Vom Geist der Dinge: Das Museum als Forum für Ethik und Religion [1. Aufl.] 9783839403983

In einer Welt sich wandelnder Werte steht das Museum als Hort des kulturellen Erbes der Menschheit vor neuen gesellschaf

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German Pages 196 [197] Year 2015

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Table of contents :
Inhalt
Grussworte, Einleitung
Anything goes? Eine Ausstellung über »Die Zehn Gebote«
Zur ethischen Verpflichtung des Museums
Mit Herz und Verstand. Bildungsarbeit im Museum
Vom Geist der Dinge im Museum
Positionen, Modelle
Museum und Religion
Sakrale Objekte im Museum
Das Museum – weltliches oder religiöses Heiligtum?
Sehnsucht nach Verzauberung. Das postmoderne Kunstmuseum als religiöser Ort
Kunst ist Gleichnis. Gottesdienst im Museum
Ethik und Lebenswelten im Museum
Von Dingen und Werten. Das Deutsche Hygiene-Museum und seine Ausstellungsarbeit
Der Umgang mit Tod und Toten in Ausstellung und Museum
Benjamin, Nabokov und Konsorten. Zur Vermittlung naturwissenschaftlichen Sammelns
Technik im Museum – zwischen Faszination und Verantwortung
Werteerziehung an den Schulen. Konsequenzen für die Kooperation mit den Museen
Kirche als Museum?
Der Seele Raum geben. Begegnungen mit dem Raum in der Kirchenpädagogik
Projekte, Workshops
Religion und der Ursprung unserer Werte. Vorträge zur Ausstellung »Die Zehn Gebote« in Dresden
Zeitgenössische Kunst und Ethik. Beispiele aus der Ausstellung »Die Zehn Gebote«
Religionen und Weltsichten. Religionspädagogische Ansätze im Museum der Weltkulturen
Sakrale Architektur. Erlebnis Synagoge
Kirche als Museum? Ganzheitliche Erfahrung von Kirchenräumen
Ideenmarkt
Zu den Autorinnen, Autoren und Herausgebern
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Vom Geist der Dinge: Das Museum als Forum für Ethik und Religion [1. Aufl.]
 9783839403983

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Udo Liebelt, Folker Metzger (Hg.) Vom Geist der Dinge Das Museum als Forum für Ethik und Religion

2005-10-05 18-09-59 --- Projekt: T398.kum.liebelt.religon-museum / Dokument: FAX ID 01c396524009878|(S.

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) T00_01 schmutztitel.p 96524010070

2005-10-05 18-10-00 --- Projekt: T398.kum.liebelt.religon-museum / Dokument: FAX ID 01c396524009878|(S.

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) T00_02 vakat.p 96524010134

Udo Liebelt, Folker Metzger (Hg.)

Vom Geist der Dinge Das Museum als Forum für Ethik und Religion

2005-10-05 18-10-01 --- Projekt: T398.kum.liebelt.religon-museum / Dokument: FAX ID 01c396524009878|(S.

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) T00_03 innentitel.p 96524010174

Dokumentation der Fachtagung »Vom Geist der Dinge. Das Museum als Forum für Ethik und Religion«, veranstaltet vom Bundesverband Museumspädagogik e.V., in Zusammenarbeit mit der Stiftung Deutsches Hygiene-Museum Dresden, den regionalen Arbeitskreisen des BVMP und dem Bundesverband Kirchenpädagogik e.V., 28. bis 30. Oktober 2004 in Dresden. Leitung der Tagung: Hannelore Kunz-Ott, Folker Metzger Mitarbeit: Udo Liebelt Bearbeitet und herausgegeben von Udo Liebelt und Folker Metzger im Auftrag des Bundesverbandes Museumspädagogik e.V.

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

© 2005 transcript Verlag, Bielefeld Umschlaggestaltung & Innenlayout: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Porträtfotos, Oktober 2004 in Dresden: Bärbel Wöhlke, Dresden Umschlagabbildung: Changseung (Geisterpfahl). Künstler: Dorfgemeinschaft. Kult und Herkunft: Changseung-je, Dorfritus in Yong Du Rie Chungchueng Do, Korea. Sammlung museum kunst palast, Düsseldorf. Korrektorat: Nils Korsten, Osnabrück Herstellung: Justine Haida, Bielefeld Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. ISBN 3-89942-398-4 Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

2005-10-05 18-10-01 --- Projekt: T398.kum.liebelt.religon-museum / Dokument: FAX ID 01c396524009878|(S.

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) T00_04 impressum.p 96524010206

Inhalt



Grussworte, Einleitung

Klaus Vogel Anything goes? Eine Ausstellung über »Die Zehn Gebote« . . . Grusswort des Direktors des Deutschen Hygiene-Museums Dresden Willi Xylander Zur ethischen Verpflichtung des Museums . . . . . . . . . . . . . . . . Grusswort des Vizepräsidenten des Deutschen Museumsbundes e.V. Hannelore Kunz-Ott Mit Herz und Verstand. Bildungsarbeit im Museum . . . . . . . . . Grusswort der Vorsitzenden des Bundesverbandes Museumspädagogik e.V. Folker Metzger, Udo Liebelt Vom Geist der Dinge im Museum Einleitung der Herausgeber



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Positionen, Modelle

Museum und Religion Karl-Heinz Kohl Sakrale Objekte im Museum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 Jean-Hubert Martin Das Museum – weltliches oder religiöses Heiligtum?

. . . . . . . 39

Susanne Natrup Sehnsucht nach Verzauberung. Das postmoderne Kunstmuseum als religiöser Ort . . . . . . . . . .

2005-10-05 18-10-02 --- Projekt: T398.kum.liebelt.religon-museum / Dokument: FAX ID 01c396524009878|(S.

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7) T00_05 liebinhalt.p 96524010230

Udo Liebelt Kunst ist Gleichnis. Gottesdienst im Museum

. . . . . . . . . . . . . 63

Ethik und Lebenswelten im Museum Gisela Staupe Von Dingen und Werten. Das Deutsche Hygiene-Museum und seine Ausstellungsarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 Reiner Sörries Der Umgang mit Tod und Toten in Ausstellung und Museum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 Peter-René Becker Benjamin, Nabokov und Konsorten. Zur Vermittlung naturwissenschaftlichen Sammelns

. . . . . . . . 115

Michael Matthes Technik im Museum – zwischen Faszination und Verantwortung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 Frank Richter Werteerziehung an den Schulen. Konsequenzen für die Kooperation mit den Museen

. . . . . . . . 145

Kirche als Museum? Astrid Seichter Der Seele Raum geben. Begegnungen mit dem Raum in der Kirchenpädagogik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151



Projekte, Workshops

Christian Holtorf Religion und der Ursprung unserer Werte. Vorträge zur Ausstellung »Die Zehn Gebote« in Dresden

2005-10-05 18-10-02 --- Projekt: T398.kum.liebelt.religon-museum / Dokument: FAX ID 01c396524009878|(S.

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7) T00_05 liebinhalt.p 96524010230

Anja Sommer Zeitgenössische Kunst und Ethik. Beispiele aus der Ausstellung »Die Zehn Gebote« . . . . . . . . . . 170 Liana Gugel, Astrid Meister Religionen und Weltsichten. Religionspädagogische Ansätze im Museum der Weltkulturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 Claudia Lorenz Erzähl’ mir was vom Tod! Konzeptionen und Ausstellungsgestaltung im Vergleich . . . . . 178 Nora Goldenbogen Sakrale Architektur. Erlebnis Synagoge

. . . . . . . . . . . . . . . . . . 183

Kai Schmerschneider Kirche als Museum? Ganzheitliche Erfahrung von Kirchenräumen

. . . . . . . . . . . . . . 185

Ideenmarkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187

Zu den Autorinnen, Autoren und Herausgebern . . . . . . . . . . . . 191

2005-10-05 18-10-02 --- Projekt: T398.kum.liebelt.religon-museum / Dokument: FAX ID 01c396524009878|(S.

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7) T00_05 liebinhalt.p 96524010230

2005-10-05 18-10-02 --- Projekt: T398.kum.liebelt.religon-museum / Dokument: FAX ID 01c396524009878|(S.

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) vakat 008.p 96524010238

➔ Grußworte, Einleitung

2005-10-05 18-10-03 --- Projekt: T398.kum.liebelt.religon-museum / Dokument: FAX ID 01c396524009878|(S.

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) T01_00 RESP 1 GRUSSWORTE.p 96524010254

2005-10-05 18-10-03 --- Projekt: T398.kum.liebelt.religon-museum / Dokument: FAX ID 01c396524009878|(S.

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) vakat 010.p 96524010262

Klaus Vogel ➔ Grusswort des Direktoren des Deutschen Hygiene-Museums Dresden



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Anything goes? Eine Ausstellung über »Die Zehn Gebote«

Klaus Vogel Direktor des Deutschen Hygiene-Museums Dresden Wenn man die gegenwärtigen Tendenzen der Museumsarbeit in Deutschland betrachtet, dann ist eine eindeutige Richtung nur schwer zu erkennen. Finanzielle Schwierigkeiten gibt es allerorten, Trägerschaftsprobleme, Stellenwegfall usw. – das alles hat aber nicht verhindert, dass inzwischen thematisch und konzeptionell eigentlich »alles geht«. Es gibt nichts, das nicht geht – vielleicht nicht überall, aber doch da und dort, und wenn nicht in München, dann in Berlin (oder umgekehrt). Allerlei Verhärtungen sind aufgebrochen, und noch der konservativste Bürgermeister oder Minister hat kein Problem damit, selbst die wunderlichste Ausstellung oder das krudeste Event zu eröffnen. Wenn diese Beobachtung zutrifft, wenn wirklich »alles geht« und niemand sich mehr aufregt, warum dann nicht diese neue Gleichgültigkeit, dieses »Anything goes« (in Anlehnung an Paul Feyerabend) zum Thema machen? Das hieße dann, grundsätzlich über die Funktion von Museumsarbeit nachzudenken. Bei der Planung unserer Sonderausstellung »Die Zehn Gebote« haben wir das getan. Mehr noch: wir haben uns entschieden – auch wenn man dies mit Kopfschütteln betrachten mag –, die Frage nach der Moral zu stellen. Es geht also um nichts weniger als um Moral, um Anständigkeit, um Aufrichtigkeit, um Anteilnahme, um Offenheit, um Wachheit – und um die Möglichkeit von Wahrheit. Sicher ist das provokativ. Und einfacher wird die Sache nicht, wenn man als Hypothese hinstellt, dass die Grundregeln unseres Zusammenlebens im Nahbereich wie in unserer Gesellschaft auf diesem theologisch fundierten Regelwerk basieren, und dass uns dieses Regelwerk gerade um die Ohren fliegt. Oder auch nicht – denn vielleicht ist die Orientierungskraft der Zehn Gebote noch immer viel stärker, als wir in unserer säkularen Zeit denken. Unsere These ist: Die Frage nach der Moral ist virulent, sie ist mit Händen zu greifen, wenn wir mit wachen Augen die Spannungsfelder unserer Gegenwart betrachten. Wir wollten das allerdings nicht in einer kultur- oder religionsgeschichtlichen Weise durchbuchstabieren. Vielmehr hatten wir uns entschlossen, diese These im Rahmen einer Ausstellung zur Diskussion zu stellen, die ausschließlich zeitgenössische Kunst zeigt. Entstanden ist eine Kunstausstellung ohne den Verdacht des l´art pour l´art. Es ist eine Ausstel-

2005-10-05 18-10-04 --- Projekt: T398.kum.liebelt.religon-museum / Dokument: FAX ID 01c396524009878|(S.

11- 12) T01_01 Grußwort Vogel.p 96524010326

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Udo Liebelt, Folker Metzger (Hg.) Vom Geist der Dinge

lung, die über die Maßen nahegeht und den Einzelnen mit diesem drängenden Thema von globaler Bedeutung konfrontiert. Wenn unsere Besucher dies aus unserer Ausstellung mitnehmen, dann wäre das wohl ein Beispiel dafür, dass Museen mit ihren ureigensten Mitteln relevante ethische Fragen und Antworten zur Diskussion stellen können. Dann wären die »Zehn Gebote« eine Facette des großen »Anything goes« im Kulturbetrieb, aber eben eine, die sich jenseits der allgemeinen Beliebigkeit klar positioniert. So können Museen mehr sein als Verwahrstätten für Vergangenes: Sie sind ideale Diskurs-Orte in einer Gesellschaft, die ihren Weg ins 21. Jahrhundert politisch wie moralisch neu bestimmen muss. Als Teilnehmerinnen und Teilnehmer an der Fachtagung »Vom Geist der Dinge« heiße ich Sie im Deutschen Hygiene-Museum herzlich willkommen! Ich wünsche Ihnen interessante Gespräche und einen erlebnisreichen Aufenthalt in unserem Museum!

2005-10-05 18-10-04 --- Projekt: T398.kum.liebelt.religon-museum / Dokument: FAX ID 01c396524009878|(S.

11- 12) T01_01 Grußwort Vogel.p 96524010326

Willi Xylander ➔ Grußwort des Vizepräsidenten des Deutschen Museumsbundes e.V.



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Zur Ethischen Verpflichtung des Museums

Willi Xylander Vizepräsident des Deutschen Museumsbundes e.V.









Es freut mich, anlässlich Ihrer diesjährigen Fachtagung ein Grußwort an Sie richten zu dürfen. Ich mache dies gern – und gleich in zweierlei Hinsicht: Zum einen als Vertreter des Deutschen Museumsbundes, als dessen Vizepräsident ich hier zu Ihnen spreche; und zweitens als Museumskollege aus dem Bundesland, in dem Sie sich in diesem Jahr versammeln. Vieles verbindet inzwischen den Bundesverband Museumspädagogik und den Deutschen Museumsbund: – Aktive Mitglieder aus Ihren Reihen waren und sind – Frau Dorothee Dennert, Herr Rolf Voß – in unserem Vorstand tätig. Unsere Verbände präsentieren sich gemeinsam auf den Messen »Mutec« in München und (im kommenden Frühjahr) auf den »Museumswelten« in Saarbrücken. Wir sind Kooperationspartner des Projektes Schule@Museum – einem Projekt, das Schulen und Museen als Bildungseinrichtungen miteinander verknüpfen und Jugendlichen im Rahmen von Multimediaprojekten neue Impulse in der Auseinandersetzung mit kulturellen Werten vermitteln möchte. In diesem Herbst wird das Projekt unter der Thematik »Virtuell und Interkulturell« in eine Pilotphase geführt, und unser gemeinsamer Wunsch ist es, ab dem nächsten Sommer einen bundesweiten Wettbewerb auszuschreiben. Nicht zuletzt fand die Jahrestagung 2002 des Deutschen Museumsbundes in Nürnberg in Kooperation mit dem Bundesverband Museumspädagogik statt. »Museumsethik – Anspruch und Aufgabe der Museumsarbeit« lautete damals das Thema.

Sie werden in den nächsten Tagen hier in Dresden über den »Geist der Dinge. Das Museum als Forum für Ethik und Religion« diskutieren. Auch wenn Sie sich hier unter dem Begriff der Ethik einem anderen Schwerpunkt widmen als wir in Nürnberg: Unsere Verbände stehen so nah zusammen, dass wir für unsere Tagungen gelegentlich auch eine Titelverwandtschaft ins Auge fassen! Was wären die Museen ohne Museumspädagogik? Zeitgemäße, kreative, zielgruppenorientierte Vermittlung steht gleichrangig neben den anderen Eckpfeilern des Museums. Impulse für neue museumsinterne Arbeitsfelder

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13- 15) T01_02 Grußwort Xylander.p 96524010334

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Udo Liebelt, Folker Metzger (Hg.) Vom Geist der Dinge

wie »Öffentlichkeitsarbeit«, »Marketing« oder »Public Relations« gingen oft von der Museumspädagogik als Kontaktzone zwischen dem Innen und dem Außen aus, wo der Bedarf für die Vermarktung unserer Schätze als Wissensressource am schnellsten erkannt wurde. Längst sehen die Träger, die Öffentlichkeit und die Museen selbst, dass Sie es sind, denen wir im Museum einen erheblichen Teil unserer Besucher verdanken. Ihre auf alle Ziel- und Altersgruppen und Bildungsschichten ausgerichteten Vermittlungsprogramme erschließen und binden die Besucher von heute und die von morgen an unsere Museen. Sie sind es, die die Museumsobjekte zum Sprechen bringen – und die Museumsbesucher häufig auch! Dieses Feedback ist oft Ausgangspunkt, Orientierung und Zielsetzung neuer Aktivitäten. »Vom Geist der Dinge« lautet der Titel Ihrer Tagung – »Das Museum als Forum für Ethik und Religion«. Als Vizepräsident des Deutschen Museumsbundes möchte ich die Gelegenheit hier nicht ungenutzt lassen, das Thema in einen aktuellen museumspolitischen Zusammenhang zu rücken: In einer überregionalen Gazette wurde vor wenigen Tagen die Veräußerung von Sammlungen eines großen deutschen Museums angeprangert. Nun ist der Verkauf von Sammlungsgut ja leider kein Tabuthema mehr. Immer wieder werden wir mit – teilweise absurden – Forderungen konfrontiert, doch Teile unserer Sammlungsbestände zu verkaufen und aus den Erlösen das Treppenhaus zu sanieren oder das undichte Dach zu decken. Unsere ureigenste und vordringlichste Aufgabe ist es jedoch, Sammlungen für die Nachwelt zu schaffen, zu erhalten sowie ihren Erschließungszustand kontinuierlich zu steigern. Abgabe von Sammlungsgut kann auf dieser Basis nur die Ausnahme sein. Sie muss den ICOM-Regularien entsprechen und regelgerecht gemäß des Code of Ethics erfolgen. Im Zusammenhang mit Ihrem Untertitel »Das Museum als Forum für Ethik und Religion« muss gefragt werden, wie wir uns in unseren Museen im Umgang mit dem Erbe von Generationen verhalten, das wir zu sammeln, zu erforschen, zu bewahren und zu vermitteln haben. Sollten wir im Kanon unserer vielfältigen Veranstaltungen rund um Ausstellungen nicht auch solche anbieten, die sich im Sinne eines Forums für Ethik mit dem Umgang mit unserem kulturellen Erbe beschäftigen? Die Sammlungen der Museen werden als selbstverständlich vorausgesetzt. Ihr Schutz vor Diebstahl, Naturkatastrophen und Gewalteinwirkung wird häufig thematisiert. Aber zu wenig verweisen wir noch auf den Wert des Sammelns an sich, auf die Besonderheit der in sich geschlossenen Sammlung, die der Öffentlichkeit durch einen privaten Sammler als Ganzes zur Verfügung gestellt wird, sowie auf den Schutz, den all dies durch uns erfahren sollte. Hier wäre ein neues, spannendes Feld für unsere beiden Institutionen. Denn was und an welchen Beispielen könnten Sie authentisch vermitteln, wenn unsere

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13- 15) T01_02 Grußwort Xylander.p 96524010334

Willi Xylander ➔ Grußwort des Vizepräsidenten des Deutschen Museumsbundes e.V.

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Sammlungen nicht mehr oder nur noch als Torso ihrer selbst zur Verfügung stünden? In diesem Sinne wünschen wir uns auch in Zukunft eine gute Zusammenarbeit mit dem Bundesverband Museumspädagogik. Und setzen weiterhin darauf, grundsätzliche Themen zu nutzen, um gemeinsam Stärke zu zeigen.

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13- 15) T01_02 Grußwort Xylander.p 96524010334

2005-10-05 18-10-05 --- Projekt: T398.kum.liebelt.religon-museum / Dokument: FAX ID 01c396524009878|(S.

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) vakat 016.p 96524010342

Hannelore Kunz-Ott ➔ Grußwort der Vorsitzenden des Bundesverb. Museumspädagogik e.V.



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Mit Herz und Verstand. Bildungsarbeit im Museum

Hannelore Kunz-Ott Vorsitzende des Bundesverbandes Museumspädagogik e.V. Am Anfang meiner Einführung in die diesjährige Tagung des Bundesverbandes Museumspädagogik e.V. steht ein herzlicher Dank an den Direktor des Deutschen Hygiene-Museums, Klaus Vogel, für die Gastfreundschaft hier in seinem Haus. Der Bundesverband Museumspädagogik e.V. ist gerne nach Dresden, in die sächsische Landeshauptstadt mit ihrer reichen Museumslandschaft gekommen. Mit ihren an die dreißig Museen bietet diese Stadt das ideale Forum für eine museumspädagogische Tagung, zumal wir im Rahmen der Workshops die Gelegenheit haben werden, einige ihrer Schatzhäuser näher kennen zu lernen. Die derzeitige Sonderausstellung »Die Zehn Gebote« des Deutschen Hygiene-Museums ist der geeignete Rahmen für unser diesjähriges Tagungsthema. Aber nicht nur der thematische Bezug war Anlass, nach Dresden zu kommen, sondern auch die lange Tradition der Bildungs- und Vermittlungsarbeit speziell in diesem Hause. Heidi Graf, die langjährige Museumspädagogin am Deutschen Hygiene-Museum, ist vielen Kolleginnen und Kollegen ein Begriff für engagierte, mit Herz und Verstand durchgeführte, museumspädagogische Arbeit. Die diesjährige Tagung des Bundesverbandes Museumspädagogik widmet sich einem Thema, das uns nach den lebhaften Debatten der vergangenen Jahre über Events und öffentlichkeitswirksame Veranstaltungen wieder zu den Kernaufgaben des Museums führt. »Vom Geist der Dinge. Das Museum als Forum für Ethik und Religion« haben wir den diesjährigen Kongress betitelt. Zwei Themenschwerpunkte sind in dieser Formulierung enthalten: Erstens die Dinge – also die Objekte, die in den Museen gesammelt und ausgestellt werden, und zweitens, der Ort »Museum«. Ich füge einen dritten Schwerpunkt hinzu: die Vermittlung dieser beiden Inhalte. Zu den Objekten: Das Sammeln von Dingen, von Objekten der materiellen Überlieferungen des Menschen aus den Bereichen Kunst, Politik, Naturgeschichte, Technik oder Kultur gehört zu den zentralen Aufgaben des Museums. Wie aber werden diese Objekte menschlicher Zeugnisse im Museum präsentiert? Zeigen Ausstellungskuratoren sakrale Dinge in ihrem kultischen Kontext, oder stehen nicht vielmehr ästhetische Gesichtspunkte im Vordergrund, nicht nur im Kunstmuseum? Wie gehen Museen mit sakralen Gegenständen aus anderen Kulturkreisen um? Haben wir die notwendige Distanz

2005-10-05 18-10-06 --- Projekt: T398.kum.liebelt.religon-museum / Dokument: FAX ID 01c396524009878|(S.

17- 19) T01_03 Grußwort Kunz-Ott.p 96524010350

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Udo Liebelt, Folker Metzger (Hg.) Vom Geist der Dinge

und Objektivität oder sehen wir diese Exponate beeinflusst unter der Brille des Christentums und des Eurozentrismus? Und, ganz aktuell: Ist die künstlerische Präsentation von menschlichen Leichen in der Wanderausstellung »Körperwelten« eine »Pädagogik des Lebendigen« oder doch nur »Leichenfledderei«? Wozu dienen derartige Ausstellungen? Dienen sie wirklich der Aufklärung oder stehen eher Provokation, Sensationslust und Kommerz im Vordergrund? Wie man das Thema »Leben und Sterben« verantwortungsbewusst und seriös, aber ohne Langeweile und erhobenem Zeigefinger darstellen kann, ist hier im Deutschen Hygiene-Museum anschaulich zu sehen. Zum zweiten Schwerpunkt unseres Themas, dem Ort »Museum«. Max Fuchs, Vorsitzender des Deutschen Kulturrats, stellte die These auf, dass im Laufe des 19. Jahrhunderts die Religion durch die Kunst verdrängt worden sei. Insbesondere habe das Bürgertum als »funktionales Äquivalent« für Religion die Künste und ihre Einrichtungen im Sinne von identitätsstiftenden Orten gesetzt. Betrachtet man die jüngsten Museumsbauten, so trifft diese These wohl für unsere Zeit zu: Die Pinakothek der Moderne in München etwa, mit ihren großen, lichtdurchfluteten breiten Treppenaufgängen und ihrem sakralen Lichtdom in der Mitte der Gebäudes – mutet wie ein Wallfahrtsort für Ästheten an. Aber: Eine Werkstatt für Bildungsarbeit fehlt, einen Seminarraum für Vermittlungskurse sucht man hier vergebens. Metallisch glitzernde Kathedralen wie in Bilbao, asketische, puristische Architekturen wie das neu eröffnete Kunsthaus des japanischen Architekten Tadao Ando in Hombroich oder das ebenfalls erst vor wenigen Tagen eingeweihte Museum Frieder Burda des New Yorker Stararchitekten Richard Meier in Baden-Baden entwickeln sich zu Orten, die »Kunstpilger« anziehen: Zelebriert und inszeniert man Kunstwerke hier nicht wie sakrale Kultobjekte? An diesen Orten kann man tatsächlich von der »Aura des Objektes« sprechen, aber in einem ganz anderen Sinn. Ist nicht sogar das Besucherverhalten in diesen »Kathedralen der Kunst« ritualisiert? Wird das moderne Kunstmuseum zum Ersatz für den alten Kirchenraum? Schließlich die Frage, die uns hier besonders beschäftigen wird: Wie positioniert sich zwischen diesen beiden Polen die Museumspädagogik? Welche Werte vermitteln die Bildungs- und Kommunikationsabteilungen in diesen Museen? Wie verantwortungsbewusst gehen wir in unseren Bildungsprogrammen mit dem »schönen Schein« einerseits und den elementaren Inhalten der Exponate um? Beziehen wir z.B. »Betroffene« mit ein, wenn wir über fremde Kulturen sprechen? Stellen wir auch die »andere Seite der Medaille« dar, wenn wir im Museum Errungenschaften der Technik präsentieren? Sind wir nicht häufig zu objektorientiert und zu positivistisch in unseren Erklärungen? Das Thema der Dresdener Tagung ist komplex und vielfältig. Viele Fragen stehen im Raum, die wir sicher nicht alle in diesen zwei Tagen beantworten

2005-10-05 18-10-06 --- Projekt: T398.kum.liebelt.religon-museum / Dokument: FAX ID 01c396524009878|(S.

17- 19) T01_03 Grußwort Kunz-Ott.p 96524010350

Hannelore Kunz-Ott ➔ Grußwort der Vorsitzenden des Bundesverb. Museumspädagogik e.V.

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werden können. Dennoch wollen wir mit Hilfe kompetenter Fachleute uns diesen vielfältigen und unterschiedlichen Problemen nähern, um wieder einmal über grundlegende Fragen unserer Tätigkeit nachzudenken. Neben den Vorträgen haben die Teilnehmerinnen und Teilnehmer die Möglichkeit, in den Workshops in den verschiedenen Dresdener Museen einzelne Aspekte näher zu beleuchten und in kleinerem Kreise zu vertiefen. Bevor wir medias in res gehen, ist es mir ein Anliegen, jenen Kollegen und Kolleginnen herzlich zu danken, die diese Tagung inhaltlich vorbereitet und organisiert haben: Mein Dank richtet sich besonders an den ehemaligen Leiter der Museumspädagogischen Abteilung dieses Hauses – Folker Metzger, mittlerweile an die Bundeskunsthalle in Bonn berufen –, und an seine Mitarbeiterinnen, Anne-Marie Schulze und die beiden Praktikantinnen. Wir freuen uns über das mittlerweile zur Tradition gewordene Grußwort des Deutschen Museumsbundes, das der stellvertretende Präsident, Professor Dr. Willi Xylander, hier ausgesprochen hat. Wir verstehen diese Geste als Anerkennung der Bildungsarbeit der Museumspädagoginnen und -pädagogen, die uns zeigt, dass unser Aufgabenfeld auch auf Verbandsebene längst zum elementaren Bestandteil des Museums geworden ist. Folker Metzger und Dr. Udo Liebelt, ehemaliger Kustos am Sprengel Museum Hannover und jetzt freiberuflich in Karlsruhe tätig, danke ich für die konzeptionelle und fachliche Vorarbeit, die das Referenten- und Themenprofil dieser Tagung maßgeblich geprägt hat. Beide Kollegen haben es dankenswerter Weise übernommen, die Dokumentation zu dieser Tagung redaktionell zu bearbeiten und herauszugeben. Mein letzter Dank richtet sich an alle regionalen museumspädagogischen Landesverbände für die inhaltliche und finanzielle Unterstützung der Tagung. Eine Kooperation mit dem Bundesverband Kirchenpädagogik e.V. lag bei diesem Themenkomplex nahe. Ein herzliches »Vergelt’s Gott«, wie man bei uns in Bayern sagt, richte ich auch an die Dresdener Kolleginnen und Kollegen, die als Gastgeber für die Workshops fungieren. Ihnen allen wünsche ich eine erfolgreiche Tagung, anregende Diskussionen und einen lebhaften Erfahrungsaustausch.

2005-10-05 18-10-06 --- Projekt: T398.kum.liebelt.religon-museum / Dokument: FAX ID 01c396524009878|(S.

17- 19) T01_03 Grußwort Kunz-Ott.p 96524010350

2005-10-05 18-10-06 --- Projekt: T398.kum.liebelt.religon-museum / Dokument: FAX ID 01c396524009878|(S.

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) vakat 020.p 96524010478

Folker Metzger, Udo Liebelt ➔ Einleitung



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Vom Geist der Dinge im Museum. Einleitung

Folker Metzger, Udo Liebelt

I Sind Museen geeignete Orte für Fragen der Ethik, des religiösen Lebens oder gar des normativen Urteilens über Fragen, die das Leben betreffen? Ist und sollte nicht vielmehr der säkulare, liberale und aufklärerische Charakter ein spezifisches Merkmal moderner Museumskultur sein? Sich über diese Fragen klar zu werden, ist sowohl für die Vermittlungsarbeit als auch für die Ausstellungspraxis von Bedeutung. Die Zuwendung zu existentiellen Themen und lebensweltlichen Fragen scheint zur Zeit an den deutschen Museen eine gewisse Renaissance zu erfahren. Die vom Deutschen Hygiene-Museum Dresden eingerichtete und während der Tagung lebhaft diskutierte Kunstausstellung »Die Zehn Gebote« beweist das ebenso wie eine in Berlin entstandene Mitmachausstellung für Kinder unter dem Titel »Erzähl mir was vom Tod«. Dennoch werden in der gegenwärtigen bildungspolitischen Debatte um die Vermittlung von Werten die Museen bisher kaum erwähnt. Dabei bietet der sakrale oder rituelle Hintergrund vieler Objekte und Sammlungen ein breites Spektrum an Anschlussmöglichkeiten für ethische und religiöse Fragen und die damit verbundenen existentiellen Themen wie Leben, Krankheit und Sterben. Impulse für die Auseinandersetzung mit ethischen und religiösen Themen erfuhr die Museumsarbeit bisher vor allem in Ausstellungen zu außereuropäischen Kulturen, bei denen nicht selten die konzeptionelle Mitwirkung der betreffenden indigenen Ethnien eine wichtige Rolle spielt. Herkömmliche Formen der Ausstellungspraxis mussten hier zugunsten der Erprobung anderer Konzepte aufgegeben werden. Den Entschluss, sich im Rahmen einer Museumstagung in Dresden mit ethischen und religiösen Fragen zu beschäftigen, werten die Verantwortlichen darum nicht nur als Ausdruck einer zunehmenden Sensibilisierung,

2005-10-05 18-10-07 --- Projekt: T398.kum.liebelt.religon-museum / Dokument: FAX ID 01c396524009878|(S.

21- 25) T02_04 Metzger Liebelt

foto oben.p 96524010486

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Udo Liebelt, Folker Metzger (Hg.) Vom Geist der Dinge

sondern auch als Konsequenz aus den aktuellen öffentlichen Debatten. Dabei standen jedoch nicht die Fragen der »Museumsethik« bzw. der professionellen ethischen Selbstverpflichtung der Museen zur Diskussion, wie sie der Deutsche Museumsbund auf seiner Jahrestagung 2002 in Auseinandersetzung mit dem vom Internationalen Museumsrat (ICOM) herausgegebenen Code of Ethics for Museums geführt hat (vgl. Museumskunde, Bd. 67, 2/2002, sowie ICOM-Deutschland u.a., 2003: ICOM: Ethische Richtlinien für Museen). Vom Geist der Dinge geht vielmehr Fragen nach der Präsentation und Vermittlung von Ethik und Religion im Museum nach und führt damit auf museumspädagogischer Ebene die Diskussion fort, wie sie 2001 auf einer Tagung der Deutschen Vereinigung für Religionsgeschichte aus religionswissenschaftlichem Interesse heraus in Leipzig stattfand (vgl. das von Peter J. Bräunlein im transcript Verlag herausgegebene Buch »Religion und Museum. Zur visuellen Repräsentation von Religionen/en im öffentlichen Raum«, Bielefeld 2004). Die Grenzen vorhandener Methoden der Vermittlungsarbeit werden bei der Annäherung an existentielle Themen schnell sichtbar – sie werden sich erweitern und anpassen müssen. Reicht es möglicherweise nicht aus, wenn das Museum wissenschaftliche wie ästhetische Erfahrungen auf populäre Weise zugänglich macht? Jean-Hubert Martin stellt in seinem Beitrag diese Frage. In einer Kunstausstellung von Altären aus aller Welt geht es ihm darum, Präsentationsformen zu finden, bei denen die kultischen Kontexte der ausgestellten Exponate auf ihre jeweils spezifische Weise berücksichtigt werden. Der Direktor des museum kunstpalast in Düsseldorf kritisiert die Tradition des Humanismus in bestimmten Formen der Ausstellungspraxis, wie sie sich als unausgesprochene Ausgrenzung außereuropäischer Kulturen widerspiegelt. Den wohlfeilen Ausweg, fremdartige Kunstwerke in Ausstellungen der klassischen Moderne als »Primitivismus« zu rezipieren, lehnt er kategorisch ab. Zu den museumspädagogischen Aufgaben im Horizont ethischen Fragens gehört die Auseinandersetzung mit fremden Kulturen und Religionen ebenso selbstverständlich wie der Blick auf das Werteverständnis unseres eigenen Kulturkreises. Anders als Martin setzt sich Karl-Heinz Kohl kritisch damit auseinander, ob sakrale Objekte vor dem Hintergrund ihrer Bedeutungshorizonte überhaupt darstellbar sind. Ist nicht jede Rekonstruktion von Kontexten im Museum, so der Frankfurter Ethnologe, als Manipulation, wenn nicht gar als ausstellerische »Lüge« zu begreifen? II Neben dem Museum der Weltkulturen oder dem Kunstmuseum blendet auch das Wissenschaftsmuseum, das die aktuellen Erkenntnisse der Lebenswis-

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senschaften auf anschaubare Weise einem breiteren Publikum zugänglich machen möchte, existentielle Fragestellungen nicht aus. Gisela Staupe vom Deutschen Hygiene-Museum Dresden und Reiner Sörries als Direktor des Museums für Sepulkralkultur in Kassel belegen das mit Beispielen aus der Ausstellungspraxis ihrer Häuser. In beiden Einrichtungen stehen die Kuratoren vor der Frage, wie Ausstellungskonzepte aussehen können, die sich den Grundfragen des Menschseins, z.B. im Umgang mit Krankheit und Tod, mit der Religion, mit dem Verhältnis zwischen Sexualität und Reproduktionsmedizin, widmen. Die Antworten fallen sehr unterschiedlich aus, doch zeigt sich, dass für jedes Thema eine neue Form gefunden werden muss. So wurde in Dresden für die neue Dauerausstellung des Hygiene-Museums bewusst auf den Einsatz von Kunstwerken verzichtet, während dasselbe Museum in »Nochmal Leben« auf fotografische Dokumentation und für die Ausstellung »Die Zehn Gebote« auf die Gegenwartskunst setzt. Der Umgang mit dem Tod scheint zu einem vorrangigen musealen Anliegen geworden zu sein. In seinem Rückblick auf Ausstellungen zu den Themen Sterben und Tod in den vergangenen drei Jahrzehnten führt Reiner Sörries vor, welch erhebliche Wandlungen sich von einer volkskundlichen Interpretation gesammelter Artefakte bis hin zum Medienrummel um »Ötzi« und Gunther van Hagens »Körperwelten« vollzogen haben. Was in seinem Beitrag nicht zu lesen ist, aber die von ihm verantworteten Ausstellungen zeigen, ist, dass auch hier die Zusammenarbeit mit Künstlern einen immer höheren Stellenwert einnimmt. Peter-René Becker und Michael Matthes gehen zwar von den spezifischen Situationen der Naturkunde- und Technikmuseen aus, kommen jedoch zu ähnlichen Zielsetzungen in ihrer Arbeit wie Kohl und Martin, wenn sie den Respekt vor den Objekten zur Grundvoraussetzung verantwortlichen Ausstellungshandelns erklären. Becker macht deutlich, in welches Dilemma man als Ausstellungsmacher geraten kann, wenn sich die Forderung nach Erhaltung der Natur nur erfüllen lässt, indem man lebende Organismen abtötet, sie in ihrer kategorialen Funktion objektiviert bzw. wie ästhetische Gegenstände betrachtet und auf diese Weise ausstellerisch »verwertet«. Weil die Vorstellung von Natur allemal eine emotional aufgeladene Konstruktion darstelle, könne die Aufgabe naturwissenschaftlicher Sammlungen nur darin bestehen, dass wir uns selber als Teil der Natur begreifen. Das Dilemma des Technikmuseums und verwandter Ausstellungen beschreibt Michael Matthes als vergeblichen Versuch, perfekte Technikwelten vorführen zu wollen. Eine ethisch verantwortliche Alternative erkennt er darin, Technik von ihrer Unzulänglichkeit bzw. von ihrer Zerstörbarkeit her zu zeigen. Es wäre töricht, wenn das Museum auf einer Konferenz wie der in Dresden an der Diskussion vorbeisähe, wie sie aktuell für die Fächer Religion und Ethik bzw. »Werte und Normen« im schulischen Bereich geführt wird. Frank

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Richter, verantwortlich für die diesbezügliche Lehrplanentwicklung im Schulunterricht des Freistaates Sachsen, nennt einige Ziele dieser Fächer und plädiert für die enge Kooperation zwischen Schule und Museum. Ob es um den »Aufbau einer Kultur der Wertschätzung für Menschen und Dinge« geht, um die »Orientierung an der Lebenswelt der Schüler« oder um die »Entwicklung der Fähigkeit bei Schülern und Lehrern, den Konsens zu suchen« – ganz außer Frage steht, dass Museumspädagoginnen und -pädagogen auf den fachlichen, freilich auch kritischen Austausch mit der Schuldidaktik angewiesen bleiben. III Wertet man Religion als eine anthropologische Konstante, die konstitutiv zum Menschsein gehört, wie das Susanne Natrup in ihrem Beitrag vorträgt, führt das – so die These der Theologin – zu einer Überschneidung von Religiosität und Kunstgenuss. Das postmoderne Kunstmuseum bediene ein allgemeines und diffuses Sinnbedürfnis, indem es die Kunst als Religionsersatz für Sinnsuchende und sich damit selber als »Kirche des Ästhetischen« anbiete. Das Kunstmuseum ermögliche Einfühlung und Ergriffenheit bei gleichzeitiger »Atomisierung der Prozession« vor dem Bild und inszeniere sich so als »Ort impliziter und individualisierter Religion«. So gesehen, mag es konsequent erscheinen, wenn manche Museen ihr Publikum zu Kunstgottesdiensten einladen. Udo Liebelt argumentiert allerdings in eine andere Richtung, wenn er in seinem Beitrag Modelle dieses Veranstaltungstyps vorstellt. Er begreift das Kunstwerk als »Gleichnis« für schöpferisches Handeln und Sinnhaftigkeit und erkennt darin eine Chance für den Betrachter bzw. eine betrachtende »Gemeinde«, die Fraglichkeit der eigenen Lebensexistenz ins Spiel zu bringen. Nicht die »auratische« Inszenierung des Kunstwerks, sondern die symbolische Bedeutsamkeit im künstlerischen Sinn sei dafür ausschlaggebend. Steht das moderne Kunstmuseum im Verdacht, Religiosität ersatzweise anzubieten, darf umgekehrt auch diese Frage gestellt werden: Ist die Kirche zum Museum geworden? Astrid Seichter wehrt dieses Missverständnis ab, wenn sie auf das konfessionelle Selbstverständnis und auf spezifische Ziele in der Vermittlungspraxis der Kirchen- bzw. der Kirchenraumpädagogik eingeht. Was sich zuerst an den Kathedralen in Frankreich oder in England etablierte, wird seit den 90er Jahren auch bei uns in Deutschland sowohl an evangelischen wie an katholischen Gotteshäusern, aber auch in Synagogen, zur selbstverständlichen Vermittlungspraxis. Ausgangspunkt für Seichters Darstellung ist die veränderte Funktion des Sakralraums: Abseits der Gottesdienste suchten heute viele Menschen Kirchen als stille Räume auf, weil sie Kontemplation und individuelle Spiritualität ermöglichten. Die besondere Äs-

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thetik und Atmosphäre des Raums, Kunst und Musik der Kirche spielten dabei eine wichtige Rolle. Sind die Ausstellungsmacher und sind die an den Museen pädagogisch Verantwortlichen bereit und auf die Herausforderung ausreichend vorbereitet, ethische und religiöse Themen zu vermitteln? Wenn das bejaht wird: Aufgrund welcher didaktischen Richtlinien und mit welchen Methoden können diese Themen behandelt werden? Die in diesem Band versammelten Vorträge, die Berichte aus den »Workshops« wie auch aus einem »Ideenmarkt« der Tagung zeigen unterschiedliche Wege auf. Die Interessen und Bedürfnisse der Besucherschaft werden dabei ebenso ernst zu nehmen sein, wie sich Bildung und Kommunikation am Museum auf die Möglichkeiten beziehen, die ihnen die Sammlungsbestände und die ausstellerischen Gegebenheiten anbieten. Dass sich auch am Museum die Auseinandersetzung über lebensweltlich-ethische bzw. über philosophisch-theologische Fragestellungen lohnt, haben die Ergebnisse der Dresdener Konferenz bewiesen.

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➔ Positionen, Modelle • Museum und Religion • Ethik und Lebenswelten im Museum • Kirche als Museum?

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Sakrale Objekte im Museum

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I Der Umgang mit sakralen Objekten im Museum wirft zahlreiche Probleme auf, die von den besonderen Formen ihrer Aufbewahrung, konservatorischen Behandlung und Präsentation bis hin zu der grundsätzlichen Frage reichen, ob sie überhaupt in Museen ausgestellt werden sollen. Diese Frage stellt sich vor allem dann, wenn es sich um Gegenstände handelt, denen auch heute noch kultische Verehrung entgegengebracht wird. Heißt es nicht, die Gefühle der Angehörigen der entsprechenden Religionsgemeinschaften zu verletzen, wenn ihre sakralen Objekte auch Nicht-Gläubigen öffentlich zugänglich gemacht und dadurch gewissermaßen profaniert werden? Aber auch für die sakralen Objekte aus archaischen, alten und mittlerweile untergegangenen Religionen bleibt das Problem, wie sich die Würde von Gegenständen bewahren lässt, die über viele Generationen hin im Zentrum religiöser Aufmerksamkeit und Andacht gestanden haben, zu denen man gebetet, vor denen man Opfer verrichtet und die man als Repräsentanten eines wie auch immer vorgestellten Transzendenten angesehen hat. Nun könnte man zwar die radikale Forderung erheben, alle Objekte mit religiösen Bezügen aus den öffentlichen Ausstellungsräumen zu entfernen. Davon abgesehen, dass sie sich angesichts der Fülle dieser Gegenstände kaum realisieren ließe, würde sie auch der allgemeinen Aufgabe unserer Museen als Bildungsinstitutionen widersprechen. Sinnvoller, gerade auch im Blick auf diese besondere Aufgabe, erscheint dagegen die Frage, ob und inwieweit die religiösen Kontexte sakraler Objekte im Museum vermittelbar sind. Um sie zu beantworten, muss freilich zunächst eine andere, noch weit grundsätzlichere Frage geklärt werden: Was sind sakrale Objekte überhaupt? II Gemeinhin verstehen wir unter sakralen Objekten bildhafte Darstellungen von transzendenten Wesenheiten, von vorderorientalischen, griechischen und römischen Gottheiten, von Gottvater, von Jesus Christus und von christlichen Heiligen, wie sie auch heute noch in den Kirchen aufbewahrt werden.

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Doch umfasst diese erste oberflächliche Definition keineswegs alle Gegenstände, denen allein in der Geschichte der antiken Religionen und des Christentums kultische Verehrung entgegengebracht worden ist. Man denke nur an die anikonischen Kultobjekte der archaischen Epoche wie etwa die Xoana, die auch noch in der Hochantike als Repräsentationen des Göttlichen galten, an die heiligen Bäume der Germanen und an die Heiligenreliquien des Mittelalters. Verlässt man unseren eigenen Kulturraum und blickt auf die indigenen Kulturen Nordamerikas, Afrikas, Ozeaniens oder Südostasiens, dann findet man dort nicht nur menschliche Überreste, sondern auch Tierkadaver und Federbälge, Schnecken, Monolithen, Steine und Holzstücke und selbst »exotische« Artefakte wie chinesisches Porzellan, indische Seidenikats, europäische Rüstungen, Waffen und Geldstücke, die als Mittler zu den Göttern und den Ahnen angesehen werden. Da grundsätzlich jedes Ding in den Rang eines Zeichens des Heiligen erhoben werden kann, muss auch ein jeder Versuch einer Bestimmung sakraler Objekte anhand ihrer Materialbeschaffenheit oder ihrer Gestaltung scheitern. Denn zwischen der äußeren Form eines sakralen Objekts und dem, was es repräsentiert, besteht kein notwendiger Zusammenhang. Die uns aus unserem eigenen Kulturraum so vertrauten ikonischen Kultobjekte stellen in dieser Hinsicht eher die Ausnahme als die Regel dar. So beliebig die Objekte sind, denen im Rahmen religiöser Handlungen kultische Verehrung entgegengebracht worden ist, so weisen sie doch nahezu überall eine Reihe gemeinsamer Merkmale auf (Kohl 2003: 151-154). Was sie von allen anderen Dingen unterscheidet, ist die gesteigerte soziale Aufmerksamkeit, die ihnen entgegengebracht wird. Weil sie als Verkörperungen des oder doch zumindest als Vermittler zum Heiligen gelten, stehen sie im Mittelpunkt eines allgemeinen und von allen geteilten Interesses. In aller Regel werden sakrale Objekte an besonderen Orten aufbewahrt, sind sie von zahlreichen Tabus umgeben und von der Welt des Profanen sorgsam getrennt. Ursprünglich können sie durchaus einmal als Gebrauchs-, Tausch- oder Prestigegegenstände gedient haben, wie etwa die bereits erwähnten chinesischen Porzellanschalen, die sich in den Kulthäusern ostindonesischer Stammesgesellschaften finden und diesen als Repräsentanten der Ahnen gelten. Sind sie im Verlauf ihrer Biographie aber erst einmal in den Rang sakraler Objekte erhoben worden – und gerade Museumsfachleute wissen, dass auch scheinbar unbelebte Dinge eine Biographie haben können –, dann haben sie damit auch ihren praktischen Wert verloren. Das Turiner Schweißtuch Christi oder der in Trier aufbewahrte Heilige Rock sind weder mehr Gebrauchs- noch Tauschgüter. Als Kultreliquien verschmelzen sie vielmehr tendenziell mit dem, was sie repräsentieren. Für sakrale Objekte ist ferner charakteristisch, dass sich ihr Wert weder in anderen Gütern noch in einem allgemeinen Tauschäquivalent ausdrücken

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lässt. Sie sind dem ökonomischen Kreislauf entzogen. Und sie sind unveräußerlich. Das heißt zwar nicht, dass nicht auch sie bisweilen ihren Besitzer wechseln können. Doch ist die bevorzugte Aneignung eines sakralen Objekts nicht der Tausch, sondern die gewaltsame Bemächtigung. Der Raub von Kultbildern war schon in der Antike üblich. In Rom wurden die eroberten Götterstatuen bei den Triumphzügen erfolgreicher Feldherren durch die Straßen getragen. Der Raub der Heiligenreliquien nach der Einnahme von Städten war ebenso im Mittelalter gebräuchlich. Und auch die spanischen Eroberer Mexikos sandten als Kriegstrophäen bevorzugt aztekische Götterstatuen in ihre Heimat. Die hier gegebene statisch-formale Bestimmung gilt es indes noch durch eine dynamische zu ergänzen. Denn wenn es richtig ist, dass eigentlich jeder materielle Gegenstand zu einem sakralen Objekt werden kann, dann wäre nach den besonderen Umständen zu fragen, derer es bedarf, damit ein bestimmtes Ding aus der Welt der gewöhnlichen Gegenstände herausgehoben und als Repräsentant des Heiligen angesehen wird. Hierzu lässt sich feststellen, dass an jeden dieser besonders markierten und als heilig angesehenen Gegenstände eine bestimmte Geschichte geknüpft ist. Sakrale Objekte tragen Verweischarakter. Sie sind in aller Regel Erinnerungsträger an bestimmte Kontingenzerfahrungen, an außergewöhnliche Ereignisse, die einzelnen oder auch Gruppen von Menschen widerfahren sind und die von ihnen als Epiphanien oder Hierophanien, als Göttererscheinungen oder als Offenbarungen des Heiligen gedeutet werden. Die in der Genesis wiedergegebene Geschichte von Jakobs Offenbarung bei Beth-El, an die der dort auch noch in historischer Zeit verehrte heilige Monolith erinnerte, ist hierfür ein klassisches Beispiel (Kohl 2003: 158-164). Aber auch für die ikonischen Abbildungen von göttlichen Wesenheiten gilt, dass diese nur dann als wirkmächtig und verehrungswürdig gelten, wenn sich in ihrer Gegenwart ein Kontingenzereignis der erwähnten Art zugetragen hat. Hierin bestand etwa der Unterschied zwischen den in den antiken Städten öffentlich aufgestellten Götterbildern und den in den Tempeln kultisch verehrten Götterstatuen, oder zwischen einer gewöhnlichen Heiligenabbildung, wie man sie sich zuhause aufhängt, und den als aus sich selbst heraus wundertätig angesehenen Heiligenikonen in den orthodoxen Kirchen. III Vergleicht man die traditionellen sakralen Objekte mit den in unseren Museen öffentlich ausgestellten Objekten, dann ergibt sich in fast allen genannten Punkten eine verblüffende Übereinstimmung. Sieht man einmal von den bewusst als Kunstwerken produzierten Artefakten ab, dann hatten nahezu alle Museumsobjekte bereits eine Geschichte als Gebrauchs-, Tausch- oder Pres-

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tigeobjekte durchlaufen, bevor sie zu ihrem Aufstellungsort gelangten. Eine mesolithische Speerspitze wurde ursprünglich zu Jagd-, ein keltisches Bronzeschwert zu Kriegs- und eine antike Goldmünze zu Tauschzwecken verwendet. Das reich dekorierte Porzellanservice aus dem 18. Jahrhundert war damals Gebrauchsgut und Prestigeobjekt in einem. Und selbst die ersten profanen Kunstwerke, die im 15. Jahrhundert entstanden und sich im Besitz von Fürsten befanden, dienten zunächst repräsentativen Zwecken. Einige der in unseren Museen aufbewahrten Dinge hatten im Verlauf ihrer Biographie sogar jeden Wert verloren. Sie waren zu Abfall geworden, bis sie von Archäologen ausgegraben wurden und einen erstaunlichen Wiederaufstieg erlebten, der sie – wie etwa den Apollo von Belvedere oder die Venus von Milo – zu ästhetischen Kultobjekten werden lassen sollte. Haben alle diese Gegenstände aber erst einmal ihren Weg in ein Museum gefunden, dann werden sie dort thesauriert und ähnlich wie die klassischen sakralen Objekte dem ökonomischen Kreislauf entzogen. Zumal wenn es sich um Unikate oder ganz seltene Stücke handelt, sind sie praktisch unveräußerlich geworden. Zumindest verbietet die Ethik des Museums ihren Verkauf. Während sie selbst den Gesetzen des Marktes nicht mehr unterliegen, bestimmen sie allein durch den Ort ihrer Aufbewahrung die Höhe des Preises, den Werke desselben Künstlers oder vergleichbare Stücke auf dem freien Markt erzielen. Und auch für sie gilt, dass sie ihren angestammten Platz nur noch durch Plünderung oder Raub verlassen. Man denke etwa an Napoleons Beutezüge durch die Museen und fürstlichen Galerien, deren schönste Kunstwerke er dem Louvre einverleibte. Während der Diebstahl eines Kunstwerks aus einer Privatsammlung oft nur einer kleinen Pressenotiz wert ist, herrscht jedes Mal große Empörung, wenn es einem geschickten Kunsträuber gelingt, sich ein berühmtes Museumsobjekt anzueignen. Sich an den Beständen einer öffentlichen Sammlung zu vergreifen, ist mehr als nur ein Raub. Es kommt einem Sakrileg gleich. Eine Funktion der mit allen möglichen Sicherheitsvorkehrungen versehenen Museen ist es, das in ihnen aufbewahrte kollektive Eigentum vor solchen Übergriffen zu bewahren. Aber auch der arglose Museumsbesucher wird auf Distanz gehalten. Museumsstücke unterliegen strengen Meidungsregeln. Man darf sie anschauen und bewundern, doch sie zu berühren ist streng untersagt. Auch hier zeigt sich wieder eine Parallele zu traditionellen sakralen Objekten. Die Ahnensteine und Schwirrhölzer der australischen Aborigines wurden in heiligen Stätten aufbewahrt, die zu betreten Frauen und allen nicht-initiierten Männern verboten war. Ebenso dienten die antiken Tempel dem Schutz der sakralen Objekte vor ihrer Profanierung. Nur den Priestern war es gestattet, die anikonischen Kultgegenstände und die Götterstatuen direkt zu berühren, während sich die Adoranten auf das Schauen beschränken mussten. Museumshistoriker haben wiederholt auf den Traditionszu-

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sammenhang zwischen den antiken Kultstätten und dem neuzeitlichen Museum hingewiesen (Pomian 1994). Seine Bezeichnung als »Musentempel« ist weit mehr als nur eine Metapher. Die großen Museumsarchitekten des 19. Jahrhunderts wie Friedrich Schinkel oder Leo von Klenze haben sich bei der Anlage und Gestaltung ihrer Bauten bewusst am Vorbild antiker Tempelstätten orientiert (Sheehan 2002: 100ff.). Allerdings hat sich im modernen Museum das ursprüngliche Verhältnis zwischen Gegenstand und Ort der Aufbewahrung in sein Gegenteil verkehrt. Für sich waren die antiken Tempel nicht heilig, und zwar selbst dann nicht, wenn sie an Orten der Epiphanie transzendenter Wesenheiten errichtet worden waren. Zu Heiligtümern wurden sie erst durch die in ihnen aufgestellten Kultbilder. Drohte die Eroberung einer Stadt, wurden zunächst die Kultgegenstände evakuiert, für die genauso gut an einem anderen Ort ein Tempel gebaut werden konnte. Für katholische Kirchen, die ja bekanntlich zahlreiche Elemente vorchristlicher Traditionen aufgenommen haben, gilt, dass es in ihnen eigentlich nur eine Klasse von aus sich selbst heraus sakralen Objekten gibt, nämlich die in ihnen deponierten Heiligenreliquien. Erst sie verleihen der katholischen Kirche die Aura des Sakralen. Das moderne Museum weist dagegen selbst den Charakter eines Pseudoheiligtums der Zivilgesellschaft auf. Gegenstände, die in ein Museum aufgenommen werden, haben dadurch an dessen besonderer Aura teil. Sie werden hierdurch gewissermaßen zu außergewöhnlichen Gegenständen nobilitiert. Gleichgültig, ob es sich um die Werke eines Künstlers oder um im Lauf der Geschichte rarifizierte Massenprodukte handelt – hat eines von ihnen erst einmal die Würde eines Museumsobjekts erlangt, dann färbt sich dies auch auf alle von derselben Hand oder aus derselben Produktionsstätte stammenden Stücke ab. Die Möbeldesignabteilung des New Yorker Museum of Modern Art ist ein gutes Beispiel dafür, wie dieser Vorgang heute auch kommerziell genutzt wird. IV Der hier in aller Kürze vorgenommene Vergleich zeigt also, dass sakrale Objekte und Museumsobjekte zahlreiche Eigenschaften gemeinsam haben. Von hierher gesehen müsste sich die eingangs gestellte Frage, ob sich die religiösen Kontexte sakraler Objekte im Museum vermitteln lassen, eigentlich fast von selbst beantworten. Wenn es einen ihrer ursprünglichen Bedeutung angemessenen Aufbewahrungsort gibt, dann ist es eben das Museum mit der ihm eigenen sakralen Aura. Einige australische Aborigines-Gruppen haben dies so gesehen (Kohl 2004). Seit den späten sechziger Jahren waren von den Ureinwohnern Forderungen zur Rückgabe der ihnen seit der Kolonisierung des australischen Kon-

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tinents meist widerrechtlich, oft auch gewaltsam geraubten Tjurungas und anderer Kultobjekte erhoben worden. Diese Kampagne war durchaus erfolgreich. Zahlreiche australische Museen entschlossen sich dazu, sie den Nachfahren ihrer Besitzer zurückzuerstatten. Die Repatriierungsdebatte ermöglichte den politischen Wortführern der Bürgerrechtsbewegung zwar, auf die jahrhundertelange Unterdrückung der autochthonen Bevölkerung des Kontinents und ihrer alten Kulturen hinzuweisen, hatte für die Aborigines-Gruppen aber selbst erhebliche Probleme zur Folge. Die alten Ritualführer misstrauten den jungen politischen Aktivisten, die sich oft selbst schon weit von den religiösen Traditionen entfernt hatten. Sofern sie nicht initiiert waren, hätten sie die ihnen zurückerstatteten heiligen Gegenstände überhaupt nicht ansehen, geschweige denn berühren dürfen. Da zahlreiche Aborigines-Gruppen als ärmste Bevölkerungsschicht in den Vorstadtghettos lebten, ließen sich auch Verstecke schwer finden, in denen die sakralen Objekte der Tradition gemäß aufbewahrt werden konnten. Zum Teil verbarg man sie in alten Autowracks, zu einem nicht geringen Teil tauchten sie wenige Jahre nach ihrer Repatriierung aber auch wieder auf dem Kunstmarkt auf. Viele der alten Ritualführer haben sich daher inzwischen dazu entschlossen, die ihnen rückerstatteten sakralen Objekte ihrer Kultur erneut den Museen anzuvertrauen, wo sie in den Depots, vor den Augen der Öffentlichkeit verborgen und vor Missbrauch geschützt, verwahrt werden. Ganz so einfach, wie es dieses kleine Beispiel zunächst suggerieren mag, stellt sich die Lösung der Frage nach einem adäquaten Umgang mit sakralen Objekten freilich nicht. Denn auf die zentrale Besonderheit, die sie von allen anderen Gegenständen und zwar auch von denen durch ihre Aufbewahrung im Museum gleichsam »geheiligten« auszeichnet, bin ich in meinem Vergleich nicht eingegangen. Ich meine damit die an sie geknüpfte Legende, die ihnen den Charakter eines Verweises auf das von Kultur zu Kultur unterschiedlich konzipierte Transzendente verleiht. Wie der polnische Kunst- und Museumshistoriker Krystof Pomian (1993) mit seiner Semiophoren-Theorie gezeigt hat, haben zwar auch Museumsobjekte einen solchen transzendentalen Verweischarakter. Museumsstücke stehen für das Nichtgegenwärtige und das Nichtsichtbare. In den historischen Museen repräsentieren sie die nicht mehr einholbare Vergangenheit. Und in den klassischen Völkerkundemuseen waren sie Repräsentanten einer für den Besucher fast ebenso unerreichbaren räumlichen Ferne. Museumsstücke sind daher nach K. Pomian »Vermittler zwischen dem Betrachter, der sie sieht, und dem Unsichtbaren, aus dem sie kommen«. Doch ist der Transzendenzcharakter der Museumsobjekte ein anderer als der klassischer sakraler Objekte. Denn das Museum generiert seine eigenen Verweisungszusammenhänge.

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V Das Museum ist ein Ort der repräsentativen Weltaneignung, dessen Blütezeit nicht von ungefähr mit der Epoche der forcierten imperialen Expansion Europas im 19. Jahrhundert zusammenfiel. Aneignung heißt aber auch, dass die im Museum gezeigten Dinge ungeachtet ihrer Herkunft und früheren Bedeutung in einen ihnen fremden Kontext überführt und in ein neues Ordnungsschema eingefügt werden. Museumsstücke sind insofern immer »ver-rückte« Dinge im eigentlichen Sinn des Wortes. Durch Schautafeln und Erläuterungen lässt sich zwar illustrieren, in welchen Zusammenhängen seine Exponate früher einmal gestanden haben, doch ändert dies nichts daran, dass das Museum selbst der klassische Ort der De- und Rekontextualisierung ist. Denn genau das ist sein Prinzip: Gegenstände aus ihren angestammten Zusammenhängen zu reißen und ihnen durch den evokativen Effekt ihrer Verrückung alternierende Bedeutungen zu verleihen. An der bereits erwähnten mesolithischen Speerspitze lässt sich dieser Vorgang verdeutlichen. Zu Jagd- oder Kriegszwecken hergestellt, war sie in ihrem Herkunftskontext ursprünglich ein nützlicher Gebrauchsgegenstand, der zweifellos auch gegen andere Gegenstände eingetauscht werden konnte. Diese beiden Aspekte, als Gebrauchs- und Tauschgegenstand dienen zu können, hat die mesolithische Speerspitze als Museumsobjekt verloren. In der Glasvitrine eines Prähistorischen Museums ausgestellt, wird sie zu einem Verweisstück, das dem Besucher paradigmatisch vorführt, wie die eigenen Vorfahren vor Jahrtausenden gelebt haben. Doch dies nicht allein. Durch ihre museale Deplatzierung sieht sie sich zugleich in eine neue Ordnung der Dinge eingereiht. In der Glasvitrine links von ihr können die Besucher einen steinernen Faustkeil und in der Glasvitrine rechts von ihr eine Keramikscherbe sehen, die das Paläolithikum und das Neolithikum repräsentieren. Gemeinsam stehen die drei Gegenstände auf diese Weise für die drei großen Epochen der frühen Menschheitsgeschichte. Nebenbei sei nur bemerkt, dass die ja auch für die Aufstellung von Kunstwerken übliche und von uns heute als völlig selbstverständlich hingenommene historisierende Anordnung nach Epochen und Schulrichtungen nicht nur den Dingen äußerlich, sondern in einem gewissen Grade auch willkürlich ist. In die Museen wurde sie erst an der Wende zum 19. Jahrhundert eingeführt (Belting 1998: 63ff.) und hat die älteren Ordnungsschemata etwa nach Materialbeschaffenheit, räumlicher Herkunft oder Außergewöhnlichkeit, wie sie noch in den Raritätenkabinetten üblich war, lediglich ersetzt. Dass sie im Sinne einer historischen Rekonstruktion des ästhetischen Stils einer bestimmten Epoche keineswegs konsequent durchgeführt wird, zeigt im Übrigen die nach wie vor bestehende Trennung zwischen Kunstgewerbe- und Kunsthistorischen Museen.

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Was für die Museumsstücke im Allgemeinen gilt, das gilt auch für die sakralen Objekte im Besonderen. Sie im Museum auszustellen bedeutet, sie aus ihrem ursprünglichen Kontext zu lösen und in einen neuen Verweisungszusammenhang zu überführen. Die Darstellung einer Folterszene auf einem mittelalterlichen Heiligenbild war einst Gegenstand frommer Andacht, die groteske afrikanische Fetischfigur mit den weit aufgerissenen Augen und ihrem aggressiven Gehabe schützte die Menschen vor den Nachstellungen übelwollender Geister, und in der mit abstrakten Symbolen versehenen steinernen Tjurunga sah ein australischer Ureinwohner seinen eigenen Ahnen, von dem sich ein Teil in ihm selbst reinkarniert hatte. Der Museumsbesucher mag von der Kunstfertigkeit dieser Artefakte zwar fasziniert sein. Doch das in einem Historischen Museum ausgestellte Heiligenbild steht für ihn für das finstere Mittelalter, während die afrikanische Fetischfigur und die australische Tjurunga im Ethnologischen Museum die abergläubische Vorstellungswelt exotischer Kulturen zu repräsentieren scheinen, wie man sie bei uns schon längst überwunden zu haben glaubt. Die Schwierigkeit der Vermittlung der ursprünglichen religiösen Gehalte sakraler Objekte besteht also offensichtlich darin, dass sie im Museum für ein anderes einstehen als für das, was sie einmal waren. Als Zeichenträger im Sinne von Pomians Definition (s.o.) befinden sie sich am Schnittpunkt von zwei unterschiedlichen Bedeutungsebenen. Ihre Einordnung in die museale Ordnung der Dinge muss notwendig auf Kosten des transzendentalen Verweiszusammenhangs gehen, in den sie einmal eingebettet waren. Die dem Museum eigene Aura entmächtigt die sakralen Objekte, ja bringt deren Aura sozusagen zum Ersticken. Gibt es einen Ausweg aus diesem Dilemma? Das South Australian Museum in Adelaide, das mit ca. 3.000 Objekten die weltweit größte Sammlung von heiligen Gegenständen der australischen Ureinwohner enthält, hat die vielleicht radikalste Lösung gewählt. Sämtliche sakralen Objekte wurden aus den öffentlichen Schauräumen entfernt und in den Museumskellern deponiert. Seine unterirdischen »Sacred-Secret«-Räume stehen unter der Obhut eines weißen Kustoden, der in Entsprechung zu den traditionellen Vorschriften der Aborigines ein beschnittener und verheirateter Familienvater sein muss. Die Räume sind so angelegt, dass in ihnen auch die überlieferten religiösen Zeremonien verrichtet werden können. Aborigines, die ihren Besitzanspruch auf die einzelnen heiligen Stücke nachweisen können, erhalten sie ausgehändigt, um ihren Ritualen nach der Art ihrer Vorväter nachgehen zu können (Anderson 1995). Diese Lösung ist freilich nur deshalb möglich, weil in Australien Gruppen existieren, für die die in den Museen aufbewahrten sakralen Objekte heute noch echte religiöse Bedeutung haben. Auch finden die genannten Rituale selbstverständlich im Geheimen und nicht vor den Augen der Museumsbesu-

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Karl-Heinz Kohl ➔ Sakrale Objekte im Museum

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cher statt. Wollte man versuchen, etwa mit der Hilfe von Schauspielern ähnliche rituelle Inszenierungen zu veranstalten, um den religiösen Kontext der sakralen Objekte zu rekonstruieren, die aus weit ferneren Zeiten und Orten stammen, gäbe man sich damit nur der Lächerlichkeit preis. Für auratische Inszenierungen, wie etwa die Platzierung der sorgsam ausgeleuchteten Götterstatuen, Ahnenfiguren, Masken und anderen heiligen Dinge in nachgebauten Opferhöhlen gilt ähnliches. Es wäre dies nur ein Rückfall in die museale Diorama-Kultur des Völkerkundemuseums des 19. Jahrhunderts. Ausführliche schriftliche Erläuterungen mögen zwar dabei helfen, dem Besucher den Kontext und die ursprüngliche Bedeutung sakraler Objekte verständlicher zu machen, aber gerade religiöse Gefühle sind durch bloße Worte nur schwer zu vermitteln. Angehörige von Lokalreligionen, Schamane oder Vodun-Priester etwa, die an die religiöse Mächtigkeit der in unseren Museen ausgestellten heiligen Dinge glauben, dazu einzuladen, vor ihnen und dem Publikum ihre Opferrituale zu verrichten, halte ich für ethisch außerordentlich problematisch. Das Museum würde sich in diesem Fall mit den sakralen Objekten zugleich deren Adoranten aneignen. Noch ist das Museum kein Disneyland. Und selbst wenn es diesen Weg gehen wollte, wäre es aller Wahrscheinlichkeit nach ein erfolgloses Unterfangen, mit der kommerziellen Unterhaltungsindustrie konkurrieren zu wollen. Was also bleibt? Festzuhalten wäre, dass es für sakrale Objekte sicher keinen besseren Aufbewahrungsort gibt als unsere Museen, jene Tomben und Gattungshöhlen, als die sie Klaus Heinrich (1971: 15) einmal bezeichnet hat. Doch verhalten sich die besondere Aura des Museums und die Aura der in ihm aufbewahrten sakralen Objekte nicht komplementär, sondern antagonistisch zueinander. Bisher hat diese sich das Museum noch immer für die eigenen Zwecke vereinnahmt. Kann man den sakralen Objekten überhaupt die Eigenständigkeit und die Würde wiedergeben, die sie durch ihre Verrückung in die musealen Ordnungsschemata verloren haben? Sie sichtbar zu machen und dadurch den eigenen Standpunkt zu relativieren, wäre auf jeden Fall ein erster Schritt. Literatur Anderson, Christopher (1995): »The Economics of Sacred Art: The Uses of a Sacred Collection in the South Australian Museum«. In: Ders. (Hg.), Politics of the Secret, Oceania Monograph 45, Sydney, S. 97-107. Belting, Hans (1998): Das unsichtbare Kunstwerk. Die modernen Mythen der Kunst, München.

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Heinrich, Klaus (1971): »Notizen über das Museum als Opferhöhle«. In: Jürgen Harten/Horst Kurnitzky, Museum des Geldes. Über die seltsame Natur des Geldes in Kunst, Wissenschaft und Leben I, Düsseldorf (Ausstellungskatalog). Kohl, Karl-Heinz (2003): Die Macht der Dinge. Geschichte und Theorie sakraler Objekte, München. Ders. (2004): »Kulthöhlen verschiedener Art. Eine Geschichte von heiligen Dingen«. In: Neue Rundschau 115, 1, S. 9-24. Pomian, Krzysztof (1993): Der Ursprung des Museums. Vom Sammeln, Berlin. Ders. (1994): »Das Museum: die Quintessenz Europas«. In: Wunderkammer des Abendlands. Museum und Sammlung im Spiegel der Zeit, Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland, Bonn, S. 112-119 (Ausstellungskatalog). Sheehan, James S. (2002): Geschichte der deutschen Kunstmuseen. Von der fürstlichen Kunstkammer zur modernen Sammlung, München.

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Jean-Hubert Martin ➔ Das Museum – weltliches oder religiöses Heiligtum?



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Das Museum – weltliches oder religiöses Heiligtum?

Jean-Hubert Martin Sakrale Kunst feiert ein unerwartetes Comeback in unseren Museen. Die Wege, derer sie sich dabei bedient, sind Gegenstand zahlreicher Untersuchungen, bei denen eine ganze Anzahl vorherrschender Ideen gegen den Strich gebürstet wird. Die gebildeten Kreise sind gewohnt, innerhalb eines Rahmens zu denken, aus dem die Erfahrung der Religion ausgeklammert ist. Die Religion wird als nichts weiter betrachtet als ein archaisches Überbleibsel aus einem anderen Zeitalter, oder als etwas, das eher in den industriell nicht so weit entwickelten Gesellschaften verwurzelt ist. Dieses lineare Geschichtsbild haben wir der Philosophie des Zeitalters der Aufklärung zu verdanken. Zur gleichen Zeit, als der Fortschritt in den Wissenschaften dem Glauben Berechtigung verlieh, dass der Mensch sich die Welt durch die Aufstellung allgemeingültiger Gesetze untertan machen könne, begannen sich die Museen mit eben den Gegenständen zu füllen, die aus diesen Manifestationen des blinden Glaubens – ob nun christlichen oder anderen Glaubensrichtungen – hervorgegangen waren. Diese auf den Gebrauch des »Opiums für’s Volk« zurückverweisenden Zeugnisse erschlossen sich einer doppelten Betrachtungsweise – der des Ethnologen oder Religionshistorikers und der des Experten für Kunstgeschichte oder Ästheten. Von nun an war der Apfel vergiftet. Die »exakten« bzw. »humanistischen« Wissenschaften machten sich daran, das Wissen auf eine Art und Weise auseinander zu nehmen, bei der jedes den Empfindungen entstammende Qualitätsurteil mit dem Makel des Argwohns behaftet war. Es griff eine Desillusionierung der Welt um sich, die sich des Gewissens der Menschen bemächtigte, um diejenigen Aktivitäten auszusondern, die aus einem angeblich autonomen Bereich stammten: den Empfindungen. Der Definition nach agnostisch, nimmt das moderne Kunstmuseum für sich die Aufgabe in Anspruch, jene humanistischen Werte weiterverbreiten zu wollen, die von den Künstlern vermittelt werden; die Grundwerte des traditionellen Kunstmuseums machen dabei dem Wiederaufgreifen der zahlreichen Erscheinungsformen eines für universell erklärten Archaismus Platz: An die Stelle des griechischen Klassizismus ist der Primitivismus getreten. Die Kunst hat sich mehr denn je als eine Angelegenheit der individuellen Praxis verselbstständigt. Im Verein mit den Ethnologen versuchen die Künstler sich selbst davon zu überzeugen, dass die Urheber der so genannten

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»primitiven« Kunstobjekte an die Schönheit geglaubt haben, ohne sich dessen bewusst zu sein. Sie maßen sich an, diese ästhetischen Werte zu enthüllen, ohne sich überhaupt um deren Existenz Gedanken zu machen. Changseung (Geisterpfahl)

Künstler: Dorfgemeinschaft. Kult und Herkunft: Changseung-je, Dorfritus in Yong Du Rie Chungchueng Do, Korea. Sammlung museum kunst palast, Düsseldorf.

Viele Ethnologen folgen der Empfehlung von Michel Leiris und stellen sich auf die Seite der Eingeborenenvölker – in dem Bemühen, ihnen bei dem Kampf ihre Eigenständigkeit zu bewahren, beizustehen und dadurch ihre Sache zu verteidigen. In dieser militanten Haltung liegen das Kulturelle und das Politische nahe beieinander. Was wiederum mit sich bringt, dass die Zeichen des Glaubens, ungeachtet einer tieferen Sinnanalyse, als etwas Allgemein-

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gültiges akzeptiert und übernommen werden. Das Museum kann sich aus dem humanistischen Wertesystem herauslösen und sich dem öffnen, was von anderen Kulturen als »heilig« definiert wird. Dieser Aufgabe kommt es mit einer gewissen Ungeschicklichkeit nach, die ständig zwischen Wissenschaft und Religion hin und her pendelt. Häufig sind dabei Zeremonien und rituelle Handlungen in seinem Umfeld praktiziert worden. Aber die Konfrontation von Vertretern dieser Kulturen mit Objekten aus ihrer Vergangenheit kann einige Überraschungen bereithalten. Ein Kulturschock, bei dem auf der einen Seite der Westen steht, davon besessen, die Zeugnisse aus der Vergangenheit zu erhalten, um so etwas wie eine universelle Geschichte zu schreiben und darauf seine Macht aufzubauen. Und auf der anderen Seite stehen die verschiedensten Gesellschaften, für die das Objekt vergänglich und innerhalb eines als ewig begriffenen Glaubens immer wieder von Neuem reproduzierbar ist, oder für die die Überreste ihrer Vorfahren nur in einem ganz bestimmten Kontext einen Sinn ergeben. Die Eliten, gefolgt von den Marxisten, waren seit der Französischen Revolution davon überzeugt, dass die Geschichte ein linearer Prozess sei, in dessen Verlauf die Religionen und andere Formen des Aberglaubens allmählich verschwinden und einem rein rationalen Gedankengut Platz machen würden. Wir sehen uns gezwungen festzustellen, dass dieser wunderbare Fortschritt – hin zu einer von der Vernunft getragenen Zukunft – weit davon entfernt ist, sich zu konkretisieren. Stattdessen sind wir heute Zeuge eines Phänomens des umgekehrten Integralismus und einer Renaissance des Religiösen. Seit der Entstehung des Museums während der Französischen Revolution hat es stets ein nach allen Seiten offenes Bild vertreten und seine Tore für Praktiken und Gebräuche aus der ganzen Welt geöffnet, wie unterschiedlich diese auch immer sein mochten. Eine zweigleisige Bewegung wurde durch die Spaltung der modernen Kunst seit Paul Gauguin hervorgerufen: Einerseits hat sie zu einer Renaissance der so genannten »primitiven« Kunstrichtungen geführt, was einem neuen ästhetischen Kanon zu verdanken ist. Andererseits bewirkte sie eine Ghettoisierung der lebenden Künste aus den nicht westlichen Kulturen. Die europäischen Künstler machten fleißig Anleihen bei formellen Elementen aus der afrikanischen Kunst, gaben sich aber gleichzeitig nicht die geringste Mühe, ihre Kollegen persönlich kennen zu lernen. Im Jahr 1947 machte die Idee des Musée Imaginaire Furore, weil André Malraux darin zum ersten Mal das Prinzip der Gleichwertigkeit aller Kunstrichtungen der Welt verwirklichte; er achtete aber peinlich darauf, das Zeitgenössische zu meiden. In diesem Zusammenhang vergaß er, dass »das Medium die Botschaft ist«, und dass durch die Verwendung von Leinwand und Rahmen als Trägermedium in der Tat die Dominanz und Höherwertigkeit der westlichen Kunst postuliert wurde. Mit dem enzyklopädischen Charakter ei-

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nes alle Kulturen umfassenden Museums war es vorbei, und während die Avantgarde versuchte, sich gegen die verknöcherten Strukturen der Vergangenheit zu behaupten, zahlten die nicht aus dem Westen stammenden Künste die Zeche. In Europa hat ein neues Objekt noch nie den gleichen Wert gehabt wie ein abgenutztes, altes Objekt, das Patina angesetzt hat. Zudem etikettiert der Westen diese Werke gerne als »falsch«, »folkloristisch« oder »unecht«. Im Namen des »Geschmacks« und der Vorurteile in Bezug auf die Übernahme fremder Kulturgüter wurde den Künstlern aus dem Süden der Zugang zu den modernen Museen versperrt. Die Kunst der nicht schriftkundigen Völker hat sich in kleinen Schritten das Adelszeichen einer Gleichstellung mit der Kunst aus den schriftkundigen Gesellschaften verdient – aber nur so lange es sich um Kunst aus der Vergangenheit handelt. Was die zeitgenössische Kunst anbelangt, so wird diese allenfalls in Mischkategorien abgedrängt, die die Kritiker günstigstenfalls als »im Übergang befindlich« bezeichnen. Diese harten Urteile tragen weder der Einzigartigkeit noch der originellen Persönlichkeit von Künstlern aus Fleisch und Blut Rechnung, die als Sprachrohr einer ganzen Kultur und eines komplexen Geflechts aus Gedanken und Überzeugungen fungieren. Der religiösen Kunst wird nur so lange ein Wert zugemessen, wie sie alt ist. Man einigt sich darauf anzuerkennen, dass sie die größten Meisterwerke der Menschheit hervorgebracht hat. Zeitgenössische religiöse Kunst hingegen gilt in den Augen des westlichen Experten als suspekt und unauthentisch. Sie kann sich einer Nostalgie über eine Zeit vor dem zerstörerischen Eingreifen des weißen Mannes bis heute nicht erwehren. Das moderne Kunstmuseum ist zu einem Hindernis für die Verbreitung der nicht aus dem Westen stammenden Kunst geworden. Die Kriterien des ästhetischen Empfindens – worüber unweigerlich zahlreiche Debatten entbrannt sind – hat das Kunstmuseum schon vor langer Zeit aufgegeben: Zugunsten von künstlerischen Aktivitäten, bei denen die sinnliche Beziehung zum Objekt und die kritische Haltung gegenüber der Gesellschaft im Vordergrund stehen. Das Schöne ist nicht mehr ihr alleiniges Anliegen. Nunmehr sind es Erwägungen des »guten Geschmacks«, die mit Regelmäßigkeit gegen Kunstwerke ins Feld geführt werden, die von außerhalb des Westens kommen. Unsere Experten lassen vermelden, sie seien »zu neu«, um so mehr als die Künstler oft industriell hergestellten Farben mit ihren haltbareren Farbstoffen und ihrer kräftigeren Farbgebung den Vorzug vor den alten Pigmentfarben geben. Diese sind gedämpfter und weniger haltbar, vermitteln aber sehr schnell den von den Liebhabern so sehr geschätzten Eindruck des »Antiken«. Unter dem Titel »La mort n’en saura rien«, was zu Deutsch soviel heißt wie »Der Tod wird nichts davon erfahren«, habe ich 1999 mit einem Kurator europäische und ozeanische Reliquien ausgestellt. Die ungewöhnliche Schau

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Buddhistischer Tempel

Künstler/Priester: Wijesena Rajakaruna. Kult und Herkunft: Buddhismus, Sri Lanka. Sammlung museum kunst palast, Düsseldorf.

im Pariser Musée des Arts d’Afrique et d’Océanie, das ich damals leitete, hatte einen unglaublichen Erfolg beim Publikum. Eine Ausstellung mit Totenschädeln zu organisieren, die aus westlichen Sammlungen stammen, ist nicht ein Zeichen von Unbedachtsamkeit und Unverfrorenheit, sondern wirft die reelle und berechtigte Frage über die Rolle des Museums und seinen Platz in der jeweiligen Gesellschaft auf. Darf sich das Heiligtum weltlicher und republikanischer Werte im Namen der Menschenrechte in ein religiöses Heiligtum verwandeln? In so weit, als diese Ausstellung christliche und heidnische Reliquien gegenüberstellt, kann man sie nicht einer eurozentrischen Tendenz beschuldigen. Natürlich zeugen das Museum und sein systematischer Ansatz

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von dem Bestreben, Objekte anzuhäufen und zu erfahren, welche Bedeutung sie für unsere Vorfahren hatten. Es wäre vollkommen illusorisch, das Verschwinden des Museums zu postulieren. Im Gegenzug könnte die Öffnung des Museums für religiöse Praktiken einen Freiraum eröffnen, der sich der Förderung und Verbreitung der Werte der Minderheiten widmet. Aus diesem Blickwinkel muss sich das Museum nicht nur dem Dialog mit den Kulturen öffnen, wie es bereits bei den Völkerkundemuseen der Fall ist, sondern auch Rituale bzw. Zeichen religiöser Verehrung übernehmen, ohne der Versuchung zu erliegen, diese verstehen oder im Wege eines rationalen Diskurses erklären zu wollen. Mehr als zuvor spielt dabei die Art der Präsentation der Objekte eine grundlegende Rolle. Die gleichzeitig präzise und offene Raumgestaltung muss ein möglichst hohes Maß an »Lesbarkeit« und gleichzeitig Offenheit für möglichst viele Interpretationen gewährleisten. Die Umgebung soll eine einladende Atmosphäre ausstrahlen, wie sie von der Form her einem westlichen Publikum christlicher Tradition entgegenkommt. Diese ersetzt das nicht reproduzierbare Ambiente Ozeaniens, von dem man allenfalls durch Filme und Fotografien einen Eindruck vermitteln könnte. Der wissenschaftliche Ansatz, dessen sich das völkerkundliche Museum rühmt, steht dem religiösen Gedankengut gegenüber, dessen er sich enthält. Ist der damit einhergehende Humanismus in der Lage, innerhalb einer liberalen und relativistischen Gedankenströmung die Manifestationen des Religiösen als gleichberechtigt zu akzeptieren? Befindet er sich nicht ständig in der Position des Kritikers, der gleich einem strengen Richter an »archaischen« Verhaltensweisen Anstoß nimmt? Die Wissenschaft hat nachgewiesen, dass universelle Gesetze am Werke sind, die sehr wohl im Widerspruch zu religiösen Glaubenssätzen stehen. Wie lässt sich zumindest eine herablassende oder nostalgische Betrachtungsweise verhindern – außer durch ihren Ausschluss? Das Kunstmuseum hat eine Antwort dafür bereit: den ihm zugrunde liegenden Gedanken, dass Kunst etwas Universelles ist. Das wiederum bedeutet, dass allen Kulturen ein kreatives Potenzial innewohnt. In traditionellen Gesellschaften kann diese Kreativität eine religiöse und in industriellen Gesellschaften eine profane Form annehmen. Dieses Postulat wird zwar kritisiert; man ist sich jedoch allgemein darin einig, dass die sich daraus ergebende materielle Kultur Trägerin der höchsten intellektuellen und spirituellen Werte des jeweiligen Volkes ist. Wir müssen also ein lebendiges Kunstmuseum schaffen, in dem den Kunstwerken durch die Praktizierenden der verschiedenen Religionen Leben eingehaucht wird. Eine solche Art von Museum liegt durchaus im Bereich des Möglichen. Schwierig wird es, wenn es sich um Objekte handelt, die während der Kolonialzeit erworben wurden. Museen in Ländern mit einem nach außen ge-

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richteten Kolonialismus, wie etwa in Frankreich, reiben sich an der Frage nach dem rechtlichen oder moralischen Eigentum an diesen Gegenständen. In Ländern mit einem internen Kolonialismus rückt diese Frage in den Mittelpunkt der grundlegenden Kämpfe. Die Frage nach den menschlichen Überresten ist dabei eine besonders sensible Angelegenheit. In den USA wurde vor einigen Jahren ein Gesetz verabschiedet, das die Besitzer von Museen verpflichtet, den verschiedenen Stämmen der Indianer ihre menschlichen Überreste und alle damit zusammenhängenden Gegenstände zurückzugeben. Das Volk der Maori nimmt Anstoß an der Ausstellung und der kommerziellen Ausbeutung der Totenschädel seiner Vorfahren. Einige Kulturen jedoch neigen weniger dazu, die Rückgabe ihrer heiligen Gegenstände zu fordern und sind mit deren Ausstellung in westlichen Museen einverstanden, um das Verständnis und den Respekt für diese Kulturen zu fördern. Die einen machen durch Verbote und Abwesenheit auf sich aufmerksam, die anderen durch ihre Präsenz und die Erlaubnis, diese Gegenstände auszustellen. Ein Beispiel für die letztere Haltung sind die australischen Aborigines und die Ni-Vanuatu. Während seines Besuches auf der »Vanuatu«Ausstellung im Museum für afrikanische und ozeanische Kunst im Jahr 1997 bemerkte Premierminister Serge Vohor, dass er zögere, sich dort zu lange aufzuhalten; was ihn störte, war die Anwesenheit einer Anzahl von Gegenständen von hohem religiösen Wert. Er selbst stand an der Spitze der traditionellen Hierarchie seines Volkes und war Bewahrer der geheimen Bedeutung bestimmter Gegenstände, die bei den Aufstiegszeremonien verwendet werden. Sobald er sich einmal von diesen Gegenständen, die für ihn große magische Macht besaßen, entfernt hatte, sagte er mit Nachdruck, für ihn sei nichts Schlimmes dabei, dass uneingeweihte Ausländer sich diese Ausstellung ansähen. Er sah sie vielmehr als ein Mittel an, die Werte seiner Kultur zu verbreiten und das Verständnis für sie zu fördern. Was exotische Gegenstände anbelangt, so haben diese schon immer im Mittelpunkt der Diskussionen zwischen dem konservativen und dem progressiven Lager gestanden, zwischen denen, die nichts mehr als Zeugnisse primitiver Wilder sehen wollen und denen, die sie als originelle Schöpfungen hoch stehender Kulturen begreifen – Letzteres eine Dimension, die der westliche Intellekt bislang fast gar nicht erforscht hat. Darüber hinaus wird es leicht sein aufzuzeigen, ohne sich dabei in Sophismen zu versteigen, dass die Kunst ihre Lebendigkeit dem Tod und dem Bild verdankt, welches sich der Mensch vom Tode macht. Die Grabeskunst bzw. Sepulkralkultur nimmt einen großen Platz in den Sammlungen der Museen ein. Eine weitere große Gruppe sind Reliquien und Zeugnisse von Ritualen. Das Museum ist nicht nur ein Ort des Wissens, sondern auch ein Ort, an dem wir unsere Sensibilitäten schulen, was hauptsächlich über den Gesichtssinn abläuft. Diese Formulierung, deren Zweideutigkeit die Hilflosigkeit gegenüber dem globalen Phänomen der Vi-

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sualisierung von Gedanken widerspiegelt, speist sich aus den westlichen Denkstrukturen. Beiden Funktionen kann man die Rolle eines Heiligtums hinzufügen. Für die weltlich-republikanische Gesellschaft spielt das Museum oft die Rolle einer verweltlichten Kirche, erfüllt diese Ersatzrolle aber im Kontext eines agnostischen Humanismus. Würden bestimmte Museen es sich zur Aufgabe machen, diese Qualität des religiösen Heiligtums neu zu beleben, würden die Wahrnehmung und das Verständnis dieser Gegenstände eine zusätzliche Dimension erhalten. Autoaltar

Kult und Herkunft: Weihezeremonie schamanistischen Ursprungs, Korea. Sammlung museum kunst palast, Düsseldorf.

Die zahlreichen Fragen, die in diesem kurzen Vortrag angeschnitten wurden, verlangen nach einer ausführlicheren Erörterung. Sie haben auf keinen Fall irgendetwas mit trockener Gelehrsamkeit und einer Verselbständigung des wissenschaftlichen Diskurses zu tun. Sie stehen in Bezug zu Leben und Untergang ganzer Zivilisationen. Aufgrund der Auswirkungen der zunehmenden Globalisierung kann sich niemand mehr damit zufrieden geben, seinen eigenen Garten zu bestellen. Die Mehrheit der Gesellschaften ist für ihr Fortkommen zumindest teilweise auf die kulturelle Anerkennung durch den Norden angewiesen. Denn was die Wirtschaft anbelangt, existiert kein neutrales Ter-

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ritorium. Ein Museum, das sich weiterentwickelt, kann mehr denn je in Verbindung mit den großen Fragen des Lebens weit entfernter Kulturen stehen. Die Exponate in der Pariser Ausstellung von Totenschädeln sind für die meisten Besucher Relikte in einem doppelten Sinne, da viele von ihnen keine gläubigen Menschen sind. Diese Distanz bedeutet nicht, dass man ihnen nicht mit dem Respekt begegnet, der ihnen zukommt. In den Museen geht es oft um die Frage der Kontextualisierung. Doch gerade hier herrscht eine große Verwirrung, und es gibt Missverständnisse. Für viele Kommentatoren besteht der Unterschied zwischen dem Kunst- und dem Völkerkundemuseum darin, dass das eine die Gegenstände im Gegensatz zum anderen kontextualisiert. Ihrer Ansicht nach liegt die Differenz in den Begleittexten zu den Gegenständen. Zwei Anmerkungen drängen sich zu diesem Thema auf. Zum einen impliziert das Prinzip des Museums per se, dass jeder gezeigte Gegenstand aus seinem ursprünglichen Kontext herausgelöst ist – mit Ausnahme jener Werke, die ab dem 19. Jahrhundert speziell für die Belange des Museums geschaffen wurden. Zum anderen kann ein erklärender Text, so gelehrig und intelligent er auch immer geschrieben sein mag, niemals den oben genannten Kontext ersetzen. Die Kunst selber ist das Referenzsystem. 2001 habe ich zur Eröffnung des museum kunst palast eine Ausstellung mit dem Titel »Altäre – Kunst zum Niederknien« konzipiert. Auf 3.000 qm wurden 66 zeitgenössische Altäre aus Asien, Afrika, Amerika, Europa und Ozeanien gezeigt. Altäre sind heilige Orte. Stätten, an denen Opfer dargebracht werden, und die Menschen mit dem Göttlichen kommunizieren. Der Altar setzt sich aus einer Gesamtheit von Gegenständen mit symbolischer und ritueller Funktion zusammen. Jedes einzelne Element hat einen Sinn innerhalb dieses Gesamtgefüges, das einer genau definierten Ordnung unterliegt. Das Beibehalten dieser Ordnung und die Wiederholung der Gesten der Ehrfurcht sichern die Kommunikation mit dem Jenseits. Neben Altären von Religionsgemeinschaften waren auch private Kultstätten wie ein Rock- oder ein Cyberaltar in Düsseldorf zu sehen. Sie alle bekunden eine visuelle Nähe zu zeitgenössischen Kunstwerken und Installationen. Durch die gemeinsame Präsentation in einem Museum wird ihr Kunstcharakter betont, doch zugleich bleiben sie Kultobjekte. Viele Altäre wurden von Priestern eigens für die Ausstellung aufgebaut und durch eine Weihezeremonie als Orte der Gottheit mit sakraler Kraft aufgeladen. So konnte die Ausstellung Fremdartiges und, für viele Besucher irritierend, von der Suche nach einer anderen Seinsdimension und von der kreativen Vielfalt der Kulturen erzählen. Weil es sich bei einem Altar nicht um Kunst handelt, wird er nach wie vor als »ethnologisch« eingestuft, insbesondere im angelsächsischen

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Raum – eine semantische Absurdität. Sie entlarvt die Inkohärenz des postkolonialen Klassifikationssystems als einseitig. Man geniert sich, »exotisch« zu sagen, weil die Bedeutung des Wortes als allzu eurozentristisch gilt. Man übersieht jedoch, dass ein deutscher oder ein französischer Altar genauso ethnisch ist wie ein tibetischer. Altar für die Toten (den Künstlern der Welt gewidmet)

Künstler: Felipe Linares, Leonardo Linares, Ramón Ramírez de Salamanca, Pedro Ortega. Kult und Herkunft: Einheimischer und christlicher Synkretismus, Mexiko. Sammlung museum kunst palast, Düsseldorf.

Beim Altar verschwindet der Künstler zugunsten der religiösen Aura, außer im europäischen Christentum, wo die Signatur eines Meisters dem zu Ehren Gottes geweihten Gegenstand Seltenheitswert und etwas Kostbares ver-

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lieh. Die Trennung von Kunst und Religion hat sich heute allgemein durchgesetzt, und nur wenige anerkannte Künstler hatten die Gelegenheit, einen Altar zu realisieren. Dabei gibt es zahlreiche Altäre, die für Museen oder Galerien geschaffen wurden. Sie fanden in der Düsseldorfer Ausstellung jedoch keine Berücksichtigung. Um Verwirrung zu vermeiden, wurden nur Altäre berücksichtigt, die Gemeinschaften entstammen, die sie zum Beten, für kultische Zwecke und für das Darbringen von Opfern verwenden. In den meisten Fällen identifizieren sich ihre Schöpfer kaum oder gar nicht mit dem Begriff des Künstlers, wie wir ihn in Europa verstehen. Warum habe ich darauf bestanden, Altäre in einem Museum für Kunst auszustellen? Akzeptiert man, dass nicht nur der Westen Kunst hervorbringt und die anderweitig erschaffene Kunst sich nicht unbedingt an die Normen der Moderne hält, sondern sich vielmehr nach Gesetzmäßigkeiten richtet, die mit jenen vergleichbar sind, die in zurückliegenden Zeiten in Europa galten, dann muss man einräumen, dass Religionen eine wesentliche Quelle für plastische Ausdrucksformen darstellen. Formal und methodologisch betrachtet, sind Altäre und zeitgenössische Kunstinstallationen durchaus miteinander vergleichbar. Die Ausstellung »Magiciens de la terre« (1989 im Centre Georges Pompidou, Paris. Red.) hatte seinerzeit auf dem Begriff des Schöpfer-Individuums als dem gemeinsamen Nenner der weltweiten Kunst bestanden. Ihr wurde zurecht vorgehalten, dass sie damit dazu beitrug, die Unterschiede zwischen anderen Kulturen und der unsrigen, sprich das gemeinschaftliche Schaffen und die Gruppenarbeit, zu verwässern. Das größte Problem liegt bei diesem Anderen als einer Kategorie, die gar keine ist. Denn alle Standpunkte lassen sich begründen und mit Beispielen belegen. Was mich daran stört, sind die beiden Gewichtungen, die beiden Maßstäbe, die zur Folge haben, dass die exotischen Werke sich angeblich nicht mit den unsrigen vergleichen lassen. Sie wahren auf diese Weise die arrogante Überheblichkeit einer Kultur, die sich für die Herrin der Welt hält. Auslösendes Moment für die versammelten Objekte der Altäre-Ausstellung, die auch den unglaublichen Erfindungsreichtum zeigen, den die Götter bewirken, ist die schier unbegrenzte Vielfalt der Symbolträger, die durch eine bestimmte Anordnung der Gegenstände im Raum einen Sinn ergeben. Der große Wechsel, der das Ende des vergangenen Jahrhunderts kennzeichnet, gibt jedem Künstler aus der ganzen Welt, ob religiös, magisch beeinflusst oder nicht, die Möglichkeit, im Einklang mit den Codes und Referenzen seiner eigenen Kultur bekannt zu werden. Als Folge der zwischenmenschlichen und interkulturellen Beziehungen wird sich auch in der Beurteilung von Kunst eine offenere Haltung durchsetzen.

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Alle hier abgebildeten Objekte bzw. Installationen wurden in der Ausstellung »Altäre. Kunst zum Niederknien«, 2. September 2001 bis 6. Januar 2002 im museum kunst palast, Düsseldorf, gezeigt. Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung des Museums.

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Sehnsucht nach Verzauberung. Das postmoderne Kunstmuseum als religiöser Ort

Susanne Natrup Das Kunstmuseum als »Heiligtum« Als Johann Wolfgang von Goethe die Dresdner Schlossgalerie besuchte, beschrieb er seine Ergriffenheit mit folgenden Worten: »Ich trat in dieses Heiligtum und meine Verwunderung überstieg jeden Begriff, den ich mir gemacht hatte. Dieser in sich selbst wiederkehrende Saal, in welchem Pracht und Reinlichkeit bei der größten Stille herrschten, […] die […] Räume gaben mir ein Gefühl der Feierlichkeit, einzig in seiner Art, das um so mehr der Empfindung ähnelte, womit man ein Gotteshaus betritt, als der Schmuck so manchen Tempels, der Gegenstand so mancher Anbetung hier abermals nur zu heiligen Kunstzwecken aufgestellt schien.«1 Heute klingen die Empfindungen beim Museumsbesuch etwa so: »Schwarz gekleidet tritt man näher. Würdeheischend trotzt das Bauwerk. Im Inneren warten unaussprechliche Geheimnisse. In der Vorhalle die Vorahnung des zu Erwartenden. Beschwerliches wird abgelegt. Und nun hinein ins Allerheiligste. […] Erkenne dich selbst! im schützenden Raum, umgeben von mehr oder weniger Gleichgesinnten. Wiederherstellung des eigenen Ich in der Anverwandlung des Symbolischen. Heilsam ist er, der Besuch der Kunstsammlung.« (Albrecht 1996: 706ff.)2

Die Diktion beider Zitate deutet darauf hin, dass es sich beim Museumsbesuch – damals wie heute – um ein besonderes, dem Alltag entzogenes oder diesen transzendierendes Erlebnis zu handeln scheint. Ich möchte im Folgenden daher der Frage nachgehen, ob und unter welchen Bedingungen das Museum zu einem Ort religiösen Lernens und Erlebens werden kann. Diese Klä-

1 Goethe, Johann Wolfgang von (1981), zitiert in: Grasskamp, Walter: Museumsgründer und Museumsstürmer. Zur Sozialgeschichte des Kunstmuseums, München. 2 Albrecht, Christian (1996): Sich selbst gewiß werden. Die Begegnung mit Kunst macht Freiheit erfahrbar. In: Evangelische Kommentare 12.

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rung beginnt mit einem kurzen Blick auf die Signatur unserer Gegenwart, thematisiert deren Auswirkungen auf die Religion und fragt schließlich nach den Voraussetzungen, die aus dem säkularen Museum einen religiösen Ort machen. »Gefühl der Feierlichkeit«

Besucher im 2. Obergeschoss der Rotunde der Pinakothek der Moderne, München. Foto: Haydar Koyupinar. Mit freundlicher Genehmigung des Museums.

Signatur der Gegenwart Die Gegenwart zeichnet sich – unabhängig von ihrer Etikettierung – dadurch aus, dass sich das alltägliche Leben der Menschen immer komplexer vollzieht, und die Ausdifferenzierung ein hohes Maß an Reflexion durch den Einzelnen erfordert. In dem Maße, wie sich, bedingt durch Enttraditionalisierungen, Beschleunigung und Flexibilisierungen, das individuelle wie auch das soziale Leben verändern, wächst der individuelle Entscheidungsbedarf. Das hat Auswirkungen auf die Religion, die damit ebenfalls entscheidungsabhängig wird: Der Einzelne sucht und bildet seine Religion aus einer Vielzahl von Angeboten aus. Ein Nebeneinander unterschiedlicher Gestalten und Formen von Religion entsteht, und es treten höchst plurale Erscheinungsformen zutage. Im Hinblick auf die religiöse Landschaft ist somit ebenfalls von einem Traditionsabbruch und von der Herauslösung aus tradierten Bindungen zu sprechen. Dabei werden Funktionen der einst volkskirchlich beheimateten

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Religion durchaus weiterhin nachgefragt. Ich stimme dem Religionssoziologen Th. Luckmann darin zu, dass Religion eine anthropologische Konstante ist, die konstitutiv zum Menschsein gehört. Luckmann meint damit, dass Menschen nicht nur ihr Leben in typischen Phasen leben, sondern dass sie sich dabei immer die Sinnfrage stellen: Woher komme ich, wohin gehe ich, was gibt meinem Leben Sinn, wie gehe ich mit Schicksalsschlägen um, mit Krankheit, Tod und Trauer? Das Fragen der Menschen nach Sinn ist nichts anderes als ein religiöses Fragen (Luckmann 1985: 26ff.).3 Allerdings verändert die Religion unter dem modernen Individualisierungsschub ihre Gestaltformen, sodass die Funktionen der Religion – die Sinnstiftung, der Wunsch nach Alltagsüberhöhung, der Umgang mit Schicksalsschlägen bzw. Krisen – zunehmend von nichtreligiösen Strukturen getragen werden können. Luckmanns Religionsbegriff erscheint mir insofern sinnvoll, als er die Wahrnehmung der vielfältigen Formen und Verortungen von Religion in der Gegenwart ermöglicht. Er weist darauf hin, dass »Religion sich nicht nur beiläufig und untypisch, sondern vornehmlich und beispielhaft gerade auch abseits aller traditionellen Religionen ereignet«.4 Als exemplarischen Ort gelebter individualisierter Religion möchte ich das Museum für zeitgenössische Kunst darstellen. Museen dieser Art inszenieren die Kunst und den Raum gleichzeitig, sie setzen Raum und Exponate in wechselseitige Be-Deutungszusammenhänge, die den Betrachter in den Bann ziehen. Gegenwartskunst ermöglicht es dem Besucher, sich mit sich selbst auseinander zu setzen, Kontingenz und Transzendenz zu erfahren und eine Welt jenseits des Alltags zu erleben. Anhand dreier thematischer Zusammenhänge werde ich im Folgenden die These vom postmodernen Kunstmuseum als einem religiösen Ort entfalten. Das Kunstmuseum als religiöser Ort Religion begegnet dem modernen Menschen als ein Prozess zunehmender Ästhetisierung. Im Zuge der Moderne lässt sich eine wachsende Ästhetisierung von Welt und Religion beobachten. Der Religionssoziologe Max Weber hat die Rationalität der Moderne mit dem Stichwort der »Entzauberung« belegt (Weber 1988: 114)5, sodass sich die zu beobachtende Ästhetisierung von Welt und Religion als Bedürfnis des Individuums nach Wiederverzaube-

3 Luckmann, Th. (1991): Über die Funktion der Religion. In: Koslowski, P. (Hg.): Die religiöse Dimension der Gesellschaft, Tübingen, S. 26ff. 4 Ebd. 5 Weber, Max: Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus. In: Max Weber (1988): Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie I, Tübingen, S. 17-206.

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rung einer dem Rationalitätspostulat folgenden Gesellschaft verstehen ließe. Ob dieses Bedürfnis am Ende einer Epoche der Entzauberung im Sinne religiösen Bedürfnisses zu interpretieren ist, hängt vom zugrunde gelegten Religionsbegriff ab. In jedem Fall ist es als Wunsch zu verstehen, das Alltägliche zu überhöhen bzw. zu transzendieren und damit als religiöses Bedürfnis zu interpretieren. Zu klären bleibt, ob die religiöse Äquivalenzbildung qua Ästhetisierung ein gesamtgesellschaftliches Phänomen darstellt oder ob sie nicht vielmehr vom Milieu bestimmter gesellschaftlicher Gruppen abhängt. Kultursoziologische Überlegungen zu den gesellschaftlichen Individualisierungs- und Pluralisierungsprozessen Die neuere kultursoziologische Literatur verweist auf die generelle Exklusivität derjenigen Menschen, die schon immer den Zugang zu Kunst und Kultur gefunden haben. Danach diente beides seit jeher als Möglichkeit der Selbstexplikation – zunächst der adeligen, dann aber auch der bürgerlichen und der intellektuellen Eliten. Im Blick auf die Rezeption des Museums der Gegenwartskunst tritt für G. Schulze die »Erlebnisorientierung« als ein wichtiges Erklärungsmoment hinzu: »Die zunehmende Verschiedenartigkeit der Menschen ist Indiz für eine neue, grundlegende Gemeinsamkeit. Innenorientierte Lebensauffassungen, die das Subjekt selbst ins Zentrum des Denkens und Handelns stellen, haben außenorientierte Lebensauffassungen verdrängt. Typisch für Menschen unserer Kultur ist das Projekt des schönen Lebens.« (Schulze 1992: 35)6 Im Zentrum der Überlegungen Schulzes steht eine gesellschaftliche Gruppe, die er als »Selbstverwirklichungsmilieu« bezeichnet – ein Milieu der Jüngeren, der Gebildeten und Urbanen. Für das Selbstverwirklichungsmilieu ist Mobilität kennzeichnend – es ist an vielen Orten des sozialen Lebens präsent und angesichts des Strebens nach Originalität besonders empfänglich für Neues. Zum dominierenden Merkmal gehört die »Ich-Zentrierung«, d.h. das Spezifikum dieses Milieus liegt im Ich-verankerten Weltbezug, der Frage nach dem »Was bringt mir das?« Milieucharakteristische Aktivitäten verlagern sich nach G. Schulze in einzelne »Szenen«, wobei die postmoderne Kunst- und Kulturszene ein wichtiges Segment innerhalb des Selbstverwirklichungsmilieus darstellt. Das postmoderne Kunstmuseum als ein vielleicht gar kultisch zu nennender Ort partizipiert an einem besonderen Versprechen. Es lebt vom Vorschein, dass hier fragmentarisches Selbst und gefährdete

6 Schulze, G. (1992): Die Erlebnisgesellschaft. Eine Kultursoziologie der Gegenwart, Frankfurt a.M.

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Identität Orientierung und Stabilisierung erfahren, dass sie Kontingenz zu bewältigen vermögen.7 »Religion für Suchende«

Besucherschlangen während der Eröffnungswoche der Pinakothek der Moderne im September 2002, München. Foto: Haydar Koyupinar. Mit freundlicher Genehmigung des Museums.

7 Vgl. Schulzes Definition von »Milieu« und »Szene«, ebd., Kap. 6.4.

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Bemerkenswert im Kontext individualisierter und impliziter Religion ist eine zu beobachtende Übereinstimmung von Kirchenferne und Kunstinteresse. Einer Emnid-Umfrage von 1986 zufolge ist gerade das Kunstinteresse der konfessionell Nichtorganisierten signifikant hoch. Spezifiziert man diese Größe, so zeigt sich, dass ein überraschend hoher Prozentsatz derjenigen, die deutlich ihr Kunstinteresse artikulieren, ehemalige Kirchenmitglieder sind. Dieser Befund legt die Vermutung nahe, dass kirchenferne Zeitgenossen eine besondere Affinität zur Kunst oder gar dem »Betriebssystem Kunst« als einer ganz eigenen und besonderen Weltweisen-Wahrnehmung aufweisen. Kunst bzw. die Inszenierung von Kunstereignissen mit ihren das Alltägliche überhöhenden Potentialen könnte Funktionen der Religion für die Kontingenzbewältigung und die Auseinandersetzung mit Sinnfragen und -stiftungen übernehmen. Oder zugespitzt: Moderne Kunst ist Religion für Suchende. Die inszenatorischen Möglichkeiten des Kunstmuseums: Entstehungsgeschichte, Funktion und Architektur des Museums als Kennzeichen impliziter Religion Neben die Ästhetisierung als Folge der modernen Entzauberung bzw. der beschriebenen Individualisierungs- und Pluralisierungsprozesse treten implizit religiöse Potentiale des postmodernen Kunstmuseums. Dazu gehören die Entstehungsgeschichte des Museums ebenso wie seine Architektur, die nicht selten implizit religiös kontextuierte Gegenwartskunst und besondere Rituale beim Besuch des Kunstmuseums. Der Begriff des Museums entstammt dem sakralen Bereich der kultischen Sammlung, die von der Priesterschaft verwaltet und erst sehr viel später einem kleinen und elitären Kreis Gläubiger zugänglich war.8 Die Exklusivität der feudalen »Kunst- und Wunderkammern« des 16. und 17. Jahrhunderts wird erst im 18. Jahrhundert durch allgemein zugängliche Museen abgelöst. Der Schritt über die Schwelle des Museums der Moderne symbolisiert den Eintritt in eine besondere Wirklichkeit, die nun, analog zum Eintritt in den Sakralbereich, der Inszenierung und Ritualisierung bedarf, indem sich das Museum sakraler Strukturelemente bedient. Im Blick auf die moderne Epoche bildet bereits die architektonische Gestaltung ein wesentliches Kriterium für die Stilisierung des Museums als Ort quasisakraler Wirklichkeit. Diese Haltung lässt sich bis in die Anfänge des modernen Museums zurückverfolgen. Friedrich Schinkel zur Rotunde seines Berliner Museums: »Endlich auch kann die Anlage eines so mächtigen Ge-

8 Vgl. Grasskamp, Walter (1981): Museumsgründer und Museumsstürmer. Zur Sozialgeschichte des Kunstmuseums, München, S. 17-41.

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bäudes [...] eines würdigen Mittelpunktes nicht entbehren, welcher das Heiligthum sein muss, in welchem das Kostbarste bewahrt wird.«9 Als Höhepunkt dieser Entwicklung kann, nachdem das Funktionalitätspathos der Moderne ausgedient hat, die postmoderne Museumsarchitektur gelten. So formuliert etwa Hans Hollein, der Architekt des Museums Abteiberg Mönchengladbach: »Der Ursprung der Architektur ist sakral. Das Bedürfnis des Menschen zu bauen, manifestiert sich zuerst in der Errichtung von Gebilden sakraler Bestimmung magischer, sakral-sexueller Bedeutung. Der erste Pfahl, ein Steinhaufen, ein aus dem Fels gehauener Opferblock sind die ersten Gebilde, menschengemachte Gebilde mit einer spirituellen Bestimmung, sind Architektur.«10 Hinzu tritt ein weiteres Element, das auf eine mögliche Äquivalenz von Kirche und Museum verweist. Im Phänomen der Musealisierung zeigt sich ein spezifisch moderner Umgang mit den Zumutungen und Wechselfällen des Lebens, der Selbstvergewisserung, Transzendenzbedürftigkeit, den Sinnfragen nach Tod und Sterben. Die Museumswissenschaft definiert deshalb die immanenten, tradierten und transformierten Einschreibungen in den Präsentationsort Museum als Musealisierung. Insbesondere das Kunstmuseum stellt Sinnkonstruktionen bereit, die einst der kirchlich-christlichen Religion vorbehalten waren. Im Zuge der Musealisierung bilden sich Funktionsäquivalente heraus: So sind sowohl Kirche als auch Kunstmuseum Orte sozialer Kommunikation und Gemeindebildungen. Aus dem sozialen Charakter folgt der kommunikative, und beide üben sich schließlich im Ritual der Ergriffenheit: »Im Gegensatz zu der meist statischen Adorationsversammlung der Kirche nimmt die Bewunderung des Museumspublikums die Form einer vereinzelnden, atomisierten Prozession entlang der Bilderwände an, die des Flanierens.«11 Darin klingt eine kirchliche Defizitzuschreibung an, die heute gerne als ein Begründungsmuster für die Distanzierung von kirchlich-christlichen Lebensformen herangezogen wird. So steht der Erlebnisgehalt des Besuches im Kunstmuseum gemeinhin in deutlichem Kontrast zum als statisch bzw. steril erlebten Verhalten in der Kirche, er zeigt darin die aktuell erlebten Defizite protestantischer Frömmigkeit auf. Dabei ist es noch nicht ausgemacht, ob diese artikulierten und beklagten Defizite tatsächlich existieren oder vielmehr – aufgrund von Traditionsverlust und kirchlicher Distanzierung – als solche erst konstruiert werden.

9 Schinkel, Karl Friedrich, zitiert in: Wolzogen, Alfred Freiherr von (1863): Aus Schinkels Nachlaß, Bd. 3, Berlin. 10 Hollein, Hans, zitiert in: Klotz, Heinrich (1984) (Hg.): Revision der Moderne, Postmoderne Architektur 1960-1980, München, S. 342. 11 Vgl. Grasskamp, Walter (1989): Die unbewältigte Moderne, München, S. 24.

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»Aura des Bedeutungswerten«

Innenraum der Sammlung des Vitra Design Museums, Weil a.Rh. Foto: Inselmann. Mit freundlicher Genehmigung des Museums.

Was stellen Kunstmuseen aus? Im Blick auf die Gegenwart ist die Zahl der Künstlerinnen und Künstler nicht klein, die im Interpretationskontext ihrer Arbeiten religiöse Konnotationen beanspruchen. Joseph Beuys und Antoni Tàpies gehören ebenso dazu wie Jürgen Brodwolf, Anselm Kiefer, Mark Rothko oder Barnett Newman. Markus Lüpertz: »Die Kunst selbst ist etwas Göttliches. Das, was zwischen Gott und zwischen den Menschen steht und was Gott am nächsten ist, ist ein großes Werk, ist immer große Kunst, weil sie sich über alles erhebt und auf dem Wege hin zur Ewigkeit oder zur Unendlichkeit ist.«12 Die Gegenwartskunst als eine Autonomie beanspruchende Kunst

12 Lüpertz, Markus (1987). In: Klotz, Heinrich (Hg.): Die Neuen Wilden, Stuttgart, S. 32.

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verfügt über Bedeutungspotenziale, die das postmoderne Kunstmuseum qua Inszenierung in einen Ort verwandelt, der an religiöse Sprache und liturgieähnliche Rituale erinnert. Das Kunstmuseum wurde so zum Ort verdichteter Realität und religiösen Erlebens. Manchmal entsteht – gerade im Hinblick auf das Selbstverwirklichungsmilieu – der Eindruck, dass die Museen die Kirchen ablösen könnten als Orte, an denen die Mitglieder einer Gesellschaft in der Feier desselben Kultes kommunizieren. Dies gilt umso mehr, als sich die Gesellschaft, insbesondere die urbane, immer stärker aus der traditionellen Religion löst. Der »Museumskult« überlagert, so ließe sich zugespitzt formulieren, den Kultus der Religion. Blickt man auf die Inszenierung und Ritualisierung des Museumsbesuches seitens des Besuchers, so lassen sich gar Äquivalenzen zu kirchlichem Verhalten beobachten. Quasireligiöse Inszenierung des Museumsbesuches als Herausforderung an das volkskirchliche Erleben Die Ritualisierung des Museumsbesuches beginnt bereits mit dem Schritt über die »Schwelle« in das Museum hinein. Dabei ist es bemerkenswert, dass der Eingangsbereich postmoderner Kunstmuseen geradezu auffallend unauffällig, wenn nicht gar versteckt liegt. Fast ließe sich vermuten, dass nur »Eingeweihte« den Weg hinein in die besondere Wirklichkeit des postmodernen Kunstmuseums finden sollten. Beim Betreten eröffnet sich einem meist ein großzügiges Foyer, das den Verkaufsbereich beherbergt. Die Annäherung an die Schauräume erfolgt somit behutsam, indem man sich vor dem Betreten erst bei den Katalogen, Postkarten und Informationstafeln aufhält, um sich auf die Begegnung mit den Exponaten einzustimmen. In fast allen Museen wird man aufgefordert, Mäntel und Taschen zur Aufbewahrung abzugeben. Ist dies zunächst nur eine Sicherheitsmaßnahme, enthält sie doch eine gewisse Symbolik, die an religiöse Reinigungsrituale auf dem Weg zum Allerheiligsten erinnert. Beginnt man dann mit dem Rundgang durch die Schauräume, lässt sich eine Veränderung von Mimik und Gestik, Schritttempo und Sprache beobachten, die sich insgesamt reduzieren. Nur selten hört man laute Stimmen oder offenbarte Emotionen. Vielmehr überrascht die fast kontemplative Stille und Konzentration, bei der die Kommunikation allenfalls im Flüsterton erfolgt. Bei der Beobachtung des Besuchsverhaltens fällt auf, dass die Besucher unaufgefordert einen gewissen räumlichen Abstand zu den Exponaten halten oder, bei Nichtbeachtung, dazu angehalten werden. Die Exponate beanspruchen einen gewissen Raum, um ihre Wirkung entfalten zu können. Eine bloße Berührung, etwa um ein Exponat auf seine Materialität hin zu überprüfen, wür-

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de es entweihen und so seines auratischen Charakters berauben. Der Besucher darf dem Exponat – ähnlich der Gottheit im Allerheiligsten – nicht zu nahe kommen. Die Aura des Extraordinären, des Bedeutungs- und Bewahrungswerten fordert die körperliche Distanz. »Ritualisierung des Museumsbesuches«

Tafel im Eingangsbereich des Hirshhorn Museums, Washington D.C. Foto: Udo Liebelt.

Am Ende des Rundgangs durch ein Museum kehrt der Besucher in den Eingangsbereich zurück. Er verlässt die auratische Sphäre der Schauräume, ohne jedoch gleich in die profane Welt des Alltags zurückzukehren. Vielmehr verweilen die Besucher zumeist noch einen Augenblick im Foyer. Sie schauen sich, wie schon beim Betreten des Museums, die zum Verkauf angebotenen Gegenstände an, um das eine oder andere zu erwerben. Fast immer wird etwas »zur Erinnerung« gekauft und mit nach Hause genommen. Ob Kunstpostkarte, Katalog, Halstuch, T-Shirt oder Armbanduhr – die im Museum erworbenen Gegenstände haben aufgrund ihres Verkaufsortes und ihres Symbolgehalts eine besondere Bedeutung. Fast ließe sich von einem devotionalen Charakter der an sich profanen Gegenstände sprechen, deren Erwerb zum Ritual des Besuches gehört. So nimmt man symbolisch und zugleich sehr real etwas aus der extraordinären Museumswelt mit hinein in den Alltag, um sich daran halten und erinnern zu können. Wirft man einen Blick auf die Kleidung der Besucher, wird deutlich, dass diejenigen, die Schulze zum Selbstverwirklichungsmilieu rechnet, sich durch eine überraschende Uniformität ihrer Garderobe ausweisen. Vorherrschend ist dabei die Farbe Schwarz, die seit jeher die Distanz zum Alltag symbolisiert. Schwarz – gleichzeitig die bevorzugte Farbe für festliche Abendgarderobe wie auch die Farbe der Trauer – demonstriert im Museum Askese und Purismus. Kleidete man sich früher zum Kirchgang schwarz, gilt heute das

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»existenzialistische« Schwarz als die bevorzugte Farbe musealer Sinnsucher, die sich aus einem urbanisierten und akademischen Publikum zusammensetzen. In der Selbstauslegung von Individuen, Gruppen oder Kollektiven findet die Farbe schwarz symbolische Verwendung, nämlich »in einem ›äußeren‹ Zeichen als Hinweis auf eine ›innere‹ Haltung, Anschauung oder Zugehörigkeit.«13 Die Besucher selbst umgeben sich durch die Wahl ihrer Kleidung mit einer spezifischen Aura aus Unnahbarkeit und Distanz und unterstreichen auf diese Weise das Besondere und Extraordinäre ihres Seins. Im Kunstmuseum erhält die Ritualisierung der Kleidung einen fast normativen Charakter und verweist damit auf die Ambivalenz gegenwärtiger Individualisierungsprozesse – zwischen sozialer Bindung und individueller Akzeptanz. Die Ritualisierung des Museumsbesuches deutet die mit ihm verbundenen Ambiguitäten an: Die Besucher schwanken zwischen der Faszination des mit dem im Museum symbolisierten Fragmentarischen des Lebens und Abwehr einer irritierenden Auseinandersetzung. Die existentielle Konfrontation soll allenfalls gefiltert, soll erträglich dosiert den Betrachter in den Bann ziehen; gleichzeitig muss sie sozial anschlussfähig und kommunizierbar bleiben. Anders, als es bei der detaillierten Anleitung zum Bau der Stiftshütte in der Hebräischen Bibel, dem sog. Alten Testament, der Fall ist (vgl. 2. Mose, Kap. 25f. Red.), kennt der protestantische Glaube keine Kultorte, er scheint ortlos zu sein. Neutestamentliche Vorbehalte sprechen gegen mögliche Kultisierungen: »Denn Christus ist nicht eingegangen in das Heiligtum, das mit Händen gemacht und nur ein Abbild des wahren Heiligtums ist, sondern in den Himmel selbst, um jetzt für uns vor dem Angesicht Gottes zu erscheinen.« (Brief an die Hebräer 9, Vers 24) Vielleicht liegt hier ein Schlüssel für die häufig beklagte Erlebnisarmut des christlichen Glaubens und besonders des Protestantismus. Am Beispiel des Kunstmuseums zeigt sich, wie der moderne, durch Aufklärung und Rationalität geprägte Mensch auf erhebende Orte bzw. auf das Erleben dramatischer Religiosität angewiesen bleibt. Der allgemeine Zuspruch, den museale Inszenierungen bei den Rezipienten erfahren, weist auf ein spezifisches Bedürfnis des Individuums hin, Deutungsangebote für das eigene Leben zu finden. Beim »Kultort« Kunstmuseum handelt es sich um einen religiös inszenierten Ort. Hier findet eine Auseinandersetzung mit Kontingenz und Sinnfragen, mit Scheitern, Gewalt und Vergeblichkeit, vor allem aber mit dem Tod statt.

13 Vgl. Soeffner, H. G. (1992): Die Ordnung der Rituale, Frankfurt a.M., S. 86ff.

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Anmerkungen zur Museumspädagogik In der Literatur der Museumspädagogik fällt auf, dass der Aspekt der »Kunstreligion« nahezu unberücksichtigt bleibt. Die museumspädagogischen Angebote konzentrieren sich auf die Vermittlung von kunsthistorischem Wissen, um Kunstwerke zugänglich zu machen. Ich erkenne darin eine Gefahr. Sie besteht in der Aufhebung der Distanz zwischen Kunstwerk und Betrachter, indem ihr die Fremdheit und das Unverständliche genommen wird. Das könnte ihn um die Chance bringen, sich exemplarisch, aus seinem eigenen Entsetzen und seiner Abwehr heraus, mit dem Kunstwerk und seiner Befremdlichkeit auseinander zu setzen. Ich stimme daher M. Parmentier zu, wenn er die Museumspädagogik dahingehend hinterfragt, ob sie im Sinne einer bloßen Popularisierung nicht die Kunstrezeption in eine Eindimensionalität zwingt, die den Blick darauf, dass die Auseinandersetzung mit Gegenwartskunst ein quasireligiöses Geschehen darstellt, trübt. Ich könnte mir vorstellen, dass die Wahrnehmung des implizit religiösen Charakters von Kunstmuseen und dem, was sie zeigen, der Museumspädagogik neue Impulse verleiht, Sinnfragen im weitesten Sinne zu thematisieren. Sie trüge damit der gesellschaftlichen Individualisierung Rechnung und sie bewahrte die Kunst vor einer konsumierend verharmlosenden Nivellierung.

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Kunst ist Gleichnis. Gottesdienst im Museum

Udo Liebelt »Dass das Theater sich mit Sinnfragen beschäftigt, ist nicht neu. Neu ist, dass es dabei explizit auf Glaubens- und Religionsfragen rekurriert«, las man Mitte Oktober 2004 in der Süddeutschen Zeitung. Hingewiesen wurde auf eine ganze Reihe von Projekten – hier eine Auswahl: Die Städtischen Bühnen Münster nehmen sich »Die Zehn Gebote« ebenso vor wie die Münchener Kammerspiele; am Berliner Gorki-Theater arbeitet zur Zeit eine »Bibel-Factory«. Schon im Frühjahr desselben Jahres betitelte die FAZ-Sonntagszeitung mit »Die Bretter, die den Himmel bedeuten« eine Besprechung von Ulrich Seidls »Vater Unser« an der Berliner Volksbühne. Dazu gab Hans Castorff, den Sie vielleicht eher als Berufszyniker kennen, die Devise aus: »Religion ist ein Anker«.1 Nun stellen auch die Museen die Gretchenfrage »Wie hältst Du’s mit der Religion?«: Das Deutsche Hygiene-Museum Dresden zeigt zur Zeit die Ausstellung »Die Zehn Gebote«; Kunstmuseen veranstalten – das allerdings seit vielen Jahren – Gottesdienste in ihren Räumen. »Vom Geist der Dinge« im Werk der Künstler. Ich setze mit einer Erinnerung ein, die ich der leider oft verkannten nonverbalen Vermittlung zeitgenössischer Kunst zurechne. Mit einer Studentengruppe war ich zur documenta 5 von 1972, der berühmten, die Harald Szeemann so grandios in Szene gesetzt hatte, angereist. Etwas ratlos standen wir damals um einen kreisrunden Ring aus rohen Natursteinen herum, den der Künstler auffällig exakt auf dem Boden des Fridericianums ausgelegt hatte. Bis plötzlich einer der jungen Leute das Schweigen durchbrach, mit dem Ruf »So, ich mach’s!« die Steinschwelle überschritt und in das Innere des Kreises eindrang. Wie selbstverständlich hatten wir zuvor die strenge Runde respektiert, indem wir sie aufmerksam betrachteten. Bis wir hinter der simplen Geste aus der Gruppe heraus so etwas wie einen Tabubruch erkannten: In unserer Vorstellung baute sich ein archaisch anmutender, hermetisch geschlossener Raum auf, der uns auf Abstand hielt. Erleben wir es im Umgang mit Werken der zeitgenössischen Kunst nicht immer wieder, dass hinter dem, was man die »Aura« oder das »Geheimnis

1 FAZ-Sonntagszeitung, 15.02.2004.

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der schöpferischen Idee« nennen mag, so etwas wie eine religiöse Dimension aufscheint? Niemand von uns würde vor einem Werk von Richard Long, von dessen »Circle« die eben geschilderte Episode handelte, oder als Besucher eines in Chartreser Blau getauchten Lichtraums von James Turrell unterstellen, dass diese Künstlerinnen und Künstler einem religiösen Bekenntnis verpflichtet seien. Nicht weniger wäre eine »Werkhandlung« von Franz Erhard Walther, die uns vielleicht wie ein priesterliches Ritual vorkommt, ein grundlegendes Missverständnis. Nein, es bildet sich bei der Betrachtung gewisser Kunstwerke eher das Gefühl aus, jenseits der Banalität des Alltäglichen mit dem Wesentlichen in Berührung zu kommen. »Religiöse und ästhetische Erfahrung«, schreibt der Theologe Gerhard Marcel Martin, »sind immer schon aufs engste miteinander verbunden, sie stehen aber auch in einem polemischen und antagonistischen Verhältnis zueinander. Religion drückt sich in den Medien der Kunst aus.«2 Die Älteren unter Ihnen werden sich erinnern: Die beiden großen Ausstellungen, die Wieland Schmied für die Deutschen Katholikentage von 1980 und 1990 in Berlin konzipiert hat, trugen die Titel »Zeichen des Glaubens – Geist der Avantgarde. Religiöse Tendenzen in der Kunst des 20. Jahrhunderts«3 sowie »Gegenwart Ewigkeit. Spuren des Transzendenten in der Kunst unserer Zeit«.4 Jenseits dessen, was wir traditioneller Weise »christliche Kunst« nennen, stellten beide Ausstellungen, wie der Ausstellungsleiter dazu notierte, »Werke der Moderne [...] in einem Kontext zur Diskussion, der von religiösem Empfinden und Denken zwischen Betroffenheit und Bekenntnis, Meditation und Manifestation, Zeugnis und Zweifel bestimmt wird«.5 Weniger aus theologischem Interesse heraus als vielmehr im Sinne einer spirituellen Rezeption zeitgenössischer Kunst bewegt sich auch das, was ich Ihnen hier vortragen möchte. Im Anschluss an die von meiner Vorrednerin Susanne Natrup dargestellte »implizite Religion« des musealen Kontextes von moderner Kunst schlage ich hier ein anderes Kapitel des Museums als Forum für Religion auf. Ich stelle Ihnen einen Typ von Veranstaltungen vor, wie er in einigen wenigen deutschen Kunstmuseen, dort zurecht auch eher selten praktiziert wird. Gerne

2 Martin, Gerhard Marcel (2002): »Predigen und Gottesdienst feiern im Raum der Kirche«. In: Udo Liebelt/Hans Werner Dannowski (Hg.) (2002), Kunst ist Gleichnis. Predigten zur Kunst der Zeit im Sprengel Museum Hannover, Hannover, S. 128. 3 Schmied, Wieland (Hg.) (1980): Zeichen des Glaubens – Geist der Avantgarde. Religiöse Tendenzen in der Kunst des 20. Jahrhunderts, Stuttgart. 4 Schmied, Wieland, in Zusammenarbeit mit Jürgen Schilling (1990): Gegenwart Ewigkeit. Spuren des Transzendenten in der Kunst unserer Zeit, Stuttgart. 5 Schmied 1980: S. 4.

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entspreche ich damit dem Wunsch der Tagungsleitung, weil ich ein solches Programm bis zu meinem Ausscheiden aus dem aktiven Museumsdienst betreut habe. Als Mitarbeiter am Konzept dieser Tagung hätte ich es freilich vorgezogen, wenn wir eine Veranstaltung dieser Art selber ins Programm hätten aufnehmen können, anstatt dass wir nur darüber reden. Zunächst erwähne ich ein Hamburger Projekt – vielleicht war es das erste seiner Art: An den vier Adventssonntagen des Jahres 1982 veranstaltete die Hamburger Kunsthalle in den eigenen Räumen Gottesdienste, die von Geistlichen der beiden großen christlichen Konfessionen geleitet waren. Im Zentrum standen mittelalterliche Altarbilder, die zur Sammlung des Hauses gehören. Das ungewöhnliche Museumsprojekt kommentierte damals Achim Lipp überraschenderweise im Sinne eines »autonomen Kunstbegriffs«, auf dem auch die Vermittlungsarbeit des Museums moderner Kunst basiere. Der lasse ein »Interpretationsmonopol« nicht zu, »weder ein wissenschaftliches noch ein religiöses«.6 Das Projekt hatte nicht nur beim Stammpublikum des Museums Erfolg, brachte aber auch zum Ausdruck, welcher Verlust an religiöser Authentizität mit der Musealisierung sakraler Objekte verbunden ist. Ist es da nicht legitim, wenn die Museumspädagogik Rekonstruktionen der verlorengegangenen geistlichen Kontexte nutzt? Im Jahr 1983 war die Stadt Hannover Gastgeberin für den 20. Evangelischen Kirchentag. Im Sprengel Museum, einem ausschließlich der klassisch modernen und der Gegenwartskunst gewidmeten Museum, kam uns damals eine andere Idee: Ausgewählte Werke der Moderne in ihren implizit religiösen bzw. spirituellen Qualitäten »zum Sprechen zu bringen«. Auch sollte der Blick der Mitwirkenden auf die Lebenssituationen der Künstlerinnen und Künstler bei der Entstehung der fraglichen Werke bzw. auf ihr existenzielles Selbstverständnis gerichtet sein. Als geeignetes Forum zur Realisierung dieser Idee diente uns zunächst eine Ausstellung mit dem Titel »Lebenszeichen – Botschaft der Bilder«, die ich für das Kirchentagspublikum aus den Beständen des Museums heraus eingerichtet hatte. »Kunstwerke sind Lebenszeichen des Künstlers und seiner Generation«, schrieb ich damals ins Vorwort des Katalogs, »die man aufspüren und entschlüsseln muss, um sie zu verstehen. In ihnen begegnet der Betrachter nicht nur dem Künstler als Mitmenschen, sondern seiner eigenen Zeit und – vielleicht – auch sich selbst.«7

6 Lipp, Achim (1983): »Gottesdienst vor Altarbildern. Eine Veranstaltungsreihe in der Hamburger Kunsthalle«. In: Museumspädagogischer Dienst Hamburg (Hg.): Argumente zur museumspädagogischen Praxis, Hamburg, Heft 3, S. 10. 7 Liebelt, Udo (1983): Lebenszeichen – Botschaft der Bilder. Wirklichkeit und Lebensverständnis in der modernen Kunst, Hannover: Sprengel Museum Hannover, S. 7.

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Wir dachten an nicht mehr, als dass wir die jungen Leute, die sich in den Tagen zuvor aktiv am Kirchentag beteiligt hatten, zu einer gottesdienstähnlichen Veranstaltung in unsere Ausstellung einladen. Hinzu kam, dass in Hamburg wenige Tage später eine »Volksdemonstration« für den Frieden stattfinden sollte, die durch die damals heftigen Proteste gegen »SS 20« und NATODoppelbeschluss veranlasst war. Das gab uns das Thema vor. Im Mittelpunkt der Veranstaltung hing ein sog. Combine Painting des Berliner Künstlers Wolf Vostell mit dem Titel »Goethe heute« (1967). Das aus Zeitungsfotos und abstoßenden Materialien bestehende Kunstwerk war zur Zeit des Vietnamkriegs entstanden – wir deuteten es als einen Protest des Künstlers gegen Umweltzerstörung, Hochrüstung und Folter als Verbrechen an der Menschheit. Der Pfarrer las aus der Bergpredigt vor, begleitet von einer kirchlichen Rockband sangen und beteten wir »Herr, gib uns Frieden [...]«. Vaterunser und Segensgruß schlossen die Matinee ab. »Gefühl von Sterblichkeit«

Gottesdienst am Totensonntag 1992 vor einem Gemälde von Francis Bacon im Sprengel Museum Hannover. Leitung Hans Werner Dannowski. Foto: Archiv des Museums.

Der unerwartet starke Publikumszuspruch zu dieser Veranstaltung ermutigte uns so sehr, dass wir ein fortlaufendes Programm daraus entwickelten. In dem damaligen Stadtsuperintendenten der Ev.-Luth. Kirche Hannnovers fanden wir einen ebenso kunstsinnigen wie theologisch kompetenten Partner, der die Idee engagiert aufgriff und, mit uns gemeinsam, über viele Jahre hinweg zu bleibendem Erfolg geführt hat. Seitdem veranstaltet das Sprengel

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Museum Hannover während seiner Öffnungszeiten, und zwar jeweils an Pfingsten bzw. am Totensonntag, sog. Ökumenische Kunstgottesdienste.8 Längst nicht mehr finden diese in den Räumen der Sammlung oder einer Sonderausstellung statt, weil das – bei regelmäßig 200 bis 300 Teilnehmer/ innen – die Sicherheitsbedenken der Museumsleute nicht zulassen. Was macht die Besonderheiten eines solchen Programms aus? Erstens und für das Museum unverzichtbar: Ein Kunstwerk der Sammlung steht im Zentrum gemeinsamer Betrachtung. Es gibt der Veranstaltung das Thema vor, das am künstlerischen Konzept, etwa an der farblichen Verfassung, einer Konstruktionsidee oder an der Lebenssituation des Künstlers, in der das Werk entstanden ist, anknüpft. Dabei kommen, von Boccioni, Kandinsky oder Marc Rothko bis hin zu Skulpturen von Jean Arp, Nikolaus Lang oder Bruce Nauman sehr unterschiedliche künstlerische Positionen zum Zuge. Eine Bevorzugung figurativer, gegenstandsloser oder konzeptueller Kunstformen gibt es nicht. Werke mit explizit religiösen Sujets spielen so gut wie keine Rolle. Eine zweite künstlerische Besonderheit: Eine Tänzerin, ein Ensemble für Neue Musik oder ein Pianist, der Eric Satie interpretiert, eine Jazzband, die Klezmergruppe, die gerade in der Stadt gastiert, ein Mädchenchor oder die kirchlich engagierte Rockgruppe gestalten die Veranstaltungen musikalisch. So kommt es vor, dass ein Saxophonist vielleicht zum ersten Mal in seinem Leben den Cantus firmus eines Chorals intoniert. Die Lieder werden gemeinsam gesungen. Eine verbindlich formulierte »Liturgie« gibt es indes nicht. Die Abfolge des Gottesdienstes wird jedesmal in freier Übereinkunft der Beteiligten gestaltet. Selbst spontane Wortmeldungen aus dem Publikum finden darin Platz. Drittens: Das Hannoversche Programm hat sich dem ökumenischen Dialog verschrieben, bis hin zu interreligiösen Fragestellungen. Es wirken mit: der bekannte Jesuit und Kunstautor aus dem Rheinland, der seine Kirche zur »Kunststation« erklärt hat; der Theologieprofessor, der sich mit Umberto Ecos ästhetischer Theorie befasst; der Filmbeauftragte der Kirche und der Landesrabbiner als Kenner der Kunst von Marc Chagall. Eine Islamforscherin oder ein Mitglied der jüdischen Gemeinde rezitieren aus ihren heiligen Schriften oder wirken als Gesprächspartner/innen zum vereinbarten Thema mit.

8 Die Predigten nebst Veranstaltungsprogrammen der Jahre 1983-1996 sind dokumentiert in: Udo Liebelt/Hans Werner Dannowski (Hg.) (2002): Kunst ist Gleichnis. Dreizehn Predigten zur Kunst der Zeit im Sprengel Museum Hannover, Hannover.

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Im Unterschied zu den nachfolgend genannten Projekten sind die in Hannover praktizierten Ökumenischen Kunstgottesdienste als museumseigene Veranstaltungen konzipiert. Der verantwortliche Kustos9 betreut das Programm konzeptionell und organisatorisch, er begrüßt die Gäste und führt als Kunstwissenschaftler in die jeweilige Veranstaltung ein. Die Museumsleute laden den geistlichen Leiter der Veranstaltung ebenso ein wie die übrigen Beteiligten. Jede Form von kirchlicher Regie, sei es, dass lokale Kirchenleitungen oder eine benachbarte Kirchengemeinde kontinuierlich mitarbeiten, könnte das vom Museumsstandort her geprägte Profil der Gottesdienste in Frage stellen und wird darum abgelehnt. Das akzeptiert auch die kirchennahe Hanns-Lilje-Stiftung, die das Programm seit einigen Jahren kontinuierlich unterstützt. »Mystische Konstruktion«

Franz Marc, Pferde und Adler, Öl auf Leinwand 1912. Sprengel Museum Hannover, Archiv des Museums.

Aus einer langen Reihe von Kunstwerken, die seit 1983 zum Zuge kamen, führe ich nachfolgend drei Beispiele vor, wie die geistliche Auslegung von Kunst praktisch aussehen kann. Hier zuerst ein klassisch-modernes Gemälde – »Pferde und Adler« aus dem Jahre 1912 von Franz Marc. Der 1880 in München geborene Künstler, Mitglied der Münchener Künstlergruppe »Blauer Reiter«, gilt nicht nur als ausdrucksstarker Maler, sondern auch als einflussreicher

9 Seit 1997 kuratiert Gabriele Sand, Kustodin für Bildung und Kommunikation, das Programm der Kunstgottesdienste.

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Denker des deutschen Expressionismus. In seiner Malerei wie auch im Briefwechsel mit Künstlerfreunden beweist er sich als leidenschaftlicher Kämpfer für die künstlerische Wahrheit. »Die Welt selbst (will er. Red.) zum Reden bringen«. Von diesem Leitziel her ist für Franz Marc, der es als junger Mann erwogen hatte, ob er nicht als Geistlicher in den Dienst der Kirche treten solle, der Weg zur Religion nicht weit. In Anlehnung an den Geist der Romantik erhebt Marc die »mystisch-innerliche Konstruktion« der Schöpfung10 zum eigentlichen Thema seiner Kunst. Religionswissenschaftler werten diese Position vielleicht als pantheistisch geartete Haltung. Francis Bacon, der 1992 im Alter von 83 Jahren starb, gilt – nach Pablo Picasso und Max Beckmann – als einer der bedeutendsten figurativen Maler des 20. Jahrhunderts. Das Gemälde mit dem Titel »Studie für Bildnis von P. L.« entstand, wie auch ein wildes Kreuzigungs-Triptychon, nach dem Tode seines Lebensgefährten Peter Lacey. Die künstlerischen Mittel hat Bacon bekanntlich an Fotos mit der Darstellung körperlicher Extremsituationen entwickelt. Wiederholt hat er Schlachthäuser besucht, um dort das grausige Geschehen zu studieren. Ein Erinnerungsbild wie diese »Studie« macht den Betrachter vor allem darum betroffen, weil es einen im Verfall begriffenen menschlichen Körper zum Sujet hat. »Ich selbst habe dies Gefühl von Sterblichkeit die ganze Zeit«, äußert sich der Künstler im Interview mit David Sylvester.11 Es wäre falsch, die auf öffentliche Konnotation hin geäußerte persönliche Haltung des Künstlers bei der Interpretation seiner Werke unberücksichtigt zu lassen. Wenn wir angesichts eines solchen Gemäldes nach dem Sinn des Lebens fragen, wenden wir die künstlerisch vorgetragene »Botschaft« zugleich ins existenzielle Verständnis der Betrachter. An einem Pfingstmontag stand in Hannover über einem Gottesdienst dieser Satz von Joseph Beuys aus dem Jahre 1986, in dem er starb: »Was ich meine: Jeder Mensch ist Träger von Fähigkeiten ...«. Dazu hing vor den Augen der Leute ein bekanntes Auflagenobjekt des Künstlers, der »Filzanzug« von 1970. »Kleider machen Leute« – diese Banalität hätte der Künstler dem Geistlichen, der dazu das Wort ergreift, sicher nicht durchgehen lassen. Eher legt sich – zum besseren Verständnis des Kunstwerks – nahe, an die biographische Episode zu erinnern, die Beuys selber gerne erzählt hat: Wie er als Sturzkampfflieger über der Krim abstürzte, Tataren den Schwerverletzten fanden, seinen Körper mit tierischen Fetten einrieben und in Filzdecken hüllten. War es vielleicht das Motiv der Fürsorge an einem fremden Menschen, das ihn später bei der künstlerischen Materialwahl beschäftigte, oder faszi-

10 Zit.: Marc, Franz (1920): Briefe, Aufzeichnungen, Aphorismen, Berlin. 11 Zit.: Sylvester, David (1982): Gespräche mit Francis Bacon, München.

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nierte Beuys das schamanenhafte Ritual, das ihm dabei widerfuhr? Im Oeuvre des Künstlers blieb diese Ambivalenz zwischen dem sozialen Engagement und dem »Geist der Dinge« stets gegenwärtig. Beuys’ künstlerisches Grundanliegen, in Leben und Werk die verlorengegangene Einheit von Natur und Geist wiederherzustellen, zielt – darin sind sich viele Kommentatoren einig – auf die spirituelle Dimension menschlicher Existenz ab. »Evocation humaine, lunaire, spectrale«

1950. Skulptur aus Bronze auf Betonsockel von Jean Arp, die 1986 im Mittelpunkt eines vom Zweiten Deutschen Fernsehen übertragenen Kunstgottesdienstes im Sprengel Museum Hannover stand. Foto: Tuna Ciner/Archiv des Museums.

»Kunst ist Gleichnis« könnte man über alle Versuche der religiösen bzw. spirituellen Deutung von Kunst setzen. Kunst stiftet Gleichnisse für die Unauflöslichkeit von Form und Idee, für die existenzielle Bedeutsamkeit ästhetischer Wahrnehmung, für den Sinn des Lebens und des Sterbens, und damit für die Einheit, die die Welt zusammenhält. Das Beispiel Hannover, das mir bisher die Stichworte geliefert hat, hat längst Schule gemacht. Das Kunstmuseum Bonn veranstaltet seit einigen Jahren in seinen Sammlungsräumen geistliche Andachten. Dabei werde »der Bogen«, wie es in einer Information des Museums heißt, »vom Kunstwerk zu einer möglichen geistigen oder gar

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spirituellen Aussage geschlagen«. Unter der Überschrift »Kunst und Kirche« bieten Pfarrer und Religionspädagogen in der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe an jeweils einem Sonntagvormittag im Monat theologisch argumentierende Kunstbetrachtungen an. Wir kennen ähnliche Museumsprojekte auch von anderen deutschen Museen – das ist hier aber nicht mein Thema. »Nicht, weil alles Schöne von Gott stammt, ist alle Kunst religiös [...], aber weil alle Kunst einen Gehalt, eine Stellung zum Unbedingten zum Ausdruck bringt, darum ist sie religiös.« Dieser Satz stammt von Paul Tillich, dem für die theologische Deutung moderner Kunst eine Schlüsselrolle zukommt.12 Der evangelische Theologe und Religionsphilosoph, der in den 20er Jahren den »Bund religiöser Sozialisten« mitbegründete und als Hochschullehrer auch hier in Dresden wirkte, emigrierte nach dem Lehrverbot 1933 in die USA. Tillich beschrieb die wesentliche Verwandtschaft zwischen Religion und Kultur »als Einheit von unbedingtem Sinn-Gehalt und bedingter Sinn-Form«.13 Die Pinakothek der Moderne, München, knüpft an einen Buchtitel dieses großen Theologen an, wenn sie eine Veranstaltungsreihe mit »Das Ewige im Jetzt« überschreibt. Fragt man danach, wie sich seit nunmehr zwei Jahrzehnten Projekte religiöser Art in Kunstmuseen etabliert haben, stellt man fest, dass sie vor allem von der Initiative einzelner engagierter Personen ausgingen und getragen sind. Die Zusammenarbeit der Museumsleute mit institutionellen Partnern, wie z.B. mit kirchlichen Stellen, spielt bei den ambitionierteren Programmen eher die Nebenrolle. In einigen der geschilderten Fälle sind kunstinteressierte Pastoren oder Religionspädagogen auf das Museum zugekommen. In anderen tut sich der oder die verantwortliche Museumskurator/in mit Geistlichen zusammen, weil das für das eigene Vermittlungskonzept als bedeutsam gewertet wird. Hat das Programm ein eigenes Profil entwickelt und ist es zudem beim Publikum erfolgreich, hat es auch Bestand. »Sie kennen mich als Agnostiker«, erklärte mir der neue Museumsdirektor bei seinem Dienstantritt, »aber was die ökumenischen Kunstgottesdienste angeht, haben sie eine ansprechende Form und ziehen viele Menschen an – also machen wir weiter!« Seit 1998 verfolgt das Wilhelm-Lehmbruck-Museum Duisburg ein eindrucksvolles Programm dieser Art. Vorausgegangen war eine Ausstellung des Museums, betitelt »Museum und Kirche – Religiöse Aspekte moderner Kunst«, die sich über mehrere Kirchen der Stadt verteilt hatte.14 Seinen internationalen Ruf genießt das Museum vor allem als Hochburg moderner

12 Tillich, Paul (1967): Gesammelte Werke, Bd. IX, Stuttgart, S. 318. 13 Ebd., S. 330. 14 Museum und Kirche – Religiöse Aspekte moderner Kunst, Wilhelm-LehmbruckMuseum Duisburg, 15. April bis 20. Mai 1991 (Ausstellungskatalog).

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Skulptur. Darum verwundert es nicht, wenn die »Ökumenische Kunstvesper«, wie sie dort heißt, von Gottlieb Leinz, dem Kustos für Skulptur, initiiert wurde. Bei der ökumenisch-theologischen Ausrichtung der Veranstaltungen arbeitet man mit Vertretern der beiden großen Konfessionen zusammen. Aus dieser Kooperation heraus entwickelte sich im Laufe weniger Jahre eine besondere Form der Liturgie. Sie besteht aus einem Mix aus gottesdienstlichen Elementen, live-musikalischer Gestaltung, Rezitation und Vortrag, Tanz, Film oder Diaprojektion, der sich mit der Betrachtung von Kunstwerken aus der Sammlung des Museums zu einer umfassenden »theatralen Choreographie« zusammenfügt. An jeder Ökumenischen Kunstvesper, die bis zu drei Stunden dauern kann, nehmen 200 bis 300 Menschen teil, darunter viele junge Leute. Ökumenische Kunstvesper im Wilhelm-Lehmbruck-Museum, Duisburg 2005

Neben der »Großen Sinnenden«, einer Bronzeskulptur von Wilhelm Lehmbruck aus dem Jahr 1913, singt der Chor den »Liebeslieder-Walzer« von Johannes Brahms. Foto: Andreas Probst. @ Mit freundlicher Genehmigung: Rheinische Post/Lokalredaktion Duisburg.

Für die Auswahl der Kunstwerke spielt natürlich die wunderbare Sammlung der Skulpturen von Wilhelm Lehmbruck, dem Namensgeber des Duisburger Museums, eine wichtige Rolle. Daneben fällt auf, dass nicht selten solche Kunstwerke zum Zuge kommen, die sonst im Schatten der Highlights ein bescheidenes Dasein fristen. Wenn in Duisburg auf die kunsthistorische Einführung in die Kunstwerke verzichtet wird, hat das vor allem damit zu tun, dass

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rund ein halbes Dutzend Kunstwerke – hinzu kommen die per Film oder Diaprojektion zusätzlich vorgeführten Werke – unter dem großen Bogen eines Leitthemas Platz finden sollen. Die Kunstvespern tragen poetische Namen wie »Der Traum vom Fliegen« oder »Winterreise«, mitunter lassen sie sich auch, mit Themen wie »Engel« oder »Christus-Bilder«, auf das ikonographische Interesse der beteiligten Kirchenleute ein. Mein letztes Beispiel gilt einem Programm, das seit 1999 im Zentrum für Kunst und Medientechnologie Karlsruhe verfolgt wird. Heinrich Klotz, Gründungsdirektor des ZKM, hatte sich damals aus persönlicher Überzeugung auf das Wagnis eingelassen, das ihm der Leiter des Religionspädagogischen Instituts der Ev. Landeskirche in Baden antrug. Im Mittelpunkt des ersten Gottesdienstes stand, mit »The City of Man« von Bill Viola, eine raumfüllende Videoinstallation. Allerdings waren rund 400 Menschen zu diesem besonderen Museumsevent gekommen, sodass man das wandfüllende Kunstwerk als Dia auf die Außenseite des Installationsraumes projizieren musste.15 Nach dem Tode von Heinrich Klotz wird das Karlsruher Programm einmal pro Jahr, und zwar außerhalb der Öffnungszeit, im Museum für Neue Kunst, einem Sammlermuseum als Teil des ZKM, fortgesetzt. Auf Bill Viola folgten in weiteren Veranstaltungen eine Installation des Amerikaners Bruce Nauman – Thema: »Was ist der Mensch?« –, Werke von Keith Haring, Martin Kippenberger oder von Sylvie Fleury. Auffallend mutig wählt man im MNK Karlsruhe die Kunstwerke aus und ordnet ihnen jeweils intelligente Themen zu. Eine allzu griffig sich gebende Kommentierung der Kunstwerke soll vermieden werden. Auch zielen die Interpretationsangebote der Mitwirkenden weniger auf theologische Auslegung ab, als darauf, Aussagen zu den Lebensverhältnissen der Menschen in den Blick zu rücken. Lesungen biographischer oder poetischer Texte spielen dabei eine wichtige Rolle. Dass das Ganze in einer ehemaligen Munitionsfabrik stattfindet, in der während des Zweiten Weltkrieges auch Zwangsarbeiter beschäftigt waren, verleiht dem erklärten Anspruch, dem Sakralen im profanen, auch historisch belasteten Raum, Platz zu geben, sinnfälligen Ausdruck. Gegenüber der Praxis in Hannover, wo die Predigt im Zentrum des Geschehens steht, aber auch im Vergleich mit Duisburg und seiner quasi barock überbordenden choreographischen Inszenierung, wurde im MNK Karlsruhe ein Konzept entwickelt, das sich vielleicht am klarsten zum »Geist der Kunst« bekennt. Hinter dem Erfolg steht ein mehrköpfiges Kollektiv, das sich aus Personen verschiedener fachlicher Kompetenz zusammensetzt. Mit den beteiligten evangelischen Geistlichen, den Musikern, einem Architekten

15 Vgl. den Bericht der Badischen Neuesten Nachrichten: Hölle, Gericht und Paradies. 26. Januar 1999, Karlsruhe.

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Kunstgottesdienst im Zentrum für Kunst und Medientechnologie, 1999 Karlsruhe, vor einem Triptychon von Bill Viola: »The City of Man« 1989.

3-Kanal Video-, 4-Kanal Audioinstallation, Installationsmaß variabel, Projektionsfläche 214 x 428 cm, Installationsraum ca. 360 x 600 x 800 cm. Mit freundlicher Genehmigung des Museums.

arbeiten gleich mehrere Museumsleute zusammen. In bis zu fünf Treffen der Beteiligten wird jeder einzelne Gottesdienst vorbereitet. Der zurückliegende wird jedesmal ausgewertet. Es wäre ein Verlust für viele Besucher des Museums, würde das so erfolgreich arbeitende Programm unter der neuen Leitung des Hauses nicht fortgesetzt. Im Schlussteil seines Jesus-Romans »Der Meister« hat sich Max Brod gegen die Absicht verwahrt, sein Werk »nach strengen theologischen Maßstäben« zu bewerten. Ein Vorgehen dieser Art bekunde eine »Gewaltsamkeit, die auch dem Geist der Liebe« widerspräche. Dem Dichter sei »nichts anderes gegeben als die Straße, die man bahnt, indem man sie geht«.16 Ich hätte Verständnis dafür, wenn ich mich mit meinem Beitrag in den Augen des Einen oder Anderen ähnlichem Verdacht aussetzte, dass ich nämlich einer theologischen oder religionspädagogischen Instrumentalisierung der Kunst das Wort redete. Konkurrieren nicht Themen, Thesen, Meinungen, die weder mit der von den Museumskuratoren autorisierten Kunstwissenschaft noch vielleicht mit der mens auctoris, dem Selbstverständnis des Künstlers, zu tun haben, mit der Poesie des Kunstwerks? Nun trägt jede Interpretationsbemühung im Bereich der Kunst das Risiko in sich, an wesentlichen künstlerischen Intentionen vorbeizuzielen. Die Gefahr akademischer Festlegung, pädagogischer Vereinfachung oder einer gar

16 Vgl. Brod, Max (1960): Der Meister. Roman, Witten/Berlin, S. 436ff.

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manipulierenden Deutung hat die Bildungsarbeit am Kunstmuseum immer vor Augen. Ich würde nicht aufrichtig sein, wenn ich leugnete, Bedenken dieser Art seien mir fremd. Gott sei Dank, habe ich in der Zusammenarbeit mit Geistlichen, wenn sie im Umgang mit moderner Kunst geübt und kundig sind, stets die Erfahrung gemacht, dass sie das Problem kennen und etwaige Missverständnisse, die daraus resultieren, zu vermeiden suchen. In Wahrheit ist doch das, was unser Fragen nach dem Geist, nach der Spiritualität von Kunst ausmacht, ohne die besondere Wertschätzung der künstlerischen Leistung nicht zu denken. Was ich Ihnen hier vorgetragen habe, hat darum mehr mit einem Vermittlungskonzept zu tun, das die Kunst der Gegenwart in ihrer Bedeutungsvielfalt ernster nehmen möchte, als das in der museumspädagogischen Praxis gemeinhin geschieht. Zur Begründung dieses Vorgehens füge ich hinzu: Man muss sich als Museumsmann den Satz des Thomas von Aquin nicht zu eigen machen, wonach der »homo creator« an der Vollendung der Schöpfung Gottes teilhat. Sagen wir es bescheidener mit einem Wort, das der schon von der Krankheit gezeichnete Paul Klee in seinem Tagebuch notierte: »Im Fluss der Bewegung des Geschaffenen« fühle er sich »etwas näher am Herzen der Schöpfung«. Am Schluss meines Beitrag danke ich den Kolleginnen und Kollegen der genannten Museen, die mich über ihre Projekte informiert haben. Namentlich nenne ich Christiane Jürgens vom Museum für Neue Kunst/ZKM Karlsruhe und Eckhart Marggraf sowie Dr. Gottlieb Leinz, Duisburg. Besonderen Dank schulde ich Hans Werner Dannowski für die langjährig erfolgreiche Zusammenarbeit bei der Gestaltung der Kunstgottesdienste in Hannover und bei der Herausgabe der Buchdokumentation17 zu diesem Programm, das unter seiner Leitung erfolgreich fortgeführt wird. Abbildungen aus dem Sprengel Museum Hannover: Mit freundlicher Genehmigung des Museums.

17 Vgl. Anm. 8.

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Von Dingen und Werten. Das Deutsche Hygiene-Museum und seine Ausstellungsarbeit

Gisela Staupe In den vergangenen zehn Jahren hat das Deutsche Hygiene-Museum etwa einhundert temporäre Themenausstellungen realisiert. In der Öffentlichkeit haben diese Ausstellungen das inhaltliche Profil des Museums als »Museum vom Menschen« entscheidend geprägt. Titel dieser Ausstellungen waren zum Beispiel »Die Pille – Von der Lust und von der Liebe« (1996), »Der neue Mensch« (1999) oder »Kosmos im Kopf: Gehirn und Denken« (2000), »Sex – Vom Wissen und Wünschen« (2001) bis hin zu »Der (im-)perfekte Mensch« (2000/2002). Es standen also durchaus neuere und neue Forschungsbereiche – etwa der Genetik, der Hirnforschung oder der Reproduktionsbiologie – im Mittelpunkt, und doch ging es uns nicht primär darum, den Besuchern und Besucherinnen deren neueste Ergebnisse, den Forschungsstand zu vermitteln. Mindestens ebenso wichtig war es uns, Wissenschaftsentwicklungen und -traditionen in ihrem gesellschaftlichen Zusammenhang sichtbar zu machen. Im thematischen Mittelpunkt der Ausstellungen standen daher in vielen Fällen die gesellschaftlichen und kulturellen Anlässe, die Auswirkungen und nicht zuletzt ethischen Konsequenzen jüngster wissenschaftlicher Forschungen. Auch in unserer neuen ständigen Ausstellung werden Grundfragen des Lebens und der menschlichen Existenz zur Diskussion gestellt: Wie etwa beeinflusst die moderne Naturwissenschaft unser Menschen- und Körperbild, und mit welchen Folgen? Wie werden Leben und Tod heute definiert? Was bedeutet es, wenn die Lebensgrenzen – Geburt und Tod – »weich« werden, »gestaltbar« oder »verschiebbar« erscheinen? Gibt es Grenzen wissenschaftlicher Machbarkeit? An welchen Werten können wir uns heute orientieren? Das Deutsche Hygiene-Museum begreift sich auch als ein Reflexionsforum: einer Reflexion über die Wissenschaft, die nicht irgendwo am Rande der Gesellschaft, sondern aus ihrer Mitte, aus ihren Möglichkeiten, ihren Bedürfnissen und ihren Bewusstseinslagen heraus neues Wissen produziert und dieses Wissen dann in die Gesellschaft zurückleitet – oft in Formen, die von der Gesellschaft selbst ein Umdenken, eine Anpassung oder auch Kritik und Widerstand verlangen. Wer die Geschichte des Deutschen Hygiene-Museums kennt, weiß, dass es ein besonders geeigneter und sensibler Ort gerade für eine solche Reflexion ist.

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Deutsches Hygiene-Museum Dresden, Außenansicht, 2004.

Foto: David Brandt.

Zur Geschichte des Deutschen Hygiene-Museum Für diejenigen unter Ihnen, die mit der Geschichte des Deutschen HygieneMuseums noch nicht vertraut sind, folgende kurze Skizze: Das Deutsche Hygiene-Museum war zu keiner Zeit ein klassisches Sammel-, Aufbewahrungsund Zeigemuseum. Seit der Gründung im Jahr 1912 stand – und steht noch heute – die Vermittlung von Wissen über die gesellschaftlich wichtigen und wissenschaftlich anspruchsvollen Themen »Mensch – Körper – Gesundheit« im Mittelpunkt der Museumsarbeit. Der politische und ideologische Rahmen dieser Vermittlungsarbeit hat sich dagegen mehrfach grundlegend geändert. Die Gründungsidee, zwei Jahre vor dem Ersten Weltkrieg formuliert, sah das »National-Hygiene-Museum« als einen zentralen Ort der Gesundheitsaufklärung vor (dieser Ort blieb allerdings lange ein Provisorium: Nur seine Werkstätten, die Produktion von Lehrmitteln und nicht zuletzt die Wanderausstellungen hielten die Museumsidee über die Jahre am Leben; erst 1930 wurde der Museumsbau des Architekten Wilhelm Kreis fertiggestellt). Ab 1933 übernahm das Museum bereits die Funktionen eines »Propagandamuseums« für die Verbreitung der nationalsozialistischen Rassenlehre bzw. Rassenhygiene. Unmittelbar nach Kriegsende wurde das zu 80 Prozent zerstörte Gebäude wieder aufgebaut; eine Verordnung vom Juli 1954 machte das Museum zum »Zentralinstitut für medizinische Aufklärung« der DDR. Seit

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1991 bemüht sich das Hygiene-Museum zunehmend um fächer- und disziplinenübergreifende Perspektiven; nicht zuletzt dadurch werden die hochspezialisierten Einzelwissenschaften der Gesellschaft, aus der sie hervorgehen, auch wieder vermittelbar. Nicht zuletzt dadurch konnte unser Museum sich als »Museum vom Menschen« etablieren. Blick in die erste Dauerausstellung des Deutschen HygieneMuseums Dresden, 1930.

Foto: DHMD

Trotz aller gesellschaftlichen Veränderungen, die das Museum in seine Ausstellungsarbeit integriert bzw. auf die es reagiert hat, sind die zentralen Themen sich gleich oder zumindest ähnlich geblieben: Mensch, Körper und Gesundheit. Das frühere Ziel des Hygiene-Museums, die Besucher zu einer gesunden Lebensweise anzuleiten, ist nicht gänzlich vergessen, es wurde aber stark differenziert: Heute sollen die Besucher primär mit dem sie umgebenden, doch nicht immer einsehbaren neuen Wissen konfrontiert werden. Dabei geht es um Information, aber darüber hinaus um Anleitungen zum aufgeklärten Umgang mit den Neuerungen, es geht um Einblicke in die Zusammenhänge der Forschung und um deren Reflexion. Immer wieder neu gestellt und beantwortet werden müssen darum die Fragen: Was ist jeweils »relevantes Wissen« über den Menschen? Und mit welcher Intention wird es vermittelt? Gibt es ethische Leitlinien, und wenn ja, an welchen kann, darf oder muss sich die Arbeit des Museums heute orien-

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tieren? Wie können ethische Fragen, die sich heute verstärkt an die klassischen Themen unseres Museums anschließen, überhaupt in einem Museum umgesetzt und vermittelt werden? Im Folgenden will ich Ihnen das Selbstverständnis des heutigen Deutschen Hygiene-Museums an drei Ausstellungsbeispielen konkret erläutern. Ich beginne mit einem historischen Beispiel, denn der »Blick zurück« macht den Wandel unmittelbar sichtbar. Die Dauerausstellung des Deutschen Hygiene-Museums von 1930 Bei der ersten Dauerausstellung des Deutschen Hygiene-Museums von 1930 ging es primär um die Vermittlung von neuesten Erkenntnissen aus der modernen Wissenschaft. Die Botschaft und implizite Handlungsanweisung an die Besucher war zunächst eindeutig und lautete: »Du kannst gesund bleiben!« Relikte, Dinge aus der Vergangenheit genügten nicht, um diese Botschaft plastisch und visuell zu vermitteln. In den Werkstätten des HygieneMuseums wurden darum eigens für diese Ausstellung neue Objekte entwickelt und produziert: anatomische Lehrtafeln vom Körper des Menschen, anatomische Modelle, Präparate von menschlichen Organen, darunter die berühmten Spalteholzpräparate, Moulagen von abschreckenden Krankheitserscheinungen, Hands-on-Modelle, die demonstrierten, wie der menschliche Körper funktioniert, und natürlich der legendäre »Gläserne Mensch«. Diese unterschiedlichen Exponate wurden zum Zweck einer populärwissenschaftlichen, sinnfälligen Vermittlung des aktuellen Wissens über den Körper geschaffen. Ihre durchaus nüchterne und sachliche Präsentation verfolgte dabei die pädagogische Absicht, den Besuchern vorzuführen, wie ein gesundes Leben zu führen sei. Die klassisch moderne, übersichtliche Gestaltung und Präsentation der Exponate unterstützte diese Absicht. Der Transfer dieser damals sehr modernen und aktuellen Lehrmittel aus den Werkstätten ins Museum veränderte jedoch ihre intentionalen Funktionen: Im musealen Rahmen waren die Objekte nicht mehr »nur« Lehrmittel zum Zweck der Aufklärung. Allgemein gesprochen, wurden sie nicht mehr als Einzelobjekte, sondern in bestimmten inhaltlichen Zusammenhängen präsentiert und auf bestimmte Kontexte bezogen. Ihre Aussage war also nicht mehr »neutral«. Die ausgestellten neu geschaffenen Dinge vermittelten zwar – wie anfangs beabsichtigt – Einsichten in körperliche Vorgänge oder Krankheiten und klärten über die Anatomie des Körpers auf. Doch ihre absichtsvolle didaktische und konzeptionelle Anordnung und Präsentation im Raum ließ sie nun eindeutig normativ wirken: Der gesunde Körper wurde zur Norm, Krankheit und Hinfälligkeit zur Abweichung. Die Botschaft oder Handlungsanweisung an die Zuschauer lautete jetzt: »Du kannst – und du hast gesund zu sein!« Damit wiesen die Dinge in der »alten« Dauerausstellung des Deutschen

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Hygiene-Museums in der Gesamtheit ihrer inhaltlichen Anordnung und didaktischen Inszenierung über das hinaus, was sie eigentlich waren. Nicht nur die Dinge selbst wurden sichtbar, sondern sie fungierten auch als Repräsentanten eines anderen Sinns: Sie waren Ausdruck und Wegbereiter einer Mentalität, die dem Zeitgeist der Weimarer Republik entsprach. Sie repräsentierten den Körper als Abbild eines »Volkskörpers«, wie er sein sollte: stark und gesund, ohne Makel und von keiner Krankheit befallen. Dieses moderne Körperbild wurde im Deutschen Hygiene-Museum bis in die achtziger Jahre vermittelt. Das Körper-Ideal der Antike, das in der Renaissance neu entdeckt worden war, wirkte in ihm nach. Rückblickend war das »alte« Deutsche Hygiene-Museum auf der einen Seite eine vorbildhafte und moderne, ja innovative Institution, die sich der populären Vermittlung von wissenschaftlichen Inhalten widmete und wesentlich zur Demokratisierung des Gesundheitswesens beitrug. Es bildete eine wichtige Brücke zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit. Auf der anderen Seite hatte es stets eine äußerst ambivalente politisch-ideologische Funktion: Es war zwar aufklärerisch und fortschrittlich, doch zugleich transportierte es – im Gestus der Aufklärung! – ein Konzept vom Körper, das wesentlich in einer kategorischen Dichotomie von Normalität und Abweichung, von Gesundheit und Krankheit bestand. Der »Geist der Dinge«, den im »alten« Deutschen Hygiene-Museum die konzeptionelle und gestalterische Inszenierung der Exponate vermittelte, verkündete eine hochproblematische Normvorstellung vom Menschen. In ihr radikalisierte sich – vor dem Hintergrund der anfangs noch diffusen Rassenlehren – der Traum von der Überwindung des alten »Mängelwesens Mensch«, ein Traum, der immer expliziter von der brutalen Ausgrenzung von Menschen mit angeblich »nicht normalen« Körpern handelte. An diesem menschenverachtenden Traum orientierte sich die Arbeit des Deutschen Hygiene-Museums ab 1933. Der (im-)perfekte Mensch Um nun dem heutigen Selbstverständnis des Hygiene-Museums näher zu kommen, will ich kurz ein zweites Ausstellungsbeispiel erläutern: Die Ausstellung »Der (im-)perfekte Mensch«, die im Jahr 2000 in Dresden und 2002 im Martin-Gropius-Bau in Berlin präsentiert wurde. In dieser Ausstellung trat der Paradigmenwechsel, den das Deutsche Hygiene-Museum seit 1991 vollzogen hat, besonders deutlich hervor. Denn im thematischen Mittelpunkt der Ausstellung stand Behinderung – sprich die Im-perfektion: ein Begriff, der die Trennung in »normal« und »abweichend« aufhebt, und ein Zustand, in dem sich alle wieder erkennen. Konkret ging es um Menschen mit Behinderung, um ihre Situation in den Gesellschaften des biowissenschaftlichen Zeitalters, in dem die Vorstellung von »perfekten« Körpern und Menschen einen neuen,

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in seinen Konsequenzen noch unabsehbaren Sinn erhält. Schon jetzt ist unsere Selbstwahrnehmung durch ungedeckte Machbarkeitsphantasien beeinflusst: Designerbabys, Lebensverlängerung, reproduktives Klonen sind im technisch-medizinischen Sinn partielle Realitäten, aber vor allem sind sie längst ins kulturelle Bewusstsein eingegangen und verändern unsere Wünsche und Werte. Das Hygiene-Museum, das sich in der Vergangenheit an der Etablierung und Instrumentalisierung eines so genannt »perfekten« Körperund Menschenbildes beteiligt hatte, konnte sich mit dieser Ausstellung gegenüber seinem »eigensten« Thema, dem menschlichen Körper, neu positionieren. Das Konzept zur Ausstellung »Der (im-)perfekte Mensch« wurde gemeinsam mit Aktion Mensch (aus der »Aktion Sorgenkind« hervorgegangene, bedeutendste deutsche Wohlfahrtsorganisation im sozialen Bereich. Red.) entwickelt. Unsere Präsentation von Behinderung in Geschichte und Gegenwart stellt die Historizität und den Konstruktionscharakter unserer Vorstellungen von Normalität, von Perfektion, von Abweichung oder Unvollkommenheit in den Vordergrund. Die Ausstellung wollte erfahrbar machen, dass Behinderung nicht nur, aber zu einem maßgeblichen Teil durch die Wahrnehmung der Menschen und ihren Vorstellungen von Normalität entsteht, dass BehindertSein auch als soziales Behindert-Werden verstanden werden muss. Diese neue Wahrnehmungsperspektive sollte ein Überdenken des gesellschaftlichen Umgangs mit behinderten Menschen bewirken – was gerade vor dem Hintergrund der gegenwärtigen gentechnologischen Möglichkeiten und der daraus resultierenden ethischen Diskussion wichtig ist. Das Argument vom »vermeidbaren« Leid und von der medizinischen »Verhinderung« von Behinderung ist schnell zur Stelle und sollte daher immer wieder kritisch beleuchtet werden. Der Titel »Der (im-)perfekte Mensch« bildete den konzeptionellen roten Faden durch die Ausstellung. Dabei ging es um viel mehr als um die Erkenntnis einer allgemeinen Unvollkommenheit der Menschen, die wohl von keiner Seite bestritten wird, weder von den Gegnern noch von den Befürwortern der Gentechnologie. Uns ging es darum, das Eingehen tradierter und unüberprüfter Vollkommenheitsvorstellungen in die Realität der Gentechnologie zu zeigen; und auch darum, das enorme gesellschaftliche Ausschlusspotenzial von Begriffen wie »perfekt« oder »defekt« fühlbar zu machen. Eine traditionelle Inszenierung von Dingen in Vitrinen hätte das zentrale Thema dieser Ausstellung nur unzureichend »zur Ansicht« gebracht, zumal historische wie aktuelle Objekte zum Thema »Behinderung« primär den Opferstatus von behinderten Menschen repräsentieren. Daher haben wir uns für eine szenografische Gesamtinszenierung entschieden. Sie sollte ein räumlich-emotionales Erlebnis sicherstellen und zu kreativem Mitdenken anregen.

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Blick in die Sonderausstellung »Der (im)perfekte Mensch. Vom Recht auf Unvollkommenheit«, Deutsches Hygiene-Museum Dresden, 2000.

Foto: DHMD

Didaktische und belehrende Aspekte traten darum in den Hintergrund. Die Objekte wurden nicht in einem gegebenen Raum inszeniert, vielmehr wurden die Präsentationsräume für die Objekte geschaffen und inszeniert. Die Besucher befanden sich also in dreidimensionalen, begehbaren Erfahrungsräumen, in denen abstrakte Gedanken in assoziative, erzählende Symbole übersetzt wurden und Installationen sich mit authentischen Objekten und Originaldokumenten abwechselten. Resümiert man die Pressestimmen zu dieser Ausstellung, so kann man festhalten: Sie polarisierte. Der überwiegenden Zustimmung, ja Begeisterung der Kommentare stand vereinzelt fundamentale Ablehnung gegenüber, selten war dagegen das sonst übliche und letztlich indifferente »Zwar/Aber«. Anscheinend ließ die Ausstellung (mit rund 170.000 Besuchern) niemanden kalt. Sie trug dazu bei, das Thema der Behinderung in der Öffentlichkeit auf einer neuen theoretischen und gesellschaftlichen Ebene zu diskutieren. Die neue ständige Ausstellung des Deutschen Hygiene-Museum Der erste Teil der neuen ständigen Ausstellung wurde im April des Jahres 2004 eröffnet – die Räume: »Der Gläserne Mensch«, »Leben und Sterben«, »Essen und Trinken« und »Sexualität«. Im Frühjahr 2005 werden die Abteilungen »Gehirn und Denken«, »Bewegung« und »Schönheit: Haut und Haare« fertiggestellt sein. Planung und Umsetzung einer ständigen Ausstellung

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stellen in mancherlei Hinsicht ein größeres Wagnis als eine Sonderausstellung dar, auch wenn deren Fragestellung komplexer ist. Denn viel stärker als die zeitlich begrenzte Schau ist und verbindet sich die ständige Ausstellung mit der Identität des Museums. Erneut stehen die Themen »Mensch, Körper, Gesundheit« im Mittelpunkt. Bewusst haben wir eine klassische museale Präsentationsästhetik gewählt, die den »Dingen« selbst – primär den historischen Exponaten aus der Sammlung des Deutschen Hygiene-Museums – die Hauptrolle zuweist. Die inhaltlichen Felder der neuen ständigen Ausstellung sind vielfältig; sie reichen von der schon vor Jahrhunderten begonnenen und zunehmenden Sichtbarmachung des Körperinneren über die Geschichte des Deutschen Hygiene-Museums selbst – seiner Rolle in der Produktion von Körperbildern – bis hin zur Molekularbiologie und zur Zellforschung. Sie umfassen Pränataldiagnostik und Altersforschung, die Hirntoddebatte und die Reproduktionsmedizin. Dabei wurde stets versucht, die erkennbaren Chancen und Grenzen der wissenschaftlichen Entwicklungen zu thematisieren. Hier übernimmt nicht zuletzt die räumliche Abfolge der Abteilungen eine wichtige konzeptionelle Funktion, die ich kurz an Raum 1 und 2 verdeutlichen will. Im ersten Raum, betitelt »Der gläserne Mensch«, werden im Rahmen der Darstellung der Geschichte des Deutschen Hygiene-Museums die historischen und aktuellen Blicke der Wissenschaft in das Körperinnere des Menschen gezeigt; sie spiegeln das zunehmende wissenschaftliche Interesse an der Visualisierung – und das heißt heute auch: der (Um-)Gestaltbarkeit biologischer Funktionsabläufe. An diesen Raum der »Wissenschaft« schließt der Raum des »Körpers« mit dem Titel »Leben und Sterben« an. In dieser Abteilung werden zwar auch wichtige Themen der Wissenschaft behandelt, wie etwa die Pränataldiagnostik oder die Zellforschung, doch werden die Phänomene Geburt, Krankheit, Hinfälligkeit des Körpers, Altern und Tod besonders fokussiert. Es geht hier also keineswegs nur um einen von der Wissenschaft nicht beherrschbaren »Rest«, sondern um lebende Körper in den ebenso konstanten wie vielfältigen Erscheinungsformen, die unseren Begriff von Leben noch immer ausmachen. Wie schon erwähnt, werden in der neuen Dauerausstellung primär die historischen Dinge aus der Sammlung des Deutschen Hygiene-Museums gezeigt. Bis 1991 existierte diese Sammlung praktisch nicht. Es war eine der ersten Entscheidungen nach dem Neuanfang des Deutschen Hygiene-Museums, den damals so genannten »Müll« zu sichten, der in allen Kellerräumen lagerte. Viele hier entdeckte Fundstücke wurden in den Status von Sammlungsgut erhoben, was die Rettung von zahlreichen historischen Objekten ermöglichte. In der neuen ständigen Ausstellung können wir deshalb u.a. einzelne Objekte von den berühmten Internationalen Hygiene-Ausstellungen in den Jahren 1911 und 1930 und von der Gesolei (1926) zeigen, vor allem aber auch viele

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Produkte des Hauses, die seit Gründung des Museums bis 1990 weltweit als Lehrmittel zur Gesundheitsaufklärung verkauft worden waren. Dazu gehören Plakate, anatomische Modelle und Lehrtafeln, Moulagen oder die berühmten Spalteholzpräparate sowie viele Objekte, die in unterschiedlichster Weise Krankheiten abbilden. Ihre wesentliche Funktion im Museum war in der Vergangenheit Gesundheitsaufklärung durch Abschreckung. Durch ihre neu konzipierte und inszenierte Präsentation in der aktuellen ständigen Ausstellung erfahren diese Objekte heute abermals eine Wandlung und verweisen auf neue Deutungszusammenhänge. Nach wie vor bilden sie die Anatomie des gesunden oder kranken menschlichen Körpers ab – doch erscheinen die ehemaligen Medien der Volksaufklärung heute als kulturhistorische Objekte mit einer besonderen wirkungsgeschichtlichen Bedeutung. Die neue ständige Ausstellung des Deutschen HygieneMuseums Dresden, Raum 2, 2004.

Foto: Werner Huthmacher.

Die Themen der Ausstellung werden dem Besucher allerdings nicht nur über die Dinge selbst vermittelt. Eingesetzt werden auch speziell für unsere Ausstellung hergestellte virtuelle »Dinge«: multimediale Informationsterminals, Demonstrationsobjekte wie die Proteinbiosynthese oder nachgebaute Modelle von Zellen, Mitmachobjekte, Filme und Animationen. Diese Virtualität sollte nicht als eine Art Behelfslösung oder als (schlechter) Ersatz aufgefasst werden, mit dem vorstellbar werden soll, was nicht oder nur schwer über die Dingwelt ausstellbar wäre. Virtuelle Zugänge zum Wissen gehören vielmehr selbst inhaltlich und konzeptionell zu dieser Ausstellung. Natürlich dienen sie der schnellen Information – etwa über mögliche Nutzanwendungen der Biowissenschaften oder über komplexe Vorgänge im Körper –, aber darüber hinaus machen sie die materielle, sinnliche Wirklichkeit der gegenwärtigen

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Udo Liebelt, Folker Metzger (Hg.) Vom Geist der Dinge

Wissenserzeugung und -vermittlung als solche erfahrbar. Die virtuelle Wissens- und Informationsebene wird bewusst in das »Reich der Dinge« integriert. Alle »Dinge« der neuen ständigen Ausstellung des Deutschen HygieneMuseums kreisen auf die eine oder andere Weise um den Körper. Alle erzeugen auf ihre Weise Bilder vom Körper. Körperbilder sind, wie wir alle wissen, nie gleichgültig. Unser Körper ist kein Gegensatz zu, sondern die Bedingung für unsere Existenz. Aber er ist so vieldeutig, unabgeschlossen und variabel – »imperfekt« –, wie die kulturellen und sozialen Umwelten, mit denen er uns verbindet. Das »moderne« Körperbild, in dessen normativer Idealisierung des jungen, gesunden Körpers eine ältere Körperfeindschaft deutlich nachhallt, missversteht und simplifiziert diese Verbindung. Die neue ständige Ausstellung des Hygiene-Museums widersetzt sich diesem »modernen« Körperbild und stellt es zur Diskussion. Fazit Unsere große Sonderausstellung »Der (im-)perfekte Mensch«, die ich in meinem zweiten Ausstellungsbeispiel vorgestellt habe, bleibt in gewisser Weise unvollendet, sie markiert einen Anfang: Der anti-normative Begriff des (im-) perfekten Menschen ist als Leitidee auch in die Konzeption der neuen ständigen Ausstellung und damit des gesamten Museums eingegangen. Über die Möglichkeiten der konzeptionellen und der gestalterischen Umsetzung dieser Idee muss bei jedem neuen Ausstellungsprojekt neu nachgedacht werden. Museen und Ausstellungen sind vergleichsweise junge Medien und sollten sich u.a. als Experimentierfelder begreifen und behaupten. Das Deutsche Hygiene-Museum wird sich auch in Zukunft auf einem Spektrum zwischen der klassischen Präsentation der Dinge in Vitrinen bis hin zur szenografischen Vermittlung in inszenierten Räumen bewegen. Zugleich wird es nach neuen, den jeweiligen Themen und Zielgruppen angemessenen Präsentationsformen suchen: Formen, die der reinen Vermittlung von Wissen dienen, aber dieses Wissen auch aufbrechen, kontextualisieren und historisieren.

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Der Umgang mit Tod und Toten 1 in Ausstellung und Museum

Reiner Sörries Tote und sterbliche Überreste von Menschen sowie Zeugnisse der Bestattungskultur gehören seit langem zum Inventar von Museen, spielten dort jedoch meist nur eine untergeordnete, eher beiläufige Rolle, wenn man einmal von den ägyptischen Mumien absieht, denen die ägyptologischen Sammlungen schon immer einen Teil ihrer Anziehungskraft verdanken. Diese Beiläufigkeit des Todes in der musealen Praxis hing sicherlich mit der weitgehenden Ausklammerung des Todes aus dem gesellschaftlichen Bewusstsein zusammen. Zeugnisse der Sepulkralkultur wie Grabmale, Leichenportraits oder Vanitasstilleben wurden eher unter dem Blickwinkel der allgemeinen Kultur- oder Kunstgeschichte rezipiert, denn als Hinweise auf Sterben, Tod und Trauer wahrgenommen. Skelette aus vor- und frühgeschichtlichen Gräbern, wie sie oft in archäologischen Sammlungen anzutreffen sind, betrachtete man eher als Bodenfunde denn als menschliche Überreste. Diese Grundstimmung hat sich parallel zu einem gesellschaftlichen Wandel in der Einstellung gegenüber Sterben und Tod radikal gewandelt. Seit den 1980er Jahren wird unter dem Einfluss der aus England kommenden Hospizbewegung ein verstärkter Diskurs über ein Sterben in Würde geführt, und die Fragen nach Abschiednahme und Trauer bewegen heute viele Menschen. Eine Spezialisierung von Museen auf »Sepulkrales« und eine seit zwei Jahrzehnten deutlich zu beobachtende Steigerung der Sonderausstellungen zu diesem Themenkomplex sind Folge dieser Entwicklung, nicht ihr Auslöser. Das Wiener Bestattungsmuseum und vergleichbare Sammlungen Ehe wir uns der angesprochenen Spezialisierung im Museums- und Ausstellungswesen der letzten zwei Jahrzehnte zuwenden, muss jedoch die Gründung des Wiener Bestattungsmuseums schon 1967 Erwähnung finden. Hier-

1 Gekürzte und aktualisierte Fassung des Beitrages des Verf.: »Der Tod im Museum. Anmerkungen zur Musealisierung der letzten Dinge«. In: H.L. Cox (Hg.), Rheinisches Jahrbuch für Volkskunde 34. Band, 2001/2002, Siegburg, S. 175-198.

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für war ausschlaggebend das 60-jährige Firmenjubiläum der Wiener Städtischen Bestattung, die mit diesem Museum ihre eigene Firmengeschichte im Kontext der Wiener Bestattungskultur dokumentieren wollte. Vielen WienTouristen gilt diese kleine, aber hochrangige Sammlung als Geheimtipp in jener Stadt, der man eine besondere Affinität zu Sterben und Tod nachsagt. Am ehesten wird man dieses Museum aufgrund seiner Entstehung und Struktur als Firmen-Museum ansprechen müssen, dessen Sammlung in ihrem Grundbestand aus betriebseigenem Inventar besteht, über die Jahrzehnte hinweg durch Zukäufe ständig ausgebaut und erweitert wurde und wird. Die eingeschränkte Zugänglichkeit des Museums – nur nach Anmeldung und mit Führung – gehört ebenfalls zum Wesen eines Firmenmuseums. Das Wiener Bestattungsmuseum ist eine 100%ige Tochter der Wiener Städtischen Bestattung und damit der Wiener Stadtwerke.2 Mit dieser Ausrichtung war das Wiener Bestattungsmuseum Vorbild für das 1991 gegründete und in den Folgejahren erweiterte Budapester Bestattungsmuseum (»Kegyeleti Múzeum«), das ähnlich als Firmenmuseum der Budapester kommunalen Bestattung organisiert ist.3 Vergleichbar in der Struktur, weil ebenfalls eine Einrichtung der kommunalen Bestattung, aber im Sammlungsbestand spezialisiert auf historische Leichenwagen, ist das »Musee de Carrosses Funebres« in Barcelona, das seit 1970 von »Serveis Funeraris de Barcelona, S.A.«, der städtischen Bestattungsanstalt, getragen wird.4 Sepulkrale Ausstellungen seit Mitte der 1980er Jahre Der entscheidende Wandel in der musealen Landschaft hinsichtlich einer Neuorientierung auf die Fragen der Sterbe- und Trauerkultur vollzog sich dann jedoch in den 1980er und 1990er Jahren. Als ein Meilenstein in der Geschichte der Musealisierung des Todes muss die Sonderausstellung »Die letzte Reise. Sterben, Tod und Trauersitten in Oberbayern« 1984 angesehen werden. Sie wurde organisiert vom Münchener Stadtmuseum, in Verbindung mit dem Diözesanmuseum Freising und konzipiert von Sigrid Metken. Der Katalog ist bis heute ein begehrtes und unverzichtbares Standardwerk, fast ein Handbuch. Die Tatsache, dass das Ausstellungsthema von den Verantwortlichen normaler Museen, seinerzeit Christoph Stölzl für das Münchner Stadtmuseum und Peter Steiner für das Freisinger Diözesanmuseum, als publi-

2 Knispel, Franz (1997): Bestattungsmuseum Wien. Führer durch die Sammlungen, Wien. 3 http://www.btirt.hu/English/muzeum.htm (Stand 04.04.92). 4 http://www.bcn.es.

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Reiner Sörries ➔ Der Umgang mit Tod und Toten in Ausstellung und Museum

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kumstauglich eingeschätzt wurde, signalisiert den Umbruch in der gesellschaftlichen Einschätzung zu Sterben, Tod und Trauer. Beide hoben in ihrem Vorwort zum Katalog die neue Diskursfähigkeit hervor: Der Tod ist ins Gerede gekommen. Allerorten beklagt man heute das anonyme Sterben in der Klinik, die Verdrängung des Todes. Als Ursachen sind der Schwund des Religiösen, die Lockerung der Familienbande, die Auflösung gewachsener Lebenszusammenhänge, die Verstädterung und Einigelung auf Kleinstgruppen oder Isolierte genannt worden.5 So interessant die museale Reaktion auf die beobachteten Missstände an sich ist, so bemerkenswert waren die Inhalte der Ausstellung, nämlich eine Dokumentation und Aufarbeitung jener Zustände, wie sie im ländlichen, weitgehend katholischen Oberbayern zeitlich noch bis an den Rand jener Gegenwart zu beobachten waren, deren Bewältigung der Todesfrage nun als unzulänglich angesehen wurde. Man näherte sich dem neuen und heiklen Thema auf dem Weg der volkskundlichen Beschreibung. Dies bedarf insofern der Erwähnung, als man sich ja auch andere Zugangsweisen hätte vorstellen können – ethische, medizinische, biologische usw. Es wird so deutlich, dass nicht Sterben und Tod an sich zu Themen wurden, sondern die Strategien zur Bewältigung der Krisen angesichts des eingetretenen Verlustes. Und Ausstellungen ähnlicher Art folgten nun in so großer Dichte, dass man sie gar nicht alle aufzählen kann. Zur Kulturgeschichte des Todes war in vielen Fällen der artikulierte oder zumindest insgeheim formulierte Untertitel der Ausstellungsprojekte. In Zielrichtung, Qualität und Umfang der Münchner Schau von 1984 ebenbürtig war die münsterländisch-niederländische Gemeinschaftsausstellung »Der letzte Gang – de laatste gang« im Jahre 1988.6 Beiden Ausstellungen war gemeinsam, dass sie Euphemismen – die letzte Reise, der letzte Gang – als Ausstellungstitel wählten, um das Unaussprechliche auszusprechen. »Memento mori« titelten zwei Ausstellungen in Erlangen7 und in Köln8, die einerseits Totenbrauchtum in einer protestantisch ländlichen Region, andererseits Bestattungskultur in einer katholischen Großstadt zum Inhalt hatten. Waren die genannten Ausstellungen konzeptionell am Ablauf der Be-

5 Metken, Sigrid (Hg.) (1984): Die letzte Reise. Sterben, Tod und Trauersitten in Oberbayern. Ausstellungskatalog, München, S. 9. 6 Der letzte Gang – der laatste gang. Totenbrauchtum. Gebruiken rond de Dood, Westmünsterland – Oost Nederland. Ausstellungskatalog (zweisprachig), Münster 1988. 7 Memento mori. Zur Kulturgeschichte des Todes in Franken, Ausstellungskatalog Stadtmuseum Erlangen 1990. 8 Wagner, Gabriela: Memento mori. Gedenke des Todes! Friedhofs- und Bestattungskultur in Köln gestern und heute, Begleitbuch zur Ausstellung, Köln 1995.

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gräbnisriten orientiert, so entstanden parallel zu ihnen bald solche mit thematischen Schwerpunkten. Und sie griffen weiter in der Historie zurück, auf Barock und Mittelalter. Sehr umfassend geriet der »Triumph des Todes« 1992 im (kurz darauf geschlossenen) Museum Österreichischer Kultur in Eisenstadt9, mit einem Spektrum vom barocken Leichenzeremoniell bis zur zeitgenössischen Kunst. Museumsleiterin Gerda Mraz charakterisierte die neue museale Beschäftigung mit dem Tod als gesellschaftliches Desiderat und als Politikum.10 »[...] wird erstmals der Versuch unternommen, die christlichen Jenseitsvorstellungen und die davon abhängigen Lebensformen [...] erfahrbar zu machen ...«, schrieb Andres Furger, Direktor des Schweizerischen Landesmuseums, im Vorwort zu der vielbeachteten Ausstellung »Himmel Hölle Fegefeuer«11 in Zürich 1994, die die Reihe der thematischen Ausstellungen fortsetzte. Entscheidenden Anstoß zu dieser Schau, die stark von Elementen der Erlebnisfähigkeit geprägt war, lieferte die Erkenntnis, dass die eigenen kulturellen, religiösen Traditionen in Vergessenheit geraten waren, woraus die Absicht resultierte, »[...] den Schlüssel zum Verständnis einer differenzierten Welt, von der wir uns heute weit entfernt haben, – auf musealem Weg – zurückzuholen [...]«12. Damit erhielt die Ausstellung eine quasi religiöse Dimension und sie leistete Bewusstseinsbildung für das theologische Dogma von den letzten Dingen (»de novissimis«), das die Kirchen schon beinahe aus ihrem Vokabular gestrichen hatten. Kaum eine dieser Ausstellungen war absichtslos, sondern die verantwortlichen Leiter und Ausstellungsmacher sahen sich gedrängt, einen Beitrag zur Kultur des Todes in der Gegenwart zu leisten. Im selben Jahr zeigte das Stadsmuseum Göteborg die Ausstellung »Dödens riter«.13 Seit den 1980er Jahren verging kein Jahr ohne eine derartige Ausstellung, wobei mit den genannten Sonderschauen in Österreich, der Schweiz oder den Niederlanden auch die Internationalisierung der Museali-

9 Triumph des Todes. Ausstellungskatalog Museum Österreichischer Kultur, Eisenstadt 1992. 10 Diese Überlegung wird uns noch einmal beschäftigen, wenn die Entstehung des bisher in dieser Form einzigartigen Museums für Sepulkralkultur im Rahmen politischer Entscheidungen begründet werden muss. 11 Himmel Hölle Fegefeuer. Das Jenseits im Mittelalter. Eine Ausstellung des Schweizerischen Landesmuseums in Zusammenarbeit mit dem Schnütgen-Museum und der Mittelalterabteilung des Wallraf-Richartz-Museums der Stadt Köln. Katalog von Peter Jezler u.a., Zürich 1994. 12 Ebd., S. 7. 13 Söderpalm, Kristina (Hg.) (1999): Dödens riter, Ausstellungskatalog Stadsmuseum Göteborg, Stockholm.

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sierung des Todes deutlich wird. Alle mitteleuropäischen Industrienationen sehen sich vergleichbaren gesellschaftlichen Wandlungen gegenüber. Anders gelagert und dennoch abschließend in diesem Zusammenhang zu erwähnen ist die Ausstellung »Der langsame Abschied«, die im Untertitel »Tod und Jenseits im Kulturvergleich« ihre interkulturelle Ausrichtung kund tat und 1989 vom Museum für Völkerkunde in Frankfurt präsentiert wurde.14 Vermittelt wurden Bestattungsriten und Jenseitsvorstellungen aus Indonesien, Ozeanien, Afrika und Amerika, nicht ohne einen knappen Vergleich mit Europa zu wagen. Ob das Faszinierende der ungewöhnlichen Ausstellung von ihrem Gegenstand oder von der Exotik der Kulturen ausging, lässt sich schwer auseinander halten. Ein waches Interesse der Bevölkerung garantierte jedoch dem Unterfangen einen überwältigenden Erfolg.15 Ausstellungen zu sepulkralen Realien Zielten die bisher genannten Ausstellungen darauf ab, die Bestattungs- und Trauerriten insgesamt oder zumindest ganze Themenkomplexe abzuhandeln, so fehlte es auch nicht an solchen, die sich besonderen Realien daraus wie den Haarbildern bzw. dem Haarschmuck16, den Perlkränzen17, den Särgen18 usw. zuwandten. Insbesondere das Museum für Sepulkralkultur zählt es zu seinen Aufgaben, derartige Detailaspekte zu fokussieren. Neben den genannten Särgen zählten auch der Trauerschmuck19 und die Ge-

14 Langsamer Abschied. Tod und Jenseits im Kulturvergleich. Roter Faden zur Ausstellung, 17, von Maria Susanna Cipoletti, Museum für Völkerkunde, Frankfurt a.M. 1989. 15 Zekorn, Beate/Gross, Antje (Hg.) (1991): Zwischen Furcht und Faszination: Erfahrungen mit der Ausstellung Langsamer Abschied. Tod und Jenseits im Kulturvergleich, Dezember 1989 bis März 1991. Museum für Völkerkunde der Stadt Frankfurt am Main, Frankfurt a.M. 16 Peters, Alfred A./Olliges-Wieczorek, Ute/Peters, Imke Barbara (Hg.) (1995): Schmuck und Bilder aus Haaren, europäisches Kulturerbe Norden. 17 Petschek-Sommer, Brigitta/Schwarz, Ulrike (Hg.) (1999): Zeitlos aufgefädelt. Die Glasperle im Wandel der Zeit, Katalog zur Sonderausstellung in den Museen der Stadt Deggendorf (= Deggendorfer Museumshefte, 4), Deggendorf. Darin: Kleindorfer-Marx, Bärbel: »Grabschmuck aus Glasperlen«, S. 19-20. 18 Vom Totenbaum zum Designersarg. Zur Kulturgeschichte des Sarges von der Antike bis zur Gegenwart, Ausstellungskatalog Museum für Sepulkralkultur Kassel, Kassel 1993; Totenruhe – Totentruhe. Särge aus vier Jahrhunderten, Ausstellungskatalog Museum für Sepulkralkultur Kassel, Kassel 2004. 19 ... mit schwarzem Schmucke oder mit Perlen. Trauerschmuck vom Barock bis zum Art Deco. Ausstellungskatalog Museum für Sepulkralkultur, Kassel 1995.

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schichte des Totentransportes20 dazu sowie weitere Themen, die in diesem Beitrag an anderer Stelle zur Sprache kommen. Ausstellungen zum Lebenszyklus und anderen Übergängen Zu einer eigenen Ausstellungsthematik geriet der Lebenslauf mit seinen als wichtig erkannten Übergangsriten zu Geburt, Erwachsenwerden, Heirat und Tod. Bei einem gesellschaftlichen Trend, den Tod wieder ins Leben zurückzuholen und ihn als einen Teil des Lebens zu begreifen, konnte nicht ausbleiben, dass man den Beerdigungsriten dieselbe Aufmerksamkeit schenkte wie den Sitten und Gebräuchen bei Geburt und Hochzeit, bei Kommunion oder Konfirmation. Stellvertretend für dieses Ausstellungsgenre sei »Lebenslauf – Lebensfeste« 1994 im Historischen Museum Hannover genannt.21 Die Erinnerung an die Lebensübergänge und ihre Materialisierung in Form von Taufbriefen, Konfirmations-/Kommunionsandenken, Hochzeits- und Totengedenken war das Thema der von Ulrike Lange umfänglich gestalteten Ausstellung »Glauben daheim – Zur Erinnerung« 1994 im Fränkische-Schweiz-Museum in Tüchersfeld und anschließend im Museum für Sepulkralkultur in Kassel.22 Gleichzeitig begann man museal das Thema der Lebensstationen in eine allmählich sich entwickelnde kirchliche Ausstellungspraxis zu integrieren. War den katholischen Diözesanmuseen in ihrer langen Sammel- und Ausstellungstradition das Thema Leiden und Sterben des Gottessohnes und der Heiligen und Märtyrer einschließlich der Präsentation ihrer Reliquien und der Reliquiare nie fremd, so entwickelt sich auch evangelischerseits seit den 1990er Jahren ein museales Bewusstsein. Zu nennen sind das Landeskirchliche Museum Ludwigsburg und das allmählich entstehende Kirchenmuseum in Bad Windsheim, dessen Ausstellungen immer noch unter der Obhut des Fränkischen Freilandmuseums stehen. Beide Kirchenmuseen rechnen die Fragestellung von Sterben und Bestattung zu ihren Aufgaben. Ludwigsburg integrierte die Lebensstationen in seine 1994er Ausstellung »Zwischen Kanzel und Kehrwoche«23, und Bad Windsheim gelang ähnliches in seiner Sonder-

20 Kiste Kutsche Karavan. Auf dem Weg zur letzten Ruhe, Ausstellungskatalog Museum für Sepulkralkultur, Kassel 1999. 21 Fahl, Andreas/von Rohr, Alheidis (1994): Lebenslauf – Lebensfeste. Geburt, Heirat, Tod. Begleitheft zur Ausstellung im Historischen Museum Hannover. 22 Lange, Ulrike (1994): Glauben Daheim. Zeugnisse evangelischer Frömmigkeit – Zur Erinnerung. Zimmerdenkmale im Lebenslauf. Doppelausstellung Fränkische Schweiz Museum, Tüchersfeld, und Museum für Sepulkralkultur, Kassel. 23 Zwischen Kanzel und Kehrwoche. Glauben und Leben im evangelischen Württemberg. Ausstellung des Landeskirchlichen Museums Ludwigsburg, Redaktion Eberhard Gutekunst, Ludwigsburg 1994, S. 48-63 und S. 191-199.

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schau »Evangelische Bilderwelt«.24 Jüngst steuerte das Windsheimer Kirchenmuseum noch die Ausstellung »Trauer und Hoffnung« bei.25 Ein Übergang der anderen Art war der Jahrtausendwechsel, der ebenfalls verschiedene Ausstellungsprojekte nach sich zog, die der apokalyptischen Dimension der Vergänglichkeit nachspürten. Die Ausstellungen spannten den Bogen von »Apokalypse«26 in Passau bis »Zeiten/Übergänge«27 in Wien. (Spezial-)Museen für Sepulkralkultur Avancierten Sterben, Tod und Bestattung seit den 1980er Jahren zum anerkannten und erfolgreichen Ausstellungsthema, so war die Gründung eines Spezialmuseums eigentlich nur eine Frage der Zeit. Es wurde 1992 als Museum für Sepulkralkultur in Kassel eröffnet.28

24 Langner, Bruno (1992): Evangelische Bilderwelt. Druckgraphik zwischen 1850 und 1950 (= Schriften und Kataloge des Fränkischen Freilandmuseums, Band 16), Bad Windsheim. 25 Thurnwald, A. (Hg.) (2003): Trauer und Hoffnung. Sterbebräuche, Totengedenken und Auferstehungsglauben in evangelischen Gemeinden, (Begleitband zur gleichnamigen Ausstellung im Fränkischen Freilandmuseum Bad Windsheim). 26 Wurster, Herbert W./Loibl, Richard (Hg.) (2003): Apokalypse. Zwischen Himmel und Hölle. Begleitband zur Ausstellung im Oberhausmuseum Passau, Regensburg-Passau 2000. 27 2000. Zeiten/Übergänge. Zur Konstruktion der Jahrtausendwende. Begleitpublikation zur gleichnamigen Ausstellung im Österreichischen Museum für Volkskunde Wien 1999. 28 Sörries, Reiner (1992): »Neu in der Museumslandschaft: Museum für Sepulkralkultur in Kassel«. In: AsKI-Kulturberichte 1, S. 9-11; Kücker, Wilhelm: Das Museum für Sepulkralkultur/The Museum of Sepulchral Culture, mit Beiträgen von KlausDieter Weiß und Reiner Sörries, Berlin (= BauWerke, hg. von Ingeborg Flagge, Bd. 1); Vries, A. Müller de (1998): »... habe mich ein wenig gefürchtet. Besucher kommentieren das Museum für Sepulkralkultur«. In: Friedhof und Denkmal 43 (Heft 3), S. 93-96; Menkel, St. und V. (2000): Ein Besuch im Museum für Sepulkralkultur. In: Sowi – Sozialwissenschaftliche Information 29 (Heft 2), S. 111-114; Sörries, R. (2002): »Auftrag und Erfüllung. Zehn Jahre Museum für Sepulkralkultur 19922002«. In: Friedhof und Denkmal 47 (Heft 4), S. 3-25; Haase, E. (2005): »Haus mit Aussicht. Das Museum für Sepulkralkultur in Kassel von Wilhelm Kücker«. In: Kunst und Kirche 1, S. 45-48; http://www.sepulkralmuseum.de.

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Museum für Sepulkralkultur, Kassel, Innenansicht (Abteilung Geschichte des Grabmals).

Foto: Wolfgang Neumann, Kassel.

Trotz seiner Zeitbedingtheit ist seine Entstehung nicht ohne eine Reihe von Faktoren zu verstehen, deren Geschichte ihrerseits weit zurückreicht. Seit ihrer Gründung 1951 hatte sich die Arbeitsgemeinschaft Friedhof und Denkmal, in deren Trägerschaft das Museum für Sepulkralkultur steht, von einem Verein zur Förderung der Bestattungs- und Friedhofskultur mit beratender Funktion zu einer wissenschaftlichen Einrichtung fortentwickelt, die 1979 die Gründung des Zentralinstitutes für Sepulkralkultur29 nach sich zog. Die

29 Wesentliche Arbeitsschwerpunkte des Zentralinstitutes sind die Unterhaltung einer Fachbibliothek und verschiedener Archive, die Herausgabe der Schriftenreihe »Kasseler Studien zur Sepulkralkultur« (seit 1979), ergänzt seit 2002 durch die »Kasseler Manuskripte zur Sepulkralkultur« und das Wörterbuch zur Sepulkralkultur, dessen erster Band 2002 als »Großes Lexikon zur Bestattungs- und Friedhofskultur – Volkskundlich-kulturgeschichtlicher Teil« im Verlag Thalacker Medien, Braunschweig, erschienen ist. Noch vor der Gründung des Museums für Sepulkralkultur hatte das Zentralinstitut thematische Ausstellungen veranstaltet, z.B. 1979/81 »Wie die Alten den Tod gebildet. Wandlungen der Sepulkralkultur zwischen 1750 und 1850« (= Bd. 1 der Kasseler Studien) oder »Freund Hein und der

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Zielrichtung zum Museum war vorgegeben, es bedurfte jedoch noch des Engagements des langjährigen Geschäftsführers der Arbeitsgemeinschaft Friedhof und Denkmal, Dr. Hans-Kurt Boehlke, die Finanzierung des Museums politisch durchzusetzen. Auf die Gründung des Museums 1984 – im selben Jahr wie die oben als Meilenstein charakterisierte Münchner Ausstellung »Die letzte Reise« – folgte seine Eröffnung 1992. Ohne die persönliche Leistung Dr. Boehlkes für die Verwirklichung des Museums schmälern zu wollen, ist festzuhalten, dass das gesellschaftliche und politische Klima nun reif war für ein derartiges Museum, das noch Jahre vorher als Tabubruch nicht durchsetzbar gewesen wäre. Seit seiner Gründung wird das Museum für Sepulkralkultur im Sinne einer Einrichtung von gesamtstaatlicher Bedeutung zur Hälfte aus Mitteln des Bundes30 gefördert; in die andere Hälfte teilen sich das Land Hessen, die Evangelische Kirche Deutschlands, der Verband der Diözesen Deutschlands und die Stadt Kassel. Die Zielrichtung und Politik des Museums selbst stand freilich von Anfang an gar nicht fest, sie musste sich – da ohne Vorbild – erst im Laufe der Jahre entwickeln, wobei festzuhalten ist, dass die im oben skizzierten Ausstellungssektor bevorzugte volkskundlich-thematische Ausrichtung zunächst auch hier die Vorgabe bildete. Ausgestellt wurden und werden kulturgeschichtliche Zeugnisse der Bestattungs- und Trauerkultur – nicht das Sterben, nicht der Tod, auch keine Toten.31 Es wurde anfänglich ähnlich verfahren wie in jenem bereits 1988 von Utz Jeggle eingerichteten imaginären Museum (sc. für Bestattungskultur), das sich ebenfalls von einer volkskundlichthematischen Zielrichtung leiten ließ.32 Ergänzt wurde im Kasseler Muse-

Bücherfreund. Exlibris des 20. Jahrhunderts aus der Sammlung des Zentralinstituts für Sepulkralkultur«, Kassel. Ausstellungskatalog, Kassel 1982. 30 Zunächst aus Mitteln des Bundesministeriums des Inneren, seit 1999 aus Mitteln des Beauftragten der Bundesregierung für Angelegenheiten der Kultur und der Medien. Die Zuweisung der Mittel erfolgte bisher durch die Kulturstiftung der Länder in Berlin, ab 2006 direkt aus dem Ministerium der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM). 31 Selbst der Präsentation bemalter Totenschädel, wie sie im oberbayerisch-österreichischen Raum im 19. Jahrhundert verbreitet waren (Andree-Eysn, Marie: Volkskundliches aus dem bayerisch-österreichischen Alpengebiet, Braunschweig 1910, S. 147-155; Beitl, Klaus (1978): Volksglaube. Zeugnisse religiöser Volkskunst, Salzburg, S. 158 und Nr. 47a, b. Weitere Literatur: »Totenschädel«. In: Großes Lexikon der Bestattungs- und Friedhofskultur (2002), Bd. 1, Braunschweig, S. 337f.), ging eine lange Diskussion voraus, ob man denn Tote oder Leichenteile ausstellen könne. 32 Jeggle, Utz: »Die Angst vor dem Sterben. Besuch in einem imaginären Museum«. In: Glöckenjahn/Kondratowitz (Hg.) (1988): Alter und Alltag, Frankfurt a.M., S. 157-

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um jedoch von Beginn an das Programm durch Ausstellungen zeitgenössischer Kunst zum Thema. Eine weitergehende Darstellung der Inhalte von Dauerausstellung und Sonderausstellungen33 verbietet sich an dieser Stelle, doch sei an dieser Stelle noch vermerkt, dass die Übernahme der Ausstellung »Last minute«34 2000/2001 durchaus als ein Einschnitt zu vermerken ist, da hier erstmals der Versuch unternommen wurde, dem emotionalen Todesgeschehen sehr nahe zu kommen. Diese vorsichtige Abkehr von der rein deskriptiven, kulturgeschichtlich ausgerichteten Ausstellungspolitik wurde vom Publikum ausgesprochen honoriert. »Last minute« wurde zu einer der erfolgreichsten Ausstellungen seit der Gründung des Museums. Allein das von Jeggle konzipierte »imaginäre Museum« belegt, was schon an anderer Stelle angedeutet wurde, dass nämlich die Zeit reif war für ein Museum der Bestattungs- und Trauerkultur quasi im Sinne einer permanenten Letzten Reise, und das, wenn nicht in Kassel, an anderem Ort entstanden wäre. Jeggle charakterisierte auch die Aufgabe eines derartigen Museums, wonach es um die Befähigung gehe, mit der Todesangst umzugehen: »Wer die Todesangst bejaht und von ihr erfasst werden kann, ist sich ihrer bewusst und damit auch schon ein Stück befähigt, mit ihr umzugehen; blindlings umgetrieben wird von ihr nur derjenige, der sie negiert.«35 Der traditionell mit den Begriffen »Sammeln, Bewahren, Erschließen« beschriebene Auftrag eines Museum trifft zweifellos für ein Museum für Sepulkralkultur ebenso zu wie für andere museale Einrichtungen, aber das »Erschließen« erfährt eine Konkretisierung, wenn es den Abbau von Ängsten einschließt. Gesellschaftlich entstand in den 1980er Jahren die Zielvorstellung, den Tod wieder stärker ins Leben zu integrieren, ihm wieder ein Stück jener Normalität zurückzugegeben, die er früher besessen haben soll. Deshalb folgen wir noch einmal den Formulierungen von Jeggle: Deshalb können wir in dem imaginären Museum, das wir jetzt besuchen, einige Bilder vom Sterben finden, die uns zwar nicht vertraut sind, aber die uns eine Ordnung vorführen, die zeigt, wie Sterben in dieses Leben integrierbar ist und wie man einen Mittelweg zwischen Verdrängung und Allmacht des Todes finden kann.36 Ob und in welcher Weise

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182; in erster Fassung schon in: J. Geyer-Kordesch u.a. (Hg.) (1986), Leiden, Sterben und Tod, München. Eine derartige Übersicht ist vorgesehen in: Friedhof und Denkmal 47, 2002 (H. 3). Glarner, Hans Ulrich/Hächler, Beat/Lichtensteiger, Sibylle i.A. des Stapferhauses Lenzburg/CH (Hg.) (1999): Last minute. Ein Buch zu Sterben und Tod, Baden/CH. Jeggle, ebd., S. 159. Ebd., S. 160.

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das konkrete Museum in Kassel einem derartigen Auftrag gerecht wird, lässt sich kaum empirisch erheben, aber Jeggle beschreibt eine Programmatik, die man in Kassel ähnlich formulieren könnte. Steht das Kasseler Museum in der deutschen und europäischen Museumslandschaft noch einzigartig da, so ist heute schon gewiss, dass es weitere ähnliche Einrichtungen geben wird, ja in status nascendi bereits gibt. Man muss an dieser Stelle das Nederlands Uitvaartmuseum nennen, das vermutlich in allernächster Zeit seine Pforten öffnen wird. Das niederländische Uitvaart (wörtlich Ausfahrt) steht begrifflich der letzten Reise sehr nahe. Auf Sonderausstellungen auf holländischen Bestattungsfachmessen und im niederländischen Kutschenmuseum konnte man sich bereits einen Eindruck über die exquisiten Sammlungsbestände des neuen Museums verschaffen. Die »Stichting Nederlands Uitvaartmuseum« wurde 1990 gegründet, ist jedoch im Unterschied zum Kasseler Sepulkralmuseum bisher ausschließlich auf Spenden und Sponsoren angewiesen. Geplant ist, dass das Museum mit einer ständigen Ausstellung auf dem Friedhof »De Nieuwe Oster« in Amsterdam präsent sein wird, konkret in den Räumlichkeiten des ehemaligen Direktorenhauses.37 Der Eröffnung kann man mit großer Spannung entgegensehen und von ihm Impulse für die Bewahrung der Bestattungskultur erwarten. Ob das 1983 gegründete »National Funeral Museum« in London dieselben Erwartungen erfüllen kann, wird vom Durchhaltevermögen und Engagement des Bestatters John Harris abhängen, der in Eigeninitiative und nicht ohne begründetes Geschäftsinteresse diese Sammlung initiierte. Ausgangspunkt war die Marktbeobachtung, dass eine steigende Anzahl von Menschen wieder nach historischen Formen der Bestattung sucht, u.a. den von Pferden gezogenen Leichenwagen wieder den Vorzug vor motorisierten Leichenwagen schenkt.38 Existent ist hingegen bereits seit Jahren das »National Museum of Funeral History« in Houston, Texas mit bedeutenden Exponaten der Bestattungskultur im 19. und 20. Jahrhundert.39 Es sieht ausdrücklich seinen Auftrag nicht nur im Sammeln und Bewahren der funeralen Requisiten, sondern auch im Hineinwirken in die U.S.-amerikanische Gesellschaft, die in Fragen der Bestattung sich gewiss noch rasanter und differenzierter entwickelt hat als in Europa: Das Museum »was founded not only for the purpose of preserving historical artefacts from the 19th and 20th centuries, but more importantly to

37 www.uitvaartmuseum.nl (07.04.02). 38 National Funeral Museum, Victoria House, 10 Woolwich Manor Way, GB-London E 6 4PA. 39 www.nmfh.org

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encourage public education and enlightenment of our country’s proud heritage of funeral service.«40 Weitere Museen befinden sich in Springfield, Illinois (Museum of Funeral Customs)41 und in Philadelphia42. Ausstellungen von Toten Haben wir eingangs auf die Nichtdarstellbarkeit des Todes hingewiesen und damit auch seine Musealisierung prinzipiell in Frage stellen lassen, so sind die bisher genannten Ausstellungen und Museen insoweit ein Ersatz für das Eigentliche, als sie anhand von Trauerrequisiten und materialisierten Formen der Erinnerung, freilich mit einem breiten Spektrum, nur einen Spiegel der Einstellung zum und des Umganges mit dem Tod darstellen. Die zweite Möglichkeit, nämlich die Dar- und Ausstellung von Toten und Leichen oder Leichenteilen haben wir indes nur gestreift und müssen dies aber noch etwas vertiefen. Nicht nur ist die »museale« Präsentation von Leichen oder Leichenteilen älter als die Darstellung der mit Sterben und Trauer verbundenen Rituale, sondern sie ist bezogen auf den Publikumserfolg die weitaus erfolgreichere, wenn man den Massenandrang zu Gunther von Hagens »Körperwelten« als Gradmesser nimmt. Bereits 1796 wurde in Wien unter Kaiser Franz I. das Museum des pathologisch-anatomischen Institutes gegründet, das sich seit 1971 als »Pathologisch-anatomisches Bundesmuseum« im sog. Narrenturm (das erste psychiatrische Krankenhaus Wiens) in Wien befindet.43 Das vorzugsweise zu Forschungszwecken genutzte Museum besitzt eine umfangreiche Sammlung an Mazerations- und Feuchtpräparaten tierischer wie menschlicher Leichen und Leichenteile, an denen aufgrund krankheitsbedingter Veränderungen ein wissenschaftliches Interesse besteht. Um auf der einen Seite eine gewisse Pietät zu wahren, andererseits auch die Besucherinnen und Besucher nicht ohne Anleitung den nicht ganz leicht verträglichen Exponaten auszusetzen, werden nur Gruppenführungen und keine Einzelbesuche zugelassen. Kinder bis 14 Jahre sind nur bei wirklichem Interesse und in Begleitung Erwachsener erlaubt. Außerdem wird die Zugänglichkeit von Schau- und Studiensammlung unterschiedlich gehandhabt.44 Ähnliche Sammlungen gibt es auch andernorts, z.B. in Berlin das zur Humboldt-Universität gehörende Anatomische Mu-

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Hompage des Museums (07.04.02). www.funeralmuseum.org Museum of Mourning Art, 2900 State Road. Drexel, PA 19026. Stohl, Alfred (2000): Der Narrenturm – oder die dunkle Seite der Wissenschaft, Wien. 44 www.pathomus.or.at

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seum, die Präparatesammlung, das Pathologische Museum sowie die anthropologische Sammlung. Auch sie gehen auf Sammlungstätigkeiten des 18. und 19. Jahrhunderts zurück. Keine dieser Sammlungen war je auf einen besonderen Besucherverkehr eingerichtet, auch wenn sie heute teilweise als Museen der Öffentlichkeit zugänglich sind und als »ein Muss für masochistische Hypochonder und nervöse Magenkranke [...]«45 missverstanden werden. Freilich kann nicht in Abrede gestellt werden, dass die »Besichtigung« von Leichen an manchen Orten schon seit längerer Zeit zu den touristischen Übungen zählt. Hier sind besondere Friedhöfe mit mumifizierten Leichen zu nennen, so die Michaelergruft in Wien, die Kapuzinergruft in Palermo oder der Bleikeller in Bremen, die auch touristisch vermarktet werden: Mumien, Särge, Schrecklichkeiten: zu besichtigen im Bremer Bleikeller. Ein niemals restlos aufgeklärtes Phänomen bewirkt, dass Leichen in den Grüften des Domes mumifizieren. Wanderhandwerker, von denen man meinte, sie würden später einmal in ihre Heimat überführt, waren die ersten, die hier ihre letzte Ruhe fanden. Im 17. und 18. Jahrhundert kamen auch hochwohlgeborene Tote hinzu, die seither im Bleikeller beigesetzt sind.46 Die Michaelergruft wird als »Wiens grausigste Gruft« angepriesen: »[...] da wurde einfach vergessen, die Sargdeckel zuzumachen«.47 Mag man diese Leichenpräsentationen als Ausdruck schlechten Geschmacks der Anbieter wie der Rezipienten abtun, so tut man sich ungleich schwerer mit der Beurteilung der »Körperwelten« genannten Schau der durch das Plastinationsverfahren »veredelten« Leichname. Erfinder dieser besonderen Form der Präparation und Organisator der international beachteten Ausstellung, Gunther von Hagens, schwankt in der Beurteilung seiner eigenen Intention zwischen aufklärender Information und künstlerischem Ausdruck.48 Die Tournee der Körperwelten begann 1996 in Japan; es folgten Stationen in Mannheim, Wien, Basel, Köln, Oberhausen, Berlin, Brüssel, London, Seoul, Stuttgart, München, Busan, Hamburg, Singapur, Frankfurt/M., Taipeh, Kaohslung, Los Angeles, Chikago und Cleveland (2005), mit Besucherrekorden allerorten. Bisher haben mehr als 16 Millionen Besucher diese Ausstellung gesehen49, Rekordzahlen, die Museen und Ausstellungen sonst nie erreichen. Erklärtes Ziel des Plastinators ist die Errichtung eines

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www.viennahype.at www.bremen.de www.viennahype.at Körperwelten (1997). Einblicke in den menschlichen Körper, Ausstellungskatalog, hg. vom Landesmuseum für Technik und Arbeit, Mannheim. 49 www.koerperwelten.de

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eigenen Museums, das durch die eingespielten Eintrittsgelder der Ausstellungstournee auch realistisch erscheint.50 Teils heftig, teils unterschwellig war Kritik an den »Körperwelten« zu vernehmen, aber eine gewissenhafte ethische Diskussion verstummte in dem Maße, wie das Millionenpublikum strömte und so eine Abstimmung mit den Füßen pro Ausstellung vollzog. Außerdem ist eine extrem kurze Verfallszeit etwaiger Bedenken zu konstatieren, denn nach nun neun Jahren Tournee haben sich öffentliches, mediales und ethisches Interesse bereits wieder anderen Problemfällen zugewandt. Der Gewöhnungseffekt ist beträchtlich. Aber das Publikum ist weiterhin begierig, die Ausstellung zu sehen, und die Beweggründe dafür sind kaum einheitlich. Ich vermute sie in einer gestiegenen Bereitschaft, Fragen des Todes und des Totseins an sich heranzulassen, auch in einem Hinschauen-Wollen, um einen Blick zu erhaschen auf das, was normalerweise verborgen ist. Anlässlich der Berliner Station der Tournee formulierte Kerstin Decker im Berliner Tagesspiegel: Tremendum und Faszinosum. Das ist der Affekt im Angesicht des Heiligen. Es ist auch ein Jahrmarktseffekt. Schauen und Hingezogensein ist eins. »Die Faszination des Echten« eben. Aber ein Jahrmarkt, ein bloßer Spaß mit Leichen ist das nicht. Man kann sich vorstellen, dass es fast stiller ist in dieser Ausstellung als in der Kirche. Auch vor dem ›Schubkastenmenschen‹ oder dem ›Total expandierten Körper‹, die beide der Surrealist Salvatore Dali erfunden haben könnte.51 Jahrmarkt, Kirche und Kunst treffen sich. Noch eine weitere Leiche erregte museales Aufsehen. Für die 1991 im österreichisch-italienischen Grenzgebiet gefundene Gletschermumie, liebevoll »Ötzi« genannt, wurde in Bozen ein eigenes Museum errichtet, das zwar sachlich »Archäologiemuseum« genannt wird, in dem sich aber alles um die spektakuläre Leiche des frühgeschichtlichen Mannes dreht. Das Museum wurde 1998 eröffnet. Zumal in der touristischen Saison drängen sich die Menschen, bilden vor dem Museumseingang lange Warteschlangen, um dann in stiller Prozession an jenem Guckkastenfenster vorüber zu ziehen, durch das der »Ötzi« in seiner Tiefkühlkammer betrachtet werden kann. Auch hier paaren sich Schaulust mit Ehrfurcht vor dem Menschen, seiner Geschichte, seiner Geschöpflichkeit.52 Die Frage nach der Sinnhaftigkeit und Zulässig-

50 Die nächste Ausstellung ist geplant für Philadelphia vom 7.10.05 bis 23.04.06. 51 Decker, Kerstin: »Körperwelten. Schön tot. Leichenschau oder Anatomie für Laien? – ab heute in Berlin«. In: Der Tagesspiegel online – Nachrichten, Kultur 10.02. 2001. 52 Sörries, Reiner: »Der Streit um den ›Ötzi‹ und vergleichbare Konflikte beim Umgang mit berühmt gewordenen Leichen«. In: Friedhof und Denkmal 45 (2000), S. 54-61.

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keit der Musealisierung von Toten bewegte anfangs auch die Gemüter in Bozen. Eine Tagung am 3. Juni 2000 widmete sich dem Thema »Tod und Museum«, ohne freilich zu einem abschließenden Ergebnis zu kommen. Pro und Contra sind auch in diesem Fall gleichmäßig verteilt. Allmählich entwickelt sich jedoch unter Museumsleuten eine ethische Diskussion zum Umgang mit Leichen in Museen. Den meiner Kenntnis nach umfassendsten und auf Systematik hin angelegten Beitrag zu diesem Themenkomplex lieferte Karl Heinrich von Stülpnagel53, Restaurator am Ägyptologischen Museum der Universität Leipzig, der eindringlich vor Augen führt, dass praktisch in jedem Museum in irgendeiner Weise mit dem Vorhandensein von Leichen oder Leichenteilen gerechnet werden muss, und dass der Umgang mit ihnen eine entsprechende Verantwortlichkeit erfordert. Kritische Auseinandersetzungen mit dem gewaltsamen Tod Nicht aus Unachtsamkeit oder gar aus Geringachtung fallen in diesem Überblick die Ausstellungs- und Museumsprojekte, die sich mit der Vernichtungsmaschinerie des Dritten Reiches und den Fragen des Holocaust befassen, knapp aus, es ist die Ernsthaftigkeit des Themas, die den Versuch verbietet, in der Kürze des vorliegenden Beitrages auch diesen Komplex abzuhandeln. Die Kontroversen um das Berliner Holocaust-Mahnmal deuten an, was gemeint ist. Stattdessen sei das Thema des gewaltsamen Todes gestreift mit dem Hinweis auf eine »Ausstellung über die Geschichte biologischer Waffen«, die unter dem Titel »Schwarzer Tod und Amikäfer« unter anderem im Biohistoricum Neuburg an der Donau (2000) und im Wilhelm-Fabry-Museum in Hilden (2001) gezeigt wurde – eine erschreckende Bilanz dessen, was der Mensch bereit ist, sich gegenseitig anzutun, nicht erst heute, sondern bereits im Mittelalter. Mitte der 1990er Jahre machte amnesty international mit der Kunstausstellung »Hört auf, lasst mich Luft holen ...« auf die Menschenrechtsverletzung durch die Todesstrafe aufmerksam.54 Beide Projekte seien exemplarisch genannt, um die Frage anzuschließen, was Ausstellungen dieser Art bewirken können, welcher Erfolg ihnen beschieden ist. Die Antwort fällt ähn-

53 Stülpnagel, Karl-Heinrich von: »Mumien in Museen – ethische Überlegungen«. In: Die ägyptische Mumie – ein Phänomen der Kulturgeschichte. Beiträge eines Workshops am Seminar für Sudanarchäologie und Ägyptologie der Humboldt-Universität zu Berlin (25./26. April 1998) = Internet-Beiträge zur Ägyptologie und Sudanarchäologie, Vol. I (IBAES I) [www2.rz.hu-berlin.de/nilus/net-publications/ibaes1]. 54 Die Ausstellung war u.a. im Museum für Sepulkralkultur in Kassel zu sehen, vom 5. März bis 29. Mai 1994.

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lich schwer wie bei den »normalen« sepulkralen Ausstellungen, die ihrerseits für sich beanspruchen, zur gesellschaftlichen Bewusstseinsbildung beizutragen, ohne dass man dieses Ziel evaluieren könnte. Stellt man den »Tod« aus, stellt sich viel stärker die Frage nach der Absicht und dem Erfolg als bei anderen kulturellen und künstlerischen Projekten. Information oder Kunstgenuss, Wissensvermittlung oder kulturelle Bereicherung scheinen nicht zu genügen, wenn die Ausstellungen um Sterben und Tod kreisen. Eine zielgerichtete Tendenz wird ihnen grundsätzlich unterstellt oder muss ihnen sogar abverlangt werden aufgrund der Ernsthaftigkeit des Themas. Die Instrumentalisierung sepulkraler Ausstellungen Konnten wir andeuten, dass Ausstellungsprojekte rund um das Thema Sterben und Tod nicht absichtslos daher kommen, so leuchtet dies gewiss ein, denn der Komplex ist zu sensibel, um ihn als kulturelles Erlebnis allein sehen zu können oder zu wollen. Und man darf den Ausstellungsmachern soviel moralisches Bewusstsein zutrauen, dass sie versuchen, verantwortlich damit umzugehen. In den vergangenen Jahren kann hier jedoch eine besondere Gattung von Ausstellungen beobachtet werden, deren Hauptaufgabe darin besteht, den gewerblichen Interessen jener Berufsstände zu dienen, die mit Bestattung und Trauer ihre ökonomische Basis sichern. Verdeutlicht werden soll dies an einem Projekt des Landesgewerbeamtes Baden-Württemberg – Haus der Wirtschaft unter dem Titel »Lebe wohl ... der letzte Abschied«, das im Herbst 2002 in eine Ausstellung einmündete.55 In einer Pressemitteilung vom 9. Juli 2001 wurde von der Pressestelle des Landesgewerbeamtes anlässlich eines vorbereitenden Symposiums verlautbart: Im 20. Jahrhundert hat sich die Bestattungskultur grundlegend verändert. Dies stellt für sämtliche im Bestattungswesen engagierten Dienstleister eine Herausforderung dar. Dabei handelt es sich vor allem um kleine und mittlere Handwerksbetriebe. >Ziel des Landesgewerbeamtes bei diesem Projekt ist es daher, diese Unternehmen bei der Bewältigung des Strukturwandels zu unterstützen< [...] (Es) werden neue und tragfähige Konzepte im Umgang mit Tod und Trauer vorgestellt und zukunftsweisende Perspektiven für die Gestaltung des letzten Abschieds aufgezeigt. Im Mittelpunkt des Projektes steht im kommenden Jahr eine Ausstellung im Haus der Wirtschaft, in der die Ergebnisse der beim Symposium vorgestellten Einzelprojekte präsentiert werden.56

Inzwischen betätigen sich Bestattungsinstitute, Steinmetze und Friedhofs-

55 19. September bis 8. Dezember 2002. 56 www.lgabw.de

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gärtner oder von ihnen initiierte oder gegründete Fördervereine zur Hebung der Bestattungskultur als Ausstellungsorganisatoren, keineswegs zum Nachteil von Kultur generell, aber die Gradwanderung zwischen dem eigenen und dem öffentlichen Interesse wird deutlich. Gemäß einem Werbeslogan der Betonbranche müsste man formulieren, es kommt darauf an, was man daraus macht, d.h. mit welcher Verantwortlichkeit man zu Werke geht. Die Reihe solcher PR-wirksamen Ausstellungen wurde auch gar nicht von den kommerziellen Gewerken begonnen, sondern die nicht so sehr im Verdacht der Gewinnmaximierung stehenden Friedhofsträger bzw. -verwaltungen haben die Notwendigkeit erkannt, die kulturelle Dimension ihrer Bestattungsplätze als Standortfaktor zu nutzen. Friedhofsjubiläen oder der 2001 proklamierte »Tag des Friedhofes« liefern die Anlässe zu einer sepulkralen Eventkultur, die Ausstellungen einschließt. Die Wiederentdeckung der Friedhofskultur hat zu einer Vielzahl historischer Forschungen geführt, die teilweise auch in Ausstellungen präsentiert wurden.57 Wie in vielen anderen kulturellen Bereichen werden die Grenzen zwischen Kultur und Kommerz fließend, und gegenseitige Abhängigkeiten werden deutlich. Die Kultur kommt ohne finanzielle Zuwendungen der Wirtschaft nicht mehr aus, und die modernen Marketingstrategien der Unternehmen haben die Kultur als wichtiges Element ihrer Unternehmensphilosophie erkannt. Leben muss man damit und arbeiten kann man damit, wenn Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten klar definiert sind, und die Inhalte nicht vom Sponsor beeinflusst werden. Die Friedhofsmuseen und Kunstausstellungen auf dem Friedhof Inzwischen haben sich in Deutschland und in der Schweiz zwei Friedhofsmuseen58 etabliert, das »Museum Friedhof Ohlsdorf« in Hamburg59, eröffnet 1996, und die »Sammlung Friedhof Hörnli« in Riehen bei Basel, gegründet

57 Z.B. Fischer, Chr./Schein R. (Hg.) (1987): O ewich is so lanck. Die historischen Friedhöfe in Berlin-Kreuzberg. Ein Werkstattbericht. Ausstellung im Landesarchiv Berlin, Berlin. 58 Der Vollständigkeit halber sei auch der Museumsfriedhof »Friedhof ohne Tote« in Kramsach/Tirol erwähnt. Er geht auf die Sammlung des Schmiedes Hans Guggen zurück, der hier schmiedeeiserne Grabkreuze zusammentrug. Bemerkenswert sind die aus dem 19. Jahrhundert stammenden Grabsprüche, die teils der Komik nicht entbehren (Hier ruht Oberlehrer Klug, der Kinder Frau und Orgel schlug). Diese Sammlung komischer Grabpoesie trug dem Friedhof auch die Bezeichnung als »Lustiger Friedhof« ein (Hagau 240, A-6233 Kramsach). 59 Schriftenreihe des Förderkreises Ohlsdorfer Friedhof und Zeitschrift für Trauerkultur sowie www.friedhof-hamburg.de und www.fof-ohlsdorf.de

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1994.60 Beide haben sich auf dem Friedhof etabliert, in Hamburg getragen von »Hamburger Friedhöfe – Anstalt des öffentlichen Rechts« und inhaltlich betreut vom Förderkreis Ohlsdorfer Friedhof, in Riehen bei Basel angestoßen und betreut von dem langjährigen Friedhofsmitarbeiter Peter Galler. An ihren Orten sind sie längst Bestandteil des kulturellen Lebens. In einem kleinen historischen Gebäude des Friedhofes Ohlsdorf wird auf einer Fläche von 60 qm die Vielfalt der Hamburger Friedhofs- und Bestattungskultur gezeigt. Im Vordergrund stehen dabei der Ohlsdorfer Friedhof als größter Parkfriedhof der Welt mit seiner Geschichte, seiner Grabmalkultur und den Gräbern bekannter Persönlichkeiten sowie die Geschichte der Feuerbestattung in der Hansestadt. Die Präsentation wird in unregelmäßigen Abständen durch Sonderausstellungen ergänzt. In Riehen bei Basel will die Sammlung Friedhof Hörnli über die Geschichte des Friedhofes hinaus Zeugnisse der Bestattungskultur aus der ganzen (deutschsprachigen) Schweiz zeigen. Seine Schausammlung wurde in die Räume des ehemaligen Krematoriums integriert. Etwa gleichzeitig zu den genannten Friedhofsmuseen entstanden zunehmend Kunstprojekte auf Friedhöfen, die sich in sehr unterschiedlicher Ausrichtung mit den Fragen von Trauer und Gedenken, mit der Grabmalkunst der Gegenwart und dem, was künstlerisch zu Sterben und Tod gesagt werden kann, befassen. »Übergänge« hieß ein Kunstprojekt auf dem ehrwürdigen St. Johannisfriedhof in Nürnberg61, »Open end« nannten sich die zeitgenössischen künstlerischen Sichtweisen auf Leben und Tod im Rahmen der Stuttgarter Ausstellung »Auf Leben und Tod«.62 Und seit 2001 ist der Hauptfriedhof Freiburg Ort der Ausstellung »Kontraste«.63

60 Renfer, Dora (1999): »Verdrängte Kulturgeschichte.« Die Sammlung Friedhof Hörnli in Riehen. In: Regio Magazin 16, Nr. 11, S. 6-9; Burgherr, Simone (1999): »Das Hörnli-Museum: den Tod nicht verdrängen«. In: z’Rieche 39, S. 128-137. 61 Faber-Castell, Anton Wolfgang Graf von (Hg.) (1996): Übergänge. Kunstprojekt Johannisfriedhof. Ausstellungskatalog, Nürnberg. 62 Vgl. Anm. 1. 63 Kontraste. Grabzeichen, die sich absetzen. Eine Ausstellung auf dem Hauptfriedhof Freiburg i.Br. Eine Ausstellung der Arbeitsgemeinschaft Friedhof und Denkmal – Zentralinstitut und Museum für Sepulkralkultur und des Eigenbetriebs Friedhöfe der Stadt Freiburg i.Br. (Katalog = Friedhof und Denkmal 46 (2001), Nr. 2/3, S. 1119).

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Thomas Matt, Totenbrett. Aus der Ausstellung »Kontraste. Grabzeichen, die sich absetzen«, Freiburg i.Br. 2001-2003.

Foto: Theo Hofsäss, Freiburg i.Br.

Betrachtet man die Intention der letztgenannten Ausstellung, so schließt sich der Kreis zum Beginn unserer Betrachtung, denn auch die Kunst will hier einwirken auf den Wandlungsprozess gesellschaftlicher Einstellungen angesichts des Todes: Wir erleben im Übergang in ein neues Jahrtausend einen Umbruch auf ethischer, sozialer, wirtschaftlicher, wissenschaftlicher Ebene, was nicht ohne Einfluss auf die Gesamtkultur bleibt. Friedhofskultur mag für die meisten Menschen im wahrsten Sinne am Ende stehen, dies zeigt uns aber eindrücklich, wie Veränderungen des gesellschaftlichen Lebens ihren Niederschlag im Bereich von Tod und Erinnerung haben. [...] Das Projekt ›Kontraste‹ [...] möchte Wege der Erneuerung aufzeigen, aus der Erkenntnis, dass Stillstand Rückschritt bedeutet, und Menschen auch in Zukunft das le-

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Udo Liebelt, Folker Metzger (Hg.) 106 Vom Geist der Dinge gitime Recht haben auf einen Ort der Erinnerung. Wir haben die Verantwortung und die Verpflichtung, aus einer Jahrtausende alten Tradition heraus Wege in eine zeitgenössische Friedhofskultur zu finden.64

Den Menschen das Wesen von Krise und Bewältigung, von Abschied und Trauer bewusst zu machen, der Furcht vor dem Tod die Chance der Trauer entgegenzusetzen, zieht sich wie ein roter Faden durch die Musealisierung der letzten Dinge, als müsste man sich ständig rechtfertigen, dass man Sterben, Tod und Trauer zum Ausstellungsthema macht. Und es bleibt die Frage, warum man sich nicht einfach damit begnügen kann, die Realien der Trauerkultur, die Bilder vom Tod, die gestaltgewordenen Jenseitsvorstellungen als kulturgeschichtliche und künstlerische Phänomene aufzufassen, deren Beachtung auch ohne pädagogische Rechtfertigung lohnt. Immerhin gibt es – genau betrachtet – in der Menschheitsgeschichte nur zwei große kulturfördernde Impulse, die Liebe und eben den Tod. Erstaunlich bleibt bei dieser Betrachtungsweise, dass es inzwischen Spezialmuseen für die Sepulkralkultur gibt, aber noch keine Liebeskultur-Museen.65 Last minute und die Annäherung ans Thema Verbindet die bisher genannten Museen und die meisten Ausstellungen ihr prinzipiell kulturgeschichtlicher Ansatz, so folgen sie einem schon fast kanonisch zu nennenden Ansatz der Vermittlung und nähern sich dem Phänomen Tod über die materiellen und brauchtümlichen Formen der Bestattungskultur. Eine grundsätzlich andere Zugangsweise suchte das Stapferhaus Lenzburg (Kanton Aargau/CH) mit seiner Ausstellung »Last minute«, in der es neben der Informationsvermittlung ganz entschieden um die Weitergabe von Erfahrungen ging – Erfahrungen von Sterbenden und Begleitenden, Handelnden und Trauernden.

64 Jörg Bollin, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Friedhof und Denkmal, in seinem Vorwort zum Ausstellungskatalog. Vgl. Anm. 63. 65 Die Erotikmuseen in Amsterdam, Barcelona, Berlin, Flensburg, Hamburg, Kopenhagen, Madrid, New York, Paris, Shanghai und Stockholm schließen trotz ihrer beträchtlichen Zahl diese Lücke nicht wirklich.

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abreisen. Aus der Ausstellung »Last minute«, Kassel 2000-2001.

Foto: Wolfgang Neumann, Kassel.

»Last minute« fragte dabei nicht nach den konventionellen, eingleisigen Handlungsmustern, sondern machte die Multioption möglichen Tuns angesichts des Fehlens verbindlicher Antworten und Handlungsanleitungen in einer säkularisierten Gesellschaft zum Thema.66 Die Ausstellungsmacher verweigerten auch eine Begründung ihres Handelns, vielmehr ist es das Stapferhausteam gewohnt, als Ort für Kultur und Begegnung gesellschaftlich relevante Themen aufzugreifen.67 So konnte diese Ausstellung zu einem

66 Last minute. Ein Buch zu Sterben und Tod (Anm. 36), S. 10. 67 Frühere Ausstellungen: Anne Frank und wir (1995) oder Walk on the wilde side

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offenen Diskurs werden über das, was angesichts von Sterben und Abschied hilfreich, notwendig, verzichtbar oder unausweichlich ist. Dieser offene Ansatz war trotz oder gerade wegen seiner unbestreitbaren Härte dem Thema angemessen.68 Die zunächst 1999/2000 in Lenzburg gezeigte Ausstellung wurde von über 50.000 Menschen besucht, und sie setzte diesen Erfolg 2000/01 im Museum für Sepulkralkultur in Kassel69 sowie 2002 im Focke-Museum Bremen fort. Mit dieser Ausstellung wurde – so denke ich – eine neue Dimension in der Darstellbarkeit von Sterben und Abschied erreicht, deren Akzeptanz weitere museale Anstrengungen in dieser Richtung erwarten lässt. Dass sich das Stapferhaus dabei ziemlich radikal von herkömmlichen Ausstellungstraditionen, praktisch nahezu von jeglicher Form »originaler« Exponate getrennt hat, unterstreicht, dass Gefühl und Erleben nicht an materialisierte Formen der Trauer gebunden sind, sondern sich im Kopf oder im Herzen festmachen lassen. Aus der Ausstellung »Noch mal leben«, Kassel 2005: Heiner Schmitz, 52 Jahre. Erstes Porträt am 19. November 2003 – Gestorben am 14. Dezember 2003.

Foto: Walter Schels, Hamburg.

Wer nach »Last minute« glaubte, die nähest mögliche Konfrontation mit dem Thema sei erreicht und könne im Sinne einer Zumutbarkeitsgrenze nicht

(1996, Jugendkultur), spätere Ausstellung Autolust – eine Ausstellung über die Emotion des Autofahrens (2002). 68 Knierim, Jan: »Last minute Passage. Skizzen zu einer Ausstellung im Museum für Sepulkralkultur«. In: Friedhof und Denkmal 45 (2000), S. 153-159. 69 21. Oktober 2000 bis 8. Juli 2001 mit 35.000 Besuchern.

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überschritten werden, musste sich durch das Ausstellungsprojekt »Noch mal leben« eines Besseren belehren lassen. Walter Schels und Beate Lakotta fotografierten Menschen im Hospiz kurz vor und unmittelbar nach ihrem Tod; die großformatigen Portraits noch lebender und gestorbener Menschen waren zuerst im Deutschen Hygiene Museum in Dresden (2004) und anschließend im Museum für Sepulkralkultur in Kassel zu sehen.70 Keine Reise ins Jenseits ohne Reisepass, der bei der Einreise natürlich ordnungsgemäß abgestempelt werden muss. Aus der Ausstellung »Erzähl’ mir was vom Tod«, Kassel 2003-2004.

Die außergewöhnlichen Bilder fanden an beiden Standorten jeweils weit über zehntausend Besucherinnen und Besucher. Man muss feststellen, dass diese

70 Schels, Walter/Lakotta, Beate (2004): Noch mal leben vor dem Tod. Wenn Menschen sterben, München.

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Ausstellung den Nerv der Zeit getroffen hat, weil sie die Möglichkeit der Auseinandersetzung mit dem Tod in unmittelbarer Weise ermöglicht. In der ägyptischen Pyramide wird es ernst: Gewogen und zu leicht befunden? Aus der Ausstellung »Erzähl’ mir was vom Tod«, Kassel 2003-2004.

Foto: Wolfgang Neumann, Kassel.

Mit ihrer interaktiven Ausstellung »Erzähl mir was vom Tod. Eine interaktive Ausstellung über das Davor und Danach« stellte das Kindermuseum FEZ Berlin-Wuhlheide unter Beweis, dass Einsichten in Sterben und Tod auch für Kinder, selbst im Vorschulalter, erlebnisreich und spannend sein können.71 Die Ausstellung wanderte von Berlin über Kassel und München nach Hamburg und zu weiteren Stationen.72

71 www.kindermuseum.fez-wuhlheide.de 72 Vorgesehen sind Oldenburg (26.09. bis 25.11.2005) und Hannover (18.01. bis 15.

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Die Vielfalt sepulkraler Ausstellungen und Museen – Versuch einer Zusammenfassung »Der Tod ist ins Gerede gekommen«, so haben wir oben die Verantwortlichen der Münchner Ausstellung »Die letzte Reise« 1984 zitiert. Der Tod ist ins Museum gekommen, müsste man heute ergänzend hinzufügen, freilich nicht wirklich, aber Bilder von ihm, Zeugnisse seiner Bewältigung und auch die Toten selbst. Es ist eine rasche Entwicklung eingetreten. Keine zwanzig Jahre hat es gedauert, bis aus dem Tabuthema Tod erfolgreiche Ausstellungen und akzeptierte Spezialmuseen73 hervorgegangen sind. Wir haben eingangs festgestellt, dass diese musealen Aktivitäten als Folge einer sich wandelnden gesellschaftlichen Einstellung zu Sterben, Tod und Trauer zu betrachten sind. In Verkennung dieses Sachverhaltes haben viele Ausstellungsmacher und Verantwortliche umgekehrt angenommen, sie müssten durch ihre Ausstellungen auf eine Veränderung der Sterbe-, Bestattungs- und Trauerkultur hinwirken. Fast durchweg blieb dies die in den Vorworten und Einführungen vorherrschende Begründung für das, was man tat. Von dieser Warte aus gesehen ist es immer noch ein Unterschied, ob man bemalte Särge oder bemalte Truhen ausstellt. Der Unterschied sollte eben nicht darin bestehen, dass man mit der Präsentation von Truhen ein volkskundliches Interesse befriedigt und mit der Ausstellung von Särgen einen erzieherischen Auftrag verbindet, den Unterschied macht die Ehrfurcht vor dem Geheimnis des Todes und der Schöpfung aus, der Respekt vor der je sehr persönlichen Einstellung zu den letzten Dingen. Die Musealisierung der letzten Dinge kann aufzeigen, was

07.2006). 73 Einige dieser Museen haben sich 1998 in Wien zur »European Federation of Funeral Museums« (EFFM) zusammengeschlossen, um auf diesem Weg einen Erfahrungsaustausch, eine verbesserte Zusammenarbeit und schließlich eine effektivere Außendarstellung zu erreichen. Der Gründung der EFFM gingen Arbeitstreffen an den jeweiligen Standorten der Museen voraus, die u.a. der Vorbereitung der Ausstellung »Kiste Kutsche Karavan« (vgl. Anm. 23) dienten. Ein wichtiges Produkt der EFFM ist eine gemeinsame Broschüre, die die Museen in Basel (Sammlung Friedhof Hörnli), Barcelona (Museu de Carrosses Funebres), Budapest (Kegyeleti Múzeum), Hamburg (Museum Friedhof Ohlsdorf), Kassel (Museum für Sepulkralkultur), London (National Funeral Museum), Wien (Wiener Bestattungsmuseum) und das Nederlands Uitvaartmuseum vorstellt. Die Broschüre ist herausgegeben von der European Federation of Funeral Museums durch das Museum für Sepulkralkultur in Kassel. Sie ist über das Museum für Sepulkralkultur (sekretariat@sepulkral museum.de) bzw. die anderen genannten Museen zu beziehen; Sörries, Reiner: »Die europäischen Bestattungsmuseen. Eine Aufgabe für die Lebenden«. In: Last minute (wie Anm. 36), S. 266-271.

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war, kann versuchen zu zeigen, was ist, aber sie soll nicht diktieren dürfen, was sein soll. So wehrt man einer Instrumentalisierung eines Themas, das gegenwärtig Konjunktur zu haben scheint. Aber ähnlich der rasch wieder abgeflauten Entrüstung über »Körperwelten« und Ötzi-Schaustellung werden auch bedenkliche Stimmen zur Instrumentalisierung sepulkraler Ausstellungsinhalte in dem Maße verstummen, wie der Ausstellungsboom andauert. Bei alledem sind die Präsentationen zeitgenössischer Kunst zum Thema Tod noch nicht berücksichtigt. Das Museum für Sepulkralkultur verfolgt diesen Aspekt der Musealisierung des Todes seit seiner Eröffnung 1992 mit wechselnden Sonderausstellungen wie mit der Integration zeitgenössischer Kunstobjekte in die Dauerpräsentation. Als gelungen kann in diesem Zusammenhang die von Florian Matzner kuratierte Sonderausstellung »Salto mortale«74 bezeichnet werden, in der zeitgenössische Künstlerinnen und Künstler ausdrücklich auf das Museum für Sepulkralkultur in Kassel und einzelne seiner Objekte eingegangen sind. Im gegebenen Überblick über die Musealisierung der letzten Dinge wurde mit Absicht weitgehend auf eine inhaltliche oder ethische Wertung der genannten Projekte, Ausstellungen und Museen verzichtet, man darf sie jedoch sämtlich als Indikatoren eines gesellschaftlich sich verändernden Umgangs mit Sterben, Tod und Trauer betrachten. Aus dem Unaussprechlichen sind zeigbare und akzeptierte Präsentationen geworden. Sie werden wahrgenommen als Chance und Gelegenheit, sich mit der Endlichkeit der Existenz auseinander zu setzen, durchaus im Sinne eines zeitgemäßen Memento mori. Museen haben damit eine Aufgabe übernommen, die in früheren Zeiten der Religion und den Kirchen vorbehalten war. Aus dieser Perspektive hat der Tod im Museum einen eigenen Stellenwert, der mit anderen musealen Präsentationen nicht unbedingt gleichzusetzen ist, aber man sollte darüber nicht vergessen, dass Kunst und Realien der Trauerkultur als Teil der menschlichen Kultur insgesamt aufzufassen sind. Ausstellungen und Museen, die den Tod zum Thema machen, besitzen deshalb durchaus ihren eigenen Charakter, und sind doch zugleich integriert in die allgemeine Museums- und Ausstellungslandschaft.

74 Matzner, Florian (Hg.) (2001): Salto mortale, Ausstellungskatalog Museum für Sepulkralkultur, Ostfildern.

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Überblick über die einschlägigen Museen in Europa und den USA Amsterdam Nederlands Uitvaartmuseum De Nieuwe Ooster Begraafplaats Kruislan NL-1097 GA Amsterdam www.uitvaartmuseum.nl Barcelona Museu de Carrosses Funebres Serveis Funeraris de Barcelona, S.A. Sancho de Ávila, 2 E-08018 Barcelona http://www.bcn.es Basel Sammlung Friedhof Hörnli Hörnliallee 70 CH-4125 Riehen (bei Basel) Budapest Kegyeleti Múzeum Fiumei út 16 H-1086 Budapest http://www.btirt/hu Düsseldorf Graphiksammlung »Tod und Mensch« der Heinrich Heine-Universität Düsseldorf http://www.uni-duesseldorf.de/WWW/MedFak/HistMrd/ausstlg.htm (nicht öffentlich zugänglich) Hamburg Museum Friedhof Ohlsdorf Fuhlsbüttler Straße 756 D-22337 Hamburg www.friedhof-hamburg.de sowie www.fof-ohlsdorf.de Houston/Texas National Museum of Funeral History 415 Barren Springs Drive Houston, Texas 77090 USA www.nmfh.org

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Kassel Museum für Sepulkralkultur Weinbergstraße 25-27 D-34117 Kassel www.sepulkralmuseum.de Kramsach Friedhof ohne Tote (Museumusfriedhof) – auch »Lustiger Friedhof« Hagau 240 A-6233 Kramsach http://www.breitenbach.at/ausflug/museum.htm London National Funeral Museum Victoria House 10 Woolwich Manor Way GB-London E 6 4PA. (2002: noch nicht eröffnet) Metnitz Totentanzmuseum Marktplatz Metnitz/Kärnten www.metnitz.at/totentanz/museum_d.html Springfield/Illinois Museum of Funeral Customs 1440 Monument Avenue Springfield, Illinois 62702 www.funeralmuseum.org Wien Wiener Bestattungsmuseum Goldeggasse 19 A-1041 Wien www.bestattungwien.at/tu/bestattung/museum/default.htm

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Peter-René Becker ➔ Zur Vermittlung naturwissenschaftlichen Sammelns



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Benjamin, Nabokov und Konsorten. Zur Vermittlung naturwissenschaftlichen Sammelns

Peter-René Becker Mein Beitrag wendet sich nicht nur an die museumspädagogisch Tätigen, die ja sicherlich die Hintergründe und Bedeutungen naturwissenschaftlichen Sammelns kennen, sondern vielmehr an ihre Klientel, der sie manchmal vielleicht etwas ratlos gegenüberstehen, und der gegenüber ihr Pulver vielleicht früh verschossen war, weil sie auf die bohrenden Fragen der großen und kleinen Besucher »Haben diese Tiere alle mal gelebt?« und »Habt Ihr die extra fürs Museum getötet?« versucht haben, ausweichend zu antworten. Diese Fragen dulden aber kein Lavieren, sondern erfordern klare Antworten: »Natürlich haben die alle mal gelebt.« und »Die meisten der Pflanzen und Tiere in den Magazinen und Ausstellungen sind extra fürs Museum getötet worden.« Hier beginnt mein eigentlicher Beitrag, den ich in drei Abschnitte gliedern möchte: Zunächst ein kurzer historischer Diskurs über Naturkundemuseen und ihre Sammlungen, dann ein zweiter Teil zur Bedeutung und Leistungsfähigkeit von naturwissenschaftlichen Sammlungen und drittens einige Beispiele, wie man Kinder und Erwachsene an naturwissenschaftliches Sammeln heranführen kann. Naturkundemuseen und ihre Sammlungen Museen sind Orte des gesammelten Wissens. Dieser Satz gilt seit über 2000 Jahren – nur die Konzepte haben sich geändert. Leitete sich früher das Wissen aus Geschriebenem her, und wurden demnach vorwiegend Schriftrollen im museion aufbewahrt, so leben Museen heute vom Originalobjekt: Das Exponat steht im Mittelpunkt, das Wissen scheint anschaulicher geworden. Ein durchlaufender Faden vom klassischen alexandrinischen »museion« zum heutigen Museum lässt sich allerdings kaum ziehen; viel eher stehen die wissenschaftlichen Akademien und Universitäten in jenem Fortlauf. Folgt man Krzysztof Pomian, so beginnen Museen als Stätten öffentlicher Sammlungen erst im späten 15. Jahrhundert Italiens; davor gab es Privatsammlungen und »Sammlungen lediglich in Form von Schätzen, die in den Zentren der weltlichen oder geistigen Macht angehäuft wurden« (Pomian 1994: 112). Nicht zufällig ist Mnemosyne, griechische Göttin der Erinnerung und Mutter aller Musen, auch die Göttin des Museums. Die ersten Erinnerungsräume,

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den Musen gewidmet, waren allerdings nur bedingt öffentlich: Königliche und fürstliche Kunst- und Wunderkammern und die Sammlungs- und Studierzimmer der Renaissancegelehrten standen nur wenigen Ausgewählten offen. Und doch war die Öffnung wesentlich, denn nur so konnten die einen ihre Schätze bewundern lassen, die anderen den wissenschaftlichen Diskurs vorantreiben. Gesammelt wurde alles, und alles kam durch den beginnenden Welthandel und tatendurstige Expeditionen zusammen. Bestanden in den Kunst- und Wunderkammern die Sammlungen eher aus zufällig zusammengetragenen und oftmals kuriosen Gegenständen und Tieren, so systematisierte Carl von Linnés Systema naturae 1735 nicht nur die Biologie, sondern auch die Sammeltätigkeit der Betreiber von Museen. Als am Ende des 18. Jahrhunderts Linnés System der Einteilung aller Tiere und Pflanzen in eine hierarchische Folge von Arten, Gattungen, Ordnungen und Klassen allgemein akzeptiert war, wurden bestehende Sammlungen weltweit neu geordnet. Auf diese Weise fielen »Lücken« in den Sammlungen auf, die gezielt durch Beibringung fehlender Exemplare zu schließen waren. Folglich wurden vermehrt Leute gesucht, die erstens mit Mut und zweitens mit Fachkenntnis die Länder der Welt durchstreiften, um Pflanzen, Tiere und Steine heimzubringen: Das Zeitalter der Forschungsreisenden brach an. Finanziert wurden diese Reisen entweder von Wissenschaftlichen Gesellschaften, die sich nun in fast allen europäischen Ländern gründeten, von Herrschern, die Museen betrieben, oder von den Forschern selbst. Neben Geld war aber auch der Ruhm nicht zu verachten, den eine gelungene Expedition ihrem Leiter einbrachte. Und schließlich stachelte sicher auch die von Linné eingeführte »binäre Nomenklatur« den Ehrgeiz der Forscher an: Alle Pflanzen und Tiere haben zwei lateinische Namen; der erste ist der Gattungsname, der zweite der Artname. Der Erstbeschreiber einer neuen Pflanzenoder Tierart darf den Artnamen nun selbst festlegen. Ist sogar die Gattung neu, darf auch der erste Name (= Gattungsname) vom Erstbeschreiber frei gewählt werden. Und da ferner festgelegt ist, dass der wissenschaftliche Erstbeschreiber seinen Nachnamen an den Artnamen anfügen muss/darf, ergeben sich alle Formen der Ehrungen: Sind Erstbeschreiber und Entdecker nicht identisch – ein in jener Zeit häufiger Fall, da die Forschungsreisenden auch Pflanzen und Tiere heimbrachten, für deren botanische oder zoologische Gruppe sie keine Spezialisten waren –, so benannte der Erstbeschreiber die Art oft zu Ehren des Entdeckers nach dessen Namen. Waren Entdecker und Erstbeschreiber identisch, widmeten sie die Art/Gattung gerne einer nahestehenden oder wichtigen Person; ihr eigener Name steht ja sowieso für immer hinter dem Artnamen. Sei es, wie es sei, es waren genug wissenschaftliche und unwissenschaftliche Anreize für große Forschungsreisen gegeben. An wissenschaftlichen Forschungsreisenden sind kurz zu nennen: Carl von Linné, der mit seiner Lappländischen Reise 1732 den Reigen der For-

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schungsreisen gleichsam eröffnete (von Linné 1991), über Joseph Banks, der auf seinen Reisen nach Nordamerika 1766, der Weltreise mit Kapitän Cook 1768 bis 1771 und nach Island 1772 vorwiegend Pflanzen sammelte (Lack 1985), Alexander von Humboldt, dessen beide Reisen nach (Süd-)Amerika von 1799 bis 1804 und Sibirien 1829 noch heute als Meilensteine gelten (Meyer-Abich 1983), Adelbert von Chamisso, der auf seiner Weltreise 1815 bis 1818 das Phänomen des Generationswechsels bei Salpen entdeckte (von Chamisso 1983), bis zu Charles Darwin, dessen umfangreiche Funde auf der Weltumseglung 1831 bis 1836 maßgeblich zur Entwicklung seiner Theorie über die Entstehung der Arten beigetragen haben (Moorehead 1982). Natürlich waren auch Frauen als Forschungsreisende unterwegs. Ihre Zahl war zwar wesentlich geringer, aber in puncto Ehrgeiz und Ausbeute standen sie den männlichen Kollegen in nichts nach. Erinnert sei nur an Mary Kingsley, die zwischen 1893 und 1895 zweimal ausführlich Westafrika bereiste. Weil sie Skrupel hatte, größere Tiere zu töten und es auch nicht für »ladylike« hielt, »Dinge mit dem Gewehr zu schießen« (Lloyd 1985: 137), brachte sie eine große Zahl kleinerer Reptilien, Fische, Muscheln, Insekten und Pflanzen mit, darunter viele für die Wissenschaft neue Arten. Fächertaube Goura victoria, Neuguinea.

Sammlungen des Übersee-Museums Bremen. Foto: Gabriele Warnke.

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Mit dem Ende des 19. Jahrhunderts nimmt die Zahl der Forschungsreisenden ab. Mag es dafür viele Gründe geben, so ist zumindest ein Grund naturwissenschaftlichen Ursprungs: Mit der Veröffentlichung seiner Theorie über die Entstehung der Arten 1859 sorgte Darwin nicht nur für eine langanhaltende Diskussion in Wissenschaft, Kirche und Bevölkerung, sondern letztendlich auch für ein Ende des Forschungsreise-Booms: Die Akzeptanz des Evolutionsgedankens beinhaltet die Erkenntnis, dass der Traum vom vollständig ersammelten Set der Tier- und Pflanzenwelt gar nicht gelingen kann, da es ständig zu Veränderungen kommt. Konsequenterweise erblickten zwei neue Zweige der Biologie in der Folgezeit das Licht der Wissenschaft, die sich stärker am lebenden Tier orientieren als am toten: die Ökologie und die Verhaltensforschung. Soviel zur Historie – ich komme nun zum heutigen Naturkundemuseum: Natürlich gilt auch hier zunächst die Museumsdefinition des Internationalen Museumsrats (ICOM), wie sie sich mit anderen Worten ja auch im Papier des Bundesverbandes Museumspädagogik vom April 2004 wiederfindet: »Ein Museum ist eine gemeinnützige, ständige, der Öffentlichkeit zugängliche Einrichtung im Dienste der Gesellschaft und ihrer Entwicklung, die zu Studien-, Bildungs- und Unterhaltungszwecken materielle Zeugnisse von Menschen und ihrer Umwelt beschafft, bewahrt, erforscht, bekannt macht und ausstellt.« (ICOM 2004: 1) Im »Code of Ethics« von ICOM stehen dann nähere Ausführungsbestimmungen, z.B. speziell zum Thema »Feldstudien und Aufsammlungen«: Museen sollten bei den Bemühungen, der Zerstörung natürlicher, archäologischer, ethnographischer, historischer und künstlerischer Ressourcen weltweit Einhalt zu gebieten, eine führende Rolle spielen. Sie sollen Richtlinien entwickeln, die es ihnen ermöglichen, ihre Sammlungsaktivitäten im Einklang mit nationalen und internationalen Gesetzen und Abkommen durchzuführen, und sicherstellen, dass sich ihre Vorgehensweise mit dem Geist und den Absichten nationaler und internationaler Bemühungen deckt, das kulturelle und natürliche Erbe zu schützen und zu fördern. Feldforschungen, Aufsammlungen und Ausgrabungen dürfen nur in Übereinstimmung mit den Gesetzen und Bestimmungen des Gastlandes durchgeführt werden. Vor der Planung von Feldstudien und Aufsammlungen müssen Untersuchungen vorgenommen und bekannt gemacht werden. Zuständige Behörden und interessierte Museen im Gastland oder der Region sind zu konsultieren. Diese Konsultationen dienen der Überprüfung, ob die geplanten Aktivitäten legal und aus akademisch-wissenschaftlicher Sicht gerechtfertigt sind. Dabei sollte auch vereinbart werden, dass den zuständigen Behörden des Gastlandes die erlangten Informationen und Forschungsergebnisse mitgeteilt werden. Bei der Durchführung jedes Feldforschungsprogramms muss sichergestellt sein, dass alle an der Sammlung von Exemplaren und Daten Beteiligten

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legal und verantwortlich handeln und dass sie unethisches, illegales und zerstörerisches Vorgehen mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zu verhindern suchen. Wenn es bei der Arbeit im Gelände um ein bestehendes Gemeinwesen oder dessen Erbe geht, sollten Erwerbungen nur im gegenseitigen Einverständnis erfolgen und weder Eigentümerin oder Eigentümer noch Gewährsleute ausgenützt werden. Es ist überaus wichtig und erfordert größtes Fingerspitzengefühl, den Wertvorstellungen und Bedürfnissen der beteiligten Gemeinschaft mit Respekt zu begegnen. (ICOM 2003: 9) Diesen ethisch wie verfahrenstechnisch recht komplexen Ideen liefen die Sammlungsbemühungen der von mir im Vortragstitel genannten Persönlichkeiten zumeist zuwider. Bei Walter Benjamin, Vladimir Nabokov und Hermann Hesse, um nur drei prominente Beispiele zu nennen, stand schlichtweg die Begeisterung am Anfang des – in diesen drei Fällen – Schmetterlingssammelns. Benjamin sieht im Nachhinein sein Tun eher kritisch: Es begann die alte Jägersatzung zwischen uns zu herrschen: je mehr ich selbst in allen Fibern mich dem Tier anschmiegte, je falterhafter ich im Innern wurde, desto mehr nahm dieser Schmetterling in Tun und Lassen die Farbe menschlicher Entschließung an, und endlich war es, als ob sein Fang der Preis sei, um den einzig ich meines Menschendaseins wieder habhaft werden könne. Doch wenn es dann vollbracht war, wurde es ein mühevoller Weg, bis ich vom Schauplatz meines Jagdglücks an das Lager vorgedrungen war, wo Äther, Watte, Nadeln mit bunten Köpfen und Pinzetten in der Botanisiertrommel zum Vorschein kamen. Und wie lag das Revier in meinem Rücken! Gräser waren geknickt, Blumen zertreten worden; der Jagende selber hatte als Dreingabe den eigenen Körper seinem Kescher nachgeworfen; und über soviel Zerstörung, Plumpheit und Gewalt hielt zitternd und dennoch voller Anmut sich in einer Falte des Netzes der erschrockene Schmetterling. Auf diesem mühevollen Weg ging der Geist des Todgeweihten in den Jäger ein. Die fremde Sprache, in welcher dieser Falter und die Blüten vor seinen Augen sich verständigt hatten – nun hatte er einige Gesetze ihr abgewonnen. Seine Mordlust war geringer, seine Zuversicht um so viel größer geworden. (Benjamin 1966: 27)

Hermann Hesse, 1946 Nobelpreisträger für Literatur, behält sein schwärmerisches Gefühl bei; er sammelte noch als 40-Jähriger mit Begeisterung Schmetterlinge: Ich weiß noch, wie sehr ich als junger Mensch mir wünschte, einmal einen gewissen Schmetterling zu sehen, der nach Angaben der Bücher im Monat Mai in Andalusien fliegen soll. Und als ich da und dort bei Freunden und in Museen manche von den großen Prachtfaltern aus den Tropen zu sehen bekam, habe ich jedes Mal etwas von dem unsäglichen Entzücken der Kindheit wieder in mir zucken fühlen, etwas von dem atemberaubenden Entzücken, das ich z.B. als Knabe beim ersten Anblick des Falters Apollo

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Udo Liebelt, Folker Metzger (Hg.) Vom Geist der Dinge empfunden hatte. Und zugleich mit diesem Entzücken, das auch Wehmut enthält, tat ich beim Anblick solcher Wunderfalter oft auch mitten aus meinem gar nicht immer dichterischen Leben jenen Schritt in das Goethesche Erstaunen hinein und erlebte einen Augenblick der Bezauberung, der Andacht und Frömmigkeit. (Hesse 1935: 16).

»Schwarzer Peter«, Spielkarte.

Foto: Autor. Mit freundlicher Genehmigung des LWL, Münster.

1935, also fast 60-jährig, rechtfertigt Hesse sein Tun mit folgenden Sätzen: Und zugunsten der Schmetterlingssammler, der Buben wie der Alten, sei noch ein Weiteres gesagt. Dass die Sammler Falter töten, sie auf Nadeln spießen und präparieren, um sie möglichst schön und möglichst haltbar aufbewahren zu können, das wird seit der Zeit J.J. Rousseaus häufig mit sentimentaler Gebärde als rohe Grausamkeit bezeichnet, und die Literatur zwischen 1750 und 1850 kennt außerdem als komische Pedantenfigur den Mann, der die Falter nur tot und auf Nadeln gespießt genießen und bewundern kann. Das war schon damals zum Teil Unsinn und ist es heute beinahe ganz. Natürlich gibt es, bei den Buben wie bei den Großen, jene Art von Sammlern, welche niemals soweit kommen, die Falter am liebsten in Ruhe zu lassen und sie lebendig in ihrer Freiheit zu belauschen. Aber selbst noch die roheren unter den Faltersammlern tragen dazu bei, daß man die Falter nicht vergißt, daß sich da und dort in manchem Bezirk ihre alten, wunderbaren Namen erhalten, und sie tragen je und je

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auch dazu bei, daß die lieben Schmetterlinge überhaupt noch bei uns vorhanden sind. Denn so wie die Freude an der Jagd am Ende überall dahin führt, daß man nicht bloß das Jagen, sondern nicht minder das Hegen lernen und üben muß, so haben die Falterjäger natürlich als Erste erkannt, wie mit dem Ausrotten mancher Pflanzenarten (z.B. der Brennessel) und mit anderen gewaltsamen Eingriffen in den Naturhaushalt einer Gegend der Bestand an Faltern rasch ärmer wird und verkommt. Und zwar nicht so, daß es dann etwa weniger Kohlweißlinge und andere Feinde der Bauern und Gärtner gäbe, sondern es sind die edleren, selteneren und schönsten Arten, die unterliegen und verschwinden, wenn irgendwo in einer Landschaft die Menschen zu heftig ins Organisieren geraten. Der rechte Falterfreund behandelt nicht nur Raupe, Puppe und Eier mit Schonung, er tut auch, was er kann, um in seinem Umkreis möglichst vielerlei Faltern das Leben zu ermöglichen. Ich habe selber, obwohl ich seit vielen Jahren kein Sammler mehr bin, schon gelegentlich Brennesseln gepflanzt. (Hesse 1935: 14)

Regelrecht wissenschaftlich hat Vladimir Nabokov Schmetterlinge gesammelt. Er dichtete 1943, als er immerhin als Autodidakt Kurator für Schmetterlinge am Museum of Comparative Zoology at Harvard University in Cambridge, MA war: Ich fing einen Schmetterling und gab ihm einen Namen, versiert im Latein der Taxonomie, so wurde ich Pate und Erstbeschreiber eines Insekts – und mehr Ruhm wollte ich nie. Mit weit geöffneten Flügeln auf seiner Nadel (fast so, als ob er schlief’) und geschützt vor seinen krabbelnden Verwandten und Rost in dem abgeschiedenen Bollwerk, in dem wir Typenmaterial aufbewahren, wird er selbst den ew’gen Staub überdauern. Dunkle Bilder, Throne und Steine, von Pilgern geküsst, Poeme, die 1000 Jahre nicht vergessen werden, sie alle äffen nur die Unsterblichkeit dieses roten Etiketts nach an diesem kleinen Schmetterling. (Nabokov 1943: 273)

Und 1973 schreibt er: Offen gesagt, ich habe nie an eine Karriere als Schriftsteller gedacht. Schreiben war für mich immer eine Mischung aus Niedergeschlagenheit und Fröhlichkeit, aus Marter und Belustigung – aber ich habe nie erwartet, davon leben zu können. Andererseits habe

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Udo Liebelt, Folker Metzger (Hg.) Vom Geist der Dinge ich oft geträumt von einer langen und wunderbaren Karriere als unbekannter Kurator für Schmetterlinge in einem großen Museum. (Nabokov 1973a: 3)

Nabokovs Naturbegeisterung fand auch ihren Niederschlag in seinen Initialen VN, die er gerne in »Visible Nature« auflöste (Nabokov 1973b: 31). Zur Bedeutung naturwissenschaftlichen Sammelns Diese berühmten Vorbilder mögen belegen, dass auch Feingeister wie Literaten am wissenschaftlichen Sammeln Feuer fangen können, und somit mögen sie einem Teil der Gesellschaft als Vermittler des wissenschaftlichen Sammelns valide erscheinen. Eine andere Validität bezieht sich auf den Wert naturwissenschaftlicher Sammlungen für die Gesellschaft. Gerade in den letzten Jahren wurden vor allem Taxonomen und Systematiker weltweit nicht müde, die Sammlungen der Naturkundemuseen in einen direkten Zusammenhang mit gesellschaftlichem Nutzen zu stellen. Beispiele für diesen Nutzen gibt es viele, hier nur eine kleine Auswahl: Aus der afrikanischen Lianenart Ancistrocladus korupensis lässt sich ein hochwirksames Mittel gegen AIDS gewinnen; allerdings kannten die Pharmakologen nicht die Unterschiede zwischen dieser recht seltenen Art und der viel häufigeren Art A. abbreviatus, die aber diesen Wirkstoff nicht enthält. Erst Taxonomen gelang es, die feinen Unterschiede zwischen den beiden Lianenarten herauszuarbeiten und gezielt nach der wirkstoffhaltigen zu suchen. Außerdem konnte ein Test entwickelt werden, der an Herbarmaterial zeigt, welche anderen Arten der Gattung Ancistrocladus noch wirkstoffhaltig sind. Und da Sammlungsmaterial immer gut datiert ist, wusste man dann auch, wo diese Arten wachsen. Ein ähnlich hoher Wert kommt den weltweiten Sammlungen bei den aktuellen Bekämpfungen der Rosskastanien-Miniermotte in Europa, der Pfeilkresse in Nordamerika und der Schwarzen Witwe in Japan zu. Da auch bei der Erkennung und Bekämpfung von Viren wie Grippeviren, dem West-Nil-Virus und dem Hantavirus, der eine tödliche Form der Lungenentzündung auslöst, Museumssammlungen wichtige Vergleiche und Kenntnisse über Infektionspfade erlauben, scheint vielen Kollegen eine Vermittlung der Notwendigkeit naturwissenschaftlichen Sammelns über diesen Weg der verlockendste. Ich will das nicht in Abrede stellen, aber persönlich wende ich mich gegen eine solche Form der »Apotheken-Biologie«. Da halte ich es eher mit dem französischen Ornithologen Jean Dorst, der schrieb: Die Natur wird nur erhalten werden, wenn der Mensch sie ein wenig liebt, einfach weil sie schön ist,

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und weil wir Schönheit brauchen, in welcher Form auch immer, für die wir als Ergebnis unserer Kultur und intellektuellen Bildung empfindsam sind. Dies ist in der Tat ein integraler Teil der menschlichen Seele. (Dorst 1966: 122). Ähnlich schwierig ist es mit der politischen Vermittlung. Seit der 1992 in Rio de Janeiro beschlossenen »Agenda Systematik 2000 – Erschließung der Biosphäre« kommen auf die Unterzeichner-Staaten große Aufgaben zu wie: • die Bestandsaufnahme und Beschreibung der Artenvielfalt des Planeten Erde, • das systematische Ordnen dieser Vielfalt, • der Aufbau eines internationalen Informationsnetzwerks. Diese Aufgaben sind ohne naturwissenschaftliche Sammlungen gar nicht zu lösen und sie erfordern auch ein aktives Weitersammeln. Dasselbe gilt für wissenschaftliche Fragestellungen, die auch oft ohne pflanzliche und tierische Aufsammlungen nicht zu klären wären: So ist ein Teil der Sammlungen ständig auf Reisen, weil Forscher aus aller Welt bestimmte Fragestellungen lösen möchten, z.B. das Artengefüge im venezuelanischen Regenwald um 1900. Da sind dann z.B. Alkoholsammlungen von Reptilien wichtig, weil sie das ganze Tier inklusive Magen-Darm-Trakt konservieren und somit nicht nur die Reptilienfauna, sondern auch die Beutefauna des 19. Jh. widerspiegeln und so Aussagen über Faunenveränderungen erlauben. Auch hier gilt, was der Soziologe Niklas Luhmann sagte: »Wahrheiten sind Erschöpfungszustände der Wissenschaft.« (Luhmann 2001: 3) Denn Wissenschaft nährt sich zu einem großen Teil aus Kritik: Jede Einsicht, jede Aussage ist infrage zu stellen, auch solche, die lange als wahr galt. Moderne Wissenschaft weiß um die Vorläufigkeit ihrer Aussagen und den bloßen Annäherungscharakter allen Wissens. Das unterscheidet wissenschaftliches Wissen vom Alltagswissen, dessen Wahrheitsaussagen über die Realität der Welt selten hinterfragt werden. Aber wir brauchen die Ansprüche gar nicht so hoch zu hängen. Schon die scheinbar banale Frage, was wir eigentlich unter »Natur« verstehen, zeigt Naturkundemuseen und ihre Sammlungen als unverzichtbaren Trittstein: Ist es das Alpenveilchen auf der Fensterbank meiner Großmutter oder sind es nur die immerhin noch 46% »Wildnis«, die wir heute weltweit noch haben, weil die Flächen mindestens 10.000 qkm groß sind und von nur max. 4 Menschen pro qkm bewohnt werden? Kontinuierlich geführte Sammlungen weisen hier sehr schön die Dynamik der Organismen auf, wie Artenzu- und -abgänge, Veränderungen in den Populationszusammensetzungen und Individuenzahlen. Und auch die Frage, ob das einsame Alpenveilchen auf der Fensterbank

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»Natur« sei, ist durch Sammlungen bejaht, denn in den Herbarien dieser Welt liegen Einzelpflanzen aus aller Welt wie z.B. Alpenveilchen und zeigen auf »Ich bin ein Naturobjekt«. Die eigentliche Frage nach der »Natur« ist doch diese: Was für ein Bild von der Natur wollen wir haben? Ist es die leidende, die intakte, die selbstheilende, die omnipotente, die erforschte, die funktionalisierte, die wilde, die rätselhafte, die utopische, die unterdrückte, die zurückschlagende, die menschliche, die Mutter Natur? Hier geben Sammlungen eine eher dialektische Antwort: Natürlich verbinden wir nicht das Bild einer systematisch geordneten Natur mit unserem Bild von Natur, aber erst die Systematik der Sammlungen erlaubt uns ein Bild zu entwerfen, das uns mit dem »Hineingeworfensein in diese Welt« versöhnt und uns als Teil der Natur begreifen lässt, unabhängig davon, wie nahe wir Natur noch an uns heranlassen oder wie eng unser Bezug zu ihr ist. Warum lachen Schlachtschweine eigentlich immer?

Foto: Autor. Mit freundlicher Genehmigung des LWL, Münster.

Vom Töten und seinem respektvollen Vermitteln Bevor ich zum dritten Teil meiner Ausführungen komme, berühre ich explizit die Frage nach dem Tod und dem Töten: Sammlungen sind Orte des respektvollen Todes. Viele Lebewesen bringt der Mensch weitaus respektloser, weil zufällig oder aus Unwissenheit ums Leben. Wer weiß schon, dass die Hefe,

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die wir für den Pizzateig oder Pflaumenkuchen brauchen, ein Lebewesen ist? Dass wir unzählige Lebewesen durch Einatmen oder beim Trinken töten? Ganz zu schweigen von der großen Zahl der Insekten, die wir entweder als Plagegeister erschlagen oder bei einer nächtlichen Autofahrt an der Windschutzscheibe zerschmettern. Natürlich hat der Mensch das Recht, sein Leben respektvoll zu gestalten. Zu diesem Respekt gehört auch, sich zu freuen, wenn Lebewesen wie Polioviren oder Pestbakterien eines Tages besiegt sein werden. Auch Konkurrenten wie Museumskäfer, Motten und Mäuse darf er töten, wenn er es für geboten hält. »Waschbärenfelle«, Wandinstallation, Birke, 1990.

Foto: Conny Siemsen. Mit freundlicher Genehmigung der Galerie Rottloff, Karlsruhe.

Ich glaube nicht, dass Konrad Lorenz Recht hat, wenn er in seinem 1963 erschienenen Buch »Das sogenannte Böse« postuliert, dass unsere Tötungshemmung um so größer sei, je näher der Organismus mit uns verwandt erscheine. Lorenz baut eine Reihe von der Salatpflanze bis zum Schimpansen auf und nimmt an, dass es uns immer schwerer falle, das Lebewesen zu töten, je höher es in der Reihe steht. Aber die Geschichte funktioniert anders, denn Lorenz lässt den Respekt weg. Erinnern Sie sich? In dem eingangs von mir erwähnten »Code of Ethics« war von »Respekt« beim Aufbau der Sammlungen die Rede, und ich töte weder eine Salatpflanze noch einen Schimpansen, wenn es keinen respektablen Grund gibt. Deshalb bin ich auch kein uneingeschränkter Gegner von Tierversuchen, weil ich sehr wohl davon ausgehe, dass es respektvolle Gründe kranken Mitmenschen gegenüber gibt, bestimmte Tierversuche zuzulassen. Deshalb wird im letzten Teil meines Beitrags der Begriff »Respekt« im Vordergrund stehen, wenn ich von museumspädagogischen Aktionen berichte, die Kollegen oder ich selbst in Naturkundemuseen durchgeführt haben bzw. durchführen.

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Bielefelder Bachtage: Wir haben mit Kindern zwischen 10 und 15 Jahren Tiere im Bach beobachtet, gefangen, z.T. lebend mitgenommen, z.T. nach Diskussion in 70% Äthanol überführt und im Museum unter dem Binokular untersucht und gezeichnet. Hinterher wurde im Museum ein Bach mit der kleinräumigen Verteilung der diversen Arten gemalt; die lebenden Tiere kamen wieder in ihren Biotop. Alles in sehr ruhiger, respektvoller Atmosphäre. Ähnliches in Berlin: Dort geht ein Kollege mit Schulkindern raus und fängt mit ihnen Wasserinsekten und Krebse, die sie dann im Museum mit den Sammlungen vergleichen. Auch hier ist die Stimmung getragen von kindlicher Neugier und respektvoller Spannung. Im Schaumagazin ÜbermaxX in Bremen: Kinder und Jugendliche lernen zu kategorisieren/systematisieren: Wir bringen verschiedene Organismen mit, die die Lernenden nach eigenen Kriterien einteilen sollen, z.B. wählen sie Farbe, Größe oder Form. Dann kommt es zum Abgleich mit den dortigen Sammlungen und zur Diskussion über die unterschiedlichen Kategorisierungen. Hier ist es vor allem wichtig, Respekt vor anderen Kategorisierungen zu haben, denn alle Menschen und Ethnien dieser Welt nehmen gültige Kategorisierungen vor. Schloss Schönebeck in Bremen-Nord, Projekt »Außerirdische«: Diese haben eine Panne, müssen hier notlanden und versuchen behutsam, weil latent ängstlich, einiges auf ihren Planeten mitzunehmen, um den anderen zeigen zu können, wo sie waren und wie es dort aussah. Übrigens: Würde solch ein Raumschiff, statistisch gesehen, in den Ozean eintauchen, bis in 3500 Meter Tiefe, bei 0˚ C Kälte und im Dauerdunkel – dem Durchschnittslebensraum unserer Erde. Wenn diese Außerirdischen wieder zu ihrem Heimatplaneten zurückkehrten, würden sie den Planeten Erde als lebensfeindlich und unwirtlich bezeichnen. Zum Glück wissen wir es besser. Literatur Benjamin, Walter (1966): »Schmetterlingsjagd«. In: Walter Benjamin, Berliner Kindheit um Neunzehnhundert, Frankfurt a.M., S. 26-29. Bundesverband Museumspädagogik e.V. (2004): Zum Bildungsauftrag der Museen. Stellungnahme des Bundesverbandes Museumspädagogik e.V., München. Darwin, Charles (1859): On the Origin of Species by means of Natural Selection, or the preservation of favoured races in the struggle for life, London. Dorst, Jean (1966): Natur in Gefahr. Vom biologischen Gleichgewicht und dessen Erhaltung, Zürich. Hesse, Hermann (1935): »Über Schmetterlinge«. In: Hermann Hesse, Schmetterlinge, (1979), Frankfurt a.M., S. 9-19.

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ICOM (2003): Ethische Richtlinien für Museen (Code of Ethics for Museums), Berlin, Wien, Zürich: ICOM-Deutschland, ICOM-Österreich, ICOM-Schweiz. ICOM (2004): »The ICOM definition of the museum, in its official translation in German language«. In: ICOM NEWS 2, S. 1. Lack, Eva (1985): Die Abenteuer des Sir Joseph Banks, Wien. Lloyd, Clare (1985): The travelling naturalists, London. Lorenz, Konrad (1963): Das sogenannte Böse. Zur Naturgeschichte der Aggression, Wien. Luhmann, Niklas (2001): o.T. In: Unterricht Biologie 25, S. 3. Meyer-Abich, Adolf (1983): Alexander von Humboldt, Reinbek. Moorehead, Alan (1982): Darwins große Reise, Köln. Nabokov, Vladimir (1943): »A Discovery«. In: Brian Boyd/Robert Michael Pyle (Hg.), Nabokov’s Butterflies, (2000), London, S. 273-274. Nabokov, Vladimir (1973a): »Strong Opinions«. In: Kurt Johnson/Steve Coates, Nabokov’s Blues. The Scientific Odyssey of a Literary Genius, (1999), Cambridge/MA, S. 3. Nabokov, Vladimir (1973b): »Strong Opinions«. In: Brian Boyd/Robert Pyle (eds), Nabokov’s Butterflies, (2000), London, S. 31. Pomian, Krzysztof (1994): »Das Museum: die Quintessenz Europas«. In: Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland GmbH (Hg.), Wunderkammer des Abendlandes. Museum und Sammlung im Spiegel der Zeit, S. 112-118. von Chamisso, Adelbert (1983): Und lassen gelten, was ich beobachtet habe. Ruth Schneebeli-Graf (Hg.), Berlin. von Linné, Carl (1735): Systema naturae sive regna tria naturae. Systematice proposita per classes, ordines, genera, & species, Leiden. von Linné, Carl (1991): Lappländische Reise und andere Schriften. Leipzig. Weitere Literatur Foucault, Michael (1974): Die Ordnung der Dinge, Frankfurt a.M. Hoerster, Norbert (2004): Haben Tiere eine Würde? Grundfragen der Tierethik, München. Landschaftsverband Westfalen-Lippe (1996): Tiertod – Wirklichkeiten und Mythen, Münster. Thomas, Keith (1983): Man and the Natural World. A History of the Modern Sensibility, New York.

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Technik im Museum – zwischen Faszination und Verantwortung

Michael Matthes Mit den Begriffen Faszination und Verantwortung sind zwei völlig unterschiedliche Reaktionen auf und gegenüber dem Menschen und seiner Umwelt angesprochen. In technischen Museen sind dennoch beide Begriffe eng miteinander verbunden. Viele Veranstalter beziehen Faszination und Verantwortung vor allem auf die Objekte. Sie sollen öffentliche Aufmerksamkeit erzielen und für die Besucher einen hohen Unterhaltungswert besitzen. Sie sollen aber auch in ihrem überlieferten Zustand für zukünftige Generationen erhalten bleiben. Der Museumspädagogik geht es um die Wirkung technischer Objekte für die Initiierung von Bildungsund Erziehungsprozessen. Ist Faszination Ausgangspunkt einer Beschäftigung mit technischen Gegenständen – sie ist dem philosophischen Staunen sehr nahe –, so ist die Bereitschaft zur Übernahme von Verantwortung für das eigene Handeln Ziel aller pädagogischen Anstrengungen. Sie richten sich – wenn auch auf unterschiedliche Weise – an Lehrer, Schüler und Studenten, aber auch an Wissenschaftler, Ingenieure, Produzenten, Manager, Verkäufer, Politiker und Konsumenten. Für sie alle kann das Technikmuseum Beispiele liefern zur Orientierung an gelungenen wie an gescheiterten technischen Lösungen in unterschiedlichen Problemsituationen und Lebensbereichen. Technik und Verantwortung Eine ethische Begründung für technisches Handeln führt vielfach ins Feld: Befreiung des Menschen von äußeren Zwängen, Beseitigung aller naturhaften Einschränkungen, allgemeine Verfügbarkeit über Energie, grenzenlose Kommunikation, Hilfe bei der Überwindung von Krankheiten, Steigerung der Mobilität von Menschen und Waren. Doch alles, was wir mit Hilfe von Technik erreichen, hat auch seine Kehrseiten. Jede Erweiterung unserer technischen Möglichkeiten ist verbunden mit neuen Abhängigkeiten und verallgemeinerten Gefährdungen. Rechtfertigt ihre Weiterentwicklung die Einschränkungen des Einzelnen oder einzelner Gruppen? Welches Leben garantiert die Gentechnologie für wen? Technik ist uns nicht nur als Vermögen gegeben, Technik ist uns auch als Problem aufgegeben. Was aber leisten Technikmuseen für ein besseres Verständnis und damit für einen verantwortlichen Umgang mit Technik und ihren zukünftigen Möglichkeiten?

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Um überhaupt verantwortlich handeln zu können, muss der Mensch zuerst über seine eigene Autonomie, über seine Entscheidungsmöglichkeiten aufgeklärt werden. Eine solche Aufklärung kann allerdings nur dort erfolgen, wo der Einzelne sich auch als eigenständige Person erfährt. Das Museum ist ein solcher Ort. Jedes Technikmuseum kann nicht nur über die technischen Dinge aufklären, die es zeigt, es kann auch über die Menschen aufklären, die neue Techniken entwickelt und angewendet haben. Es sollte aber auch über die Menschen aufklären, die Techniken erdulden müssen. In der Konfrontation mit dem, was Menschen erschaffen, genutzt und erduldet haben, klärt es dann auch den Besucher über sich selbst auf, insoweit er sich in dem, was er sieht, wiedererkennen kann. Es ist eine besondere Kunst der Museumspädagogik, Situationen zu schaffen, in denen die Herstellung von Selbstbezügen möglich wird. Und darin besteht das Besondere in der Auseinandersetzung mit Technik: Technische Produkte verkörpern einen Grad an Allgemeingültigkeit, der unabhängig von Alter und Kultur alle Menschen einschließt. Über Technik und Kunst verfügen wir von Natur aus. Technisches Handeln ist unabhängig von Alter, Geschlecht und Kulturzugehörigkeit – nicht aber die jeweiligen Vorlieben für bestimmte Techniken. Technikmuseen zeigen in der Anordnung ihrer Objekte das allgemein Gültige an der jeweiligen Technik. Das Besondere erkennt der Museumsbesucher für sich in der Auseinandersetzung mit den einzelnen Gegenständen. Obwohl alle das Gleiche sehen, nehmen sie dennoch Unterschiedliches wahr. Zwischen Theorie und Praxis Welches Wissen aber ist notwendig, um Einsicht und Klarheit über Technik in Verbindung mit richtigem Handeln zu gewinnen? Das Leben im Zustand höchster Einsicht wäre göttlich. Wir können nicht erwarten, dass wir aufgrund der Erfordernisse unseres praktischen Handelns zu vollständigem Wissen gelangen. An die Stelle absoluten Wissens treten Lebenserfahrungen, empirische Kenntnisse und Verantwortung für das eigene und das Leben anderer. Die Praxis gehört zum menschlichen Leben. In ihr kommen sowohl die Bezüge zur Wirklichkeit in ihrer Selbständigkeit und Unverfügbarkeit als auch die Bezüge zur Wirklichkeit in ihrer Verfügbarkeit und gewollten Veränderung zur Geltung.1 Jeder Einsatz von Technik ist gebunden an Erfahrungen, Kenntnisse und Vorstellungen, an Interessen und Bedürfnissen. In der Technik- und Wissenschaftsgeschichte stoßen wir immer wieder auf individuelle wie gesellschaft-

1 Zwei entgegengesetzte Beispiele: Naturschutz und Kohletagebau.

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liche Anforderungen, aber auch auf kulturelle Leitbilder als Determinanten wissenschaftlich-technischer Entwicklungen.2 Doch als solche tauchen sie im öffentlichen Bewusstsein nur selten auf. Immer mehr Menschen erscheint Technik als eine über sie hinausgehende Macht, der sie sich ausgeliefert fühlen. Und tatsächlich ist das, was heute und in Zukunft ihre Praxis vor allem bestimmt, weniger an ihren eigenen praktischen Erfahrungen und individuellen Bedürfnissen orientiert als vielmehr an theoretischem Wissen und massenmedialer Werbung als Ausdruck kollektiver Bedürfnisse. Der Einfluss der Statistik auf unser alltägliches Leben und der Umgang mit Formeln, Modellen und Regeln ist offensichtlich.3 Wir gehen mit ihnen um, als ob sie natürliche Rohstoffe wären. Theorien beschreiben Wirklichkeiten, abstrakte Bilder verdecken Empfindungen. Wir reden zunehmend über Vorgänge, Abläufe und Ereignisse ohne eigene Erfahrungen. Und dort, wo wir eigene Erfahrungen besitzen, müssen sie sich gegenüber den Medien erst noch behaupten. Das Märchen von »Des Kaisers neue Kleider« beschreibt noch die Mechanismen bewusster Verweigerung eigener Erkenntnisse und Erfahrungen. Was aber ergibt sich erst aus der Unmöglichkeit, überhaupt noch relevante Erfahrungen machen zu können? Die Dominanz der Bilder aufgrund ihrer »technischen Reproduzierbarkeit« und damit beliebigen »Verfügbarkeit« hat uns auch blind gemacht.4 Aber nicht nur die Nutzung von Informationen, auch der Umgang mit Produkten und Energie erfolgt heute weitgehend ohne Wissen um ihre Herstellung und den Folgen aus ihrem Einsatz. Ein Beispiel für den »blinden« Umgang mit Energie ist die Stromnutzung. Für die meisten Menschen kommt der Strom lediglich aus der Steckdose. Für sie ist die Diskussion um die Stromversorgung dann auch keine Frage der eigenen Verantwortung. Verantwortlichkeit verdampft auf der Grundlage der Erfahrung der Folgelosigkeit des eigenen Handelns. Etwas anders verhält es sich noch mit dem Energieträger Öl. Aufgrund der Schwankungen der Preise, die wir täglich an den Zapfsäulen erfahren, werden wir auch mit den Bedingungen der Gewinnung und des »Konsums« von Rohöl konfrontiert. Es kommt eine gewisse Betroffenheit auf,

2 So gehen die Anfänge der Dampfmaschine zurück auf die Lösungsversuche zur Klärung der philosophischen Frage: Gibt es einen leeren Raum? Die Verbreitung der Dampfmaschine dagegen führte zur Lösung des Problems der Wasserhaltung in Bergwerken und in fürstlichen Gärten. In der Reduktion auf die Formulierung: Ich diente nur der Technik führte die Begeisterung über die Eroberung des Weltalls zur Entwicklung der V2. 3 Prognosen bestimmen zunehmend unseren Alltag: Wetterkarten, Staumeldungen, Wahlausgänge. 4 Die weltweite und permanente Versorgung mit Informationen lässt vergessen, wie sie entstehen und wie sie verbreitet werden.

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die sich sogar in moralischen Urteilen ausdrückt, aber nur selten zu moralischem Handeln führt. Größeren Einfluss haben technische Katastrophen. Diese aber bleiben nur für kurze Zeit in unserem Gedächtnis. In ihrer momentanen Wucht fordern sie konkretes Handeln, bis die Bilder ihre Aktualität verloren haben und die Beschreibungen von anderen Beschreibungen abgelöst worden sind. Es ist die Fülle der Ereignisse, die jedes einzelne Ereignis relativiert oder verdrängt. Dagegen muss es für die Gesellschaft einen anerkannten Ort der Vergewisserung und Verständigung geben, der das Mögliche im Guten wie im Schlechten auch als Faktum erhält. Der Rückgriff auf die Geschichte, auf nachvollziehbare, weil in ihren Auswirkungen bekannte Handlungen, aber löst nicht die Probleme der Gegenwart. Der Rückgriff thematisiert ein anderes Verhalten gegenüber dem in der Gegenwart. Mit diesem wird jeder konfrontiert, der sich auf ältere Technik einlässt. In der Betrachtung der Veränderungen und in der Diskussion über die Unterschiede taucht dabei immer auch etwas auf, das die eigenen Erfahrungen und Kenntnisse erhellt. Die Andersartigkeit der Vergangenheit beschreibt auch die Besonderheit der Gegenwart. Faszination als Aufgabe Solange sich unser Wissen und unsere Vorstellungen noch in einem unabgeschlossenen – in einem noch »ungebildeten« und damit im Bild noch nicht eindeutig fixierten – Zustand befindet, d.h. die Folgen aus der Verallgemeinerung unserer Erfahrungen und Kenntnisse noch nicht bekannt sind, werden Entscheidungen im Zustand der Ungewissheit getroffen. Sie hängen um so mehr von den jeweils eigenen Interessen und Zielvorstellungen ab, je weniger das allgemeine Wissen um die Möglichkeiten und Grenzen der Praxis weiß. In dieser Ungewissheit haben Diskussionen über ethische Fragen einen hohen Stellenwert: Heute ist es neben der Nutzung der Kernenergie vor allem die Gentechnik, deren Einsatz mit der Klärung ethischer Fragen eng verbunden ist. Ihre Anwendung hat neue Dimensionen der Verantwortlichkeit unseres technischen Handelns gegenüber uns selbst wie gegenüber unserer Umwelt heraufbeschworen. Diese aber sind im Museum bis heute weder ästhetisch noch »dinglich« fassbar. Das Deutsche Museum in München wie das Deutsche Hygiene-Museum in Dresden versuchen sich daran. Ein Beispiel für eine noch unaufgeklärte Beziehung zwischen einer neuen Technologie, dem gesellschaftlichen Widerstand gegen ihren Einsatz sowie eigenen ethischen Ansprüchen aus der Mitte des 19. Jahrhunderts liefert uns der mecklenburgische Theologe, Arzt und Maschinenbauer Ernst Alban mit seiner Hochdruckdampfmaschine. In seinem gleichnamigen Buch aus dem

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Albans Hochdruckdampfmaschine, wie er sie in seinem Buch »Die Hochdruckdampfmaschine« von 1843 beschrieben hat.

Um seinen Ansprüchen an den Bau von Dampfmaschinen gerecht zu werden, baute er sie in Gestalt eines dorischen Tempels. Foto: MM-Archiv, Berlin.

Jahre 18435 beschreibt er ausführlich alle Besonderheiten seiner Maschine gegenüber den Maschinen seiner Konkurrenten. Sie sollte mehr sein als nur die Summe ihrer Teile. Mit ihr wollte er nicht nur technische, sondern auch kaufmännische, ideelle, ja selbst religiöse Fragen lösen. So gab er in seinem Buch als Argumente für ihre Ausgestaltung an: Immer hat es mich unangenehm berührt, daß Maschinen, die jetzt so ernst in das menschliche Leben eingreifen, einen so edlen Charakter haben, so Großartiges leisten, in leichtfertiger Hülle stehen und wirken zu sehen. Auch in ihrem Äußeren muß sich ihre hohe Bedeutung für den Menschen und sein Wirken ausdrücken. Dieser muß mit Ehrfurcht und Erstaunen ein Kleinod betrachten, durch das der Schöpfer den Fluch: Du sollst im Schweiße Deines Angesichtes Dein Brot essen, huldreich gemildert zu haben scheint. Sein Anblick muß eben so sehr die Dankbarkeit gegen den Schöpfer rege machen, als ihn auffordern, die großen und hehren Mittel, die dieser ihm zur Erleichterung der Last und Mühe des Lebens in die Hand gibt, zweckmäßig zu gebrauchen.6

5 Alban, Ernst (1843): Die Hochdruckdampfmaschine, Richtigstellung ihres Wertes in der Reihe der übrigen Dampfmaschinenssysteme, Vortheile ihrer allgemeineren Anwendung, sowie Vorschläge zu einer zweckmäßigen Construction derselben, um Dämpfe möglichst Brennmaterial ersparend und gefahrlos in ihr benutzen zu können, Rostock und Schwerin. 6 Ebd., S. 344f.

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In den Konstruktionen seiner Maschinen waren, wenigstens für ihn, die Probleme und Ängste seiner Zeitgenossen aufgehoben. Das bewusste Erzeugen von Faszination ist hier auch ein Ausdruck von Verantwortung.7 Wie anders und doch wie ähnlich, wenigstens in Bezug auf unser Thema, ist die Beschreibung des Bergwerks im Deutschen Museum, die Georg Kerschensteiner anlässlich der Eröffnung des Museumsneubaus 1925 vornahm: So oft ich durch die wundervolle Bergbauanlage des Museums gewandert bin und im Kohleschacht jenen Hauer gesehen habe, der, in niederem Gange liegend, mit seiner Haue die Kohlenstücke loslöst, ist mir der tiefste Sinn dieses primitiven und doch so mühevollen Arbeitsprozeßes lebendig geworden. Ich weiß nicht, wie viele Besucher aus dieser Darstellung des Arbeitsprozeßes seine Bedeutung für die Behaglichkeit eines kulturellen Lebens herauslesen und in ein brüderlich dankbares Verhältnis treten zu dem Arbeiter, dessen Puppe den Sinn in mir wachgerufen hat. Aber ich möchte doch gleichwohl dem Schöpfer des Museums dankbar sein, daß er, entgegen jenen, die nichts als Gelehrte und nichts als Techniker sind, und die in jenen Darstellungen wenig mehr als Spielerei sehen, mit feinem pädagogischen Empfinden Hunderte und Aberhunderte solcher Mahner an den letzten Sinn aller Wissenschaft und Technik in verkleinerten Modellen, wie in lebensgroßen Aufmachungen in die oft abstrakte Sprache der Maschinen und Apparate eingeschaltet hat.8

Noch in der neuen Abteilung Datentechnik finden wir solche »Mahner«. Doch im Gegensatz zum Bergwerk sind hier die Puppen ganz in weiß gehalten. Woran gemahnen sie? Drückt sich in beiden »Puppentypen« die Mannigfaltigkeit technischer Kulturarbeit in Bezug auf ihre Auswirkungen auf den Menschen aus? Auch in vielen anderen technischen Museen finden wir Puppen zur Charakterisierung technikgeschichtlicher Situationen. Doch was veranschaulichen sie?

7 Ein Original dieser Maschine befindet sich heute in der Kraftmaschinenhalle des Deutschen Museums in München. Neben den vielen anderen originalen Dampfmaschinen erscheint sie heute allerdings eher originell. In ihrer klassizistischen Hülle ist sie kaum noch als Dampfmaschine zu erkennen. 8 Kerschensteiner, Georg (1933): Bildungsaufgabe. In: VDI (Hg.): Das Deutsche Museum, Berlin, S. 41f.

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Puppen in der Abteilung »Datentechnik« des Deutschen Museums München, Mitte der 80er Jahre.

Stehen die Figurinen für ein durch moderne Technik verändertes Menschenbild? Foto: Archiv Deutsches Museum, München.

Faszination »Fortschritt« Mit seinen Präsentationen der Meisterwerke der Naturwissenschaften und der Technik ist das Deutsche Museum in München bis heute ein Ort der Faszination des technischen Fortschritts. Dieser Fortschritt wird zugleich als allgemeiner gesellschaftlicher Fortschritt gedeutet. Die Demonstration des Erreichten führt zur Demonstration des Notwendigen und des in der Zukunft Möglichen. Das bereits Gemachte wird zum Trost für das »noch nicht Erreichte«. Alle technischen Probleme sind »prinzipiell lösbar«, es kommt lediglich darauf an, die Probleme der Welt als »technische« zu beschreiben. Und Geschichte kann dabei zu einem Mittel der Sinnstiftung werden. Oskar von Miller hatte für die Darstellung in allen Ausstellungsbereichen die chronologische Orientierung gefordert. »In jeder Gruppe musste die Entwicklung des entsprechenden Gebietes von den ersten Anfängen bis zur neuen Zeit dargestellt werden.«9 Diese Technikgeschichte geriet – der Zeit und der damaligen Didaktik entsprechend – zu einer Heroengeschichte, die ihre

9 Miller, Oskar von (1929): Technische Museen als Stätten der Volksbelehrung. Deutsches Museum: Abhandlungen und Berichte, 1, Heft 5, S. 1.

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alles überragende Inszenierung im Ehrensaal des Museums gefunden hat.10 Anlässlich der Eröffnung des Sammlungsbaus schrieb Walter von Dyck über diesen Saal: »Die Denkmale der großen schöpferischen Geister unserer Nation wie ihre in den Sammlungen vor uns ausgebreiteten Werke tragen uns empor und weisen zu Ehrfurcht und Nachfolge uns den Weg: Introite, nam et hic dii sunt. Die Ihr herzueilt, zu schauen und zu lernen, wisset: Auch hier ist heiliges Land.«11 Blick in den »Ehrensaal« des Deutschen Museums, um 1925.

In ihm sollte der großen Entdecker, Erfinder und Forscher in ihrer Bedeutung für die Menschheit und als Vorbilder für die Jugend gedacht werden. Foto: Archiv Deutsches Museum, München.

82 Jahre nach Alban ist die Darstellung des Besonderen und des Allgemeinen von einer einzelnen Dampfmaschine auf ein ganzes Museum übergegangen. Über alle Sozialverträglichkeitszweifel und Umweltbelastungen moderner Technik hinweg ist das Deutsche Museum in München zu einem »Tempel« naturwissenschaftlich-technischen Fortschrittsdenkens geworden. Um neben der Bedeutung des Ortes auch den Wert der einzelnen technischen Gegenstände zu erkennen, übernahm es auch eine selbstdefinierte Bildungsaufgabe. Die Traditionen der Kunstmuseen bestimmten dabei weitgehend das pädagogische Programm: Nicht geistiger Besitz allein macht Bildung aus, sondern geistiger Besitz in Verbindung mit »Wertgestaltung«. Mit diesem Begriff umschreibt Kerschensteiner die pädagogischen Prinzipien »Erfurcht

10 Ehrensaal des Deutschen Museums. 11 Dyck, Walter von (1933): Der Ehrensaal. In: VDI (Hg.): Das Deutsche Museum, Berlin, S. 36.

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vor der Wahrheit«, »Erfurcht vor der Sittlichkeit« und »Ehrfurcht vor der Schönheit«.12 Sie müssen sich in der Organisation des Museums widerspiegeln: im logischen Aufbau des Bildungsgutes, in der Berücksichtigung der psychologischen Beschaffenheit des Museumsbesuchers, in den Zwecken des Bildungsprozesses. Ein solches Museum kann weder Raritätenkabinett noch Schaubude sein. Das Staunen ist damals wie heute nicht nur der Anfang der Philosophie sondern auch der Pädagogik. Doch wo der Betrachter nicht über das anfängliche Staunen hinaus gelangt, hört Philosophie und Pädagogik schnell auf, wirksam zu sein. Der von Kerschensteiner beschriebene »Hauer« im Bergwerk des Deutschen Museums in München, 1925.

Mit ihm weist er auf die Bedeutung der einfachen Arbeit für die Entfaltung des kulturellen Lebens hin. Foto: Archiv Deutsches Museum, München.

Neue Aspekte des Technikmuseums Im Gegensatz zur Gründerzeit des Deutschen Museums war in den 80er Jahen des letzten Jahrhunderts nicht mehr Technikeuphorie Ausgangspunkt für die Neugründungen technischer Museen, sondern latente Unsicherheit gegenüber zukünftigen technischen Entwicklungen. So verlangte die Konzeption des Landesmuseums für Arbeit und Technik in Mannheim die Berücksichtigung der Gefährdungen, »die die Technik für das menschliche Leben heraufbeschwört.«13 Auch sollten die »Beeinträchtigungen« gezeigt werden, mit denen die Technik unsere Lebensräume überzieht. Nicht mehr »die Zu-

12 Vgl. Kerschensteiner, Bildungsaufgabe, a.a.O., S. 42ff. 13 Museumskomzept von 1987.

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kunft durch die Vergangenheit gewinnen« war die Parole, sondern die Erhaltung der Vergangenheit als »Mittel der Identifizierung in der Gegenwart«, aber auch als »Gegenbild zur Gegenwart«. Zweckrationalität begann, alle Bereiche des täglichen Lebens zu beherrschen. Es blieben kaum noch Nischen für zweckfreies Handeln übrig. Hier erwiesen sich die Grenzen der Technik in der Vergangenheit noch im Nachhinein als Garanten für Schonräume, in denen sich unterschiedliche Kulturräume erhalten und weiter entwickeln konnten. Die Zunahme des Gleichen an allen Orten löste dagegen selbst persönliche Identität auf. Nicht zuletzt aus diesen Wurzeln speiste sich der Aufschwung der Heimatmuseen und verwandter Institutionen.14 Inszenierung einer Lokomotive als Kolonialbahn im Deutschen Technikmuseum Berlin, späte 80er Jahre.

Die Lokomotive ist umgeben von einer Figur als Aufseher auf einem Spiegel, einer Figur in Ketten zwischen den Gleisen, im Hintergrund Andeutungen einer Landschaft am Kilimandscharo, mit Palmenattrappen im Vordergrund. Foto: Archiv MM, Deutsches Technikmuseum Berlin.

Museen übernahmen aber nicht nur die kulturelle Versorgung der Bevölkerung, sie beförderten auch die kulturelle Entsorgung ganzer Landstriche. Ihre auf eingeschränkte Räume begrenzte bewahrende Funktion beschleunigte auch die »schöpferische Zerstörung«15 durch neue Produkte und neue Produktionsprozesse. Noch ein anderer Aspekt hatte sich gewandelt und bedurfte einer neuen Bestimmung: das Verhältnis der »beiden Kulturen« zueinander. Ging es noch 1903 um die Gleichrangigkeit von Naturwissenschaften und

14 Vgl. dazu die alljährlichen Statistiken über Museen und Museumsbesuche aus dieser Zeit, die das Institut für Museumskunde in Berlin herausgibt. 15 So A. Schneider in seinem Beitrag »Aktion und Reaktion braucht das Gleichgewicht« in der Süddeutschen Zeitung vom 11.11.1986.

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Technik gegenüber den Kulturwissenschaften und der Kunst, so geht es heute um ihre gegenseitige Bedingtheit. Technik und Naturwissenschaften sind nicht nur anerkannte Bestandteile unserer gesamten Kultur geworden, sie sind ihre bestimmenden Merkmale. Jede kulturelle Äußerung ist durch Technik vermittelt. So konnte Günther Gottmann, Gründungsdirektor des Deutschen Technikmuseums Berlin, als Erfahrung der 80er Jahre festhalten: »Wenn überhaupt einmal eine Grunderfahrung als für unsere Generation bezeichnend gesehen werden wird, dann wird es die (Wieder-)Entdeckung der Zusammenhänge sein.«16 Diese Wiederentdeckung spiegelte sich in den Forderungen an die Ausstellung von Technik: Zur Technik sollte Politik, Wirtschaft, Umwelt, Arbeits- und Lebenswelt hinzutreten. Auf die Konsequenzen einer so erweiterten Darstellung von Technik wies Günter Ropohl hin: »Die Mängel der Technik liegen nicht in den Artefakten, sondern in den individuellen und gesellschaftlichen Handlungszusammenhängen, in denen Artefakte entstehen und verwendet werden.«17 In letzter Konsequenz müsste dies heißen, dass jeder Einzelne auch mit verantwortlich ist für alle hergestellten und eingesetzten technischen Artefakte. Hans Jonas formulierte diese Konsequenzen als »Prinzip Verantwortung«.18 Wenn jeder einzelne nicht mehr an der Verantwortung für das, was durch Menschen auf dieser Erde verursacht wird, teilhat, werden wir alle zu Opfern von Entwicklungen, die hinter unserem Rücken geschehen, obwohl wir sie selbst betreiben. Es kam zu moralisierenden Technikdarstellungen, die schon nicht mehr Technik meinten, selbst wenn sie Technik zeigten. Welche Rolle aber spielen dann noch technische Objekte als erkenntnisleitende Instrumente für selbstverantwortliches Handeln im Umgang mit Technik? Technische Objekte sind hier nur mehr Merkposten für allgemeine und historische Aussagen. Mit der Substanz der Objekte verschwand aber auch ihr Gegenüber, verschwanden die Subjekte. Mit dem Einsatz zusätzlicher Medien wurden zwar die Informationsmöglichkeiten verbessert, eine direkte Auseinandersetzung mit den konkreten Gegenständen aber fand kaum noch statt.

16 Gottmann, Günther (1983): Aus dem Konzept des Direktors für die Senatsvorlage zur Gründung des Museums für Verkehr und Technik in Berlin vom Mai 1980. In: Museum für Verkehr und Technik, Schätze und Perspektiven, ein Wegweiser zu den Sammlungen. Schriftenreihe des Museums für Verkehr und Technik Berlin, Berlin, S. 130. 17 Ropohl, Günter (1985): Die unvollkommene Technik, Frankfurt a.M., S. 107. 18 Jonas, Hans (1984): Das Prinzip Verantwortung. Versuch einer Ethik für die technologische Zivilisation, Frankfurt a.M.

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Zur Herstellung von »objektiven« Beziehungen, die unmittelbar auf die Veranschaulichung der Wirksamkeit unseres technischen Handelns aus ist, hatte dagegen Paul Virilio vorgeschlagen, neben Maschinen auch ihre spezifischen »Akzidentien« auszustellen. Dazu gehören nicht nur die »objektiven« Voraussetzungen für ihr Funktionieren, dazu gehören auch die »objektiven« Folgen aus ihrem Nichtfunktionieren. Jede Technik und jede Wissenschaft sollte den ihr spezifischen Unfall auswählen und als Produkt zeigen. Virilio meinte dies nicht moralisch, als Abschreckung. Er wollte den Unfall »als ein Produkt« einführen, »das ›epistemotechnisch‹ zu problematisieren wäre«.19 Das ausgebrannte Wrack des Tanklastzuges von Herford in der Deutschen Arbeitsschutzausstellung Dortmund.

Das Fahrzeuggerippe ist in einer Halle des Museums untergebracht. Foto: Archiv MM, Deutsche Arbeitsschutzausstellung, Dortmund.

Der Unfall zeigt das technisch Mögliche in seiner Verkehrung. Er war schon längst zur Bedingung für neue Erkenntnisse und neue Handlungsweisen der Ingenieure geworden, doch die meisten technischen Museen berücksichtigen ihn bis heute nicht. Offensichtlich steht er im Gegensatz zu dem, womit sie gerade faszinieren wollen. Ebenso wenig wird gezeigt, in welchem Ausmaß immer mehr Umwelt zur Vermeidung von technischen Unfällen verbraucht wird: So nehmen Autobahnen die Geschwindigkeit und das Verkehrsaufkommen voraus, mit denen auf ihnen gefahren wird. Nicht im Nachhinein, wie aus den Schäden, die ein Wirbelsturm verursacht, werden die Grenzen von

19 Virilio, Paul (1990): Technik und Fragmentierung. Interview, abgedruckt in: Aisthesis, Leipzig, S. 73f.

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Geschwindigkeit und Verkehrsaufkommen bestimmt, sondern im vorhinein werden die Bedingungen für hohe Geschwindigkeit und großes Verkehrsaufkommen geschaffen. Dagegen ist lebendige Natur machtlos. Ausblick Den Sinn von Technik sah Stanislaw Lem erst dann erfüllt, wenn sie in Konkurrenz zur lebendigen Natur treten kann. Noch geht es um die Abwägung eines »besseren«, weil gesicherteren und bequemeren Lebens gegenüber all seinen naturbedingten Gefährdungen. Aufgrund der Unabgeschlossenheit unserer Erfahrungen und unseres Wissens bleibt die Frage allerdings weiterhin offen, für wen die technischen »Verbesserungen« bestimmt sind und welches Leben gefährdet ist. Gegenüber den Zwängen des Alltags, die solche Fragen weder zulassen noch beantworten, sollte ein Technikmuseum sie wenigstens stellen. Ihre Beantwortung für Situationen der Vergangenheit könnte Antworten für die Situationen der Gegenwart und Zukunft vorbereiten. Soweit geht bisher allerdings noch kein technisches Museum, dass es als Absicht seiner Präsentationen die Eigenverantwortlichkeit des Menschen für sein technisches Handeln ins Zentrum rückt. Obgleich in den neueren Museumskonzeptionen unterschiedliche kritische Schwerpunktsetzungen erkennbar sind – so ist der Umweltschutz ein anerkanntes Thema –, verdecken sie noch immer die Aufgabe und Notwendigkeit, das technische Handeln des Menschen mit seinen jeweiligen Voraussetzungen und Folgen in den Mittelpunkt ihrer Präsentationen zu stellen. Ohne Rückbezug auf dieses Handeln aber ist keine Darstellung, geschweige denn ein Verstehen der tatsächlichen Verhältnisse möglich. In ihr muss die unterschiedliche Verantwortung zum Ausdruck kommen, die heute ein Wissenschaftler, ein Ingenieur, ein Produzent, ein Manager, ein Politiker, ein Verkäufer und ein Konsument haben. Erst dann lassen sich in der Ausstellung Vorstellungen, Erfahrungen und Kenntnisse der Museumsbesucher sinnvoll mit einbeziehen. Der Weg der Erkenntnis verläuft nun einmal über das Verständnis eigener Handlungsmöglichkeiten in unterschiedlichen Situationen. Aufgrund der heute entwickelten Technik vermögen wir mehr, als wir verantworten können. Doch lösen wir die selbst geschaffenen Probleme noch immer im Bewusstsein unserer biologischen Beschränkungen: Technik als Kompensation unserer organischen Minderwertigkeit. Sie aber ist bestimmt vom eigenen Überleben und von der Herrschaft über andere, weniger von Intelligenz und Einfühlungsvermögen in Hinblick auf ein Miteinander. Das Technikmuseum ist der Ort, an dem der Einfluss unseres technischen Könnens und Handelns auf uns und unsere Umwelt erkennbar wird. Es muss der Ort werden, an dem wir uns in den ausgestellten Objekten wie in einem Spiegel sehen – nicht nur (in Anlehnung an Jakob Burckhardt) um klüger zu

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werden für ein andermal, sondern sensibler und verantwortungsbewusster gegenüber uns selbst und unserer Umwelt für immer. Verbogene Achse des Tenders einer Dampflokomotive um 1900.

Die Achse lässt die Kräfte anschaulich werden, die bei einer Entgleisung aufgrund der Masse und der Geschwindigkeit auftreten können. Sie liegt heute im Depot des Deutschen Technikmuseums Berlin. Foto: Archiv MM, Deutsches Technikmuseum Berlin.

Literatur Alban, Ernst (1843): Die Hochdruckdampfmaschine, Richtigstellung ihres Wertes in der Reihe der übrigen Dampfmaschinen-Systeme, Vortheile ihrer allgemeineren Anwendung, sowie Vorschläge zu einer zweckmäßigen Construction derselben, um Dämpfe möglichst Brennmaterial ersparend und gefahrlos in ihr benutzen zu können. Rostock und Schwerin, S. 344f. Dyck, Walter von (1933): Der Ehrensaal. In: VDI (Hg.), Das Deutsche Museum, Berlin, S. 36. Gottmann, Günther (1983): Auszug aus dem Konzept des Direktors für die Senatsvorlage zur Gründung des Museums für Verkehr und Technik in Berlin vom Mai 1980. In: Museum für Verkehr und Technik (Hg.), Schätze und Perspektiven, ein Wegweiser zu den Sammlungen. Schriftenreihe des Museums für Verkehr und Technik Berlin, Berlin, S. 130. Jonas, Hans (1984): Das Prinzip Verantwortung. Versuch einer Ethik für die technologische Zivilisation, Frankfurt a.M. Kerschensteiner, Georg (1933): »Bildungsaufgabe«. In: VDI (Hg.), Das Deutsche Museum, Berlin, S. 41f.

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Landesmuseum für Technik und Arbeit, Mannheim (1987): Museumskonzept, Manuskript. Lem, Stanislaw (1976): Summa technologiae, Frankfurt a.M. Miller, Oskar von (1929): Technische Museen als Stätten der Volksbelehrung. In: Deutsches Museum (Hg.), Abhandlungen und Berichte, 1. Jg., Heft 5, S. 1. Ropohl, Günter (1985): Die unvollkommene Technik. Frankfurt a.M., S. 107. Virilio, Paul (1990): Technik und Fragmentierung. Interview. In: Aisthesis, Leipzig, S. 73f.

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Frank Richter ➔ Werteerziehung an den Schulen



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Werteerziehung an den Schulen. Konsequenzen für die Kooperation mit den Museen

Frank Richter Als Theologe beschäftigt mich immer wieder die Frage, ob und wie es uns gelingen kann, unter die Oberfläche der Dinge zu schauen oder, anders gesagt, über den Bereich der unmittelbaren Erfahrung hinaus die geistigen Zusammenhänge zu erfassen, die unserer Welt zugrunde liegen. Das Thema dieser Fachtagung hat mich deshalb sofort angesprochen. Ich darf Joseph von Eichendorffs »Wünschelrute« zitieren: »Es schläft ein Lied in allen Dingen, die da träumen fort und fort; doch die Welt fängt an zu singen, triffst du nur das Zauberwort.« Unsere Worte sind Produkte des Geistes, den wir in den Dingen suchen und zu finden glauben. Zugleich tragen unsere Worte einen Geist in sich, der weiter reicht als unsere Vorstellungen. Unsere Worte haben ihre eigene Transzendentalität. Machen wir viele Worte, empfinden wir diese seltsame Unzulänglichkeit besonders deutlich. Wir spüren: sie alle zusammen reichen nicht aus, das auszudrücken, was wir sagen wollen. Die Zauberworte im Eichendorff’schen Sinne sind selten. Museen haben andere Möglichkeiten. Sie machen nicht viele Worte. Sie komponieren Dinge. Sie tun dies so, dass sich deren Zusammenhang in einer die Augen und gelegentlich auch die anderen Sinne unmittelbar faszinierenden Weise erschließt. Als ich vor einigen Wochen die Ausstellung »Die Zehn Gebote« im Dresdener Hygiene-Museum besuchte und meinen Rundgang im Raum der Klanginstallation beendet hatte, wollte ich einige Minuten lang am liebsten gar nichts sagen. Ich war so erfüllt von der Vorstellung des göttlichen Anspruchs einerseits und der menschlichen Beanspruchung andererseits, die mir in der Ausstellung auch als Überbeanspruchung und Verweigerung nahe gebracht worden war, dass mir jedes gesprochene Wort überflüssig und lästig erschien. Der Ausstellung war es gelungen, mich zu treffen. Sie beschäftigte mich und zwang mich zur geistigen Auseinandersetzung. Sie führte mich vor die Frage: Und wie hältst du es mit den Zehn Geboten? Sie ließ nicht zu, dass ich mich von der Beantwortung dispensierte. Das Museum war mir zu einem Forum für Ethik und Religion geworden. Indem es mich mit einer intelligenten – fast möchte ich sagen: raffinierten – Komposition von Dingen und Bildern und Tönen –, auch mit wenigen, aber treffenden Worten – konfrontierte, erschloss es mir en passant deren elementaren geistigen Zusammenhang. Die

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Didaktik stimmte. Ich stand am Ende des Rundgangs vor mir selbst. Das Museum hatte meine Augen und Ohren geöffnet. Es hatte mein Herz und meinen Verstand erreicht. Es hatte mich dahin geführt – liebevoll und konsequent zugleich – wo ich hingehöre: in den Raum meines eigenen Gewissens, das nun seine Antwort geben konnte und geben musste. Und was macht die Schule? Ich spreche zu Ihnen nicht nur als Theologe und Museumsbesucher, sondern auch als Vertreter des Sächsischen Staatsinstitutes für Bildung und Schulentwicklung, das den Namen von Johann Amos Comenius trägt. Kann das, was dem Hygiene-Museum gelang, auch der Schule gelingen – ein Ort der Faszination zu sein, an dem sich die Frage nach dem Geist der Dinge immer aufs Neue stellt? Kann es auch der Schule gelingen, die Dinge so zu präsentieren, dass sie zur Auseinandersetzung zwingt und zugleich zu verstehen gibt, selbst – als Institution – gar nicht wichtig zu sein, sondern ganz und gar dafür da zu sein, ihren »Besucher«, den Schüler und die Schülerin nämlich, zu würdigen? Es kann und es muss ihr gelingen, auch dann, wenn die Voraussetzungen und Möglichkeiten eines Schulbesuches ganz anderer Art sind als die Voraussetzungen und Möglichkeiten eines Besuches im Museum. Ins Museum geht man – in der Regel jedenfalls – freiwillig. In die Schule gingen wir gezwungenermaßen. Ins Museum geht man bei Gelegenheit – am häufigsten samstags und sonntags, in die Schule gingen wir – in der Regel jedenfalls – täglich, alltäglich und nicht selten ziemlich ungelegentlich. Im Museum erwarten wir, auf angenehme Weise überrascht zu werden. In der Schule rechneten wir kaum mehr mit Überraschungen – und wenn, dann leider mit unangenehmen. Es gibt aber auch Ähnlichkeiten: Museen und Schulen sind öffentliche Einrichtungen, die den einzelnen Besucher in den Raum der Gesellschaft führen und stellen. Beide haben den Auftrag zu bilden und zu erziehen, beiden geht es darum, Dinge und Menschen, Räume und Zeiten so zu komponieren, dass deren geistige Zusammenhänge aufleuchten und Eingang finden in die Köpfe und Herzen ihrer Besucher. Beiden, Museen und Schule, geht es nicht um sich selbst – jedenfalls niemals vorrangig und niemals vordergründig. Beiden geht es vielmehr darum, dem einzelnen Besucher und der Gesellschaft dadurch zu dienen, dass sie die geistige Auseinandersetzung fördern, ihre Besucher in die Position versetzen, ihre eigene Position zu finden und damit die Kultur unseres Landes zu prägen. »Werteerziehung an den Schulen. Konsequenzen für die Kooperation mit den Museen.« Mit den bisher vorgetragenen Gedanken habe ich mich diesem Thema bereits genähert. Ich bitte Sie nun um Verständnis dafür, wenn ich es im Folgenden etwas näher aus der aktuellen sächsischen Perspektive beleuchte. Die Tatsache nämlich, dass es seit ungefähr einem Jahr nicht nur zahlreiche Kontakte zwischen dem Hygiene-Museum und dem Comenius-Ins-

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Frank Richter ➔ Werteerziehung an den Schulen

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titut gibt, sondern dass beide Institutionen in mehrfacher Hinsicht zusammenarbeiten, ist unter anderem der Initiative der Museumspädagogen zu verdanken. Es hat freilich damit zu tun, dass in Sachsen neue Lehrpläne entwickelt wurden, und diese die Aufgabe der Werteerziehung, der die Schule wohl immer und überall verpflichtet ist, in neuer Weise beschrieben haben. Das vom Sächsischen Staatsministerium für Kultus verabschiedete Leitbild für Schulentwicklung benennt drei wesentliche Anforderungen an schulische Bildung und Erziehung: Wissenserwerb, Kompetenzentwicklung und Werteorientierung, kurz W – K – W. Es sind dies Ziele, die nicht einzelnen Fächern zugeordnet werden können, sondern von allen Fächern zusammen und in je verschiedener Weise und von der Schule insgesamt anzustreben sind. Alle auf dieses Leitbild verpflichteten Erarbeitungen haben versucht, diese Ziele im Auge zu behalten, sie sowohl in ihrer Unterschiedlichkeit wahrzunehmen als auch in einem gemeinsamen Verständnis von Bildung zusammenzuführen. So verwendet beispielsweise das allen Lehrplänen zugrunde liegende Lehrplanmodell einheitliche Lernzielebenen, die unter der Maßgabe entwickelt wurden geeignet zu sein, sowohl den Wissenserwerb als auch die Entwicklung von Kompetenzen und die Orientierung auf Werte abbilden zu können. Die neuen sächsischen Lehrpläne verpflichten auf keinen Inhalt um des Inhalts willen. Jeder vorgeschriebene Inhalt steht im Zusammenhang mit einem Lernziel. Jedes Fach soll sich einem Bildungsverständnis verpflichtet wissen, das den Erwerb von Wissen, die Entwicklung, die Kompetenzen und die Orientierung auf Werte konsequent zusammenführt. Wer sich über die Lernzielebenen in den sächsischen Lehrplänen einen Überblick verschaffen möchte, findet diese unter www.sachsen-macht-schule.de Spätestens an dieser Stelle möchte ich erwähnen, dass allen Lehrplanmachern bewusst ist, dass nicht das Papier oder die Logik eines neuen Planes, sondern die konkreten Erfahrungen der Schülerinnen und Schüler mit Schule und Unterricht allein entscheidend dafür sind, ob sie in die Lage versetzt werden, ihr Leben als gebildete und erzogene Menschen zu gestalten. Die Bedeutung neuer Pläne ist sehr relativ, natürlich. Trotzdem betrachte ich es als Gewinn für Sachsen, Schule bis hin zu den konkreten Zielen eines Faches einmal konsequent und stringent von grundlegenden Prinzipien aus gedacht und beschrieben zu haben. Am 23. September 2003 fand hier im Hygiene-Museum eine Tagung des Comenius-Institutes statt. Sie trug den Titel: »Schule zwischen Knigge, Nürnberger Trichter und Laisser faire ...« und sie beschäftigte sich mit der Frage nach dem Wie der Werteerziehung in schulischen Zusammenhängen. Nach einer Reihe von grundsätzlichen Erwägungen formulierten die anwesenden Lehrerinnen und Lehrer die Aufgaben für Unterricht und Schule, wie folgt:

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• • • • • • •

Aufbau einer Kultur der Wertschätzung für Menschen und Dinge Entwicklung differenzierter Wahrnehmungsfähigkeit und Empathie Pflege eines konstruktiven Umgangs mit Fehlern Orientierung an der Lebenswelt der Schüler Bereitstellung von Freiräumen und Gestaltungsmöglichkeiten für Schüler Aufbau einer Schulkultur mit Regeln, Transparenz und Sanktionen Entwicklung der Fähigkeit bei Schülern und Lehrern, den Konsens zu suchen sowie den Dissens öffentlich zu machen und auszuhalten • Offenheit der Schule und Kooperation mit dem gesellschaftlichen Umfeld • Ausbau des fächerverbindenden Unterrichtes Am Ende der Tagung stimmten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer darin überein, dass diese Liste für sich zwar weder vollständig sei noch eine schlüssige Systematik beanspruchen könne, die genannten Aufgaben auch einer weiteren Konkretisierung und Operationalisierung bedürften, dass aber die Orientierung an ihnen wesentlich dazu beitragen würde, die Werteerziehung an den Schulen voranzubringen. Was bedeutet dies für die Kooperation der Schulen mit den Museen? Sowohl die neuen Lehrpläne in Sachsen als auch die in der Tagung des Comenius-Institutes zum Ausdruck gebrachte Überzeugung der Lehrerinnen und Lehrer sprechen dafür, dass sich die Schule dem gesellschaftlichen Umfeld mehr öffnen muss, als dies schon der Fall ist. Sie sollte mit denen kooperieren, die dieselben Ziele des Wissenserwerbs, der Kompetenzentwicklung und der Werteorientierung teilten. Dabei geht es gewiss nicht um eine Kooperation der Kooperation willen. Auch nicht darum, dass man für die Schülerinnen und Schüler einen Ausflug ins Museum organisiert, um sie dort sich selbst zu überlassen. Auch ist es nicht unser Interesse, die Besucherzahlen der Museen zu heben. Unser Ziel besteht vielmehr darin, dass wir ein qualifiziertes Bündnis von Gleichgesinnten schließen, denen es aus jeweils unterschiedlichen Gründen und traditionellen Zusammenhängen heraus um die Bildung und Erziehung derselben Menschen geht. Ob und wie weit es dabei zu den gewünschten Synergien kommt, hängt meines Erachtens vor allem davon ab, ob und wie weit sich die Vertreter der Schule und des Museums schon im Vorfeld auf die Inhalte, die Didaktik und die Methodik des jeweils anderen Partners einlassen. Wenn Schülerinnen und Schüler im Klassenverband oder in Lerngruppen das Museum besuchen, sollten sie vorbereitet sein auf das, was sie erwartet. Sie sollten wissen, dass es nicht darum geht, verobjektiviertes Wissen hinter Glas zu bestaunen, sondern einzutreten in einen persönlichen Prozess der Auseinandersetzung. Helfen kann ihnen dabei die gemeinsame Reflektion, die Einführung, das Gespräch und die Diskussion mit den Museumspädagogen, das Wissen darum, sich in der Nachbereitung noch einmal mit dem Gesehenen und Erlebten auseinander zu setzen. Helfen kann den Schülerinnen

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und Schülern ganz bestimmt die einfache Beobachtung, dass auch ihre Lehrerinnen und Lehrer noch etwas lernen, miteinander kooperieren und sich selbst korrigieren können. Auch bin ich überzeugt davon, dass Lehrerinnen und Lehrer von den Museumspädagogen lernen können, die – wenn ich das richtig sehe – immer schon von einem Ansatz ausgehen, der die verschiedenen Dimensionen von Bildung mit den verschiedenen Perspektiven einzelner Fächer verbindet. Nicht nur die Verknüpfung von W – K – W, auch der zur Zeit noch in der Einführungsphase befindliche fächerübergreifende Unterricht gehört zu den verbindlichen Neuerungen der sächsischen Lehrpläne. Jeder Schüler soll in zwei Wochen des Schuljahres fächerverbindend unterrichtet werden. Prinzip dieses Unterrichtes ist Folgendes: Ein Thema, das von einzelnen Fächern in seiner Mehrperspektivität so nicht oder nur teilweise erfasst werden kann, steht im Mittelpunkt. Das Thema wird unter Anwendung von Inhalten, Fragestellungen und Verfahrensweisen verschiedener Fächer bearbeitet. Inhaltliche und organisatorische Koordinierung sowie die Ergebnissicherung und die Bewertung sind durch selbstorganisierte Zusammenarbeit der Fachlehrer zu leisten. Im »Eckwertepapier« zum fächerverbindenden Unterricht wird die Zusammenarbeit mit außerschulischen Experten bzw. das Aufsuchen außerschulischer Lernorte ausdrücklich empfohlen. Alle theoretischen Vorgaben sind geeignet, die Kooperation der Schulen mit den Museen zu befördern. Ob und wie gut es gelingen kann, auch die schulorganisatorischen Bedingungen zu erfüllen, diese Kooperation auszubauen, bleibt abzuwarten. Jede Form des Entgegenkommens durch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Museen sind willkommen. Am Anfang habe ich Joseph von Eichendorff zitiert, am Ende erinnere ich an den Beginn des Johannes-Evangeliums, das uns u.a. über Goethes Faust bekannt geworden ist. Da heißt es: »Am Anfang war das Wort« – will sagen: der Geist – »und das Wort ist Fleisch geworden«. Uns, den Pädagogen der Schule und des Museums, geht es darum, dass der Geist immer wieder Fleisch wird. Wir sind Verbündete und arbeiten für die gemeinsame Aufgabe der Bildung und Erziehung. Lassen Sie uns mit Fantasie alle Möglichkeiten der Kooperation suchen und ergreifen, die der Erfüllung dieser Aufgabe dienen!

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Astrid Seichter ➔ Begegnungen mit dem Raum in der Kirchenpädagogik



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Der Seele Raum geben. Begegnungen mit dem Raum in der Kirchenpädagogik

Astrid Seichter Geöffnete Kirchen werden zunehmend aufgesucht. Das geschieht gegenläufig zur Besucherzahl der Gottesdienste und zur Mitgliederzahl der Kirche als Religionsgemeinschaft und gilt sowohl für die katholische als auch für die evangelische Kirche. Menschen entscheiden sich bewusst dafür, Kirchen aufzusuchen, um diesem besonderen Ort zu begegnen – ohne die Gottesdienste zu erleben, für deren Handlungen sie ursprünglich gebaut wurden. Die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland schreibt dazu: Wer eine Kirche aufsucht, betritt einen Raum, der für eine andere Welt steht. Ob man das Heilige sucht, ob man Segen und Gottesnähe sucht oder schlicht Ruhe, ob ästhetische Motive im Vordergrund stehen – immer spricht der Raum: Durch seine Architektur, seine Geschichte, seine Kunst, seine Liturgie. Kirchen sind Orte, die Sinn eröffnen und zum Leben helfen können, Orte der Gastfreundschaft und Zuflucht. Sie sind Räume, die Glauben symbolisieren, Erinnerungen wach halten, Zukunft denkbar werden lassen, Beziehungen ermöglichen: zu sich selbst, zur Welt zu Gott. (EKD 2003: 2) Die Kirchen als fremder Raum Immer mehr Menschen fühlen sich Kirchen verbunden. Äußerlich gehören Kirchen zur Silhouette eines Dorfes, einer Stadt. Oft sind sie ihre Wahrzeichen. Im zunehmend säkularisierten Deutschland setzen sich auch die Menschen für den Erhalt ihrer Dorfkirche ein, die sich von der Kirche als Religionsgemeinschaft längst abgewendet haben. Die innerliche Verbundenheit zeigen die Kirchenbesucher und -besucherinnen indem sie die Kirchen als besondere Orte aufsuchen, um für ihre Seele zu sorgen. Hier spüren sie Trauer, Freude und Schmerz als räumlich gespeicherte Gefühle, erleben die gesprochenen Gebete, rituelle Handlungen und Gespräche mit dem Transzendenten als eine emotionale Dimension, die den Kirchenraum selbst verändert. Auf der Expo 2000 in Hannover wirkte der sog. Christuspavillon als Ausstellungskirche zu Beginn sehr fremd, kalt, neutral – am Ende der Expo wurde er als ein lebendiger Ort empfunden und angenommen, als ein »durchbeteter Raum«, in dem sich die Menschen geborgen und angenommen

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Udo Liebelt, Folker Metzger (Hg.) Vom Geist der Dinge

fühlten. Die Einträge in den Besucherbüchern ließen das deutlich werden. Die spirituellen Gotteserfahrungen haben die Atmosphäre des Raumes spürbar verwandelt. Kreuzgangfenster des ehemaligen Kartäuserklosters Nürnberg erbaut zwischen 1380 und 1460.

Germanisches Nationalmuseum, Nürnberg.

Der architektonische Raum der Kirche wird von den Besuchern als fremder Raum empfunden, dessen Aura mit der von Museen, Stadien oder auch besonderen Naturlandschaften vergleichbar ist: Während in Stadien die besondere Atmosphäre sportlicher Spannung vorherrscht und in den Museen die der Schönheit dominiert, wirkt in den Kirchen die Atmosphäre des Heiligen. (Waldenfels 1985: 179) In Bezug auf Schönheit treffen sich die auratischen Räume Kirche und Museum. Aus diesem Grund werden die Gefühle, die beim Durchschreiten beider Räume erlebt werden, oft ähnlich beschrieben: Die Anwesenheit des Heiligen, die Stille, die Non-Funktionalität, die Repräsentation des Todes und des ewigen Lebens, die Ritualität, die sich auch an äußeren Kennzeichen zeigt: Sie machen gemeinsam die spezifische Aura des Kirchenraums aus. Besondere Kleidung, besondere Handlungen, besonderer Geschmack und Geruch der Luft, besonderes Licht, besondere Klänge: Kirchenraum spricht fast alle Sinne an; er hat eine Gestimmtheit, eine Atmosphäre, die sich von alltäglichen Gestimmtheiten und Atmosphären deutlich unterscheidet und dadurch das Andere repräsentiert. (Liebau 1998: 238) In die Kirchen kommen Besucher und Besucherinnen um zu beten, um

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Astrid Seichter ➔ Begegnungen mit dem Raum in der Kirchenpädagogik

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nachzudenken, um bei sich selbst zu sein. Kirche wird als Ort der Innerlichkeit aufgesucht. Angesichts ihrer Fremdheit kann der Mensch sich anders betrachten als in seiner gewohnten Umgebung, denn die besondere Atmosphäre ermöglicht gedanklich den Ausstieg aus dem profanen Leben. Erwachsene frequentieren den Kirchraum als stillen Raum, der sie schützt vor der banalen Geschwätzigkeit des Alltäglichen. Die alten Gemäuer haben selbst viel zu erzählen. So erklärt sich auch, dass alte Kirchen einer Innenstadt häufiger frequentiert werden als neuere Kirchenbauten. Kirchenräume sind strukturiert und geordnet, sie helfen so den Menschen, zu sich selbst zu kommen. Die Kirche regt zum Nachdenken an, sie eröffnet neue Perspektiven und wirft andere Spiegelbilder auf die Betrachtenden/die sie Besuchenden zurück. Kirchenräume sind Räume im rechten Maß und helfen das Leben im rechten Maß zu erleben. Der heilige Raum hat hier eine heilende Wirkung. (Steffensky 2003: 10) Soweit zu den Erfahrungen der Erwachsenen. Kinder sind es eher gewohnt sich neue Räume zu erschließen. Die Welt konfrontiert die Kinder immer wieder mit fremden Räumen, wie z.B. mit Wohnungen von Freunden oder Räumlichkeiten auf Reisen, in wachsendem Maße auch mit virtuellen Räumen. Die Erfahrung von Kirchenräumen gehört allerdings nur für wenige Kinder zum Alltag. Ich erlebe es oft während meiner Arbeit in St. Lorenz und St. Sebald in Nürnberg, dass die Kinder die Kirchen zuvor noch niemals von innen gesehen haben, obwohl sie sich häufig an schulfreien Nachmittagen in der Innenstadt aufhalten. Kinder nehmen das, was sie sehen und erleben, mit allen Sinnen wahr. In der Kirche aber merken sie, dass sie keine Raster dafür haben, diesen Raum einzuordnen. Sie machen eine Grenzerfahrung: Sie begegnen einem Raum, der Religiosität spiegelt bzw. ermöglicht, und zwar in einer Umwelt, in der sie sonst kaum Religion begegnen. Der Besucher einer Kirche erlebt den Raum als dreidimensionales Wesen: Indem er sich in ihm bewegt, ändert sich mit jedem Schritt die Perspektive. Selbst wenn eine Gruppe in einem Chorraum steht und das Chorgestühl betrachtet, findet jeder einzelne Betrachter einen anderen Blickwinkel. Ebenso ist der Raum visuell immer nur in Einzelheiten wahrnehmbar, das heißt von keiner Stelle aus lässt sich der Kirchenraum ganzheitlich erfassen. Damit kommt noch eine andere Wahrnehmung hinzu: Sich zu bewegen braucht Zeit. So kommt zu den drei Dimensionen des Körpers noch die vierte, die Zeit, hinzu. Damit lebt der Mensch im Kirchenraum, denn er verbringt seine eigene Zeit in diesem Raum – er erlebt die Geschichte des Raumes der Kirche: Neben alten Altären entdeckt er auch die Taufkerzen der Täuflinge oder aktuelle Bilder der Kommunionkinder. (Liebau 1998: 238)

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Udo Liebelt, Folker Metzger (Hg.) Vom Geist der Dinge

Chorraum der ehemaligen Kartäuserkirche, erbaut 1381, geweiht 1383.

Germanisches Nationalmuseum, Nürnberg

Birgit Neumann schreibt in ihrem Artikel »Kirchenräume und ihre Bedeutung für die Gesellschaft«: Weiterhin entspricht der Raum unserer Leiblichkeit. Und möglicherweise entspricht die Betonung des Leibes in unserer Gesellschaft bis hin zum Körperkult der sensibilisierten Raumwahrnehmung. Zusätzlich scheint das Interesse an realen Räumen mit der Bedeutungszunahme virtueller Räume einherzugehen. Das Wissen der Menschheit vergrößert sich in atemberaubendem Tempo und wird künstlich gespeichert. Der Kirchenraum dagegen ist unmittelbar und bewahrt seine Informationen direkt. (Neumann/Rösener 2003: 14)

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Astrid Seichter ➔ Begegnungen mit dem Raum in der Kirchenpädagogik

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Diese Stringenz fasziniert den Menschen besonders bei seiner Suche nach Authentizität. Natürlich ist das Raumerleben unterschiedlich, je nach Bauzeit der Kirche – eine barocke Kirche der Gegenreform wirkt anders als eine vorreformatorische Kathedrale mit Hallenchor oder eine moderne Kirche mit lichtdurchbrochenen Wänden. Ebenso entscheidet die eigene Stimmung mit über das Empfinden des Raumes. Es gibt auch Kirchen, die nicht als auratischer Raum wahrgenommen werden. Das sind oft die Kirchengebäude, in denen sogar Gemeindeglieder nicht heiraten möchten. In diesen Räumen fehlt oft die Ästhetik oder wird durch die Verwendung als Kellerraum gestört. Wir leben in einer säkularen Gesellschaft, in der der Anteil nicht konfessionell gebundener Menschen zunehmend steigt. Woher resultiert dann das Interesse der Menschen an den Kirchen? Säkularisation bedeutet ja nicht, dass den Menschen das religiöse Bedürfnis abhanden gekommen sei – die Inanspruchnahme des großen Marktes der Esoterik und Naturreligionen lässt diesen Schluss nicht zu. Vielmehr trifft zu, dass die Religiosität der Menschen sich nicht mehr automatisch mit Kirche als Institution verbindet. Kirchen als auratische Räume, die Religion erfahrbar machen, werden dagegen, nach wie vor, bewusst wahrgenommen und angenommen. Was ist Kirchenpädagogik und welche Ziele verfolgt sie? Die Kirchenpädagogik ist ein relativ junges Gebiet auf dem weiten Feld der außerschulischen Pädagogik. Sie hat sich aus unterschiedlichen Vermittlungsansätzen, wie sie sowohl in ostdeutschen als auch in westdeutschen Einzelgemeinden gepflegt wurden, herausgebildet. Die ostdeutschen Christen zu Zeiten der DDR verstanden ihre Kirchen als sichtbare Zeichen gelebten Glaubens. Viele Gemeinden haben darum unter größtem Engagement ihre Dorfkirchen erhalten. Auch wurden Kirchen zu touristischen Zwecken, beispielsweise auf Schulfahrten, aufgesucht. Die Führungen wurden von den Gemeinden verantwortet, die Kirchen zugleich kulturell geöffnet. Birgit Neumann, Pfarrerin in der evangelischen Erwachsenenbildung und Leiterin der Projektstelle »Offene Kirchen« der Kirchenprovinz Sachsen, schreibt dazu: Kirchen waren in der DDR kulturelle Alternativen: Hier konnten Ausstellungen, Konzerte oder Lesungen stattfinden. Auch politische Debatten wurden im Zusammenhang mit Gottesdiensten öffentlich geführt. Wer sich traute, konnte kommen und wenigstens zuhören. Nicht zuletzt wäre die politische Wende 1989 ohne die Gebete um die Erneuerung undenkbar gewesen. Die Rolle, die Kirchengebäude und ChristInnen hier gespielt haben, ist nicht hoch genug einzuschätzen. (Neumann/Rösener 2003: 45) Die frühesten kirchenpädagogischen Ansätze im Bereich der Evangeli-

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Udo Liebelt, Folker Metzger (Hg.) Vom Geist der Dinge

schen Kirche der alten Bundesländer datieren in die 80er Jahre, die katholische Kirche folgte darin wenig später nach. Überwiegend aus der evangelischen Kirche kommend, traf sich seit Mitte der 80er Jahre eine kleine Gruppe engagierter Frauen, die es sich zur Aufgabe machten, die monumentalen und künstlerischen Zeugnisse ihrer Kirchbauten mit der pädagogischen Vermittlung von Religion und Theologie zu verknüpfen. So begannen 1988 Inge Hansen in Hamburg mit dem Projekt »Lernort Kirchenraum« und Christiane Kürschner in der Marktkirche in Hannover mit ihrer Arbeit, betitelt »Kirche zum Anfassen«, während Gabriele Harrassowitz am Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg das Programm »Religion im Museum« einleitete. Die Zielgruppen waren zunächst Kinder und Jugendliche, vor allem Schulklassen. In unseren Zeiten der Säkularisierung und des problemorientierten Religionsunterrichts wurden und werden diese außerschulischen Angebote gerne angenommen. Antje Rösener dazu: Den KirchenpädagogInnen gelingt es mit Hilfe des Kirchenraumes, den Kindern die sichtbaren Zeichen gelebten Glaubens und die zu Stein gewordene Religion neu zu vermitteln: Sie nehmen den fremden Blick der SchülerInnen ernst, beziehen deren Empfindungen und Vorerfahrungen mit ein, um dann eine ganzheitliche Begegnung und aktive Auseinandersetzung mit dem Kirchenraum und seinen Glaubensaussagen zu ermöglichen. (Neumann/Rösener 2003: 42)

Trotz unbestreitbarer Erfolge der Kirchenpädagogik blieb die Resonanz in den westdeutschen Kirchengemeinden zunächst relativ gering – die skeptische Haltung der Reformation gegenüber Bildern und dem äußerlich gezeigten Glauben wirkte nach. Dabei haben sich die Ausgangsbedingungen radikal geändert, denn von der Bilderflut und der mystischen Gottesdienstinszenierung des Mittelalters war und ist die Evangelische Kirche weit entfernt. Auch haben sich die Bedürfnisse der Menschen von heute stark gewandelt: Sie fragen nach der Leiblichkeit im Glauben oder nach der Rolle der Frau in der Kirche. So gehören zur aktuellen kirchlichen Praxis das Bibliodrama oder meditative Tänze: Hier entstehen religiöse, spirituelle und ästhetische Formen des Lernens und Erlebens. Die leib-räumlichen Dimensionen des Christentums und die Leibhaftigkeit der Menschen werden, nachdem sie viele Jahre ein Schattendaseins fristeten, neu gewürdigt. (Neumann/Rösener 2003: 42). Die Kirchenpädagogik hat nun teil an diesem neuen Selbstverständnis kirchlicher Vermittlungsarbeit. Seit Ende der 90er Jahre erfährt die kirchenpädagogische Arbeit in fast allen Bundesländern einen deutlichen Auftrieb. Unter Schirmherrschaft von Dr. Margot Käsmann, Landesbischöfin der Ev.-luth. Landeskirche Hannovers,

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wurde im Mai 2000 der Bundesverband Kirchenpädagogik e.V. aus der Taufe gehoben. Den Namen hat die »Kirchenpädagogik« schon zuvor (1991) bei einem bundesweiten Treffen aktiver KirchenpädagogInnen erhalten. Im Hinblick auf das Verständnis von Kirchenräumen im Sinne »monumentaler Theologie und Frömmigkeit« wird in der neueren Literatur auch die Bezeichnung »Kirchenraumpädagogik« diskutiert. Der Verband formuliert es so: Kirchenpädagogik will Kirchenräume für Menschen öffnen und den Sinngehalt christlicher Kirchen mit Kopf, Herz und Hand erschließen und vermitteln, um so Inhalte der christlichen Religion bekannt zu machen und einen Zugang zu spirituellen Dimensionen zu ermöglichen. Kirchenpädagogik bedeutet raum- und erfahrungsbezogenes Arbeiten in methodischer Vielfalt. Sie bringt Mensch und Kirchenraum in Beziehung und eröffnet so Raum für Begegnungen mit religiösen Erfahrungen. Angesichts dieser Aufgabe tritt das konfessionell jeweils unterschiedlich ausgeprägte Selbstverständnis hinter den grundsätzlichen Gemeinsamkeiten zurück. Seit Gründung des Verbandes hat sich die Kirchenpädagogik heute allgemein als anerkannte außerschulische pädagogische Fachrichtung durchgesetzt. Unterstützt von Bildungseinrichtungen, wie dem Comenius-Institut, Radebeul (vgl. den Beitrag von Frank Richter in diesem Buch. Red.), liegen inzwischen diverse fachliche Publikationen vor. Nach zehn Jahren Basisarbeit haben auch die leitenden Gremien der EKD die besondere gesellschaftliche Bedeutung der Kirchenpädagogik anerkannt. Wurden in Westdeutschland zuvor kunsthistorisch bedeutsame Kirchen unter der Leitung von Stadtführern besucht, die die Kirchen vor allem als Sehenswürdigkeiten – höchster Kirchturm, besonderes Schnitzwerk, frühestes Beispiel für ... – vorführten bzw. als museale Orte zweckentfremdeten, ohne auf den primären Zweck des Kirchbaues hinzuweisen, bildet nun die Kirche selber zunehmend Kirchenführer und Kirchenführerinnen aus, die spezifisch kirchenpädagogische Ansätze erarbeiten. Die Kirchenpädagogik an der Lorenzkirche in Nürnberg, die vom Kunstpädagogischen Zentrum am Germanischen Nationalmuseum und der Gemeinde getragen wird, oder das Kölner Domforum arbeiten in diesem Sinne. Seit der Jahrtausendwende weitet sich die Arbeit der Kirchenpädagogik mehr und mehr. Neue Zielgruppen werden angesprochen, neue Handlungsfelder und Kontakte wurden erschlossen, wie z. B. die Erwachsenenbildung in der Gemeindearbeit. Ausbildungskonzepte werden erarbeitet. Der Bundesverband Kirchenpädagogik definiert seine Funktion und Aufgabe wie folgt: • Er versteht sich als Forum für überregionale Kontakte und Erfahrungsaustausch im Fachbereich,

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Udo Liebelt, Folker Metzger (Hg.) Vom Geist der Dinge

• als Sprachrohr für ehren- und hauptamtliche Kirchenpädagoginnen und -pädagogen, • er möchte das Fach in Praxis und Theorie vorantreiben • und berufsrelevante Informationen bzw. Angebote zur Weiterbildung vermitteln.

Kreuzgang des ehemaligen Kartäuserklosters, erbaut zwischen 1380 und 1460.

Germanisches Nationalmuseum, Nürnberg

Der Bundesverband startete mit 12 Mitgliedern und zählt nun, nach knapp fünf Jahren, etwa 200 Mitglieder aus allen Regionen Deutschlands. Inzwischen wurden feste Stellen eingerichtet, so im Religionspädagogischen Institut Loccum. Als Fachdisziplin wurde sie in die Ausbildungsordnungen von Pfarrer und Pfarrerinnen und Religionspädagoginnen und Religionspädagogen aufgenommen.

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Astrid Seichter ➔ Begegnungen mit dem Raum in der Kirchenpädagogik

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Kirchen werden angenommen, denn Menschen haben eine intuitive Sehnsucht nach dem heiligen Raum, jedoch braucht es zum ganzheitlichen Verständnis eben nicht nur Gefühl, sondern auch eine theoretische Unterfütterung. Es sind diese vier methodischen Grundelemente, die in der Kirchenpädagogik eingesetzt werden, die Verlangsamung, die Versinnlichung, die Fokussierung und die Elementarisierung. (Rösener: 67) Dabei richtet sich kirchenpädagogische Arbeit nach Konfuzius: Erkläre mir und ich werde vergessen. Zeige mir und ich werde mich erinnern. Lass mich tun und ich werde verstehen

Thesen zur Kirchenpädagogik Bundesverband Kirchenpädagogik e.V., 2002 Kirchenpädagogik will Kirchenräume für Menschen öffnen und den Sinngehalt christlicher Kirchen mit Kopf, Herz und Hand erschließen und vermitteln, um so Inhalte des christlichen Glaubens bekannt zu machen und einen Zugang zu spirituellen Dimensionen zu ermöglichen. Angesichts dieser Aufgabe tritt das jeweils unterschiedlich ausgeprägte Selbstverständnis der Konfessionen hinter den grundsätzlichen Gemeinsamkeiten zurück 1. Kirchenpädagogik bringt Mensch und Kirchenraum in Beziehung. Kirchenräume mit ihren in Architektur und Ausstattung bewahrten christlichen Glaubensaussagen und Traditionen können neue Bedeutung gewinnen, indem sie mit dem Lebenshorizont der beteiligten Menschen in Beziehung gesetzt werden. 2. Kirchenpädagogik bedeutet raum- und erfahrungsbezogenes Arbeiten. Kirchenräume sind Ort, Gegenstand und Medium der Kirchenpädagogik. Räume machen die eigene Leiblichkeit bewusst; sie werden mit dem ganzen Körper und mit allen Sinnen erfahren. 3. Kirchenpädagogik eröffnet Zugänge zu religiösen Erfahrungen. Die besondere Ausstrahlung des Raumes sowie die persönliche Ansprache, die Konzentration der Wahrnehmung und die Verlangsamung des Alltagstempos in der kirchenpädagogischen Arbeit können Zugänge zu oftmals verschütteten religiösen Erfahrungen und Sehnsüchten der Beteiligten anbahnen. 4. Kirchenpädagogik arbeitet in methodischer Vielfalt. Kirchenpädagogik greift ästhetische, dramaturgische, körperbezogene, musikalische und meditative Vermittlungsansätze so wie klassische Methoden der Religionspädagogik auf. Ihre Auswahl ist abhängig von der

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Zielgruppe, den thematischen Anknüpfungen im Kirchenraum und den örtlichen Rahmenbedingungen. Kirchenpädagogik braucht Zeit. Das Lernen im Kirchenraum bedarf einer Verlangsamung, um Wahrnehmungsprozessen Raum zu geben und für Achtsamkeitserfahrungen Zeit zu lassen. Wer an einem kirchenpädagogischen Projekt beteiligt ist, nimmt sich Zeit. Kirchenpädagogik wirkt nach außen. Kirchenpädagogik ist im Zusammenspiel von religions- und museumspädagogischer Bildungsarbeit mit Kindern und Jugendlichen entwickelt worden und hat hierin ihr ursprüngliches Aufgabenfeld. Sie verknüpft Inhalte des Religionsunterrichts mit den Fragen vieler Schulfächer, insbesondere des Geschichts-, Sachkunde-, Kunst-, Politik-, Latein- und Musikunterrichts. Die schulische Verfächerung wird am authentischen Ort christlicher Überlieferung und gelebter Praxis aufgebrochen. Den Schulen eröffnet die Kirchenpädagogik einen außerschulischen Lernort und wirkt ihrerseits auf die innerschulische Bildungsarbeit ein. Kirchenführungen für Touristen erhalten neue Impulse, wenn sie sich auf die Moderation des Dialogs zwischen den Menschen und dem Kirchenraum einlassen. Kirchenpädagogik wirkt nach innen. Kirchenpädagogik regt die gemeindepädagogische Arbeit mit Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen an und verhilft durch die Erschließung des Kirchenraumes zu einer persönlichen Verwurzelung und Standortbestimmung. Sie macht die Stellung des Raumes im Alltag und in der gottesdienstlichen Feier der Gemeinde bewusst. Der Kirchenraum, seine Gestaltung, Betreuung und Vermittlung nach außen kann sich zu einer gemeindlichen Mitte entwickeln. Auch Menschen außerhalb traditioneller Formen der Gemeindearbeit lassen sich in dieses Aufgabengebiet einbinden. Kirchenpädagogik ist eine langfristige Investition in die kommende Generation. Die Zukunft der Kirche in der multikulturellen Gesellschaft hängt nicht unerheblich davon ab, ob den Menschen säkularisierter und anderer kultureller Kontexte christliche Inhalte verständlich und zugänglich gemacht werden können. Als ein Projekt der Übersetzung an der Schwelle zwischen Kirche und Gesellschaft leistet die Kirchenpädagogik für die Begegnung mit der biblischen Botschaft einen unverzichtbaren Beitrag.

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Astrid Seichter ➔ Begegnungen mit dem Raum in der Kirchenpädagogik

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Literatur Halbfas, Hubertus (1989): Das dritte Auge, Düsseldorf. Harrassowitz, Gabriele (1994): »Im Bilde sein«. In: Schriften des Germanischen Nationalmuseum Nürnbergs (KpZ, Abteilung 1: Schulen und Jugendliche), Nürnberg. Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) (Mai 2003): Der Seele Raum geben. Kirchen als Orte der Besinnung und Ermutigung, Hannover. Liebau, Eckart (1998): »Der fremde Raum«. In: Roland Degen/Inge Hansen (Hg.), Lernort Kirchenraum, Münster, S. 237-244. Lipffert, Klementine (1961): Symbolfibel, Kassel. Mertin, Andreas (2004): »Zeitgenössische Kunst in religiöser Perspektive«. In: Gruber, Elmar (Hg.), Begegnung und Gespräch Nr. 141, München, S. 1-2. Neumann, Birgit/Rösener, Anja (2003): Kirchenpädagogik. Kirchen öffnen, entdecken und verstehen, Gütersloh. Steffensky, Fulbert (2003): »Der Seele Raum geben – Kirchen als Orte der Besinnung und Ermutigung«. In: Kirchenamt der EKD, S. 5-16. Waldenfels, Bernhard (2002): In den Netzen der Lebenswelt, Frankfurt a.M.

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) vakat 162.p 96524010798

➔ Projekte, Workshops

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) T04_00 RESP 3 PROJEKTE.p 96524010806

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) vakat 164.p 96524010854

Religion und der Ursprung unserer Werte ➔ Vorträge zur Ausstellung »Die Zehn Gebote« in Dresden



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Religion und der Ursprung unserer Werte. Vorträge zur Ausstellung »Die Zehn Gebote« in Dresden

Christian Holtorf Was können wir wissen? Was sollen wir tun? Was dürfen wir hoffen? Kants philosophische Grundfragen fassen Ansporn und Aporie menschlichen Handelns knapp zusammen. Heute könnte man sie auch so stellen: Wann beginnt das menschliche Leben und wann endet es? Wie gerecht lassen sich soziale Ungerechtigkeiten verteilen? Wie viel Menschenrechte lässt der Pluralismus zu – und wie viel Pluralismus ertragen die Menschenrechte? Obwohl nahezu täglich über »Ethik«, »Globalisierung« oder »Zukunft« diskutiert wird, sprach dennoch bis vor kurzem niemand über die Zehn Gebote. Dann griffen die Theatermacher Johann Kresnik in Bremen und Christoph Marthaler in Berlin das Thema auf und lösten damit Diskussionen in der ganzen Republik aus. Die Religion war plötzlich ins öffentliche Bewusstsein zurückgekehrt. Das Deutsche Hygiene-Museum in Dresden zeigte zwischen Juni 2004 und Januar 2005 die Kunstausstellung »Die Zehn Gebote. Politik – Moral – Gesellschaft«.1 Entstanden unter der Regie von Klaus Biesenbach, stellte sie die Gebote nur knapp historisch vor. Rund hundert Arbeiten meist junger Künstler aus mehreren Erdteilen stellten Fragen nach Zufall und Notwendigkeit, Leben und Tod, Freiheit und Gesetz oder Krieg und Frieden. Würden sich aber kritische Beobachter von heute an den Jahrtausende alten Geboten reiben können? Woher stammen Werte in einer säkularen Welt? Was bedeutet Glauben heute – und was Religion? Ob Kunst für Reflexionen dieser Art geeignet ist, lässt sich bestreiten, denn ihre Indienstnahme zur Sinnproduktion ist erklärungsbedürftig. Doch können Künstler unverdächtige Autoren sein, weil sie frei genug sind, die Wahrheit zu sagen, aber verschlüsselt genug sprechen – ein nützlicher Transmissionsriemen für Regeln, die keiner dem Anderen vorschreiben mag. Kein Kunstwerk war für die Ausstellung neu entstanden, nur eines schien einen deutlich religiösen Bezug zu haben. Vielleicht gelang das Projekt gera-

1 Als Ausstellungskatalog ist erschienen: Biesenbach, Klaus (Hg.) (2004): Die Zehn Gebote – Eine Kunstausstellung, Ostfildern. Anlässlich der Ausstellung entstand auf Initiative der Evangelischen Hochschule für Soziale Arbeit Dresden: Kleinert, Ulfrid/Liedke, Ulf (Hg.) (2004): Dekalog-Dialoge. Orientierungen für heute mit Geboten von gestern?, Leipzig. Für kritische Einwände während der Entwicklung des Begleitprogramms danke ich Karl-Heinz Koinegg, Frank Hiddemann, Christian Schwarke und den Kollegen im Deutschen Hygiene-Museum.

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de deshalb: mit 150.000 Besuchern in sechs Monaten war die Ausstellung sehr gut besucht, der Katalog zeitweise vergriffen. Während die Ausstellung von einem kulturkritischen Unterton lebte, versuchte das Begleitprogramm, Emotionen zurückzunehmen und Sachverhalte historisch wie philosophisch zu reflektieren. Um Grundinformationen zu vermitteln, Diskussionsgelegenheiten zu bieten und ein wissenschaftliches Profil zu entwickeln, wurden mit verschiedenen Partnern dreißig Abendvorträge, vier mehrtägige Tagungen mit weiteren dreißig Beiträgen und zwei künstlerische Veranstaltungen konzipiert. Das Programm wollte bewusst dem biblischen Entstehungsmythos der Gebote als Lern-Ökonomie in einer Wüstensituation nahe bleiben2; es wollte Glauben nicht soziologisch wie von außen, sondern als Antwort auf Bedürfnisse verstehen, die man mit »Krise des Atheismus« umschreiben kann. Am Ende lässt sich festhalten, dass das Dresdner Projekt »Die Zehn Gebote« mehr über die Aktualität der Religion gezeigt hat, als es vorher ahnte. Es hat mehr Antworten gegeben, als es sich zu fragen traute. Und erstaunlich für ein Bundesland, in dem nur 25% Mitglied einer evangelischen und 4% Angehörige der katholische Kirche sind: Die Vorträge haben mit über 3.800 Besuchern auch mehr Publikum gefunden als erwartet. Über einige Erfahrungen zur Bedeutung von Religion für den Ursprung der Werte lässt sich im Rückblick berichten: Erstens: Wahrheit ist selbstverständlich ein schwieriger Begriff. Das Rahmenprogramm der Ausstellung als auch die Ausstellung selbst soll Diskussionen über unterschiedliche Erkenntnisse ermöglichen, aber natürlich nicht bestimmte Lehren verkünden. Nun haben die Vorträge gezeigt, dass Glaube heute keineswegs eine einfache Sache ist – zu disparat sind die persönlichen Erfahrungen. Religionen nehmen Wahrheit für sich in Anspruch, aber die historische Untersuchung zeigt, dass sie dies auf unterschiedliche Weise getan haben. Der Ägyptologe Jan Assmann (Heidelberg) hat die Unterscheidung zwischen wahr und falsch selbst als Kulturleistung des Monothe-

2 Vgl. Crüsemann, Frank (1993): Bewahrung der Freiheit. Das Thema des Dekalogs in sozialgeschichtlicher Perspektive, Gütersloh; Deuser, Hermann (2002): Die zehn Gebote. Kleine Einführung in die theologische Ethik, Stuttgart. Thomas Mann schildert die Mosesgeschichte in seiner Erzählung »Das Gesetz« (in: Mann, Thomas (1974): Erzählungen, Gesammelte Werke Bd. VIII, Frankfurt a.M., S. 808-876). Klug ist auch ein langes Gespräch von Joseph Kardinal Ratzinger in seinem Buch (1996): Salz der Erde. Ein Gespräch mit Peter Seewald, Stuttgart.

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Religion und der Ursprung unserer Werte ➔ Vorträge zur Ausstellung »Die Zehn Gebote« in Dresden

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ismus bezeichnet. Diese »Mosaische Unterscheidung«3 hat er auf einer Tagung des Deutschen Hygiene-Museums noch einmal dargelegt, kommentiert durch den katholischen Theologen Klaus Müller (Münster), der zwar nicht widersprechen mochte, aber doch vor einer »Überdehnung« der Argumentation warnte. Der Wahrheitsanspruch, so wurde klar, ist ein innerreligiöser Konflikt und Gegenstand religionshistorischer Untersuchungen – man muss keine Angst vor ihm haben. Doch hat die Wahrheit bis heute nichts von ihrer Kraft verloren: Auf sie zu verzichten, könne in einer aufgeklärten Gesellschaft nicht das Ziel sein, betonte die Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes, Marianne Birthler, bei einer Veranstaltungsreihe in Zusammenarbeit mit dem katholischen Kathedralforum. Unfreiwillig zeigte später der Geschäftsführer der Deutsch-Israelischen Wirtschaftsvereinigung, Gregor Alroi-Arloser (München), wie wichtig bei politischen Wahrheitsansprüchen im Nahen Osten die Trennung von Staat und Kirche sein kann: Alroi-Arloser übersetzte seinen Glauben so unvermittelt in Politik, dass kein Raum für kritische Diskussion blieb – diese Wahrheit demaskierte sich selbst. Zweitens: In welcher Sprache können wir über religiösen Glauben sprechen, ohne in hermetische Begriffe oder kindliche Vorstellungen zu verfallen? Was leisten die Bilder – und wie viel verbergen sie? Weil die Ausstellung für Besucher aller Glaubensrichtungen offen sein sollte, konnte sie eine theologische Formelsprache nicht verwenden. Dass aber nicht nur zeitgenössische Kunst, mit Hilfe von Bildern Bildkritik formuliert, legte der Dresdner Kunsthistoriker Jürgen Müller in einer Ringvorlesung der Philosophischen Fakultät der Universität Dresden dar. Anhand des flämischen Meisters Jan Brueghel4 zeigte Müller, wie sich in ländlichen Alltagsszenen um 1500 schlaue Ironie und kluge Narretei verbergen konnten. Oder anders ausgedrückt: wie schon damals paradoxe Bilder erzeugt wurden, die ihre eigene Unmöglichkeit demonstrierten. Andererseits wurde von kulturwissenschaftlich interessierten Besuchern regelmäßig bedauert, dass viele in der Ausstellung gezeigte Kunstarbeiten ursprünglich nicht religiös gemeint waren. Der Historiker Jörn Rüsen (Bochum) forderte deshalb auf einer Tagung der Evangelischen Akademien Thüringen und Berlin5, das spezifisch Religiöse sichtbarer zu machen, weil es

3 Vgl. Assmann, Jan (2001): Moses der Ägypter, München; ders. (2003): Die Mosaische Unterscheidung oder der Preis des Monotheismus, München. 4 Vgl. Müller, Jürgen (1999): Das Paradox als Bildform. Studien zur Ikonologie Pieter Brueghels d. Ä., München. 5 Eine Dokumentation der von Frank Hiddemann und Wolfgang Vögele konzipierten Tagung ist in Vorbereitung.

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der Aktualität der Gebote nicht entgegenstände und geradezu eine Voraussetzung für die Anerkennung religiöser Differenzen in der Zivilgesellschaft sei. Kunst als Übersetzungshilfe für unaufgelöste Transzendenz zu funktionalisieren, wäre in diesem Sinne eine verfehlte Funktionalisierung. Drittens: Auch mit Sinn ist es schwierig, denn mit dem Verlust von Tradition hat er sich privatisiert. Eine Ausstellung vermag Angebote zu machen und Wissen zu vermitteln, aber den Sinn soll der Besucher selber finden. Ein außerhalb der Lebenswelt liegender Zusammenhang gilt als romantisch und überholt. Dass es auch anders geht, bewies Karl Kardinal Lehmann (Mainz) in einem Grundsatzvortrag zum Elterngebot. Lehmann sprach davon, wie Erkenntnis Sympathie voraussetze und Quantität und Qualität einander gegenseitig beeinflussten. In ähnlicher Weise stellte der studierte Philosoph Norbert Blüm auf einer Sonntagsmatinee des Museums das Generationenverhältnis in den Mittelpunkt der Sozialethik, denn Transzendenz begründet sich aus dem Austausch zwischen vorangegangenen und folgenden Generationen. In beiden Vorträgen wurde ein Sinn angeboten, der den modernen Existentialismus mit Blick auf gesellschaftliche Grundverhältnisse überschreitet. Wenn sich abendländische Philosophie vielfach mit Begierden beschäftigt und Soziologie über gesellschaftlichen Zusammenhalt nachgedacht hat, so haben sie dabei wohl von der Theologie der Zehn Gebote gelernt. In diesem Zusammenhang war auch der Hinweis des Philosophen Thomas Rentsch (TU Dresden) hilfreich, dass sich das Diebstahlverbot ursprünglich auf das Verbot der damals gängigen Praxis von Sklaverei und Menschenraub bezog. Viertens: Die Partikularität des auserwählten Volkes Israel ist heute, bei globalen Konflikten, nur schwer zu akzeptieren. Deshalb sollten internationale Sichtweisen, der Dialog zwischen den Weltreligionen und die Menschenrechte einbezogen werden, um am Ende genauer sagen zu können, ob und in welcher Weise es ein gemeinsames »ethisches Minimum« für alle Kulturen geben könnte. Dieser Absicht entsprechend sind jedoch vor allem Beispiele für die Unterschiedlichkeit der Werte und die Schwierigkeit des interreligiösen Dialogs zu Tage getreten. Worin die schwerfälligen Ethikdebatten des Abendlands von anderen lernen könnten, zeigte der Sinologe Harro von Singer (Freiburg) auf der Tagung der Evangelischen Akademien anhand der chinesischen Listenphilosophie.6 Während im Abendland die List als falsch und verwerflich gelte, sei sie in China als Mittel angesehen, guten Zielen zum Erfolg zu verhelfen. Denn nur wer sich mit Listen auskenne, könne sie auch beim Anderen erkennen oder selbst anwenden. Entscheidend für die Beurtei-

6 Vgl. Senger, Harro von (2001): Die Kunst der List, München; ders. (Hg.) (1999): Die List, Frankfurt a.M.

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lung einer Tat sei nicht die Absicht, sondern die Handlung selbst. Diesem Wissen sind Universalitätsansprüche geradezu hinderlich. Fünftens: Gehört der Glaube ins Museum? Aber wie könnte ein Projekt zu den Zehn Geboten auf ihn verzichten? In einer der bestbesuchten Veranstaltungen diskutierte der Hamburger Religionspädagoge Fulbert Steffensky mit den Dresdner Studentengemeinden über die Kraft, die aus der Ratlosigkeit vor Gott stamme.7 Glaube, so Steffensky, komme nicht ohne Geheimnisse und Widersprüche aus. Im Versuch im Glauben Ordnung zu schaffen, erkannte Steffensky ein neurotisches Interesse an Glaubenssäuberung, das selbst Heilsbedeutung erlangt habe. Um Gott zu finden, sei es womöglich wichtiger, etwas schön zu finden als unmittelbar zu glauben; wichtiger, dem eigenen Zweifel und Sehnen nachzugeben als einer göttlichen Machtinstanz; in den Wünschen nicht bescheiden zu werden und sich nicht auf das Sagbare zu beschränken: Deshalb nannte Steffensky den Satz »Ich weiß es nicht« »einen der guten theologischen Sätze«. Dass die Gebote weniger mit Nützlichkeit als mit der Wurzel unserer Kultur zu tun haben8, hatte schon der Soziologe Hans Joas zur Eröffnung der von ihm konzipierten Tagung des Deutschen Hygiene-Museums formuliert. Religiosität sei Folge der menschlichen Erfahrung, der Dekalog ein Ausdruck eines »Ethos der Liebe«. Ob wir es wollen oder nicht: Das Dresdner Zehn-Gebote-Projekt hat gezeigt, dass wir in der Religion und ihrer Geschichte nach wie vor zu Hause sind. Es bedarf weder eines kulturellen Relativismus noch säkularer Vernunftdiskurse oder globaler Verständigungsprozesse, um uns unserer Werte zu vergewissern. Wir sollten, wie Steffensky sagte, neben der Auseinandersetzung mit dem Anderen und Fremden immer versuchen, in unserer eigenen Sprache und Kultur ganz heimisch zu sein. Und so viel Glaube braucht jeder Mensch.

Leitung des Programms und Bericht: Christian Holtorf, Kulturhistoriker, Wissenschaftlicher Referent bei der Stiftung Deutsches HygieneMuseum Dresden. Kontakt: www.dhmd.de, [email protected]

7 Vgl. Steffensky, Fulbert (2003): Die Zehn Gebote. Anweisungen für das Land der Freiheit, Würzburg. 8 Vgl. Joas, Hans (1997): Die Entstehung der Werte, Frankfurt a.M.; ders. (2004): Braucht der Mensch Religon?, Freiburg.

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Zeitgenössische Kunst und Ethik. Beispiele aus der Ausstellung »Die Zehn Gebote«

Anja Sommer Anlässlich der Ausstellung »Die Zehn Gebote«, die das Deutsche HygieneMuseum zur Zeit der Tagung zeigte, bot es sich an, eine Diskussion über die Präsentation zeitgenössischer Kunst und deren Bedeutung für ethische Themenfelder zu führen. Besondere Aufmerksamkeit muss dabei dem Ort der Ausstellung gewidmet werden – einem Museum, das zwar bei seinen Ausstellungen mit künstlerischen Positionen arbeitet, aber explizit kein Kunstmuseum ist. Bei der Frage nach der Bedeutung der Zehn Gebote in Gegenwart (und Zukunft) wurde statt einer historisch-kulturwissenschaftlichen Herangehensweise, die die Zehn Gebote ihres Potenziales berauben könnte, eine »reine« Kunstausstellung favorisiert. Künstlerische Positionen erlauben es, dem Sinn und der Relevanz ethisch-moralischer Forderungen nachzugehen, ohne ihrerseits neue zu postulieren oder alte zu wiederholen, die oft mit Ausgrenzungsmechanismen verbunden sind. Die Ausstellung als solche verzichtet konsequent auf einen »moralischen Zeigefinger«. Die Ausstellung im Deutschen Hygiene-Museum bietet auf Grund des Themas und des Ortes die Chance, BesucherInnen zu erreichen und ihnen eine Auseinandersetzung mit dem Thema zu ermöglichen, die sonst nicht in ein Kunstmuseum gehen würden. Mehrere Faktoren dürften dabei zunächst befremdlich wirken: Dass es sich um ein Thema handelt, das viele nur aus dem religiös-christlichen Kontext kennen (hier verortet im islamischen und im jüdischen Zusammenhang), dass es um zeitgenössische Kunst geht – zumal in einem Museum mit natur- und kulturwissenschaftlichem Profil, und die starke emotionale Wirkung, die die künstlerischen Positionen entfalten. Den Besucherbüchern nach gingen die BesucherInnen anders aus der Ausstellung heraus, als sie hineingegangen waren. Denn die Ausstellung zeigt Ethik und Moral als eine gesellschaftlich wie individuell zu vereinbarende Dimension, die auch anfällig ist. Diese Vielschichtigkeit ermöglicht zeitgenössische Kunst in besonderem Maße. Sie kann Fragen stellen und Aspekte verhandeln, die traditionelle bzw. historische (Kunst-)Äußerungen weniger berühren, weil sie sich zu den Fragen der Gegenwart verhält. Welche Gültigkeit haben heute die Zehn Gebote? Welche Relevanz haben sie in Bezug auf die drei großen Schriftreligionen, die heute in politisch hochbrisanten Territorien artikuliert werden? Was hat sich verändert? Wie reagieren wir auf Gewalt in aktuellen Konflikten? Welche Rolle spielt der Ehebruch in einer Zeit veränderter Geschlechterverhältnisse? Sind andere Aspekte von Sexualität und sexueller Ausbeutung nicht relevanter? Was bedeutet »Du sollst Vater und Mutter ehren« unter den Bedingungen einer viel höheren Lebenserwartung in

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Zeitgenössische Kunst und Ethik ➔ Beispiele aus der Ausstellung »Die Zehn Gebote«

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den Industriegesellschaften? Was bedeutet das Tötungsverbot in der heutigen Justiz, in Gewaltverhältnissen oder angesichts medizinischer Entwicklungen? Kollidiert es mit dem Selbstbestimmungsrecht? Und wie kann angesichts dessen das Museum den Bildungsauftrag wahrnehmen? Das Deutsche Hygiene-Museum hatte die Absicht, eine passiv schwer konsumierbare Ausstellung zu entwickeln, die zu Diskussionen anregt. Sie nahm dafür das Risiko in Kauf, dass kontroverse Debatten entstehen und einige der künstlerischen Positionen auch abgelehnt werden. Kunst gibt keine einfachen Antworten auf komplizierte (oder einfache) Fragen, vielmehr versucht sie, selber Fragen zu stellen. Auf diese Weise kann sie bei der Suche nach Antworten helfen. Sie reagiert auf gesellschaftliche Diskurse oft, bevor die wissenschaftlichen Erkenntnisse gewonnen wurden. Sie formuliert offener, auch komplexer als die oft vereinfachenden und einseitigen Debatten um Werteverfall und Werteverlust, selbst wenn (noch) keine Antworten vorliegen bzw., unter veränderten politischen, sozialen und ökonomischen Bedingungen, traditionelle Werte nicht ohne Weiteres praktizierbar sind. Welche Entscheidungskriterien waren bei der Auswahl der Kunstwerke leitend? Bewusst wurden solche Werke ausgewählt, die in einem anderen Ausstellungszusammenhang für andere Bedeutungen gestanden hätten, im Kontext dieses Ausstellungsthemas jedoch auf die Besucher emotional einwirken und sie weitere Bedeutungsebenen entdecken lässt. Zeitgenössische Kunst wird gewöhnlich eher als spröde, abweisend, gar unverständlich oder kühl, als intellektuell empfunden. Hier jedoch fallen viele der künstlerischen Arbeiten durch ihre starke Emotionalität und, nicht zuletzt, ihren »Extremismus« auf: Sie reflektieren Grausamkeiten wie Völkermord, Massaker und schwer erträgliches Leid. Eine der aufgeworfenen Fragen ist: Darf das die Kunst, darf sie alle Tabus brechen? Welche Tabus? Darf sie zum Beispiel extreme Gewalt zeigen, weil die Umwelt grausam ist? Legitimieren die Medien, die Brutales zeigen, die Kunst als realistisch-naturalistischen Spiegel der Gesellschaft von heute? Sollte sie nicht eher eine Gegenwelt darstellen? Werden Grenzen überschritten? Darf oder soll sich der Alltag von Menschen auf diese Weise in einem Museum wiederfinden? Wie verhalten sich Kunst und museumspädagogische Angebote in einer Ausstellung mit religiös bestimmtem Thema in einer weitgehend säkularisierten Gesellschaft, insbesondere in Ostdeutschland? Sicher stellt sie eine Herausforderung dar, an die Menschen in West- wie in Ostdeutschland, denn hinsichtlich der religiös-christlichen Konnotationen gibt es auf beiden Seiten erhebliche Lücken. Im Blick darauf sind andere, neue Wissensbestände wichtig. Andere kulturelle, technische Praktiken und neue Medien, wie sie heute auch von den KünstlerInnen genutzt werden (Video, Dokumentation), helfen dabei. Der Bezug auf die drei Schriftreligionen – Judentum, Christentum, Islam – zieht sich wie ein roter Faden durch die gesamte Ausstellung, wenn

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Udo Liebelt, Folker Metzger (Hg.) Vom Geist der Dinge

auch viele BesucherInnen mit den die jüdischen und den islamischen Traditionen am wenigsten etwas anfangen können. In einem kulturhistorischen »Entree« werden die Zehn Gebote mit Blick auf den Kontext ihrer Entstehung und ihrer Präsenz in den drei Schriftreligionen vermittelt. Die Ausstellungsvorbereitungen wurden durch die Beratung von Wissenschaftlern aus den Bereichen Theologie und Philosophie unterstützt. Die große Zustimmung, die die Ausstellung bei den Besucher erfahren hat, reflektiert ein wohl allgemeines Bedürfnis nach intellektueller und emotionaler Auseinandersetzung mit ethischen Fragen. Zur besonderen Konzeption der Ausstellung gehörte darum auch eine besondere Form der Besucherbetreuung bzw. der Museumspädagogik. Viele BesucherInnen bringen wenig Erfahrung im Umgang mit zeitgenössischer Kunst mit, oft existieren starke Hemmschwellen oder strikte, einseitige Vorstellungen von ihr. Die übliche, nicht selten autoritäre Handhabung der Führungen, genügte uns nicht. Wie gehen wir mit den aufgewühlten Emotionen der Leute um? Wichtig sind uns Formen der Vermittlung, die genügend Raum für die Artikulation von Gefühlen und für Gespräche bieten, für Nachfragen und Diskussion. Im Hinblick auf die unterschiedlichen Besuchergruppen und Individuen haben sich verschiedene, auch experimentelle Formen der Führung herausgestellt: Schüler führen Schüler, auf die verschiedenen Altersgruppen speziell zugeschnittene praktische Aufgabenstellungen, sog. Überblicksführungen, Audioguide, bis hin zu einem Konzept eines Besucherdienstes, der kompetent Informationen vermittelt und als Ansprechpartner zur Verfügung steht, um auf Wunsch BesucherInnen durch die Ausstellung zu begleiten. Eine Ausstellung wie »Die Zehn Gebote« setzt besondere Formen der Vorbereitung voraus – intensive Gespräche mit den Kuratoren, mit den KünstlerInnen, die Bereitstellung von Informationsmaterialien (»Reader«), und dass wir unsere Arbeit ständig überprüfen (Supervision) und die Führungsmethoden austesten. Dialogische Führungen haben sich in dieser Ausstellung allerdings nicht bewährt – vielleicht war die emotionale Berührung des Publikums zu groß, um die persönlichen Eindrücke und Empfindungen mit anderen zu teilen.

Leitung und Bericht: Anja Sommer, Co-Kuratorin der Ausstellung des Workshops »Die Zehn Gebote«, Stiftung Deutsches HygieneMuseum, Dresden Heidi Stecker, Galerie für Zeitgenössische Kunst, Leipzig Tagungsort: Deutsches Hygiene-Museum, Dresden Kontakt: www.dhmd.de, [email protected] http://museen-in-sachsen.smwk.de/kunst/mus241.html

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Religionen und Weltsichten ➔ Religionspädagogische Ansätze im Museum der Weltkulturen



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Religionen und Weltsichten. Religionspädagogische Ansätze im Museum der Weltkulturen

Liana Gugel, Astrid Meister Behandlungsgrundlagen von Religionen und Weltsichten im Museum der Weltkulturen Seit dem Jahre 2002 verfolgt das Museum ein Fünf-Jahresprogramm, betitelt »Raum und Zeit: interreligiös – interkulturell – interdisziplinär«. Das Museum thematisiert damit die Bedeutungen von Religionen und Weltsichten als zentral für menschliches Handeln und setzt dieses Thema in der museumspädagogischen Arbeit konsequent um. Die Beschäftigung mit Kulturen und außereuropäischen Ethnien erfordert es, den Religionsbegriff offen zu halten. Während der Arbeit mit kulturell und religiös gemischten Schulklassen u.a. Gruppen ist immer wieder zu erleben, wie unterschiedlich der Begriff Religion assoziiert wird. Je nach Sozialisation, Kontakt und Wissen denken beispielsweise die Einen an Gebete und Gotteshäuser, die Anderen jedoch an Buddha, Schamanismus oder Mythen. Die mit dem Begriff verknüpften Vorstellungen bestimmen den jeweiligen Zugang auch zu den Religionen der Anderen. Grundlage für eine interreligiöse Museumspädagogik ist die Bewusstwerdung und Offenlegung des individuell, kultur- und religionsgeschichtlichen Hintergrundes. Die Beschäftigung mit Religionen erfordert zudem die kritische Auseinandersetzung mit der Frage, wer zur Repräsentation einer Religion autorisiert ist. Hier schließen sich die Fragen nach der Mehrheitsmeinung, nach abweichendem Verständnis von religiösem Wissen sowie nach traditioneller und modernisierter religiöser Praxis an. Im Mittelpunkt der religionspädagogischen Arbeit im Museum der Weltkulturen stehen Objekte aus dem religiösen Alltagsgebrauch, die ebenso ästhetische Ausdrucksmittel sind wie Musik und Tanz. Durch Ertasten, Betrachten und Spekulieren erschließt sich die Gruppe, zusammen mit Ethnologen und (idealiter) mit Religionsvertretern, deren Bedeutungen für die Gestaltung der alltäglichen Lebenspraxis, wie sie z.B. in Gebets-, Ernährungsund Bekleidungsvorschriften, Tages- und Jahresrhythmen zum Ausdruck kommen bzw. sowie die dem Glauben zugrunde liegenden Konzepte. Vermittlungsansätze Im Workshop wurden zwei Ansätze museumspädagogischer Vermittlung in Frankfurt vorgestellt: ein kreativ-gestalterischer Kurs zu einer lokal begrenzten Religion, der auf einem Ateliergespräch basierte, sowie der Dialog über einen Aspekt einer lokal nicht begrenzten religiösen Praxis. Im Falle der lokal

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begrenzten Religion kann davon ausgegangen werden, dass alle Beteiligten die gleichen Vorkenntnisse besitzen, die lokal nicht begrenzte religiöse Praxis kennen die Teilnehmer auf unterschiedliche Weise. Zudem können praktizierende Gläubige anwesend sein, die über ihre eigenen Erfahrungen ebenso berichten wie sie auch Kritik an der Präsentation ihrer Religion äußern. Im Zentrum beider Vermittlungswege standen Objekte und Medien aus der museumspädagogischen Sammlung. Schwerpunkt eines kreativ-gestalterischen Kurses, der auf einem interaktiven Ateliergespräch basierte, waren Aspekte religiöser Vorstellungen der Irokesen. Den thematischen Einstieg bildeten Fragen zur Beziehung zwischen Mensch und spiritueller Welt, zu den Konsequenzen dieses Konzeptes für die Gestaltung der alltäglichen Lebenspraxis. Zu Gebet, Tanz und Musik als Handlungsebenen kommen Ernährungsvorschriften und Festkalender hinzu, zur Vernetzung der religiösen Aspekte mit anderen kulturellen sind soziale Phänomene wie Machtverhältnisse, Wirtschaft und Geschlechterrollen maßgeblich. Um diesen Fragen Rechnung zu tragen, haben wir mithilfe von Illustrationen Lebensraum, wirtschaftliche Grundlagen, Politik und Geschichte sowie Verwandtschaft der betr. Ethnie skizziert. Die Vermittlung der religiösen Lebenspraxis erfolgte über die Beschreibung ihrer Ausdrucksformen. Unter anderem wurden religiöse Feste, das Bundwesen, die Krankenheilung sowie der Schutzgeistglauben vorgestellt. Hierbei kam der erlebnis- und handlungsorientierten Vermittlung durch das Ertasten und Kontextualisieren von Objekten wie Rasseln und Trommeln, dem Hören von Liedern, dem Riechen von Gräsern, die im rituellen Kontext gebraucht werden, sowie dem Betrachten von Illustrationen besondere Bedeutung zu. Die irokesische Mythe »die drei Schwestern«, in der die Rolle der Grundnahrungsmittel Mais, Bohne und Kürbis beschrieben wird, schuf die Grundlage für den anschließenden kreativ-gestalterischen Teil. Ausgehend von Werken zeitgenössischer irokesischer Künstler, die die vielgestaltigen Botschaften der Mythen in ihren Bildern visualisieren, setzten wir unsere Ideen in die Gestaltung von Collagen um. Dafür verwendeten wir Papiertaschen in Anlehnung an das Werk von Peter Jemison, eines irokesischen Künstlers. Ziel der kreativ-gestalterischen Arbeit war es, sich wesentliche Aspekte der irokesischen Religion zu vergegenwärtigen und die Collagen als Erinnerungsstützen für die weitere Beschäftigung mit dem Thema anzufertigen. Im praktischen Teil des Workshops führten wir ein »Gespräch über Religionen«. Wir konzentrierten uns darin auf den Aspekt einer lokal nicht begrenzten religiösen Praxis: das rituelle Gebet im Islam. Die Annäherung gelang über das bereits vorhandene Wissen der Workshop-Teilnehmer, das aufgrund der Medienpräsenz des Themas Islam und möglicher persönlicher

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Religionen und Weltsichten ➔ Religionspädagogische Ansätze im Museum der Weltkulturen

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Kontakte zu Muslimen vorausgesetzt werden konnte. Die Teilnehmer wurden aufgefordert, stichpunktartig ihre Assoziationen mit dem »islamischen Gebet« zu notieren. Eine solche »Stichprobe« dient zunächst als Anhaltspunkt dafür, wo der Einzelne »abzuholen« ist, und eignet sich abschließend als Parameter für erweitertes Wissen und neue Erfahrungen durch die gemeinsame Arbeit. In den Köpfen der Teilnehmer kursierten bereits viele Bilder zum islamischen Gebet, die sie allerdings nur sehr vorsichtig bzw. fragmentarisch formulieren konnten (oder wollten). So sammelten wir Begriffe wie »Niederknien«, »Gebetsteppich«, »viele Männer«. Diese Assoziationen wurden allen TeilnehmerInnen zugänglich gemacht, unsererseits jedoch zunächst nicht kommentiert. Über die Objekte wurde der nächste, diesmal taktile, auditive und visuelle Zugang zum islamischen Gebet ermöglicht. Mit dem arabischen Gebetsruf vom Band und einer deutschen Übersetzung davon, wurden die Teilnehmer auch sinnlich auf den Themenwechsel eingestimmt. Die Gebetsteppiche, der Gebetskompass sowie verschiedene Koranausgaben wurden von allen interessiert betrachtet und angefasst. Der Aufforderung, Anmerkungen und Fragen direkt zu äußern, kamen die Teilnehmer umgehend nach. Vor allem über die Motive auf den Gebetsteppichen (Minarett, Kaaba in Mekka, Gebetsnische) und die sichtbare Abnutzung eines Exemplars kamen wir auf die Bewegungsabläufe und die ihnen zugrunde liegenden Geisteshaltungen der Betenden ebenso zu sprechen wie auf Schwierigkeiten, die entstehen, wenn in einem nicht mehrheitlich muslimischen öffentlichen Raum die Gebete fünfmal täglichen vollzogen werden. Den am Dialog Beteiligten wurden über Gegenstände ausreichend Annäherungsebenen und Assoziationsfelder angeboten, um ein Gespräch über das rituelle Gebet im Islam zu führen. Über die Möglichkeit, mit diesen Objekten taktil umzugehen, werden eventuelle Hemmschwellen abgebaut, Fragen und Anmerkungen, aber auch Unbehagen und Konflikte zu äußern. In einem so evozierten Dialog erklären sich die Teilnehmer gemeinsam ihr bis dato unverständliches Verhalten. Ein solches Verständnis ermöglicht eine differenziertere und offenere Haltung gegenüber anderen Religionen. Abschlussdiskussion Im Workshop der Tagung versuchten die TeilnehmerInnen, sich über das Ateliergespräch und kreativ-gestalterische Wege wie auch über den dialogischen Ansatz verschiedenen Aspekten der irokesischen bzw. der islamischen Weltsichten anzunähern. Dabei ging es nicht um die Aufführung religiöser Praxis, sondern um eine Annäherung an religiöse Konzepte anhand musealer Objekte. In einer abschließenden Diskussion beschäftigten wir uns zunächst mit dem Thema »das Eigene im Fremden und das Fremde im Eigenen«. Dabei

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kamen wir darin überein, dass die Übung des »Fremdgehens« und »Fremdverstehens« erst dann beginnen kann, wenn die begrifflichen Voraussetzungen des eigenen Standpunkts offengelegt sind. Wenn ausreichend Annäherungsebenen und Assoziationsfelder geschaffen sind, können in einem weiteren Schritt die eigenen Perspektiven beleuchtet, bestimmt und im Dialog formuliert werden. Dabei sollte weniger der direkte Vergleich als vielmehr die Praxis, der Umgang mit religiösen Traditionen, das Herstellen von lebensweltlichen Bezügen im Vordergrund stehen. Hilfreich hierfür sind intensive Kooperationen zwischen Museen, den Kirchen, Verbänden u.a. Partnern. In diesem Zusammenhang wurden auch Fragen zu den Grenzen und Möglichkeiten der Museumsarbeit aufgeworfen: Inwieweit sollen wir uns der Religionspädagogik, der Sozialpädagogik, der Arbeit mit Migranten annähern? Welche Konsequenzen hat das für unsere Tätigkeit und die zu fordernde Qualifikation? Unsere Diskussion ging auch auf Fragen zum Umgang mit heiligen Objekten ein. Viele Irokesen sind beispielsweise der Meinung, dass die von Mitgliedern der irokesischen Bünde getragenen Masken, ja selbst Abbildungen von Masken und anderen Zeremonialgegenständen heilig und deshalb vor den Augen Nichteingeweihter zu schützen sind. U.a. ergaben sich dabei folgende Fragen: • Inwieweit müssen wir den Forderungen indigener Vertreter Rechnung tragen? • Wie gehen wir mit Objekten um, die im ursprünglichen Zusammenhang nur Eingeweihte sehen durften? • Warum machen wir Objekte sichtbar, die in ihrem ursprünglichen Kontext geheim und unsichtbar waren? • Müssen wir indigene Vertreter bei der Konzeption von Ausstellungen einbeziehen? • Können heilige Gegenstände mit ausreichender Sensibilität und dem nötigen Respekt ausgestellt werden? • Welche Objekte sollten nicht ausgestellt werden? Die Teilnehmer kamen darin überein, dass man die Forderungen indigener Vertreter berücksichtigen, thematisieren und Museumsbesucher dafür sensibilisieren muss. Ohne das Wissen um Regeln und Verbote ist ein respektvoller Umgang mit anderen Religionen und Weltsichten kaum möglich.

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Leitung des Workshops und Bericht: Liana Gugel und Astrid Meister, Museum für Weltkulturen/»InterKulturelles Atelier«, Frankfurt a.M. Tagungsort: Staatl. Museum für Völkerkunde, Dresden Kontakt: www.mdw.frankfurt.de, [email protected] www.voelkerkunde-dresden.de, [email protected]

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Udo Liebelt, Folker Metzger (Hg.) Vom Geist der Dinge



Erzähl’ mir was vom Tod! Konzeptionen und Ausstellungsgestaltung im Vergleich

Claudia Lorenz Der Workshop diskutierte anhand zweier unterschiedlich realisierter Ausstellungen zum Thema Tod zeitgemäße Möglichkeiten des Umgangs mit Tod, Sterben, Trauer und verschiedene museale Präsentationsweisen zum Thema. Zum Vergleich standen die seit 2002 erfolgreich durch Deutschland tourende interaktive Wanderausstellung Erzähl’ mir was vom Tod, produziert vom Kindermuseum im FEZ-Berlin, sowie die Sonderausstellung Nach dem Tod, die des Landesamt für Archäologie zusammen mit dem Landesmuseum für Vorgeschichte Sachsen vom 18. Juni 2004 bis 16. Oktober 2005 im Japanischen Palais, Dresden zeigt. Beide Ausstellungen stellen sich einem Tabu. Sie konfrontieren die BesucherInnen auf ungewöhnliche Weise mit einem Thema, das in unserer Gesellschaft gern verschwiegen und verdrängt wird. Welche »Erzählweisen« bieten sie an? Worin gleichen und worin unterscheiden sich beide Ausstellungen, gestalterisch und methodisch? Und wie lässt sich das Thema Tod so zur Sprache bringen, dass auch Kinder und Jugendliche angeregt werden, sich mit Abschied und Tod auseinander zu setzen? Die verlorene Sprache oder »Dafür seid ihr noch zu klein« In unserer westlichen Kultur hat sich die Einstellung zum Tod entscheidend gewandelt. Der Tod ist zum großen Tabu geworden. Jugendlichkeit, Erfolg und »Gut-Drauf-Sein« sind heute die bestimmenden Wertvorstellungen, in denen das Alter und der Tod keinen Platz mehr haben. Alle wollen dynamisch und leistungsfähig sein, möglichst keine Falten bekommen und das Leben nicht verpassen. Verletzbarkeit, Tod und Trauer werden verdrängt und oftmals aus unserem Leben ausgeklammert. Auch wenn wir im Fernsehen oder in den Medien tagtäglich mit Katastrophen, Verkehrsunfällen und dem »Totumfallen« konfrontiert werden, ist die unmittelbare Erfahrung des Einzelnen mit Tod und Sterben selten geworden. Gestorben wird meist allein oder im fremden Bett von Krankenhäusern oder Altersheimen. Wer hält noch die Hand des Sterbenden? Wer verabschiedet sich noch vom Toten? Wir haben Angst dabei zu sein und setzen uns erst mit dem Sterben auseinander, wenn es längst zu spät ist. Weil wir uns mitten im Leben nicht damit beschäftigt haben, sind wir im Ernstfall hilflos und schockiert. Bestattungsunternehmen und Pflegepersonal nehmen uns die Arbeit ab. Trauerrituale, ja Trauerarbeit, haben wir meist nicht gelernt. So wird nicht selten die Bestattung zu einer »Entsorgung«, die uns unbefriedigt und unglücklich zurücklässt, mit dem Gefühl, dass wir etwas falsch gemacht haben, aber nicht wissen, wie man es

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Erzähl’ mir was vom Tod! ➔ Konzeptionen und Ausstellungsgestaltung im Vergleich

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hätte anders machen können. Wir als Erwachsene geben das Tabu an unsere Kinder weiter. Die Auseinandersetzung mit Sterben, Krankheit und Alter wird aus falsch verstandener Fürsorge häufig vermieden und auf Schulfächer wie Religion oder Lebenskunde abgeschoben. Zwei aktuelle Ausstellungen im Vergleich Nach einer Führung durch die Sonderausstellung »Nach dem Tod« und einem anschließenden Bildervortrag zur Ausstellung »Erzähl’ mir was vom Tod«, die kurz vorher am gleichen Ort zu sehen war, wurde im anregenden Gespräch hauptsächlich die Vermittlungsform »Wie präsentiere ich den Tod in einer Ausstellung?« sowie die Art und Weise der Gestaltung und ihre Anschlussmöglichkeiten zu unterschiedlichen Zielgruppen diskutiert. Beide Ausstellungen haben das gleiche Ziel: Sie wollen nicht erschrecken und niederdrücken, sondern den Tod als etwas Selbstverständliches zurück ins Leben rufen um bewusst zu machen, dass Leben und Tod untrennbar zusammengehören. Die Ausstellung »Nach dem Tod«, kuratiert von Dr. Louis Nebelsick, ist eine archäologische Ausstellung, die sich mit 8000 Jahren sächsischer Bestattungskultur (7000 v. Chr.-1700 n. Chr.) zwischen Elster und Neiße auseinander setzt. Über 800 Einzelfunde, von den Steinzeitjägern bis zu den prächtigen Grüften des Barock, zeigen anschaulich unterschiedliche Vorstellungen vom »Danach« und verweisen durch nachempfundene Szenerien auf das Alltagsleben und die verschiedenen Bestattungszeremonien. Die Palette reicht von den mit Rötel gefärbten Gräbern der Steinzeit, über Siedlungsgruben mit scheinbar achtlos hingeworfenen Leichen bis zu den ersten christlichen Grabsteinen Sachsens. Ungewöhnlich und beeindruckend ist die klare und helle Präsentation von Skeletten und Leichenbrand. Im Gegensatz zu vielen Ausstellungen, in denen Skelette nicht gezeigt oder nur im düsteren Licht dargestellt werden, sind hier die Gräber licht und klar angestrahlt. Kein Gang durch gruselige Gräber, sondern ein Offenlegen und dadurch ein selbstverständlicher Rundgang durch die Geschichte der Bestattung. Die Gräber, verstanden als Informationsträger, die durch ihr Licht weniger erschrecken, als vielmehr neugierig machen, zum »Lesen« und zur Diskussion um Bestattung und Glaube von früher und heute auffordern. Diese Ausstellung richtet sich vordergründig an Erwachsene und bietet zugleich ein museumspädagogisches Programm für Kinder, überwiegend für das 5. und 6. Schuljahr, an. Dazu gehören Führungen, Führungsgespräche sowie Führungsbegleitung mit Suchblättern sowie Aktionsprogramme. Der Schwerpunkt liegt auf dem archäologischen und vorgeschichtlichen Aspekt. Die Bestattungen und Grabinventare werden als Fenster in die Geschichte betrachtet, so dass das Alltagsleben und die zeitgeschichtliche Entwicklung (von der Steinzeit zur Eisenzeit)

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sowie Jenseitsvorstellungen des Christentums im Mittelpunkt der Betrachtung stehen. Die Ausstellung »Erzähl’ mir was vom Tod«, als Wanderausstellung insbesondere für junge Menschen vom Kindermuseum im FEZ-Berlin, unter der Projektleitung von Claudia Lorenz realisiert und seit drei Jahren in Deutschland auf Tour, möchte dem Thema Tod ebenfalls ins Auge schauen. Grundsätzlich unterscheidet sie sich von der Ausstellung »Nach dem Tod« dadurch, dass sie das Thema Tod nicht nur über archäologische Aspekte bearbeitet, sondern den Tod selbst als Tabu in unserer Gesellschaft in den Fokus der Auseinandersetzung rückt. Die museologische oder chronologisch klassische Präsentation mit viel Text wird vermieden. Die Ausstellung lädt zum Berühren und Berührt-Werden ein. Sie bearbeitet den Tod über unterschiedliche Erzählweisen: kulturvergleichend, phänomenologisch, poetisch und künstlerisch. Zwölf begehbare Stationen laden die Lebenden ein, sich behutsam und ohne Scheu auf die »andere Seite« zu begeben, sich als »Reisende« in ein unbekanntes Land aufzumachen. »Achtung, ihr verlasst jetzt das Diesseits«, so heißt es im Reisebüro, wo jedes Kind einen Reisepass und ein Einreisevisum erhält und sich von dort durch die einzelnen Zimmer und Kammern menschlicher Träume, Ängste aber auch Hoffnungen bewegen kann. Vorgestellt werden Märchen, Mythen und Spiele, die den Menschen in allen Zeiten und im Alltag halfen, das Leben und den Tod zu erklären. Themen wie Alter, Zeit, Unsterblichkeit oder Paradies werden spielerisch und anschaulich thematisiert: Eine Riesen-Sanduhr, die mit rinnenden Sand auf den Fluss des Lebens verweist; Gevatter Tod als Comic in einem überdimensionalen Buch zum Blättern; ein Labor, wo man sich einen Unsterblichkeitstrank mixen kann; oder mexikanische Totenschädel aus Zucker auf einem farbenprächtigen Gabentisch voller Blumen und Kerzen, die auf einen anderen Umgang mit dem Tod verweisen und Mut geben, über eine Trauerkultur nachzudenken. Das Totengericht des Osiris, ein Sarg zum Anfassen, Paradiesbäume, die dazu einladen, die eigenen Vorstellungen vom »Danach« auf ein Blatt zu schreiben oder die Pantoffeln des alten Großvaters ermutigen dazu, Berührungsängste abzubauen und gemeinsam über den Tod zu reden. Die Gesamtgestaltung der Ausstellung ist an eine Stadt mit Straßen und Häusern angelehnt, die es ermöglicht, im eigenen Tempo allein oder mit den Eltern und Großeltern ganz intim die einzelnen Räume zu besuchen. Ein Lageplan und pädagogische BetreuerInnen stehen mit Informationen und Anregungen zur Seite, ohne den Weg vorzugeben. Grundtenor der Diskussionen angesichts beider Ausstellungen war: Sie befassen sich mit dem Tod, sie bieten Räume und Wege, um sich im Umgang mit ihm zu üben und über das »Fremde« bzw. über eigene Rituale und Ab-

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schiedsformen zu reflektieren. Zugleich lassen sich beide Ausstellungen, was den zu vermittelnden Inhalt, die Ausstellungsarchitektur und die Objekte betrifft, nur bedingt vergleichen. Dieser Umstand bot enormes Potenzial für das anschließende Gruppengespräch und anregende Diskussionen zu unterschiedlichen Fragen und ethischen Erwägungen: Wie kann der Tod in einer Ausstellung überhaupt thematisiert werden und wie stellt man ihn dar, ohne ihn nur auf den bloßen physikalischen Akt oder auf archäologische Funde zu reduzieren? Inwieweit stören wir mit der Präsentation einer Grabstätte die Ruhe und Würde des Toten? Wie thematisiert die Ausstellung für Kinder Leben und Sterben, welche Berührungspunkte bietet sie für den Austausch der Generationen? Deutlich wurde, dass die Ausstellung »Nach dem Tod« den Schwerpunkt eher auf eine Ausbreitung der Kulturgeschichte der Bestattungen legt; der Besucher wird zum sachlichen rationalen Forscher, der präzise Fundstücke als Informationsträger, gut systematisiert, vor sich ausgebreitet findet und »lesen« kann. »Erzähl’ mir was vom Tod« bewegt sich auf einem viel »dünneren Seil«. Die Ausstellung konfrontiert direkt und sehr emotional mit dem Tod. Gezielt werden hier Unsicherheiten aufgesucht, werden verschiedene »Erzählungen« angeboten, wird der Tod fühlbarer. Hier kann man weinen und lachen und, anstatt längere Texte zu lesen, kann man selbst aktiv werden. Berührungen zwischen Alt und Jung finden fast in jedem Raum statt. Gemeinsam sitzen Kinder und Erwachsene auf dem weißen Teppich um ein Grab herum, welches nicht nur als sachlicher Informationsträger dient, sondern zugleich in ein atmosphärisches Ambiente eingebettet ist – im weißen, weichen Raum inmitten von Paradiesbäumen. So ist es möglich, über das in den Boden eingelassene Grab zu laufen und unterschiedlichen Assoziationen nachzugehen. Anstelle der chronologischen Gliederung und einer Führung wurde hier Offenheit bewusst angestrebt. Sinnfragen werden provoziert: Es wird über den Tod und über das Leben geredet. Was ist mir wichtig in meinem begrenzten Leben? Gibt es ein Leben nach dem Tod? Diskutiert wurde im Workshop auch die Frage, wie Kinder mit menschlichen Überresten und mit dem Tod im Allgemeinen umgehen. Dass sie prinzipiell viel weniger Scheu haben, den Tod anzusprechen und Fragen darüber zu stellen, diese Erfahrung machten die pädagogischen BetreuerInnen, aber auch die, dass sie Skelette eher spannend, »gruselig« und »toll« finden, ihnen aber die Dimension des Todes, die Endgültigkeit nicht recht bewusst wird. Ein weiterer Gesprächspunkt waren Fragen zu religiösen und rituellen Antworten auf den Tod. In der Rezeption beider Ausstellungen gibt es große Unterschiede, bei der auch die Herkunft der BesucherInnen, ob sie aus dem weitgehend atheistisch geprägten Osten Deutschlands oder aus dem Westen stammen, eine Rolle spielen. Diskutiert wurden auch Erklärungsprobleme, die Ausstellungen über Glauben in einem Umfeld ohne Vorwissen mit sich

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bringen. Es wurde angemerkt, dass in den multiethnisch zusammengesetzten Bevölkerungsschichten westlicher Großstädte die Vermittlung rein christlicher Glaubensgrundsätze schwierig ist, da man Menschen damit auch ausgrenzt. Hier vereint die Ausstellung »Erzähl’ mir was vom Tod!« durch Themen, die über das Religionsspezifische hinausgehen und übergreifend universale menschliche Fragen zum Tod ansprechen, unterschiedliche Lebensund Erfahrungszusammenhänge nicht nur verschiedener Generationen, sondern auch von Menschen verschiedener Kulturen. Das Ergebnis der sehr interessanten Gespräche war, dass es auch für Besucher im Rahmen eines Museumsbesuches ein Bedürfnis sein kann, über den Tod nachzudenken und dass es wichtig ist, möglichst vielfältige Angebote und Räume für Auseinandersetzungen zu schaffen. Anzustreben sind neben der Ernsthaftigkeit des Projektes unbedingt auch spielerische und emotionale Zugänge, die nicht Angst machen, sich dem Thema aber offen stellen. Die Rolle der Museumspädagogik bei der Planung, Konzeption und Vermittlung von solchen Ausstellungen ist außerordentlich hoch.

Leitung des Workshops und Bericht: Claudia Lorenz, Projektleiterin des workshops»Erzähl’ mir was vom Tod«, Kindermuseum im FEZ Wuhlheide-Berlin Tagungsort: Staatl. Museum für Völkerkunde, Dresden Kontakt: www.fez-berlin.de, [email protected] www.voelkerkunde-dresden.de, [email protected]

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Sakrale Architektur ➔ Erlebnis Synagoge



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Sakrale Architektur. Erlebnis Synagoge

Nora Goldenbogen Die Neue Synagoge Dresden, am 9. November 2001 geweiht, ist in mehrfacher Hinsicht interessant für eine bildungspolitische und pädagogische Arbeit. Zunächst regt der markante, festliche, in sich gedrehte Steinkubus der Dresdner Synagoge – ein Werk der Architekten Wandel Hoefer Lorch + Hirsch, Saarbrücken – auf ganz eigene Weise dazu an, sich dem Zusammenhang von Geschichte und Architektur einer Synagoge zu nähern. Optisch unterstützt wird diese Anregung zum Nachdenken dadurch, dass auf dem Innenhof des Gesamtkomplexes von Synagoge und Gemeindezentrum der Grundriss der alten, 1938 zerstörten Semper’schen Synagoge durch Metallschienen sichtbar gemacht worden ist. Dadurch wird für die Besucher, auch für die jungen und jüngsten, ein optisches Signal gesetzt, dem Verschwundenen bzw. der dahinter liegenden Geschichte nachzuspüren. Abbildungen und Zeichnungen der zerstörten Synagoge helfen den heutigen Besuchern dabei, die historische Situation und die architektonische Leistung Gottfried Sempers, der zwischen 1838 und 1840 mit der Dresdner Synagoge seinen einzigen Sakralbau geschaffen hat, ermessen zu können. Angeregt wird bereits an dieser Stelle die Frage, was mit dem Semper’schen Bau passierte und was übrig geblieben ist. Eine Antwort darauf geben die wenigen alten Sandsteine, die im Boden des Grundrisses und in der den Innenhof zur Straße abgrenzenden Mauer eingelassen sind. Auch Kinder und Jugendliche verstehen an dieser Stelle meist rasch, dass kaum etwas übrig geblieben ist, und es nicht sinnvoll und vor allem nicht ehrlich gewesen wäre, die in der Nacht vom 9. zum 10. November 1938 niedergebrannte und in den darauf folgenden Tagen bis zum letzten Stein weggeräumte Synagoge in der alten Gestalt wieder aufzubauen. Die Neue Synagoge Dresden, ein preisgekrönter und prägnanter Bau der Moderne, regt schon mit ihrer äußeren Gestalt Phantasie und historisches Denken an, provoziert Widerspruch und Diskussion. Dieses Phänomen eröffnet in der Bildungsarbeit mit Kindern und Jugendlichen die Möglichkeit, über die inhaltlichen Dimensionen dieses Bauwerks zu sprechen. Es erleichtert auch, die Tatsache zu verdeutlichen, dass Synagogen zwar beliebige äußere architektonische Formen haben können, aber im Dresdner Fall eine enge Bindung an architektonische Grunderfahrungen des Judentums beabsichtigt war. Von hier aus ist es nur ein kleiner Schritt dahin, dass die jungen Besucher Assoziationen zu den frühen Tempelbauten finden und beim Betreten des Synagogen-Innenraums die Analogie zum frühen Stiftszelt erkennen. (vgl. 2. Mose, Kap. 25f. Red.) Den sakralen Innenraum unter dem zeltartigen goldfarbenen Metall-Gewirk zu erleben, bietet eine besondere Chance in der päd-

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Udo Liebelt, Folker Metzger (Hg.) Vom Geist der Dinge

agogischen Arbeit. Hier ist es möglich, Wissenserwerb und sinnliches Erlebnis zu verknüpfen. Man kann vermitteln und sinnlich erfahrbar machen, was in einer Synagoge zu sehen ist, und welche Bedeutung bzw. Funktion die einzelnen Elemente wie Thoraschrein, Lesepult, Ewiges Licht, Menora oder Channukkia haben. Gleichzeitig spüren die Besucher auf vielfältige Weise: Das hier ist kein Museum, sondern gelebte jüdische Religion. Die abschließende Zeit zum Gespräch bietet die Chance, dieses Erlebnis zu vertiefen.

Leitung des Workshops und Bericht: Dr. Nora Goldenbogen, Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde zu Dresden, Jugendbildungsreferentin bei HATiKVA – Bildungs- und Begegnungsstätte für jüdische Geschichte Sachsen e.V. Tagungsort: Neue Synagoge Dresden, Hasenberg 1, 01067 Dresden www.synagoge-dresden.de www.hatikva.de, [email protected]

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Kirche als Museum? ➔ Ganzheitliche Erfahrung von Kirchenräumen



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Kirche als Museum? Ganzheitliche Erfahrung von Kirchenräumen

Kai Schmerschneider Wir versammelten uns zu Beginn des Workshops am Eingang der Christuskirche in Dresden Strehlen, die Türen der Kirche waren noch verschlossen. Das passte zum Ansatz des Workshops, die Kirche von außen nach innen zu erfahren. Und so waren alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer eingeladen, erst einmal für sich allein die Kirche von außen wie auch ihre Umgebung wahr zu nehmen. Einige Impulse sollten dafür hilfreich sein: Wo fühlen sie sich in unmittelbarerer Nähe der Kirche am meisten geschützt? Entdecken sie ein Tiermotiv, das ihnen besonders gefällt? Welchen Teil der Kirche würden sie nachts beleuchten? In einem zweiten Gang tauschten wir uns über unsere Erfahrungen aus. Wir lernten dabei voneinander, machten uns auf Details und deren Symbolkraft aufmerksam. Am Eingang wieder versammelt, stellte ich die Frage: Wie stellen sie sich das Innere der Kirche vor? Neugierde wurde wach. Entspricht das Innere meinen Vorstellungen? Wir gingen mit Kerzen langsam in den Raum. Jede/r konnte sich, ohne zu sprechen, umschauen und sich einen Platz suchen, an dem er/sie sich am wohlsten fühlt. Eine gemeinsame Stille in der Kirche ließ uns erfahren, dass dieser (und wohl jeder) Kirchenraum einen ganz eigenen »Klang der Stille« hat. Auf einem groß ausgebreiteten weißen Tuch konnten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit Hilfe von roten Stricken den inneren Grundriss der Kirche nachbilden. Wir stellten die Kerzen in den Grundriss, dort hin, wo wir uns zuvor aufgehalten hatten. Der Grundriss stellte ein griechisches Kreuz dar, das im Inneren mit Kerzenlicht erfüllt war. Eine ganzheitliche Kirchenführung hat auch immer etwas mit der persönlichen Prägung jeder Teilnehmerin und jedes Teilnehmers zu tun. Am deutlichsten wurde das beim Gang durch die Kirche mit Hilfe von Spiegelfliesen. Erst einmal schaute jede/r für sich in den Spiegel, dann bestand die Möglichkeit, Motive bzw. Einzelheiten aus dem Kirchenraum im Spiegel einzufangen und sich selber dabei im Blick zu haben. Unweigerlich traten wir als Person mit der Gestaltung der Kirche in einen Dialog. Und so zog es sich durch den gesamten Workshop hindurch: Wir können uns selber nicht außer Acht lassen, wenn wir die Hintergründe für die Gestaltkraft eines sakralen Raumes erfahren möchten. Wir haben uns im Workshop gegenseitig durch den Kirchenraum geführt, uns gegenseitig ausgetauscht, voneinander gelernt und das Profane für eine Zeit hinter uns gelassen. Kirche als Museum? – diese Frage blieb offen. Aber wir waren am Ende aufgebaut an der Gestaltung der Kirche und sind dadurch innerlich gewachsen.

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Udo Liebelt, Folker Metzger (Hg.) Vom Geist der Dinge

Leitung des Workshops und Bericht: Kai Schmerschneider, Leiter des Projektes »Kirchen öffnen«, Evangelische Erwachsenenbildung Sachsen Tagungsort: Ev.-Luth. Christuskirche, Dresden Kontakt: www.eeb-sachsen.de [email protected]

2005-10-05 18-10-34 --- Projekt: T398.kum.liebelt.religon-museum / Dokument: FAX ID 01c396524009878|(S. 185-186) T04_20 Kirche als Museum.p 96524011174

➔ Ideenmarkt



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Ideenmarkt

Wie auf den Konferenzen des Committee of Education and Cultural Action im Internationalen Museumsrat (ICOM-CECA) üblich, gehört in der Regel auch zum Programm der Jahrestagungen des Bundesverbandes Museumspädagogik e.V. ein »Ideenmarkt« (Market of Ideas). Alle angemeldeten TeilnehmerInnen waren vor Beginn der Tagung dazu eingeladen worden, mit Bezug auf das Tagungsthema eigene Projekte, Ideen oder Vorhaben in Bild und Wort vorzustellen. Für die nachfolgenden Kurzbeschreibungen nebst Kontaktadressen zeichnen die Referentinnen und Referenten verantwortlich. Leitung des Ideenmarktes: Dr. Udo Liebelt.

Von guten Mächten wunderbar geborgen. Gesprächsforum für ältere Menschen vor mittelalterlichen Sakralbildern im Badischen Landesmuseum Karlsruhe Im Mittelpunkt stehen die BesucherInnen. In der direkten Begegnung mit Kunstwerken initiiert ein Moderator/eine Moderatorin den Dialog zwischen BesucherInnen und Kunstwerk einerseits und zwischen den BesucherInnen andererseits. Vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Lebenswelten, aus denen die BesucherInnen und die Kunstwerke kommen, sollen existentielle Fragen besprochen werden für ein intensiveres Leben. Gerhard Elwert, Diplomtheologe, Geragoge, Kontemplationslehrer. [email protected]

Buddhismus im Museum. Museumspädagogik zwischen Kunst und Religion in Japan Das Tokyo National Museum sammelt und präsentiert Skulpturen und Gemälde, die zum buddhistischen Kulturerbe Japans gehören. Was macht das Erlebnis der Besucherinnen und Besucher aus, wenn sie Objekten, die eigentlich Gegenstände buddhistischer Gläubigkeit sind, im profanen Kontext des Museums begegnen? Wie vermittelt das japanische Museum zwischen Kunst und Religion? Fumiko Goto, Associate Curator, The Miyagi Museum of Art, 34-1, Kawauchi-Motohasekura, Aoba-ku, Sendai, Miyagi 980-0861/Japan, [email protected]

2005-10-05 18-10-34 --- Projekt: T398.kum.liebelt.religon-museum / Dokument: FAX ID 01c396524009878|(S. 187-189) T04_21 Ideenmarkt.p 96524011182

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Udo Liebelt, Folker Metzger (Hg.) Vom Geist der Dinge

Warum heißt Apfeltorte »Apfeltorte«? Philosophieren mit Kindern im Museum für Kommunikation Seit zwei Jahren philosophieren wir mit Kindern ab 9 Jahren im Museum für Kommunikation, Hamburg. Im Zentrum stehen dabei Fragen, die unsere Existenz und unser Bewusstsein bestimmen und nicht einfach zu erklären sind: Was sind Wörter? Was ist Zeit? Was ist Glück? Das »Immer schneller, immer weiter« der Kommunikationsgeschichte bildet dabei den Rahmen für philosophische Gespräche und ihre eigenen Formen. Elke Schneider, Museumspädagogin, Museum für Kommunikation Hamburg, Gorch-Fock-Wall 1, 20354 Hamburg. http://www. museumsstiftung.de, [email protected]

Was mich unbedingt angeht. Auf dem Weg zu einem operablen Religionsbegriff Die Definitionen von »Religion« sind unklar und oft wenig hilfreich. Gesucht wird der Weg zu einem Begriff von Religion, der sich in der Museumspraxis anwenden lässt. Dr. Martin Treu. Stiftung Luthergedenkstätten in Sachsen-Anhalt, Postfach 19, 06871 Lutherstadt Wittenberg, martin.treu@ martinluther.de

Der römerzeitliche Mithraskult im Archäologischen Museum Frankfurt. Philosophieren mit Kindern oder Philosophie für Kinder? Bezugnehmend auf einen Beitrag der internationalen ICOM-CECA-Konferenz, die im Dezember 2003 in Oaxaca, Mexiko, stattfand, wird im Archäologischen Museum Frankfurt der Versuch unternommen, römerzeitliche Funde zum Mithraskult zum Thema philosophischer Überlegungen zu machen. Dr. Angelika Schmidt-Herwig, Wiss. Mitarbeiterin, Archäologisches Museum, Karmelitergasse 1, D-60311 Frankfurt a.M., angelika. [email protected]

2005-10-05 18-10-34 --- Projekt: T398.kum.liebelt.religon-museum / Dokument: FAX ID 01c396524009878|(S. 187-189) T04_21 Ideenmarkt.p 96524011182

➔ Ideenmarkt

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»Alle Erkenntnis beginnt mit den Sinnen« (Thomas von Aquin). Eine Ausstellung zur Philosophiegeschichte »Sophia im Spiegel« ist eine interaktive Ausstellung zur europäischen Philosophiegeschichte. Das Eindringen in die philosophischen und religiösen Gedankengebäude geschieht mithilfe künstlerischer Objekte, die begreifbar und bespielbar sind, sowie mit optischen und akustischen »Versuchsanordnungen« und Weltbildmodellen verschiedener Art. Ullrich Schollmeyer, »Sophia im Spiegel« – Lernwerkstatt für Philosophie und Ethik, D-02627 Pommritz Nr. 1, www.lernwerkstattphilosophie.de

Kinder und Trauer. Ein Ausstellungsprojekt Geplant ist die Einrichtung einer Ausstellung in Bremen, als »Zentrum für trauernde Kinder«. Als Ziel wird verfolgt, Kindern und Jugendlichen Wege für einen positiven Umgang mit Trauer aufzuzeigen. Ariane Karbe, Ethnologin M.A., Freiberufliche Ausstellungsmacherin, Strackerjanstr. 3, D-26129 Oldenburg

2005-10-05 18-10-34 --- Projekt: T398.kum.liebelt.religon-museum / Dokument: FAX ID 01c396524009878|(S. 187-189) T04_21 Ideenmarkt.p 96524011182

2005-10-05 18-10-34 --- Projekt: T398.kum.liebelt.religon-museum / Dokument: FAX ID 01c396524009878|(S. 190

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➔ Zu den Autorinnen, Autoren und Herausgebern

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Zu den Autorinnen, Autoren und Herausgebern Dr. Peter-René Becker 1949 in Kiel geboren. 1968-1980 Studium der Biologie und Völkerkunde in Göttingen. 1980 Promotion in Zoologie, Anthropologie, Völkerkunde in Göttingen. 1980-1989 div. Museumspädagogische Projekte und Ausstellungen in Museen, u.a. am Zoologischen Museum Göttingen und Museum am Schölerberg, Osnabrück. 1989-1997 museumspädagogisch-wissenschaftlicher Mitarbeiter am Naturkunde-Museum der Stadt Bielefeld, zuletzt kommissarischer Leiter. Seit 1997 Leiter der Abteilung Naturkunde am Überseemuseum Bremen. Publikationen zum Thema Becker, P.-R. (1990): »Ich sag Dir, wo die Blumen sind«. In: Umweltlernen, Heft 53. Ders. (1996): Tiertod. Wirklichkeiten und Mythen (Ausstellungskatalog), Münster. Ders. (2001): nestWerk. Architektur und Lebewesen (Ausstellungskatalog), Oldenburg. Prof. Dr. Karl-Heinz Kohl 1948 geboren in Fürth/Bayern. Studium der Religionswissenschaft, Ethnologie, Geschichte und Philosophie in Erlangen und Berlin. 1980 Promotion mit einer Arbeit über die Ethnographie und Anthropologie des 18. Jahrhunderts an der Freien Universität Berlin. 1986 Habilitation im Fach Religionswissenschaft. 1988 Berufung auf den Lehrstuhl für Ethnologie und Afrika-Studien an der Universität Mainz. Seit 1996 Professor für Historische Ethnologie und Direktor des FrobeniusInstituts an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main. 2001/2002 Theodor-Heuss-Professor an der New School for Social Research, New York. Feldforschungen in Ostindonesien, Neuguinea und Nigeria. Publikationen zum Thema Kohl, K.-H. (Hg.) (1980): Mythen der Neuen Welt. Zur Entdeckungsgeschichte Lateinamerikas, Berlin. Ders. (Hg.) (2001): New Heimat, New York. Ders. (2003): Die Macht der Dinge. Geschichte und Theorie sakraler Objekte, München. Ders. (2004): »Kulthöhlen verschiedener Art. Eine Geschichte von heiligen Dingen«. In: Neue Rundschau 115, 1, S. 9-24.

2005-10-05 18-10-35 --- Projekt: T398.kum.liebelt.religon-museum / Dokument: FAX ID 01c396524009878|(S. 191-195) T05_22 Autorinnnen und Autoren.p 96524011198

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Udo Liebelt, Folker Metzger (Hg.) Vom Geist der Dinge

Dr. Udo Liebelt 1939 geboren in Berlin, lebt in Karlsruhe. 1961-1971 Studium der Ev. Theologie, Christl. Archäologie und Kunstgeschichte in Frankfurt a.M., Mainz, Berlin und Marburg, Promotion zum Dr. theol. mit einer Dissertation zum Thema »Marc Chagall und die Kunst der Ikonen«. 1970-1975 Galerist und Kunsterzieher in Marburg. 1975-1978 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Kunstmuseum Bonn. 1978-1997 Kustos für Bildung und Kommunikation am Sprengel Museum Hannover. Seit 1980 Dozent für Museums- und Ausstellungskommunikation an Universitäten und Goethe-Instituten im In- und Ausland. 1996-2002 Mitglied im Vorstand von ICOM-Deutschland. Seit 1997 freiberuflich tätig als Museums- und Ausstellungsberater. Publikationen zum Thema Liebelt, Udo (1983): Lebenszeichen – Botschaft der Bilder. Wirklichkeits- und Lebensverständnis in der modernen Kunst, Hannover. Ders. (2002) (Hg., zusammen mit Hans Werner Dannowski): Kunst ist Gleichnis. Predigten zur Kunst der Zeit, Hannover. Jean-Hubert Martin 1944 geboren in Straßburg. 1971-1982 Kustos am Musée National d’Art Moderne, Paris, ab 1977 im Centre Pompidou, Paris. 1982-1985 Direktor der Kunsthalle Bern. 1987-1990 Direktor des Musée National d’Art Moderne, Paris. 1991-1995 Künstlerischer Direktor des Château d’Oiron. 1994-1999 Direktor, Musée National des Arts d’Afrique et d’Océanie, Paris. 2000 Künstlerischer Leiter der Biennale de Lyon. Seit 2000 Generaldirektor der Stiftung museum kunst palast, Düsseldorf. Ausstellungskataloge zum Thema Martin, Jean-Hubert (Hg.) (1989): Magiciens de la Terre. Centre Pompidou, Paris. Ders. (Hg.) (2001): Altäre. Kunst zum Niederknien. museum kunst palast, Düsseldorf, Ostfildern Ruit. Ders. (Hg.) (2002): Künstlermuseum, museum kunst palast, Düsseldorf, erschienen anlässlich der Neupräsentation der Sammlung des Museums. Ders. (Hg.) (2004): Afrika Remix. Zeitgenössische Kunst eines Kontinents. museum kunst palast, Düsseldorf u.a., Ostfildern Ruit.

2005-10-05 18-10-35 --- Projekt: T398.kum.liebelt.religon-museum / Dokument: FAX ID 01c396524009878|(S. 191-195) T05_22 Autorinnnen und Autoren.p 96524011198

➔ Zu den Autorinnen, Autoren und Herausgebern

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Dr. Michael Matthes Jahrgang 1947, Studium der Geschichte und Philosophie. 1981-1986 Verlagstätigkeit. Mitarbeit an mehreren Bildungsprojekten im Deutschen Museum München. Seit 1987 Leiter des Bereichs naturwissenschaftlich-technischer Sammlungen beim Museumspädagogischen Dienst Berlin. 1989-1995 Lehrbeauftragter für Museumspädagogik im Rahmen der Medienpädagogik an der Freien Universität Berlin. 1996-2002 Leiter der Abteilung Bildung im Deutschen Technikmuseum Berlin. Publikationen zum Thema Bearbeitung des Sammelbandes »Schule und Museum. Vom Nutzen des Museums für die Schule«. Planung und Durchführung der Symposien »Museumspädagogik in technischen Museen« 1999 Berlin, 2000 Mannheim, 2001 München, 2002 Wien, 2003 Bern. Folker Metzger 1967 geboren in Rinteln. Studium, Erstes und Zweites Staatsexamen in den Fächern Geschichte und Pädagogik für die Grund- und Hauptschule. 1995-1999 Museumspädagoge am Badischen Landesmuseum Karlsruhe. 1999-2004 Leiter der Museumspädagogik am Deutschen Hygiene-Museum Dresden. Seit 2004 Fachgebietsleiter Pädagogik an der Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland, Bonn. Dr. Susanne Natrup 1958 geboren in Mönchengladbach. Privatdozentin an der Philipps-Universität Marburg für das Fach Praktische Theologie. Derzeit Pfarrerin in Schwalmstadt. Publikationen zum Thema Natrup, S. (o.J.): Das postmoderne Kunstmuseum als Ort impliziter und individualisierter Religion. Ein Beitrag zur »Religion in der Lebenswelt der Moderne«, Habilitationsschrift am Fachbereich Evangelische Theologie der Philipps-Universität, Marburg. Veröffentlichungen zum Thema »Kunst und Kirche« sowie zu Fragen von »Religion in der Lebenswelt der Moderne«.

2005-10-05 18-10-35 --- Projekt: T398.kum.liebelt.religon-museum / Dokument: FAX ID 01c396524009878|(S. 191-195) T05_22 Autorinnnen und Autoren.p 96524011198

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Udo Liebelt, Folker Metzger (Hg.) Vom Geist der Dinge

Frank Richter 1960 geboren in Meißen. 1978 Abitur, 18 Monate Bausoldat in Stralsund. 1981-1987 Studium der Philosophie und Theologie in Erfurt und Neuzelle. 1987 Priesterweihe in Dresden. 1987-1989 Kaplan in Dresden-Pieschen. 1989 Begründer der »Gruppe der 20« in Dresden. 1989-1994 Domvikar an der Hofkirche/Kathedrale in Dresden. 1994-1996 Diözesanjugendseelsorger des Bistums Dresden-Meißen. 1997-2002 Pfarrer in Aue/Sachsen. 1998-2003 Vorsitzender des Kinder- und Jugendringes Sachsen e.V. 1992 Mitbegründer der Katholischen Offenen Jugendarbeit e.V. in Dresden. Z.Zt. Referent für Religion und Ethik am Comenius-Institut in Radebeul. Publikationen zum Thema Richter, F. (1999, 2. A.): Worte wachsen langsam – Persönliches aus dem Herbst 89, Dresden. Ders. (2004): »in den Purzelbaum meiner Gefühle«. In: Lyrik und Malerei, Dresden. Astrid Seichter 1968 geboren. Studium der Religionspädagogik und kirchlicher Erwachsenenbildung an der Augustana-Hochschule, München. Seit 2000 Religionspädagogin in verschiedenen Schularten in München und Nürnberg, als Museums- und Religionspädagogin im Kunst- und Kulturpädagogischen Zentrum der Museen in Nürnberg, zuständig für den Bereich Religion. Mitarbeit im Bundesverband Kirchenpädagogik, Regionale Ansprechpartnerin für Bayern. Publikation zum Thema Seichter, Astrid (2003): »Durch Türen und Portale – Mit Jugendlichen eine Kirche ›aufschließen‹«. In: KU Praxis 45, Räume – Zeiten – Rituale, Gütersloh. Prof. Dr. Reiner Sörries Jahrgang 1952. Studium der Ev. Theologie, der Christlichen Archäologie und Kunstgeschichte an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Erstes und Zweites landeskirchliches Examen (Ev. Luth. Kirche in Bayern). 1977-1979 Vikar in Schwabach/Mfr. 1979-1991 Wiss. Mitarbeiter am Institut für Historische Theologie der Universität Erlangen. 1981 Promotion.

2005-10-05 18-10-35 --- Projekt: T398.kum.liebelt.religon-museum / Dokument: FAX ID 01c396524009878|(S. 191-195) T05_22 Autorinnnen und Autoren.p 96524011198

➔ Zu den Autorinnen, Autoren und Herausgebern

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Seit 1987 Direktor des Zentralinstituts und Museums für Sepulkralkultur in Kassel, seit 1994 zugleich apl. Professor für Christliche Archäologie und Kunstgeschichte an der Theol. Fakultät der Universität Erlangen. Publikationen zum Thema Sörries, Reiner (2000): »Die europäischen Bestattungsmuseen. Eine Aufgabe für die Lebenden«. In: Stapferhaus Lenzburg (Hg.), Last minute. Ein Buch zu Sterben und Tod, Baden/Schweiz, S. 266-271. Ders. (2001/2002): »Der Tod im Museum. Anmerkungen zur Musealisierung der letzten Dinge«. In: Sterben und Tod. Rheinisches Jahrbuch für Volkskunde 34, S. 175-198. Ders. (2002): »Auftrag und Erfüllung. Zehn Jahre Museum für Sepulkralkultur 1992-2002«. In: Friedhof und Denkmal 47, Heft 4, S. 3-25. Gisela Staupe Historikerin, Ausstellungsleiterin, Stellv. Direktorin des Deutschen HygieneMuseums, Dresden. Kuratorin u.a. der Ausstellungen »Unter anderen Umständen – Zur Geschichte der Abtreibung«, »Die Pille – Von der Lust und von der Liebe«, »Der (im-) perfekte Mensch«. Publikationen zum Thema, Begleitbücher zu Ausstellungen des Deutschen Hygiene-Museums Dresden: Staupe, G. (1993) (Hg., zusammen mit Lisa Vieth): Unter anderen Umständen – Zur Geschichte der Abtreibung. Berlin. Dies. (1996) (Hg., zusammen mit Lisa Vieth): Die Pille – Von der Lust und von der Liebe, Berlin. Dies. (2003) (Hg., zusammen mit Petra Lutz, Thomas Macho, Heike Zirden): Der (im-)perfekte Mensch – Metamorphosen von Normalität und Abweichung, Köln/Weimar.

2005-10-05 18-10-35 --- Projekt: T398.kum.liebelt.religon-museum / Dokument: FAX ID 01c396524009878|(S. 191-195) T05_22 Autorinnnen und Autoren.p 96524011198

Die Neuerscheinungen dieser Reihe:

Sonja Vandenrath Private Förderung zeitgenössischer Literatur Eine Bestandsaufnahme November 2005, ca. 250 Seiten, kart., ca. 25,80 €, ISBN: 3-89942-417-4

Lutz Hieber, Stephan Moebius, Karl-Siegbert Rehberg (Hg.) Kunst im Kulturkampf Zur Kritik der deutschen Museumskultur Oktober 2005, 210 Seiten, kart., zahlr. Abb., 24,80 €, ISBN: 3-89942-372-0

Birgit Mandel (Hg.) Kulturvermittlung – zwischen kultureller Bildung und Kulturmarketing Eine Profession mit Zukunft Oktober 2005, 270 Seiten, kart., 19,80 €, ISBN: 3-89942-399-2

Udo Liebelt, Folker Metzger (Hg.) Vom Geist der Dinge Das Museum als Forum für Ethik und Religion

Sabiene Autsch, Michael Grisko, Peter Seibert (Hg.) Atelier und Dichterzimmer in neuen Medienwelten Zur aktuellen Situation von Künstler- und Literaturhäusern Oktober 2005, 264 Seiten, kart., 27,80 €, ISBN: 3-89942-314-3

Hartmut John, Ira Mazzoni (Hg.) Industrie- und Technikmuseen im Wandel Perspektiven und Standortbestimmungen September 2005, 302 Seiten, kart., 27,80 €, ISBN: 3-89942-268-6

Franziska Puhan-Schulz Museen und Stadtimagebildung Amsterdam – Frankfurt/Main – Prag Ein Vergleich Juli 2005, 342 Seiten, kart., zahlr. Abb., 27,80 €, ISBN: 3-89942-360-7

Oktober 2005, 198 Seiten, kart., 22,80 €, ISBN: 3-89942-398-4

Leseproben und weitere Informationen finden Sie unter: www.transcript-verlag.de

Die Neuerscheinungen dieser Reihe: Tiziana Caianiello Der »Lichtraum (Hommage à Fontana)« und das »Creamcheese« im museum kunst palast Zur Musealisierung der Düsseldorfer Kunstszene der 1960er Jahre April 2005, 262 Seiten, kart., zahlr. Abb., 26,80 €, ISBN: 3-89942-255-4

Kathrein Weinhold Selbstmanagement im Kunstbetrieb Handbuch für Kunstschaffende März 2005, 320 Seiten, kart., 25,80 €, ISBN: 3-89942-144-2

Beatrix Commandeur, Dorothee Dennert (Hg.) Event zieht – Inhalt bindet Besucherorientierung von Museen auf neuen Wegen 2004, 196 Seiten, kart., 22,80 €, ISBN: 3-89942-253-8

Hartmut John, Jutta Thinesse-Demel (Hg.) Lernort Museum – neu verortet! Ressourcen für soziale Integration und individuelle Entwicklung. Ein europäisches Praxishandbuch 2004, 202 Seiten, kart., 23,80 €, ISBN: 3-89942-155-8

Uwe Christian Dech Aufmerksames Sehen Konzept einer Audioführung zu ausgewählten Exponaten 2004, 164 Seiten, kart., zahlr. Abb., 19,80 €, ISBN: 3-89942-226-0

Jana Scholze Medium Ausstellung Lektüren musealer Gestaltung in Oxford, Leipzig, Amsterdam und Berlin 2004, 300 Seiten, kart., 25,80 €, ISBN: 3-89942-192-2

Peter J. Bräunlein (Hg.) Religion und Museum Zur visuellen Repräsentation von Religion/en im öffentlichen Raum

Alexander Klein EXPOSITUM Zum Verhältnis von Ausstellung und Wirklichkeit

2004, 248 Seiten, kart., zahlr. Abb., 23,80 €, ISBN: 3-89942-225-2

2004, 220 Seiten, kart., 24,00 €, ISBN: 3-89942-174-4

Leseproben und weitere Informationen finden Sie unter: www.transcript-verlag.de