. Wenn folglich das Rechtsschutzbegehren des Klägers nicht in der Sache befriedigt werden kann, droht dem Kläger Rechtsverweigerung zu widerfahren. Eine europäische Notzuständigkeit kommt daher immer dann in Betracht, wenn faktische Hindernisse und Erschwernisse im Drittstaat es ausschließen, dass dort ein Verfahren eingeleitet und zum Abschluss gebracht werden kann. Schwieriger gestaltet sich die Abgrenzung allerdings bei subjektiven Hindernissen und Erschwernissen, die dem persönlichen Lebensbereich des Klägers entspringen. Zu solchen Hindernissen sind etwa Sprachhürden, eine größere Reiseentfernung, oder die Unfähigkeit der Verhandlung im Drittstaat persönlich beizuwohnen, zu zählen. Während das deutsche und österreichische Recht diese Hindernisse als zumutbar erachtet,308 gibt es in Frankreich verschiedene Autoren, die die Annahme einer Unzumutbarkeit befür-

306

Teil 1 A. I. 2. b) (3); Teil 1 B. I. 1. b) (1); Teil 1 C. I. 10. Siehe Österreich Teil 1 C. I. 10.: In diesem Fall haben die an sich zuständigen Gerichte nach mehr als 3,5 Jahren die Klage noch immer nicht zugestellt. 308 Teil 1 A. I. 2. b) (3); Teil 1 C. I. 10. 307

C. Rechtsverweigerung bei Unzumutbarkeit des drittstaatlichen Verfahrens

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worten.309 Für die europäische Notzuständigkeit sollten diese Hindernisse jedoch grundsätzlich ebenfalls als zumutbar erachtet werden. Auch im Falle subjektiver Schwierigkeiten muss ein objektiver Maßstab bei der Beurteilung der Zumutbarkeit angelegt werden. Dass ein Kläger aufgrund derartiger Hindernisse ein Verfahren im Drittstaat als unzumutbar empfindet, kann noch nicht ausreichen, um eine europäische Notzuständigkeit zu begründen. Denn diese Erschwernisse entstehen bei jedem Distanzprozess und schließen die Rechtsdurchsetzung nicht aus: Sprachprobleme können durch Heranziehen eines Dolmetschers und eventuell eines zusätzlichen Rechtsbeistandes behoben werden. Auch die Reisentfernung ist überbrückbar, selbst wenn hierdurch Mehrkosten entstehen.310 Ebenfalls ist es nicht ersichtlich, weshalb die Tatsache, dass der Kläger dem Verfahren nicht persönlich beiwohnen kann, die Rechtsdurchsetzung im Ausland per se ausschließen soll. Sofern diese nicht dringend erforderlich ist, kann auch ein Prozessbevollmächtigter im Drittstaat das Verfahren führen. Eine andere Beurteilung ist dann angebracht, wenn Leib und Leben oder die persönliche Freiheit des Klägers im Drittstaat konkret gefährdet sind. In einem solchen Fall ist die Rechtsverfolgung in diesem Drittstaat für den Kläger faktisch ausgeschlossen, weil nicht erwartet werden kann, dass er sich einer solchen Gefahr aussetzt.311 So wäre etwa für eine Klägerin ein Verfahren in ihrem afrikanischen Heimatstaat unzumutbar, wenn ihr notwendiges persönliches Erscheinen in diesem Forum sie der konkreten Gefahr einer weiblichen Beschneidung aussetzen würde.312 Der Verweis eines mitgliedstaatlichen Gerichtes auf dieses Verfahren im Drittstaat würde einer Nichtverhandlung des Rechtsschutzbegehrens der Klägerin gleichkommen. Denn die Klägerin würde aus verständlichen und objektivierbaren Gründen das Verfahren nicht in Anspruch nehmen. Sofern ein ausreichender Bezug zum Forumstaat besteht, erfordert die drohende Rechtsverweigerung eine europäische Notzuständigkeit. Letztlich erweist sich das Aufstellen einheitlicher abstrakter Maßstäbe für die notwendige Wertungsentscheidung des erkennenden Gerichts als schwierig. Es kommt stets auf die konkreten Umstände des Einzelfalls an. Notwendig ist, dass der Kläger aufgrund objektiv nachvollziehbarer Gründe davon abgehalten ist, ein Verfahren im Drittstaat in Anspruch zu nehmen.

309

Frankreich: Teil 1 B. I. 1. b) (1). Die Mehrkosten sind grundsätzlich ebenfalls zumutbar, vgl. Teil 2 C. IV. 311 Vgl. etwa auch die Unzumutbarkeit bei politischer Verfolgung im Drittstaat Teil 2 C. 310

III. 312

Panopoulos, in: Pamboukis, ESR Commentary, Art. 11 ESR Rn. 8.

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2. Teil: Grundstrukturen einer europäischen Notzuständigkeit

D. Der enge Bezug zum Drittstaat – Der Prüfungsumfang Die Regelungen der europäischen Notzuständigkeiten fordern, dass ein Verfahren in dem Drittstaat unmöglich oder unzumutbar ist, zu dem der Rechtsstreit einen engen Bezug aufweist, Artt. 7 EuUntVO, 11 EuErbVO, 11 EuGüVO und 11 EuPartVO.313 Dass nur Drittstaaten mit einem engen Bezug zum Rechtsstreit zu berücksichtigen sind, schränkt den Prüfungsumfang des mitgliedstaatlichen Gerichts ein: Es müssen nicht alle drittstaatlichen Foren der Welt auf die Möglichkeit und die Zumutbarkeit eines Verfahrens überprüft werden. Es reicht aus, dass diese Voraussetzungen in solchen Foren erfüllt sind, zu denen ein enger Bezug besteht.314 Eine solche Einschränkung des Prüfungsumfangs ist auch in den meisten untersuchten nationalen Rechtsordnungen zu finden.315

I. Die nationale Anerkennungszuständigkeit als Maßstab Fraglich ist jedoch, welche Anforderungen an den „engen Bezug“ zu stellen sind. Aus dem Sinn und Zweck dieser Einschränkung des Prüfungsumfanges ergibt sich, dass sich der „enge Bezug“ nicht nach drittstaatlichem Verfahrensrecht bestimmt.316 Denn in diesem Fall müsste ein Gericht eines Mitgliedstaates wieder allumfassend prüfen, welcher Drittstaat einen engen Bezug anerkennt. Vielmehr sind die Merkmale dieser Begriffe autonom zu bestimmen.317 Die Literatur will einen „engen Bezug“ vor allem dann annehmen, wenn die Spiegelung der Regelungen über die internationalen Entscheidungszuständigkeiten der entsprechenden Verordnungen zu einer Zuständigkeit des drittstaatlichen Forums führt.318 Darüber hinaus sollen, je nach Ver313

Zum Begriff des Drittstaates siehe Teil 2 A. Andrae, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 7 EG-UntVO Rn. 8; Bittmann, in: Gebauer/Wiedmann, EuropZivilR (EuUntVO), Kap. 36 Rn. 53; Lipp, in: MüKo FamFG, Art. 7 EuUntVO Rn. 4; Looschelders, in: MüKo BGB, Art. 11 EuGüVO Rn. 7; Panopoulos, in: Pamboukis, ESR Commentary, Art. 11 ESR Rn. 7; Rauscher, in: MüKo FamFG, Art. 11 EuErbVO Rn. 3; Reuß, in: Geimer/Schütze, Int. Rechtsverkehr, Art. 7 EuUntVO Rn. 5; Schmidt, in: BeckOGK, Stand 1.5.2020, Art. 11 EuErbVO Rn. 9. 315 Teil 1 A. VI.; Teil 1 C. IV.; Teil 1 D. III. 316 Wurmnest, in: BeckOGK, Stand 1.11.2019, Art. 7 EuUntVO Rn. 12. 317 Andrae, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 7 EG-UntVO Rn. 8; Mayer, in: MüKo FamFG, Art. 11 EuGüVO Rn. 5; Wurmnest, in: BeckOGK, Stand 1.11.2019, Art. 7 EuUntVO Rn. 12. 318 Vgl. Andrae, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 7 EG-UntVO Rn. 8; Bittmann, in: Gebauer/Wiedmann, EuropZivilR (EuUntVO), Kap. 36 Rn. 53; Lipp, in: MüKo FamFG, Art. 7 EuUntVO Rn. 5; Looschelders, in: MüKo BGB, Art. 11 EuGüVO Rn. 7; Panopoulos, in: Pamboukis, ESR Commentary, Art. 11 ESR Rn. 7; Rauscher, in: MüKo FamFG, Art. 11 EuErbVO Rn. 3; Reuß, in: Geimer/Schütze, Int. Rechtsverkehr, Art. 7 EuUntVO 314

D. Der enge Bezug zum Drittstaat – Der Prüfungsumfang

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ordnung, auch weitere Faktoren einen engen Bezug vermitteln können: So sollen aufgrund der Verbindung der EuUntVO mit dem HUÜ 2007 dessen Anerkennungszuständigkeiten ebenfalls einen engen Bezug vermitteln können.319 Dies kann jedoch nur zum Teil überzeugen. Eine sinnvolle Einschränkung des Prüfungsumfangs lässt sich nur dann erreichen, wenn sich die Prüfung auf alle Drittstaaten erstreckt, die aus Sicht des jeweiligen Mitgliedstaates anerkennungszuständig sind. Hierdurch werden alle Drittstaaten bei der Prüfung der Möglichkeit und Zumutbarkeit eines Verfahrens berücksichtigt, deren Entscheidungen grundsätzlich anerkannt werden könnten. Dass es gerade auf die grundsätzliche Anerkennungsmöglichkeit ankommt, ergibt sich aus der Tatsache, dass Anerkennungslücken bereits die Gefahr einer drohenden Rechtsverweigerung begründen.320 Aus Sicht des jeweiligen Mitgliedstaates ist ein Verfahren in einem anerkennungsunzuständigen Drittstaat demzufolge von vorneherein nicht geeignet, das Rechtsschutzbegehren des Klägers in der Sache zu entscheiden. Dem Kläger droht auch mit dieser Entscheidung Rechtsverweigerung zu widerfahren, wenn er die Anerkennung der Entscheidung begehrt.321 Für die Beurteilung der Notwendigkeit einer Notzuständigkeit ist es daher unerheblich, ob ein Verfahren in einem Drittstaat ansonsten möglich oder zumutbar ist, der aus Sicht des jeweiligen Mitgliedstaates nicht anerkennungszuständig ist. Auch an dieser Stelle wird der Zusammenhang zwischen Anerkennung und Notzuständigkeit sichtbar. Justizgewährung ist das Zusammenspiel von Anerkennung fremder Entscheidungen und eigener Erkenntnis. Wenn sowohl die eigene Erkenntnis als auch Anerkennung einer fremden Entscheidung nicht in Betracht kommen, droht dem Kläger Rechtsverweigerung. Es ist daher die Anerkennungszuständigkeit, die zur Bestimmung des „engen Bezuges“ maßgeblich ist.322 Um eine europäische Notzuständigkeit zu eröffnen, ist es daher notwendig, dass ein Verfahren in allen anerkennungszuständigen Drittstaaten unmöglich oder unzumutbar ist.

Rn. 5; Schmidt, in: BeckOGK, Stand 1.5.2020, Art. 11 EuErbVO Rn. 10; Traar, in: Mondel/Nademleinsky, EuErbVO, Art. 11 EuErbVO Rn. 3; Wall, in: Geimer/Schütze, Int. Rechtsverkehr, Art. 11 EuErbVO Rn. 10 ff.; Wurmnest, in: BeckOGK, Stand 1.11.2019, Art. 7 EuUntVO Rn. 12. So auch zu Art. 26 EuGVO-E Bidell, Die Erstreckung der Zuständigkeiten der EuGVO auf Drittstaatensacherhalte, 194 f. und 297. 319 Wurmnest, in: BeckOGK, Stand 1.11.2019, Art. 7 EuUntVO Rn. 12. 320 Vgl. Teil 2 C. V. 321 Vgl. Teil 2 C. V. 322 Die Maßgeblichkeit der anerkennungszuständigen ausländischen Staaten für die Beurteilung der Möglichkeit und Zumutbarkeit eines Verfahrens im Ausland findet sich auch in den meisten untersuchten Rechtsordnungen, vgl. Teil 1 A. VI.; Teil 1 C. IV; Teil 1 D. III.

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2. Teil: Grundstrukturen einer europäischen Notzuständigkeit

II. Bestimmung der Anerkennungszuständigkeit Die Anerkennung drittstaatlicher Entscheidungen ist grundsätzlich nicht von den hier interessierenden Verordnungen erfasst und vollzieht sich daher anhand des nationalen Anerkennungsrechts.323 Für die Bestimmung des „engen Bezuges“ zum Drittstaat kommt es daher auf die nationalen Anerkennungszuständigkeiten an. Den genauen Maßstab für die Anerkennungszuständigkeit liefert diese Feststellung indes nicht. Vielmehr stellen sich weitere Fragen: Wonach richtet sich die Anerkennungszuständigkeit in den Rechtsordnungen, die wie das deutsche und das österreichische Recht die Anerkennungszuständigkeit anhand der Spiegelung der Vorschriften über die Entscheidungszuständigkeiten bestimmen?324 Sind für diese Spiegelung die Entscheidungszuständigkeiten der europäischen Verordnungen oder die internationalen Gerichtsstände des nationalen Rechts maßgeblich?325 Im ersten Fall würde folglich, wie von Teilen der Literatur vertreten, die Spiegelung der Entscheidungszuständigkeiten der jeweils anwendbaren Verordnung einen engen Bezug vermitteln.326 Sofern es bei der Spiegelung der nationalen Entscheidungszuständigkeiten verbleibt, stellt sich die Frage, ob auch die Entscheidungszuständigkeiten der hier interessierenden Verordnungen für die Bestimmung der Anerkennungszuständigkeit herangezogen werden können. Diese zweite Frage tangiert darüber hinaus auch Rechtsordnungen, die die Anerkennungszuständigkeit nicht anhand der Spiegelung der Entscheidungszuständigkeiten bestimmen. Das betrifft etwa Frankreich, wo der Entscheidung Simitch zufolge diejenigen Staaten anerkennungszuständig sind, zu denen der Rechtsstreit

323

Vgl. Teil 2 C. V. 3. In Bezug auf die EuErbVO Wall, in: Geimer/Schütze, Int. Rechtsverkehr, Art. 11 EuErbVO Rn. 24. 324 Vgl. Teil 1 A. VI; Teil 1 C. IV mit entsprechenden Nachweisen. 325 Diese Frage wird in Deutschland auch in Bezug auf die Zuständigkeiten der Brüssel Ia-VO diskutiert, die jedoch nicht abschließend ist und einen verbleibenden Raum für das nationale Zuständigkeitsrecht bereithält, vgl. nur Arroyo/Schmidt, IPRax 2009, 499, 500; Schärtl, IPRax 2006, 438 ff. 326 Vgl. Andrae, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 7 EG-UntVO Rn. 8; Bittmann, in: Gebauer/Wiedmann, EuropZivilR (EuUntVO), Kap. 36 Rn. 53; Lipp, in: MüKo FamFG, Art. 7 EuUntVO Rn. 5; Looschelders, in: MüKo BGB, Art. 11 EuGüVO Rn. 7; Panopoulos, in: Pamboukis, ESR Commentary, Art. 11 ESR Rn. 7; Reuß, in: Geimer/Schütze, Int. Rechtsverkehr, Art. 7 EuUntVO Rn. 5; Schmidt, in: BeckOGK, Stand 1.5.2020, Art. 11 EuErbVO Rn. 10; Traar, in: Mondel/Nademleinsky, EuErbVO, Art. 11 EuErbVO Rn. 3; Wall, in: Geimer/Schütze, Int. Rechtsverkehr, Art. 11 EuErbVO Rn. 10 ff.; Wurmnest, in: BeckOGK, Stand 1.11.2019, Art. 7 EuUntVO Rn. 12.

D. Der enge Bezug zum Drittstaat – Der Prüfungsumfang

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eine „charakteristische Beziehung“ aufweist.327 Diese Fragen sollen im Nachfolgenden für die hier interessierenden Verordnungen untersucht werden. 1. Spiegelung der nationalen Zuständigkeiten Zunächst ist festzuhalten, dass es im Rahmen der hier interessierenden Verordnungen grundsätzlich keinen verbleibenden Anwendungsbereich für die nationalen Entscheidungszuständigkeiten mehr gibt.328 Sämtliche nationalen Zuständigkeiten werden durch den Zuständigkeitskatalog der abschließenden europäischen Verordnungen verdrängt. Daher könnte man davon ausgehen, dass ausschließlich die Zuständigkeiten der europäischen Verordnungen spiegelbildlich die Anerkennungszuständigkeit begründen können. Dass dies jedoch problematisch ist, zeigt ein genauerer Blick auf die EuErbVO: Die zuständigkeitsrechtliche Grundregel dieser Verordnung ergibt sich aus Art. 4 EuErbVO und Art. 10 EuErbVO.329 Ohne Rechtswahl des Erblassers richtet sich die internationale Zuständigkeit nach seinem letzten gewöhnlichen Aufenthalt (Art. 4 EuErbVO) oder subsidiär nach der Nachlassbelegenheit (Art. 10 EuErbVO). Diese Zuständigkeitsvorschriften sind äußerst eng zugunsten einer Zuständigkeitskonzentration vor einem mitgliedstaatlichen Gericht ausgestaltet. Hierdurch soll ein mitgliedstaatliches Gericht grundsätzlich einheitlich über den gesamten Nachlass entscheiden können.330 Diese Zuständigkeitskonzentration im Rahmen der Entscheidungszuständigkeit lässt sich nicht ohne weiteres auf die Anerkennungszuständigkeit übertragen. Denn hierdurch würden auch die Anerkennungszuständigkeiten eng definiert, was die Möglichkeit der Anerkennung drittstaatlicher Entscheidungen zu stark begrenzen würde: Drittstaatliche Foren, die sich aufgrund anderer Anknüpfungsmomente für zuständig erklären – etwa Staatsangehörigkeit oder „domicile“ des Erblassers oder Wohnort des Be327 Cass. Civ. I, 6.2.1985, JDI (Clunet) 1985, S 460 mit Anmerkung Huet. Vgl. hierzu auch Audit/d’Avout, Droit international prive´, Rn. 526 ff.; Laugwitz, Die Anerkennung und Vollstreckung drittstaatlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, 50 f. und 146 f. 328 Erwägungsgrund 15 EuUntVO; Erwägungsgrund 30 EuErbVO; Erwägungsgrund 40 EuGüVO; Erwägungsgrund 39 EuPartVO; vgl. auch Andrae, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Einl. EG-UntVO Rn. 23, Vorbem. zu Art. 3 EG-UntVO Rn. 5; Dutta, in: MüKo BGB, Vorbemerkungen zu Art. 4 EuErbVO Rn. 28; Hertel, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Einleitung EuErbVO Rn. 29; Hau, Internationale Notzuständigkeit, Fs Kaissis, 359; Looschelders, in: MüKo BGB, Vor Art. 4 EuGüVO Rn. 3; Looschelders, in: MüKo BGB, Vor Art. 4 EuPartVO Rn. 3; Mayer, in: MüKo FamFG, Art. 11 EuGüVO Rn. 1. 329 Dutta, in: MüKo BGB, Vorbemerkungen zu Art. 4 EuErbVO Rn. 14. Vgl. auch Erwägungsgrund 27 und 37 EuErbVO. 330 Dutta, in: MüKo BGB, Vorbemerkungen zu Art. 4 EuErbVO Rn. 7, Art. 4 EuErbVO Rn. 12.

200

2. Teil: Grundstrukturen einer europäischen Notzuständigkeit

klagten –, wären im Falle der Spiegelung der Zuständigkeiten der EuErbVO aus Sicht Deutschlands und Österreichs nicht anerkennungszuständig, wenn nicht gleichzeitig ein Anknüpfungsmoment der EuErbVO in diesem Staat erfüllt ist. Drittstaatliche Entscheidungen könnten daher in diesem Fall nicht anerkannt werden. Dass die EuErbVO eine solch enge Definition der Anerkennungszuständigkeit und damit eine Zuständigkeitskonzentration auch bei drittstaatlichen Gerichten anstrebt, kann dieser jedoch nicht entnommen werden. Tatsächlich richtet sich der abschließende Zuständigkeitskatalog der Verordnung ausschließlich an die Entscheidungszuständigkeiten. Die Voraussetzungen der Anerkennung drittstaatlicher Entscheidungen werden gerade nicht durch die Verordnungen geregelt. Für die Anerkennungszuständigkeit müssen daher primär die nationalen Zuständigkeitsvorschriften maßgeblich sein. Diese Zuständigkeiten sind weiter als die der EuErbVO, da sie keine Zuständigkeitskonzentration vor den Gerichten eines Staates vorsehen. So sind etwa aus deutscher Sicht auch solche Drittstaaten anerkennungszuständig, in denen der Beklagte in einem streitigen Erbverfahren seinen Wohnsitz hatte, §§ 12, 13 ZPO. Nichts anderes kann für die Anerkennungszuständigkeiten im Anwendungsbereich der anderen hier untersuchten Verordnungen gelten. Auch diesen ist nicht zu entnehmen, dass sie abschließend auch die Anerkennungszuständigkeit gegenüber Drittstaaten regeln und konzentrieren wollen. Die Anerkennungszuständigkeit wird daher ebenfalls primär anhand der Spiegelung des nationalen Zuständigkeitsrechts bestimmt. 2. Berücksichtigung der europäischen internationalen Gerichtsstände Dass bei der Bestimmung der Anerkennungszuständigkeit primär die nationalen Zuständigkeitsregelungen für die Spiegelung heranzuziehen sind, bedingt jedoch nicht, dass die Entscheidungszuständigkeiten der untersuchten Verordnungen nicht berücksichtigt werden dürfen. Vielmehr durchdringen die hier untersuchten Verordnungen in ihrem Anwendungsbereich das nationale Recht der Mitgliedstaaten. Auch das nationale Recht, das nicht unmittelbar von den Verordnungen betroffen ist, wird insoweit von den Verordnungen angepasst oder verdrängt, als dies für die effektive Anwendung der Vorschriften der Verordnungen notwendig ist, effet utile.331 Die Zuständigkeitsregelungen der EuUntVO, EuErbVO, EuGüVO und EuPartVO können erst dann ihre volle Ausschließlichkeit entfalten, wenn diese auch im Rahmen der Anerkennungszuständigkeiten des nationalen Rechts Berücksichtigung 331 Vgl. auch die Ausführungen in Teil 2 B. II. 1. a) (2) zum Verdrängen nationaler Verfahrensvorschriften durch die Artt. 4 ff. EuErbVO, wenn das nationale Verfahrensrecht die effektive Durchsetzung der Zuständigkeitsvorschriften gefährdet.

D. Der enge Bezug zum Drittstaat – Der Prüfungsumfang

201

finden. Ansonsten könnten mitgliedstaatliche Gerichte die Anerkennung einer Entscheidung eines Drittstaates mit der Begründung ablehnen, dass das nationale Anerkennungsrecht diesen Drittstaat für unzuständig hält, obgleich aus Sicht einer der hier untersuchten Verordnungen die Zuständigkeitsanknüpfung in eben diesem Drittstaat erfüllt ist (Spiegelung der Zuständigkeitsvorschriften). Ein solches paradoxes Vorgehen würde den Kläger rechtsschutzlos stellen: Den Kläger erst in einen Drittstaat zu verweisen, nur um ihm anschließend zu eröffnen, dass die dort erhaltene Entscheidung aufgrund der indirekten Unzuständigkeit dieses Staates nicht anerkannt werden kann, setzt ihn letztlich einer Rechtsverweigerung in Form einer Anerkennungslücke aus.332 Um diese zu verhindern, ist auch an dieser Stelle eine Anpassung der nationalen Vorschriften der Anerkennungszuständigkeiten geboten. Die Mitgliedstaaten sind daher verpflichtet, die internationalen Gerichtsstände der hier untersuchten Verordnungen bei der Bestimmung der Anerkennungszuständigkeit zu berücksichtigen. Ein Drittstaat ist also auch nach dem nationalen Anerkennungsrecht indirekt zuständig, wenn die Spiegelung der europäischen Zuständigkeitsvorschriften eine Zuständigkeit dieses Drittstaates ergibt. Für die Bestimmung der Anerkennungszuständigkeit zeigt sich daher folgendes Bild: Primär richtet sich diese nach nationalen Vorschriften. Kommen diese zu dem Ergebnis, dass aus Sicht des mitgliedstaatlichen Anerkennungsstaates der Urteilsstaat indirekt unzuständig war, müssen die Entscheidungszuständigkeiten der Verordnungen durch eine Spiegelung berücksichtigt werden. Es besteht daher insoweit ein Nebeneinander der nationalen und europäischen Zuständigkeitsvorschriften. Dies gilt insbesondere auch dann, wenn die Anerkennungszuständigkeit nicht im Rahmen der Spiegelung der nationalen Entscheidungszuständigkeiten bestimmt wird, wie etwa in Frankreich.

III. Folgerung für die Bestimmung des engen Bezuges Für die hier eigentliche interessierende Frage, wann ein enger Bezug vorliegt, bedeuten diese Feststellungen Folgendes: Ein enger Bezug besteht zu den Drittstaaten, die aus Sicht des nationalen Anerkennungsrechts anerkennungszuständig sind. Die Anerkennungszuständigkeit ergibt sich dabei zunächst aus den nationalen Zuständigkeitsvorschriften. Darüber hinaus erfordert die effektive Anwendung der hier untersuchten Verordnungen, dass auch die Entscheidungszuständigkeiten der Verordnungen die Anerkennungszuständigkeit eines Drittstaates begründen können. Daher vermittelt auch die Spiegelung der internationalen Entscheidungszuständigkeiten der

332

Zur Ursache der Rechtsverweigerung bei Anerkennungslücken siehe Teil 2 C. V. 1.

202

2. Teil: Grundstrukturen einer europäischen Notzuständigkeit

EuUntVO, EuErbVO, EuGüVO und EuPartVO einen engen Bezug. Ergeben sich darüber hinaus weitere Anerkennungszuständigkeiten aus internationalen Übereinkommen, wie dem HUÜ 2007, vermitteln auch diese einen engen Bezug.333 Bei der Prüfung der Möglichkeit und Zumutbarkeit eines Verfahrens muss ein mitgliedstaatliches Gericht alle Staaten berücksichtigen, deren Entscheidungen grundsätzlich im Forumstaat anerkannt werden können.

E. Sachlich notwendige Zuständigkeit des Forums In den untersuchten Rechtsordnungen finden sich zuletzt auch Fallgruppen einer Notzuständigkeit, die sich auf den ersten Blick mit einer drohenden Rechtsverweigerung erklären lassen, deren Ursache jedoch bei genauerer Betrachtung eine etwas andere ist.334 Hierbei handelt es sich in allen untersuchten Rechtsordnungen um Fallgestaltungen, in denen sich das eigene Forum aufgrund der Natur des geltend gemachten Rechtsschutzbegehrens stets für zuständig hält. Ist für den betreffenden Rechtsstreit keine Zuständigkeitsanknüpfung erfüllt, wird diese Notwendigkeit, das Rechtsschutzbegehren im jeweiligen Inland zu verhandeln, zum Anlass genommen, eine Notzuständigkeit zu eröffnen. Formal wurden diese Notzuständigkeiten allerdings oftmals mit einer dem Kläger drohenden Rechtsverweigerung begründet.335 Für die Zwecke dieser Untersuchung stellt sich daher die Frage, ob der Grund für die Notzuständigkeit in diesen Fällen tatsächlich eine dem Kläger drohende Rechtsverweigerung ist.

I. Keine eigene Ursache einer drohenden Rechtsverweigerung Bei genauerer Betrachtung wird jedoch deutlich, dass die drohende Rechtsverweigerung nicht die eigentliche Ursache der Notzuständigkeit ist. Die Notzuständigkeit wird eröffnet, weil der Verfahrensgegenstand die Erhältlichkeit eines inländischen Rechtsschutzes verlangt, selbst wenn eine sonstige ordentliche Zuständigkeitsanknüpfung nicht greift. Deshalb wurden in den oben untersuchten Rechtsordnungen Zuständigkeiten eröffnet, wenn der Verfahrensgegenstand unmittelbar die Ausübung von Hoheitsakten betraf,336 oder weil der Verfahrensgegenstand die unmittelbare Wirkung der Entschei-

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Wurmnest, in: BeckOGK, Stand 1.11.2019, Art. 7 EuUntVO Rn. 12. Teil 1 A. V.; Teil 1 B. III.; Teil 1 C. III.; Teil 1 D. II. 335 So vor allem in Deutschland Teil 1 A. V.; Österreich Teil 1 C. III. und der Schweiz Teil 1 D. II. 336 Teil 1 A. V.; Teil 1 B. III.; Teil 1 C. III.; Teil 1 D. II. 334

E. Sachlich notwendige Zuständigkeit des Forums

203

dung im inländischen Rechtsverkehr erforderte.337 So kann etwa nur ein Gericht im Vollstreckungsstaat Anordnungen über deren Einstellung treffen,338 oder nur ein Gericht in dem registerführenden Staat Eintragungen oder Änderungen anordnen.339 Bei der sachlich notwendigen Zuständigkeit des Forumstaates handelt es sich daher um eine Art international ausschließlicher Zuständigkeit des Forumstaates: Über bestimmte Verfahrensgegenstände können ausschließlich die eigenen Gerichte entscheiden. In der Tat ist es diese Ausschließlichkeit, die gerade im französischen Recht die Zuständigkeit der eigenen Gerichte für Verfahren begründet, die unmittelbar einen Akt französischer öffentlicher Gewalt betreffen.340 Auch die von der deutschen Rechtsprechung entschiedenen Fälle deuten auf die Ausschließlichkeit der eigenen Zuständigkeit hin, die die außerordentliche Zuständigkeit erforderlich machte.341 Zuletzt argumentiert Garber für das österreichische Recht für ein solches Verständnis.342 Und dennoch spielt auch der Gedanke der Rechtsverweigerung bei dieser sachlich notwendigen ausschließlichen Zuständigkeit eine Rolle: Muss eine Notzuständigkeit aufgrund des besonderen Verfahrensgegenstands eröffnet werden, weil nur ein Gericht im jeweiligen Inland über diesen entscheiden kann, heißt das im Umkehrschluss, dass einem Kläger immer dann Rechtsverweigerung zu widerfahren droht, wenn sich ein solches Gericht nicht finden lässt. Dass es eben auch in diesen Konstellationen zur Rechtsverweigerung kommt, zeigen die oben dargestellten Entscheidungen des Bundesgerichts343 und des OGH.344 Ursache der Rechtsverweigerung war in diesen Fällen, dass das Verfahren im Ausland nicht durchgeführt werden konnte und der erforderliche Rechtsschutz im Drittstaat daher nicht zu erhalten war bzw. die Entscheidung des ausländischen Forums im Inland nicht anerkannt werden konnte: Das Bundesgericht sah das Verfahren im Ausland als unmöglich an, weil die begehrte gerichtliche Entscheidung (Einstellung der Zwangsvollstreckung) aufgrund der fehlenden Gerichtsbarkeit im Ausland nicht zu erhalten gewesen wäre.345 Der OGH sah das ausländische Verfahren als unzumutbar an, weil eine dortige Entscheidung im Inland aufgrund der 337

Teil 1 A. V. So der Schluss aus der Entscheidung BGH, 12.10.1989 – VII ZR 339/88, BGHZ 109, 29, 33 f. 338 Teil 1 D. II. 339 Teil 1 B. III.; Teil 1 C. III. 340 Teil 1 B. III. 341 Teil 1 A. V.; kritisch: Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 737. 342 Garber, in: Fasching/Konecny, § 28 JN Rn. 87 ff., insbesondere Rn 96. 343 BGer, 15.12.2005 – 5C.264/2004, BGE 132 III 277, Die Praxis 2007, Nr. 10, 55 ff. = SZZP 2006, 245 ff. mit Anmerkung Berti, 248; Teil 1 D. II. 344 OGH, 2.11.1998 – 1 Nd 16/98; OGH, 26.11.2003 – 1 Nc 73/03 f.; Teil 1 C. III. 345 Teil 1 D. II.

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2. Teil: Grundstrukturen einer europäischen Notzuständigkeit

fehlenden Gerichtsbarkeit des Auslands nicht hätte anerkannt werden können.346

II. Bedeutung der sachlich notwendigen Zuständigkeit für die europäische Notzuständigkeit Diese Feststellung hat auch Auswirkungen auf die europäischen Notzuständigkeiten: Muss nach Ansicht eines Mitgliedstaates ein bestimmter Verfahrensgegenstand notwendigerweise vor den eigenen Gerichten verhandelt werden, rechtfertigt diese Notwendigkeit nur im Falle der drohenden Rechtsverweigerung eine Notzuständigkeit. Die Gefahr der drohenden Rechtsverweigerung ergibt sich jedoch regelmäßig aus den eben dargestellten Gründen der Unmöglichkeit und Unzumutbarkeit eines Verfahrens in einem Drittstaat. Eine Notzuständigkeit muss deshalb eröffnet werden, wenn die Drittstaaten, zu denen ein enger Bezug besteht, keine Zuständigkeit eröffnen oder eine Sachentscheidung aus prozessualen Gründen verweigern.347 Vor allem ist es aber möglich, dass die Entscheidung eines Drittstaates aufgrund der fehlenden Gerichtsbarkeit über den Verfahrensgegenstand im mitgliedstaatlichen Forumstaat nicht anerkannt werden kann. Zu beachten ist jedoch auch hier, dass Rechtsverweigerung nur im Verhältnis zu Drittstaaten auftreten kann. Sofern die Zuständigkeitszuweisung der hier interessierenden Verordnungen auch Verfahren betreffen, die nach Ansicht eines Mitgliedstaates nur vor eigenen Gerichten durchgeführt werden können, darf dieser Mitgliedstaat nicht mittels einer Notzuständigkeit die eigenen Gerichte für zuständig erklären, wenn ein anderer Mitgliedstaat aufgrund der Verordnungen international zuständig ist. Dieser andere Mitgliedstaat muss das entsprechende Verfahren durchführen und kann die Entscheidung nicht als wesensfremd ablehnen. Gleichzeitig besteht auch die Pflicht des ersten Mitgliedstaates, diese Entscheidung anzuerkennen.348 Auch dies ergibt sich aus dem effet utile, da nur so eine effektive Anwendung der Zuständigkeitsvorschriften des Unionsrechts gewährleistet werden kann. Dass es im Anwendungsbereich der untersuchten Verordnungen zu solchen Konstellationen kommt, ist jedoch nicht besonders wahrscheinlich. Die Anwendungsbereiche der hier interessierenden Verordnungen erfassen grundsätzlich keine Rechtsgebiete, in denen die Ausübung von Hoheitsrechten unmittelbar Gegenstand eines Verfahrens ist. Dies zeigt sich etwa bei Verfahren, die in Register eingetragene Vermögensrechte betreffen. Gerade

346

Teil 1 C. III. Vgl. Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, 737. 348 Vgl. hierzu das ähnliche Problem in Bezug auf die Einantwortung nach österreichischem Recht durch ein mitgliedstaatliches Gericht Teil 2. B. II. 1) a) (2). 347

F. Das Prinzip des Forumsbezugs: Der ausreichende Bezug zum Mitgliedstaat 205

in Frankreich und Österreich wird für solche Verfahren die eigene internationale Zuständigkeit stets für sachlich notwendig gehalten.349 Für die europäischen Notzuständigkeiten spielen diese jedoch keine Rolle, da Registerverfahren nach Art. 1 Abs. 2 lit. l) EuErbVO, Art. 1 Abs. 2 lit. h) EuGüVO und Art. 1 Abs. 2 lit. h) EuPartVO vom sachlichen Anwendungsbereich der jeweiligen Verordnungen ausgeschlossen sind. Die Zuständigkeit für Registerverfahren ergibt sich daher weiterhin aus dem nationalen Zuständigkeitsrecht.350

F. Das Prinzip des Forumsbezugs: Der ausreichende Bezug zum Mitgliedstaat Nach dem übereinstimmenden Wortlaut des Uabs. 2 der Artt. 7 EuUntVO, 11 EuErbVO, 11 EuGüVO und 11 EuPartVO setzt die Eröffnung einer Notzuständigkeit vor einem mitgliedstaatlichen Gericht neben einer dem Kläger drohenden Rechtsverweigerung voraus, dass der Rechtsstreit zu eben diesem Mitgliedstaat einen ausreichenden Bezug aufweist. Mitgliedstaatliche Gerichte sind demnach nicht verpflichtet, für jede weltweit drohende Rechtsverweigerung eine europäische Notzuständigkeit zu eröffnen. Wie auch in den nationalen Rechtsordnungen351 stellt diese Tatbestandsvoraussetzung sicher, dass eine europäische Notzuständigkeit nicht exorbitant ausgedehnt wird. Dies verhindert zunächst einen Missbrauch des forum necessitatis zu Zwecken des klägerischen forum shoppings.352 Das Prinzip des Forumsbezuges schützt demnach die Interessen des Beklagten. Er wird vor einer unkontrollierten und willkürlichen Inanspruchnahme durch den Kläger geschützt.353 Darüber hinaus begrenzt die einschränkende Wirkung des Prinzips des Forumsbezuges auch den Export europäischer Werte in drittstaatliche Rechtsordnungen.354 Diese Gefahr besteht, weil vom ordre public geschützte Werte und Rechtsvorstellungen des europäischen Forumstaates auch zuständigkeitsrechtlich durch die Notzuständigkeit geschützt sind.355 Die Begrenzung dieses Schutzes auf Fälle mit einem gewissen Forumsbezug 349

Vgl. Teil 1 C. III.; Teil 1 B. III. Erwägungsgrund 18 EuErbVO; Erwägungsgrund 27 EuGüVO und Erwägungsgrund 27 EuPartVO. 351 Vgl. Teil 1 A. VII.; Teil 1 B. I. 3.; Teil 1 C. V.; Teil 1 D. IV. 352 Buonaiuti, in: Calvo Caravaca/Davı`/Mansel, ESR Commentary, Art. 11 ESR Rn. 14, Wall, in: Geimer/Schütze, Int. Rechtsverkehr, Art. 11 EuErbVO Rn. 14. 353 Buonaiuti, in: Calvo Caravaca/Davı`/Mansel, ESR Commentary, Art. 11 ESR Rn. 14. 354 Ancel/Muir Watt, Rev. crit. DIP 2010, 457, 482. 355 Siehe Teil 2 C. VI. 1. 350

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2. Teil: Grundstrukturen einer europäischen Notzuständigkeit

verhindert, dass das Ergebnis drittstaatlicher Entscheidungen abstrakt auf ihre Vereinbarkeit mit europäischen Rechtsvorstellungen und Werten überprüft wird. Erst der ausreichende Forumsbezug macht das korrigierende Einschreiten eines mitgliedstaatlichen Gerichts erforderlich. Zuletzt bezweckt das Prinzip des Forumsbezuges die Wahrung einer geordneten Rechtspflege im Forumstaat.356 Das gerichtliche Verfahren soll nicht zum reinen Selbstzweck werden. Erst wenn ein Interesse an der Rechtspflege durch das Notforum besteht, soll eine Notzuständigkeit eröffnet werden. Dieses Erfordernis stellt die Sinnhaftigkeit einer auf der Notzuständigkeit gestützten Entscheidung sicher. Nur wenn die Entscheidung zu einem sinnvollen Ergebnis führt, etwa indem es die Grundlage für die Vollstreckung bilden kann, soll eine Notzuständigkeit eröffnet werden. Maßgeblich für die Eröffnung einer Notzuständigkeit ist daher ein lokalisierbares Rechtsschutzinteresse des Klägers in einem Mitgliedstaat.357 Dieses Rechtsschutzinteresse des Klägers wird mit dem Prinzip des Forumsbezuges umschrieben. Erst wenn ein solches zu Tage tritt, erfordert der Anspruch auf Justizgewährung die Eröffnung einer Notzuständigkeit. Das mit dem Forumsbezug umschriebene lokalisierbare Rechtsschutzinteresse des Klägers begrenzt den Anspruch auf Justizgewährung und dadurch die Letztverantwortlichkeit mitgliedstaatlicher Gerichte, Rechtsverweigerung zu verhindern.358 Diese Begrenzung des Anspruches auf Justizgewährung zur Wahrung einer geordneten Rechtspflege ist dabei grundsätzlich mit Art. 6 Abs. 1 EMRK vereinbar, solange die Einschränkung nicht unverhältnismäßig ist.359 Aus dem Erfordernis der Verhältnismäßigkeit wird jedoch klar, dass abstrakt keine besonders hohen Anforderungen an die Auslegung des ausreichenden Forumsbezuges gestellt werden können.360 Denn obgleich der klä-

356

Vgl. Teil 1 E. II. So auch EGMR (Große Kammer), 15. 3. 2018 – Nr. 51357/07 (Nait-Liman/Schweiz) ECLI:CE:ECHR:2018:0315JUD005135707 Rn. 118 ff. Ähnlich Bidell, Die Erstreckung der Zuständigkeiten der EuGVO auf Drittstaatensacherhalte, 227. 357 Bidell, Die Erstreckung der Zuständigkeiten der EuGVO auf Drittstaatensacherhalte, 186; Grolimund, Drittstaatenproblematik des europäischen Zivilverfahrensrechts, Rn. 697–699. 358 So auch Kropholler, in: Handbuch des IZVR I, Kap. III Rn. 57; Milleker, Der negative internationale Kompetenzkonflikt, 69. 359 EGMR, 21.6.16 – Nr. 51357/07 (Nait-Liman/Schweiz) ECLI:CE:ECHR:2016: 0621JUD005135707 Rn. 114. Bestätigt durch EGMR (Große Kammer), 15. 3. 2018 – Nr. 51357/07 (Nait-Liman/Schweiz) ECLI:CE:ECHR:2018:0315JUD005135707 Rn. 114 f. und 208 ff.; so auch Bidell, Die Erstreckung der Zuständigkeiten der EuGVO auf Drittstaatensacherhalte, 209 f.; siehe hiezru auch Teil 1 D. IV. 3. 360 Ähnlich Burandt, in: Burandt/Rojahn Art. 11 EuErbVO Rn. 2; Gitschthaler, in: Deixler-Hübner/Schauer, Art. 11 EuErbVO Rn. 8; Looschelders, in: MüKo BGB, Art. 11 EuGüVO Rn. 10; Mayer, in: MüKo FamFG, Art. 11 EuGüVO Rn. 6; Panopoulos, in: Pamboukis, ESR Commentary, Art. 11 ESR Rn. 10; Wall, in: Geimer/Schütze, Int.

F. Das Prinzip des Forumsbezugs: Der ausreichende Bezug zum Mitgliedstaat 207

gerische Anspruch auf Justizgewährung durch das Erfordernis eines ausreichenden Bezuges zum Forumstaat begrenzbar ist, darf hierdurch das Recht des Klägers, sein Rechtsschutzbegehren vor einem kompetenten Zivilgericht verhandeln zu lassen, nicht ausgehöhlt werden.361 Auch schwache Bezüge zum Forumstaat müssen daher grundsätzlich ausreichen, wenn diese ein Rechtsschutzinteresse des Klägers in diesem Mitgliedstaat begründen. Ob dies der Fall ist, hängt jedoch von den Umständen des Einzelfalles ab. Dabei kommt es insbesondere auf die Ursache der drohenden Rechtsverweigerung und das Rechtsschutzziel des Klägers an.362 Gerade diese Umstände definieren das Ausmaß des Rechtsschutzinteresses des Klägers. Die Feststellung des ausreichenden Forumsbezuges kann das erkennende Gericht eines Mitgliedstaates daher nur mit Hilfe eines Beurteilungsspielraums treffen.363 Nur so ist es möglich, eine im Einzelfall gerechte Entscheidung in Bezug auf die Eröffnung eines forum necessitatis zu treffen, die alle Umstände berücksichtigt. Dass den Gerichten dieser Spielraum eingeräumt wird, ist dabei auch vor dem Hintergrund des Anspruches auf Justizgewährung aus Art. 6 Abs. 1 EMRK nicht zu beanstanden.364 Vor diesem Hintergrund ist es jedoch nur begrenzt möglich, abstrakt die ausreichenden Forumsbezüge festzulegen. Hinzu kommt, dass die möglichen Forumsbezüge für die Notzuständigkeit von Verordnung zu Verordnung verschieden sind. Denn nur sofern Verbindungen keine reguläre Zuständigkeit begründen können, kommen sie für die Notzuständigkeit in Betracht.365 WelRechtsverkehr, Art. 11 EuErbVO Rn. 14; a.A.: Geimer, in: Zöller, ZPO, Anh. II H Rn. 3; schwächer Wurmnest, in: BeckOGK, Stand 1.11.2019, Art. 7 EuUntVO Rn. 21, wonach der Bezug nicht großzügig anzunehmen sei. Restriktiver auch Bidell, Die Erstreckung der Zuständigkeiten der EuGVO auf Drittstaatensacherhalte, 227 ff. und 296 f. in Bezug zu Art. 26 EuGVO, wonach ein bloßes Rechtsschutzinteresse nicht ausreicht und auch die Staatsangehörigkeit keinen ausreichenden Bezug darstellt. 361 EGMR, 21.6.16 – Nr. 51357/07 (Nait-Liman/Schweiz) ECLI:CE:ECHR:2016: 0621JUD005135707 Rn. 103; EGMR (Große Kammer), 15. 3. 2018 – Nr. 51357/07 (NaitLiman/Schweiz) ECLI:CE:ECHR:2018:0315JUD005135707 Rn. 114 a.E. 362 Solche Ansätze sind vor allem im deutschen Recht, Teil 1 A. VII., und vereinzelt in der schweizerischen Rechtsordnung, Teil 1 D. IV., zu finden. Gerade in der Schweiz ist dabei ein Ansatz zu finden, wonach die Anforderungen an den ausreichenden Bezug umso geringer werden sollen, je „krasser“ die drohende Rechtsverweigerung ist. Im Rahmen der europäischen Notzuständigkeiten kann dieser Ansatz aber nicht überzeugen. Rechtsverweigerung ist als schwerster Eingriff in die Rechte des Klägers nicht der Steigerung zugänglich. Da insoweit jede Rechtsverweigerung „krass“ ist, kann ein bewegliches System nicht funktionieren. 363 Rauscher, in: MüKo FamFG, Art. 11 EuErbVO Rn. 8. 364 EGMR (Große Kammer), 15. 3. 2018 – Nr. 51357/07 (Nait-Liman/Schweiz) ECLI:CE:ECHR:2018:0315JUD005135707 Rn. 116 ff. Das erkennende Gericht darf jedoch keine willkürliche Entscheidung treffen oder sachfremde Erwägungen einstellen. 365 Buonaiuti, in: Calvo Caravaca/Davı`/Mansel, ESR Commentary, Art. 11 ESR Rn. 13.

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2. Teil: Grundstrukturen einer europäischen Notzuständigkeit

che Verbindungen als ausreichender Forumsbezug angesehen werden können, hängt daher von den in den Verordnungen verwendeten Anknüpfungsmomenten der Zuständigkeit ab. Nichtsdestoweniger lassen sich Fallgruppen für die Beurteilung eines ausreichenden Forumsbezuges aufstellen. Als mögliche ausreichende Bezüge des Rechtsstreits oder der Sache zum Forumstaat kommen vier Verbindungen in Betracht: Die Wirkungsentfaltung und Vollstreckbarkeit der Entscheidung in dem Mitgliedstaat (1), die Belegenheit von Vermögen in dem Mitgliedstaat (2), persönliche Verbindungen der Beteiligten zu dem Mitgliedstaat (3) und die Anwendbarkeit des Rechts des Mitgliedstaates (4). Diese sollen im Nachfolgenden genauer erläutert werden.

I. Wirkungsentfaltung und Vollstreckbarkeit der Entscheidung in der mitgliedstaatlichen Rechtsordnung Zunächst vermittelt die geplante oder notwendige Wirkungsentfaltung oder Vollstreckung der angestrebten Entscheidung im Forumstaat den ausreichenden Forumsbezug.366 Das hierdurch bedingte Rechtsschutzinteresse des Klägers macht stets eine Notzuständigkeit erforderlich, ohne dass es auf die genaue Ursache der drohenden Rechtsverweigerung ankommt. Die Wirkungsentfaltung und Vollstreckbarkeit der Entscheidung in dem Mitgliedstaat stellt dabei die stärkste mögliche Verbindung des Rechtsstreits zum Forumstaat dar. Auch in Deutschland, Frankreich und der Schweiz ist die Maßgeblichkeit dieser Verbindung für die Notzuständigkeit anerkannt.367 Ist die Ursache einer drohenden Rechtsverweigerung eine Anerkennungslücke, kann ausschließlich die geplante Wirkungsentfaltung oder Vollstreckung im Forumstaat einen ausreichenden Bezug begründen.368 Nur dann hat der Kläger ein in diesem Forumstaat lokalisiertes Rechtsschutzinteresse, das einen Eingriff in die internationale Zuständigkeitsverteilung zuungunsten des Beklagten rechtfertigt. Denn hierdurch wird die Gerichtspflichtigkeit des Beklagten erweitert, obwohl in dem an sich zuständigen Drittstaat das Verfahren ansonsten möglich und zumutbar ist. Solange der Kläger kein Interesse an der Wirkungsentfaltung oder Vollstreckbarkeit der Entschei-

366

Andrae, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 7 EG-UntVO Rn. 12; Lipp, in: MüKo FamFG, Art. 7 EuUntVO Rn. 7; Mayer, in: MüKo FamFG, Art. 11 EuGüVO Rn. 7; Wurmnest, in: BeckOGK, Stand 1.11.2019, Art. 7 EuUntVO Rn. 21. 367 Teil 1 A. VII. 1.; Teil 1 B. I. 3. a); Teil 1 D. IV. 1. In Österreich kann diese Voraussetzung zwar keinen ausreichenden Bezug herstellen Teil 1 C. V., allerdings setzt eine österreichische Notzuständigkeit nach Ansicht des OGH die Möglichkeit der Vollstreckung der Entscheidung voraus, siehe hierzu Teil 1 C. VI. 368 Zur Gefahr einer relativen Rechtsverweigerung aufgrund einer Anerkennungslücke siehe Teil 2 C. V.

F. Das Prinzip des Forumsbezugs: Der ausreichende Bezug zum Mitgliedstaat 209

dung in dem jeweiligen Forumstaat vorweisen kann, muss er den Beklagten daher vor den drittstaatlichen Gerichten in Anspruch nehmen. 1. Maßgeblichkeit im Rahmen der EuUntVO Im Rahmen des Art. 7 EuUntVO stellt vor allem die mögliche Vollstreckung eines Urteils gegen den beklagten Unterhaltsschuldner einen ausreichenden Bezug zum Forumstaat her. Vollstreckbar ist ein Urteil, wenn sich im Forumstaat Vermögen des Beklagten befindet.369 Dieses Kriterium ist gerade deshalb für die Notzuständigkeit relevant, weil die EuUntVO keinen Vermögensgerichtsstand enthält, der eine reguläre Zuständigkeit des Forumstaates begründen könnte.370 Befindet sich daher vollstreckbares Vermögen in einem Mitgliedstaat, besteht stets ein ausreichender Forumsbezug, wenn aus irgendeinem Grund das Verfahren in einem Drittstaat unmöglich oder unzumutbar ist. 2. Maßgeblichkeit im Rahmen der EuErbVO Im Rahmen der EuErbVO ist die geplante Wirkungsentfaltung oder Vollstreckung einer Entscheidung hingegen nur in seltenen Fällen in der Lage, einen ausreichenden Bezug zu vermitteln. Entscheidungen in Erbsachen können vor allem dort vollstreckt werden, wo sich das Nachlassvermögen befindet. Auch die Wirkung von Entscheidungen in Erbsachen müssen regelmäßig am Belegenheitsort des Nachlasses hergestellt werden. Die Gerichte eines Mitgliedstaates, in denen sich Nachlassvermögen befindet, sind jedoch nach Art. 10 Abs. 2 EuErbVO zumindest für diesen Teil international zuständig. Auf eine Notzuständigkeit muss in diesen Fällen nicht mehr zurückgegriffen werden.371 Dennoch sind Ausnahmefälle denkbar, in denen diese Verbindung einen ausreichenden Bezug begründen kann: In den oben beschriebenen Fällen, in denen das Verfahren im Drittstaat aufgrund einer ordre public-widrigen Diskriminierung bestimmter Hinterbliebener des Erblassers unzumutbar ist,372 kann die Vollstreckbarkeit einer Pflichtteilsentscheidung in einem Mitgliedstaat den ausreichenden Bezug vermitteln.373 Dies ist vor allem dann der Fall, 369

Andrae, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 7 EG-UntVO Rn. 12; Bittmann, in: Gebauer/Wiedmann, EuropZivilR (EuUntVO), Kap. 36 Rn. 53; Hausmann, Internationales und Europäisches Familienrecht, Teil C Rn. 203 f.; Lipp, in: MüKo FamFG, Art. 7 EuUntVO Rn. 7; Reuß, in: Geimer/Schütze, Int. Rechtsverkehr, Art. 7 EuUntVO Rn. 7; Wurmnest, in: BeckOGK, Stand 1.11.2019, Art. 7 EuUntVO Rn. 22. 370 Andrae, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 7 EG-UntVO Rn. 11. 371 Bonomi, in: Bonomi/Wautelet, Le droit europe´en des successions, Art. 11 Rn. 11; Traar, in: Mondel/Nademleinsky, EuErbVO, Art. 11 EuErbVO Rn. 3. 372 Siehe Teil 2 C. VI. 2. b). 373 Traar, in: Mondel/Nademleinsky, EuErbVO, Art. 11 EuErbVO Rn. 1.

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2. Teil: Grundstrukturen einer europäischen Notzuständigkeit

wenn der persönlich haftende Erbe vollstreckbares Vermögen in dem Mitgliedstaat besitzt, oder das angetretene Erbe in den Mitgliedstaat überwiesen hat. Die beabsichtigte Wirkungsentfaltung einer Entscheidung im Forumstaat, bzw. im europäischen Justizraum begründet auch einen ausreichenden Forumsbezug, wenn der Antragssteller aufgrund der fehlenden internationalen Zuständigkeit eines mitgliedstaatlichen Gerichtes kein europäisches Nachlasszeugnis erhalten kann, obwohl der Erblasser seinen letzten gewöhnlichen Aufenthalt im Forumstaat hatte und dort auch der Nachlass belegen ist. Dies ist möglich, wenn der an sich nach der EuErbVO zuständige Mitgliedstaat aufgrund eines vorrangigen Staatsvertrages, der die internationale Zuständigkeit für die Ausstellung von Erbnachweisen abweichend von der EuErbVO regelt, international unzuständig ist.374 In einem solchen Fall besteht eine Notzuständigkeit nach Art. 11 EuErbVO in dem Mitgliedstaat, in dem der Erblasser seinen letzten gewöhnlichen Aufenthalt hatte oder andernfalls in dem der Nachlass belegen ist. 3. Maßgeblichkeit im Rahmen der Güterstands-Verordnungen Auch im Rahmen der Güterstands-Verordnungen kann die angestrebte Wirkungsentfaltung und die Vollstreckbarkeit einer Entscheidung im Forumstaat einen ausreichenden Bezug vermitteln. Dies ist insbesondere dann möglich, wenn sich bewegliches Vermögen einer der beiden Ehegatten oder Partner in dem jeweiligen Mitgliedstaat befindet.375 Kann etwa ein güterrechtlicher Ausgleichsanspruch aufgrund der Auflösung des Güterstandes in einem Mitgliedstaat vollstreckt werden, weil sich dort bewegliches Vermögen des beklagten Ehegatten befindet, besteht ein ausreichender Forumsbezug. Dies ist etwa für die Fälle relevant, in denen der an sich zuständige Drittstaat den geltend gemachten güterrechtlichen Ausgleichsanspruch als unbegründet abweist, weil der Drittstaat keine gleichgeschlechtlichen Ehen anerkennt.376 Die Vollstreckbarkeit dieser Entscheidung in einem Mitgliedstaat rechtfertigt in solchen Fällen, dort eine Notzuständigkeit als ordre publicZuständigkeit zu eröffnen. Die Belegenheit von unbeweglichem Vermögen im Forumstaat ist für diese Verbindung nicht relevant, da dies bereits Anknüpfungsmoment der subsidiären Zuständigkeiten der Art. 10 EuGüVO und Art. 10 EuPartVO ist.

374

Dutta, in: MüKo BGB, Art. 64 EuErbVO Rn. 9. Ähnlich Looschelders, in: MüKo BGB, Art. 11 EuGüVO Rn. 11. 376 Teil 2 C. VI. 2. c).

375

F. Das Prinzip des Forumsbezugs: Der ausreichende Bezug zum Mitgliedstaat 211

In Bezug auf dieses Vermögen besteht daher kein Anlass, eine Notzuständigkeit zu eröffnen.

II. Belegenheit von Teilen des (Nachlass-)Vermögens im Mitgliedstaat Eine weitere mögliche Verbindung, die gerade im Rahmen der EuErbVO von Relevanz sein wird, lässt sich aus dem eidgenössischen Recht entnehmen. Auf dem Gebiet des Internationalen Erbrechts sind dort zwei Entscheidungen zu finden, die die Belegenheit von Teilen des Nachlassvermögens in der Schweiz als ausreichende Verbindung angesehen haben, um über die Notzuständigkeit einheitlich über den gesamten Nachlass zu entscheiden. Dabei haben sie die nach Art. 88 Abs. 1 IPRG bestehende internationale Zuständigkeit für die in der Schweiz belegenen Nachlasswerte mittels der Notzuständigkeit auf außerhalb der Schweiz belegene Nachlasswerte erweitert.377 Für die EuErbVO sind diese Entscheidungen des schweizerischen Rechts deshalb interessant, weil diese Verordnung in Art. 10 Abs. 2 EuErbVO eine dem Art. 88 Abs. 1 IPRG sehr ähnliche Regelung für innerhalb der EU belegenes Nachlassvermögen enthält. Beide Vorschriften enthalten eine subsidiäre Zuständigkeit des Forumstaates ausschließlich für die in dem Forumstaat belegenen Nachlasswerte. Auch im Rahmen der EuErbVO kann es erforderlich werden, diese Zuständigkeit zu erweitern, wenn dem Kläger in Bezug auf das in dem drittstaatlichen Forum belegene Nachlassvermögen Rechtsverweigerung zu widerfahren droht.378 Das ist vor allem aufgrund eines negativen internationalen Kompetenzkonfliktes in Bezug auf dieses Nachlassvermögen im Drittstaat möglich.379 Aber auch aus einem anderen der hier dargestellten Gründe kann sich ein Verfahren im Drittstaat als unmöglich oder unzumutbar erweisen, wie etwa aufgrund eines Bürgerkrieges im an sich zuständigen Drittstaat.380 In all diesen Fällen begründet die Belegenheit eines Teiles des Nachlassvermögens im mitgliedstaatlichen Forumstaat den für Art. 11 EuErbVO notwendigen Forumsbezug. Der ausreichende Forumsbezug muss insbesondere dann angenommen werden, wenn aus Sicht des an sich zuständigen Drittstaates der Mitgliedstaat zuständig ist: In einem solchen Fall kann davon ausgegangen werden, dass die mitgliedstaatliche Entscheidung im Drittstaat anerkannt und vollstreckt werden kann. Gerade dann führt die erweiterte Zuständigkeit nach Art. 11 EuErbVO, mit der einheitlich über den gesamten Nachlass entschieden werden 377

Teil 1 D. IV. 2. Dutta, in: MüKo BGB, Art. 11 EuErbVO Rn. 1; Wall, in: Geimer/Schütze, Int. Rechtsverkehr, Art. 11 EuErbVO Rn. 6 f. 379 Teil 2 B. I. 2. b). 380 Beispiel nach Wall, in: Geimer/Schütze, Int. Rechtsverkehr, Art. 11 EuErbVO Rn. 16. 378

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2. Teil: Grundstrukturen einer europäischen Notzuständigkeit

kann, auch zu einem sinnvollen Ergebnis. Aufgrund der positiven Anerkennungsprognose ist die Entscheidung über das Nachlassvermögen im Drittstaat nicht ein wirkungsloser Urteilsspruch. Der Kläger hat vor allem in diesem Fall ein in dem nach Art. 10 Abs. 2 EuErbVO zuständigen Mitgliedstaat lokalisiertes Rechtsschutzinteresse für das im Drittstaat belegene Nachlassvermögen. Auch die beiden Güterstands-Verordnungen enthalten in Art. 10 EuGüVO und Art. 10 EuPartVO einen auf unbewegliches Vermögen im Hoheitsgebiet des Forumstaates begrenzten internationalen Gerichtsstand. Es erscheint daher auch in diesen Fällen möglich, die Belegenheit von diesen unbeweglichen Vermögenswerten im Forumstaat als ausreichenden Bezug heranzuziehen, um eine bestehende internationale Zuständigkeit zu erweitern:381 Möglich wäre dies, wenn Eheleute unterschiedlicher Staatsbürgerschaft und ohne jetzigem oder vorherigem gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt in einem Mitgliedstaat unbewegliches Vermögen in einem Mitgliedstaat besitzen und darüber hinaus auch weiteres bewegliches Vermögen in einem Drittstaat. Erweist sich ein Verfahren über den ehelichen oder partnerschaftlichen Güterstand in dem Drittstaat, in dem das bewegliche Vermögen belegen ist, aufgrund eines negativen internationalen Kompetenzkonfliktes als unmöglich, so stellt die Belegenheit von Vermögensteilen in dem Hoheitsgebiet des Mitgliedstaates einen ausreichenden Bezug her. Es kann grundsätzlich einheitlich über den Güterstand entschieden werden. Für die EuUntVO spielt dieses Kriterium hingegen keine Rolle. Eine auf bestimmtes Vermögen begrenzte Zuständigkeit sieht diese nicht vor. Hat der beklagte Unterhaltsschuldner Vermögenswerte im Forumstaat, so begründet bereits die mögliche Vollstreckbarkeit einer Entscheidung einen ausreichenden Forumsbezug. Auf dieses Kriterium kommt es daher zur Herstellung des ausreichenden Bezuges nicht an.

III. Persönliche Verbindungen der Beteiligten zum Mitgliedstaat Auch persönliche Verbindungen der Verfahrensbeteiligten zu einem Mitgliedstaat können den ausreichenden Forumsbezug vermitteln. In Betracht kommen dabei verschiedenste Kriterien, wie Staatsangehörigkeit, Wohnsitz oder auch der schlichte Aufenthalt der Verfahrensparteien im Forumstaat zum Zeitpunkt der Verfahrenseinleitung. Ob und inwieweit persönliche Verbindungen der Verfahrensbeteiligten zu einem Mitgliedstaat den ausreichenden Forumsbezug begründen, hängt daher vor allem vom Rechtsschutzinteresse des Klägers und der Ursache der drohenden Rechtsverweigerung zusammen. Soweit persönliche Verbindungen ein lokalisierbares Rechts-

381

So auch Looschelders, in: MüKo BGB, Art. 10 EuGüVO Rn. 2 f.

F. Das Prinzip des Forumsbezugs: Der ausreichende Bezug zum Mitgliedstaat 213

schutzinteresse des Klägers im Forumstaat begründen, besteht auch der ausreichende Forumsbezug. Aus diesem Grund begründen persönliche Verbindungen keinen ausreichenden Forumsbezug, wenn eine Anerkennungslücke das Verfahren im Drittstaat unzumutbar macht. Das erforderliche Rechtsschutzinteresse besteht nur, wenn die Entscheidung in dem Forumstaat wirken oder vollstreckt werden soll.382 Das im Forumstaat lokalisierbare Rechtsschutzinteresse fehlt dem Kläger regelmäßig vor allem dann, wenn die einzige Verbindung zum Forumsstaat der schlichte Aufenthalt des Klägers zum Zeitpunkt der Verfahrenseinleitung ist. Dieser mit Abstand schwächste Bezug zum Forumstaat kann nur ausnahmsweise einen ausreichenden Forumsbezug herstellen.383 Die Einschränkung der Reichweite des Anspruches auf Justizgewährung aus Art. 6 Abs. 1 EMRK durch das Prinzip des Forumsbezuges soll jedoch die Sinnhaftigkeit eines Verfahrens zum Zwecke einer geordneten Rechtspflege sicherstellen.384 Gerade bei einer solch schwachen Verbindung wie dem schlichten Aufenthalt besteht regelmäßig die Gefahr, dass die Entscheidung niemals vollstreckt werden kann oder sonst zu einem sinnvollen Ergebnis im Forumstaat oder einem anderen Staat führt. Um die geordnete Rechtspflege im Forumstaat gewähren zu können, begründet demnach der schlichte Aufenthalt des Klägers zum Zeitpunkt der Verfahrenseinleitung grundsätzlich keine Pflicht zur Justizgewährung nach Art. 6 Abs. 1 EMRK. Dies hat auch die Große Kammer des EGMR in der Entscheidung vom 15. März 2018 festgestellt.385 Trotzdem kann nicht gänzlich ausgeschlossen werden, dass ein Kläger ausnahmsweise ein Rechtsschutzinteresse im Forumstaat hat, obwohl die einzige Verbindung zu diesem Mitgliedstaat sein schlichter Aufenthalt ist.386 Gerade hier kommt es auf die Umstände des Einzelfalls und auf die Wertung des erkennenden Gerichtes an. Vor allem drohende schwerste Menschenrechtsverletzungen im an sich zuständigen Drittstaat können ausnahmsweise für einen Forumsbezug sprechen. Hieran ist etwa dann zu denken, wenn dem Kläger das Verfahren im Drittstaat unzumutbar ist, weil ihm dort schwerste

382 In diesen Fällen begründet nur die geplante Wirkungsentfaltung oder Vollstreckung der Entshceidung im Forumstaat das Rechtsschutzinteresse des Klägers, vgl. Teil 2 F. I. 383 So auch Lipp, in: MüKo FamFG, Art. 7 EuUntVO Rn. 7; Looschelders, in: MüKo BGB, Art. 11 EuGüVO Rn. 11. 384 EGMR (Große Kammer), 15. 3. 2018 – Nr. 51357/07 (Nait-Liman/Schweiz) ECLI:CE:ECHR:2018:0315JUD005135707 Rn. 114 und 208. 385 EGMR (Große Kammer), 15. 3. 2018 – Nr. 51357/07 (Nait-Liman/Schweiz) ECLI:CE:ECHR:2018:0315JUD005135707 Rn. 114 und 208. 386 So auch Lipp, in: MüKo FamFG, Art. 7 EuUntVO Rn. 7; Looschelders, in: MüKo BGB, Art. 11 EuGüVO Rn. 11; a.A. zu Art. 26 EuGVO-E Bidell, Die Erstreckung der Zuständigkeiten der EuGVO auf Drittstaatensacherhalte, 230.

214

2. Teil: Grundstrukturen einer europäischen Notzuständigkeit

körperliche Misshandlungen drohen. Zu denken ist etwa an den Fall, dass der Klägerin im Drittstaat eine weibliche Beschneidung droht.387 Sofern auch persönliche Verbindungen einen ausreichenden Forumsbezug vermitteln können, kommen jedoch nur solche in Betracht, die nicht Gegenstand einer regulären Zuständigkeitsanknüpfung geworden sind. Die möglichen Verbindungen sind demnach auch hier von Verordnung zu Verordnung unterschiedlich. 1. Mögliche Kriterien im Rahmen der EuUntVO Ausweislich des 16. Erwägungsgrundes der EuUntVO kann die Tatsache, dass einer der beiden Parteien die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates besitzt, einen ausreichenden Forumsbezug zu diesem Mitgliedstaat begründen.388 Dabei kommt es nicht darauf an, dass es sich um die effektive Staatsangehörigkeit handelt.389 Haben beide Parteien die Staatsangehörigkeit des Forumstaates inne, ist ein Rückgriff auf Art. 7 EuUntVO indes nicht notwendig, da bereits die Auffangzuständigkeit nach Art. 6 EuUntVO besteht.390 Im Rahmen der EuUntVO ist es geboten, geringere Anforderungen an den ausreichenden Forumsbezug zu stellen. Die Durchsetzung von Unterhaltsansprüchen soll es dem unterhaltsberechtigten Kläger ermöglichen, die finanziellen Mittel zur Deckung seiner Lebensgrundlage zu erhalten. Gerade in solchen Verfahren besteht eine gesteigerte Schutzwürdigkeit des unterhaltsberechtigten Klägers. Das trifft vor allem auf Unterhaltsverfahren minderjähriger Kinder gegen einen unterhaltspflichtigen Elternteil zu. Gerade in solchen Verfahren kann ein schützenswertes Rechtsschutzinteresse des minderjährigen Klägers im Forumstaat schon bei schwächeren persönlichen Verbindungen im Forumstaat bestehen. Es ist daher im Einzelfall möglich, dass der schlichte Aufenthalt des Klägers im Forumstaat einen ausreichenden Forumsbezug begründet.391 Insbesondere hier sind die Umstände des Einzel387

Vgl. Teil 2 C. IX. So auch Andrae, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 7 EG-UntVO Rn. 12; Bittmann, in: Gebauer/Wiedmann, EuropZivilR (EuUntVO), Kap. 36 Rn. 53; Fucik, in: Fasching/ Konecny, Art. 7 EuUVO Rn. 3; Gruber, IPRax 2010, 128, 134 f.; Hausmann, Internationales und Europäisches Familienrecht, Teil C Rn. 203; Reuß, in: Geimer/Schütze, Int. Rechtsverkehr, Art. 7 EuUntVO Rn. 7; Weber, in: Burgstaller/Neumayr, Internationales Zivilverfahrensrecht, Art. 7 EuUntVO Rn. 11; Wurmnest, in: BeckOGK, Stand 1.11.2019, Art. 7 EuUntVO Rn. 22. 389 Lipp, in: MüKo FamFG, Art. 7 EuUntVO Rn. 7; Wurmnest, in: BeckOGK, Stand 1.11.2019, Art. 7 EuUntVO Rn. 22. 390 Fucik, in: Fasching/Konecny, Art. 7 EuUVO Rn. 3; Reuß, in: Geimer/Schütze, Int. Rechtsverkehr, Art. 7 EuUntVO Rn. 7; Weber, in: Burgstaller/Neumayr, Internationales Zivilverfahrensrecht, Art. 7 EuUntVO Rn. 11; Wurmnest, in: BeckOGK, Stand 1.11.2019, Art. 7 EuUntVO Rn. 22. 391 Gruber, IPRax 2010, 128, 134 f.; Lipp, in: MüKo FamFG, Art. 7 EuUntVO Rn. 7; Reuß, in: Geimer/Schütze, Int. Rechtsverkehr, Art. 7 EuUntVO Rn. 7. 388

F. Das Prinzip des Forumsbezugs: Der ausreichende Bezug zum Mitgliedstaat 215

falls maßgeblich, die in der Wertungsentscheidung des erkennenden Gerichts berücksichtigt werden müssen. 2. Mögliche Kriterien im Rahmen der EuErbVO Im Rahmen der EuErbVO kommen vor allem die persönlichen Verbindungen der Erben zum Notforum als mögliche Verbindungen in Betracht. Dabei sind die Nationalität, der gewöhnliche Aufenthalt und der Wohnsitz der Erben im Notforum ausreichende Bezüge.392 Daneben ist es jedoch auch möglich, die Nationalität des Erblassers oder dessen früheren gewöhnlichen Aufenthalt zu berücksichtigen, sofern diese nicht in Verbindung mit der Belegenheit von Nachlassvermögen nach Art. 10 Abs. 1 lit. a) EuErbVO eine subsidiäre Zuständigkeit im Heimatstaat des Erblassers begründen.393 3. Mögliche Kriterien im Rahmen der Güterstands-Verordnungen Als persönliche Verbindung der Beteiligten kommt im Rahmen der Güterstands-Verordnungen zunächst der gewöhnliche Aufenthalt eines der Ehegatten im Forumstaat in Betracht, wenn dieser keine sonstige Anknüpfung erfüllt.394 Auch die mitgliedstaatliche Staatsangehörigkeit eines der Ehegatten oder sein Wohnsitz in einem Mitgliedstaat können den ausreichenden Forumsbezug begründen.395 Ein ausreichender Forumsbezug besteht auch dann, wenn beide Ehegatten ihren schlichten Aufenthalt in dem Forumstaat haben.396

IV. Anwendbarkeit des Rechts des Mitgliedstaates Zuletzt kann auch die Anwendbarkeit des Rechts des Forumstaates den ausreichenden Forumsbezug begründen. Als Forumsbezug ist diese Verbindung vor allem dann maßgeblich, wenn der Kläger den begehrten Rechtsschutz nicht im Drittstaat erhalten kann, weil dieser das notwendige Verfahren nicht zur Verfügung stellen kann oder will. Gerade in solchen Fällen kann tatsächlich nur ein Verfahren in dem Staat, dessen Recht anwendbar ist, eine dem Kläger drohende Rechtsverweigerung abwenden. Nur dort kann sicherge-

392

Dutta, in: MüKo BGB, Art. 11 EuErbVO Rn. 2; Gitschthaler, in: Deixler-Hübner/ Schauer, Art. 11 EuErbVO Rn. 8; Rauscher, in: MüKo FamFG, Art. 11 EuErbVO Rn. 7. 393 Gitschthaler, in: Deixler-Hübner/Schauer, Art. 11 EuErbVO Rn. 8; Rauscher, in: MüKo FamFG, Art. 11 EuErbVO Rn. 7. 394 Looschelders, in: MüKo BGB, Art. 11 EuGüVO Rn. 10. 395 Looschelders, in: MüKo BGB, Art. 11 EuGüVO Rn. 11; Mayer, in: MüKo FamFG, Art. 11 EuGüVO Rn. 7. 396 Looschelders, in: MüKo BGB, Art. 11 EuGüVO Rn. 11; Mayer, in: MüKo FamFG, Art. 11 EuGüVO Rn. 7.

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2. Teil: Grundstrukturen einer europäischen Notzuständigkeit

stellt werden, dass das Rechtsschutzbegehren des Klägers tatsächlich durch eine Sachentscheidung befriedigt wird. Den ausreichenden Forumsbezug vermittelt die Anwendbarkeit des Rechts eines Mitgliedstaates dabei grundsätzlich, wenn der Mitgliedstaat selbst von der Anwendbarkeit des eigenen Rechts ausgeht. Es kann allerdings auch ausreichen, dass nur der Drittstaat von der Anwendbarkeit des mitgliedstaatlichen Rechts ausgeht. Das trifft vor allem auf die oben dargestellten Fallgestaltungen zu, in denen ein Drittstaat die nach österreichischem Recht vorgesehene Einantwortung nicht vornehmen kann oder will und der Erbberechtigte daher sein Erbe nicht antreten kann:397 In diesem Fall kann nur eine Notzuständigkeit Österreichs die drohende Rechtsverweigerung abwenden. Dass im Drittstaat österreichisches Erbrecht Erbstatut ist, begründet daher ein Rechtsschutzinteresse des Klägers in Österreich, auch wenn aus österreichischer Sicht das Recht eines anderen Staates anzuwenden ist. Die Anwendbarkeit des Rechts eines Mitgliedstaates kann in solchen Fällen einen ausreichenden Forumsbezug begründen. Daneben kann die Anwendbarkeit des eigenen Sachrechts in einem Drittstaat etwa auch in den Fällen der ordre public-Zuständigkeit als ausreichender Forumsbezug relevant werden. Wendet ein Drittstaat das Recht eines Mitgliedstaates in einer Art und Weise an, dass das Ergebnis des Rechtsstreits gegen den ordre public eben dieses Mitgliedstaates verstoßen wird, muss dieser Mitgliedstaat mittels einer europäischen Notzuständigkeit selbst entscheiden können. Denn eine solche Perversion des eigenen Rechts durch einen Drittstaat kann ein Mitgliedstaat nicht akzeptieren. In diesem Fall begründet das Interesse einer Rechtsordnung, dass die Anwendung des eigenen Sachrechts keine aus der eigenen Sicht ordre public-widrigen Ergebnisse hervorbringt, einen ausreichenden Forumsbezug.398

V. Rangfolge beim Bestehen mehrerer Bezüge Zuletzt stellt sich die Frage, wie zu verfahren ist, wenn ein Rechtsstreit nicht zu einem, sondern zu mehreren Mitgliedstaaten Bezüge aufweist, die jeweils für die Eröffnung einer europäischen Notzuständigkeit als ausreichend anzusehen sind. Grundsätzlich muss in einem solchen Fall das Forum eine Notzuständigkeit eröffnen, zu dem der stärkste Forumsbezug besteht. Das ist primär der Mitgliedstaat, in dem die aufgrund der Notzuständigkeit getroffene Entscheidung wirken oder vollstreckt werden soll.399 Ansonsten 397

Siehe hierzu Teil 2 B. II. 1. a) (1). So auch Walchshöfer, ZZP 80 (1967), 165, 204 (in Bezug zu einer deutschen Ersatzzuständigkeit in diesem Fall). 399 Ähnlich Bidell, Die Erstreckung der Zuständigkeiten der EuGVO auf Drittstaatensacherhalte, 190. 398

G. Drohende Rechtsverweigerung in einem Mitgliedstaat

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kann der Forumsbezug dort am stärksten sein, wo besonders viele Verfahrensbeteiligte eine persönliche Beziehung haben. Auch das kumulative Vorliegen mehrerer der beschriebenen Bezüge zu einem Forumstaat kann den Bezug zu diesem Mitgliedstaat stärker machen als zu anderen Mitgliedstaaten. Eine abschließende Reihenfolge lässt sich jedoch nicht aufstellen, da es stets auf die Umstände des Einzelfalls ankommt. Auch hier wirkt sich der Beurteilungsspielraum der erkennenden Gerichte aus. Vor diesem Hintergrund sind auch im Rahmen der europäischen Notzuständigkeit positive als auch negative Kompetenzkonflikte möglich, wenn zu mehreren Mitgliedstaaten Bezüge bestehen. So können sich zwei Gerichte zweier unterschiedlicher Mitgliedstaaten parallel aufgrund der Notzuständigkeit für zuständig erklären oder unzuständig erklären. Zur Lösung dieser Kompetenzkonflikte muss unterschieden werden. Mögliche positive Kompetenzkonflikte müssen über die allgemeine Regelung zur anderweitigen Rechtshängigkeit nach Art. 12 EuUntVO, Art 17 EuErbVO, Art. 17EuGüVO und Art. 17 EuPartVO gelöst werden.400 Im Falle eines negativen Kompetenzkonfliktes zwischen zwei mitgliedstaatlichen Gerichten liegt die Lösung bei der Vorlage zum EuGH nach Art. 267 AEUV. Dieser kann im Rahmen des Vorlageverfahrens im Wege der Auslegung des Begriffes des ausreichenden Forumsbezuges entscheiden, zu welchem Forumstaat die Bezüge am stärksten sind. In jedem Fall ist es daher möglich, innerhalb des europäischen Justizraumes einen Mitgliedstaat zu bestimmen, der eine internationale Notzuständigkeit auf Grundlage der hier untersuchten Verordnungen eröffnen muss.

G. Drohende Rechtsverweigerung in einem Mitgliedstaat – Innereuropäische Notzuständigkeit Die Ratio hinter der Notzuständigkeit, Fälle drohender Rechtsverweigerung zu verhindern, kann es erforderlich machen, dass eine solche auch dann eröffnet wird, wenn die geschriebenen Voraussetzungen der Notzuständigkeit nach Art. 7 EuUntVO, Art. 11 EuErbVO, Art. 11 EuGüVO und Art. 11 EuPartVO nicht vorliegen.401 Konkret geht es dabei um Fallkonstellationen, in denen die Rechtsverfolgung nicht, wie von diesen Regelungen vorgesehen, in 400

Buonaiuti, in: Calvo Caravaca/Davı`/Mansel, ESR Commentary, Art. 11 ESR Rn. 14; a.A. Rauscher, in: MüKo FamFG, Art. 11 EuErbVO Rn. 9 (Ermessen des Mitgliedstaates durch analoge Anwendung des Art. 6 lit. a) EuErbVO). 401 Bonomi, in: Bonomi/Wautelet, Le droit europe´en des successions, Art. 11 Rn. 6; Hau, FS Kaissis, 355, 362 f.; Wurmnest, in: BeckOGK, Stand 1.11.2019, Art. 7 EuUntVO Rn. 25; a.A. Buonaiuti, in: Calvo Caravaca/Davı`/Mansel, ESR Commentary, Art. 11 ESR Rn. 5.

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2. Teil: Grundstrukturen einer europäischen Notzuständigkeit

einem Drittstaat unmöglich oder unzumutbar ist, sondern in einem anderen Mitgliedstaat. Im Nachfolgenden soll auf diese Konstellationen genauer eingegangen werden.

I. Ursachen der drohenden Rechtsverweigerung im europäischen Justizraum Im Anwendungsbereich der hier interessierenden Verordnungen ist es möglich, dass eine der oben dargestellten Ursachen im Verhältnis zu einem anderen Mitgliedstaat eintritt. Auch wenn es zunächst unwahrscheinlich scheint, ist es doch denkbar, dass die Rechtsverfolgung in einem anderen Mitgliedstaat etwa aufgrund eines Stillstands der Rechtspflege infolge eines ausgebrochenen Krieges oder einer Naturkatastrophe unmöglich werden kann.402 Wahrscheinlicher kann es indes sein, dass im innereuropäischen Rechtsverkehr eine Anerkennungslücke entsteht.403 So kann ein Mitgliedstaat der Entscheidung eines anderen Mitgliedstaates die Anerkennung versagen, weil ein Anerkennungsversagungsgrund der Art. 21 und 24 EuUntVO, Art. 40 EuErbVO, Art. 37 EuGüVO und Art. 37 EuPartVO greift, ohne dass diese Verordnungen eine Zuständigkeit im anvisierten Wirkungsoder Vollstreckungsstaat eröffnen.404 Wie Hau jedoch treffend festgestellt hat, geht die Bedeutung der innereuropäischen Anerkennungslücke als Ursache einer drohenden Rechtsverweigerung in dem Maße zurück, wie Anerkennungshindernisse beseitigt werden.405 Im Rechtsverkehr zwischen den Mitgliedstaaten spielen Anerkennungslücken daher zumindest im Internationalen Unterhaltsrecht kaum eine Rolle: Die Anerkennung einer Entscheidung eines anderen Mitgliedstaates, der durch das HUP 2007 gebunden ist, kann gemäß Art. 21 Abs. 2 EuUntVO nur noch aufgrund der Titelverjährung oder der Unvereinbarkeit mit einer anderen Entscheidung versagt werden.406 Lediglich wenn es um Entscheidungen aus dem Vereinigten Königreich oder Dänemark geht, die nicht durch das HUP 2007 gebunden sind, kommen die schärferen Anerkennungsversagungsgründe des Art. 24 EuUntVO in Betracht, die insbesondere eine ordre public-Kontrolle beinhalten, Art. 24 lit. a) EuUntVO. Auch in den anderen hier untersuchten Verordnungen, die zeitlich nach der EuUntVO in Kraft getreten sind, sind die regulären Anerkennungshindernisse des europäischen Anerkennungsrechts beibehalten wor402

Wurmnest, in: BeckOGK, Stand 1.11.2019, Art. 7 EuUntVO Rn. 27; ähnlich Hau, FS Kaissis, 355, 364 f. 403 Hau, FS Kaissis, 355, 363 f. 404 Hau, FS Kaissis, 355, 363 f. 405 Hau, FS Kaissis, 355, 364. 406 Wurmnest, in: BeckOGK, Stand 1.11.2019, Art. 7 EuUntVO Rn. 26; Hau, FS Kaissis, 355, 364.

G. Drohende Rechtsverweigerung in einem Mitgliedstaat

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den, vgl. Art. 40 EuErbVO, Art. 37 EuGüVO und Art. 37 EuPartVO. Diese Anerkennungsversagungsgründe beinhalten allesamt eine ordre public-Kontrolle des Ergebnisses der Entscheidung eines anderen Mitgliedstaates in materiell- und verfahrensrechtlicher Hinsicht. Gerade diese Anerkennungshindernisse kommen als Ursache einer Anerkennungslücke – einer drohenden Rechtsverweigerung – in Betracht.407

II. Lösung der drohenden Rechtsverweigerung Die europäischen Regelungen zum forum necessitatis erfassen vom Wortlaut her nur den Fall, dass die Rechtsverfolgung in einem Drittstaat unmöglich oder unzumutbar ist. Ist die Rechtsverfolgung in einem anderen Mitgliedstaat gestört, kann an sich keine Notzuständigkeit eröffnet werden. Indes kann auch eine nationale Notzuständigkeit in diesen Fällen nicht eröffnet werden, da die Zuständigkeitsvorschriften der hier untersuchten Verordnungen diese Zuständigkeiten abschließend verdrängt haben.408 Die strikte Befolgung des Wortlautes würde folglich darauf hinauslaufen, dass überhaupt keine Notzuständigkeit eröffnet werden könnte, obwohl dem Kläger konkret Rechtsverweigerung droht. Das Rechtsschutzziel des Klägers bleibt unbefriedigt, weil er eine Entscheidung in der Sache aufgrund der Zuständigkeitsverteilung der Verordnungen nicht erhalten kann. Es ist daher ersichtlich, dass eine wortlautgetreue Auslegung der Artt. 7 EuUntVO, 11 EuErbVO, 11 EuGüVO und 11 EuPartVO in solchen Fällen gegen den klägerischen Anspruch auf Justizgewährung, wie ihn Art. 6 Abs. 1 EMRK und Art. 47 Abs. 2 EuGRCh verbürgen, verstößt.409 Es ist daher notwendig, dass die untersuch407 Vgl. hierzu etwa das Beispiel von Panopoulos, in: Pamboukis, ESR Commentary, Art. 11 ESR Rn. 9. In seinem Beispielsfall verstirbt ein griechischer Erblasser muslimischen Glaubens in Griechenland mit Nachlassvermögen in Griechenland und Frankreich, der testamentarisch seinen Sohn und seine Tochter zu gleichen Teilen als Erben eingesetzt hat. Der griechischen Rechtstradition zufolge wäre muslmisches Recht Erbstatut, das ein solches Testament jedoch für unwirksam erklären würde. Die in diesem Fall vorgesehene gesetzliche Erbfolge des muslimischen Rechts würde vorsehen, dass die Tochter aufgrund ihres Geschlechts nur die Hälfte von dem erben würde, was ihrem Bruder zugesprochen werden würde. Der Verstoß dieser Entscheidung gegen das durch die EuErbVO besonders geschützte Diskriminierungsverbot der Art. 14 EMRK und Art. 21 Abs. 1, 23 Uabs. 1 EuGRCh bedingt die ordre public-Widrigkeit dieser Entscheidung in den übrigen Mitgliedstaaten. Die Anerkennung dieser Entscheidung eines griechischen Gerichts in Frankreich, wo der Erblasser ebenfalls Nachlassvermögen hinterlassen hat, scheitert in diesem Fall aufgrund eines ordre public-Verstoßes nach Art. 40 lit. a) EuErbVO. Dieser ordre public-Verstoß bedingt eine dem Kläger drohende Rechtsverweigerung, die eine Notuständigkeit Frankreichs nach Art. 11 EuErbVO erforderlich macht, obwohl ein Gericht eines anderen Mitgliedstaates an sich zuständig ist. 408 Vgl. Hau, FS Kaissis, 355, 363. 409 Bonomi, in: Bonomi/Wautelet, Le droit europe´en des successions, Art. 11 Rn. 6; Hau,

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2. Teil: Grundstrukturen einer europäischen Notzuständigkeit

ten Verordnungen selbst einen Ausweg aus dieser drohenden Rechtsverweigerung bieten. Um den Kläger nicht rechtsschutzlos zu stellen, ist es notwendig in solchen Fällen eine innereuropäische Notzuständigkeit zu eröffnen. Grundlage dieser Notzuständigkeit ist eine teleologische Erweiterung der bestehenden Regelungen zur Notzuständigkeit: Über den Wortlaut der Artt. 7 EuUntVO, 11 EuErbVO, 11 EuGüVO und 11 EuPartVO hinaus muss eine mitgliedstaatliche Notzuständigkeit eröffnet werden, wenn die Rechtsverfolgung in einem anderen Mitgliedstaat gestört ist. In diesem Sinne sind diese Vorschriften so zu verstehen, dass sie auch den Fall erfassen, dass die Rechtsverfolgung in einem anderen Mitgliedstaat unmöglich oder unzumutbar ist.410 Dieses Ergebnis deckt sich mit der bereits zum EuGVÜ und der Brüssel I-VO bestehenden Verständnis, dass die Verordnungen so zu interpretieren sind, dass sie in Ausnahmefällen die Eröffnung einer ungeschriebenen Notzuständigkeit vorsehen.411

III. Europäische Notzuständigkeit aufgrund staatsvertraglicher Friktionen Vor allem im Schrifttum zur EuErbVO hat die Möglichkeit einer innereuropäischen Notzuständigkeit darüber hinaus weitere Aufmerksamkeit erfahren.412 Diese Notzuständigkeit steht im Zusammenhang mit dem bereits erwähnten Anwendungsvorbehalt der EuErbVO (Art. 75 Abs. 1 Uabs. 1, Abs. 2) zugunsten anderweitiger staatsvertraglicher Regelungen auf dem

FS Kaissis, 355, 362 f.; Wurmnest, in: BeckOGK, Stand 1.11.2019, Art. 7 EuUntVO Rn. 25. 410 Bonomi, in: Bonomi/Wautelet, Le droit europe´en des successions, Art. 11 Rn. 6. Im Ergebnis so auch Hau, FS Kaissis, 355, 360; Wurmnest, in: BeckOGK, Stand 1.11.2019, Art. 7 EuUntVO Rn. 25. In dem Beispielsfall von Panopoulos, in: Pamboukis, ESR Commentary, Art. 11 ESR Rn. 9 muss daher eine französische Notzuständigkeit auf Grundlage von Art. 11 EuErbVO eröffnet werden. Aufgrund dieser Zuständigkeit kann das französische Gericht einheitlich über den gesamten Nachlass in Frankreich und in Griechenland entscheiden. Hierbei ist zu erwarten, dass die Entscheidung eines französischen Gerichts in Griechenland aufgrund Art. 39 Abs. 1 EuErbVO anerkannt werden wird, weil das Fehlen der indirekten Zuständigkeit kein Anerkennungshindernis darstellt. 411 Hau, FS Kaissis, 355, 362 f. Auch im Rahmen des EuGVÜ sahen französische Gerichte die Möglichkeit eine Notzuständigkeit zu eröffnen, wenn die Rechtsverfolgung in einem anderen Konventionsstaat unmöglich war, vgl. Cour d’appel de Paris, 16.12.1974, JDI (Clunet) 1976, 146; Cass. Civ. I, 3.2.1987, Rev. crit. DIP 1987, 617; vgl. auch: Corbion, Le de´ni de justice en droit international prive´, Rn. 219. 412 Kohler, in: Reichelt/Rechberger Europäisches Erbrecht, 109, 116 f. Die folgende Problematik kann sich jedoch ebenso im Rahmen der EuGüVO und EuPartVO stellen.

G. Drohende Rechtsverweigerung in einem Mitgliedstaat

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Gebiet des Erbrechts zwischen einem Mitgliedstaat und einem oder mehreren Drittstaaten.413 Die Notzuständigkeit soll als Ausweg eröffnet werden, um es einem Mitgliedstaat zu ermöglichen, die Anwendung einer staatsvertraglichen Kollisionsregel zu sichern. Die folgende Konstellation zum deutschsowjetischen Konsularvertrag414 wird in der Literatur zur Veranschaulichung des Problems herangezogen: Ein russischer Staatsangehöriger verstirbt mit letztem gewöhnlichem Aufenthalt in Frankreich und hinterlässt ein Grundstück in Deutschland. Die Reglungen der EuErbVO würden in einem solchen Fall die internationale Zuständigkeit Frankreichs nach Art. 4 EuErbVO begründen, die auf den Erbfall – unter der Annahme, dass der Russe keine Rechtswahl nach Art. 22 EuErbVO getroffen hat – französisches Erbrecht anwenden würden (Art. 21 EuErbVO). Aus deutscher Sicht regelt jedoch der deutsch-sowjetische Konsularvertrag die Erbfolge für unbewegliches Vermögen abweichend von der EuErbVO: Maßgeblich ist nicht das Recht des Staates, in dem der Erblasser zum Zeitpunkt seines Todes seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, sondern das Recht des Belegenheitsortes des Grundstücks.415 Um die Erbrechtsfolge nach deutschem Recht durchzusetzen, wie es der Staatsvertrag vorsieht, wird die Eröffnung einer deutschen Notzuständigkeit nach Art. 11 EuErbVO diskutiert, da eine anderweitige Zuständigkeit Deutschlands, insbesondere nach Art. 10 EuErbVO, nicht besteht.416 Gestützt auf diese Zuständigkeit könnte ein deutscher Erbschein für das in Deutschland belegene Grundstück ausgestellt werden.417 Die Eröffnung der Notzuständigkeit wird dabei vor allem damit begründet, dass Deutschland – oder jeder andere Mitgliedstaat – ohne diese Zuständigkeit nicht in der Lage sei, die gegenüber einem Drittstaat eingegangenen völkerrechtlichen Verpflichtungen einzuhalten. Dabei respektiert die EuErbVO nach Art. 75 EuErbVO grundsätzlich den Vorrang des Staatsvertragsrecht, um zu verhindern, dass die Mitgliedstaaten aufgrund der Anwendung der Verordnung ihre staatsvertraglichen Verpflichtungen verletzen müssen.418 Für die Möglichkeit einer Anwendung der Notzuständigkeit, auch gegen den Wortlaut des Art. 11 EuErbVO, wird ins Feld geführt, dass der europäische Gesetz-

413

Vgl. Teil 2 B. II. a) (3). Konsularvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken vom 25.4.1958, BGBl. 1959 II, 233. 415 So das Beispiel von Magnus, in: Nomos Kommentar BGB, Art. 75 EuErbVO Rn. 11; so auch Wurmnest/Wössner, ZVglRWiss 118 (2019), 449, 469. 416 Kohler, in: Reichelt/Rechberger Europäisches Erbrecht, 109, 116 f.; Wurmnest/Wössner, ZVglRWiss 118 (2019), 449, 469 f. 417 So auch Wurmnest/Wössner, ZVglRWiss 118 (2019), 449, 473. 418 Dutta, in: MüKo BGB, Art. 75 EuErbVO Rn. 1. Siehe zudem Art. 351 AEUV und Erwägungsgrund Nr. 73 S. 1 EuErbVO. 414

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2. Teil: Grundstrukturen einer europäischen Notzuständigkeit

geber diese Drittstaatenproblematik im Gesetzgebungsverfahren der Verordnung nicht vor Augen hatte.419 Die Eröffnung einer Notzuständigkeit in solchen Fällen ist jedoch nicht unbedenklich. Das im Rahmen dieser Arbeit erarbeitete System der Auslegung des Art. 11 EuErbVO vermag derartige Fälle nicht zu erfassen. Die Notzuständigkeit ist eine außerordentliche Zuständigkeit, die eine dem Kläger drohende Rechtsverweigerung abwenden soll. Die Notzuständigkeit kann daher nur bei einer drohenden Rechtsverweigerung eröffnet werden. Die hier betrachtete Konstellation weist aber einen entscheidenden Unterschied zu sämtlichen anderen Fallgruppen des forum necessitatis auf: Es besteht gerade ein Forum in einem anderen Mitgliedstaat, in dem das Verfahren möglich und zumutbar ist. Ohne die Notzuständigkeit läuft der Kläger nicht Gefahr, einer Rechtsverweigerung ausgesetzt zu sein. Das zeigt sich etwa in dem Beispielsfall. Die Erben des russischen Erblassers könnten ohne weiteres ein Verfahren vor den französischen Gerichten führen. Die Tatsache, dass dort ein anderes Erbrecht zur Anwendung kommt, ist grundsätzlich bis zur Grenze des ordre public-Verstoßes hinzunehmen und begründet keine Rechtsverweigerung.420 Die europäische Notzuständigkeit schützt nur den Anspruch des Klägers auf Justizgewährung und beinhaltet keinen Anspruch auf Rechtsdurchsetzung, also auf eine bestimmte Sachentscheidung des erkennenden Gerichts. Nach dem hier vertretenen Verständnis von Rechtsverweigerung wäre in dieser Konstellation daher zur Eröffnung eines forum necessitatis erforderlich, dass in der Nichtanwendung des staatsvertraglich vorgesehenen Erbrechts, im Beispielsfall also des deutschen, ein Verstoß gegen den ordre public des Art. 40 lit. a) EuErbVO gesehen wird. In diesem Fall würde die entstehende innereuropäische Anerkennungslücke eine Rechtsverweigerung begründen.421 Gleichwohl ist auch ein ordre public-Verstoß kaum zu konstruieren. Anstoß wäre nicht ein konkretes Ergebnis einer Entscheidung, das offensichtlich gegen wesentliche Rechtsgrundsätze des Anerkennungsstaates verstößt, sondern die Anwendung des „falschen“ Erbrechts. Der Verstoß gegen den ordre public bestünde unabhängig davon, ob das französische Erbrecht zum selben Ergebnis wie das deutsche kommt. Gegenstand der Kontrolle ist mithin das angewandte Sachrecht im anderen Mitgliedstaat und nicht das konkrete Ergebnis der Rechtsanwendung. Die Bejahung eines Verstoßes gegen den unionsrechtlichen ordre public nach Art. 40 lit. a) EuErbVO würde daher sehr nahe an eine Nachprüfung der Sachentscheidung selbst herankommen. Einer re´vision au fond durch den Anerkennungsstaat steht 419

Wurmnest/Wössner, ZVglRWiss 118 (2019), 449, 469 f. Siehe oben Teil 2 C. VI. 421 Teil 2 G. I. Diese rechtfertigt auch die analoge Anwendung des Art. 11 EuErbVO, Teil 2 G. II. 420

G. Drohende Rechtsverweigerung in einem Mitgliedstaat

223

jedoch Art. 41 EuErbVO ausdrücklich entgegen. Somit ist auch der Ansatz über die ordre public-Widrigkeit des Ergebnisses nur schwer zu begründen. Die Eröffnung einer Notzuständigkeit in diesen Fällen stößt daher auf erhebliche Schwierigkeiten. Die Konstellation unterfällt nicht dem Wortlaut des Art. 11 EuErbVO und wird auch nicht von dessen Telos erfasst. Auslöser der Notzuständigkeit ist nicht die Abwendung der drohenden Rechtsverweigerung für einen Kläger – der eigentliche Sinn und Zweck der Vorschrift422 – sondern das Bemühen einen Völkerrechtsverstoß des betroffenen Mitgliedstaates zu verhindern. Dieser Begründungsansatz ist mit dem dieser Arbeit zugrunde gelegten Ziel der Notzuständigkeit nicht vereinbar. Aus der außerordentlichen Zuständigkeit zugunsten eines rechtsschutzsuchenden Klägers würde eine Ausweichzuständigkeit zugunsten des Mitgliedstaates, um einen Völkerrechtsverstoß seinerseits zu verhindern. Eine doppelt analoge Anwendung des Art. 11 EuErbVO ist daher abzulehnen.423 Darüber hinaus ist es durchaus fraglich, ob die im Beispielsfall aufgezeigte Kollision tatsächlich so aufzutreten droht: Die Kollision entsteht nur dann, wenn ein Staatsvertrag von der EuErbVO abweichende Kollisionsregeln enthält, ohne gleichzeitig Reglungen zur internationalen Zuständigkeit zu treffen. Diese Tatsache kann aber den Rückschluss zulassen, dass die gebundenen Staatsvertragsparteien frei darin sind, die internationale Zuständigkeit nach eigenen Vorstellungen auch so zu gestalten, dass die staatsvertraglichen Kollisionsvorschriften mangels Zuständigkeit nicht zur Anwendung gelangen.424 Folglich wäre es hinzunehmen, dass im Beispielsfall aufgrund der Zuständigkeitsregeln der EuErbVO die Kollisionsvorschrift des deutsch-sowjetischen Konsularvertrages nicht zur Anwendung kommt. Es läge somit kein Verstoß gegen das Völkerrecht vor. Inwiefern ein Staatsvertrag jedoch so verstanden werden kann, ist noch nicht geklärt und kann sich für die diversen Staatsverträge unterscheiden. Sofern einzelne Verträge nicht dahingehend auslegbar sind und eine Zuständigkeit im gebundenen Mitgliedstaat notwendig ist, kommt auch eine andere zuständigkeitsrechtliche Lösung in Betracht. In diesen Fällen bietet es sich an, unter Anwendung des in Art. 75 EuErbVO verankerten Grundsatzes des Vorrangs der völkerrechtlichen Verpflichtungen vor der EuErbVO425 die Zuständigkeit nach Art. 10 Abs. 2 EuErbVO analog heranzuziehen. In diesem Fall bestünde eine auf das im Inland belegene Nachlassvermögen be422

Vgl. Einleitung A. Aus denselben Gründen ist bei vergleichbaren Konstellationen im Rahmen der EuGüVO und EuPartVO eine analoge Anwendung der Art. 11 EuGüVO und Art. 11 EuPartVO abzulehnen. 424 Vgl. die Darstellung bei Wurmnest/Wössner, ZVglRWiss 118 (2019), 449, 470. 425 Dutta, in: MüKo BGB, Art. 75 EuErbVO Rn. 1. Siehe zudem Art. 351 AEUV und Erwägungsgrund Nr. 73 S. 1 EuErbVO. 423

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2. Teil: Grundstrukturen einer europäischen Notzuständigkeit

grenzte Zuständigkeit eines Mitgliedstaates, mit der dieser eine Verletzung des Völkerrechts vermeiden könnte. Dieses Nachlassvermögen kann so dem aus Sicht des vertraglich gebundenen Mitgliedstaates „richtigen“ Erbrecht unterstellt werden, ohne im Übrigen das aus Sicht der EuErbVO „falsche“ Erbrecht auf das in anderen Mitgliedstaaten belegene Nachlassvermögen anzuwenden. So wäre zur Abwendung des Völkerrechtsverstoßes im oben aufgezeigten Beispielsfall die beschränkte Zuständigkeit analog Art. 10 Abs. 2 EuErbVO ausreichend:426 Für das deutsche Grundstück führt diese zu einer Zuständigkeit Deutschlands, wodurch der Staatsvertrag zur Anwendung gelangt. Gleichzeitig lässt Art. 10 Abs. 2 EuErbVO analog im Übrigen die Zuständigkeit Frankreichs und die Anwendung der EuErbVO für den verbleibenden Nachlass unberührt. Die in Art. 10 Abs. 2 EuErbVO vorgesehene zuständigkeitsrechtliche Nachlassspaltung ist daher besser zur Lösung dieses Problems geeignet. Dabei ergeben sich bei der Begründung der analogen Anwendung des Art. 10 Abs. 2 EuErbVO weniger Probleme. Es muss nur die Subsidiarität der Zuständigkeit überwunden werden und nicht gleichzeitig auch das Telos. Dies lässt sich mit dem in Art. 75 EuErbVO verankerten Grundsatzes des Vorrangs der völkerrechtlichen Verpflichtungen vor der EuErbVO begründen.427

H. Rechtsfolge des forum necessitatis Vor dem Hintergrund des Zwecks der Notzuständigkeit, eine ansonsten drohende Rechtsverweigerung zu vermeiden, ist es klar, dass ein Gericht eines Mitgliedstaates eine Notzuständigkeit eröffnen muss, sobald die Voraussetzungen für diese erfüllt sind.428 Alles andere wäre mit dem klägerischen Anspruch auf Justizgewährung aus Art. 6 Abs. 1 EMRK und Art. 47 Abs. 2 EuGRCh nicht vereinbar.429 Kommt das erkennende Gericht unter Aus426

Eine darüberhinausgehende Zuständigkeit für den gesamten Nachlass, wie sie Art. 11 EuErbVO vorsehen würde, ist dafür gerade nicht erforderlich. Auch aus diesem Grund ist Eröffnung der beschränkten Zuständigkeit nach Art. 10 Abs. 2 EuErbVO besser als der Rückgriff auf die Notzuständigkeit. 427 Diese Lösung bietet sich auch für vergleichbare Konstellationen im Rahmen der EuGüVO und EuPartVO an. Die Zuständigkeit des Mitgliedstaates sollte daher über eine analoge Anwendung der Art. 10 EuGüVO bzw. Art. 10 EuPartVO begründet werden. 428 Vgl. nur Dutta, in: MüKo BGB, Art. 11 EuErbVO Rn. 3; Lipp, in: MüKo FamFG, Art. 7 EuUntVO Rn. 10; Rauscher, in: MüKo FamFG, Art. 11 EuErbVO Rn. 8; Schmidt, in: BeckOGK, Stand 1.5.2020, Art. 11 EuErbVO Rn. 18; Reuß, in: Geimer/Schütze, Int. Rechtsverkehr, Art. 7 EuUntVO Rn. 8; Traar, in: Mondel/Nademleinsky, EuErbVO, Art. 11 EuErbVO Rn. 5; Wall, in: Geimer/Schütze, Int. Rechtsverkehr, Art. 11 EuErbVO Rn. 26; Wurmnest, in: BeckOGK, Stand 1.11.2019, Art. 7 EuUntVO Rn. 29. 429 zu Art. 26 EuGVO-E Bidell, Die Erstreckung der Zuständigkeiten der EuGVO auf Drittstaatensacherhalte, 233.

H. Rechtsfolge des forum necessitatis

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übung des ihm eingeräumten Beurteilungsspielraumes zu dem Schluss, dass ein ausreichender Forumsbezug zu dem Forumstaat besteht, so verpflichtet der klägerische Anspruch auf Justizgewährung nach Art. 6 Abs. 1 EMRK und Art. 47 Abs. 2 EuGRCh den Mitgliedstaat, eine Notzuständigkeit zu eröffnen.430 Der vom forum necessitatis verfolge Zweck des Schutzes des Klägers vor einer ihm drohenden Rechtsverweigerung verbietet es, dem erkennenden Gericht einen weiteren Ermessenspielraum einzuräumen, sobald die Voraussetzungen für eine Notzuständigkeit erfüllt sind. Trotz des Wortlautes der Regelungen über die europäischen Notzuständigkeiten, die vorschreiben, dass ein Gericht eine Notzuständigkeit eröffnen „kann“, besteht daher hinsichtlich der Rechtsfolge kein gerichtliches Ermessen.431 Nur hinsichtlich des Tatbestandsmerkmales des ausreichenden Forumsbezuges besteht ein mit Art. 6 Abs. 1 EMRK vereinbarer Beurteilungsspielraum der mitgliedstaatlichen Gerichte.432 Aus diesem Grund kann eine Notzuständigkeit auch nicht mit der Begründung abgelehnt werden, dass die Entscheidung des Notforums in einem Drittstaat nicht anerkannt werden würde.433 Solche Effektivitätserwägungen können nicht angestrengt werden, weil den mitgliedstaatlichen Gerichten bei der Eröffnung einer Notzuständigkeit kein Ermessen zukommt. Auch die mittels der Notzuständigkeit geschützten Rechte des Klägers kennen eine solche Einschränkung nicht: Der Justizgewährungsanspruch nach Art. 6 Abs. 1 EMRK und Art. 47 Abs. 2 EuGRCh umfasst die Effektivität der Sachentscheidung, setzt diese aber nicht voraus:434 Die Gewährung von Rechtsschutz durch ein Erkenntnisverfahren darf nicht mit der Begründung abgelehnt werden, dass die Entscheidung tatsächlich nicht vollstreckt werden kann. Besteht ein ausreichender Forumsbezug zu einem Mitgliedstaat, vermittelt allein dieser das lokalisierte Rechtsschutzinteresse des Klägers, das eine Befriedigung seines Rechtsschutzinteresses durch eine Sachentscheidung erforderlich macht. Auf eine mögliche Anerkennung in einem Drittstaat kann es mithin gar nicht mehr ankommen. Überdies ist es ohnehin schwer zur prognostizieren, ob eine Entscheidung eines Mitgliedstaates in einem Drittstaat tatsächlich vollstreckt werden kann. Auch kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Vollstreckung der Entscheidung eines mitgliedstaatlichen Gerichts zu einem späteren Zeit-

430

Vgl. Teil 2 F. So auch Rauscher, in: MüKo FamFG, Art. 11 EuErbVO Rn. 8. Andrae, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 7 EG-UntVO Rn. 13; Hausmann, Internationales und Europäisches Familienrecht, Teil C Rn. 205. 432 Rauscher, in: MüKo FamFG, Art. 11 EuErbVO Rn. 8. 433 So aber: Gitschthaler, in: Deixler-Hübner/Schauer, Art. 11 EuErbVO Rn. 8; Simotta, in: Fasching/Konecny, § 77 JN Rn. 152. 434 EGMR, 19.3.1991 – Nr. 18357/91 (Hornsby/Griechenland), ECLI:CE:ECHR:1997: 0319JUD001835791, Rn. 40. 431

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2. Teil: Grundstrukturen einer europäischen Notzuständigkeit

punkt möglich werden wird, wenn etwa der Beklagte Vermögen in diesem oder einem anderen Mitgliedstaat erwirbt. Letztlich bleibt es also das Risiko des Klägers, ob er eine aufgrund einer Notzuständigkeit erhaltene Entscheidung in einem Drittstaat vollstrecken kann. Dieses Risiko trägt er jedoch grundsätzlich in jedem Verfahren. Auch vor diesem Hintergrund ist eine solche Einschränkung nicht sachgerecht.

Schlussüberlegungen Die Untersuchung hat gezeigt, dass sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene die Zuständigkeitssysteme nicht in der Lage sind, für alle erdenkbaren Fallkonstellationen angemessen Lösungen zu produzieren. Die Anwendung der starren Zuständigkeitsregelungen kann einen rechtsschutzsuchenden Kläger der Gefahr einer Rechtsverweigerung aussetzen, die vor einem rechtsstaatlichen Hintergrund nicht hinnehmbar ist: Ist das Ergebnis der Anwendung der Zuständigkeitsregelungen, dass das Rechtsschutzinteresse des Klägers nicht durch eine gerichtliche Sachentscheidung befriedigt wird, gebietet der Justizgewährungsanspruch aus Art. 6 Abs. 1 EMRK und Art. 47 Abs. EuGRCh ein korrigierendes Eingreifen. Diesem Anspruch sind sowohl alle untersuchten Rechtsordnungen sowie die EU nach Art. 6 Abs. 3 EUV verpflichtet. Um auch in solchen Fällen ein Eingreifen der Justiz gewähren zu können, braucht es ein zuständigkeitsrechtliches „Sicherheitsventil“1. Dieses stellt die Notzuständigkeit als Ausweichklausel da, die dadurch eine notwendige Ergänzung der abschließenden Systeme der Zuständigkeitsverteilung ist. Vor diesem Hintergrund hat sich aber auch gezeigt, dass sich anhand der Notzuständigkeit die Verfassung eines Zuständigkeitssystems ablesen lässt: Tritt bei bestimmten Verbindungen zu einem Forum, die in diesem keine reguläre Zuständigkeitsanknüpfung erfahren haben, wiederholt die Gefahr einer Rechtsverweigerung auf, so kann dies auf einen strukturellen Mangel im Zuständigkeitssystem des Forums hindeuten. In einem solchen Fall ist der Gesetzgeber angehalten, das Zuständigkeitsrecht anzupassen. Dies hat sich an verschiedenen Stellen der Untersuchung gezeigt: So hat der ehemalige Ausschluss der französischen internationalen Zuständigkeit für Rechtsstreitigkeiten unter Ausländern regelmäßig ein korrigierendes Eingreifen der französischen Justiz in Form von Notzuständigkeiten erforderlich werden lassen.2 Schwächen und Lücken im Zuständigkeitssystem hat die Untersuchung auch im Rahmen der europäischen Verordnungen aufdecken können. So kann die Einführung neuer unbestimmter Zuständigkeitsanknüpfungen er-

1 2

Volken, in: Zürcher Kommentar IPRG 2004, Art. 3 Rn. 3 (zur Schweiz). Teil 1 B. 1. a) (1), S. 48 ff.

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Schlussüberlegungen

hebliche Schwierigkeiten im internationalen Rechtsverkehr mit Drittstaaten verursachen. Dies betrifft etwa die EuErbVO, in der die Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt des Erblassers zu negativen internationalen Kompetenzkonflikten führen kann. Dies ist dabei aufgrund der Unbestimmtheit des Rechtsbegriffes sogar unter Mitgliedstaaten möglich.3 Aber auch die fehlende Abstimmung im sachlichen Anwendungsbereich zwischen der Brüssel IIa-VO und der EuGüVO in Bezug auf gleichgeschlechtliche Ehen ist in der Lage erhebliche Zuständigkeitskonflikte zu produzieren.4 Gerade hier ist eine Korrektur notwendig. Insgesamt zeigt die Untersuchung, dass die Entwicklung des europäischen Zuständigkeitssystems noch nicht abgeschlossen ist. Das Aufstellen abschließender Zuständigkeitsordnungen ist zwar ein weiterer Schritt zu Vereinheitlichung der Rechtslage im europäischen Justizraum, er ist aber noch nicht der letzte. Gerade wenn es um Rechtsverhältnisse mit Drittstaatbezug geht, ist eine weitere Harmonisierung der Regelungen erforderlich. Das betrifft vor allem die nationalen Vorschriften zur Anerkennung drittstaatlicher Entscheidungen, die teilweise sehr unterschiedlich sind. Hier können uneinheitliche Anerkennungslücken entstehen, denen die Verordnungen letztlich nur mit einer Notzuständigkeit begegnen können. Zusammenfassend lassen sich folgende Ergebnisse der Untersuchung aufstellen: 1. Die europäischen Notzuständigkeiten dienen ausschließlich der Wahrung des klägerischen Anspruches auf Justizgewährung aus Art. 6 Abs. 1 EMRK und Art. 47 Abs. EuGRCh. 2. Auch sämtliche der hier untersuchten Rechtsordnungen schützen diesen Anspruch mit außerordentlichen Not-, Ersatz- und Fürsorgezuständigkeiten. Diese Zuständigkeiten haben teilweise eine gesetzliche Normierung erfahren, wie in Österreich und der Schweiz, und sind teilweise gewohnheitsrechtlich anerkannt, wie in Deutschland und Frankreich. 3. Grundsätzlich übereinstimmend gehen die untersuchten Rechtsordnungen davon aus, dass das Konzept der Rechtsverweigerung im internationalen Rechtsverkehr den Umstand beschreibt, dass das Rechtsschutzbegehren des Klägers nicht durch eine Entscheidung in der Sache befriedigt werden kann. Dieses übereinstimmende Begriffsverständnis ergibt sich aus der Tatsache, dass alle Rechtsordnungen denselben Anspruch auf Justizgewährung (Art. 6 Abs. 1 EMRK) schützen. Rechtsverweigerung als Versagung dieses An-

3 4

Teil 2 B. I. 1, S. 129 ff. Teil 2 C. VI. 2. c), S. 187 ff.

Schlussüberlegungen

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spruches auf Justizgewährung muss daher in allen Konventionsstaaten der EMRK dieselbe Bedeutung haben. Somit definiert der Umfang der Justizgewährungspflicht einheitlich das Verständnis von Rechtsverweigerung. 4. Die untersuchten Rechtsordnungen umschreiben die Gefahr einer drohenden Rechtsverweigerung dabei mit der Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit eines Auslandsverfahrens. Unmöglich ist ein Verfahren im Ausland, wenn eine rechtsschutzsuchende Partei international tatsächlich kein Gericht finden kann, das sich seines Rechtsschutzbegehrens annimmt. Unzumutbar ist ein Verfahren im Ausland, wenn dieses Verfahren das Rechtsschutzbegehren des Klägers in keiner Weise befriedigen kann. Das Verfahren im Ausland kommt in einem solchen Fall einer Nichtverhandlung des Rechtsschutzbegehrens gleich. Hierunter sind auch die Fälle der Anerkennungslücke zu zählen. 5. Dieses Verständnis muss auch den europäischen Notzuständigkeiten zu Grunde gelegt werden, da auch diese denselben Anspruch auf Justizgewährung schützen. Auch diese umschreiben die Rechtsverweigerung mit den Begriffen der Unmöglichkeit und Unzumutbarkeit. Aus diesem Grund kann das in den nationalen Rechtsordnungen gefundene Verständnis der drohenden Rechtsverweigerung grundsätzlich die Basis des europäisch autonomen Begriffsverständnisses sein. Insoweit können auch die in den nationalen Rechtsordnungen anerkannten Fallgruppen für das europäische Verständnis der Notzuständigkeiten fruchtbar gemacht werden. 6. Ein Verfahren in einem Drittstaat ist unmöglich, wenn: a) infolge eines negativen internationalen Kompetenzkonfliktes international kein Gericht zuständig ist oder b) der vorgesehene Rechtsschutz im an sich zuständigen Forum nicht erhältlich ist, weil dieser Rechtsschutz dem Verfahrensrecht der lex fori unbekannt ist und dessen Wirkung auch nicht substituiert werden kann, oder c) die Rechtspflege in Folge eines Bürgerkrieges, eines Krieges, einer Naturkatastrophe oder eines sonstigen Grundes auf nicht absehbare Dauer zum Erliegen gekommen ist oder d) der Kläger, oder die Volksgruppe, der der Kläger angehört, im an sich zuständigen Forum rechtlos gestellt worden ist und er daher kein Verfahren in dem Staat einleiten kann. 7. Ein Verfahren in einem Drittstaat ist unzumutbar, wenn: a) das Verfahren im Drittstaat in schwerwiegender Weise gegen rechtsstaatliche Grundprinzipien, vor allem aus Art. 6 Abs. 1 EMRK, verstößt oder

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Schlussüberlegungen

b) das Verfahren im Drittstaat aufgrund der übermäßig langen Verfahrensdauer das klägerische Rechtsschutzbegehren nicht mehr zu befriedigen vermag oder c) der Kläger im drittstaatlichen Forum politisch verfolgt wird, insbesondere wenn er deswegen aus diesem Staat geflohen ist, wobei eine rechtsstaatliche Strafverfolgung grundsätzlich nicht hierunter fällt, oder d) die Höhe der Kosten des Verfahrens im an sich zuständigen Drittstaat die Inanspruchnahme des Verfahrens durch den Kläger faktisch ausschließen, wobei ein möglicher Prozesskostenersatz, die Befreiung von Sicherheitsleistungen und Ausländervorschüssen sowie die mögliche Inanspruchnahme von Verfahrenskostenhilfe im Drittstaat zu berücksichtigen sind, oder e) die zu erwartende oder ergangene Entscheidung des an sich zuständigen Drittstaates nicht im Mitgliedstaat anerkannt werden kann, obwohl die Entscheidung dort wirken oder vollstreckt werden soll, oder f) die zu erwartende oder ergangene Entscheidung des ausländischen Forums gegen die Grundwerte des anerkennungsrechtlichen ordre public des Forumstaates verstoßen wird, wobei allein die schlechteren Erfolgsaussichten des Verfahrens im Drittstaat unerheblich sind (ordre public-Zuständigkeit), oder g) der Kläger die notwendigen passiven Streitgenossen nicht einheitlich vor einem international zuständigen Forum verklagen kann und das anwendbare Sachrecht dies jedoch erfordert oder h) der Kläger die begehrten einstweiligen Maßnahmen zur Sicherung der aktuellen Rechtslage nicht rechtzeitig im Drittstaat erhalten kann und auch nach dem nach Art. 14 EuUntVO, Art. 19 EuErbVO, Art. 19 EuGüVO und Art. 19 EuPartVO anwendbaren nationalen Zuständigkeitsrecht des Mitgliedstaates keine internationale Zuständigkeit dieses Mitgliedstaates für diese Maßnahmen besteht oder i) sonstige Umstände im Einzelfall die Rechtsverfolgung durch den Kläger im Drittstaat faktisch ausschließen, sodass sein Rechtsschutzbegehren keine Entscheidung in der Sache erhalten kann. 8. Da sich die Anerkennung drittstaatlicher Entscheidungen nach dem nationalen Anerkennungsrecht richtet, ist es möglich, dass sich uneinheitliche Anerkennungslücken im europäischen Justizraum bilden. Ausgelöst wird dies insbesondere dadurch, dass manche der untersuchten Rechtsordnungen die Verbürgung der Gegenseitigkeit als Anerkennungsvoraussetzung enthalten, während anderen Rechtsordnungen diese Voraussetzung fremd ist. Auch hinsichtlich der Anforderungen an die Verbürgung der Gegenseitigkeit können signifikante Unterschiede bestehen, die zu unterschiedlichen Ergebnissen führen können. De lege ferenda sollte vor allem diese Voraussetzung in den nationalen Anerkennungsrechten abgeschafft werden. Auch sollte erwogen werden, das Anerkennungsrecht hinsichtlich drittstaatlicher Entscheidungen zu vereinheitlichen.

Schlussüberlegungen

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9. Die Tatsache, dass ein Forum in einem Drittstaat eine andere Sachentscheidung trifft als sie ein Gericht eines Mitgliedstaates treffen würde, stellt keine Rechtsverweigerung dar. Auch wenn das Rechtsschutzbegehren als unbegründet abgewiesen wird, ist dies keine Rechtsverweigerung. Erst im Fall der ordre public-Widrigkeit des Inhalts einer Entscheidung des Drittstaates droht dem Kläger Rechtsverweigerung zu widerfahren. Die Ursache dieser Rechtsverweigerung ist zweiseitig. Einerseits entsteht hierdurch eine Anerkennungslücke, andererseits bedingt der Verstoß gegen den ordre public, dass die Sachenscheidung des Drittstaates nicht als eine solche anzusehen ist: Der ordre public definiert Mindeststandards materiell-rechtlicher Gerechtigkeitsvorstellungen, die eine gerichtliche Sachentscheidung beachten muss. Der Verstoß gegen diese bedingt, dass das Rechtsschutzbegehren des Klägers nicht als in der Sache beantwortet angesehen werden kann. Maßgeblich hierfür ist grundsätzlich der anerkennungsrechtliche ordre public des Mitgliedstaates. Dieser ist jedoch, wie der kollisionsrechtliche ordre public auch, zumindest im sachlichen Anwendungsbereich der hier untersuchten Verordnungen, inhaltlich dem Einfluss europäischer Werte und Rechtsvorstellungen ausgesetzt. Denn die Annahme oder Ablehnung einer Notzuständigkeit darf nicht gegen höherrangiges europäisches Recht verstoßen. Aufgrund der Verbindung zwischen der Notzuständigkeit und dem nationalen Anerkennungsrecht besteht also ein europäischer Einfluss auf das nationale Anerkennungsrecht. 10. Es ist nicht erforderlich, dass ein Verfahren in allen Drittstaaten auf der Welt unmöglich oder unzumutbar ist. Die untersuchten Regelungen zu Notzuständigkeiten besagen, dass hierfür nur diejenigen Drittstaaten maßgeblich sind, zu denen ein enger Bezug besteht. Bei welchem Drittstaat dies der Fall ist, richtet sich nach den nationalen Anerkennungszuständigkeiten und den spiegelbildlich verwendeten Entscheidungszuständigkeiten der untersuchten Verordnungen. 11. Von der Notzuständigkeit zur Vermeidung einer drohenden Rechtsverweigerung muss die sachlich notwendige Zuständigkeit des Forumstaates für bestimmte Verfahrensgegenstände abgegrenzt werden. Im letzteren Fall erklärt sich ein Forum für zuständig, weil der Verfahrensgegenstand zwangsläufig eine Entscheidung des Forumstaates notwendig macht. Dies betrifft vor allem Entscheidungen, die unmittelbar Hoheitsmaßnahmen zum Gegenstand haben. Mit der Rechtsverweigerung hängt diese Zuständigkeit jedoch insoweit zusammen, als einer drittstaatlichen Entscheidung die Anerkennung verwehrt wird oder der Drittstaat eine Entscheidung über den Verfahrensgegenstand ablehnt. Dass es im Rahmen der hier untersuchten Verordnungen zu solchen Konstellationen kommt, ist jedoch äußerst unwahrscheinlich.

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Schlussüberlegungen

12. Die Justizgewährungspflicht macht auch im Rahmen der hier untersuchten Verordnungen eine Notzuständigkeit nur in den Fällen erforderlich, in denen eine ausreichende Beziehung zum Forumstaat besteht. Erst diese Nähebeziehung verpflichtet zu der Letztverantwortlichkeit der mitgliedstaatlichen Justiz, die Rechtsverweigerung zu verhindern. Der Forumsbezug verkörpert ein lokalisierbares Rechtsschutzinteresse des Klägers im Forumstaat. Hierdurch kann eine ordentliche Rechtspflege durch die Sinnhaftigkeit einer auf einer Notzuständigkeit basierten Entscheidung gewährleistet werden. Es wird somit verhindert, dass das Erkenntnisverfahren zu einem reinen Selbstzweck wird, und bewirkt, dass es vor allem der effektiven Durchsetzung von Ansprüchen dient. Je nach Ursache der drohenden Rechtsverweigerung und des Rechtsschutzzieles des Klägers können andere Verbindungen den ausreichenden Forumsbezug begründen. 13. Als mögliche ausreichende Forumsbezüge kommen in Betracht: a) Die geplante Wirkungsentfaltung oder Vollstreckung der begehrten Entscheidung in der Rechtsordnung des Forumstaates. Im Falle der Anerkennungslücke rechtfertigt nur diese Beziehung einen ausreichenden Forumsbezug, da der Kläger in diesem Fall nur hinsichtlich der benötigten Wirkungsentfaltung oder Vollstreckung ein lokalisiertes Rechtsschutzbedürfnis im Forumstaat vorweisen kann. b) Die Belegenheit von Teilen des (Nachlass-)Vermögens im Forumstaat, sofern die Vollstreckung der Entscheidung nicht bereits hierdurch gesichert ist. Dies ist vor allem relevant, wenn eine bereits bestehende begrenzte subsidiäre internationale Zuständigkeit des Forumstaates erweitert werden soll, um in Bezug auf sämtliche Vermögenswerte entscheiden zu können. c) Persönliche Verbindungen der Beteiligten zum Forumstaat, sofern diese Verbindungen nicht Gegenstand einer ordentlichen Anknüpfung der Zuständigkeit sind. Dabei kommen Staatsangehörigkeit, Wohnsitz, Sitz, gewöhnlicher Aufenthalt und schlichter Aufenthalt als mögliche Verbindungen in Betracht. Der schlichte Aufenthalt stellt dabei den schwächsten Bezug dar. Deswegen muss bei dieser Verbindung anhand der Ursache der Rechtsverweigerung und des Rechtsschutzzieles im Einzelfall festgestellt werden, ob ein ausreichender Bezug vorliegt. In Ausnahmefällen kann auch der schlichte Aufenthalt ausreichend sein. d) Die Anwendbarkeit des Sachrechts des Forums. Dieser Bezug kommt vor allem dann in Betracht, wenn die Ursache der drohenden Rechtsverweigerung die Nicht-Erhältlichkeit des begehrten Rechtsschutzes im Drittstaat ist, weil dessen Verfahrensrecht den Rechtsschutz nicht kennt. Auch im Rahmen der ordre public-Zuständigkeit stellt die Anwendbarkeit des Sachrechts des Forumstaates einen ausreichenden Bezug her.

Schlussüberlegungen

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14. Eine Notzuständigkeit muss zudem sogar dann eröffnet werden, wenn die Rechtsverfolgung in einem anderen Mitgliedstaat unmöglich oder unzumutbar ist. Der Justizgewährungsanspruch aus Art. 6 Abs. 1 EMRK und Art. 47 Abs. 2 EuGRCh erfordert auch in einem solchen Fall die Gewährung einer außerordentlichen Zuständigkeit, wenn eine gewisse Nähebeziehung zum Forumstaat besteht. Ursache für die drohende Rechtsverweigerung trotz an sich gegebener Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaates kann insbesondere eine Anerkennungslücke sein. Grundlage der Notzuständigkeit sollte eine entsprechende Anwendung der Art. 7 EuUntVO, Art. 11 EuErbVO, Art. 11 EuGüVO und Art. 11 EuPartVO sein. 15. Eine Notzuständigkeit nach Art. 11 EuErbVO kann nicht zur Abwendung von Friktionen der EuErbVO mit völkerrechtlichen Verträgen eröffnet werden. Sowohl der Wortlaut als auch das Telos des forum necessitatis stehen der Anwendung entgegen. In solchen Fällen droht dem Kläger keine Rechtsverweigerung. Die Wahrung völkervertraglicher Pflichten des Mitgliedstaates kann eine solche nicht begründen. Das Verfahren in einem anderen Mitgliedstaat ist daher sowohl möglich als auch zumutbar. 16. Liegen die Voraussetzungen der Notzuständigkeit vor, muss diese eröffnet werden. Es gibt keine weiteren Voraussetzungen, die erfüllt werden müssen. Auch steht den erkennenden Gerichten kein Ermessenspielraum zu, obwohl der Wortlaut gerade dies vermuten lässt

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Sachregister ancillary grant 135 anderweitige Rechtshängigkeit 26, 77, 100, 217 Anerkennungshindernis 29, 63, 73 f., 173 ff., 180, 218 ff. Annexzuständigkeit 133, 136 ff. Anpassung 146, 201 Aufhebung der Betreibung 105 Auseinandersetzungszeugnis 36, 41

Erbengemeinschaft 191 f. Erbprätendent 83 f., 145 f., 151 f., 216, siehe auch Einantwortung Erbschein 20, 92 f., 147 f., 151, 221, siehe auch Fremdrechtserbschein Ermessen 9, 44, 66, 88, 108, 113, 217, 225, 233 europäisches Nachlasszeugnis 148 ff., 210, siehe auch wesensfremde Tätigkeit

Betreibungsverfahren 105 ff. Beurteilungsspielraum 97 f., 207, 217, 225 Binnenbeziehung 35, 40 ff., 64 ff., 86, 108 ff., 205 ff. Bürgerkrieg 22 f., 72, 99, 156 f., 211, 229, siehe auch Stillstand der Rechtspflege

forum legis 34, 60 forum shopping 120, 164, 166, 179, 205 Frauenwartefrist 95, 110 Fremdrechtserbschein 20, 145 Fürsorgebedürfnis 13, 19, 30, 38, 40, 42 f., siehe auch Fürsorgezuständigkeit Fürsorgezuständigkeit 13, 34 f., 40, 43, 114, 228, siehe auch Fürsorgebedürfnis

continuing exclusive jurisdiction, siehe Urteilsabänderung Diskriminierung 9, 24, 77, 185 ff., 190, 209, siehe auch Diskriminierungsverbot Diskriminierungsverbot 87, 154, 186 f., 189, 219 domicile 93, 134 f., 199 effet utile 146, 200, 204 Ehefähigkeitszeugnis 36 Einantwortung 82 ff., 144 ff., 150 ff., 216, siehe auch Erbprätendent; Verlassenschaftsverfahren; wesensfremde Tätigkeit eingetragene Partnerschaft 96, 136 f., 187 f., 212 einstweilige Maßnahmen, siehe einstweiliger Rechtsschutz einstweiliger Rechtsschutz 2, 30 f., 54 f., 65, 76, 164, 192 f., 230 Enteignung 24, 62, siehe auch Spaltgesellschaft

Gerichtskosten 78, 167 f., siehe auch Verfahrenskosten Gerichtsstandsvereinbarung 9, 20 ff., 24, 26 f., 50, 103, 129, 133, 136, 140 ff., 146, 189 Geschlechtsanpassung 102 f. gleichgeschlechtliche Ehe 186, 188 ff., 210, 228 Gleichlauf 19 f., 30, 36, 146 Hoheitsgebiet 1, 17, 92, 126, 134 ff., 138, 176 f., 212 Hoheitsrechte 38, 84, 202, 204, 231 Immunität 9, 158 internationale Verbundzuständigkeit 189 Korruption 26, 99, 161 Krieg 22 f., 52, 72, 99, 156 f., 218, 229, siehe auch Stillstand der Rechtspflege lex causae 188, 190 f.

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Sachregister

lex fori 130, 143, 146, 153, 193, 229 Misshandlung 111, 214 Nachlass 30, 82 f., 91 ff., 111, 134 ff., 145 f., 149, 151 f., 176 f., 191 f., 199, 209 ff., 215, 219 ff., 223 f., 232, siehe auch Vermögen Nachlassspaltung 92, 135, 224 Nationalität, siehe Staatsangehörigkeit Naturkatastrophe 99, 156, 218, 229, siehe auch Stillstand der Rechtspflege nichtvermögensrechtliche Streitigkeit 41 perpetuatio fori 23, 88 politische Verfolgung 25, 76, 100, 117, 165, 230, siehe auch Strafverfolgung Prinzip der Ausländerunzuständigkeit 44 ff., 48 ff. Prinzip des Forumsbezuges 11, 113, 119 ff., 125, 187, 205 ff., 214 Prozesskosten 77 ff., 168, siehe auch Verfahrenskosten Prozesskostenersatz 78, 167 f., 230 Prozesskostenhilfe 78, 167 ff., 230 rechtliches Gehör 161, 182 Rechtlosstellung 23 f., 55, 96, 158 Rechtspflege, – geordnete 206, 213 – Stillstand 22 f., 51, 72, 99, 115, 155 ff. – Wiederaufnahme 23, 156 f. Rechtsschutzbedürfnis 15, 20, 28, 40 ff., 44, 118 ff., 143, 171, 180, 232 Reiseentfernung 52, 81, 115, 194 f. Renvoi-Zuständigkeit 16 f. Scheidung 26 f., 43, 49, 56 ff., 93 f., 100, 188 ff. Schiedsgericht 55 Schiedsrichter, siehe Schiedsgericht schlichter Aufenthalt 42 f., 66, 111 ff., 212 ff., 232 Schmerzensgeld 31 Spaltgesellschaft 24, 42, siehe auch Enteignung Spiegelbildprinzip 16, 39, 85, 196, 198 ff., 231

Sprachprobleme 27, 52, 81, 195 Staatsangehörigkeit 18 f., 36, 42 f., 49, 65, 93, 107 f., 111, 120, 132 ff., 138, 144 f., 149, 177, 192, 199, 212, 214 f., 232 staatsvertragliche Regelung 29, 73 f., 126, 148 f., 169, 174, 210, 220 ff., 233 Strafverfolgung 77, 166 f., 230 Streitgenossen 104 f., 190 ff., 230 Substitution 36 f., 83, 150 ff. Termineinwand 32 f. Todesstrafe 166 f. überlange Verfahrensdauer 26 f., 53, 75, 100, 157, 163 ff. unbestimmte Rechtsbegriffe 4 f., 7, 130 f., 227 f. uneheliches Kind 154, 185 ff. Unterhaltsverfahren 132 f., 138, 153 ff., 169, 175, 177 f., 185 f., 214, 218 Urteilsabänderung 93, 133 Verbraucher 53, 82 Verbürgung der Gegenseitigkeit 29, 63, 73 f., 98, 173 ff., 230 Verfahrenskosten 77 f., 115, 167 ff., 230, siehe auch Prozesskosten Verjährung 43 f., 80, 155, 218 Verlassenschaftsverfahren 82, 145, siehe auch Einantwortung Vermögen – bewegliches 83, 92 ff., 135, 149, 177, 210, 212 – Gerichtsstand 13, 29, 41, 177, 193 – unbewegliches 136, 146, 177, 188, 210 ff., 221 – siehe auch Nachlass vermögensrechtliche Streitigkeiten 13, 29, 36, 169 völkerrechtliche Verträge, siehe staatsvertragliche Regelung Vorlageverfahren zum EuGH 131, 217 Vorrang des Staatsvertragsrechts 148 ff., 210, 221, 223, 233 wesenseigene Unzuständigkeit 143, 147 wesensfremde Tätigkeit 34 ff. 144 ff., 204, siehe auch Einantwortung